decision_id
stringlengths 36
36
| header
stringlengths 59
550
| regeste
stringlengths 7
5.41k
| text
stringlengths 350
179k
| law_area
stringclasses 1
value | law_sub_area
stringclasses 1
value | language
stringclasses 3
values | year
int32 1.95k
2.02k
| court
stringclasses 1
value | chamber
stringclasses 7
values | canton
stringclasses 1
value | region
stringclasses 1
value |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
3b1a95ad-69a8-4e0e-b939-42fd3666a8ef | Urteilskopf
138 III 304
46. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Swatch AG gegen X. SA (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_589/2011 vom 5. April 2012 | Regeste a
Ist das auf einen Vertrag (Abgrenzungsvereinbarung) gestützte gerichtliche Verbot an eine Partei, gegen Eintragungsgesuche einer bestimmten Marke Widerspruch zu erheben, bzw. der Befehl, bereits erhobene Widersprüche zurückzuziehen, ein Prozessführungsverbot ("anti-suit injunction")?
Begriff der "anti-suit injunction" und Anwendungsfälle. Zur Zulässigkeit des Erlasses von Prozessführungsverboten durch schweizerische Gerichte (E. 5.3.1). Die vorliegend ausgesprochenen Befehle und Verbote zielen auf die Durchsetzung von materiellrechtlichen Unterlassungspflichten ab; damit wurde keine anti-suit injunction erlassen (E. 5.3.2). Dem Gericht, das für den Entscheid über Ansprüche aus der Abgrenzungsvereinbarung zuständig ist, steht der Erlass solcher Anordnungen zu (E. 5.4).
Regeste b
Markenabgrenzungsvereinbarung; Vertragsbeendigung aus wichtigen Gründen.
Umschreibung des Vertragstyps der Markenabgrenzungsvereinbarung. Zulässigkeit. Abgrenzung zum Lizenzvertrag. Anwendbarkeit der Grundsätze über die ausserordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen und Ausschluss einer ordentlichen Kündigung (E. 6, 7 und 11). | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 138 III 304 S. 306
A.
Die Swatch SA (Beschwerdeführerin) ist eine schweizerische Aktiengesellschaft, deren Zweck die Herstellung von und der Handel mit Uhren, Bijouterieartikeln, elektronischen Geräten wie auch von Konsumgütern jeder Art ist. Sie ist Inhaberin der als Gemeinschaftsmarke eingetragenen Wortmarke "swatch" mit dem Prioritätsdatum vom 15. April 1996.
Die X. SA (Beschwerdegegnerin) ist eine Aktiengesellschaft aus Y., deren Gesellschaftszweck sich über alle Tätigkeiten der Entwicklung, der Produktion und des Ein- und Verkaufs von Gütern und Dienstleistungen an etwelche mögliche nationale und internationale Abnehmer erstreckt. Im Handelsregister werden in der Rubrik "Werbung" auch Wertgegenstände wie namentlich Schmuck und Uhren genannt. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin der Gemeinschafts(wort)marke "Icewatch" mit dem Prioritätsdatum vom 13. Dezember 2006 bzw. Inhaberin der Wort-/Bildmarke "Ice-Watch". Nachdem sie im Jahre 2005 entschied, Uhren in ihr Werbegeschenksortiment aufzunehmen, meldete sie am 13. Dezember 2006 beim europäischen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Harmonisierungsamt, HABM) die Wortmarke "icewatch" als Gemeinschaftsmarke in der Klasse 14 gemäss Nizza-Klassifikation an. Am 20. August 2008 erhob die Beschwerdeführerin dagegen Einspruch. Den betreffenden Streit legten die Parteien mit dem Abschluss einer "Abgrenzungsvereinbarung" vom 15./20. Mai 2008 bei, die den Eintrag der strittigen Marke erlaubte und wie folgt lautet:
"The following is concluded:
1. X. is the holder of CTM application n° AAA. for the word trademark ICEWATCH in the international class 14.
2. SWATCH objected to the use and registration of the trademark ICEWATCH and introduced an opposition procedure with OHIM against aforementioned application (opposition n° BBB.).
3. X. acknowledges the prior trademark rights for SWATCH on the term SWATCH and will never derive any rights against the use, registration or renewal by SWATCH of the trademark SWATCH.
4. X. undertakes to use the trademark ICEWATCH only as a device trademark where the term "ICE" and the term "WATCH" are represented on two separate text lines. When referring to the product e.g. in commercial literature or in an article the applicant will be entitled to refer to the trademark as "ICE-WATCH" or "ice-watch", the two words always divided by a hyphen.
5. X. untertakes to file for new trademark applications only as device trademark where the term "ICE" and the term "WATCH" are represented on two separate text lines.
BGE 138 III 304 S. 307
6. With regard to points 4 and 5, SWATCH consents especially to the use and registration of the trademark ICEWATCH as shown below:
7. According to point 4, X. undertakes to adapt its website www.ice-watch.com and to delete all references to the term ICEWATCH, except for those references in conformity with point 4 of the present agreement.
8. SWATCH declares having no objection against the use of the website www.ice-watch.com and any mention of the term www.ice-watch.com.
9. At latest within 10 days from the moment X. executed point 7 of the present agreement, SWATCH will withdraw the CTM opposition n° BBB.
10. (...)
11. The present agreement has world wide validity. It is granted for a duration corresponding to the duration of preservation of the titles protecting the tradmarks "ICEWATCH" and "SWATCH" and/or the use of the designation "ICE-WATCH".
12. This agreement is governed by Swiss Law. Any dispute ensuing from the present agreement and especially concerning its conclusion, its validity, its interpretation, its execution, its violation or its cancellation, as well as any extra contractual complaint, will be in the exclusive competence of the courts of the Canton Bern, Switzerland.
13. (...)"
Die Beschwerdegegnerin bemühte sich in der Folge, die Konditionen aus der Abgrenzungsvereinbarung auch ihren Detaillisten weiterzugeben und diese vertraglich an die korrekte Verwendung der Marke "Ice-Watch" zu binden. Sie erzielte mit ihrem Uhrenabsatz grosse Erfolge und ist mittlerweile an allen grossen Ausstellungen und Messen präsent.
Mit Kündigungsschreiben vom 5. Juni 2009 erklärte die Beschwerdeführerin die fristlose Auflösung der Abgrenzungsvereinbarung. Zur Begründung nannte sie verschiedene, in Darstellungen der Marke "ICE-WATCH" auf einer Zeile bestehende Verstösse gegen die Abgrenzungsvereinbarung.
BGE 138 III 304 S. 308
Vorgängig dem Kündigungsschreiben waren seitens der Beschwerdeführerin keine Rügen oder Mahnungen gegenüber der Beschwerdegegnerin betreffend ihre Markenverwendung erfolgt.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2009 bestritt die Beschwerdegegnerin die Kündigung "förmlich". Die Beschwerdeführerin verwies mit Schreiben vom 10. Juli 2009 auf die im Kündigungsschreiben vorgebrachten Gründe und bemerkte, dass die Beschwerdegegnerin zwischenzeitlich die Verletzungen behoben habe, weshalb sie sich ihrer Verstösse genau bewusst gewesen sei. Am 8. Januar 2010 erfuhr die Beschwerdegegnerin davon, dass die Beschwerdeführerin gegen die Anmeldung ihrer Wort-/Bildmarke "ICE-WATCH", gemäss Abgrenzungsvereinbarung auf zwei Zeilen geschrieben, am 17. September 2008 in den USA Widerspruch erhoben hatte. Seither erfolgten zahlreiche Widersprüche der Beschwerdeführerin gegen Markeneintragungsgesuche der Beschwerdegegnerin.
B.
B.a
Die Beschwerdegegnerin erhob am 14. Juli 2010 beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage gegen die Beschwerdeführerin. Sie beantragte mit anlässlich der Hauptverhandlung geänderten und ergänzten Rechtsbegehren u.a., es sei festzustellen, dass die am 5. Juni 2009 ausgesprochene Kündigung der Abgrenzungsvereinbarung wirkungslos sei (Ziff. 1) und dass die Abgrenzungsvereinbarung betreffend die Marken ICE-WATCH und SWATCH gültig und für die Parteien rechtsverbindlich sei (Ziff. 2). Ferner sei der Beschwerdeführerin unter Androhung von Straffolgen gemäss
Art. 292 StGB
für den Widerhandlungsfall zu verbieten, Widerspruch zu erheben gegen sämtliche bereits hängigen oder zukünftigen Markeneintragungsgesuche der Beschwerdegegnerin für die Wort-/Bildmarke oder dreidimensionale "Ice-Watch"-Marke, welche die Worte "Ice" und "Watch" ausschliesslich in folgender Darstellung enthalten (Ziff. 3):
BGE 138 III 304 S. 309
In Ziffer 4 des Rechtsbegehrens beantragte die Beschwerdegegnerin weiter, die Beschwerdeführerin sei unter Androhung von Straffolgen gemäss
Art. 292 StGB
für den Widerhandlungsfall zu verurteilen, 18 im Begehren im Einzelnen bezeichnete, in verschiedenen Ländern erhobene Widersprüche und jeden anderen Widerspruch gegen die Markeneintragungen der Beschwerdegegnerin für ihre Wort-/Bildmarke ICE-WATCH, der möglicherweise von der Beschwerdeführerin bereits eingereicht sei oder bis zum Ergehen des Urteils im vorliegenden Verfahren eingereicht werde, zurückzuziehen.
B.b
Mit Entscheid vom 28. April 2011 stellte das Handelsgericht fest, dass die Kündigung vom 5. Juni 2009 wirkungslos und die Abgrenzungsvereinbarung für die Parteien rechtsverbindlich sei (Dispositiv Ziff. 1a/1b). Sodann verbot es der Beschwerdeführerin unter Androhung von Straffolgen gemäss
Art. 292 StGB
für den Widerhandlungsfall, Widerspruch zu erheben gegen sämtliche bereits hängigen oder zukünftigen Markeneintragungsgesuche der Beschwerdegegnerin für die Wort-/Bildmarke, welche die Worte "Ice" und "Watch" ausschliesslich in folgender Darstellung enthalten (Dispositiv Ziff. 2a):
Weiter verurteilte das Handelsgericht die Beschwerdeführerin unter Androhung von Straffolgen gemäss
Art. 292 StGB
für den Widerhandlungsfall, 18 im Einzelnen bezeichnete, in verschiedenen Ländern erhobene Widersprüche gegen die Markeneintragungen der Beschwerdegegnerin für ihre Wort-/Bildmarke "Ice-Watch" zurückzuziehen (Dispositiv Ziff. 2b).
C.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen u.a., es seien die Dispositiv Ziffern 1 und 2 des Urteils des Handelsgerichts aufzuheben und es sei auf die Klage vom 14. Juli 2010 nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Subeventuell sei die Streitsache zur Vervollständigung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, weil die Vorinstanz in einem Punkt (Verwendung des Domainnamens
BGE 138 III 304 S. 310
"
www.ice-watch.com
" auf einer Zeile im Layout ihrer Wort-/Bildmarke) eine Verletzung der Abgrenzungsvereinbarung zu Unrecht verneint hatte. Es weist die Sache an die Vorinstanz zurück zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen in diesem Punkt und zur Neubeurteilung, ob sämtliche bejahten Vertragsverletzungen einen wichtigen Grund für die Auflösung der Abgrenzungsvereinbarung bilden (Ermessensfrage).
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe Bundesrecht sowie Staatsvertragsrecht verletzt, indem sie auf die Rechtsbegehren Ziffern 3 und 4 eingetreten sei, mit denen die Beschwerdegegnerin beantragte, der Beschwerdeführerin sei unter Straffolge zu verbieten, Widerspruch gegen sämtliche hängigen und zukünftigen Markeneintragungsgesuche der Beschwerdegegnerin bezüglich der Wort-/Bildmarke "Ice-Watch" (fig.) zu erheben, und der Beschwerdeführerin sei zu befehlen, zahlreiche bereits eingereichte Widersprüche zurückzuziehen. Bei der von der Vorinstanz angeordneten Verpflichtung, Widersprüche gegen Markeneintragungsgesuche zurückzuziehen bzw. nicht zu erheben, handle es sich um unzulässige Prozessführungsverbote (anti-suit injunctions). Nach schweizerischem Recht dürfe ein Gericht generell keine Prozessführungsverbote aussprechen, und zwar unabhängig davon, ob ein Binnen- oder ein internationaler Sachverhalt vorliege. Ein Prozessführungsverbot bedeute einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenz des Zielgerichts, selber über seine Zuständigkeit entscheiden zu können (sog. Kompetenz-Kompetenz). Namentlich soweit Widerspruchsverfahren im Anwendungsbereich des LugÜ (SR 0.275.12) betroffen seien, sei zu beachten, dass der vorliegend anwendbare
Art. 16 Ziff. 4 LugÜ
in der Fassung vom 16. September 1988 (aLugÜ; AS 1991 2436), gleich wie der Art. 22 Nr. 4 des revidierten LugÜ vom 30. Oktober 2007 vorsehe, dass Bestandesklagen über Immaterialgüterrechte, zu denen auch die Widerspruchsklagen zählten, von den Gerichten desjenigen Mitgliedstaats zu behandeln seien, in dem die Hinterlegung des Immaterialgüterrechts beantragt oder vorgenommen worden sei. Somit verstosse namentlich die Verpflichtung, die Widersprüche für Markeneintragungsgesuche im LugÜ-Raum zurückzuziehen bzw. in Mitgliedstaaten des LugÜ keine Widersprüche zu erheben, gegen Art. 16 Ziff. 4 aLugÜ.
BGE 138 III 304 S. 311
5.2
Die Vorinstanz erwog dazu, die Antwort auf die Frage, ob ein schweizerisches Gericht ein Urteil mit Wirkungen über die eigenen Landesgrenzen hinaus fällen könne, sei in der Abgrenzungsvereinbarung zwischen den Parteien zu suchen. Vorliegend könne die Vorinstanz gestützt auf schweizerisches Recht ein Urteil über konkrete vertragliche Verpflichtungen fällen. Es könne und müsse im Rahmen der gesetzlichen Schranken formell zulässige Rechtsbegehren, wenn sie begründet seien, zusprechen, und zwar so wie unter den Parteien vereinbart. Vorliegend hätten die Parteien die weltweite Gültigkeit der Abgrenzungsvereinbarung vorgesehen, so dass sich die Beschwerdeführerin verpflichtet habe, weltweit keine Widersprüche gegen die Wort-/Bildmarke der Beschwerdegegnerin gemäss Abgrenzungsvereinbarung zu erheben. Gestützt darauf könne die Beschwerdeführerin zum Rückzug der weltweiten Widersprüche verurteilt werden.
5.3
Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Vorinstanz gegenüber der Beschwerdeführerin ein Prozessführungsverbot der behaupteten Art (sog. "anti-suit injunction") ausgesprochen hat.
5.3.1
Anti-suit injunctions sind Prozessführungsverbote, mit denen das Gericht, das sich zur Entscheidung einer internationalen Streitigkeit als zuständig ansieht, einer Partei eines bei ihm anhängigen Verfahrens untersagt, eine Klage vor einem anderen (ausländischen) Gericht zu erheben, dessen Zuständigkeit es als nicht gegeben oder zumindest weniger begründet als seine eigene betrachtet, oder ein dortiges Verfahren weiterzubetreiben (DOMENICO ACOCELLA, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Kommentar, Anton K. Schnyder [Hrsg.], 2011, N. 29 zu Vorbem.
Art. 2 LugÜ
; FAVALLI/AUGSBURGER, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 50 zu
Art. 31 LugÜ
; YVES DERAINS, L'abus des "anti-suit injunctions" en matière d'arbitrage international et la convention de New York, in: De lege ferenda, Études pour le Professeur Alain Hirsch, 2004, S. 105 f.; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, Arbitrage international, 2. Aufl. 2010, Rz. 457a; EMMANUEL GAILLARD, Introduction, in: Anti-suit injunctions in international arbitration, New York 2005, S. 1; OLIVIER LUC MOSIMANN, Anti-suit injunctions in international commercial arbitration, Den Haag 2010, S. 7). Es geht dabei um Klagen mit einem identischen oder konnexen Verfahrensgegenstand bzw. um "Parallelverfahren" (FAVALLI/AUGSBURGER, a.a.O., N. 50 zu
Art. 31 LugÜ
; SCHNYDER/LIATOWITSCH, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 328; MANUEL LIATOWITSCH,
BGE 138 III 304 S. 312
Schweizerische Schiedsgerichte und Parallelverfahren vor Staatsgerichten im In- und Ausland, 2002, S. 146; LIATOWITSCH/BERNET, Probleme bei parallelen Verfahren vor staatlichen Gerichten und vor Schiedsgerichten, in: Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht, Bd. IV, Karl Spühler [Hrsg.], 2005, S. 162). Entsprechende Prozessführungsverbote sind dem Zuständigkeitsrecht und damit dem Prozessrecht zuzuordnen; sie bilden eine Erscheinungsform des Kampfes um den (vorteilhaften) Gerichtsstand (MARCO STACHER, Prozessführungsverbote zur Vermeidung von sich widersprechenden Entscheiden, ZZZ 2006 S. 61 ff., 62 Rz. 4; MICHAEL KÄHR, Der Kampf um den Gerichtsstand - Forum Shopping im internationalen Verfahrensrecht der Schweiz, 2010, S. 11; LIATOWITSCH, a.a.O., S. 147 spricht von einer "prozessualen Offensivwaffe"; ebenso LIATOWITSCH/BERNET, a.a.O., S. 162; vgl. dazu auch ACOCELLA, a.a.O., N. 29 ff., 36 zu Vorbem.
Art. 2 LugÜ
; BERGER/KELLERHALS, International and domestic arbitration in Switzerland, 2. Aufl. 2010, Rz. 616 f.; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, a.a.O., Rz. 457a). Insbesondere Gerichte aus dem angelsächsischen Raum erlassen anti-suit injunctions denn auch, um ein missbräuchliches forum-shopping zu verhindern. Als Anwendungsfälle zu nennen sind insbesondere die drohende oder bereits eingeleitete missbräuchliche Prozessführung vor ausländischen Gerichten oder die drohende oder bereits erfolgte Verletzung von Gerichtstands- und Schiedsvereinbarungen oder in einem Vergleich geschlossenen Vereinbarungen, über den verglichenen Streitgegenstand nicht mehr zu prozessieren; weitere Fallgruppen bilden Konstellationen, in denen mehrere alternative Gerichtsstände zur Verfügung stehen oder das Prozessieren im Ausland als grob unbillig empfunden wird (GION JEGHER, Abwehrmassnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, S. 93 ff.; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, a.a.O., Rz. 457a/b; LIATOWITSCH, a.a.O., S. 147; LIATOWITSCH/BERNET, a.a.O., S. 163).
Anti-suit injunctions bzw. Prozessführungsverbote wurden vom EuGH in einer Vorabentscheidung aus dem Jahre 2004 als mit dem Brüsseler Übereinkommen (Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; EuGVÜ) im Widerspruch stehend und damit unzulässig beurteilt, und zwar selbst für den Fall, dass die Partei, gegen die das Prozessführungsverbot ausgesprochen wird, mit der Prozesseinleitung beim anderen Gericht wider Treu und Glauben zu dem Zweck handelt, das bereits anhängige Verfahren zu behindern (Urteil des EuGH vom
BGE 138 III 304 S. 313
27. April 2004 C-159/02
Turner c. Grovit
, Slg. 2004 I-03565; vgl. dazu ACOCELLA, a.a.O., N. 30 ff. zu Vorbem.
Art. 2 LugÜ
; STACHER, a.a.O., S. 69 f.; kritisch: FAVALLI/AUGSBURGER, a.a.O., N. 54 f. zu
Art. 31 LugÜ
sowie BERNHARD BERGER, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 58 zu
Art. 23 LugÜ
; s. ferner LAURENT KILLIAS, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ], Kommentar, Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 155 zu
Art. 23 LugÜ
).Der Gerichtshof erwog dazu, es sei wesentlicher Bestandteil des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Vertragsstaaten, dass im Anwendungsbereich des Übereinkommens dessen Zuständigkeitsregeln, die allen Gerichten der Vertragsstaaten gemeinsam seien, von jedem dieser Gerichte mit gleicher Sachkenntnis ausgelegt und angewandt werden könnten. Das Übereinkommen gestatte - von begrenzten Ausnahmen abgesehen - die Prüfung der Zuständigkeit eines Gerichts durch das Gericht eines anderen Vertragsstaats nicht. Das von einem Gericht an eine Partei gerichtete Verbot, eine Klage bei einem ausländischen Gericht zu erheben oder ein dortiges Verfahren weiterzubetreiben, beeinträchtige dessen Zuständigkeit für die Entscheidung des Rechtsstreits (Ziffer 24 ff. des zit. Entscheids).
Diese Rechtsprechung ist grundsätzlich auch von den schweizerischen Gerichten zu beachten, soweit im LugÜ geregelte Zuständigkeiten im Raum stehen (
BGE 135 III 185
E. 3.2;
BGE 129 III 626
E. 5.2.1; je mit Hinweisen; zweifelnd: FAVALLI/AUGSBURGER, a.a.O., N. 55 zu
Art. 31 LugÜ
). Zur Zulässigkeit des Erlasses von Prozessführungsverboten durch Schweizer Gerichte ausserhalb des Anwendungsbereichs des LugÜ hat sich das Bundesgericht noch nie geäussert.
Die schweizerische Lehre steht einer solchen wohl überwiegend ablehnend gegenüber, da zivilrechtlichen und staatsrechtlichen Prinzipien widersprechend (SCHNYDER/LIATOWITSCH, a.a.O., Rz. 328; BERGER/KELLERHALS, a.a.O., Rz. 616; JEGHER, a.a.O., S. 103; STACHER, a.a.O., S. 77 f., inbesondere Rz. 56; differenzierend aber: OLIVIER LUC MOSIMANN, anti-suit injunctions in international arbitration, Den Haag 2010, S. 40 ff.; ANDREAS BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé - Convention de Lugano, 2011, N. 5 zu
Art. 183 IPRG
; vgl. auch das Urteil des Tribunal de première instance des Kantons Genf vom 2. Mai 2004 E. C, in: Bulletin ASA 2005 S. 728 ff., in dem eine anti-suit injunction als mit der schweizerischen Rechtsordnung im Widerspruch stehend beurteilt wurde). Es wird
BGE 138 III 304 S. 314
namentlich argumentiert, Prozessführungsverbote seien überflüssig, um dem Problem widersprechender Entscheide beizukommen. Die Grundsätze über die Litispendenz und die res iudicata sowie die Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen reichten dazu aus, so dass es an einem Rechtsschutzinteresse für die Anordnung von Prozessführungsverboten fehle, die dem Prinzip der Kompetenz-Kompetenz widersprächen; solche Massnahmen seien unter dem Gesichtspunkt der internationalen Rücksichtnahme (comity) problematisch und beinhalteten überdies ein Eskalationspotential. Es bestehe die Gefahr, dass das Zielgericht in der Folge seinerseits ein Wider-Prozessführungsverbot (anti-anti-suit injunction) ausspreche, womit den Parteien der Zugang zu beiden angerufenen Gerichten abgeschnitten würde, mit der Folge, dass nicht nur keine widersprechenden Urteile gesprochen würden, sondern gar keine (STACHER, a.a.O., S. 74 ff. insb. Rz. 42, 51, 57; JEGHER, a.a.O., S. 103; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, a.a.O., Rz. 458b; SCHYDER/LIATOWITSCH, a.a.O., Rz. 328).
5.3.2
Vorliegend erübrigt sich eine Stellungnahme zur Zulässigkeit von Prozessführungsverboten der umschriebenen Art. Denn in den Klagebegehren Ziffern 3 und 4 kann kein Antrag um Erlass eines solchen, dem Prozessrecht zuzuordnenden Prozessführungsverbots erblickt werden und die Vorinstanz hat kein solches Prozessführungsverbot erlassen, soweit sie diese Begehren guthiess.
Es liegt vorliegend namentlich kein Fall vor, in dem sich für einen bestimmten Streitgegenstand die Frage stellte, welches Gericht dafür die Zuständigkeit beanspruchen könne, oder in dem eine missbräuchliche Klageerhebung im Raum stand. Namentlich war und ist unumstritten, dass die Vorinstanz - gemäss der in der Abgrenzungsvereinbarung enthaltenen und nach dem vorliegend anwendbaren Art. 17 aLugÜ gültigen Gerichtsstandsklausel - ausschliesslich zur Beurteilung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Abgrenzungsvereinbarung zuständig ist; es geht mit den ausgesprochenen Befehlen bzw. Verboten nicht darum, den Gerichtsstand bei der Vorinstanz abzusichern. Selbstredend geht es ebenso wenig um die Bestimmung von Zuständigkeiten für allfällige Widerspruchsverfahren.
In der Abgrenzungsvereinbarung stimmte die Beschwerdeführerin dem weltweiten Gebrauch und weltweiten Registrierungen der Wort-/Bildmarke "Ice-Watch" in der Form gemäss Abgrenzungsvereinbarung durch die Beschwerdegegnerin zu. Sie ging mit anderen
BGE 138 III 304 S. 315
Worten, wie auch die Vorinstanz unwidersprochen festhielt, die Verpflichtung ein, den Gebrauch und Registrierungen der Marke in der erwähnten Form zu dulden bzw. nicht zu behindern, d.h. alles zu unterlassen, was ihren Gebrauch und ihre Registrierung beeinträchtigen könnte, namentlich keine Einsprachen gegen Registrierungen zu erheben. Damit ging die Beschwerdeführerin eine vertragliche, dem materiellen Recht zuzuordnende Duldungs- bzw. Unterlassungsverpflichtung ein und schloss nicht eine prozessrechtliche Vereinbarung ab, über einen bestimmten Streitgegenstand, namentlich eine individuell bestimmte Markeneintragung in einem bestimmten Land keinen Prozess oder nur einen Prozess an einem bestimmten Ort einzuleiten. Es geht nicht um die Regelung der Zuständigkeit zur Beurteilung eines konkreten Markeneintragungsgesuchs, sondern um die generelle Verpflichtung der Beschwerdeführerin, jeglichen zukünftigen Markeneintragungsgesuchen in beliebigen Ländern, die je für sich einen eigenen Streitgegenstand bilden könnten, nicht zu opponieren, mithin um eine Unterlassungsverpflichtung, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist (vgl. dazu CHRISTIAN KÖLZ, Die Zwangsvollstreckung von Unterlassungspflichten im schweizerischen Zivilprozessrecht, 2007, S. 11 Rz. 16; LUCAS DAVID, Markenschutzgesetz, Muster- und Modellgesetz, [nachfolgend: MSchG] 1999, N. 53 zu
Art. 3 MSchG
). Damit liegt namentlich auch nicht die in der Literatur als Anwendungsfall von anti-suit injunctions genannte Konstellation vor, in der es um die Durchsetzung einer in einem Vergleich geschlossenen Vereinbarung ginge, über den bestimmten, verglichenen Streitgegenstand nicht mehr zu prozessieren (JEGHER, a.a.O., S. 93).
Daran ändert nichts, dass die Abgrenzungsvereinbarung aus Anlass eines von der Beschwerdeführerin angestrengten Widerspruchsverfahrens abgeschlossen wurde, geht sie doch in ihrem Gehalt weit über die vergleichsweise Einigung über den konkreten Streitgegenstand bzw. den vereinbarten Rückzug des entsprechenden Widerspruchs hinaus. Die Beschwerdeführerin verzichtete damit generell, nicht bloss in einem bestimmten Verfahren, auf die Geltendmachung ihrer Prioritätsrechte gegenüber der Wort-/Bildmarke "Ice-Watch" gemäss Abgrenzungsvereinbarung. Überdies ist davon auszugehen, dass im Rahmen von inländischen und wohl auch von ausländischen Widerspruchsverfahren nur markenrechtliche, nicht aber vertragsrechtliche Ansprüche beurteilt werden können, wie sie vorliegend strittig sind, mithin zur Durchsetzung von vertraglichen Ansprüchen
BGE 138 III 304 S. 316
ausschliesslich der Zivilprozess in Frage kommt (DAVID, a.a.O., N. 53 zu Art. 3 und N. 5 zu
Art. 31 MSchG
; CHRISTOPH WILLI, MSchG, Kommentar, 2002, N. 15 zu
Art. 31 MSchG
; GREGOR WILD, in: Markenschutzgesetz, Noth/Bühler/Thouvenin [Hrsg.], 2009, N. 9 zu
Art. 31 MSchG
; vgl. auch BUTZ/GORDON, Die Übertragung von Abwehrbefugnissen als wirksameres Sicherungsmittel im Rahmen einer markenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarung?, sic! 2003 S. 485 ff., 489; für Widerspruchsverfahren nach der Gemeinschaftsmarkenverordnung beim Harmonisierungsamt: HARTE-BAVENDAMM/VON BOMHARD, Abgrenzungsvereinbarungen und Gemeinschaftsmarken, GRUR 1998 S. 530 ff., 537 f.), für den die Parteien vorliegend den Gerichtsstand in Bern vereinbart haben. Eine Qualifikation der von der Vorinstanz an diesem Gerichtsstand erlassenen Anordnungen als (unzulässige) anti-suit injunctions würde demnach dazu führen, dass die Beschwerdegegnerin im Zusammenhang mit Widerspruchsverfahren jeglichen Mittels zur Durchsetzung ihrer Ansprüche aus der Abgrenzungsvereinbarung beraubt würde.
5.4
Die Vorinstanz ist unbestrittenermassen international zuständig, über Ansprüche aus der Abgrenzungsvereinbarung, der die Parteien weltweite Geltung verliehen haben, zu entscheiden. Damit steht ihr nach einem allgemeinen Grundsatz des Bundesprivatrechts auch zu, Befehle und Verbote zu erlassen, die zur grenzüberschreitenden Durchsetzung von als zu Recht bestehend erkannten Unterlassungsansprüchen erforderlich sind, und für den Fall der Nichtbeachtung derselben strafrechtliche Sanktionen anzudrohen (vgl. dazu KÖLZ, a.a.O., S. 12 Rz. 16, S. 122 Rz. 142; vgl. ferner DAVID, a.a.O., N. 5 zu
Art. 31 MSchG
und HARTE-BAVENDAMM/VON BOMHARD, a.a.O., S. 538, wo von der Zulässigkeit einer entsprechenden Leistungsklage ausgegangen wird), soweit Letzteres in der anwendbaren Prozessordnung vorgesehen ist, was vorliegend nicht bestritten ist (vgl. dazu nunmehr Art. 236 Abs. 2, Art. 337 Abs. 1 und Art. 343 Abs. 1 lit. a der Schweizerischen ZPO [SR 272]). Würde dies verneint, drohte der Unterlassungsanspruch seines Inhalts entleert zu werden und müsste sich die Beschwerdegegnerin auf die Geltendmachung ihrer vertraglichen Rechte in unzähligen Verfahren in verschiedenen Ländern (soweit überhaupt zulässig [vgl. vorstehende E. 5.3.2 in fine]), und allenfalls auf die Erhebung von Schadenersatzansprüchen wegen Vertragsverletzung beschränken.
Der Vorinstanz ist damit weder ein Verstoss gegen Bundesrecht noch gegen Staatsvertragsrecht vorzuwerfen, weil sie auf die Rechtsbegehren Ziffern 3 und 4 eintrat. Die Rüge ist unbegründet.
BGE 138 III 304 S. 317
6.
Mit dem streitbetroffenen Vertrag verpflichtete sich die Beschwerdegegnerin u.a., ihre Marke "Ice-Watch" nur in bestimmter Form bzw. grafischer Ausgestaltung, d.h. mittels Darstellung der Worte "Ice" und "Watch" auf zwei separaten Zeilen, in Registern eintragen zu lassen (Ziff. 5) und abgesehen von im Einzelnen umschriebenen Ausnahmen in entsprechender Form bzw. Ausgestaltung zu benutzen (Ziff. 4 und 8). Daraufhin gab die Beschwerdeführerin ihre Zustimmung zum entsprechenden Gebrauch und entsprechenden Registrierungen der Wort-/Bildmarke "Ice-Watch" (Ziff. 6). Es ist unbestritten und zutreffend, dass die Parteien damit eine sog. Abgrenzungsvereinbarung getroffen haben, mit der typischerweise der Inhaber der älteren Marke auf eine vollumfängliche Durchsetzung seines Ausschliesslichkeitsanspruchs verzichtet und der Inhaber der jüngeren Marke ihm im Gegenzug garantiert, dass er dieselbe nie ausserhalb des vereinbarten Einsatzbereichs bzw. ausschliesslich auf die vereinbarte Art und Weise verwenden wird, regelmässig verbunden mit der Zusicherung, gestützt auf das jüngere Zeichen keine Abwandlungen oder Neuanmeldungen der älteren Marke anzugreifen (sog. Vorrechtserklärung; vgl. Ziffer 3 der vorliegend strittigen Vereinbarung). Ausgangssituation für eine solche Vereinbarung ist ein rechtlicher Konflikt zwischen markenrechtlichen Schutz beanspruchenden Kennzeichen, die identisch oder zumindest verwechslungsfähig sind (vgl.
Art. 3 Abs. 1 MSchG
[SR 232.11]). Die Parteien grenzen damit die Einsatzbereiche ihrer Marken ab und verpflichten sich regelmässig, die Marke des Vertragspartners in deren vertraglich festgelegtem Einsatzbereich nicht zu behindern. Damit ist regelmässig beiden Parteien gedient. Der Inhaber des jüngeren Zeichens kann sein Zeichen zumindest wie vereinbart benützen, während der Inhaber der älteren Marke den Kernbereich seines Zeichens frei halten kann, ohne sich in eine vielleicht unsichere Auseinandersetzung einlassen zu müssen. Es handelt sich bei solchen Verträgen um synallagmatische Innominatkontrakte, die durch eine stark vergleichs- und verzichtsähnliche Struktur charakterisiert sind. Sie sind auf eine endgültige und dauerhafte Beilegung eines bestehenden oder zumindest nicht auszuschliessenden Konflikts ausgerichtet und müssen, um diesen Zweck zu erfüllen, grundsätzlich unkündbar sein; nur so kann das Wiederaufflammen des Konflikts verhindert werden (EUGEN MARBACH, Markenrecht, SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, Rz. 714 ff. mit Hinweis auf ein Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 19. Juni 1980, in: SMI 1980 S. 139 ff., 150;
BGE 138 III 304 S. 318
GALLUS JOLLER, in: Markenschutzgesetz, Noth/Bühler/Thouvenin [Hrsg.], 2009, N. 358 ff. zu
Art. 3 MSchG
; YVAN CHERPILLOD, Le droit suisse des marques [nachfolgend: Droit], 2007, S. 142; LUCAS DAVID, Lexikon des Immaterialgüterrechts [nachfolgend: Lexikon], SIWR Bd. I/3, 2005, S. 2 f.; WILLI, a.a.O., N. 15 f. zu
Art. 55 MSchG
; CLAUDIA MARADAN, Les accords de coexistence en matière de marques, 1994, S. 46 ff.; HANS NEUBAUER, Markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung aus rechtsvergleichender Sicht, Berlin 1983, S. 7 ff., 75 ff.; BUTZ/GORDON, a.a.O., S. 486; KARL-HEINZ FEZER, Markenrecht, 4. Aufl., München 2009, N. 1088 ff. zu § 14 MarkenG).
Die Zulässigkeit von Abgrenzungsvereinbarungen unter dem geltenden MSchG vom 28. August 1992 wird in der schweizerischen Lehre einhellig bejaht, namentlich auch unter dem Gesichtswinkel von
Art. 27 ZGB
(s. die vorstehend zitierten Autoren; vgl. aber
BGE 99 II 104
E. 5d S. 114, der unter dem nicht mehr geltenden Bundesgesetz vom 26. September 1890 betreffend den Schutz der Fabrik- und Handelsmarken, der Herkunftsbezeichnungen von Waren und der gewerblichen Auszeichnungen [aMSchG] erging; vgl. auch JOLLER, a.a.O., N. 362 zu
Art. 3 MSchG
, DAVID, Lexikon, a.a.O., S. 3 und CHERPILLOD, Droit, a.a.O., S. 143 f., die darauf hinweisen, dass Abgrenzungsvereinbarungen wettbewerbsrechtlich problematisch sein können).
Mit einer Abgrenzungsvereinbarung werden nach dem Ausgeführten im Wesentlichen dauernde Unterlassungspflichten statuiert, die sich immerhin im Bereich des Inhabers des jüngeren Zeichens insoweit als Pflicht zu einem Tun auswirken, als dieser innerhalb seiner Organisation dauerhaft zu überwachen hat, dass der Gebrauch seiner Marke sich innerhalb der Grenzen der Vereinbarung hält. Vorliegend kann offenbleiben, ob es sich dabei um ein eigentliches Dauerschuldverhältnis handelt, in dem sich die typische Hauptleistungspflicht des Vertrags als Dauerschuld qualifiziert (
BGE 128 III 428
E. 3b S. 430), die ein fortdauerndes oder wiederholtes Leistungsverhalten verlangt, solange die Schuld besteht (4A_141/2007 vom 20. August 2007 E. 4.1; PETER GAUCH, System der Beendigung von Dauerverträgen [nachfolgend: Beendigung], 1968, S. 5 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 2008, Nr. 94 und 263; vgl. auch IVAN CHERPILLOD, La fin des contrats de durée [nachfolgend: Contrats], 1988, S. 11 ff.), oder bloss um ein Schuldverhältnis, das wie ein Dauerschuldverhältnis wirkt, wie die Vorinstanz mit Hinweis auf CHERPILLOD
BGE 138 III 304 S. 319
(Droit, a.a.O., S. 142) und MARADAN (a.a.O., S. 59 ff.) angenommen hat. Die Vorinstanz hat jedenfalls zutreffend erkannt und es ist unbestritten, dass auf einen entsprechenden Vertrag mit dauerhafter Wirkung die allgemeinen Regeln über die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen anzuwenden sind (vgl. dazu CHERPILLOD, Contrats, a.a.O., S. 13 Rz. 6), mithin auch die Regeln über die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund (vgl. dazu MARADAN, a.a.O., S. 139 ff.; CHERPILLOD, Droit, a.a.O., S. 143; NEUBAUER, a.a.O., S. 209 Fn. 1000 m.H. auf Handelsgericht des Kantons Zürich, a.a.O., in: SMI 1980 S. 149).
7.
Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz, dass Dauerschuldverhältnisse von einer Partei bei Vorliegen von wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, vorzeitig gekündigt werden können (
BGE 128 III 428
E. 3 S. 429 f.;
BGE 122 III 262
E. 2a/aa S. 265 f.). Ein wichtiger Grund zur Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Bindung an den Vertrag für die Partei wegen veränderter Umstände ganz allgemein unzumutbar geworden ist, also nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter anderen die Persönlichkeit berührenden Gesichtspunkten (
BGE 128 III 428
E. 3c S. 432). Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, nach dem einer Partei eine Weiterführung des Vertrags nicht mehr zugemutet werden kann, besteht ohne weiteres ein Recht dieser Partei auf eine sofortige Auflösung eines Dauervertrages. Es muss ihr unter dieser Voraussetzung möglich sein, sich vom Vertrag zu lösen (Urteil 4A_148/2011 vom 8. September 2011 E. 4.3.1). Bei besonders schweren Vertragsverletzungen ist ein wichtiger Grund regelmässig zu bejahen. Auch weniger gravierende Vertragsverletzungen können aber eine Fortsetzung des Vertrags für die Gegenpartei unzumutbar machen, wenn sie trotz Verwarnung oder Abmahnung immer wieder vorgekommen sind, so dass nicht zu erwarten ist, weitere Verwarnungen würden den Vertragspartner von neuen Vertragsverletzungen abhalten (vgl. z.B.
BGE 127 III 153
E. 1a S. 155;
BGE 117 II 560
E. 3b S. 562).
Im vorliegenden Fall ist der strittigen Kündigung keine Verwarnung vorangegangen, so dass nur zu prüfen ist, ob der von der Vorinstanz festgestellte Gebrauch des Zeichens "ice-watch" durch die Beschwerdegegnerin bis zur Kündigung, soweit er der Abgrenzungsvereinbarung widerspricht, so schwer wiegt, dass der Beschwerdeführerin die Weiterführung des Vertrags objektiv nicht mehr zumutbar war und sie zur Vertragsbeendigung mit sofortiger Wirkung berechtigt war.
BGE 138 III 304 S. 320
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz, welche die Beschwerdeführerin zu Recht rügt, darf das Recht auf Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass die kündigende Partei zuvor eine Frist zur Behebung des vertragswidrigen Zustands bzw. zur Vertragserfüllung im Sinne von
Art. 107 OR
ansetzt. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht die Möglichkeit zu einer sofortigen Vertragsauflösung vielmehr unabhängig von einem - im vorliegenden Fall nicht erfolgten - Vorgehen nach
Art. 107 ff. OR
, und nicht bloss als subsidiäre Möglichkeit, wie die Vorinstanz zu Unrecht angenommen hat (
BGE 92 II 299
E. 3b S. 300; Urteil 4C.35/1988 vom 11. April 1989 E. 3, nicht publ. in:
BGE 115 II 1
; MARIE-NOËLLE VENTURI-ZEN-RUFFINEN, La résiliation pour justes motifs des contrats de durée, 2007, S. 85 Rz. 243 mit Hinweisen; GAUCH, Beendigung, a.a.O., S. 150, 195 f.; CHERPILLOD, Contrats, S. 140 Rz. 269 f.).
Allerdings trifft es nicht zu, dass die Vorinstanz aufgrund ihrer unzutreffenden Annahme, es wäre ein Vorgehen nach
Art. 107 ff. OR
erforderlich gewesen, überhöhte Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gestellt hätte, wie die Beschwerdeführerin weiter geltend macht. So prüfte die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid selbständig, ob die von ihr (zu Recht) für eine sofortige Vertragsauflösung aus wichtigem Grund aufgestellte (erste) Voraussetzung gegeben sei, d.h. ob Vertragsverletzungen vorliegen, die so schwerwiegend sind, dass der Beschwerdeführerin eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar ist, und die mithin eine Auflösung aus wichtigem Grund (ohne vorherige Abmahnung bzw. Fristansetzung zur Vertragserfüllung) rechtfertigen. Dies verneinte sie nach eingehender Würdigung der zu berücksichtigenden Vertragsverletzungen. Allein gestützt darauf durfte sie die Wirksamkeit der strittigen Kündigung verneinen, vorausgesetzt, ihre Würdigung sei bundesrechtskonform, was nachfolgend zu prüfen ist.
(...)
11.
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie die Kündigung für den Fall des Fehlens von wichtigen Gründen nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet und eine angemessene Frist von sechs bis zwölf Monaten festgelegt habe, nach der die Abgrenzungsvereinbarung als aufgelöst hätte betrachtet werden müssen. Eine markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung sei nicht unkündbar; die in der Lehre
BGE 138 III 304 S. 321
vertretene gegenteilige Meinung trage der Rechtsnatur einer solchen Vereinbarung nicht genügend Rechnung. Auch diese Rüge verfängt nicht:
Zunächst kann eine unwirksame ausserordentliche Kündigung nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht in eine ordentliche Kündigung konvertiert werden, es sei denn, die Kündigung sei bloss irrtümlich als ausserordentliche Kündigung bezeichnet worden (
Art. 18 OR
), was hier indessen nicht geltend gemacht wird (vgl.
BGE 135 III 441
E. 3.1. S. 442 und E. 3.3 S. 444 f.).
Unabhängig davon ist eine Abgrenzungsvereinbarung, wie bereits dargelegt wurde (E. 6 vorne), ihrem Wesen nach unkündbar, andernfalls sie ihren Zweck einer endgültigen und dauernden Beilegung eines bestehenden oder zumindest nicht auszuschliessenden Konflikts nicht erreichen könnte. Dies entspricht der einhelligen Lehre und wird namentlich auch unter dem Gesichtswinkel einer übermässigen Bindung im Sinne von
Art. 27 ZGB
als unproblematisch betrachtet (vgl. WILLI, a.a.O., N. 16 zu
Art. 55 MSchG
; MARBACH, a.a.O., Rz. 717; JOLLER, a.a.O., N. 361 zu
Art. 3 MSchG
; CHERPILLOD, Droit, a.a.O., S. 143; MARADAN, a.a.O., S. 124; vgl. auch Handelsgericht des Kantons Zürich, in: SMI 1980 S. 150). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt die Unkündbarkeit dabei umfassend und beschränkt sich nicht bloss auf den Teil des Vertrags, mit dem ein bereits entstandener Kennzeichenkonflikt beigelegt wird. Dem steht der Vergleichscharakter einer Abgrenzungsvereinbarung nicht entgegen, kann ein Vergleich doch nicht nur einen bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden Konflikt beilegen, sondern auch dazu dienen, eine Ungewissheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis durch gegenseitige Zugeständnisse vertraglich zu beseitigen (
BGE 95 II 419
E. 2b S. 423 f.; SCHLUEP, Innominatverträge, in: SPR Bd. VII/2, 1979, S. 945). Auch geht die Beschwerdeführerin fehl, wenn sie den Teil einer Abgrenzungsvereinbarung, mit dem über eine bestehende Streitigkeit hinaus der zukünftige Gebrauch des jüngeren Kennzeichens geregelt wird, als Lizenzvertrag qualifizieren will, in dem der Inhaber des älteren Zeichens dem Inhaber des jüngeren Zeichens ohne Gegenleistung die Befugnis einräume, dieses zu gebrauchen, und gestützt darauf die Regeln über die ordentliche Auflösung von Lizenzverträgen zur Anwendung gebracht sehen will. Eine Markenabgrenzungsvereinbarung unterscheidet sich grundlegend von einem Markenlizenzvertrag, indem im Rahmen einer solchen Vereinbarung jede Partei ihr eigenes Markenrecht behält und ihre eigene Marke führt. Ein Lizenzvertrag hat die
BGE 138 III 304 S. 322
Befugnis zur Nutzung einer einzigen Marke, derjenigen des Lizenzgebers zum Gegenstand, während eine Abgrenzungsvereinbarung eine Verwechslungsgefahr und daraus erwachsende Konflikte zwischen zwei unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Markenrechten bannen bzw. beseitigen will; der Inhaber der älteren Marke räumt damit dem Inhaber der jüngeren Marke nicht das Recht ein, seine, die ältere Marke zu nutzen, sondern verpflichtet sich bloss, die jüngere Marke nicht gestützt auf sein Prioritätsrecht anzufechten, d.h. seine Abwehrrechte gegenüber dieser geltend zu machen (MARBACH, a.a.O., Rz. 716; DAVID, Lexikon, a.a.O., S. 208; MARADAN, a.a.O., S. 48 ff.; BUTZ/GORDON, a.a.O., S. 489; vgl. auch FEZER, a.a.O., N. 1090 zu § 14 MarkenG; NEUBAUER, a.a.O., S. 11 ff.). Wie bereits ausgeführt (E. 6.1), ist eine Markenabgrenzungsvereinbarung sodann ein synallagmatischer Vertrag, der regelmässig beiden Parteien dient. Auch dem Argument, die Beschwerdeführerin müsse sich vom Vertrag lösen können, da sie der Beschwerdegegnerin ohne Gegenleistung eine Befugnis eingeräumt habe, kann daher nicht gefolgt werden. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3b1c2344-5dad-4fba-8898-acef1c2dbe10 | Urteilskopf
118 II 353
69. Arrêt de la Ire Cour civile du 23 juin 1992 dans la cause Fincantieri-Cantieri Navali Italiani S.p.A. et Oto Melara S.p.A. contre M. et Tribunal arbitral (recours de droit public) | Regeste
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit; Schiedsfähigkeit (
Art. 177 Abs. 1 IPRG
).
1. Definition der Schiedsfähigkeit (E. 3a); Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts (E. 2); Begriff des "vermögensrechtlichen Anspruchs" (E. 3b).
2. Schiedsfähigkeit und Ordre public (E. 3c). Schiedsfähigkeit und Vollstreckbarkeit von in der Schweiz ergangenen Entscheiden im Ausland (E. 3d). | Sachverhalt
ab Seite 354
BGE 118 II 353 S. 354
A.-
Fincantieri-Cantieri Navali Italiani S.p.A. et Oto Melara S.p.A. sont des sociétés nationalisées de droit italien spécialisées dans la fabrication de matériel de guerre. En 1979 et 1980, elles ont confié à M. le soin de s'entremettre, en tant qu'agent, pour la vente de navires et d'autres équipements militaires à la République d'Irak. Jusqu'en 1987, les contrats conclus avec cet Etat, de même que le contrat d'agence, ont été exécutés régulièrement. Par la suite, des difficultés ont surgi, l'autorité irakienne compétente ayant suspendu ses paiements.
B.-
Le 4 décembre 1989, M. a saisi la Cour d'Arbitrage de la Chambre de Commerce Internationale d'une demande d'arbitrage dirigée contre les deux sociétés précitées en vue d'obtenir le paiement des provisions auxquelles il prétend avoir droit. Se fondant sur les résolutions adoptées en 1990 et 1991 par le Conseil de sécurité de l'ONU à l'effet, notamment, d'interdire toute activité commerciale avec la République d'Irak - résolutions intégrées dans leur droit interne par de nombreux Etats, dont l'Italie et la Suisse -, les défenderesses ont soulevé l'exception d'incompétence du Tribunal arbitral en raison de l'inarbitrabilité de la cause.
Par sentence incidente du 25 novembre 1991, le Tribunal arbitral, siégeant à Genève, a admis sa compétence pour trancher le différend.
C.-
Les défenderesses forment un recours de droit public, au sens des
art. 191 al. 1 LDIP
et 85 let. c OJ, dans lequel elles invoquent le motif prévu à l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
pour conclure à l'annulation de la sentence incidente.
L'intimé propose le rejet du recours. Quant au Tribunal arbitral, il a renoncé à se déterminer sur les arguments des recourantes.
Par ordonnance du 13 mai 1992, le Président de la Ire Cour civile a rejeté la requête d'effet suspensif présentée par ces dernières.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Comme les parties n'étaient pas domiciliées en Suisse au moment de la conclusion de la convention d'arbitrage et que le siège du Tribunal arbitral se trouve à Genève, les dispositions du chapitre 12 de la loi fédérale sur le droit international privé s'appliquent en l'espèce en l'absence d'une convention d'exclusion (
art. 176 al. 1 et 2 LDIP
).
BGE 118 II 353 S. 355
2.
La décision attaquée est une sentence partielle ou plus précisément, pour suivre la terminologie utilisée par le Tribunal fédéral (
ATF 116 II 82
consid. 2b), une sentence incidente (Zwischenentscheid), soit une sentence qui tranche une question préalable de procédure, en l'occurrence celle de la compétence des arbitres. En principe, comme cela a été relevé dans l'arrêt cité, le recours de droit public de l'
art. 85 let
. c OJ n'est pas recevable contre une sentence partielle lato sensu (
ATF 116 II 85
consid. 3b). La sentence incidente, par laquelle le Tribunal arbitral statue sur sa compétence (cf.
art. 186 al. 3 LDIP
, qui parle de "décision incidente"), constitue une exception à la règle; elle peut - et doit - être attaquée directement devant le Tribunal fédéral (
art. 190 al. 3 LDIP
), lequel examine librement si c'est à bon droit que le Tribunal arbitral a admis ou nié sa compétence (
ATF 117 II 97
consid. 5a).
3.
a) L'arbitrabilité est une condition de validité de la convention d'arbitrage et, partant, de la compétence des arbitres (
ATF 117 II 98
consid. 5b; A. BUCHER, Le nouvel arbitrage international en Suisse, p. 37, n. 86; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, p. 381, n. 4; LALIVE, Arbitrage international, FJS No 946, p. 7/8). Dans son sens objectif, ce terme désigne les causes susceptibles d'être tranchées par la voie de l'arbitrage (arbitrabilité ratione materiae par opposition à l'arbitrabilité ratione personae, c'est-à-dire à la capacité des parties de conclure une convention d'arbitrage). Pour résoudre le problème de l'arbitrabilité, le législateur suisse, renonçant consciemment à la solution reposant sur une règle de conflit (rattachement au droit applicable, au droit du siège des parties ou à la lex fori), a choisi d'édicter une règle matérielle de droit international privé, fondée sur l'objet du litige, en prévoyant la possibilité de soumettre à l'arbitrage "toute cause de nature patrimoniale" (
art. 177 al. 1 LDIP
; Message du 10 novembre 1982 concernant une loi fédérale sur le droit international privé, FF 1983 I 445ss; LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 304/305, n. 1 ad
art. 177 LDIP
; LALIVE, op.cit., p. 8; BUCHER, op.cit., p. 38, n. 90; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, p. 54). Il a voulu ainsi exclure toutes les difficultés liées à l'approche conflictuelle (BUCHER, op.cit., p. 38, n. 89 et 90), en particulier la nécessité de rechercher la loi applicable dans la détermination de l'arbitrabilité du litige (LALIVE, Ibid.). La solution retenue, qui ne réserve pas la compétence exclusive des tribunaux étatiques, contrairement au droit concordataire par exemple (cf. art. 5 CIA), manifeste, au demeurant, l'intention du législateur fédéral
BGE 118 II 353 S. 356
d'ouvrir largement l'accès à l'arbitrage international (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 305/306, n. 2; SCHLOSSER, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2e éd., p. 211/212, n. 291).
b) Les recourantes ne contestent pas, avec raison, la nature patrimoniale, au sens de l'
art. 177 al. 1 LDIP
, de la cause en litige, qui porte sur le droit de l'intimé au paiement de provisions. En effet, tombent sous le coup de cette disposition toutes les prétentions qui ont une valeur pécuniaire pour les parties, à titre d'actif ou de passif, autrement dit les droits qui présentent, pour l'une au moins de celles-ci, un intérêt pouvant être apprécié en argent (BUCHER, op.cit., p. 38, n. 90; LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 306, n. 2 ad
art. 177 LDIP
; LALIVE, Ibid.; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, op.cit., p. 58/59). Pour le surplus, l'
art. 177 al. 1 LDIP
ne subordonne pas l'arbitrabilité d'une cause à la disponibilité du droit litigieux, de sorte qu'il est erroné d'assimiler la "nature patrimoniale", au sens de cette disposition, à la liberté de disposer de l'art. 5 CIA, comme le fait WENGER (in Bulletin ASA 1992/1, p. 20; voir la critique pertinente de POUDRET dans le même bulletin, p. 29/30). Il s'agit là de deux critères distincts. Le législateur a, volontairement, fait abstraction du second, lequel présuppose le choix d'une solution conflictuelle puisque, en matière internationale, l'appréciation du caractère disponible des rapports de droit soumis à l'arbitrage requiert l'examen du droit matériel qui les régit (WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, op.cit., p. 57).
Il faut dès lors admettre, sur le vu de l'
art. 177 al. 1 LDIP
, que la cause en litige peut faire l'objet d'un arbitrage au regard du droit suisse.
c) A l'appui de la conclusion inverse, les recourantes soutiennent que l'embargo commercial décrété par la communauté internationale à l'encontre de la République d'Irak exclut la possibilité même de faire valoir des prétentions découlant de contrats passés avec cet Etat et, par voie de conséquence, de soumettre ces prétentions à un tribunal arbitral. L'arbitrabilité du présent litige ne saurait donc être reconnue, de l'avis des recourantes, sous peine de violer l'ordre public déterminant, ce qui a pour effet d'exclure la compétence des arbitres indépendamment de l'
art. 177 al. 1 LDIP
.
Le législateur ayant choisi un critère d'arbitrabilité dépendant de la nature de la cause et non du droit qui la régit, il n'y a, en principe, pas lieu de tenir compte des restrictions et prohibitions du droit étranger relatives à l'arbitrabilité de la cause (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 308, n. 5; LALIVE, Ibid.). Mais il est vrai que l'on trouve
BGE 118 II 353 S. 357
aussi, dans la doctrine, l'opinion selon laquelle un tribunal arbitral siégeant en Suisse, dans le cadre d'un arbitrage international, n'est pas compétent pour connaître d'une cause patrimoniale si le fait d'admettre l'arbitrabilité du litige est incompatible avec l'ordre public (BUCHER, op.cit., p. 41, n. 98 et 100; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Ibid.; POUDRET, op.cit., p. 30, ch. 3; plus réservés: WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, op.cit., p. 60, ch. 1, et LALIVE, Ibid.), cette dernière notion n'ayant d'ailleurs pas le même sens pour tous les auteurs (ordre public suisse ou étranger pour BUCHER, Ibid.; ordre public international de la Suisse uniquement pour POUDRET, Ibid., et LALIVE/POUDRET/REYMOND, Ibid.). Point n'est besoin, cependant, de pousser plus avant l'analyse de ces questions puisque aussi bien toute violation d'un quelconque ordre public peut être exclue en l'occurrence pour les motifs indiqués ci-après.
Dans le contexte de la présente affaire, l'ordre public ne pourrait avoir de l'importance que s'il exigeait impérativement que la prétention litigieuse soit soumise à une autorité étatique. En revanche, le fait que ladite prétention touche à l'ordre public ne suffirait pas, en soi, à exclure l'arbitrabilité de la cause; il appartiendrait, dans ce cas, au Tribunal arbitral de tenir compte de cette circonstance et, le cas échéant, de refuser toute protection juridique à la prétention contestée, sa sentence pouvant alors être attaquée sur ce point pour le motif prévu à l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP (BUCHER, op.cit., p. 41, n. 99). L'arbitrabilité de la cause ne dépend donc pas de l'existence matérielle de la prétention litigieuse. Partant, elle ne saurait être niée pour la seule raison que des dispositions impératives ou tel ordre public matériel entraînent la nullité de la prétention visée ou l'impossibilité d'en poursuivre l'exécution. Elle ne pourrait l'être qu'à l'égard des prétentions dont le traitement aurait été réservé exclusivement à une juridiction étatique par des dispositions qu'il s'imposerait de prendre en considération sous l'angle de l'ordre public. On ne se trouve nullement dans une situation de ce genre en l'espèce. Les mesures commerciales prises à l'encontre de la République d'Irak soulèvent certes la question de la validité des contrats conclus avant leur adoption, voire celle de l'impossibilité subséquente d'exécution desdits contrats; mais il n'apparaît pas - et les recourantes ne le démontrent en tout cas pas - que cet état de choses doive déboucher sur la constatation de l'inarbitrabilité des prétentions déduites de ces contrats, et à plus forte raison de celles issues de contrats connexes comme le contrat d'agence sur lequel l'intimé assoit ses prétentions. On ne voit pas, en particulier, quels principes juridiques
BGE 118 II 353 S. 358
fondamentaux (
ATF 116 II 636
) établiraient un monopole de la juridiction étatique pour régler les différends portant sur des prétentions de nature civile influencées par des règles de droit international public. En pareille hypothèse, c'est en effet l'existence matérielle de la prétention litigieuse, et non pas son arbitrabilité, qui est mise en cause par ce type de règles. Dans ces conditions, il n'est pas nécessaire de rechercher si les mesures d'embargo s'appliquent rétroactivement aux contrats considérés et si, étant donné leur caractère universel, elles entrent dans la notion de l'ordre public, international ou autre. Enfin, vu l'
art. 177 al. 2 LDIP
, les recourantes, qui sont des sociétés nationalisées, ne peuvent pas invoquer d'éventuelles dispositions restrictives du droit italien en la matière pour contester l'arbitrabilité du litige.
d) Invoquant l'art. V al. 2 de la Convention de New York du 10 juin 1958 (RS 0.277.12) pour la reconnaissance et l'exécution des sentences arbitrales étrangères, les recourantes fondent également leur exception d'incompétence sur l'impossibilité d'exécution d'une sentence rendue contre elles qui en résulterait. Selon cette disposition, l'exécution d'une sentence dans un Etat contractant peut être refusée si, d'après la loi de cet Etat, l'objet du différend n'est pas susceptible d'être réglé par voie d'arbitrage (let. a) ou que l'exécution de la sentence serait contraire à l'ordre public de cet Etat (let. b).
En optant pour la réglementation matérielle de l'arbitrabilité, le législateur fédéral a choisi une solution qui n'exclut sans doute pas que des sentences rendues en Suisse ne seront pas exécutées dans tel ou tel pays. Il l'a fait cependant en toute connaissance de cause, laissant les parties seules juges du risque qu'elles encourent du fait d'une éventuelle non-reconnaissance de la sentence arbitrale (FF 1983 I 447 en haut), de sorte qu'il n'est pas possible de justifier une approche restrictive de l'arbitrabilité par l'existence de semblable risque (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 305, n. 1 ad
art. 177 LDIP
; LALIVE, Ibid.; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, op.cit., p. 55; plus réservé: SCHLOSSER, op.cit., p. 224, n. 305). Quoi qu'il en soit, l'
art. 177 al. 2 LDIP
restreint aussi à cet égard la possibilité pour les recourantes d'invoquer les dispositions topiques du droit italien.
4.
Force est ainsi de constater, sur la base de ce libre examen de la question litigieuse, que le Tribunal arbitral a admis à bon droit sa compétence pour statuer dans la cause qui divise les parties. Les recourantes doivent, dès lors, être déboutées de toutes leurs conclusions. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b1f6974-5f7e-43d8-a01a-3ac2243a728c | Urteilskopf
114 II 159
25. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Juni 1988 i.S. Brauerei X. AG gegen F. AG (Berufung) | Regeste
Art. 2 und 27 ZGB
. Kündigung eines zeitlich unbegrenzten Bierlieferungsvertrags.
Kündbarkeit "ewiger" Verträge. Voraussetzungen. Eigenständige Bedeutung von
Art. 2 ZGB
(E. 2a).
Beginn der massgeblichen Vertragsdauer (E. 2b). Teilnichtigkeit gemäss
Art. 20 Abs. 2 OR
als Folge zeitlich übermässiger Bindung; Zulässigkeit einer Vertragsdauer von zwanzig Jahren im konkreten Fall (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 160
BGE 114 II 159 S. 160
A.-
Mit Vertrag vom 28. Oktober 1967 verpflichtete sich die F. AG, in sämtlichen gegenwärtigen und künftigen Gaststätten auf dem Flugplatzareal Y. und allenfalls hinzugepachteten Grundstücken "für alle Zeit" nur X.-Biere zum Ausschank zu bringen und das Bier sowie Coca-Cola und S.-Mineralwasser ausschliesslich bei der Brauerei X. AG zu beziehen; die Brauerei verpflichtete sich ihrerseits, die notwendigen Buffeteinrichtungen gratis zur Verfügung zu stellen.
Am 20. September 1973 schlossen die Parteien eine neue Vereinbarung. Danach war die F. AG wiederum zum ausschliesslichen Bierbezug bei der Brauerei und überdies zum fast ausschliesslichen Bezug von Mineralwasser bei der M. AG verpflichtet. Die Brauerei übernahm einen Kostenanteil von Fr. 8'000.-- für die Einrichtung des Buffets des Flugplatzrestaurants und gewährte für die Restkosten von Fr. 6'558.-- ein verzinsliches, in zehn jährlichen Raten rückzahlbares Darlehen. Für den Fall, dass der F. AG die Einhaltung der Bezugsverpflichtung "aus irgend einem Grunde nicht mehr möglich sein" sollte, sah der Vertrag die sofortige Rückzahlung des noch offenen Darlehensbetrags und des noch nicht amortisierten Teils der jährlich mit 5% abzuschreibenden Fr. 8'000.-- vor.
Mit Brief vom 9. Mai 1984 kündigte die F. AG den Vertrag per 15. August 1984 unter Anerkennung der bis dahin entstehenden finanziellen Verpflichtungen. In der Folge machte die Brauerei neben dem nicht amortisierten Anteil der Buffetkosten von unstreitig Fr. 3'600.-- (die Darlehensschuld war getilgt) Schadenersatz für entgangenen Gewinn geltend, da ihr der unbefristete Vertrag jedenfalls während zwanzig Jahren einen Anspruch auf Lieferung
BGE 114 II 159 S. 161
von Bier und Mineralwasser gewährt habe. Die F. AG lehnte unter Berufung auf
Art. 27 ZGB
und
Art. 20 OR
jede vertragliche Verpflichtung über den von ihr gesetzten Endtermin hinaus ab.
B.-
Am 15. November 1985 klagte die Brauerei beim Amtsgericht S. gegen die F. AG auf Zahlung von Fr. 19'800.-- nebst Zins. Das Amtsgericht wies die Klage am 28. August 1986 ab, soweit es darauf eintrat. Auf Appellation der Klägerin hin bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 14. September 1987. Die von der Klägerin dagegen eingereichte Berufung heisst das Bundesgericht gut und hebt das obergerichtliche Urteil auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht verwirft das Begehren auf Schadenersatz für entgangenen Gewinn, da die Kündigung zugelassen werden müsse, nachdem die Beklagte von 1967 bis Ende 1984 Bier und Mineralwasser bezogen habe, da eine über die siebzehn Jahre hinaus andauernde Bezugsverpflichtung die wirtschaftliche Freiheit der Beklagten unzumutbar einschränken würde. Die Klägerin anerkennt den Grundsatz, dass übermässig bindende Verträge teilnichtig und gemäss
Art. 20 Abs. 2 OR
auf das nach
Art. 27 ZGB
zulässige Mass einzuschränken sind. Indessen sei nicht vom 1967, sondern vom 1973 abgeschlossenen, hinsichtlich Leistungsgegenstand und Geltungsbereich verschiedenen Vertrag auszugehen, der entsprechend dem Abschreibungssatz von 5% mindestens zwanzig Jahre dauern sollte, was vor
Art. 27 ZGB
standhalte.
a) Nach Lehre und Rechtsprechung können Verträge nicht auf unbegrenzte Zeit abgeschlossen werden (
BGE 113 II 210
f. mit Hinweisen). Ihre Kündbarkeit ergibt sich aus
Art. 27 ZGB
, wonach die persönliche und wirtschaftliche Handlungsfreiheit nicht übermässig eingeschränkt werden darf, oder aus
Art. 2 ZGB
, wonach das Beharren einer Partei auf einer übermässigen Bindung als zweckwidrige Rechtsausübung und damit als rechtsmissbräulich erscheint (
BGE 93 II 300
f. E. 7 und
BGE 103 II 185
f. E. 4 zu
Art. 27 ZGB
;
BGE 97 II 399
f. E. 7 zu
Art. 2 ZGB
; MERZ, OR Allgemeiner Teil, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. VI/1, S. 129; derselbe in ZBJV 109/1973, S. 98 f. zu
BGE 97 II 390
; LIVER, ZBJV 105/1969, S. 11 f. und ZBJV 109/1973, S. 89 f. Anm. 1 zu
BGE 93 II 290
bzw.
BGE 97 II 390
). Wann der Zeitpunkt gekommen ist, in dem das Vertragsverhältnis gekündigt werden kann,
BGE 114 II 159 S. 162
lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden (so mit Bezug auf den Bierlieferungsvertrag MAX WÜTHRICH, Der Bierlieferungsvertrag nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1929, S. 31) und hängt namentlich von der Intensität der Bindung des Verpflichteten und vom Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ab (LIVER, ZBJV 109/1973, S. 90 Anm. 1). Daher stellt die vom Bundesgericht für eine Bezugspflicht von Bier als zulässig erachtete Dauer von fünfzehn Jahren (
BGE 40 II 233
Nr. 42) keine feste Grenze dar, wie auch aus
BGE 93 II 300
E. 7 hervorgeht, wo unter Bezugnahme auf jenen Entscheid bloss eine diese Dauer "erheblich übersteigende" Bezugspflicht als unverbindlich betrachtet wird.
Geht es um die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, ist das Bundesgericht zurückhaltend in der Annahme eines Verstosses gegen
Art. 27 ZGB
. Eine vertragliche Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit wird nur dann als übermässig angesehen, wenn sie den Verpflichteten der Willkür eines anderen ausliefert, seine wirtschaftliche Freiheit aufhebt oder in einem Masse einschränkt, dass die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind (
BGE 111 II 337
E. 4 mit Hinweis). Das gilt grundsätzlich auch für juristische Personen. So hat das Bundesgericht die Unzulässigkeit der Delegation von dem obersten Organ vorbehaltenen Kompetenzen damit begründet, die Körperschaft würde ihr Selbstbestimmungsrecht verlieren und sich fremder Willkür ausliefern, was einer Entmündigung gleichkäme und als ebenso unzulässig erscheine wie der Verzicht einer natürlichen Person auf ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit (
BGE 67 I 265
oben; vgl. auch
BGE 71 I 187
Nr. 33 sowie 51 II 333 ff. E. 2).
Die zulässige Dauer der Bindung hängt vom Gegenstand der Beschränkung ab: Sie ist bei Verpflichtungen zu wiederkehrenden Leistungen oder Bezügen kürzer als beim Verzicht, während einer absehbaren Dauer über eine Sache zu verfügen (
BGE 93 II 300
E. 7 mit Hinweisen). So kann ein Vermieter trotz der Unzulässigkeit zeitlich unbegrenzter Mietverträge (
BGE 103 II 185
f. E. 4) gegenüber dem Mieter für lange Zeit auf die Möglichkeit verzichten, das Mietverhältnis zu kündigen (
BGE 56 II 190
ff.).
Die eigenständige Bedeutung von
Art. 2 ZGB
kommt in Fällen zum Tragen, wo es nicht ersichtlich ist, dass der Verpflichtete in seinen finanziellen Interessen ernstlich beeinträchtigt wird (
BGE 97 II 399
f. E. 7 mit Hinweis auf LIVER, ZBJV 105/1969, S. 9 ff.). Entscheidend ist dann, ob die Rechtsausübung dem Zweck zuwiderläuft, den die Kontrahenten seinerzeit mit dem Abschluss des
BGE 114 II 159 S. 163
Vertrags verfolgt haben (a.a.O. S. 400); indessen kommt es auch bei
Art. 2 ZGB
massgeblich auf die Intensität der Bindung an (LIVER, ZBJV 109/1973, S. 90 Anm. 1; zum Kriterium des Zwecks vgl. auch
BGE 107 II 219
f. E. 3b).
b) Entgegen der Auffassung des Obergerichts ist nicht entscheidend, wie lange die Beklagte Bier und Mineralwasser bei der Klägerin und der M. AG bezogen hat.
Art. 27 ZGB
schützt nicht vor langer Vertragsdauer, sondern vor übermässiger Bindung; die Bestimmung verbietet insbesondere nicht, ein Dauerschuldverhältnis periodisch oder in unregelmässigen Abständen durch autonome Absprache zu erneuern, solange die einzelnen Perioden nicht eine übermässige Bindung bewirken. Entscheidend ist deshalb, für wie lange sich die Beklagte zum Bezug von Bier und Mineralwasser verpflichtet hat und ob sie sich für diese Dauer verpflichten konnte.
Die letzte Verpflichtung datiert aus dem Jahr 1973. Für die Frage der zulässigen Bindungsdauer auf das Jahr 1967 zurückzugreifen, besteht kein Anlass. Wohl sah der erste Vertrag eine Bezugsverpflichtung "für alle Zeit" vor. Das wäre jedoch höchstens dann erheblich, wenn die Beklagte den zweiten Vertrag unter dem Einfluss der fortbestehenden Verpflichtung abgeschlossen hätte. Ein solcher Zusammenhang ist vorliegend nicht ersichtlich; insbesondere fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten für den Bestand einer Zwangssituation der Beklagten. Die Parteien stellten ihre vertraglichen Beziehungen im Jahre 1973 freiwillig auf eine neue Grundlage, indem sie die Bezugsverpflichtung der Beklagten hinsichtlich des Mineralwassers und die Gegenleistungen der Klägerin neu festlegten; dabei wurden die letzteren durch die konkrete Umschreibung des Leistungsinhalts wesentlich erweitert. Selbst wenn die Beklagte durch die vorbestehende Verpflichtung in ihrer Handlungsfreiheit beeinträchtigt gewesen wäre, müsste sie sich entgegenhalten lassen, dass es ihr freigestanden hätte, den ebenfalls unbefristeten Vertrag von 1967 wegen übermässiger Bindung anzufechten und sich die finanziellen Mittel anderweitig zu beschaffen, statt 1973 Hand zu einem neuen Vertrag zu bieten.
c) Soweit die 1973 wiederum auf unbegrenzte Zeit eingegangene Bezugsverpflichtung die nach
Art. 27 ZGB
zulässige Höchstdauer überschreitet, führt sie zur Teilnichtigkeit des Vertrags gemäss
Art. 20 Abs. 2 OR
, die durch Vertragsergänzung aufgrund des hypothetischen Parteiwillens zu beheben ist (
BGE 107 II 218
f. E. 3a und b mit Hinweisen; JÄGGI/GAUCH, N. 498 ff. zu
Art. 18 OR
; neuestens ROLAND HÜRLIMANN, Teilnichtigkeit von Schuldverträgen
BGE 114 II 159 S. 164
nach
Art. 20 Abs. 2 OR
, Diss. Freiburg 1984, S. 78 ff. sowie CLAIRE HUGUENIN, Nichtigkeit und Unverbindlichkeit als Folgen anfänglicher Vertragsmängel, Diss. Bern 1984, S. 50 f.; a.A. BUCHER, OR Allgemeiner Teil, S. 234 ff.). Dieser Wille lässt sich aufgrund des für den Buffetkostenanteil vereinbarten Amortisationssatzes von 5% ermitteln. Danach gingen die Parteien im Jahr 1973 davon aus, die von der Klägerin übernommenen Fr. 8'000.-- würden durch Bezug von Getränken während zwanzig Jahren kompensiert. Damit steht fest, dass die Parteien einen auf die Zeit von 1973 bis 1993 beschränkten Vertrag abgeschlossen hätten, wenn sie sich der Unzulässigkeit ewiger Verträge bewusst gewesen wären. Zu prüfen bleibt die Vereinbarkeit dieser Dauer mit
Art. 27 und 2 ZGB
:
aa) Die Verpflichtung der Beklagten zu einem Tun gebietet es zwar, die Zulässigkeit der Bindung grundsätzlich strenger zu beurteilen, als wenn über die Dauer einer Unterlassungspflicht zu befinden wäre. Trotzdem überschreiten zwanzig Jahre die nach
Art. 27 ZGB
zulässige Höchstdauer im vorliegenden Fall nicht. Die Beklagte führt das Restaurant nicht als natürliche Person, sondern als Aktiengesellschaft, deren Haupttätigkeit im Betrieb des Flughafens Y. besteht. Die Führung des Flughafenrestaurants stellt einen Nebenbetrieb innerhalb dieses umfassenden Tätigkeitsbereichs dar, auch wenn damit nichts über die Höhe der daraus erzielten Einkünfte gesagt ist. Die streitige Bezugsverpflichtung beschlägt ihrerseits nur einen Teil dieses Nebenbetriebs, umfasst sie doch nicht einmal sämtliche Getränke. Sie ist deshalb keinesfalls geeignet, die wirtschaftliche Freiheit der Beklagten auch nur wesentlich einzuschränken, geschweige denn aufzuheben oder die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Existenz zu gefährden. Ebensowenig kann davon gesprochen werden, dass der Vertrag die Beklagte der Willkür der Klägerin ausliefere und sie entmündige. Entscheidend ist schliesslich, dass der Bezugspflicht eine beachtliche Leistung der Klägerin gegenübersteht, die mehr als die Hälfte der Kosten für die Einrichtung des Buffets à fonds perdu übernommen und den Rest vorgeschossen hat.
bb) Indem die Klägerin auf der weiteren Erfüllung des zweiten Vertrags beharrt hat, kann ihr auch kein Rechtsmissbrauch durch zweckwidrige Rechtsausübung vorgeworfen werden. 1973 hat sie ihre an die Beklagte à fonds perdu erbrachte Leistung erkennbar von der Bedingung abhängig gemacht, dass die Beklagte als Gegenleistung
BGE 114 II 159 S. 165
mindestens bis zum Jahr 1993 für das Flugplatzrestaurant Bier und Mineralwasser bei der Klägerin und der M. AG beziehen werde. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b23b7f1-3d9f-4a04-82f3-4473d718b13b | Urteilskopf
86 II 13
3. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Januar 1960 i.S. Luchsinger gegen Beglinger Söhne. | Regeste
Art. 56 Abs. 1 OR
.
Welche Sorgfaltspflichten hat der Halter einer Viehherde, wenn sie die Strasse benützt? | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 86 II 13 S. 13
A.-
Konrad Beglinger, unbeschränkt haftender Gesellschafter der Kollektivgesellschaft Beglinger Söhne, trieb am Morgen des 24. September 1955 bei Tageshelle zehn
BGE 86 II 13 S. 14
Kühe auf die Weide, wobei er, hinter der Herde gehend, die asphaltierte Kantonsstrasse Mollis-Netstal benützte. Unmittelbar vor Erreichung einer Linksbiegung im Feldbach, wo die Tiere geschlossen auf der rechten Hälfte der 5 m breiten Strasse einhergingen, begegnete die Herde etwa um 7.50 Uhr dem Motorradfahrer Markus Luchsinger, der, seine Ehefrau mitführend, mit seiner Maschine auf dem Wege von Schwanden nach München war. Obschon die Sicht wegen einer etwa 30 m langen und 1,5 m hohen Holzbeige, die auf der Innenseite der Biegung neben der Strasse stand und bis auf etwa 90 cm an diese heranreichte, so beschränkt war, dass Luchsinger die Herde zunächst nicht sehen konnte, fuhr dieser mit 70 km/h in die Biegung ein. Als er unvermutet die Herde erblickte, war er ihr schon so nahe, dass er trotz sofortigen kräftigen Bremsens weder rechtzeitig anzuhalten noch auszuweichen vermochte. Er streifte die linke Seite einer der vordersten Kühe und verletzte das Tier. Das Motorrad wurde schräg nach rechts an den Strassenrand getrieben. Die Eheleute Luchsinger blieben dort liegen, der Mann mit schweren, die Frau mit leichteren Verletzungen.
Das Polizeigericht des Kantons Glarus verurteilte Luchsinger am 29. September 1956 zu Fr. 30.- Busse, weil er mit übersetzter Geschwindigkeit gefahren sei und für sein Fahrzeug kein Ausweis bestanden habe (Art. 25 Abs. 1, 61 Abs. 1 MFG).
B.-
Luchsinger erhob gegen die Gesellschaft Beglinger Söhne Klage auf Ersatz seines Schadens von angeblich Fr. 287'716.65 nebst Zins. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und widerklagsweise die Verurteilung des Klägers zur Zahlung von Fr. 820.90 nebst 5% Zins ab 2. August 1956. Der Kläger beantragte, die Widerklage abzuweisen.
Das Zivilgericht des Kantons Glarus wies die Klage ab, soweit es darauf eintrat, und verurteilte den Kläger in teilweiser Gutheissung der Widerklage, der Beklagten Fr. 620.50 nebst 5% Zins seit 2. August 1956 zu zahlen.
BGE 86 II 13 S. 15
Das Obergericht des Kantons Glarus, an das der Kläger unter Wiederholung seiner Anträge appellierte, wies am 5. Mai 1959 die Appellation entsprechend dem Antrage der Beklagten ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
C.-
Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, die Beklagte zu Fr. 40'000.-- Schadenersatz nebst 5% Zins ab 1. August 1956 zu verurteilen und die Widerklage abzuweisen, eventuell das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Beweises und zu neuer Beurteilung zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Wer ein Tier hält, haftet gemäss
Art. 56 Abs. 1 OR
für den Schaden, den es anrichtet, es wäre denn, er weise nach, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
Der Kläger macht mit Recht nicht geltend, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflichten im Sinne dieser Bestimmung schon dadurch verletzt, dass sie die zehnköpfige Herde die Kantonsstrasse benützen liess. Selbst Strassen mit regem Motorfahrzeugverkehr dürfen auch mit Viehherden begangen werden. Das ergibt sich aus dem Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr und der Vollziehungsverordnung dazu, die in verschiedenen Bestimmungen auf die Benützung der Strasse durch Vieh Rücksicht nehmen (Art. 25 Abs. 1, 34 MFG, Art. 39 Abs. 1 lit. b, 62 Abs. 2, 73 MFV). Hievon geht auch § 36 der Vollziehungsverordnung zum Strassengesetz für den Kanton Glarus vom 3. Mai 1925 aus.
Die Umstände verlangten auch nicht, dass die Beklagte die Herde, wie der Kläger meint, von zwei Personen begleiten lasse. Die abweichende Auffassung des Polizeigerichts des Kantons Glarus bindet den Zivilrichter nicht (
Art. 53
BGE 86 II 13 S. 16
Abs. 2 OR
), um so weniger, als das Polizeigericht nur über die (strafrechtliche) Schuld Luchsingers, nicht auch über ein allfälliges Verschulden der Söhne Beglinger zu befinden hatte. Das Obergericht legt § 36 der Vollziehungsverordnung zum Strassengesetz für den Kanton Glarus, wonach jeder Transport von Gross- und Kleinvieh von mindestens einem Führer begleitet sein muss, dahin aus, dass für eine Herde von zehn Stück Grossvieh ein Begleiter genügte. An diese Auslegung kantonalen Rechts ist das Bundesgericht gebunden. Auch vom Standpunkt des eidgenössischen Rechts aus war kein zweiter Führer nötig, obwohl es Fälle gibt, in denen eine solche Herde tatsächlich von zwei oder mehr Personen begleitet wird (vgl. z.B. BGE 17 638). Zehn Kühe können in der Regel von einer Person so zuverlässig beaufsichtigt und geführt werden, dass die Tiere bei pflichtgemässem Verhalten der übrigen Strassenbenützer keinen Schaden verursachen. Auf übersichtlicher Strecke können die Motorfahrzeugführer die Herde sehen und, wie Art. 25 Abs. 1 MFG es ihnen vorschreibt, die Geschwindigkeit so herabsetzen, dass das Vieh nicht erschreckt wird und kein Unfall entsteht. Auf unübersichtlicher Strecke sodann haben sie die Geschwindigkeit schon deshalb zu mässigen, weil nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts niemand schneller fahren darf, als dass er beim plötzlichen Auftauchen eines Hindernisses die Gefahr eines Zusammenstosses rechtzeitig bannen kann (
BGE 84 IV 106
und dort erwähnte Entscheide). Das gilt insbesondere auch für Motorradfahrer. Wer diese Pflicht erfüllt, kommt durch eine ordnungsgemäss ihres Weges gehende zehnköpfige Kuhherde gewöhnlich nicht zu Schaden. Ausnahmen sind möglich, z.B. wenn die Herde ungewöhnlich ängstliche oder störrische Tiere aufweist. Auch kann z.B. die Benützung unbewachter Bahnübergänge einen zweiten Begleiter erfordern. Solche oder ähnliche besondere Umstände, die die Begleitung durch eine einzige Person ungenügend gemacht hätten, bestanden im vorliegenden Falle nicht. Jedenfalls lagen keine Umstände vor, wonach an der Unfallstelle ein
BGE 86 II 13 S. 17
zweiter Begleiter nötig gewesen wäre. Die Tiere gingen geschlossen und ruhig auf der rechten Strassenhälfte ihres Weges. Der Kläger schweigt sich denn auch darüber aus, welchen Einfluss eine zweite Begleitperson auf sie hätte nehmen sollen, wenn von diesem verbindlich festgestellten Tatbestande ausgegangen wird. Er weist dem zweiten Begleiter die Rolle zu, der Herde voranzugehen und die ihr entgegenfahrenden Motorfahrzeugführer durch optische und akustische Zeichen zu warnen. Das Erscheinen der Herde, die zum mindesten ebensogut gesehen werden konnte wie ein Begleiter, der ihr vorangegangen wäre, war für einen die Geschwindigkeit pflichtgemäss den Sichtverhältnissen anpassenden Motorfahrzeugführer Warnung genug. Es obliegt nicht dem Halter der Herde, den anderen Strassenbenützern diese elementare Pflicht in Erinnerung zu rufen. Jeder Motorfahrzeugführer hat sie zu kennen und die Folgen ihrer Verletzung zu tragen. Hätte der Kläger sie befolgt, statt grob pflichtwidrig mit einer Geschwindigkeit einherzurasen, die ihn in der unübersichtlichen Rechtsbiegung gegen die Strassenmitte abtrieb und ihm beim Erblicken der Herde weder auszuweichen noch rechtzeitig anzuhalten erlaubte, so wäre er nicht zu Schaden gekommen.
Aus den gleichen Gründen hält auch die Auffassung des Klägers nicht stand, Konrad Beglinger als einziger Begleiter hätte mit einem Fahrrad einige Meter vor der Herde fahren sollen, um ihn zu warnen. Übrigens konnte Beglinger nicht wissen, dass der Kläger die Strassenbiegung so gewissenlos durchfahren werde. Von hinten konnte er zudem die Herde wirksamer überwachen als von vorn und war er auch besser in der Lage, einzugreifen, um gemäss Art. 34 MFG die linke Seite der Fahrbahn freizumachen, wenn ein Tier sie betreten und ein Motorfahrzeug aus der einen oder anderen Richtung herannahen würde. Erfahrungsgemäss ist solches Eingreifen in erster Linie hinten nötig, weil das Rindvieh zwar meistens den von vorne, seltener dagegen den von hinten kommenden Fahrzeugen
BGE 86 II 13 S. 18
aus eigenem Antrieb ausweicht. Befindet sich der Begleiter vorn, so ist es ihm auch nicht leicht möglich, die Tiere am Zurückbleiben zu hindern. Die Tatsache, dass Beglinger sich hinter der Herde befand, ist denn auch nicht zur Ursache des Schadens geworden. Wäre er den Tieren vorausgegangen oder vorausgefahren, so hätte er sie angesichts der übersetzten Geschwindigkeit und der Fahrweise des Klägers ohnehin nicht rechtzeitig noch weiter nach rechts treiben können. Durch einen dahin gehenden Versuch hätte er zudem sein Leben schwer gefährdet.
Die Beklagte hat den ihr obliegenden Entlastungsbeweis gemäss
Art. 56 Abs. 1 OR
erbracht und schuldet daher dem Kläger keinen Schadenersatz.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Glarus vom 5. Mai 1959 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b27c043-5d7e-45c1-b966-a233fae4e08e | Urteilskopf
85 II 12
3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Februar 1959 i.S. N. gegen W. | Regeste
Änderung des Scheidungsurteils, Kinderzuteilung.
Wie bei der Regelung der Elternrechte im Scheidungsurteil sind bei der Anwendung von
Art. 157 ZGB
nicht allein die zur Zeit der Beurteilung bestehenden Verhältnisse massgebend, sondern ist auch in Betracht zu ziehen, wie sich die Verhältnisse aller Voraussicht nach in absehbarer Zukunft gestalten werden.
Bedeutung des Umstandes, dass die Mutter Gelegenheit erhält, die bisher an einem Pflegeort untergebrachten Kinder persönlich zu betreuen. | Sachverhalt
ab Seite 12
BGE 85 II 12 S. 12
A.-
Am 27. Juni 1956 schied das Kantonsgericht Zug die Eheleute W. auf Klage der Ehefrau wegen Ehebruchs des Mannes, sprach diesem das Klagerecht ab, weil die tiefe Zerrüttung, die schon vor seinem Ehebruch bestanden habe, vorwiegend seiner Schuld (übermässigem Alkoholgenuss) zuzuschreiben sei, und untersagte ihm die Eingehung einer neuen Ehe für zwei Jahre. Die Kinder, ein im
BGE 85 II 12 S. 13
September 1953 geborenes Mädchen und einen im Dezember 1955 geborenen Knaben, wies es unter Anordnung einer vormundschaftlichen Aufsicht und unter Regelung des Besuchsrechts der Ehefrau dem Ehemann zu mit der Begründung:
"Über die Nebenfolgen einer allfälligen Scheidung haben die Parteien anlässlich der persönlichen Befragung vom 4.6.56 eine Vereinbarung getroffen. Die Klägerin hat, wenn auch schweren Herzens, auf die Elternrechte verzichtet, weil sie derzeit zufolge ihrer beruflichen Inanspruchnahme nicht in der Lage ist, die Kinder persönlich zu betreuen, und weil letztere bei Verwandten des Beklagten gut aufgehoben sind. Dem Richter stellt sich damit die Frage, ob er die Kinder dem Beklagten anvertrauen soll. Gegen diese Regelung der Elternrechte sprechen gewisse Bedenken. Der Beklagte hat während der Ehe oft übermässig dem Alkohol zugesprochen; schliesslich hat er in leichtfertiger Weise die Ehe gebrochen. Es kann aber nicht gesagt werden, dass er sich eines schweren Missbrauchs der Gewalt über die Kinder oder einer groben Pflichtvernachlässigung schuldig gemacht habe. Der Beklagte sorgte für das Auskommen der Familie, auch wenn er sich nicht besonders um das gesundheitliche Wohlergehen der Kinder kümmerte und diese Sorgen der Frau überliess. Die Entziehung der elterlichen Gewalt gemäss
Art. 285 ZGB
rechtfertigte sich daher nicht, weshalb sich auch verbietet, die Kinder unter Vormundschaft zu stellen, statt sie dem Beklagten zur Erziehung zu überlassen. Allfälligen Bedenken begegnet der Ric.hter damit, dass er die zuständige Vormundschaftsbehörde um Überwachung der Erziehung der Kinder ersucht und den Wunsch ausspricht, dass die Kinder vorderhand bei den Verwandten des Beklagten belassen werden, wo sie gut aufgehoben sind, nämlich das Mädchen bei P. W. in K. und der Knabe bei den Eheleuten K. in G."
B.-
Mit Klage vom 8. Februar 1958 verlangte die Ehefrau, in Abänderung des Scheidungsurteils seien die Kinder (die heute beide bei den Eheleuten K. in G. untergebracht sind) ihr zuzusprechen und sei der Ehemann zu verpflichten, für sie monatliche Unterhaltsbeiträge von je Fr. 100.-- zu bezahlen. Sie machte geltend, sie habe sich entschlossen, zu ihrem verwitweten Vater nach W. zu ziehen und ihm den Haushalt zu besorgen; so erhalte sie Gelegenheit, die Kinder zu sich zu nehmen und persönlich zu betreuen. Der Beklagte wandte ein, hierin liege keine Änderung der Verhältnisse im Sinne von
Art. 157 ZGB
; auch seien die Wohnverhältnisse in W. ungünstig und sei die Klägerin als Erzieherin der Kinder nicht besonders
BGE 85 II 12 S. 14
geeignet, während diese in G. sehr gut aufgehoben seien. Nach Durchführung eines Beweisverfahrens hat das Kantonsgericht mit Urteil vom 4. Juli 1958 die Kinder der Klägerin zugeteilt, den Beklagten verpflichtet, ihr an den Unterhalt der beiden Kinder bis zu deren erfülltem 14. Altersjahr einen Unterhaltsbeitrag von je Fr. 70.- und von da an bis zum erfüllten 20. Altersjahr einen solchen von je Fr. 90.- pro Monat zu bezahlen, und dem Beklagten das Recht eingeräumt, die Kinder je am 1. und 3. Samstag eines Monats zwischen 10 und 18 Uhr zu besuchen und sie einmal im Jahr für 14 Tage zu sich in die Ferien zu nehmen.
C.-
Die Justizkommission des Kantons Zug, an welche die Beklagte dieses Urteil weiterzog, hat dagegen am 27. September 1958 erkannt, das erstinstanzliche Urteil werde in den wiedergegebenen Bestimmungen aufgehoben, d.h. das Abänderungsbegehren der Klägerin werde abgewiesen. In den Erwägungen heisst es, die blosse Möglichkeit, mit den Kindern in den väterlichen Haushalt zu ziehen, stelle noch keine Änderung der Verhältnisse im Sinne von
Art. 157 ZGB
dar. Erst nach erfolgtem Umzug könnte von einer solchen Änderung die Rede sein, nicht aber heute, wo die Klägerin es in der Hand hätte, nach der gewünschten Änderung des Scheidungsurteils in Zürich zu bleiben (wo sie als Serviertochter tätig ist) und die Kinder irgendwo unterzubringen. Liege demgemäss eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des Gesetzes zur Zeit nicht vor, so brauche nicht geprüft zu werden, ob es sich nach dem allfälligen Umzug der Klägerin nach W. aufdränge, die Kinder ihrer elterlichen Gewalt zu unterstellen. Die Justizkommission lege jedoch Wert auf die Feststellung, dass bei der heutigen Aktenlage einer Umgestaltung der Elternrechte im Sinne der Begehren der Klägerin nichts im Wege stehe, sobald sie nach W. umgezogen sei und dort Verhältnisse vorfinde, wie sie heute für den Fall der Änderung des Scheidungsurteils geplant seien.
D.-
Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht erneuert die Klägerin ihr Abänderungsbegehren. Der Beklagte schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das
BGE 85 II 12 S. 15
Bundesgericht schützt die Berufung und stellt das Urteil des Kantonsgerichts vom 4. Juli 1958 wieder her.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach dem Scheidungsurteil hat die Klägerin bei der Scheidung auf die (von ihr zunächst beanspruchten) Elternrechte schweren Herzens verzichtet, weil sie "derzeit" aus beruflichen Gründen nicht in der Lage sei, die Kinder persönlich zu betreuen. Das angefochtene Urteil stellt hiezu überdies fest, die Klägerin habe sich in der persönlichen Befragung vom (Scheidungs-) Richter davon überzeugen lassen, dass die Interessen der Kinder am besten gewahrt seien, wenn sie "vorderhand" bei ihren Pflegeeltern blieben; "hierauf" habe sie mit Rücksicht auf die Unmöglichkeit, die Kinder persönlich zu betreuen, auf die Elternrechte verzichtet. Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass das Scheidungsgericht der Klägerin diesen Verzicht nahegelegt hat, weil sie damals nicht in der Lage war, die Kinder zu sich zu nehmen. Andere Tatsachen, die gegen eine Zuteilung der Kinder an die Klägerin hätten sprechen können, sind bei der Scheidung nicht festgestellt worden. Dagegen bestanden gegen die Zuteilung an den Beklagten, der die Kinder auch nicht persönlich betreuen konnte, in dessen Person begründete Bedenken. Unter diesen Umständen drängt sich die Frage auf, ob es richtig war, die Klägerin zum Verzicht auf die elterliche Gewalt zu bewegen. Hätte doch die Übertragung dieser Gewalt an sie die einstweilige Belassung der Kinder bei den Verwandten des Beklagten, wohin die Klägerin die Kinder unmittelbar vor Einleitung der Scheidungsklage selber gebracht hatte, keineswegs ausgeschlossen. Allein auch wenn die Elternrechte bei der Scheidung besser anders geordnet worden wären, kann die einmal getroffene Gestaltung dieser Rechte, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, nur dann abgeändert werden, wenn die Voraussetzungen von
Art. 157 ZGB
zutreffen, d.h. wenn infolge von Heirat, Wegzug oder Tod eines der Eltern oder aus andern Gründen eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse
BGE 85 II 12 S. 16
eingetreten ist, die eine Neuregelung als erforderlich erscheinen lässt. Ob dies der Fall sei, beurteilt sich vor allem nach Massgabe der Interessen der Kinder (
BGE 43 II 476
).
2.
Es kann nicht bestritten werden und wird auch nicht bestritten, dass die Kinder bei den Eheleuten K., wo sich heute beide befinden, gut aufgehoben sind. Das Kantonsgericht hat jedoch gefunden, gegenüber der Fremdpflege, die bei der Scheidung nur als vorübergehende Massnahme ins Auge gefasst worden sei, verdiene die Betreuung der Kinder durch die eigene Mutter, die ihnen zugetan sei und der die Eignung zu ihrer Pflege und Erziehung nicht abgesprochen werden könne, den Vorzug, auch wenn die Unterkunftsverhältnisse bei ihr enger seien als bei den Pflegeeltern. Die Vorinstanz ist, wie die wiedergegebene Feststellung am Schluss ihrer Erwägungen zeigt, grundsätzlich nicht anderer Ansicht. Sie hat die Klage nur deshalb abgewiesen, weil sie fand, die blosse Möglichkeit, mit den Kindern in den väterlichen Haushalt zu ziehen, stelle noch keine Änderung der Verhältnisse im Sinne des Gesetzes dar. Wie bei der Gestaltung der Elternrechte im Falle der Scheidung können jedoch auch beim Entscheid darüber, ob veränderte Verhältnisse eine Neuregelung verlangen, nicht allein die im Zeitpunkt der Beurteilung bestehenden Verhältnisse massgebend sein, sondern muss auch in Betracht gezogen werden, wie sich die Verhältnisse aller Voraussicht nach in absehbarer Zukunft gestalten werden. Wenn die Klägerin nach den Aussagen ihres gut beleumdeten Vaters und ihrer Schwester heute Gelegenheit hat, mit den Kindern zu ihrem Vater nach W. zu ziehen und ihm den Haushalt zu führen, während sie im Zeitpunkt der Scheidung noch gezwungen war, anderwärts der Arbeit ausser Hause nachzugehen, so darf darin also eine Änderung der für die Gestaltung der Elternrechte erheblichen Verhältnisse erblickt werden, und zwar handelt es sich um eine wesentliche, eine Neuregelung dieser Rechte fordernde Änderung Das Interesse der beiden kleinen Kinder verlangt
BGE 85 II 12 S. 17
bei der gegebenen Sachlage vor allem, dass sie von der eigenen Mutter betreut werden. Es besteht denn auch kein Zweifel, dass die Kinder bei der Scheidung der Klägerin zugeteilt worden wären, wenn die heute gegebenen Verhältnisse schon damals bestanden hätten. Die Unterkunft ist beim Vater der Klägerin zwar enger als bei den Eheleuten K., aber immerhin genügend, und das wirtschaftliche Auskommen der Klägerin (die einen Lohn erhalten wird) und der Kinder ist im Haushalt des Vaters der Klägerin gesichert, wenn der Beklagte an den Unterhalt der Kinder angemessene Beiträge zahlt. Der Umstand, dass die Kinder auch an ihren Pflegeeltern hangen, kann nichts daran ändern, dass es für sie noch besser ist, wenn ihre eigene Mutter sich ihrer persönlich annimmt.
Dass die Klägerin erst dann ihre jetzige Stelle aufgeben und zum Vater ziehen und in dessen Haushalt ihre Schwester ablösen will, wenn sie zugleich die Kinder dorthin mitnehmen kann, ist sehr wohl begreiflich und beweist entgegen der Auffassung des Beklagten keineswegs, dass es ihr mit dem Wunsche, die Kinder bei sich zu haben, gar nicht ernst sei. Ebensowenig liegt in der erwähnten Tatsache ein Anzeichen für einen Charaktermangel, der ihre erzieherische Eignung in Frage stellen könnte.
Sollte die Klägerin wider Erwarten nicht zu ihrem Vater ziehen, sondern ihre Stelle in Zürich beibehalten und die Kinder "irgendwo" unterbringen, wie dies die Vorinstanz für den Fall der Gutheissung der Klage vor vollzogenem Umzug als Möglichkeit in Betracht zieht, so könnte dies unter Umständen dazu führen, ihr die elterliche Gewalt gemäss
Art. 157 ZGB
wieder zu entziehen. Auch würde sich in diesem Falle die Frage erheben, ob nicht die Klägerin gegenüber dem Beklagten für den Betrag der ihm auferlegten Kosten des gegenwärtigen Prozesses schadenersatzpflichtig würde.
3./4. - (Unterhaltsbeiträge und Besuchsrecht; Kosten.) | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b2dbc8b-6fba-486f-8bad-50b834c08ccf | Urteilskopf
89 IV 171
34. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 24 mai 1963 dans la cause Dunand contre Ministère public du canton de Genève. | Regeste
Art. 60 StGB
,
Art. 270 Abs. 1 und 3, 271 BStP
.
Auf Grund von
Art. 60 StGB
ergangene Entscheidungen können vom Geschädigten nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden. | Sachverhalt
ab Seite 171
BGE 89 IV 171 S. 171
A.-
Le 21 juin 1962, la Cour d'assises du canton de Genève a infligé à W. Lambert, Fornage, Zumstein, C. Lambert et Gerber des peines privatives de liberté en vertu des art. 137 et 145 CP. W. Lambert et Fornage ont été déclarés coupables en particulier de vol par effraction commis au préjudice de Max Dunand et ayant porté sur 15 517 fr. 05. La cour les a condamnés à payer cette somme au lésé, avec intérêts à 5% dès le 8 décembre 1959.
B.-
L'arrestation des prévenus avait permis de confisquer 55 046 fr. 95, provenant de plusieurs vols.
Le 31 juillet 1962, Dunand a demandé à la Cour correctionnelle du canton de Genève de lui allouer, en vertu de
BGE 89 IV 171 S. 172
l'art. 60 CP, 15 517 fr. 05 à prélever sur les sommes confisquées. La cour a été saisie de plusieurs requêtes similaires, présentées par d'autres victimes des condamnés et par des compagnies d'assurances qui ont couvert une partie du préjudice subi par certaines victimes. Les prétentions ainsi élevées dépassaient sensiblement la somme confisquée.
C.-
Répartissant les 55 046 fr. 95 disponibles, la Cour correctionnelle a, par arrêt du 28 janvier 1963, alloué 5623 fr. à Dunand, après avoir relevé que, ayant touché de l'Union suisse une indemnité de 8000 fr., ses prétentions se trouvaient réduites à 7517 fr. 05.
D.-
Dunand se pourvoit en nullité contre l'arrêt du 28 janvier 1963. Prétendant que l'Union suisse lui a cédé ses droits contre Lambert et Fornage, il reproche à la cour cantonale d'avoir violé l'art. 60 CP en excluant les 8000 fr. de la répartition.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'arrêt attaqué relève que les parties ont un délai de trois jours francs pour se pourvoir en cassation. Les décisions de la Cour correctionnelle sont en effet susceptibles de recours en cassation lorsqu'elles violent la loi pénale (art. 437 al. 1 litt. a PP gen.). L'art. 439 PP gen. n'ouvre cependant cette voie de droit qu'au procureur général, à l'accusé et au condamné. Le droit de recourir n'appartient donc pas au lésé. Il s'ensuit que, à l'égard de Dunand, l'arrêt du 28 janvier 1963 ne peut pas donner lieu à un recours de droit cantonal pour violation du droit fédéral (art. 268 PPF).
2.
Le pourvoi a été formé et motivé en temps utile. Reste à examiner si Dunand a qualité pour agir par cette voie.
a) En matière pénale, elle est ouverte d'abord à l'accusé et à l'accusateur public; en outre au lésé dans les cas qui ne sont poursuivis que sur plainte (art. 270 al. 1 PPF); enfin à l'accusateur privé qui, conformément au droit
BGE 89 IV 171 S. 173
cantonal, a soutenu l'accusation à lui seul, sans intervention de l'accusateur public (art. 270 al. 3).
Il s'agit en l'espèce d'infractions qui se poursuivent d'office. De plus, le canton de Genève ne connaît pas l'institution de l'accusateur privé; en effet l'accusation, d'après la procédure genevoise, est toujours soutenue par le procureur général (cf., pour les causes déférées à la Cour d'assises, notamment les art. 221, 233, 245, 255 al. 2, 270 al. 5, 284, 296 al. 2, 297, 306, 308 al. 2 PP gen.; pour celles qui relèvent de la Cour correctionnelle, les art. 270, 276, 383 et 388, et pour celles qui ressortissent au Tribunal de police, les art. 390 et 396).
L'action pénale contre Lambert et consorts s'est d'ailleurs éteinte par l'entrée en force du jugement de condamnation. Les demandes que Dunand et d'autres lésés ont fondées sur l'art. 60 CP sont indépendantes de l'action pénale; elles tendent en effet non à la punition des délinquants (déjà condamnés), mais au versement de prestations par l'Etat. Pour cette raison déjà, l'art. 270 al. 1 à 3 PPF ne s'applique pas en l'occurrence. Sans doute les
art. 268 à 270
PPF ne disent-ils pas que la décision attaquée doit avoir trait à une action pénale. Outre que cela résulte de la nature du pourvoi en nullité, l'art. 277 ter al. 1 exclut toute hésitation (cf., de plus, l'art. 271 al. 1 et 2).
b) Touchant les conclusions civiles, le lésé notamment est habile à se pourvoir en nullité selon l'art. 271 PPF. Mais cette disposition n'est pas non plus applicable en l'espèce.
Par conclusions civiles, tout d'abord, elle vise les prétentions litigieuses que la victime élève contre l'auteur du dommage. Or les prétentions de Dunand contre Lambert et Fornage ne sont plus en cause; la Cour d'assises les a liquidées par son arrêt du 21 juin 1962, passé en force et qui condamne les deux cambrioleurs à lui payer 15 517 fr.05. Du reste, pour que l'allocation au lésé, prévue par l'art. 60 CP, entre en ligne de compte, il faut que le dommage soit "constaté judiciairement ou par accord avec le lésé".
BGE 89 IV 171 S. 174
Lors donc et du fait même que cette condition est réalisée, plus aucun pourvoi n'est recevable sur les conclusions civiles.
De plus, il ne s'agit pas, en l'espèce, de conclusions civiles, c'est-à-dire d'une contestation de droit civil, mais d'un litige qui relève du droit public, un particulier demandant, de par une règle de droit public, des prestations sur la valeur de certains biens dont l'Etat dispose en tant que détenteur de la puissance publique. Les termes "contestations de droit civil" prennent ici leur acception stricte. Rien n'autorise à leur donner un sens plus large, comme on le fait à l'art. 42 OJ par des motifs historiques (RO 81 I 279), qui sont sans portée du point de vue de l'art. 60 CP.
c) La loi fédérale sur la procédure pénale ne permet donc pas au lésé d'attaquer par un pourvoi en nullité une décision prise en vertu de l'art. 60 CP. Il ne s'agit pas là d'une lacune. En effet, la loi n'accorde au requérant aucun droit d'exiger des prestations sur la valeur des biens confisqués, même lorsque, par ailleurs, les conditions que pose l'art. 60 CP sont réalisées. Car le juge peut admettre ou rejeter la requête en vertu du pouvoir d'appréciation que lui confère la loi; il ne viole le droit fédéral que s'il excède les limites de ce pouvoir; encore, le Tribunal fédéral n'intervient-il pas sans nécessité dans ce domaine (RO 81 IV 123, consid. 6). On comprend, dès lors, que le législateur n'ait pas ouvert le pourvoi en nullité (cf. en matière de recours de droit administratif: RO 85 I 266), même si, de ce fait, il privait le requérant du libre contrôle, par la cour de céans, des conditions objectives posées par la loi. La voie subsidiaire du recours de droit public pour arbitraire demeure du reste ouverte; sur la question d'opportunité, elle permet un contrôle presque aussi strict que l'autre.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
déclare le pourvoi irrecevable. | null | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b3421c5-67db-4e76-ac6a-96d1a6099446 | Urteilskopf
118 IV 67
14. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 27. März 1992 i.S. C. gegen Generaldirektion PTT | Regeste
Art. 46 ff. VStrR
; Durchsuchung und Beschlagnahme; Funktelefon (Basisstation mit schnurlosem Mobilgerät).
1. Verzicht auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses (E. 1).
2. Die Überwachung von für den Fernmeldeverkehr nicht freigegebenen und damit geschützten Frequenzbereichen durch die PTT-Betriebe (hier jener der privaten und militärischen Flugfunkdienste) bildet eine betriebsbedingte Schranke des Fernmeldegeheimnisses und stellt keine - durch den Richter zu bewilligende - Telefonüberwachung dar; eine solche ist im Verwaltungsstrafverfahren grundsätzlich unzulässig (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 118 IV 67 S. 68
Am 5. Dezember 1991 stellte die Sektion Funküberwachung der Generaldirektion PTT im geschützten Frequenzbereich ziviler und militärischer Flugfunkdienste ein über ein nicht zugelassenes drahtloses Funktelefon (schnurloses Telefon, bestehend aus Basisgerät, welches mit dem Telefonnetz über Kabel verbunden ist, und drahtlosem Mobilgerät, über welches eine Funkverbindung zum Basisgerät hergestellt werden kann) über den Anschluss von C. geführtes Telefongespräch fest, zeichnete dieses auf und erstattete gleichentags Strafanzeige im Sinne von
Art. 19 VStrR
(Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht; SR 313.0). Am 11. Dezember 1991 eröffnete die Fernmeldekreisdirektion Bern gegen C. eine Strafuntersuchung wegen Verdachts einer Widerhandlung im Sinne von
Art. 42 TVG
(Bundesgesetz vom 14. Oktober 1922 betreffend den Telegrafen- und Telefonverkehr; SR 784.10). Gestützt auf einen Durchsuchungsbefehl der Fernmeldedirektion Bern vom 13. Dezember 1991 wurde am 21. Januar 1992 die Wohnung von C. durchsucht. Bei der Durchsuchung konnten keine nicht zugelassenen Apparate aufgefunden werden. C. räumte jedoch ein, früher ein solches Telefon "zum Test" benutzt zu haben, was aber heute nicht mehr der Fall sei. Das Gerät sei vernichtet worden.
Mit Beschwerde vom 24. Januar 1992 wendet sich C. gegen die Durchsuchung an die Anklagekammer des Bundesgerichts. Er beantragt, "die bisherigen Handlungen der PTT als illegal und demzufolge nichtig und ungültig" zu erklären. Die Generaldirektion PTT beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gegen Zwangsmassnahmen (
Art. 45 ff. VStrR
) und damit im Zusammenhang stehende Amtshandlungen kann bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde geführt werden (
Art. 26 Abs. 1 VStrR
). Nach
Art. 28 Abs. 1 VStrR
ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Amtshandlung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung hat.
b) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, einen in der Schweiz nicht zugelassenen Funktelefonapparat verwendet zu haben; er erklärte sogar anlässlich der Durchsuchung ausdrücklich, ein solches Gerät benutzt zu haben; dieses habe sich jedoch als unbrauchbar erwiesen und sei daher vernichtet worden. Eine Beschlagnahme konnte denn auch nicht stattfinden, da das Gerät nicht vorgefunden
BGE 118 IV 67 S. 69
wurde. Die Beschwerde richtet sich deshalb auch nicht gegen die (nicht vorgenommene) Beschlagnahme, sondern gegen die Durchsuchung und Abhörung telefonischer Gespräche.
c) Soweit sich die Beschwerde gegen die Durchsuchung als solche ("illegal durchsucht (Hausfriedensbruch)", "zwangsweise Hausdurchsuchung", "Androhung von Gewalt") und die Abhörung und Aufnahme telefonischer Gespräche richtet, ist darauf mangels eines aktuellen Rechtsschutzbedürfnisses nicht einzutreten, da diese abgeschlossen sind und der Beschwerdeführer dadurch heute nicht mehr beschwert ist (
BGE 103 IV 117
E. 1a).
d) Dies gilt grundsätzlich auch für die Ermittlung und Aufzeichnung der hier in Frage stehenden Funktelefongespräche, die mit der Durchsuchung in engem Zusammenhang stehen. Das Bundesgericht verzichtet indessen ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte, eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre, sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnten und an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht (
BGE 116 Ia 150
E. 2a;
BGE 116 II 729
E. 6;
111 Ib 59
E. 2b).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, setzt doch die Durchsuchung voraus, dass der Benutzer eines nicht zugelassenen Funktelefons zunächst durch entsprechende Messungen ermittelt wird. Diese Ermittlungshandlung ist indessen bereits abgeschlossen, wenn es zur Durchsuchung bzw. Beschlagnahme kommt. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Abhörung und Aufzeichnung seiner über das nicht zugelassene Funktelefon geführten Gespräche richtet.
3.
a) Der Beschwerdeführer rügt, die Abhörung, Aufzeichnung und Verwertung der durch ihn und seine Mitabonnentin geführten Telefongespräche entbehre einer gesetzlichen Grundlage, da kein Richter die Abhörung bewilligt habe; die Abhörung habe ihre Berufs-, Privat-, Intim- und Geheimsphäre bzw. ihre persönlichen Freiheitsrechte verletzt. Die Frequenzüberwachung sei der Telefonüberwachung gleichzusetzen, da auch dort vom Inhalt des telefonischen Gesprächs Kenntnis genommen werde.
b) In diesem Zusammenhang rügt er eine Verletzung von
Art. 6 und 8 EMRK
, indem das Prinzip der Verhältnismässigkeit verletzt werde.
Inwieweit
Art. 6 EMRK
durch die Feststellung und Aufzeichnung der Telefongespräche verletzt sein soll, ist nicht ersichtlich; der
BGE 118 IV 67 S. 70
Beschwerdeführer nennt zur Begründung lediglich das Stichwort der Verhältnismässigkeit. Da einzig die Verletzung der persönlichen Geheimsphäre des Beschwerdeführers in Frage steht, ist die Verhältnismässigkeit in diesem Zusammenhang zu prüfen; nach der Rechtsprechung zählen Telefongespräche zur Privatsphäre, die durch
Art. 8 EMRK
geschützt wird (
BGE 109 Ia 280
; FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, Kommentar,
Art. 8 N 1
, 2, 11, 34). Soweit wie im vorliegenden Fall einzig ein Eingriff in das Post-, Telefon- und Telegrafengeheimnis durch Angestellte der Postverwaltung in Frage steht, reicht der Schutzbereich von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
nicht weiter als
Art. 36 Abs. 4 BV
und das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit (
BGE 109 Ia 280
).
c) Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass die Verwaltungsbehörden gestützt auf die gesetzliche Regelung (
Art. 66, 72 BStP
;
Art. 45-60 VStrR
) nicht befugt sind, im Verwaltungsstrafverfahren die Überwachung des Post-, Telefon- und Telegrafenverkehrs anzuordnen, denn es wird dafür weder eine Verwaltungsbehörde zuständig erklärt, noch diese Massnahme zur Verfügung gestellt; eine echte Gesetzeslücke liegt nicht vor (Bericht des Schweizerischen Bundesgerichts vom 6. Februar 1990 über seine Amtstätigkeit im Jahre 1989, S. 442; SCHUBARTH, Kommentar StGB, Art. 179octies/
Art. 400bis StGB
N 15; PETER, Das neue Bundesgesetz über den Schutz der persönlichen Geheimsphäre, SJZ 1979, 309).
d) Von einer Telefonüberwachung, die nur mit Zustimmung des Richters bewilligt werden könnte, kann indessen im vorliegenden Fall nicht die Rede sein.
aa) Soweit wie hier ein Eingriff in das Post-, Telefon- und Telegrafengeheimnis durch Angestellte der Postverwaltung in Frage steht, betrifft dieser die Bestimmung von
Art. 36 Abs. 4 BV
, welcher in Form eines eigenständigen verfassungsmässigen Rechts als Bestandteil des Persönlichkeitsschutzes und damit des verfassungsmässigen Rechts auf persönliche Freiheit die Unverletzlichkeit des Post-, Telefon- und Telegrafengeheimnisses gewährleistet; es richtet sich sowohl gegen die Angehörigen der PTT-Betriebe als auch gegen andere Strafverfolgungsorgane des Bundes, der Kantone und der Gemeinden (
BGE 115 IV 70
E. 2a und b, mit Hinweisen;
BGE 109 Ia 279
E. 4a; vgl. zum Schutzbereich auch ZBl 86 [1985] 22, mit Hinweisen). Dem Geheimnis unterliegen alle Informationen, die einer Übermittlungseinrichtung, die zum Post-, Telefon- und Telegrafenwesen zählt, übergeben werden.
BGE 118 IV 67 S. 71
bb) Der verfassungsrechtlich gewährleistete persönliche Geheimbereich erhält einen verstärkten strafrechtlichen Schutz durch die
Art. 179bis-179septies StGB
. Diese Bestimmungen schützen mündliche Äusserungen, die nicht für einen grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis wahrnehmbar sind; sie stellen daher nur das Abhören und Aufnehmen fremder, nichtöffentlicher Gespräche unter Strafe (vgl. BBl 1968 I 593; SCHUBARTH, Kommentar StGB,
Art. 179bis StGB
N 3). Radioelektrisch übertragene Gespräche, die durch den Äther und damit in Hörweite von jedermann, der einen Radioempfänger besitzt, geführt werden, liegen nicht mehr innerhalb des persönlichen Geheimbereiches (BBl 1968 I 597; vgl. auch METZGER, Der strafrechtliche Schutz des persönlichen Geheimbereiches gegen Verletzungen durch Ton- und Bildaufnahme- sowie Abhörgeräte, Diss. Bern, 1972, S. 106). Die Einschränkung kann in dieser allgemeinen Form indessen nicht gelten, werden doch auch die normalen Ferngespräche heute meist durch Richtstrahleinrichtungen drahtlos übermittelt; diesen Gesprächen den Geheimnisschutz abzusprechen, liesse sich mit
Art. 36 Abs. 4 BV
nicht vereinbaren (vgl. auch REHBERG, Unzureichende Strafbestimmungen gegen das Abhorchen fremder Gespräche, SJZ 1971, 108). Sofern daher für die drahtlose Übermittlung solcher Telefongespräche spezielle, diesem Zweck vorbehaltene Frequenzen benutzt werden, die nicht mit den üblichen, dem normalen Radiohörer zur Verfügung stehenden Geräten empfangen werden können, haben diese Gespräche als nichtöffentliche zu gelten (vgl. SCHUBARTH, a.a.O., N 28).
cc) Die PTT-Betriebe haben gemäss
Art. 1 TVG
das ausschliessliche Recht, Sende- und Empfangsanlagen sowie Anlagen jeder Art, die der elektrischen oder radioelektrischen Zeichen-, Bild- oder Lautübertragung dienen, zu erstellen und zu betreiben. Im Rahmen ihres allgemeinen Leistungsauftrages (
Art. 4 TVG
) und der ihnen übertragenen Aufgaben haben die PTT-Betriebe dafür zu sorgen, dass Fernmeldeanlagen so erstellt, betrieben und unterhalten werden, dass weder Personen noch Sachen gefährdet werden (Art. 22 Verordnung 1 zum Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetz; SR 784.101); die PTT-Betriebe sind daher auch berechtigt, Leitungen und Apparate, die den Betrieb stören oder Personen und Sachen gefährden, jederzeit abzuschalten oder zu entfernen; zu diesem Zweck ist ihren Organen der freie Zutritt zur Kontrolle der an das öffentliche Telefonnetz angeschlossenen Leitungen und Apparate zu gewähren; Anlageteile, die den Telefonbetrieb stören oder Personen
BGE 118 IV 67 S. 72
oder Sachen gefährden, sind sofort ausser Betrieb zu setzen (Art. 17 Verordnung 3 zum Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetz; Telefonordnung, SR 784.103).
dd) Aus dem gesetzlichen Auftrag, den Fernmeldeverkehr technisch störungsfrei abzuwickeln und den ordnungsgemässen Gebrauch der Fernmeldeeinrichtungen im Zusammenhang mit dem Telefonbetrieb zu überwachen, ergeben sich betriebsbedingte Schranken des Fernmeldegeheimnisses (vgl. für das deutsche Recht MAUNZ-DÜRIG, Kommentar zum Grundgesetz, N 67 f.).
Wird daher die durch die Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetzgebung angestrebte gute Ordnung (vgl.
BGE 103 IV 120
) - deren Einhaltung nur bei Benützung der von den PTT-Betrieben zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten oder bewilligten Fernmeldeanlagen vermutet werden kann - gestört, so haben die PTT-Betriebe gestützt auf die erwähnten Bestimmungen den Störer zu ermitteln und die Störung zu beseitigen. Die Ermittlung des Störers geschieht nicht durch eine eigentliche Überwachung und Aufzeichnung des künftigen (PETER HUBER, Der Schutz der Geheimsphäre gemäss Bundesgesetz vom 23. März 1979, ZStrR 1980, 296 f.) Fernmeldeverkehrs einer bestimmten Person zur Aufklärung von Straftaten (RUDOLPHI/FRISCH/ROGALL/SCHLÜCHTER/WOLTER, Systematischer Kommentar zur StPO und zum GVG,
§ 100a N 1
), sondern durch Überwachung des zu diesem Zwecke nicht freigegebenen und damit geschützten Frequenzbereiches bereits aus betriebstechnischen Gründen auch ausserhalb eines Strafverfahrens. Im vorliegenden Fall benutzte das fragliche mobile Gerät einen den zivilen und militärischen Flugfunkdiensten vorbehaltenen geschützten Frequenzbereich. Dass die Verwendung eines solchen Gerätes unter Umständen eine Gefährdung von Personen und Sachen bewirken kann, liegt auf der Hand; das fernmeldepolizeiliche Eingreifen der PTT-Betriebe war somit geboten.
ee) Von einer Verletzung des Fernmeldegeheimnisses kann deshalb keine Rede sein, weil die Aufzeichnungen der PTT-Betriebe rein dienstlicher bzw. betriebstechnischer Natur sind (vgl.
Art. 7 Abs. 1 TVG
) und lediglich dazu dienen, die unzulässige Verwendung der geschützten Frequenz zu beweisen. Der Inhalt der geführten Gespräche, der ohnehin nur soweit zur Kenntnis genommen werden darf, als es zur Erfüllung der Kontrollaufgabe erforderlich ist (vgl. SPITZER, Das Post- und Telefongeheimnis, ZBl 1955, 547), ist für das Verwaltungsstrafverfahren daher ohne jeden Belang. Er unterläge in jedem Fall bezüglich allfälliger anderer Verfahren einem
BGE 118 IV 67 S. 73
Verwertungsverbot, da die Telefonüberwachung, das heisst das Überwachen von Telefongesprächen bezüglich Gesprächsteilnehmer und Inhalt im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens zum Zwecke der Sachverhaltserforschung grundsätzlich unzulässig ist. Die bei der Ermittlung der Störungen erstellten dienstlichen Aufzeichnungen von Gesprächen sind PTT-intern geheimzuhalten (vgl.
Art. 6 TVG
); entsprechende (inhaltliche) Einzelheiten des Fernmeldeverkehrs des ermittelten Teilnehmers dürfen nur im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens - und zwar nur soweit unbedingt erforderlich - Dritten gegenüber offengelegt werden, um eine Verfolgung wegen einer Widerhandlung im Sinne von
Art. 42 TVG
zu ermöglichen (vgl. dazu für das deutsche Recht MAUNZ-DÜRIG, a.a.O., N 68). Da der Beschwerdeführer nicht bestreitet, das in Frage stehende Gerät benutzt zu haben, brauchen im vorliegenden Fall die dienstlichen Aufzeichnungen dem Gericht nicht bekanntgegeben zu werden, womit das Fernmeldegeheimnis ohnehin gewahrt ist; denn von einer Verletzung dieses Grundrechts kann dann nicht die Rede sein, wenn - wie hier - einzig Angehörige der PTT-Betriebe im Zusammenhang mit der Behebung von betrieblichen Störungen von fremden Gesprächen Kenntnis erhalten (vgl.
Art. 6 TVG
).
Es kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer durch die Verwendung eines Funktelefons, welches nicht die von den PTT-Betrieben zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten und damit geschützten Frequenzen benutzt, damit rechnen musste, dass er in den anderen Benutzern von Fernmeldeeinrichtungen vorbehaltenen Frequenzbereich gelangt und seine Gespräche daher von diesen mitgehört werden können. Von einer Verletzung des persönlichen Geheimbereichs könnte auch aus diesem Grund kaum die Rede sein. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b358462-51d3-4aaf-91a9-1f027087ba8d | Urteilskopf
120 Ib 312
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. November 1994 i.S. F. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 16 Abs. 3 lit. a,
Art. 32 Abs. 1 SVG
; schwere Gefährdung des Verkehrs, Nichtanpassen der Geschwindigkeit.
Wer trotz starkem Regen auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h fährt und infolge Aquaplanings ins Schleudern gerät, gefährdet den Verkehr in schwerer Weise (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 312
BGE 120 Ib 312 S. 312
A.-
F. fuhr am 31. August 1992, um ca. 19.55 Uhr, mit seinem Personenwagen der Marke VW Golf, auf der Autobahn N 1 von Wil in Richtung Zürich. Obwohl es zu jenem Zeitpunkt stark regnete, fuhr er mit einer Geschwindigkeit von etwa 120 km/h. In der Nähe von Bertschikon verlor F. die Herrschaft über sein Fahrzeug und geriet wegen Aquaplanings ins Schleudern. Er konnte seinen Wagen nicht mehr bremsen und kollidierte mit dem Mittelseil, wobei sowohl an seinem Fahrzeug wie auch an der Autobahneinrichtung erheblicher Sachschaden entstand.
B.-
Das Statthalteramt des Bezirks Winterthur sprach F. mit Verfügung vom 12. Oktober 1992 der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln in Anwendung von
Art. 32 Abs. 1 und 90 Ziff. 1 SVG
(SR 741.01) schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 350.--.
C.-
Mit Verfügung vom 2. Februar 1993 entzog das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons St. Gallen F. wegen schwerer Gefährdung des Verkehrs den Führerausweis für die Dauer von drei Monaten.
Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen wies einen gegen diese Verfügung geführten Rekurs mit Urteil vom 5. Juli 1994 ab.
BGE 120 Ib 312 S. 313
D.-
Gegen diesen Entscheid erhebt F. Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, einen Führerausweisentzug von höchstens einem Monat anzuordnen. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Die Vorinstanz nahm an, der Beschwerdeführer habe die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren und damit eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit aller nachfolgenden Fahrzeuge geschaffen. Seine Fahrweise sei verantwortungslos und sein Verschulden schwer gewesen. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge betrage auf Autobahnen nur unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen 120 km/h. Zum Unfallzeitpunkt habe es stark geregnet und stellenweise habe auch Wasser auf der Fahrbahn gelegen. Der Beschwerdeführer habe daher nicht von günstigen Strassenverhältnissen ausgehen können. Bei Regen und hoher Geschwindigkeit sei die Gefahr von Aquaplaning latent vorhanden, so dass die Vorsichtspflicht gebiete, die Geschwindigkeit zu reduzieren.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihr Ermessen verletzt. Ob beim Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die gegebenen Verhältnisse der Verkehr in schwerer Weise gefährdet werde, hänge von der Würdigung der gesamten Umstände ab. Er sei mit seinem Fahrzeug auf einem völlig geraden, übersichtlichen, jedoch regennassen Autobahnteilstück mit einer bloss geschätzten Geschwindigkeit von ca. 120 km/h unterwegs gewesen. Die Verkehrsdichte sei zum kritischen Zeitpunkt bloss schwach gewesen. Geschätzte Geschwindigkeitsangaben seien bei der Würdigung des Fehlverhaltens mit Vorsicht zu geniessen. Die Annahme der Vorinstanz, er sei tatsächlich mit einem Tempo von 120 km/h gefahren, sei daher willkürlich. Es liesse sich lediglich sagen, dass er im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse etwas zu schnell gefahren sei. Ein grobes Verschulden liege darin jedoch nicht. Aquaplaning könne je nachdem schon bei Geschwindigkeiten unter 80 km/h oder auch erst weit über 100 km/h auftreten. Da vorliegend lediglich von einer nassen und nicht von einer überfluteten Fahrbahn die Rede sei, sei die Annahme eines schweren Verschuldens bzw. einer schweren Verkehrsgefährdung durch die Vorinstanz willkürlich. Es könne auch nicht gesagt werden, Aquaplaningfälle seien
BGE 120 Ib 312 S. 314
regelmässig zu den schweren Fällen im Sinne von
Art. 16 Abs. 3 SVG
zu zählen. Die Vorinstanz sei zudem grundlos von der Würdigung des Sachverhalts durch den Strafrichter abgewichen, der den Vorfall als einfache Verkehrsregelverletzung gemäss
Art. 90 Ziff. 1 SVG
beurteilt habe. Selbst wenn man ein schweres Verschulden und eine schwere Gefährdung annehmen wollte, sei die von der Vorinstanz bestätigte dreimonatige Entzugsdauer des Führerausweises gleichwohl eine willkürliche Massnahme. Er sei seit dem 30. August 1990 im Besitze seines Führerausweises und weise einen bislang ungetrübten Leumund als Fahrzeugführer auf. Dieser müsse bei der Bemessung der Massnahmedauer berücksichtigt werden. Schliesslich sei er als Automechaniker in einem Kleinbetrieb auf die Möglichkeit, Motorfahrzeuge zu führen, angewiesen. Ein Führerausweisentzug von mehreren Monaten bewirke mit grösster Wahrscheinlichkeit die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses und verursache derartig beachtliche Kosten, dass die Massnahme im Verhältnis zum finanziellen Verlust als offensichtlich unverhältnismässig erscheine.
2.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann beim Bundesgericht die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens, gerügt sowie eine unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden (
Art. 104 lit. a und b OG
). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit des angefochtenen Entscheides (
Art. 104 lit. c OG
). Gemäss
Art. 105 Abs. 2 OG
ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat.
3.
Gemäss
Art. 16 Abs. 2 SVG
kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Fahrzeugführer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat. Der Ausweis muss entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
). Dies ist der Fall, wenn der Fahrzeugführer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (
Art. 32 Abs. 2 VZV
[SR 741.51];
BGE 120 Ib 286
E. 1 mit Hinweisen). Die Dauer des Entzugs ist nach den Umständen festzusetzen; sie beträgt jedoch mindestens einen Monat (
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
). Die Dauer des Warnungsentzugs richtet sich vor allem nach der Schwere
BGE 120 Ib 312 S. 315
des Verschuldens, dem Leumund als Fahrzeugführer sowie nach der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen (
Art. 33 Abs. 2 VZV
).
4.
a) Die Vorinstanz nahm an, der Beschwerdeführer sei mit einer Geschwindigkeit von "ca. 120 km/h" gefahren. Sie stützte sich hiefür auf dessen Aussagen anlässlich der Aufnahme des Verkehrsunfalls durch die Kantonspolizei Zürich, bei der er auch angegeben hatte, es sei ihm bewusst gewesen, dass er in Anbetracht der herrschenden Wetterverhältnisse zu schnell unterwegs gewesen sei. Aufgrund dieser Aussagen kam die Vorinstanz zum Schluss, das Schleudern des Fahrzeugs sei auf die den Strassen- und Witterungsverhältnissen nicht angepasste Geschwindigkeit zurückzuführen. Dies wäre nach ihrer Auffassung selbst dann der Fall, wenn man annehmen wollte, der Beschwerdeführer sei mit einer Geschwindigkeit von bloss 90 - 120 km/h gefahren. Es trifft somit nicht zu, dass die Vorinstanz angenommen hat, der Beschwerdeführer sei effektiv mit 120 km/h unterwegs gewesen. Eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts ist nicht ersichtlich, so dass das Bundesgericht daran gebunden ist (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
b) Die Vorinstanz wich nicht von den tatsächlichen Feststellungen in der Bussenverfügung des Statthalteramtes des Bezirkes Winterthur ab. Hingegen würdigte sie das Verhalten des Beschwerdeführers - anders als das Statthalteramt, das eine bloss einfache Verkehrsregelverletzung im Sinne von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
angenommen hatte, - als schwere Gefährdung des Verkehrs. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Verwaltungsbehörde ist nur dann in bezug auf die Rechtsanwendung an die rechtliche Qualifikation des Sachverhaltes durch das Strafurteil gebunden, wenn die rechtliche Würdigung sehr stark von der Würdigung von Tatsachen abhängt, die der Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde (
BGE 119 Ib 158
E. 3 c/bb). Dies ist hier nicht der Fall, da die Strafbehörde ebenfalls bloss aufgrund der Akten entschieden und der Beschwerdeführer keine gerichtliche Beurteilung verlangt hatte.
c) Die Vorinstanz wertete das Verhalten des Beschwerdeführers als schwere Gefährdung des Verkehrs. Der Beschwerdeführer habe, indem er die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren habe, eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geschaffen.
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist der Beschwerdeführer auf der Autobahn bei starkem Regen und einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h ins Schleudern geraten und gegen das
BGE 120 Ib 312 S. 316
Mittelseil geprallt. Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, bedeutet ein vom Lenker nicht mehr beherrschtes Fahrzeug insbesondere auf Autobahnen, wo ausschliesslich mit relativ hohen Geschwindigkeiten gefahren wird, immer eine ernstliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer. Für nachfolgende Fahrzeuge besteht besonders die Gefahr von Auffahrunfällen mit erheblichen Folgen für die Beteiligten. Das krasse Nichtanpassen der Geschwindigkeit bei der Gefahr von Aquaplaning, d.h. einem Aufschwimmen der Reifen auf einem Wasserkeil mit Verlust der Steuer- und Bremsmöglichkeit, bedeutet daher im zu beurteilenden Fall eine schwere Gefährdung des Verkehrs. Ob Aquaplaningfälle regelmässig zu den schweren Fällen im Sinne von
Art. 16 Abs. 3 SVG
zu zählen sind, braucht nicht entschieden zu werden (vgl. hiezu
BGE 103 IV 41
E. 2a).
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz das Verschulden des Beschwerdeführers als schwer gewertet hat. Nach
Art. 32 Abs. 1 SVG
ist die Geschwindigkeit stets den Umständen, namentlich den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, muss die Gefahr von Aquaplaning bei starkem Regen als bekannt vorausgesetzt werden. Es wird denn auch in diesem Zusammenhang empfohlen, bei starkem Regen 80 km/h nicht zu überschreiten (
BGE 103 IV 41
E. 2a). Dies war auch dem Beschwerdeführer klar, der nach den Feststellungen der Vorinstanz gegenüber der Polizei ausgesagt hatte, es sei ihm bewusst gewesen, dass er in Anbetracht der herrschenden Wetterverhältnisse zu schnell gefahren sei (vgl. E. 4a). Das Ausschöpfen der nur unter günstigen Verhältnissen auf Autobahnen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h (
Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV
), das zu einem Schleuderunfall führt, ist unter diesen Umständen grobfahrlässig und wiegt verschuldensmässig schwer, da sich der Beschwerdeführer der Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst sein musste und es auch war.
d) Die Vorinstanz erachtete den Entzug des Führerausweises für die Dauer von drei Monaten als angemessen. Sie nahm an, das bisher klaglose Verhalten des Beschwerdeführers im Strassenverkehr begründe keinen Anspruch auf Herabsetzung der Entzugsdauer. Sie verneinte zudem die berufliche Notwendigkeit für den Beschwerdeführer, ein Motorfahrzeug zu führen, da das Autofahren nicht zu den primären Aufgaben eines Automechanikers gehöre.
Der Behörde steht bei der Festsetzung der Dauer des Führerausweisentzuges ein Ermessensspielraum zu. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie nach Belieben entscheiden könnte. Vielmehr hat sie nach pflichtgemässem Ermessen
BGE 120 Ib 312 S. 317
zu urteilen und alle in der Sache erheblichen Interessen zu berücksichtigen und sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Diesen Anforderungen ist die Vorinstanz nachgekommen. Sie hat sich nicht von sachfremden Motiven leiten lassen und ihr Ermessen auch nicht überschritten oder missbraucht. Dies gilt ebenfalls für die Frage der Massnahmeempfindlichkeit. Die Vorinstanz hat zu Recht angenommen, das Führen eines Motorfahrzeugs gehöre nicht zu den primären Aufgaben eines Automechanikers und der Beschwerdeführer sei daher nicht im selben Mass von der Massnahme betroffen wie etwa ein Chauffeur. Sie verneinte daher zutreffend eine erhöhte Massnahmeempfindlichkeit. Dass sodann der automobilistische Leumund bei der Festsetzung der Entzugsdauer berücksichtigt werden muss, wie der Beschwerdeführer einwendet, trifft zu. Dies hat die Vorinstanz indes getan. Sie hat lediglich den ungetrübten Leumund als Fahrzeuglenker nicht zusätzlich als Herabsetzungsgrund gewürdigt, was nicht zu beanstanden ist. Die Massnahme erweist sich daher nicht als unverhältnismässig und die Vorinstanz hat somit ihr Ermessen nicht überschritten. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3b375290-29dd-4853-b03e-83a7c33db229 | Urteilskopf
90 IV 168
36. Urteil des Kassationshofes vom 9. Juli 1964 i.S. Letter gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden. | Regeste
1.
Art. 28, 29 StGB
,
Art. 2 ZGB
. Durch blosses Zuwarten wird auf den Strafantrag nicht verzichtet. Frist zur Stellung des Strafantrages bei fortgesetztem unlauteren Wettbewerb. Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Strafantragsrechts verneint.
2.
Art. 13 lit. d UWG
. Verwechselbarkeit der Waren durch Nachahmung des Bildzeichens eines Mitbewerbers. | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 90 IV 168 S. 168
A.-
Die Nahrin AG, Sarnen, vertreibt neben anderen Nährmitteln einen von ihr hergestellten Berg-Wacholderhonig,
BGE 90 IV 168 S. 169
der vornehmlich als Latwerge-Brotaufstrich Verwendung findet. Sie liefert den Honig in zylinderförmigen Metallbüchsen von 11,5 cm Höhe und 10 cm Durchmesser, deren Mantelfläche von einer farbigen, in vier verschiedene Felder aufgeteilten Etikette ganz umschlossen wird. Während auf deren Rückseite und auf den schmäleren seitlichen Feldern Weiss und Grün vorherrschen, zeichnet sich die Vorderseite, deren Grund rot ist, dadurch aus, dass sich auf der oberen Hälfte ein weisses, durch einen blauen Streifen umrahmtes Oval von ca. 5 cm Höhe und 8 cm Länge hervorhebt, in dem ein grüner Bergwacholderzweig mit blauen Beeren abgebildet ist. Unter diesem Signet stehen in weisser Schrift die Worte "Berg-Wacholder" ("Genièvre de montagne"/"Ginepro di montagna") und darunter der Firmaname ("Nahrin AG./SA., Sarnen/OW"). Die Etikette ist seit dem 31. Oktober 1959 beim Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum als gewerbliches Muster für Verpackungen hinterlegt.
Karl Letter eröffnete nach zweijähriger Tätigkeit als Chefvertreter der Nahrin AG im August 1959 in Sarnen ein eigenes Nährmittelgeschäft und nahm auch den Vertrieb von Bergwacholder-Honig auf. Er benützte dazu zylinderförmige Gläser von rund 15 cm Höhe und 8 cm Durchmesser mit weissem Plastikverschluss und versah sie mit einer 11 cm hohen und 10 cm breiten Etikette von weisser Farbe, auf deren unterer Hälfte in Schwarzdruck die Bezeichnung "Mythen Berg-Wachholder", darunter eine Skizze der Mythenspitzen sowie die Firma "Mythen-Nährmittel K. Letter, Sarnen (OW)" angebracht sind. Auf der oberen Hälfte der Etikette ist das von der Nahrin AG verwendete Signet nachgeahmt; es unterscheidet sich vom Vorbild einzig dadurch, dass die Umrandungslinie des Ovals orangefarbig statt blau und der Bergwacholderzweig in etwas matteren Farben gehalten ist.
B.-
Am 14. Mai 1963 erhob die Nahrin AG gegen Letter Strafklage wegen unlauteren Wettbewerbes, den sie darin erblickt, dass durch die Verwendung ihres Signets
BGE 90 IV 168 S. 170
eine Verwechslung mit ihrer Ware und ihrem Geschäftsbetrieb herbeigeführt werde.
Die Untersuchungs- und Überweisungsbehörde des Kantons Obwalden erklärte am 28. November 1963 Letter des unlauteren Wettbewerbes im Sinne des
Art. 13 lit. d UWG
schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 60. -. Der Gerichtsausschuss des Kantonsgerichts von Obwalden, an den der Gebüsste rekurrierte, bestätigte am 20. Februar 1964 den erstinstanzlichen Strafentscheid.
C.-
Letter führt gegen das Urteil des Gerichtsausschusses Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Nahrin AG berechtigt sei, gegen ihn Strafantrag zu stellen. Denn die Klägerin habe sich durch jahrelange Duldung stillschweigend damit einverstanden erklärt, dass er ihr Signet verwende. Ihre Ansprüche aus dem UWG seien deshalb verwirkt, und ihr Strafantrag sei rechtsmissbräuchlich.
Diese Einwände sind unbegründet. Verwirkt wäre das Strafantragsrecht nur, wenn die Klägerin auf es verzichtet oder den Antrag nicht innert der gesetzlichen Frist gestellt hätte. Ein Verzicht wäre aber nur beachtlich, wenn er ausdrücklich geäussert worden wäre (
Art. 28 Abs. 5 StGB
). Dazu genügt nicht, dass die Klägerin, wie der Beschwerdeführer behauptet, in Kenntnis der Verletzung mit der Stellung des Strafantrages jahrelang zugewartet hat. Ein Verzicht läge übrigens selbst dann nicht vor, wenn sich die Klägerin nicht aufein passivesVerhalten beschränkt hätte, sondern Umstände festgestellt wären, die als Äusserung ihres Willens, keinen Strafantrag zu stellen, zu deuten wären. Eine bloss indirekte Kundgabe des Willens, von der Strafverfolgung abzusehen, gilt nur beim Rückzug eines bereits gestellten Antrages als ausreichende Willensäusserung (
BGE 86 IV 149
,
BGE 89 IV 58
). Beim Verzicht
BGE 90 IV 168 S. 171
dagegen, der nur gültig ist, wenn er ausdrücklich erklärt wird, muss der darauf gerichtete Wille des Berechtigten eindeutig und vorbehaltlos aus der Erklärung selber hervorgehen (
BGE 74 IV 87
,
BGE 75 IV 19
Erw. 4). Dass die Klägerin eine Erklärung solcher Art abgegeben habe, wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Wie die Vorinstanz anderseits feststellt und unbestritten ist, hat der Beschwerdeführer den eingeklagten unlauteren Wettbewerb seit dem Herbst 1959 bis zur Einreichung der Klage, d.h. bis Mai 1963, fortgesetzt begangen. Bei fortgesetzten Vergehen kann der Strafantrag noch binnen drei Monaten gestellt werden, nachdem der Verletzte von der letzten strafbaren Tätigkeit des Beschuldigten Kenntnis erhalten hat (
BGE 80 IV 8
/9). Von einer Verwirkung des Antragsrechtes kann somit keine Rede sein.
Es kann aber auch nicht gesagt werden, die Ausübung des Antragsrechtes stelle einen offenbaren Rechtsmissbrauch (
Art. 2 ZGB
) dar. Angenommen, die Klägerin habe tatsächlich bereits im Herbst 1959 die Nachahmung und Verwendung ihres Signets festgestellt und sie habe erst durch ihre Strafklage vom Mai 1963 ausdrücklich Einspruch erhoben, so wäre ihr Stillschweigen noch nicht Anlass genug, im Beschwerdeführer die begründete Erwartung zu erwecken, die Nahrin AG sei mit seinem Vorgehen einverstanden. Die Klägerin konnte Gründe haben, vorerst einmal abzuwarten, ob der Gebrauch ihres Kennzeichens im neu eröffneten Betrieb des Beschwerdeführers als dauernde Massnahme gedacht war und welche Auswirkungen eine solche allenfalls haben werde. Drei bis vier Jahre, die sie dazu und zur Sammlung von Beweismitteln aufgewendet haben mag, können nicht als ungewöhnlich lange Zeitdauer gelten. Ausser diesem blossen Zuwarten wird aber der Klägerin kein Verhalten vorgeworfen, das nach Treu und Glauben als Billigung der Verletzung ihrer Interessen ausgelegt werden kÖnnte.
2.
Der vom Beschwerdeführer sklavisch nachgeahmte Wacholderzweig ist Bestandteilder Ausstattung der Gefässe,
BGE 90 IV 168 S. 172
in denen er und die Nahrin AG den Wacholderhonig auf den Markt bringen. Die äussere Form, die Aufmachung der Ware oder der Verpackung geniesst den Schutz des UWG nur, wenn die Ausstattung Kennzeichnungskraft besitzt (
BGE 88 IV 83
,
BGE 87 II 56
), sei es, dass sie dank ihrer Originalität von Anfang an aufeinen bestimmten Hersteller oder auf eine bestimmte Qualität der Ware hinweist, sei es, dass eine nicht originelle Ausstattung diese individualisierende Eigenschaft infolge ihrer Durchsetzung im Verkehr, kraft ihrer Verkehrsgeltung, erworben hat (
BGE 79 II 323
).
Dem von der Nahrin AG zur Kennzeichnung ihres Wacholderhonigs verwendeten Wacholderzweig kann die Wirkung der Originalität nicht abgesprochen werden. Originell ist nicht nur die Darstellung des Zweiges in einem durch eine Umrandungslinie abgesteckten Oval, sondern ebensosehr die zeichnerische Gestaltung des leicht stilisierten Zweiges und die Farbwirkung der roten Verästelung, des satten Grüns der Blätter und der tiefblauen Beeren. Alle diese Elemente zusammengenommen geben dem Gesamtbild eine besondere ästhetische Form, die einprägsam und darum unterscheidungskräftig ist.
Dass der auf der Verpackung abgebildete Wacholderzweig auf die Beschaffenheit oder Eigenschaft der darin eingeschlossenen Ware hinweist, macht das Bildzeichen der Klägerin nicht zum Freizeichen, das von jedem anderen Konkurrenten nachgeahmt und frei benützt werden könnte. Ebensowenig ist der wettbewerbsrechtliche Schutz deshalb zu versagen, weil die bildliche Darstellung eines Wacholderzweiges an sich Gemeingut ist und daher dem allgemeinen Verkehr freigehalten werden muss. Ob auf das Bildzeichen der Klägerin die Merkmale einer blossen Beschaffenheitsangabe zutreffen oder nicht (vgl.
BGE 80 II 173
,
BGE 83 II 218
), d.h. ob es unmittelbar auf die Natur und Art des Erzeugnisses anspiele oder ob der Inhalt des Gefässes erst auf dem Wege besonderer Überlegung oder unter Zuhilfenahme der Phantasie erkennbar werde, weil
BGE 90 IV 168 S. 173
die Verpackung keinen reinen Wacholder, sondern einen daraus gewonnen Honig enthält, braucht übrigens nicht entschieden zu werden, da es darauf nicht ankommt. Entscheidend ist einzig, dass der von der Klägerin verwendete Wacholderzweig durch seine eigenartige Gestaltung und besondere ästhetische Form sich von einer gewöhnlichen Sachbezeichnung deutlich abhebt und infolge seiner charakteristischen, individualisierenden Wirkung geeignet ist, die dazu gehörende Ware von Erzeugnissen anderer Herkunft zu unterscheiden. Auf die Unterschei. dungskraft eines Zeichens allein stellt auch das Markenrecht ab, wo die Verwendung freier und deshalb an sich schutzunfähiger Bestandteile kein Hindernis bildet, einer in ihrer Gesamtheit unterscheidungskräftigen Marke den Schutz zu gewähren (
BGE 56 II 411
,
BGE 78 II 383
Erw. 4). Die im Markenrecht hinsichtlich der Kennzeichnungskraft eines Zeichens geltenden Grundsätze sind in gleicher Weise auch im Wettbewerbsrecht anwendbar (
BGE 80 II 174
lit. b).
3.
Das Bildzeichen des Wacholderzweiges ist weder unentbehrliches Merkmal der Ausstattung noch Bestandteil der Ware selbst, denn es könnte weggelassen werden, ohne dass sich dadurch an der Beschaffenheit und Brauchbarkeit des Wacholderhonigs etwas ändern würde. Obschon es möglich gewesen wäre, einen Wacholderzweig anderer Gestaltung zu wählen, hat der Beschwerdeführer nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz das Kennzeichen der Klägerin sklavisch nachgeahmt, um daraus für seinen eigenen Geschäftsbetrieb Nutzen zu ziehen. Er hat sich daher gegen
Art. 13 lit. d UWG
vergangen, wenn seine Massnahme objektiv geeignet war, Verwechslungen mit dem Wacholderhonig der Nahrin AG herbeizuführen.
Die Frage der Verwechselbarkeit beider Waren beurteilt sich nach dem Gesamteindruck, den ihre äussere Aufmachung auf die breite Käuferschicht macht, namentlich
BGE 90 IV 168 S. 174
die Hausfrauen, die in erster Linie als Abnehmer in Betracht kommen. Dabei ist zu beachten, dass beide Firmen die Haushaltungen durch Vertreter aufsuchen, so dass die Hausfrauen die beiden Produkte meistens nicht nebeneinander vor sich haben und häufig auf das bei vorausgegangenen Käufen oder aus der Reklame gewonnene Erinnerungsbild abstellen, weshalb dem Gedächtniseindruck, den die Aufmachung zurücklässt, besondere Bedeutung zukommt. Es geht daher nicht an, die zu vergleichenden Aufmachungen in ihre einzelnen Bestandteile zu zergliedern und diese gesondert zu betrachten (
BGE 87 II 37
,
BGE 78 II 381
). Im vorliegenden Falle kann deshalb nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, dass die beiden Gefässe in der Mehrheit ihrer Einzelheiten voneinander abweichen und bloss in dem von der Nahrin AG verwendeten Kennzeichen, dem in einem Oval abgebildeten Wacholderzweig, übereinstimmen. Die Unterschiede zwischen der Metallbüchse der Klägerin und dem Glasgefäss des Beschwerdeführers, namentlich was ihr Material und ihre Grösse sowie die Form und Farbgestaltung der Etiketten betrifft, sind zwar bei gleichzeitiger und genauerer Betrachtung nicht unerheblich. Hausfrauen, die täglich mit den verschiedenartigsten Markenartikeln zu tun haben, wissen aber, dass bei solchen die Formen und Farben und nicht selten auch das Material der Verpackung wechseln, die Hersteller und ihre Produkte aber die gleichen bleiben. Sie sind daher aus Erfahrung gewohnt, mehr auf die auf allen Verpackungen wiederkehrenden Wort- oder Bildzeichen eines bestimmten Herstellers zu achten als auf die übrigen Merkmale der Verpackung, die Änderungen unterliegen, was zur Folge hat, dass die Formen und Farben der Ausstattung sich weniger im Gedächtnis einprägen und keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ähnliches ist im vorliegenden Falle von der Beschriftung zu sagen. Ihr Vergleich zeigt zwar Unterschiede, die insbesondere in der Verschiedenheit der Warenbezeichnung ("Berg-
BGE 90 IV 168 S. 175
Wacholder" bzw. "Mythen Berg-Wachholder") und im abweichenden Firmanamen ("Nahrin AG, Sarnen" bzw. "Mythen-Nährmittel K. Letter, Sarnen") zum Ausdruck kommen. Sie fallen aber schon deswegen nicht stark ins Gewicht, weil auf beiden Etiketten die Schrift aus zum grössten Teil gleichen oder ähnlich klingenden Worten besteht und zudem der Ausdruck "Berg-Wacholder" bzw. "Berg-Wachholder" alle anderen Worte an Grösse übertrifft, also am stärksten in Erscheinung tritt, so dass die andern unterscheidenden Schriftteile wie übrigens auch die auf der Etikette des Beschwerdeführers eher schwach angedeutete Skizze der Mythenspitzen kaum im Erinnerungsbild haften bleiben, jedenfalls beim oberflächlichen Betrachter nicht. Diese Wirkung wird noch dadurch verstärkt, dass die Beschriftung auf beiden Gefässen auf der unteren Hälfte der Etikette angebracht ist und dass die ganze obere Hälfte vom zeichnerisch völlig übereinstimmenden Bildzeichen des Wacholderzweiges eingenommen wird. Dieses aber ist nicht bloss ein untergeordneter Bestandteil der Aufmachung, wie der Beschwerdeführer glauben machen will, sondern es beherrscht im Gegenteil infolge seiner einprägsamen Gestaltung und seiner Farbtöne die ganze Vorderseite des Gefässes und drängt damit die Beschriftung in den Hintergrund. Das trifft sowohl für die Büchse der Klägerin wie für die Etikette des Beschwerdeführers zu; dass auf dieser der Wacholderzweig und die Umrandungslinie des weissen Ovals in matteren Farben erscheint als auf der Büchse der Klägerin, ändert am Gesamteindruck, der durch das Bildzeichen bestimmt wird, nichts, zumal der untere Teil der Etikette des Beschwerdeführers ohnehin farblos und unscheinbar wirkt. Wird noch berücksichtigt, dass Bildzeichen im allgemeinen an sich leichter als Wortzeichen im Gedächtnis behalten werden (
BGE 83 II 222
), so ist der vom Beschwerdeführer nachgeahmte Wacholderzweig umso eher geeignet, beim Durchschnittskäufer den Eindruck zu
BGE 90 IV 168 S. 176
erwecken, dass der im Glasgefäss angebotene Wacholderhonig ebenfalls von der Nahrin AG stamme, deren Bildzeichen beim Publikum seit Jahren eingeführt war. Die Verwechselbarkeit ist daher zu bejahen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b3a096a-e947-401b-9686-da9b196c446c | Urteilskopf
109 V 197
37. Auszug aus dem Urteil vom 14. April 1983 i.S. Winthrop AG gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern | Regeste
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
: Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Spezialitätenliste ist kein Tarif im Sinne dieser Bestimmung; gegen die Ablehnung der Preiserhöhung für ein in der Spezialitätenliste aufgenommenes Arzneimittel ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Erw. 2).
Art. 12 Abs. 6 KUVG
, Art. 5 Abs. 1 Vo VIII: Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln.
- Ein Preiserhöhungsbegehren kann grundsätzlich erst nach Ablauf von zwei Jahren seit der Aufnahme des Arzneimittels in der Spezialitätenliste bzw. seit der letzten Preisfestsetzung eingereicht werden (Bestätigung der Verwaltungspraxis; Erw. 4a, 5b und c).
- Wird ein Begehren vor Ablauf dieser Frist gestellt oder geht die verlangte Erhöhung über generell vorgesehene Ansätze hinaus, ist glaubhaft zu machen, dass die Sachlage im konkreten Einzelfall eine ausserordentliche Änderung erfahren hat (Erw. 4b, 5b und d). | Sachverhalt
ab Seite 198
BGE 109 V 197 S. 198
A.-
Die Firma Winthrop AG vertreibt seit 1971 in der Schweiz das durch die Laboratoires Winthrop in Dijon hergestellte, in Frankreich jedoch nicht im Handel befindliche Analgetikum FORTALGESIC Supp. Aufgrund eines Gesuchs der Firma vom 22. Dezember 1977 wurde das Präparat mit Wirkung ab 15. September 1978 zum verlangten Preis von Fr. 7.70 (Packung zu 10 Supp.) in die Spezialitätenliste aufgenommen.
Bereits am 23. August 1979 beantragte die Firma für die Zeit ab 15. März 1980 eine Erhöhung des Preises auf Fr. 8.50, wobei sie
BGE 109 V 197 S. 199
im wesentlichen vorbrachte, dass der Verkaufspreis seit 1971 trotz beträchtlich gestiegener Herstellungs- und Importkosten nie erhöht worden sei und dass das Präparat auch beim neuen Preis immer noch billiger sei als z.B. in Deutschland und England. Mit Verfügung vom 20. Dezember 1979 lehnte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) das Gesuch ab. Zur Begründung führte es aus, die allgemeine Kosten- und Umsatzentwicklung im Heilmittelbereich gestatte bei den nach 1974 in die Spezialitätenliste aufgenommenen Präparaten vorderhand keine Preiserhöhung; Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel seien vorliegend nicht gegeben; die Verhältnisse vor der Aufnahme in die Spezialitätenliste könnten dabei nicht berücksichtigt werden; im übrigen werde auf Preiserhöhungsbegehren frühestens nach zwei Jahren, d.h. hier im Herbst 1980 eingetreten.
B.-
Gegen diese Verfügung erhob die Firma Beschwerde mit dem Antrag, der Preis sei mit Wirkung ab 15. März 1980 auf Fr. 8.50 zu erhöhen. Dazu machte sie geltend, das BSV stelle zu Unrecht gesamtwirtschaftliche Überlegungen an; sodann sei seine Praxis unhaltbar, wonach ein Begehren um Preiserhöhung erst zwei Jahre nach der Aufnahme in die Spezialitätenliste bzw. seit der letzten Preiserhöhung eingereicht werden könne; FORTALGESIC Supp. sei auch bei einem Preis von Fr. 8.50 wirtschaftlich.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erklärte sich das BSV dazu bereit, den Preis im Sinne einer Ausnahme im Einzelfall ab 15. September 1980 auf Fr. 8.-- zu erhöhen. Die Firma hielt jedoch an ihrem Antrag fest.
Mit Entscheid vom 13. November 1980 hiess das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) die Beschwerde teilweise gut und setzte den Preis auf Fr. 8.-- fest.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Firma, es sei das ursprünglich gestellte Begehren um Preiserhöhung auf Fr. 8.50 vollumfänglich gutzuheissen. Das EDI beantragt die Überweisung der Akten an den Bundesrat zwecks Meinungsaustausches über die Zuständigkeit; eventualiter sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) In seiner Vernehmlassung macht das EDI geltend, bei seinem Entscheid, der bloss die Frage einer Preiserhöhung für ein
BGE 109 V 197 S. 200
bereits in der Spezialitätenliste befindliches Arzneimittel betreffe, handle es sich um eine Verfügung über einen Tarif im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
. Demzufolge stehe nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht, sondern gemäss
Art. 72 lit. a VwVG
die Beschwerde an den Bundesrat offen.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 99 lit. b OG
, der im hier interessierenden Zusammenhang mit
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
übereinstimmt, stellt ein Tarif in der Regel ein System oder Gefüge von Entgeltleistungen dar, deren Abstufung nicht notwendigerweise nach dem "Wert" der entgegenstehenden Dienstleistung, sondern nach andern - sozialen, politischen, technischen - Gesichtspunkten erfolgen kann, die dem einzelnen Bürger unter Umständen schwer zugänglich sind und wo der verfügenden Behörde regelmässig ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht (
BGE 103 Ib 318
, vgl. auch
BGE 100 Ib 330
). Tarifcharakter wurde beispielsweise angenommen bei Prämien- und Beitragstarifen der Sozialversicherung (
BGE 97 V 69
Erw. bb), bei einem Mensatarif (
BGE 100 Ib 330
), bei Krankenkassen-Taxordnungen gemäss
Art. 22 und 22bis KUVG
(
BGE 100 V 3
, RSKV 1979 Nr. 375 S. 168), beim Gebührenreglement zum Giftgesetz (
BGE 101 Ib 72
), bei Regalgebühren für Fernsehempfangskonzessionen (
BGE 101 Ib 464
), beim Flugpreistarif (
BGE 102 Ib 305
Erw. 3), bei Preiszuschlägen auf Speiseölen und Speisefetten (
BGE 104 Ib 416
Erw. 1b) sowie bei Tarifverträgen zwischen Krankenkassen und Apothekern usw. nach
Art. 22quater Abs. 5 KUVG
(unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 7. Januar 1976). Allerdings sind nach Art. 99 lit. b und 129 Abs. 1 lit. b OG Verwaltungsgerichtsbeschwerden nur unzulässig gegen Verfügungen, welche den Erlass oder die Genehmigung eines Tarifs als Ganzes zum Gegenstand haben (BGE
BGE 104 Ib 416
Erw. 1b mit Hinweis) oder wenn unmittelbar einzelne Tarifbestimmungen angefochten werden (
BGE 101 Ib 72
mit Hinweis). Entscheidend dafür ist, dass die Gesichtspunkte, welche der Strukturierung eines Tarifs zugrunde liegen, als schwer oder nicht justiziabel betrachtet werden (
BGE 103 Ib 318
f.,
BGE 102 Ib 305
Erw. 3). Hingegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen gegen Verfügungen, welche in Anwendung eines Tarifs im Einzelfall ergangen sind; dabei kann das Gericht aber nicht den Tarif als Ganzes mit all seinen Positionen und ihrem gegenseitigen Verhältnis überprüfen, sondern nur die
BGE 109 V 197 S. 201
konkret angewandte Tarifposition (
BGE 104 Ib 416
Erw. 1b mit Hinweis).
c) Die angefochtene Verfügung müsste als Verfügung über einen Tarif im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
betrachtet werden, wenn die Spezialitätenliste ihrerseits einen (Preis-)Tarif enthielte und wenn vorliegend eine Einzelposition dieses Tarifs geregelt worden wäre. Einer solchen Annahme steht aber entgegen, dass die Spezialitätenliste nicht dazu bestimmt ist, Preise im Arzneimittelbereich verbindlich festzusetzen. Für die Aufnahme eines Medikaments in die Spezialitätenliste und für ein Verbleiben darin sind verschiedene Kriterien massgebend, so das medizinische Bedürfnis, die Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit in bezug auf Wirkung und Zusammensetzung sowie die Wirtschaftlichkeit (Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 lit. a Vo VIII über die Krankenversicherung vom 30. Oktober 1968). Dabei bildet die Frage des Preises bloss einen Teilaspekt der Wirtschaftlichkeit eines Medikaments und dient im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung als Teilkriterium dafür, ob die Aufnahme in die Spezialitätenliste erfolgen kann (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 Vo VIII, Art. 6 Abs. 1 und 2 Vf 10 des EDI über die Krankenversicherung betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste vom 19. November 1968). Mit andern Worten geht es nicht um die amtliche Festsetzung eines bestimmten (Höchst-)Preises, sondern darum, ob der vom Gesuchsteller vorgesehene Preis einer Aufnahme in die Spezialitätenliste entgegensteht oder nicht. Dies ergibt sich deutlich aus
BGE 102 V 79
Erw. 2 in fine, wo das Vorliegen einer blossen Preiskontrolle verneint wurde mit dem Hinweis, dass es "über Sinn und Zweck des Erfordernisses der Wirtschaftlichkeit" hinausginge, wenn "die Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste davon abhängig zu machen wäre, dass der Preis des Präparates ausschliesslich nach Massgabe der Gestehungskosten zuzüglich einer angemessenen Gewinnmarge festgesetzt" werden müsste (vgl. auch
BGE 108 V 141
Erw. 7a). Dass der Preis keine Tarifposition im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
, sondern einen blossen Teilaspekt der Wirtschaftlichkeit darstellt, folgt auch deutlich aus der Umschreibung der Wirtschaftlichkeit in Art. 6 Abs. 1 und 2 Vf 10 und der Rechtsprechung dazu (
BGE 108 V 141
Erw. 7a).
d) Das EDI hält in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde dafür, es gehe im vorliegenden Fall nicht um die Preisgestaltung unter dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit,
BGE 109 V 197 S. 202
sondern allein um eine Preiserhöhung, d.h. um die Neufestsetzung des Preises. Bei der Spezialitätenliste handle es sich in gleicher Weise wie bei der Arzneimittelliste und der Analysenliste (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a und c Vo VIII) um Tarife, wofür Art. 22quater Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 12 Abs. 6 KUVG
die gemeinsame gesetzliche Grundlage bilde. Dabei beruft sich das EDI auf eine - allerdings nicht näher spezifizierte - Sichtung der Gesetzesmaterialien zu
Art. 22quater Abs. 1 KUVG
sowie darauf, dass auch bei BONER/HOLZHERR (Die Krankenversicherung, 1969, S. 85 f.) hinsichtlich aller drei Listen von Tarifen gesprochen werde.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Der Tarifbegriff in der Marginalie zu
Art. 22quater KUVG
muss sich nicht notwendigerweise mit demjenigen in
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
decken. Daher kann offenbleiben, ob zu den in
Art. 22quater Abs. 1 KUVG
erwähnten "Tarifen" auch die Spezialitätenliste gehört oder ob die genannte Bestimmung neben der Analysenliste mit Tarif lediglich noch die Arzneimittelliste mit Tarif erfasst. Für die zweite Lösung sprechen die Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft vom 5. Juni 1961. Danach war mit der Krankenversicherungsnovelle vorgesehen, einerseits bei der Auswahl der Arzneimittel am bisherigen Listensystem (Arzneimittelliste mit Tarif, Spezialitätenliste) festzuhalten und anderseits in
Art. 22quater Abs. 1 KUVG
(im damaligen Entwurf: Art. 22bis Abs. 1) die Arzneimittelliste und die Analysenliste ( jeweils mit Tarif) zu regeln (BBl 1961 I 1426, 1469, 1486 und 1493).
Selbst wenn der Spezialitätenliste ein tarifähnlicher Charakter beizumessen wäre, könnte dies nicht zu einem andern Ergebnis führen. Ein Verfahren um Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste bzw. um Streichung daraus betrifft regelmässig eine oder mehrere Voraussetzungen nach Art. 4 Abs. 1 Vo VIII und Art. 4 ff. Vf 10 (medizinisches Bedürfnis, Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit). Geht es um die Frage der Preisgestaltung, so haben die Verwaltung bzw. bei einer Beschwerde die Rechtspflegeinstanzen in jedem Fall das gesetzliche Gebot wirtschaftlicher Behandlung (
Art. 23 KUVG
) zu beachten, das auch im Bereich der Spezialitätenliste Anwendung findet (
BGE 108 V 147
). Ein Streit um die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels hat daher ex lege als justiziabel zu gelten. Dies trifft auch dann zu, wenn - wie hier - bloss eine Verfügung über eine Preiserhöhung angefochten wird; auch in diesem Fall gilt - wie das EDI in seinem Entscheid an sich zu Recht ausführt - das Erfordernis der
BGE 109 V 197 S. 203
Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels (vgl. Erw. 3 hernach). Eine Preiserhöhung erfolgt denn auch nicht ausschliesslich nach starren schematischen Gesichtspunkten, sondern hat gegebenenfalls die besonders gelagerten Umstände eines einzelnen Arzneimittels zu berücksichtigen (vgl. Erw. 5 hernach).
Würde im Sinne der Vernehmlassung des EDI entschieden, hätte dies eine Gabelung des letztinstanzlichen Rechtsweges zur Folge: für Preiserhöhungsfälle einschliesslich der damit verbundenen Wirtschaftlichkeitsprüfung wäre der Bundesrat zuständig, während in allen andern Fällen (Prüfung der Aufnahme bzw. Streichung von Arzneimitteln nach allen Gesichtspunkten samt Wirtschaftlichkeit) die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht offenstünde. Eine solche Lösung wäre unpraktikabel und sachlich nicht begründet. Denn die Frage der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels lässt sich auch bei reinen Preiserhöhungsverfahren zuweilen nicht ohne Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Stellungnahmen zu Wirksamkeit und Tagesdosis im Vergleich zu andern Arzneimitteln (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. a und b Vf 10) beantworten (nicht veröffentlichte Erw. 4 des Urteils Unipharma S.A. vom 4. Februar 1983,
BGE 109 V 191
). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ohne Weiterungen einzutreten.
e) Da nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen streitig ist, hat das Eidg. Versicherungsgericht den vorinstanzlichen Entscheid nur hinsichtlich der Rüge der Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber auf Angemessenheit zu prüfen; an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts ist das Gericht nicht gebunden (Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 1 OG
;
BGE 108 V 132
Erw. 1).
3.
(Vgl.
BGE 109 V 193
Erw. 2b.)
4.
a) Die Vorinstanz hat die Verfügung des BSV vom 20. Dezember 1979 zum einen mit dem Hinweis auf die sogenannte "2-Jahres-Frist" (auch "Stillhaltefrist" bzw. "Präklusivfrist" genannt) in Ziff. 5.3 der bundesamtlichen "Weisungen betreffend Einreichung von Aufnahmegesuchen in die Spezialitätenliste" (gültig ab 15. November 1979) bestätigt. Danach können Begehren um Preiserhöhung erst nach Ablauf von zwei Jahren seit der Aufnahme des Arzneimittels in die Spezialitätenliste oder seit der letzten Preiserhöhung eingereicht werden; vor Ablauf dieser Frist werde auf solche Gesuche nicht eingetreten. Unter Berücksichtigung
BGE 109 V 197 S. 204
der Verfahrensdauer nach Einreichung eines Begehrens bedeutet dies, dass eine Preiserhöhung grundsätzlich erst nach Ablauf von rund zweieinhalb Jahren in Kraft treten kann. Die Vorinstanz betrachtet die 2-Jahres-Frist grundsätzlich als zulässig mit der Ergänzung, es solle dort, "wo es die besonderen Umstände, wie krasse Verletzung des Rechtsgleichheits- oder Verhältnismässigkeitsprinzips und dergleichen, verlangen, auf die spezielle Situation eines Einzelfalles eingetreten werden". Ferner fügt die Vorinstanz bei: "Die Stillhaltefrist schliesst aber richtigerweise aus, dass Präparate zu einem niedrigen Preis in die Spezialitätenliste aufgenommen und kurz darauf erhöht werden; dies käme einer Umgehung der Wirtschaftlichkeitsklausel gleich. Den Herstellern darf im übrigen zugemutet werden, den Preis so festzusetzen, dass er bei normalen Verhältnissen während mindestens zweier Jahre stabil gehalten werden kann."
b) Sodann unterscheidet die Vorinstanz hinsichtlich der materiellen Preiserhöhung zwei Varianten:
aa) Sie anerkennt sinngemäss das vom BSV im Einvernehmen mit der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (bzw. deren Ausschuss für Preisfragen) ausgearbeitete und den interessierten Firmen zugestellte Modell betreffend "Preiserhöhungsgesuche für Präparate der Spezialitätenliste per 15. September 1980" (allgemeine Orientierung vom Mai 1980). Darin werden zum Ausgleich der inflationsbedingten Kostensteigerungen die maximal zulässigen Preiserhöhungen in bestimmten Prozentsätzen festgelegt, und zwar abhängig vom Jahr der Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste bzw. vom Jahr der letzten Preiserhöhung. Für 1978 beträgt der erwähnte Ansatz 4%. In diesem Umfange bewilligte die Vorinstanz für das streitige, auf den 15. September 1978 in die Spezialitätenliste aufgenommene Präparat FORTALGESIC Supp. schon vor Ablauf der erwähnten rund zweieinhalb Jahre im Sinne der vom BSV vorgeschlagenen "ganz ausnahmsweisen Erledigung eines Einzelfalles im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens" (Vernehmlassung vom 29. April 1980 an die Vorinstanz) eine Preisanpassung, was aber nur zu einer Erhöhung auf Fr. 8.-- und nicht - wie verlangt - auf Fr. 8.50 führte.
bb) Ferner weist die Vorinstanz darauf hin, dass keine konkreten fallspezifischen Gesichtspunkte für die verlangte (vollumfängliche) Preiserhöhung vorgebracht worden seien. Eine Berufung auf die sogenannte 25%-Klausel, wonach ein ausländisches Präparat in der Schweiz höchstens 25% teurer sein darf als im
BGE 109 V 197 S. 205
Ursprungsland (
BGE 108 V 144
Erw. 8, insbesondere 147 Erw. 8b), falle ausser Betracht, weil FORTALGESIC Supp. im Herstellerland Frankreich gar nicht im Handel sei.
5.
a) Die Beschwerdeführerin verzichtet im vorliegenden Verfahren ausdrücklich darauf, die Berechtigung des BSV zur schematischen Festlegung von Erhöhungssätzen und die Frage der materiellen Richtigkeit der Modellrechnungen zur Diskussion zu stellen, wenngleich sie dieses Vorgehen als unrichtig bezeichnet. Sie beanstandet lediglich noch, "dass das Amt eine Präklusivfrist von zwei Jahren anwendet, für die Zubilligung der Preiserhöhung lediglich den Zeitraum 1978-1980 berücksichtigt und ferner selbstgestaltend in die Preisbildung eingreift, ohne das Kriterium der Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen".
b) Bezüglich der 2-Jahres-Praxis beruft sich die Beschwerdeführerin auf das Gutachten von RHINOW (Preisaufsicht des Bundes bei Arzneimitteln, Wirtschaft und Recht [WuR] 33/1981 S. 1 ff.) und macht geltend, diese Frist sei unter den als abschliessend zu bezeichnenden Kriterien der Wirtschaftlichkeit gemäss Vo VIII und Vf 10 nicht enthalten und entbehre daher der Rechtsgrundlage (a.a.O. S. 47). Auch seien die Überlegungen der Vorinstanz zur Verteidigung dieser Stillhaltefrist nicht stichhaltig. Eine Preiserhöhung schon kurze Zeit nach der Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste könne nicht zur Umgehung der Wirtschaftlichkeitsklausel führen, weil es die Verwaltung kraft eben dieser Klausel ja in der Hand habe, eine unwirtschaftliche Preiserhöhung zu verhindern. Anderseits dürfe auch nicht argumentiert werden, den Herstellern sei es zuzumuten, den Preis so festzusetzen, dass er während zweier Jahre stabil gehalten werden könne, weil die rigorose Handhabung der Wirtschaftlichkeitsprüfung den Einbau einer solchen "Reserve" in die Preise ausschliesse. Tatsächlich würde die Zulassung eines solchen "Polsters" den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verletzen, wogegen eine Preiserhöhung innert einer starren Frist von zwei Jahren nicht versagt werden dürfe, wenn das Präparat wirtschaftlich bleibe.
Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass für die 2-Jahres-Klausel in Gesetz, Vo VIII und Vf 10 keine ausdrückliche Grundlage besteht und dass auch die von der Vorinstanz dafür vorgebrachte materielle Begründung nicht stichhaltig ist. Wesentlich ist jedoch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich dass die Verwaltung vor missbräuchlicher Inanspruchnahme durch wiederholte, jeweils mit grossen Umtrieben verbundene Begehren um Neuüberprüfung
BGE 109 V 197 S. 206
der Wirtschaftlichkeit bei Preiserhöhungen geschützt werden soll. Insofern stellt sich hier das gleiche Problem wie bei der Revision einer laufenden Invalidenrente der Invalidenversicherung oder einer Hilflosenentschädigung nach
Art. 41 IVG
. Für diese Fälle sieht allerdings
Art. 87 Abs. 3 IVV
eine ausdrückliche Eintretensvoraussetzung vor ("Im Revisionsgesuch ist glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder der Hilflosigkeit des Versicherten in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat"), während es sich bei der streitigen 2-Jahres-Klausel um eine blosse Verwaltungspraxis zu Art. 5 Abs. 1 Vo VIII handelt. Jedoch ist zu beachten, dass der Verwaltung bei der Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht. Dessen Grenzen versucht die Vorinstanz mit dem Hinweis abzustecken, "Grundschema und Frist" dieser Klausel könnten "nicht ausschliessliche Geltung beanspruchen"; vielmehr solle, "wo es die besonderen Umstände, wie krasse Verletzung des Rechtsgleichheits- oder Verhältnismässigkeitsprinzips und dergleichen, verlangen, auf die spezielle Situation eines Einzelfalles eingetreten werden". Diesen Überlegungen ist grundsätzlich beizupflichten. Hingegen drängt sich - in Anlehnung an
Art. 87 Abs. 3 IVV
- eine generellere Formel auf: In Preiserhöhungsbegehren, die vor Ablauf der 2-Jahres-Frist gestellt werden bzw. über die generellen Erhöhungen gemäss jeweiligem Schema des BSV hinausgehen, ist glaubhaft zu machen, dass die Sachlage im konkreten Einzelfall eine ausserordentliche Veränderung erfahren hat.
c) Des weitern ist zu prüfen, ab welchem Zeitpunkt die 2-Jahres-Frist zu berechnen ist. BSV und Vorinstanz halten - gemäss Ziff. 5.3 der bundesamtlichen Weisungen - grundsätzlich das Datum der Eintragung in die Spezialitätenliste (hier: 15. September 1978) für massgebend. Die Beschwerdeführerin vertritt demgegenüber den Standpunkt, es sei vom Einführungsjahr des Präparates in der Schweiz (1971) und vom seither unverändert gebliebenen Preis von Fr. 7.70 auszugehen, was nach dem bundesamtlichen Preiserhöhungsmodell vom Mai 1980 (vgl. Erw. 4b/aa hievor) einen Preisaufschlag von 20% (Ansatz für 1971 in die Spezialitätenliste aufgenommene Arzneimittel) ermöglichen würde, während aber effektiv nur ein solcher von 10,3% verlangt werde (von Fr. 7.70 auf Fr. 8.50).
Es liegt in der Natur der Sache, dass das Jahr der Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste bzw. dasjenige der letzten
BGE 109 V 197 S. 207
Preiserhöhung entscheidend sein muss. Wenn in jenem Zeitpunkt der unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit als Voraussetzung für die Aufnahme in die Spezialitätenliste bzw. für das Verbleiben darin zulässige Preis festgesetzt worden ist, so darf davon ausgegangen werden, dass er auch für die Hersteller- oder Vertriebsfirma annehmbar ist. Eine Preisanpassung über einen allfälligen generellen Zuschlag gemäss Preiserhöhungsmodell hinaus käme darum nur in Betracht bei einer zusätzlichen ausserordentlichen Änderung der Verhältnisse im konkreten Fall.
d) Den im Preiserhöhungsmodell vom Mai 1980 vorgesehenen generellen Zuschlag von 4% hat die Vorinstanz der Beschwerdeführerin mit dem Preis von Fr. 8.-- bereits zugestanden. Ausserordentliche Veränderungen seit September 1978, welche bei FORTALGESIC Supp. eine zusätzliche Preiserhöhung unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit rechtfertigen würden, vermag die Beschwerdeführerin nicht geltend zu machen. Der Hinweis auf höhere Preise in Deutschland und England ändert daran nichts. Die dort möglichen Preise sind für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit in der Schweiz ohne Bedeutung (
BGE 108 V 149
f.).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b3bc5fc-72c3-4e55-b9dd-ca66ecacbbb7 | Urteilskopf
84 IV 50
17. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1958 i.S. Fischer gegen Statthalteramt Zürich. | Regeste
1. Art. 3 MFG. Wann ist die Verurteilung wegen Verletzung kantonaler Verkehrsvorschriften bundesrechtswidrig?
2. BRB vom 3. März 1953 über die Einführung neuer Strassensignale. Das Anbringen des in Art. 16 dieses BRB beschriebenen Signals ist nicht Bedingung für die Gültigkeit des Signals Nr. 17 der Verordnung über die Strassensignalisation. | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 84 IV 50 S. 50
A.-
Fischer steuerte am 23. September 1957 gegen 14.50 Uhr ein Personenauto auf der Seestrasse durch Zollikon Richtung Zürich. Am Ende der Rechtskurve beim Traubenberg geriet der Wagen auf der nassen Strasse ins Schleudern. Er prallte gegen einen Beleuchtungskandelaber, dann gegen eine Gartenmauer und kam schliesslich,
BGE 84 IV 50 S. 51
nachdem er sich um 180 Grad gedreht hatte, ca. 32 m von der ersten Kollisionsstelle entfernt zum Stehen. Vor der Rechtskurve waren das Signal "Schleudergefahr" (Art. 6 des BRB über die Einführung neuer Strassensignale vom 3. März 1953) und ein Signal, das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 40 km/Std beschränkte (Nr. 17 SigV), aufgestellt.
B.-
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich verurteilte am 20. Februar 1958 Fischer in Anwendung des Art. 25 MFG und § 15 der kantonalen Signalisationsverordnung vom 30. April 1953 zu einer Busse von Fr. 30.-. Der Einzelrichter stellte fest, dass Fischer im Zeitpunkt des Unfalles mit mehr als 50 km/Std gefahren ist.
Die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die der Gebüsste gegen dieses Urteil einreichte, wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 12. Juni 1958 abgewiesen.
C.-
Fischer führt Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, er sei freizusprechen. Er macht geltend, die Signalisierung habe den eidgenössischen Vorschriften nicht entsprochen. Weder habe eine unter dem Signal "Schleudergefahr" angebrachte Zusatztafel im Sinne des Art. 15 Abs. 3 des BRB vom 3. März 1953 die Länge der Strecke angegeben, auf der die angezeigte Gefahr auftrete, noch sei das Ende der Strecke, auf der die Geschwindigkeitsbeschränkung zu beachten gewesen sei, durch das in Art. 16 des erwähnten BRB vorgeschriebene Signal (weisse Tafel mit schwarzem Querbalken) angezeigt worden. Er habe daher annehmen dürfen, die beiden Signale bezögen sich nur gerade auf die Rechtskurve, und es könne ihm infolgedessen nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er nach der Kurve die Geschwindigkeit gesteigert habe.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer hat die Vorschrift des Art. 25 Abs. 1 MFG verletzt, weil er sein Fahrzeug nicht
BGE 84 IV 50 S. 52
beherrschte. Dass der Wagen auf das Trottoir geriet und nacheinander an einen Kandelaber und an eine Gartenmauer prallte, beweist, dass Fischer die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren hat. Aus diesem Grunde hätte er sich bundesrechtlich auch strafbar gemacht, wenn die Schleudergefahr nicht durch ein entsprechendes Signal angezeigt worden wäre. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe das Signal so verstanden, dass es sich nur auf die Kurve selbst beziehe, und die Schleuderbewegung sei erst ausgangs der Kurve eingetreten, ist daher unbehelflich. Er hätte, wie die kantonalen Gerichte feststellen, als erfahrener Automobilist erkennen können, dass die Schleudergefahr angesichts der spiegelglatten Teerfläche auch nach der Kurve fortbestand.
2.
Das Signal, das die Höchstgeschwindigkeit auf 40 km/Std beschränkte, hat die Bedeutung einer örtlichen Verkehrsregelung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 MFG. Der Führer, der es missachtet, übertritt nicht Bundesrecht und ist nicht nach Art. 58 MFG, sondern nach kantonalem Recht zu bestrafen (
BGE 78 IV 186
). Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Bestrafung wegen Widerhandlung gegen eine solche kantonale Vorschrift jedoch voraus, dass die Verkehrsbeschränkung kundgemacht und für denjenigen, der sie nicht kennt, durch ein den eidgenössischen Bestimmungen über die Strassensignalisation entsprechendes Signal angezeigt worden ist. Die Verurteilung wegen Verletzung kantonaler Verkehrsvorschriften kann daher als bundesrechtswidrig angefochten werden, wenn die Widerhandlung darauf zurückzuführen ist, dass der Verurteilte wegen Fehlens eines Signales oder wegen vorschriftswidriger Signalisierung irregeführt worden ist (
BGE 80 IV 46
).
Dass die zur Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit verwendete Tafel nicht dem Signal Nr. 17 der SigV entsprochen habe, behauptet der Beschwerdeführer selber nicht. Die Rüge aber, das Ende der Strecke, auf der die Geschwindigkeitsbeschränkung zu beachten gewesen sei,
BGE 84 IV 50 S. 53
hätte durch das in Art. 16 des BRB vom 3. März 1953 beschriebene Signal bezeichnet werden müssen, ist nicht begründet. Das Anbringen dieses Signals ist nicht Bedingung für die Gültigkeit des Signals Nr. 17. Art. 16 des BRB vom 3. März 1953 schreibt bloss vor, dass zur Bezeichnung des Endpunktes der Strecke, auf der die Höchstgeschwindigkeit beschränkt wird, einheitlich die weisse Tafel mit dem schwarzen Querbalken zu verwenden, d.h. dass die Verwendung eines andern Zeichens nicht gestattet sei. Die Vorschrift sagt aber nicht, dass jedes Mal, wenn das Signal Nr. 17 aufgestellt werde, auch das Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung signalisiert werden müsse. Wo ein solches fehlt, ist es Sache des Fahrzeugführers, den Ort festzustellen, von dem an die Geschwindigkeitsbeschränkung vernünftigerweise nicht mehr gelten kann. Im allgemeinen ist der Grund für die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit aus der Natur der örtlichen Verhältnisse (Ortschaften, Verengung oder Bodenbeschaffenheit der Strasse, Baustellen usw.) und damit auch die Stelle, wo er zu bestehen aufhört, ohne weiteres erkennbar. Im vorliegenden Fall war der Grund der Geschwindigkeitsbeschränkung durch das am gleichen Ort aufgestellte Signal "Schleudergefahr" kenntlich gemacht, und dass diese nicht bloss in der Kurve selber bestand, sondern auch noch im unmittelbar angrenzenden Strassenstück, war aus der Beschaffenheit der Strasse ersichtlich. Davon abgesehen hat Fischer nach der Feststellung der kantonalen Gerichte die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit schon in der Kurve überschritten.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b3c9f24-56bb-4646-b166-8e19d3a711d9 | Urteilskopf
99 Ib 215
26. Auszug aus dem Urteil vom 3. August 1973 i.S. BP Benzin & Petroleum AG, Esso (Schweiz) und Shell Switzerland gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. | Regeste
Aufschiebende Wirkung der Verwaltungsbeschwerde (Art. 55 VwG). Preisüberwachung (BB vom 20. Dezember 1972).
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung. Legitimation, Erfordernis der Beschwer (Erw. 3).
2. Wann hat eine Verfügung eine Geldleistung zum Gegenstand, im Sinne von Art. 55 Abs. 2 VwG? (Erw. 4).
3. Ob einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen ist, hat die zuständige Behörde in Abwägung der Interessen zu prüfen. Dabei fallen die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache nur ins Gewicht, wenn sie eindeutig sind (Erw. 5 und 6 a).
4. Interessenabwägung auf dem Gebiet der Preisüberwachungsmassnahmen (Erw. 6 b). | Sachverhalt
ab Seite 216
BGE 99 Ib 215 S. 216
A.-
Der Bundesbeschluss vom 20. Dezember 1972 über die Überwachung der Preise, Löhne und Gewinne ermächtigt den Bundesrat, die Entwicklung der Preise von Waren und Dienstleistungen zu überwachen (Art. 1 Abs. 1). Er sieht vor: die Aufnahme von Gesprächen zwischen dem Beauftragten und den betreffenden Kreisen, die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften und Vorlage von Unterlagen, die Herabsetzung ungerechtfertigt erhöhter Preise und die Bewilligungspflicht für weitere Erhöhungen (Art. 3). Für den Vollzug erklärt er den Bundesrat zuständig; dieser kann die ihm zustehenden Befugnisse einem Beauftragten übertragen, der dem Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) unterstellt ist (Art. 13 Abs. 1).
Die am 10. Januar 1973 vom Bundesrat über den gleichen Gegenstand erlassene Verordnung bestimmt in Art. 7:
"Ungerechtfertigte Preiserhöhungen im Sinne von Artikel 3 des Bundesbeschlusses liegen vor, wenn die Preise in missbräuchlicher Ausnützung eines auf einem bestimmten Markte vorhandenen Ungleichgewichtes zwischen Angebot und Nachfrage oder aufgrund
BGE 99 Ib 215 S. 217
übersetzter Entlöhnungen festgesetzt werden oder wenn ein offensichtlich unangemessener Ertrag aus dem Verkauf der Ware oder der Erbringung einer Dienstleistung erzielt wird."
B.-
Der vom Bundesrat ernannte Beauftragte hat am 1. Juni 1973 die von elf Firmen auf den 21. Mai 1973 und später vorgenommene Erhöhung der Verkaufspreise um 1 bis 3 Rappen für 1 Liter Benzin aufgehoben. Er hat ferner künftige Preiserhöhungen der Bewilligungspflicht unterstellt, auf die geltenden Strafbestimmungen verwiesen und allfälligen Beschwerden die aufschiebende Wirkung entzogen.
Seiner Verfügung liegen im wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die elf angesprochenen, sog. integrierten Unternehmen hätten über ihre Muttergesellschaften unmittelbaren Zugang zu den Erdölquellen. Seit Herbst 1972 habe sich die Lage auf dem freien Benzinmarkt so geändert, dass die Preise für Petroleumprodukte stark gestiegen seien, zumindest für die nicht-integrierten Unternehmen. Die Preiserhöhungen um einen Rappen von Mitte April 1973 erschienen deshalb nicht ungerechtfertigt, im Gegensatz zu denen der integrierten Unternehmen von Ende Mai. Diese Unternehmen hingen nicht im selben Masse wie die andern von den Veränderungen des freien Marktes ab und ihr Verteilapparat sei vielfach übersetzt. Weil die Massnahmen zur Überwachung der Preise unverzüglich in Kraft treten müssten, um rasch wirksam zu werden, werde einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen; die Verfügung habe nicht unmittelbar eine Geldleistung zum Gegenstand.
C.-
Acht von den elf durch die Verfügung berührten Unternehmen haben dagegen beim EVD Beschwerde eingelegt. Sieben haben die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung verlangt. Das EVD hat dieses Gesuch am 5. Juli 1973 mit folgender Begründung abgelehnt: Art. 55 Abs. 2 VwG stelle sich im vorliegenden Falle einem Entzug des Suspensiveffektes nicht entgegen, weil die angefochtene Verfügung keine Geldleistung im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand habe. Die Frage einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hingegen entscheide sich auf Grund einer Abwägung der in Frage stehenden Interessen: Einerseits könnten sich die Rekurrentinnen nur in beschränktem Masse auf die Verteuerung des Benzinpreises auf dem freien Markte berufen, denn dieser Zustand entspringe
BGE 99 Ib 215 S. 218
teilweise einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Anderseits sei der Entzug des Suspensiveffektes im Rahmen der gesamten Inflationsbekämpfung zu werten. Aufgrund dieser letzteren Überlegung müsse das Wiederherstellungsbegehren abgewiesen werden.
D.-
Die drei Unternehmen BP AG, Esso (Schweiz) und Shell Switzerland führen gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerden sei wiederherzustellen.
Die Firma BP AG behauptet, sie sei von einer starken Verteuerung der Ware betroffen, die auf dreierlei beruhe: einmal auf der starken Zunahme von amerikanischen und japanischen Käufen auf dem europäischen Markt, dann auf der Einschränkung des Angebots seitens der erdölproduzierenden OPEC-Länder und schliesslich auch auf dem Kostenanstieg der Hochseefrachten. Sie macht geltend, dass sie ungeachtet der Dollarabwertung gegenwärtig einen Verlust von über 1 Million Franken im Monat erleide und dass sie im Vergleich mit nicht-integrierten Unternehmen, die ihre Preise frei festsetzen könnten, rechtsungleich behandelt werde. Art. 7 der Verordnung vom 10. Januar 1973 sei daher in ihrem Falle nicht anwendbar. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung sei nur in besonders ausgeprägten Gefährdungssituationen zulässig, was in ihrem Fall nicht zutreffe. Art. 55 Abs. 2 VwG schliesse den angeordneten Entzug aus, weil die angefochtene Verfügung im Grunde genommen eine Geldleistung zum Gegenstand habe.
Die zwei andern Beschwerdeführerinnen stützen sich im wesentlichen auf ähnliche Gründe.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
...
2.
Die angefochtene Verfügung ist von einem eidg. Departement getroffen worden und bildet einen Zwischenentscheid in einer Sache, in der gegen die Endverfügung die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist. Kraft
Art. 98 lit. b OG
und - e contrario -
Art. 101 lit. a OG
unterliegt sie ebenfalls dieser Beschwerde.
3.
Eine auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Beschwerde ist gegenstandslos, wenn die den
BGE 99 Ib 215 S. 219
Entzug dieser Wirkung anordnende Verfügung die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht zu seinem Nachteil verändert hat. Im vorliegenden Fall ist also auf die Beschwerde nur einzutreten, wenn die Verfügung des Beauftragten den Beschwerdeführerinnen einen Vorteil entzogen hat, den sie zuvor genossen haben. Diese Bedingung ist erfüllt: Wie aus den Akten hervorgeht, haben die integrierten Unternehmen zwischen dem 21. und dem 31. Mai 1973 Preiserhöhungen in Kraft gesetzt, welche der Beauftragte untersagt hat; seine Verfügung vom 1. Juni 1973 dürfte den Adressaten ein oder zwei Tage später zugekommen sein. Die Beschwerdeführerinnen haben demnach wirklich - wenn auch bloss für kurze Zeit - aus ihrer Preiserhöhung Vorteil gezogen.
4.
Art. 55 Abs. 1 VwG verleiht einer Beschwerde, die an eine Behörde der Bundesverwaltung (z.B. ein Departement) gerichtet ist, aufschiebende Wirkung. Gemäss Absatz 2 kann jedoch die Vorinstanz in ihrer Verfügung einer allfälligen Beschwerde diese Wirkung entziehen, sofern die Verfügung nicht eine Geldleistung zum Gegenstand hat; nach Einreichung der Beschwerde steht diese Befugnis der Beschwerdeinstanz oder, wenn es sich um eine Kollegialbehörde handelt, ihrem Vorsitzenden zu. Art. 55 Abs. 3 VwG ermächtigt die Beschwerdeinstanz oder ihren Vorsitzenden, die von der Vorinstanz entzogene aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.
Wie aus Art. 55 Abs. 2 VwG hervorgeht, kann der Suspensiveffekt einer Beschwerde gegen eine Verfügung, die auf eine Geldleistung geht, auf keinen Fall entzogen werden. Im vorliegenden Fall ist also zu prüfen, ob die Verfügung des Beauftragten eine Geldleistung oder eine damit vergleichbare Leistung zum Gegenstand hat und ob deshalb die entzogene aufschiebende Wirkung wiederherzustellen ist. Diese Frage muss entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen verneint werden.
Art. 55 VwG entspricht Art. 50 des bundesrätlichen Entwurfes, der den unentziehbaren Suspensiveffekt der Beschwerde vorgesehen hatte, wenn diese "gegen die Verpflichtung zu einer vermögensrechtlichen Leistung" ("contre l'obligation d'effectuer une prestation pécuniaire") gerichtet war (BBl 1965 II S. 1387). Die vorgeschlagene Bestimmung meinte also ganz klar solche Verfügungen, die eine Verpflichtung auferlegen. Zu diesem Punkt hat kein Parlamentarier eine vom Standpunkt des
BGE 99 Ib 215 S. 220
Bundesrats abweichende Meinung vertreten, obwohl sonst im Laufe der Beratungen verschiedene Abänderungen des ursprünglichen Wortlautes beschlossen worden sind, wie z.B. im deutschen Text insbesondere die Ersetzung des Ausdruckes "vermögensrechtliche Leistung" durch das Wort "Geldleistung". Die Entstehungsgeschichte legt darum die Annahme nahe, dass eine im Sinne von Art. 55 Abs. 2 VwG auf eine Geldleistung gehende Verfügung dem Beschwerdeführer die Verpflichtung zu einer solchen Leistung auferlegt. Diese Auslegung entspricht auch der mutmasslichen ratio legis, nämlich der Überlegung, dem Beschwerdeführer die Zahlungspflicht einer Schuld zu ersparen, welche grundsätzlich und in ihrer Höhe noch nicht endgültig bestimmt ist. Sie rechtfertigt sich um so mehr, als die in Art. 55 Abs. 2 VwG aufgestellte Regelung einen grossen Teil ihrer Bedeutung verlöre, wenn sich die Ausnahme auf alle Geldleistungen bezöge, sowohl auf jene, die der Beschwerdeführer zu erbringen hat, wie auf jene, die ihm geschuldet sind. Schliesslich verleiht ebenso
Art. 111 Abs. 1 OG
derjenigen Verfügung einen Suspensiveffekt, "die zu einer Geldleistung verpflichtet" ("portant condamnation à une prestation en argent"), d.h. offensichtlich jener, die dem Beschwerdeführer eine Verpflichtung auferlegt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte besteht kein Grund, die Verfügung, welche laut Art. 55 Abs. 2 VwG "eine Geldleistung zum Gegenstand" hat, in einem andern Sinne zu verstehen, zumal Verwaltungsverfahrensgesetz und Organisationsgesetz zusammen die Verwaltungsrechtspflege des Bundes regeln und im Zweifel so angewendet werden müssen, dass sie miteinander übereinstimmen.
Im vorliegenden Fall verpflichtet die Verfügung des Beauftragten die Beschwerdeführerinnen nicht, eine Leistung zu erbringen, sondern sie hindert diese daran, Leistungen zu erhalten, auf die sie Anspruch erheben. Die Verfügung fällt also nicht unter die Ausnahme des Art. 55 Abs. 2 VwG, was bedeutet, dass der Entzug der aufschiebenden Wirkung nicht ausgeschlossen ist. Es bleibt zu prüfen, ob diese Massnahme aus zureichenden Gründen angeordnet worden ist oder ob der Suspensiveffekt wiederhergestellt werden muss.
5.
Art. 55 VwG bestimmt nichts über die Gründe des Entzugs und der Wiederherstellung des Suspensiveffektes. Obschon nach seinem Abs. 1 die aufschiebende Wirkung die Regel ist,
BGE 99 Ib 215 S. 221
heisst das doch nicht, nur ganz aussergewöhnliche Umstände vermöchten ihren Entzug zu rechtfertigen. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzestextes ergibt sich vielmehr, dass es Sache der nach Art. 55 VwG zuständigen Behörde ist, zu prüfen, ob die Gründe, welche für die sofortige Vollstreckbarkeit sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung angeführt werden können (Protokoll der nationalrätlichen Kommission, 4. Sitzung vom 6./7. September 1966, S. 31 f). Dabei verfügt die Behörde über einen gewissen Beurteilungsspielraum. Im allgemeinen wird sie ihren Entscheid auf den Sachverhalt gründen, der sich aus den vorhandenen Akten ergibt, ohne zeitraubende weitere Erhebungen anzustellen. Notwendigerweise verfährt das Bundesgericht gleich, wenn es die Beschwerde gegen die Zwischenverfügung zu beurteilen hat; es urteilt gewissermassen "prima facie". Bei der Abwägung der Gründe für und gegen die sofortige Vollstreckbarkeit können die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache nur ins Gewicht fallen, wenn sie eindeutig sind. (Vgl. zu den verschiedenen Punkten die folgenden Urteile: vom 25. März 1970 i.S. Thurgauischer Milchproduzentenverband, E. 4; vom 23. Juli 1971 i.S. Raisin, E. 2 und 3, und i.S. E. Zurlinden, E. 3; vom 14. Februar 1972 i.S. Milchgenossenschaft Schwadernau, E. 4;
BGE 98 V 222
).
6.
Beurteilt man die angefochtene Zwischenverfügung im Lichte dieser Grundsätze, ist sie nicht zu beanstanden.
a) Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens kann das Bundesgericht über den endgültigen Ausgang des Verfahrens noch kein Urteil fällen. Zwar betrifft der Streit auch Rechtsfragen, obwohl er hauptsächlich wirtschaftspolitischer Natur ist. Doch die Lösung der Rechtsprobleme hängt in grossem Masse von bestrittenen Tatsachen, ungewissen Voraussagen und Überlegungen zu anscheinend noch offenen Fragen ab; die Differenzen zwischen den amtlichen Feststellungen und den Vorbringen der Beschwerdeführerinnen können folglich nicht in einer ersten Prüfung geklärt werden. Unter diesen Umständen ist nicht von vornherein offensichtlich, dass die Anträge der Beschwerdeführerinnen in der Sache selbst gutzuheissen oder abzuweisen wären. Das Bundesgericht muss sich um so grössere Zurückhaltung auferlegen, als die Vorinstanz sich über die Hauptfrage noch nicht ausgesprochen hat; wenn es hiezu schon
BGE 99 Ib 215 S. 222
im Zwischenverfahren Stellung nähme, überginge es die Vorinstanz und liesse so die an sie gerichteten Beschwerden praktisch gegenstandslos werden.
b) Es verbleibt demnach die Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen.
Im allgemeinen fügt das Verbot von Preiserhöhungen den Verkäufern einen Nachteil zu. Es wäre höchstens anders, wenn die Erhöhung so stark wäre, dass sie den Käufer geradezu abschreckte; im vorliegenden Fall lässt indessen nichts auf eine solche Auswirkung der einige Tage in Kraft gewesenen Preiserhöhung schliessen. Ohne dass die Genauigkeit der angegebenen Zahlen überprüft werden müsste, kann als gesichert gelten, dass durch die Rückgängigmachung der Preiserhöhungen die Beschwerdeführerinnen einen beträchtlichen Gewinnausfall erleiden.
Doch dem Verlust der Verkäufer steht ein Gewinn der Käufer gegenüber. Es rechtfertigt sich dabei nicht, die Verminderung der Mittel der Verkäufer mit demjenigen Vorteil zu vergleichen, den die Verfügung des Beauftragten einem durchschnittlichen Konsumenten bringt. Vielmehr ist das Interesse der Gesamtheit der Konsumenten in Betracht zu ziehen. Die Auswirkungen der Verfügung des Beauftragten sind auch nicht für sich allein zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit den verschiedenen zur Teuerungsbekämpfung ergriffenen Massnahmen. Wenn den vorliegenden Beschwerden mit Rücksicht auf den geltend gemachten Gewinnausfall der Suspensiveffekt zuzuerkennen wäre, müsste es - abgesehen von aussergewöhnlichen Umständen - auch bei allen andern gegen ein Preiserhöhungsverbot gerichteten Beschwerden gleich gehalten werden; dadurch verlöre die Preisüberwachung grossenteils ihren Nutzen. Eine erst nach langwierigen Beschwerdeverfahren wirksame Preisherabsetzung hätte konjunkturpolitisch kaum einen Sinn.
So bedeutend das Interesse der Beschwerdeführerinnen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sein mag, es überwiegt doch nicht gegenüber dem der Gesamtheit der Konsumenten und dem der Allgemeinheit an der Wirksamkeit der zur Inflationsbekämpfung eingesetzten Mittel. Selbst wenn die sich gegenüberstehenden Interessen gleichwertig wären, könnte das Bundesgericht lediglich feststellen, dass das EVD die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung verweigern
BGE 99 Ib 215 S. 223
durfte, ohne den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum zu überschreiten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3b3fa231-6607-4708-98c2-0a7e8c4c9d81 | Urteilskopf
86 II 311
49. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 29 septembre 1960 dans la cause B. contre B. | Regeste
Art. 314 Abs. 2 ZGB
.
Gegenstand des Beweises und Verteilung der Beweislast.
Anwendung der Beweisregeln auf den Fall, dass der Dritte, der der Kindsmutter beigewohnt hat, sich nach kantonalem Prozessrecht weigern kann, sich einer Blutgruppenuntersuchung zu unterziehen, und von dieser Befugnis Gebrauch macht. | Sachverhalt
ab Seite 311
BGE 86 II 311 S. 311
A.-
Judith B. accoucha, le 12 septembre 1958, d'une fille qu'elle prénomma Thérèse-Sarah. Selon la déclaration de la sage-femme, l'enfant était née à terme, pesait 3 kg et mesurait 48 cm. Judith B. en attribua la paternité à Fernand B., bien qu'elle eût aussi entretenu des relations intimes avec le frère de celui-ci, Charles B.
B.-
La mère et l'enfant, ayant essuyé un refus, ont ouvert action. Le défendeur reconnut les relations, mais souleva l'exceptio plurium constupratorum; selon lui, son frère Charles avait encore cohabité avec la demanderesse le 1er décembre 1957, soit pendant la période critique. Ce dernier avoua des relations incomplètes et refusa de se soumettre à une analyse de son sang.
Par jugement du 11 mai 1959, le Tribunal de la Glâne a admis les demandes. Le Tribunal cantonal fribourgeois a rejeté l'action par arrêt du 15 mars 1960.
C.-
Les demanderesses recourent en réforme au Tribunal fédéral. L'intimé conclut au rejet du recours.
BGE 86 II 311 S. 312
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'intimé a reconnu avoir cohabité avec la mère durant la période critique. Sa paternité est donc présumée (art. 314 al. 1 CC). Il est toutefois constant que la mère a entretenu à la même époque des relations sexuelles avec le frère de l'intimé, Charles B. D'après la jurisprudence, la présomption cesse, car le commerce charnel avec un tiers est un fait permettant d'élever des doutes sérieux sur la paternité du défendeur (art. 314 al. 2 CC). Ce doute n'a pas été levé. Certes, la recourante prétend que les relations du 1er décembre 1957 furent incomplètes. Comme le relève la cour cantonale, cet argument n'est pas valable. La recourante affirme également que ses dernières règles datent de la mi-décembre. Elle se met ainsi en contradiction avec elle-même; elle prétendait en effet, en première instance, ne plus se souvenir si elle avait été indisposée en décembre; c'est dans la réponse au recours en appel qu'elle a recouvré la mémoire; la cour cantonale, en taisant le fait, l'a implicitement nié; cette constatation lie le Tribunal fédéral (art. 63 al. 2 OJ). L'arrêt attaqué conclut enfin du rapprochement entre les dates des relations et celle de la naissance que la paternité du tiers, vu le degré de développement de l'enfant, n'est pas hautement invraisemblable. Il ne restait donc plus aux recourantes qu'à tenter de prouver, par l'analyse du sang, que le frère du défendeur et intimé ne pouvait être le père de l'enfant. Elles ont échoué: Charles B. ne s'est pas prêté à cette expertise et les juges cantonaux ont estimé qu'ils ne pouvaient le contraindre (RO 82 I 234 ss.).
La seule question qui se pose est dès lors celle de savoir si cet échec doit être supporté, en vertu du droit fédéral (art. 43 OJ), par les recourantes ou, comme celles-ci l'affirment, avec STREBEL (RSJ 1959, vol. 55, p. 65 ss.), par l'intimé.
2.
Le but et l'effet à quoi tend la preuve des faits décrits à l'art. 314 al. 2 CC sont d'infirmer la présomption
BGE 86 II 311 S. 313
légale de l'al. 1 de cette disposition. Cette présomption juris tantum souffre en effet qu'on la détruise. Elle repose sur un fait-indice: la cohabitation au cours d'une certaine période dite critique. Une fois l'indice constaté, on en doit conclure de par la loi (c'est la nature même de la présomption légale) que la conception est le fruit des oeuvres du défendeur et que celui-ci est le père de l'enfant venu au monde. La partie demanderesse est dispensée de prouver la conception et la paternité. D'une manière plus générale, la cohabitation est censée avoir entraîné la conception.
L'objet de la preuve permise par l'art. 314 al. 2 CC répond à son but comme aussi à la nature de la présomption en soi et à son utilisation à l'art. 314 al. 1 CC. Il est d'établir des faits permettant d'élever des doutes sérieux sur la paternité du défendeur. De même que les demanderesses ne doivent pas démontrer la certitude de la paternité, il n'est pas nécessaire que le défendeur établisse qu'il n'est certainement pas le père. Il suffit que l'on conçoive des doutes sérieux, c'est-à-dire propres à rendre incertaine la conclusion que la loi tire de la cohabitation.
Un tel doute naît lorsque la mère a entretenu, durant la période critique, des relations sexuelles avec un second amant. Si en effet, faute de preuve positive sûre, on conclut de la cohabitation à la paternité, cette présomption vaut pour tout commerce charnel, donc aussi pour les oeuvres du tiers. Aussi a-t-on toujours admis que la paternité de l'amant recherché cessait d'être présumée dans une telle hypothèse. STREBEL lui-même, semble-t-il, accorde que ce fut avec raison; il s'exprime en effet comme si ce ne devait plus ("nicht mehr"; cf. loc.cit. p. 67, second alinéa) être le cas.
3.
Le droit fédéral ne règle pas seulement l'objet, mais aussi le fardeau de la preuve, laissant en revanche aux procédures cantonales le soin d'en prévoir le mode et d'en ordonner l'administration (RO 84 II 537). Dire à qui incombe le fardeau de la preuve, c'est désigner la
BGE 86 II 311 S. 314
partie en défaveur de qui le juge doit statuer si la preuve n'est pas rapportée d'un élément de fait de la disposition légale appliquée. Chaque partie doit, si la loi ne prescrit le contraire, prouver les faits qu'elle allègue pour en déduire son droit (art. 8 CC). En matière de paternité, la répartition particulière du fardeau de la preuve tient à l'existence d'une présomption. La partie demanderesse doit prouver le fait-indice, la cohabitation durant la période critique: la loi elle-même conclut, sous réserve de la preuve contraire, à la paternité du défendeur. C'est dès lors celui-ci qui, logiquement, doit infirmer la présomption (soit la conclusion légale), puisque la loi ne demande d'abord que d'établir la cohabitation de la mère avec lui. Ce qu'il doit démontrer a été précisé dans le considérant précédent. Le succès de la preuve consiste dans la mise à néant de la présomption. Dans ce cas, comme la cause première et nécessaire des conséquences légales prévues aux art. 317 ss. CC est la paternité et que la présomption est tombée, force est d'exiger de la partie qui prétend un de ces droits qu'elle en prouve le fondement (soit la paternité) ou, du moins, qu'elle lève les doutes sérieux et fasse renaître la présomption. Dans l'hypothèse soumise à l'examen de la cour de céans, elle tentera de démontrer que la paternité du tiers est exclue (en apportant la certitude atténuée exigée par la jurisprudence relative à l'expertise par analyse du sang).
Cette répartition logique du fardeau de la preuve est équitable. Si le défendeur veut infirmer la présomption de sa paternité par une analyse des sangs, c'est à lui qu'il incombe de requérir cette expertise. Il n'est pas choquant que la partie demanderesse, quand elle a perdu le bénéfice de la présomption, doive se charger de faire renaître celle-ci en recourant à la même expertise.
4.
Deux considérations ont amené STREBEL à reviser ces principes de la jurisprudence.
a) Il lui paraît tout d'abord injuste que la mère et l'enfant perdent le procès lorsque la preuve par expertise
BGE 86 II 311 S. 315
est impossible en raison du refus du tiers (témoin ou non) de s'y soumettre. Ce n'est pas là un problème nouveau. C'est même principalement pour le cas où la preuve échoue que l'on dit à qui elle incombe. Peu importent les causes de l'échec. Il existe du reste d'autres impossibilités que celle à laquelle se sont heurtées les recourantes: on n'a jamais songé à modifier pour autant la répartition du fardeau de la preuve. Ainsi, un tiers qui a cohabité avec la mère peut mourir avant qu'un expert procède à l'analyse de son sang. Voici un autre exemple. Les lois cantonales de procédure interdisent parfois d'entendre comme témoins certaines personnes. Si le témoignage de l'une d'elles est la seule preuve possible des relations sexuelles, on ne pourra les constater. (C'est ainsi que l'art. 115 al. 1 ch. 3 de la procédure civile de Bâle-Ville interdit d'entendre les frères et soeurs). Dans l'un comme dans l'autre cas, l'impossibilité de la preuve n'entraîne pas une modification de la répartition de son fardeau.
b) Si séduisante qu'elle soit, la seconde objection est tout aussi peu déterminante que la précédente. Elle tend à interpréter différemment la loi depuis que la science permet d'exclure la paternité et que ses conclusions ont été admises par les tribunaux; la portée traditionnelle conférée à l'art. 314 CC était juste autrefois; elle ne l'est plus. On voit immédiatement qu'une telle argumentation contingente est fallacieuse et cause d'insécurité. L'objet et le fardeau de la preuve une fois déterminés par la loi ne sauraient être modifiés que par une revision. On pourrait soutenir logiquement que l'application de la loi était inexacte dès le principe, mais non pas qu'elle devrait varier au gré des progrès de la science. Ceux-ci ont trait, en effet, à la force probante d'un moyen de preuve, non à l'objet ni au fardeau de celle-ci. Du reste, si l'on veut aujourd'hui n'admettre un doute comme sérieux qu'à des conditions plus rigoureuses, il est faux de demander des certitudes; c'est un doute que la loi exige; on a vu quelle en est la nature.
BGE 86 II 311 S. 316
5.
Il n'est pas sans intérêt de souligner que le débat s'avère souvent, en fait, inutile. Le juge cantonal en effet, dans les limites de son pouvoir d'apprécier les preuves, pourra toujours, si la mère nie les relations avec le tiers, entendre celui-ci avec circonspection, surtout s'il paraît être de connivence avec le défendeur. STREBEL lui-même entrevoit cette possibilité (p. 67 litt. c). Point n'est besoin de trahir le sens clair de l'art. 314 CC. Quant aux dispositions cantonales qui persistent à préférer la liberté individuelle du tiers à la découverte de la vérité si nécessaire à la mère et à l'enfant, il n'y a qu'à souhaiter que les cantons procèdent à leur revision (cf. RO 82 I 234 ss.).
On ne saurait modifier la portée du droit fédéral à seule fin de corriger une disposition cantonale peu satisfaisante.
6.
.....
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
Le recours est rejeté et l'arrêt attaqué est confirmé. | public_law | nan | fr | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b408174-a556-4b64-993e-33744fca3736 | Urteilskopf
104 Ia 65
15. Auszug aus dem Urteil vom 22. März 1978 i.S. J. Rizzi AG gegen Gemeinde Cazis und Regierung des Kantons Graubünden | Regeste
Art. 4 BV
; kommunale Zonenplanung, Gehörsanspruch des Grundeigentümers.
Beim Erlass eines kommunalen Zonenplanes sind die betroffenen Grundeigentümer in geeigneter Form individuell anzuhören, bevor über die Zoneneinteilung ihrer Grundstücke definitiv entschieden wird. Dieser Gehörsanspruch besteht auch dann, wenn der neue Zonenplan die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstückes gegenüber der bisher geltenden Zonenordnung nicht einschränkt.
Will die Kantonsregierung die im kommunalen Planfestsetzungsverfahren beschlossene Zoneneinteilung nicht genehmigen, so muss sie, bevor sie eine Änderung des Planes anordnet, die hievon betroffenen Grundeigentümer anhören. Eine nochmalige Anhörung ist nicht erforderlich, wenn die Betroffenen ihre Einwände gegen die von der Kantonsregierung beabsichtigte Zoneneinteilung schon im kommunalen Verfahren vorgebracht haben. | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 104 Ia 65 S. 66
Nach dem bisherigen Zonenplan der Gemeinde Cazis aus dem Jahre 1963 lag das Grundstück Nr. 791 der Bauunternehmung J. Rizzi AG in einer bauverbotsbelasteten Grünzone. Am 21. Mai 1976 stimmte die Gemeindeversammlung von Cazis einem neuen Baugesetz und einem neuen Zonenplan zu, der das erwähnte Grundstück einer Industriezone zuweist. Die Regierung des Kantons Graubünden verweigerte indessen diesem Zonenplan, soweit er das Grundstück Nr. 791 zur Industriezone erklärt, aus Gründen des Natur- und Heimatschutzes (unmittelbare Nähe einer als Kulturdenkmal geschützten Kapelle) die nach dem kantonalen Recht erforderliche Genehmigung, was darauf hinaus läuft, dass das Areal dem übrigen Gemeindegebiet zugewiesen wird. Die J. Rizzi AG führt gegen den Entscheid der Regierung staatsrechtliche Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin macht, wenn auch eher beiläufig, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Sie führt aus, sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass ihre Parzelle in der Industriezone belassen werde. Die Regierung habe in der Folge diese Parzelle "ausgeklammert", ohne mit der Beschwerdeführerin Rücksprache zu nehmen. Sie habe daher keine Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt.
a) Dass die Regierung irgendwelche kantonalen Verfahrensvorschriften verletzt habe, wird in der Beschwerde nicht behauptet.
BGE 104 Ia 65 S. 67
Es kann sich nur fragen, ob das beanstandete Vorgehen mit dem unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden minimalen bundesrechtlichen Gehörsanspruch vereinbar ist (
BGE 101 Ia 310
E. 1a).
b) Der Einzelne hat im Verwaltungsverfahren unter gewissen Voraussetzungen aufgrund von
Art. 4 BV
Anspruch darauf, dass er vor Erlass einer in seine Rechtsstellung eingreifenden Verfügung angehört wird (
BGE 99 Ia 24
f.,
BGE 98 Ia 8
mit Hinweisen). Im Gesetzgebungsverfahren, d.h. beim Erlass generell-abstrakter Normen, besteht jedoch seitens des Bürgers kein Gehörsanspruch (
BGE 100 Ia 391
). Der Erlass von Plänen vereinigt Merkmale beider Verfahrensarten auf sich. Das Bundesgericht nahm an, dass bei der Festsetzung eines städtischen Bebauungsplanes die betroffenen Grundeigentümer individuell anzuhören seien (Urteil vom 11. September 1963, publ. in ZBl 65/1964 S. 216 ff E. 3 c; zustimmend: IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5.A. Bd. I, Nr. 81 B I/a/1 und Nr. 11 B II/a; vgl. ferner
BGE 96 I 237
). Ob dies auch gilt, wenn es sich um einen eine ganze Region umfassenden Landschaftsschutzplan handelt, wurde in
BGE 90 I 338
f. offen gelassen.
Im vorliegenden Fall steht nicht eine derartige grossräumige Planungsmassnahme in Frage. Nach der erwähnten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die vom neuen kommunalen Zonenplan betroffenen Grundeigentümer in geeigneter Form zu Wort kommen müssen, bevor über die Einteilung ihrer Grundstücke definitiv entschieden wird. Ein derartiger Gehörsanspruch ergibt sich hier grundsätzlich auch aus dem kantonalen Verfahrensrecht: Nach Art. 37 Abs. 1 des Bünder Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 muss die Gemeindebehörde vor der Abstimmung über einen Zonenplan den "Interessierten" Gelegenheit geben, "Wünsche und Anträge" einzureichen.
Die Beschwerdeführerin hatte im kommunalen Planfestsetzungsverfahren keinen Anlass, sich zu äussern, da sie mit dem Planentwurf der Gemeindebehörde, der ihr Grundstück der Industriezone zuwies, offenbar einverstanden war. Erst im Verfahren vor der Regierung ergab sich für den Fall, dass der von der Gemeinde beschlossene Zonenplan im fraglichen Punkt nicht genehmigt werden sollte, das Bedürfnis nach einer Äusserungsmöglichkeit. Man könnte sich allerdings fragen, ob der
BGE 104 Ia 65 S. 68
durch die Nichtgenehmigung des Zonenplanes betroffene Grundeigentümer auch dann angehört zu werden braucht, wenn dieser Eingriff der Genehmigungsbehörde - wie hier - die Nutzungsmöglichkeit des Grundstückes gegenüber der früher geltenden Zonenordnung nicht einschränkt, sondern nur eine im Rahmen der Zonenplanrevision seitens der Gemeinde beabsichtigte Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten verhindert. Das Bundesgericht hat jedoch in
BGE 99 Ia 714
E. 4 festgestellt, dass ein Grundeigentümer zur Anfechtung eines Zonenplanes selbst dann befugt ist, wenn sich für seine Grundstücke gegenüber der bisherigen Ordnung materiell keine Änderung ergibt; er kann rügen, dass die bisherige Zoneneinteilung seines Areals nicht mehr den gegenwärtigen Verhältnissen entspreche. Im gleichen Sinne besteht auch ein Anspruch auf rechtliches Gehör. Will die Kantonsregierung die im Rahmen einer allgemeinen Zonenplanrevision beschlossene Einzonung eines bestimmten Grundstückes nicht genehmigen und dieses wieder dem übrigen Gemeindegebiet zuweisen, so muss sie, bevor sie den aus dem kommunalen Verfahren hervorgegangenen neuen Zonenplan entsprechend modifiziert, den betroffenen Grundeigentümer anhören. Sie darf hievon nur dann absehen, wenn die Gemeinde das fragliche Grundstücke erst auf Einsprache oder auf Antrag des Grundeigentümers hin eingezont hat und aus den vorhandenen Akten ersichtlich ist, welche Einwände der Betroffene erhebt (Urteil des Bundesgerichtes vom 8. Februar 1978 i.S. Pedrun gegen Regierung des Kantons Graubünden, E. 2).
c) Dass dieser letztere Fall hier zutreffe, wird in der Vernehmlassung der Regierung nicht behauptet. Auch die Regierung geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin Anspruch darauf hatte, sich im Genehmigungsverfahren zur "Rückgängigmachung" der Einzonung ihres Grundstückes noch äussern zu können. Sie führt in ihrer Vernehmlassung aus, der Gemeindepräsident habe im Auftrage des zuständigen Departementssekretärs die Firma J. Rizzi AG darüber orientiert, dass die Regierung in Erwägung ziehe, die Einzonung der Parzelle Nr. 791 in die Industriezone nicht zu genehmigen. Josef Rizzi-Buchli habe als Vertreter der Beschwerdeführerin dem Gemeindepräsidenten erklärt, dass hiegegen keine Einwendungen erhoben würden und zur Zeit auch nicht die Absicht bestehe, auf der Parzelle Nr. 791 Hochbauten zu erstellen. Die Gemeinde
BGE 104 Ia 65 S. 69
Cazis bestätigt in ihrer Vernehmlassung, dass sie die Firma J. Rizzi AG im Auftrag des Departementes des Innern und der Volkswirtschaft auf die mögliche Nichtgenehmigung der Einzonung ihres Grundstücks aufmerksam gemacht habe. Es darf unter diesen Umständen als erstellt angesehen werden, dass die Beschwerdeführerin Gelegenheit erhalten hatte, ihre Einwände gegen die in Aussicht genommene Massnahme anzubringen. Wohl tat sie dies nur in mündlich-formloser Weise, doch hätte es ihr auch freigestanden, ihren Standpunkt in einer schriftlichen Eingabe darzulegen. Der minimale verfassungsrechtliche Gehörsanspruch erscheint auf jeden Fall als gewahrt. Ob der angefochtene Entscheid die erhobenen Einwände richtig und vollständig wiedergibt, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der materiellen Beurteilung. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3b44deb5-e8ce-49da-95fb-59dd049ed833 | Urteilskopf
118 II 295
57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juni 1992 i.S. C. gegen A. C. SA (Berufung) | Regeste
Art. 1 und
Art. 18 OR
. Übernahmebedürftigkeit von SIA-Normen.
Als Grundlage für die Bestimmung des geschuldeten Werklohns bedürfen auch technische Regeln zur Ermittlung der nach Einheitspreisen zu vergütenden Menge der Übernahme in den Werkvertrag. Das gilt erst recht für Regeln, die dem Unternehmer ein Abweichen vom tatsächlichen Ausmass gestatten (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 295
BGE 118 II 295 S. 295
Für Arbeiten an drei Mehrfamilienhäusern des in Davos wohnhaften Hans C. klagte die A. C. SA am 12. April 1988 beim Bezirksgericht Oberlandquart gegen C. auf Zahlung von Werklohn. Das Bezirksgericht liess die Ausmasse, welche die Klägerin ihren Unternehmerrechnungen zugrundegelegt hatte, durch einen Experten überprüfen. Dieser bestätigte die Richtigkeit der Ausmasse weitgehend und hielt insbesondere fest, dass die bei drei Rechnungspositionen aufgrund von Ziffer 7.44 SIA-Norm 243 (Verputzte Aussenwärmedämmung) vorgenommenen Zuschläge zu den Ausmassen korrekt seien. Gestützt auf die überprüften Rechnungen hiess das Bezirksgericht die Klage am 9. August 1990 für Fr. 146'788.-- gut. Das Kantonsgericht Graubünden reduzierte den zugesprochenen
BGE 118 II 295 S. 296
Betrag auf Fr. 126'227.75. Die vom Beklagten gegen das kantonsgerichtliche Urteil vom 23. Oktober 1991 erhobene Berufung heisst das Bundesgericht teilweise gut und spricht der Klägerin Fr. 107'485.05 zu.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Zu prüfen bleibt die Rüge des Beklagten, das Kantonsgericht sei bei der Festsetzung des Werklohns zu Unrecht von der Anwendbarkeit der SIA-Norm 243 ausgegangen, weshalb für die drei Rechnungspositionen 4, 5.50 und 6.3 nur auf die effektiven Ausmasse ohne Zuschläge nach Ziff. 7.44 dieser Norm abgestellt werden dürfe.
a) Wie in einem neuesten Entscheid (
BGE 117 II 284
E. 4b) ausgeführt worden ist, anerkennt das Bundesgericht die vom Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein herausgegebenen Normen, denen die Bedeutung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zukommt, nicht als regelbildende Übung und stellt darauf nur ab, wenn die Parteien sie zum Vertragsinhalt erhoben haben (
BGE 107 II 178
E. 1; vgl. auch
BGE 109 II 452
Nr. 96). Vorgeformte Vertragsinhalte können zwar Ausdruck der Verkehrsauffassung oder -übung sein. Zu vermuten ist dies aber nicht, sondern muss im Einzelfall nachgewiesen werden (JÄGGI/GAUCH, N. 403 zu
Art. 18 OR
; KRAMER, N. 33 zu
Art. 18 OR
; GAUCH, Der Werkvertrag, 3. A. 1985, S. 64 f. Rz. 225, S. 67 f. Rz. 238 f.; GAUCH in: Kommentar zur SIA-Norm 118, S. 24 ff. Rz. 2; MERZ, ZBJV 114/1978 S. 540 f.).
b) Die Parteien haben die SIA-Norm 243 unstreitig nicht in den Werkvertrag übernommen. Das Kantonsgericht hält sie trotzdem für massgeblich, weil die einschlägige Ziffer 7.44 lediglich technische Anweisungen darüber enthalte, wie nicht oder schwer messbare Ausmasse zu ermitteln seien. Träfe diese Auffassung zu und gäbe Ziffer 7.44 nur eine übliche Messmethode wieder, dann hätte die Vorinstanz mit der Bestimmung des streitigen Ausmasses der drei Rechnungspositionen eine tatsächliche Feststellung getroffen, die im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen wäre (
Art. 63 Abs. 2 OG
). Um eine vereinfachte Messmethode, die den Unternehmer in gewissen Fällen von der genauen Feststellung des effektiven Ausmasses entbinden würde, handelt es sich indessen nicht. Ziffer 7.44 berechtigt den Unternehmer vielmehr zu Zuschlägen zum festgestellten Ausmass für Aussenisolationsarbeiten in gewissen Bereichen (Anschlüsse an Fensterbänken, Ecken mit Kantenabrundungen,
BGE 118 II 295 S. 297
runde Bauteile und Untersichten). Offensichtlich ist diese Regelung auf schwierigere Arbeiten zugeschnitten, für die der Unternehmer eine zusätzliche Vergütung soll beanspruchen können. Eine solche von einem interessierten Berufsverband einseitig erlassene Bestimmung zur Festsetzung der Werklohnhöhe hätte aber zu ihrer Verbindlichkeit der ausdrücklichen Übernahme in den Werkvertrag bedurft (JÄGGI/GAUCH, N. 403 zu
Art. 18 OR
).
Eine Übernahme wäre selbst dann erforderlich gewesen, wenn Ziffer 7.44 bloss eine erleichterte Feststellung der Ausmasse bezwecken würde. Zwar können technische Usanzen im Gegensatz zu rechtlichen Verbandsnormen auch ohne ausdrückliche Übernahme die Auslegung von Parteierklärungen bestimmen, sofern sie die massgebende Verkehrssitte konkretisieren (KRAMER, N. 105 zu
Art. 1 OR
). Die zahlreichen Regeln, welche die Praxis zur Ermittlung der nach Einheitspreisen zu vergütenden Menge entwickelt hat und die sich auch in verschiedenen SIA-Normen finden, gehören jedoch nicht dazu. Als Grundlage für die Berechnung des geschuldeten Werklohns dürfen sie dem Bauherrn nur entgegenhalten werden, wenn die Parteien sie vereinbart haben (GAUCH, Der Werkvertrag, S. 184 Rz. 641). Das gilt erst recht für diejenigen Regeln, die es dem Unternehmer ermöglichen, vom tatsächlichen Ausmass abzuweichen, darf doch der Bauherr ohne gegenteilige Abmachung annehmen, dass ihm die effektiv erbrachten Leistungen berechnet werden. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b496f56-739d-4f93-a44b-befd20d7cab3 | Urteilskopf
115 V 395
54. Urteil vom 16. Oktober 1989 i.S. Krankenkasse des Personals des Bundes und der schweizerischen Transportanstalten gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern | Regeste
Art. 4 KUVG
, Art. 2 Vo V,
Art. 5 Abs. 1 VwVG
,
Art. 129 Abs. 1 lit. a OG
: Gerichtliche Überprüfung von Statutenbestimmungen der Krankenkassen.
- Frage offengelassen, ob der Verwaltungsakt des Bundesamtes für Sozialversicherung betreffend die Genehmigung von Kassenstatuten und Reglementen eine Verfügung im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 VwVG
darstellt (Erw. 1).
- Kassenstatuten und Reglemente sind Erlassen nach
Art. 129 Abs. 1 lit. a OG
gleichzustellen (Erw. 2).
- Gegen den Entscheid des Eidgenössischen Departementes des Innern betreffend die Nichtgenehmigung von Kassenstatuten bzw. Reglementen ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig (Erw. 3). Die gerichtliche Überprüfung von Statutenbestimmungen erfolgt erst bei der Anwendung im Einzelfall im Rahmen der inzidenten Normenkontrolle (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 396
BGE 115 V 395 S. 396
A.-
Der Zentralvorstand der Krankenkasse des Personals des Bundes und der schweizerischen Transportanstalten (KPT) erliess am 23. März 1987 das Reglement über die Senioren-Spitalversicherung, das am 1. Juli 1987 in Kraft trat. Gemäss Art. 4 Abs. 2 des Reglementes beginnt die Bezugsberechtigung erst nach Ablauf von zwölf Versicherungsmonaten. Mit "Verfügung" vom 21. April 1988 verweigerte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Genehmigung des Reglementes mit der Begründung, die vorgesehene Karenzzeit von zwölf Monaten verstosse gegen
Art. 13 Abs. 1 KUVG
, wonach diese nicht mehr als drei Monate betragen dürfe.
B.-
Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) wies die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 23. November 1988 ab. Laut Rechtsmittelbelehrung unterlag der Entscheid der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht.
C.-
Die KPT führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des EDI sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die reglementarisch vorgesehene Karenzzeit von zwölf Monaten nicht gegen
Art. 13 Abs. 1 KUVG
verstosse.
EDI und BSV beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Angefochten ist der Entscheid des EDI vom 23. November 1988, mit welchem die Nichtgenehmigung des Reglementes der KPT über die Senioren-Spitalversicherung durch das BSV bestätigt wurde (vgl.
Art. 4 KUVG
in Verbindung mit Art. 2 der Verordnung V über die Krankenversicherung betreffend die Anerkennung von Krankenkassen und Rückversicherungsverbänden sowie ihre finanzielle Sicherheit). Ob der Gegenstand
BGE 115 V 395 S. 397
des Departementsentscheides, d.h. die Überprüfung der Gesetzmässigkeit des Verwaltungsaktes vom 21. April 1988, gemäss Art. 98 lit. b in Verbindung mit
Art. 128 OG
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde dem Eidg. Versicherungsgericht zur Beurteilung vorgelegt werden kann, ist als Eintretensvoraussetzung von Amtes wegen - und ohne Bindung an die im Entscheid des EDI enthaltene Rechtsmittelbelehrung - zu prüfen (
BGE 114 V 242
Erw. 3a mit Hinweisen). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Vorinstanz die Beschwerde im Sinne der
Art. 44 ff. VwVG
oder als Aufsichtsbeschwerde nach
Art. 71 VwVG
behandelte, war sie doch im einen wie im andern Fall zuständig. Die Frage, ob es sich beim Verwaltungsakt des BSV vom 21. April 1988 um eine Verfügung nach
Art. 5 Abs. 1 VwVG
handelt, kann im vorliegenden Fall offengelassen werden, wie sich aus der nachstehenden Erwägung ergibt.
2.
Nach
Art. 129 Abs. 1 lit. a OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig gegen "Verfügungen über die Genehmigung von Erlassen". Den Erlassen im Sinne von generellen und abstrakten Regelungen bestimmten Inhaltes (GYGI, Verwaltungsrecht, S. 89; vgl. auch IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 6. Aufl., Bd. I, S. 35) sind Satzungen gleichgestellt, wenn sie kraft gesetzlich begründeter Ermächtigung von öffentlichrechtlichen Anstalten, öffentlichen Körperschaften oder beliehenen Organisationen statuiert werden (GYGI, Verwaltungsrecht, S. 92). Dazu gehören die Statuten bzw. Reglemente anerkannter Krankenkassen (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 140).
Die Genehmigung von Erlassen im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. a OG
ist Mitwirkung bei einem Rechtssetzungsakt (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 105 und 227). Die gerichtliche Überprüfung von Statutenbestimmungen erfolgt erst bei der Anwendung im Einzelfall im Rahmen der inzidenten Normenkontrolle (vgl. RKUV 1986 Nr. K 693 S. 415 Erw. 3;
BGE 112 V 287
Erw. 3 und 292 Erw. 1 in fine bezüglich Tarifen gemäss
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
bzw. konkret angewandter Tarifpositionen).
3.
a) Aus dem Gesagten folgt, dass auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der KPT gegen den Entscheid des EDI vom 23. November 1988 betreffend die Nichtgenehmigung des Reglementes über die Senioren-Spitalversicherung vom 23. März 1987 (im Sinne von
Art. 4 KUVG
in Verbindung mit Art. 2 der Verordnung V) nicht eingetreten werden kann.
BGE 115 V 395 S. 398
b) Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung bindet, wie bereits gesagt, das Eidg. Versicherungsgericht nicht; es dürfen daraus den Parteien aber keine Nachteile erwachsen (Art. 107 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 132 OG
). Da gegen Entscheide des EDI die Beschwerde an den Bundesrat zulässig ist (Art. 72 lit. a in Verbindung mit
Art. 74 lit. a VwVG
), hat das Eidg. Versicherungsgericht die Beschwerde dem Bundesrat zu übermitteln. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b523a7e-2553-47aa-ba65-a72240736c02 | Urteilskopf
108 Ib 186
34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. Juni 1982 i.S. X-Bank gegen Eidgenössische Bankenkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Pflicht der Banken zur Auskunftserteilung über die wirtschaftlichen Hintergründe von in Aussicht genommenen Geschäften. Art. 19 Abs. 2, 23bis (BankG; Art. 9 Abs. 3, Anhang II lit. C Abs. 5 (BankV).
1. Die Eidgenössische Bankenkommission kann die ihrer Aufsicht unterstellten Banken ohne Verletzung von Bundesrecht verpflichten, sowohl bei bankenmässigen Risikogeschäften (E. 3) als auch bei Treuhandgeschäften (E. 5a) die wirtschaftlichen Hintergründe der in Aussicht genommenen Geschäfte abzuklären, wenn im Einzelfall Anzeichen darauf hindeuten, dass die Transaktion Teil eines unsittlichen oder rechtswidrigen Sachverhaltes bilden könnte oder wenn es sich um ein kompliziertes, ungewöhnliches oder bedeutsames Geschäft handelt.
2. Wann ein konkretes Bankgeschäft als "bedeutend" anzusehen ist, bleibt dem technischen Ermessen der Bankenkommission anheimgestellt (E. 5c); das Bundesgericht schreitet diesbezüglich nur ein, wenn ein Ermessensfehler (
Art. 104 lit. a OG
) vorliegt. Anforderungen an die Begründungspflicht der Bankenkommission (E. 5d). | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 108 Ib 186 S. 187
Die X-Bank, eine international tätige Handelsbank, erstattete der Eidgenössischen Bankenkommission mit Schreiben vom 8. Dezember 1980 gemäss
Art. 21 Abs. 1 BankV
(SR 952.02) die Risikoverteilungsmeldung Nr. 1284, die unter anderem die Grossposition A. AG zum Gegenstand hatte. Die A. AG besitzt eine Mehrheitsbeteiligung an der B. AG, die ihrerseits Alleinaktionärin der X-Bank ist.
Das dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Engagement A. AG umschreibt die Eidgenössische Bankenkommission in ihrer unbestritten gebliebenen Sachverhaltsdarstellung wie folgt:
BGE 108 Ib 186 S. 188
Die Y-Bank in Wien gewährte der C. Drogerie-Betriebsgesellschaft mbH in Vösendorf, Österreich, einen Kontokorrent- und Betriebskredit. Zu dessen Absicherung leistete die X-Bank im Auftrag der C. der Y-Bank eine bis Ende September 1981 befristete Bankgarantie in der Höhe von 150 Mio. öS. Da die C. der X-Bank nicht blankokreditwürdig erschien, verpfändete die A. AG der X-Bank ein bei dieser Bank liegendes Sperrguthaben von 7 Mio. DM. Für die restlichen 100 Mio. öS übernahm die A. AG eine Rückgarantie.
Im vorliegenden Verfahren ist nicht mehr strittig, dass es sich beim Engagement A. AG um ein Organgeschäft im Sinne von
Art. 4ter Abs. 1 BankG
(SR 952.0) handelt.
Am 31. Dezember 1980 beliefen sich die in den Büchern der X-Bank figurierenden Treuhandkredite auf rund 105 Mio. Franken; als Treugeber traten dabei für einen Betrag von ca. 86 Mio. Franken Firmen der D-Gruppe auf, zu der auch die X-Bank selbst zu rechnen ist. Auch auf der Seite der Kreditnehmer bestanden zwei Grosskunden.
Nachdem die X-Bank die Empfehlung des Sekretariates der Eidgenössischen Bankenkommission, wonach sie insbesondere eine Dokumentation über "die wirtschaftlichen Hintergründe" der dargestellten Geschäfte bereitstellen sollte, um diese alsdann der bankengesetzlichen Revisionsstelle zur Ausarbeitung eines Berichtes zu übergeben, abgelehnt hatte, erliess die Eidgenössische Bankenkommision folgende Verfügung:
1. Die X-Bank hat die wirtschaftlichen Hintergründe des Geschäftes A. AG/C (insbesondere die Gründe für die Abwicklung der Kreditgarantie über die Schweiz im allgemeinen und über die X-Bank bzw. die A. AG im besonderen sowie die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse zwischen der A. AG und der C. Drogerie-Betriebsgesellschaft, Vösendorf, Österreich) durch Einholen schriftlicher Erklärungen, aus denen Absicht und Begründung des gewählten Vorgehens klar ersichtlich werden, abzuklären.
2. Die X-Bank hat die wirtschaftlichen Hintergründe der ausstehenden Treuhandkredite (insbesondere Bonität der Kreditnehmer, Verhältnis Kreditnehmer - Treugeber und die Abwicklung über die nahestehende Bank) durch Einholen schriftlicher Erklärungen, aus denen Absicht und Begründung des gewählten Vorgehens klar ersichtlich werden, abzuklären.
3. Die X-Bank hat bis (zum) 31. August 1981 die Abklärungen gemäss Ziffern 1 und 2 vorzunehmen und die Unterlagen der bankengesetzlichen Revisionsstelle, Zürich, zur Verfügung zu stellen.
4. Die bankengesetzliche Revisionsstelle hat die von der X-Bank gemäss den Ziffern 1-3 einzureichenden Unterlagen zu prüfen und dem Sekretariat der Eidg. Bankenkommission bis (zum) 30. September 1981 einen diesbezüglichen Bericht zu erstatten.
5. Die Bank hat die wirtschaftlichen Hintergründe im Sinne der
BGE 108 Ib 186 S. 189
Erwägungen in Zukunft vor Abschluss entsprechender Geschäfte abzuklären.
6. (Die Verfahrenskosten werden der X-Bank auferlegt.)
Mit fristgerechter Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die X-Bank dem Bundesgericht:
Es sei die angefochtene Verfügung vollumfänglich aufzuheben, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
Dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Verfügung vom 10. September 1981 entsprochen. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Bundesrecht. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Die Eidgenössische Bankenkommission beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Nach
Art. 23bis Abs. 1 BankG
trifft die Bankenkommission die zum Vollzug des Gesetzes notwendigen Verfügungen; überdies kann die Kommission gemäss
Art. 23bis Abs. 2 BankG
von den Revisionsstellen und von den Banken alle Auskünfte und Unterlagen verlangen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt. Die Frage, welche Auskünfte und Unterlagen "zur Erfüllung der Aufgaben der Bankenkommission" erforderlich sind, muss durch Auslegung des Gesetzes ermittelt werden. Welche Auskünfte und Unterlagen dies im einzelnen sind, ist jedoch weitgehend dem technischen Ermessen der Bankenkommission anheimgestellt, weshalb das Bundesgericht nur bei eigentlichen Ermessensfehlern in ihren Entscheid eingreift.
b) Die Bankenkommission ist bei der Ausübung ihrer Aufsichtstätigkeit in erster Linie auf die von der bankengesetzlichen Revisionsstelle vorgelegten Berichte angewiesen. Der Gesetzgeber hat denn auch dafür gesorgt, dass den Revisionsstellen alle erforderlichen Unterlagen und sonstigen Informationen zur Verfügung stehen, um ihnen zu erlauben, möglichst aussagekräftige Revisionsberichte anzufertigen.
Nach
Art. 19 Abs. 2 BankG
hat die Bank der Revisionsstelle jederzeit Einsicht in die Bücher und Belege zu gewähren, die für die Feststellung und Bewertung der Aktiven und Passiven im schweizerischen Bankgeschäft üblichen Unterlagen bereitzuhalten
BGE 108 Ib 186 S. 190
sowie alle Aufschlüsse zu erteilen, die zur Erfüllung der Prüfungspflicht erforderlich sind. Sodann hat die Geschäftsführung der Bank bei allen mit Risiko verbundenen Geschäften die für die Beschlussfassung und die Überwachung erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen. Diese müssen auch der Revisionsstelle erlauben, sich ein zuverlässiges Urteil über das Geschäft zu bilden (Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 3 BankV
). Nach der Praxis der Bankenkommission hat die Bank in Erfüllung der Dokumentationspflichten gemäss
Art. 19 Abs. 2 BankG
und
Art. 9 Abs. 3 BankV
die "wirtschaftlichen Hintergründe" des in Aussicht genommenen Geschäftes abzuklären, wenn im Einzelfall Anzeichen darauf hindeuten, dass die Transaktion Teil eines unsittlichen oder rechtswidrigen Sachverhaltes bilden könnte oder wenn es sich um ein kompliziertes, ungewöhnliches oder bedeutsames Geschäft handelt (EBK-Bulletin Nr. 7, S. 37 ff. und S. 39 ff.).
3.
a) Es fragt sich, ob
Art. 19 Abs. 2 BankG
und
Art. 9 Abs. 3 BankV
, auf welchen die Auskunftspflicht der Bank gegenüber der Revisionsstelle beruht, die Auferlegung der Pflicht zur Abklärung des "wirtschaftlichen Hintergrundes" von Bankgeschäften - Risikogeschäften einerseits (E. 3 und 4), Treuhandgeschäfte anderseits (E. 5) - erlauben.
Bei Risikogeschäften hat die Bank die Unterlagen bereitzustellen, die es einem fachkundigen Dritten, also z.B. der bankengesetzlichen Revisionsstelle, erlauben, "sich ein zuverlässiges Urteil über das Geschäft zu bilden" (vgl.
Art. 9 Abs. 3 BankV
). Solchermassen ausgestaltete Unterlagen müssen einem aussenstehenden Fachmann die Beantwortung der Frage erlauben, ob durch das Geschäft irgendwelche Regeln der Bankengesetzgebung verletzt werden.
Als Bestandteil des öffentlichen Rechtes sind die Normen der Bankengesetzgebung grundsätzlich zwingender Natur, weshalb die zu beurteilenden Bankgeschäfte nicht nur mit einem Teil sondern mit allen zwingenden Normen des Bankenrechtes in Übereinstimmung sein müssen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin genügt dazu die Abklärung der Bonität (Zahlungsfähigkeit) der gegenüber der Bank Verpflichteten demnach noch nicht. Die von den Banken anzufertigenden Unterlagen müssen auch Schlüsse darauf zulassen, ob das konkrete Geschäft nicht Bestandteil eines rechts- oder sittenwidrigen Sachverhaltes ist. Wäre dies nämlich der Fall, so wäre die durch
Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG
verlangte Seriosität der Geschäftsführung, welche als Voraussetzung für die
BGE 108 Ib 186 S. 191
Ausübung der Bankentätigkeit dauernd zu gewährleisten ist, offensichtlich in Frage gestellt.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die genaue Kenntnis des Rechtsgrundes einer Finanztransaktion oder, wie es die Bankenkommission noch allgemeiner sagt, des wirtschaftlichen Hintergrundes des Geschäftes, es erlaubt, zu beurteilen, ob das Geschäft allenfalls gegen die Regeln der Bankengesetzgebung verstösst. Dabei kommt der Kenntnis des Rechtsgrundes eines Geschäftes nicht nur im Hinblick auf die Beurteilung seiner Seriosität Bedeutung zu; es lassen sich daraus überdies auch direkte Rückschlüsse auf das Risiko der Transaktion ableiten, kann doch die zivilrechtliche Nichtigkeit des Grundgeschäftes die Schadenersatzpflicht der Bank nach sich ziehen (unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 14. November 1979 i.S. Bank Cantrade AG). Die Rüge der Beschwerdeführerin, es sei "unerfindlich", was die Bankenkommission mit den Angaben über den wirtschaftlichen Hintergrund der Geschäfte "anfangen" soll, ist daher ohne weiteres zurückzuweisen. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes eines Bankgeschäftes geeignet ist, die konkrete Risikolage sowie allgemein die Konformität des Geschäftes mit dem Bankenrecht zu beurteilen, weshalb eine solchermassen ausgestaltete Dokumentation aller Bankgeschäfte an sich geboten wäre.
b) Die Beschwerdeführerin wendet gegen die Pflicht zur Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes der strittigen Geschäfte ein, ein solches Vorgehen müsse von den Bankkunden als Misstrauensvotum angesehen werden, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Banken unzumutbar beeinträchtigt würde.
Es ist zuzugeben, dass die Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes jedes kleinen, alltäglichen oder unbedeutenden Bankgeschäftes nicht nur einen grossen administrativen Aufwand der Banken bedeuten würde, sondern wohl auch von den betroffenen Bankkunden nicht verstanden würde. In Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzipes geht die Praxis der Bankenkommission jedoch davon aus, dass nur bei denjenigen Geschäften eine Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes vorzunehmen ist, bei welchen Anzeichen darauf hindeuten, dass die Transaktion Teil eines unsittlichen oder rechtswidrigen Sachverhaltes bilden könnte oder wenn es sich um ein kompliziertes, ungewöhnliches oder bedeutsames Geschäft handelt. Es entspricht einer durchaus üblichen und alltäglichen Reaktion jedes sorgfältigen Kaufmannes im
BGE 108 Ib 186 S. 192
allgemeinen und jedes sorgfältigen Banquiers im besonderen, sich für den Abschluss qualifizierter Geschäfte im oben umschriebenen Sinne besonders aussagekräftige und detaillierte Entscheidungsgrundlagen bereitzustellen; die Aufsichtsbehörde ist darauf angewiesen, bei Geschäften, die sie sich begründetermassen besonders genau ansehen will, über eine solche Dokumentation zu verfügen. Die Beschwerdeführerin macht denn auch im Grunde die Gesetzwidrigkeit dieser Praxis der Bankenkommission nicht geltend; sie behauptet bloss, die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Praxis auf die strittigen Geschäfte seien nicht erfüllt. Wie es sich damit verhält, wird noch zu prüfen sein. Jedenfalls kann hier festgehalten werden, dass die Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes von qualifizierten Geschäften im Sinne der Praxis der Bankenkommission (E. 2 am Ende) nicht nur von der Sache her geboten, sondern auch verhältnismässig ist.
5.
Es fragt sich, ob die Beschwerdeführerin verpflichtet ist, auch den wirtschaftlichen Hintergrund der in Frage stehenden Treuhandgeschäfte abzuklären.
a) Unter Treuhandgeschäften sind nach Anhang II lit. c Abs. 5 BankV zu verstehen: Anlagen und Kredite, welche die Bank im eigenen Namen, jedoch aufgrund eines schriftlichen Auftrags ausschliesslich für Rechnung und Gefahr des Kunden tätigt oder gewährt. Der Auftraggeber trägt das Währungs-, Transfer- und Delkredererisiko, ihm kommt der volle Ertrag des Geschäftes zu; die Bank bezieht nur eine Kommission.
Diese Legaldefinition lässt unerwähnt, dass zwischen dem Kunden (Treugeber oder Fiduziant) und der Bank (Fiduziar) ein Auftragsverhältnis besteht, aus welchem die Bank gegenüber ihrem Kunden haftpflichtig werden kann. Das Auftragsrecht auferlegt dem Fiduziar Sorgfaltspflichten (
Art. 398 OR
), deren Nichtbeachtung eine haftungsbegründende Vertragsverletzung darstellt.
Trotz dieser (selbstverständlichen) Haftungsmöglichkeit des Fiduziars aus dem Grundgeschäft braucht im vorliegenden Falle die Frage, ob das Treuhandgeschäft ganz oder teilweise den eigentlichen bankenrechtlichen Risikogeschäften gleichgesetzt werden müsse, nicht beantwortet zu werden. Obwohl nämlich bei Treuhandgeschäften bloss eine auftragsrechtliche Haftung der Bank besteht und daher der Schutz der Interessen der Bankengläubiger weniger stark im Vordergrund steht wie dies bei den eigentlichen Risikogeschäften der Fall ist, hat die Bank auch bei Treuhandgeschäften dafür zu sorgen, dass durch sie keine zwingenden Normen
BGE 108 Ib 186 S. 193
der Bankengesetzgebung verletzt werden; dies ist namentlich mit Bezug auf die Frage von Bedeutung, ob das Geschäft nicht rechts- oder sittenwidrig ist (
Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG
). Überdies ist festzuhalten, dass das Volumen der Treuhandgeschäfte bei zahlreichen Instituten ein Mass erreicht hat, das die "bloss" auftragsrechtliche Haftungsmöglichkeit doch zu einem nicht zu vernachlässigenden Risikofaktor werden liess; diese Haftungsmöglichkeit kann sich ausserdem in jenen Fällen, in welchen die Bank für den Fiduzianten die Auswahl des Dritten zu besorgen hat, erheblich erhöhen, hat doch der Fiduziar diesfalls auch für eine gute Risikoverteilung für ihren Kunden zu sorgen. Es ist daher festzuhalten, dass die Abklärung der wirtschaftlichen Hintergründe auch bei Treuhandgeschäften trotz des beschränkten Risikos für die Bankengläubiger geboten ist, jedenfalls dann, wenn das Geschäft "besondere Umstände" im Sinne der dargestellten bundesrechtskonformen Praxis der Bankenkommission (E. 2b) aufweist. Ohne eine solche Abklärung wäre es weder der bankengesetzlichen Revisionsstelle noch der Bankenkommission selbst möglich, ihre Aufgabe zu erfüllen, nämlich zu prüfen, ob alle beaufsichtigten Bankinstitute die zwingenden Bestimmungen der Bankengesetzgebung inklusive die Vorschriften über die Seriosität der Geschäftsführung einhalten (
Art. 19 Abs. 1 BankG
bzw.
Art. 43-45 BankV
und
Art. 23 Abs. 1 BankG
). Zur Erfüllung dieser Aufgabe müssen diese beiden Stellen bei den "besonderen" Geschäften im Sinne der Praxis der Eidgenössischen Bankenkommission über eine ausreichende Dokumentation verfügen. Das Bundesgericht hat dementsprechend schon in
BGE 106 Ib 145
ff. entschieden, dass auch bei ungewöhnlichen Treuhandgeschäften eine solche Dokumentationspflicht besteht.
b) Die Eidgenössische Bankenkommission verlangt von der Beschwerdeführerin die Abklärung der wirtschaftlichen Hintergründe "der ausstehenden Treuhandgeschäfte"; die Vorinstanz ist der Ansicht, die anvisierten Geschäfte der Beschwerdeführerin seien ungewöhnlich und bedeutend, was nach ihrer Praxis die entsprechende Dokumentationspflicht der Bank nach sich ziehe.
Aus den Ausführungen der Eidgenössischen Bankenkommission ergibt sich, dass sie die Beschwerdeführerin nur zur Abklärung der wirtschaftlichen Hintergründe der Grosstreuhandgeschäfte verhalten will, wenn auch die hiefür massgebliche Dispositiv-Ziffer 2 die gewünschte Klarheit vermissen lässt; dabei ist mit der Eidgenössischen Bankenkommission davon auszugehen, dass
BGE 108 Ib 186 S. 194
diejenigen Treuhandgeschäfte, die zwischen den gleichen Parteien abgeschlossen werden und deren Verfalldatum nur unwesentlich voneinander abweichen, wirtschaftlich als Einheit anzusehen sind. Bei den am 31. Dezember 1980 ausstehenden Treuhandgeschäften der Beschwerdeführerin fallen sowohl auf der Seite der Kreditnehmer als auch auf derjenigen der Treugeber je zwei Partner auf, deren Geschäftsvolumen im Verhältnis zu den gesamten ausstehenden Geschäften einen bedeutenden Anteil erreicht. Auf der Seite der Kreditnehmer ist dies die Anlagen Leasing GmbH & Co. AG und die Drogerie Discount GmbH & Co. KG, die (zu dem von der bankengesetzlichen Revisionsstelle angegebenen Wechselkurs von Fr. 89.75 pro 100 deutsche Mark) zusammen ungefähr 72 Mio. Franken der insgesamt ausstehenden 105 Mio. Franken bezogen haben; diese Mittel stammen ausschliesslich von zwei zum Aktionärskreis der Bank gehörenden Treugebern. Die übrigen ausstehenden Treuhandgeschäfte zerfallen in zahlreiche kleinere Positionen, von welchen auch die Eidgenössische Bankenkommission nicht geltend macht, dass eines oder mehrere dieser Geschäfte Merkmale aufweisen würde, die gemäss ihrer Praxis die Abklärung der wirtschaftlichen Hintergründe erforderlich machen würde. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin bei gegebenen Voraussetzungen von den am 31. Dezember 1980 ausstehenden Treuhandgeschäften lediglich die beiden genannten Hauptpositionen (W. und V. samt dem Verhältnis zu ihren Treugebern) zu dokumentieren haben wird.
c) Es ist zu prüfen, ob die in diesem Zusammenhang massgeblichen Geschäfte überhaupt eine der besonderen Eigenschaften - kompliziert, ungewöhnlich, bedeutsam - aufweisen, die nach der dargestellten Praxis der Eidgenössischen Bankenkommission die Pflicht zur Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes nach sich ziehen. Dies ist zu bejahen.
Die beiden in E. 5b genannten Grossgeschäfte bilden einen massgeblichen Teil des gesamten Volumens der Treuhandgeschäfte der Beschwerdeführerin, weshalb sie für den Betrieb der Bankinvest AG als bedeutend anzusehen sind. Die bei den beiden Grossgeschäften involvierten Geldsummem (72 Mio. Franken) erreichen nach Ansicht der Eidgenössischen Bankenkommission sodann auch objektiv, also ohne Rücksicht auf das gesamte Volumen der Treuhandgeschäfte der Beschwerdeführerin einen Umfang, der eine sorgfältige Abklärung und Dokumentation dieser Transaktionen erforderlich macht. Der Umfang der Abklärungspflichten
BGE 108 Ib 186 S. 195
bzw. das Mass der aufzuwendenden Sorgfalt ist im übrigen bei Organgeschäften das gleiche wie bei Bankgeschäften mit aussenstehenden Dritten.
Von welchem Umfange an ein konkretes Geschäft als bedeutend anzusehen ist, ist eine (technische) Ermessensfrage, bei deren Überprüfung sich das Bundesgericht Zurückhaltung auferlegt. Die Beschwerdeführerin hat nicht geltend gemacht, die Eidgenössische Bankenkommission habe bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei den anvisierten Treuhandgeschäften um bedeutende Geschäfte handle, den ihr zustehenden Ermessensspielraum überschritten; sie hat bloss erklärt, auf den "betragsmässigen Umfang" der ausstehenden Treuhandgeschäfte komme es gar nicht an - eine Ansicht, die nach dem Gesagten offensichtlich unrichtig ist. Im übrigen ergeben sich auch aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte, die den Schluss darauf zuliessen, dass die Treuhandgeschäfte entgegen der Ansicht der Eidgenössischen Bankenkommission als unbedeutend angesehen werden müssten. Das Bundesgericht hat deshalb keinen Grund, von der Beurteilung des Geschäftes durch die Eidgenössische Bankenkommission abzuweichen, ist doch ein diesbezüglicher Ermessensfehler der Vorinstanz weder ersichtlich noch auch nur behauptet.
Unter diesen Umständen braucht nicht mehr abgeklärt zu werden, ob die beiden Geschäfte auch noch als ungewöhnlich zu qualifizieren sind, wie dies die Eidgenössische Bankenkommission annimmt. Es genügt die Feststellung, dass es sich bei den in Frage stehenden Treuhandgeschäften um bedeutende Geschäfte handelt; dies allein vermag schon die Pflicht der Bank zur Abklärung und Dokumentierung der betroffenen Geschäfte auszulösen.
d) Es ist indessen zuzugeben, dass die von der Eidgenössischen Bankenkommission vorgebrachte Begründung, weshalb es sich bei den beiden zu dokumentierenden Treuhandgeschäften um "bedeutende Geschäfte" handeln soll, den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine hinreichende Begründung nur knapp zu genügen vermag. Wenn auch die Eidgenössische Bankenkommission sich im vorliegenden Fall noch im Rahmen des ihr zustehenden Ermessensspielraumes gehalten hat und das Bundesgericht deshalb keinen Grund hat, die angefochtene Verfügung aufzuheben, wäre es doch gerade im Interesse der Rechtssicherheit geboten, wenn die Vorinstanz ihre Praxis mit Bezug auf die einzelnen Kriterien, die die Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes von Bankgeschäften erforderlich machen, präzisieren würde. So wäre bei der
BGE 108 Ib 186 S. 196
Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Geschäft als bedeutend anzusehen ist, nicht nur ein Vergleich dieses Geschäftes mit dem gesamten Volumen dieser Geschäftssparte der betreffenden Bank vorzunehmen, sondern es wären die gesamten Umstände des Falles heranzuziehen, wobei das durch das Geschäft entstandene Risiko für die Bankengläubiger entsprechend in Rechnung zu stellen wäre. Bei Treuhandgeschäften, wo durch die bloss mandatsrechtliche Haftungsmöglichkeit eine relativ überblickbare Risikolage besteht, müssten dabei die involvierten Summen umso höher sein, um als bedeutend angesehen werden zu können. Das konkrete Geschäft wäre insbesondere auch zur gesamten Bedeutung des betreffenden Bankinstitutes in Relation zu setzen: Das gleiche Geschäft könnte danach für eine kleine Bank bedeutend sein, während es das für ein grosses Institut noch nicht wäre. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3b533e4a-2a57-4431-97c7-6bb29f578bd2 | Urteilskopf
98 IV 5
2. Urteil des Kassationshofes vom 3. März 1972 i.S. Amann und Perren gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 18 Abs. 3 und 117 StGB
. Fahrlässige Tötung.
1. Fahrlässiges Verhalten eines Helikopterpiloten und Flughelfers, die bei einer Rettungsaktion im Gebirge einen freiwilligen Helfer mit dem Knotentau beförderten, ohne dass sie ihm vorher Weisungen erteilten und für die Verwendung einer Sicherung sorgten (Erw. 1).
2. Adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem tödlichen Absturz des Beförderten (Erw. 2).
3. Fehlen eines Notstandes (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 5
BGE 98 IV 5 S. 5
A.-
Am 6. August 1968 unternahm Alfred Graf mit drei Kameraden eine Gebirgswanderung in das südlich von Innertkirchen gelegene Urbachtal. Gegen 10 Uhr stiegen sie oberhalb Schrätteren vom Punkt 1608.5 aus in den Graben des Urbach hinunter und begannen diesen Richtung Gallaui zu überqueren. Dabei stürzte unter Graf eine vom Wasser unterspühlte Schneezunge ein. Beim Sturz wurde er schwer verletzt und verlor bald darauf das Bewusstsein. Es gelang seinen Gefährten, Wildhüter Kaspar von Bergen, der sich in Begleitung seines Sohnes in
BGE 98 IV 5 S. 6
der Gegend aufhielt, zu alarmieren, der seinerseits eine Rettungsaktion einleitete und sich bereit erklärte, daran teilzunehmen.
Die Schweizerische Rettungsflugwacht setzte einen Helikopter (Augusta-Bell 206 A Jet Ranger) der Air Zermatt A. G. mit Günther Amann als Pilot und Beat Perren als Flughelfer ein. Ungefähr um 14 Uhr landete der Helikopter, nachdem im unteren Urbachtal Bergführer Heinz Maurer an Bord genommen worden war, auf einem Schneefeld beim Äschenbalmlägerli, rund zwei Flugminuten von der Unfallstelle entfernt. Während Perren von dort aus zusammen mit Vater und Sohn von Bergen zu Fuss zum Verletzten Graf abstieg, setzte der Helikopter, der im Urbachgraben nicht landen konnte, 100 m oberhalb der Unfallstelle auf einem Känzeli ab, von wo Maurer, ausgerüstet mit Bahre und Horizontalnetz, ebenfalls zu Graf hinunterstieg. Nachdem die Vorbereitungen für die Beförderung des Verletzten zum Schneefeld, wo er für den Flug nach dem Inselspital in Bern in den Helikopter verladen werden sollte, soweit beendet waren, dass Maurer nur noch das Netz mit Bahre an dem vom Helikopter herabhängenden, 7,5 m langen Knotentau zu befestigen hatte, liess sich Perren vorerst selber auf dem am Knotentau angebrachten Tellersitz von 19 cm Durchmesser von der Unfallstelle zum Schneefeld fliegen, wo er den im nachfolgenden Flug herbeigeführten Graf in Empfang nahm. Da er der Meinung war, dass er und Amann allein nicht imstande seien, den 90 kg schweren Verletzten in den Helikopter zu verladen, wies er den Piloten an, nochmals in den Graben zurückzufliegen, um einen Helfer am Knotentau herbeizuholen.
Als Amann gegen 15 Uhr erneut im Helikopter im Graben erschien und wenige Meter über den im Aufbruch befindlichen Männern schwebte, verstanden diese sofort, dass einer von ihnen als Helfer zum Schneefeld übersetzt werden sollte. Da sich Bergführer Maurer nicht zur Verfügung stellte, ergriff Kaspar von Bergen das Tau und klemmte es zwischen die Schenkel, so dass der Sitzteller am Gesäss anlag. Als jedoch der Pilot den Helikopter ansteigen liess und schräg talwärts abdrehte, stolperte von Bergen mit den Füssen an einer Schneekante, so dass der Teller zwischen seinen Beinen entglitt. Von Bergen klammerte sich gleichwohl mit den Händen am Tau fest und konnte den Teller unter dem linken Arm in die Achselhöhle klemmen. Auf diese Weise wurde er vom Helikopter während rund zwei
BGE 98 IV 5 S. 7
Minuten bis zum Schneefeld getragen. Dort liess von Bergen, möglicherweise zufolge Überanstrengung, das Tau vorzeitig los. Er stürzte aus einer Höhe von 30 m ab und war sofort tot.
B.-
Wegen dieses tödlichen Unfalles wurden Amann, Perren und Maurer der fahrlässigen Tötung angeklagt. Das Amtsgericht Oberhasli sprach die drei Angeklagten frei.
Gegen den Freispruch von Amann und Perren erklärten die Privatklägerin Ida von Bergen und der Staatsanwalt des Oberlandes die Appellation. Am 19. Februar 1971 verurteilte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern Amann und Perren wegen fahrlässiger Tötung zu bedingt vorzeitig löschbaren Bussen von je Fr. 300.--.
C.-
Die beiden Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
D.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern und die Privatklägerin beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Fahrlässig oder pflichtwidrig unvorsichtig handelt gemäss
Art. 18 Abs. 3 StGB
, wer die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
a) Auszugehen ist von der unbestrittenen Tatsache, dass die Beförderung einer Person mit einem am Helikopter angehängten Tau und Tellersitz ohne Verwendung einer Sicherung lebensgefährlich ist. Denn es besteht, wie die Beschwerdeführer selber zutreffend bemerken, die Gefahr, dass ein ungesichert Beförderter während des Fluges wegen Schwindelgefühls, Unwohlseins und dergleichen das Tau loslassen kann und abstürzt. Perren ist denn auch, wie feststeht, vom Leiter der Rettungsflugwacht wiederholt angewiesen worden, das bei Rettungsflügen verwendete Knotentau nur mit einem Brustgeschirr oder einer ähnlichen Sicherungsvorrichtung zu benützen. Ebenso hatte ihn Amann verschiedentlich vor der Verwendung des Taus ohne Sicherung gewarnt.
Wenn die Beschwerdeführer dieses Transportmittel in Kenntnis seiner Gefährlichkeit zur Überführung einer der an der Rettungsaktion beteiligten Drittpersonen einsetzen wollten, obschon sie keinen dieser Helfer näher kannten und auch keine Sicherungsvorrichtung mitgebracht hatten, so oblag ihnen die
BGE 98 IV 5 S. 8
Pflicht, die erforderlichen Sicherungsmassnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass einer der Helfer ohne Sicherung und ohne Unterweisung mit dem Tau befördert werde. Angesichts der schwierigen Geländeverhältnisse im Urbachgraben drängte sich ausserdem eine vorausgehende Verständigung darüber auf, von wem und wie das Startmanöver zu leiten sei, was umso nötiger war, als der Pilot keine Sicht auf das Tau hatte. Stattdessen von jeder Sicherungsvorkehr abzusehen und es dem Zufall zu überlassen, ob ein Helfer mit oder ohne Sicherung und Unterweisung das Tau besteigen werde, war pflichtwidrig unvorsichtig. Wenn die Beschwerdeführer erst auf dem Landeplatz bemerkten, dass sie für den Verlad des Verletzten Graf Hilfe benötigten, und sich ihnen keine Gelegenheit mehr bot, um die im Graben zurückgebliebenen Helfer zu instruieren, so hätten sie bei pflichtgemässer Überlegung auf ihr Vorhaben verzichten müssen.
b) Der Vorwurf mangelnder Vorsicht wird nicht durch den Einwand entkräftet, die Beschwerdeführer hätten angenommen, dass sich kein anderer als Bergführer Maurer für die Beförderung mit dem Tau zur Verfügung stellen werde. Mag den Beschwerdeführern auch bekannt gewesen sein, dass Maurer anlässlich eines Rettungskurses der Vorführung des Taus beigewohnt hat, so wussten sie dennoch nicht, ob er jemals das Tau benützt habe, was nicht zutraf, und ob er sich beim Start und während des Fluges richtig verhalten und sich wenigstens behelfsmässig sichern werde. Zu dieser Ungewissheit kommt hinzu, dass Maurer schon beim ersten Anflug den Vorschlag Amanns, ihn mit Bahre und Netz am Knotentau an die Unfallstelle zu fliegen, ausdrücklich abgelehnt hat mit der Begründung, dass ihm diese Transportart nicht gefalle und er es deshalb vorziehe, zu Fuss in den Graben hinunterzusteigen. Die Erwartung, dass einzig Maurer das Tau besteigen werde und ein Flug mit ihm ungefährlich sei, war demnach durch nichts begründet. Die Beschwerdeführer mussten daher ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, dass einer der Helfer ohne genügende Unterweisung und ohne Sicherung befördert werden könnte, zumal nach dem unerwarteten Wiederauftauchen des Helikopters im Graben kaum noch Zeit zur Anfertigung einer Sicherung bestand. Die Gefahr, dass eine solche unterbleibe, war umso grösser, als sich auch Perren ohne jede Sicherung vom Graben zum Schneefeld hatte fliegen lassen und dieses Beispiel geeignet war, beim
BGE 98 IV 5 S. 9
Unerfahrenen den Eindruck zu erwecken, das Unternehmen sei ungefährlich.
c) Die Beschwerdeführer machen ferner geltend, dass bei Rettungsflügen im Hochgebirge nicht so strenge Anforderungen an die Vorsichtspflicht der Beteiligten gestellt werden dürften, wie es bei gewöhnlichen Transportflügen üblich sei. Insbesondere habe ihnen wegen der Zeitnot, in der sie gehandelt hätten, und mit Rücksicht auf die schlechten Wetterverhältnisse nicht zugemutet werden können, sich noch Gedanken darüber zu machen, wie bei Anwendung des Knotentaus eine Unfallgefahr ausgeschlossen werden könne.
Was die Zeitnot anbetrifft, handelten die Beschwerdeführer nicht in einer ausgesprochenen Zwangslage, die ihnen nur eine beschränkte Möglichkeit zur Überlegung gelassen hätte. Zwar waren zwischen dem Unfall Grafs und seinem Transport zum Landeplatz schon mehr als vier Stunden vergangen, doch war sein Befinden nach der Feststellung der Vorinstanz nicht derart, dass eine Verzögerung des Abfluges um einige Minuten eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirkt hätte. Desgleichen stellt die Vorinstanz hinsichtlich der Witterung fest, dass das Wetter zwar zu Besorgnis Anlass gab, aber nicht so bedrohlich war, dass bei einer geringfügigen Verzögerung des Abfluges ein Abbruch der Rettungsaktion hätte befürchtet werden müssen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Beschwerdeführer ihren Entschluss nicht während des Fluges unter erschwerten Bedingungen zu fassen hatten, sondern sich nach der Landung des Helikopters auf dem Boden über die Art des Verlades schlüssig werden konnten. Den Beschwerdeführern wäre daher zuzumuten gewesen, zunächst den Verlad des Verletzten zu zweit zu versuchen oder, wenn Hilfe unerlässlich war, entweder die beiden Begleiter Grafs, die sich in der Nähe des Landeplatzes aufhielten, herbeizurufen oder dann die Rückkehr der Helfer abzuwarten, die für die Strecke vom Graben zum Landeplatz höchstens 15 Minuten benötigten. Es ist unter diesen Umständen nicht entschuldbar, dass die Beschwerdeführer um eines geringen Zeitgewinnes willen den Helikopter einsetzten, ohne die voraussehbare Möglichkeit zu bedenken, dass das Tau ungesichert benützt und der herbeizuholende Helfer einer Lebensgefahr ausgesetzt werden könnte. Selbst wenn die Beschwerdeführer unter dem Eindruck standen, dass für den Abtransport Grafs höchste Eile geboten sei, so
BGE 98 IV 5 S. 10
hätten sie als erfahrene Mitglieder der Rettungsflugwacht erkennen sollen, dass es nicht gerechtfertigt war, für den rascheren Verlad eines Schwerverletzten das Leben eines freiwilligen Helfers aufs Spiel zu setzen.
2.
Zwischen der Verletzung der Sorgfaltspflicht der Beschwerdeführer und dem Absturz von Bergens bestand auch ein rechtserheblicher Kausalzusammenhang. Die Beförderung einer Person, die in der Benützung des Taus nicht ausgebildet war und für den Flug nicht gesichert wurde, schloss die Gefahr eines Absturzes bereits in sich ein. Die Beschwerdeführer, die das anerkennen, wenden demgegenüber ein, es habe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht erwartet werden müssen, dass das Tau von einem Unerfahrenen ohne jede Sicherung benützt werde. Dieser Auffassung ist indessen im vorliegenden Fall nicht beizupflichten. Nachdem es die Beschwerdeführer unterlassen hatten, irgendwelche Instruktionen zu erteilen und auf die Gefährlichkeit der ungesicherten Beförderung hinzuweisen, und nachdem sich bereits Perren ohne jede Sicherung auf dem Tellersitz hatte wegtragen lassen, war es nichts Aussergewöhnliches, dass einer der anwesenden Helfer, der mit dem Tau nicht vertraut war und die Gefahren nicht kannte, dem Beispiel folgte und sich auf die gleiche Art befördern liess. Darin lag umso weniger ein Ereignis, mit dem nach der Erfahrung des Lebens überhaupt nicht gerechnet werden musste, als die Rückkehr des Helikopters zur zurückgebliebenen Helfergruppe als unmissverständliche Aufforderung zur Benützung des Taus zu verstehen war, die, zumal sie von den Leitern der Rettungsaktion kam, für Unerfahrene ein Grund mehr war, sich über die Gefährlichkeit des ungesicherten Fluges keine oder nur ungenügend Rechenschaft zu geben.
3.
Auf die Notstandsbestimmung des
Art. 34 Ziff. 2 StGB
können sich die Beschwerdeführer nicht berufen. Der Verletzte Graf befand sich nicht in einer unmittelbaren Lebensgefahr, die nicht anders als durch eine lebensgefährliche Überführung eines Helfers am Rettungstau abwendbar gewesen wäre. Wie bereits ausgeführt wurde, hätte ein Helfer ohne grossen Zeitverlust zu Fuss die Landestelle erreichen können, um beim Verlad des Verletzten mitzuwirken. Graf konnte denn auch kurze Zeit nach dem Absturz von Bergens in den Spital geflogen werden, ohne dass er durch die zeitliche Verzögerung des Abfluges einen Schaden davongetragen hat.
BGE 98 IV 5 S. 11
4.
Die Beschwerdeführer sind daher zu Recht wegen fahrlässiger Tötung im Sinne von
Art. 117 StGB
bestraft worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b57618f-6cba-45de-99b6-43bc003d9f7c | Urteilskopf
104 Ib 264
42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1978 i.S. Lusser und Mitbeteiligte gegen Eidgenössisches Amt für das Handelsregister | Regeste
Firmenbildung.
1.
Art. 103 lit. a OG
. Befugnis eines Gesellschafters, auch im Namen von Mitgründern einer Aktiengesellschaft Beschwerde zu führen (E. 1).
2.
Art. 944 OR
,
Art. 45 und 46 HRegV
. Zweck und Umfang des Verbotes, in einer Firma nationale oder territoriale Bezeichnungen zu verwenden (E. 2). Bedeutung des Firmenbestandteils "ORIENTAL", der nach den Umständen als unzulässig zu bezeichnen ist (E. 3 und 4). | Erwägungen
ab Seite 264
BGE 104 Ib 264 S. 264
Erwägungen:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen eine Verfügung des Eidg. Amtes für das Handelsregister, das dem einzelzeichnungsberechtigten Verwaltungsrat der "PARS-ORIENTAL AG ZÜRICH", Eduard Lusser, am 29. August 1978 mitgeteilt hat, dass es sich beim Firmenbestandteil "ORIENTAL" um eine nach Art. 45/46 HRegV unzulässige territoriale Bezeichnung handle; besondere Gründe, die eine Ausnahme rechtfertigten, seien nicht dargetan; die Bezeichnung erweise sich vielmehr als reklamehaft und täuschend und sei daher schon nach
Art. 944 Abs. 1 OR
sowie gemäss
Art. 38 Abs. 1 und
Art. 44 Abs. 1 HRegV
abzulehnen.
Mit der Beschwerde wird beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und festzustellen, dass die beanstandete Firmenbezeichnung
BGE 104 Ib 264 S. 265
zulässig, folglich im Handelsregister einzutragen sei.
Die Beschwerde ist von Lusser verfasst und eingelegt worden, der zusammen mit Djafar Fazeli und Hossein Fazeli die PARS-ORIENTAL AG ZURICH im August 1978 gegründet hat. Die Gründer einer Aktiengesellschaft bilden bis zu deren Eintragung eine einfache Gesellschaft (
BGE 102 II 423
). Sie sind nach
Art. 103 lit. a OG
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt, wenn sie schon im vorinstanzlichen Verfahren Partei gewesen sind (
BGE 101 Ib 362
). Handelt nur einer der Mitgründer, so darf nach
Art. 543 Abs. 2 und 3 OR
seine Ermächtigung zur Vertretung der übrigen vermutet werden, zumal wenn wie hier die Beschwerde vom einzelzeichnungsberechtigten Verwaltungsrat eingereicht wird (
BGE 95 I 278
E. 1b). Obschon keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist daher auf die Beschwerde Lussers auch insoweit einzutreten, als sie namens der beiden Mitgründer Fazeli erhoben worden ist.
2.
Nach
Art. 944 OR
sind nur Firmen zulässig, deren Inhalt der Wahrheit entspricht, keine Täuschungen verursachen kann und keinem öffentlichen Interesse zuwiderläuft (Abs. 1). Der Bundesrat kann bestimmen, in welchem Umfange nationale und territoriale Bezeichnungen verwendet werden dürfen (Abs. 2). Er hat angeordnet, dass insbesondere Handelsgesellschaften keine nationalen Bezeichnungen in ihre Firma aufnehmen dürfen, das Amt für das Handelsregister jedoch Ausnahmen gestatten kann, wenn sie durch besondere Umstände gerechtfertigt sind (
Art. 45 HRegV
). Diese Bestimmung ist auch auf territoriale und regionale Zusätze anwendbar (
Art. 46 HRegV
).
a) Aus dieser Regelung erhellt, dass das Amt die Verwendung solcher Bezeichnungen auch dann verbieten kann, wenn sie zu keinen Täuschungen Anlass geben können, und dass der Zweck des Verbotes sich nicht darin erschöpft, reklamehaften Zusätzen vorzubeugen; andernfalls hätten die allgemeinen Vorschriften von
Art. 944 Abs. 1 OR
und
Art. 44 Abs. 1 HRegV
genügt. Die
Art. 45 und 46 HRegV
gehen über diese Vorschriften hinaus, da sie nationale und territoriale Bezeichnungen in Firmen grundsätzlich untersagen und Ausnahmen von besonderen Umständen abhängig machen. Das Amt folgert daraus, dass die Regelung als Verbots-, nicht bloss als Missbrauchsgesetzgebung anzusehen sei. Zu dieser Würdigung
BGE 104 Ib 264 S. 266
wurde es offenbar durch einzelne Bundesgerichtsentscheide veranlasst, wonach die
Art. 45 und 46 HRegV
Missbräuche vermeiden, namentlich die täuschende oder reklamehafte Verwendung solcher Bezeichnungen verhindern wollen (
BGE 102 Ib 18
E. 2a,
BGE 98 Ib 299
E. 1). Das Bundesgericht begnügte sich in diesen oder ähnlichen Erwägungen indes nicht damit, den Zweck der Regelung zu umschreiben, sondern fügte stets bei, dass eine Bezeichnung zugelassen werden müsse, wenn ein schutzwürdiges Interesse bestehe, sie insbesondere der Individualisierung des Unternehmens durch ein Element diene, das sie objektiv von andern unterscheide. Das heisst, dass das Amt nicht schon deshalb eine Ausnahme zu machen braucht, weil der beanspruchte Zusatz weder täuschend noch reklamehaft ist, was in andern Entscheiden noch deutlicher gesagt worden ist(
BGE 97 I 75
E. 2,
BGE 96 I 611
E. b,
BGE 86 I 247
E.4).
b) Die Beschwerdeführer behaupten mit Recht nicht, dass einer der in
Art. 104 lit. c OG
aufgezählten Fälle vorliegt. Fragen kann sich bloss, ob sie sich auf "Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens" im Sinne von
Art. 104 lit. a OG
berufen können. Nach dieser Bestimmung darf das Bundesgericht insbesondere bei Anwendung der
Art. 45 und 46 HRegV
nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen, sondern nur prüfen, ob das Amt auf objektiv massgebende Kriterien abgestellt und dabei sein Ermessen nicht überschritten habe (
BGE 102 Ib 18
E. 2b,
BGE 101 Ib 366
E. 5a,
BGE 97 I 75
E. 1).
3.
Die seit August 1978 bestehende PARS-ORIENTAL AG ZURICH bezweckt den "Verkauf von persischen und andern orientalischen Teppichen ab Freilager Zürich, sowie alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten". Das Amt anerkennt, dass wegen dieses Zweckes der Zusatz "ORIENTAL" als Sachbezeichnung und Hinweis auf die Natur des Unternehmens anzusehen wäre und nicht der Prüfung nach
Art. 45 und 46 HRegV
unterläge, wenn die Bezeichnung etwa in "PARS ORIENTAL CARPETS AG" oder "PARS ORIENT-TEPPICHE AG" verwendet würde (
BGE 91 I 214
). Die Beschwerdeführer unterstellen diesen Zusammenhang mit Orientteppichen für den Fachhandel, mit dem ihr Unternehmen ausschliesslich zu tun habe, als selbstverständlich. Eine Handelsfirma wendet sich indes nicht nur an ihre Kunden, sondern stets
BGE 104 Ib 264 S. 267
auch an weitere Kreise; das Amt beurteilte deshalb die beanspruchte Bezeichnung zu Recht aus der Sicht des Publikums überhaupt (
BGE 100 Ib 243
E. 4,
BGE 95 I 279
E. 4).
Die Beschwerdeführer widersprechen der Auffassung des Amtes über die Bedeutung des Firmenbestandteils "ORIENTAL" denn auch nicht aus diesem Grunde. Sie machen geltend, mit "Orient" sei vor allem eine Himmelsrichtung gemeint, während "oriental" eher mit "Abendland" oder "westlich" zu vergleichen, also nur eine vage territoriale Bezeichnung sei. Als solche gelten indes nicht bloss Angaben über Gebiete mit bestimmten politischen Grenzen, sondern auch Hinweise auf einen geographischen Raum, der nicht genau bestimmbar zu sein braucht (BGE
BGE 96 I 611
E. b,
BGE 86 I 247
E. 4). In diesem Sinne hat das Bundesgericht z.B. mit Bezug auf die Bezeichnungen "Middle East" (nicht veröffentlichtes Urteil vom 11. Mai 1976) und "American" (
BGE 91 I 215
E. b) entschieden. Aus dem Urteil i.S. Consult Overseas Ltd. können die Beschwerdeführer nichts zu ihren Gunsten ableiten, weil es nur unbestimmte Bezeichnungen wie Welt, Erde, Ozean, Meer usw. von der Regelung der
Art. 45 und 46 HRegV
ausnimmt. So allgemein und ungenau sind die Begriffe "Orient" und "oriental" nicht; wie aus den von den Beschwerdeführern angerufenen Lexikonstellen erhellt, sind sie jedenfalls auf den Nahen und Mittleren Osten zu beziehen, folglich auch im vorliegenden Fall so zu verstehen, zumal es nicht um deren kultur- oder geistesgeschichtliche Bedeutung geht. Eine solche Nebenbedeutung vermöchte übrigens an ihrem territorialen Charakter nichts zu ändern. Das Amt hat daher den Firmenbestandteil "ORIENTAL" zu Recht nach
Art. 45 und 46 HRegV
beurteilt.
4.
Nach der angefochtenen Verfügung haben die Beschwerdeführer keine besonderen Umstände im Sinne dieser Bestimmungen vorgebracht, was sie auch in der Beschwerde nur mit blossen Andeutungen nachzuholen suchen. Sie berufen sich sinngemäss darauf, dass ihr Unternehmen den Verkauf von persischen und andern orientalischen Teppichen bezweckt. Gemäss ständiger Rechtsprechung genügt es jedoch nicht, die Geschäftstätigkeit einer Gesellschaft auf einen bestimmten Raum auszurichten, um die Verwendung einer entsprechenden territorialen Bezeichnung in ihrer Firma zu rechtfertigen (
BGE 102 Ib 19
E. 3b,
BGE 97 I 76
E. a,
BGE 96 I 612
). Der Hinweis auf die
BGE 104 Ib 264 S. 268
PARS EXPORT AG und die PARS IMPORT AG sodann, deren Räume und Personal von der PARS-ORIENTAL AG angeblich übernommen werden, vermöchten allenfalls die Verwendung des Firmenbestandteils "PARS" zu rechtfertigen; für den Zusatz "ORIENTAL", der neu ist, ergibt sich daraus dagegen nichts. Andere besondere Umstände, welche die Verwendung als zulässig erscheinen liessen, sind nicht zu ersehen und werden von den Beschwerdeführern auch nicht behauptet. Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Amtes aber nicht zu beanstanden, die Beschwerdeführer hätten mit dem streitigen Zusatz bloss das Ansehen der Gesellschaft heben oder einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz erlangen wollen. Das genügt nach ständiger Rechtsprechung indes ebenfalls nicht, um eine streitige Firmenbezeichnung von der Regelung der
Art. 45 und 46 HRegV
auszunehmen (
BGE 102 Ib 19
E. 3b,
BGE 97 I 77
E. b,
BGE 92 I 305
).
Da die angefochtene Verfügung vor diesen Bestimmungen standhält, kann offen bleiben, ob die beanspruchte Firma auch wegen Täuschungsgefahr gemäss
Art. 944 Abs. 1 OR
abzulehnen wäre, wie das Amt annimmt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3b63450b-e371-4d8d-b55c-d373e343020d | Urteilskopf
115 IV 95
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Juli 1989 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 64 Abs. 8 StGB
; Strafmilderung wegen Ablaufs verhältnismässig langer Zeit.
Ob die Strafverfolgung der ordentlichen Verjährung nahe sei, entscheidet sich auf den Zeitpunkt der Ausfällung des Sachurteils; bei einer Appellation mit Devolutiv- und Suspensivwirkung ist dies das Datum der obergerichtlichen Beurteilung. | Erwägungen
ab Seite 95
BGE 115 IV 95 S. 95
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, die Vorinstanz habe eine Strafmilderung nach Art. 64 Absatz 8 StGB zu Unrecht verweigert; sie räume zwar ein, dass die ordentliche Verjährungsfrist
BGE 115 IV 95 S. 96
fast abgelaufen sei, ohne jedoch darzulegen, weshalb sie dennoch
Art. 64 StGB
nicht anwende; es stehe fest, dass seit der ersten Tat 19 Jahre und seit der letzten 9 Jahre bis zur vorinstanzlichen Beurteilung verstrichen seien; der Rechtsbegriff der "verhältnismässig langen Zeit" sei deshalb falsch ausgelegt worden; im übrigen sei der Begriff des fortgesetzten Deliktes bei einer Deliktsserie, die sich über 10 Jahre erstrecke, ohnehin höchst fragwürdig.
Die Vorinstanz führte in diesem Zusammenhang aus: "Entgegen dem Antrag des Privatverteidigers findet keine Strafmilderung nach Art. 64 Absatz 8 StGB statt. Wenngleich einzelne Deliktshandlungen heute schon weit zurückliegen, ist seit der gesamten Tatzeit noch nicht eine so lange Zeit verstrichen, dass die genannte Bestimmung zur Anwendung gelangen könnte. Verhältnismässig lange im Sinne von Art. 64 Absatz 8 ist eine Zeit praxisgemäss erst dann, wenn die ordentliche Verjährungsfrist fast abgelaufen ist, der Eintritt der Verjährung also kurz bevorsteht (...) Diese Voraussetzung ist hier noch nicht erfüllt."
Die vom Appellationsgericht am 29. März 1989 zu dieser Begründung eingereichten ergänzenden Bemerkungen müssen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unbeachtet bleiben (
BGE 98 IV 307
E. 1). Auszugehen ist deshalb einzig von den oben zitierten Erwägungen. Sollte der ihnen vorangestellte Passus, bei der Strafzumessung folge das Appellationsgericht den überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz, sinngemäss bedeuten, bei der Bestimmung der "verhältnismässig langen Zeit" sei grundsätzlich in jedem Fall auf das erstinstanzliche Urteil abzustellen, so wäre diese Auffassung mit dem Bundesrecht nicht vereinbar. Ob seit der Tat verhältnismässig lange Zeit verstrichen, die Strafverfolgung der ordentlichen Verjährung nahe sei (
BGE 102 IV 209
E. 5 mit Hinweisen), entscheidet sich auf den Zeitpunkt der Ausfällung des Sachurteils. Hat der Betroffene gegen ein erstinstanzliches Urteil in einzelnen Schuldpunkten die Appellation erklärt, und kommt einer solchen nach dem kantonalen Prozessrecht Devolutiv- und Suspensivwirkung zu, wie es hier der Fall ist, so entscheidet sich demzufolge auf den Zeitpunkt der oberinstanzlichen Beurteilung, ob die Voraussetzungen zur Anwendung von Art. 64 Absatz 8 StGB gegeben sind. Selbst wenn indessen vorliegend der 14. Dezember 1988, an welchem das Appellationsgericht entschied, als massgeblicher Beurteilungszeitpunkt betrachtet wird, erscheint es angesichts der Tatzeitpunkte gemäss Anklageschrift
BGE 115 IV 95 S. 97
(letzte Delikte Anfang 1980) fraglich, ob wirklich verhältnismässig lange Zeit verstrichen sei und der Beschwerdeführer sich wohl verhalten habe. Das Appellationsgericht trifft insofern keine tatsächlichen Feststellungen, so dass die Rechtsanwendung nicht überprüft werden kann. Dies führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und Rückweisung der Sache im Sinne von
Art. 277 BStP
. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b656bff-279b-4ce5-bb7c-2bada1e3a943 | Urteilskopf
104 V 9
3. Auszug aus dem Urteil vom 8. März 1978 i.S. Circelli gegen Schweizerische Krankenkasse für das Bau- und Holzgewerbe und verwandte Berufe (SKBH) und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Verspätete Meldung des Versicherungsfalles (
Art. 3 Abs. 3 und
Art. 12 ff. KUVG
).
- Die schuldhafte Verspätung der Meldung zieht nicht eine Leistungsverwirkung, sondern den sanktionsweisen Leistungsentzug nach sich.
- Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit in diesem Zusammenhang (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 9
BGE 104 V 9 S. 9
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 25 lit. a Ziff. 2 des Kollektivversicherungsvertrages hat der Versicherte der Kasse innert 6 Tagen nach Behandlungsbeginn die Krankmeldung zu erstatten; füllt der Arzt den Krankenschein nicht aus, hat der Versicherte ein ärztliches Zeugnis beizulegen. Tritt während der Behandlung eine Arbeitsunfähigkeit ein, hat er die Kasse innert 6 Tagen zu benachrichtigen, selbst wenn bereits ein ärztliches Zeugnis vorhanden ist.
Für die Erfüllung dieser Formalitäten ist der Versicherte persönlich verantwortlich "und kann sie nicht auf den Arzt
BGE 104 V 9 S. 10
oder einen Dritten abschieben" (Art. 25 lit. a Ziff. 4 des Kollektivversicherungsvertrages).
Art. 25 lit. a Ziff. 5 des Kollektivversicherungsvertrages bestimmt: "Im Falle verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit werden die Leistungen ab jenem Tag ausgerichtet, da die Kasse von der Arbeitsunfähigkeit Kenntnis erhalten hat ... Ist die Anmeldung nach 6 Tagen erfolgt und trägt der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter keine Schuld, anerkennt die Kasse die Leistungen ab 1. Krankheitstag."
2.
Nach der Rechtsprechung gelten solche Ordnungsvorschriften grundsätzlich nicht als bundesrechtswidrig. Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt entschieden hat, sind die Kassen befugt, ihre Leistungen bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemässen Meldung zu verweigern, wenn vom Versicherten die rechtzeitige Meldung vernünftigerweise verlangt werden kann. Erscheint dagegen eine Pflichtverletzung nach den Umständen als entschuldbar, so dürfen damit in der Regel keine Sanktionen verbunden werden (
BGE 99 V 129
,
BGE 98 V 156
sowie nicht veröffentlichtes Urteil vom 11. April 1973 i.S. Flütsch).
In
BGE 99 V 129
hat das Gericht ausgeführt, die durch den Versicherten verschuldete Verspätung der Anmeldung ziehe die Verwirkung des Leistungsanspruchs nach sich; dabei sei der Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht anwendbar. Diese Feststellung bedarf der Präzisierung. Mit Bezug auf das Verhältnismässigkeitsprinzip ist zu unterscheiden zwischen der Verhältnismässigkeit einer Regelung als solcher und der Verhältnismässigkeit ihrer Anwendung im Einzelfall (vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I Nr. 58, insbesondere S. 340 f.). Im vorliegenden Fall kann nach dem Gesagten davon ausgegangen werden, es verstosse nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, wenn die Kassenstatuten bzw. der Kollektivversicherungsvertrag bestimmen, dass die Leistungen bei einer vom Versicherten zu verantwortenden Versäumnis bis zum Zeitpunkt der verspäteten Meldung verweigert werden. Bei der Anwendung der Sanktion im Einzelfall bleibt für die Frage der Verhältnismässigkeit so lange kein Raum, als die massgebenden Bestimmungen - wie hier - nur eine einzige Sanktion vorsehen, die als solche als verhältnismässig gelten kann. Anders verhält es sich, wenn mehrere bzw. variable Sanktionen für die verspätete
BGE 104 V 9 S. 11
Meldung, wie z.B. die Verweigerung oder Kürzung der Leistungen, angedroht sind. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob die Anwendung der Kassenbestimmung im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung trägt. Im übrigen geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht um eine Verwirkung, sondern um eine vom Verschulden abhängige Sanktion.
3.
a) In der angefochtenen Verfügung wird die Verweigerung des Krankengeldes damit begründet, der Versicherte habe der Kasse die Krankmeldung nicht innert der vorausgesetzten Frist von 6 Tagen ab Krankheitsbeginn zugestellt. Aus den Akten ergibt sich indessen, dass sich der Beschwerdeführer am 7. Oktober 1975 in ärztliche Behandlung begeben hat und dass die Krankmeldung am 9. Oktober 1975 erfolgte. Verspätet ist daher nicht die Krankmeldung, sondern allenfalls die Meldung der später eingetretenen Arbeitsunfähigkeit.
Kasse und Vorinstanz gehen davon aus, der Beschwerdeführer habe die Arbeitsunfähigkeit erst gemeldet, als er wieder arbeitsfähig gewesen sei, mit der Folge, dass ihm kein Krankengeld ausgerichtet werden könne. Am 19. Januar 1976 erstattete er jedoch über seinen Arbeitgeber eine zweite Krankmeldung, in welcher der 13. November 1975 als letzter Arbeitstag angegeben wird. Damit hat die Kasse im Sinne des Kollektivversicherungsvertrages "von der Arbeitsunfähigkeit Kenntnis erhalten", weshalb der Beschwerdeführer für die Zeit ab 19. Januar 1976 grundsätzlich Anspruch auf die versicherten Krankengeldleistungen hat.
b) Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer das Krankengeld auch für die Zeit vor dem 19. Januar 1976 beanspruchen kann. Dies beurteilt sich gemäss Art. 25 lit. a Ziff. 5 des Kollektivversicherungsvertrages und der Rechtsprechung (
BGE 99 V 132
) danach, ob er die Meldung schuldhaft verspätet eingereicht hat.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe keine Meldung erstattet, weil er im Zeitpunkt, als er arbeitsunfähig erklärt worden sei, noch über einen gültigen Krankenschein verfügt habe. Das Versäumnis sei entschuldbar, weil er als Kollektivversicherter nicht in direktem Kontakt zur Versicherung gestanden habe und über die Versicherungsbestimmungen nicht im einzelnen orientiert gewesen sei. Auf der Rückseite des Krankmeldungsscheines sei zwar vermerkt, dass der
BGE 104 V 9 S. 12
Versicherte eine in der Zwischenzeit eingetretene Arbeitsunfähigkeit innert 6 Tagen zu melden habe; er sei jedoch der deutschen Sprache nicht mächtig und habe sich darauf verlassen, dass er durch die Abgabe des Krankenscheins beim Arzt seiner Pflicht als Patient nachgekommen sei. In den letzten Jahren sei er mehrmals krank gewesen und habe jeweils, nachdem er dem Arzt den Krankenschein abgegeben habe, das Krankengeld erhalten. Es sei denn auch im Oberwallis die übliche Praxis, dass für den Versicherten nach Abgabe des Krankenscheines beim Arzt keine weiteren Pflichten bestünden.
Was der Beschwerdeführer vorbringt, lässt die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit nicht als entschuldbar erscheinen. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, es seien ihm die für die Kollektivversicherung massgebenden Unterlagen nicht ausgehändigt worden; er macht lediglich geltend, er sei "über die Versicherungsbestimmungen nicht einzeln orientiert" gewesen, was ebensogut auf eigene Nachlässigkeit oder mangelnde Sprachkenntnis zurückgeführt werden kann. Jedenfalls aber anerkennt er, dass der Krankmeldungsschein einen ausdrücklichen Hinweis auf die Pflicht zur besonderen Meldung der Arbeitsunfähigkeit enthielt, weshalb er bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 14. November 1975 hierüber nicht in Unkenntnis sein konnte. Dass der Hinweis in deutscher Sprache erfolgte, ist unerheblich. Eine Bestimmung, wonach die Kasse ihre Mitteilungen in einer andern als der Amtssprache am Wohnsitz des Versicherten zu machen hätte, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Kassenstatuten bzw. dem Kollektivversicherungsvertrag. Dass der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge in früheren Krankheitsfällen das Taggeld unmittelbar auf Grund der Krankmeldung bezogen hat, lässt sich damit erklären, dass in jenen Fällen gleichzeitig auch eine Arbeitsunfähigkeit bestätigt worden ist. Der Einwand, es entspreche einer allgemeinen Praxis, dass der Versicherte nach Abgabe des Krankmeldungsscheines beim Arzt nichts mehr vorzukehren habe, steht in offensichtlichem Gegensatz zu den Bestimmungen des Kollektivversicherungsvertrages, welcher als Rahmenvertrag für mehrere grosse Krankenkassen und das Baugewerbe des Kantons Wallis einschliesslich verwandter Berufe Geltung hat. Er ist in keiner Weise substantiiert und derart unwahrscheinlich, dass sich
BGE 104 V 9 S. 13
weitere Abklärungen erübrigen. Solcher bedarf es auch hinsichtlich der vom Bundesamt für Sozialversicherung aufgeworfenen Frage nicht, ob der Beschwerdeführer habe davon ausgehen dürfen, die Arbeitgeberfirma werde für die Meldung der Arbeitsunfähigkeit besorgt sein. Dies behauptet der Beschwerdeführer selber nicht. Es stünde auch eindeutig im Widerspruch zur Bestimmung im Kollektivversicherungsvertrag, wonach der Versicherte für die Erfüllung der Meldepflicht persönlich verantwortlich ist. Er durfte sich insbesondere nicht darauf verlassen, der behandelnde Arzt werde für die erforderliche Meldung besorgt sein (vgl. RSKV 1977, S. 145). Es muss daher mit der Feststellung sein Bewenden haben, dass die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit vom Versicherten verschuldet ist. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b671789-d376-44c1-a100-0aa25ee2254f | Urteilskopf
118 V 274
34. Arrêt du 4 décembre 1992 dans la cause L'Avenir Assurances, Société suisse d'assurance-maladie et accidents contre B. et Cour de justice du canton de Genève | Regeste
Art. 104 lit. a OG
: Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Ob eine Krankenkasse ein vom Arzt verordnetes Arzneimittel übernehmen muss oder nicht, ist eine Frage des Bundesrechts, auch wenn diesbezüglich kantonale Vorschriften bestehen. Daher ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen eine Verfügung, welche die Übernahme eines solchen Arzneimittels bejaht oder verweigert (Erw. 1).
Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. c und Abs. 6 KUVG, Art. 4 Abs. 5 Vo VIII: Arzneimittel "ausserhalb der Liste" und wissenschaftlich anerkannte Heilanwendung.
Die Spezialitätenliste (SL) kann die Abgabe von Arzneimitteln auf bestimmte Indikationen beschränken. Wird das fragliche Arzneimittel für andere als in der SL aufgeführte Indikationen verwendet, so gilt es als Arzneimittel "ausserhalb der Liste". Es liegt jedoch eine wissenschaftlich anerkannte Heilanwendung vor, wenn das Arzneimittel für eine im Arzneimittel-Kompendium der Schweiz zugelassene Indikation abgegeben wird (Erw. 2 bis Erw. 4).
Kantonale Vorschriften zur Übernahme von Arzneimitteln durch die Krankenkassen.
Darf ein Kanton die Krankenkassen zur Übernahme eines Arzneimittels verpflichten, das in der SL mit einer Beschränkung der Indikation versehen ist? Frage in casu bejaht, weil die kantonalrechtliche Verpflichtung dem Bundesrecht, namentlich dem Gebot der Wirtschaftlichkeit der Behandlung nach
Art. 23 KUVG
nicht widerspricht (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 118 V 274 S. 276
A.-
a) Armand B. est assuré auprès de la caisse-maladie reconnue "L'Avenir Assurances, Société suisse d'assurance-maladie et accidents" (ci-après: la caisse ou l'Avenir) dont le siège est à Fribourg. Il bénéficie, en particulier, de l'assurance (de base) des soins médicaux et pharmaceutiques pour maladie (catégorie A).
Aux termes de l'art. 2 ch. 2 des conditions générales de l'assurance-maladie individuelle: "L'Avenir se soumet aux lois cantonales sur l'assurance-maladie et accidents."
b) Dans le canton de Genève, le subventionnement des caisses-maladie - qu'il faut distinguer du subventionnement des assurés à ressources modestes - fait l'objet d'une loi du 9 octobre 1969, plusieurs fois révisée (RS GE: J 5 6) et d'un règlement d'exécution du 27 février 1970 (RS GE: J 5 6.2).
L'art. 10 de cette loi cantonale dispose:
"1 Tous les médicaments ordonnés par un médecin et dont la vente est
autorisée dans le canton doivent être pris en charge.
2 La participation aux frais doit être calculée de façon identique quel
que soit le médicament ordonné: toutefois, pour les produits
pharmaceutiques qui ne figurent ni dans la "Liste des médicaments et tarif
à l'usage des caisses-maladie" (LMT) ni dans la "Liste fédérale des
spécialités" (LS), la participation de la caisse peut être limitée à 800
F. par feuille de maladie et au plus à 2'000 F. par année civile.
3 Ne sont pas considérés comme médicaments au sens de la présente loi les
produits pharmaceutiques dont la vente est autorisée dans tous les
commerces et ceux qui figurent sur une liste établie par règlement du
Conseil d'Etat sur préavis de la commission cantonale consultative en
matière d'assurance-maladie; cette liste ne peut contenir des médicaments
figurant dans la LMT ou la LS."
En application du troisième alinéa de cette disposition de la loi, le Conseil d'Etat genevois a édicté le 5 novembre 1986 un règlement
BGE 118 V 274 S. 277
fixant la liste des produits pharmaceutiques pouvant être exclus de la prise en charge par les caisses-maladie (RS GE: J 5 6.3).
Il en résulte notamment que ne sont pas considérés comme médicaments au sens de la loi, les produits énumérés dans la "liste négative" établie par l'Union des Fédérations suisses de caisses-maladie en collaboration avec la Société suisse de pharmacie (art. 1er al. 1).
c) L'assuré consulta le 2 mai 1990 la Policlinique de dermatologie de l'Hôpital cantonal universitaire de Genève. Il présentait une varicelle ayant débuté depuis quelques jours. Le Dr. S., chef de clinique scientifique, prescrivit un traitement de Zovirax comprimés, à raison de 4 gr./j. pendant cinq jours. Ce traitement avait une double indication:
- limiter l'extension des lésions cutanées
- réduire les risques d'atteinte d'organes internes (pneumonie varicelleuse).
Par décision du 2 mai 1991, la caisse refusa de prendre en charge les frais de ce médicament, pour le motif que s'il figurait bien dans la liste des spécialités (LS), c'était avec des indications médicales précises, différentes de celles qui avaient conduit en l'espèce le médecin traitant à le prescrire.
B.-
Par jugement du 6 février 1992, la Cour de justice du canton de Genève admit le recours formé par Armand B. contre cette décision, annula cette dernière et condamna la caisse à prendre en charge la totalité du coût du traitement au Zovirax prescrit au recourant en mai 1990.
C.-
L'Avenir interjette recours de droit administratif et conclut à l'annulation du jugement cantonal.
Armand B. conclut au rejet du recours, sous suite de dépens. L'Office fédéral des assurances sociales (ci-après: l'OFAS) produit un rapport de sa section des médicaments et propose le rejet du recours.
Les moyens des parties et de l'autorité fédérale de surveillance seront exposés dans le corps de l'arrêt, pour autant que de besoin.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'
art. 104 let. a OJ
, le recours de droit administratif peut être formé pour violation du droit fédéral, y compris l'excès et l'abus du pouvoir d'appréciation. En vertu de l'art. 104 let. b en liaison avec l'
art. 105 al. 2 OJ
, le recourant peut aussi faire valoir que
BGE 118 V 274 S. 278
l'autorité cantonale de recours a constaté les faits pertinents de manière manifestement inexacte ou incomplète ou qu'elle les a établis au mépris de règles essentielles de procédure.
Cependant, dans la procédure de recours portant sur l'octroi ou le refus de prestations d'assurance (y compris la restitution de celles-ci), le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral des assurances est plus étendu. Le tribunal peut alors examiner l'opportunité de la décision attaquée; il n'est en outre pas lié par l'état de fait constaté par la juridiction inférieure. Par ailleurs, le tribunal peut s'écarter des conclusions des parties à l'avantage ou au détriment de celles-ci (
art. 132 OJ
;
ATF 117 V 306
consid. 1a et les références).
b) Malgré les apparences, le jugement attaqué est fondé sur le droit fédéral et non pas sur le droit cantonal dont la violation ne peut, selon ce qui vient d'être dit, être invoquée dans le cadre d'un recours de droit administratif. En effet, l'
art. 12 al. 2 ch. 1 let
. c LAMA prévoit qu'au titre de l'assurance des soins médicaux et pharmaceutiques, les caisses doivent prendre en charge au moins les médicaments ordonnés par un médecin. Et selon l'
art. 12 al. 6 LAMA
, le Conseil fédéral, sur préavis d'une commission des médicaments nommée par lui, détermine les médicaments qui sont obligatoirement à la charge des caisses. Il désigne en outre, sur préavis de ladite commission, des médicaments dont la prise en charge est recommandée aux caisses. Dès lors, les cantons ne peuvent édicter des règles qui, sur ces divers points, iraient à l'encontre des normes de droit fédéral ou en empêcheraient l'application (cf. par analogie, à propos des normes cantonales édictées en application de l'
art. 2 al. 1 let. a LAMA
, l'arrêt
ATF 112 V 113
consid. 2d).
Le recours est partant recevable.
2.
a) Les médicaments dont la prise en charge est obligatoire pour les caisses figurent dans la liste des médicaments avec tarif; les spécialités et les médicaments confectionnés dont la prise en charge est recommandée aux caisses sont mentionnés dans la liste des spécialités (
art. 12 al. 2 ch. 1 let
. c et 12 al. 6 LAMA, 22 Ord. III).
Lorsqu'un traitement médical comportant l'administration de médicaments n'est pas scientifiquement reconnu ou est scientifiquement contesté, cela suffit pour que les caisses-maladie n'aient pas à prendre en charge les remèdes ainsi prescrits; il n'est donc pas nécessaire d'examiner la question sous l'angle des règles applicables aux médicaments. Mais, s'il est établi qu'une préparation ne figure pas dans la liste des médicaments et que les dispositions internes des
BGE 118 V 274 S. 279
caisses n'en prévoient pas la prise en charge, cela exclut déjà toute obligation de ces dernières de l'assumer; il est alors superflu de vérifier si le traitement dispensé est scientifiquement reconnu, voire incontesté (
ATF 107 V 168
consid. 1a et la jurisprudence citée; RAMA 1987 No K 711 p. 30 consid. 1b).
Selon l'
art. 12 al. 6 LAMA
, le Conseil fédéral désigne, sur préavis de la Commission fédérale des médicaments (CFM) nommée par lui, les médicaments dont la prise en charge est recommandée aux caisses-maladie, sans pour autant être obligatoire. Ces médicaments sont énumérés dans une liste des spécialités, établie par l'Office fédéral des assurances sociales (art. 3 Ord. VIII). D'après l'art. 4 al. 1 Ord. VIII, un médicament est admis sur cette liste s'il répond à un besoin d'ordre médical (let. a), s'il est approprié à son but et si son efficacité et sa composition offrent les garanties voulues (let. b), et s'il est économique (let. c). Aux termes de l'al. 6 de cette disposition, le Département fédéral de l'intérieur, après avoir entendu la Commission fédérale des médicaments, arrête les dispositions de détail concernant les conditions d'admission. Il l'a fait dans l'ordonnance 10 du DFI sur l'assurance-maladie concernant l'admission des médicaments sur la liste des spécialités, du 19 novembre 1968 (
ATF 110 V 111
consid. 2,
ATF 108 V 133
consid. 2,
ATF 102 V 79
consid. 2).
b) En l'espèce, le médicament prescrit à l'intimé par le médecin traitant, le Zovirax, figure dans la LS, avec la limitation suivante:
"Usage uniquement en cas d'infection d'herpès simple chez le patient avec
immunosuppression (p.ex. lors de transplantations), lors du 1er épisode
d'herpès génital et en cas d'herpès labial très grave. Prise en charge
d'une thérapie de suppression en cas fréquent d'herpès génital récidivant
seulement si la caisse a donné une garantie spéciale. Usage en cas
d'herpès zoster avec atteinte systémique, en cas d'herpès zoster disséminé
et pour les patients immunodéficients."
Il n'est pas contesté qu'une telle limitation soit conforme à la réglementation précitée, en particulier l'art. 4 al. 5 Ord. VIII d'après lequel la LS peut prévoir une limitation quantitative de certains médicaments ou en restreindre le champ d'application.
3.
a) La recourante soutient, pour l'essentiel, qu'un médicament, dès lors qu'il figure dans la LS, ne peut jamais être considéré comme un médicament "hors liste" au sens de l'art. 10 al. 2 de la loi cantonale précitée, même s'il est prescrit - comme c'est le cas en l'espèce - pour une autre indication que celles prévues dans la liste. A défaut, arguë-t-elle, cela tendrait à enlever toute portée pratique
BGE 118 V 274 S. 280
aux limitations voulues par la Commission fédérale des médicaments et ferait perdre toute crédibilité aux listes des médicaments dressées par l'autorité fédérale. Elle estime que la législation cantonale ne saurait être interprétée dans ce sens. Enfin, elle considère qu'en l'obligeant à prendre en charge le coût d'un médicament inscrit sur la LS avec limitation, sans tenir compte de celle-ci, l'autorité cantonale a violé le principe d'économie du traitement consacré par l'
art. 23 LAMA
.
En revanche, les premiers juges et l'intimé sont d'avis qu'un médicament inscrit sur la LS avec limitation devient, lorsqu'il est employé pour un autre usage que celui qui fait l'objet de cette limitation, un médicament "hors liste" dont le législateur genevois a précisément voulu, moyennant le versement de subventions aux caisses-maladie et la fixation de certaines limites quantitatives, qu'il soit également pris en charge par les caisses. Selon eux, un tel médicament ne saurait être considéré comme faisant partie de la "liste négative" dont la prise en charge est exclue par la réglementation cantonale.
b) Dans le cas particulier, s'il est vrai que la LS limite l'utilisation du Zovirax aux affections herpétiques susmentionnées, le Compendium suisse des médicaments 1991 contient quant à lui les indications suivantes (p. 2657):
"Herpesvirus de la varicelle-zona
Voie i.v.: Varicelle-zona chez l'immunocompétent, mais essentiellement
chez l'immunodéprimé ou dans le zona disséminé. Acyclovit est aussi
indiqué en cas de complications de la varicelle de type pneumonie.
Per os: Zona (mise en oeuvre du traitement aussi précoce que possible,
c'est-à-dire dans les 72 h.), formes disséminées, zona ophtalmique".
Pour sa part, la section des médicaments de l'OFAS expose que selon les dispositions générales applicables à la "liste négative", un médicament inscrit sur la LS ne peut figurer dans cette liste. Si, comme en l'espèce, un médicament est inscrit sur la LS avec limitation mais que l'Office intercantonal de contrôle des médicaments l'admet pour d'autres indications que celles énoncées dans cette limitation, il faut alors considérer qu'il s'agit, pour ces autres indications, d'un médicament hors liste.
Par ailleurs, ladite section précise que lorsque le Zovirax est utilisé pour une indication admise dans le Compendium suisse des médicaments, cela signifie qu'il s'agit d'un traitement scientifiquement reconnu, bien que ladite indication ne soit pas mentionnée dans le texte de la limitation prévue par la LS.
BGE 118 V 274 S. 281
4.
a) Aucune norme de droit fédéral n'interdit aux cantons d'étendre le champ d'application des prestations médico-pharmaceutiques qui doivent obligatoirement être prises en charge par les caisses-maladie reconnues qui pratiquent sur leur territoire, dans la mesure en tout cas où ils supportent les frais supplémentaires qui résultent de leurs décisions (DUC, L'assurance-maladie malade... Et si les cantons faisaient usage de leur compétence dans ce domaine?, in Droit cantonal et droit fédéral, Mélanges publiés par la Faculté de droit à l'occasion du 100e anniversaire de la loi sur l'Université de Lausanne, 1991, p. 75 et les références).
b) Cependant, un canton ne saurait obliger une caisse-maladie à violer le droit fédéral en lui imposant la prise en charge d'une mesure diagnostique ou thérapeutique qui n'est ni prescrite, ni appliquée par un médecin et qui n'est pas scientifiquement reconnue (
ATF 107 V 169
consid. 2).
Dans cet arrêt, le Tribunal fédéral des assurances n'avait pas jugé nécessaire d'examiner la question soulevée par l'application de la réglementation genevoise ici en cause (ibid., p. 170). La présente espèce permet de répondre à la question alors laissée ouverte. En effet, sur le vu des explications fournies par la section des médicaments de l'OFAS dans le préavis de cet office sur le recours, on doit admettre que la prescription du Zovirax à l'intimé, par son médecin traitant, dans un cas de varicelle et afin de réduire, notamment, le risque de pneumonie varicelleuse, constituait une mesure thérapeutique scientifiquement reconnue. Si cette indication n'a pas été retenue lors de l'inscription de ce produit sur la LS avec limitation, c'est apparemment en raison du coût élevé de ce médicament que la recourante qualifiait elle-même de "très onéreux" dans une lettre adressée le 23 janvier 1991 à l'intimé. Mais, ainsi qu'on l'a vu, si l'obligation de prise en charge d'un médicament pour d'autres indications que celles qui sont mentionnées dans la LS entraîne pour les caisses des frais supplémentaires, c'est au canton qui leur impose cette obligation d'en supporter les conséquences financières. Or, tel est précisément le cas à Genève, par l'effet de l'art. 10 de la loi sur le subventionnement des caisses-maladie.
C'est dès lors à tort que la recourante voit dans le jugement attaqué une violation du précepte de l'économie de traitement, tel qu'il est formulé à l'
art. 23 LAMA
. Prescrit par un médecin, pour une indication admise par le Compendium suisse des médicaments sinon par la LS, laquelle vise un but différent et use d'autres critères, économiques notamment, le Zovirax est un médicament hors liste dont la
BGE 118 V 274 S. 282
prise en charge peut être imposée aux caisses-maladie reconnues qui bénéficient de la loi genevoise sur le subventionnement des caisses-maladie.
Le recours est mal fondé. | null | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b6b4968-69b7-46b2-83cc-b508ef362100 | Urteilskopf
116 IV 71
13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. März 1990 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Fahren in angetrunkenem Zustand (
Art. 91 Abs. 1 SVG
); Beteiligung daran (Art. 24 f. StGB); Überlassen eines Fahrzeugs an eine nicht fahrfähige Person (
Art. 2 Abs. 3 VRV
).
Beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand kann nur Täter sein, wer das Fahrzeug führt. Personen, die nicht massgeblich an der Führung des Fahrzeugs beteiligt sind, können lediglich, je nach den konkreten Umständen, wegen Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Fahren in angetrunkenem Zustand und/oder wegen Überlassens eines Fahrzeugs an eine nicht fahrfähige Person verurteilt werden (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 71
BGE 116 IV 71 S. 71
A.-
Am 13. Dezember 1987, um ca. 21.30 Uhr, begaben sich B. und W. im PW Fiat 126 der ersteren nach Gerlafingen. Sie hielten sich dort in einem Restaurant auf, wo sie gemeinsam alkoholische Getränke konsumierten. Schon zum Mittagessen und zum Abendessen hatten sie gemeinsam Alkohol konsumiert. Bei
BGE 116 IV 71 S. 72
Wirtschaftsschluss, um ca. 23.30 Uhr, verliessen sie zusammen mit andern Gästen das Lokal. W., die keinen Führerausweis besass, nahm auf dem Fahrersitz des PW Fiat 126 Platz. Zu den beiden Frauen gesellte sich A., der von ihnen nach Hause gefahren werden wollte und im Fond des Wagens Platz nahm. Als W. mit übersetzter Geschwindigkeit auf der Hauptstrasse in Biberist fuhr, kam der PW Fiat 126 in einer Linkskurve ins Schleudern. Der Wagen geriet auf die linke Fahrbahnhälfte und kollidierte mitten auf der Emmenbrücke mit dem korrekt entgegenkommenden Wagen des S. Infolge des heftigen Zusammenstosses erlitten die beiden Fahrzeuglenker sowie die Mitfahrer B. und A. mittelschwere bis schwere Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. Die Analyse der W. und B. um 01.55 Uhr bzw. um 01.40 Uhr abgenommenen Blutproben ergab Blutalkoholkonzentrationen von 1,52-1,68 Gewichtspromille (für W.) bzw. 1,81-2,01 Gewichtspromille (für B.) im Zeitpunkt der Blutentnahmen.
B.-
Der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Kriegstetten sprach die Fahrzeughalterin B., die auf dem Beifahrersitz gesessen war, am 26./29. August 1988 des Fahrens in angetrunkenem Zustand, des Überlassens eines Personenwagens an eine Person ohne Führerausweis sowie der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig und verurteilte sie deswegen zu einer Gefängnisstrafe von 7 Wochen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren. Die Strafkammer des Obergerichts des Kantons Solothurn bestätigte am 13./25. September 1989 auf die Appellation der Verurteilten hin den erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und im Strafpunkt.
C.-
Die Verurteilte ficht den Entscheid des Solothurner Obergerichts vom 13./25. September 1989 sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der letzteren stellt sie den Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Obergericht ging unter Berufung auf
BGE 98 IV 15
und
BGE 113 IV 84
davon aus, dass Mittäterschaft zu Fahren in angetrunkenem
BGE 116 IV 71 S. 73
Zustand möglich ist und dass als Mittäter insbesondere der mitzechende Fahrzeughalter qualifiziert werden kann, der seinen Wagen einem angetrunkenen Zechkumpan überlässt und selber im Wagen als Passagier mitfährt. Es sprach die Beschwerdeführerin, die diese Voraussetzungen erfüllte, daher des Fahrens in angetrunkenem Zustand schuldig. Die Beschwerdeführerin leistete nach den weiteren Ausführungen im angefochtenen Entscheid durch die Überlassung ihres Wagens an die angetrunkene W., die zudem, wie die Beschwerdeführerin jedenfalls bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen konnte (
Art. 95 Ziff. 1 Abs. 3 SVG
), keinen Führerausweis besass, schuldhaft einen Tatbeitrag, der für den von W. verursachten Verkehrsunfall und dessen Folgen natürlich und adäquat kausal war.
...
3.
a) Das Bundesgericht hat in
BGE 98 IV 11
ff., der die Verurteilung des mit dem angetrunkenen Lenker mitfahrenden Fahrzeughalters wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Gegenstand hatte, in einer knappen Erwägung im Zusammenhang mit der Frage der Konkurrenz zwischen Beteiligung an Fahren in angetrunkenem Zustand einerseits und Überlassen eines Fahrzeugs an einen nicht fahrfähigen Führer (
Art. 2 Abs. 3 VRV
) andererseits festgehalten, dass wegen Mittäterschaft zu Fahren in angetrunkenem Zustand nicht nur derjenige zur Rechenschaft zu ziehen sei, der sein Fahrzeug einem angetrunkenen Führer überlässt, sondern beispielsweise auch der für seine Kollegen bestimmende Anführer eines Trinkgelages (S. 15). SCHULTZ warf unter Hinweis auf einen vom Bundesgericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten hin bestätigten Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt (BJM 1971 S. 192) die Frage auf, ob in solchen Fällen wirklich Mittäterschaft und nicht nur Gehilfenschaft vorliege (ZBJV 109/1973 S. 429; SCHULTZ, Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1968-1972, S. 164 oben). Der genannte Autor hält an anderer Stelle fest, dass unter anderem beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand nur derjenige Täter sein kann, welcher das Fahrzeug führt (SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, 1968, S. 217; SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 130). Dieser Auffassung ist mit eingehender Begründung auch REHBERG ("Fremdhändige" Täterschaft bei Verkehrsdelikten? in Lebendiges Strafrecht, Festgabe Schultz 1977, S. 72 ff., 82). Nach der herrschenden Lehre und
BGE 116 IV 71 S. 74
Rechtsprechung in Deutschland kann nur der Fahrzeugführer beim Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 dt. StGB) Täter sein (JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 30. Auflage, 1989, N. 34 zu § 316; LEIPZIGER KOMMENTAR (Rüth), 10. Auflage, 1988, N. 122 zu § 316 dt. StGB). Das Bundesgericht hat in
BGE 113 IV 84
offengelassen, ob der an der Führung des Fahrzeugs nicht massgeblich Beteiligte Mittäter bei Fahren in angetrunkenem Zustand sein kann; in jenem Fall kam eine Verurteilung wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (als Mittäter) ohnehin nicht in Betracht.
b) Das Bundesgericht schliesst sich in Änderung seiner Rechtsprechung der Auffassung an, dass beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand Täter nur sein kann, wer das Fahrzeug führt. Ob man diese Straftat als "Sonderdelikt" oder als "eigenhändiges Delikt" qualifizieren will, kann hier dahingestellt bleiben. Art. 91 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 31 Abs. 2 SVG
richten sich erkennbar allein an den Fahrzeugführer. Insoweit besteht kein Unterschied zu Art. 58 MFG, auf den
BGE 75 IV 189
E. 1 und auch
BGE 68 IV 31
Bezug nehmen. Dass das Verschulden des Dritten angesichts von dessen Tatbeitrag und Interesse an der Fahrt allenfalls mindestens gleich schwer wiegt wie das Verschulden des angetrunkenen Fahrzeugführers, erlaubt es nicht, ihn kurzerhand als Mittäter zu qualifizieren. Die vom angetrunkenen Fahrzeugführer ausgehende Gefahr ist nicht Tatbestandsmerkmal von
Art. 91 SVG
; daher kann derjenige, welcher etwa als bestimmender Anführer eines Trinkgelages oder dadurch, dass er sein Fahrzeug einem Angetrunkenen überliess, einen Beitrag zu dieser Gefahr leistete, nicht unter Hinweis darauf als Mittäter zu Fahren in angetrunkenem Zustand verurteilt werden. Der nicht massgeblich an der Führung des Fahrzeugs Beteiligte kann, je nach den Umständen, lediglich als Anstifter oder Gehilfe zu Fahren in angetrunkenem Zustand verurteilt werden. Überlässt er ein Fahrzeug dem Angetrunkenen, so erfüllt er dadurch den Tatbestand von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 96 VRV
. Dieser Tatbestand kann, je nach den Umständen, zu Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Fahren in angetrunkenem Zustand in echter Konkurrenz stehen (vgl. dazu BJM 1971, S. 192).
c) Die Beschwerdeführerin erfüllte durch die Überlassung ihres Fahrzeugs an die angetrunkene W. den Tatbestand von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 96 VRV
. Ob sie darüber hinaus auch den Tatbestand der Anstiftung oder der Gehilfenschaft zu
BGE 116 IV 71 S. 75
Fahren in angetrunkenem Zustand erfüllt habe, kann mangels hinreichender diesbezüglicher tatsächlicher Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht entschieden werden. Die Sache ist insoweit zur Ergänzung des Sachverhalts und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird gegebenenfalls auch darüber zu befinden haben, in welchem Konkurrenzverhältnis das Überlassen des Fahrzeugs an einen nicht fahrfähigen Führer zur allfälligen Teilnahme (Anstiftung oder Gehilfenschaft) zu Fahren in angetrunkenem Zustand steht. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b6e39b3-4f27-494f-b47a-77b705c3b654 | Urteilskopf
105 IV 29
8. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 15 janvier 1979 dans la cause N. contre Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 140 StGB
Veruntreuung.
1. Ziffer 1 Abs. 1 dieser Bestimmung ist auch anwendbar, wenn die streitigen Abhebungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestanden, sofern keine Vermischung stattgefunden hat (E. 2).
2. Die einer Sekretärin anvertraute Kasse ist ebenso dem Vorgesetzten anvertraut, der seiner Untergebenen Weisungen über Auszahlungen erteilt (E. 2).
3. Die Absicht unrechtmässiger Bereicherung gehört sowohl zum Tatbestand des Abs. 1 wie desjenigen des Abs. 2 von Ziff. 1 des
Art. 140 StGB
(E. 3 lit. a).
4. Wer sich eine fremde Sache nur zum Zwecke aneignet, sich für eine Forderung bezahlt zu machen, handelt nicht in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht, wenn der Wert der angeeigneten Sache den Betrag der Forderung nicht übersteigt. Vorbehalten bleibt die Anwendung des
Art. 19 StGB
, sofern der Täter diese Voraussetzung irrtümlich für gegeben hielt (E. 3 lit. b). | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 105 IV 29 S. 30
A.-
N. a travaillé depuis le 1er novembre 1969 en qualité de chef de bureau, auprès d'une association professionnelle. Selon son contrat de travail, ses fonctions essentielles consistaient notamment à surveiller et à contrôler le travail du personnel, l'administration des cours et la gérance du bureau de placement. Dès novembre 1975, il a été chargé, en sus de ces fonctions, de la gérance de la caisse d'assurance chômage de la société. Le contrat de travail précisait que les "déboursés et frais de déplacement... seraient remboursés après visa de la note par le Président central".
Eu égard à l'organisation de cours de diverses natures, le secrétariat de la société avait créé plusieurs caisses dont la responsabilité était confiée à une secrétaire-comptable travaillant sous les ordres de N. Le contrôle des comptes était confié à une commission de gestion, qui procédait périodiquement à des pointages. Le caissier central de la société, auquel était soumis
BGE 105 IV 29 S. 31
l'ensemble de la comptabilité de la société, n'exerçait toutefois pas de contrôle direct sur la caisse des cours non subventionnés.
N. s'est fait remettre par la secrétaire-comptable plusieurs montants, que celle-ci prélevait sur les caisses dont elle était responsable, notamment dans les cas suivants (selon la numérotation de l'arrêt attaqué):
Cas 4. - Entre le 31 janvier 1965 (recte: 1975) et le 22 octobre 1976, N. a reçu, en sus de son salaire et d'indemnités forfaitaires, un montant de 6'978 fr. 45, représentant le total de diverses notes de frais et factures. Il se faisait remettre par la secrétaire-comptable, une ou plusieurs fois par semaine, des montants de l'ordre de 5 fr. à 200 fr. qui ne faisaient pas l'objet de quittances, mais qui étaient notés. Périodiquement, la secrétaire-comptable rappelait l'existence de ces "suspens de caisse" à N. Celui-ci remettait alors une ou plusieurs notes de frais, qui venaient balancer les prélèvements effectués jusque-là. Il n'a pas été possible d'établir si toutes les notes relatives à des frais divers de N. correspondaient à des frais effectifs ou non, mais la plupart d'entre elles correspondent cependant à des prestations effectives. L'employeur n'a pas contesté l'exactitude des factures dont N. demandait le remboursement, mais il a fait valoir qu'il n'était nullement d'accord avec le principe même de leur remboursement. Il existe ainsi un doute, retenu en faveur de N., sur la question de savoir s'il a oui ou non supporté les frais dont il fait état dans ses notes.
Cas 7. - A partir de novembre 1975, N. a fait un nombre important d'heures supplémentaires dans le cadre de sa nouvelle activité d'organisation de la caisse d'assurance chômage. Il était convenu qu'il présenterait au responsable de la caisse le relevé total du temps consacré à ce travail. Toutefois, en date du 17 février 1976, N. s'est fait verser une avance de 2'500 fr. Selon lui, ses demandes réitérées pour obtenir d'autres acomptes n'ont pas abouti et, le 24 décembre, il a présenté à l'administrateur de la caisse une note totale de 9'000 fr. Les comptes entre parties n'ont pas encore, à ce jour, été réglés.
Cas 8. - Le 15 décembre 1976, N. s'est fait remettre une avance de salaire de 1'000 fr., puis une deuxième de 200 fr. Le 17 décembre 1976, il s'est fait octroyer une autre avance de 200 fr.
Cas 10. - Alors qu'il avait droit à une ristourne mensuelle de 200 fr. sur l'indemnité versée par la Fédération des employés, N. s'est attribué, en sus de celle-ci, trois indemnités de 100 fr. à fin 1972, une treizième indemnité de 200 fr. en 1973, une double indemnité de 200 fr. pour 1974 et enfin une treizième indemnité de 200 fr. pour 1975. N. a reconnu qu'il avait reçu ces versements à double, mais a expliqué ce fait en disant que c'est par suite d'erreurs dues à la multiplicité des tâches qui lui étaient confiées à l'époque. Cette version a été admise.
B.-
Le 24 mai 1978, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a libéré N. de toute prévention pour les faits rappelés ci-dessus. Il l'a cependant condamné, pour d'autres faits, à 10
BGE 105 IV 29 S. 32
jours d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans, pour faux dans les titres et escroquerie.
Statuant sur un recours du Ministère public, au sujet des faits précités, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud a considéré que, par ces faits, N. s'était rendu coupable d'abus de confiance et elle a porté sa peine à cinq mois d'emprisonnement avec sursis pendant trois ans.
C.-
N. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à la confirmation du jugement de première instance.
Le Ministère public a déclaré n'avoir pas d'observation à formuler et s'est référé à l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) L'autorité cantonale a estimé que les faits retenus contre le recourant, dans les cas examinés ici (cas 4, 7, 8 et 10), réalisaient tous les éléments constitutifs de l'abus de confiance, au sens de l'
art. 140 CP
. Elle a considéré que, par sa position dans la société, le recourant était, au moins tacitement, responsable de la gestion des fonds en caisse en qualité de chef direct de la secrétaire-comptable; en effet, bien que celle-ci ait eu matériellement la maîtrise des caisses, elle n'a fait qu'exécuter les ordres de son supérieur direct en lui remettant les avances exigées par lui. L'autorité cantonale a par ailleurs admis que le recourant avait employé sans droit les fonds à son profit, au sens de l'
art. 140 ch. 1 al. 2 CP
. Elle a relevé que, dans le cas où l'auteur du détournement fait valoir qu'une créance existe réellement, il ne peut invoquer la compensation qu'aux conditions prévues à l'
art. 124 CO
, c'est-à-dire avant la découverte du détournement; Or il ne résulte nullement des constatations des premiers juges qu'avant d'opérer les prélèvements sur les caisses, par l'intermédiaire de la secrétaire-comptable, le recourant avait fait valoir auprès des organes responsables de la société qui l'employait son droit à la compensation dans la forme prévue par l'
art. 124 CO
; de toute manière, dans le cas 10, l'auteur ne saurait se mettre au bénéfice de la compensation, puisqu'il prétend avoir fait les prélèvements en cause par erreur.
b) Le recourant reproche en premier lieu à l'autorité cantonale d'avoir fait à l'
art. 140 CP
une référence toute générale, sans préciser si elle visait ainsi le premier ou le second al. de
BGE 105 IV 29 S. 33
cette disposition. Pour lui, ce serait l'art. 140 ch. 1 al. 1 qui devrait trouver application, Or, faute de responsabilité dans la gestion des caisses de la secrétaire-comptable et faute de compétence pour y opérer des prélèvements, on ne saurait dire que ces caisses lui avaient été confiées. Dans ces conditions, l'abus de confiance n'aurait pas dû être retenu.
Le recourant nie ensuite tout dessein d'enrichissement illégitime. Il fait valoir qu'il était fondé à invoquer la compensation même dans la mesure où ses propres créances étaient contestées et qu'il n'a pas agi clandestinement, puisque, à l'occasion de chaque transfert, la responsable de la caisse a établi les pièces mentionnant la nature juridique de la créance, soit la cause sur laquelle se fondait la compensation; peu importerait à cet égard que la déclaration de compensation n'ait pas été adressée aux organes de la société plaignante, mais directement à la personne responsable de la caisse. Comme, de surcroît, l'existence des créances contre la société plaignante a été en fin de compte admise par l'autorité cantonale, le recourant était d'autant plus fondé à invoquer la compensation et, ce faisant, il ne se procurait pas un enrichissement illégitime.
2.
Bien que les prélèvements en cause aient porté sur de l'argent, soit sur des choses fongibles, c'est le ch. 1 al. 1 de l'
art. 140 CP
qui est applicable. En effet, rien n'indique qu'il y ait eu mélange du contenu des caisses en cause et des deniers du recourant ou de ceux de la secrétaire-comptable; il ressort implicitement au moins des faits qu'il s'agissait de caisses spéciales dont le contenu individualisé est à chaque fois resté dans la propriété et dans la possession de l'employeur. Or, selon la jurisprudence, celui qui s'approprie une chose mobilière appartenant à autrui, que ce soit un "bien fongible, notamment une somme d'argent", est punissable en vertu de l'al. 1 du ch. 1 de l'
art. 140 CP
, et seulement en vertu de cette disposition (
ATF 81 IV 233
consid. 2b; cf.
ATF 90 IV 185
consid. 4).
Selon la jurisprudence constante, une chose est confiée, au sens de l'
art. 140 CP
, aussitôt qu'elle est remise ou laissée à l'auteur pour qu'il l'utilise d'une manière déterminée dans l'intérêt d'autrui, que ce soit pour la garder, l'administrer ou la livrer, selon des instructions qui peuvent être expresses ou tacites (cf.
ATF 101 IV 163
et arrêts cités).
On doit admettre qu'en l'espèce, au vu des circonstances de fait qui ressortent de l'arrêt attaqué, la société plaignante, en
BGE 105 IV 29 S. 34
confiant des caisses à une secrétaire subordonnée au recourant, les a également, par actes concluants, confiées à celui-ci. Les faits démontrent en effet que le recourant avait sur ces caisses, concurremment avec la secrétaire, un pouvoir de disposition, une maîtrise de fait (Gewahrsam), qu'il exerçait sans difficulté aucune, puisque sur simple demande lui étaient remis tous les montants qu'il pouvait solliciter. S'agissant, au surplus, de caisses de service, le recourant, du seul fait de l'existence du contrat de travail, ne pouvait et ne devait les administrer que dans l'intérêt de l'employeur. Ainsi, en s'appropriant divers montants par prélèvement sur ces caisses, le recourant a réalisé les éléments constitutifs objectifs de l'abus de confiance.
Cette solution n'est d'ailleurs pas préjudiciable au recourant. Si l'on devait, en effet, admettre, comme il le soutient, que les caisses ne lui étaient pas confiées et qu'il n'exerçait sur elles aucune maîtrise de fait, on devrait probablement retenir à sa charge l'escroquerie (
art. 148 CP
). La remise des sommes au recourant par la secrétaire ne pourrait s'expliquer, dans une telle hypothèse - aucun élément délictueux n'ayant été retenu à la charge de la secrétaire - qu'en admettant que cette employée a cru, par erreur, que le recourant était en droit d'obtenir d'elle ces versements; en créant ou en ne dissipant pas une telle erreur, le recourant se serait alors trouvé sur le terrain de la tromperie astucieuse, ou de l'erreur astucieusement exploitée. Au mieux pourrait, le cas échéant, être envisagée l'hypothèse de la commission médiate d'un abus de confiance (cf. SCHMID, in RSJ 68 (1972), p. 119/120).
Les éléments constitutifs objectifs de l'abus de confiance ayant été à juste titre retenus par la cour cantonale, le premier moyen du recourant doit être rejeté.
3.
a) A côté des éléments objectifs de l'infraction, et de l'intention d'appropriation, qui n'est pas contestée, il reste à examiner si, en l'espèce, le recourant a réalisé l'élément subjectif du dessein d'enrichissement illégitime. Le dessein d'enrichissement est en effet un élément constitutif aussi bien de l'infraction de l'al. 1 du ch. 1 de l'
art. 140 CP
(selon le texte légal) que de l'infraction de l'al. 2 (selon la jurisprudence -
ATF 81 IV 28
consid. 2,
ATF 77 IV 12
).
La cour cantonale a considéré que le recourant avait employé sans droit la chose à son profit, et qu'il ne pouvait se prévaloir des créances pouvant exister à son profit contre la
BGE 105 IV 29 S. 35
société plaignante, parce qu'il n'était pas établi que le recourant ait fait valoir auprès des organes responsables de la plaignante son droit à la compensation dans la forme prévue par l'
art. 124 ch. 1 CO
. Mais cette argumentation ne permet pas d'affirmer ou de retenir à satisfaction de droit l'existence d'un dessein d'enrichissement illégitime.
L'absence ou le retard d'une déclaration de compensation constituent sans doute souvent un indice important de l'absence d'une véritable volonté de compenser et, partant, de l'existence d'un dessein d'enrichissement illégitime (
ATF 74 IV 32
, 90,
ATF 81 IV 235
), mais elles ne sont néanmoins pas déterminantes dans tous les cas. La jurisprudence et la doctrine admettent en effet, de manière générale, qu'il n'y a pas de dessein d'enrichissement illégitime chez celui qui s'approprie une chose pour se payer ou pour tenter de se payer lui-même, s'il a une créance d'un montant au moins égal à la valeur de chose qu'il s'est appropriée et s'il a vraiment agi en vue de se payer (
ATF 81 IV 28
consid. 2,
ATF 98 IV 21
/22). Ce qui exclut le dessein d'enrichissement illégitime dans une telle hypothèse, ce n'est pas la circonstance objective de l'existence d'une créance de l'auteur contre le lésé, mais sa volonté de se faire payer. Il importe dès lors peu de savoir si ou quand l'auteur a fait une éventuelle déclaration de compensation ou si une telle déclaration était objectivement admissible ou non. Ce qui est déterminant, c'est uniquement son intention au moment de l'appropriation. Et savoir quelle est cette intention est une question de preuve (NOLL, in RPS 71 (1956), p. 165/166).
Pour des raisons analogues, l'existence de la créance invoquée par l'auteur n'est pas non plus déterminante quant au dessein d'enrichissement illégitime; c'est la conscience de l'illégitimité de l'enrichissement qui compte. Si elle fait défaut, notamment lorsque l'auteur est convaincu de l'existence de sa créance, celui-ci devra se voir appliquer l'
art. 19 CP
sur l'erreur de fait. Ce sont donc la volonté et la représentation que se fait l'auteur de la situation qui sont déterminantes (NOLL, op.cit., p. 167).
En d'autres termes, l'Ersatzbereitschaft, par quoi l'on désigne l'état de l'auteur qui peut justifier d'avoir eu à tout moment la volonté et la possibilité de représenter l'équivalent des montants employés (
ATF 91 IV 130
,
ATF 74 IV 31
,
ATF 77 IV 12
), peut exister également chez l'auteur qui, au moment où il agit,
BGE 105 IV 29 S. 36
entend réellement invoquer la compensation, qui manifeste cette intention et qui est persuadé que sa créance est compensable (cf. SIGRIST, Veruntreuung im Zusammenhang mit Abzahlungsverträgen, thèse Zurich 1975, p. 108/109).
Certes, le dessein d'enrichissement illégitime peut-il être réalisé par dol éventuel. Tel est notamment le cas lorsque l'auteur envisage l'enrichissement comme possible, par exemple s'il n'est pas absolument convaincu de l'existence et du bien-fondé de sa propre créance, mais qu'il agit néanmoins en acceptant l'éventualité d'un enrichissement au cas où il se produirait (cf.
ATF 72 IV 125
; STRATENWERTH, op.cit., p. 174/175, 241; SIGRIST, op.cit., p. 104).
b) En l'espèce, la cour cantonale ne se prononce pas expressément sur le réel dessein du recourant. Cette lacune frappe d'autant plus qu'un certain nombre des faits retenus donnent à penser que le recourant n'a peut-être pas eu celui de s'enrichir: ainsi notamment l'indication à la secrétaire-comptable de la cause des prélèvements, la fourniture de pièces justificatives quant à la réalité des créances, l'erreur peut-être non fautive sur la réalité de certaines des créances invoquées, l'admission, au bénéfice du doute certes, mais l'admission tout de même de la réalité de la plupart des créances invoquées, l'absence d'éléments précis quant à une intention de dissimuler à la société plaignante l'existence des prélèvements.
Dès lors qu'il n'est pas possible en l'état de se prononcer sur le dessein d'enrichissement illégitime du recourant, l'arrêt attaqué doit être annulé en application de l'
art. 277 PPF
et la cause renvoyée à la cour cantonale pour qu'elle comble les lacunes constatées et se prononce clairement sur le dessein du recourant au moment où il a agi.
Il appartiendra à l'autorité cantonale de se prononcer sur le dessein du recourant au moment où il s'est fait remettre les montants en cause. Si elle constate et retient que, dans les cas 4 et 7, l'intention du recourant était uniquement de se faire payer ce qu'il croyait vraiment lui être dû, elle devra le libérer. Elle devra en outre le libérer, au bénéfice de l'erreur sur les faits, si elle estime que, dans le cas 10, il croyait réellement que les indemnités qu'il a prélevées lui étaient dues. Enfin, dans le cas 8, elle devra admettre l'Ersatzbereitschaft en faveur du recourant si elle retient que son intention, au moment des prélèvements, était bien de les compenser avec le salaire qu'il
BGE 105 IV 29 S. 37
estimait dû et de les faire déduire de celui-ci au moment de son échéance (cf.
ATF 74 IV 31
consid. 2 in fine). Elle prononcera les mêmes libérations si elle ne peut déterminer, ou faire déterminer, avec suffisamment de netteté ou de conviction le dessein véritable du recourant. Elle ne retiendra donc la culpabilité du recourant que dans les cas où elle serait convaincue soit qu'il a réellement eu le dessein de s'enrichir au détriment de son employeur au moment où il a agi, soit qu'il a fait preuve de dol éventuel en acceptant l'éventualité d'un enrichissement illégitime pour le cas où ses créances n auraient pas existé.
On relève encore qu'il n'y aura en tout cas pas lieu d'envisager l'application éventuelle de l'
art. 143 CP
, réprimant la soustraction sans dessein d'enrichissement. Certes, cette disposition est subsidiaire au vol, à l'abus de confiance et au détournement (
ATF 96 IV 22
), mais l'absence de dessein d'enrichissement recouvrirait in casu l'absence d'intention de causer un dommage à l'employeur; Or une telle intention est l'un des éléments constitutifs subjectifs de l'infraction de l'
art. 143 CP
(cf. STRATENWERTH, op.cit., p. 212, et arrêts cités).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet partiellement le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b748815-4aa8-4de6-a730-f808fa72e5ea | Urteilskopf
96 V 8
3. Extrait de l'arrêt du 9 mars 1970 dans la cause Paratte contre Caisse-maladie et accidents "L'Avenir" et Tribunal cantonal des assurances de l'Etat de Fribourg | Regeste
Art. 5 Abs. 3 KUVG
: Umfang der Auskunftspflicht.
Begriff des Verschweigens von Gesundheitsschäden. Niederschrift der Auskünfte durch einen Dritten (Erw. 1).
Art. 12 ff. KUVG
.
Grundsätzlich ersetzt die Krankmeldung bei einer privaten Versicherungsgesellschaft diejenige bei einer anerkannten Krankenkasse nicht; Folgen einer verspäteten Krankmeldung (Verwirkung des Rechts auf Leistungen, Kürzung der Leistungen? Erw. 2).
Art. 19bis KUVG
.
- Der Begriff der Heilanstalt setzt nicht voraus, dass sie eine allgemeine Abteilung führe (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3 a).
- Anwendbarer Tarif, wenn die Heilanstalt, in die der Versicherte eintreten musste, keine allgemeine Abteilung besitzt (Erw. 3 b). | Erwägungen
ab Seite 9
BGE 96 V 8 S. 9
Considérant en droit:
1.
La Caisse-maladie et accidents "L'Avenir" soutient que Charles Paratte a commis une réticence, en n'annonçant pas ou ne faisant pas annoncer expressément dans sa demande d'augmentation de prestations du 30 octobre 1964 l'opération qu'il avait subie le 22 novembre 1963 et l'affection qui motivait cette intervention chirurgicale. Il faut admettre, avec la caisse, qu'une demande d'augmentation des prestations assurées est assimilable - dans le domaine de la réticence - à une demande initiale d'assurance et que l'assuré porte la responsabilité des déclarations qu'il fait à l'assureur, même lorsque c'est un employé de l'assureur qui les transcrit. La première question litigieuse est donc celle de savoir si, en répondant "voir sa fiche" lorsqu'on demandait depuis quand l'assuré était en bonne santé et s'il avait été opéré et de quoi, le scripteur a renseigné suffisamment la caisse sur l'existence d'une maladie et d'une opération antérieures à la demande de modification de l'assurance.
Le Tribunal fédéral des assurances a admis, notamment dans les arrêts ATFA 1967 pp. 123 ss et Repond du 29 décembre 1967 (non publié), qu'en matière d'assurance-maladie le candidat a l'obligation d'annoncer à la caisse les affections qui pourraient faire l'objet de réserves, soit celles dont il souffre ainsi que celles dont il a souffert mais qui risquent de récidiver; cela dans la mesure où il en a lui-même connaissance ou devrait en avoir connaissance s'il se montrait normalement attentif. L'étendue de l'attention qu'on peut exiger du candidat dépend entre autres de la précision du questionnaire qui lui est adressé. L'obligation d'annoncer les affections actuelles ou antérieures existe même en cas de silence des statuts à ce sujet. Au regard de cette jurisprudence, il est clair que Charles Paratte devait, le 30 octobre 1964, annoncer l'affection et l'opération de 1963.
Dans l'arrêt ATFA 1969 pp. 5 ss, le Tribunal fédéral des assurances a déclaré qu'il s'impose de ne pas sanctionner des réticences qui portent sur des faits connus de l'assureur ou que ce dernier devait connaître. Il a précisé à cet égard que la caissemaladie n'était pas censée exhumer et revoir les dossiers constitués antérieurement sur le candidat, et qu'en conséquence il incombait à celui-ci d'annoncer même les affections au sujet desquelles la caisse était intervenue autrefois. Ces principes
BGE 96 V 8 S. 10
méritent d'être confirmées, mais il n'en résulte pas qu'en l'occurrence Charles Paratte ait commis une réticence condamnable. En effet, la réponse "voir sa fiche" ne pouvait avoir d'autre but que d'attirer l'attention de l'assureur sur l'existence d'un dossier relatif à une affection antérieure. Or, dès l'instant où l'assuré a donné un tel renseignement, on doit attendre de l'assureur soit qu'il fasse des recherches dans ses archives, soit qu'il demande des précisions au candidat. La réticence, si réticence il y a eu, portait donc en l'espèce sur un fait que la caisse devait connaître. Par conséquent, elle n'est pas opposable à l'assuré, qui a dès lors droit en principe aux prestations augmentées.
2.
En vertu de l'art. 67 du règlement de "L'Avenir" entré en vigueur le 1er janvier 1966, l'assuré qui tombe malade doit en aviser immédiatement la caisse: s'il l'en informe après le 3me jour de maladie, les prestations ne sont accordées qu'à partir de l'annonce. L'art. 75 du règlement en vigueur jusqu'au 31 décembre 1965 contient une disposition similaire. Pareille réglementation n'est pas contraire au droit fédéral, du moins lorsque l'avis peut raisonnablement être exigé de l'assuré (ATFA 1967 pp. 131 ss, plus spécialement p. 135). La caisse s'en prévaut, non pas pour refuser toute prestation à Charles Paratte jusqu'au 2 décembre 1965, date à laquelle ce dernier a annoncé son cas, mais pour exercer sur les indemnités journalières une retenue de 20%. L'assuré estime, lui, que son retard est excusable parce qu'il a d'abord cru, de bonne foi, relever de l'assurance-accidents. L'Office fédéral des assurances sociales partage cette opinion.
L'assuré s'est effectivement annoncé à "La Neuchâteloise" et à "L'Union suisse" le 20 janvier 1965, soit 11 jours après l'accident prétendu. Il n'est pas établi, contrairement à ce qu'en pense la caisse-maladie, que l'assuré ait été de mauvaise foi en se déclarant victime d'un accident. Le cas posait des questions délicates, qui échappent communément aux profanes, lesquels ont tendance à qualifier d'accidents les traumatismes déclenchés par un effort.
Statuant sur la péremption du droit aux prestations prévue par l'ancien art. 78 al. 2 RAI (cf. l'actuel art. 48 LAI), le Tribunal fédéral des assurances a refusé de tenir pour valable à l'égard de l'assurance-invalidité une demande de mesure médicale présentée par l'assuré à sa caisse-maladie (ATFA 1966
BGE 96 V 8 S. 11
pp. 24 ss). Pourtant, l'assurance-maladie pratiquée par une caisse reconnue et l'assurance-invalidité sont toutes deux des assurances sociales. A plus forte raison faut-il, règle générale, ne pas considérer comme opposable à une caisse-maladie reconnue une annonce faite à une compagnie d'assurances privée contre les accidents. Ce principe souffre-t-il des exceptions ou, au contraire, l'assuré qui a commencé par n'annoncer un sinistre qu'à son assurance-accidents sera-t-il toujours déchu de ses droits à l'encontre de sa caisse-maladie, lorsque les statuts ou règlements de cette dernière contiennent une clause identique à celle que "L'Avenir" oppose à Charles Paratte? Il n'est pas nécessaire de trancher cette question, car une exception ne serait en tout cas pas justifiée en l'occurrence. En effet, l'assuré a pu constater que "L'Union suisse" et "La Neuchâteloise" hésitaient et tardaient à lui accorder leurs prestations. Il aurait dû dès lors signaler le cas, à toutes fins utiles, à la caisse-maladie bien avant le 2 décembre 1965. Il l'avait annoncé, on le rappelle, le 20janvier 1965 aux compagnies précitées, dont les refus formels datent des 27 septembre et 27 octobre 1965. D'autre part, s'il fallait qualifier l'annonce tardive de faute de l'assuré et non de motif absolu de péremption, la sanction proposée par la caisse ne heurterait pas, en l'espèce, la règle de la proportionnalité (cf. ATFA 1968, pp. 160 ss).
La réduction de 20% de l'indemnité journalière pour cause d'annonce tardive est donc admissible en l'occurrence...
En tout cas, il serait contraire au maintien d'un certain ordre et d'une certaine discipline dans l'assurance-maladie que de sanctionner l'annonce tardive uniquement lorsqu'elle porte un préjudice direct à la caisse, par exemple quand elle l'empêche d'instruire sur la maladie, sur le traitement et sur les conséquences de cette dernière (cf. ATFA 1967 pp. 131 ss).
3.
a) Suivant l'art. 19bis LAMA, l'assuré a le libre choix parmi les établissements hospitaliers suisses (al. 1er). Si l'assuré doit, pour des raisons médicales, se rendre dans un établissement hospitalier déterminé, la caisse est tenue de calculer ses prestations selon les taxes de la salle commune de cet établissement (al. 5).
Dans l'arrêt non publié Medrado Dias du 7 octobre 1969, le Tribunal fédéral des assurances a précisé que la notion légale d'établissement hospitalier présuppose l'existence d'une salle
BGE 96 V 8 S. 12
commune, d'une direction médicale du traitement, d'un personnel soignant qualifié et d'installations adéquates. Si les trois dernières exigences sont justifiées et doivent être confirmées, il n'en va pas de même de la première. Son maintien conduirait en effet à une situation qui ne saurait être tolérée: l'assuré n'aurait pas le droit de se faire soigner, même partiellement aux frais de l'assurance, dans un établissement hospitalier ne possédant pas de salle commune, au regard de l'art. 19bis LAMA. Un nouvel examen des textes légaux a conduit dès lors la Cour plénière à la conclusion que les nombreuses références des articles de la loi à la salle commune sont seulement destinées à déterminer l'étendue des obligations financières des caisses en cas d'hospitalisation - s'agissant des prestations fournies par les établissements hospitaliers en tout cas (art. 12 al. 2 chiffre 2, 19bis al. 2 à 5, 22quater al. 3 LAMA, 24 al. 2 Ord. III).
b) En l'espèce, les premiers juges n'ont pas déterminé le tarif applicable, au titre de l'assurance ordinaire, à la couverture des frais hospitaliers. Avec l'Office fédéral des assurances sociales, il faut admettre que c'est pour des raisons médicales, au sens de l'art. 19bis al. 5 LAMA, que l'assuré a été opéré non dans le canton de Fribourg, mais à X. -, à Lausanne, qui est une clinique privée répondant aux exigences mentionnées sous lit. a ci-dessus. L'Office fédéral des assurances sociales propose au Tribunal fédéral des assurances de rechercher si cet établissement possède une salle commune; si oui, d'appliquer la taxe de cette section de l'établissement, conformément à l'art. 19bis al. 5 LAMA; sinon d'appliquer le tarif valable pour une clinique privée de Lausanne avec salle commune, à défaut, le tarif le plus favorable entre le tarif de la salle commune de l'Hôpital cantonal vaudois et celui de l'hôpital du domicile de Charles Paratte...
Le Tribunal fédéral des assurances peut accéder à cette proposition, quant au fond, dans la mesure où elle prévoit de prendre en considération, à défaut de salle commune à X., les taxes de la division générale des hôpitaux cantonaux vaudois ou fribourgeois, s'agissant tout au moins du remboursement des prestations effectivement fournies par la clinique susmentionnée. En revanche, quant à la procédure, il incombe plutôt à la caissemaladie d'établir un nouveau compte... | null | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b7783f6-ee94-49b2-be22-cb2688e5f8c0 | Urteilskopf
82 II 445
60. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Mai 1956 i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen "Schweiz", Allgemeine Versicherungs-A.-G. | Regeste
Allgemeine Transportversicherung zur Bedingung "fpa" für Güter, die auf Deck eines Schiffes verladen werden, jedoch mit Haftung des Versicherers für die Folgen eines Sturzes der Güter während der Umladung sowie während der Einladung oder Ausladung.
1. Bedeutung der Klausel "fpa" mit Vorbehalten ("fap sauf") (Erw. 1).
2. Auslegungsgrundsätze (Erw. 2).
3. Weiter Begriff des Wortes "Einladung" nach deutschem und speziell deutschschweizerischem Sprachgebrauch (Erw. 3).
4. Engere seerechtliche Begriffe stehen dem Versicherungsnehmer nicht entgegen (Erw. 4).
5. Die "prise en charge" durch den Reeder macht das Interesse an der Versicherung der Einladerisiken nicht hinfällig (Erw. 5).
6. Abgrenzung zwischen Risiken der Reise und solchen des Ein-, Um- und Ausladens (Erw. 6 und 7).
7. Risikoverbundenheit der ganzen Deckladung. Konsequenzen (Erw. 8). | Sachverhalt
ab Seite 446
BGE 82 II 445 S. 446
A.-
Die KTA des eidgenössischen Militärdepartementes kaufte mit Lieferungsvertrag vom 17./22. Mai 1951 von der Firma Homelite-Service, Richard Buchschacher, Zürich, 64 Panzerfahrzeuge vom Typ "Staghound" von je 12 Tonnen Gewicht. Diese Ware sollte aus England, fob engl. Hafen, geliefert werden. Die Käuferin übernahm auch die Versicherung des Transportes, mit dessen Durchführung sie die Natural A.-G. in Basel beauftragte. Sie hatte am 27. Mai 1948 mit der Versicherungsgesellschaft "Schweiz" in Zürich eine allgemeine Transportversicherung abgeschlossen, laut der Generalpolice Nr. 4043 als Rahmenvertrag.
B.-
Am 8. Oktober 1951 wurden von acht Uhr morgens an auf Grund der erwähnten Bestellung 22 "Staghounds" im Hafen von Southampton auf das holländische Frachtschiff "HAST 5" verladen. Die Hälfte dieser Fracht fand im Schiffsraum Platz, den man um 14.30 Uhr abschloss. Hierauf wurden die übrigen elf Stück, wie es vereinbart war, auf Deck gehisst, was bis 18.50 Uhr dauerte. Damit hatten die Arbeiter der Stevedores Ltd. ihre Aufgabe beendigt, und sie verliessen das Schiff. Der Schiffsmannschaft lag ob, die Deckladung zu verteilen und mit Stahlkabeln zu befestigen. Um 19 Uhr wurden die Bordkonnossemente ausgestellt.
C.-
Während einige der zur Deckladung gehörenden Wagen noch unbefestigt dastanden, liess der Kapitän das Schiff losbinden und (laut seinen Angaben im Logbuch
BGE 82 II 445 S. 447
etwa zwei Schiffslängen weit) den Quai entlang fahren, um Trinkwasser aufzunehmen. Bei dieser Bewegung geriet das Schiff in den Wellengang eines anderen Schiffes und kam ins Schaukeln. Einer der noch nicht befestigten Wagen der Deckladung rollte quer über Deck nach Steuerbord. Dadurch bekam das Schiff Schlagseite, und es folgte nun ein anderer Wagen nach. Das Schiff neigte sich noch mehr, sodass das Wasser durch die offenen Bullaugen in die Mannschaftsräume drang. Infolge der verstärkten Schlagseite (etwa 500 nach Angaben des Kapitäns laut Kl. beil. 23 oder "75%" laut Erkundigungen des Verkäufers, Kl. beil. 19) rissen die Stahlkabel der bereits festgebundenen Wagen, und es gingen schliesslich von der Deckladung neun Stück über die Reeling und fielen ins Wasser.
D.-
Das Schiff richtete sich nun wieder auf und konnte zurecht gebracht werden. Am 11. Oktober 1951 lief es nach Antwerpen aus.
Die versunkenen "Staghounds" wurden ein paar Tage später gehoben. Sie hatten durch das Salzwasser so sehr gelitten, dass man sie an Ort und Stelle zur Verschrottung verkaufen musste.
E.-
Die Käuferin hatte der "Schweiz" die 64 gekauften Panzerwagen auf Grund der Generalpolice zur Versicherung des Transportes von Southampton nach Basel angemeldet. Die näheren Bedingungen mit besonderer Berücksichtigung der Deckladung wurden später festgelegt.
F.-
Der Generalpolice waren die vom Schweizerischen Transport-Versicherungs-Verein im Jahre 1940 aufgestellten Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Güter-Transporten (ABVT 1940) beigefügt. Deren Art. 11 lautet:
"Wenn die Güter auf Deck eines Schiffes verladen werden, so haftet der Versicherer, falls nichts anderes vereinbart wurde, weder für den durch Diebstahl oder Abhandenkommen entstandenen Verlust, noch für Beschädigungen, Seewurf und Überbordspülen. Hingegen haftet er für den durch den Untergang des Schiffes verursachten Verlust der Güter, sowie für die Beiträge zur grossen Haverei."
BGE 82 II 445 S. 448
Dazu tritt folgender Zusatz:
"Deckladung.
In Abänderung von Art. 11 ABVT 1940 gilt die Versicherung zur Bedingung "fpa" gemäss Art. 14 ABVT 1940. Ausserdem erstreckt sie sich, unter Abzug von 2..% des Versicherungswertes aller auf Deck verladenen Güter, auf Überbordspülen und Seewurf ganzer Kolli."
Der hier erwähnte Art. 14 ABVT lautet:
"Falls die Versicherung zur Bedingung "fpa" (d.h. "frei von Beschädigung") gilt, so haftet der Versicherer dennoch für den Verlust oder die Beschädigung - letztere frei von 5% -, wenn sie die unmittelbare Folge eines qualifizierten Unfalles oder eines Sturzes der Güter während der Umladung und, soweit gedeckt, während der Einladung oder der Ausladung sind."
Dazu tritt folgender Zusatz:
"Versicherung zur Bedingung f.p.a. aber einschliesslich Diebstahl und Abhandenkommen ganzer Kolli oder - bei lose verladenen Gütern - ganzer Ladungen:
Die Versicherung gilt zur Bedingung f.p.a. gemäss Art. 14 ABVT 1940. Ausserdem erstreckt sie sich auf die Gefahren von Diebstahl und Abhandenkommen ganzer Kolli oder - bei lose verladenen Gütern - ganzer Ladungen."
G.-
Gestützt auf Art. 14 ABVT in Verbindung mit Art. 11 nebst Zusatz verlangte die Käuferin von der "Schweiz" Ersatz des ihr durch das Versinken der neun "Staghounds" erwachsenen Schadens im Rahmen der in der Generalpolice festgesetzten Höchstbeträge und der für den in Frage stehenden Transport berechneten Versicherungssummen.
Die "Schweiz" lehnte die Haftung ab, weil die Ladeoperationen beim Eintritt des Schadens bereits beendet gewesen seien und auch kein qualifizierter Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliege. Auf den Zahlungsbefehl vom 4. April 1952 erhob sie in vollem Umfange Rechtsvorschlag.
H.-
Nach fruchtlosem Aussöhnungsversuch vom 4. November 1953 folgte am 4. Mai 1954 die Klage der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegen die Versicherungsgesellschaft "Schweiz" beim Appellationshof des Kantons Bern. Im Lauf des Prozesses präzisierte die Klägerin
BGE 82 II 445 S. 449
ihr Begehren, unter Anrechnung der Zahlungen der englischen Versicherer, dahin, die Beklagte sei zur Bezahlung von Fr. 86'207.05 zuzüglich Zins zu 5% seit 26. Juli 1955, sowie Zins zu 5% auf dem Betrag von Fr. 95'844.50 vom 4. April 1952 bis 26. Juli 1955, ferner Fr. 18.10 Betreibungskosten zu verurteilen.
I.-
Mit diesem Begehren durch Urteil des Appellationshofes vom 29. November 1955 abgewiesen, hält die Klägerin mit vorliegender Berufung daran fest und verlangt eventuell die Rückweisung der Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz.
K. - Die Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung und damit der Klage an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die die Beweisführung betreffenden Rügen, wie sie die Berufungsschrift vorsorglich erhebt, sind für den Ausgang der Sache ohne Belang und können deshalb auf sich beruhen bleiben. Es steht fest und ist denn auch unter den Parteien nicht streitig, dass die zu Schaden gekommene Deckladung im Unterschied zu der Fracht des Schiffsraumes nicht zu den gewöhnlichen Bedingungen versichert war. Vielmehr wurde sie der fpa-Klausel mit den daran geknüpften nähern Bestimmungen unterstellt. Diese Klausel ist deutsch mit den Worten "frei von Beschädigung" wiedergegeben. Sie bedeutet "free particular average" und heisst in französischen Texten "fap" = "franc d'avarie particulière". Es handelt sich um eine Ausschlussklausel zugunsten des Versicherers. Dessen Haftung für "Beschädigung" ("avarie particulière") wird dadurch grundsätzlich wegbedungen. "Besondere Haverei" ist kein aus sich selbst zu bestimmender Begriff, sondern "eine Art Restbegriff"; "sie umfasst alle durch einen Unfall für ein Seeschiff oder dessen Ladung verursachten Schäden, Verluste und Kosten, die weder grosse noch kleine Haverei sind" (WÜSTENDÖRFER, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 360). Mit diesem Begriffe brauchte sich
BGE 82 II 445 S. 450
übrigens die Klägerin nicht näher zu befassen. Sie konnte sich einfach an die Policebestimmungen halten, welche die gegenüber der fpa-Klausel vorbehaltenen versicherten Gefahren umschreiben. Mit Rücksicht auf diese Vorbehalte hat man es hier mit einer sog. Versicherung "fap sauf" zu tun, im Gegensatze zu einer Klausel "fap absolument" (vgl. RIPERT, Droit maritime, 4e éd., III nos 2661 ff.; DENISE BERTHOUD, L'assurance contre les risques de transport, p. 61 ff.).
2.
Von den gegenüber der fpa-Klausel vorbehaltenen Gefahren kommt hier nur "Sturz der Güter während der Einladung" in Frage. Art. 14 ABVT berücksichtigt solche Fälle allerdings nur "soweit gedeckt", doch sind die Parteien darüber einig, dass die von der Klägerin bei der Beklagten genommene Versicherung dafür Deckung bietet, sei es nach Art. 16 Abs. 2 ABVT, sei es nach dem Schlussabsatz von Art. 7 der "Besonderen Bedingungen". Demgemäss dreht sich der Streit nur um Sinn und Tragweite des Wortes "Einladung", wovon es abhängt, ob das Unglück vom 8. Oktober 1951 noch "während der Einladung" geschah und daher der Versicherungsschutz Platz greift, oder ob die "Einladung" schon beendigt war und daher eine Haftung der Beklagten nach Art. 14 ABVT nicht besteht.
Der Appellationshof hat über die Bedingung von Art. 14 ABVT ein Rechtsgutachten von Dr. Walter Müller, Advokat und Notar in Basel, "membre titulaire du Comité Maritime International", eingeholt. Auf Grund eingehender Erörterung der seerechtlichen Begriffe des "Einladens" und "Verstauens" gelangt der Experte zum Ergebnis,
"dass in der Seeschifffahrt der Vorgang der Verladung der Güter (chargement) die ordnungsgemässe Verstauung (arrimage) der Güter nicht einschliesst, sondern dass es sich um zwei getrennte Operationen handelt, welche tatsächlich und rechtlich verschieden sind und verschieden behandelt werden",
und beantwortet die ihm gestellten Fragen wie folgt:
"- Die Einladung gemäss Art. 14 der "Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Gütertransporten" (ABVT 1940)
BGE 82 II 445 S. 451
ist beendet, wenn die Güter an Bord des Schiffes gebracht sind (hissé à bord).
1. Die Einladung ist schon beendet, wenn die Güter auf dem Schiff abgesetzt werden.
2. Das Verstauen, Verkeilen und Befestigen der Staghounds (die sog. Verstauung, arrimage) gehört nicht mehr zum Einladungsprozess.
- Auf jeden Fall muss die Verladung als beendet betrachtet werden, wenn die Bordkonnossemente ausgestellt sind."
Das Gutachten zieht in erster Linie den französischen Text der ABVT in Betracht, weil es der erste Text war, der deutsche Text dagegen eine Übersetzung davon. Sodann heisst es auf S. 17 des Gutachtens:
"Ein Vergleich mit andern Transportarten (Eisenbahn, Camion) ist unerheblich, da die Verhältnisse bei diesen Transportarten anders gelagert sind, und vor allem weil die Verstauung nicht zu den zwingenden Pflichten des Transportführers gehört."
Der Appellationshof schliesst sich den Ausführungen und Schlussfolgerungen des Gutachtens an. Er bemerkt, auch der Kapitän der HAST 5 unterscheide bei seinen Einträgen im Logbuch zwischen "einladen" und "verstauen", ebenso der Hafenkommissär McQueen in seinem Bericht über den Vorfall vom 8. Oktober 1951 ("that the loading was completed, but that all vehicles had not been secured"). Ähnlich habe sich die Reederei Muron, Rotterdam, in einem Schreiben an die Klägerin ausgedrückt: "Die Verladung der Staghounds war beendet, jedoch mussten noch einige Wagen auf der Vorderluke befestigt werden". Endlich weist das Urteil auf seerechtliche Erlasse verschiedener Staaten und auf internationale Abkommen hin, in denen zwischen "einladen" und "stauen" unterschieden wird. Es erklärt sodann: "Wenn ein in einem Versicherungsvertrag verwendeter und nicht besonders umschriebener Begriff in den beteiligten Fachkreisen so eindeutig definiert wird, wie es für den Begriff des Einladens der Fall ist, muss bei der Vertragsauslegung auf diesen technischen Begriff und nicht auf eine allfällige Auffassung eines Laien abgestellt werden. Durch eine solche Auslegung wird der Grundsatz in dubio contra stipulatorem nicht verletzt,
BGE 82 II 445 S. 452
weil über die Bedeutung des verwendeten Ausdrucks "Einladen" keine Zweifel bestehen können..."
Gegen diese Betrachtungsweise erheben sich indessen Bedenken. Nach ständiger Rechtsprechung, womit die Rechtslehre übereinstimmt, sind vom Versicherer aufgestellte Vertragsbestimmungen nicht nur in dubio contra stipulatorem oder contra proferentem auszulegen, sondern es muss hier der deutsche Policentext, weil dem Vertrag zugrunde liegend, massgebend sein. Im übrigen muss sich der Versicherungsnehmer auf den einheimischen Sprachgebrauch stützen können, da er (wie übrigens auch der Versicherer) seinen Sitz in der Schweiz hat und hier ausserdem der Vertrag abgeschlossen wurde (vgl. ROELLI, N. 7 zu
Art. 11 VVG
, S. 170 ff.). Und zwar kommt es bei der Auslegung von Versicherungsverträgen nicht auf die juristischen, technischen, überhaupt nicht auf wissenschaftliche Begriffe an, sondern es ist der gewöhnliche landläufige Wortsinn in erster Linie zu berücksichtigen (
BGE 44 II 102
,
BGE 59 II 322
). So ist es auch mit dem hier streitigen Ausdruck "Einladung von Gütern" zu halten, zumal man es dabei mit einer alltäglichen und allbekannten Verrichtung zu tun hat. Es verschlägt nichts, dass sich die Klage auf einen Transport zur See bezieht. Denn wenn die Einladung auch je nach der Art des Fahrzeuges und der Ware in verschiedener Weise vor sich geht, ist doch der Begriff ein einheitlicher. Der vorliegende Versicherungsvertrag bezieht sich übrigens auf Transporte jeder Art. Als Rahmenvertrag dient eine "Generalpolice für die Versicherung von Gütertransporten zu Lande, auf Binnengewässern, zur See und in der Luft". Von allgemeiner Tragweite sind auch die ihr beigegebenen ABVT 1940, wobei sich die Art. 11 und 14 mit Zusätzen unter den alle Transportarten betreffenden "gemeinsamen Bestimmungen" befinden. Art. 11 fasst freilich speziell die auf Deck eines Schiffes verladenen Güter ins Auge, macht aber keinen Unterschied zwischen Transporten zur See und solchen auf Binnengewässern. Die fpa-Klausel als solche ist unter
BGE 82 II 445 S. 453
bestimmten Voraussetzungen für jede Art von Transporten vorgesehen, wie sich aus den Art. 9 und 10 ABVT ergibt.
Die in Art. 14 ABVT gegenüber einer allgemeinen Ausschlussklausel als versichert vorbehaltenen Fälle lassen sich nun allerdings nicht auf dem Weg der Analogie vermehren. Ihre Umschreibung ist aber gemäss
Art. 33 VVG
in Verbindung mit der Vertrauenstheorie (vgl. ROELLI, N. 6 zu
Art. 33 VVG
; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 43 und 51 ff. zu
Art. 1 OR
) weitherzig auszulegen. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass es sich um Ausnahmen von einer Ausschlussklausel handelt. Vielmehr ist es gleich zu halten, wie wenn von vornherein nur für die betreffenden Fälle, also vor allem für die unmittelbaren Folgen eines Sturzes der Güter während der Umladung sowie während der Einladung und der Ausladung, Versicherung genommen worden wäre. Mit den erwähnten Normen des schweizerischen Rechtes wäre es nicht vereinbar, Klauseln, aus denen der Versicherungsnehmer Ansprüche herleitet, im Zweifel zu seinen Ungunsten auszulegen, weil er als Gläubiger auftritt (wie dies, wenn auch nicht einhellig, im französischen Versicherungsrecht mit Hinweis auf Art. 1162 des Code civil angenommen wird; vgl. RIPERT, a.a.O. III no 2411).
3.
In der schweizerischen Umgangssprache, die übrigens hierin kaum von der vorherrschenden allgemeinen deutschen Volkssprache abweicht, wird nun sehr oft von "Einladen" (oder auch "Laden", "Verladen", "Aufladen") in einem weiten Sinne gesprochen. Diese Ausdrücke bezeichnen bei solcher Gebrauchsweise neben dem Absetzen des Gutes auf das Transportfahrzeug auch die Vor- und Nachstadien dieser Handlung. Wegleitend ist dabei der mit dem "Einladen" verfolgte Zweck, das Gut vom bisherigen Standorte zum Fahrzeug zu bringen und, wenn es einmal darauf abgestellt ist, dann auch so zu plazieren und wenn nötig zu verkeilen oder zu befestigen, dass es in gehöriger Weise transportiert werden kann. Erst wenn dies besorgt ist, hat man "gut", "richtig", "fertig" verladen. Wenn das Wörterbuch der Gebr.
BGE 82 II 445 S. 454
GRIMM einerseits das Wort "einladen" mit imponere in navem erläutert, einer Wendung, die sich in engem oder weitem Sinne verstehen lässt, so erwähnt es anderseits zum Worte "laden" die Ausdrücke "viel laden", "schief laden" und hält aus "Hermann und Dorothea" fest: "... das alles, auf mancherlei Wagen und Karren durcheinander geladen...". In der Schweiz heisst "der Lader" der Ladende auf dem Heu- oder Garbenwagen: "die Heraufgeber ... warfen ... Gabeln voll auf den Wagen, die der kundige Lader auf den Knien mit ausgebreiteten Armen empfing" (Idiotikon, 3. Band S. 1062; GOTTHELF, Uli der Knecht, S. 194 der Ausgabe von Rentsch). Der landläufige Sprachgebrauch bezieht also das Verteilen und Sichern der Güter auf dem Fahrzeug in den Begriff des "Ladens", "Einladens" usw. ein, und zwar gleichgültig, ob alle Phasen des "Ladens" von denselben Personen ausgeführt werden, oder ob sich mehrere Personen oder Gruppen in die verschiedenen aufeinander folgenden Verrichtungen teilen. Dieser zweckbezogenen Ausdrucksweise bedienen sich auch amtliche schweizerische Erlasse aus dem Gebiete des Transportwesens. So finden sich im eidgenössischen Reglement über den Transport auf Eisenbahnen und Schiffen vom 24. Juni 1949 (Slg der eidg. Gesetze 1949 S. 619), Art. 111 (Randtitel "Verlad"), Vorschriften darüber, wie die Tiere im Transportfahrzeug anzubinden sind, was für Zwischenräume bestehen müssen, und es wird gesagt, verpackte Tiere seien "so zu verladen, dass sie ausreichend frische Luft erhalten". So setzt ferner das Militärtransportreglement vom 1. Juli 1907, Art. 49 Abs. 6 (BS 1848-1947 Bd. 5 S. 605) fest, was "zu einer guten Verladung gehört": gleichmässige Verteilung des Gewichtes, Befestigung der verladenen Fuhrwerke auf dem Boden mittels Holzkeilen oder Latten, usw.
4.
Dieser der Alltagssprache geläufige weite Begriff des "Einladens", "Verladens" usw. (den letztern Ausdruck verwendet die Generalpolice ebenfalls, vgl. neben Art. 11 die Umschreibung des Begriffes "Fahrzeug" in den an die
BGE 82 II 445 S. 455
Spitze der ABVT 1940 gestellten "Grundbegriffen") darf der Klägerin zugute kommen. Sie braucht sich nicht entgegenhalten zu lassen, dass im Seerecht in der Regel zwischen "einladen" und "verstauen" unterschieden wird, in dem Sinne, dass das "Einladen" das "Verstauen" nicht umfasst, sondern nur soviel bedeutet wie "an Bord bringen". Eine solche Terminologie liegt freilich auch dem Internationalen Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Konnossemente einigermassen zugrunde, das am 25. April 1924 in Brüssel unterzeichnet, im Bundesratsbeschluss vom 9. April 1941 über die Seeschiffahrt unter Schweizerflagge als verbindlich bezeichnet und durch Bundesbeschluss vom 17. März 1954 auf den 28. November 1954 in Kraft gesetzt wurde (vgl. dessen Art. 2 und 3). Das kann jedoch hier nicht massgebend sein. Denn diese seerechtliche Redeweise hat den allgemeinen Sprachgebrauch, mindestens in der Schweiz, nicht verändert und den oben dargelegten weiten Begriff des "Einladens" nicht verdrängt. Übrigens ist der Sprachgebrauch selbst im Seehandel kein einheitlicher, was auch Ripert in dem von der Beklagten eingeholten Gutachten einleitend hervorhebt. Damit stimmt es überein, dass unter "chargement en pontée" vornehmlich das "Verstauen" verstanden wird, gemäss der Umschreibung dieser Wendung im Vocabulaire juridique von CAPITANT, 1936: "arrimage des marchandises sur le pont du navire". Es wird denn auch allgemein von den Laderäumen gesprochen, und bei der "Stauung" wirkt im Grossbetriebe auch der "Ladungsoffizier" mit (WÜSTENDÖRFER, a.a.O. S. 181). Und wenn in den englischen Berichten des Kapitäns und des Hafenkommissärs über den vorliegenden Unfall gesagt wurde, die Güter seien "eingeladen", aber noch nicht alle "gesichert" gewesen, so vermochte der Kommissär Mc Queen dann doch auf die bestimmte Frage "When loading operations terminate?" nach Erkundigung beim Verkehrsministerium und bei anderen Stellen nur zu berichten: "Although various opinions were given, no definite rulings
BGE 82 II 445 S. 456
appear to be in any regulations" (S. 55 der kantonalen Gerichtsakten). Der holländische Originalbericht des Kapitäns verwendet das Wort "laden" auch für das Wasserfassen.
5.
Im Anschluss an das gerichtliche Gutachten legt das angefochtene Urteil besonderes Gewicht darauf, dass mit der Anbordnahme, d.h. sobald die Güter auf das Schiff abgesetzt sind, oder doch auf alle Fälle mit der Ausstellung der Bordkonnossemente durch den Kapitän oder seinen Stellvertreter, die zwingende Haftung des Reeders beginnt. Von da an habe, wie auf S. 23 des Gutachtens ausgeführt wird, das typische Interesse, die Güter gegen Beschädigung durch Sturz versichern zu lassen, nicht mehr bestanden. Allein, es ist nicht einzusehen, wieso die "prise en charge", sei es als unmittelbare Folge des Anbordbringens, sei es als Auswirkung des Ausstellens der Bordkonnossemente, sei es kraft eines frühern Übernahmeaktes (vgl. RIPERT a.a.O. III no 1487bis: "prise en charge sous palan"; SMEESTERS & WINKELMOLEN, Droit maritime et droit fluvial, 2e éd. I p. 432: Übergabe an den Kapitän "à la pierre bleue du quai") das Interesse an einer solchen Versicherung hinfällig machen sollte. Nach dem erwähnten Brüsseler Abkommen von 1924 ist die Haftung des Reeders stark eingeschränkt. Art. 4 § 2 des Abkommens bestimmt: "Weder der Unternehmer (= Reeder) noch das Schiff sollen für Verluste oder Schäden haften, die entstehen: a) aus Handlungen, Nachlässigkeit oder Unterlassungen des Schiffers (= Kapitäns), der Schiffsoffiziere, der Schiffsmannschaft, des Lotsen oder der im Dienste des Unternehmens stehenden Personen bei der Führung oder dem Betriebe des Schiffes...". Und das (noch nicht in Kraft gesetzte) Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die Seeschiffahrt unter der Schweizerflagge (8bl. 1953 I 169 ff.) lässt in Art. 117 Abs. 2 gegenüber der grundsätzlich zwingenden Haftung des Seefrachtführers (= Reeders) gewisse abweichende Vereinbarungen zu, insbesondere, "wenn es sich ... um
BGE 82 II 445 S. 457
eine Ladung handelt, die nach Vereinbarung oder Übung auf Deck verladen wird...". Das im vorliegenden Fall ausgestellte Bordkonnossement der Maritime Agencies Ltd. vom 8. Oktober 1951 enthält in Zeile 92 die Klausel: "the steamer is not answerable for any sum exceeding £ 100 per package or goods of whatsoever description...". Das spielte eine Rolle bei der Regelung des Schadens mit den englischen Versicherern, und es ist hier nur noch der restliche Schaden eingeklagt.
6.
Die Transportversicherung gilt in erster Linie für die Dauer der Reise. Nach Art. 16 ABVT beginnt sie indessen, sofern nichts anderes vereinbart ist, schon "mit dem Zeitpunkt, in welchem die Güter am Versandort auf das Fahrzeug gelangen", und endet "mit dem Zeitpunkt, in welchem sie das Fahrzeug am Bestimmungsort verlassen". Wenn es sodann heisst, die Versicherung "erstrecke sich nicht auf die Gefahren des Aufladens oder des Abladens" (sofern diese Gefahren nicht durch eine speziellere Bestimmung wie Art. 16 Abs. 2 ABVT oder den Schlussabsatz von Art. 7 der "Besonderen Bedingungen" einbezogen sind), so ist in diesem Zusammenhange freilich unter Auf- und Abladen (d.h. Ausladen) nur gemeint, was sich ereignet, bevor das Gut auf das Fahrzeug gelangt, und nachdem es dieses verlassen hat. Das ist aber nur eine Folge davon, dass in die "Reiseversicherung" ein Teil der Risiken des Ein- und Ausladens im weitern, gewöhnlichen Sinne dieser Worte einbezogen wurde, sodass der grundsätzliche Ausschluss der weiteren Gefahren nur die erste Phase des Einladens und die zweite Phase des Ausladens trifft. Diesem Einbezug eines Teils der Vor- und Nachstadien der Reise in die "Reiseversicherung" ist kein Einfluss auf die Auslegung von Art. 14 ABVT zuzugestehen. Hier muss der volle gebräuchliche Wortsinn des Ein- und Ausladens gelten, womit diese Begriffe in natürlicher Weise gegenüber dem der Reise im eigentlichen Sinn abgegrenzt werden, wie er auch der Definition der Reise in den "Grundbegriffen" der ABVT zugrunde liegt.
BGE 82 II 445 S. 458
Es liefe übrigens den entgegenkommenden Tendenzen der Transportversicherer (vgl. MATTER, Der Umfang der Gefahr in der Seeversicherung von Gütern nach schweizerischem Recht, S. 36) zuwider, die Deckung von Beschädigungen des Transportgutes "während der Einladung und der Ausladung" nicht einmal für die nach gewöhnlichem Sprachgebrauch anzunehmende Dauer dieser Vor- und Nachstadien der Reise gelten zu lassen, mit der Begründung, es sei anderseits die Reiseversicherung über ihren eigentlichen Begriff hinaus erstreckt worden. Die Reiseversicherung deckt eben nach der fpa-Klausel solche Beschädigungen nicht. Daher sind die durch Art. 14 ABVT als versichert bezeichneten Fälle nach dem vollen Sinn ihrer Umschreibung zu berücksichtigen.
7.
Es mag vorkommen, dass die Einladung, wie sie hier - mit Einschluss des Verstauens, d.h. der "Verteilung der Ladungsgüter über das Schiff nach Seemannsbrauch unter zweckentsprechender Ausfüllung der Laderäume und genügender Festlegung der Güter" (WÜSTENDÖRFER, a.a.O. S. 181) - zu verstehen ist, erst nach Antritt der Reise, d.h. nach dem Auslaufen des Schiffes, beendigt wird. In einem solchen Falle würde sich fragen, ob ein hiebei sich ereignender Sturz von Gütern nicht mehr "während der Einladung", sondern "auf der Reise" erfolgt sei, indem sich die Einladung gemäss Art. 14 ABVT nur als Vorstadium der Reise verstehen lasse. Wie dem auch sein möge, hat sich der vorliegende Unfall noch vor der Reise zugetragen. Die Bewegung des Schiffes längs des Hafenquais zur Aufnahme von Süsswasser war nur ein sich im Hafen abspielendes Zwischenmanöver, und es war angeordnet, die Einladung noch vor Reisebeginn zu beendigen. Sie wäre normalerweise durch das Wasserfassen nur verzögert worden. Der Unfall geschah somit noch "während der Einladung".
8.
Bei dieser "der Klägerin günstigsten Auslegung von Art. 14 ABVT" kann die Klage nach Ansicht der Beklagten immerhin nur teilweise geschützt werden. Es
BGE 82 II 445 S. 459
falle nämlich nur die Beschädigung der zwei oder drei "Staghounds" in Betracht, die, als das Schiff ins Schwanken kam, noch nicht festgebunden waren. Die anderen Stücke der Deckladung seien auch bei Annahme dieses weiten Begriffes der Einladung fertig verladen gewesen; sie habe der Unfall also nicht mehr während, sondern erst nach der Einladung betroffen.
Dieser Betrachtungsweise kann sich das Bundesgericht nicht anschliessen. Sie fasst das Schicksal jedes einzelnen der versunkenen "Staghounds" so ins Auge, als hätte er allein sich auf Deck befunden. Der wahre Verlauf der Dinge lässt jedoch die Risikoverbundenheit der ganzen Deckladung erkennen. Sie war in ihrer Gesamtheit von gewissen Gefahren bedroht, solange auch nur einzelne Stücke nicht festgebunden waren. Deshalb hat denn auch das Unglück auf die bereits festgebundenen Stücke übergegriffen. Im Hinblick auf die Risiken, wofür die Versicherung eben Deckung bieten soll, waren auch die bereits festgebundenen Wagen, solange andere noch frei dastanden, nicht wirklich gesichert. Es kann somit nicht mit genügendem Grunde gesagt werden, einzelne Stücke seien "fertig verladen" gewesen. Vielmehr war die ganze Deckladung noch nicht "fertig verladen", solange einzelne Wagen noch frei dastanden. Art. 14 ABVT lässt sich zwangslos auf Sachgesamtheiten solcher Art anwenden. Er spricht vom "Sturz der Güter", und "Gut" ist nach der Umschreibung dieses Begriffes in den "Grundbegriffen" der ABVT der ganze Gegenstand des durch die Versicherung gedeckten Transportes, im Unterschied zum "Kollo", als was das einzelne Frachtstück zu gelten hat, das allein oder mit andern zusammen das Gut darstellt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 29. November 1955 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin
BGE 82 II 445 S. 460
einen Betrag von Fr. 86'207.05 zuzüglich Zins zu 5% seit 26. Juli 1955 sowie Zins zu 5% auf dem Betrag von Fr. 95'844.50 vom 4. April 1952 bis 26. Juli 1955 und Fr. 18.10 Betreibungskosten zu zahlen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b7f7956-416e-4c40-9148-6abaa8f14cdb | Urteilskopf
115 II 255
43. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. September 1989 i.S. N. gegen X. AG (Berufung) | Regeste
Know-how- und Lizenzvertrag, Haftung aus mangelhafter Anleitung zum technischen Handeln.
Verpflichtet sich eine Vertragspartei, der andern ihr technisches Wissen zur Verfügung zu stellen, so richten sich die Rechte und Pflichten der Parteien insoweit nach den Regeln des Know-how-Vertrages, welcher - jedenfalls im Bereich gewerblicher Schutz- und ähnlicher Rechte - als Lizenzvertrag erscheint (E. 2a). Im Lizenzverhältnis, insbesondere im entgeltlichen, hat der Lizenzgeber für die technische Ausführbarkeit und Brauchbarkeit seiner Anweisung zum technischen Handeln einzustehen (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 256
BGE 115 II 255 S. 256
A.-
N. ist als selbständiger Ingenieur tätig und befasst sich mit der Konstruktion von verleimten Fassadenelementen, sogenannten Sandwich-Platten. Hersteller sind verschiedene Unternehmen, darunter die X. AG.
Mit den Abnehmern schloss N. die Verträge in eigenem Namen ab. Er berechnete die Preise, zeichnete die Konstruktionspläne und besorgte das Material. Anschliessend übermittelte er die Bestellungen der X. AG. Diese stellte die Platten nach den technischen Angaben des N. her, versandte sie unter eigener Rechnungsstellung an die Abnehmer und bezog den Preis. N. erhielt jeweils eine als Provision bezeichnete Vergütung, die je nach Produkt in Prozenten der Auftragssumme oder nach Masseinheiten bemessen wurde.
B.-
Mit Klage vom 10. August 1987 machte N. gegenüber der X. AG unter anderem einen Provisionsanspruch von Fr. 10'681.35 geltend. Die Beklagte verlangte widerklageweise einen Betrag von Fr. 58'476.85 zur Hauptsache als Ersatz für Schäden aus untauglichen Konstruktionsplänen. Mit Urteil vom 25. Februar 1988 schützte das Bezirksgericht Untertoggenburg Klage und Widerklage im Umfang von Fr. 4'428.25 bzw. Fr. 9'205.40 und wies sie weitergehend ab. Auf Berufung der Beklagten hin hiess das Kantonsgericht St. Gallen am 27. Januar 1989 die Widerklage im Umfang von Fr. 50'421.75 gut.
C.-
Der Kläger hat gegen das kantonsgerichtliche Urteil eidgenössische Berufung eingelegt.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt, und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig ist vor Bundesgericht einzig noch, ob der Kläger für einen Schaden von Fr. 41'216.35 ersatzpflichtig ist, in welchem Umfang die Beklagte Gewährleistungsansprüche eines Plattenabnehmers zu befriedigen hatte. Der Kläger stellt eine Haftung unter Hinweis auf das Recht des Agenturvertrages in Abrede. Das Kantonsgericht ging demgegenüber von einem gemischten Vertrag mit Elementen des Geschäftsbesorgungsauftrages, des Know-how- Vertrages und des Markenlizenzvertrages aus, in welchem der
BGE 115 II 255 S. 257
Kläger die Verantwortung für konstruktive Fehler trage, und bejahte deshalb dessen Haftung für den Schaden, den die Beklagte infolge Untauglichkeit der Konstruktionspläne erlitten hatte.
a) Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz lassen die Rechtsnatur der Vertragsbeziehungen der Parteien nicht restlos erkennen. Fest steht jedoch, dass ein reiner Typenvertrag nicht vorliegt, insbesondere kein Agenturvertrag im Sinne von
Art. 418a ff. OR
, was sich bereits daraus ergibt, dass der Kläger die Verträge in eigenem Namen abschloss (
Art. 418a Abs. 1 OR
). Hinzu kommt, dass sich die vom Kläger vertraglich übernommenen Tätigkeiten nicht etwa in der Vermittlung von Geschäften erschöpften, sondern insbesondere auch die Erstellung der Konstruktionspläne und den Einkauf der Werkstoffe umfassten; der Kläger gab der Beklagten die technische Anweisung zur Herstellung der Platten. Damit fällt auch die Kommissionsagentur, die zwar von der Voraussetzung des Handelns in fremdem Namen absieht (HOFSTETTER, SPR VII/2, S. 139), aber wie die gewöhnliche Agentur das Begriffselement der technischen Anweisung nicht kennt, ausser Betracht.
Auszugehen ist deshalb mit der Vorinstanz von einem gemischten Vertragsverhältnis. Dabei kann offenbleiben, welchen Vertragstypen die verschiedenen Bestandteile dieses Gesamtverhältnisses im einzelnen zuzuordnen sind. Für die Beurteilung des Rechtsstreites ist, wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, lediglich entscheidend, dass der Kläger mit seinen Konstruktionsplänen und mit den von ihm eingekauften Werkstoffen der Beklagten das Know-how seiner Konstruktion zur Verfügung gestellt und dafür - im Rahmen der ihm zustehenden Provision - eine Vergütung bezogen hat. Insoweit beurteilen die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sich nach den Regeln des sogenannten Know-how-Vertrages, welcher - jedenfalls im Bereich gewerblicher Schutz- und ähnlicher Rechte - als Lizenzvertrag erscheint (PEDRAZZINI, SPR VII/1, S. 596 und 616 f.; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. Aufl., S. 844 ff.; TROLLER, Der Schutz des Know-how im schweizerischen Recht, in: Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe Congrès international de droit comparé, S. 221 ff.).
b) Im Lizenzverhältnis, insbesondere im entgeltlichen, hat der Lizenzgeber für die technische Ausführbarkeit und Brauchbarkeit seiner Anweisung zum technischen Handeln einzustehen (PEDRAZZINI, a.a.O., S. 623; BENKARD, N. 102 ff. zu § 15 DPatG; STUMPF, Der Know-how-Vertrag, 3. Aufl., S. 63 ff.; BGH in GRUR
BGE 115 II 255 S. 258
81/1979 S. 769). Die Haftung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften über die Vertragserfüllung (
Art. 97 ff. OR
), bei gegebenen Voraussetzungen alternativ dazu nach dem Gewährleistungsrecht der Veräusserungs- oder der Gebrauchsüberlassungsverträge, eventuell nach demjenigen des Werkvertrages (vgl. PEDRAZZINI, a.a.O.; KOLLER, Der Know-how-Vertrag nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1979, S. 131 f.).
Daraus folgt, dass der Kläger für den Schaden einzustehen hat, welcher der Beklagten nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz aus mangelhafter Anweisung zum technischen Handeln in der Höhe von Fr. 41'216.35 erwachsen ist. Er haftet aus Schlechterfüllung oder Gewährleistung, wobei die Abgrenzung offenbleiben kann, da er sich nach den wiederum verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz gewährleistungsrechtlich nicht auf Genehmigung der Beklagten und damit Anspruchsverwirkung berufen hat und das Mass der Haftung nach beiden Ansprüchen dasselbe ist. Fehlendes Verschulden, welches der Kläger zu beweisen hätte (
Art. 97 OR
), ist nicht geltend gemacht. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b901049-b2ec-45c6-b23d-abed0f5d14be | Urteilskopf
137 V 143
20. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kanton Bern gegen Kanton Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_930/2010 vom 30. März 2011 | Regeste
Art. 13,
Art. 14 Abs. 1 und
Art. 30 ZUG
; Kostenersatzpflicht des Wohnkantons für vom Aufenthaltskanton im Rahmen der Unterstützung eines Bedürftigen im Notfall übernommenen Kosten eines Sanitätstransports.
Eine kantonale Praxis, nach erfolglosem Versuch des Leistungserbringers, die Transportkosten bei der unterstützten Person auf betreibungsrechtlichem Weg einzufordern (Erhalt eines Verlustscheins), von der Bedürftigkeit der Person auszugehen, verletzt weder den bundesrechtlichen Begriff der Bedürftigkeit noch das Subsidiaritätsprinzip staatlicher Unterstützungsleistungen. Umfang der diesbezüglichen Abklärungspflicht des Aufenthaltskantons (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 137 V 143 S. 144
A.
Der Sanitätsdienst Schutz & Rettung (eine Dienstabteilung des Polizeidepartements der Stadt Zürich) transportierte die 1956 geborene, in Bern wohnhafte M. am 31. Januar 2009 notfallmässig von der Strasse X. zum Spital Y., was Kosten in der Höhe von Fr. 592.50 verursachte. Am 26. Februar 2009 ersuchte der Sanitätsdienst das Sozialamt des Kantons Zürich vorsorglich um Kostengutsprache für diesen Transport. Nachdem die Forderung über Fr. 592.50 bei M. nicht einbringlich war, da am 15. Dezember 2009 aus dem Betreibungsverfahren ein Verlustschein resultierte, bat der Sanitätsdienst das Sozialamt um definitive Kostenübernahme (Schreiben vom 21. Dezember 2009). Dieses zeigte den Unterstützungsfall mit dem Gesuch um Erstattung der Kosten für den Sanitätstransport am 15. Januar 2010 dem Kanton Bern an.
Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern erhob Einsprache gegen das Kostenersatzgesuch des Kantons Zürich mit der Begründung, der Kanton Bern sei hinsichtlich dieses Transports nicht kostenersatzpflichtig. Zwar sei M. im Kanton Bern wohnhaft, sie sei jedoch weder zum Zeitpunkt des Sanitätseinsatzes noch zum Zeitpunkt der Unterstützungsanzeige noch zum jetzigen Zeitpunkt bedürftig. Die Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug von Sozialhilfe seien nicht erfüllt, weshalb sie vom Sozialdienst der Stadt Bern auch nicht unterstützt werde. In Abweisung der Einsprache bejahte die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 1. Juni 2010 die Kostenersatzpflicht des Kantons Bern.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des Kantons Bern wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 22. September 2010 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Kanton Bern die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der Verfügung vom 1. Juni 2010.
Der Kanton Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 137 V 143 S. 145
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Wenn ein Kanton als Gemeinwesen gestützt auf
Art. 89 Abs. 1 BGG
als Rechtsmittelträger handeln will, obliegt seine prozessuale Vertretung in der Regel dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde, welche den Kanton von Verfassungs wegen nach aussen vertritt. Will eine nachgeordnete Behörde namens des Kantons Beschwerde führen, hat sie ihre Vertretungsbefugnis explizit darzutun, sei es durch einen entsprechenden speziellen Ermächtigungsbeschluss der Kantonsregierung oder durch Angabe der sie zur Prozessführung namens des Kantons berechtigenden kantonalen Vorschriften (
BGE 135 II 12
E. 1.2.3 S. 16;
BGE 134 II 45
E. 2.2.3 S. 48; vgl. auch Urteil 2C_805/2008 vom 3. Februar 2009 E. 2.2.1). Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern ist gestützt auf die in der Beschwerde genannten Art. 47 Abs. 1 und Art. 28 des Gesetzes vom 20. Juni 1995 über die Organisation des Regierungsrates und der Verwaltung (OrG; BSG 152.01) zur prozessualen Vertretung des Kantons berechtigt (vgl.
BGE 136 V 351
E. 2.4 mit Hinweisen).
1.2
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (
Art. 95 lit. a BGG
). Soweit sich der angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht in
Art. 95 lit. c-e BGG
genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch das Bundesgericht demgegenüber thematisch auf die erhobenen und begründeten Rügen (
Art. 106 Abs. 2 BGG
) und inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht dabei eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des Willkürverbots nach
Art. 9 BV
. Was die Feststellung des Sachverhalts anbelangt, kann gemäss
Art. 97 Abs. 1 BGG
nur gerügt werden, diese sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung nach
Art. 95 BGG
(
BGE 135 V 94
E. 1 S. 95 mit Hinweis).
1.3
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze direkt und durch eine fehlerhafte Anwendung von kantonalem Recht Bundesrecht (Art. 2 des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1] in Verbindung mit § 14 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich vom 14. Juni 1981 [SHG; LS 851.1] sowie Art. 13 in Verbindung mit
Art. 30 ZUG
). Diese Rügen sind
BGE 137 V 143 S. 146
zulässig und werden - soweit sie eine Verletzung kantonalen Rechts betreffen - in einer den Anforderungen an die qualifizierte Rügepflicht nach
Art. 106 Abs. 2 BGG
genügenden Weise substanziiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1
Bedürftige werden von ihrem Wohnkanton unterstützt (Art. 115 erster Satz BV). Der Bund regelt die Ausnahmen und Zuständigkeiten (Art. 115 zweiter Satz BV). Dabei kann er insbesondere den Rückgriff auf einen früheren Wohnkanton oder den Heimatkanton regeln (so noch ausdrücklich
Art. 48 Abs. 2 aBV
).
2.2
Das Zuständigkeitsgesetz bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung eines Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist. Es regelt den Ersatz von Unterstützungskosten unter den Kantonen (
Art. 1 Abs. 1 und 2 ZUG
). Bedürftig ist, wer für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann. Die Bedürftigkeit wird nach den am Unterstützungsort geltenden Vorschriften und Grundsätzen beurteilt (
Art. 2 Abs. 1 und 2 ZUG
). Ist ein Schweizer Bürger ausserhalb seines Wohnkantons auf sofortige Hilfe angewiesen, so muss der Aufenthaltskanton ihm diese leisten (
Art. 13 Abs. 1 ZUG
). Ferner vergütet der Wohnkanton dem Aufenthaltskanton, der einen Bedürftigen im Notfall unterstützt, die Kosten der notwendigen und der in seinem Auftrag ausgerichteten weiteren Unterstützung sowie die Kosten der Rückkehr des Unterstützten an den Wohnort (
Art. 14 Abs. 1 ZUG
). Schliesslich muss der Aufenthaltskanton, der einen Bedürftigen im Notfall unterstützt und dafür vom Wohnkanton die Erstattung der Kosten verlangt, diesem den Unterstützungsfall sobald als möglich anzeigen (
Art. 30 Abs. 1 ZUG
).
3.
3.1
Nicht streitig ist, dass M. am 31. Januar 2009 auf sofortige Nothilfe angewiesen war, welche der Aufenthaltskanton Zürich in Form des Sanitätstransports geleistet hatte, und dass die Unterstützung Bedürftiger im Notfall die Kostenersatzpflicht des Wohnkantons auslöst (
Art. 14 Abs. 1 ZUG
). Uneins sind die Parteien hingegen hinsichtlich der Frage, ob M. dannzumal als bedürftig im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 ZUG
galt, sowie über den Umfang der diesbezüglichen Abklärungspflicht des Aufenthaltskantons.
3.2
Vorinstanz und Beschwerdegegner stellen sich auf den Standpunkt, der Aufenthaltskanton habe nicht sämtliche denkbaren
BGE 137 V 143 S. 147
Drittansprüche am Wohnort der unterstützten Person zu überprüfen, zumal die Behörden eines Kantons oftmals keine Handhabe hätten, Drittansprüche (in Form von Versicherungs- oder Ergänzungsleistungen) in einem andern Kanton durchzusetzen. Die Uneinbringlichkeit der Forderung über Fr. 592.50 sei mit dem ausgestellten Verlustschein hinreichend belegt und es sei mit dem Sozialhilferecht des Kantons Zürich vereinbar, diesfalls von der Bedürftigkeit einer unterstützten Person auszugehen.
3.3
Demgegenüber erachtet der Beschwerdeführer die sozialhilferechtlichen Grundsätze und Vorschriften des Kantons Zürich, namentlich § 14 SHG in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 2 ZUG
verletzt, indem der Kanton Zürich für die Annahme der Bedürftigkeit die Ausstellung des entsprechenden Verlustscheins im betreibungsrechtlichen Verfahren genügen liess und insbesondere keine Beurteilung der Bedürftigkeit in Form eines Ausgaben- und Einnahmenvergleichs nach den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) vorgenommen habe. Aus dem Subsidiaritätsprinzip der Sozialhilfe ergäbe sich im Weiteren, dass den fallführenden Aufenthaltskanton auch hinsichtlich der möglichen Versicherungs- oder Ergänzungsleistungsansprüche von M. auf Übernahme der medizinischen Rettungskosten eine Abklärungspflicht treffe, die hier verletzt sei.
3.4
Das Zuständigkeitsgesetz legt nicht fest, welche Aufwandpositionen unter welchen Umständen und in welcher Höhe innerkantonal über die wirtschaftliche Sozialhilfe abzudecken sind, was auch nicht geltend gemacht wird. Indem sich die Beurteilung der Bedürftigkeit nach den geltenden Vorschriften und Grundsätzen des Unterstützungsortes richtet (
Art. 2 Abs. 2 ZUG
), wird die Einwendung des kostenersatzpflichtigen Kantons, nach seinen Vorschriften und Grundsätzen werde die unterstützte Person nicht als bedürftig betrachtet oder gehöre die in Frage stehende Leistung nicht zum Aufgabenkreis der öffentlichen Sozialhilfe, ausgeschlossen (vgl. WERNER THOMET, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], 2. Aufl. 1994, N. 66 zu
Art. 2 ZUG
). Die betreffende Bestimmung erlaubt dem in Anspruch genommenen Kanton anderseits, die Beteiligung an einer Leistung abzulehnen, wenn der unterstützende Kanton bei der Beurteilung der Bedürftigkeit seine eigenen Vorschriften oder Grundsätze missachtet hat (THOMET, a.a.O., N. 66 zu
Art. 2 ZUG
), wovon - wie erwähnt - der Kanton Bern ausgeht.
BGE 137 V 143 S. 148
3.5
§ 14 SHG in Verbindung mit § 16 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich vom 21. Oktober 1981 (SHV; LS 851.11) sieht vor, dass, wer für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen mit gleichem Wohnsitz nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann, Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe hat. Die wirtschaftliche Hilfe soll das soziale Existenzminimum gewährleisten, das neben den üblichen Aufwendungen für den Lebensunterhalt auch individuelle Bedürfnisse angemessen berücksichtigt. Sie hat die notwendige ärztliche oder therapeutische Behandlung und die notwendige Pflege in einem Spital, in einem Heim oder zu Hause sicherzustellen (§ 15 Abs. 1 und 2 SHG). Sind Leistungen Dritter sicherzustellen, erteilt die Fürsorgebehörde in der Regel Gutsprache (§ 16 Abs. 3 erster Satz SHG), wobei sich die zuständige Behörde mit der Gutsprache verpflichtet, die Kosten notwendiger Leistungen zu übernehmen, soweit dafür keine Kostendeckung besteht (§ 19 Abs. 1 SHV).
3.6
3.6.1
Die Hilfe richtet sich nach den Besonderheiten und Bedürfnissen des Einzelfalls und den örtlichen Verhältnissen, wobei sie andere gesetzliche Leistungen sowie die Leistungen Dritter und sozialer Institutionen berücksichtigt (§ 2 Abs. 1 und 2 SHG). Grundlage für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe bilden gemäss § 17 SHV die SKOS-Richtlinien in der 4. überarbeiteten Ausgabe April 2005 mit den Ergänzungen 12/05, 12/07 und 12/08. Vorbehalten bleiben begründete Abweichungen im Einzelfall (§ 17 Abs. 1 SHV).
3.6.2
Wie die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe einleitend zu ihren Richtlinien festhält, gelten diese für alle längerfristig unterstützten Personen (einschliesslich anerkannte Flüchtlinge), die in Privathaushalten leben und die fähig sind, den damit verbundenen Verpflichtungen nachzukommen. Sie können daher auf nur vorübergehend unterstützte Personen oder auf Personen ohne eigenen Haushalt lediglich sinngemäss und entsprechend der individuellen Situation angewendet werden. Insoweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von § 14 SHG auf eine fehlende Beurteilung der Bedürftigkeit der unterstützten Person durch die Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben nach den SKOS-Richtlinien geltend macht, ist dies demnach nicht stichhaltig, da in der vorliegenden Situation sowohl die SKOS-Richtlinien als auch das kantonale Sozialhilfegesetz (§ 2 Abs. 1 SHG) Spielraum für eine situationsbezogene, individuelle Hilfe zulassen. Der Beschwerdeführer legt denn auch
BGE 137 V 143 S. 149
nicht näher dar, inwiefern der Beschwerdegegner sein diesbezügliches, auf kantonalem Recht beruhendes Ermessen in bundesrechtswidriger Weise überschritten hat.
3.7
3.7.1
Mit Blick auf die weiter geltend gemachte Verletzung des Subsidiaritätsprinzips und der damit zusammenhängenden Frage der Abklärung bestehender Ansprüche der unterstützten Person Dritten gegenüber ist unbestritten, dass sowohl hinsichtlich der Nothilfe nach
Art. 12 BV
als auch im Rahmen der kantonal geregelten Sozialhilfe der Grundsatz der Subsidiarität gilt (vgl. etwa
BGE 131 I 166
E. 4.1 S. 173 mit Hinweisen sowie CHRISTOPH HÄFELI, Prinzipien der Sozialhilfe, in: Das Schweizerische Sozialhilferecht,
derselbe
[Hrsg.], 2008, S. 73 ff.). Die unterstützte Person ist in Ausschöpfung des Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, Leistungsansprüche Dritten gegenüber geltend zu machen. Auch Leistungen Dritter, auf welche kein durchsetzbarer Rechtsanspruch besteht, die aber tatsächlich erbracht werden, gehen dem Leistungsanspruch gegenüber dem Staat vor (vgl. HÄFELI, a.a.O., S. 73). Nach den (vorliegend, wie dargelegt [E. 3.6.2], nur sinngemäss anwendbaren) SKOS-Richtlinien (Ziff. E. 2.1 "Grundsatz und Freibeträge") ist - dementsprechend - die Verwertung von Bank- und Postcheckguthaben, Aktien, Obligationen, Forderungen, Wertgegenständen, Liegenschaften und anderen Vermögenswerten Voraussetzung für die Gewährung von materieller Hilfe. Für die Beurteilung der Bedürftigkeit sind die tatsächlich verfügbaren oder kurzfristig realisierbaren Mittel massgebend.
3.7.2
Der Vorstand der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe hat sich, worauf das kantonale Gericht bereits hinwies, im April 2004 hinsichtlich der Frage der Kostendeckung im Rahmen der Sozialhilfe bei Rettungseinsätzen dahingehend geäussert, dass nur Unterstützungen im Notfall gemäss
Art. 30 ZUG
angezeigt werden solen, die die Sozialhilfe betreffen. Es müsse zuerst abgeklärt werden, ob Versicherungen etc. den medizinischen Notfall abdecken würden. Der Aufenthaltskanton habe dem Wohnkanton eine Unterstützungsanzeige in Notfällen erst dann zuzustellen, wenn aufgrund eines Notfalls eine Unterstützung mittels Sozialhilfe tatsächlich erfolgen müsse und somit Bedürftigkeit bestehe (Zeitschrift für Sozialhilfe [ZeSo] 2004 S. 75 f.).
3.8
3.8.1
Hinsichtlich dieses Einwands der unterlassenen Abklärung, ob Ansprüche gegenüber Dritten zur Kostenvergütung des
BGE 137 V 143 S. 150
Sanitätstransports bestünden, ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass Behörden im Aufenthaltskanton oftmals nicht legitimiert sein dürften und auch keine weitere Handhabe vorliegt, von Dritten Zahlungen zu verlangen oder gar durchzusetzen. Zudem sieht sich der im Notfall handelnde Kanton einer Situation gegenüber, in der er meist kurzfristig handeln muss, zumal die Notfallhilfe ausserhalb des Wohnkantons regelmässig nur auf kurze Zeit ausgerichtet ist (THOMET, a.a.O., S. 125 N. 189 zu
Art. 13 ZUG
), weshalb dieser - zumindest vor Erteilung der zur Übernahme der notfallbedingten Krankheitskosten verpflichtenden Gutsprache gemäss § 19 SHV - kaum die Möglichkeit umfassender Abklärungen über die Leistungspflicht Dritter haben wird (vgl. Urteil 2A.485/2005 vom 17. Januar 2006 E. 2.5).
Damit übereinstimmend hat die Vorinstanz in einem von ihr zu beurteilenden Fall (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2005.00530 vom 11. Januar 2006), bei dem sich innerkantonal zwei Gemeinden über die Ersatzpflicht der Kosten einer am Aufenthaltsort medizinisch betreuten Person stritten, die erfolglose Mahnung und Betreibung mit Erhalt eines Verlustscheins als genügenden Nachweis der Bedürftigkeit gewertet, was die Kostenersatzpflicht der Heimatgemeinde begründete. Mit dem Vorgehen des Sozialamtes des Kantons Zürich, jeweils dann definitiv Gutsprache zu erteilen, wenn der Leistungserbringer die Uneinbringlichkeit seiner Forderung nachweist, da es diesfalls zugunsten des Leistungserbringers, welcher die Notfallhilfe nicht verweigern kann, die Bedürftigkeit der unterstützten Person annimmt, wird weder Bundesrecht verletzt noch kantonales Recht willkürlich angewendet.
3.8.2
Mit dem Sinn und Zweck einer vom Aufenthaltskanton geleisteten - zeitlich und sachlich dringenden - Hilfe nach
Art. 13 Abs. 1 ZUG
ist es daher vereinbar, wenn das kantonale Gericht vorliegend zum Schluss gelangte, die weitergehende Abklärungspflicht über das Bestehen allfälliger Drittansprüche obliege dem kostenersatzpflichtigen Wohnkanton. In die gleiche Richtung zielt die Bestimmung von
Art. 26 Abs. 1 ZUG
. Danach ist es Sache der Behörden und Gerichte des Kantons, der zur Zeit der Unterstützung Wohnkanton war, Rückerstattungsansprüche gegenüber dem Unterstützten und seinen Erben geltend zu machen.
Ob hier allenfalls Dritte zur entsprechenden Kostenvergütung verpflichtet werden können, hat demnach in Anlehnung an
Art. 26 Abs. 1
BGE 137 V 143 S. 151
ZUG
der Kanton Bern als Wohnkanton abzuklären, wobei er hinsichtlich der entsprechenden Ansprüche im Umfang seines gegenüber dem Kanton Zürich geleisteten Kostenersatzes beim Versicherer die Auszahlung an ihn verlangen kann (vgl. Art. 40 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2001 über die öffentliche Sozialhilfe [Sozialhilfegesetz, SHG; BSG 860.1]).
4.
Es steht nach dem Gesagten in Einklang mit dem bundesrechtlichen (und kantonalen) Begriff der Bedürftigkeit, wenn davon ausgegangen wird, dass die unterstützte Person bei Vorliegen eines Verlustscheins zumindest nicht rechtzeitig aus (tatsächlich verfügbaren oder kurzfristig realisierbaren) eigenen Mitteln zur Begleichung der Unterstützungskosten aufkommen kann, was die Kostenersatzpflicht des Wohnkantons nach
Art. 14 Abs. 1 ZUG
begründet. Die erbrachten Leistungen sind somit - auch im Lichte des Umstands, dass das im materiellen Sozialhilferecht vorherrschende Individualisierungsprinzip der zuständigen Sozialhilfebehörde einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum verleiht (zur Voraussetzung der relativ erheblichen Entscheidungsfreiheit im Bereich der Sozialhilfe vgl. Urteile 2P.16/2006 vom 1. Juni 2006 E. 2.2 und 2P.230/2005 vom 10. Juli 2006 E. 2.3) - gesetzeskonform. Mithin hat der Beschwerdegegner dem Grundsatz der Subsidiarität staatlicher Unterstützungsleistungen mit dem erfolglosen Versuch des Leistungserbringers, die Transportkosten bei der Unterstützten auf dem betreibungsrechtlichen Weg einzubringen, hinreichend Rechnung getragen, zumal als Ergebnis des Pfändungsvollzugs angegeben wurde, dass kein pfändbares Vermögen vorliege sowie kein künftiger Lohn gepfändet werden könne und die ledige Schuldnerin einzig eine unpfändbare Rente der Invalidenversicherung von monatlich Fr. 1'550.- beziehe sowie von ihren Eltern unterstützt werde. Bei der hier offensichtlich fehlenden Liquidität und Bonität der unterstützten Person wird auch den Darlegungen der Sozialhilfekonferenz von April 2004 insoweit entsprochen, als damit die Bedürftigkeit zu bejahen ist und die Notfallanzeige nicht bloss rein vorsorglich ohne nähere Abklärung zur Bedürftigkeit der Notfallhilfe beanspruchenden Person erfolgte.
Der Wohnkanton Bern hat dem Aufenthaltskanton Zürich somit die Kosten der Notfallunterstützung nach der im Zuständigkeitsgesetz enthaltenen Regelung zu vergüten. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b925404-3e8c-403c-b207-2115f16be1a5 | Urteilskopf
116 IV 211
40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Juli 1990 i.S. Z. gegen W. und Fondation W. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 173 und 32 StGB
; üble Nachrede durch eine Prozesspartei.
1. Wer anlässlich eines Vermittlungs- oder Gerichtsverfahrens ehrenrührige Behauptungen aufstellt, kann sich über den Entlastungsbeweis von
Art. 173 Ziff. 2 StGB
hinaus auf die entsprechenden Verfahrensbestimmungen (z.B. die Darlegungs- und Begründungspflicht) berufen, sofern die Äusserungen den gebotenen Sachbezug haben und nicht über das Notwendige hinausgehen, der Täter nicht wider besseres Wissen handelt und blosse Vermutungen als solche bezeichnet. Innert dieser Grenzen können ehrverletzende Äusserungen prinzipiell durch
Art. 32 StGB
in Verbindung mit den Regeln des entsprechenden Verfahrensrechts gerechtfertigt sein. Wie weit die Straffreiheit im einzelnen geht, hängt neben den angeführten Schranken von der konkreten Ausgestaltung des Prozessrechts ab (E. 4a; Änderung der Rechtsprechung).
2. Besonderheiten des Vermittlungsverfahrens (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 116 IV 211 S. 212
W. und die Fondation W. klagten gegen Z. wegen verschiedener ehrverletzender Äusserungen, die dieser in einem Leserbrief und anlässlich zweier Vermittlungsverhandlungen gemacht hatte. Das Kantonsgericht St. Gallen sprach Z. mit Entscheid vom 21./30. Juni 1990 der wiederholten und fortgesetzten üblen Nachrede schuldig, büsste ihn mit Fr. 2'000.-- und ordnete eine Urteilspublikation an. Am 2. Februar 1990 wies das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen eine dagegen erhobene kantonale Kassationsbeschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte.
Die vorliegende eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten richtet sich gegen das Urteil des Kantonsgerichts mit den Anträgen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Beschwerdeführer von Schuld und Strafe freizusprechen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die ihm vorgeworfenen ehrverletzenden Äusserungen, soweit sie an einer Sühneverhandlung gefallen sind, durch einen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund gedeckt seien. Die Parteien, die sich anlässlich einer Sühneverhandlung vor dem Friedensrichter treffen, würden sich unverbindlich und in juristischer Hinsicht unpräjudiziell äussern. Wegen Äusserungen in derartigen Verhandlungen sollte eine Verurteilung wegen Ehrverletzung nicht möglich sein.
BGE 116 IV 211 S. 213
Auch die Vorinstanz stellte zu dieser Frage zunächst fest, die Funktion einer Vermittlungsverhandlung bestehe darin, den Parteien eine umfassende Aussprache zu ermöglichen und eine Annäherung herbeizuführen. Sie vertrat dann aber die Ansicht, die für den Vermittlungsvorstand typische Verhandlungs- und Gesprächssituation vermöge Ehrverletzungen (und schon gar nicht gegen Dritte) jedoch nicht zu entschuldigen. Mit dem Bezirksgericht sei festzuhalten, dass die Wahrnehmung prozessualer Rechte grundsätzlich keinen rechtlichen Sonderstatus verschaffe.
a) aa) Das Bundesgericht stellte in
BGE 98 IV 90
fest, wer in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht Behauptungen vor Gericht aufstelle, welche jemanden in seiner Ehre verletzen, bleibe dafür grundsätzlich nur dann straflos, wenn diese Behauptungen nicht einen der Straftatbestände der
Art. 173 ff. StGB
erfüllten; im Prozess von einer Partei aufgestellte ehrverletzende Behauptungen genössen mit anderen Worten nur dann Straffreiheit, wenn sich die Partei im Sinne von
Art. 173 Ziff. 2 StGB
zu exkulpieren vermöge. Das Bundesgericht erachtete es somit als ausreichend, der besonderen Situation der Prozesspartei im Rahmen des Gutglaubensbeweises Rechnung zu tragen, da bei einer anderen Betrachtungsweise die Ehre des Betroffenen im Prozess ihres strafrechtlichen Schutzes beraubt würde.
Diese Rechtsprechung ist auf Kritik gestossen. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, der Anwalt und die Prozesspartei, die im Rahmen der ihnen obliegenden prozessualen Darlegungs- und Begründungspflicht Ausführungen machen, sollten sich auf die entsprechenden prozessualen Bestimmungen berufen dürfen (SCHULTZ, AT I S. 155; LIONEL FREI, Der Entlastungsbeweis bei übler Nachrede und Beschimpfung, Bern 1976, S. 89; VON BÜREN, SJZ 73/1977 S. 85 ff.; SCHUBARTH, Kommentar
Art. 173 N 111
; vgl. auch RIKLIN, ZStrR 100/1983 S. 54: Wahrnehmung berechtigter Interessen).
bb) Zu prüfen ist, ob an der in
BGE 98 IV 88
E. 3 dargelegten Auffassung festgehalten werden kann. Dabei ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtes in anderem Zusammenhang anerkennt, dass über den Entlastungsbeweis von
Art. 173 Ziff. 2 StGB
hinaus besondere ausserstrafrechtliche Rechte und Pflichten einen Rechtfertigungsgrund begründen können. So ist der Richter oder Beamte, der in den Erwägungen eines Urteils oder einer Verfügung ehrverletzende Äusserungen macht, durch seine Pflicht zur Entscheidungsbegründung gedeckt, soweit
BGE 116 IV 211 S. 214
er dabei nicht über das Notwendige hinausgeht oder wider besseres Wissen handelt (
BGE 106 IV 179
ff.). Ebenso handelt der Zeuge aufgrund seiner Zeugnispflicht rechtmässig, wenn er aussagt, was er für wahr hält (
BGE 80 IV 60
). Auch kann sich ein Polizeimann auf seine Amtspflicht berufen, wenn er in Berichten ehrverletzende Äusserungen macht, sofern er nicht aufbauscht und sofern er Gerüchte als solche bezeichnet (
BGE 76 IV 25
). Wem in amtlicher Funktion eine Informationspflicht obliegt, der handelt rechtmässig, soweit die für die Öffentlichkeit bestimmten Äusserungen den gebotenen Sachbezug haben und mit der nötigen Zurückhaltung erfolgen (vgl.
BGE 108 IV 94
ff.).
Im Lichte dieser Rechtsprechung ist nicht einzusehen, warum sich eine Prozesspartei zur Rechtfertigung einer objektiv ehrverletzenden Äusserung unter keinen Umständen auf Bestimmungen des jeweiligen Verfahrensrechtes (z.B. auf die ihr obliegende prozessuale Darlegungs- und Begründungspflicht) sollte berufen können. Aus der soeben zusammengefassten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergeben sich zunächst nur folgende generelle Schranken: Die Prozesspartei muss sich auf das für die Erläuterung ihres Standpunktes Notwendige beschränken; ihre Ausführungen müssen sachbezogen sein; Behauptungen dürfen nicht wider besseres Wissen aufgestellt und blosse Vermutungen müssen als solche bezeichnet werden. Innert dieser Grenzen können ehrverletzende Äusserungen im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung prinzipiell durch
Art. 32 StGB
in Verbindung mit den Regeln des entsprechenden Verfahrensrechts gerechtfertigt sein. Wie weit die Straffreiheit im einzelnen geht, hängt neben den angeführten Schranken auch von der konkreten Ausgestaltung des Prozessrechts ab (s. dazu unten lit. b).
Soweit
BGE 109 IV 42
lit. f eine andere Auffassung vertritt, kann daran nicht festgehalten werden. Das Bundesgericht verwies in diesem Entscheid unter Berufung auf frühere Urteile auf die Teilrevision des StGB vom 5. Oktober 1950. Diese wurde (u.a.) nötig, weil das alte Recht als Entlastungsbeweis nur den Wahrheitsbeweis gekannt hatte. Seit der Revision kann der Beschuldigte sich der Strafe nun nicht mehr bloss durch den Wahrheitsbeweis entziehen, sondern auch durch den Gutglaubensbeweis (
BGE 78 IV 33
; vgl. Botschaft des Bundesrates in BBl 1949 I S. 1266-1270). Daraus schloss das Bundesgericht in mehreren Entscheiden (
BGE 82 IV 10
,
BGE 80 IV 111
,
BGE 78 IV 33
), die Wahrung berechtigter Interessen könne nun entgegen der älteren Rechtsprechung (z.B. BGE 71
BGE 116 IV 211 S. 215
IV 189) seit der Gesetzesrevision nicht mehr als übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund anerkannt werden, sondern falle nur noch als Voraussetzung für die Zulassung zum Entlastungsbeweis in Betracht. Diese Rechtsprechung muss heute nicht weiter geprüft werden, da sich nicht die Frage stellt, ob sich der Beschwerdeführer auf den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen berufen kann, sondern ob ihm die Berufung auf den im StGB verankerten Rechtfertigungsgrund der gesetzlichen Pflicht gemäss
Art. 32 StGB
offensteht. Dieselbe Unterscheidung der Rechtfertigungsgründe trifft VON WERRA (Bulletin des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Nr. 70 1980, S. 7), während sie in
BGE 109 IV 42
lit. f nicht auseinandergehalten werden. Warum der gesetzliche Rechtfertigungsgrund des
Art. 32 StGB
auf Ehrverletzungsdelikte grundsätzlich nicht anwendbar sein sollte, ist nicht einzusehen. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der obenerwähnten Botschaft des Bundesrates (a.a.O.). SCHULTZ weist demgegenüber zu Recht darauf hin,
Art. 173 Ziff. 2 StGB
wolle die Verteidigungsmöglichkeiten nicht beschränken, sondern, im Gegenteil, erweitern (ZBJV 109/1973, S. 409).
cc) Nach dem Gesagten steht zunächst fest, dass die Annahme, die Wahrnehmung prozessualer Pflichten vermöge Ehrverletzungen grundsätzlich in keinem Fall zu rechtfertigen, ohne dass das entsprechende Verfahrensrecht geprüft werden müsste, gegen
Art. 32 StGB
verstösst.
b) Im vorliegenden Fall geht es um Äusserungen in zwei Vermittlungsverfahren in Ehrverletzungssachen. Es stellt sich demnach die Frage nach der Ausgestaltung dieses Sühneverfahrens.
aa) Diese Frage lässt sich nicht losgelöst von der Funktion des Sühneverfahrens beantworten, welche darin besteht, gegebenenfalls durch Vermittlung des Friedensrichters resp. Sühnebeamten den eigentlichen Hauptprozess zu vermeiden. Der Friedensrichter kann dieser Aufgabe nur nachkommen, wenn sich die Prozessparteien in der Sühneverhandlung möglichst frei über den Streitgegenstand aussprechen können. Dazu gehört aber offensichtlich gegebenenfalls auch, dass sie Äusserungen machen dürfen, die objektiv ehrverletzend sind, und zwar unter Umständen auch in bezug auf Drittpersonen. Dies muss jedenfalls insoweit gelten, als die Äusserungen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Streitgegenstand und der Sühneverhandlung stehen, sie notwendig sind und nicht wider besseres Wissen erfolgen sowie Vermutungen als solche bezeichnet werden (s. oben E. 4a/bb).
BGE 116 IV 211 S. 216
Im übrigen soll der Friedensrichter eine Partei, die sich anlässlich der Sühneverhandlung ungebührlich äussert, in die Schranken weisen, und er soll die ihm zu Gebote stehenden Ordnungsmittel, wie z.B. die Ordnungsbusse, androhen und nötigenfalls davon Gebrauch machen. Da Sühneverhandlungen jedenfalls in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit und nur mit einem beschränkten Personenkreis, nämlich dem Friedensrichter und den Parteien, gegebenenfalls mit deren Vertretern, stattfinden, reichen die dem Friedensrichter offenstehenden Sanktionen in aller Regel aus, um die Ehre des Betroffenen zu schützen. Auch insoweit kann an
BGE 98 IV 88
E. 3 nicht festgehalten werden.
bb) Die einleitend genannte Funktion der Sühneverhandlung hat ihren Niederschlag im konkreten Gesetzesrecht gefunden. Art. 270 Abs. 1 des St. Gallischen Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 9. August 1954, der unter anderem das Verfahren in Ehrverletzungssachen betrifft, spricht ausdrücklich vom "Versöhnungsversuch" vor dem Vermittler (s. auch § 309 Abs. 2 der Zürcher Strafprozessordnung: "Der Friedensrichter trachtet danach, die Parteien auszusöhnen"; vgl. überdies FRANK, Gedanken zum zürcherischen Ehrverletzungsprozess, SJZ 59/1963 S. 66). Es liegt auf der Hand, dass eine Aussöhnung nur in einer freien Gesprächsatmosphäre möglich ist. Um die nötige Offenheit der Parteien zu erreichen, bestimmt das St. Gallische Recht für das Sühneverfahren in Ehrverletzungssachen,
- dass die Öffentlichkeit vor dem Vermittler ausgeschlossen ist (Art. 60 Gerichtsgesetz/SG);
- dass die einzelnen Wortmeldungen der Parteien im Vermittlungsvorstand nicht protokolliert werden (
Art. 272 StPO
/SG e contrario; vgl. auch SCHNYDER, Der Friedensrichter im Schweizerischen Zivilprozessrecht, Diss. Zürich 1985 S. 161);
- dass die bei den Verhandlungen vor Vermittleramt gemachten mündlichen Zugaben für das nachherige Prozessverfahren ausser Betracht fallen (
Art. 203 ZPO
/SG; vgl. hiezu GUBSER, Begründung und Ausbau des Vermittleramtes (Friedensrichteramtes) im Kanton St. Gallen, Diss. Zürich 1939 S. 133; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechtes, 2. A. S. 237; WIELAND, Der Bündnerische Ehrverletzungsprozess, Diss. Freiburg, i.Ü. 1968 S. 49; zur Anwendbarkeit der Bestimmungen der ZPO/SG über das Sühneverfahren auf jenes in Ehrverletzungsprozessen OBERHOLZER, Grundzüge des St. Gallischen Strafprozessrechts, S. 270 und 276/77), und
BGE 116 IV 211 S. 217
- dass der Vermittler über die beim Vermittlungsvorstand gemachten mündlichen Zugeständnisse nicht als Zeuge einvernommen werden darf, soweit die Parteien sich nicht damit einverstanden erklären (
Art. 279 Abs. 2 StPO
/SG; vgl. VOGEL, a.a.O. mit Hinweis auf die analoge Bestimmung in
Art. 238 Ziff. 6 ZPO
/SG).
Schliesslich ist im Kanton St. Gallen auch ausdrücklich vorgesehen, dass der Vermittler von seinen sitzungspolizeilichen Befugnissen Gebrauch machen kann (vgl. Art. 68 und 69 Gerichtsgesetz/SG), falls sich die Parteien im Sühneverfahren allzu "temperamentvoll" gebärden sollten (SCHNYDER, a.a.O. S. 161/2).
cc) Die Vorinstanz nahm ohne weiteres an, die Wahrnehmung prozessualer Rechte vermöge Ehrverletzungen grundsätzlich in keinem Fall zu rechtfertigen, ohne dass sie die Funktion und die gesetzliche Ausgestaltung des Vermittlungsverfahrens in Ehrverletzungsangelegenheiten geprüft hätte. Damit verkannte sie, dass ehrverletzende Äusserungen an einer Sühneverhandlung unter Umständen und innert der in E. 4a/bb abgesteckten Grenzen prinzipiell durch
Art. 32 StGB
in Verbindung mit den Regelungen des entsprechenden Verfahrensrechts gerechtfertigt sein können. Mit dieser Betrachtungsweise hat sie gegen
Art. 32 StGB
verstossen. Wie oben bereits festgestellt, hängt es von der konkreten Ausgestaltung des kantonalen Prozessrechts ab, wie weit die Straffreiheit im einzelnen geht. Die Vorinstanz wird diese Frage über die vorliegend im Sinne genereller Hinweise gemachten Erwägungen hinaus zu prüfen haben. Ihr Leitgedanke wird dabei sein müssen, dass das Sühneverfahren eine Aussöhnung der Parteien herbeiführen soll und dass die sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vermittlers für den Schutz der Ehre des Betroffenen in der Regel jedenfalls dann ausreichen, wenn sich die Partei bei ihren Äusserungen an die oben in E. 4a/bb erwähnten Grenzen hält. In diesem Punkt ist die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3b94e290-7df8-4ea1-b55b-675d16fd7a03 | Urteilskopf
141 II 199
14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen A. - Stiftung B. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_781/2014 vom 19. April 2015 | Regeste
Art. 3 lit. c und e, Art. 10 Abs. 1 und 2 lit. c,
Art. 18 Abs. 2,
Art. 28 Abs. 1 und
Art. 33 MWSTG
; Mehrwertsteuerpflicht einer Stiftung, die ein Kulturzentrum betreibt; Kriterium der nachhaltigen Erzielung von Einnahmen aus Leistungen.
Mehrwertsteuerpflichtig ist, wer ein Unternehmen betreibt. Alle im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit angefallenen Vorsteuern können grundsätzlich zum Abzug gebracht werden. Spenden führen nicht zu einer Vorsteuerkürzung (E. 4).
Von einer unternehmerischen Tätigkeit kann nicht gesprochen werden, wenn die Tätigkeit praktisch ausschliesslich durch Nicht-Entgelte finanziert wird bzw. allfällige Entgelte bloss einen symbolischen Charakter haben. Entgegen der 25/75-Prozent-Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung in casu Mehrwertsteuerpflicht einer Stiftung bejaht, die ein Kulturzentrum betreibt und in den streitbetroffenen Jahren Entgelte erzielte, die lediglich 4,4 % bzw. 9,9 % ihres Gesamtaufwandes ausmachten (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 200
BGE 141 II 199 S. 200
A.
Die A. - Stiftung B. (im Folgenden: Stiftung B.) mit Sitz in U./SZ bezweckt laut Handelsregistereintrag die Organisation von kulturellen Veranstaltungen für Menschen, die Auseinandersetzung mit Kunst suchen; die Förderung des Kultur- und Kunstverständnisses, insbesondere der Jugend, durch Ausstellungen, Vorführungen, Vernissagen, Publikationen usw.; die Förderung der zeitgenössischen Kunst sowie von Anliegen allgemeiner Natur im Bereich der aktuellen Kunst und Kultur durch Bereitstellen von finanziellen Mitteln und durch das Einräumen einer Plattform im Y.-Kulturzentrum. Die Stiftung B. ist seit dem 1. Januar 1999 als Steuerpflichtige im Mehrwertsteuerregister eingetragen. Sie erbringt teilweise Leistungen, mit denen Einnahmen erzielt werden (Vermietung von Räumen, Museumsbetrieb mit Cafeteria etc.). Zum grösseren Teil finanziert sie sich aber durch Spenden und Kapitalertrag. Vom Februar 2009 bis Herbst 2010 wurde das Gebäude Y.-Kulturzentrum mit Investitionen in der Höhe von rund 5,8 Mio. Fr. renoviert. In dieser Zeit erzielte die Stiftung kaum Umsätze, da der Museumsbetrieb ruhte.
B.
B.a
Mit Schreiben vom 16. Juli 2010 machte die Stiftung B. Vorsteuern für die Abrechnungsperiode 1. Quartal 2010 sowie eine Einlageentsteuerung in Zusammenhang mit einem Ergänzungsbau geltend. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) teilte daraufhin am 23. Juli 2010 schriftlich mit, dass die Vorsteuerabzüge inklusive der Einlageentsteuerung anlässlich einer Kontrolle ab dem 1. September 2011 vor Ort geprüft würden. Vom 5. bis 7. März sowie am 22. Juni 2012 fand bei der Stiftung B. eine Kontrolle durch die ESTV statt, welche unter anderem mit der Einschätzungsmitteilung/Verfügung Nr. 275'409 vom 20. Dezember 2012 abgeschlossen wurde. Die ESTV forderte darin von der Stiftung B. für die Jahre 2010 und 2011 den Betrag von Fr. 794'767.- nebst Verzugszins.
BGE 141 II 199 S. 201
B.b
Nachdem die Stiftung B. die Forderung unter Vorbehalt beglichen hatte, stellte sie mit Schreiben vom 31. Januar 2013 Antrag auf Erlass einer begründeten Verfügung. Eventualiter sei die eingereichte Rechtsschrift als Einsprache gegen die Einschätzungsmitteilung vom 20. Dezember 2012 entgegenzunehmen und die Steuerfestsetzung von Fr. 794'767.- auf Fr. 9'923.35 zu reduzieren. Die Stiftung B. brachte vor, dass sie eine unternehmerische Tätigkeit ausübe, womit die deklarierten Vorsteuern zum Abzug zuzulassen seien.
B.c
Mit Einspracheentscheid vom 9. Juli 2013 wies die ESTV die Einsprache ab und stellte fest, die Stiftung B. sei für die Steuerperioden 2010 und 2011 nicht mehrwertsteuerpflichtig, da sie keine unternehmerische Tätigkeit ausübe; sie könne deshalb keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Sie schulde der ESTV für die Steuerperioden 2010 und 2011 den Betrag von Fr. 794'767.-, der mit der erfolgten Zahlung verrechnet werde.
C.
Die Stiftung B. erhob dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht mit dem Antrag, die Steuer sei auf Fr. 9'323.35 zu reduzieren. Das Bundesverwaltungsgericht hiess mit Urteil vom 15. Juli 2014 die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut und wies die Sache zur Fällung eines neuen Entscheids an die ESTV zurück.
D.
Mit Eingabe vom 9. September 2014 erhebt die ESTV Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 9. Juli 2013 zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Nach
Art. 10 Abs. 1 MWSTG
(SR 641.20) ist steuerpflichtig, wer unabhängig von Rechtsform, Zweck und Gewinnabsicht ein Unternehmen betreibt und nicht nach Absatz 2 von der Steuerpflicht befreit ist. Ein Unternehmen betreibt, wer: a. eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt; und b. unter eigenem Namen nach aussen auftritt. Wer kein Unternehmen betreibt, ist nicht steuerpflichtig und kann im Grundsatz auch keine Vorsteuer abziehen (
Art. 28 Abs. 1 MWSTG
e contrario; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz, 3. Aufl. 2012, S. 617 Rz. 1673). Das stimmt überein mit dem
BGE 141 II 199 S. 202
Zweck des Gesetzes, den nicht unternehmerischen Endverbrauch im Inland zu besteuern (
Art. 1 Abs. 1 MWSTG
): Wer kein Unternehmen betreibt, ist Endverbraucher und trägt nach der Grundkonzeption des Gesetzes die Steuer. Aus Praktikabilitätsgründen erfolgt der Bezug der Mehrwertsteuer indes nicht bei den Leistungsbezügern, den eigentlichen Destinatären der Mehrwertsteuer, sondern bei den Leistungserbringern (
BGE 140 II 495
E. 2.2.1 S. 497;
BGE 123 II 295
E. 7a S. 307). Im Übrigen ist aber vor dem Hintergrund der Allgemeinheit der Mehrwertbesteuerung und dem Postulat der Wettbewerbsneutralität eine weite Auslegung des Tatbestandes der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht am Platz (
BGE 138 II 251
E. 2.3.4 S. 256).
4.2
Art. 10 Abs. 1 MWSTG
stimmt inhaltlich weitgehend mit Art. 21 Abs. 1 aMWSTG (AS 2000 1300) überein. Dort fehlte zwar die ausdrückliche Erwähnung der Nachhaltigkeit, die aber schon altrechtlich als der gewerblichen/beruflichen Ausübung immanent vorausgesetzt war (
BGE 138 II 251
E. 2.4.3 S. 258; Urteil 2C_814/2013 vom 3. März 2014 E. 2.3.3, in: ASA 82 S. 658). Die Umschreibung der unternehmerischen Tätigkeit hat aber im neuen Recht infolge der Neuregelung des Vorsteuerabzugs eine neue und erweiterte Bedeutung erlangt (BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuergesetz, 2010, S. 66 ff.; DIEGO CLAVADETSCHER, Die Stellung des Unternehmens im neuen Mehrwertsteuerrecht, Der Schweizer Treuhänder [nachfolgend: ST] 2010 S. 241; NIKLAUS HONAUER, Die subjektive Steuerpflicht, ST 2010 S. 253): Das alte Recht machte den Vorsteuerabzug von einem steuerbaren Umsatz abhängig (Art. 38 Abs. 1 und 2 aMWSTG;
BGE 132 II 353
E. 4.3 und 8.2 S. 358 f.; Urteile 2A.650/2005 vom 15. August 2006 E. 3.3 und 3.4, in: StR 62/2007 S. 230; 2C_45/2008 vom 16. Dezember 2008 E. 3.3, in: StR 64/2009 S. 602; IVO P. BAUMGARTNER, in: mwst.com, Clavadetscher/Glauser/Schafroth [Red.], 2000, S. 694 ff.). Spenden, die nicht einzelnen Umsätzen zugeordnet werden konnten, führten zu einer Vorsteuerkürzung (Art. 38 Abs. 8 aMWSTG). Demgegenüber können nach neuem Recht alle im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit angefallenen Vorsteuern grundsätzlich zum Abzug gebracht werden (
Art. 28 Abs. 1 MWSTG
; Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer, BBl 2008 6974 f. zu Art. 28). Der Abzug ist nicht vom Erzielen steuerbarer Umsätze abhängig (BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, a.a.O., S. 73 f., 207 f.; BOPP/KÖNIG, Ausgewählte Fragestellungen
BGE 141 II 199 S. 203
bezüglich Unternehmen und Gemeinwesen im neuen MWSTG, ASA 78 S. 791; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 609 Rz. 1647, S. 617 Rz. 1673; CLAVADETSCHER, a.a.O., S. 241). Mittelflüsse, die nicht Entgelte sind, führen grundsätzlich nicht zu einer Vorsteuerkürzung (
Art. 33 Abs. 1 MWSTG
; BBl 2008 6978 f. zu Art. 34 E-MWSTG; IVO P. BAUMGARTNER, Der Vorsteuerabzug im neuen Mehrwertsteuerrecht, ST 2010 S. 259; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 295 Rz. 745, S. 639 Rz. 1734; CLAVADETSCHER, a.a.O., S. 241; REGINE SCHLUCKEBIER, in: MWSTG Kommentar, Geiger/Schluckebier [Hrsg.], 2012, N. 55 zu
Art. 10 MWSTG
). Vorausgesetzt ist nur, aber immerhin, dass der Vorsteuerabzug im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit erfolgt (
Art. 28 Abs. 1 MWSTG
; BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, a.a.O., S. 209, 214 f. Rz. 52; BEATRICE BLUM, in: MWSTG Kommentar, Geiger/Schluckebier [Hrsg.], 2012, N. 3 zu Art. 28 und N. 7 zu
Art. 33 MWSTG
; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 625 Rz. 1693; CLAVADETSCHER, a.a.O., S. 242; SCHLUCKEBIER, a.a.O., N. 60 zu
Art. 10 MWSTG
). Ist dies zu bejahen, ist der Vorsteuerabzug ausser bei steuerausgenommenen und nicht optierten Leistungen (
Art. 29 Abs. 1 MWSTG
; BAUMGARTNER, a.a.O., S. 260; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 366 f., 607 f.) weitgehend ungekürzt möglich; vorbehalten sind Kürzungen aufgrund von Subventionen und anderen Beiträgen im Sinne von Art. 33 Abs. 2 i.V.m.
Art. 18 Abs. 2 lit. a-c MWSTG
. Insbesondere führen - anders als noch im alten Recht - Spenden nicht mehr zu einer Vorsteuerkürzung (CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 303, 664), was ein bewusster gesetzgeberischer Entscheid war (vgl. BBl 2008 6979 zu Art. 34 E-MWSTG; AB 2009 N 474; AB 2009 S. 429). Damit will das Gesetz die taxe occulte bei spendenfinanzierten Unternehmen eliminieren (PIETROPAOLO/GIESBRECHT, Sind Non-Profit-Organisationen unternehmerisch tätig?, ST 2013 S. 235).
5.
Streitig ist hier, ob die Beschwerdegegnerin ein Unternehmen betreibt.
5.1
Unbestritten tritt die Beschwerdegegnerin unter eigenem Namen nach aussen auf und übt sie eine Tätigkeit aus, die grundsätzlich beruflich/gewerblich sein kann. Auch die Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeit ist nicht in Frage gestellt. Streitig ist einzig, ob die Tätigkeit auf die Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtet ist.
BGE 141 II 199 S. 204
5.2
Einnahmen aus Leistungen (
Art. 10 Abs. 1 lit. a MWSTG
) liegen vor, wenn Leistungen im Sinne des Mehrwertsteuerrechts (
Art. 3 lit. c MWSTG
) erbracht werden und dafür ein Entgelt im Sinne des Mehrwertsteuerrechts (
Art. 3 lit. f MWSTG
) erzielt wird, wobei ein derartiger Leistungsaustausch voraussetzt, dass zwischen der (Haupt-)Leistung und der Gegenleistung (Entgelt) ein Konnex im Sinne einer inneren wirtschaftlichen Verknüpfung besteht (
BGE 140 I 153
E. 2.5.1 S. 160;
BGE 140 II 80
E. 2.1 S. 82;
BGE 138 II 239
E. 3.2 S. 241; Urteil 2C_196/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 2.3, in: StR 68/2013 S. 292). Nur wer Leistungen erbringt, die (objektiv) steuerbar sind, kann (subjektiv) steuerpflichtig werden (
BGE 140 II 80
E. 2.2 S. 83;
BGE 138 II 251
E. 2.2 S. 254; Urteil 2C_814/2013 vom 3. März 2014 E. 2.3.1, 2.4.3, in: ASA 82 S. 658). Das Erzielen von Entgelten bzw. ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Vergütung gehört begriffsnotwendig zur gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit und ist Voraussetzung für eine unternehmerische Tätigkeit (RALF IMSTEPF, Der mehrwertsteuerrechtliche Unternehmensbegriff im EU-Recht, Jusletter 30. April 2012 Rz. 20; SCHAFROTH/ROMANG, in: mwst.com, Clavadetscher/Glauser/Schafroth [Red.], 2000, N. 26 zu
Art. 21 MWSTG
). Tätigkeiten, die ausschliesslich auf die Erzielung von Nicht-Entgelten ausgerichtet sind oder ausschliesslich aus Nicht-Entgelten finanziert werden, gelten nicht als unternehmerisch und führen systemkonform (vgl. E. 4.1 hiervor) nicht zur Steuerpflicht (BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, a.a.O., S. 75 Rz. 23; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 208 Rz. 468; HONAUER, a.a.O., S. 253 f.; PIETROPAOLO/GIESBRECHT, a.a.O., S. 236).
5.3
Allerdings ist nach ausdrücklichem Gesetzeswortlaut die Gewinnabsicht keine Voraussetzung für ein Unternehmen (
Art. 10 Abs. 1 MWSTG
). Auch nicht gewinnstrebige, ehrenamtlich geführte oder gemeinnützige Institutionen können mehrwertsteuerpflichtig sein (
Art. 10 Abs. 2 lit. c MWSTG
). Auch für sie ist zwar nach dem klaren Gesetzeswortlaut vorausgesetzt, dass sie eine auf die Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete Tätigkeit ausüben, doch braucht das erzielte Entgelt nicht kostendeckend zu sein (CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 207 f.; IMSTEPF, a.a.O., Rz. 21; SCHAFROTH/ROMANG, a.a.O., N. 27 zu
Art 21 MWSTG
; SCHLUCKEBIER, a.a.O., N. 45 zu
Art. 10 MWSTG
). Eine unternehmerische Tätigkeit kann nicht schon deswegen verneint werden, weil die Finanzierung teilweise aus anderen Quellen als aus
BGE 141 II 199 S. 205
Entgelten erfolgt (BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, a.a.O., S. 75 Rz. 23, S. 85 Rz. 51, S. 212 Rz. 49). Sodann führen nach dem neuen MWSTG Nicht-Entgelte, namentlich Spenden, nicht mehr zu einer Vorsteuerkürzung (vgl. E. 4.2 hiervor).
5.4
Davon geht auch die Beschwerdeführerin aus; sie verneint die Steuerpflicht aber dann, wenn mit der fraglichen Tätigkeit nur in untergeordneter Weise Entgelte erzielt werden. Sie hat in ihrer MWST-Praxis-Info 04 (im Folgenden: MPI 04) als Praxisfestlegung definiert, dass eine unternehmerische Tätigkeit zu verneinen ist, wenn absehbar ist, dass die Aufwendungen dauerhaft zu mehr als 75 % durch Nicht-Entgelte gedeckt werden, ohne dass hierfür ein konkreter unternehmerischer Grund vorliegt. Kapital- und Zinserträge gelten nicht als Entgelte. Diese Praxisfestlegung gilt seit dem Inkrafttreten des neuen MWSTG am 1. Januar 2010. Übergangsrechtlich lässt die ESTV allerdings in Fällen, in denen bei erfolgtem Steuerausweis weder eine Rechnungskorrektur noch der Nachweis des nichtvorhandenen Steuerausfalls möglich bzw. zumutbar ist (
Art. 27 Abs. 2 MWSTG
), den Abzug der im nicht-unternehmerischen Tätigkeitsbereich angefallenen Vorsteuern bis maximal in der Höhe der ausgewiesenen Steuern zu (MPI 04 Ziff. 7.4).
5.5
Diese 25/75-Prozent-Regel ist hier streitig (vgl. nicht publ. E. 3.4). Sie ist im Gesetz nicht ausdrücklich enthalten und wird in der Literatur teilweise kritisiert (CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 616 Rz. 1671; IMSTEPF, a.a.O., Rz. 24; PIETROPAOLO/GIESBRECHT, a.a.O., S. 237 ff.). Die Steuerverwaltung kann allerdings zwecks einheitlicher und rechtsgleicher Gesetzesanwendung Verwaltungsverordnungen (Kreisschreiben, Weisungen, Direktiven usw.) erlassen, von denen das Gericht nicht ohne triftigen Grund abweicht, solange sie eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen (
BGE 133 V 346
E. 5.4.2 S. 352; Urteil 2C_258/2010 vom 23. Mai 2011 E. 4.2). Zu prüfen ist somit im Folgenden, ob die 25/75-Prozent-Regel dem gesetzlichen Begriff des Unternehmens entspricht.
5.6
Im Grundsatz ist der ESTV zuzustimmen, dass von einer unternehmerischen Tätigkeit nicht gesprochen werden kann, wenn die Tätigkeit praktisch ausschliesslich durch Nicht-Entgelte finanziert wird bzw. allfällige Entgelte bloss einen symbolischen oder Bagatell-Charakter haben. Insbesondere könnte es eine Steuerumgehung darstellen (vgl.
BGE 138 II 239
E. 4 S. 243 ff.), wenn einzig zwecks
BGE 141 II 199 S. 206
Erzielung von Vorsteuerüberschüssen eine ansonsten nicht unternehmerische Tätigkeit gegen rein symbolisches Entgelt erbracht wird.
5.7
Umgekehrt ist aber die gesetzgeberische Wertung zu beachten, wonach auch gemeinnützige Institutionen mehrwertsteuerpflichtig sein können (vgl. E. 5.3 hiervor). Der mehrwertsteuerrechtliche Begriff der unternehmerischen Tätigkeit ist insoweit nicht deckungsgleich mit dem einkommens- oder gewinnsteuerrechtlichen, so dass auch der dort verwendete Begriff der Liebhaberei (
BGE 125 II 113
E. 5b S. 121 f.; Urteil 2C_186/2014 vom 4. September 2014 E. 2, in: ASA 83 S. 231) nur eingeschränkt Anwendung finden kann (
BGE 138 II 263
E. 4.3.3 S. 263; BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, a.a.O., S. 77 f. Rz. 27 f.; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, a.a.O., S. 207 Rz. 465). Sodann ist die gesetzliche Wertung zu respektieren, dass Spenden nicht mehr zu einer Vorsteuerkürzung führen. Das Gesetz geht somit davon aus, dass auch eine unternehmerische Tätigkeit spendenfinanziert sein kann. Dass daraus - wie im vorliegenden Fall - ein Vorsteuerüberschuss resultieren kann, liegt auf der Hand, muss aber als vom Gesetzgeber in Kauf genommen betrachtet werden; entgegen der Auffassung der ESTV kann nicht von einer gesetzlich nicht vorgesehenen Subventionierung gesprochen werden. Es kann auch nicht dazu führen, dass eine ansonsten gegebene unternehmerische Tätigkeit verneint wird.
5.8
Vorliegend erzielte die Beschwerdegegnerin in den hier streitbetroffenen Jahren Entgelte, die 4,4 % bzw. 9,9 % des Gesamtaufwands (inkl. Finanzaufwand) ausmachten. Diese Entgelte sind zwar deutlich untergeordnet, können aber nicht als bloss symbolisch betrachtet werden, insbesondere angesichts ihrer absolut beträchtlichen Höhe, welche auch deutlich über der Schwelle der obligatorischen Steuerpflicht für gemeinnützige Institutionen (Fr. 150'000.- aus steuerbaren Leistungen;
Art. 10 Abs. 2 lit. c MWSTG
) liegt.
5.9
Zu beachten ist weiter, dass die Beschwerdegegnerin unbestrittenermassen seit Jahren von der Beschwerdeführerin als mehrwertsteuerpflichtig behandelt wurde. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass die Beschwerdegegnerin in den hier streitigen Jahren die Art ihrer Tätigkeit gegenüber den Vorjahren geändert hätte. Da die Definition des Unternehmens im neuen Recht inhaltlich mit der altrechtlichen Umschreibung übereinstimmt (vgl. E. 4.2 hiervor), besteht somit kein Anlass, die Beschwerdegegnerin jetzt im Hinblick auf ihre Mehrwertsteuerpflicht anders zu behandeln als vor dem
BGE 141 II 199 S. 207
Jahr 2010. Würde der blosse Umstand, dass nach neuem Recht die Spenden nicht mehr zu einer Vorsteuerkürzung führen, zum Anlass genommen, um die Qualifikation als Unternehmen anders vorzunehmen als bisher, würde damit die gesetzgeberische Intention geradezu konterkariert. Ebenso wenig kann der Umstand, dass vorliegend infolge der vorgenommenen Investitionen erhebliche Vorsteuerüberschüsse resultieren, Anlass zu einer Umqualifikation sein (vgl. E. 5.7 hiervor), zumal keine Anhaltspunkte für eine Steuerumgehung (vgl. E. 5.6 hiervor) geltend gemacht werden oder ersichtlich sind.
5.10
In dieselbe Richtung zielt nun schliesslich auch die Botschaft vom 25. Februar 2015 zur Teilrevision des Mehrwertsteuergesetzes (BBl 2015 2615). Darin schlägt der Bundesrat einen neuen Art. 10 Abs. 1
bis
lit. a E-MWSTG vor, wonach - insbesondere gemeinnützige - Unternehmen künftig nicht mehr mindestens 25 % ihres Aufwandes mit Entgelten decken müssen, damit sie als unternehmerisch tätig gelten und steuerpflichtig werden können. Mit dieser Regelung würde sich die bisherige 25/75-Prozent-Praxis erübrigen (BBl 2015 2631).
5.11
Insgesamt hat die Vorinstanz das Vorliegen eines Unternehmens und damit die Steuerpflicht der Beschwerdegegnerin mit Recht bejaht. | public_law | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b94e5b5-38ee-41f4-9c98-27f911e11d49 | Urteilskopf
136 II 61
6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_225/2009 vom 4. November 2009 | Regeste
Art. 83 lit. t BGG,
Art. 14 Abs. 3 SVG
,
Art. 29 Abs. 1 und 2 VZV
; Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Ausnahmekatalog; Kontrollfahrt.
Die Kontrollfahrt ist eine Fähigkeitsprüfung, deren Ergebnis nach Art. 83 lit. t BGG nicht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten anfechtbar ist (E. 1.1). | Sachverhalt
ab Seite 62
BGE 136 II 61 S. 62
A.
Gestützt auf das ärztliche Zeugnis von Dr. B. vom 30. Januar 2008 ordnete das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern am 25. Februar 2008 an, dass A., Jahrgang 1928, innert 60 Tagen eine Kontrollfahrt zu absolvieren habe. A. absolvierte die Kontrollfahrt am 6. Mai 2008. Dabei stellte der Prüfungsexperte verschiedene Fahrfehler sowie Mängel bei der Beherrschung des Fahrzeugs und der Bewältigung von Verkehrssituationen fest. Er beurteilte die Prüfungsfahrt als nicht bestanden und zog den Führerausweis von A. ein. Am 4. Juni 2008 verfügte das Strassenverkehrsamt den Sicherungsentzug des Führerausweises von A. (Dispositiv-Ziffer 1). Die Wiedererteilung des Führerausweises machte es von einer Eignungsuntersuchung durch das Institut für psychologische Forschung und Beratung, C., sowie dem Bestehen einer neuen praktischen Führerprüfung abhängig (Dispositiv-Ziffer 2). A. erhob dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern und beantragte, die Verfügung vom 4. Juni 2008 aufzuheben, ein aktuelles verkehrsmedizinisches und ein verkehrspsychologisches Gutachten einzuholen und die Kontrollfahrt zu wiederholen. Eventuell sei ihm der Führerausweis bedingt oder unter Auflagen wieder zu erteilen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde am 13. Januar 2009 ab.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A., dieses Urteil des Verwaltungsgerichts sowie Dispositiv-Ziff. 1 der Verfügung des Strassenverkehrsamtes vom 4. Juni 2008 aufzuheben und den Führerausweisentzug rückgängig zu machen. Eventuell sei das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie Dispositiv-Ziff. 2 der Verfügung des Strassenverkehrsamtes vom 4. Juni 2008 aufzuheben, und es sei auf die Auflage zu verzichten, sich für die Wiedererlangung des Führerausweises einer Eignungsuntersuchung zu unterziehen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Strassenverkehrsamt hat dem Beschwerdeführer den Führerausweis entzogen, weil er die Kontrollfahrt nicht bestand. Das Verwaltungsgericht hat diesen Sicherungsentzug im angefochtenen Entscheid geschützt.
1.1
Besteht ein Fahrzeugführer die aufgrund von Bedenken an seiner Fahreignung angeordnete Kontrollfahrt nicht, ist der Führerausweis
BGE 136 II 61 S. 63
ohne Weiteres einzuziehen (
Art. 14 Abs. 3 SVG
, Art. 29 Abs. 1 und 2 lit. a der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr [Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.51]). Wer sich gegen den Entzug des Führerausweises wegen einer misslungenen Kontrollfahrt zur Wehr setzen will, muss dementsprechend deren Ergebnis anfechten.
1.1.1
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist nach Art. 83 lit. t BGG unzulässig gegen Entscheide über das Ergebnis von Prüfungen und anderen Fähigkeitsbewertungen, namentlich auf den Gebieten der Schule, der Weiterbildung und der Berufsausübung. Diese Bestimmung entspricht der für die altrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltenden Ausnahmeklausel von
Art. 99 Abs. 1 lit. f OG
, die materiell unverändert ins neue Recht überführt wurde (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4321 zu Art. 78; ALAIN WURZBURGER, Commentaire de la LTF, 2009, N. 159 zu
Art. 83 BGG
; THOMAS HÄBERLI, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 294, 298 zu
Art. 83 BGG
). Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung dem Umstand Rechnung getragen, dass sich bei der Beurteilung von persönlichen - geistigen und körperlichen - Fähigkeiten einer Person letztlich kaum justiziable Fragen stellen, welche das Bundesgericht nicht frei überprüfen kann und soll. Soweit sich ein Gericht mit solchen auf Fachwissen beruhenden und stark ermessensgeprägten Bewertungen zu befassen hat, kann es regelmässig sinnvollerweise nur untersuchen, ob die für den Entscheid zuständigen und fachlich kompetenten Behörden unter Wahrung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Verfahrensgarantien alle wesentlichen Gesichtspunkte vollständig und gewissenhaft geprüft haben (vgl.
BGE 132 II 257
E. 3 S. 262 ff.) bzw. ob sich die Bewertung allenfalls als offensichtlich bzw. krass falsch, d.h. willkürlich, erweist (
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 betreffend Prüfungsarbeiten; Urteile 2C_560/2007 vom 23. Oktober 2007 E. 2.1; 2C_187/2007 vom 16. August 2007 E. 2.1 und 2C_176/2007 vom 3. Mai 2007 E. 2).
1.1.2
Wie vom Bundesgericht bereits in seiner Rechtsprechung zur altrechtlichen Verwaltungsgerichtsbeschwerde bzw. zu
Art. 99 Abs. 1 lit. f OG
entschieden (Urteil 6A.121/2001 vom 14. März 2001), handelt es sich bei der Kontrollfahrt um eine Fähigkeitsprüfung, gegen welche die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zur Verfügung stand. Es besteht kein Grund, diese Frage im Hinblick auf den Ausschluss der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
BGE 136 II 61 S. 64
nach Art. 83 lit. t BGG anders zu beurteilen. Zwar stand altrechtlich die verwaltungsinterne Beschwerde ans Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation offen, welches endgültig entschied (
Art. 24 Abs. 2 und 4 SVG
in der bis Ende 2006 geltenden Fassung, Ziff. 73 des Anhangs zum Verwaltungsgerichtsgesetz [VGG; SR 173.32]). Das Ergebnis einer Kontrollfahrt war somit im Bund der Überprüfung durch eine Fachbehörde zugänglich. Diese Möglichkeit besteht nicht mehr. Hingegen steht nach
Art. 113 BGG
die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht offen, wenn die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach
Art. 83 BGG
unzulässig ist (dazu nicht publ. E. 1.3). Auch unter der Herrschaft des Bundesgerichtsgesetzes ist somit ein beschränkter, der Sache indessen angemessener Rechtsschutz gegen das Ergebnis einer Kontrollfahrt gewährleistet. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b950f54-fbea-4956-835f-634761b997e0 | Urteilskopf
113 V 1
1. Extrait de l'arrêt du 13 mars 1987 dans la cause Caisse cantonale valaisanne de compensation contre Société B. S.A. et Tribunal cantonal valaisan des assurances | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 85 Abs. 2 lit. c und d AHVG
.
- Der Anspruch auf rechtliches Gehör der von einer Verfügung über paritätische Beiträge betroffenen Arbeitnehmer und demnach derjenige auf Zustellung einer solchen Verfügung ist, unter Vorbehalt von Ausnahmen aus praktischen Gründen, zu beachten, sowohl wenn die Qualifikation der Erwerbstätigkeit zu beurteilen als auch wenn die Natur einzelner Zahlungen streitig ist; im allgemeinen ist dieses Verfahren jedesmal anzuwenden, wenn es um die nachträgliche Erfassung als massgebenden Lohn geht (Präzisierung der Rechtsprechung; Erw. 3).
- Muss dem Arbeitnehmer selber die Anfechtung einer Verfügung über paritätische Beiträge ermöglicht werden, obliegt es vorab der Ausgleichskasse, ihm diese zu eröffnen. Stellt die Rekursbehörde eine diesbezügliche Unterlassung fest, so ist sie befugt, aber nicht notwendigerweise verpflichtet, den Mangel dadurch zu beheben, dass sie den betroffenen Arbeitnehmer zur Teilnahme am Beschwerdeverfahren einlädt (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 113 V 1 S. 2
A.-
La Caisse cantonale valaisanne de compensation a procédé à un contrôle d'employeur auprès de la Société B. S.A., lequel a fait apparaître le versement de sommes non déclarées d'un total de Fr. 16'180.--. Par décision du 26 novembre 1985, notifiée à ladite société uniquement, elle lui a dès lors réclamé un montant de cotisations paritaires AVS/AI/APG et AC de Fr. 1'722.35, dû pour les années 1980 à 1984 et calculé en tant que reprise, en fonction des salaires déclarés initialement.
B.-
La Société B. S.A. a recouru contre cet acte administratif, dont elle demandait l'annulation en raison des difficultés financières de l'entreprise.
Par jugement du 14 février 1986, le Tribunal des assurances du canton du Valais a admis le recours dont il était saisi. Sans discuter le fond du litige, les juges de première instance ont considéré que, s'agissant de cotisations paritaires, la caisse intimée aurait dû notifier la décision litigieuse aux salariés intéressés également, afin de respecter leur droit constitutionnel d'être entendus et de leur donner la possibilité d'intervenir dans la procédure. Comme elle ne l'avait pas fait, le tribunal a renvoyé le dossier de la cause à l'administration pour que celle-ci rende de nouvelles décisions.
C.-
La Caisse cantonale valaisanne de compensation interjette recours de droit administratif contre ce jugement en concluant à son annulation. Elle fait valoir que, lorsqu'il s'agit essentiellement de la perception de cotisations paritaires, des considérations pratiques s'opposent à une notification systématique des décisions aux assurés eux-mêmes. En particulier, elle allègue que cette notification, pratiquée avec discernement, doit être effectuée notamment lorsqu'il faut déterminer s'il s'agit d'une activité
BGE 113 V 1 S. 3
dépendante ou indépendante, lorsqu'il y a contestation du principe même du salaire ou de la quotité de celui-ci, ainsi que lorsque, dans le cadre d'un recours, la rétribution des salariés est contestée, dans la mesure où l'adresse de ces derniers peut être obtenue sans trop de difficultés. La recourante en déduit que, s'agissant en l'espèce de la perception de cotisations, soit de dettes des salariés pour partie, dont l'obligation légale de les éteindre incombe à l'employeur, une notification de nouvelles décisions ne se justifie pas.
Invitée à se déterminer, la société intimée n'a pas fait usage de la possibilité de répondre au recours. L'Office fédéral des assurances sociales se rallie à l'opinion de la caisse cantonale, en proposant l'admission du recours de droit administratif. Il estime que, pour des raisons de surcharge administrative, des décisions de cotisations paritaires ne devraient être notifiées à la fois à l'employeur et aux salariés que dans des cas particuliers, notamment lorsque le statut même de salarié est contesté. En outre, il considère que les premiers juges ont violé le droit fédéral (
art. 85 al. 2 let
. c et d LAVS) dans la mesure où celui-ci les obligeait à remédier eux-mêmes à un éventuel défaut de notification.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Selon la jurisprudence, les décisions des caisses de compensation relatives à des cotisations paritaires doivent en principe être notifiées non seulement à l'employeur, mais également aux salariés concernés. Des exceptions doivent toutefois être admises à ce principe, quoique de façon restrictive. Au nombre de ces exceptions, le Tribunal fédéral des assurances a envisagé le cas où le nombre des salariés est élevé, celui dans lequel le domicile des salariés se trouve à l'étranger ou n'est pas connu, ainsi que celui où il s'agit de montants de cotisations de minime importance (ATFA 1965 p. 239 consid. 1 et 3; RCC 1979 p. 116 consid. 1b, 1978 p. 62 consid. 3a). La Cour de céans a en outre établi que, lorsque l'administration a omis de notifier la décision aux travailleurs intéressés, le juge de première instance doit, lors de la procédure de recours, inviter ces derniers à intervenir, sous réserve des exceptions mentionnées ci-dessus (arrêt M. du 2 mai 1986, consid. 1, non publié à la RCC 1986 p. 539, arrêt non publié M. S.A. du 13 novembre 1981).
BGE 113 V 1 S. 4
La présente affaire pose ainsi deux questions distinctes. Il s'agit tout d'abord de décider dans quelle mesure la jurisprudence citée, invoquée de part et d'autre, impose que dans les cas où l'administration rend une décision de cotisations paritaires, celle-ci soit, en principe, également notifiée à tous les salariés concernés. Ensuite, il faut établir si le juge qui, saisi d'un recours de l'employeur contre une décision de cotisations paritaires, constate que la caisse de compensation a omis la notification aux salariés concernés et, de ce fait, violé leur droit constitutionnel d'être entendus (
art. 4 al. 1 Cst.
), a le choix entre renvoyer le dossier à l'administration pour qu'elle répare l'informalité, ou remédier lui-même à ce défaut.
3.
a) Dans les arrêts cités ci-dessus, il s'agissait notamment de décider si des cotisations paritaires devaient être perçues ou non, eu égard au fait que le statut des travailleurs en cause (salarié ou indépendant) était litigieux. Dans un cas de ce genre, a-t-il été relevé, la question ne concerne pas seulement la caisse de compensation et l'employeur, mais également le travailleur. Il ne lui est en effet nullement indifférent de devoir ensuite rembourser à l'employeur sa part de cotisations, cela d'autant moins s'il a cotisé sur ce revenu comme indépendant. Dès lors, à moins que des raisons pratiques n'autorisent exceptionnellement à renoncer à cette procédure, une décision doit en principe lui être notifiée.
Bien que le Tribunal fédéral des assurances n'entende pas circonscrire les exceptions d'avance et de manière définitive, cette jurisprudence mérite d'être précisée. Ainsi, par identité de motifs, il doit en être de même lorsque c'est la nature de certains versements qui est litigieuse, par exemple lorsqu'il s'agit de décider si des prestations de l'employeur doivent être qualifiées de remboursement de frais ne faisant pas partie du salaire déterminant. Car, dans une situation de ce genre également, les assurés doivent être mis en mesure de faire valoir leur propre point de vue. Par ailleurs, l'on doit admettre que, d'une manière générale, la pratique qui consiste à notifier la décision à l'ensemble des travailleurs intéressés se justifie d'autant plus lorsque l'on est en présence d'une reprise de salaires déterminants ou, du moins, de rémunérations qualifiées de salaires déterminants par la caisse de compensation, faisant suite à des contrôles d'employeur effectués par le service de révision de la caisse. Il apparaît en effet que, par définition, des reprises de salaires sont susceptibles de donner lieu à des litiges, contrairement aux décisions de cotisations
BGE 113 V 1 S. 5
fixées sur la base des décomptes ordinaires fournis par l'employeur. Au demeurant, de telles reprises peuvent se justifier par diverses circonstances, du reste non exhaustives, telles que la nature de l'activité lucrative exercée par les assurés (indépendante ou salariée), la qualification même des sommes versées par l'employeur aux salariés (salaires déterminants ou remboursements de frais), voire la découverte de sommes qui n'ont pas du tout été déclarées, soit par oubli ou erreur, soit par dissimulation intentionnelle de la part de l'employeur.
b) En l'espèce, la caisse recourante a, dans le cadre d'une reprise fondée sur un contrôle d'employeur effectué par son service de révision, qualifié de salaires déterminants des sommes versées par la Société B. S.A. aux membres de son conseil d'administration, alors que ladite société a fait valoir qu'il s'agissait d'un remboursement de frais de gestion. Par conséquent, au vu des principes établis ci-dessus, la caisse cantonale de compensation était tenue, à défaut d'une exception valable fondée sur des raisons pratiques, de notifier ses décisions aux personnes employées par l'intimée dans la mesure où elles étaient touchées personnellement par ces décisions.
4.
a) Toujours dans les arrêts susmentionnés, la Cour de céans a déclaré que, dans la procédure de recours, le juge cantonal doit (sous réserve d'éventuelles exceptions qui peuvent se justifier pour des raisons pratiques) inviter les employés, à qui la décision administrative n'a pas été notifiée, à intervenir dans la procédure. Cette jurisprudence signifie notamment que l'autorité judiciaire de première instance, saisie d'un recours dirigé contre une décision relative à des cotisations paritaires, laquelle aurait dû être notifiée à tous les salariés intéressés, ne peut juger l'affaire au fond aussi longtemps que cette violation du droit d'être entendu subsiste. En revanche, contrairement à l'opinion de la recourante et de l'Office fédéral des assurances sociales, elle n'exprime pas une obligation faite aux premiers juges, laquelle consisterait à leur imposer de recueillir eux-mêmes l'avis des assurés intéressés, mais indique uniquement la manière dont il peut être remédié à cette violation. En substance, cela signifie que, lorsqu'il apparaît que le salarié doit être mis en mesure de recourir lui-même contre la décision, c'est d'abord à la caisse de compensation qu'il incombe de lui notifier cette dernière (
art. 128 al. 1 RAVS
); en revanche, l'autorité de recours qui s'aperçoit de l'omission peut, mais ne doit pas nécessairement, y remédier elle-même, en invitant le ou les salariés
BGE 113 V 1 S. 6
intéressés à intervenir dans la procédure de recours déclenchée par l'employeur. Certes, il est permis au juge saisi de l'affaire d'opter pour un appel en cause direct des intéressés, notamment lorsque des motifs d'économie de procédure le justifient. Toutefois, rien ne s'oppose à ce qu'il prononce, pour des raisons propres au cas d'espèce, le renvoi préalable de la cause à l'administration, afin que celle-ci respecte le droit des salariés de recevoir personnellement notification de la décision litigieuse (
ATF 110 V 152
consid. 2 in fine) et, le cas échéant, celui de participer à la procédure préparatoire de cette même décision (
ATF 105 Ia 197
). Ce choix relève en effet de sa compétence; pourvu que le droit d'être entendu soit respecté, les règles de procédure cantonale qu'il applique ne sont limitées ni par l'
art. 85 al. 2 let
. c et d LAVS, ni par d'autres normes de droit fédéral.
b) Au vu de ce qui précède, c'est à juste titre que le Tribunal des assurances du canton du Valais a, sans discuter le fond du litige, renvoyé la cause à l'autorité administrative pour que celle-ci rende de nouvelles décisions. Cela étant, les conclusions de la recourante ne peuvent pas être admises, tandis que le jugement cantonal entrepris doit être confirmé. | null | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3b99a52f-0b16-4595-ad89-b5ac4107cd91 | Urteilskopf
104 III 38
12. Entscheid vom 24. Mai 1978 i.S. X. | Regeste
Lohnpfändung (
Art. 93 SchKG
).
1. Bedeutung einer unpfändbaren Rente.
Das Erwerbseinkommen eines Schuldners, der eine unpfändbare Rente bezieht, darf so weit gepfändet werden, als es den durch die Rente nicht gedeckten Teil des Notbedarfs übersteigt (E. 1).
2. Wohnkosten.
Bei der Ermittlung des Notbedarfs ist unter Umständen der ortsübliche Mietzins für eine Wohnung einzusetzen, mit der sich zu begnügen dem Schuldner unter den gegebenen Verhältnissen zuzumuten wäre (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 39
BGE 104 III 38 S. 39
In seinem Beschluss vom 19. April 1978 hielt das Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs fest, das Betreibungsamt Zürich 11 habe bei der Lohnpfändung, die es in den von M. X. gegen ihren früheren Ehemann, H. X., für fällige Unterhaltsbeiträge eingeleiteten Betreibungen verfügt hatte, zu Recht auch das unpfändbare Krankengeld berücksichtigt, das der Schuldner bezieht. Es schützte die Pfändungsverfügung andererseits auch insofern, als das Betreibungsamt bei der Ermittlung des Notbedarfs Wohnkosten von Fr. 300.-, und nicht, wie vom Schuldner geltend gemacht, von Fr. 600.-, eingesetzt hatte.
H. X. hat in diesen beiden Punkten an das Bundesgericht rekurriert. Er macht einerseits geltend, sein unpfändbares Krankengeld dürfe bei der Ermittlung der pfändbaren Quote seines Einkommens nicht in Betracht gezogen werden, und verlangt andererseits die Berücksichtigung seiner tatsächlichen Mietkosten von Fr. 600.-, die in dieser Höhe ausgewiesen seien.
BGE 104 III 38 S. 40
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Wie das Bundesgericht schon mehrmals entschieden hat, darf das Erwerbseinkommen eines Schuldners, der eine unpfändbare Rente bezieht, so weit gepfändet werden, als es den durch die Rente nicht gedeckten Teil des Notbedarfs übersteigt, denn es sei zu berücksichtigen, dass der Schuldner seinen Lebensunterhalt zu einem Teil aus der unpfändbaren Rente bestreiten könne, so dass er zur Deckung des verbleibenden Teils des Notbedarfs unter Umständen nicht mehr den ganzen Arbeitsverdienst benötige (vgl.
BGE 97 III 17
f. hinsichtlich der Leistungen der Militärversicherung mit Hinweisen auf Entscheide, die SUVA- bzw. AHV- und IV-Renten sowie Leistungen einer Familienausgleichskasse betrafen). Die Unpfändbarkeit einer Rente hat also lediglich zur Folge, dass die Rente selbst nicht gepfändet werden darf, nicht aber, dass der Schuldner neben dieser noch einen seinem Notbedarf entsprechenden Teil seines übrigen Einkommens beanspruchen könnte. Entgegen der Behauptung des Rekurrenten beruhte das erwähnte Urteil nicht darauf, dass im betreffenden Rekurs keine Gründe genannt worden waren, die - in Abweichung von den früheren Entscheiden - eine bevorzugte Behandlung der Leistungen der Militärversicherung rechtfertigen würden. Das Bundesgericht hat vielmehr unabhängig vom Fehlen solcher Vorbringen festgehalten, es sei nicht einzusehen, weshalb für diese Leistungen etwas anderes gelten sollte als für die Renten der übrigen Sozialversicherungen (
BGE 97 III 18
oben).
Die angeführte Rechtsprechung trifft auf alle Leistungen der erwähnten Versicherungen zu, insbesondere auch auf die von diesen entrichteten Krankengelder (vgl. Art. 96 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 72 KUVG
; Art. 47 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 14 MVG
). Was der Rekurrent vorbringt, erlaubt nicht, anzunehmen, das Krankengeld, das er von seinem Arbeitgeber ausbezahlt erhält, unterscheide sich von den - unter Umständen zeitlich ebenfalls beschränkten - Krankengeldern der erwähnten Sozialversicherungen. Namentlich macht der Rekurrent nicht etwa geltend, das ihm entrichtete Krankengeld habe nicht der Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu dienen. Das Betreibungsamt hat bei dieser Sachlage das Krankengeld bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens zu Recht berücksichtigt,
BGE 104 III 38 S. 41
womit sich der Rekurs in diesem Punkt als unbegründet erweist.
2.
Die Vorinstanz hat nicht übersehen, dass bei der Bemessung des Notbedarfs grundsätzlich die tatsächlichen Wohnkosten einzusetzen sind. Indessen erachtet sie den vom Rekurrenten geltend gemachten Mietzins von Fr. 600.- im Monat für weit übersetzt, weshalb nicht der ganze Betrag berücksichtigt werden könne. Diese Betrachtungsweise findet eine Stütze in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach ein Schuldner, dessen Gläubiger mangels anderer pfändbarer Vermögensstücke seine Einkünfte pfänden lassen müssen, seine Wohnkosten so tief wie möglich zu halten hat (
BGE 87 III 102
;
BGE 57 III 207
). Wird in einem solchen Fall der effektive Mietzins für zu hoch befunden, so ist bei der Ermittlung des Notbedarfs der ortsübliche Mietzins für eine Wohnung einzusetzen, mit der sich zu begnügen dem Schuldner unter den gegebenen Verhältnissen zuzumuten wäre (
BGE 87 III 102
f. E. 1a).
Die obere kantonale Aufsichtsbehörde führt aus, laut Auskunft des Amtes für Wohnungsnachweis der Stadt Zürich betrage die Miete für ein möbliertes Zimmer in einer Wohnung, wie der Rekurrent eines bewohne, bei der heutigen Marktlage im Durchschnitt zwischen Fr. 180.- und Fr. 220.-, für ein Separatzimmer zwischen Fr. 250.- und Fr. 350.- im Monat. Diese Feststellungen sind tatsächlicher Natur und demnach für das Bundesgericht verbindlich. Dass sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen seien, behauptet der Rekurrent nicht, und es bestehen auch keine Anhaltspunkte für ein offensichtliches Versehen (Art. 63 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 81 OG
). Wenn die Vorinstanz aufgrund der von ihr festgestellten Verhältnisse dafür hält, das Betreibungsamt habe bei der Bemessung des Notbedarfs des Rekurrenten die Wohnkosten zu Recht nur mit Fr. 300.- veranschlagt, hat sie das ihr in diesem Punkt zustehende Ermessen nicht missbraucht. Sie durfte in Anbetracht der gegenwärtigen Marktlage insbesondere davon ausgehen, der Rekurrent könnte in Zürich auch kurzfristig ein Zimmer finden und beziehen, das nicht mehr als Fr. 300.- im Monat kosten würde, zumal nach Gesetz die Miete eines Zimmers unter Einhaltung einer zweiwöchigen Kündigungsfrist auf das Ende der monatlichen Mietsdauer aufgelöst werden kann (
Art. 267 Abs. 2 Ziff. 2 OR
) und für den vorliegenden Fall keine abweichende
BGE 104 III 38 S. 42
Regelung behauptet worden war. Der Rekurrent bestreitet übrigens selbst nicht, dass ein Zimmerwechsel ohne weiteres möglich wäre.
Seine Behauptung, im Mietzins von Fr. 600.- sei berücksichtigt, dass er die ganze Wohnung seiner Vermieterin benützen dürfe und dass er etwas pflegebedürftig sei, ist neu. Da der Rekurrent Gelegenheit und auch Anlass gehabt hätte, sie schon im kantonalen Verfahren vorzubringen, ist darauf nicht einzutreten (Art. 79 Abs. 1 zweiter Satz OG). | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3b99f249-83a0-4bcd-8b7b-8ec76300b20d | Urteilskopf
121 I 164
23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. August 1995 i.S. Bertges gegen Erster Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
; Einschränkung des Rechts des Angeschuldigten auf freien Verkehr mit dem Verteidiger.
Einem ausländischen Verteidiger darf in einem ausländischen Strafverfahren die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei seinem in der Schweiz inhaftierten Mandanten nur verweigert werden, wenn eine konkrete Gefahr besteht, dass er seine Vertrauensstellung missbrauchen könnte. | Sachverhalt
ab Seite 164
BGE 121 I 164 S. 164
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt gegen die deutsche Staatsangehörige Damara Bertges eine Strafuntersuchung wegen Verdachts des gewerbsmässigen Betrugs. Frau Bertges wird zur Last gelegt, sie habe als Präsidentin des European Kings Club (EKC), eines Vereins mit Sitz in Basel, und als zeichnungsberechtigtes Organ von diversen, dem EKC angegliederten
BGE 121 I 164 S. 165
Kapitalgesellschaften ein betrügerisches Anlagesystem betrieben. Damara Bertges befindet sich seit dem 7. Februar 1995 in Basel in Untersuchungshaft. Ihr Ehemann Harald Bertges (Vizepräsident des EKC) und zwei weitere Personen sind Mitangeschuldigte in dem im Kanton Basel-Stadt hängigen Strafverfahren. Diese drei Personen befinden sich in Frankfurt am Main (Deutschland) in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main führt gegen Damara und Harald Bertges sowie gegen weitere Personen ein Strafverfahren wegen Kapitalanlage-Betrugs, soweit er im Raume Deutschland über den EKC begangen worden sein soll.
Damara Bertges wird im baselstädtischen Strafverfahren durch Rechtsanwalt W., im deutschen Strafverfahren durch die deutsche Rechtsanwältin S. vertreten. Deren Ehemann ist Verteidiger von Harald Bertges im deutschen Strafverfahren. Rechtsanwältin S. ersuchte den zuständigen Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt wiederholt, ihr die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei Frau Bertges zu erteilen. Der Staatsanwalt lehnte die Gesuche ab, weil Rechtsanwältin S. im Kanton Basel-Stadt nicht als Anwältin zugelassen sei und da wegen des Umstands, dass ihr Ehemann im deutschen Strafverfahren Harald Bertges verteidige, die Gefahr des Austausches von Informationen über die Strafuntersuchungen zwischen den angeschuldigten Eheleuten Bertges bestehe. Am 30. März 1995 verfügte der Staatsanwalt, Rechtsanwältin S. werde der unbeaufsichtigte Verkehr mit der Angeschuldigten Damara Bertges nicht bewilligt. Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies der Erste Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 22. Mai 1995 ab.
Gegen diesen Entscheid und gegen die Verfügung vom 30. März 1995 reichte Damara Bertges staatsrechtliche Beschwerde ein. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es auf sie eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin beruft sich in erster Linie auf
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
. Sie macht geltend, es bedeute eine Verletzung des aus dieser Vorschrift folgenden Anspruchs auf gehörige Verteidigung, wenn ihr nicht gestattet werde, mit Rechtsanwältin S., ihrer Verteidigerin im deutschen Strafverfahren, unbeaufsichtigte Gespräche zu führen.
BGE 121 I 164 S. 166
a) Der Erste Staatsanwalt hielt im angefochtenen Entscheid fest, nach Ansicht des Haftrichters bestehe bei der Beschwerdeführerin eine akute Kollusionsgefahr. Rechtsanwältin S., welche die Beschwerdeführerin im deutschen Strafverfahren vertrete, sei im Kanton Basel-Stadt nicht als Anwältin zugelassen. Sie vermöge demzufolge mangels Unterstellung unter die kantonale Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte keine hinreichende Gewähr zu bieten, dass es bei unbeaufsichtigten Besuchen nicht zu Kollusionen kommen würde. Im weiteren führte der Erste Staatsanwalt aus, die Verteidigungsrechte der Beschwerdeführerin seien auch ohne unbeaufsichtigte Besuche der ausländischen Anwältin vollumfänglich gewahrt. Die Beschwerdeführerin sei im deutschen Verfahren durch ihre deutsche Verteidigerin, im baselstädtischen Verfahren durch Rechtsanwalt W. gehörig verbeiständet. Beiden Rechtsanwälten stehe die Möglichkeit offen, zur Erörterung hängiger Probleme, die sich im deutschen Verfahren stellen würden, miteinander Rücksprache zu nehmen. Dadurch sei unter dem Gesichtspunkt der EMRK hinreichend gewährleistet, dass die sich im deutschen Verfahren stellenden Verteidigungsfragen über Rechtsanwalt W. mit der Beschwerdeführerin besprochen werden könnten. Im übrigen stehe es Rechtsanwältin S. wie bisher offen, die Beschwerdeführerin "beaufsichtigt zu besuchen". Aus diesen Gründen bestätigte der Erste Staatsanwalt den Entscheid, mit dem der deutschen Anwältin die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei der Beschwerdeführerin verweigert worden war.
b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, sowohl die Schweiz als auch Deutschland hätten die EMRK unterzeichnet. Die Schweiz sei daher völkerrechtlich verpflichtet, ihr zu gestatten, mit ihrer Verteidigerin im deutschen Strafverfahren frei verkehren zu können. Die Berufung des Staatsanwalts auf die Vorschriften über die Zulassung als Anwalt im Kanton Basel-Stadt sei unzulässig. Die Bestimmungen der EMRK hätten gegenüber den kantonalen Vorschriften über die Zulassung der Anwälte den Vorrang. Aufgrund von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
habe sie - die Beschwerdeführerin - im schweizerischen wie im deutschen Strafverfahren einen Anspruch auf gehörige Verteidigung. Dieser Anspruch setze voraus, dass sie sich mit ihren Verteidigern unbeaufsichtigt besprechen könne. Sie habe im deutschen Strafverfahren Rechtsanwältin S. zu ihrer Verteidigerin bestimmt, und diese Anwältin sei im deutschen Verfahren von den zuständigen Instanzen ohne weiteres zugelassen worden. Die baselstädtischen Behörden hätten ihr somit
BGE 121 I 164 S. 167
für das deutsche Verfahren den freien Verkehr mit ihrer deutschen Anwältin zu gestatten. Im weiteren bringt die Beschwerdeführerin vor, nicht stichhaltig sei das Argument, es bestehe Kollusionsgefahr wegen des Umstands, dass im deutschen Verfahren ihr Ehemann durch Rechtsanwalt S., den Ehemann ihrer deutschen Anwältin, verteidigt werde. Gegen diese Konstellation sei im deutschen Strafverfahren kein Einwand erhoben worden. Die Möglichkeit von Absprachen zwischen Verteidigern bestehe immer und sei sogar manchmal wünschenswert. Wenn im Entscheid des Basler Haftrichters von Kollusionsgefahr die Rede sei, und zwar "ohne Konkretisierung irgendwelcher Art", so beziehe sich das höchstens auf die Beschuldigten und nicht auf deren Anwälte. Rechtsanwältin S. verwahre sich ausdrücklich dagegen, dass sie mangels Unterstellung unter die baselstädtische Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte keine hinreichende Gewähr für ein korrektes Verhalten bei unbeaufsichtigten Gesprächen mit ihrer Mandantin biete. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, die vom Ersten Staatsanwalt vorgeschlagene Lösung, Rechtsanwalt W. könne mit ihr die sich im deutschen Strafverfahren stellenden Verteidigungsfragen besprechen, genüge den Anforderungen der EMRK nicht.
c)
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
räumt dem Angeschuldigten das Recht auf den Beistand eines Verteidigers ein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem die Schweiz betreffenden Urteil vom 28. November 1991 erklärt, das Recht auf freien (nicht akustisch überwachten) Kontakt zwischen dem Verteidiger und dem verhafteten Angeschuldigten sei zwar in der EMRK nicht ausdrücklich erwähnt. Es gehöre jedoch in einem demokratischen Staat zu den elementaren Voraussetzungen eines fairen Prozesses und sei aus
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
abzuleiten, denn das in dieser Vorschrift gewährleistete Recht auf einen Verteidiger würde wesentlich an Gehalt verlieren, wenn kein freier Kontakt und damit keine vertraulichen Absprachen möglich wären (Urteil des EGMR vom 28. November 1991 i.S. S., Serie A, Band 220, Ziff. 48 = VPB 1991 Nr. 51 = EuGRZ 1992, S. 298 f. = RUDH 1991, S. 571). Der Gerichtshof stützte sich bei der Auslegung des
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
unter anderem auf Art. 93 der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen gemäss der Resolution (73) 5 des Ministerkomitees des Europarates vom 19. Januar 1973. Danach dürfen die Unterredungen zwischen dem Untersuchungsgefangenen und seinem Verteidiger zwar optisch, nicht aber akustisch überwacht werden ("Les
BGE 121 I 164 S. 168
entrevues entre le prévenu et son avocat peuvent être à la portée de la vue, mais ne peuvent pas être à la portée d'ouïe directe ou indirecte d'un fonctionnaire de la police ou de l'établissement"). Der Anspruch des inhaftierten Angeschuldigten auf freien Verkehr mit seinem Verteidiger ergibt sich nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe übrigens auch aus
Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK
. Nach dieser Bestimmung muss der Angeschuldigte über ausreichende Zeit und Gelegenheit verfügen, um seine Verteidigung vorzubereiten, und das setzt voraus, dass er mit seinem Anwalt frei verkehren kann (Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 12. Juli 1984 i.S. Can, Serie A, Band 96, S. 17, Ziff. 52 = EuGRZ 1986, S. 278, und vom 12. Juli 1990 i.S. S., Serie A, Band 220, S. 23, Ziff. 80 = EuGRZ 1992, S. 325).
Das Recht auf freien Kontakt zwischen dem verhafteten Angeschuldigten und seinem Verteidiger gilt indessen nicht absolut. Ausnahmsweise kann es unter ausserordentlichen Umständen zeitweise eingeschränkt werden (ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 180; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N. 132 zu
Art. 6 EMRK
). Die Europäische Kommission für Menschenrechte hielt es zum Beispiel in dem die Schweiz betreffenden Fall Kröcher und Möller (unter dem Gesichtspunkt von
Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK
) für zulässig, dass der Verkehr mit dem Verteidiger während vier Wochen stark eingeschränkt wurde. Den Angeschuldigten waren Tötungsdelikte im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen zur Last gelegt worden, weshalb sie als ausserordentlich gefährlich eingeschätzt werden konnten (DR 26, S. 37 f.). Der EGMR erachtete hingegen im oben erwähnten Urteil vom 28. November 1991 in der Sache S. die beanstandete Einschränkung als mit
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
unvereinbar. In jenem Fall hatten die Schweizer Behörden den Verkehr eines als besonders gefährlich eingeschätzten Angeschuldigten mit seinem Verteidiger während mehr als sieben Monaten optisch und akustisch überwacht. Die Massnahme war einerseits mit der besonderen Gefährlichkeit des Angeschuldigten und der Schwere der ihm vorgeworfenen Straftaten (zahlreiche terroristische Sprengstoff- und Brandanschläge) begründet worden, anderseits damit, dass Indizien vorgelegen hätten, wonach der betroffene Anwalt seine Verteidigungsstrategie mit den Rechtsvertretern der Mitangeschuldigten zu koordinieren versucht habe. Der Europäische Gerichtshof gelangte im Gegensatz zum Bundesgericht (
BGE 111 Ia 341
E. 3f-g S. 350 ff.) zur
BGE 121 I 164 S. 169
Ansicht, im konkreten Fall rechtfertige weder die Schwere der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Straftaten noch die Möglichkeit einer Absprache der Verteidigungsstrategie unter den Anwälten die angeordnete Beschränkung der Verteidigungsrechte. Die Koordination der Verteidigungsstrategie sei nichts Aussergewöhnliches, sodann seien weder das standesgemässe Verhalten des betroffenen Anwalts noch die Rechtmässigkeit seines Verhaltens im konkreten Fall in Zweifel gezogen worden, und im übrigen habe die Überwachung der anwaltlichen Gespräche mehr als sieben Monate gedauert (Urteil vom 28. November 1991 i.S. S., Serie A, Band 220, Ziff. 49 = EuGRZ 1992, S. 299).
Im hier zu beurteilenden Fall ist der Erste Staatsanwalt der Meinung, die Einschränkung des Rechts der Beschwerdeführerin auf unbeaufsichtigten Verkehr mit ihrer deutschen Anwältin sei vor allem deshalb zulässig, weil Rechtsanwältin S. im Kanton Basel-Stadt nicht als Anwältin zugelassen sei, demzufolge nicht der Aufsicht über die Advokaten gemäss § 13 des baselstädtischen Advokaturgesetzes unterstehe und daher keine hinreichende Gewähr dafür biete, dass es bei unbeaufsichtigten Besuchen nicht zu Kollusionen kommen würde. Er führt in seiner Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde aus, das Bundesgericht habe in einem Urteil vom 22. August 1994 (
BGE 120 Ia 247
ff.) erklärt, dass die Nichtzulassung eines ausländischen Verteidigers in einem schweizerischen Verfahren keine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
darstelle. Die Berufung auf dieses Urteil ist jedoch unbehelflich, denn es geht im vorliegenden Fall nicht um die Zulassung einer ausländischen Anwältin in einem schweizerischen Verfahren. Rechtsanwältin S. verteidigt die Beschwerdeführerin nicht im baselstädtischen, sondern im deutschen Strafverfahren. Sie wurde von den deutschen Behörden als Verteidigerin der Beschwerdeführerin zugelassen und ersuchte die Basler Behörde um die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei ihrer in Basel inhaftierten Mandantin im Interesse der Verteidigung im deutschen Strafverfahren. Da Deutschland die EMRK ebenfalls unterzeichnet hat, ist die Beschwerdeführerin aufgrund von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
auch im deutschen Strafverfahren berechtigt, mit ihrer Verteidigerin frei verkehren zu können. Wie dargelegt, darf dieses Recht nach der Praxis der Strassburger Organe nur eingeschränkt werden, wenn die Massnahme durch ausserordentliche Umstände gerechtfertigt ist. Ein solcher Umstand kann im vorliegenden Fall nicht darin erblickt werden, dass Rechtsanwältin S. im
BGE 121 I 164 S. 170
Kanton Basel-Stadt nicht als Anwältin zugelassen ist. Würde dieser Umstand genügen, so könnte praktisch kein ausländischer Verteidiger in einem ausländischen Strafverfahren mit seinem in der Schweiz inhaftierten Mandanten frei verkehren. Das kann nicht der Sinn der kantonalen Bestimmungen über die Zulassung der Anwälte sein und wäre mit
Art. 6 Ziff. 3 lit. b und c EMRK
nicht vereinbar. Das Bundesgericht führte in einem unveröffentlichten Urteil vom 16. März 1995 i.S. B. (E. 3b/bb) aus, aufgrund dieser Vorschriften sei der Angeschuldigte mit Rücksicht auf die Vorbereitung seiner Verteidigung grundsätzlich berechtigt, mit seinem Anwalt Kontakt zu haben, und zwar sobald das Untersuchungsverfahren angehoben sei. Dieses Recht müsse dem Angeschuldigten gewährt werden, unabhängig davon, an welchem Ort er wohne oder inhaftiert sei, mithin auch dann, wenn er sich im Hinblick auf den Entscheid über seine Auslieferung in einem anderen Staat in Haft befinde. In dem vom Bundesgericht im erwähnten Urteil behandelten Fall hatte sich ein Genfer Anwalt im Namen seines Mandanten, der sich in einem Genfer Gefängnis in Auslieferungshaft zugunsten der Republik Bulgarien befand, darüber beklagt, dass seinem Mandanten nicht gestattet worden war, im Gefängnis einen bulgarischen Anwalt zu empfangen, um sich mit diesem zwecks Vorbereitung der Verteidigung im ausländischen Strafverfahren zu besprechen. Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) hatte dem bulgarischen Anwalt die Besuchsbewilligung deshalb verweigert, weil in früheren Fällen ausländische Verteidiger anlässlich von Besuchen bei ihren in Auslieferungshaft befindlichen Mandanten wiederholt ihre Vertrauensstellung missbraucht hätten. Das Bundesgericht vertrat die Ansicht, mit dieser Begründung lasse sich der ablehnende Entscheid des BAP nicht rechtfertigen, hob diesen auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das BAP zurück. Es hielt fest, das BAP kenne den bulgarischen Anwalt nicht und könne ohne entsprechende Nachfrage beim ersuchenden Staat nicht beurteilen, ob im betreffenden Fall bei objektiver Betrachtung eine konkrete Gefahr bestehe, dass der ausländische Anwalt seine Vertrauensstellung missbrauchen und zu Kollusionen beitragen könnte. Da das BAP keine Gründe für das Bestehen einer solchen Gefahr angeführt habe, sei sein Entscheid aufzuheben und über die Frage der Besuchsbewilligung, nötigenfalls nach Rücksprache mit den zuständigen Behörden des ersuchenden Staates, erneut zu befinden. Aus
BGE 121 I 164 S. 171
diesem Urteil des Bundesgerichts lässt sich schliessen, dass einem ausländischen Verteidiger in einem ausländischen Strafverfahren der freie Verkehr mit seinem in der Schweiz inhaftierten Mandanten nur verweigert werden darf, wenn beim betreffenden Verteidiger eine konkrete Gefahr besteht, dass er seine Vertrauensstellung als Anwalt missbrauchen und zu Kollusionen beitragen könnte. Im hier zu beurteilenden Fall wird im Entscheid des Ersten Staatsanwalts nicht dargetan, dass bei Rechtsanwältin S. eine solche Gefahr gegeben sei. Das Argument, es bestehe nach Ansicht des Haftrichters bei der Beschwerdeführerin eine akute Kollusionsgefahr, vermag die beanstandete Massnahme nicht zu rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe genügt der Umstand, dass beim verhafteten Angeschuldigten Verdunkelungsgefahr besteht, nicht, um die Kontakte des Angeschuldigten mit seinem Verteidiger vorübergehend nur unter Aufsicht zuzulassen. Es müssen zur Rechtfertigung einer solchen Massnahme Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass gerade diese Kontakte vom Verteidiger missbraucht werden könnten (FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 132 zu
Art. 6 EMRK
; Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 12. Juli 1984 i.S. Can, Serie A, Band 96, S. 19, Ziff. 59 = EuGRZ 1986, S. 279). Im angefochtenen Entscheid werden keine Tatsachen genannt, aus denen sich Anhaltspunkte für die Annahme ergäben, dass die deutsche Anwältin bei freien Kontakten mit der Beschwerdeführerin ihre Vertrauensstellung missbrauchen könnte. Allein aus dem Umstand, dass ihr Ehemann im deutschen Strafverfahren den Ehemann der Beschwerdeführerin verteidigt, kann kein Anhaltspunkt für einen solchen Missbrauch erblickt werden. Dass bei mehreren Angeschuldigten mehrere Anwälte ihre Verteidigung aufeinander abstimmen können, ist nicht aussergewöhnlich und nicht unzulässig. Die von der Basler Behörde verfügte Einschränkung des freien Kontakts zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer deutschen Anwältin hätte wohl dann nicht beanstandet werden können, wenn sie damit begründet worden wäre, dass die Massnahme im deutschen Strafverfahren nach Ansicht der zuständigen deutschen Behörde notwendig sei. Im Lichte des bundesgerichtlichen Urteils vom 16. März 1995 und der zitierten Rechtsprechung der Strassburger Organe reichen im vorliegenden Fall die von der kantonalen Behörde angeführten Gründe nicht aus, um Rechtsanwältin S. im deutschen Strafverfahren die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei der in der Schweiz inhaftierten Beschwerdeführerin zu verweigern. Der angefochtene Entscheid
BGE 121 I 164 S. 172
des Ersten Staatsanwalts ist daher mit
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
nicht vereinbar. Da er schon aus diesem Grunde aufzuheben ist, erübrigt sich die Behandlung der Rüge, es liege auch eine Verletzung von
Art. 4 BV
vor. Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und der Entscheid des Ersten Staatsanwalts vom 22. Mai 1995 ist aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3b9a0fbb-ddda-46cc-8434-9087cdd29459 | Urteilskopf
118 II 273
54. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. September 1992 i.S. R. S. gegen A. und Mitbeteiligte (Berufung) | Regeste
Form beim öffentlichen Testament (Art. 501 f. ZGB).
Hat der Erblasser die Urkunde zwar selber unterschrieben, jedoch nicht selber gelesen, so muss der Beamte ihm die Urkunde in Gegenwart der beiden Zeugen vorgelesen haben. Ist dem Erblasser die Urkunde vor dem Beizug vorgelesen worden, so ist das Testament ungültig, selbst wenn es der Erblasser selber unterschrieben hat. | Sachverhalt
ab Seite 273
BGE 118 II 273 S. 273
A.-
Die am 8. Oktober 1989 verstorbene P. A. hatte drei Kinder. A., B. und C. sind die Nachkommen der zwei vorverstorbenen Kinder. R. S. ist der Sohn des dritten, noch lebenden Kindes der Erblasserin, von G. S.
Am 15. Dezember 1988 hatte die Witwe P. A. eine öffentliche letztwillige Verfügung errichtet, in der sie unter anderem die Nachkommen ihrer beiden vorverstorbenen Kinder, nämlich A., B. und C., auf den Pflichtteil gesetzt und den dadurch frei werdenden Teil des Nachlasses dem einzigen Sohn der noch lebenden Tochter, nämlich R. S., zugewiesen hatte. Ihrer noch lebenden Tochter, G. S., beliess sie den gesetzlichen Erbteil.
B.-
Im April 1990 klagten die auf ihre Pflichtteile gesetzten A., B. und C. gegen den eingesetzten Erben R. S. auf Ungültigerklärung des Testamentes wegen Formfehler. Mit Urteil vom 11. März 1991 wies das Amtsgericht Luzern-Stadt, I. Abteilung, die Klage ab.
BGE 118 II 273 S. 274
Auf Appellation von A., B. und C. hin hiess das Obergericht des Kantons Luzern (I. Kammer) am 10. Januar 1992 die Klage gut und erklärte die am 15. Dezember 1988 errichtete letztwillige Verfügung für ungültig.
C.-
R. S. gelangt mit Berufung an das Bundesgericht. Er verlangt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Abweisung der Ungültigkeitsklage. A., B. und C. beantragen die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des angefochtenen Entscheides. Das Obergericht hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Es ist unbestritten, dass die Beurkundungsfeststellung des Notars und die an das öffentliche Testament anschliessenden Zeugenbescheinigungen den Beurkundungsvorgang so wiedergeben, wie er sich tatsächlich zugetragen hat. Daraus ergibt sich, dass die Erblasserin die Urkunde nicht selber gelesen hat. Vielmehr hat der Notar sie ihr vorgelesen - dies allerdings in Abwesenheit der Zeugen. Erst anschliessend hat er die beiden Zeugen gerufen, vor denen die Erblasserin die Urkunde unterzeichnet und alsdann erklärt hat, dass ihr die Urkunde vom Notar vorgelesen worden sei und die Verfügungen ihrem ausdrücklichen Willen entsprächen.
Das Obergericht stellte die Ungültigkeit des Testamentes fest, weil keine der beiden für das öffentliche Testament vorgesehenen Formen eingehalten sei. Gemäss der Hauptform der öffentlichen letztwilligen Verfügung habe der Erblasser die Urkunde selber zu lesen und zu unterschreiben (
Art. 500 Abs. 1 und 2 ZGB
). Er habe sodann den zwei Zeugen in Gegenwart der Urkundsperson zu erklären, dass er die Urkunde gelesen habe und sie seine letztwillige Verfügung enthalte (
Art. 501 Abs. 1 ZGB
). Den Zeugen obliege es anschliessend, diesen Vorgang zu bestätigen und zu bescheinigen, dass sich der Erblasser nach ihrer Wahrnehmung im Zustande der Verfügungsfähigkeit befunden habe (
Art. 501 Abs. 2 ZGB
). Daneben stellt das ZGB eine zweite Form für das öffentliche Testament zur Verfügung. Nach dieser hat die Urkundsperson die Urkunde in Gegenwart der beiden Zeugen vorzulesen, und der Erblasser hat daraufhin zu erklären, die Urkunde enthalte seine Verfügung (
Art. 502 Abs. 1 ZGB
). Die Zeugen haben diesfalls nicht nur die Erklärung des Erblassers und ihre Wahrnehmung über seine Verfügungsfähigkeit zu
BGE 118 II 273 S. 275
bezeugen, sondern auch mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass die Urkunde in ihrer Gegenwart dem Erblasser von der Urkundsperson vorgelesen worden ist (
Art. 502 Abs. 2 ZGB
).
Vorliegend entspricht die Urkunde weder der einen noch der anderen Form vollständig. Der Hauptform entspricht sie nicht, weil die Erblasserin den Text der Verfügung nicht selber gelesen hat, und die Nebenform ist nicht erfüllt, weil der Notar die Verfügung der Erblasserin nicht in Gegenwart der Zeugen vorgelesen hat.
3.
Dass es zulässig sein kann, die beiden Formen zu mischen, ist unbestritten, sofern damit wenigstens alle Erfordernisse einer der beiden gesetzlichen Formen eingehalten worden sind. So ist beispielsweise nichts dagegen einzuwenden, wenn die verfügende Person die Urkunde auch noch selber unterschreibt, obgleich ihr die Urkunde vor den Zeugen vorgelesen worden ist und sie den Inhalt diesen gegenüber als ihrem Willen entsprechend bezeichnet hat (
BGE 89 II 365
;
BGE 56 II 160
ff.;
BGE 50 II 116
;
BGE 46 II 13
; PIOTET, Erbrecht, SPR Bd. IV/1, Basel 1978, S. 230 f.). Umstritten ist demgegenüber, ob es auch zulässig sei, einzelne Elemente der einen mit einzelnen Elementen der andern Form zu kombinieren, ohne dass alle Elemente der einen oder der andern Form erfüllt sind.
a) Die sich vorliegend stellende Frage, ob das Testament auch in Abwesenheit der Zeugen vorgelesen werden könne, sofern die testierende Person selber unterschreibe, hatte das Bundesgericht bereits in
BGE 66 II 89
verneint (vgl. auch
BGE 89 II 365
, wo diese Frage nicht erneut entschieden werden musste). Es ist zu prüfen, ob im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Formfragen beim Testament an dieser Auffassung festgehalten werden kann.
b) Das Beurkundungsverfahren wird grundsätzlich durch das kantonale Recht geregelt (
Art. 55 SchlT ZGB
). Im Bereich der öffentlichen Verfügungen von Todes wegen enthält allerdings das Bundesrecht ausführliche Bestimmungen über die Beurkundung. Diese sind zwingender Natur und die Kantone können das Beurkundungsverfahren bei Verfügungen von Todes wegen nicht abweichend regeln. Die Ausführungen des Beklagten zu den kantonalen Bestimmungen über das Beurkundungsverfahren sind deshalb vorliegend ohne Bedeutung.
In konstanter Rechtsprechung hat das Bundesgericht die bundesrechtlichen Formbestimmungen beim Testament als Gültigkeits- und nicht nur als Ordnungsvorschriften angesehen (
BGE 112 II 23
;
BGE 76 II 277
;
BGE 42 II 204
E. 1). Entsprechend hat sich das Bundesgericht in seiner
BGE 118 II 273 S. 276
bisherigen Rechtsprechung stets für eine genaue Einhaltung der bei der öffentlichen Verfügung von Todes wegen vorgeschriebenen Form ausgesprochen, wobei allerdings regelmässig auch festgehalten worden ist, dass für die Auslegung von Formvorschriften nach deren Zweck zu fragen sei (
BGE 45 II 139
E. 3;
BGE 58 II 206
;
BGE 103 II 87
) und diese nicht über den Gesetzeswortlaut hinaus ausgedehnt werden dürften (
BGE 103 II 87
). Von zwei möglichen Gesetzesauslegungen ist jene zu wählen, welche die Gültigkeit des Testamentes begünstigt (
BGE 112 II 25
).
aa) Entsprechend hat das Bundesgericht über das Vorliegen aller im Gesetz vorgesehenen Elemente streng gewacht, es aber auch immer abgelehnt, weitere, im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnte Formerfordernisse zusätzlich zu verlangen. Demgemäss hat das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, damit eine öffentliche Verfügung von Todes wegen gültig sei, müsse der Erblasser - bzw. beim Erbvertrag wohl beide Parteien (
BGE 48 II 65
ff.;
60 II 269
ff., offener dann aber
BGE 93 II 227
f. und
BGE 105 II 47
) - den Zeugen erklären, dass er die Urkunde gelesen habe sowie dass diese seinen Willen enthalte (
BGE 48 II 66
ff.;
BGE 60 II 276
), und die Zeugen müssen mit ihren Unterschriften bestätigen, dass ihnen diese Erklärungen gemacht worden seien (
BGE 53 II 104
f.).
Art. 501 ZGB
setze für die Gültigkeit eines Testamentes auch voraus, dass bei dieser Erklärung der Urkundsbeamte anwesend sei. Dass die Zeugen dies zu bestätigen hätten, lasse sich demgegenüber dem Gesetz nicht entnehmen und bilde deshalb auch keine Gültigkeitsvoraussetzung (
BGE 103 II 87
). Werde die Form nach
Art. 501 ZGB
gewählt, so hätten die Parteien beim Erbvertrag - im Gegensatz zum Erblasser bei der letztwilligen Verfügung (
BGE 103 II 86
E. 2a) - diesen in Anwesenheit der Zeugen zu unterschreiben (
Art. 512 Abs. 2 ZGB
); auch dies brauche aber nicht von den Zeugen bestätigt zu werden (
BGE 76 II 276
ff.;
BGE 89 II 190
;
BGE 105 II 46
;
BGE 112 II 23
). Mit Bezug auf die Form der Zeugenerklärung hat das Bundesgericht festgehalten, dass diese nicht als solche erscheinen müsse. Es genüge, wenn sich die zu bescheinigenden Tatsachen aus der Urkunde ergäben und diese von den Zeugen unterschrieben worden sei (
BGE 50 II 117
f.). Auch mit Bezug auf die Unterschriften der Vertragsparteien hat sich das Bundesgericht genau an die vom Gesetz vorgeschriebene Form gehalten. Das Handzeichen des Erblassers (nach
Art. 15 OR
) genüge deshalb beim Testament nicht (
BGE 45 II 138
f.), wohl aber beim Erbvertrag, sofern die Form nach
Art. 502 ZGB
eingehalten sei (
BGE 46 II 14
ff.); da sei es aber nicht nötig, da die öffentliche Beurkundung
BGE 118 II 273 S. 277
nach
Art. 502 ZGB
die Unterschrift ersetzen könne (
BGE 66 II 101
ff.).
Ob es als Gültigkeitsvoraussetzung angesehen werden muss, dass der Urkundsbeamte im Verfahren nach
Art. 502 ZGB
die Urkunde selber vorliest, wie dies das Bundesgericht 1919 entschieden hat (
BGE 45 II 141
), muss mit Blick auf die damals gegebene Begründung und den inzwischen eingetretenen technischen Wandel als zweifelhaft angesehen werden.
bb) Demgegenüber hat das Bundesgericht in bezug auf die Reihenfolge der einzelnen Formhandlungen ein Abweichen vom Gesetzeswortlaut zugelassen, weil (und soweit) keine sachlichen Gründe für einen bestimmten Handlungsablauf ersichtlich sind. Entsprechend ist es für die Einhaltung der Form ohne Bedeutung, ob die Erklärungen der Parteien nach
Art. 501 Abs. 1 ZGB
beim Erbvertrag vor oder nach dem Unterschreiben durch diese abgegeben worden sind (
BGE 60 II 276
). Der Urkundsbeamte darf die Urkunde auch datieren, bevor sie vom Erblasser unterschrieben worden ist (
BGE 55 II 236
ff.). Die Form ist selbst dann gewahrt, wenn der Notar die Urkunde erst nach den Zeugen unterschreibt (
BGE 58 II 206
f.).
cc) Schliesslich hat sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung mit Bezug auf den Nachweis, ob die Form eingehalten sei oder nicht, zu Gunsten der Aufrechterhaltung eines Testamentes entwickelt. Ob auch Beweismittel ausserhalb der Urkunde zulässig sind, ist ursprünglich verneint (
BGE 45 II 139
f.), dann offengelassen (
BGE 60 II 276
;
BGE 76 II 276
ff.;
BGE 93 II 227
;
BGE 105 II 46
) und schliesslich bejaht worden (
BGE 112 II 24
f.).
c) Nachdem das Bundesgericht während Jahren in konstanter Rechtsprechung die inhaltliche Richtigkeit des Datums und der Ortsangabe beim eigenhändigen Testament als Gültigkeitsvoraussetzung angesehen hat (vgl. die Wiedergabe der Rechtsprechung in
BGE 116 II 119
f.), führt nach der neusten Rechtsprechung eine irrtümlich falsche Datums- oder Ortsangabe nicht mehr zur Ungültigkeit, sofern die Richtigkeit des Datums im konkreten Fall ohne jede materielle Bedeutung ist (
BGE 116 II 129
; zur falschen Ortsangabe:
BGE 117 II 146
ff.). Auch bei dieser neuen Rechtsprechung hält es aber daran fest, dass die vom Gesetz verlangten Formelemente vollständig erfüllt sein müssen (
BGE 116 II 128
f.). Entsprechend hat es ein Testament für ungültig erklärt, bei dem zwar Errichtungsort, -monat und -tag enthalten gewesen sind, aber jeder Hinweis auf ein Errichtungsjahr gefehlt hat (
BGE 117 II 247
ff.). Das Bundesgericht hat sich die von BREITSCHMID (Testament und Erbvertrag, in: St. Galler
BGE 118 II 273 S. 278
Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bd. 26, 1991, S. 48 f.; vgl. auch BREITSCHMID, Formvorschriften im Testamentsrecht, Diss. Zürich 1982, Rz. 453 ff.) vertretene Meinung, eine versehentlich unvollständige, aber wenigstens im Ansatz vorhandene Datierung müsse nicht zwangsläufig zur Ungültigkeit des Testamentes führen, nicht zu eigen gemacht (
BGE 117 II 249
ff.). Es geht vielmehr von der Unterscheidung zwischen einer vollständigen Datierung einerseits und der Richtigkeit der Datierung andererseits aus, auf die bereits WALTER BURCKHARDT (Über die Form des eigenhändigen Testamentes, ZBJV 1936, S. 386 ff., insb. S. 389) hingewiesen hat. Die Gültigkeit eines Testamentes setzt somit auch nach dieser neuen Rechtsprechung voraus, dass alle vom Gesetz vorgeschriebenen Formelemente tatsächlich erfüllt sind. Der blosse Nachweis, dass der Testator sie erfüllen wollte, genügt nicht. Demgegenüber führt ihre inhaltliche Unrichtigkeit nicht notwendig zur Ungültigkeit der Verfügung. Dass das Erfordernis einer vollständigen (nicht aber unbedingt richtigen) Datierung zur Ungültigkeit einer nachweislich gewollten Verfügung führen kann, liegt in der Natur jedes Formerfordernisses. Diese praktische Konsequenz ist auch gegeben, wenn ein Testament nicht vom Erblasser selber von Hand geschrieben worden ist, jedoch zweifelsfrei nachgewiesen ist, dass dieser den Inhalt als seine letztwillige Verfügung gewollt hat.
4.
Das Bundesgericht hält somit auch nach seiner neusten Rechtsprechung an der vollständigen Erfüllung der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Form als Gültigkeitserfordernis fest. Wie jede Gesetzesnorm bedürfen allerdings auch die Formvorschriften der Auslegung. Mit Bezug auf die Datierung hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine solche nur vorliegt, wenn auch das Jahr genannt wird, weil der Gesetzestext selber ausdrücklich diese Angabe verlangt (
BGE 117 II 247
ff.; kritisiert von BREITSCHMID, Rechtsprechung/Erbrecht, SZW 1992, S. 119 f.). Es bleibt somit zu prüfen, ob die Art. 501 f. ZGB tatsächlich vorschreiben, dass die Urkunde dem Erblasser in Anwesenheit der Zeugen vorgelesen wird, selbst wenn dieser sie unterschreibt.
a) Eine wörtliche Auslegung des deutschen Gesetzestextes muss vorliegend ohne weiteres zur Ungültigkeit des Testamentes führen. Nach
Art. 502 ZGB
hat das Vorlesen in Anwesenheit der Zeugen stattzufinden, "wenn der Erblasser die Urkunde nicht selbst liest und unterschreibt". Die Erblasserin hat diese nicht selber gelesen und unterschrieben, sondern vorgelesen bekommen und unterzeichnet. Auch die wörtliche Auslegung von
Art. 501 ZGB
kann zu keinem
BGE 118 II 273 S. 279
anderen Ergebnis führen, da nach dieser Norm die Urkunde von der testierenden Person selber gelesen werden muss. Die romanischen Texte weisen nicht in eine andere Richtung ("ne lit ni ne signe"; "se il testatore non legge o non firma").
b) Der Entwurf des Bundesrates von 1904 (Art. 506) hatte demgegenüber in allen drei Amtssprachen ein "oder" verwendet ("Kann oder will der Erblasser die Urkunde nicht lesen oder nicht unterschreiben"; "Si le testateur ne veut ou ne peut lire ou signer"; "Se il testatore non può o non vuole leggere o firmare"). Dadurch war der Text zweifellos weniger klar. Während der deutsche Text des Entwurfes nur den Schluss zulässt, dass die Voraussetzungen für das Vorlesen vor Zeugen gegeben war, wenn der Testator entweder den Text nicht selber lesen oder nicht unterschreiben konnte (oder wollte) oder beides nicht konnte (oder wollte), liessen die romanischen Texte auch die Auslegung zu, dass die Voraussetzungen nur gegeben seien, wenn es dem Testator nicht möglich sei, selber zu lesen oder zu unterschreiben (bzw. er dies nicht wolle). Die Unklarheit rührt daher, dass im deutschen Text die Verneinung wiederholt worden ist, in den romanischen Texten aber nicht.
Im Nationalrat wurde sodann auf Antrag der Ratskommission (Prot. Komm. NR, Sitzung v. 28. April 1905) jeder Hinweis darauf gestrichen, warum der Erblasser die Urkunde nicht selber liest und unterschreibt (Sten.Bull. 1905, S. 1375 ff.). Gleichzeitig wurde - dies aber ohne jede Begründung - im deutschen Text das zweite "nicht" gestrichen ("Wenn der Verfasser die Urkunde nicht selbst liest oder unterschreibt,)..."). Damit entstand auch im deutschen Text eine Zweideutigkeit, die dann allerdings vom Ständerat durch das Ersetzen des Wortes "oder" durch "und" wieder beseitigt wurde (Sten.Bull. 1906, S. 192). Den französischen Text passte demgegenüber der Nationalrat dem deutschen Text des bundesrätlichen Entwurfes an, indem er die Verneinung wiederholte ("Si le testateur ne lit ou ne signe pas l'acte lui-même,)..."; Sten.Bull. 1905, S. 1378). Der Ständerat ersetzte dann allerdings das "ou" durch ein "et", womit wieder ein Unterschied zum von ihm beschlossenen deutschen Text entstand (Sten.Bull. 1906, S. 194). Die unterschiedlichen Fassungen zwischen National- und Ständerat wurden offenbar nicht als eigentliche Differenzen angesehen, so dass über den entsprechenden Gesetzesartikel vom Nationalrat nicht mehr gesondert Beschluss gefasst wurde (Sten.Bull. 1907, NR, S. 292 und 295). In der Redaktionskommission wurde sodann im französischen Text das "et ne ... pas" durch ein "ni ne" ersetzt, und es
BGE 118 II 273 S. 280
wurden einige weitere, hier nicht interessierende redaktionelle Änderungen vorgenommen.
Nachdem sowohl im National- als auch im Ständerat in der hier entscheidenden Frage regelmässig der deutsche und der französische Text voneinander abgewichen haben und die diesbezüglichen Änderungen in den Beratungen mit keinem Wort begründet worden sind, lässt sich entgegen der Ansicht des Beklagten nicht behaupten, es hätten den Räten zwei unterschiedliche Konzepte vorgelegen. Den Materialien ist damit nichts zu entnehmen, was ein Abweichen vom Wortlaut des Gesetzes erlauben würde. Es muss vielmehr geschlossen werden, dass der Gesetzgeber sich der Folgen seiner Formulierungen wenig bewusst war.
5.
Ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, ob der Gesetzgeber tatsächlich das Ergebnis gewollt hat, zu dem eine wörtliche Auslegung des Gesetzestextes führt, so rechtfertigt es sich ganz besonders, nach dem Zweck der Norm zu fragen.
a) Die öffentliche Beurkundung hat beim Testament einerseits die Funktion, der testierenden Person die Wichtigkeit des Geschäfts zu zeigen und andererseits sicherzustellen, dass das Testament tatsächlich ihrem wohlüberlegten Willen entspricht. Sowohl aus Art. 501 als auch aus
Art. 502 ZGB
ergibt sich, dass die Zeugen insbesondere garantieren sollen, dass der Text der öffentlichen Urkunde dem Willen des Erblassers entspricht (a. M. EDWIN GAUTSCHI, Die öffentliche Beurkundung der Verfügung von Todes wegen, Diss. Zürich 1932, S. 48 f. und S. 97), wenn sie auch nicht dafür einstehen können, dass der Inhalt tatsächlich gewollt ist. Diese Aufgabe der Zeugen zerfällt in zwei Teile. Zum einen helfen diese mit, zu sichern, dass der Erblasser vom Inhalt der Urkunde tatsächlich Kenntnis genommen hat (sogenannte Rekognition; vgl. MARTI, Notariatsprozess, Bern 1989, S. 109) und zum andern bestätigen sie die Genehmigung der Urkunde durch die Urkundspartei.
Die Rekognition kann auf zwei Arten erfolgen. Entweder liest der Erblasser die Urkunde selber oder sie wird ihm vorgelesen. Im ersten Fall erfolgt eine direkte Wahrnehmung des Urkundeninhalts, im zweiten demgegenüber eine indirekte. Indirekte Wahrnehmungen bergen immer die Gefahr eines Übermittlungsfehlers in sich. Dabei ist in erster Linie nicht an irgendwelche unlauteren Machenschaften zu denken (Unterschieben einer anderen Urkunde, Weglassen einzelner Teile) - solche lassen sich durch keine formellen Vorkehren vollständig ausschliessen -, sondern an unabsichtliche Lesefehler.
BGE 118 II 273 S. 281
Daraus erklärt sich auch, dass der Gesetzgeber in
Art. 502 ZGB
für die mittelbare Rekognition eine zusätzliche Sicherung eingebaut hat, in dem zwei Zeugen zugegen sein müssen, die kontrollieren (und mit ihrer Unterschrift bestätigen), dass tatsächlich der ganze Text der Urkunde korrekt vorgelesen worden ist. Insofern kann BREITSCHMID nicht gefolgt werden, der die Anwesenheit der Zeugen bei der Rekognition als unbedeutendstes aller Formelemente beim öffentlichen Testament bezeichnet (Diss., Rz. 632). Entsprechend ist auch den Kommentatoren (ESCHER, Zürcher Kommentar, 1959, N 7 zu
Art. 502 ZGB
; TUOR, Berner Kommentar, 1952, N 8b zu
Art. 502 ZGB
; vgl. auch EDWIN GAUTSCHI, a.a.O., S. 74 f.) nicht zuzustimmen, die das Vorlesen ohne Zeugen als gleich sicher ansehen, wie das Vorlesen in Gegenwart der Zeugen, sofern der Erblasser mit seiner Unterschrift bestätige, dass ihm die Urkunde tatsächlich vorgelesen worden sei. Der Erblasser, der die Urkunde nicht selber gelesen hat, sondern nur vorgelesen bekommen hat, kann nicht - auch nicht mit seiner Unterschrift - bezeugen, dass ihm tatsächlich die ganze Urkunde vorgetragen worden ist. Ob die Rekognition korrekt stattgefunden hat oder nicht, könnte somit nur noch von der Urkundsperson selber bestätigt werden; diese kann aber nicht gleichzeitig vorlesen und selber kontrollieren, ob sie richtig vorliest. Es wäre eine Überbewertung der Unterschrift, wenn diese als hinreichenden Grund angesehen würde, um auf die Gegenwart der Zeugen beim Vorlesen zu verzichten (vgl. CLAUDE ROSSIER, La forme authentique du Testament, Diss. Lausanne 1964, S. 89 ff.; ROLF RASCHEIN, Die Ungültigkeit der Verfügungen von Todes wegen, Diss. Bern, 1954, S. 39 f.; PIOTET, Erbrecht, SPR Bd. IV/1, Basel 1978, S. 231).
Es trifft allerdings zu, dass mit dieser strengeren Auslegung ausgeschlossen wird, dass die Urkundspartei, welche die Urkunde nicht selber lesen kann, den Inhalt des Testamentes vor den Zeugen geheim hält. Dieser Nachteil darf allerdings nicht überbewertet werden. Dass die Zeugen der gleichen Geheimhaltung unterstehen, wie die Urkundsperson selber, steht ausser Zweifel
; 321 StGB
erfasst nicht nur die Notare, sondern auch ihre Hilfspersonen.
b) Zeigt sich, dass ein bestimmtes Formelement sehr wohl den Zweck fördert, die Übereinstimmung von wohlüberlegtem Willen und Urkunde zu sichern, so besteht kein Grund, von den im Gesetz vorgesehenen Formelementen abzuweichen. Eine der gesetzlichen Formvorschrift nicht entsprechende Urkunde ist nach
Art. 520 ZGB
als ungültig zu erklären, selbst wenn im konkreten Fall kein Zweifel darüber besteht, dass sie tatsächlich dem Willen der Erblasserin
BGE 118 II 273 S. 282
entspricht. Es handelt sich eben um eine formelle Voraussetzung der Gültigkeit. Entsprechend ist es auch von vornherein unbehelflich, wenn der Beklagte geltend macht, das vorliegende Testament habe dem Willen der Erblasserin entsprochen.
Die Berufung erweist sich somit als unbegründet und der angefochtene Entscheid ist zu bestätigen. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3b9b5f64-eb69-4f62-ab5e-9c502b2e9f54 | Urteilskopf
99 III 71
15. Entscheid vom 29. November 1973 i.S. Raiffeisenbank Iffezheim und Mitbeteiligte. | Regeste
Gebührentarif zum SchKG (
Art. 16 SchKG
); Gebühr für die Verwahrung von beweglichen Sachen, insbesondere Wertpapieren (Art. 28 GebT).
Auslegung von Art. 28 Abs. 1 und 4 GebT (Erw. 1-3).
Prüfung der Gesetzmässigkeit von Art. 28 Abs. 1 GebT.
Die monatliche Gebühr für die Verwahrung von Schuldtiteln darf 0,3‰ des Nennwerts nicht übersteigen (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 71
BGE 99 III 71 S. 71
A.-
Gestützt auf einen Arrestbefehl, den drei deutsche Banken für eine Forderung von mehr als drei Millionen Franken gegen Heinz-Erich Schmid erwirkt hatten, arrestierte das Betreibungsamt Zürich 2 am 16. Oktober 1972 bei der Interkredit Bank Zürich AG Obligationen aus 17 verschiedenen Emissionen in deutscher, französischer und holländischer Währung (Arrest Nr. 21/1972). Die 17 Titelpakete umfassten
470 Obligationen zu DM: 1 000.--,
11 Obligationen zu DM: 5 000.--,
14 Obligationen zu FF: 5 000.--,
BGE 99 III 71 S. 72
1650 Obligationen zu hfl.: 100.--,
590 Obligationen zu hfl.: 1000.--,
10 Obligationen zu hfl.: 10 000.--.
Das Betreibungsamt übergab diese Titel, die es auf insgesamt Fr. 1 669 000.-- schätzte, der Zürcher Kantonalbank zur Verwahrung in offenem Depot. In der am 14. November 1972 versandten Arresturkunde setzte es die monatliche Verwahrungsgebühr im Sinne von Art. 28 Abs. 1 des Gebührentarifs zum SchKG vom 7. Juli 1971 (GebT) auf Fr. 5500.-- fest (je Fr. 2.- für 2735 Titel mit Nennwerten - nach Umrechnung in Schweizerfranken - bis Fr. 10 000.--, je Fr. 3.- für 10 Titel mit Nennwerten über Fr. 10 000.--) und nahm in seine Gebührenrechnung (neben hier nicht interessierenden Posten) auch die von der Kantonalbank für die Zeit bis 31. März 1973 (d.h. für ein halbes Jahr) verlangte Depotgebühr von Fr. 856.-- auf.
B.-
Am 22. November 1972 führten die Arrestgläubiger gegen die Gebührenrechnung des Betreibungsamtes Beschwerde. Sie liessen die Belastung mit der Depotgebühr der Bank von halbjährlich Fr. 856.-- gelten, sprachen dem Betreibungsamt dagegen das Recht ab, daneben auch noch die Verwahrungsgebühr im Sinne von Art. 28 Abs. 1 GebT zu verlangen, und beantragten eventuell, diese Gebühr sei unter Zugrundelegung des Gesamtnennwerts aller arrestierten Titel von rund 1,6 Mio Franken oder allenfalls der zwischen 10 000 und mehr als 100 000 Franken liegenden Gesamtnennwerte der verschiedenen Titelpakete auf Fr. 12.- oder Fr. 125.-- pro Monat festzusetzen.
Die untere Aufsichtsbehörde schützte am 4. Mai 1973 den Hauptantrag der Beschwerdeführer und strich die Verwahrungsgebühr von Fr. 5500.-- aus der Gebührenrechnung.
Das Betreibungsamt, das inzwischen verfügt hatte, die monatliche Verwahrungsgebühr werde im Hinblick auf den Mitte November 1972 erfolgten Umtausch der 1650 Obligationen zu hfl. 100.-- in 165 Obligationen zu hfl. 1000.-- ab 16. November 1972 auf monatlich Fr. 2530.-- herabgesetzt (je Fr. 2.- für 1250 Titel mit Nennwerten bis Fr. 10 000.-- und je Fr. 3.- für 10 Titel mit Nennwerten über Fr. 10 000.--), zog den Entscheid der untern Aufsichtsbehörde an die obere kantonale Aufsichtsbehörde weiter. Diese schützte am 28. September 1973 die Gebührenberechnung des Betreibungsamtes mit der Korrektur, dass das Amt die Depotgebühr der Bank nicht besonders
BGE 99 III 71 S. 73
- 73 - in Rechnung stellen dürfe, sondern sie aus der Verwahrungsgebühr im Sinne des Art. 28 Abs. 1 GebT in Höhe von Fr. 5500.-- für die Zeit vom 16. Oktober bis 15. November 1972 und von monatlich Fr. 2530.-- für die Folgezeit zu bezahlen habe.
C.-
Gegen den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde haben die Beschwerdeführer an das Bundesgericht rekurriert. Sie beantragen, der erstinstanzliche Entscheid, wonach für die Verwahrung der arrestierten Titel nur die Gebühren der Bank geschuldet wären, sei wiederherzustellen; eventuell sei dem Betreibungsamt zu gestatten, neben den Gebühren der Bank eine eigene Verwahrungsgebühr zu verlangen, die nicht für jeden einzelnen Titel nach Massgabe seines Nennwerts, sondern für jedes Paket gleichartiger Titel nach Massgabe des Gesamtnennwerts der betreffenden Titel zu berechnen sei; subeventuell sei die Gebührenrechnung des Betreibungsamtes nach Gutdünken des Bundesgerichts zu kürzen.
Das Betreibungsamt hält in seiner Vernehmlassung an seiner Gebührenberechnung fest. Der Arrestschuldner schliesst sich der Auffassung der Vorinstanz und des Betreibungsamtes an.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Art. 28 GebT trägt die Überschrift "Verwahrung beweglicher Sachen" und lautet:
"1 Die Gebühr für die Verwahrung eines Wertpapiers bemisst sich nach dem
Nennwert oder, mangels eines solchen, nach dem Schätzungswert und beträgt
monatlich je Titel
Nenn- oder schätzungswert Gebühr
Franken Franken
bis 10 000 2
über 10 000 bis 50 000 3
über 50 000 bis 100 000 8
über 100 000 12
2 Die Gebühr für die Verwahrung einer anderen Wertsache bemisst sich
nach dem Schätzungswert und beträgt monatlich je Stück:
...
3 Das Amt setzt für die Verwahrung von Gebrauchs- oder
Verbrauchsgegenständen, unter Berücksichtigung des Schätzungswertes, eine
angemessene Gebühr fest.
BGE 99 III 71 S. 74
4 Verwahrt das Amt die Sachen nicht selbst, so hat es Anspruch auf
Ersatz der Auslagen."
Die arrestierten Obligationen sind unzweifelhaft Wertpapiere im Sinne von Absatz 1 dieser Bestimmung. Das Betreibungsamt hat sie gemäss Art. 275 in Verbindung mit
Art. 98 SchKG
(vgl. hiezu
BGE 82 III 122
Erw. 1,
BGE 83 III 47
Erw. 1) in Verwahrung genommen. Der Umstand, dass es sie gemäss
Art. 9 SchKG
der Zürcher Kantonalbank in ihrer Eigenschaft als Depositenanstalt im Sinne von
Art. 24 SchKG
übergeben hat, ändert nichts daran, dass sie sich im Sinne des Gesetzes in amtlicher Verwahrung befinden (vgl. JAEGER, N. 5 zu
Art. 98 SchKG
, wonach die Verwahrung von "Kostbarkeiten" im Sinne von
Art. 98 SchKG
, also u.a. von Wertpapieren, "in der Zuhandenahme und der Übergabe an die Depositenanstalt" besteht). Also hat das Betreibungsamt nach dem Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 GebT Anspruch auf die hier vorgesehene Gebühr.
2.
Die Rekurrentinnen sind freilich der Ansicht, falls das Amt die von ihm in Verwahrung genommenen Wertgegenstände der Depositenanstalt übergebe, greife Art. 28 Abs. 4 GebT ein; nach dieser Vorschrift habe das Amt nur Anspruch auf Ersatz der Auslagen, also der Depotgebühr und weiterer Gebühren der Depositenanstalt und allfälliger sonstiger Auslagen.
Art. 28 Abs. 4 GebT sagt allgemein, das Amt habe, wenn es "die Sachen" nicht selbst verwahrt, Anspruch auf Ersatz der Auslagen. Der Ausdruck "Sachen" umfasst alle in Art. 28 Abs. 1 bis 3 GebT erwähnten Gegenstände (vgl. die Überschrift des Artikels). Dass dem Amt grundsätzlich alle notwendigen Auslagen zu ersetzen sind, ergibt sich schon aus Art. 12 GebT, so dass Art. 28 Abs. 4 GebT überflüssig wäre, wenn er nur diesen Grundsatz bestätigen würde. Auf den ersten Blick könnte daher scheinen, das Amt habe im Falle, dass es Gegenstände im Sinne von Art. 28 Abs. 1 bis 3 GebT nicht selbst verwahrt, sondern durch die Depositenanstalt oder durch andere Dritte verwahren lässt, nicht auf eine Verwahrungsgebühr, sondern nur auf Ersatz der Auslagen Anspruch.
Diese Schlussfolgerung, welche die Rekurrentinnen und die untere Aufsichtsbehörde gezogen haben, hält jedoch einer nähern Prüfung nicht stand. Wenn der Verordnungsgesetzgeber bei der letzten Revision des GebT mit dem Erlass von Art. 28 Abs. 4 in Abweichung von Art. 32 der Gebührentarife von 1948 und 1957, wo eine entsprechende Bestimmung fehlte, hätte
BGE 99 III 71 S. 75
anordnen wollen, das Amt habe, falls es die Sachen nicht selbst verwahrt, nur Anspruch auf Ersatz der Auslagen, so hätte es sich aufgedrängt, das ausdrücklich zu sagen. Dass das Amt in diesem Falle nur den Ersatz seiner Auslagen, dagegen keine Gebühr verlangen könne, versteht sich nicht etwa von selbst; denn die amtliche Verwahrung belastet das Amt auch dann mit Arbeit und Verantwortung, wenn es die Sachen zur Aufbewahrung einem Dritten übergibt (vgl. für die Verwahrung von Wertpapieren Erw. 5 c hienach), so dass die Verweigerung einer Gebühr etwas ganz Ungewöhnliches wäre. Wenn Art. 28 Abs. 4 GebT gleichwohl einfach sagt, das Amt habe im erwähnten Falle Anspruch auf Ersatz der Auslagen, so kann das also nur heissen, dass es diesen Ersatz neben der ihm nach Art. 28 Abs. 1 bis 3 GebT zukommenden Gebühr verlangen kann. Art. 28 Abs. 4 GebT stellt in Wirklichkeit klar, dass die Auslagen, die dem Amt aus der durch das Gesetz (
Art. 9 SchKG
) oder aus praktischen Gründen gebotenen Verwahrung von Sachen ausserhalb der Amtsräume entstehen, zu den notwendigen Auslagen im Sinne von Art. 12 GebT gehören. Er hat in dieser Hinsicht die gleiche Funktion wie Art. 32 Abs. 4 des geltenden GebT, wonach im Falle der Versteigerung oder des Ausverkaufs die Kosten für notwendige Gehilfen und Lokale, die dem Amt nicht unentgeltlich zur Verfügung stehen, als Auslagen gelten. (Der Vorentwurf des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, der die letzte Revision des GebT einleitete, verwies denn auch hinsichtlich der Verwahrungskosten auf die Bestimmung über die Kosten der Versteigerung und des Ausverkaufs, aus welcher der geltende Art. 32 Abs. 4 GebT hervorgegangen ist; vgl. Art. 32 Abs. 3 und 36 Abs. 3 des Vorentwurfs).
Die Annahme, Art. 28 Abs. 4 GebT schliesse die Erhebung einer Verwahrungsgebühr aus, wenn das Amt die Sachen nicht selbst verwahrt, verbietet sich bei Wertpapieren und andern Wertsachen nicht nur aus den bereits angeführten, sondern auch noch aus besondern Gründen. Das Amt hat nämlich solche Gegenstände gemäss
Art. 9 SchKG
der Depositenanstalt zu übergeben, wenn darüber nicht binnen drei Tagen verfügt wird. Es kann nicht angenommen werden, diese (in Art. 21 Abs. 2 GebT ausdrücklich erwähnte) Vorschrift sei bei Erlass von Art. 28 GebT übersehen worden oder man habe die Gebühr von Art. 28 Abs. 1 und 2 GebT nur für den Fall vorgesehen,
BGE 99 III 71 S. 76
dass das Amt die betreffenden Gegenstände in Missachtung von
Art. 9 SchKG
während längerer Zeit selbst verwahrt. Indem Art. 28 GebT in den Absätzen 1 und 2 bestimmt, die Gebühr für die Verwahrung von Wertpapieren und andern Wertsachen betrage "monatlich" je Titel bzw. je Stück 2-12 bzw. 2-6 Franken, obwohl das Amt solche Gegenstände nach Gesetz nur wenige Tage selbst verwahren darf, ordnet er also unmissverständlich an, diese Gebühr sei auch dann geschuldet, wenn das Amt die Gegenstände vorschriftsgemäss innert drei Tagen der Depositenanstalt übergibt.
Die Auffassung der Vorinstanz, das Betreibungsamt habe bei Übergabe in Verwahrung genommener Wertpapiere an die Depositenanstalt die daraus entstehenden Auslagen aus der Verwahrungsgebühr im Sinne von Art. 28 Abs. 1 GebT zu decken, findet in den Bestimmungen des GebT keine Stütze. Der in Art. 12 GebT vorgesehene Anspruch auf Ersatz der notwendigen Auslagen tritt grundsätzlich zum Anspruch auf die Gebühr für die in Frage stehende Verrichtung hinzu. Art. 28 Abs. 4 GebT schafft hievon, wie dargelegt, für die Verwahrungsgebühr keine Ausnahme. - Zum Ergebnis, dass dem Amt im erwähnten Falle nach Wortlaut und Sinn des Art. 28 GebT sowohl die Verwahrungsgebühr nach Abs. 1 als auch der Ersatz der von der Depositenanstalt verlangten Entschädigung geschuldet sind, gelangen - mit zum Teil abweichender Begründung - auch STRAESSLE und KRAUSKOPF in ihren 1972 erschienenen Erläuterungen zum GebT vom 7. Juli 1971 (N. 1 und 4 zu Art. 28).
3.
Den Beschwerdeantrag, die Verwahrungsgebühr sei, wenn überhaupt geschuldet, nach Massgabe des Gesamtnennwerts der arrestierten Obligationen auf Fr. 12.- (den in Art. 28 Abs. 1 GebT für die Verwahrung eines Titels im Nennwert von mehr als 100 000 Franken vorgesehenen Betrag) festzusetzen, halten die Rekurrentinnen vor Bundesgericht nicht aufrecht. Die Verwahrungsgebühr so zu berechnen, widerspräche denn auch offensichtlich dem klaren Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 GebT. Das gleiche gilt aber auch für den aufrechterhaltenen Eventualantrag, die Verwahrungsgebühr sei in der Weise zu berechnen, dass die gleichartigen Titel zusammengefasst werden und für jedes Paket gleichartiger Titel auf den Gesamtnennwert der betreffenden Titel abgestellt wird; denn Art. 28 Abs. 1 GebT stellt auf den Nennwert des einzelnen
BGE 99 III 71 S. 77
Wertpapiers ab und setzt die "je Titel" (also für jedes einzelne Wertpapier) geschuldete Gebühr fest (vgl. dazu Art. 28 Abs. 2 GebT, der sagt, wieviel die Gebühr für die Verwahrung einer andern Wertsache "je Stück" ausmacht).
4.
Rechnerisch wird die Gebührenrechnung des Betreibungsamtes mit Recht nicht beanstandet. Die festgesetzte Verwahrungsgebühr und der Ersatz der Depotgebühren der Kantonalbank sind also nach Wortlaut und Sinn des GebT geschuldet.
5.
Für den Fall, dass die vom Betreibungsamt verlangte Verwahrungsgebühr nicht schon auf Grund der von ihnen vorgeschlagenen Auslegung des Art. 28 GebT gestrichen oder gekürzt werden kann, machen die Rekurrentinnen der Sache nach geltend, die in Art. 28 Abs. 1 GebT vorgesehene Verwahrungsgebühr stehe namentlich bei Titeln mit verhältnismässig niedrigem Nennwert zu den Leistungen des Betreibungsamtes in einem offenkundigen Missverhältnis und überschreite daher den Rahmen einer Gebühr im Rechtssinne; die Regelung des Art. 28 Abs. 1 GebT sei auch deshalb ungerecht, weil sie die Höhe der Gebühr für die Verwahrung von Wertpapieren mit einem bestimmten Gesamtnennwert zu sehr von der Stückelung dieser Papiere abhängen lasse. Sie weisen darauf hin, dass das Betreibungsamt für die Verwahrung der arrestierten Obligationen, die im Hinblick auf den Arrestforderungsprozess mehrere Jahre dauern könne, auf Grund von Art. 28 Abs. 1 GebT eine Gebühr verlange, die ein Vielfaches der Depotgebühr der die grössern Leistungen erbringenden Kantonalbank ausmache, und beleuchten die von ihnen als ungerecht beanstandeten Auswirkungen des Art. 28 Abs. 1 GebT ausserdem mit folgenden Beispielen:
Nennwert der Titel
Anzahl der Titel
Gesamtnennwert der Titel
Gebühr pro Monat
Gebühr pro Jahr
Fr.
Anzahl
Fr.
Fr.
Fr.
10.–
10000
100000.–
20000.–
2400000.–
100.–
1000
100000.–
2000.–
24000.–
1000.–
100
100000.–
200.–
2400.–
10000.–
10
100000.–
20.–
240.–
100000.–
1
100000.–
12.–
144.–
* Zahlreiche amerikanische Aktien haben einen Nennwert, der umgerechnet unter Fr. 10.- liegt.
BGE 99 III 71 S. 78
a)
Art. 16 SchKG
ermächtigt den Bundesrat, den Gebührentarif zu diesem Gesetze zu erlassen. Der Gebührentarif zum SchKG darf also (neben dem Auslagenersatz) nur Abgaben vorsehen, die den Charakter einer Gebühr haben. Hat eine im GebT vorgesehene Abgabe nicht diesen Charakter, so fehlt ihr die gesetzliche Grundlagè. Das Bundesgericht ist befugt und verpflichtet, die Vollziehungsverordnungen des Bundesrats zu Bundesgesetzen auf ihre Gesetzmässigkeit (und, falls das Bundesgesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, auch auf ihre Verfassungsmässigkeit) zu prüfen (
BGE 97 I 446
Erw. 3 und
BGE 97 II 272
Erw. 2 e mit Hinweisen, 98 I b 160 Erw. 3 a,
BGE 98 IV 135
Erw. 1b).
b) Gebühren unterstehen nach Rechtsprechung und Lehre dem sog. Kostendeckungsprinzip (
BGE 97 I 204
Erw. 6 und 334 Erw. 5 mit Hinweisen auf frühere Entscheide; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl., Band II, 1969, Nr. 412, S. 510; GRISEL, Droit administratif suisse, 1970, S. 120). Darnach soll der Gesamtertrag der Gebühren die gesamten Kosten des betreffenden Verwaltungszweigs in der Regel nicht übersteigen. Die Gesamtkosten brauchen nicht unbedingt so auf die einzelnen Verrichtungen verteilt zu werden, wie es dem dadurch verursachten Arbeits- und Kostenaufwand entspräche, sondern bei der Verteilung dürfen auch andere Momente wie die mit einer bestimmten Verrichtung verbundene Verantwortung sowie das Interesse und die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen berücksichtigt werden. Die Gebühr für eine bestimmte Verrichtung muss aber auf jeden Fall in einem vernünftigen Verhältnis zur erbrachten Leistung bleiben. Ferner muss der Tarif nach sachlich haltbaren Gesichtspunkten ausgestaltet sein und darf keine Unterscheidungen treffen, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich ist.
c) Im Lichte dieser Grundsätze ist nicht zu beanstanden, dass die Gebühr für die Verwahrung von Wertpapieren nach Art. 28 Abs. 1 GebT "je Titel" berechnet wird; denn die Verwahrung einer Mehrzahl von Titeln verursacht mehr Arbeit als die Verwahrung eines einzelnen, auch wenn es sich um mehrere gleichartige Titel handelt. Auch die Bemessung der Gebühr nach der Dauer der Verwahrung hat sachliche Gründe. Dass die Verwahrungsgebühr vom Wert des Titels abhängig gemacht wird, lässt sich im Hinblick auf die Verantwortung des Amtes und das Interesse der Beteiligten rechtfertigen. Das
BGE 99 III 71 S. 79
Abstellen auf den Nennwert statt auf den Schätzungs- bzw. Kurswert ist mindestens bei Obligationen aus praktischen Gründen vertretbar; ebenso grundsätzlich die Festsetzung der Gebühr auf nach diesem Wert abgestufte Frankenbeträge. Die "Sprünge", welche die Gebühr beim Überschreiten einer Wertstufe in ihrem absoluten Betrag und auch im prozentualen Verhältnis zum Nennwert macht, können in Kauf genommen werden, wenn die Gebühr verhältnismässig bescheiden ist. Als verhältnismässig bescheiden darf die aus Art. 28 Abs. 1 GebT sich ergebende Gebühr wenigstens dann gelten, wenn der Nennwert eines Titels Fr. 10 000.-- oder mehr beträgt. Die auf ein Jahr berechnete Verwahrungsgebühr nach Art. 28 Abs. 1 GebT überschreitet zwar bei Nennwerten unter Fr. 36 000.-- (und sogar bei gewissen höhern Nennwerten) den Satz von 1‰ des Nennwerts, der bei Obligationen für die jährliche Depotgebühr der Zürcher Kantonalbank gilt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Banken, die grosse Mengen von Titeln verwahren und verwalten, für dieses Geschäft weit besser eingerichtet sind als die Betreibungsämter und dass das Depotgeschäft den Banken abgesehen von der Depotgebühr Vorteile bringt, die bei den Betreibungsämtern ausser Betracht fallen. Eine Verwahrungsgebühr von monatlich 0,2‰ oder jährlich 2,4‰ für einen Titel im Nennwert von Fr. 10 000.-- und eine solche zwischen fast 0,3‰ und 0,2‰ pro Monat oder fast 3,6‰ und 2,4‰ pro Jahr, wie sie sich nach Art. 28 Abs. 1 GebT für Titel mit Nennwerten von mehr als Fr. 10 000.-- bis Fr. 15 000.-- ergibt, erscheinen unter diesen Umständen noch als tragbar, und zwar auch dann, wenn das Amt die Titel gemäss
Art. 9 SchKG
der Depositenanstalt übergibt. Das Amt hat in diesem Falle - abgesehen von den mit der Deponierung und der Rücknahme des Depots verbundenen Bemühungen - die Verwaltung der Titel durch die Depositenstelle zu überwachen, über die Erträgnisse Buch zu führen und darüber hinaus u.a. die nötigen Instruktionen für die Verwendung zurückbezahlter Kapitalbeträge und (bei Aktien) für die Verwendung von Bezugsrechten und eventuell für die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten zu erteilen. Seine Verantwortung wird durch die Übergabe der Titel an die Depositenanstalt nicht aufgehoben; dies im vorliegenden Falle umsoweniger, als die Depotbedingungen der Zürcher Kantonalbank vorsehen, diese besorge die Kontrolle über Verlosungen, Kündigungen
BGE 99 III 71 S. 80
und Kraftloserklärungen von Wertpapieren sowie mangels rechtzeitiger Instruktion den Verkauf von Bezugsrechten, ohne dafür eine Verantwortung zu übernehmen.
Der Aufbau des Tarifs von Art. 28 Abs. 1 GebT und dessen Auswirkungen im Falle, dass es sich um Schuldtitel mit Nennwerten von Fr. 10 000.-- oder mehr handelt, lassen sich also mit den angeführten Grundsätzen vereinbaren, auch wenn der Tarif in diesem Bereich einige Unebenheiten aufweist und dem Betreibungsamt eine eher hohe Entschädigung gewährt.
d) Bei Titeln mit wesentlich niedrigerem Nennwert kann die Anwendung von Art. 28 Abs. 1 GebT dagegen zu Belastungen führen, die den Rahmen einer Gebühr eindeutig sprengen. So steht z.B. eine Abgabe von monatlich Fr. 2.- oder jährlich Fr. 24.- je Titel für die Verwahrung von Obligationen im Nennwert von Fr. 1000.-- offensichtlich in einem groben Missverhältnis zu den Leistungen des Amtes; sie ist mit 2,4% im Jahr 24mal höher als die Depotgebühr der Bank und lässt dem Amt in vielen Fällen rund die Hälfte des Zinsertrags zufliessen. Nicht viel geringer ist die prozentuale Belastung bei den arrestierten 1000er Titeln in fremder Währung, deren Nennwert das Betreibungsamt zu einem Kurs von 120% in Schweizerfranken umgerechnet hat. Bei Obligationen mit Nennwerten unter Fr. 1000.--, wie sie sich in grosser Zahl unter den arrestierten Titeln fanden, ist das Missverhältnis noch weit krasser (vgl. die Beispiele der Rekurrentinnen). Die in Art. 28 Abs. 1 GebT enthaltene Regel, dass die Gebühr bei Titeln im Nennwert bis zu Fr. 10 000.-- monatlich Fr. 2.- oder jährlich Fr. 24.- je Titel beträgt, ist also durch
Art. 16 SchKG
nicht gedeckt und darf deshalb nicht angewendet werden, soweit Titel mit Nennwerten von wesentlich weniger als Fr. 10 000.-- in Frage stehen. Die Gebührenberechnung des Betreibungsamtes, die sich auch hinsichtlich solcher Titel auf die erwähnte Regel stützt, ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.
e) Es bleibt dem Bundesrat vorbehalten, die Regelung des Art. 28 Abs. 1 GebT, soweit sie nach dem Gesagten gesetzwidrig ist, durch eine neue, mit dem Gesetz vereinbare Regelung zu ersetzen. Verschiedene Lösungen sind dabei denkbar.
Die Lücke, die der GebT bis zum Erlass einer neuen Bestimmung hinsichtlich der Gebühr für die Verwahrung von Wertpapieren mit Nennwerten unter Fr. 10 000.-- aufweist, lässt sich wenigstens für Fälle wie den vorliegenden auf Grund der
BGE 99 III 71 S. 81
Erwägung ausfüllen, dass die Belastung mit einer Gebühr von praktisch 0,3‰ pro Monat oder 3,6‰ pro Jahr, wie sie sich nach Art. 28 Abs. 1 GebT bei einem knapp über Fr. 10 000.-- liegenden Nennwert ergibt, gerade noch als zulässig gelten kann. Die in Art. 28 Abs. 1 GebT für Titel mit Nennwerten bis zu Fr. 10 000.-- vorgesehene Gebühr von monatlich Fr. 2.- oder jährlich Fr. 24.- darf demnach erhoben werden, wenn der Nennwert Fr. 6667.-- erreicht oder übersteigt (Fr. 24.- = 3,6‰ von Fr. 6667.--). Ist der Nennwert niedriger, so muss die Gebühr auf monatlich 0,3 oder jährlich 3,6‰ des Nennwerts beschränkt bleiben. (Die Frage, ob dem Amt bei Verwahrung von nur wenigen Titeln mit geringem Nennwert allenfalls eine über diesem Ansatz liegende Mindestgebühr zuzugestehen wäre, stellt sich im vorliegenden Falle nicht).
Die auf fremde Währungen lautenden Nennwerte der im vorliegenden Fall in Verwahrung genommenen Obligationen sind zwecks Berechnung der Verwahrungsgebühr zum Wechselkurs, der zu Beginn der Verwahrung galt, in Schweizerfranken umzurechnen.
Wird demgemäss für die Titel in deutscher Währung ein Wechselkurs von rund 118.--, für die Titel in französischer Währung ein solcher von rund 75.- und für die Titel in holländischer Währung ein solcher von rund 117.-- eingesetzt, so ergibt sich für die 10 Obligationen zu hfl. 10 000.-- ein Nennwert von je Fr. 11 700.-- und eine Verwahrungsgebühr von monatlich insgesamt Fr. 30.-. Bei allen übrigen Titeln ergibt die Umrechnung einen unter Fr. 6667.-- liegenden Nennwert; ihr Gesamtnennwert beträgt umgerechnet Fr. 1 555 350.--, die Gebühr für ihre Verwahrung also monatlich 0,3‰ hievon = Fr. 466.60. Die monatliche Gebühr für die Verwahrung aller arrestierten Titel beläuft sich somit auf (Fr. 30.- + Fr. 466.60 =) Fr. 496.60.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass die im Arrestverfahren Nr. 21/1972 des Betreibungsamtes Zürich 2 neben der Depotgebühr der Zürcher Kantonalbank zu entrichtende Verwahrungsgebühr im Sinne von Art. 28 Abs. 1 GebT auf monatlich Fr. 496.60 festgesetzt wird. Im übrigen wird der Rekurs abgewiesen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3ba05da2-803d-474f-96f6-853903cbed23 | Urteilskopf
111 II 230
47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. September 1985 i.S. X. (Berufung) | Regeste
Adoption eines Unmündigen (
Art. 264 ZGB
).
Das mindestens zweijährige Pflegeverhältnis zwischen den künftigen Adoptiveltern und dem Kind muss in Form einer eigentlichen Hausgemeinschaft bestanden haben. Dass das zu adoptierende Kind in 17 Jahren insgesamt 262 Ferienwochen beim adoptionswilligen Stiefvater verbracht hat, genügt dieser Anforderung nicht. | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 111 II 230 S. 231
Mit Eingabe vom 30. Mai 1984 stellte A. X. beim kantonalen Justizdepartement ein Gesuch um Adoption des am 10. September 1964 geborenen B. Y., des vorehelichen Sohnes seiner Ehefrau. Bis Mitte 1983 hatte B. Y. in Deutschland bei seiner Grossmutter, C. Y., gelebt.
Durch Beschluss vom 17. April 1985 wies der Staatsrat das Adoptionsgesuch ab.
Gegen diesen Entscheid hat A. X. beim Bundesgericht Berufung eingereicht mit dem Antrag, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und es sei die Adoption von B. Y. durch ihn auszusprechen.
Der Staatsrat schliesst auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 264 ZGB
darf ein Kind adoptiert werden, wenn ihm die künftigen Adoptiveltern während wenigstens zweier Jahre Pflege und Erziehung erwiesen haben und nach den gesamten Umständen zu erwarten ist, die Begründung eines Kindesverhältnisses diene seinem Wohl, ohne andere Kinder der Adoptiveltern in unbilliger Weise zurückzusetzen. Ein Ehegatte darf das Kind des andern adoptieren, wenn er zwei Jahre verheiratet gewesen ist oder das 35. Altersjahr zurückgelegt hat (
Art. 264a Abs. 3 ZGB
).
2.
Zur Begründung seines Entscheides hat der Staatsrat auf den Bericht des kantonalen Justiz- und Polizeidepartements (Abteilung Zivilstandswesen) vom 15. April 1985 verwiesen, worin die Auffassung vertreten worden war, das Erfordernis des mindestens zweijährigen Pflegeverhältnisses sei im Falle des Berufungsklägers nicht erfüllt. In ihrer Vernehmlassung vom 23. Juli 1985 hat die Vorinstanz diesen Standpunkt ausdrücklich bestätigt.
Dass vor der Adoption ein Pflegeverhältnis von mindestens zwei Jahren bestanden haben muss, ist eine zwingende gesetzliche Voraussetzung (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 12. Mai 1971 über die Änderung des Zivilgesetzbuches, Adoption und
Art. 321 ZGB
, BBl 1971 I/2, S. 1217). Durch das zweijährige Pflegeverhältnis soll
BGE 111 II 230 S. 232
der Beweis dafür erbracht werden, dass es nicht nur zu einer bloss oberflächlichen, sondern zu einer dauerhaften seelisch-geistigen Beziehung zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind gekommen ist, wie sie in der Regel dem Verhältnis zwischen einem Kind und seinen natürlichen Eltern eigen ist. Es soll das Zusammenleben im Alltag erprobt worden sein; die Beteiligten sollen die Gelegenheit gehabt haben, sich aneinander zu gewöhnen. Diese Funktion kann das vom Gesetz verlangte Pflegeverhältnis naturgemäss nur dann erfüllen, wenn die Adoptiveltern das Kind im eigenen Heim aufnehmen und es persönlich betreuen. Die Adoption eines Unmündigen ist deshalb offensichtlich unstatthaft, wenn die Adoptiveltern das Kind wohl finanziell unterstützt, es aber nur gelegentlich, etwa während der Ferien, zu sich genommen haben (
BGE 101 II 9
E. 2). Die Auffassung, dass aus den erwähnten Gründen ein Kind mit seinen künftigen Adoptiveltern in einer eigentlichen Hausgemeinschaft gelebt haben müsse, wird von der Lehre geteilt (vgl. SCHNYDER, Supplement Kindesrecht zu TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 9. Aufl., S. 27; HEGNAUER, N. 29 und 35 zu
Art. 264 ZGB
und Grundriss des Kindesrechts, 2. Aufl., S. 69; HESS, Die Adoption in rechtlicher und sozialpädagogischer Sicht, S. 14; EICHENBERGER, Die materiellen Voraussetzungen der Adoption Unmündiger nach neuem schweizerischem Adoptionsrecht, Diss. Freiburg, S. 127 ff.).
3.
Nach den Vorbringen in der Berufungsschrift ist B. Y. erst seit dem 31. Juli 1984 in O., dem Wohnort des Berufungsklägers, angemeldet. Die kantonale Fremdenkontrolle stellte ihm am 28. August 1984 eine Niederlassungsbewilligung aus. Der Berufungskläger macht demnach zu Recht nicht geltend, sein Stiefsohn habe während mindestens zweier Jahre mit ihm und seiner Ehefrau in Hausgemeinschaft gelebt.
Er beruft sich indessen darauf, dass B. Y. seit April 1967, d. h. seit der Heirat der Eheleute X.-Y., insgesamt 262 Ferienwochen bei ihnen verbracht habe. Dieses Vorbringen ist indessen unbehelflich. Da sich diese Aufenthalte jeweils nur über eine verhältnismässig kurze Dauer erstreckt haben, können sie in qualitativer Hinsicht nicht mit einem zweijährigen Pflegeverhältnis im Sinne des oben Angeführten verglichen werden. Dass sie zusammengerechnet weit mehr als zwei Jahre ausmachen, vermag daran ebensowenig etwas zu ändern, wie der Umstand, dass die elterliche Gewalt über B. Y. seiner Mutter, der Ehefrau des Berufungsklägers, zustand und dass sich dessen gesetzlicher Wohnsitz somit seit
BGE 111 II 230 S. 233
Jahren in O. befand. Unbehelflich ist nach dem Gesagten auch der Hinweis des Berufungsklägers darauf, dass er all die Jahre hindurch mit B. Y. in engem persönlichem Kontakt gestanden habe.
Es ist richtig, dass kürzere Abwesenheiten des zu adoptierenden Kindes (Ferien, Spital- oder Studienaufenthalt usw.), wie sie bei jedem Eltern-Kind-Verhältnis vorkommen können, die zweijährige Frist des
Art. 264 ZGB
nicht zu unterbrechen vermögen (vgl. HEGNAUER, N. 37 zu
Art. 264 ZGB
). Indessen lassen sich die hier gegebenen Umstände mit einem Fall der erwähnten Art in keiner Weise vergleichen.
Aus dem Gesagten erhellt, dass die Vorinstanz mit der Abweisung des Adoptionsgesuches nicht gegen Bundesrecht verstossen hat. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3ba05ff4-4568-42d9-b548-1fa63b6be81e | Urteilskopf
118 II 172
35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Februar 1992 i.S. G. & Cie. AG und 1 Mitbeteiligter gegen Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Einspruch gegen den Kaufvertrag über landwirtschaftliche Liegenschaften (
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
).
Wer über den ausgewiesenen Bedarf hinaus landwirtschaftliches Land erwirbt, handelt - unabhängig davon, welche Absicht diesem Erwerb zugrunde liegt oder welchem Zweck er dient - den Zielen des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes zuwider (E. 1).
Güteraufkauf liegt im vorliegenden Fall vor, wo ein Grundeigentümer, der bereits über 3 ha in der Landwirtschaftszone gelegenes Land verfügt, für verlorengehende Bewirtschaftungsfläche weitere 2 ha landwirtschaftliches Land zugekauft hat (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 118 II 172 S. 173
Die G. & Cie. AG hatte durch Kaufvertrag vom 27. Oktober 1989 von Sch. vier landwirtschaftliche Liegenschaften im Halte von 225,5 a zum Preis von Fr. 600'000.-- erworben. Hiegegen erhob das Kantonale Bodenamt Einspruch, der vom Direktor der Landwirtschaft des Kantons Bern bestätigt wurde.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die von der Käuferin und vom Verkäufer erhobene Beschwerde ab; und auch das Bundesgericht wies die in der Folge bei ihm eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gegen Kaufverträge über landwirtschaftliche Liegenschaften kann gemäss
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
namentlich Einspruch erhoben werden, wenn der Käufer die Liegenschaft offensichtlich zum Zwecke des Güteraufkaufs erwirbt. Güteraufkauf liegt vor, falls
BGE 118 II 172 S. 174
über den ausgewiesenen Bedarf hinaus landwirtschaftliches Land gekauft wird (
BGE 115 II 379
E. 8c).
Der Bedarf ist nicht erst in diesem jüngsten veröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts, sondern in der Rechtsprechung seit jeher als ein bestimmendes Merkmal dafür betrachtet worden, ob Güteraufkauf (accaparement, accaparramento) vorliege oder nicht; und er ist denn auch in der Begriffsumschreibung des Güteraufkaufs stets besonders erwähnt worden (
BGE 95 I 187
E. 3,
BGE 92 I 322
E. 3,
BGE 83 I 316
). Selbst wenn der Hauptakzent - einleitend auch noch in
BGE 115 II 378
E. 8a - auf die den romanischen Gesetzestexten entnommene Absicht des Käufers gelegt worden sein mag und daher zusätzlich gesagt worden ist, der Käufer müsse über seinen Bedarf hinaus "möglichst viele" landwirtschaftliche Güter zusammenkaufen wollen, so ist doch das Kriterium des Bedarfes auschlaggebend geblieben. Der Gedanke des Bedarfes findet seinen Ausdruck überdies in
Art. 19 Abs. 1 lit. b EGG
, wonach Einspruch erhoben werden kann, wenn der Käufer bereits Eigentümer so vieler landwirtschaftlicher Liegenschaften ist, dass sie ihm und seiner Familie eine auskömmliche Existenz bieten. Wenn in
BGE 115 II 379
E. 8c als wesentliches Merkmal des Güteraufkaufs allein die Tatsache bezeichnet worden ist, dass über den ausgewiesenen Bedarf hinaus landwirtschaftliches Land erworben werde, so ist dadurch der Begriff des Güteraufkaufs nicht neu oder anders umschrieben worden. Vielmehr ist nur klarer als früher herausgearbeitet worden, worauf es bereits nach der bisherigen Rechtsprechung entscheidend angekommen ist: Schon wer über den ausgewiesenen Bedarf hinaus landwirtschaftliches Land erwirbt, handelt - unabhängig davon, welche Absicht (vgl. den französischen und den italienischen Gesetzestext) diesem Erwerb zugrunde liegt oder welchem Zweck (vgl. den deutschen Gesetzestext) er dient - den in Art. 1 umschriebenen Zielen des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes zuwider, das den bäuerlichen Grundbesitz als Träger eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes schützen will.
2.
Daraus erhellt, dass mit
BGE 115 II 378
f. keine "Wende" in der Rechtsprechung des Bundesgerichts eingetreten ist, wie dies die Beschwerdeführer darzustellen versuchen, die den Entscheid zudem als nicht verständlich bezeichnen und sagen, er sei mit dem Gesetz nicht mehr in Einklang zu bringen. Die Rechtsprechung braucht deshalb nicht überdacht zu werden, und es muss auch nicht auf die Vorbringen der Beschwerdeführer weiter eingegangen werden, die auf der Prämisse fussen, dass an dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid
BGE 118 II 172 S. 175
nicht festgehalten werden könne. Davon, dass der Güteraufkauf - wie es das Gesetz verlangt - offensichtlich sein müsse, ist das Bundesgericht nie abgegangen. Indessen ist die Offensichtlichkeit regelmässig gegeben, wenn in einem Umfang landwirtschaftliches Land erworben wird, der deutlich über den Richtschnur bildenden Bedarf des Käufers hinausgeht.
Der Auffassung des Bundesamtes für Justiz, es müsse bei der Gesetzesauslegung dem enormen Wandel in den landwirtschaftlichen Strukturen seit Erlass des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes im Jahr 1952 wie auch der hängigen Revision des bäuerlichen Bodenrechts Rechnung getragen werden, wonach für den Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke das Arrondierungsprinzip gelte, kann nicht gefolgt werden. Neues Recht wird erst mit seinem Inkrafttreten wirksam, so dass es grundsätzlich ausgeschlossen ist, schon vorher direkt oder indirekt darauf abzustellen. Zwischen dem geltenden Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes und dem Entwurf eines Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht (BBl 1988 III, S. 1108 ff.) bestehen in der Umschreibung der Gründe und der Voraussetzungen des Einspruchs ausserdem grundlegende Unterschiede, die auch materiell das vom Bundesamt für Justiz angeregte Vorgehen als unzulässig erscheinen lassen. So ist im Entwurf namentlich der Einsprachegrund des Güteraufkaufs fallengelassen worden; und für die Zulässigkeit der Aufstockung landwirtschaftlichen Grundeigentums wird nicht mehr, wie in
Art. 19 Abs. 1 lit. b EGG
, die "auskömmliche Existenz" einer bäuerlichen Familie massgeblich sein, sondern - wesentlich weiter gehend - deren "überdurchschnittlich gute Existenz".
3.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat, zumal die Beschwerdeführer insoweit keine Rüge im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
erheben, für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass die G. & Cie. AG für die Erweiterung ihrer Lagerbetriebe rund 90 a in der Industriezone gelegenes Kulturland benötigt, welches als Teil des ihr gehörenden Mangehofes verpachtet ist, und dass sie zum Ausgleich für die dem Pächter des Mangehofes dadurch verlorengehende Bewirtschaftungsfläche von Sch. über 2 ha landwirtschaftliches Land zugekauft hat, selber jedoch bereits über weiteres in der Landwirtschaftszone gelegenes Land von gegen 3 ha verfügt.
Daraus ergibt sich, dass der Zukauf von landwirtschaftlichem Land durch den Kaufvertrag, gegen welchen vom Kantonalen Bodenamt Einspruch erhoben worden ist, den ausgewiesenen Bedarf der G. &
BGE 118 II 172 S. 176
Cie. AG eindeutig übersteigt. Nach der von der Rechtsprechung gegebenen Begriffsumschreibung (oben E. 1) liegt daher ein offensichtlicher Fall von Güteraufkauf vor. Da es - wie dargelegt - auf die Motive des Grundstückerwerbs nicht ankommt, ist das, was die Beschwerdeführer diesbezüglich vorbringen, unbehelflich; und es erübrigt sich deshalb auch, entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführer die Sachverhaltsfeststellungen zu ergänzen. Wie das Verwaltungsgericht in seiner Vernehmlassung zutreffend bemerkt, wäre es unverständlich, wenn sich ein Landwirt bei Arrondierung seines Heimwesens nach Massgabe von
Art. 19 Abs. 1 lit. b EGG
die an Dritte verpachteten landwirtschaftlichen Grundstücke anrechnen lassen müsste, ein Nichtlandwirt aber keiner derartigen Einschränkung unterläge. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3ba3dcf8-2502-416e-84c3-913c3e01363e | Urteilskopf
120 IV 164
26. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 3. Juni 1994 i.S. A. gegen Bundesamt für Kommunikation | Regeste
Art. 46 Abs. 1,
Art. 47 VStrR
. Beschlagnahme beim Inhaber.
Für die Beschlagnahme von Gegenständen gemäss
Art. 46 Abs. 1 VStrR
beim Inhaber und geschäftsführenden Miteigentümer der Firma genügt es, dass gegen diesen eine Strafuntersuchung eröffnet wurde; es ist nicht erforderlich, dass dies ausdrücklich auch gegenüber den anderen Miteigentümern bzw. der Firma geschehen ist.
Die Beschlagnahme ist allen unmittelbar Betroffenen - in erster Linie bei der Beschlagnahme nicht anwesenden Eigentümern - mitzuteilen, soweit die Verwaltung von ihnen Kenntnis hat.
Die Beschlagnahmeverfügung wird durch die Verfügung über die Einziehung der beschlagnahmten Gegenstände ersetzt. | Sachverhalt
ab Seite 165
BGE 120 IV 164 S. 165
A.-
Am 22. März 1993 eröffnete das Bundesamt für Kommunikation eine Strafuntersuchung gegen D. wegen des Verdachts auf eine Widerhandlung im Sinne von Art. 57 des Fernmeldegesetzes (FMG; SR 784.10). Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, vom 23. September 1992 bis 11. November 1993 insgesamt 2216 nicht zugelassene Teilnehmeranlagen (schnurlose Telefone) in Verkehr gebracht zu haben.
Gestützt auf einen Durchsuchungsbefehl des Direktors des Bundesamtes für Kommunikation wurden am 11. November 1993 die Geschäftsräumlichkeiten von D. durchsucht. Dabei wurden u.a. 54 nicht zugelassene Teilnehmeranlagen beschlagnahmt.
Mit Strafbescheid vom 19. April 1994 wurde D. wegen vorsätzlicher Widerhandlung im Sinne von
Art. 57 Abs. 1 lit. d FMG
zu einer Busse von Fr. 100'000.-- verurteilt; Fr. 66'480.-- wurden als unrechtmässiger Gewinn eingezogen; weiter wurde die Einziehung und Vernichtung der beschlagnahmten Geräte verfügt.
B.-
Mit Beschwerde vom 27. April 1994 beantragt A. der Anklagekammer des Bundesgerichts, die beschlagnahmten Geräte seien ihr als Miteigentümerin der Firma D. & A. zurück- und für den Export freizugeben.
Das Bundesamt für Kommunikation beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gegen die Beschlagnahme und damit zusammenhängende Amtshandlungen kann innert drei Tagen, nachdem der Beschwerdeführer von der Amtshandlung Kenntnis erhalten hat, bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde geführt werden (
Art. 26 ff. VStrR
; SR 313.0).
b) Die beanstandete Beschlagnahme wurde am 11. November 1993 durchgeführt. Bei der Beschlagnahme anwesend war u.a. der Geschäftsführer D.: Dieser ist nach der Darstellung der Beschwerdeführerin mit ihr zusammen Miteigentümer der Firma D. & A.; Eigentümer der beschlagnahmten Geräte sei die Firma D. & A. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe erst am 26. April 1994
BGE 120 IV 164 S. 166
von der Beschlagnahme Kenntnis erhalten.
c) Gegenstände, die gemäss
Art. 46 Abs. 1 lit. a und b VStrR
als Beweismittel von Bedeutung sein können oder voraussichtlich der Einziehung unterliegen, können gemäss
Art. 47 VStrR
beim jeweiligen Inhaber beschlagnahmt werden, unbekümmert darum, ob dieser auch Eigentümer des betreffenden Gegenstandes ist. Die Beschlagnahme setzte somit entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht voraus, dass neben der Untersuchung gegen D. auch gegen sie bzw. gegen die Firma D. & A. eine Strafuntersuchung eröffnet wurde. Die Zulässigkeit der Beschlagnahme hängt nicht davon ab, ob der mit Beschlag zu belegende Gegenstand sich in Händen des Eigentümers oder eines Dritten befindet, denn die Beschlagnahme stellt lediglich eine provisorische prozessuale Massnahme zur vorläufigen Beweissicherung dar, die nicht ausführlich begründet werden muss und die aufgehoben wird, wenn sich der bestehende Verdacht im Laufe der Untersuchung als unbegründet erweist und der beschlagnahmte Gegenstand nicht eingezogen werden muss. Sie greift dem Entscheid über die endgültige Einziehung nicht vor, zumal die Rechte anspruchsberechtigter Dritter gemäss dem im Verwaltungsstrafrecht ebenfalls (
Art. 2 VStrR
) anwendbaren
Art. 58bis StGB
ausdrücklich vorbehalten sind; die entsprechenden Ansprüche erlöschen erst fünf Jahre nach der amtlichen Bekanntmachung der Einziehung. Der Einwand eines Beschwerdeführers, er sei rechtmässiger Eigentümer des beschlagnahmten Gegenstandes ist daher erst beim Entscheid über eine allfällige (definitive) Einziehung zu prüfen.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welchen weiteren Personen die im Beisein des Inhabers der Gegenstände durchgeführte Beschlagnahme mitgeteilt werden muss. Wer als Adressat der Mitteilung der Beschlagnahme in Betracht fällt, entscheidet sich nicht allein nach
Art. 47 VStrR
, sondern nach
Art. 28 Abs. 1 VStrR
. Danach ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Amtshandlung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung hat. Eine Beschlagnahme ist daher allen davon unmittelbar Betroffenen mitzuteilen, sofern diese mit dem Inhaber nicht identisch sind und soweit die Verwaltung von ihnen Kenntnis hat. Betroffen in diesem Sinn ist in erster Linie der bei der Beschlagnahme nicht anwesende Eigentümer des beschlagnahmten Gegenstandes, weshalb diesem die Massnahme mitzuteilen ist, was in der Regel durch Zustellung des Beschlagnahmeprotokolls geschehen wird. Der Beweis für die Mitteilung der
BGE 120 IV 164 S. 167
Zwangsmassnahme obliegt dabei der Verwaltung (unveröffentlichte E. 2 von
BGE 110 IV 112
). Aus den Akten ergeben sich indessen im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die untersuchenden Beamten aufgrund von Hinweisen des Inhabers der beschlagnahmten Geräte oder anderen Indizien bei der Beschlagnahme oder im weiteren Verlauf des Verfahrens hätten erkennen können, dass weitere Personen an den Geräten Eigentumsansprüche geltend machen könnten. Im übrigen darf vorausgesetzt werden, dass der Miteigentümer, der die Geschäftsführung besorgt, allfällige weitere Eigentümer über eine Beschlagnahme von Waren informiert oder zumindest gegenüber den untersuchenden Beamten anlässlich der Beschlagnahme einen entsprechenden Vermerk im Beschlagnahmeprotokoll anbringt oder anbringen lässt. Es bestand somit auch kein Anlass, die Beschlagnahme weiteren Personen mitzuteilen.
Die Beschwerdeführerin erlitt indessen durch die Nichtmitteilung der Beschlagnahme keinen Nachteil. Denn die im Strafbescheid gegen den Geschäftsführer D. verfügte Einziehung und Vernichtung der beschlagnahmten Geräte ersetzte die vorläufige Beschlagnahmeverfügung, die damit dahingefallen ist. Soweit sich die Beschwerde daher gegen die durchgeführte Beschlagnahme richtet, ist darauf nicht einzutreten.
Die Einwände, die die Beschwerdeführerin gegenüber der Beschlagnahme vorbringt, kann sie auch noch im Einspracheverfahren gegen die Einziehungsverfügung geltend machen: Nachdem die Beschwerdeführerin am 26. April 1994 von der Einziehung Kenntnis erhielt, konnte sie sich gemäss
Art. 67 Abs. 1 VStrR
als Betroffene direkt gegen die verfügte Einziehung mit Einsprache an das Bundesamt für Kommunikation wenden und ihre Ansprüche geltend machen. Soweit die Beschwerdeführerin daher in ihrer Eingabe die Rückgabe der beschlagnahmten Geräte verlangt, hat das Bundesamt für Kommunikation diese als - fristgerecht erfolgte - Einsprache gegen den Einziehungsentscheid vom 19. April 1994 entgegenzunehmen. Die Akten werden daher von Amtes wegen dem Bundesamt für Kommunikation überwiesen. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3ba71152-516d-469e-bbf0-8a4e58707161 | Urteilskopf
105 V 66
17. Auszug aus dem Urteil vom 8. Mai 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Scotoni und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 42 IVG
und 35 Abs. 1 IVV.
Entstehung des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung: sinngemässe Anwendung der Regeln über die Entstehung des Rentenanspruchs gemäss
Art. 29 Abs. 1 IVG
. | Erwägungen
ab Seite 66
BGE 105 V 66 S. 66
Aus den Erwägungen:
II.1.
Gemäss
Art. 42 Abs. 1 IVG
haben in der Schweiz wohnhafte invalide Versicherte, die hilflos sind, Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Als hilflos gilt nach Abs. 2 der Bestimmung, wer wegen der Invalidität für die alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf. Nach
Art. 42 Abs. 3 IVG
wird die Entschädigung nach dem Grad der Hilflosigkeit bemessen;, sie entspricht mindestens 20% und höchstens 80% des Mindestbetrages der einfachen Altersrente gemäss
Art. 34 Abs. 2 AHVG
.
BGE 105 V 66 S. 67
Nach
Art. 35 Abs. 1 IVV
entsteht der Anspruch auf die Hilflosenentschädigung am ersten Tag des Monats, in dem sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
II.2.
Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass das Gesetz für den Anspruch auf Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung - im Gegensatz zu
Art. 43bis Abs. 2 AHVG
- keine Wartezeit vorschreibt. Nach
Art. 42 Abs. 2 IVG
gilt jedoch nur als hilflos, wer dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf. Dieses Erfordernis ist nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis erfüllt, wenn der die Hilflosigkeit begründende Zustand weitgehend stabilisiert und im wesentlichen irreversibel ist, wenn also analoge Verhältnisse wie bei der ersten Variante von
Art. 29 Abs. 1 IVG
gegeben sind. Ferner ist das Erfordernis der Dauer als erfüllt zu betrachten, wenn die Hilflosigkeit während 360 Tagen ohne wesentlichen Unterbruch gedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird (2. Variante). Da der Anspruch auf Hilflosenentschädigung nicht von einem allfälligen Rentenanspruch abhängig ist, entsteht er im Falle der ersten Variante somit im Zeitpunkt, in dem die leistungsbegründende Hilflosigkeit als bleibend vorausgesehen werden kann, und im Falle der zweiten Variante nach Ablauf der 360 Tage, sofern weiterhin mit einer Hilflosigkeit der vorausgesetzten Art zu rechnen ist (EVGE 1969 S. 112, ZAK 1970 S. 71; vgl. auch Rz 310 ff. der Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit).
An dieser Praxis ist festzuhalten. Sie entspricht der gesetzlichen Regelung, wonach kurzfristige Hilfs- und Überwachungsbedürftigkeit keinen Leistungsanspruch begründet und wonach der Anspruch auf Hilflosenentschädigung eine Invalidität voraussetzt. Als Invalidität gilt nach
Art. 4 IVG
die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit, wobei der Gesetzgeber in
Art. 29 Abs. 1 IVG
als "längere Zeit dauernd" eine Zeitspanne von mindestens 360 Tagen bewertet hat. Die Rechtsprechung hat dieser Abgrenzung im Rahmen von
Art. 4 IVG
allgemeine Bedeutung zuerkannt (vgl. ZAK 1973 S. 294 und 646). Da
Art. 42 IVG
sinngemäss auf
Art. 4 IVG
verweist, hat sie auch auf den Anspruch auf Hilflosenentschädigung Anwendung zu finden. Dem steht nicht entgegen, dass der Anspruch auf die Hilflosenentschädigung nach
Art. 35 Abs. 1 IVV
am ersten Tag des Monats entsteht, "in dem sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind". | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3ba76831-4943-4a73-829c-67c2980343da | Urteilskopf
107 III 139
32. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Oktober 1981 i.S. Bigla AG in Nachlassliquidation gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (Direktprozess) | Regeste
Verrechnung einer privatrechtlichen Forderung gegen den Bund mit einem öffentlichrechtlichen Anspruch des Bundes.
1. Die Frage, ob eine privatrechtliche Forderung einer Person gegen eine Verwaltungsabteilung des Bundes mit einem öffentlichrechtlichen Anspruch einer andern Verwaltungsabteilung gegen dieselbe Person verrechnet werden kann, ist nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern auf dem Zivilweg zu entscheiden (E. 1).
2. Die PTT kann als Verwaltungsabteilung des Bundes eine gegen sie gerichtete Forderung einer Person mit einer Forderung der Eidgenössischen Steuerverwaltung gegen dieselbe Person verrechnen (E. 2).
3. Art. 213 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 316m SchKG
schliesst die Verrechnung nur für Forderungen aus, deren Rechtsgrund in Tatsachen liegt, die nach der Bekanntmachung der Nachlassstundung eingetreten sind (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 140
BGE 107 III 139 S. 140
A.-
Der Bigla AG, Biglen, wurde am 17. April 1979 eine Nachlassstundung bewilligt, die am 21. April 1979 im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht wurde. Am 3. Oktober 1979 genehmigte die zuständige Nachlassbehörde den von der Schuldnerin vorgelegten Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung und ernannte die Schweizerische Treuhandgesellschaft zur Liquidatorin.
In der Zeit vom 1. bis 11. Mai 1979, also während der Nachlassstundung, belieferte die Bigla AG die PTT mit Büromobiliar, wofür am 14. Mai 1979 eine Rechnung über den Betrag von Fr. 10'357.-- gestellt wurde. Die Lieferungen hatten auf Bestellungen basiert, die zwischen dem 24. Februar 1978 und dem 6. März 1979, somit durchwegs vor Bewilligung der Nachlassstundung, erfolgt waren.
Im Nachlassverfahren meldete die Eidgenössische Steuerverwaltung am 11. Mai 1979 eine Warenumsatzsteuerforderung von Fr. 463'769.-- an und behielt sich Verrechnungen mit Guthaben der Nachlassschuldnerin bei anderen Bundesstellen vor. In der Folge meldete sie verschiedene derartige Guthaben an, mit Schreiben vom 28. August 1979 u.a. auch die hier streitige Rechnung an die PTT vom 14. Mai 1979 über Fr. 10'357.--. Die Liquidatorin der Bigla AG bestritt das Verrechnungsrecht der Eidgenossenschaft.
B.-
Mit Klageschrift vom 25. Februar 1981 reichte die Liquidatorin gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) Klage auf Bezahlung von Fr. 10'357.-- nebst 5% Zins seit 14. Juli 1979 ein. Die Beklagte beantragte mit der Klageantwort vom 10. April 1981 Abweisung der Klage.
BGE 107 III 139 S. 141
Mit Verfügung vom 14. Juli 1981 erklärte der Instruktionsrichter den Schriftenwechsel für geschlossen und verfügte, dass ausser den von den Parteien eingereichten Urkunden keine weiteren Beweise erhoben würden.
Beide Parteien verzichteten auf die Durchführung einer mündlichen Vorbereitungsverhandlung im Sinne von
Art. 35 Abs. 4 BZP
.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 3 Abs. 3 lit. a des PTT-Organisationsgesetzes (PTT-OG, SR 781.0) sind "andere" zivilrechtliche Klagen, d.h. solche, die nicht gemäss Abs. 2 der genannten Bestimmung Ansprüche aus Haftpflicht oder aus dem Strassenverkehr zum Gegenstand haben, beim Bundesgericht anzubringen, sofern der Streitwert wenigstens Fr. 8'000.-- beträgt. Das entspricht auch der Regel von
Art. 41 lit. b OG
. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 72 I 377
ff. E. 2 und stillschweigend auch
BGE 91 I 293
; vgl. auch
BGE 102 Ib 106
und GRISEL, Droit administratif suisse, S. 345 f.) stellt die Verrechnungserklärung einer Verwaltungsbehörde nicht eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwG dar, die der Verwaltungs- und allenfalls der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegt, sondern eine Parteierklärung im Rahmen eines Verfahrens zur Geltendmachung eines öffentlichrechtlichen Anspruches auf Geldzahlung. In einem Urteil vom 20. Februar 1981 (i.S. Caisse de compensation du bâtiment et des travaux publics Genève c. Confédération suisse) hat das Bundesgericht diese Betrachtungsweise nach nochmaliger Erörterung der Frage bestätigt. Von dieser nunmehr gefestigten Rechtsprechung abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall umsoweniger Anlass, als hier die Klägerin als Privatperson vom Bund die Zahlung einer Geldsumme fordert und ihr demzufolge der durch
Art. 3 Abs. 3 lit. a PTT-OG
und
Art. 41 lit. b OG
zur Verfügung gestellte Rechtsweg nicht verwehrt werden kann. Die geltend gemachte Kaufpreisforderung für eine Warenlieferung an den Bund ist zivilrechtlicher Natur, und auch die Frage der Zulässigkeit der Verrechnung ist im wesentlichen nach Bundeszivilrecht zu entscheiden. Verwaltungsrechtliche Gesichtspunkte sind lediglich mit Bezug auf die Vorfrage, ob und wieweit PTT und Steuerverwaltung selbständige Rechtssubjekte oder lediglich Verwaltungsabteilungen der Eidgenossenschaft seien, massgebend. Der Streitwert von Fr. 8'000.-- ist überschritten. Er entspricht zwar nicht dem
BGE 107 III 139 S. 142
Betrag der Klageforderung von Fr. 10'357.--, weil diese Forderung an sich unbestritten ist und der Prozess sich lediglich um die Zulässigkeit der Verrechnung dreht. Wird diese bejaht, erhält die Eidgenossenschaft im Umfang der Klageforderung volle Deckung für den entsprechenden Teil ihrer Warenumsatzsteuerforderung; andernfalls muss sie sich dafür mit der auf die Forderungen der fünften Klasse zu erwartenden Dividende begnügen. Nach einer bei der Liquidatorin eingeholten Auskunft ist für die Forderungen der fünften Klasse eine Dividende von 3 bis 4% zu erwarten. Der Streitwert beläuft sich also auf ungefähr Fr. 10'000.--. Auf die Klage ist somit einzutreten.
2.
Die Klägerin bestreitet der Eidgenossenschaft das Verrechnungsrecht mit der Begründung, die PTT und die Eidgenössische Steuerverwaltung seien zwei verschiedene Organisationen. Indessen kommt den PTT keine eigene Rechtspersönlichkeit zu, sondern sie sind ein Verwaltungszweig des Bundes, der zwar wohl weitgehende Selbständigkeit, nicht aber eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (
Art. 1 PTT-OG
; BBl 1968 I S. 998 und 1004;
BGE 103 II 236
; TUASON/ROMANENS, Das Recht der schweizerischen PTT-Betriebe, 3. Aufl. S. 2; URSPRUNG, ZBl 80/1979 S. 155). Daraus folgt, dass Forderungen der PTT oder gegenüber den PTT direkt der Eidgenossenschaft zustehen (TUASON/ROMANENS, a.a.O.), wie auch Grundstücke, die Zwecken der PTT dienen, Eigentum des Bundes sind (
BGE 103 II 227
ff.). Anderseits stehen selbstverständlich auch Warenumsatzsteuerforderungen dem Bund zu. Der Schuldner der Kaufpreisforderung der Klägerin ist somit mit dem Gläubiger der Warenumsatzsteuerschuld der Klägerin identisch, und umgekehrt ist der Gläubiger der Kaufpreisforderung auch gleichzeitig der Schuldner der Warenumsatzsteuer. Bei beiden Ansprüchen handelt es sich um Geldforderungen, so dass die Verrechnung grundsätzlich zulässig ist. In diesem Sinne hat das Bundesgericht bereits in
BGE 72 I 379
f. E. 3 entschieden, wo es um die Verrechnung eines Rückerstattungsanspruches aus kriegswirtschaftlicher Beschlagnahme mit einer geschuldeten Zollbusse ging. Wenn in
BGE 85 I 160
ausgeführt wurde, eine Verrechnung sei jedenfalls dann zuzulassen, wenn beide Forderungen öffentlichrechtlicher Natur seien, Steuern zum Gegenstand hätten und überdies sowohl die gleiche Privatperson wie die gleiche Verwaltungsabteilung beträfen, so kam dieser einschränkenden Betrachtungsweise, wie in
BGE 91 I 294
zutreffend präzisiert wird, weder prozessentscheidende Bedeutung zu, noch kann sie als Richtlinie für die
BGE 107 III 139 S. 143
Rechtsprechung betrachtet werden. Vielmehr kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts Verbindlichkeiten, die sie gegenüber einer öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen juristischen oder einer natürlichen Person hat, in jedem Falle mit Forderungen verrechnen, die ihr gegenüber dieser Person zustehen, sofern dem nicht besondere Vorschriften des öffentlichen Rechtes entgegenstehen (
BGE 91 I 294
; vgl. dazu auch IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Band I Nr. 33 und die Bemerkungen dazu; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 344 f.). Dabei kommt es insbesondere weder im Privat- noch im öffentlichen Recht darauf an, ob ein Sachzusammenhang zwischen den beiden zur Verrechnung gestellten Forderungen besteht (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 3. Aufl., Band II, S. 197; GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 265; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 383; IMBODEN/RHINOW, a.a.O. B/IV/b S. 196). Entscheidend ist einzig, dass beide Forderungen auf Geldzahlung lauten. Auch die von der Klägerin angerufene weitgehende Selbständigkeit der PTT-Betriebe gegenüber der allgemeinen Bundesverwaltung kann dem Verrechnungsrecht nicht entgegenstehen. Träger von zivilrechtlichen Rechten und Pflichten können lediglich natürliche und juristische Personen sein. Blosse Verwaltungszweige einer juristischen Person des öffentlichen Rechtes können, auch wenn ihnen weitgehende Selbständigkeit zugestanden wird, nicht Träger von zivilen Rechten und Pflichten sein, sondern diese stehen immer der betreffenden juristischen Person des öffentlichen Rechtes zu.
3.
Als zweiten Einwand gegen die Zulässigkeit der Verrechnung bringt die Klägerin vor, die Schuld der PTT-Betriebe gegenüber der Bigla AG sei erst nach Bekanntmachung der Nachlassstundung entstanden und könne deshalb gemäss Art. 316m in Verbindung mit
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
nicht verrechnet werden. Nach der zweitgenannten Bestimmung ist die Verrechnung ausgeschlossen, wenn ein Gläubiger des Gemeinschuldners erst nach der Konkurseröffnung Schuldner desselben oder der Konkursmasse wird. Im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung tritt an die Stelle der Konkurseröffnung die Bekanntmachung der Nachlassstundung (
Art. 316m SchKG
). Es stellt sich somit die Frage, wann die Beklagte Schuldnerin der Bigla AG bzw. der Bigla AG in Nachlassliquidation geworden ist. Diese Frage ist durch eine weit zurückreichende Rechtsprechung des Bundesgerichts, die
BGE 107 III 139 S. 144
sich auf die massgebende Lehre stützen kann, in dem Sinne beantwortet worden, dass es weder auf die Fälligkeit der Forderung noch auf den Zeitpunkt ankommt, in welchem Bestand und Umfang des Anspruchs definitiv feststehen, sondern dass allein massgebend ist, wann der Rechtsgrund der Forderung gesetzt worden ist. Die Verrechnung ist daher ausgeschlossen, wenn der Rechtsgrund der Forderung in Tatsachen liegt, die nach der Konkurseröffnung eingetreten sind (
BGE 107 III 27
ff.,
BGE 106 III 117
E. 3 und
BGE 95 III 57
mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat vor allem in
BGE 107 III 29
dargelegt, dass es durchaus der ratio legis entspricht, wenn auf den Zeitpunkt, in welchem der Rechtsgrund der Forderung entstanden ist, abgestellt wird. Das Verrechnungsverbot von
Art. 213 SchKG
will nämlich lediglich verhindern, dass sich ein Gläubiger des Gemeinschuldners nach Konkurseröffnung durch neu erworbene Verrechnungsmöglichkeiten Deckung verschafft. Der Einwand der Klägerin, für die zeitliche Abgrenzung könne nicht der Vertragsschluss massgebend sein, ist daher nicht stichhaltig.
Damit kommt es aber entgegen der Meinung der Klägerin für die Frage des Verrechnungsverbotes auch nicht auf die "Realisierung" bzw. die Fälligkeit der Kaufpreisforderung an. Wohl setzt die Verrechnung gemäss
Art. 120 Abs. 1 OR
voraus, dass beide Forderungen fällig sind. Das will aber nur besagen, dass die Forderungen im Zeitpunkt der Verrechnungserklärung fällig sein müssen. Die Frage, wann eine Verrechnung nach Art. 213 bzw. 316m SchKG unzulässig ist, hat damit nichts zu tun. Der von der Klägerin in diesem Zusammenhang vorgebrachte Hinweis auf den Kommentar KÄFER, N. 158 zu
Art. 958 OR
, verfängt nicht, da der Autor sich an dieser Stelle ausschliesslich mit der Frage befasst, wie eine Kaufpreisforderung buchhalterisch zu behandeln sei. Für die Frage der Verrechenbarkeit lässt sich daraus nichts ableiten.
Im Zeitpunkt, in welchem die Beklagte der Klägerin die Verrechnungserklärung abgegeben hat, nämlich am 28. August 1979, war die am 14. Mai 1979 in Rechnung gestellte Kaufpreisforderung von Fr. 10'357.-- längst fällig. Entstehungsgrund dieser Forderung sind die in der Zeit zwischen dem 24. Februar 1978 und dem 6. März 1979 abgeschlossenen Kaufverträge. Sie datieren alle aus der Zeit vor der Bewilligung und Bekanntmachung der Nachlassstundung über die Klägerin. Das Verrechnungsverbot von Art. 316m in Verbindung mit
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
gelangt demnach im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.
BGE 107 III 139 S. 145
4.
Was von der Klägerin in der Klageschrift gegen diese Betrachtungsweise noch weiter vorgebracht wird, hält einer näheren Prüfung nicht stand:
a) Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, der Anspruch der Beklagten auf Erfüllung der Kaufverträge sei mit der Bewilligung der Nachlassstundung untergegangen und erst mit der Zustimmung des Sachwalters zur Fortführung des Geschäftsbetriebs wieder aufgelebt. Damit sei aber der Rechtsgrund der Forderung erst nach der Nachlassstundung gesetzt worden.
Dieser Argumentation kann indessen nicht gefolgt werden. Es kann keine Rede davon sein, dass der Anspruch der PTT untergegangen wäre. Vielmehr blieb die vertragliche Verpflichtung der Bigla AG auf Erfüllung der Kaufverträge auch während der Stundung bestehen. Allerdings hätte der Sachwalter die Erfüllung dieser Verträge verweigern können, was aber zur Folge gehabt hätte, dass die Bigla AG wegen Nichterfüllung der Kaufverträge schadenersatzpflichtig geworden wäre. Zwar hätte ein allfälliger Schadenersatzanspruch der PTT im Liquidationsvergleich nur als Forderung in der fünften Klasse geltend gemacht werden können; wenn aber der Sachwalter sich statt dessen für die Erfüllung der Kaufverträge entschied, so konnte er damit das bereits vor Bewilligung der Nachlassstundung entstandene Verrechnungsrecht der PTT nicht beseitigen.
Im Umstand, dass der Sachwalter während der Nachlassstundung sich darüber schlüssig zu werden hat, ob er die vom Schuldner eingegangenen Verträge erfüllen oder sich der Schadenersatzpflicht wegen Nichterfüllung aussetzen will, kann entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht eine sachlich nicht begründbare ungleiche Behandlung der Gläubiger erblickt werden.
b) Dass viele Verträge formfrei abgeschlossen werden und die Bestimmung des Zeitpunktes des Vertragsschlusses deshalb schwierig sein kann, vermag an dieser Rechtslage nichts zu ändern. Übrigens bestehen im vorliegenden Fall keine derartigen Schwierigkeiten; die Daten der einzelnen Kaufverträge sind urkundenmässig festgelegt.
c) Es trifft auch nicht zu, dass diese Betrachtungsweise im Falle einer Nachlassstundung zu einer vollständigen Lahmlegung des Betriebes führen müsste. Vielmehr wird sich der Sachwalter, soweit wie möglich im Einvernehmen mit dem Nachlassschuldner, darüber schlüssig werden müssen, ob und welche vertraglichen Verpflichtungen er während der Stundung erfüllen will bzw. wo er im
BGE 107 III 139 S. 146
Interesse des Gemeinschuldners oder der Gesamtheit der Gläubiger eine Vertragserfüllung ablehnen und damit die Folgen einer Nichterfüllung in Kauf nehmen will.
5.
Schliesslich wendet die Klägerin ein, die Verrechnungserklärung der Beklagten müsse daran scheitern, dass diese auf Verrechnung verzichtet habe. Soweit sie in diesem Zusammenhang geltend macht, die Verrechnungserklärung sei zu spät erfolgt, ist sie zum vorneherein nicht zu hören. Die Beklagte hat sich bereits mit ihrer ersten Forderungseingabe im Nachlassverfahren vom 11. Mai 1979 die Verrechnung vorbehalten. Zu jenem Zeitpunkt aber lag die letzte Lieferung der Klägerin erst zwei Tage zurück, und die im vorliegenden Verfahren streitige Rechnung vom 14. Mai 1979 war noch gar nicht gestellt. Die definitive Verrechnungserklärung mit Bezug auf diese Rechnung erfolgte 3 1/2 Monate später, am 28. August 1979. Von einer unzumutbaren Verzögerung in der Abgabe der Verrechnungserklärung kann daher keine Rede sein. Der Beklagten kann aber auch nicht vorgeworfen werden, sie habe die Lieferungen der Klägerin nur unter dem stillschweigenden Vorbehalt der Barzahlung entgegengenommen. Weder hat die Klägerin Barzahlung verlangt, noch hat die Beklagte eine solche versprochen. Stand ihr nach dem Ausgeführten das Verrechnungsrecht zu, so brauchte sie das nicht noch ausdrücklich bei Entgegennahme der Lieferungen geltend zu machen.
Aber auch der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe in einem anderen Nachlassverfahren bei gleicher Rechtslage auf die Geltendmachung der Verrechnung verzichtet, schlägt nicht durch. Dabei kann offen bleiben, wie es sich in diesem früheren Verfahren im einzelnen verhalten hat. Auch wenn die entsprechende Sachdarstellung der Klägerin zutreffen sollte, könnte sie daraus nichts für den vorliegenden Fall ableiten. Sollte die Eidgenossenschaft im damaligen Verfahren aufgrund einer unrichtigen Beurteilung der Rechtslage sich dazu entschlossen haben, auf einen Anspruch zu verzichten, der ihr von Rechts wegen zugestanden hätte, so kann für sie daraus natürlich nicht die Verpflichtung entstanden sein, in allen künftigen Nachlassverfahren ebenfalls einen derartigen Verzicht zu leisten. Wenn die Liquidatorin aus der Kenntnis dieses früheren Nachlassverfahrens und des damals von der Eidgenossenschaft eingenommenen Rechtsstandpunktes darauf vertraute, die Beklagte werde sich auch im vorliegenden Verfahren gleich verhalten, so tat sie das auf eigene Gefahr. Hätte sie ihrer Sache sicher sein wollen, so hätte sie vor Ausführung der Lieferungen
BGE 107 III 139 S. 147
von der Beklagten eine entsprechende Zusicherung verlangen müssen. Unter diesen Umständen braucht nicht weiter geprüft zu werden, ob die Klägerin sich lediglich deshalb auf
Art. 2 ZGB
berufen könnte, weil zufällig in dem von ihr angeführten früheren Nachlassverfahren die gleiche Liquidatorin tätig war wie im vorliegenden Falle.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3babb8ac-3fac-406e-baea-cd8fa05e11b0 | Urteilskopf
124 V 265
43. Arrêt du 16 juin 1998 dans la cause Fondation X contre Office fédéral des assurances sociales et Département fédéral de l'intérieur | Regeste
Art. 73 IVG
;
Art. 100, 105 und 106 IVV
: Beiträge der Invalidenversicherung.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Beiträgen an den Betrieb einer Einrichtung sind im konkreten Fall nicht erfüllt für ein Programm, das an Alkoholismus leidende Personen vor dem Verlust ihrer beruflich-sozialen Stellung bewahren will. | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 124 V 265 S. 265
A.-
La Fondation X (ci-après la Fondation) est un centre spécialisé en alcoologie. Elle collabore avec les organes de l'assurance-invalidité dans le cadre de mesures de réadaptation socioprofessionnelles.
La Fondation dispense ses services au moyen de différents programmes, notamment CEPCA pour la partie home, CORPA pour la partie ateliers et PLAN 33. Ce dernier plan s'adresse à toute personne sur le point de perdre son insertion socioprofessionnelle à cause des conséquences liées à sa consommation d'alcool. Il se déroule sur une période de trente-trois jours, commençant par la récolte des informations (1 jour), se poursuivant par une phase institutionnelle de 28 jours avec prise en charge en internat aux fins d'évaluer les dysfonctionnements de la personne, de lui donner les moyens de changer des comportements et de reprendre un rythme de travail et de vie; enfin, la réinsertion pendant 4 jours au cours desquels sont organisées des rencontres avec la famille et l'entreprise. Ce programme s'adresse ainsi en principe à des personnes encore insérées; il a été mis en place avec la collaboration d'entreprises venant de tous les secteurs d'activité et la décision de prise en charge fait suite, généralement, à une proposition commune de l'employeur et de l'employé.
B.-
Par décision du 27 septembre 1995, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) a mis fin, avec effet au 1er janvier 1996, à l'octroi de subventions allouées précédemment à la Fondation pour le financement du
BGE 124 V 265 S. 266
PLAN 33. Cette décision était essentiellement motivée par le fait que la toxico-dépendance n'était pas en soi une maladie à caractère invalidant, de sorte que les stagiaires concernés, dans leur grande majorité, ne pouvaient pas être considérés comme des personnes atteintes d'invalidité au sens de la loi. Statuant le 16 février 1996, l'OFAS a rejeté l'opposition formée par la Fondation contre sa décision précédente.
La Fondation a interjeté un recours de droit administratif en concluant principalement au maintien de subventions de l'assurance-invalidité pour les frais d'exploitation du PLAN 33. Par arrêt du 7 mai 1997, le Tribunal fédéral des assurances a déclaré le recours irrecevable et transmis le dossier au Département fédéral de l'intérieur (DFI) comme objet de sa compétence.
Par décision du 24 octobre 1997, le DFI a rejeté le recours.
C.-
La Fondation interjette recours de droit administratif contre cette décision, dont elle demande l'annulation et conclut, sous suite de frais et dépens, au maintien de subventions de la Confédération en faveur du PLAN 33, au-delà du 1er janvier 1996.
L'OFAS et le DFI ont tous deux conclu au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal fédéral des assurances examine d'office les conditions de recevabilité du recours, sans égard aux conclusions ou aux arguments des parties (
ATF 116 V 50
consid. 7b in fine, 319 consid. 1b in fine,
ATF 111 V 281
consid. 2a).
Les décisions sur l'octroi ou le refus de subventions à des institutions pour invalides au sens des
art. 73 ss LAI
sont rendues en première instance par l'OFAS (
art. 107 al. 2 RAI
). Par renvoi de l'art. 35 de la loi fédérale sur les aides financières et les indemnités, dite loi sur les subventions (LSu; RS 616.1), aux dispositions de la loi fédérale sur la procédure administrative (
art. 47 PA
), le recours contre ces décisions doit être porté devant le Département fédéral de l'intérieur en qualité d'autorité de surveillance de l'OFAS (
ATF 122 V 189
). Le Tribunal fédéral des assurances connaît en dernière instance des recours de droit administratif contre les décisions du DFI au sens des
art. 97 et 98 let. b OJ
, en matière d'assurances sociales (
art. 128 OJ
). Selon l'
art. 129 al. 1 let
. c OJ, ne sont en revanche pas recevables des recours contre des décisions concernant l'octroi ou le refus de prestations pécuniaires auxquelles la législation fédérale ne confère pas un droit.
BGE 124 V 265 S. 267
Dans le cas particulier, la jurisprudence a reconnu un droit découlant de la législation fédérale à des subventions d'exploitation, même si le texte de l'
art. 73 LAI
paraît donner une liberté d'appréciation à l'administration (
ATF 118 V 16
ss consid. 1 à 3).
Le recours de droit administratif est dès lors recevable.
2.
Selon la jurisprudence, les litiges en matière de subventions selon l'
art. 73 LAI
ne concernent pas des prestations d'assurance au sens des
art. 132 et 134 OJ
(
ATF 118 V 20
consid. 4b,
ATF 106 V 98
consid. 3; RCC 1983 p. 438 consid. 4). Le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral des assurances est donc défini par les
art. 104 et 105 OJ
. Le tribunal doit ainsi examiner si l'autorité précédente a violé le droit fédéral, y compris par l'excès ou par l'abus de son pouvoir d'appréciation (
art. 104 let. a OJ
) ou si elle a constaté de manière inexacte ou incomplète des faits pertinents (
art. 104 let. b OJ
). Comme le recours n'est pas dirigé contre la décision d'une autorité judiciaire (
art. 105 al. 2 OJ
), le tribunal peut revoir d'office les constatations de fait (
art. 105 al. 1 OJ
;
ATF 118 V 20
consid. 4b,
ATF 106 V 98
consid. 3; RCC 1983 p. 438 consid. 4).
3.
a) Aux termes de l'
art. 73 al. 1 LAI
(première phrase), l'assurance alloue des subventions pour la construction, l'agrandissement et la rénovation d'établissements et d'ateliers publics ou reconnus d'utilité publique, qui appliquent des mesures de réadaptation dans une proportion importante. L'
art. 73 al. 2 LAI
prévoit d'autre part que l'assurance peut allouer des subventions pour leurs frais d'exploitation aux institutions visées par l'alinéa premier (let. a), ainsi que des subventions pour la construction, l'agrandissement et la rénovation de homes recueillant des invalides pour un séjour momentané ou à demeure, ainsi que pour leurs frais supplémentaires d'exploitation (let. c). Il appartient au Conseil fédéral de fixer le montant des subventions; il peut en subordonner l'octroi à d'autres conditions encore ou à l'accomplissement de certaines obligations (
art. 75 al. 1 LAI
). L'autorité exécutive a édicté à cet effet les art. 99 à 107 RAI.
Selon l'
art. 106 al. 2 RAI
, des subventions sont accordées aux homes satisfaisant aux exigences prescrites à l'
art. 100 al. 1 let. b RAI
, pour les frais supplémentaires d'exploitation qui découlent de l'hébergement d'invalides.
b) En l'espèce, le litige porte principalement sur le point de savoir si la recourante - qui exploite par ailleurs un home et des ateliers bénéficiant de subventions de l'assurance-invalidité pour cette exploitation - doit être considérée comme exploitant un home recueillant des invalides (
art. 73 al. 2 let
. c LAI et 100 al. 1 let. b RAI) pour ses activités entrant sous
BGE 124 V 265 S. 268
la dénomination de PLAN 33, auquel cas elle aurait droit à des subventions pour les frais d'exploitation en vertu de l'
art. 106 al. 2 RAI
.
c) L'existence d'une invalidité au sens de l'
art. 73 al. 2 let
. c LAI et 106 al. 2 RAI ne suppose pas une invalidité ouvrant droit à une rente en vertu des
art. 28 et 29 LAI
. La notion d'invalidité qui est visée ici est celle de l'
art. 4 al. 1 LAI
, selon lequel l'invalidité est la diminution de la capacité de gain, présumée permanente ou de longue durée, qui résulte d'une atteinte à la santé physique ou mentale provenant d'une infirmité congénitale, d'une maladie ou d'un accident (
ATF 118 V 24
consid. 6d).
Selon la jurisprudence constante concernant les dépendances similaires que sont l'alcoolisme, la pharmacodépendance et la toxicomanie, une telle dépendance ne constitue pas en soi une invalidité au sens de la loi. En revanche, elle joue un rôle dans l'assurance-invalidité lorsqu'elle a provoqué une maladie ou un accident qui entraîne une atteinte à la santé physique ou mentale, nuisant à la capacité de gain, ou si elle résulte elle-même d'une atteinte à la santé physique ou mentale qui a valeur de maladie (RCC 1992 p. 182 consid. 2b et les références).
Dans le cas particulier, les personnes qui fréquentent le PLAN 33 souffrent d'abord d'alcoolisme. En effet, ce programme de prise en charge est précisément adapté à leur état et destiné à en prévenir les effets. Elles ne sont pas, dans leur majorité, frappées d'une incapacité notable de travail puisqu'à l'issue de cette prise en charge, d'une durée extrêmement limitée dans le temps, les trois quarts d'entre elles ont repris un emploi qu'elles n'avaient par conséquent pas quitté. D'ailleurs, le but visé par le PLAN 33, mis en oeuvre avec la collaboration d'entreprises venant de tous les secteurs, est précisément d'éviter la perte d'une insertion dans la famille et dans le milieu socioprofessionnel. Dans ce sens, les personnes qui y participent ne peuvent être considérées comme des invalides au sens de la loi. Partant, les conditions légales d'un subventionnement, selon l'
art. 106 al. 2 RAI
, ne sont pas réalisées.
Certes, il pourrait résulter des documents produits par la recourante, en particulier des attestations médicales, qu'un certain nombre de participants au PLAN 33 devraient être considérés comme invalides. Cette question n'a cependant pas besoin d'être examinée plus avant dès lors que, même si tel était effectivement le cas, les conditions d'un subventionnement ne seraient pas davantage réalisées. En effet, l'
art. 100 al. 1 let. b RAI
fait dépendre l'octroi de subventions de la prise en
BGE 124 V 265 S. 269
charge par le home, dans son programme spécifique, d'une majorité d'invalides ("principalement"). Cette condition n'est manifestement pas réalisée au regard du nombre de personnes prises en charge par année dans le PLAN 33, comparé à celui des attestations déposées en cause.
4.
La recourante soutient que le droit à des subventions découlant de l'
art. 73 LAI
est donné lorsque l'institution prend en charge non seulement une majorité d'invalides au sens défini par l'
art. 4 LAI
, mais également une majorité d'assurés menacés d'une invalidité imminente selon l'
art. 8 LAI
.
Supposé que l'argumentation de la recourante, basée sur l'imminence de l'invalidité et donc sur la relation entre les
art. 8 et 73 LAI
soit tenue pour conforme à la loi et au système de la LAI, question qui peut demeurer ouverte en l'état, les conditions d'application de l'
art. 73 al. 2 let
. c et 106 al. 2 RAI ne seraient de toute manière pas données. En effet, selon la jurisprudence rendue au sujet de l'
art. 8 al. 1 LAI
, l'invalidité n'est imminente que lorsqu'il est possible de prévoir qu'elle surviendra dans un avenir peu éloigné; cette condition n'est pas remplie dans les cas où la survenance de l'incapacité de gain paraît certes inéluctable, mais où le moment de cette survenance demeure encore incertain (
ATF 105 V 140
sv. consid. 1a; VSI 1996 p. 319 consid. 2b; RCC 1977 p. 404 consid. 2). Or, d'une manière générale, si le risque d'incapacité de gain d'un alcoolique peut être considéré comme important, cela ne suffit toutefois pas pour en déduire que le moment de la survenance de l'invalidité soit déterminé avec certitude. Au demeurant, dans le cadre du PLAN 33, la condition d'imminence est d'autant moins réalisée que le programme s'adresse à des personnes qui, dans leur majorité, exercent une activité professionnelle. A cet égard, il convient de rappeler que les mesures prophylactiques n'incombent pas, de manière générale, à l'assurance-invalidité (MEYER-BLASER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zurich 1997, ad art. 8 p. 56). Le programme de la recourante vise, pour l'essentiel, la réhabilitation sociale. Pour appréciables que soient les efforts effectués dans cette direction, il ne s'agit cependant pas de prestations qui, comme telles, sont à la charge de l'assurance-invalidité (VSI 1996 p. 317, précité).
Les conditions d'une prise en charge de subventionnement au sens des
art. 73 al. 2 let
. c LAI et 106 al. 2 RAI ne sont pas données.
5.
La recourante soutient enfin que le PLAN 33 est une mesure de réadaptation et que, partant, l'octroi de subventions se justifie au regard des
art. 17 et 73 al. 1 LAI
, ainsi que 105 al. 1 RAI.
BGE 124 V 265 S. 270
Le reclassement auquel la rééducation dans la même profession (recyclage) est assimilée, se définit comme l'ensemble des mesures de réadaptation d'ordre professionnel qui sont nécessaires et adéquates pour procurer à l'assuré une possibilité de gain équivalant à peu près à celle que lui offrait son ancienne activité. Ne sont ainsi considérées comme reclassement que les mesures qui sont orientées vers un but de formation professionnelle. En font partie notamment non seulement les mesures ordonnées dans le cadre de la formation professionnelle proprement dite, mais aussi celles qui, selon la pratique, servent à l'orientation professionnelle, de même que les mesures servant à préparer à une formation professionnelle concrète (RCC 1992 p. 386).
Dans le cas d'espèce, eu égard au contenu du programme du PLAN 33 comme au statut des personnes qui le suivent, la prise en charge ne constitue pas véritablement une mesure de reclassement ou de recyclage car son but ne vise pas la formation professionnelle comme telle. Il s'agit, comme on l'a déjà retenu, de mesures de réhabilitation socioprofessionnelles dont la prise en charge ne relève pas de l'assurance-invalidité (cf. dans ce sens
ATF 108 V 213
ss consid. 2).
Pour ces motifs également, les conditions ouvrant le droit à des subventions de cette assurance ne sont pas réunies.
6.
(Frais judiciaires) | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3bb21e33-a9a7-41d6-bf9f-045990ac6ba2 | Urteilskopf
140 III 180
30. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A.X. contre Banque Z. (recours en matière civile)
5A_686/2013 du 31 janvier 2014 | Regeste
Art. 81 Abs. 1 und
Art. 82 Abs. 2 SchKG
; Sicherungsübereignung von Inhaberschuldbriefen; Betreibung auf Grundpfandverwertung und gewöhnliche Betreibung; Einrede des beneficium excussionis realis.
Der Gläubiger muss zunächst die abstrakte Forderung auf dem Wege der Grundpfandbetreibung geltend machen, es sei denn, der Schuldner habe durch ausdrückliche Vereinbarung auf das beneficium excussionis realis verzichtet (E. 5.1.3-5.1.5).
Prüfung der Einrede des beneficium excussionis realis in der gewöhnlichen Betreibung durch den Richter der provisorischen Rechtsöffnung (E. 5.1.6). Zulässigkeit dieser Einrede auch im Verfahren auf definitive Rechtsöffnung (E. 5.2). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 140 III 180 S. 180
A.
A.a
Le 31 mai 1990, la Banque W., à laquelle a succédé la Banque Z. (ci-après: la banque ou la Banque Z.), a octroyé à chacun des frères A.X. et B.X. un crédit en compte courant de 6'000'000 fr. avec intérêts. A titre de garantie, chaque emprunteur a cédé en propriété à la Banque une cédule hypothécaire au porteur de 6'000'000 fr. en premier rang grevant sa quote-part d'une demie de la parcelle n° 2 (cédule n° x pour B.X. et cédule n° y pour A.X.).
BGE 140 III 180 S. 181
Le 26 juillet 1990, les deux crédits ont été restructurés de manière identique pour chacun des frères sous la forme d'un compte courant de 3'750'000 fr. et d'une avance à terme fixe du même montant. Afin de garantir cette augmentation de crédit, les deux emprunteurs ont cédé en propriété à la banque la cédule hypothécaire au porteur de 2'000'000 fr. qu'ils avaient constituée sur la parcelle n° 1 (cédule n° z)
.
A.b
En ce qui concerne A.X., après un premier acte de cession du 14 juin 1990, il a signé le 27 août 1990 deux actes de cession en propriété et à fin de garantie - le second acte étant cosigné avec son frère B.X. -, par lesquels il a remis à la banque en tant que propriétaire fiduciaire aux fins de garantie - dont la qualification de garantie fiduciaire (
Sicherungsübereignung
) n'est en soi pas contestée -, la cédule hypothécaire au porteur de 6'000'000 fr. (cédule n° y) et celle de 2'000'000 fr. (cédule n° z).
Ces deux actes, sur formules préimprimées de la banque, garantissent les prétentions actuelles et futures de la banque et renvoient aux conditions spéciales figurant au verso ainsi qu'aux conditions générales de la banque, contresignées par l'intéressé. En ce qui concerne l'exécution forcée, sous le titre "Droit de gage et de compensation", l'art. 8, 3
e
phrase, des conditions générales prévoit uniquement qu'"en cas de demeure du client, la banque peut, à son choix, réaliser les gages de gré à gré ou par voie de poursuite".
A.c
Les crédits ont été dénoncés au remboursement le 10 décembre 1993. Les cédules l'ont été le 30 octobre 1996. (...)
B.
(...)
B.a
En ce qui concerne A.X., trois commandements de payer dans des poursuites en réalisation de gage immobilier lui ont été notifiés: le premier pour un montant de 6'000'000 fr. plus intérêts à 10 % l'an dès le 4 septembre 2000, sur la base de la cédule hypothécaire n° y (poursuite n° 4); le deuxième, au libellé identique, sur la base de la cédule n° x, lui a été notifié en sa qualité de tiers propriétaire du gage (poursuite n° 5); le troisième pour le montant de 2'000'000 fr. avec intérêts à 10 % dès le 4 septembre 2000, sur la base de la cédule hypothécaire n° z (poursuite n° 6).
Les oppositions formées par A.X. à ces commandements de payer ont été levées par prononcés de mainlevée provisoire.
B.b
Le 29 janvier 2004, A.X. et B.X. ont introduit une action en libération de dette contre la Banque Z. devant la Cour civile du Tri bunal cantonal du canton de Vaud, concluant notamment à ce qu'il
BGE 140 III 180 S. 182
soit dit qu'ils ne doivent pas les montants objets des poursuites en réalisation de gage immobilier n
os
4, 5 et 6/7.
La Banque Z. a conclu reconventionnellement au paiement, par chacun des débiteurs, des créances correspondant au solde de leurs comptes courants et de leurs avances à terme fixe, à savoir, contre A.X., au paiement des montants de 8'705'120 fr. 75 plus intérêts à 9 1/4 % l'an dès le 1
er
juillet 2002 et de 3'916'406 fr. 25 avec intérêts à 8 7/8 % l'an dès le 27 février 1993.
Par jugement du 25 novembre 2009, dont la motivation a été notifiée le 13 juillet 2010, la Cour civile a, en ce qui concerne A.X., partiellement admis son action en libération de dette; sur reconvention, l'a condamné à payer à la Banque Z. la somme de 4'219'456 fr. avec intérêts à 8,5 % dès le 30 septembre 1993, sous déduction de dix-huit versements de 3'000 fr., de quatre versements de 6'000 fr., d'un versement de 19'523 fr. 10 et d'un versement de 5'125 fr. 35, valeur à la date de leur paiement (contrat de compte courant), ainsi que la somme de 3'916'406 fr. 26 avec intérêts à 8 7/8 % dès le 27 février 1993 (avance à terme fixe); elle a levé les oppositions que le débiteur avait formées aux trois commandements de payer en réalisation de gage immobilier, à savoir à concurrence des créances abstraites de 6'000'000 fr. plus intérêts dans la poursuite n° 4, de 6'000'000 fr. plus intérêts dans la poursuite n° 5 et de 2'000'000 fr. plus intérêts dans la poursuite n° 7; elle l'a enfin condamné au versement de 92'423 fr. 25 à titre de dépens.
Les recours interjetés au Tribunal fédéral contre ce jugement par les deux frères ont été rejetés (arrêt 4A_513/2010 / 4A_515/2010 du 30 août 2011).
B.c
La banque a requis la continuation des poursuites en réalisation de gage immobilier.
C.
Se fondant sur le jugement de la Cour civile du 25 novembre 2009, la banque a requis, le 8 août 2011, la poursuite ordinaire de A.X. en recouvrement des deux créances causales et de la créance de dépens pour les montants alloués. Celui-ci a fait opposition au commandement de payer qui lui a été notifié (poursuite n° 8) le 12 août 2011.
La plainte formée par le débiteur contre la notification de ce commandement de payer a été définitivement rejetée par arrêt du Tribunal fédéral du 9 octobre 2012 (arrêt 5A_295/2012), l'exception du beneficium excussionis realis de l'
art. 41 al. 1
bis
LP
ne pouvant être
BGE 140 III 180 S. 183
opposée, ni aux deux créances causales puisqu'elles ne sont pas garanties par gage, ni à la créance de dépens.
Dans la procédure de mainlevée introduite le 16 août 2011, dans laquelle le délai de détermination du poursuivi avait été prolongé jusqu'à droit connu sur le sort de la plainte susmentionnée, le Juge de paix du district de Nyon a accordé la mainlevée définitive de l'opposition par décision du 11 janvier 2013, décision envoyée aux parties le 15 janvier 2013, considérant que le poursuivi n'avait fait valoir aucun des moyens de libération de l'
art. 81 al. 1 LP
.
Statuant le 15 août 2013, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours du poursuivi et confirmé le prononcé de mainlevée définitive, pour des motifs qui seront exposés dans les considérants de droit ci-dessous.
Erwägungen
(...)
Par arrêt du 31 janvier 2014, le Tribunal fédéral a partiellement admis le recours interjeté par A.X. contre cette décision et a réformé l'arrêt attaqué en ce sens que la requête de mainlevée définitive de l'opposition au commandement de payer dans la poursuite ordinaire n° 8 notifié à A.X. le 12 août 2011 sur réquisition de la Banque Z. est partiellement admise et l'opposition définitivement levée à concurrence du montant de 92'423 fr. 25 avec intérêts à 5 % l'an dès le 10 août 2011.
(extrait)
Extrait des considérants:
3.
Le droit de la cédule hypothécaire a été modifié lors de la révision du 11 décembre 2009, entrée en vigueur le 1
er
janvier 2012 (RO 2011 4637 ss, 4657). Dès lors que les cédules hypothécaires ont en l'espèce été remises en garantie avant l'entrée en vigueur du nouveau droit, le présent recours sera examiné sous l'angle de l'ancien droit (art. 1 al. 1 et 26 al. 1 Tit. fin. CC; cf. DENIS PIOTET, Le droit transitoire de la révision du Code civil du 11 décembre 2009 et la pratique notariale, Le notaire bernois 2010 p. 225 ss, 230; BÉNÉDICT FOËX, Le nouveau droit des cédules hypothécaires, JdT 2012 II p. 3 ss, 14).
(...)
5.
Après avoir rappelé les principes dégagés par la jurisprudence s'agissant de la cession à titre fiduciaire de cédules hypothécaires au porteur, il y aura lieu d'examiner tout d'abord si le contrat de fiducie prévoit ou non deux voies d'exécution forcée parallèles en
BGE 140 III 180 S. 184
recouvrement, d'une part, des créances abstraites et, d'autre part, de la créance causale.
5.1
Sous le droit antérieur à la révision du Code civil de 2009 (cf. supra consid. 3), comme sous le nouveau droit, la cédule hypothécaire est une créance personnelle garantie par un gage immobilier (ancien
art. 842 CC
et
art. 842 al. 1 CC
; Message du 27 juin 2007 concernant la révision du Code civil suisse [Cédule hypothécaire de registre et autres modifications des droits réels], FF 2007 5015 ss, 5053 ch. 2.2.2.3 [ci-après: Message]). Il s'agit d'un papier-valeur qui incorpore à la fois la créance et le droit de gage immobilier, qui en est l'accessoire.
5.1.1
Selon la jurisprudence, lorsque les parties conviennent - par contrat de fiducie - que la cédule hypothécaire est remise au créancier en propriété à titre fiduciaire aux fins de garantie (garantie fiduciaire; Sicherungsübereignung), il n'y a pas novation de la créance garantie (
ATF 136 III 288
consid. 3.1;
ATF 134 III 71
consid. 3 et les références); la créance incorporée dans la cédule se juxtapose à la créance garantie en vue d'en faciliter le recouvrement (
ATF 119 III 105
consid. 2a in fine). On distingue alors la créance abstraite (ou créance cédulaire) garantie par le gage immobilier, incorporée dans la cédule hypothécaire, et la créance causale (ou créance garantie ou encore créance de base) résultant de la relation de base, en général un contrat de prêt, pour laquelle la cédule a été remise en garantie, ces deux créances étant indépendantes l'une de l'autre. La créance abstraite incorporée dans la cédule hypothécaire et garantie par le gage immobilier doit faire l'objet d'une poursuite en réalisation de gage immobilier; la créance causale doit faire l'objet d'une poursuite ordinaire (
ATF 136 III 288
consid. 3.1 et les arrêts cités). Ces considérations demeurent valables sous le nouveau droit, qui présume toutefois la remise de la cédule à titre de garantie fiduciaire (
art. 842 al. 2 CC
), alors que l'ancien droit présumait la remise à titre de garantie directe, avec novation (ancien
art. 855 al. 1 CC
).
5.1.2
Dans la poursuite en réalisation de gage immobilier pour la créance abstraite, la cédule hypothécaire au porteur est une reconnaissance de dette au sens de l'
art. 82 al. 1 LP
et vaut titre de mainlevée pour toute la créance instrumentée dans le titre (
ATF 134 III 71
consid. 3; arrêt 5A_226/2007 du 20 novembre 2007 consid. 5.1 et les références). Le créancier n'a donc pas à produire une reconnaissance de dette pour la créance causale.
BGE 140 III 180 S. 185
Si le créancier poursuit pour le montant de la créance abstraite incorporée dans le titre, alors que la créance causale (en capital et intérêts) est d'un montant
inférieur
, le débiteur poursuivi peut opposer les exceptions personnelles dont il dispose contre le poursuivant (propriétaire fiduciaire), conformément au contrat de fiducie, en particulier celle consistant à exiger la limitation de la somme réclamée au montant de la créance causale (anciens
art. 855 al. 2 et 872 CC
; art. 842 al. 3 et 849 al. 1 CC); il doit rendre vraisemblable, dans le cadre de l'
art. 82 al. 2 LP
, que le montant de la créance causale est inférieur au montant de la créance abstraite incorporée dans le titre et que le créancier a, à tort, poursuivi pour le montant de cette dernière (arrêt 5A_226/2007 du 20 novembre 2007 consid. 5.1 et les références; cf. également
ATF 136 III 288
consid. 3.2).
Si la créance causale (en capital et intérêts) résultant du rapport de base est en revanche
supérieure
au montant nominal de la créance cédulaire (capital) majoré des intérêts couverts par le droit de gage, le créancier peut faire valoir dans la poursuite en réalisation de gage immobilier l'intégralité de la créance cédulaire avec les intérêts de trois années échus au moment de l'ouverture de la faillite ou de la réquisition de vente. Pour le calcul de ces intérêts, le nouvel
art. 818 al. 1 ch. 3 CC
est applicable immédiatement (
art. 26 al. 2 Tit. fin. CC
; PIOTET, op. cit., p. 230; FOËX, op. cit., p. 14): la cédule ne garantit au créancier gagiste que les intérêts effectivement dus pour un maximum de trois ans, ainsi que les intérêts courants et les intérêts moratoires (Message, op. cit., 5049 s.; cf. PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, vol. III, 4
e
éd. 2012, n. 2795a [ci-après: vol. III];
le même
, La nouvelle réglementation de la cédule hypothécaire, Jusletter p. 67 note 51; FOËX, op. cit., p. 8).
Le solde de la créance causale doit faire l'objet d'une poursuite ordinaire (
ATF 136 III 288
consid. 3.2 et les références; arrêt 5A_295/2012 du 9 octobre 2012 consid. 4.2.2, in SJ 2013 I p. 417); pour le recouvrement de ce solde, le créancier n'a pas à attendre l'issue de la procédure en réalisation de gage immobilier, puisque cet excédent n'est manifestement pas couvert par le gage et que l'exception du beneficium excussionis realis de l'
art. 41 al. 1
bis
LP
n'entre donc pas en ligne de compte (arrêt 5A_295/2012 précité consid. 4.2.2 et les références citées).
5.1.3
Jusqu'ici, le Tribunal fédéral n'a pas eu à se prononcer sur la possibilité pour le créancier, propriétaire fiduciaire de la cédule,
BGE 140 III 180 S. 186
d'introduire parallèlement une poursuite en réalisation de gage immobilier pour l'intégralité de la créance abstraite (capital et intérêts) et une poursuite ordinaire pour l'entier de la créance causale.
Dans l'arrêt 5A_295/2012, il n'a statué que sur la plainte que le poursuivi avait formée contre la notification du commandement de payer dans la poursuite ordinaire, successive à la poursuite en réalisation de gage immobilier: considérant qu'en cas de garantie fiduciaire, la créance abstraite incorporée dans la cédule se juxtapose à la créance causale et que l'on est donc en présence de deux créances, indépendantes l'une de l'autre, il a jugé que la créance causale - réclamée par la voie de la poursuite ordinaire - n'est pas elle-même garantie par un gage, de sorte que le poursuivi ne peut pas se prévaloir de l'exception du beneficium excussionis realis de l'
art. 41 al. 1
bis
LP
(
ATF 106 III 5
consid. 1). En passant, il a toutefois relevé que, dans une telle situation, la doctrine accorde au débiteur une exception dilatoire, qu'il peut faire valoir par la voie de l'opposition au commandement de payer, en alléguant que la créance causale n'est pas exigible aussi longtemps que le poursuivant n'a pas été renvoyé perdant dans la procédure en réalisation de l'immeuble grevé de la cédule (citant parmi plusieurs: DANIEL STAEHELIN, Betreibung und Rechtsöffnung beim Schuldbrief, PJA 1994 p. 1255 ss, 1261 [ci-après: Betreibung]; ZOBL/THURNHERR, Berner Kommentar, 3
e
éd. 2010, Syst. Teil, n° 1491 avec de nombreuses références; DOMENICO ACOCELLA, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. I, 2
e
éd. 2010, n° 20 ad
art. 41 LP
; CHARLES JAQUES, Exécution forcée spéciale des cédules hypothécaires, Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs [BlSchK] 2001 p. 201 ss, 211; WIEGAND/BRUNNER, Vorschläge zur Ausgestaltung des Schuldbriefes als papierloses Registerpfand, 2003, p. 47; MARKUS F. VOLLENWEIDER, Die Sicherungsübereignung von Schuldbriefen als Sicherungsmittel der Bank, 1994, p. 136 s.; contra: SIDNEY KAMERZIN, Le contrat constitutif de cédule hypothécaire, 2003, n. 197); en effet, la juxtaposition d'une créance abstraite à une créance causale implique généralement que les parties entendent que le créancier doive en premier lieu obtenir la prestation en faisant valoir la créance abstraite garantie par le gage (PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. I, 1999, n° 42 ad
art. 41 LP
; cf.
ATF 42 III 496
consid. 2).
Cette question doit désormais être tranchée.
BGE 140 III 180 S. 187
5.1.4
Lorsqu'une créance est garantie par gage, la poursuite doit se continuer par la réalisation de gage (
art. 41 al. 1 LP
), sitôt que le préposé est informé de l'existence du droit de gage (
art. 151 al. 1 LP
; STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, 2
e
éd. 2010, § 6 n. 14). L'exception du bénéfice de discussion réelle (i.e. beneficium excussionis realis) permet au débiteur d'exiger que son créancier se désintéresse d'abord sur l'objet du bien remis en gage (au sens de l'
art. 37 LP
;
ATF 129 III 360
consid. 1) avant de le faire sur tous ses autres biens; il peut l'invoquer par la voie de la plainte contre la notification du commandement de payer dans la poursuite ordinaire, par voie de saisie ou de faillite (
art. 41 al. 1
bis
LP
;
ATF 120 III 105
consid. 1).
Bien qu'elle soit réglementée à l'
art. 41 al. 1
bis
LP
, l'exception du bénéfice de discussion réelle est une exception de droit matériel (
ATF 68 III 131
p. 133; ACOCELLA, op. cit., n° 17 ad
art. 41 LP
; STEINAUER, op. cit., vol. III, n. 2785a; FRANZISKA MARTHA BETSCHART, Der Grundpfandvertrag und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, 2011, n. 791); l'
art. 41 al. 1
bis
LP
est de droit dispositif (ACOCELLA, loc. cit.; STEINAUER, op. cit., vol. III, n. 2785a et les références citées). Les parties (débiteur, créancier et propriétaire du gage) peuvent convenir librement de l'ordre dans lequel l'objet du gage et le reste du patrimoine du débiteur servent de garantie; elles peuvent ainsi convenir que la créance abstraite est subsidiaire par rapport à la créance causale, par exemple lorsqu'un tiers est propriétaire du gage, et donc exclure la possibilité pour le débiteur de se prévaloir du bénéfice de discussion réelle (
ATF 68 III 131
p. 133).
L'
art. 41 al. 1
bis
LP
ne s'applique pas, ainsi qu'en a jugé le Tribunal fédéral dans l'arrêt 5A_295/2012, lorsque la cédule hypothécaire au porteur a été remise au créancier à titre de garantie fiduciaire: en effet, la créance causale dont la poursuite ordinaire est en cause n'est pas elle-même garantie par le droit de gage immobilier; c'est la créance cédulaire (ou abstraite) qui est ainsi garantie; la créance causale est garantie par la créance cédulaire (ou abstraite).
5.1.5
Il n'en demeure pas moins que, lors de la remise de la cédule hypothécaire au porteur à titre de garantie fiduciaire (
Sicherungsübereignung
), les parties peuvent prévoir ou exclure l'exception du bénéfice de discussion réelle, que ce soit dans les clauses accessoires de la créance cédulaire (pour la renonciation à l'exception, cf. STEINAUER, op. cit., vol. III, n. 3027; FOËX, op. cit., p. 6), dans les clauses (de nature personnelle) de la convention de fiducie (FOËX, op.
BGE 140 III 180 S. 188
cit., p. 6 s.) ou encore dans les clauses (de nature personnelle) du rapport de base (ainsi, dans l'arrêt 7B.249/2003 du 7 janvier 2004 consid. 4.2, in Pra 2004 n° 103 p. 583, l'exclusion du bénéfice de discussion réelle était prévue dans les conditions générales annexées au contrat de prêt; cf. BETSCHART, op. cit., n. 802). Si les parties conviennent d'une clause de bénéfice de discussion réelle, le débiteur peut exiger de son créancier qu'il poursuive d'abord en réalisation du gage immobilier et donc la créance abstraite; le créancier est donc limité dans ses droits de faire valoir la créance causale. En revanche, lorsque les parties excluent le bénéfice de discussion réelle, le débiteur renonce à exiger que le créancier fasse réaliser d'abord le gage; le créancier est donc libre de réclamer en premier lieu la créance causale, par la poursuite ordinaire.
Savoir si les parties sont convenues d'adopter le bénéfice de discussion réelle ou, au contraire, de l'exclure est affaire d'interprétation de leur volonté. Comme toute manifestation de volonté, une clause de bénéfice de discussion réelle peut aussi être tacite, résulter des circonstances ou du contenu particulier du contrat. Lorsqu'un débiteur remet à son créancier une cédule hypothécaire au porteur à titre de garantie fiduciaire, il le fait pour que celui-ci puisse se faire payer sur le gage en cas de demeure, de la même façon que lorsqu'il confère à son créancier un droit de gage en garantie de sa créance. Dès lors, de la même façon que l'
art. 41 al. 1
bis
LP
présume le bénéfice de discussion réelle, il y a lieu d'admettre qu'il découle de la nature de la convention de fiducie que les parties conviennent tacitement d'une clause de bénéfice de discussion réelle en ce sens que le créancier fiduciaire a l'obligation d'intenter d'abord la poursuite en réalisation de gage sur la base de la créance abstraite (STEINAUER, Les nouvelles dispositions générales sur les cédules hypothécaires, in Les servitudes et les cédules hypothécaires, 2012, p. 267 ss, p. 282 in fine[ci-après: Les nouvelles dispositions]; FOËX, op. cit., p. 15 s.; ACOCELLA, op. cit., n° 20 ad
art. 41 LP
; BETSCHART, op. cit., n. 170 et 798). Ainsi, contrairement à ce qu'a retenu la cour cantonale, le fait que la créance causale et la créance abstraite coexistent ne signifie pas que les deux créances s'ajoutent l'une à l'autre en ce sens que le créancier pourrait exiger cumulativement l'exécution des deux créances, ni qu'il pourrait choisir entre la poursuite ordinaire en recouvrement de la créance causale et la poursuite en réalisation de gage pour la créance abstraite.
BGE 140 III 180 S. 189
Comme pour la créance garantie par gage au sens de l'
art. 41 al. 1
bis
LP
, les parties peuvent toutefois exclure l'exception de discussion réelle, de telle sorte que le créancier pourra poursuivre directement la créance causale, sans que le débiteur puisse s'y opposer, en exigeant qu'il recherche en premier lieu la créance abstraite; une telle exclusion n'a rien d'insolite dans les relations bancaires (arrêt 7B.249/2003 du 7 janvier 2004 consid. 5; BETSCHART, op. cit., n. 802).
En résumé, le créancier a l'obligation de rechercher d'abord la créance abstraite; toutefois, par convention expresse, le débiteur peut renoncer au bénéfice de discussion réelle.
5.1.6
Si le créancier introduit contre son débiteur une poursuite ordinaire, sans égard à l'ordre dans lequel la créance abstraite et la créance causale doivent être recherchées selon la convention de fiducie, le débiteur peut et doit former une opposition au commandement de payer (cf. les références doctrinales citées supra au consid. 5.1.3; cf. également: FOËX, op. cit., p. 16; STAEHELIN, in Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, vol. II, 4
e
éd. 2011, n° 59 ad
art. 842 CC
), opposition qui n'a pas à être motivée (STAEHELIN, Betreibung, p. 1261).
L'
art. 41 al. 1
bis
LP
n'étant pas applicable pour les motifs exposés dans l'arrêt 5A_295/2012 (cf. supra consid. 5.1.3), le débiteur ne contestant d'ailleurs pas le mode de poursuite en tant que tel - puisque la créance causale est bien soumise à la poursuite ordinaire -, la plainte de l'
art. 17 LP
n'est pas ouverte. L'exception du bénéfice de discussion réelle doit être examinée par le juge dans le cadre de la procédure de mainlevée de l'opposition.
5.2
Il s'impose d'examiner maintenant si l'exception du bénéfice de discussion réelle peut être opposée dans la procédure de mainlevée définitive. La cour cantonale a considéré que l'examen de cette exception dans la procédure de mainlevée provisoire de l'opposition ne présente pas de difficultés, l'
art. 82 al. 2 LP
permettant au juge d'examiner tout moyen de libération du débiteur, mais qu'il ne peut en aller de même dans la procédure de mainlevée définitive: dans celle-ci, l'
art. 81 al. 1 LP
s'opposerait à l'examen de cette exception; celle-ci aurait dû être invoquée dans le procès civil qui a abouti au jugement définitif et exécutoire, sur lequel se fonde la poursuite et qui vaut titre de mainlevée définitive.
5.2.1
En vertu de l'
art. 81 al. 1 LP
, lorsque la poursuite est fondée sur un jugement exécutoire rendu par un tribunal, le juge ordonne la mainlevée définitive de l'opposition, à moins que l'opposant ne prouve
BGE 140 III 180 S. 190
par titre que la dette a été éteinte ou qu'il a obtenu un sursis postérieurement au jugement, ou qu'il ne se prévale de la prescription.
Cette disposition n'énumère pas exhaustivement les moyens de défense que le débiteur peut opposer à un jugement exécutoire (STAEHELIN, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. I, 2
e
éd. 2010, n° 2 ad
art. 81 LP
), même si ceux-ci sont limités, le juge de la mainlevée n'ayant ni à revoir ni à interpréter le titre de mainlevée qui est produit, ni à examiner les moyens de droit matériel que le débiteur pouvait faire valoir dans le procès qui a abouti au jugement exécutoire (
ATF 124 III 501
consid. 3a).
5.2.2
Il faut donc examiner si le débiteur pouvait opposer l'exception du bénéfice de discussion réelle devant le juge civil, saisi de conclusions condamnatoires en paiement de la créance causale.
Comme on l'a vu ci-dessus (cf. supra consid. 5.1.5), lorsque le débiteur remet à son créancier une cédule hypothécaire au porteur à titre de garantie fiduciaire, il le fait pour que celui-ci puisse se faire payer sur le gage en cas de demeure de sa part; il découle ainsi de la nature de la convention de fiducie que les parties conviennent tacitement d'une clause de bénéfice de discussion réelle en ce sens que le créancier fiduciaire a l'obligation d'intenter d'abord la poursuite en réalisation de gage immobilier sur la base de la créance abstraite. Il en découle que, selon la volonté des parties à la convention de fiducie, l'exception du bénéfice de discussion réelle empêche seulement le créancier d'intenter la poursuite ordinaire avant d'avoir été renvoyé perdant dans la poursuite en réalisation de l'immeuble grevé de la cédule hypothécaire (cf. les références de l'arrêt 5A_295/2012, citées supra au consid. 5.1.3).
Il s'agit donc d'une exception liée exclusivement au recouvrement de la créance causale par la voie de l'exécution forcée, et non d'une exception de fond touchant à l'exigibilité de cette créance. Cette exception existe certes dès le début - et non seulement postérieurement au jugement -, puisqu'elle découle de la convention de fiducie, mais elle ne peut logiquement être invoquée que lorsque le créancier requiert la poursuite ordinaire. En effet, ce n'est qu'au moment où le créancier intente la poursuite ordinaire que se réalise la condition prévue par la clause de bénéfice de discussion réelle. Il doit en aller ainsi non seulement lorsque le créancier intente d'abord la poursuite ordinaire, mais aussi lorsque, après avoir entamé la poursuite en réalisation de gage immobilier, le créancier requiert parallèlement la poursuite ordinaire.
BGE 140 III 180 S. 191
L'exception du bénéfice de discussion réelle ne peut donc pas être soulevée devant le juge civil, saisi de conclusions condamnatoires en paiement de la créance causale. Contrairement à ce qu'a retenu la cour cantonale, cette exception ne fait pas obstacle à l'exigibilité de la créance causale: en effet, dès lors que, sauf convention contraire, le créancier ne peut introduire la poursuite en réalisation de gage, fondée sur la créance abstraite, que si la créance causale est elle-même exigible et demeure inexécutée, la créance abstraite n'ayant qu'une fonction de garantie de la créance causale (STAEHELIN, Betreibung, p. 1265; STEINAUER, Les nouvelles dispositions, p. 285 s.; FOËX, op. cit., p. 16; CHRISTIAN DENYS, Cédule hypothécaire et mainlevée, JdT 2008 II p. 3 ss, 15), admettre l'inexigibilité de la créance causale priverait le créancier de toute voie d'exécution forcée.
5.2.3
En conséquence, saisi d'une requête de mainlevée définitive, le juge examine l'exception du bénéfice de discussion réelle que le débiteur déduit de la convention de fiducie. En lui-même, le jugement portant condamnation au paiement de la créance causale est exécutoire, et constitue un titre à la mainlevée définitive, mais le débiteur peut valablement s'opposer à la levée de son opposition dès lors que l'exception du bénéfice de discussion réelle lui permet de s'opposer à la poursuite sur ses autres biens tant que la poursuite en réalisation de gage immobilier n'est pas terminée, c'est-à-dire tant que le tableau de distribution n'est pas en force (
art. 157 LP
).
S'il admet que l'exception du bénéfice de discussion réelle est fondée, le juge ne peut que rejeter la requête de mainlevée formée par le créancier. Lorsque la poursuite en réalisation de gage immobilier sera terminée, le créancier pourra déposer à nouveau une requête de mainlevée, l'
art. 88 al. 2 LP
demeurant réservé.
5.2.4
En résumé, si le créancier introduit simultanément ou successivement la poursuite en réalisation de gage immobilier pour l'entier de la créance abstraite et la poursuite ordinaire pour l'intégralité de la créance causale, le débiteur peut former opposition au commandement de payer et le juge de la mainlevée - définitive ou provisoire - peut examiner ce moyen de défense et rejeter la mainlevée.
5.3
En l'espèce, les deux conventions de fiducie, relatives aux deux cédules hypothécaires au porteur remises en garantie, signées le 27 août 1990 par le débiteur, ne contiennent aucune clause de renonciation du débiteur au bénéfice de discussion réelle. Les conditions spéciales et les conditions générales de la banque auxquelles ces deux
BGE 140 III 180 S. 192
conventions renvoient ne prévoient rien à cet égard, contrairement à la clause évoquée dans l'arrêt 7B.249/2003 du 7 janvier 2004, qui excluait le bénéfice de discussion réelle. Il s'ensuit qu'il y a lieu d'admettre que les parties sont convenues tacitement de l'exception du bénéfice de discussion réelle.
Par jugement du 25 novembre 2009, statuant sur la demande reconventionnelle en paiement de la banque, la Cour civile a condamné le débiteur à payer les créances causales (compte courant et avance à terme fixe). Définitif et exécutoire, ce jugement est certes un titre à la mainlevée définitive au sens de l'
art. 81 al. 1 LP
pour ces deux créances. Le débiteur est toutefois en droit d'y opposer l'exception du bénéfice de discussion réelle, de sorte que la requête de mainlevée définitive de l'opposition déposée par la banque doit être rejetée. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3bb281de-bcb2-40ce-8d03-6cda05ecf4ab | Urteilskopf
112 Ia 318
49. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 7 novembre 1986 dans la cause Wyssa c. Grand Conseil du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 31 Abs. 2 BV
: Führen des Anwaltstitels.
Art. 5 des Genfer Gesetzes über den Anwaltsberuf, der das Führen des Anwaltstitels jedem Inhaber verbietet, der nicht im Verzeichnis der praktizierenden Anwälte aufgeführt ist, verstösst gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip. | Sachverhalt
ab Seite 319
BGE 112 Ia 318 S. 319
Le 14 mars 1985, le Grand Conseil du canton de Genève a adopté la loi sur la profession d'avocat (LPAv), dont l'art. 5 prévoit que:
"Nul ne peut faire état du titre d'avocat dans son activité
professionnelle s'il n'est inscrit au tableau des avocats."
La loi sur la profession d'avocat a été publiée dans la Feuille d'avis officielle du canton de Genève du 27 mars 1985. Après l'échéance du délai référendaire, le Conseil d'Etat a, par arrêté du 8 mai 1985, promulgué la loi et fixé son entrée en vigueur au 11 mai 1985.
Gérard Wyssa a formé auprès du Tribunal fédéral un recours de droit public contre l'art. 5 LPAv, dont il demande l'annulation. Il expose en bref qu'après avoir passé son doctorat à l'Université de Lausanne, il a effectué un stage d'avocat et a obtenu le brevet d'avocat vaudois en juillet 1952. Il a ensuite exercé son activité au service de la Société Fiduciaire Suisse de 1952 à 1969 puis, comme cadre, auprès de MM. Lombard, Odier & Cie, banquiers à Genève. Bien qu'il n'ait jamais pratiqué le barreau en dehors de son stage, il a toujours mentionné sur son papier à lettres privé, comme sur ses cartes de visite professionnelles, qu'il est docteur en droit et avocat. Le recourant estime dès lors que la restriction imposée par l'art. 5 LPAv au port du titre d'avocat viole les
art. 31 et 113 Cst.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé l'art. 5 LPAv.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Selon la jurisprudence constante du Tribunal fédéral, l'avocat bénéficie de la liberté du commerce et de l'industrie garantie par l'
art. 31 Cst.
, au même titre que les personnes qui exercent une autre profession libérale ou une autre activité lucrative de droit privé (
ATF 110 Ia 102
consid. 5,
ATF 106 Ia 103
; arrêt non publié dans la cause Sauvin c. Conseil d'Etat du canton de Genève du 18 octobre 1985, consid. 2). La protection de l'
art. 31 Cst.
s'étend d'ailleurs non seulement aux indépendants, mais aussi aux employés salariés qui, comme le recourant, sont atteints dans leurs droits juridiquement protégés (
ATF 84 I 21
).
BGE 112 Ia 318 S. 320
Les cantons peuvent cependant apporter à la liberté constitutionnelle du commerce et de l'industrie des restrictions consistant notamment en des mesures de police justifiées par l'intérêt public. Ces mesures doivent tendre à sauvegarder la tranquillité, la sécurité, la santé et la moralité publiques, à préserver d'un danger ou à l'écarter, ou encore à prévenir les atteintes à la bonne foi en affaires par des procédés déloyaux et propres à tromper le public (
ATF 109 Ia 70
consid. 3a,
ATF 106 Ia 269
consid. 1). Les mesures de police doivent cependant reposer sur une base légale, être justifiées par un intérêt public prépondérant et, selon le principe de la proportionnalité, se limiter à ce qui est nécessaire à la réalisation des buts d'intérêt public poursuivis (
ATF 111 Ia 105
consid. 4,
ATF 110 Ia 102
consid. 5a et les arrêts cités).
b) En l'espèce, l'art. 5 de la loi genevoise sur la profession d'avocat réserve le port du titre d'avocat aux seuls avocats pratiquants, dont l'inscription au tableau tenu par le Procureur général (art. 30 LPAv) indique qu'ils sont soumis à surveillance et doivent respecter les obligations générales de l'avocat (art. 8 ss LPAv). Le Conseil d'Etat relève que le législateur a ainsi voulu protéger le public à l'égard des personnes qui ont subi les épreuves en vue d'obtenir un brevet d'avocat, mais ne se soumettent pas aux obligations qu'impose l'exercice de la profession.
L'intérêt public peut certes commander qu'un canton édicte des dispositions afin d'éviter que le public soit trompé sur l'existence de la surveillance d'une profession libérale qui n'est pas soumise à autorisation, comme c'est le cas, à Genève, des bureaux privés qui exercent des activités de conseillers juridiques et représentent aussi leurs clients en dehors des tribunaux. Exercées à titre indépendant, ces activités sont en effet de nature à créer la confusion avec le travail de l'avocat qui non seulement assiste et représente ses mandants devant les autorités judiciaires et administratives (art. 1 al. 1 LPAv), mais les représente également à l'égard des tiers et donne des conseils en matière juridique (art. 1 al. 2 LPAv). Il existe donc un intérêt public certain à empêcher que les particuliers s'adressant à des conseillers qui font état de leur titre d'avocat, sans avoir besoin d'une autorisation pour pratiquer et sans être inscrits au tableau, croient à tort que leur mandataire est soumis à la surveillance du barreau et doit respecter les obligations générales d'un avocat.
La restriction prévue par l'art. 5 LPAv repose ainsi sur une base légale et constitue une mesure de police répondant à un intérêt
BGE 112 Ia 318 S. 321
public. Il s'agit dès lors de savoir si elle respecte le principe de la proportionnalité, c'est-à-dire si elle est limitée à ce qui est nécessaire à la réalisation du but d'intérêt public poursuivi.
c) Insistant sur l'intérêt qu'il a à se prévaloir de son titre dans ses relations professionnelles, le recourant soutient que le justiciable mal informé ne risque pas de confondre une étude d'avocats avec une banque, une compagnie d'assurance ou un service de l'administration. Il estime dès lors que l'art. 5 LPAv viole le principe de la proportionnalité, car le législateur genevois aurait pu atteindre le but de protection visé en prescrivant l'adjonction de la mention "inscrit au tableau des avocats pratiquants" pour les avocats autorisés à pratiquer devant les tribunaux ou, plus subsidiairement encore, en prescrivant aux avocats non pratiquants l'utilisation du titre d'"avocat-conseil" ou de la mention "titulaire d'un brevet d'avocat".
L'interdiction posée par l'art. 5 LPAv revient à empêcher tout juriste - qui a obtenu un brevet d'avocat dans le canton de Genève ou dans un autre canton - de faire état de son titre dans son activité professionnelle. Or, il est constant qu'en Suisse, beaucoup de juristes qui accomplissent un stage d'avocat et subissent avec succès l'examen de brevet, renoncent ensuite à la pratique du barreau pour se lancer dans des activités qui touchent de près ou de loin à leur formation. Le certificat de capacité qu'ils ont obtenu en passant leur brevet d'avocat démontre toutefois qu'ils ont acquis certaines connaissances juridiques et il est même fréquent que cette qualification soit exigée lors d'une offre d'emploi. Les titulaires d'un brevet d'avocat ont ainsi un intérêt à mentionner leur titre, qu'ils portent d'ailleurs régulièrement lorsqu'ils sont employés dans l'administration fédérale, dans l'administration de certains cantons ou dans une entreprise, telle que les banques, les compagnies d'assurances et les fiduciaires. Force est donc de constater qu'en dehors de l'exercice indépendant de la profession d'avocat, il existe d'autres activités professionnelles pour lesquelles la formation d'avocat et le certificat de capacité correspondant ont une signification. Or, dans la mesure où ces activités s'exercent au sein d'une entreprise ou d'une administration, il n'y a pratiquement pas de risque que le public soit trompé, en croyant à tort qu'elles sont soumises à la surveillance du barreau. Cette particularité n'est au demeurant pas propre à la profession d'avocat, car l'on trouve aussi actuellement de nombreux médecins ou pharmaciens qui ne sont pas indépendants,
BGE 112 Ia 318 S. 322
mais qui continuent à porter le titre correspondant à leur qualification professionnelle.
Pour atteindre le but d'intérêt public poursuivi par le législateur genevois, il n'était pas nécessaire d'interdire, d'une manière générale, le port du titre d'avocat à tous ceux qui, comme le recourant, sont engagés dans une entreprise ou une administration. Cette interdiction est excessive par rapport à l'intérêt que possèdent les titulaires d'un brevet d'avocat à mentionner leur certificat de capacité dans la vie professionnelle. Il aurait en effet suffi, pour éviter de tromper le public, d'attribuer aux avocats inscrits au tableau un titre différent de la désignation générale de la profession; le législateur aurait pu aussi interdire, à ceux qui n'ont pas besoin d'une autorisation pour exercer leur activité, de porter le titre d'avocat sans un complément qui les distingue nettement des avocats pratiquants soumis à surveillance. Toutefois, il n'appartient pas au Tribunal fédéral de dicter aux autorités genevoises la solution qui répondrait à l'intérêt public visé, tout en respectant le principe de la proportionnalité. Il se bornera donc, en l'occurrence, à annuler l'art. 5 de la loi sur la profession d'avocat. | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3bb5922e-f376-47fe-8812-ba7428b606d7 | Urteilskopf
119 IV 17
4. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 15 février 1993 dans la cause E. c. Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 58 Abs. 4 StGB
; Ersatzforderung des Staates.
Sind an einer Tat mehrere beteiligt, besteht keine Solidarhaftung für die Ersatzforderung (E. 2b).
Hat jemand Betäubungsmittel weder aus dem Gewinn einer vorhergehenden Widerhandlung erworben noch kostenlos erhalten, stellt ihr Besitz oder Konsum keinen Vermögensvorteil dar. Sie dürfen deshalb bei der Berechnung der Ersatzforderung nicht berücksichtigt werden (E. 2c; Präzisierung der Rechtsprechung).
Nachdem die Höhe des unrechtmässigen Vorteils, den der Täter aus den strafbaren Handlungen erlangt hat, festgestellt wurde, ist zu prüfen, ob sich eine Herabsetzung oder sogar ein Verzicht auf die Ersatzforderung rechtfertigt, weil sie die soziale Integration des Täters gefährden würde; diese Prüfung setzt eine umfassende Beurteilung der finanziellen Lage des Betroffenen voraus, und es ist deshalb gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass der Täter sich für den Einstieg in den Handel mit Betäubungsmitteln verschuldet hat und die Schuld noch zurückbezahlen muss (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 119 IV 17 S. 18
A.-
Au début du mois d'août 1990, E. a investi, à la demande de son ami G. 35'000 francs - dont 25'000 francs avaient été empruntés - pour l'achat de 300 g de cocaïne. Le couple s'était associé à T. pour réaliser cette opération. G. et T. se sont rendus à Genève où ils ont acquis 178 g de cocaïne. La drogue fut entreposée au domicile de E., où elle fut coupée avec un autre produit et conditionnée pour la vente. Chaque membre du trio prit 10 g pour sa consommation personnelle et le solde fut vendu. L'essentiel du produit des ventes fut réinvesti pour répéter l'opération. T. et G. se rendirent à Genève le 1er septembre 1990 et acquirent 100 g de cocaïne. Ayant procédé de la même manière, le trio acheta encore, le 10 septembre 1990, 80 g de cocaïne avec le produit de la seconde opération. Cette drogue fut à nouveau mise en vente.
Selon l'autorité cantonale, le gain brut des ventes successives de cocaïne se monte à une somme de l'ordre de 80'000 francs; il n'est cependant pas établi que E. ait cherché à se procurer des revenus importants; il est au contraire vraisemblable que son seul souci ait été de pouvoir recouvrer sa mise de fonds; il a été constaté que sur la totalité des montants encaissés, E. avait retiré elle-même une somme de 4'176 francs et avait prélevé 22 g de cocaïne pour son usage personnel.
Il fut relevé par ailleurs qu'elle avait consommé, entre fin juin et le 25 septembre 1990, divers stupéfiants.
BGE 119 IV 17 S. 19
B.-
Par jugement du 30 mars 1992, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné E., pour infraction grave et contravention à la loi fédérale sur les stupéfiants, à la peine de 16 mois d'emprisonnement, avec sursis pendant deux ans, et à une créance compensatrice envers l'Etat d'un montant de 5'000 francs, une partie des frais de la cause étant mise à sa charge.
La condamnée recourut en réforme auprès de la Cour de cassation cantonale en contestant exclusivement la créance compensatrice mise à sa charge. Statuant le 26 octobre 1992, la juridiction cantonale rejeta ce recours.
C.-
Contre cet arrêt, E. s'est pourvue en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Observant qu'elle avait investi 35'000 francs, dont 25'000 francs avaient été empruntés, et qu'elle n'avait retiré que 4'176 francs sur l'ensemble des opérations délictueuses, elle soutient que sa condamnation à une créance compensatrice de 5'000 francs procède d'une fausse application de l'
art. 58 CP
. Elle conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale afin qu'aucune créance compensatrice ne soit mise à sa charge. Elle sollicite par ailleurs l'effet suspensif et l'octroi de l'assistance judiciaire.
La cour cantonale s'est référée aux considérants de l'arrêt attaqué, tandis que le Ministère public, sans formuler d'observations, a conclu au rejet du pourvoi.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral ne peut être formé que pour violation du droit fédéral, à l'exception de la violation directe de droits de rang constitutionnel (
art. 269 PPF
). La Cour de cassation n'est pas liée par les motifs invoqués, mais elle ne peut aller au-delà des conclusions de la recourante (
art. 277bis PPF
). Comme en l'espèce la recourante a clairement circonscrit le litige à la seule question de la créance compensatrice, il s'agit du seul problème qui doit être examiné ici. La Cour de cassation est liée par les constatations de fait de l'autorité cantonale, sous réserve de la rectification d'une inadvertance manifeste (
art. 277bis al. 1 PPF
).
Le pourvoi a un caractère strictement cassatoire (
art. 277ter al. 1 PPF
), de sorte que les conclusions de la recourante sont irrecevables dans la mesure où elles semblent tendre à autre chose qu'à l'annulation
BGE 119 IV 17 S. 20
de la décision attaquée et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour qu'il soit statué à nouveau.
2.
a) Selon l'
art. 58 al. 1 CP
, le juge prononcera la confiscation notamment des objets et valeurs qui sont le produit d'une infraction s'il y a lieu de supprimer un avantage ou une situation illicite. L'
art. 58 al. 4 CP
prévoit que "lorsque des objets ou des valeurs ne sont plus détenus par celui à qui ils ont procuré un avantage illicite et chez qui ils devraient être confisqués, leur remplacement par une créance compensatrice de l'Etat d'un montant équivalent à l'avantage illicite sera ordonné".
Inspirée de l'adage selon lequel "le crime ne paie pas", cette mesure a pour but d'éviter qu'une personne puisse tirer avantage d'une infraction (
ATF 117 IV 110
consid. a,
ATF 106 IV 337
consid. aa,
ATF 105 IV 24
,
ATF 104 IV 229
consid. b). Elle peut être prononcée non seulement à l'encontre d'un participant à l'infraction, mais également à l'égard d'un tiers qui tirerait un profit illégitime d'une infraction (
ATF 115 IV 178
consid. 2b aa). Lorsque les conditions en sont remplies, la mesure doit être ordonnée (
ATF 115 IV 175
consid. 3 et les références citées).
La créance compensatrice, prévue par l'
art. 58 al. 4 CP
, a pour but d'éviter que celui qui a disposé des objets ou valeurs à confisquer soit privilégié par rapport à celui qui les a conservés (
ATF 109 IV 124
consid. b,
ATF 106 IV 337
consid. aa,
ATF 105 IV 24
,
ATF 104 IV 6
, 229 consid. b). Celui qui vend des stupéfiants, ce qui constitue une infraction (
art. 19 ch. 1 al. 4 LStup
), réalise par son acte un profit illicite équivalent à la totalité de la somme reçue; certes, il a fourni de la drogue en échange de l'argent reçu, mais il s'agit d'une marchandise dangereuse dont la vente est interdite, de sorte qu'il n'avait aucun droit d'en tirer une somme quelconque et qu'il était même exposé en tout temps à ce que la drogue lui soit confisquée sans aucune contrepartie (
art. 19 ch. 1 al. 5 LStup
, 58 al. 1 let. b CP); l'avantage illicite qui peut être confisqué est donc le prix total de la vente; si l'intéressé ne détient plus les fonds, il doit être condamné, en application de l'
art. 58 al. 4 CP
, à une créance compensatrice équivalente envers l'Etat (cf.
ATF 109 IV 124
consid. b,
ATF 105 IV 22
s. consid. 1a et 2,
ATF 103 IV 143
ss; SCHULTZ, Die Einziehung, der Verfall)... in ZBJV 114 (1978) p. 316).
La jurisprudence a déduit des termes "s'il y a lieu", figurant à l'
art. 58 al. 1 let. a CP
, que le juge dispose d'une certaine marge d'appréciation lui permettant de réduire ou supprimer la créance compensatrice lorsque l'intéressé n'est plus enrichi et que cette mesure
BGE 119 IV 17 S. 21
compromettrait son intégration ou sa réintégration sociale (
ATF 106 IV 10
, 337 consid. bb,
ATF 105 IV 24
,
ATF 104 IV 229
consid. b). Savoir s'il y a lieu de faire usage de cette faculté suppose une appréciation globale de la situation de l'intéressé (
ATF 106 IV 337
consid. bb); en particulier, on ne doit pas attendre de lui qu'il fasse passer la créance compensatrice avant ses obligations découlant du droit de la famille (
ATF 106 IV 338
). Une réduction ou une suppression de la créance compensatrice n'est cependant admissible que dans la mesure où l'on peut réellement penser que celle-ci mettrait concrètement en danger la situation sociale de l'intéressé, sans que des facilités de paiement permettent d'y remédier (
ATF 106 IV 10
consid. 2).
b) La cour cantonale a constaté en fait - d'une manière qui lie la Cour de cassation - que le trio avait encaissé, à la suite de ces diverses ventes de stupéfiants, une somme totale de l'ordre de 80'000 francs.
La première question à résoudre est de savoir si chacun des trois participants pourrait être astreint à une créance compensatrice équivalente à la totalité de cette somme en vertu du principe de la solidarité. S'il est vrai que les participants à un acte illicite sont tenus solidairement de réparer le dommage qui en découle (
art. 50 al. 1 CO
), la confiscation prévue par l'
art. 58 CP
ne constitue pas une forme de réparation du dommage et ne doit pas être confondue avec l'action aquilienne prévue par l'
art. 41 CO
(
ATF 100 IV 106
consid. 1). Selon un principe général formulé à l'
art. 143 al. 2 CO
, la solidarité n'existe que lorsqu'elle a été convenue ou qu'elle est prévue par la loi. Comme aucune disposition ne prévoit la solidarité dans le cas de la créance compensatrice de l'
art. 58 al. 4 CP
, il faut en déduire que celle-ci est exclue et que chaque participant n'est tenu que pour la part qu'il a reçue (TRECHSEL, Kurzkommentar, ad art. 58 no 8; SCHULTZ, Allg. Teil II, 4e éd., p. 211; STRATENWERTH, Allg. Teil II, p. 500 no 63 et les références citées; cf. également: la jurisprudence vaudoise citée par GUSTAV HUG-BEELI, Betäubungsmitteldelikte, Zurich 1983, p. 181-183; LOUIS GAILLARD, La confiscation des gains illicites, le droit des tiers, in Le rôle sanctionnateur du droit pénal, Fribourg 1985, p. 170). Si les parts ne peuvent pas être déterminées, la doctrine propose de diviser le montant par tête (STRATENWERTH, op.cit., loc.cit.).
Cette solution se justifie également pour des motifs logiques. Si, à la suite d'une infraction, un seul des participants acquiert un avantage illicite et qu'il le conserve en nature, il est évident que la confiscation ne pourra être prononcée qu'à son encontre et que les autres participants ne pourront pas être frappés d'une telle mesure. Il a été
BGE 119 IV 17 S. 22
rappelé que la créance compensatrice a pour but de traiter celui qui a disposé de l'avantage illicite de la même manière que s'il l'avait conservé. Si un seul des participants a reçu l'avantage illicite et en a disposé pour lui-même, il est évident que c'est lui qui doit être astreint à une créance compensatrice et que l'on ne saurait s'adresser aux autres, puisque cela reviendrait à les désavantager du seul fait que le bien n'a pas été conservé en nature. Cela irait à l'encontre du but de la créance compensatrice, qui n'est qu'un substitut de la confiscation en nature, et qui ne doit, par rapport à celle-ci, engendrer ni avantage ni inconvénient.
En l'espèce, il a été constaté en fait que la recourante avait retiré elle-même des ventes une somme de 4'176 francs et avait prélevé 22 g de cocaïne pour son usage personnel. Ces biens n'existant plus, il convient d'examiner dans quelle mesure ils peuvent fonder une créance compensatrice en application de l'
art. 58 al. 4 CP
.
c) La seconde question qu'il faut résoudre ici est de savoir si la drogue que la recourante a elle-même consommée doit être prise en compte pour déterminer le montant de la créance compensatrice. Selon l'
art. 58 al. 4 CP
, la créance compensatrice doit correspondre à l'avantage illicite. Cette dernière notion appelle une interprétation.
S'il est vrai qu'elle paraît plus large que le concept d'enrichissement illégitime (
ATF 100 IV 105
s. consid. 1), on ne doit pas perdre de vue qu'il s'agit de déterminer la quotité d'une créance compensatrice. Or, cette créance est une dette d'argent. Elle ne peut être compensatrice et remplacer les objets ou valeurs qui ont disparu que si ceux-ci sont également estimables en argent. Cela résulte à l'évidence du texte de l'
art. 58 al. 4 CP
qui prévoit que la créance compensatrice doit être "d'un montant équivalent" à l'avantage illicite. On ne peut vraiment parler d'un montant équivalent que si l'on considère un avantage appréciable en argent; d'ailleurs, s'il s'agit d'un avantage qui n'a aucun caractère patrimonial, la créance compensatrice n'apparaît pas comme une réponse adéquate et c'est alors plutôt le rôle de la peine de faire en sorte que le crime ne paie pas. Il faut donc admettre, avec la doctrine, que l'avantage doit avoir une valeur économique (TRECHSEL, op.cit., ad art. 58 no 5) et qu'il doit revêtir la forme d'une augmentation de l'actif, d'une diminution du passif, d'une non-augmentation du passif ou d'une non-diminution de l'actif (cf. SCHULTZ, Allg. Teil II, p. 210; GAILLARD, op.cit., p. 167 s.). Dans la mesure où l'arrêt paru à l'
ATF 100 IV 105
s. consid. 1 donne à penser le contraire, cette jurisprudence ne peut pas être maintenue.
BGE 119 IV 17 S. 23
Selon les constatations cantonales, la drogue a été achetée - les participants s'étant réparti les tâches entre eux - et la recourante a fourni les fonds nécessaires. Rien ne permet d'affirmer que la cocaïne qu'elle a gardée pour elle-même aurait été acquise à l'aide des bénéfices d'une précédente vente, plutôt qu'au moyen de ses fonds ou de leur remploi. Il faut donc raisonner comme si la recourante avait acheté les 22 g de cocaïne, qu'elle a ensuite détenus, puis consommés. Elle n'a donc pas vendu cette quantité de stupéfiants, ce qui aurait donné lieu - comme il a été rappelé ci-dessus - à un avantage illicite équivalent au prix de vente, puisqu'il est interdit de vendre cette substance et qu'elle est susceptible d'être confisquée en tout temps sans contrepartie. La détention et la consommation de la drogue n'ont évidemment pas eu pour effet d'améliorer la situation patrimoniale de la recourante. Il faut donc examiner si elle a tiré un avantage illicite de l'achat de cette drogue.
Certes, l'achat a bien eu lieu parce que la recourante préférait détenir de la drogue, plutôt que de l'argent. Cet avantage purement subjectif n'est toutefois pas pertinent, puisqu'il ne s'agit pas d'une valeur économique. On doit déduire des faits retenus que la recourante a acheté la drogue pour son juste prix, de sorte qu'elle en a fourni, au moment de l'achat, la contre-valeur économique. On ne voit donc pas qu'elle ait été enrichie, de sorte qu'il n'y a pas eu d'avantage patrimonial. Il n'est pas nécessaire d'examiner ici ce qu'il en serait si l'acquisition avait eu lieu à titre gratuit.
D'ailleurs, si l'on devait admettre que le toxicomane qui achète de la drogue pour sa consommation personnelle acquiert un avantage illicite équivalent au prix de son achat, cela reviendrait, par le jeu de la créance compensatrice, à exiger de lui qu'il paie sa drogue deux fois, ce qui ne peut être le but de l'
art. 58 al. 4 CP
.
SCHULTZ (Allg. Teil II, p. 214) admet également que celui qui achète puis revend de la drogue ne réalise un profit illicite qu'au moment de la revente. Il est vrai que THOMAS MAURER (Die Berechnung der Ersatzforderung des Staates gemäss Art. 58 StGB und Art. 24 BMG, in SJZ 73 (1977) p. 358) a soutenu que la consommation personnelle devait être prise en compte pour déterminer l'avantage illicite, mais cet auteur recherche le bénéfice net, selon une conception de l'avantage illicite qui a été rejetée par la jurisprudence.
En conséquence, les 22 g de cocaïne que la recourante a achetés et consommés elle-même ne doivent pas être pris en compte pour déterminer le montant de la créance compensatrice.
BGE 119 IV 17 S. 24
d) Il résulte de ce qui précède que l'avantage illicite réalisé par la recourante se limite au montant de 4'176 francs qu'elle a personnellement reçu à la suite des ventes de stupéfiants. Comme la créance compensatrice doit être équivalente à l'avantage illicite, il est évident qu'elle ne peut pas dépasser ce montant. Dès lors, la somme de 5'000 francs fixée en l'espèce procède d'une mauvaise application de l'
art. 58 al. 4 CP
. L'arrêt attaqué doit donc être annulé pour ce motif et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour nouvelle décision.
3.
Selon la jurisprudence déjà rappelée ci-dessus, l'autorité cantonale devait encore se demander s'il fallait réduire ou supprimer la créance compensatrice pour le motif que celle-ci mettrait en péril l'intégration sociale de la recourante, qui n'est plus enrichie. Le tribunal de première instance n'a pas du tout examiné cette question. Quant à la Cour de cassation cantonale - dont la décision fait seule l'objet du pourvoi -, elle a observé que la recourante avait un salaire régulier de 1'620 francs par mois et vivait en concubinage; elle n'a cependant tenu aucun compte, dans son raisonnement sur ce point, de la dette contractée par la recourante pour se lancer dans le trafic de stupéfiants, dont elle a admis la réalité dans la partie en fait de son arrêt. Or, la jurisprudence citée exige une appréciation globale de la situation financière de l'intéressée. Comme la cour cantonale admettait que la recourante avait emprunté une somme importante pour se lancer dans le trafic de stupéfiants, mise de fonds qu'elle n'a pas pu récupérer par ses agissements illicites, elle devait s'inquiéter, dans le cadre de l'appréciation globale requise, de l'incidence de cette dette sur la situation financière de l'accusée. A lire ses écritures, il semble que les infractions qu'elle a commises ont entraîné pour elle de graves conséquences financières qui grèvent lourdement son budget. En omettant d'élucider complètement et de traiter cet aspect, la cour cantonale a perdu de vue un élément pertinent pour dire si, aux termes de l'
art. 58 al. 1 let. a CP
, il y a lieu de supprimer l'avantage illicite, précédemment établi, au moyen d'une créance compensatrice. Pour ce motif également, l'arrêt attaqué viole le droit fédéral et l'autorité cantonale devra aussi traiter la question sous cet angle. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3bb85116-3367-4375-a5f9-f00fc7bbeb2c | Urteilskopf
107 II 57
11. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Januar 1981 i.S. SUISA gegen Rediffusion AG (Berufung) | Regeste
Art. 12 Abs. 1 Ziff. 5 und 6 sowie Abs. 2 URG. Kabelfernsehen.
1. Legitimation der Parteien. Zulässigkeit von Feststellungsklagen (E. 1).
2. Art. 11bis Abs. 1 Ziff. 1 und 2 Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst: Anwendung des Abkommens auf ein schweizerisches Kabelunternehmen (E. 2); Auslegung seiner Bestimmungen nach der Entstehungsgeschichte, nach ausländischer Rechtsprechung und nach international anerkannten Kriterien (E. 3). Ihre Bedeutung für das Landesrecht (E. 4).
3. Der Anspruch des Urhebers gemäss
Art. 12 Ziff. 6 URG
setzt voraus, dass eine öffentliche Mitteilung vorliegt (E. 5) und diese von einem anderen als dem ursprünglichen Sendeunternehmen vorgenommen wird (E. 6). Ein selbständiges Kabelunternehmen erfüllt diese Voraussetzungen, wenn es ein gesendetes Werk über seine Anlagen an 60'000 Abonnenten weiterverbreitet (E. 6d).
4. Eine gesonderte Vergütung ist gerechtfertigt, wenn zwei urheberrechtlich relevante Leistungen vorliegen (E. 7); sie lässt sich selbst dann nicht als missbräuchlich ausgeben, wenn Abonnenten sich wegen eines kommunalen Antennenverbotes für das Kabelfernsehen entscheiden (E. 8). Das gilt auch für ausländische Sendungen (E. 9).
5. Möglichkeiten für die Beteiligten und den Gesetzgeber, praktikable Lösungen zu finden und einer Gefährdung von Urheberrechten durch Auswüchse der Technik vorzubeugen (E. 10). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 107 II 57 S. 58
A.-
Die SUISA (Schweizerische Gesellschaft für Urheberrechte an Musik-Aufführungen und -Sendungen) ist eine Genossenschaft gemäss
Art. 828 ff. OR
, die vor allem aus Komponisten, Textdichtern und Verlegern von Musikwerken besteht. Sie wahrt deren Rechte an öffentlichen Aufführungen oder Sendungen nichttheatralischer Werke und bietet den
BGE 107 II 57 S. 59
Veranstaltern die Möglichkeit, ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Urhebern mit möglichst wenig Umtrieben zu erfüllen. Sie besitzt seit 1941 die dafür in Art. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Verwertung von Urheberrechten (VerwG) vorgesehene Bewilligung, die inzwischen alle fünf Jahre erneuert worden ist. Ihre Tätigkeit stützt sich ferner auf Verträge mit ihren Mitgliedern und ausländischen Verwertungsgesellschaften.
Die SUISA übt die ihr übertragenen oder abgetretenen Rechte im eigenen Namen aus, zieht insbesondere die ihren Mitgliedern geschuldeten Entschädigungen selber ein. Das gilt auch für die musikalischen Sendungen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG); die SUISA erhält dafür jährlich eine Pauschalentschädigung aus dem Anteil an den Empfangsgebühren, den die PTT-Betriebe der SRG ausrichten.
Die Rediffusion AG betreibt in der Schweiz mehrere Fernsehanlagen, die insbesondere aus Empfangsstellen, Verstärker- und Umsetzerstationen sowie einem Kabelnetz bestehe. Dazu gehört unter anderem eine Anlage auf dem Ütliberg, wo sie in- und ausländische Fernseh- und UKW-Sendungen mit einem 32 m hohen Empfangsturm und anderen technischen Mitteln auffängt, die Sendungen für die Kabelübertragung aufbereitet und über Verstärkereinrichtungen an rund 60'000 Abonnenten in Zürich und Umgebung weiterleitet. In der ganzen Schweiz sollen rund eine Million Abonnenten über etwa 1700 grössere oder kleinere Anlagen dieser Art. versorgt werden.
Die SUISA fand, eine solche Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen bedürfe ihrer Bewilligung. Sie stiess dabei aber auf den Widerstand der Vereinigung Schweizerischer Gemeinschafts-Antennen-Betriebe, der auch die Rediffusion AG angehört.
B.-
Im August 1976 klagte die SUISA beim Obergericht des Kantons Zürich gegen die Rediffusion AG auf Feststellung, dass die Beklagte den Abonnenten ihres Verteilnetzes in der Region Zürich nur mit Erlaubnis der Klägerin Radio- und Fernsehsendungen zuleiten dürfe.
Die Beklagte widersetzte sich diesem Begehren und erhob Widerklage auf Feststellung, dass sie ohne Erlaubnis der Klägerin alle von der SRG ausgestrahlten Radio- und Fernsehsendungen weiterleiten dürfe (Begehren 1), dass dies für andere,
BGE 107 II 57 S. 60
d.h. ausländische Sendungen ebenfalls gelte, soweit sie von den Abonnenten auch mit eigener Antennenanlage empfangen werden könnten (Begehren 2a), eventuell soweit der Empfang aufgrund internationaler Vereinbarung zulässig und frei sei (Begehren 2b).
Durch Entscheid vom 17. September 1979 wies das Obergericht die Klage der SUISA ob (Ziff. 1) und stellte in Gutheissung der drei Widerklagebegehren fest, dass die Beklagte ohne Erlaubnis der Klägerin ihren Abonnenten nicht nur die Programme der SRG (Ziff. 2a), sondern auch andere Radio- und Fernsehsendungen zuleiten dürfe, falls diese von den Abonnenten auch mit eigener Antenne empfangen werden könnten (Ziff. 2b) oder der Empfang aufgrund internationaler Vereinbarung zulässig und frei sei (Ziff. 2c).
Auf Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin hob das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 11. Juli 1980 Ziff. 2c dieses Urteilsspruches auf, weil die Beklagte diesbezüglich nur ein Eventualbegehren gestellt habe. Im übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.
C.-
Die Klägerin hat gegen den Entscheid des Obergerichts auch Berufung eingelegt mit den Anträgen, ihn aufzuheben, ihr Feststellungsbegehren, das sie auf urheberrechtlich geschützte Werke beschränkt, gutzuheissen und die Widerklage abzuweisen, eventuell die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil in der vom Kassationsgericht korrigierten Fassung zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Aktivlegitimation der SUISA und die Passivlegitimation der Rediffusion AG sind nicht streitig, auch nicht mit Bezug auf ausländische Sendungen, die vom Obergericht freilich nur beiläufig behandelt worden sind. Die Klageberechtigung der SUISA für solche Sendungen ergibt sich daraus, dass sie sich auf Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften berufen kann und damit praktisch das gesamte Weltrepertoire nichttheatralischer Musik vertritt.
Dass die Feststellungsklagen beider Parteien prozessual zulässig sind, ist unbestritten und ebenfalls nicht zu beanstanden.
BGE 107 II 57 S. 61
Selbst wenn der Anspruch, der ihnen zugrunde liegt, sich nicht schon aus dem materiellen Recht ergäbe, verstiesse die Zulassung der Klagen nicht gegen Bundesrecht (
BGE 101 II 187
mit Hinweisen). Das Begehren der Klägerin ist allerdings dahin zu verdeutlichen, dass es sich nicht auf die sogenannten Eigensendungen der Beklagten bezieht, für die bereits eine Regelung besteht; es betrifft nur die von ihr weitergeleiteten Radio- und Fernsehprogramme und auch diese bloss insoweit, als es um "urheberrechtlich geschützte Werke" geht, wie im Berufungsantrag beigefügt worden ist. Etwas anderes konnte schon mit der ursprünglichen Fassung nicht gemeint sein.
Klarzustellen sind auch die Widerklagebegehren, die zwar zwischen Sendungen der SRG und anderen (d.h. ausländischen) unterscheiden, sich im Unterschied zum Begehren der SUISA aber nicht auf die Region Zürich beschränken. Das tut auch der angefochtene Entscheid nicht, obwohl seinen Erwägungen eine solche Beschränkung zugrunde liegen dürfte. Es kann dies allenfalls bedeutsam werden für ausländische Sendungen, welche nach dem Wortlaut des Widerklagebegehrens 2a und des entsprechenden Urteilsspruches (Ziff. 2b) nicht bloss im Raum Zürich, sondern überall ohne Erlaubnis der SUISA weitergeleitet werden dürfen, wo sie von Abonnenten mit eigener Antenne ebenfalls empfangen werden könnten. Das ist nicht mehr eine auf die Region Zürich bezogene Feststellung, wie sie mit der Hauptklage verlangt wird, sondern eine von den tatsächlichen Verhältnissen unabhängige Rechtsanwendung, die freilich mit den Urteilserwägungen der Vorinstanz nicht übereinstimmt.
2.
Die Parteien streiten sich hauptsächlich über die Frage, unter welchen Voraussetzungen Sendungen, die zeitgleich und unverändert über Gemeinschaftsantennen weitergeleitet werden, einer Erlaubnis der Urheber bedürfen und deren Rechte finanziell abzugelten sind. Ob es sich dabei nur um Fernseh- oder auch um Radiosendungen handelt, rechtfertigt keine unterschiedliche Beurteilung. Vorweg zu klären ist dagegen, was unter einer Gemeinschaftsantenne zu verstehen ist, da damit Anlagen unterschiedlichster Grösse gemeint sein können; der Begriff reicht von der Dachantenne eines Mehrfamilienhauses über die gemeinsame Antenne mehrerer benachbarter Häuser oder Quartiere bis zur Grossanlage, über die eine ganze Stadt oder Region mit Sendungen versorgt wird (H.J. STERN, Die
BGE 107 II 57 S. 62
Weiterverbreitung von Radio- und Fernsehsendungen, Diss. Zürich 1970, S. 36). Vorliegend geht es um eine solche Grossanlage mit einem weitverzweigten Kabelnetz, über das in Zürich und Umgebung rund 60'000 Abonnenten die streitigen Sendungen empfangen.
Art. 12 URG
sichert dem Urheber das ausschliessliche Recht, sein Werk durch Rundfunk zu senden (Abs. 1 Ziff. 5) und es zudem "mit oder ohne Draht öffentlich mitzuteilen, wenn diese Mitteilung von einem anderen als dem ursprünglichen Sendeunternehmen vorgenommen wird" (Ziff. 6); die öffentliche Mitteilung des Werkes durch eine Fernsehsendung ist der Rundfunksendung gleichgestellt (Abs. 2). Wer Urheberrechte im Sinne dieser Bestimmungen verletzt, ist gemäss
Art. 42 Ziff. 1 lit. f URG
zivil- und strafrechtlich verfolgbar. Nach Auffassung des Obergerichts ist eine solche Verletzung im vorliegenden Fall zu verneinen, weil die Beklagte keine Sendetätigkeit ausübe, sondern nur technische Empfangshilfe leiste. Entscheidend sei, dass sie die Sendungen zeitgleich und unverändert an einen Personenkreis weiterleite, der die gleichen Programme auch mittels einer Einzelantenne empfangen könnte. Im einen wie im andern Fall benötige der Empfänger eine Konzession der PTT und bezahle dafür eine Gebühr, von der die SUISA über die SRG einen Anteil zugunsten der Urheber beziehe; die Klage laufe darauf hinaus, sich für die gleiche Leistung zweimal bezahlen zu lassen, was missbräuchlich sei.
Das Obergericht stellt dabei ausschliesslich auf das URG ab und lässt die Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (RBUe) in der am 26. Juni 1948 in Brüssel revidierten Fassung (SR 0.231.13), selbst für die ausländischen Sendungen, ausser Betracht. Die Klägerin beharrt dagegen auf ihrem Standpunkt, dieses Abkommen sei hier, wie sich aus seinem
Art. 4 Abs. 1 und
Art. 68bis URG
ergebe, unmittelbar anwendbar. Die Beklagte scheint aus dem Vorbehalt der nationalen Gesetzgebung in
Art. 11bis Abs. 2 RBUe
einen andern Schluss zu ziehen, räumt aber ein, dass die Schweiz von diesem Vorbehalt keinen Gebrauch gemacht hat und eine abweichende Beurteilung deshalb entfällt. Ebensowenig ist ihr entgangen, dass Lehre und Rechtsprechung zum Abkommen auch für die Auslegung von
Art. 12 Abs. 1 Ziff. 5 und 6 URG
von Bedeutung sind, weil der schweizerische Gesetzgeber diese Bestimmungen bewusst und wörtlich aus
BGE 107 II 57 S. 63
Art. 11bis Ziff. 1 und 2 RBUe
übernommen hat (Botschaft vom 12. Oktober 1954 zur Revision des URG, BBl 1954 II S. 654).
3.
Deswegen berufen die Parteien sich denn auch auf die Entstehungsgeschichte der übernommenen Normen, auf ausländische Urteile und internationale Bemühungen, das Abkommen in diesen Punkten auszulegen und der technischen Entwicklung gemäss fortzubilden.
a) In der Römer Fassung des Abkommens von 1928 wurde dem Urheber erstmals das Senderecht vorbehalten, dessen Umschreibung angesichts der technischen Möglichkeiten, Sendungen weiterzuverbreiten, in der Folge nicht mehr zu umgehen war. Aus den Vorarbeiten der Brüsseler Konferenz zu
Art. 11bis RBUe
entstand der Vorschlag, dass "toute nouvelle communication publique, soit par fil, soit sans fil, de l'oeuvre radiodiffusée" einer neuen Erlaubnis des Urhebers bedürfe. Diese Fassung ging einzelnen Delegationen zu weit, andern zu wenig weit und erschien zudem als zu vage. Auf Antrag von Belgien einigte man sich schliesslich auf die Wendung "toute communication publique", machte die Erlaubnis des Urhebers aber von der zusätzlichen Voraussetzung abhängig, "lorsque cette communication est faite par un autre organisme que celui d'origine" (A. BAUM, in GRUR 1949 S. 18 ff.).
Nach Auffassung der Klägerin ist damit das Erfordernis der "neuen Öffentlichkeit" fallengelassen worden. Die Beklagte bestreitet dies und ist zudem der Meinung, mit dem Merkmal des "autre organisme" habe man den Anspruch des Urhebers noch mehr einschränken wollen. Dass dies auch die Meinung der Konferenz gewesen sei, ist den von der Beklagten zitierten Voten indes nicht zu entnehmen. Auch im Generalrapport vom 25. Juni 1948, welcher der Verabschiedung des Abkommens am 26. Juni 1948 zugrunde lag, ist nur noch vom Erfordernis eines anderen Organismus die Rede (Text bei MESTMÄCKER/SCHULZE, Urheberrechtskommentar, Bd. II Anhang B/2). Hätte die Konferenz dieses Erfordernis bloss als Einschränkung der ersten Fassung betrachtet, wie die Beklagte behauptet, so hätte sie sich mit seiner Beifügung begnügen können. Das hat sie nicht getan, sondern statt einer "nouvelle communication publique" nur noch eine "communication publique" verlangt.
Art. 11bis Ziff. 2 RBUe
kann folglich auch dann erfüllt sein, wenn mit der Weiterleitung der Sendung nicht eine neue Öffentlichkeit oder ein neues Publikum erreicht, der
BGE 107 II 57 S. 64
Empfangsbereich der ursprünglichen Sendung also nicht erweitert wird.
In diesem Sinne werden die Vorarbeiten zur Brüsseler Fassung auch von zahlreichen Autoren, namentlich von M. WALTER gewürdigt, der sich damit (in GRUR Int. 1974 S. 120/21 und in Film und Recht 1975 S. 754/5) am gründlichsten auseinandergesetzt hat. Gleicher Auffassung ist D. GAUDEL (La télédistribution, Paris 1976, S. 23 ff. mit Hinweis auf andere franz. Autoren). R. DITTRICH (Kabelfernsehen und Probleme des Urheberrechts, in Internat. Gesellschaft für Urheberrecht 1979 S. 381 ff. und in Le droit d'auteur 1979 S. 27 ff.) widerspricht dem nicht, befürwortet aber aus anderen, vorwiegend technischen und gesetzgeberischen Überlegungen, dass man auf den Versorgungsbereich des ursprünglichen Senders abstellen sollte. Der historischen Auslegung folgen ferner J. VON UNGERN-STERNBERG (Die Rechte der Urheber an Rundfunk- und Drahtfunksendungen, München 1973 S. 36 ff. und 50; derselbe in GRUR 1973 S. 18/9). Ebenso NORDEMANN/VINCK/HERTIN (Internationales Urheberrecht, Düsseldorf 1977, N. 4 zu
Art. 11bis RBUe
) und E. ULMER (in GRUR 1980 S. 582 ff.). Schliesslich versteht auch D. REIMER (in GRUR Int. 1979 S. 93) die streitige Bestimmung nicht anders, hält sie aber für revisionsbedürftig, weil er wie DITTRICH auf den Versorgungsbereich des ursprünglichen Senders abstellen möchte.
Im schweizerischen Schrifttum nimmt STERN (Diss. S. 58 ff. und in Film und Recht 1975 S. 773) ebenfalls an,
Art. 11bis Ziff. 2 RBUe
setze keine neue Öffentlichkeit, keinen erweiterten Empfangsbereich voraus. Das ist auch die Meinung von K. GOVONI (Urheberrechtliche Probleme des Kabelfernsehens, S. 10). Nach M. J. LUTZ (Die Schranken des Urheberrechts nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1964 S. 133/4) spielte die Theorie der neuen Öffentlichkeit in der Schweiz eine bedeutsame Rolle, bevor die Brüsseler Fassung übernommen wurde. Zum gleichen Ergebnis wie die Beklagte gelangen hingegen R. GILLARD (L'antenne collective et la communication par fil au public en droit de propriété intellectuelle, Diss. Freiburg 1976 S. 40 f.), A. TRITTEN (Antenne commune et droit d'auteur, S. 6 ff.), PEDRAZZINI (in ZSR 96/1977 II S. 90) und sinngemäss D. BARRELET (Droit suisse des mass media, 1980 S. 163). Bei all diesen Autoren fällt jedoch auf, dass sie ihre Auffassung nicht
BGE 107 II 57 S. 65
begründen, geschweige denn sich mit gegenteiligen auseinandersetzen. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte dagegen auf J. F. EGLI (Le droit de la radiodiffusion en Suisse, in ZSR 87/1968 S. 303), der das Kriterium der neuen Öffentlichkeit ausdrücklich ablehnt (S. 306).
b) Von den Parteien zitierte ausländische Urteile sind vom Obergericht übergangen worden, weil sie angeblich in der Schweiz nicht zur Rechtsfindung taugen. Soweit sie sich auf das Abkommen beziehen, können sie zu dessen Auslegung jedoch durchaus beitragen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass sie teils auf Landesrecht beruhen, das dem Abkommen vorgeht, wenn ein Verbandsland von dem Vorbehalt des
Art. 11bis Abs. 2 RBUe
Gebrauch gemacht hat.
Aufschlussreich ist die Rechtslage in Belgien, wo das Abkommen unmittelbar anzuwenden ist. In einem Prozess gegen das Kabelunternehmen CODITEL wurde eine Verletzung von
Art. 11bis Abs. 1 Ziff. 2 RBUe
am 19. Juni 1975 von der ersten Instanz und am 30. März 1979 auch vom Appellationshof von Brüssel bejaht; beide beschränkten ihre Prüfung strikt auf die im Abkommen erwähnten Voraussetzungen und gingen weder auf technische Einzelheiten noch auf Fragen der neuen Öffentlichkeit näher ein. Der Hinweis der Beklagten auf ein Urteil des Appellationshofes von Antwerpen, der am 3. Dezember 1980 anders entschieden haben soll, hilft darüber nicht hinweg. Dieser Entscheid richtete sich gegen ein eigentliches Sendeunternehmen im Sinne von
Art. 11bis Abs. 1 Ziff. 1 RBUe
, das von dem in Ziff. 2 gemeinten Kabelunternehmen zu unterscheiden sei (S. 8 oben); er äusserte sich zum Urteil aus Brüssel denn auch mit keinem Wort.
Aus Österreich ist ein Prozess bekannt, in dem ein Kabelunternehmen in Feldkirch wegen Urheberrechtsverletzung verurteilt worden ist. Während die unteren Instanzen dabei auf die, allerdings nur teilweise Erweiterung des Versorgungsbereiches des Senders abstellten, hielt der Oberste Gerichtshof von Österreich in seinem Urteil vom 25. Juni 1974 diese Frage für unerheblich (GRUR Int. 1975 S. 68/9). In einem weiteren Verfahren gegen das Kabelunternehmen Telesystem entschied er am 12. November 1979 im gleichen Sinne. Die Kritik an dieser Rechtsprechung führte zur Revision des österreichischen Urheberrechtsgesetzes vom 2. Juli 1980, wobei in § 17 Abs. 3 die Drahtverbreitung von Sendungen des Österreichischen Rundfunks
BGE 107 II 57 S. 66
(ORF) sowie kleinere Gemeinschaftsantennen, denen nicht mehr als 500 Teilnehmer angeschlossen sind, von einer besonderen Urhebererlaubnis befreit und in § 59a für die Drahtverbreitung ausländischer Sendungen eine gesetzliche Lizenz vorgesehen wurden. Die Novelle unterscheidet sich dadurch deutlich von der schweizerischen Regelung und ergibt daher nichts zugunsten der Beklagten.
Für die Auffassung der Beklagten spricht dagegen die Rechtsprechung in den Niederlanden, wo zwei Klagen gegen das Kabelunternehmen Amstelveen abgewiesen worden sind. Das Bezirksgericht Amsterdam bejahte zwar eine "communication publique" im Sinne der RBUe, die keinen neuen Publikumskreis voraussetze; es lehnte einzig die nach Landesrecht erforderliche eigenständige Veröffentlichung ab. Auf Appellation hin verwarf der Gerichtshof von Amsterdam am 12. Juni 1980 diese Unterscheidung und bestätigte das erstinstanzliche Urteil, ohne sich mit der RBUe auseinanderzusetzen, weil die streitigen Sendungen auch direkt über Einzelantennen hätten empfangen werden können (Urteil S. 4).
Zwei Entscheide deutscher Gerichte sprechen im Ergebnis ebenfalls für die Beklagte, weil die Klagen der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA gegen die Bundespost wegen deren Kabelnetze in Hamburg und Nürnberg abgewiesen worden sind. Diese Urteile, die inzwischen vom Bundesgerichtshof bestätigt worden sein sollen, setzen sich jedoch nicht mit dem Abkommen auseinander; sie halten vielmehr gestützt auf Landesrecht für entscheidend, ob ein Kabelnetz der Sender- oder Empfangsseite zuzurechnen sei. Das Landgericht Hamburg fand am 6. Januar 1978, dass mit einem solchen Netz kein neuer Hörerkreis erschlossen werde, stehe der Annahme einer Sendung nicht im Wege; Unternehmen mit Gemeinschaftsantennen und echten Drahtfunk- oder Kabelübermittlungssystemen seien aber auseinanderzuhalten (S. 15/16). Das Hanseatische Oberlandesgericht bestätigte am 14. Dezember 1978 dieses Urteil, wobei es als urheberrechtlich relevant nur eine "rundfunkmässige" Weitersendung gelten liess. Es verneinte dieses Erfordernis, weil die Bundespost kein Programm gestalte und auch nicht eine die normalen Empfangsmöglichkeiten wesentlich übersteigende Programmauswahl biete. Unter diesen Umständen müsste eine Anlage schon von erheblicher Grösse sein und einem grösseren Abonnentenkreis dienen, um
BGE 107 II 57 S. 67
als Drahtrundfunk zu gelten; das lasse sich bei Netzen mit 3000 bzw. 6000 Anschlüssen nicht sagen (S. 29/30). Danach könnte bei grösseren Anlagen also auch anders entschieden werden.
Soweit diese ausländischen Urteile die RBUe nicht schlicht ignorieren, wie das für die Niederlande und Deutschland der Fall ist, bestätigen sie die dargelegten Auslegung von Art. 11bis Ziff. 2. Das nimmt auch E. ULMER an (in GRUR 1980 S. 584). Die ausländische Rechtsprechung rechtfertigt daher ebenfalls nicht, die Bestimmung entgegen ihrem Wortlaut auszulegen und dabei entscheidend auf die Frage der neuen Öffentlichkeit oder den erweiterten Empfangsbereich abzustellen. Die deutschen Urteile zeigen übrigens deutlich, wie schwer in der Rechtsprechung taugliche Kriterien zu finden sind, um urheberrechtlich relevante Kabelfernsehbetriebe von nicht relevanten abzugrenzen.
c) Gewichtige Anhaltspunkte ergeben sich schliesslich aus den internationalen Bemühungen, die streitigen Bestimmungen des Abkommens auszulegen oder fortzubilden. Das gilt vorweg vom Guide de la Convention de Berne, der 1978 von der Organisation mondiale de la propriété intellectuelle (OMPI) herausgegeben worden ist. Darin ist ebenfalls nur von den in
Art. 11bis Ziff. 2 RBUe
genannten Kriterien, nicht vom zusätzlichen Erfordernis einer neuen Öffentlichkeit die Rede, wobei es aber Sache der nationalen Gesetzgebung sei, zwischen öffentlicher Mitteilung nach RBUe und blossem Empfang abzugrenzen (N. 10 zu Art. 11bis). In Expertengesprächen vom Januar 1979 zum Strassburger Fernsehabkommen wurde deutlich, dass ein Abstellen auf den direkten Empfangs- bzw. Versorgungsbereich nicht befriedige, weil dieser weder technisch zu umschreiben noch rechtlich verlässlich sei; als nötig erschien eine Annäherung der nationalen Gesetzgebung. Eine von der UNESCO und der OMPI eingesetzte Expertengruppe fand bereits im Juni 1977, dass der Begriff des direkten Empfangsbereichs
Art. 11bis RBUe
fremd sei; dieses Kriterium wurde noch 1980 von den nämlichen Experten überdies verworfen, weil Kabelunternehmen sich immer an ein anderes, wenn auch teilweise gleiches Publikum wendeten, da sonst für sie kein Bedürfnis bestünde.
Äusserungen der Interessenverbände vermögen dagegen weniger zu überzeugen. Immerhin ergibt sich aus den Akten, dass sei längerer Zeit internationale Verbände der Urheber-
BGE 107 II 57 S. 68
bzw. Verwertungsgesellschaften, der Sendeanstalten und der Kabelunternehmen miteinander verhandeln. Danach scheinen die Kabelunternehmen den Grundsatz anzuerkennen, Urheberrechtsentschädigungen zu schulden; sie bestreiten ihn jedoch für den Bereich der direkten Empfangszone.
4.
Da die Novelle des URG mit der Brüsseler Fassung der RBUe übereinstimmen sollte, gilt das zum Abkommen Gesagte auch für die Auslegung des revidierten
Art. 12 Abs. 1 Ziff. 6 URG
. In der bundesrätlichen Botschaft zur Ratifikation der RBUe wird freilich erklärt, nach deren Art. 11bis Ziff. 2 bedürfe sowohl die Reemission wie die Radiodistribution einer Erlaubnis des Urhebers, wenn sie von einem andern als dem ursprünglichen Organismus vorgenommen werde, denn diesfalls könne die Sendung von einem Personenkreis empfangen werden, der vom ursprünglichen Sendeunternehmen nicht erreicht werde (BBl 1954 II S. 608). Die Beklagte, welche die gleichzeitige Botschaft zum URG als ungenau bezeichnet, sieht darin zu Unrecht die massgebende Auslegung des Abkommens. Sie übersieht, dass die Botschaft damit nur den Grund der Neuregelung, nicht eine zusätzliche Schranke angibt. Die Möglichkeit sodann, einen neuen Personenkreis zu erreichen, ist beim Kabelfernsehen stets gegeben. Schliesslich fällt auf, dass der Bundesrat die Befürchtungen von Rediffusion, Radibus und PTT gegen die aus dem Abkommen übernommene Bestimmung nicht etwa mit dem Hinweis entkräftete, mangels neuer Öffentlichkeit fielen diese Betriebe nicht unter die Norm; er hob vielmehr hervor, dass die SRG damals die Urheberrechte für alle drei Organisationen abgalt (S. 612 und 656).
Die Beklagte will ferner mit den Entwürfen zur hängigen Revision des URG dartun, wie der Gesetzgeber heute die Frage gestützt auf das Abkommen regeln würde. Einer neuen Erlaubnis bedarf nach den Vorentwürfen (VE) wie bisher die Weitersendung (auch mittels Draht) durch ein anderes als das ursprüngliche Sendeunternehmen, wobei es der Rechtsprechung überlassen bleiben soll, diesen Begriff von Fall zu Fall zu umschreiben (VE I Art. 14 Ziff. 7 und Erläuterungen S. 47/8). Gleich verhält es sich nach dem. VE II, der ausdrücklich davon absieht, zwischen Einrichtungen, welche nur gemeinschaftlichem Empfang dienen, und andern, die eigentlichen Radio- und Fernsehanstalten gleichzusetzen sind, eine Grenze zu ziehen; der Entscheid über die Frage, ob die umstrittene, drahtgebundene
BGE 107 II 57 S. 69
Übermittlung von Sendungen unter die genannte Bestimmung falle, wird ebenfalls dem Richter vorbehalten (Art. 14 Ziff. 5 und Erläuterungen S. 11/12). Die Expertenkommissionen haben somit die RBUe jedenfalls nicht dahin verstanden, dass eine neue Erlaubnis des Urhebers nur im Fall einer "neuen Öffentlichkeit" erforderlich sei, sonst hätten sie dies ausdrücklich gesagt.
Das Obergericht entnimmt die Theorie der "neuen Öffentlichkeit" nicht den Materialien zur RBUe, die es ja ignoriert, sondern sieht darin eine zweckmässige Möglichkeit zur Lückenfüllung. Auch die Beklagte geht von einer Lücke aus, die von der Klägerin aber mit Recht bestritten wird. An der Brüsseler Konferenz wurde eindeutig die Weiterverbreitung gesendeter Werke durch Draht geregelt. Damals waren zudem sowohl das Netz des Telephonrundspruchs wie Netze der Rediffusion und der Radibus bereits in Betrieb. Dass man die stürmische Weiterentwicklung der Einrichtung nicht voraussah, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die genannten Unternehmen damals noch vermehrt Eigenprogramme verbreiteten. Es geht also keineswegs darum, einen neuen Schutztatbestand zu schaffen, der weder vom Abkommen noch vom URG geregelt wird; zu entscheiden ist vielmehr, ob der Schutz von
Art. 11bis Ziff. 2 RBUe
und
Art. 12 Ziff. 6 URG
zulasten der Urheber durch eine zusätzliche Voraussetzung eingeschränkt werden darf. Da dies zu verneinen ist, bleibt es dabei, dass Abkommen und schweizerisches Recht den Anspruch des Urhebers bei Weiterverbreitung eines gesendeten Werkes nur vom Vorliegen einer öffentlichen Mitteilung durch ein anderes als das ursprüngliche Sendeunternehmen abhängig machen, gleichviel ob damit der ursprüngliche Sendebereich erweitert wird oder nicht.
Entgegen dem angefochtenen Urteil kann somit nicht entscheidend sein, dass die Beklagte mit ihrem Kabelnetz nicht eine "neue Öffentlichkeit" schafft. Es kann deshalb offen bleiben, ob die vom Obergericht festgestellten tatsächlichen Verhältnisse zum Empfangsbereich der ursprünglichen Sendungen dafür genügen würden oder auf einem Versehen und einer Verletzung vom
Art. 8 ZGB
beruhen, wie die Klägerin behauptet. Jedenfalls hat das Kassationsgericht die Feststellungen des Obergerichts dahin präzisiert, dass die Beklagte auch im direkten Empfangsbereich neue Empfänger gewinnen könne, da die
BGE 107 II 57 S. 70
Empfangsbedingungen bei ihr unter Umständen günstiger seien; dies veranlasste die Beklagte denn auch, ihre Netze aufzubauen. Damit stimmt überein, was in den Vorbereitungen der RBUe, in der angeführten Lehre und in den Expertenkommission immer wieder betont worden ist, dass nämlich das Kriterium des normalen Empfangsbereichs und damit der neuen Öffentlichkeit nicht dazu taugt, die Ansprüche der Urheber abzugrenzen (vgl. zur technischen Problematik insbesondere R. DITTRICH, Kabelfernsehen und Probleme des Urheberrechts, S. 394/5). Die Abgrenzung wird nicht dadurch erleichtert, dass auf ein Zielpublikum abgestellt wird.
Das Obergericht und die Beklagte möchten das streitige Merkmal gleichwohl nicht nur zur Lückenfüllung, sondern auch zur Auslegung der in
Art. 12 Ziff. 6 URG
formulierten Voraussetzungen verwenden. Das Erfordernis der neuen Öffentlichkeit ist indes nach der Entstehungsgeschichte zur gleichen Bestimmung der RBUe ausdrücklich fallengelassen worden; es darf folglich nicht auf dem Umweg über andere Begriffe wieder eingeführt werden (WALTER, in GRUR Int. 1974 S. 121). Die gegenteilige Äusserung von STERN (Diss. S. 63/4, ebenso in Schweizerische Mitteilungen 1970 S. 203) ist wohl dahin zu verstehen, dass ein neuer Hörerkreis den Urheberanspruch zusätzlich rechtfertigen kann, sein Fehlen ihn aber nicht ausschliesst. Im vorliegenden Fall ist daher unbekümmert um eine solche Erweiterung des Personenkreises zu prüfen, ob die Voraussetzungen von
Art. 12 Ziff. 6 URG
erfüllt sind.
5.
Zu diesen Voraussetzungen gehört vorweg eine "öffentliche Mitteilung" ("communication publique"). Im Unterschied zur vorangehenden Ziff. 5 und der entsprechenden Ziff. 1 von
Art. 11bis RBUe
ist in Ziff. 6 nicht von "Sendung" ("radiodiffusion") die Rede, weil diese Bestimmung neben der drahtlosen Weitersendung ausdrücklich auch die Weiterleitung durch Draht erfasst und beide gleich behandelt wissen will. Eine öffentliche Mitteilung lässt sich schon nach dem vorstehenden Ergebnis nicht damit verneinen, dass sie sich nicht an ein neues Publikum richte. Andere Gründe vermögen aber die Beklagte und die Vorinstanz nicht anzuführen; sie nehmen insbesondere nicht an, die Öffentlichkeit werde dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte so oder anders nur die an ihr Netz angeschlossenen Abonnenten versorgen kann. Wollte man die streitige Bestimmung der RBUe und des URG so auslegen, so verlöre sie für die Drahtverbreitung jeden Sinn.
BGE 107 II 57 S. 71
Dass ihre Tätigkeit im Raume Zürich als öffentliche Mitteilung anzusehen ist, versucht die Beklagte angesichts der 60'000 Abonnenten, die an ihr Kabelnetz angeschlossen sind, mit Recht nicht zu bestreiten. Welche Mindestzahl allgemein erforderlich ist, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls bietet der Begriff der Öffentlichkeit ein taugliches Kriterium, um den urheberrechtlich freien Privatempfang etwa durch die Gemeinschaftsantenne eines Mehrfamilienhauses oder einer geschlossenen Überbauung von der "öffentlichen Mitteilung" abzugrenzen. Dieser Meinung sind insbesondere STERN (in Mitteilungen 1970 S. 201, ferner in Film und Recht 1975 S. 772), GOVONI (S. 8) und VON UNGERN-STERNBERG (S. 82/3 und 88). Die Beklagte kann ihre Anlage weder mit solchen Gemeinschaftsantennen vergleichen, noch sich darauf berufen, dass in den Vorarbeiten zur Brüsseler Konferenz Empfangsanlagen für ein Mehrfamilienhaus oder eine Gruppe von solchen als urheberrechtlich frei bezeichnet worden sind. Hinsichtlich der Abgrenzung der öffentlichen Mitteilung vom urheberrechtlich freien Privatempfang sollte der Gesetzgeber die Möglichkeit nutzen, die ihm das Abkommen bietet (GUIDE OMPI, S. 80 N. 10; VON UNGERN-STERNBERG, S. 32; EGLI, S. 304).
6.
Art. 12 Ziff. 6 URG
setzt ferner voraus, dass die öffentliche Mitteilung von einem andern als dem ursprünglichen "Sendeunternehmen" ausgeht. Die Beklagte bestreitet auch diese Voraussetzung, weil sie kein Sendeunternehmen sei.
a) Gemäss
Art. 31 Abs. 1 RBUe
ist der französische Text des Abkommens massgebend, der in Art. 11bis Ziff. 2 bloss verlangt, dass "cette communication est faite par un autre organisme que celui d'origine" (FFS 1954 II 623); dem entspricht auch die englische Fassung ("by a body other than the original one"), welche ebenfalls offizielle Bedeutung hat. Die Botschaft des Bundesrates zur RBUe folgt selbst in der deutschen Fassung dem französischen Text und spricht "von einem andern als dem Ursprungsorganismus" (BBl 1954 II 608). Dass die davon abweichende deutsche Übersetzung keine materielle Bedeutung hat, ist auch in der deutschen und österreichischen Lehre unbestritten (VON UNGERN-STERNBERG, S. 49 f. und 60/61; WALTER, S. 122; NORDEMANN/VINCK/HERTIN, N. 3 zu § 20).
Dagegen ist auch mit dem Einwand nicht aufzukommen, die deutsche Fassung des Gesetzes habe diesbezüglich selbständige Bedeutung. Dem steht schon der französische Gesetzestext entgegen, der mit dem massgebenden Wortlaut des Abkommens
BGE 107 II 57 S. 72
übereinstimmt. Als zutreffend erweist sich auch der italienische Gesetzestext, weil er eine Mitteilung verlangt, die "non sia fatta dall'azienda originaria di emissione". Die dem Abkommen entsprechenden romanischen Texte machen deutlich, dass die ursprüngliche Sendung zwar von einem Sendeunternehmen ausgehen muss, für die Weiterleitung aber auch ein anderes Unternehmen genügt. Die missverständliche deutsche Fassung kann daher nicht etwas anderes sagen wollen (STERN, in Mitteilungen 1970 S. 201/2; GOVONI, S. 7). Freilich wird in den VE von 1971 und 1974 die französische Fassung der unzutreffenden deutschen Übersetzung angepasst, indem nun in Art. 14 ebenfalls von einem "autre organisme émetteur" die Rede ist. In den Erläuterungen zum VE I wird dabei ohne weitere Begründung auf das geltende Recht verwiesen, zugleich aber erklärt, es handle sich "um ein anderes Sende- oder Drahtübermittlungsunternehmen" (S. 47 und 50). Das ist widersprüchlich und daher kein Grund, das geltende Recht anders auszulegen.
b) Dass die Beklagte im Verhältnis zur SRG und ausländischen Sendern als ein anderes Unternehmen anzusehen ist, bestreitet sie im übrigen nicht. Sie hält den Streit über die Auslegung des Unternehmensbegriffs vielmehr für müssig, weil RBUe und URG jedenfalls ein "Weitersenden" verlangten und das begrifflich nur einem "Sendeunternehmen" möglich sei. Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass die massgebenden Bestimmungen gerade nicht von einem "Weitersenden" handeln, sondern unter der Bezeichnung "Mitteilung" die Weiterleitung durch Draht der drahtlosen gleichsetzen.
Nach technischen Gesichtspunkten lässt sich nicht klären, ob das Kabelfernsehen dem Sende- oder dem Empfangsbereich zuzuordnen ist. Die Übergänge sind fliessend; eine Vermutung ergibt sich höchstens daraus, dass mit der Grösse des Netzes auch der technische Aufwand steigt und grosse Unternehmen daher eher der Sendeseite zuzurechnen sind (STERN, Diss. S. 34 ff., 41 und 49; ders. in Mitteilungen 1970 S. 198; GOVONI, S. 5; GAUDEL, S. 22; VON UNGERN-STERNBERG, S. 9, 38 und 88). Auch für die Beklagte besteht technisch kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Hausantenne und der grössten Gemeinschaftsantenne. Sie urheberrechtlich gleich behandeln zu wollen, geht aber im vornherein nicht an, weil diesfalls die Drahtvermittlung von der RBUe und dem URG wieder ausgenommen würde. Wenn die deutsche Rechtsprechung
BGE 107 II 57 S. 73
das Kabelfernsehen nicht als Sendung versteht und deshalb urheberrechtlich freistellt, so beruht dies vor allem darauf, dass § 20 des deutschen URG auch die Weiterverbreitung durch Draht unter dem Begriff des Senderechts regelt; bezeichnend ist immerhin, dass die Hamburger Gerichte in ihren Urteilen vom 6. Januar und 14. Dezember 1978 für grosse Kabelunternehmen einen Vorbehalt machten.
In technischer Hinsicht stellt das Obergericht lediglich fest, dass die Beklagte die Sendungen mit ihren Empfangsanlagen auf dem Ütliberg und in den Felsen der Falätsche auffange, sie über Koaxialkabel der Kopfstation in Zürich zuführe, dort für die Kabelübertragung aufbereite und dann über das mit Verstärkeranlagen versehene Blocknetz den Abonnenten ins Haus liefere. Ob daraus gefolgert werden kann, die Beklagte übe keine Sendetätigkeit aus, sondern erbringe eine blosse technische Hilfeleistung, ist fraglich, jedenfalls aber nicht ausschlaggebend. Das entscheidende Kriterium, eine Sendetätigkeit zu verneinen, ist nämlich nach der Auffassung der Vorinstanz darin zu erblicken, dass die empfangenen Sendungen zeitgleich und unverändert an die Abonnenten weitergeleitet werden. Deshalb vergleicht das Obergericht die Tätigkeit der Beklagten denn auch mit den Weitersendungen, die von den Hilfssendern (Relaisstationen) der SRG ausgingen und urheberrechtlich frei seien. Es übersieht dabei aber, dass in der Brüsseler Konferenz das Kriterium des andern Unternehmens gerade eingefügt worden ist, um die Weitersendung innerhalb des gleichen Unternehmens nicht von einer neuen Erlaubnis des Urhebers abhängig zu machen. Mit dem Vergleich widerlegt die Vorinstanz daher ihren eigenen Schluss, wird die Beklagte doch als anderes Unternehmen eingeschaltet, was für die Hilfssender, welche die PTT-Betriebe der SRG zur Verfügung stellen, nicht zutrifft. Umsoweniger ist zu verstehen, wie die Vorinstanz im gleichen Zusammenhang erklären kann, es sei unerheblich, dass die Beklagte als rechtlich selbständige Organisation erscheine.
c) Mit
Art. 11bis Ziff. 2 RBUe
dürfte nur die zeitgleiche Weiterverbreitung einer Sendung gemeint sein, weil jede Verschiebung eine Aufzeichnung voraussetzt und die Verbreitung sodann wieder als (drahtlose) Erstsendung im Sinne von
Art. 11bis Ziff. 1 RBUe
oder als Übertragung (durch Draht) gemäss Art. 11 Ziff. 2 erfasst wird (VON UNGERN-STERNBERG, S. 50/51; GILLARD, S. 36 ff.; anderer Meinung EGLI, S. 302). Dass die
BGE 107 II 57 S. 74
Bestimmung zumindest für die zeitgleiche Sendung gilt, steht dagegen bei allen Autoren ausser Zweifel.
Nach herrschender Lehre kommt urheberrechtlich auch darauf nichts an, ob die übernommenen Sendungen integral und unverändert weitergeleitet werden. H. HUBMANN glaubte 1980 in einem Vortrag in München (in Kabelfernsehprojekte, S. 31) in der Programmgestaltung den entscheidenden Unterschied zwischen Sendung und Empfang zu erkennen, doch stiess er schon in der anschliessenden Diskussion auf Widerspruch (S. 76). GILLARD (S. 106), SCHULZE (Urheberrechtskommentar, Frankfurt 1978, S. 3 zu § 20) und NORDEMANN/VINCK/HERTIN (N. 4 zu § 20) lehnen dieses Kriterium ausdrücklich ab; das tut jedenfalls für grosse Unternehmen auch VON UNGERN-STERNBERG (S. 9, 61 und 88). In der Tat ist nicht zu ersehen, wie sich daraus eine tragfähige Abgrenzung ergeben könnte. Nach der Feststellung des Obergerichts hat die Beklagte in Zürich ein eigenes Studio, in dem sie Musiksendungen für gewisse Tageszeiten zusammenstellt. Diese Sendungen liegen nicht im Streit, zeigen aber, dass die Beklagte eigene Programme gestalten kann und daher nach ihrer eigenen Terminologie als Sendeunternehmen anzusehen ist, selbst wenn die Feststellung der Vorinstanz sich nur auf Radiosendungen beziehen sollte. Entscheidend bleibt jedoch so oder anders, dass den Materialien zur RBUe und zum URG nichts zu entnehmen ist, was dem Richter erlauben würde, die Urheberansprüche aus einer Weiterleitung der Sendungen von einer eigenen Programmgestaltung abhängig zu machen. Daran ändert auch nichts, dass die Beklagte und die Radibus AG früher angeblich noch mehr eigene Programme gestalteten als heute. Darauf wird selbst in den hängigen Revisionsarbeiten nicht abgestellt; dies wäre umso weniger zu verstehen, als heute auch im Kabelfernsehen die Tendenz besteht, den Programmdienst der Unternehmen durch eigene Lokalsendungen zu erweitern (J.P. MÜLLER, Rundfunkorganisation und Kommunikationsfreiheit, 1979 S. 246/7; BARRELET, S. 59 und 210/11) oder gar Werbesendungen zuzulassen.
d) Zusammenfassend kann sich im vorliegenden Fall somit bloss fragen, ob die Beklagte als ein von den Sendeunternehmen unabhängiges Unternehmen eine öffentliche Mitteilung vornehme, indem sie Sendungen der SRG oder ausländischer Sendeanstalten über ihre Anlagen verbreitet. Das ist nach den
BGE 107 II 57 S. 75
angestellten Überlegungen zu bejahen, und zwar unbekümmert darum, ob sie Abonnenten bedient, welche die Sendungen auch über Einzelantennen empfangen könnten. Für Sendungen von Werken, die urheberrechtlich geschützt sind, bedarf sie daher einer Erlaubnis der SUISA. Durch ihr eigenmächtiges Vorgehen verletzte sie entgegen der Annahme des Obergerichts die den Urhebern in
Art. 12 Ziff. 6 URG
vorbehaltenen Rechte. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und das Rechtsbegehren der Klägerin grundsätzlich zu schützen. Damit wird nur die Feststellung verlangt, dass die Sendungen nicht ohne Erlaubnis der SUISA verbreitet werden dürfen; über mehr ist folglich nicht zu entscheiden. Da die Aktivlegitimation der Klägerin anerkannt ist, braucht insbesondere nicht geprüft zu werden, ob die SUISA über alle erforderlichen Rechte verfüge.
7.
Vorinstanz und Beklagte sind der Meinung, die dargelegte Rechtsauffassung sei insbesondere wegen finanzieller Auswirkungen nicht gerechtfertigt. Die Beklagte bezieht in der Region Zürich jährlich Fr. 156.- Gebühren von ihren Abonnenten, die zudem den PTT-Betrieben Fr. 120.- für die Empfangskonzession bezahlen. Nach dem Ausgang des Berufungsverfahrens ist damit zu rechnen, dass die Beklagte die ihr auferlegten Urheberrechtsentschädigungen auf die Abonnenten abwälzen, ihre Gebühr also erhöhen wird. Das darf jedoch den Entscheid des Richters nicht beeinflussen, denn es liegt in der Natur der Sache, dass der Genuss eines geschützten Werkes sich für das Publikum verteuert, wenn der Urheber dafür zu entschädigen ist.
Das Obergericht billigt dem Urheber zwar eine Entschädigung für jede Werknutzung zu, empfindet es aber als missbräuchlich, wenn er sich für die gleiche Leistung doppelt bezahlen lasse. Dem hält die Klägerin mit Recht entgegen, dass es vorliegend nicht um eine, sondern um zwei urheberrechtlich relevante Leistungen geht, weil das Gesetz neben der Sendung auch die Weiterleitung von der Erlaubnis des Urhebers und damit von einer separaten Vergütung abhängig macht. Dies deckt sich mit der Vorschrift, die für die Verbreitung von Sendungen durch Lautsprecher gilt (
Art. 12 Ziff. 7 URG
). Allgemeine Ausführungen zum Wesen der Werknutzung (TROLLER, Immaterialgüterrecht II S. 783) vermögen an dieser positiven Regelung nichts zu ändern. Ebensowenig ist mit gebühren- oder konzessionsmässigen Überlegungen eine "neue Öffentlichkeit"
BGE 107 II 57 S. 76
zu konstruieren, wenn RBUe und URG nicht auf dieses Kriterium abstellen. Da es sich bei der Beklagten um ein anderes Unternehmen handelt, versagen auch in diesem Zusammenhang die vom Obergericht gezogenen Parallelen zu den Hilfssendern der SRG und der als aufschlussreich bezeichnete Vergleich mit dem Telephonrundspruch.
Aufschlussreich am Beispiel des Telephonrundspruchs ist dagegen, dass dieser mit Bezug auf die Sendungen der SRG urheberrechtlich frei ist, dass er aber bezüglich eigener Programme und der Verbreitung ausländischer Sendungen einer Erlaubnis bedarf und die SRG die Urheberrechte der SUISA gegenüber zusätzlich abgilt. Das ist in Ergänzung zum angefochtenen Urteil auch vom Kassationsgericht festgestellt worden, weshalb offen bleiben kann, ob dem Obergericht in diesem Punkte ein Versehen unterlaufen sei. Der Telephonrundspruch befindet sich insoweit durchaus in der gleichen Rechtslage wie die Beklagte. Aus der Botschaft zur Revision von
Art. 12 Ziff. 6 URG
erhellt, dass 1954 von der SRG die entsprechenden Rechte auch zugunsten der Rediffusion und der Radibus AG abgegolten wurden (BBl 1954 II 656); die Vorinstanz bemerkt daher zu Recht, dass damals die Tätigkeit dieser Gesellschaften von der Sendeerlaubnis der SRG miterfasst wurde.
Wichtiger als die damalige Parallele zum Telephonrundspruch ist die Diskrepanz, die darin besteht, dass die SRG heute keine Rechte der Beklagten mehr abgilt, weil nun der für sie gültige Tarif A der SUISA nur noch den Telephonrundspruch einschliesst, alle anderen Unternehmen mit Gemeinschaftsantennen aber ausdrücklich ausnimmt (D. STAUFFACHER, Der Sendevertrag, Diss. Zürich 1979 S. 67/8). Das wird auch von der Vorinstanz anerkannt, aber als unerheblich erklärt, weil es vorliegend nur auf die Gesetzesmaterialien ankomme. In diesem Zusammenhang geht es indes nicht um die Auslegung der RBUe, sondern ausschliesslich darum, ob auch heute die Tätigkeit der Beklagten von der Sendererlaubnis der SRG erfasst und ob die Urheberrechte noch immer auf diesem Wege abgegolten werden. Dabei ist erneut bezeichnend, dass der Bundesrat in der Botschaft nicht davon ausging, die Rediffusion bedürfe keiner Urhebererlaubnis; er stützte deren Berechtigung vielmehr auf die damalige Vereinbarung der SUISA mit der SRG. Unerheblich ist schliesslich, ob eine einseitige Änderung des Tarifs vorliegt, wie die Beklagte behauptet; das
BGE 107 II 57 S. 77
ändert nichts am Umstand, dass die SRG heute keine solchen Rechte mehr abgilt.
8.
Das Vorgehen der SUISA soll ferner missbräuchlich sein, weil die Abonnenten der Beklagten auf diese Weise für den Kabelempfang mehr Urheberrechtsentschädigungen zu zahlen hätten, als wenn sie die gleiche Sendung direkt über eine Individualantenne empfangen würden. Damit übernimmt das Obergericht auch hier die von der Beklagten verfochtene These, die offenbar auf GILLARD (S. 145 ff.) zurückgeht.
a) Dazu ist vorweg zu bemerken, dass in der Schweiz jeder Radio- und Fernsehteilnehmer eine Empfangskonzession der PTT benötigt und dafür jährlich eine Gebühr zu zahlen hat. An diesen Einnahmen ist die SRG beteiligt. Sie erwirbt ihrerseits durch Einzel- oder Kollektivvereinbarungen die erforderlichen Urheberrechte. Mit der SUISA rechnet sie gestützt auf den Tarif A ab, welcher gemäss Art. 4 VerwG der Genehmigung durch eine Eidg. Schiedskommission bedarf. Nach diesem Tarif werden von der SRG die Rechte für den Telephonrundspruch, für ihre Eigensendungen und für die von ihr übernommenen ausländischen Sendungen abgegolten. Im Jahre 1975 soll die SRG der SUISA dafür rund 11 Mio. Franken bezahlt haben. Zwischen der Beklagten und der SUISA gilt eine Regelung über die Entschädigung bei Verbreitung von Eigenprogrammen, nicht aber bei Übernahme schweizerischer oder ausländischer Radio- und Fernsehprogramme. Für die Vorinstanz ist entscheidend, dass die Beklagte sich nur an Abonnenten wendet, welche über die PTT-Empfangskonzession ebenfalls von der Sendegebühr der SRG erfasst werden, womit die Urheber für ihre Rechte entschädigt seien. Das trifft in dem hier massgebenden Bereich indes nicht zu, weil die SRG nach dem Tarif A die Urheberrechte nicht auch zugunsten der Beklagten erwirbt und vergütet. Was das Obergericht über eine angebliche Vertretung der Empfangskonzessionäre durch die SRG gegenüber der SUISA ausführt, ist deshalb belanglos.
Nach den Konzessionsvorschriften muss die SRG ihre Programme den Kabelunternehmen zur Verfügung stellen, die sie ihrerseits zu verbreiten haben. Obschon das urheberrechtlich irrelevant ist (VON UNGERN-STERNBERG, S. 60 Anm. 176), versucht die Beklagte daraus eine Pflicht der SRG abzuleiten, auch die entsprechenden Urheberrechte zu erwerben. Das widerspricht sogar der für die Beklagte geltenden Konzession,
BGE 107 II 57 S. 78
wonach es ihre Sache ist, allfällige Urheberrechte zu vergüten. Für die Mitglieder der SUISA ist zudem allein entscheidend, dass mit ihnen darüber nicht abgerechnet wird.
b) Ähnlich verhält es sich mit dem Argument des Obergerichts, nach den Konzessionsvorschriften müsse die SRG ihre Programme gesamtschweizerisch ausstrahlen, und zwar mit allen technischen Mitteln, ohne dass sie dafür eine neue Erlaubnis der Urheber einholen müsse. Urheberrechtlich trifft dies nur insoweit zu, als sich die SRG zusammen mit den PTT eigener technischer Mittel bedient; für die Verbreitung der Sendungen durch ein anderes Unternehmen, nämlich die Beklagte, ist dies hingegen nicht der Fall. Das Argument des Obergerichts vermöchte zudem nur dort zu überzeugen, wo ein Kabelnetz Lücken im Empfangsbereich der SRG schliesst, was im Raume Zürich gerade nicht der Fall sein soll. Wieweit Kabelunternehmen im Weg der Gesetzgebung urheberrechtlich in einen nationalen Sendeauftrag einbezogen werden können und sollen, wie dies in der österreichischen Gesetzesnovelle vom 2. Juli 1980 gestützt auf den Versorgungsauftrag des ORF geschehen ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, weil das geltende Recht anzuwenden ist.
Nicht übersehen werden darf freilich, dass jeder Kabelabonnent genau wie der Benützer einer Hausantenne eine PTT-Konzession benötigt und dafür Gebühren zahlt, von denen im einen wie im anderen Fall der gleiche Anteil über die SRG der Klägerin zukommt. Die Gutheissung der Klage kann deshalb dazu führen, dass der Kabelabonnent künftig mehr an Urhebervergütungen aufbringen muss als der Direktempfänger, und zwar auch für Sendungen der SRG. Dieses doch auffallende Ergebnis kann die Klägerin nicht damit rechtfertigen, dass SRG und PTT, wenn sie die Kabelnetze selbst erstellen und betreiben würden, dafür höhere Konzessionsgebühren beziehen müssten, von denen die Klägerin wiederum ihren Anteil beanspruchen könnte. Das mag nach dem geltenden Tarif zutreffen, doch entfiele dabei ein zusätzlicher Vergütungsanspruch der Urheber, weil es diesfalls nicht um Verbreitung durch ein anderes Unternehmen geht. Auch die Auffassung der Beklagten vermag für jene Gegenden nicht zu überzeugen, in denen ihre Abonnenten die SRG-Sendungen mit einer gewöhnlichen Hausantenne nicht oder jedenfalls nicht einwandfrei
BGE 107 II 57 S. 79
empfangen könnten; sie beschränkt sich denn auch auf den von der Vorinstanz für Zürich unterstellten Fall, dass Sendungen im Empfangsbereich der SRG über ein Kabelnetz verbreitet werden. Der Einwand der Beklagten, es gehe nicht an, dass ihr Abonnent mehr für die SRG-Sendungen zahlen müsste, die er genau gleich mit einer eigenen Antenne empfangen könnte, überzeugt indessen nicht, weil die Empfangsbedingungen sich qualitativ kaum gleichsetzen lassen. Er läuft zudem darauf hinaus, den Urheberrechtsanspruch gemäss
Art. 12 Ziff. 6 URG
aus Billigkeitserwägungen doch noch von einer neuen Öffentlichkeit abhängig zu machen. Da die Abonnenten trotz direkten Empfangsmöglichkeiten vom Kabelanschluss Vorteile erwarten, nehmen sie Mehrkosten in Kauf, gleichviel ob diese ausschliesslich technische oder auch urheberrechtliche Gründe haben (vgl. GAUDEL, S. 26 ff.).
c) Es steht den Zuschauern im direkten Empfangsbereich überdies frei, solche Mehrkosten durch Direktempfang zu vermeiden. Zu Recht weist demgegenüber das Obergericht aber auf kommunale Antennenverordnungen hin, welche Individualantennen untersagen und damit zum Kabelanschluss zwingen. Dass das auch auf die Region Zürich zutreffe, ist weder dem angefochtenen Urteil noch der Berufungsschrift zu entnehmen; nach den Akten besteht ein Antennenverbot bloss für Teilgebiete wie die Zürcher Altstadt. Die Vorinstanz hält indes zu Recht für unerheblich, ob ein Abonnent sich wegen eines solchen Verbots oder wegen besseren Empfanges für das Kabelfernsehen entscheidet. Es sind Fragen des öffentlichen Rechts, unter welchen Voraussetzungen ein solches Verbot zulässig und ob es zweckmässig ist, einerseits ein nationales Sendernetz für den Direktempfang aufzubauen und anderseits diesen Empfang, auch wo er möglich ist, auf dem Verordnungswege wieder zu verbieten. Die privatrechtlichen Ansprüche der Urheber werden davon nicht berührt. Dass Eingriffe des Gemeinwesens die Betroffenen finanziell belasten können, ist namentlich in Bereichen des Natur- und Heimatschutzes eine durchaus gewohnte Erscheinung. Sollte urheberrechtlich auf das Bestehen kommunaler Antennenverbote etwas ankommen, so ergäbe sich daraus eher ein Argument gegen als für die Beklagte, wird doch in einem Gebiet, wo der Direktempfang von SRG-Sendungen durch ein Antennenverbot verunmöglicht
BGE 107 II 57 S. 80
wird, dank dem Kabelnetz genau die "neue Öffentlichkeit" geschaffen, auf die es nach Meinung der Beklagten so entscheidend ankommt.
Unter diesen Umständen ist nicht zu ersehen, weshalb es missbräuchlich sein soll, wenn die Klägerin ausgewiesene Ansprüche ihrer Mitglieder durchzusetzen sucht. Ebensowenig kann die Beklagte aus dem Gebot der Rechtsgleichheit oder der Presse- und Informationsfreiheit etwas für einen Rechtsmissbrauch ableiten. Verfassungsmässige Rechte dieser Art gelten zwar für die staatliche Tätigkeit, können privatrechtlich den Urhebern aber sowenig entgegengehalten werden wie der Klägerin, die sie vertritt.
9.
Vermögen die finanziellen Auswirkungen, welche sich aus der Rechtsauffassung der Klägerin ergeben, an den Urheberrechten ihrer Mitglieder schon bezüglich der SRG-Programme nichts zu ändern, so gilt dies erst recht hinsichtlich der ausländischen Sendungen. Das Obergericht anerkennt, dass mit der schweizerischen Empfangskonzession keine Gebühren an ausländische Sendeanstalten entrichtet werden. Es findet, dass es Sache der Verwertungsgesellschaften sei, den grenzüberschreitenden Empfang von Radio- und Fernsehsendungen miteinander vertraglich zu regeln.
Dass internationale Vereinbarungen möglich wären, ändert aber, solange sie eben nicht bestehen, nichts an den Ansprüchen der Urheber gemäss RBUe und URG. Im übrigen fehlt es vorliegend vor allem an Verträgen auf nationaler Ebene, weil Verhandlungen zwischen der Klägerin und den Kabelunternehmen bisher an grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten scheiterten. Entscheidend bleibt, dass die der Klägerin angeschlossenen Urheber seitens der Beklagten für ausländische Sendungen nicht abgefunden sind und die Beklagte auch nicht zur Übertragung ermächtigt haben.
10.
Mit der Gutheissung der Klage ist die Streitfrage in finanzieller Hinsicht freilich nicht befriedigend gelöst. Wenn die Abgabepflicht der Kabelunternehmen urheberrechtlich auch begründet ist, so leuchtet doch nicht ohne weiteres ein, dass die PTT von den Kabelabonnenten die gleichen Gebühren erheben wie von den Direktempfängern, ungekümmert darum, ob ein einwandfreier Direktempfang überhaupt möglich ist. Auch soweit es um die Urheberanteile geht, ist das
BGE 107 II 57 S. 81
jedoch eine Frage der Tarifgestaltung und nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Eine gerechte und zugleich praktikable Lösung der hängigen Probleme ist am ehesten im Wege kollektiver Vertragsverhandlungen zu erreichen. Diesfalls brauchen die Kabelunternehmen sich nicht an die Urheber zu wenden und die Klägerin muss nicht mit 10'000 Unternehmen verhandeln, die angeblich eine Gemeinschaftsanlage betreiben. Diese Zahl dürfte freilich übersetzt sein, weil sie auch die vielen Kleinanlagen umfasst, die urheberrechtlich irrelevant sind. Lehre und Fachkreise sind sich ebenfalls einig, dass die Schwierigkeiten nur mit Kollektivverhandlungen zu bewältigen sind; der Gesetzgeber sodann hat nach dem Vorbehalt des
Art. 11bis Abs. 2 RBUe
die Möglichkeit, den Unterlassungsanspruch des Urhebers im Sinne einer Zwangslizenz oder besser einer gesetzlichen Lizenz durch einen blossen Vergütungsanspruch zu ersetzen (STERN, Diss. S. 105 ff. und 127 ff. und in Mitteilung 1970 S. 204 ff.; DITTRICH, S. 399 ff.; EGLI, S. 338/9; STAUFFACHER, S. 150 ff.; E. BREM, Der urheberrechtliche Vergütungsanspruch, Diss. Zürich 1975 S. 50 ff.).
Auf internationaler Ebene zeigt schon der Guide OMPI (S. 81/2) die gleiche Tendenz, der hinsichtlich der Kabelverbreitung ausländischer Sendungen auch das neue österreichische URG (§ 59a) sowie das neue Copyright Law der Vereinigten Staaten (R. RIE, in NORDEMANN/ROEBER S. 213 ff.) entsprechen. Die Vorarbeiten zur Revision des schweizerischen URG schweigen sich über die streitigen Probleme dagegen aus, da die VE I und II sich mit Verweisen auf die Rechtsprechung begnügen. Das ist erstaunlich, zumal die Lehre schon seit langem eine gesetzgeberische Lösung befürwortet (TROLLER, II S. 783; EGLI, S. 307 und 618; STERN, Diss. S. 130; GOVONI, S. 14). Gerade in Bereichen wie hier eilt die Technik dem Recht seit Jahrzehnten weit voraus. Das heisst nicht, das Urheberrecht habe sich dem faktischen Zwang der Technik zu beugen; es vor deren Auswüchsen zu schützen, ist in erster Linie aber Sache des Gesetzgebers. Dieser wird dabei von den mit
Art. 11bis Abs. 2 RBUe
gebotenen Möglichkeiten Gebrauch machen. Im Vordergrund steht die Ersetzung des den Verhältnissen nicht entsprechenden Untersagungsanspruchs durch einen blossen Vergütungsanspruch, der über Verwertungsgesellschaften
BGE 107 II 57 S. 82
geltend zu machen wäre. Zudem wäre das urheberrechtlich relevante Kabelfernsehen (und Kabelradio) abzugrenzen vom freien Privatempfang durch kleinere Gemeinschaftsantennen, was durch nähere Umschreibung der Begriffe der "öffentlichen Mitteilung" oder aber des "Unternehmens" geschehen kann. Gewiss könnte die Rechtsprechung in diesem Punkte - anders als bei der gesetzlichen Lizenz - Lösungen entwickeln. Das darf den Gesetzgeber angesichts der grossen Bedeutung des Kabelfernsehens jedoch nicht davon abhalten, selber die erforderlichen Grundsätze festzulegen und damit in einer heiklen Interessenabwägung seine eigene Verantwortung zu übernehmen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. September 1979 aufgehoben, das Rechtsbegehren der Klägerin geschützt und die Widerklage abgewiesen.
Demgemäss wird festgestellt, dass die Beklagte den Abonnenten ihres Verteilnetzes der Region Zürich nur mit Erlaubnis der Klägerin urheberrechtlich geschützte Werke in Radio- und Fernsehsendungen zuleiten darf. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3bba3d34-505f-42ee-ab69-107bc39373ff | Urteilskopf
134 I 269
32. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit social dans la cause Communauté genevoise d'action syndicale et consorts contre Conseil d'Etat de la République et canton de Genève (recours en matière de droit public)
8C_184/2008 du 3 octobre 2008 | Regeste
Art. 9 und 49 Abs. 1 BV
;
Art. 356 ff. OR
; Gesetzgebung des Kantons Genf in Sachen Arbeitslosigkeit; Vernehmlassungsverfahren vor der Verabschiedung des Ausführungsreglements; Minimallöhne für Solidaritätsbeschäftigungen ("emplois de solidarité"); Gesamt- und Normalarbeitsverträge; abstrakte Normenkontrolle.
Art. 53 des Gesetzes des Kantons Genf in Sachen Arbeitslosigkeit: Konsultation der Sozialpartner vor der Verabschiedung oder Abänderung der Ausführungsbestimmungen. Die Verletzung dieser Bestimmung bei der Verabschiedung des Ausführungsreglements vom 23. Januar 2008 zum Gesetz in Sachen Arbeitslosigkeit stellt angesichts der konkreten Umstände keinen genügend schweren Mangel dar, um die Aufhebung des Reglements in seiner Gesamtheit zu bewirken (E. 3).
Art. 45G des Gesetzes: Bestimmung der Minimallöhne für Solidaritätsbeschäftigungen ("emplois de solidarité") auf dem ergänzenden Arbeitsmarkt. Das Ausführungsreglement vom 23. Januar 2008 ist mit dieser Bestimmung vereinbar und die Minimallöhne wurden im für diesen Zweck vorgesehenen besonderen Verfahren festgelegt (E. 4 und 5).
Vorrang des Bundesrechts: Die in Art. 43 des Ausführungsreglements festgelegten Minimallöhne widersprechen den die Gesamt- und Normalarbeitsverträge betreffenden
Art. 356 ff. und 359 ff. OR
nicht (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 270
BGE 134 I 269 S. 270
A.
Le 11 novembre 1983, le Grand Conseil de la République et canton de Genève a adopté la loi cantonale genevoise en matière de chômage (LMC/GE; RSG J 2 20). Cette loi a été modifiée la dernière fois par la loi 9922 adoptée par le Grand Conseil le 28 juin 2007. A la suite de l'aboutissement d'un référendum, la loi modifiée a été adoptée en votation populaire le 16 décembre 2007. Elle est entrée en vigueur le 1
er
février 2008. Elle règle l'application dans le canton de Genève de la législation fédérale du 25 juin 1982 sur l'assurance- chômage obligatoire et l'indemnité en cas d'insolvabilité (LACI; RS 837.0). Elle vise aussi, par des mesures cantonales, à favoriser le placement rapide et durable des chômeurs dans le marché de l'emploi et à renforcer les compétences des chômeurs par l'octroi de mesures d'emploi, de formation et de soutien à la réinsertion. Elle institue pour des chômeurs sans perspective de réinsertion rapide des possibilités de maintien en activité professionnelle afin de prévenir leur marginalisation (art. 1 let. b, c et e LMC/GE). La loi contient un nouveau chapitre VA du titre III, intitulé "Programme d'emplois de solidarité sur le marché complémentaire de l'emploi". Ce chapitre contient les dispositions suivantes:
Art. 45D Principe (nouveau)
1
Un programme de création d'emplois sur le marché complémentaire de l'emploi est institué.
2
Il est destiné aux personnes qui ont épuisé leurs droits à l'assurance-chômage sans que les mesures prévues dans la présente loi se soient avérées fructueuses.
BGE 134 I 269 S. 271
3
Le présent chapitre ne consacre pas un droit pour le chômeur d'obtenir une mesure déterminée.
Art. 45E Organisation (nouveau)
1
Le département organise la mise à disposition de ces emplois en mandatant à cet effet des institutions privées ou associatives, à but non lucratif, poursuivant des buts d'intérêt collectif et déployant des activités sur le marché complémentaire de l'emploi.
2
Les projets retenus doivent répondre à une utilité sociale et dégager, dans la mesure du possible, des moyens financiers propres qui permettent de couvrir tout ou partie de leurs coûts. Ils doivent viser à l'insertion professionnelle des demandeurs d'emploi.
3
Dans le choix des activités retenues, le département veille à éviter toute concurrence avec les entreprises commerciales genevoises, en particulier celles régies par des conventions collectives de travail.
4
Le département demande le préavis du Conseil de surveillance du marché de l'emploi sur les mandats attribués, les projets et les activités retenus.
Art. 45F Nombre d'emplois (nouveau)
1
L'Etat fixe, dans le cadre de l'élaboration de son budget annuel, l'enveloppe à disposition de ce programme et le nombre d'emplois de solidarité qu'il devrait permettre de créer sur le marché complémentaire de l'emploi.
2
Il consulte préalablement le Conseil de surveillance du marché de l'emploi.
Art. 45G Modalités et compensation financière (nouveau)
1
Les bénéficiaires perçoivent de la part des institutions partenaires un salaire dont le montant est au moins équivalent aux normes prévues par la loi sur les prestations cantonales accordées aux chômeurs en fin de droit, du 18 novembre 1994, ou celles découlant de la loi sur l'aide sociale individuelle, du 22 mars 2007.
2
Le Conseil d'Etat détermine des salaires minimaux sur préavis du Conseil de surveillance du marché de l'emploi.
3
Les relations contractuelles entre les bénéficiaires et les institutions partenaires sont régies pour le surplus par le contrat de travail signé par ces derniers et, à titre supplétif, par les dispositions du titre dixième du code des obligations.
4
Le contrat de travail est à durée indéterminée et donne lieu au prélèvement des cotisations sociales usuelles.
5
L'Etat contribue au paiement du salaire versé par l'institution partenaire. Cette contribution est déterminée par le département en tenant compte des moyens financiers que l'institution dégage par son activité, conformément à l'article 45E, alinéa 2, ainsi que de la situation personnelle de l'intéressé, conformément à l'alinéa 1 du présent article.
BGE 134 I 269 S. 272
6
La contribution de l'Etat fait l'objet d'une convention entre celui-ci et l'institution concernée, qui précise les droits et obligations de chaque partie. Cette contribution n'est pas soumise à la loi sur les indemnités et les aides financières, du 15 décembre 2005.
B.
Le 23 janvier 2008, le Conseil d'Etat de la République et canton de Genève a adopté le règlement d'exécution de cette loi (règlement d'exécution de la loi en matière de chômage [RMC/GE; RSG J 2 20.01]; ci-après: le règlement). Il est paru dans la Feuille d'avis officielle de la République et canton de Genève le 30 janvier 2008. L'art. 43 RMC/GE fixe le salaire mensuel brut de l'emploi de solidarité. L'art. 44 RMC/GE prévoit, sous certaines conditions, le versement d'une allocation complémentaire en faveur du bénéficiaire d'un emploi de solidarité. Ces deux dispositions ont la teneur suivante:
Art. 43 Salaires
1
Le salaire mensuel brut de l'emploi de solidarité est de:
a) 3'000 F pour une fonction ne requérant aucune formation spécifique;
b) 3'500 F pour une fonction conforme à la lettre a, mais occupée par un titulaire du certificat fédéral de capacité ou d'un diplôme professionnel équivalent;
c) 4'000 F pour une fonction spécialisée ou à responsabilités, dont l'exercice requiert impérativement un certificat fédéral de capacité ou un diplôme professionnel équivalent.
2
Ces montants correspondent à un taux d'activité à plein temps sur la base de 40 heures hebdomadaires et 12 versements par an.
3
L'office détermine le salaire adéquat après examen de l'emploi de solidarité concerné, ainsi que du dossier de son bénéficiaire potentiel.
Art. 44 Allocation complémentaire
1
Si le salaire perçu par le bénéficiaire d'un emploi de solidarité est inférieur aux prestations qu'il percevrait en vertu de la loi sur les prestations cantonales accordées aux chômeurs en fin de droit, du 18 novembre 1994, une allocation complémentaire lui est versée pour combler le différentiel constaté.
2
Cette allocation complémentaire n'est pas assimilée à un salaire et ne donne pas lieu au prélèvement des cotisations sociales.
(...)
C.
Par une écriture commune remise à la Poste le 29 février 2008, la Communauté genevoise d'action syndicale (CGAS), Comedia, syndicat des médias, le Syndicat interprofessionnel des travailleuses et travailleurs (SIT), le Syndicat des services publics (SSP/
BGE 134 I 269 S. 273
VPOD), le Syndicat UNIA, ainsi que C. ont formé un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral contre le règlement précité, dont ils demandent l'annulation. Le Conseil d'Etat a conclu au rejet du recours. Le Secrétariat d'Etat à l'économie s'est également exprimé sur le recours.
Les parties ont maintenu leurs conclusions au terme d'un échange ultérieur d'écritures.
Le recours a été rejeté.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
Les recourants se plaignent d'une violation du principe de la séparation des pouvoirs. Selon eux, le règlement contreviendrait à la loi cantonale en matière de chômage aussi bien dans sa procédure d'adoption que dans son contenu. S'agissant de la procédure d'adoption, ils font tout d'abord valoir que le Conseil d'Etat a violé l'
art. 53 LMC
/GE en omettant la procédure de consultation prévue par cette disposition. Ils reprochent en outre au Conseil d'Etat de n'avoir pas respecté la procédure de préavis prévue par l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE s'agissant des salaires perçus par les bénéficiaires des emplois de solidarité. A l'appui de ce dernier grief, les recourants invoquent, en plus du principe de la séparation des pouvoirs, le droit à la liberté syndicale garanti par l'
art. 28 Cst.
Il convient d'examiner ensemble ces griefs, qui tous deux relèvent de la procédure d'adoption du règlement contesté.
3.2
L'
art. 53 LMC
/GE, qui figurait dans la précédente version de la loi, prévoit ceci: "Le Conseil d'Etat consulte les partenaires sociaux avant l'adoption ou la modification des dispositions d'exécution de la présente loi." Quant à l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE, il prévoit que le Conseil d'Etat détermine des salaires minimaux sur préavis du Conseil de surveillance du marché de l'emploi (ci-après: CSME). Dans ses déterminations, le Conseil d'Etat admet avoir adopté le règlement modifié sans une consultation formelle des partenaires sociaux telle qu'elle est prévue à l'
art. 53 LMC
/GE. Il attribue cette omission au souci de l'exécutif d'organiser le plus rapidement possible la mise en oeuvre des emplois de solidarité dans l'intérêt des chômeurs et alors que le processus législatif avait été bloqué pendant de nombreux mois en raison de la procédure référendaire. En revanche, le Conseil d'Etat conteste le grief des recourants
BGE 134 I 269 S. 274
concernant la procédure de préavis prévue par l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE. Selon lui, cette procédure a été respectée.
3.3
3.3.1
De manière générale, la Constitution fédérale ne confère pas aux citoyens le droit d'être entendus dans une procédure législative (
ATF 123 I 63
consid. 2a p. 66). Une exception n'est admise que lorsque certaines personnes (destinataires dits "spéciaux") sont touchées de façon sensiblement plus grave que le plus grand nombre des destinataires "ordinaires", par exemple lorsqu'un décret de portée générale ne touche qu'un très petit nombre de propriétaires (
ATF 119 Ia 141
consid. 5 p. 149). Le Tribunal fédéral a par ailleurs admis que la liberté syndicale (
art. 28 Cst.
), si elle ne confère pas aux organisations syndicales de la fonction publique le droit de participer au processus législatif portant sur le statut du personnel, leur accorde néanmoins celui d'être entendues sous une forme appropriée en cas de modifications législatives ou réglementaires touchant de manière significative les conditions de travail de leurs membres (
ATF 129 I 113
consid. 3 p. 120 ss).
En l'espèce, on ne saurait considérer les organisations recourantes ou le recourant C. comme étant gravement et spécialement touchés par l'acte attaqué. D'autre part, celui-ci ne concerne pas le statut de la fonction publique, de sorte que l'
art. 28 Cst.
ne saurait être invoqué dans le présent contexte. Les recourants ne sauraient donc déduire un droit d'être entendus de la Constitution fédérale. C'est uniquement au regard du droit cantonal (
art. 53 et
art. 45G al. 2 LMC
/GE) qu'il convient d'examiner les griefs soulevés ici.
3.3.2
Le principe de la séparation des pouvoirs est garanti, au moins implicitement, par toutes les Constitutions cantonales et représente un droit constitutionnel dont peut se prévaloir le citoyen (
ATF 130 I 1
consid. 3.1 p. 5 et les références). Ce principe garantit le respect des compétences établies par la Constitution. Il appartient en premier lieu au droit public cantonal de fixer les compétences des autorités (
ATF 130 I 1
consid. 3.1 p. 5;
ATF 128 I 113
consid. 2c p. 116 et les références).
Dans le cas particulier, il ne fait pas de doute que le Conseil d'Etat était compétent pour édicter le règlement en cause (voir aussi infra consid. 4.2). L'argument selon lequel l'autorité exécutive n'aurait pas consulté préalablement les partenaires sociaux ou demandé un préavis au CSME n'a pas trait à la compétence du Conseil d'Etat
BGE 134 I 269 S. 275
d'adopter le règlement litigieux. Il s'agit bien plutôt de savoir si l'autorité compétente (le Conseil d'Etat) a respecté la procédure prévue à cet effet pour l'adoption du règlement. Un tel grief ne ressortit donc pas au principe de la séparation des pouvoirs, mais peut être soulevé en dénonçant une violation du principe général de l'interdiction de l'arbitraire inscrit à l'
art. 9 Cst.
(
ATF 133 I 178
).
3.3.3
Ainsi qu'on l'a vu, la loi prévoit une double procédure de consultation, préalable et spéciale, en définissant le cercle des destinataires. Pour l'adoption ou la modification du règlement, le Conseil d'Etat est tenu de consulter les "partenaires sociaux" (
art. 53 LMC
/GE), ce par quoi il faut entendre les organisations syndicales et patronales. Pour la détermination des salaires en faveur des bénéficiaires des emplois de solidarité, le Conseil d'Etat demande le préavis du CSME. Ce dernier est institué par les art. 12 ss de la loi genevoise du 18 septembre 1992 sur le service de l'emploi et la location de services (LSELS/GE; RSG J 2 05). Il a pour mission d'examiner les problèmes d'application relatifs à la politique générale du marché du travail. Font partie du Conseil cinq représentants de l'Etat, dont le conseiller d'Etat en charge du département compétent, qui le préside, ainsi que cinq représentants des employeurs et cinq représentants des travailleurs, nommés par le Conseil d'Etat, sur proposition de l'Union des associations patronales genevoises (UAPG) et de la (CGAS).
3.3.4
Il ressort d'un procès-verbal d'une séance du CSME du 12 octobre 2007 qu'à l'occasion de celle-ci, le conseiller d'Etat, chef du département de la solidarité et de l'emploi, a manifesté sa volonté, avant la votation populaire sur la loi en matière de chômage, de "démarrer les emplois de solidarité" au début de l'année 2008. Il a indiqué que le règlement d'exécution de la loi, en cours de préparation, serait présenté au CSME "pour validation". Un représentant de la CGAS a alors répondu que, vu l'opposition des syndicats à la nouvelle loi, la CGAS n'entendait pas s'associer à des travaux qui anticiperaient la mise en oeuvre de celle-ci. En réponse à cette déclaration, le conseiller d'Etat a précisé que la loi ne serait évidemment pas appliquée avant la votation, mais qu'il convenait d'être prêt dans l'hypothèse où elle serait acceptée par le peuple.
3.3.5
Après que la loi eut été adoptée en votation populaire le 16 décembre 2007, le CSME a été convoqué à une séance pour le 18 janvier 2008. Les membres du Conseil on reçu une convocation datée
BGE 134 I 269 S. 276
du 14 janvier 2008 dans laquelle figurait l'ordre du jour. Le point 5 de celui-ci était le suivant:
"Emplois de solidarité sur le marché complémentaire de l'emploi - consultation CSME à teneur des art. 45E et 45F de la nouvelle loi cantonale en matière de chômage."
Selon le procès-verbal de cette séance, le chef du département a rappelé que le préavis du CSME était prévu par la loi et qu'il portait sur la nature des emplois ainsi que sur les salaires. Il a indiqué que les emplois de solidarité seraient mis en place de manière progressive dès le 1
er
février 2008. Avec les programmes d'emploi-formation, ils remplaceraient les emplois temporaires cantonaux (contrats d'emplois temporaires conclus avec l'Etat en vue de l'ouverture d'un nouveau délai-cadre d'indemnisation par l'assurance-chômage fédérale). Le chef du département a distribué et commenté un projet relatif à la fixation des salaires mensuels, à savoir 3'000 fr. pour une fonction ne requérant aucune formation spécifique, 3'500 fr. pour une fonction occupée par un titulaire d'un CFC de la branche concernée ou d'un diplôme professionnel équivalent et 4'000 fr. pour une fonction spécialisée ou à responsabilités, requérant impérativement un CFC de la branche ou un diplôme professionnel équivalent. Les représentants de la CGAS ont regretté que le projet ne leur ait pas été remis à l'avance. Ils ont estimé qu'il n'était pas possible de se prononcer sur la question des salaires proposés sans une analyse technique préalable de la "compatibilité" avec les usages sectoriels. Ils ont exprimé l'avis que les trois niveaux de salaires proposés conduiraient à un dumping salarial et à une concurrence avec le marché principal de l'emploi. En conséquence, ils ont demandé la création d'un groupe de travail ad hoc chargé de l'examen de ces questions. Le chef du département a rappelé qu'il avait vainement proposé de traiter la question en octobre 2007. Finalement, le CSME a donné son aval à la mise en place d'un groupe technique paritaire. La CGAS et l'UAPG s'engageaient à désigner deux délégués jusqu'au 25 janvier 2008, pour tenir séance. La mission du groupe était "d'inventorier les questions d'application de la proposition de décision et de proposer des éventuelles adaptations fondées sur les critères d'équité et de simplicité administrative, dans un souci de prévention de dumping et de concurrence". Dans l'intervalle, la proposition du Conseil d'Etat serait provisoirement applicable. Ce dispositif a été adopté avec une abstention.
Selon les indications fournies par le Conseil d'Etat dans sa réponse au recours, le "groupe technique" prévu a été convoqué par l'office
BGE 134 I 269 S. 277
cantonal de l'emploi, mais il n'a pas pu se réunir; en effet, les représentants patronaux ont refusé de participer à ce groupe de travail en raison du présent recours déposé entre temps par les organisations syndicales et la CGAS.
3.3.6
Il ressort de ce qui précède que les partenaires sociaux - au travers du CSME - ont été informés de l'intention du Conseil d'Etat de mettre rapidement sur pied les dispositions d'exécution de la loi modifiée en matière de chômage. Par la suite, le CSME a bien été invité à donner un préavis sur la question des salaires en faveur des bénéficiaires des emplois de solidarité. Ses membres ont eu l'occasion de faire valoir leurs objections. Ils ont donné leur accord à la mise en place d'un groupe de travail paritaire et accepté, provisoirement, les propositions salariales du Conseil d'Etat. Dans ces conditions, on peut admettre que la procédure de préavis prévue par l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE a été respectée, même si le groupe de travail paritaire n'a pas été en mesure de se réunir pour formuler un préavis définitif. Un accord préalable du CSME n'est pas exigé par la loi et serait du reste dépourvu de force contraignante à l'égard de l'autorité (voir
ATF 129 I 113
consid 3.1 p. 122). Le Conseil d'Etat ne pouvait, sous peine de paralyser le processus législatif et réglementaire, surseoir à la fixation des salaires selon l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE.
Par ailleurs, la loi ne dit rien sur la manière dont le préavis requis doit être donné. Contrairement à ce que soutiennent les recourants, le fait que le Conseil d'Etat a soumis une grille de salaires au cours de la séance du CSME, et non pas préalablement à celle-ci, ne vide pas de sa substance la procédure de préavis prévue par la loi. L'essentiel, en effet, est que les membres du CSME ont eu la possibilité de donner leur avis. Au reste, la réserve d'un préavis définitif après l'entrée en vigueur du règlement, envisagée lors de la séance du 18 janvier 2008, témoigne d'une certaine continuité dans la consultation des partenaires sociaux et donc d'une flexibilité permettant au besoin d'adapter après coup le montant des salaires en fonction des recommandations éventuelles du CSME.
Le grief tiré d'une violation de l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE n'est dès lors pas fondé.
3.3.7
En ce qui concerne la procédure de consultation prévue par l'
art. 53 LMC
/GE elle n'a pas été observée, ce qui n'est pas contesté. Le Conseil d'Etat, en effet, était tenu de soumettre pour
BGE 134 I 269 S. 278
consultation au CSME, voire de manière plus générale aux organisations syndicales et patronales, le projet de règlement (modifié) dans son ensemble. Cette procédure préalable n'est pas laissée à la discrétion du Conseil d'Etat, mais elle est obligatoire en vertu de la loi. Elle vise à améliorer l'acte en augmentant les connaissances de l'autorité. Elle permet de s'assurer que l'acte, une fois en vigueur, ne rencontrera pas de trop grandes difficultés dans son application. Elle favorise aussi une meilleure acceptation de celui-ci par les partenaires sociaux (voir, à propos de la procédure de consultation prévue par l'
art. 147 Cst.
, JEAN-FRANÇOIS AUBERT/PASCAL MAHON, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zurich/Bâle/Genève 2003, n. 3 ad
art. 147 Cst.
). Il ne s'agit pas d'une simple prescription d'ordre. Le fait que le législateur cantonal a prévu une consultation spéciale des partenaires sociaux souligne l'importance qu'il y attache. La procédure de modification du règlement est donc entachée formellement d'une irrégularité.
3.3.8
Se pose dès lors la question de savoir quelles en sont les conséquences.
Des irrégularités formelles dans le déroulement d'un objet traité par un parlement ou une autorité exécutive ne peuvent totalement être évitées. Sauf exception, elles ne sauraient, pour des raisons tirées de la sécurité du droit, remettre en cause la validité de l'acte. Cependant, les arrêtés cantonaux (lois, règlements) peuvent être affectés de vices graves dans leur procédure d'adoption. De tels vices peuvent entraîner l'annulation de l'acte en cause, lorsqu'ils sont invoqués dans les délais en faisant usage d'un moyen de droit disponible (voir
ATF 133 I 178
).
En l'espèce, le vice n'apparaît pas si grave qu'il doive conduire à l'annulation du règlement dans son ensemble. Cette sanction serait disproportionnée au regard des circonstances. Le règlement n'a pas été adopté à l'insu des partenaires sociaux, qui ont eu la possibilité de se faire entendre dès le mois d'octobre 2007 déjà. En outre, une consultation des partenaires sociaux - par le biais du CSME - a eu lieu sur un point important et controversé du règlement, intéressant de surcroît plus particulièrement ces derniers, à savoir les modalités d'indemnisation des bénéficiaires des emplois de solidarité. En octobre 2007, l'attention des partenaires sociaux a été attirée sur le fait que le projet en cours leur serait présenté pour "validation", ce
BGE 134 I 269 S. 279
qui faisait incontestablement référence à la procédure de consultation exigée par l'
art. 53 LMC
/GE. S'ils estimaient que cette procédure devait encore être mise en oeuvre, ils pouvaient le faire savoir au Conseil d'Etat à l'occasion de la séance du 18 janvier 2008. On peut ainsi considérer qu'ils ont implicitement renoncé à une détermination sur l'ensemble des modifications du règlement, pour concentrer leur intérêt sur les questions salariales.
3.4
En conséquence, les conclusions des recourants tendant à l'annulation du règlement en raison de vices dans sa procédure d'adoption sont mal fondées.
4.
4.1
Invoquant une violation du principe de la séparation des pouvoirs, les recourants font valoir que l'art. 43 RMC/GE est contraire au contenu matériel de l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE. Cette disposition légale prévoit que le Conseil d'Etat "détermine les salaires minimaux". Or, l'art. 43 RMC/GE fixe le salaire mensuel brut de l'emploi de solidarité, selon les qualifications du travailleur, à 3'000 fr., 3'500 fr. et 4'000 fr. Selon les recourants, ces montants sont en réalité des salaires obligatoires et non des salaires plancher comme l'exige la loi.
4.2
L'art. 130 de la Constitution genevoise (Cst./GE; RS 131.234) consacre expressément le principe de la séparation des pouvoirs. Si le pouvoir législatif est exercé par le Grand Conseil (
art. 70 Cst./GE
), le pouvoir exécutif et l'administration générale du canton sont confiés au Conseil d'Etat (
art. 101 Cst./GE
). Selon l'
art. 116 Cst./GE
, le Conseil d'Etat a pour tâche de promulguer les lois; il est chargé de leur exécution et prend à cet effet les règlements et arrêtés nécessaires. Il ne peut ainsi disposer qu'
intra legem
et non
praeter legem
: ses règlements peuvent établir des règles complémentaires de procédure, préciser et détailler certaines dispositions de la loi et, éventuellement, combler de véritables lacunes (
ATF 130 I 140
consid. 5.1 p. 149;
ATF 129 V 95
consid. 2.1 p. 97;
ATF 124 I 127
consid. 3b p. 132 et les références).
4.3
Le projet de loi en matière de chômage présenté par le Conseil d'Etat le 26 septembre 2006 prévoyait ceci à son art. 45G al. 1: "Le département fixe le montant et les modalités de la rémunération accordée aux bénéficiaires du programme." A son al. 3, il précisait que les relations contractuelles entre les bénéficiaires et les institutions étaient régies pour le surplus par le contrat de travail signé par ces derniers et, à titre supplétif, par les dispositions du titre dixième du
BGE 134 I 269 S. 280
Code des obligations. Au cours de la procédure de consultation, certaines institutions (Caritas, le Centre social protestant) ont fait valoir que le projet soulevait sur ce point des difficultés, car lesdites institutions pouvaient être amenées à conclure des contrats pour des emplois de solidarité avec des salaires inférieurs à ceux fixés dans leur propre statut du personnel. La Commission de l'économie chargée d'étudier le projet a alors proposé de modifier la disposition en cause en prévoyant que le Conseil d'Etat fixerait des salaires minimaux après consultation du CSME. Cette proposition a été retenue dans la version définitive de l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE.
4.4
En déléguant au Conseil d'Etat le pouvoir de fixer des salaires minimaux, le législateur cantonal n'exige pas forcément que l'employeur accorde aux bénéficiaires - ou à certains d'entre eux - des salaires plus élevés que les salaires minimums prévus. Les motifs qui ont conduit la Commission de l'économie à modifier le projet initial donnent à penser que le législateur a voulu confier au Conseil d'Etat le pouvoir de fixer lui-même dans son règlement d'exécution des normes minimales afin d'éviter que la fixation des salaires soit laissée, comme prévu initialement, à l'appréciation du département. La consultation du CSME - qui n'était pas prévue dans le projet initial - devait également permettre au Conseil d'Etat de prendre en compte les préoccupations des partenaires sociaux en matière salariale. Le terme "minimaux" peut être compris en ce sens que le Conseil d'Etat est tenu de fixer des montants qui représentent un salaire garanti pour les intéressés. Il ne signifie pas nécessairement que les salaires doivent être individualisés ou déterminés de cas en cas en fonction des normes salariales pratiquées par l'institution partenaire. Au demeurant, en fixant trois paliers de rémunération, le Conseil d'Etat a adopté un échelonnement qui permet déjà, en la relativisant, une interprétation nuancée de la notion de salaires minimaux.
4.5
Dès lors, ici également, le grief tiré d'une violation de l'
art. 45G al. 2 LMC
/GE est mal fondé.
5.
5.1
Les recourants se prévalent encore à un autre titre du principe de la séparation des pouvoirs. Ils font valoir que le règlement d'exécution, à ses art. 43 et 44, prévoit un système différent de celui prévu à l'art. 45G de la loi. Selon l'art. 44 al. 1 RMC/GE, la différence entre les salaires prévus et le salaire minimal résultant de la législation sociale (
art. 45G al. 1 LMC
/GE) fait l'objet d'une allocation
BGE 134 I 269 S. 281
complémentaire. L'art. 44 al. 2 RMC/GE prévoit que cette allocation complémentaire n'est pas assimilée à un salaire et ne donne pas lieu à prélèvement de cotisations sociales. Selon les recourants, cette réglementation suppose donc que l'allocation complémentaire est une prestation sociale versée par l'Etat. Ce système serait donc contraire à l'
art. 45G al. 1 LMC
/GE qui exige que le salaire versé par l'institution partenaire (employeuse) doit respecter les normes de la législation sociale. Il contreviendrait également à l'
art. 45G al. 4 LMC
/GE, selon lequel le contrat de travail donne lieu au prélèvement des cotisations sociale usuelles: de l'avis des recourants, cette disposition de la loi exclut qu'une partie du salaire soit versée sous forme d'allocations de l'Etat non soumises aux cotisations sociales.
5.2
L'
art. 45G al. 1 LMC
/GE prévoit que les bénéficiaires perçoivent de la part des institutions partenaires un salaire dont le montant est au moins équivalent aux normes prévues par la loi sur les prestations cantonales accordées aux chômeurs en fin de droit ou par les normes de l'aide sociale. Son but est d'accorder une rémunération qui soit au moins équivalente aux prestations de l'aide sociale, sous peine de décourager les bénéficiaires potentiels de prendre un emploi de solidarité (Rapport de la Commission de l'économie chargée d'étudier le projet de loi du Conseil d'Etat modifiant la loi en matière de chômage). L'exigence posée à l'
art. 45G al. 1 LMC
/GE ne précise toutefois pas ce qu'il faut entendre par "normes". Cette notion est sujette à interprétation. L'aide sociale et les allocations accordées aux chômeurs en fin de droit dépendent en effet pour une part de la situation individuelle des bénéficiaires, en particulier de leur situation de famille et des dépenses à leur charge. Cette composante individuelle est en revanche étrangère à la notion de salaire, qui représente par définition la contrepartie pour un travail fourni. Le Conseil d'Etat se devait donc d'adopter une solution qui se concilie avec l'exigence d'une rémunération minimale et les paramètres variables de l'aide sociale.
5.3
Selon la loi du 18 novembre 1994 sur les prestations cantonales accordées aux chômeurs en fin de droit (LRMCAS/GE; RSG J 2 25), ces prestations sont allouées aux personnes qui sont au chômage, qui ont épuisé leur droit aux prestations de l'assurance-chômage (régime fédéral et cantonal; art. 1 LRMCAS/GE) et dont le revenu annuel déterminant n'atteint pas le revenu minimum cantonal d'aide sociale (art. 4 LRMCAS/GE). Le revenu minimum cantonal d'aide sociale garanti aux chômeurs en fin de droit est de 15'734 fr.
BGE 134 I 269 S. 282
depuis le 1
er
janvier 2007 (art. 3 LRMCAS/GE en corrélation avec le règlement relatif à l'indexation des prestations cantonales accordées aux chômeurs en fin de droit, du 29 novembre 2006 (RIPCFD/GE; RSG J 2 25.01). Il peut être complété, dans les limites du barême de l'assistance publique, par des allocations ponctuelles destinées à la prise en charge de certains frais, tels que les frais de vêtements ou de maladie. Conformément à l'art. 3 al. 2 LRMCAS/GE, le montant minimum (15'734 fr.) est multiplié par:
a) 1,46 s'il s'agit de deux personnes;
b) 1,88 s'il s'agit de trois personnes;
c) 2,20 s'il s'agit de quatre personnes;
d) 2,50 s'il s'agit de cinq personnes;
e) 0,30 par personne supplémentaire au-delà de cinq personnes.
Le salaire minimum de 3'000 fr. (36'000 fr. par année) prévu à l'art. 43 RMC/GE est donc légèrement supérieur au revenu minimum cantonal d'aide sociale pour quatre personnes selon l'art. 3 al. 2 LRMCAS/GE. On ne peut donc pas dire que le Conseil d'Etat ait outrepassé ses pouvoirs en fixant un plancher qui est plus proche des maxima que des minima à considérer au regard de la LRMCAS/GE. Le montant minimum garanti pour quatre personnes couvre une très large partie des bénéficiaires potentiels. Il n'y aurait aucun sens à fixer des salaires minimums en partant de situations personnelles plus ou moins exceptionnelles. A ce propos d'ailleurs, le Conseil d'Etat indique dans sa réponse qu'aucun emploi de solidarité mis en place avec les institutions partenaires n'a jusqu'à présent donné lieu au paiement d'un complément prévu par l'art. 44 RMC/GE. Le seul fait que le Conseil d'Etat a prévu dans cette disposition le versement d'une allocation complémentaire, pour tenir compte de situations individuelles tout à fait particulières, ne permet pas de conclure qu'il a restreint de manière inadmissible la portée de la loi. Au demeurant, les recourants ne précisent pas quel est le montant minimum qui devrait être garanti selon les normes de l'aide sociale. Ici également le grief soulevé se révèle mal fondé.
6.
6.1
Les recourants font enfin valoir que les salaires fixés par le Conseil d'Etat à l'art. 43 RMC/GE pourraient être plus bas que ceux prévus par les conventions collectives de travail. Or, les salaires minimums prévus par les conventions collectives sont impératifs dans la mesure où l'employeur et le travailleur sont liés par une telle
BGE 134 I 269 S. 283
convention. De plus, lorsqu'une convention collective a fait l'objet d'un arrêté d'extension, les dispositions normatives de la convention collective, dont font partie les salaires minimaux, s'appliquent également aux employeurs et travailleurs auxquels la convention est étendue. De même, les salaires minimaux prévus par des contrats-types au sens de l'
art. 360a CO
sont également impératifs. Aussi bien l'art. 43 RMC/GE devrait-il être annulé pour violation du principe de la primauté du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
).
6.2
L'
art. 49 al. 1 Cst.
fait obstacle à l'adoption ou à l'application de règles cantonales qui éludent des prescriptions de droit fédéral ou qui en contredisent le sens ou l'esprit, notamment par leur but ou par les moyens qu'elles mettent en oeuvre, ou qui empiètent sur des matières que le législateur fédéral a réglementées de façon exhaustive. Le principe de la force dérogatoire du droit fédéral peut être invoqué en tant que droit constitutionnel individuel. Le Tribunal fédéral examine avec un plein pouvoir d'examen si la norme de droit cantonal est conforme au droit fédéral (
ATF 134 I 125
consid. 2.1 p. 128;
ATF 133 I 286
consid. 3.1 p. 290 et les références).
6.3
6.3.1
Il découle de l'
art. 357 al. 1 CO
que les clauses relatives notamment au contenu des contrats individuels de travail n'ont en principe d'effet direct et impératif qu'envers des employeurs et travailleurs qu'elles lient. De telles clauses s'appliquent automatiquement, sans incorporation dans le contrat de travail, et les parties ne peuvent y déroger contractuellement au détriment du salarié (cf. GABRIEL AUBERT, Commentaire romand, n. 3 s. ad
art. 357 CO
). Ces effets supposent que les deux parties soient liées. Tel est le cas si l'employeur est personnellement partie à la convention, si l'employeur et le travailleur sont membres d'une association contractante (
art. 356 al. 1 CO
), ou encore si l'employeur et le travailleur ont fait une déclaration de soumission volontaire au sens de l'
art. 356b CO
et ont obtenu le consentement des parties (cf.
ATF 123 III 129
consid. 3a p. 131; arrêt 4C.276/2004 du 12 octobre 2004).
6.3.2
La décision d'extension permet l'application d'une convention collective de travail aux employeurs et aux travailleurs qui appartiennent à la branche économique ou à la profession visée et ne sont pas liés par cette convention (cf. art. 1 al. 1 de la loi fédérale du 28 septembre 1956 permettant d'étendre le champ d'application de la convention collective du travail [LECCT; RS 221.215.311]). Pour
BGE 134 I 269 S. 284
savoir si une entreprise appartient à la branche économique ou à la profession visée et entre, de ce fait, dans le champ d'application de la convention étendue, il faut examiner de manière concrète l'activité généralement déployée par l'entreprise en cause (arrêt 4P.49/2006 du 24 avril 2006, consid. 3.3). Seule doit être prise en considération, dans le cadre de cet examen, l'activité généralement exercée par l'employeur en question (arrêt 4C.409/1995 du 15 mai 1996, consid. 2b). Les entreprises visées par la déclaration d'extension doivent offrir des biens ou des services de même nature que les entreprises qui sont soumises contractuellement à la convention; il doit exister un rapport de concurrence directe entre ces entreprises (arrêts 4C.45/2002 du 11 juillet 2002, consid. 2.1.2, et 4C.46/1995 du 11 octobre 1995, consid. 3a).
6.3.3
Enfin, conformément à l'
art. 360a al. 1 CO
, si, au sein d'une branche économique ou d'une profession, les salaires usuels dans la localité, la branche ou la profession font l'objet d'une sous-enchère abusive et répétée et qu'il n'existe pas de convention collective de travail contenant des dispositions relatives aux salaires minimaux pouvant être étendue, l'autorité compétente peut édicter, sur proposition de la commission tripartite visée à l'art. 360b, un contrat- type de travail d'une durée limitée prévoyant des salaires minimaux différenciés selon les régions et, le cas échéant, selon les localités, dans le but de combattre ou de prévenir les abus.
6.4
Comme cela ressort de l'
art. 45E LMC
/GE, les emplois de solidarité sont créés sur le marché complémentaire de l'emploi. Ils doivent viser à l'insertion professionnelle des demandeurs d'emploi. Dans le choix des activités retenues, le département veille à éviter toute concurrence avec des entreprises commerciales genevoises, en particulier celles régies par des conventions collectives de travail. Les emplois proposés relèvent donc d'activités délaissées par le marché ordinaire de l'emploi. Leur mise en oeuvre requiert le concours de l'Etat par le biais de subventions. Le législateur genevois a voulu empêcher tout risque de dumping salarial en évitant la création d'un rapport de concurrence directe entre les institutions partenaires et l'économie dite "primaire". L'éventualité que ces institutions entrent dans le même domaine d'activité que des entreprises englobées dans une décision d'extension est donc tout à fait théorique.
6.5
Par ailleurs, l'
art. 45D al. 3 LMC
/GE exclut de façon explicite un droit pour le chômeur d'obtenir une mesure déterminée, par
BGE 134 I 269 S. 285
exemple un emploi dans l'institution de son choix. L'Etat choisit librement les institutions partenaires. Le droit fédéral ne l'oblige pas à choisir une institution partenaire qui, par hypothèse, serait soumise à une convention collective. En outre, comme le relève le Conseil d'Etat dans sa réponse, les particularités liées aux emplois de solidarité, qui présentent indiscutablement une composante de formation, peuvent justifier de soumettre à un régime spécial les emplois de solidarité en ce qui concerne le montant des salaires. Dans cette perspective, il est loisible aux parties contractantes de modifier le champ d'application personnel d'une convention collective de travail pour tenir compte de ces particularités.
6.6
Intrinsèquement, les dispositions en matière de salaire adoptées par le Conseil d'Etat n'apparaissent donc pas contraires au droit fédéral. Même si on ne peut d'emblée exclure, dans un cas concret, que le salaire fixé par le règlement soit inférieur au salaire minimum prévu dans une convention collective (ou un contrat-type), le grief d'inconstitutionnalité ne peut pas être retenu. En effet, si une norme semble compatible avec le droit fédéral, au regard des circonstances ordinaires que le législateur devait considérer, le juge ne l'annulera pas pour le seul motif qu'on ne peut exclure absolument l'éventualité de son application contraire au droit à des cas particuliers. Il ne le fera que si la perspective d'un contrôle concret ultérieur n'offre pas de garantie suffisante au destinataire de la norme litigieuse (cf. arrêts 2C_218/2007 du 9 octobre 2007, consid. 3; 2C_71/2007 du 9 octobre 2007, consid. 2.6; cf., sous l'empire de l'OJ,
ATF 129 I 12
consid. 3.2 p. 15;
ATF 128 I 327
consid. 3.1 p. 334 s. et les arrêts cités). Or, tel n'est pas le cas en l'espèce, dans la mesure où le bénéficiaire d'un emploi de solidarité a toujours la possibilité de saisir le juge civil dans l'hypothèse où la rémunération perçue ne serait pas conforme à une convention collective.
6.7
Le grief des recourants tiré de la primauté du droit fédéral doit donc aussi être rejeté. | public_law | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3bbb1453-15e4-4d7f-b97c-0f8a012e8034 | Urteilskopf
108 II 475
90. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1982 i.S. PRO LITTERIS gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) (Direktprozess) | Regeste
Reprographierechte an literarischen Werken.
1. Feststellungsklage: Aktivlegitimation einer Genossenschaft, der die Reprographierechte abgetreten werden; massgebender Zeitpunkt (E. 1).
2.
Art. 25 Abs. 2 URG
gilt nur zugunsten der Presse. Ein Unternehmen, das für die betriebsinterne Information Zeitungsartikel vervielfältigen lässt, kann sich nicht auf diese Ausnahmebestimmung berufen (E. 2).
3.
Art. 22 URG
. Wann ist nach einer zeitgemässen Auslegung dieser Bestimmung eine Wiedergabe zu eigenem, privatem Gebrauch ohne Gewinnzweck anzunehmen? Umstände, unter denen offensichtlich eine Wiedergabe mit Gewinnzweck vorliegt (E. 3).
4. Notwendigkeit und Möglichkeiten einer gesetzgeberischen Lösung (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 476
BGE 108 II 475 S. 476
A.-
Die Generaldirektion PTT lässt durch ihren Pressedienst wöchentlich Zeitungsartikel, die sich mit Anliegen von Post, Telefon, Telegraf, Radio oder Fernsehen befassen, unter dem Titel "ptt-intern" zusammenstellen. Auch vom Verfasser gezeichnete Originalbeiträge werden darin aufgenommen. Die Schrift wird auf einem handelsüblichen Kopiergerät in 530 Exemplaren angefertigt und den Chefbeamten der Generaldirektion, den Kreisdirektoren sowie den Mitgliedern des PTT-Verwaltungsrates, der konsultativen PTT-Konferenz und den parlamentarischen Geschäftsprüfungskommissionen abgegeben; sie kann nicht abonniert werden.
Die Nummer vom 25. März 1981 enthielt u.a. einen am Vortag in der NZZ erschienenen Originalbeitrag von Dr. Uchtenhagen, Direktor der SUISA, der sich darin unter der Überschrift "Das Urheberrecht im Kreuzfeuer der Medien" zu aktuellen Fragen des Kabelfernsehens äusserte. Wiedergabe und Weiterverbreitung des Artikels mit vollem Wortlaut veranlassten die Genossenschaft PRO LITTERIS, deren Direktor ebenfalls Dr. Uchtenhagen ist, zum Einschreiten. Die seit 1975 bestehende PRO LITTERIS verwaltet Urheberrechte, die mit der Verbreitung literarischer Werke nichttheatralischer Art zusammenhängen. Ihre Tätigkeit stützt sich auf Verträge mit den Mitgliedern und auf Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften. Die Genossenschaft umfasste im September 1982 angeblich 354 Autoren sowie 20 Verleger, von denen jeder zahlreiche weitere Autoren vertreten soll.
B.-
Am 30. April 1981 klagte die PRO LITTERIS beim Bundesgericht gegen die Schweiz. Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) auf Feststellung, dass die Beklagte ganze Werke der von ihr vertretenen Urheber nur mit ihrer Erlaubnis für den PTT-Pressedienst kopieren darf.
Die Beklagte hielt die Klage zunächst mangels eines Feststellungsinteresses der Klägerin und wegen ungenügenden Streitwertes für unzulässig. Diese Einreden wurden mit Zwischenbeschluss vom 1. September 1981 verworfen, weil die Möglichkeit einer Leistungs- oder Unterlassungsklage ein Feststellungsinteresse
BGE 108 II 475 S. 477
nicht ausschliesse und nach den Tarifvorstellungen der Klägerin ein Streitwert von rund Fr. 40'000.-- anzunehmen sei.
Daraufhin beantragte die Beklagte, die Feststellungsklage ganz oder jedenfalls insoweit abzuweisen, als es nicht um Originalbeiträge von Autoren gehe, welche die Klägerin vertrete. In der Duplik bestritt sie zudem die Aktivlegitimation der Klägerin.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Auffassung der Beklagten ist die Klägerin nicht aktivlegitimiert, weil sich weder aus den Statuten noch aus dem Mustervertrag ergebe, dass der Klägerin Reprographierechte (Wiedergabe durch Vervielfältigen oder Kopieren) übertragen worden seien.
a) Die Klägerin hält die erst in der Duplik erhobene Einrede fehlender Aktivlegitimation für verspätet, da ihre Sachdarstellung von der Beklagten in der Klageantwort stillschweigend anerkannt worden sei. Dazu komme, dass
Art. 19 Abs. 2 BZP
in weiteren Rechtsschriften nur noch Ergänzungen zulasse und ihr Feststellungsinteresse mit dem Zwischenbeschluss bejaht worden sei; ihr Klagerecht setze nicht voraus, dass sie selbst materiell am festzustellenden Rechtsverhältnis beteiligt sei.
Die Klägerin hat in der Klageschrift indes nicht behauptet, es seien ihr Reprographierechte abgetreten worden; im Stillschweigen der Beklagten kann deshalb keine Anerkennung liegen, die einer ergänzenden Bestreitung in der Duplik entgegenstünde. Dies ist daher auch insoweit zulässig, als es sich nicht ohnehin um eine Frage der Rechtsanwendung handelt (
BGE 107 II 85
). Gewiss können sodann auch Rechtsverhältnisse Dritter Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wenn ein schutzwürdiges Interesse des Klägers gegeben ist (
BGE 93 II 16
mit Zitaten). Darauf kann die Klägerin sich jedoch nicht berufen. Sie verkennt, dass ihr Klagebegehren nicht auf Feststellung von Ansprüchen lautet, die von ihr vertretene Autoren gegen die Beklagte haben; es geht vielmehr dahin, dass Artikel solcher Autoren nur mit Erlaubnis der Klägerin in "ptt-intern" aufgenommen werden dürfen. Das setzt voraus, dass sie selbst Reprographierechte erworben hat und geltend machen kann.
b) Es fällt auf, dass die der Klägerin zur Wahrung abgetretenen Urheberrechte weder in deren Statuten noch in den Verträgen mit den Mitgliedern umfassend umschrieben, sondern einzeln aufgezählt
BGE 108 II 475 S. 478
werden, wobei das Reprographierecht nicht erwähnt wird. Die gesetzliche Vermutung des
Art. 9 Abs. 2 URG
spricht daher gegen die Übertragung weiterer Befugnisse. Die Klägerin macht geltend, die Lücke in den Verträgen sei teils einem redaktionellen Versehen, teils dem Umstand zuzuschreiben, dass der Mustervertrag angesichts der hängigen Gesetzesrevision von einem Vergütungsanspruch ausgehe, der ihr von den Mitgliedern abgetreten worden sei. Sie offeriert Beweis dafür, dass nach dem wirklichen Willen der Beteiligten stets auch die Reprographierechte übertragen worden seien. Wie es sich damit verhält, braucht indes nicht abgeklärt zu werden.
Im Falle Dr. Uchtenhagen, dessen Artikel Anlass zur Klage gegeben hat, ist nämlich bewiesen, dass der Klägerin auch die Reprographierechte abgetreten worden sind; das geschah offenbar auch in weiteren Einzelfällen. Mit dem Einwand angeblicher Befangenheit ist dagegen nicht aufzukommen. Die Beklagte irrt auch insofern, als sie seit der Rechtshängigkeit der Streitsache eingetretene Tatsachen nicht berücksichtigt wissen will; denn im Verfahren vor dem Bundesgericht folgt aus der Rechtshängigkeit nicht, dass der Sachverhalt auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung festgelegt werde (
Art. 21 Abs. 3 BZP
). Es muss deshalb genügen, wenn die Aktivlegitimation der Klägerin im Zeitpunkt des Urteils gegeben ist (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl. S. 377 Anm. 62/b).
Zu bedenken ist ferner, dass die Klägerin Statuten und Verträge im beanstandeten Punkt ändern und ergänzen will. Das entspricht zudem der Aufgabe, die ihr als Verwertungsgesellschaft zukommt und vom Bundesrat hinsichtlich der Weitersenderechte bereits anerkannt worden ist. Wie beim Kabelfernsehen können die Autoren ihre Rechte auch im Bereich der Reprographie praktisch nicht allein wahrnehmen. Das eine wie das andere darf im Rahmen einer Feststellungsklage mitberücksichtigt werden. Das gilt sinngemäss auch für die Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften, denen die Beklagte einstweilen eine entsprechende Berechtigung ebenfalls abspricht. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob die Geschäftsführung ohne Auftrag, die der Klägerin nach ihren Statuten im Interesse von Nichtmitgliedern obliegt, als Grundlage einer Feststellungsklage ausreichen würde oder ob das Klagerecht sich diesfalls erst aus einem staatlichen Verwertungsauftrag ergäbe.
c) Die Klägerin ist daher zur Klage legitimiert. Ihr Rechtsbegehren
BGE 108 II 475 S. 479
kann sich aber zum vorneherein nur auf Werke von Autoren beziehen, die ihr tatsächlich auch die Reprographierechte abgetreten haben.
2.
Gemäss
Art. 25 URG
dürfen in Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlichte Werke der Literatur, Wissenschaft oder Kunst grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihren Gegenstand nur mit Zustimmung des Urhebers wiedergegeben werden (Abs. 1). Ausgenommen ist insbesondere die Wiedergabe von Artikeln über Tagesfragen wirtschaftlicher, politischer oder religiöser Natur in der Presse, wenn die Wiedergabe nicht ausdrücklich vorbehalten worden ist oder die Artikel nicht ausdrücklich als Originalbeiträge oder Originalberichte bezeichnet worden sind (Abs. 2). Erlaubt sind ferner kurze Zitate aus Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln, auch in Form von Presseübersichten (Abs. 3).
Im vorliegenden Fall geht es nicht um blosse Zitate im Sinne der zweiten Ausnahme, da nach dem Wortlaut des Feststellungsbegehrens nur die Wiedergabe "ganzer Werke" von einer Erlaubnis abhängig gemacht werden soll. Die Beklagte beruft sich hingegen auf die erste Ausnahmebestimmung; denn sie beantragt, das Feststellungsbegehren sei jedenfalls insoweit abzuweisen, als es sich nicht um Artikel mit ausdrücklich vorbehaltenem Wiedergaberecht handelt. Indem die Klägerin einen Originalartikel von Dr. Uchtenhagen zum Anlass ihrer Klage nahm, erweckte sie vorerst den Eindruck, sie wolle der Beklagten die Berufung auf diese Bestimmung zugestehen. Ihr Klagebegehren ging indes von Anfang an darüber hinaus, und sie machte in der Folge auch klar, dass sie eine Anwendung der Bestimmung auf "ptt-intern" ablehnt.
Die Wiedergabe von Zeitungsartikeln "in andern Zeitungen" war schon nach
Art. 25 Abs. 1 aURG
unter ähnlichen Vorbehalten erlaubt. In der parlamentarischen Beratung über die Fassung von 1922 machte Berichterstatter Wettstein ausdrücklich auf diese Beschränkung erlaubten Nachdrucks aufmerksam (Sten.Bull. 1920 StR S. 409/10). Anlässlich der Revision von 1955 wurde das Sonderrecht für die Zeitungen auf Zeitschriftenartikel ausgedehnt; es sollte gemäss Art. 9 Abs. 2 der revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ) vom 26. Januar 1948 aber weiterhin nur "zugunsten der Presse" bestehen (vgl. Botschaft zur Novelle, BBl 1954 II S. 658). Der geltende
Art. 25 Abs. 2 URG
erlaubt übereinstimmend damit, vom Nachdruckverbot ausgenommene Artikel "in der Presse wiederzugeben"
BGE 108 II 475 S. 480
(reproduire par la presse, riprodurre mediante la stampa).
Mit dieser Regelung sollten national wie international kleinere Blätter die Möglichkeit erhalten, Artikel aus grösseren Zeitungen im Interesse der öffentlichen Meinungsbildung zu übernehmen (TROLLER, Immaterialgüterrecht II S. 804; LUDWIG, Schweizerisches Presserecht, S. 213; LUTZ, Die Schranken des Urheberrechts im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1964, S. 9). Diese Rechtfertigung trifft auf eine innerbetriebliche Dokumentationshilfe wie "ptt-intern" nicht zu. Es handelt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht einmal um eine sogenannte Hauszeitung, weil sie keine eigenen Artikel enthält; eine solche fiele übrigens nach dem gesetzgeberischen Motiv ebenfalls nicht unter die Ausnahmebestimmung. Fehl geht auch der Einwand, dass es widersinnig wäre, einem Dritten gegen Bezahlung die Herausgabe einer Presseübersicht zu gestatten, nicht aber dem PTT-Pressedienst, der keinen Gewinnzweck verfolge. Sollte die Beklagte dabei an Unternehmen wie "Argus der Presse" denken, so übersieht sie, dass die Weiterleitung von Zeitungsausschnitten keine Wiedergabe im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 URG
bedeutet.
Die Beklagte kann sich somit nicht auf das Sonderrecht zugunsten der Presse berufen. Ihr Einwand, dass zwischen Originalbeiträgen und andern Artikeln zu unterscheiden sei, ist daher gegenstandslos.
3.
Nach
Art. 22 URG
ist, vom Bereich der Baukunst abgesehen, die Wiedergabe eines Werkes zulässig, wenn sie ausschliesslich zu eigenem, privatem Gebrauch und zudem nicht zu Gewinnzwecken erfolgt. Die Bestimmung stützt sich nicht auf die RBÜ, sondern ist bereits 1922 ins Gesetz eingefügt und seither unverändert beibehalten worden. Die Beklagte hält ihre Voraussetzungen im vorliegenden Fall für erfüllt, weil "ptt-intern" sich nicht an die Öffentlichkeit wende und keine Gewinnzwecke verfolge; ein Privatgebrauch müsse auch zugunsten von juristischen Personen und grösseren Betrieben anerkannt werden. Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, dass es sich um eine gewerbliche Wiedergabe mit Gewinnzwecken handle, weshalb
Art. 22 URG
nicht anwendbar sei.
a) Mit der Beklagten ist davon auszugehen, dass "ptt-intern" für den Eigengebrauch bestimmt ist; dies lässt sich ohne Bedenken selbst für die Abgabe der Zeitschrift an die Mitglieder der konsultativen PTT-Konferenz und der parlamentarischen
BGE 108 II 475 S. 481
Geschäftsprüfungskommissionen sagen, obschon diese nicht den PTT-Betrieben angehören. Dass
Art. 22 URG
sich nach seiner Entstehungsgeschichte nur auf den Gebrauch dessen bezieht, der die Wiedergabe des Werkes vornimmt, wie die Klägerin unter Hinweis auf Gesetzesmaterialien darzutun versucht, und dass sich dafür auch die romanischen Gesetzestexte (usage ... de celui qui y procède; uso ... di chi la compie) anführen lassen, rechtfertigt jedenfalls aus heutiger Sicht eine derart einschränkende Auslegung nicht; sie wäre mit einem vernünftigen Sinn und Zweck des Gesetzes schon angesichts der einfachen und billigen Vervielfältigungsmethoden, welche die Technik inzwischen geschaffen hat, nicht zu vereinbaren (vgl.
BGE 83 I 178
mit Hinweisen; LUTZ, S. 230/31 und 235). Nach
Art. 22 URG
muss es sich indes nicht nur um einen eigenen, sondern auch um einen privaten Gebrauch handeln; das erhellt aus den romanischen Texten (usage personnel et privé; uso personale e privato) noch deutlicher als aus dem deutschen.
Der Begriff des privaten Gebrauchs ist umstritten (TROLLER, II S. 793 ff.; LUTZ, S. 208 ff.). Entgegen der Auffassung der Beklagten geht es nicht an, ihn mit Hilfe von Definitionen der Öffentlichkeit für Radio- und Fernsehkonzessionen, für das Weitersendungsrecht (
BGE 107 II 71
und 81/82) oder gar im Strassenverkehrsrecht (
BGE 92 IV 11
) abgrenzen zu wollen. Der private Gebrauch ist hier nicht als Gegensatz zu einem öffentlichen zu verstehen; näher liegt, ihn der gewerblichen oder beruflichen Verwendung gegenüberzustellen (TROLLER, II S. 795; ders. in Rechtsgutachten über die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke ... durch Mikrofilme und Photokopien, 1954, S. 23 ff.; LUTZ, S. 223 und 236).
Das heisst nicht, ein privater Gebrauch sei im Rahmen einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zum vorneherein ausgeschlossen und, wie TROLLER (Gutachten S. 16 und 23) und LUTZ (S. 236) annehmen, bei juristischen Personen überhaupt nicht denkbar; andernfalls bleibt man beim Wortlaut der Bestimmung stehen. Bei ihrer Auslegung nach dem Sinn und Zweck sowie nach den Wertungen, auf denen unter den heutigen Verhältnissen die Geltung der Norm beruht (
BGE 105 Ib 53
E. 3a mit Hinweisen), ergeben sich selbst zugunsten juristischer Personen, freier Berufe und des Gemeinwesens erlaubte Verwendungen. So ist nicht zu beanstanden, dass z.B. Anwälte und juristische Sachbearbeiter einer Gesellschaft oder einer Behörde einschlägige Seiten eines Kommentars kopieren lassen, statt das Buch beizulegen, um sich
BGE 108 II 475 S. 482
und andern die Arbeit in einem bestimmten Einzelfall zu erleichtern. Solche Fälle vertragen sich durchaus mit dem Grundgedanken der Bestimmung. Das leuchtet namentlich dann ein, wenn das Erfordernis des eigenen und privaten Gebrauchs nicht für sich allein, sondern zusammen mit der negativen Voraussetzung des
Art. 22 URG
, wonach mit dem Gebrauch kein Gewinnzweck verfolgt werden darf, ausgelegt wird.
b) Diese Voraussetzung eignet sich am besten zur Abgrenzung, auch wenn dabei nicht übersehen werden darf, dass sie kumulativ mit den beiden andern gegeben sein muss. Wer mit Kopien einzelner Seiten eines Werkes bloss Zeit gewinnen oder sich oder anderen die Arbeit im Sinne der angeführten Beispiele erleichtern will, ist nicht auf geldwerte Vorteile, geschweige denn auf einen verpönten Gewinn bedacht. Mit Gewinnzweck handelt dagegen nicht nur, wer ein Werk wiedergibt oder gar vervielfältigt, um sich daraus Einnahmen zu verschaffen, sondern auch, wer durch das Kopieren oder Vervielfältigen die Kosten für die Anschaffung von Werkexemplaren einsparen will (TROLLER, Gutachten S. 10; LUTZ, S. 233). Der Beklagten hilft es daher nichts, dass sie "ptt-intern" kostenlos abgibt, wie dies für Eigengebrauch ohnehin typisch ist.
Immerhin rechtfertigt sich in der Anwendung dieses Grundsatzes eine gewisse Zurückhaltung, wobei die Umstände des Einzelfalles zu mitzuberücksichtigen sind. Auch ist dabei der Gewinnzweck nicht bloss auf den bescheidenen Vergütungsanspruch des Urhebers, sondern auf den Preis des Werkes zu beziehen. So liegt der Gewinnzweck auf der Hand, wenn ein Anwalt einen Kommentar entlehnt und für Selbstkosten von 60 Franken kopiert, statt ihn für 140 Franken selbst anzuschaffen. Ein Unternehmen sodann kann eine Zeitung oder einen Zeitungsausschnitt zwecks betriebsinterner Information ohne weitere Umtriebe zirkulieren lassen, wenn die Sache nicht eilt und nur für wenige Adressaten bestimmt ist; kopiert es statt dessen, so bedeutet das im Ernst keine Einsparung zusätzlicher Werkexemplare, folglich auch keinen geldwerten Vorteil. Handelt es sich dagegen wie vorliegend um über 500 Adressaten, so ist eine zulässige Information auf dem Zirkulationswege, wie die Klägerin mit Recht einwendet, praktisch und innert angemessener Zeit nur möglich, wenn die Zeitungen jeweils in einer Vielzahl von Exemplaren angeschafft werden. Dies hat der PTT-Pressedienst durch Vervielfältigung vermeiden wollen, weshalb sein Vorgehen neben dem Rationalisierungs- offensichtlich auch einem Gewinnzweck gedient hat.
BGE 108 II 475 S. 483
c) Auch wenn der Gewinnzweck darin zu sehen ist, dass der Kauf weiterer Werkexemplare vermieden wird, geht das im Ergebnis auf Kosten des Urhebers oder des Verlegers, der ihn vertritt. Gerade darin liegt nach der jüngeren Entwicklung der RBÜ das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung des zulässigen Privatgebrauchs von der dem Urheber vorbehaltenen Werkwiedergabe. Sowohl die Stockholmer Fassung vom 14. Juli 1967 (SR 0.231.14) wie die Pariser Fassung vom 24. Juli 1971, von denen erstere im massgebenden (materiellrechtlichen) Teil und letztere von der Schweiz überhaupt noch nicht ratifiziert worden ist, behalten dem Urheber im neuen Art. 9 Abs. 1 das ausschliessliche Recht zur Vervielfältigung seines Werks vor; sie überlassen es in Abs. 2 aber der nationalen Gesetzgebung, die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen zu gestatten, wenn dadurch weder die normale Auswertung des Werks beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt werden (zu diesen Fassungen: SCHULZE, in UFITA 93/1982 S. 73 ff.; MASOUYE, in Droit d'auteur, 1982 S. 81 ff.; KOUMANTOS, ebendort 98/1978 S. 3 ff.; COLLOVA, ebendort 99/1979 S. 77 ff.). Die neuere internationale Entwicklung entspricht damit der Empfehlung TROLLERS von 1954 (Gutachten S. 11), für die Abgrenzung des privaten Gebrauchs die mechanische Vervielfältigung schon de lege lata insoweit zu tolerieren, als die Interessen des Urhebers damit nicht ernstlich gefährdet werden. Diese Gefahr droht dem Urheber aber gerade dann, wenn ein Betrieb wie hier die interne Information nur durch Ankauf einer grossen Zahl weiterer Werkexemplare erreichen könnte, würde er die Presseausschnitte nicht zu einer eigenen Schrift zusammenstellen und diese vervielfältigen lassen.
4.
Art. 22 URG
so verstehen, heisst nach Meinung der Beklagten, die Bestimmung anders als in der gesamten Privatwirtschaft, in der Bundesverwaltung, in den Kantonen und Gemeinden auslegen und sich über die heute massgebende Rechtsauffassung hinwegsetzen. Dem widerspricht die Klägerin zu Recht.
a) Was die Beklagte als allgemeine Rechtsauffassung gewürdigt wissen will, ist nur ein faktischer Zustand, der sich aus der rasanten Entwicklung der Technik ergeben hat, aber die Rechte der Urheber so wenig wie im Fall des Kabelfernsehens zu beseitigen vermag (
BGE 107 II 81
). Nach
Art. 12 Ziff. 1 URG
steht dem Urheber das ausschliessliche Recht auf Wiedergabe seines Werkes durch irgendwelche Verfahren zu, selbst durch solche, die bei Erlass des Gesetzes noch gar nicht bekannt gewesen sind (Sten.Bull.
BGE 108 II 475 S. 484
1922 NR S. 266; TROLLER, II S. 781; ders. Gutachten S. 8; TROLLER/TROLLER, Kurzlehrbuch S. 123; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 1980 S. 230). Dass selbst die Urheber der technischen Entwicklung lange untätig zugesehen haben, kann ihnen nicht schaden, zumal eine Wahrung ihrer Rechte durch diese Entwicklung ausserordentlich erschwert worden ist.
Reprographierechte sind seit Jahren weltweit ein Hauptgegenstand urheberrechtlicher Erörterung (ULMER, a.a.O., S. 309). Von einer allgemeinen Rechtsauffassung, wonach die beliebige Vervielfältigung geschützter Rechte zur betriebsinternen Information gemeinfrei sei, kann dabei keine Rede sein. Deutschland hat das Problem in den §§ 53/54 des Urheberrechtsgesetzes von 1965 dahin gelöst, dass Vervielfältigung zur betriebsinternen Information nicht gemeinfreier Privatgebrauch ist, sondern unter den sonstigen Eigengebrauch fällt, wobei aber nur "einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes" (offenbar 6-7) erstellt werden dürfen und bei Verfolgung gewerblicher Zwecke eine angemessene Vergütung zu zahlen ist (SCHULZE, Urheberrechtskommentar, insbes. zu § 54 Ziff. 4a; ULMER, a.a.O., S. 296 ff.; HUBMANN, Urheber- und Verlagsrecht, 1978 S. 157 ff.). Wie schwierig solche Abgrenzungen sind, erhellt aus der seitherigen Auseinandersetzung in Deutschland und weiteren Revisionsbemühungen (vgl. die Streitgutachten in UFITA 84/1979 S. 79 ff. und 85/1979 S. 99 ff.; zu den Revisionsarbeiten HOEPFFNER, in GRUR 82/1980 S. 533 ff.). In Frankreich gilt nach Art. 41 des Gesetzes vom 11. Mai 1957 eine strikte Beschränkung des Privatgebrauchs unter Ausschluss jeder kollektiven Benützung (DESBOIS, La Reprographie et le Droit d'Auteur en France, in Festschrift für Alois Troller, 1976 S. 167; ders., in le Droit d'Auteur en France, 1978 S. 306 ff. und 354 ff.; PLAISANT, in Juris classeur, Propriété littéraire et artistique, fasc. 4bis). Die allgemeine Tendenz geht jedenfalls nicht dahin, das Urheberrecht zugunsten betriebsinterner Information schlicht zu durchbrechen, sondern es gegen Vergütung bloss begrenzt freizugeben (ULMER, in Festschrift für Alois Troller, S. 201/2; SCHULZE, in UFITA 93/1982 S. 73 ff.).
b) Die schweizerische Gesetzgebung ist auch in diesem Bereich in Rückstand geraten. Mit der technischen Entwicklung aufkommende Probleme, namentlich im Kopierbereich, waren schon bei der Vorbereitung des Gesetzes von 1955 bekannt, wenn auch nicht im heutigen Ausmass (BUSER, in SJZ 49/1953 S. 136 ff.). Der Entwurf des Eidg. Amtes für geistiges Eigentum von 1953 wollte
BGE 108 II 475 S. 485
in einem Art. 22bis für die Wiedergabe durch Photokopie zugunsten der Bibliotheken eine Ausnahme machen (TROLLER, Gutachten S. 31/32 zum Entwurf Bolla). Bundesrat und Parlament anerkannten die Dringlichkeit, dieses und andere Probleme der technischen Entwicklung zu lösen, wollten Entscheide darüber aber wegen deren Tragweite und grosser Meinungsverschiedenheiten der baldigen Totalrevision vorbehalten (Botschaft zur Novelle, in BBl 1954 II S. 643 und 649; Sten.Bull. 1955 NR S. 87/88 und StR S. 80). Das heisst entgegen der Auffassung der Beklagten indes nicht, dass heute insoweit eine Gesetzeslücke anzunehmen sei (
BGE 103 Ia 503
mit Zitaten); es bleibt vielmehr beim geltenden Recht, das den Ausschliesslichkeitsanspruch des Urhebers auch vor neuen Wiedergabeformen schützt.
Die seitherigen Revisionsarbeiten bestätigen, dass in der Schweiz ebenfalls nach einer Lösung gesucht wird, welche Urheberrechte nicht leichthin dem technischen Fortschritt opfert. Nach dem Vorentwurf 1971 der ersten Expertenkommission sollte zwar das betriebsinterne Kopieren freigegeben werden, wenn dafür ein rechtmässig erworbenes Werkexemplar verwendet wird (Art. 29 Abs. 3; vgl. auch DITTRICH, Die Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch, in Festgabe Georg Roeber, S. 109 ff.). Der Vorentwurf 1974 der zweiten Expertenkommission rückte davon aber deutlich ab; er beschränkte den erlaubten Privatgebrauch ausdrücklich auf einen privaten Kreis von Freunden und Verwandten (Art. 29 Abs. 2, 30 Abs. 1), liess dagegen als Eigengebrauch auch die Wiedergabe zur Information von Mitarbeitern in Instituten, Verwaltungen und Betrieben zu, jedoch nur gegen angemessene Vergütung (Art. 31; Erläuterungen S. 33 ff.; dazu ULMER, in Festschrift Troller, S. 200 f.). Diese Lösung wurde in den weiteren Bearbeitungen durch das Bundesamt für geistiges Eigentum dem Sinn nach beibehalten und durch eine Bestimmung über die Vergütung ergänzt (Art. 29/30 der Fassung vom 21. Mai 1981; überholt PERRET, in SJ 104/1982 S. 113 ff.).
c) Die Bemühungen gehen also auch in der Schweiz dahin, zwischen den offensichtlichen Bedürfnissen privater und öffentlicher Unternehmen, den technischen Fortschritt zur Rationalisierung zu nutzen, einerseits und den Ansprüchen der Urheber auf Vergütung für ihr geistiges Schaffen anderseits einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Dies kann, wie u.a. schon LUTZ (S. 238) befürwortet hat, mittels einer gesetzlichen Lizenz geschehen, welche die Wiedergabeerlaubnis mit dem Vergütungsanspruch verbindet.
BGE 108 II 475 S. 486
Das geltende Recht sieht indes noch keine solche Lösung vor; es fehlt zudem an einer vertraglichen oder gesetzlichen Verwertungsordnung, welche den Benützern den Erwerb der Rechte ermöglicht und den Urhebern die Vergütung vermittelt.
Der PTT-Pressedienst bedarf daher vorerst für sein Vorgehen noch der Erlaubnis des Urhebers bzw. der Klägerin, wenn diese im Rahmen einer Abtretung als Berechtigte auftritt; die Erlaubnis kann von einer Vergütung abhängig gemacht werden. Die Rechte der Urheber brauchen dem Druck des technischen Fortschritts sowenig wie im Falle des Kabelfernsehens (
BGE 107 II 81
) zu weichen. Daran ändert auch der Einwand nichts, falls die Klage gutgeheissen werde, bestehe die Schweiz noch mehr als nach den Kabelfernsehentscheiden aus einem Volk von Urheberrechtsdelinquenten; das wäre so oder anders nicht die Folge dieses Urteils, sondern der Tatsache, dass man der technischen Entwicklung zu lange bedenkenlos und ohne Rücksicht auf das Urheberrecht freien Lauf gelassen hat. Die zweite Expertenkommission hat 1974 ihren Vorschlag denn u.a. auch damit begründet, dass der gegenwärtige "Zustand der Illegalität" beseitigt werden müsse (Erläuterungen S. 35 und 41).
Unerheblich ist schliesslich die Befürchtung, bei Gutheissung der Klage würden - wie beim Kabelfernsehen - für Benützer wie für Urheber grosse Probleme entstehen, weil die Fotokopie weit verbreitet sei. Drohende Schwierigkeiten entbinden namentlich den Gesetzgeber nicht davon, das vor mehr als 25 Jahren abgegebene Versprechen ohne weiteren Verzug einzulösen. Ausländische Beispiele im Bereiche der Reprographie wie bei Ton- und Bildkassetten zeigen, dass praktikable Lösungen durchaus möglich sind. Die Gutheissung der Klage wird den Weg dafür ebnen, durch Verhandlungen und staatliche Beihilfe den Urhebern zu einem angemessenen Entgelt für ihre Leistung zu verhelfen, was nicht nur den Absichten des Gesetzgebers (Sten.Bull. 1955 StR S. 78), sondern auch dem einzigen Zweck entspricht, den die Klägerin mit diesem Prozess verfolgt hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Klage wird festgestellt, dass die Beklagte für den Pressedienst der Generaldirektion PTT ganze Werke der von der Klägerin vertretenen Urheber, die ihr auch das Wiedergaberecht abgetreten haben, nur mit Erlaubnis der Klägerin kopieren darf. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3bbbf967-c942-42f6-b915-77ff0afe78c9 | Urteilskopf
118 Ia 41
8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Februar 1992 i.S. Eheleute X. gegen Kantone Basel-Stadt und Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 46 Abs. 2 BV
; Doppelbesteuerung; unverteilte Erbschaft.
1. Besteuerung des beweglichen und des unbeweglichen Vermögens (E. 3).
2. Besteuerung der Erbansprüche bei streitiger Erbfolge oder umstrittenen Erbquoten (E. 4-5).
3. Bedeutung von Teilungsvorschriften des Erblassers für die Besteuerung (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 41
BGE 118 Ia 41 S. 41
Y. mit letztem Wohnsitz in Luzern starb im Jahre 1987. Er hinterliess als gesetzliche Erben seinen Sohn, wohnhaft in Luzern, sowie seine Enkelin X. in Basel, die an die Stelle ihrer vor dem Erblasser verstorbenen Mutter trat.
Vor seinem Tod verkaufte der Erblasser einen grossen Teil seines Grundeigentums an seinen Sohn. In einer letztwilligen Verfügung setzte er seine Enkelin auf den Pflichtteil (3/8) und ordnete an, dass die im Nachlass verbliebenen Grundstücke an seinen Sohn fallen sollen.
BGE 118 Ia 41 S. 42
X. wollte das Testament nicht gelten lassen und focht es mit Ungültigkeits- und Herabsetzungsklage an. Sie machte geltend, das Testament sei inhaltlich rechtswidrig und damit ungültig (
Art. 519 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
) und sie habe als gesetzliche Erbin Anspruch auf die Hälfte der Erbschaft. Zugleich verlangt sie die Herabsetzung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers an seinen Sohn. Der Prozess ist noch hängig.
Das Steueramt der Stadt Luzern vertrat den Standpunkt, dass infolge der Ungewissheit über die den beteiligten Erben zustehenden Quoten am Nachlassvermögen und die auf diese Quoten entfallenden Anteile die Besteuerungsbefugnis am gesamten Nachlass dem Kanton Luzern zustehe (gemäss § 2 Abs. 2 und § 3 Ziff. 3 des Steuergesetzes des Kantons Luzern vom 27. Mai 1946, in der Fassung gemäss Gesetz vom 17. September 1974). Mit Verfügung vom 17. Juli 1990 entschied es, dass der gesamte Nachlass als solcher ab Todestag bis zur definitiven Teilung im Kanton Luzern besteuert werde. Diese Verfügung blieb unangefochten.
Anderseits erfasste die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt bei der Veranlagung der Eheleute X. für die Steuerjahre 1987-1989 den Anteil der Ehefrau von 3/8 (Pflichtteil) an der unverteilten Erbschaft (gemäss Status des Willensvollstreckers per Todestag). In einem früheren Schreiben hatte sie sich zudem ausdrücklich ein Nachbesteuerungsrecht für Vermögen und Einkommen vorbehalten für den Fall, dass der Erbin im Erbstreit ein höherer Anteil zugesprochen werden sollte.
Im Einspracheverfahren erliess die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt am 26. Februar 1991 einen Vorentscheid über die Steuerhoheit. Darin stellte sie fest, dass der Anteil (Pflichtteil) der Erbin X. an der unverteilten Erbschaft der Steuerhoheit des Kantons Basel-Stadt unterliege.
Die Eheleute X. führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 46 Abs. 2 BV
mit dem Antrag, der Vorentscheid des Kantons Basel-Stadt vom 26. Februar 1991 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Erbengemeinschaft als solche im Kanton Luzern zu besteuern sei; eventuell sei die Verfügung des Steueramtes der Stadt Luzern vom 17. Juli 1990 aufzuheben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegenüber dem Kanton Luzern gut und weist sie gegenüber dem Kanton Basel-Stadt ab aus folgenden
BGE 118 Ia 41 S. 43
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 14, 157 E. 2,
BGE 24 I 584
E. 2,
BGE 32 I 69
E. 2,
BGE 42 I 63
/64,
BGE 51 I 298
, vgl. auch
BGE 98 Ia 219
) geht doppelbesteuerungsrechtlich die Verpflichtung zur Bezahlung der Steuern für Erträge und Vermögen des Nachlasses mit dem Tod des Erblassers auf die Erben über. Massgebender Steuerort ist von diesem Zeitpunkt an also nicht mehr der letzte Wohnsitz des Erblassers, sondern für jeden Erbanspruch der Wohnsitz des betreffenden Erben. Die Steuerpflicht besteht für den einzelnen Erben nicht bezüglich bestimmter Erbschaftsgegenstände, sondern nach Massgabe seiner Erbquote für die Gesamtheit des Nachlasses. Diese Praxis beruht auf der Überlegung, dass die Erben mit dem Tode des Erblassers die Erbschaft von Gesetzes wegen (
Art. 560 Abs. 1 ZGB
) als Ganzes erwerben. Vorbehalten bleibt der Fall, dass sich im Nachlass Vermögenswerte befinden, die schon ihrer Natur nach einem bestimmten Kanton zur ausschliesslichen Besteuerung zugewiesen sind, wie Liegenschaften und ihr Ertrag dem Liegenschaftskanton (
BGE 116 Ia 130
E. 2b).
Falls sich somit der Nachlass aus beweglichem und unbeweglichem Vermögen zusammensetzt, hat der Erbe seinen quotenmässigen Anspruch am beweglichen Vermögen an seinem Wohnsitz und seinen quotenmässigen Anspruch am unbeweglichen Vermögen im Liegenschaftskanton zu versteuern. Die Bestimmung eines kantonalen Steuergesetzes, wonach eine Erbmasse als solche der Steuerpflicht unterliegt, bis das Vermögen unter die Erben verteilt ist, ist daher im interkantonalen Verhältnis nicht anwendbar (s. auch LOCHER, Die Praxis der Bundessteuern, III. Teil, Doppelbesteuerung, § 4 III Nr. 5). Nach der Teilung der Erbschaft sind dann aber nur noch die jedem Erben zugeschiedenen Vermögensbestandteile massgebend.
4.
Nach diesen Grundsätzen steht ausser Zweifel, dass der Kanton Luzern nicht berechtigt ist, die Erbengemeinschaft als solche zu besteuern. Vielmehr ist die Besteuerungsbefugnis zwischen den beiden Kantonen Luzern und Basel-Stadt aufgeteilt.
Der Kanton Basel-Stadt kann, da die Beschwerdeführerin Wohnsitz in Basel hat, den quotenmässigen Anspruch der Beschwerdeführerin am beweglichen Vermögen der unverteilten Erbschaft besteuern. Demgegenüber ist dem Kanton Luzern der quotenmässige Anspruch der Beschwerdeführerin am unbeweglichen Vermögen des Nachlasses zur Besteuerung vorbehalten, soweit die
BGE 118 Ia 41 S. 44
Liegenschaften sich im Kanton Luzern befinden. Indem der Kanton Luzern die Erbengemeinschaft "als solche" mit sämtlichem beweglichem und unbeweglichem Vermögen besteuern will, überschreitet er seine Besteuerungsbefugnis.
Nach Auffassung der Steuerverwaltung des Kantons Luzern liegt allerdings insofern ein besonderer Fall vor, als die Erbfolge streitig ist und die einzelnen Erbquoten wegen des darüber hängigen Zivilprozesses vorläufig nicht definitiv festgesetzt werden können. Nach ihrer Meinung bleibt in solchen Fällen nichts anderes übrig, als die Erbschaft als ganze zu besteuern, wie das auch § 2 Abs. 2 des Steuergesetzes des Kantons Luzern vorsieht. Sie beruft sich hierzu auf ERNST HÖHN (Interkantonales Steuerrecht, 2. Auflage,
§ 11 N 8
). Die luzernische Steuerverwaltung übersieht dabei jedoch, dass die vom Kanton Basel-Stadt in Anspruch genommene Steuerhoheit nicht den streitigen Teil des Nachlasses betrifft; die der Beschwerdeführerin zustehende Erbquote von 3/8 (Pflichtteil), die der Kanton Basel-Stadt besteuern will, ist unbestritten, und einen darüber hinausgehenden Besteuerungsanspruch macht dieser nicht geltend. Mithin erübrigt es sich, zum Einwand des Kantons Luzern oder zur Auffassung HÖHNS, für die gute Gründe sprechen, näher Stellung zu nehmen.
5.
Zu keinem anderen Ergebnis führt der Einwand, die Beschwerdeführer könnten ohne Einverständnis des Willensvollstreckers über die Erbschaft nicht verfügen und sie seien nicht in der Lage, die vom Kanton Basel-Stadt auf dem Erbanspruch der Beschwerdeführerin verlangten Steuern zu bezahlen. Es ist verständlich, dass die Beschwerdeführer die Erbschaft als ganze im Kanton Luzern besteuert wissen möchten, solange der Willensvollstrecker wegen des hängigen Erbstreites sich weigert, den Beschwerdeführern einzelne Vermögensgegenstände herauszugeben. Dabei handelt es sich jedoch um eine Frage, die das Verhältnis der Erben untereinander bzw. zwischen den Erben und dem Willensvollstrecker betrifft. Jeder Erbe ist in seinen Verfügungsmöglichkeiten eingeschränkt, solange der Nachlass nicht geteilt ist. Diese Beschränkung kann deshalb nicht Kriterium dafür sein, ob doppelbesteuerungsrechtlich die Erbengemeinschaft als solche oder die einzelnen Erben zu besteuern seien.
6.
Ob der Kanton Basel-Stadt in seinen definitiven Veranlagungsverfügungen die Vermögens- und Einkommensausscheidung für die im Kanton Luzern gelegenen Liegenschaften richtig vorgenommen hat (vgl. dazu HÖHN, a.a.O., § 21), ist hier nicht zu entscheiden. Gegenstand des vorliegenden Doppelbesteuerungsprozesses
BGE 118 Ia 41 S. 45
ist der Vorentscheid des Kantons Basel-Stadt über die grundsätzliche Steuerpflicht der Beschwerdeführerin und nicht die vom Kanton Basel-Stadt erlassenen Veranlagungsverfügungen. Es ist Sache der Steuerverwaltung Basel-Stadt, im Einspracheverfahren - das insoweit noch nicht erledigt ist - den 3/8-Anteil der Beschwerdeführerin an der unverteilten Erbschaft richtig zu erfassen. Sie hat dabei darauf zu achten, dass der quotenmässige Anteil der Beschwerdeführerin an den (ausserkantonalen) Liegenschaften der Besteuerung durch den Liegenschaftskanton vorbehalten bleibt.
Hingegen kommt dem Umstand, dass der Erblasser im Testament sämtliche Liegenschaften seinem Sohn zugesprochen hat, doppelbesteuerungsrechtlich keine Bedeutung zu. Es handelt sich um eine Teilungsvorschrift, auf die sich jeder Erbe berufen kann, die jedoch für sich allein noch nicht den Übergang des betreffenden Vermögenswertes auf den bezeichneten Erben bewirkt. Die Erben werden mit Eröffnung des Erbganges Gesamteigentümer, und daran kann eine Teilungsvorschrift des Erblassers nichts ändern (so bereits
BGE 70 II 269
; vgl. TUOR/SCHNYDER, ZGB, 10. Aufl., S. 514). Nicht anders könnte es sich verhalten, wenn es sich - was allerdings nicht zu vermuten ist (vgl.
Art. 608 Abs. 3 ZGB
) - um ein Vorausvermächtnis und nicht um ein Teilungsvorschrift handeln würde.
Übrigens umfasst der unverteilte Nachlass zurzeit grösstenteils bewegliches Vermögen (Wertschriften usw.). Die Liegenschaften machen nur einen kleinen Teil aus. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3bbe4d36-ffde-4fdf-a1bb-2fcd0c980dca | Urteilskopf
83 IV 43
11. Urteil des Kassationshofes vom 15. Februar 1957 i.S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Mettler. | Regeste
Art. 36 Abs.2 Satz 3 MFG.
Wann hat der an einem Unfall beteiligte Fahrzeugführer den entstandenen Sachschaden dem Geschädigten oder der nächsten Polizeistelle zu melden? | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 83 IV 43 S. 43
A.-
Am 18. Oktober 1955, ca. um 10 Uhr, führte Arthur Mettler seinen Personenwagen in Zürich vom
BGE 83 IV 43 S. 44
Bellevue-Platz her durch den Limmatquai. In der Absicht, vor dem Haus Limmatquai 80 anzuhalten, bog er kurz nach der Häusernummer 82 nach rechts ein, wobei er einen dort parkierten Personenwagen streifte und dessen vordere Stossstange nach vorne riss. Nachdem er die beschädigte Stossstange zurückgebogen, einige Zeit auf den Lenker des fremden Fahrzeuges gewartet und sich dessen Polizeinummer notiert hatte, fuhr er davon. Er will die Absicht gehabt haben, sich im Verlaufe des Nachmittags mit dem Halter des beschädigten Wagens in Verbindung zu setzen. Der Führer dieses Fahrzeuges stellte indessen bereits um 10.20 Uhr auf der Hauptwache der Stadtpolizei gegen Mettler Strafanzeige. Die Polizei schätzte den Schaden auf ungefähr Fr. 80.-.
B.-
Mit Verfügung vom 15. März 1956 verfällte das Polizeirichteramt der Stadt Zürich Mettler wegen Übertretung der Art. 25 und 36 MFG in eine Busse von Fr. 40.-. Mettler verlangte gerichtliche Beurteilung.
Am 14. September 1956 büsste ihn der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich wegen Widerhandlung gegen Art. 25 MFG mit Fr. 20.-. Von der Anschuldigung der Übertretung des Art. 36 Abs. 2 MFG sprach er ihn frei.
C.-
Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei insoweit aufzuheben, als es Mettler freispreche, und es sei die Sache zu dessen Bestrafung wegen Verletzung der Meldepflicht (Art. 36 Abs. 2 MFG) an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Mettler hat sich zur Beschwerde nicht vernehmen lassen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 36 Abs. 2 Satz 3 MFG hat der Führer eines Motorfahrzeuges, das an einem Unfall beteiligt ist, bei dem nur Sachschaden entstand, dem Geschädigten oder der nächsten Polizeistelle sofort Anzeige zu machen sowie
BGE 83 IV 43 S. 45
seinen Wohnsitz und Aufenthaltsort anzugeben. Daraus erhellt ohne weiteres, dass es nicht ins Belieben des Fahrzeugführers gestellt ist, wann er einen Unfallschaden melden will. Vielmehr ist er von Gesetzes wegen gehalten, diesen ohne Verzug, d.h. so rasch zur Anzeige zu bringen, als ihm nach den Umständen zuzumuten ist.
Vorliegend kann dem Beschwerdegegner nicht zum Vorwurf gereichen, dass er nicht unbestimmt lange Zeit an der Unfallstelle auf den Geschädigten wartete, um ihm die Beschädigung des Fahrzeuges anzuzeigen und die erforderlichen Angaben zu machen. Konnte er doch nicht wissen, wann dieser zu seinem Wagen zurückkehren werde. Dagegen wäre es ihm zuzumuten gewesen, bevor er weiterfuhr, irgendwelche Vorkehren zu treffen, damit der Geschädigte spätestens nach der Rückkehr zu seinem Wagen über den Unfallschaden und die Person des Schädigers zuverlässig unterrichtet werde. Davon durfte er nur absehen, wenn er statt dessen die nächste Polizeistelle aufsuchte und dort den Schaden anzeigte. Da Mettler weder das eine noch das andere tat und dem angefochtenen Urteil nichts dafür zu entnehmen ist, dass er triftige Gründe hatte, mit der Meldung zuzuwarten, kann er sich nicht darauf berufen, die Unfallstelle in der Absicht verlassen zu haben, sich nachmittags mit dem Geschädigten in Verbindung zu setzen. Wie gesagt, steht es dem an einem Unfall beteiligten Fahrzeuglenker nicht zu, den Zeitpunkt der Schadensanzeige nach Belieben zu wählen, sondern hat er diese entsprechend den Umständen sofort zu erstatten. Dieser Pflicht hat der Beschwerdegegner nicht genügt.
2.
Entgegen der Annahme der Vorinstanz vermag ihn nicht zu entlasten, dass der Schaden am parkierten Personenwagen von der Polizei "auf nur etwa Fr. 80.-" geschätzt wurde. Das Gesetz spricht allgemein von Sachschaden und beschränkt die Meldepflicht nicht auf Fälle von Schäden grösseren Ausmasses. Ob besonders geringfügige Kollisionen hievon auszunehmen seien, ist nicht zu
BGE 83 IV 43 S. 46
entscheiden. Jedenfalls kann ein Schaden in der vorliegend festgestellten Höhe nicht als geringfügig bezeichnet werden.
3.
Hat Mettler die ihm obliegende Meldepflicht verletzt, ist die Rüge des Polizeirichteramtes begründet. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners auch wegen Übertretung von Art. 36 Abs. 2 MFG an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird dabei gemäss
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
eine Gesamtbusse auszufällen haben, die sowohl der Übertretung des Art. 25 als auch der Widerhandlung gegen Art. 36 Abs. 2 MFG Rechnung trägt.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich vom 14. September 1956 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3bc4619a-2a1b-4cd6-a567-b47507a7b352 | Urteilskopf
141 IV 34
4. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Y. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Beschwerde in Strafsachen)
6B_648/2014 vom 28. Januar 2015 | Regeste
Art. 183 Abs. 3,
Art. 56 lit. f StPO
; Befangenheit des Gutachters.
Die Begutachtung dreier Mittäter durch denselben Sachverständigen begründet keinen Anschein der Befangenheit, solange dieser sich bei der Erstellung des Gutachtens über einen Exploranden nicht in einer Weise festlegt, die ihn in seiner Freiheit bei der Beurteilung der anderen beeinträchtigt (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 35
BGE 141 IV 34 S. 35
A.
Y. und X. fassten am frühen Nachmittag des 5. Juni 2009 bei einer Zusammenkunft mit Z. den Entschluss, sich Zutritt zur Wohnung von A. in B. zu verschaffen, diese sowie allfällige weitere Personen mit Chloroform zu betäuben und anschliessend zu töten, um an Gelder aus Schenkkreis-Aktivitäten zu gelangen, die sie bei ihr vermuteten. Nachdem sie in der Folge erfolglos versucht hatten, Chloroform zu beschaffen, fuhren X. und Y. am späten Nachmittag mit dem Auto nach B. zur Wohnung von A. mit welcher sie zuvor per Telefon unter dem Vorwand, Geld zu überbringen, ein Treffen vereinbart hatten. Gegen 18.35 Uhr gelangten sie an deren Wohnort und meldeten telefonisch ihre Ankunft. Nachdem A. die beiden Männer in ihr Büro im Keller des Mehrfamilienhauses geführt hatte, griff X. A. nach einiger Zeit unvermittelt von hinten an und stülpte ihr einen Plastiksack über den Kopf. Daraufhin fesselten und knebelten die beiden Täter das sich heftig wehrende Opfer, zogen ihm einen zweiten Plastiksack über den Kopf und fixierten diesen mit Klebeband um Mund und Hals, was zum Tod von A. durch Ersticken führte. Anschliessend fuhren die beiden mit dem Lift in die Wohnung des Opfers im obersten Stockwerk des Mehrfamilienhauses, wo X. zunächst den Ehemann von A. den er zuvor vergeblich versucht hatte, zur Herausgabe von Vermögenswerten zu zwingen, mit einer Schusswaffe tötete und hernach Y. die zuvor gefesselte und geknebelte Tochter mit einem Plastiksack erstickte. Nach der Tötung durchsuchten die Täter die Wohnung und entwendeten Bargeld in der Höhe von ca. Euro 600.- und ca. CHF 5'000.- sowie vier Uhren und Modeschmuck.
X., Y. und Z. hatten zusammen mit einer weiteren Person bereits zwischen dem 10. und 14. Mai 2009 konkrete technische und organisatorische Vorkehrungen für einen Raubüberfall zum Nachteil von A. sowie für deren eventuelle Tötung und diejenige allfälliger weiterer Personen getroffen.
BGE 141 IV 34 S. 36
B.
Das Amtsgericht Solothurn-Lebern erklärte Y. mit Urteil vom 25. Mai 2012 des mehrfachen Mordes, des qualifizierten Raubes, der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub und Mord sowie weiterer Delikte schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft bzw. des vorzeitigen Strafvollzuges. Ferner entschied es über die Einziehung der beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte sowie über die geltend gemachten Zivilforderungen. In zwei Punkten stellte es das gegen Y. geführte Verfahren aus Opportunitätsgründen ein.
Auf Berufung von Y. bestätigte das Obergericht des Kantons Solothurn am 27. Januar 2014 das erstinstanzliche Urteil, soweit dieses nicht in Rechtskraft erwachsen war. Die von Y. gestellten Beweisanträge wies es ab.
C.
Y. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, es sei das angefochtene Urteil im Strafpunkt aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, die von ihm beantragten Beweiserhebungen im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen zu veranlassen. Insbesondere seien ein neues psychiatrisches Gutachten in Auftrag zu geben, die beantragten Zeugen einzuvernehmen, die Haarprobe auszuwerten sowie ein Bericht eines gerichtsmedizinischen Instituts einzuholen. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
D.
Das Obergericht des Kantons Solothurn beantragt in seinen Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde. Y. hält in seiner Stellungnahme an seinen Anträgen fest. Der Oberstaatsanwalt hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn erteilte Dr. E. am 2. September 2009 den Auftrag, über den Beschwerdeführer ein psychiatrisches Gutachten zu erstellen. Darin hatte sich der Gutachter zu den Fragen nach einer psychischen Störung, der Schuldfähigkeit sowie der Massnahmebedürftigkeit zu äussern. Am 4. Januar 2011 reichte der Sachverständige das Gutachten über den Beschwerdeführer ein. Mit Verfügung vom 6. Januar 2011 stellte die Staatsanwaltschaft das psychiatrische Gutachten den Parteien zur Stellungnahme zu. Am 18. Februar 2011 liess sich der damalige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zum Gutachten vernehmen. Die Begutachtung
BGE 141 IV 34 S. 37
aller drei Tatbeteiligten durch denselben Gutachter beanstandete er nicht. Die Rüge wurde erst vom neuen Verteidiger des Beschwerdeführers in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 30. April 2012 erhoben (Mandatsübernahme am 23. Dezember 2011).
5.2
Der Beschwerdeführer erblickt im Umstand, dass der Gutachter alle drei Tatbeteiligten begutachtet hat, einen Grund für den Anschein der Befangenheit im Sinne von Art. 183 Abs. 3 i.V.m.
Art. 56 lit. f StPO
. Mit derselben Begründung macht er geltend, das Gutachten entspreche nicht den fachlichen Anforderungen. Dass es dem Gutachter an der erforderlichen Sachkunde mangeln würde, rügt er nicht. Desgleichen macht er nicht geltend, dass das Gutachten unvollständig, unklar oder sonstwie inhaltlich mangelhaft wäre (vgl. zu den Mindestanforderungen an ein Gutachten NEDOPIL/DITTMANN/KIESEWETTER, Qualitätsanforderungen an psychiatrische Gutachten, ZStrR 123/2005 S. 139 ff.; FOERSTER/DRESSING, Die Erstattung des Gutachtens, in: Psychiatrische Begutachtung, Venzlaff/Foerster [Hrsg.], 5. Aufl., München 2009, S. 49 f.; KONRAD/RASCH, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl. 2014, S. 308 ff.).
Ob die Rüge der Befangenheit des Gutachters verspätet erfolgt ist bzw. ob ein Verzicht des Beschwerdeführers anzunehmen ist, kann offenbleiben. Ein Anschein der Befangenheit des Gutachters ist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht ersichtlich. In der Literatur wird zwar verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Konstellation, in welcher zwei Mitangeklagte durch einen einzigen Gutachter psychiatrisch beurteilt werden, problematisch sein kann. Danach müsse der Anschein der Befangenheit jedenfalls dann bejaht werden, wenn aufgrund der Fragestellung an den Sachverständigen die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sich dieser im Hinblick auf die Beziehung zwischen den beiden Angeklagten nicht frei, sondern nur unter Mitberücksichtigung des anderen Exploranden äussern könnte (JOËLLE VUILLE, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 12 zu
Art. 183 StPO
; ANDREAS DONATSCH, Zur Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Sachverständigen, in: Rechtsschutz, Festschrift zum 70. Geburtstag von Guido von Castelberg, 1997, S. 50; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 64 Rz. 7a; ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Donatsch/Schmid [Hrsg.], N. 25 zu
§ 111 StPO
/ZH. Im zu beurteilenden Fall ist jedoch weder aus den mündlichen noch den schriftlichen Äusserungen des
BGE 141 IV 34 S. 38
Experten ersichtlich, dass der Sachverständige sich bei der Erstellung der Gutachten über die Mitangeklagten X. und Z. in einer Weise festgelegt hätte, die ihn in seiner Freiheit bei der Beurteilung des Beschwerdeführers beeinträchtigt hätte, so dass er sich nicht mehr frei hätte äussern können. Das Gutachten basiert einerseits auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers durch den Experten und andererseits auf den Verfahrensakten. Die Standpunkte der Mittäter waren für den Gutachter schon aus diesen Akten ersichtlich. Aus den Gesprächen mit den Mitangeklagten erlangte der Gutachter mithin keine Kenntnis über Tatsachen, die ihm nicht schon aus den Akten bekannt waren. Zudem hat der Gutachter seine Erhebungen umfassend dokumentiert und offengelegt. In sämtlichen Gutachten sind die lebensgeschichtlichen Angaben und die Angaben zu den Tatvorwürfen, insbesondere zur Beziehung zu den Mitangeklagten ausführlich wiedergegeben. Dass der Gutachter über ein breites fallbezogenes Wissen verfügt hätte, welches nicht aktenkundig geworden sei und die Beurteilung verfälscht habe, lässt sich daher nicht sagen. Dies ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer wie auch den beiden Mitangeklagten alle drei Gutachten zur Kenntnis- und Stellungnahme zugestellt hat. Soweit die Gespräche mit den Mitangeklagten nicht aus dem den Beschwerdeführer selbst betreffenden Gutachten ersichtlich sind, ergeben sie sich somit jedenfalls aus den Gutachten über die Mitangeklagten. Über ein ihm vorenthaltenes zusätzliches Wissen, das über die Erkenntnisse aus den Akten hinausreichen würde, hat der Gutachter mithin nicht verfügt. Zudem ist daran zu erinnern, dass dem Gutachter nicht die Ermittlung des Sachverhalts und dessen rechtliche Würdigung oblag, sondern er sich ausschliesslich zu Fragen des psychiatrischen Befundes und einer allfälligen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit zu äussern hatte. Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang denn auch darauf hin, dass der Experte in keinem seiner Gutachten unter den Beteiligten eine Hierarchie beschrieb oder eine Rollenverteilung bei der Tatausführung festlegte. Schliesslich ist im zu beurteilenden Fall auch keine Verletzung der prozessualen Schweigepflicht erkennbar. Denn die Schweigepflicht gemäss
Art. 73 StPO
(vgl. auch
Art. 320 StGB
) besteht nur gegen aussenstehende Personen, nicht aber gegenüber den Verfahrensbeteiligten, soweit Parteiöffentlichkeit besteht (SAXER/THURNHEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu
Art. 73 StPO
). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, welche Informationen aus den mit den
BGE 141 IV 34 S. 39
beiden Mitangeklagten X. und Z. geführten Gesprächen der Gutachter unberechtigterweise an den Beschwerdeführer weitergeleitet haben soll, zumal sich deren Standpunkte bereits aus den Akten ergaben. Insgesamt ist die Mehrfachbegutachtung durch den Sachverständigen Dr. E. somit nicht zu beanstanden.
Zuletzt ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt haben soll, zumal sie sich entgegen seiner Auffassung mit seiner Argumentation einlässlich auseinandergesetzt hat. Jedenfalls war er ohne Weiteres in der Lage, den Entscheid sachgerecht anzufechten.
Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3bc6d660-3ba5-4dc6-81a7-793ebf4395f6 | Urteilskopf
113 V 261
43. Urteil vom 19. November 1987 i.S. Schweizerische Ausgleichskasse gegen M. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 8 lit. a Abs. 1 und lit. f des schweizerisch-jugoslawischen Abkommens vom 8. Juni 1962 über Sozialversicherung.
Für die Versicherteneigenschaft im Rahmen von Art. 8 lit. f des Abkommens ist der zivilrechtliche Wohnsitz in der Schweiz nicht erforderlich. | Sachverhalt
ab Seite 261
BGE 113 V 261 S. 261
A.-
Der 1956 geborene jugoslawische Staatsangehörige Ivica M. reiste am 1. Juni 1985 in die Schweiz ein. Am 11. Juni 1985 erhielt er zum Zwecke der Erwerbstätigkeit als Hilfsarbeiter in einem Gipsergeschäft eine bis 15. Dezember 1985 gültige Saison-Aufenthaltsbewilligung.
Beim Sturz von einem Baugerüst zog sich Ivica M. am 17. September 1985 linksseitig eine komplizierte Knieverletzung zu, die trotz verschiedener operativer und rehabilitativer Massnahmen, für welche die SUVA aufkam, eine bleibende Behinderung zurückliess, was zur Gewährung einer Invalidenrente und einer Integritätsentschädigung führte. Die Rehabilitationsklinik Bellikon, wo sich Ivica M. bis zum 6. Juni 1986 aufgehalten hatte, schlug aufgrund einer Berufserprobung die Umschulung des "sehr gut motivierten Patienten" im Sinne einer praktischen internen Anlehre "z.B. an einem Montageband oder eine anspruchslose Überwachungsfunktion an einem Bearbeitungszentrum" vor (Schlussbericht vom 18. Juni 1986).
BGE 113 V 261 S. 262
Darauf meldete sich Ivica M. am 20. Juni 1986 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die Invalidenversicherungs-Kommission gelangte jedoch zur Auffassung, dass er, da erstmals am 1. Juni 1985 in die Schweiz eingereist und seit dem Unfall vom 17. September 1985 arbeitsunfähig, die gemäss dem schweizerisch-jugoslawischen Abkommen über Sozialversicherung für den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen bzw. Rente erforderliche Mindestbeitragsdauer von einem Jahr nicht erfülle. Dementsprechend verfügte die Schweizerische Ausgleichskasse am 1. August 1986 die Abweisung des Leistungsbegehrens.
B.-
Gegen diese Verfügung beschwerte sich Ivica M. beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit dem Antrag, es sei der IV-Regionalstelle der Auftrag zur Abklärung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen zu erteilen.
Das kantonale Versicherungsgericht bejahte, dass Ivica M. die versicherungsmässigen Leistungsvoraussetzungen erfülle; es hob die Kassenverfügung auf und wies die Sache zur Prüfung der materiellen Leistungsvoraussetzungen an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 12. März 1987).
C.-
Die Schweizerische Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Sie vertritt die Auffassung, im Hinblick auf die Gewährung beruflicher Eingliederungsmassnahmen sei die Invalidität am 7. Juni 1986 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt habe Ivica M. aber die Voraussetzung des zivilrechtlichen Wohnsitzes in der Schweiz nicht erfüllt.
Ivica M. trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf einen Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach Art. 8 lit. a Abs. 1 des schweizerisch-jugoslawischen Abkommens vom 8. Juni 1962 über Sozialversicherung steht jugoslawischen Staatsangehörigen ein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen nur zu, solange sie in der Schweiz Wohnsitz haben und wenn sie unmittelbar vor Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge an die schweizerische Versicherung entrichtet haben. Art. 8 des Abkommens ist durch
BGE 113 V 261 S. 263
das Zusatzabkommen vom 9. Juli 1982 mit einer lit. f ergänzt worden, die folgenden Wortlaut hat:
"Staatsangehörige der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ohne Wohnsitz in der Schweiz, die ihre Erwerbstätigkeit in diesem Land infolge Unfall oder Krankheit aufgeben müssen und die bis zum Eintritt des Versicherungsfalles da bleiben, gelten für die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung als nach der schweizerischen Gesetzgebung versichert. Sie haben weiterhin Beiträge an die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zu entrichten, als hätten sie Wohnsitz in der Schweiz."
b) Im Lichte dieser Vertragsbestimmungen ist zunächst zu prüfen, wann im vorliegenden Fall die Invalidität bzw. der Versicherungsfall eingetreten ist. Das bestimmt sich nach innerstaatlichem, schweizerischem Recht. Gemäss
Art. 4 Abs. 2 IVG
gilt die Invalidität bzw. der Versicherungsfall als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Massgebend ist somit der Zeitpunkt, in welchem die Invalidität nach ihrer aktuellen Art und Schwere Eingliederungsmassnahmen erfordert und ermöglicht. Hinsichtlich beruflicher Eingliederungsmassnahmen für Volljährige tritt der Versicherungsfall ein, wenn der Gesundheitsschaden sich dermassen schwerwiegend auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt, dass der betroffenen Person die Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann, die in Frage stehende Eingliederungsmassnahme als notwendig erscheint und die erforderlichen Krankenpflege- und Rehabilitationsmassnahmen abgeschlossen sind (ZAK 1983 S. 249; vgl.
BGE 112 V 278
).
Der Unfall, den der Beschwerdegegner am 17. September 1985 erlitten hat, bewirkte während mehrerer Monate vollständige Arbeitsunfähigkeit und erforderte eine längere medizinische Behandlung. Nach dem Aufenthalt in Bellikon vom 7. April bis 6. Juni 1986 war sein Gesundheitszustand wieder soweit hergestellt und waren die Verhältnisse in beruflicher Hinsicht soweit abgeklärt, dass konkret an eine berufliche Wiedereingliederung mit Hilfe der Regionalstelle gedacht werden konnte. Somit ist davon auszugehen, dass der Versicherungsfall für berufliche Massnahmen im Sinne von
Art. 15 ff. IVG
nicht vor anfangs Juni 1986 eingetreten ist.
2.
Der Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen ist aber nur gegeben, wenn der Beschwerdegegner die in Art. 8 lit. a
BGE 113 V 261 S. 264
Abs. 1 oder lit. f des Abkommens aufgestellten Erfordernisse erfüllen würde.
a) Der Beschwerdegegner hat seine Erwerbstätigkeit in der Schweiz am 1. Juni 1985 aufgenommen. Er befindet sich seither in der Schweiz, an deren Sozialversicherungen er Beiträge leistet. Bei Eintritt der Invalidität anfangs Juni 1986 erfüllte er somit jedenfalls das Erfordernis mindestens einjähriger Beitragszahlung (Art. 8 lit. a des Abkommens), was übrigens von keiner Seite bestritten und insbesondere auch von der beschwerdeführenden Ausgleichskasse heute anerkannt wird (vorinstanzliche Beschwerdevernehmlassung in Verbindung mit der Eingabe der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen an die Vorinstanz vom 30. September 1986).
b) Es stellt sich alsdann die Frage, ob der Beschwerdegegner bei Eintritt der Invalidität im Sinne von Art. 8 lit. a des Abkommens in der Schweiz Wohnsitz hatte.
Der Beschwerdegegner hielt sich vom 1. Juni 1985 hinweg zunächst mit einer bis 15. Dezember 1985 befristeten Saison-Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz auf, die dann durch eine weitere, zunächst bis 15. Juni 1986 gültige, nicht näher bekannte Aufenthaltsbewilligung abgelöst wurde, und gelangte schliesslich mit Wirkung ab 8. Dezember 1986 in den Besitz der Aufenthaltsbewilligung B.
Der Wohnsitz einer Person befindet sich gemäss
Art. 23 Abs. 1 ZGB
grundsätzlich an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Diese Absicht kann für die Belange der Sozialversicherung bei Ausländern oder Staatenlosen so lange nicht beachtlich sein, als öffentlichrechtliche Hindernisse die Verwirklichung dieser Absicht langfristig verbieten, was beispielsweise in der Regel bei ausländischen Arbeitnehmern der Fall ist, die aufgrund einer Saisonbewilligung in der Schweiz erwerbstätig sind (
BGE 105 V 136
und
BGE 99 V 209
). Indessen kann bei Saisonarbeitern Wohnsitz in der Schweiz angenommen werden, wenn sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz aufhalten und im Zeitpunkt des potentiellen Versicherungsfalles die Voraussetzungen für die Umwandlung der Saisonbewilligung in eine ganzjährige Aufenthaltsbewilligung bereits erfüllen oder doch zu erfüllen im Begriffe sind (unveröffentlichtes Urteil J. vom 29. April 1982).
Ob der Beschwerdegegner im Lichte dieser Rechtsprechung bei Eintritt der Invalidität in der Schweiz bereits Wohnsitz hatte oder
BGE 113 V 261 S. 265
ob er einen solchen allenfalls zu einem spätern Zeitpunkt begründete und ob in diesem zweiten Fall die nachträgliche Erfüllung der Wohnsitzklausel als Teilvoraussetzung für den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen genügt, kann dahingestellt bleiben, weil der Leistungsanspruch aufgrund von Art. 8 lit. f des Abkommens (in der Fassung des Zusatzabkommens) bejaht werden muss, wie im Folgenden darzutun sein wird.
3.
a) Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung eines Staatsvertrages in erster Linie vom Vertragstext auszugehen. Erscheint dieser klar und ist seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende oder einschränkende Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (
BGE 112 V 340
Erw. 4 mit Hinweisen).
b) Zur Begründung ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht die Ausgleichskasse geltend: Der Beschwerdegegner könne wohl als bei Eintritt der Invalidität aufgrund von Art. 8 lit. f des Abkommens versichert betrachtet werden, doch erfülle er die in Art. 8 lit. a Abs. 1 geforderte Voraussetzung des zivilrechtlichen Wohnsitzes nicht. Sie hält also das Wohnsitzerfordernis auch im Rahmen der lit. f für massgeblich, welche Auffassung vom BSV anscheinend geteilt wird.
Dieser Standpunkt widerspricht dem Wortlaut von Art. 8 lit. f des Abkommens. Die Bestimmung ist ihrem Wortlaut nach gerade auf jene jugoslawischen Staatsangehörigen zugeschnitten, die "ohne Wohnsitz in der Schweiz" sind. Der Vertragstext enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass Art. 8 lit. f nur auf solche jugoslawische Staatsangehörige anwendbar wäre, die früher einmal Wohnsitz in der Schweiz gehabt und diesen nachträglich aufgegeben haben. Die in dieser Bestimmung getroffene Ordnung gilt vielmehr für alle jugoslawischen Staatsangehörigen ohne Wohnsitz in der Schweiz, und zwar generell "für die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung", somit auch für die Zusprechung von Eingliederungsmassnahmen gemäss den
Art. 8 und 12 ff. IVG
.
Die Auffassung der Ausgleichskasse ist aber auch aus folgendem Grund nicht stichhaltig: Wäre das Wohnsitzerfordernis der lit. a auch im Rahmen der lit. f des Art. 8 massgeblich, so würde dies
BGE 113 V 261 S. 266
bedeuten, dass lit. f ein der lit. a untergeordneter Hilfstatbestand wäre. Das trifft nicht zu, denn die lit. a-e des Art. 8 regeln unterschiedliche, unabhängig voneinander bestehende Sachverhalte, welche mit dem Zusatzabkommen um einen weitern Tatbestand betreffend die Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen gemäss lit. f ergänzt worden sind.
Die Meinung der Ausgleichskasse widerspricht schliesslich auch dem Ziel und dem Zweck der lit. f, wozu der Bundesrat in seiner Botschaft vom 3. November 1982 ausgeführt hat (BBl 1982 III 1057):
"Bei den Voraussetzungen für den Erwerb von Ansprüchen auf IV-Leistungen wird durch das Zusatzabkommen (Art. 4) eine bisher zu stossenden Härtefällen führende Regelung korrigiert. Nach dem Abkommen von 1962 kann nämlich ein Jugoslawe, der in der Schweiz keinen Wohnsitz hat und seine Erwerbstätigkeit in unserem Land infolge Krankheit oder Unfall unterbrechen muss, weder Eingliederungsmassnahmen der IV beanspruchen noch einen Rentenanspruch erwerben, selbst dann nicht, wenn er bis zum Eintritt der Invalidität im Sinne des schweizerischen Rechts (im allgemeinen 360 Tage nach dem Unfall bzw. dem Ausbruch der Krankheit) in der Schweiz verbleibt; weil er in der Schweiz nicht Wohnsitz hat und hier auch keine Erwerbstätigkeit ausübt, ist er nämlich nicht versichert und erfüllt somit die nach dem IVG für den Leistungsanspruch vorausgesetzte Versicherungsklausel nicht.
Das Problem, dass in solchen Fällen trotz manchmal langer Versicherungsdauer in der Schweiz der Leistungsanspruch verlorengehen kann, wurde in den Abkommen mit anderen Staaten bereits einer Lösung zugeführt. Nunmehr wurde auch das Abkommen mit Jugoslawien diesbezüglich an die betreffenden Regelungen mit den andern Ländern angepasst. Nach Artikel 4 des Zusatzabkommens gelten jugoslawische Staatsangehörige, die bis zum Eintritt des Versicherungsfalles in der Schweiz verbleiben, als versichert im Sinne des IVG, so dass sie bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen in den Genuss von IV-Leistungen gelangen können. In der betreffenden Zeit müssen sie übrigens weiterhin Beiträge an die schweizerische AHV/IV entrichten, womit ihnen die gleiche Verpflichtung wie Personen mit Wohnsitz in der Schweiz auferlegt, aber auch die Möglichkeit gegeben wird, mit diesen Beiträgen nötigenfalls das für den Erwerb des Anspruchs auf IV-Leistungen erforderliche eine Beitragsjahr noch aufzufüllen."
Diese Ausführungen des Bundesrates machen deutlich, dass im Rahmen der lit. f zwar auch das Erfordernis der mindestens einjährigen Beitragsdauer gelten, anderseits aber auf das Wohnsitzerfordernis verzichtet werden soll. Nur so lässt sich die mit dem Zusatzabkommen angestrebte Besserstellung der jugoslawischen Staatsangehörigen erreichen, die oft wegen ihres fremdenpolizeilichen Status vorläufig oder während ihres gesamten Aufenthalts in der
BGE 113 V 261 S. 267
Schweiz hier keinen Wohnsitz begründen können. Dieser Zweck würde vereitelt, wenn man im Sinne der Ausgleichskasse auch im Rahmen der lit. f bei Eintritt der Invalidität Wohnsitz in der Schweiz verlangen würde.
4.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Vorinstanz mit Recht erkannt hat, dass der Beschwerdegegner die versicherungsmässigen Voraussetzungen für den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen im Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität erfüllt. Es wird nun Sache der Verwaltung sein, zu prüfen, ob auch die materiellen Leistungsvoraussetzungen der
Art. 15 ff. IVG
erfüllt sind.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3bc96016-0990-4cae-a81f-1816165ef146 | Urteilskopf
101 Ib 225
43. Auszug aus dem Urteil vom 31. Oktober 1975 i.S. A. gegen Regierungsrat des Kantons Obwalden | Regeste
Verweigerung der Niederlassungsbewilligung, Kantonsausweisung.
1. Voraussetzungen für die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung gegenüber einem bisher in einem andern Kanton niedergelassenen Ausländer, mit dessen Heimatstaat ein Niederlassungsvertrag besteht.
2. Zuständig zur Kantonsausweisung sind einzig der Bewilligungskanton und der Kanton, in dem ein Ausweisungsgrund verwirklicht worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 101 Ib 225 S. 225
Der heute 22jährige A., italienischer Staatsangehöriger, ist in Luzern geboren und aufgewachsen. Er ist im Besitze einer Niederlassungsbewilligung des Kantons Luzern, arbeitet jedoch in einem Baugeschäft in U. OW und wohnt, zumindest während der Woche, bei seinem Bruder in V., ebenfalls im Kanton Obwalden.
A. ist mehrfach vorbestraft. Er wurde namentlich in den Jahren 1973 und 1974 dreimal der wiederholten resp. fortgesetzten
BGE 101 Ib 225 S. 226
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig erklärt und zu Gefängnisstrafen von einmal sechs Wochen und zweimal zwei Monaten verurteilt. Gegenwärtig steht er in Strafuntersuchung wegen Aussetzung gemäss
Art. 127 StGB
. Die Untersuchung hat einen Vorfall zum Gegenstand, der sich im September 1974 im Luzerner Drogenmilieu ereignete.
Nach der bedingten Entlassung aus der Strafanstalt im August 1974 placierte das kantonale Schutzaufsichts- und Fürsorgeamt Luzern A. bei dessen Bruder in V. und bemühte sich um Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung. Mit Beschluss vom 18. März 1975 wies der Regierungsrat des Kantons Obwalden das Gesuch ab, verweigerte A. die Niederlassung und verfügte seine Ausweisung aus dem Kanton, da er durch sein Verhalten zu schweren Klagen Anlass gegeben habe.
A. hat beim Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, der Beschluss des Regierungsrates sei aufzuheben und die zuständige Behörde sei anzuweisen, ihm die Niederlassung bis auf weiteres zu gewähren.
Die Beschwerde ist zuständigkeitshalber dem Bundesgericht überwiesen worden.
Das kantonale Schutzaufsichts- und Fürsorgeamt Luzern unterstützt die Beschwerde, der Regierungsrat des Kantons Obwalden und das EJPD beantragen ihre Abweisung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Beschwerdeführer lebt seit seiner Geburt in der Schweiz. Er hat deshalb nach Art. 1 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868 in Verbindung mit Ziff. 1 Abs. 2 der Erklärung vom 5. Mai 1934 über die Anwendung dieses Vertrages sowie mit Art. 10 f. des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz vom 10. August 1964 grundsätzlich Anspruch auf bedingungslose Gewährung der Niederlassung. Es ist zu prüfen, ob ihm der Kanton Obwalden unter diesen Umständen die nachgesuchte Bewilligung verweigern durfte.
Der Beschwerdeführer ist im Besitze einer durch den Kanton Luzern ausgestellten Niederlassungsbewilligung. Er beabsichtigt,
BGE 101 Ib 225 S. 227
den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse in einen andern Kanton zu verlegen. Dazu benötigt er eine neue Bewilligung (
Art. 8 Abs. 1 und 3 ANAG
in Verbindung mit
Art. 14 Abs. 3 ANAV
). Nach
Art. 14 Abs. 4 ANAV
kann die Bewilligung im neuen Kanton dem niedergelassenen Ausländer nur verweigert werden, wenn einer der Gründe von
Art. 9 Abs. 3 und 4 ANAG
erfüllt ist. Der Regierungsrat hat sich in seinem Beschluss auf
Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG
gestützt. Danach erlischt die Niederlassungsbewilligung mit der Ausweisung. Der Regierungsrat hat somit angenommen, das Verhalten des Beschwerdeführers stelle einen Ausweisungsgrund dar, was zur Verweigerung der Niederlassungsbewilligung berechtige.
b) Der Regierungsrat nennt in erster Linie den Ausweisungsgrund von
Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer aus der Schweiz oder aus einem Kanton ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft worden ist. Der Beschwerdeführer bestreitet angesichts seiner Vorstrafen mit Recht nicht, dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Er bringt jedoch vor, die Massnahme würde ihn sehr hart treffen. Soweit er damit die Angemessenheit des Beschlusses bestreitet, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Indessen ist anzunehmen, dass er geltend machen will, die Vorinstanz habe ihr Ermessen überschritten oder missbraucht.
Eine Ermessensüberschreitung liegt offensichtlich nicht vor. Dadurch, dass er dem Beschwerdeführer die Niederlassungsbewilligung verweigert hat, hat der Regierungsrat nicht eine Verfügung getroffen, die er im Rahmen seines Ermessens gar nicht hätte treffen können. Sein Beschluss steht im Einklang mit
Art. 4 ANAG
und
Art. 14 Abs. 4 ANAV
. Insbesondere stehen der Verweigerung der Bewilligung auch nicht die staatsvertraglichen Regelungen mit Italien entgegen. Nach der genannten Erklärung vom 5. Mai 1934 kann nur derjenige Angehörige eines Vertragsstaates den Anspruch auf bedingungslose Erteilung der Niederlassungsbewilligung geltend machen, der sich im andern Vertragsstaat "ordnungsgemäss" aufgehalten hat. Diese Bedingung, die in dieser oder einer andern Formulierung in den meisten Niederlassungsverträgen enthalten ist und allgemein vorausgesetzt wird, besagt, dass ein Ausländer sich nur dann auf einen staatsvertraglichen Anspruch auf Erteilung oder Belassung der Niederlassungsbewilligung
BGE 101 Ib 225 S. 228
berufen kann, wenn seine Anwesenheit von der zuständigen Behörde bewilligt worden ist und wenn und solange er die im Gaststaat geltenden Gesetze befolgt. Die wiederholten Delikte, die der Beschwerdeführer begangen hat, lassen seinen Aufenthalt nicht mehr als ordnungsgemäss erscheinen (vgl.
BGE 97 I 534
f.).
Der Vorinstanz kann auch nicht vorgeworfen werden, sie habe ihr Ermessen missbraucht. Es ist selbstverständlich, dass sich die Verweigerung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung für den Betroffenen nachteilig auswirkt. Er wird in der Möglichkeit eingeschränkt, seine Lebensverhältnisse nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Vorliegend wird dem Beschwerdeführer insbesondere verunmöglicht, nach Kägiswil in eine Wohnung zu ziehen, die er offenbar bereits gemietet hat. Der Regierungsrat durfte im Rahmen seines Ermessens berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auch nach seiner bedingten Entlassung aus der Strafanstalt und der vorläufigen Placierung bei seinem Bruder in Kägiswil weiterhin in den Luzerner Drogenkreisen verkehrte. Dem Regierungsrat kann kein Ermessensmissbrauch vorgeworfen werden, wenn er aus dieser Tatsache den Schluss zog, eine Ansiedlung im Kanton sei nicht geeignet, der Drogengefährdung des Beschwerdeführers wirksam zu begegnen.
Da der Ausweisungsgrund von
Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
objektiv erfüllt ist, durfte der Regierungsrat dem Beschwerdeführer gestützt auf
Art. 14 Abs. 4 ANAV
die Niederlassung im Kanton verweigern. Es braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob auch der Ausweisungsgrund von
Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG
erfüllt ist, den die Vorinstanz nur erwähnt, ohne sich aber ausdrücklich darauf zu stützen. Immerhin ist zu bemerken, dass dieser Ausweisungsgrund gegenüber einem Ausländer, der sein ganzes Leben in der Schweiz verbracht hat, nur mit äusserster Zurückhaltung angewendet werden dürfte.
4.
Der Regierungsrat hat den Beschwerdeführer ausserdem aus dem Gebiet des Kantons Obwalden ausgewiesen. Diese Massnahme ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
a) Nach
Art. 10 Abs. 3 ANAG
kann die Kantonsausweisung verfügt werden, wenn der Ausländer in einem andern Kanton eine Anwesenheitsbewilligung besitzt oder erhält. Diese eine Voraussetzung ist erfüllt. Wie der Regierungsrat
BGE 101 Ib 225 S. 229
und das EJPD in ihren Vernehmlassungen zutreffend ausführen, besitzt der Beschwerdeführer im Kanton Luzern eine nach wie vor gültige Niederlassungsbewilligung. Diese ist entgegen der Auffassung der Luzerner Behörden nicht gemäss
Art. 9 Abs. 3 ANAG
erloschen. Der Beschwerdeführer hat weder in einem andern Kanton eine Bewilligung erhalten, noch hat er sich während längerer Zeit im Ausland aufgehalten und damit seinen Aufenthalt im Kanton Luzern tatsächlich aufgegeben. Endlich hat der Kanton Luzern bisher selber keine fremdenpolizeiliche Massnahme verfügt.
b) Zuständig für die Kantonsausweisung sind nach
Art. 16 Abs. 1 ANAV
der Bewilligungskanton sowie der Kanton, auf dessen Gebiet ein Ausweisungsgrund verwirklicht ist.
Der Beschwerdeführer hat sich bis jetzt im Kanton Obwalden klaglos verhalten. Der Regierungsrat bestreitet die entsprechende Behauptung in der Beschwerdeschrift nicht, und aus den Akten ergibt sich kein Anhaltspunkt für die gegenteilige Annahme. Straffällig geworden ist der Beschwerdeführer bisher einzig im Kanton Luzern, seinem Bewilligungskanton, ferner im Kanton Bern. Die Vorinstanz vertritt in ihrer Vernehmlassung die Auffassung, dem Ort oder Kanton, in dem ein Ausländer delinquierte, komme für die fremdenpolizeilichen Massnahmen keine Bedeutung zu. Diese Auffassung trifft zu für die Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung; in diesem Fall hat die zuständige kantonale Behörde im Rahmen des ihr in
Art. 4 ANAG
eingeräumten Ermessens das gesamte bisherige Verhalten des Ausländers zu würdigen, ohne Rücksicht darauf, wo er sich bislang aufgehalten hat. Bei der Ausweisung dagegen ist die örtliche Zuständigkeit wesentlich. Als schwerste fremdenpolizeiliche Massnahme greift die Ausweisung in eine gültige Anwesenheitsbewilligung ein und lässt sie erlöschen. Zuständig zur Anordnung dieser Massnahme können deshalb, soll der Ausländer vor ungerechtfertigten Verfügungen geschützt werden, nicht alle Kantone sein, sondern nur diejenigen, die sich mit dem Ausländer bereits befasst haben. In erster Linie ist dies der Kanton, der die Anwesenheitsbewilligung erteilt hat. Daneben rechtfertigt es sich, die gleiche Kompetenz der Fremdenpolizeibehörde desjenigen Kantons zuzuerkennen, auf dessen Gebiet der Ausweisungsgrund entstanden ist. Es besteht kein Grund, die Zuständigkeit zur Ausweisung über die in
Art. 16 Abs. 1 ANAV
vorgesehene Ordnung hinaus zu erweitern.
BGE 101 Ib 225 S. 230
Eine andere Lösung ergibt sich auch aus
Art. 8 Abs. 2 ANAG
nicht. Nach dieser Bestimmung ist ein Ausländer, der eine gültige Anwesenheitsbewilligung besitzt, berechtigt, sich in einem andern Kanton aufzuhalten und dort einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ohne Anmeldung vorübergehend, mit Einwilligung des andern Kantons auch längerfristig. Der andere Kanton ist jedoch berechtigt, der eidgenössischen Behörde den Entzug der Aufenthalts- oder Toleranzbewilligung zu beantragen, wenn ihm die Anwesenheit des Ausländers auf seinem Gebiet unerwünscht ist (Art. 8 Abs. 2 dritter Satz ANAG). Aus dem Gesetzestext ergibt sich, dass sich diese Vorschrift nur auf die Aufenthalts- und Toleranzbewilligung bezieht; dagegen ist sie, wie der Bundesrat bei der Schaffung des ANAG in seiner Botschaft ausdrücklich festhielt, nicht anwendbar auf Ausländer, die eine Niederlassungsbewilligung besitzen (BBl 1929 I 918). Der Gesetzgeber hat somit eine Befugnis von Drittkantonen, auf eine durch einen andern Kanton ausgestellte Niederlassungsbewilligung einzuwirken, ausgeschlossen. Der Bundesrat hat in
Art. 16 Abs. 1 ANAV
eine einzige Ausnahme von diesem Grundsatz geschaffen, indem er neben dem Bewilligungskanton noch den Kanton zur Ausweisung zuständig erklärt hat, auf dessen Gebiet ein Ausweisungsgrund verwirklicht ist. Diese Ausnahme erweist sich als gesetz- und verfassungsmässig, denn sie lehnt sich an die bis heute für Schweizer Bürger geltende Regelung von
Art. 45 Abs. 3 BV
an. Weitere Ausnahmen widersprächen jedoch der gesetzlichen Ordnung und dem Wesen der Niederlassungsbewilligung.
c) Der Beschluss des Regierungsrates, den Beschwerdeführer aus dem Kantonsgebiet auszuweisen, ist als dem Bundesrecht widersprechend aufzuheben, da der Beschwerdeführer im Kanton Obwalden bisher keinen Ausweisungsgrund verwirklicht hat. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob angesichts der Zurückhaltung, die das Bundesgericht in der Frage der Ausweisung von in der Schweiz aufgewachsenen drogensüchtigen Ausländern übt, diese Massnahme im vorliegenden Fall überhaupt angezeigt wäre, oder ob nicht eher die Fürsorgebehörden eingreifen müssten (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil D. vom 28. April 1972). Ferner braucht nicht untersucht zu werden, ob die Ausweisungsverfügung den Formerfordernissen von
Art. 11 Abs. 1 ANAG
und
Art. 16 Abs. 6 und 8 ANAV
entspricht.
BGE 101 Ib 225 S. 231
5.
Dem Beschwerdeführer ist somit verwehrt, im Kanton Obwalden Wohnsitz zu nehmen. Er ist aber berechtigt, sich ohne Anmeldung vorübergehend in diesem Kanton aufzuhalten und dort zu arbeiten, und mit dem Einverständnis der zuständigen Behörde auch längerfristig (Art. 8 Abs. 2 erster und zweiter Satz ANAG). Diese Lösung ist vertretbar, jedenfalls bei der heutigen Sachlage. Ob sich nach Abschluss des im Kanton Luzern hängigen Strafverfahrens eine Änderung aufdrängt, werden die Fremdenpolizei- und Fürsorgebehörden der interessierten Kantone prüfen müssen. Das Bundesgericht hat sich im vorliegenden Verfahren dazu nicht zu äussern.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Obwalden wird insoweit aufgehoben, als A. aus dem Gebiet des Kantons Obwalden ausgewiesen wird. Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3bd36fa3-f6c0-44a6-a4a4-38724cdea447 | Urteilskopf
122 III 401
74. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Oktober 1996 i.S. R. P. gegen E. P. (Berufung) | Regeste
Art. 156 ZGB
; Berücksichtigung der Wünsche der Kinder bei der Gestaltung der Elternrechte.
Bei der Gestaltung der Elternrechte im Rahmen eines Scheidungsprozesses muss auch der Zuteilungswunsch des Kindes berücksichtigt werden, wenn es sich aufgrund des Alters und der Entwicklung des Kindes um einen gefestigten Entschluss handelt und wenn der Wunsch eine enge Gefühlsbeziehung zu einem Elternteil zum Ausdruck bringt. | Erwägungen
ab Seite 401
BGE 122 III 401 S. 401
Aus den Erwägungen:
3.
Die Klägerin wirft dem Kantonsgericht in ihrer Berufung vor, bei der Kinderzuteilung von Rico und Reto die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien nicht richtig angewendet und dadurch
Art. 156 ZGB
verletzt zu haben. Zur Begründung führt sie
BGE 122 III 401 S. 402
im wesentlichen aus, dass der Beklagte beruflich und in der Freizeit sehr stark engagiert sei, während sie angesichts ihrer flexiblen Teilzeitarbeit den Kindern mehr Zeit widmen könne. Den Zuteilungswünschen der Söhne Rico und Reto sei zu grosse Bedeutung beigemessen worden, hätten sie doch nur deshalb die Zuteilung zum Vater gewünscht, weil dieser "eine längere Leine lässt als die Mutter". Hinzu komme, dass der jüngste Sohn Fabian ihr zugeteilt worden sei und die Geschwister nach Möglichkeit nicht zu trennen seien.
b) Das Kantonsgericht hat im Zusammenhang mit der Zuteilung von Rico und Reto unter die elterliche Gewalt des Beklagten hauptsächlich auf den von den Söhnen klar geäusserten Zuteilungswunsch abgestellt. Dies wird von der Klägerin kritisiert.
Im Gegensatz zum Entwurf des neuen Scheidungsrechts, nach dessen Art. 133 Abs. 2 "für die Zuteilung der elterlichen Sorge (...), soweit tunlich, auf die Meinung des Kindes Rücksicht zu nehmen" ist (siehe auch Erläuterungen dazu in BBl 1996 I, S. 125), sieht das geltende Recht die Anhörung der Kinder nicht vor. Dennoch hat das Bundesgericht bereits bei verschiedenen Gelegenheiten angetönt, dass je nach Alter der Kinder einem eindeutig geäusserten Wunsch bei der Regelung der elterlichen Gewalt Rechnung zu tragen sei (
BGE 115 II 206
E. 4a S. 209; vgl. ferner
BGE 122 I 53
E. 4a S. 55 und
BGE 100 II 76
E. 4b S. 82). Auch in der Literatur hat sich die Auffassung mehr und mehr durchgesetzt, dass Kinder bei der Prüfung der Zuteilung als direkt betroffene Personen um ihrer Persönlichkeit willen angehört werden dürfen und unter Umständen auch angehört werden sollen (HINDERLING/STECK, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Auflage, Zürich 1995, S. 415 und 419; BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 60 und 92 zu Art. 156; LOUIS BOURGKNECHT, Les effets accessoires du divorce, in: ZVW 36 [1981], S. 93; MARTIN STETTLER, Das Kindesrecht, in: SPR III/2, Basel 1992, S. 273; MICHAEL COESTER, in: Staudingers Kommentar zum BGB, N. 115 ff. zu § 1671 BGB m.w.H.). Nach kinderpsychiatrischen Erkenntnissen kommt dem Zuteilungswunsch umso entscheidendere Bedeutung zu, je älter das Kind ist; während ältere Kinder oft in der Lage sind, stabile Absichtserklärungen abzugeben, ist bei jüngeren Kindern grosse Vorsicht geboten, weil ihre Wünsche von einem Tag zum anderen schwanken können. In jedem Fall ist indessen zu prüfen, ob eine stärkere emotionale Bindung den Zuteilungswunsch bestimmt oder nicht etwa das Verlangen nach mehr Ungebundenheit und materieller Verwöhnung im Vordergrund steht (FRIEDRICH ARNTZEN, Elterliche Sorge und persönlicher Umgang mit
BGE 122 III 401 S. 403
Kindern, München 1994, S. 12; grundlegend REINHARD LEMPP, Das Wohl des Kindes in §§ 1666 und 1671 BGB, in: NJW 16 [1963] S. 1660; derselbe, Noch einmal: Kindeswohl und Kindeswille, in: NJW 17 (1964) S. 440; siehe auch ELISABETH MACKENSCHEIDT, Loyalitätsproblematik bei Trennung und Scheidung, in: FamRZ 40 [1993] S. 255). Im Hinblick auf eine praktikable Kinderzuteilung kann es sich somit aufdrängen, die Zuteilungswünsche der Kinder bei der Regelung der elterlichen Gewalt zu berücksichtigen. Die Bedeutung, die den Wünschen der Kinder beizumessen ist, wird einerseits davon abhängen, ob die betroffenen Kinder altersmässig und von ihrer Entwicklung her in der Lage sind, stabile Absichtserklärungen abzugeben; anderseits wird zu prüfen sein, ob die geäusserten Wünsche tatsächlich eine besondere innere Verbundenheit zu einem Elternteil zum Ausdruck bringen und nicht beispielsweise dem Wunsch nach mehr Freiheit oder materiellen Vorteilen entspringen.
c) Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich nicht zu beanstanden, dass das Kantonsgericht den dezidiert geäusserten Zuteilungswünschen der Kinder vorrangige Bedeutung beigemessen und die Söhne Rico und Reto in Anwendung von
Art. 156 ZGB
unter die elterliche Gewalt des Beklagten gestellt hat. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die normal entwickelten 16- bzw. 14jährigen Knaben keinen stabilen Willensentscheid in bezug auf ihre künftige Unterbringung fällen könnten; im Gegenteil ist davon auszugehen, dass sie aufgrund der Betreuung durch ihren Vater während der Dauer des Scheidungsprozesses genaue Vorstellungen über die Konsequenzen der definitiven Zuteilung im Scheidungsurteil zu entwickeln vermochten. Hinzu kommt, dass ihr Zuteilungswunsch nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass sie beim Vater möglicherweise grössere Freiheiten geniessen dürften als bei der Mutter, die nach den verbindlichen Tatsachenfeststellung der Vorinstanz zu autoritärer Erziehung neigt; vielmehr dürfte ihr Wunsch auch Ausdruck einer starken Gefühlsbeziehung zum Vater sein. Bemerkenswert ist sodann, dass Reto sogar jeden Kontakt mit der Mutter ablehnt. Abgesehen von den Zuteilungswünschen der Kinder spricht auch die Eignung des Beklagten als Erzieher für die vom Kantonsgericht getroffene Lösung. Eine Betreuung, die den dem Kindesalter allmählich entwachsenden Söhnen schrittweise mehr Freiheiten gewährt, dürfte geeigneter sein als eine autoritäre Erziehung, die von den Söhnen abgelehnt wird. Kaum ins Gewicht fallen dürfte, dass die Klägerin eine in zeitlicher Hinsicht umfangreichere Betreuung gewährleisten könnte, weil der 16jährige Rico und der 14jährige
BGE 122 III 401 S. 404
Reto zunehmend selbständig werden und keiner umfassenden Betreuung mehr bedürfen.
d) Sind aber die beiden älteren Söhne beim Beklagten sogar besser untergebracht als bei der Klägerin, wäre deren Zuteilung an die Mutter gegen ihren Willen völlig undenkbar; dabei könnte die Zuteilung des jüngsten Sohnes Fabian an die Klägerin, sollte es dabei bleiben, auf jene der älteren beiden Knaben offensichtlich keinen Einfluss haben. Auf die Frage der gemeinsamen Unterbringung der drei Geschwister wird bei der Behandlung der Berufung des Beklagten zurückzukommen sein. Die Berufung der Klägerin erweist sich als offensichtlich unbegründet, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3bd9d0c4-7b9f-4f4f-b1fa-691406b2da5d | Urteilskopf
93 IV 115
29. Urteil des Kassationshofes vom 19. Dezember 1967 i.S. Meier gegen Statthalteramt des Bezirkes Horgen. | Regeste
Art. 4 Abs. 1 VRV
.
Anpassung der Geschwindigkeit an die Sichtweite.
Diese Regel gilt auch auf Autobahnen, insbesondere nachts beim Fahren mit Abblendlicht. | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 93 IV 115 S. 115
A.-
Meier führte am 9. November 1966 nachts um 19 Uhr einen Personenwagen "Renault-Dauphine" von Richterswil auf der Autobahn N 3 Richtung Zürich. Seine Fahrgeschwindigkeit betrug ca. 95 km/Std. Als er auf der Höhe von Horgen einen langsamer fahrenden Kleinwagen einholte, schaltete er das Abblendlicht ein und schickte sich zum Überholen an. Beim Wechseln des Fahrstreifens gewahrte er im Lichtkegel des Abblendlichts einen Stuhl, der im rechten Teil der linken Fahrspur lag. Es gelang Meier, vor diesem Hindernis nach links auszuweichen und sein Fahrzeug vor der Leitplanke am linken Strassenrand ebenso brüsk wieder nach rechts zu steuern, wobei es jedoch ins Schleudern geriet, nach links kippte und auf dem Dach weiterrutschte, bis es am rechten Strassenrand durch die Leitplanke aufgehalten wurde.
BGE 93 IV 115 S. 116
B.-
Das Statthalteramt des Bezirkes Horgen verfällte Meier wegen Nichtbeherrschung des Fahrzeuges und Nichtanpassung der Geschwindigkeit in eine Busse von Fr. 30.-.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Horgen sprach Meier auf dessen Begehren frei mit der Begründung, dass ihm die Ausweichbewegung nicht als schuldhaftes Verhalten angerechnet werden könne und dass er auf der Autobahn nicht verpflichtet gewesen sei, die an sich nicht übersetzte Geschwindigkeit von 95 km/Std herabzusetzen, um sie der Reichweite der Abblendlichter anzupassen.
C.-
Dieser Freispruch wurde vom Statthalteramt Horgen durch kantonale Nichtigkeitsbeschwerde angefochten. Am 26. Oktober 1967 erklärte die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich in teilweiser Gutheissung der Beschwerde den Verzeigten Meier der Übertretung von
Art. 4 Abs. 1 VRV
schuldig und büsste ihn in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
mit Fr. 20.-.
D.-
Meier bestreitet mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde, dass
Art. 4 Abs. 1 VRV
auf Autobahnen in gleicher Weise wie auf andern Strassen anwendbar sei, und beantragt, er sei freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach der ausdrücklichen Bestimmung des
Art. 1 Abs. 2 SVG
gelten die Verkehrsregeln dieses Gesetzes (
Art. 26-57 SVG
) und die sie ergänzenden Vollzugsvorschriften der Verordnung (VRV) auf allen dem öffentlichen Verkehr dienenden Strassen. Unter diese fallen gemäss
Art. 1 VRV
auch die dem Motorfahrzeugverkehr vorbehaltenen Autobahnen (Abs. 3). Soweit Gesetz und Verordnung keine Ausnahmen vorsehen, finden daher die allgemeinen Verkehrsregeln, so auch diejenigen betreffend die Geschwindigkeit, auf Autobahnen ebenso Anwendung wie auf andern öffentlichen Strassen. Der Bundesrat, der nach
Art. 43 Abs. 3 SVG
für Autobahnen besondere Verkehrsregeln erlassen kann, hat zwar von dieser Ermächtigung in
Art. 36 VRV
Gebrauch gemacht. Von den verschiedenen Sonderregeln, die dort abschliessend aufgeführt werden, betrifft aber keine die Fahrgeschwindigkeit der auf Autobahnen verkehrenden Motorfahrzeuge. Dies bedeutet, dass die Geltung der allgemeinen Geschwindigkeitsvorschriften, namentlich der
Art. 32 Abs. 1 SVG
und
Art. 4 Abs. 1 VRV
, auf
BGE 93 IV 115 S. 117
Autobahnen bewusst nicht eingeschränkt werden wollte. Die Absicht des Gesetzgebers, keine weitern als die ausdrücklich festgelegten Ausnahmen zuzulassen, wird in
Art. 36 Abs. 5 VRV
noch besonders hervorgehoben, indem dort bestimmt wird, dass auf Autobahnen, soweit keine Sonderregeln bestehen, die allgemeinen Fahrregeln gelten.
2.
Der Beschwerdeführer ist der Meinung, es bestehe kein zwingendes Bedürfnis für die uneingeschränkte Anwendung von
Art. 4 Abs. 1 VRV
auf Autobahnen, auf denen mit Fussgängern, Radfahrern, Handkarren, Pferdefuhrwerken, Traktoren und Kleinmotorrädern nicht gerechnet werden müsse. Da praktisch als Hindernisse nur Motorfahrzeuge in Frage kämen und angenommen werden dürfe, dass nachts ihre Schlusslichter bei klarem Wetter vorschriftsgemäss auf eine Entfernung von mindestens 200 m sichtbar seien, entfalle die Notwendigkeit, innerhalb der Reichweite der Scheinwerfer anhalten zu können. Diese Auffassung verkennt, dass die Bestimmung des
Art. 4 Abs. 1 VRV
nicht nur dem Schutze der Strassenbenützer dient, die auf Autobahnen nicht verkehren dürfen. Ausserdem ist auch auf Autobahnen nicht von Gegebenheiten auszugehen, die dem Idealfall entsprechen, sondern von den tatsächlichen Verhältnissen, die nach der Erfahrung des Lebens nicht ausser Betracht gelassen werden können. Freilich ist die Gefahr des Zusammentreffens mit unbeleuchteten Hindernissen auf gewöhnlichen Strassen grösser als auf Autobahnen, doch ist sie auf diesen nicht so selten, dass ihre Möglichkeit unberücksichtigt bleiben darf. So ist auch auf Autobahnen mit Tieren zu rechnen, die sich auf die Fahrbahn verirren oder von vorausfahrenden Fahrzeugen angefahren werden und die Fahrbahn nicht mehr verlassen können. Ebenso tritt verhältnismässig häufig der Fall ein, dass Ladegut von fahrenden Fahrzeugen herabfällt und den nachfolgenden Verkehr behindert. Anlass zu Auffahrkollisionen geben auch immer wieder Motorfahrzeuge, die hinten nicht oder nur schlecht beleuchtet sind, vor allem aber auch stillstehende Fahrzeuge, die infolge einer Betriebsstörung oder eines Unfalles die Fahrbahn versperren, ohne dass sie sofort beiseitegeschafft oder durch Sicherungsmassnahmen für den übrigen Verkehr rechtzeitig und auf genügende Entfernung kenntlich gemacht werden können. Auch kommt es hin und wieder vor, dass ein Verunfallter, z.B. ein gestürzter Motorradfahrer, bewusstlos oder in
BGE 93 IV 115 S. 118
verletztem Zustande während kürzerer oder längerer Zeit auf der Fahrbahn liegen bleibt. Trotz der Möglichkeit solcher Hindernisse um der Erreichung hoher Geschwindigkeiten willen auf das Gebot des Fahrens auf Sicht ganz oder teilweise zu verzichten, wäre unverantwortlich. Auch auf Autobahnen geht die Sicherheit des Verkehrs und der Schutz von Menschenleben dem Streben nach Zeitgewinn vor.
Unzutreffend ist auch der Einwand, dass auf Autobahnen, wenn
Art. 4 Abs. 1 VRV
uneingeschränkt gelte, wegen des Gegenverkehrs fast dauernd nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/Std gefahren werden könnte und dass sie infolgedessen ihrer Zweckbestimmung als Schnellverkehrsstrassen entfremdet würden. Wenn auch in den Fällen, in denen die überblickbare Strecke durch die Abblendlichter bestimmt wird, von der geringsten Reichweite der abgeblendeten Scheinwerfer als massgebendem Wert, somit von einer auf der linken Fahrbahnseite beleuchteten Strecke von 50 m auszugehen ist (Art. 13 bis Abs. 2 lit. c des BRB vom 9. März 1959 über die Änderung der MFV), so erlaubt diese Sichtweite unter günstigen Voraussetzungen (trockener Belag, gute Bremsen und einwandfreie Reifen) immerhin Geschwindigkeiten von 60-70 km/Std. In Wirklichkeit muss aber auf Autobahnen im Nachtverkehr nicht dauernd mit der der Reichweite des Abblendlichts angepassten Geschwindigkeit gefahren werden. Abgesehen davon, dass sich nicht jederzeit entgegenkommende Fahrzeuge nähern und die richtunggetrennten Fahrbahnen auch nicht überall parallel zueinander oder auf gleicher Höhe verlaufen, so dass trotz Gegenverkehr streckenweise oder doch oft für kürzere Zeit das Fernlicht eingeschaltet werden kann, gibt es auch immer wieder Teilstücke, so jedenfalls im Bereiche von Ausfahrten, Signaltafeln, Rastplätzen usw., die durch ortsfeste Lichtanlagen so hell erleuchtet werden, dass auch beim Fahren mit Abblendlicht Geschwindigkeiten von über 70 km/Std. möglich sind. Dazu kommt, dass die Mittelstreifen der Autobahnen zum mindesten teilweise bereits bepflanzt sind oder noch werden und dass deshalb auf diesen Strecken in absehbarer Zeit, sobald die Sträucher einen genügenden Blendschutz bieten, unabhängig von Gegenverkehr mit Fernlicht gefahren werden kann.
Der Beschwerdeführer anerkennt selber, dass die Bemessung der zulässigen Geschwindigkeit auch auf Autobahnen sich nach
BGE 93 IV 115 S. 119
den Sichtverhältnissen zu richten hat, wie es
Art. 32 Abs. 1 SVG
vorschreibt. Wie nachts dieser Grundsatz sinnvoll und nach einem allgemeingültigen Massstab verwirklicht werden könnte, wenn nicht im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 VRV
auf die Sichtweite abgestellt würde, ist nicht zu ersehen und vermag auch der Beschwerdeführer nicht zu sagen. Die deutsche Rechtsprechung, die aus langjähriger Erfahrung schöpfen kann, vertritt denn auch heute noch den Standpunkt, dass auch auf Autobahnen stets auf Sicht gefahren werden müsse und dass Einbrüche in diese Regel abzulehnen seien (FLOEGEL-HARTUNG, Strassenverkehrsrecht, 14. Aufl., S. 353; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, 16. Band, S. 145). Desgleichen wird im Entwurf einer europäischen Strassenverkehrsordnung, wo Art. 9 eine
Art. 4 Abs. 1 VRV
entsprechende Vorschrift enthält, keine von dieser Regel abweichende Ausnahmebestimmung vorgesehen, auch nicht unter den Sonderregeln (Art. 42 ff.), die das Fahren auf Autobahnen ordnen.
3.
Der Beschwerdeführer ist bei Abblendlicht mit einer Geschwindigkeit von 95 km/Std gefahren und war unbestrittenermassen nicht in der Lage, innerhalb der Sichtweite anzuhalten. Er hat somit auch dann
Art. 4 Abs. 1 VRV
zuwidergehandelt und sich strafbar gemacht, wenn sich die Verletzung dieser Verkehrsregel auf einer Autobahn zutrug.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3bda37a8-9b39-4df6-a773-d17eba2dcd6b | Urteilskopf
111 IV 74
20. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 6 février 1985 dans la cause C. contre Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
1.
Art. 137 StGB
; Diebstahl. Ein Magnetband, welches das Computerbetriebsprogramm einer Bank enthält, kann Objekt eines Diebstahls sein. Der Vermögensvorteil, auf dessen Erlangung die Bereicherungsabsicht gerichtet ist, kann nicht nur im Substanzwert der angeeigneten Sache, sondern auch in ihrem Gebrauchswert liegen (E. 1).
2.
Art. 24 StGB
; Teilnahme. Begriff des Mittäters (Diebstahl) (E. 2).
3.
Art. 273 Abs. 3 StGB
; Wirtschaftlicher Nachrichtendienst; schwerer Fall. Auch wenn die verratenen Geheimnisse nur den Nachrichtendienst vorbereitende Handlungen ermöglichen, kann eine abstrakte Gefährdung der nationalen Sicherheit im wirtschaftlichen Bereich gegeben sein; der Grad der Gefärdung bestimmt sich objektiv, nach der Bedeutung der verratenen Geheimnisse und dem Ausmass der geschaffenen Gefahr (E. 3 und 4).
4.
Art. 47 Ziff. 1 Abs. 1 BankG
,
Art. 22 StGB
; Gehilfenschaft bei versuchter Verletzung des Bankgeheimnisses. Bei einem Sonderdelikt kann der Extraneus Gehilfe nicht aber Mittäter sein. Gehilfenschaft erfordert zumindest einen vom Täter begangenen Versuch (E. 5). | Erwägungen
ab Seite 75
BGE 111 IV 74 S. 75
Considérant en droit:
1.
Le recourant soutient que les bandes magnétiques constituant le logiciel de base de l'ordinateur de l'UBS ne pouvaient être l'objet d'un vol. Il admet qu'une bande magnétique est une chose mobilière corporelle, donc susceptible d'appropriation; cependant l'élément subjectif ferait ici défaut, car les auteurs n'avaient pas en vue la valeur patrimoniale des bandes magnétiques mais voulaient s'assurer la maîtrise du programme
BGE 111 IV 74 S. 76
informatique, chose incorporelle non susceptible d'être volée. L'intention délictueuse ne visait pas, selon lui, le programme et la bande dans la mesure où ces deux choses sont indépendantes, le programme pouvant être détaché et reproduit sur une autre bande; si le programme avait été lié définitivement à la bande, comme la peinture à sa toile, l'intention délictueuse impliquerait le dessein d'enrichissement car elle viserait obligatoirement l'appropriation de la chose corporelle.
Cette argumentation n'est pas convaincante. Indépendamment du fait que le dessein d'enrichissement ne fait pas partie de l'intention mais constitue un élément subjectif supplémentaire, le recourant perd de vue que l'avantage patrimonial sur lequel le dessein d'enrichissement porte ne correspond pas forcément à la valeur de la chose soustraite, laquelle peut même être dénuée de toute valeur (
ATF 70 IV 66
). L'enrichissement peut consister en un avantage patrimonial indirect que le voleur se procure en usant de la chose soustraite. L'avantage patrimonial peut ainsi correspondre à la contre-valeur que l'on reçoit en échange de la chose volée, comme pour les titres de rationnement (
ATF 70 IV 67
), ou découler de l'emploi que l'on en fait, comme c'est par exemple le cas d'une lettre compromettante volée en vue de chantage (V. SCHWANDER, Das Schweiz, Strafgesetzbuch, 3e éd., Zurich 1964, p. 328 n. 536; G. STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, partie spéciale I, 3e éd., Berne 1983, p. 183 n. 45). Dans ces deux cas, l'auteur soustrait à l'ayant droit une chose, non pas à cause de sa valeur intrinsèque, mais bien en fonction de sa valeur d'usage, le dessein d'enrichissement illégitime s'étendant à cette dernière valeur.
En l'espèce, on ne voit pas pourquoi il en irait différemment des bandes magnétiques constituant le logiciel de base de l'ordinateur de l'UBS. Pour le recourant et P., la valeur patrimoniale des bandes ne résidait pas dans leur valeur intrinsèque en tant qu'objet mais bien, indirectement, dans le fait que les remettre aux douanes françaises pouvait et devait leur rapporter une importante somme d'argent. Que les programmes enregistrés sur ces bandes eussent pu être copiés, sur d'autres bandes, et le fait qu'ils n'étaient ainsi pas définitivement liés à leur support, ne change rien à ce qui précède; le recourant et son complice ne pouvaient se procurer l'avantage patrimonial espéré qu'en s'emparant précisément des bandes contenant ces programmes afin de les utiliser par la suite dans le but qu'ils voulaient atteindre (G. STRATENWERTH, op.cit., p. 181 n. 35). Dès lors, les bandes en cause
BGE 111 IV 74 S. 77
pouvaient fort bien faire l'objet d'un vol.
2.
Le recourant conteste avoir été complice ou coauteur du vol des bandes magnétiques. Il reconnaît que des actes d'exécution ne sont pas nécessaires pour se voir qualifié de coauteur mais qu'on peut l'être en s'associant intellectuellement à l'infraction. Cette participation intellectuelle doit cependant revêtir une intensité telle qu'elle ait une conséquence concrète sur la réalisation de l'acte. Or, selon lui, l'arrêt attaqué n'expliquerait nullement comment C. aurait contribué au vol; les premières discussions auraient eu lieu entre P. et les douanes françaises, C. ayant été informé plus tard seulement.
Pour les premiers contacts, on peut le soutenir. Mais il est constaté dans la décision attaquée qu'il y a eu plus tard une entente entre P. et les douanes françaises, dont le recourant a été informé; il a alors compris qu'il s'agissait d'une affaire illicite permettant de gagner beaucoup d'argent, et il a fait part de son intérêt. En janvier, C. et P. ont rencontré à Paris un fonctionnaire des douanes; tous deux ont accepté les conditions discutées. De plus, l'autorité cantonale a expressément constaté que les bandes magnétiques avaient été dérobées par P., d'entente avec C. Il est encore précisé que C. n'était pas en mesure de prendre part au vol parce qu'il n'était plus employé de la banque, contrairement à P. Cette répartition des rôles, imposée par des circonstances objectives, a fait l'objet d'une décision à laquelle, selon la cour cantonale, C. "s'est associé à titre principal"; la soustraction des bandes magnétiques était comprise dans cette décision et correspondait à l'intention de C., qui avait un intérêt personnel à ce que le dessein global conçu avec P. se réalise. Ainsi, selon les constatations de la cour cantonale, qui lient le Tribunal fédéral, la participation du recourant se révèle importante au stade de la décision mais aussi à celui d'autres actes nécessaires pour parvenir au but illicite, qui finalement n'a pas été atteint (
ATF 106 IV 297
,
ATF 99 IV 124
). Non seulement il a pris part personnellement à la remise des bandes magnétiques aux douaniers français (il est allé lui-même chercher l'une d'entre elles à l'endroit où P. - après le vol - l'avait déposée), mais il a encore, en tant qu'informaticien supérieur à P., tenté à plusieurs reprises, dans un centre informatique en France, d'atteindre le résultat dont dépendait leur rétribution. Dans ces circonstances, on ne voit pas comment le recourant pourrait sérieusement contester qu'il est coauteur
BGE 111 IV 74 S. 78
du vol.
La cour cantonale l'ayant à bon droit qualifié de coauteur, la question de la complicité ne se pose pas.
3.
La cour cantonale a aussi déclaré C. coupable de service de renseignements économiques (cas grave) en se fondant notamment sur la définition jurisprudentielle donnée aux
ATF 108 IV 46
. De façon erronée toutefois, cette autorité a compris que le Tribunal fédéral imposait au juge de prendre en considération la situation personnelle de l'auteur, les particularités et les circonstances de son cas afin de déterminer jusqu'à quel point son comportement est répréhensible et partant propre à constituer un cas grave. En réalité, cet arrêt précise, au contraire, que le juge doit appliquer l'
art 273 al. 3 CP
en recherchant objectivement, c'est-à-dire indépendamment de tous les éléments subjectifs propres à l'auteur, ce qui, selon cette disposition et son contexte, constitue l'essence du cas grave du délit de service de renseignements économiques. Il est vrai que la cour cantonale a également examiné la question sous cet angle, recherchant si l'auteur avait tenté de découvrir ou avait trahi des secrets privés d'ordre économique dont l'importance particulière, respectivement la valeur industrielle considérable, faisaient apparaître leur révélation comme propre à créer un sérieux danger - même d'une manière abstraite seulement - pour la sécurité nationale dans le domaine économique. Mais la cour cantonale ne peut être suivie lorsqu'elle introduit dans son raisonnement des considérations morales au sujet du caractère particulièrement répréhensible de la violation du devoir de fidélité du recourant pour démontrer qu'il y a cas grave. Toutefois, l'arrêt attaqué ne doit pas être annulé en raison de cette erreur; les autres motifs de l'autorité cantonale, qui forment la base principale de sa conclusion, reposent en effet sur le critère objectif précité. Dès lors, si ces autres motifs se révèlent fondés, ce qui doit encore être examiné, l'erreur de la cour cantonale n'aura pas eu d'influence déterminante sur l'issue de la cause.
4.
Le recourant ne conteste pas s'être rendu coupable de service de renseignements économiques, mais soutient qu'il ne s'agit pas d'un cas grave au sens de l'
art. 273 al. 3 CP
. Il rappelle que les bandes magnétiques devaient simplement permettre aux douanes françaises de faire fonctionner un ordinateur du même type que celui de l'UBS, but qui n'a pu être atteint d'une part en raison d'une incompatibilité entre la bande
BGE 111 IV 74 S. 79
Omega et la bande Syskorr, et d'autre part faute d'une modification du "hardware" que seul le constructeur Sperry Rand pouvait opérer. Le matériel remis aux douaniers français se serait ainsi révélé sans valeur; d'ailleurs, même si l'ordinateur français avait pu être mis en fonction grâce aux programmes d'exploitation volés, cela n'eût pas encore permis d'accéder à des données proprement dites, cela faute d'un programme d'application. Selon le recourant, l'arrêt attaqué admet que la présente affaire ne constitue pas un cas grave; si, plus loin, la cour cantonale finit par retenir le caractère de gravité par le détour de la violation du secret bancaire, elle oublie, d'après le recourant, qu'il a révélé un secret d'affaires aux douaniers français mais n'a nullement violé un secret bancaire.
a) Prétendre que l'autorité cantonale a elle-même admis à la p. 25 de son arrêt que le cas n'était pas grave est inexact. A cet endroit, la cour cantonale expose seulement que les renseignements divulgués en eux-mêmes n'auraient pas pu mettre sérieusement et concrètement en danger la sécurité nationale dans le domaine économique. Elle poursuit immédiatement: "D'une manière abstraite, sans doute, mais pour autant que soient réalisées des conditions dont les auteurs de la divulgation ne sont pas les maîtres." Cela suffit au regard de l'
art. 273 al. 3 CP
, car le service de renseignements économiques est un délit de mise en danger abstraite (
ATF 98 IV 211
).
b) Le recourant n'emporte pas la conviction lorsqu'il objecte que les bandes en cause n'ont été d'aucune valeur pour les douanes françaises. Il est exact que ces bandes ne comportaient aucun nom de clients de la banque ni d'indications au sujet de leurs comptes. Mais on y avait enregistré des programmes d'exploitation sans lesquels, par l'intermédiaire de programmes d'application, l'exploitation des données recueillies portant sur la clientèle de la banque est tout à fait impossible. Comme l'a constaté la cour cantonale, les bandes magnétiques volées permettaient - par les programmes qu'elles contenaient - des actes préparatoires nécessaires pour l'espionnage des données qui intéressaient les douanes françaises. Les programmes ainsi rendus accessibles aux douaniers français, qui constituaient en eux-mêmes des secrets commerciaux de l'UBS (voir
ATF 101 IV 199
consid. 4a;
ATF 98 IV 210
consid. a; P. SIDLER, Der Schutz von Computerprogrammen im Urheber- und Wettbewerbsrecht, thèse de Berne 1968, p. 57), comme l'admet le recourant, revêtaient ainsi une grande importance pour l'utilisateur et
BGE 111 IV 74 S. 80
constituaient, par là même, un objectif d'un grand intérêt pour l'espionnage économique (U. SIEBER, Computerkriminalität, Cologne 1977/1978, p. 11 et 99). Du reste, les efforts des douanes françaises pour disposer de ces programmes, fût-ce au prix d'une rétribution d'un montant élevé, viennent confirmer la valeur qu'elles y attachaient.
c) La révélation des programmes en cause a sans aucun doute mis en péril les intérêts économiques très importants d'une grande banque suisse. Les relations entre les banques et leurs clients dépendent dans une large mesure de la confiance de ces derniers dans la discrétion dont la banque fera preuve à l'égard des faits touchant à la sphère privée du client. Si disparaît la garantie que de tels faits, révélés ou appris, resteront secrets, disparaît du même coup la confiance à cet égard du client envers la banque, et s'effondre ainsi l'une des conditions essentielles d'une activité bancaire viable. En l'espèce, cet aspect de la confiance a été mis en danger par la révélation de programmes électroniques appartenant à l'UBS, programmes qui pouvaient et devaient ouvrir aux douaniers, en partie du moins, la voie vers des données connues de cette banque. De plus, l'UBS est une grande banque suisse dont le nom est associé de près, sur le plan international, à l'image des banques suisses dans leur ensemble; il s'ensuit qu'en permettant l'accès des douanes françaises aux programmes d'ordinateur, C. a mis en danger non seulement des secrets d'affaires privés de l'UBS mais aussi, dans une large mesure, les intérêts économiques de la Suisse (
ATF 108 IV 47
consid. 3). Ainsi, c'est avec raison que l'autorité cantonale l'a condamné en fonction de l'
art. 273 al. 3 CP
, cela indépendamment de la question du bien-fondé de ses références au secret bancaire.
5.
Le recourant s'en prend encore à sa condamnation pour complicité de tentative de violation du secret bancaire au sens des
art. 47 ch. 1 al. 1 LB
(RS 952.0) en liaison avec l'
art. 22 CP
. Il souligne que les bandes magnétiques ne contenaient que des programmes d'exploitation et que, faute de programmes d'application, les douanes françaises n'étaient pas en mesure d'accéder au contenu des bandes de données, qui seules renseignent sur les avoirs et les noms des clients. Le recourant reconnaît à ce sujet que P. et lui-même savaient que la livraison des programmes d'exploitation n'était qu'une phase de l'opération complexe projetée et destinée à réaliser le résultat voulu, soit d'obtenir des renseignements concernant les comptes et les avoirs
BGE 111 IV 74 S. 81
des ressortissants français à l'UBS. Il estime en revanche qu'il est absolument faux de constater, comme le fait la cour cantonale, que les coauteurs voulaient d'emblée "vendre" aux douanes françaises pour 500'000 FF tous les programmes permettant d'atteindre ce but, c'est-à-dire aussi bien les programmes d'exploitation que d'application, ainsi que les programmes de données; cette affirmation serait en contradiction absolue avec le jugement de première instance. Il est plus que probable, selon lui, que c'était bien là le but visé par les douaniers français, mais il n'aurait jamais été question que les accusés leur livrent autre chose que le logiciel de base (soit les programmes d'exploitation). Par conséquent, l'activité du recourant se serait limitée à la révélation d'un secret d'affaires de l'UBS en permettant aux douanes françaises de connaître le logiciel de base de cette banque. Il n'y aurait pas là de violation du secret bancaire, violation qui aurait impliqué la remise de bandes de données. L'appréciation de la cour cantonale serait non seulement erronée lorsqu'elle admet que le recourant s'était engagé à livrer aussi des programmes d'application et des bandes de données, mais encore lorsqu'elle donne à l'intention des douanes françaises une importance telle que ces dernières apparaissent en quelque sorte comme l'auteur principal, dont le recourant serait le complice. Le recourant soutient à cet égard que les intentions des douanes françaises ne peuvent pas lui être prêtées; seul P. pouvait être l'auteur principal du délit objectivement spécial de l'
art. 47 ch. 1 al. 1 LB
, P. dont les intentions étaient les mêmes que celles de C., c'est-à-dire qu'il n'avait jamais promis autre chose aux douanes françaises que la livraison des programmes d'exploitation de l'UBS. En l'absence de toute intention, de toute promesse et de tout acte d'exécution, on ne saurait considérer, selon le recourant, qu'il y ait eu tentative de violation du secret bancaire.
a) Ce que l'auteur savait, voulait ou avait l'intention de faire est, selon la jurisprudence, une question de fait dont la réponse, donnée par l'autorité cantonale, lie le Tribunal fédéral saisi d'un pourvoi en nullité et par conséquent ne peut lui être soumise dans le cadre de cette voie de droit (
ATF 107 IV 30
consid. 2a, 106 IV 114). Dès lors, le recourant n'est pas recevable à soutenir que P. et lui-même avaient pour intention de livrer aux douanes françaises le logiciel de base seulement, à l'exclusion des autres moyens propres à leur permettre d'accéder aux données concernant les clients de l'UBS. La cour cantonale a constaté expressément que la livraison par les condamnés des programmes d'exploitation
BGE 111 IV 74 S. 82
(logiciel de base) n'était qu'une phase de l'opération complexe destinée à obtenir des renseignements concernant les comptes et les avoirs des clients français de l'UBS, résultat que les coauteurs connaissaient et acceptaient; l'autorité cantonale a également retenu que cet épisode ne devait pas être isolé de son contexte, car il apparaît clairement que la livraison des programmes d'exploitation n'était qu'un "maillon de la chaîne" qui, avec d'autres opérations qui devaient suivre, auraient dû permettre au fisc français d'obtenir le résultat voulu. Un fonctionnaire des douanes françaises a expliqué clairement à P. qu'il pouvait obtenir une rétribution de 500'000 FF pour la livraison de l'adaptation du "système informatique de l'UBS", ce qui signifiait, selon l'arrêt attaqué, l'adaptation du système, non pas seulement d'une partie du système (logiciel de base); de plus, il était évident que les douanes françaises n'étaient pas prêtes à verser 500'000 FF pour la livraison de programmes dont elles ne pouvaient tirer aucun profit. Selon la décision attaquée, C. et P. connaissaient ce plan lorsqu'ils ont accepté de collaborer. Il s'ensuit que la livraison des bandes magnétiques volées sur lesquelles les programmes d'exploitation avaient été enregistrés constituait sans aucun doute la première phase d'une opération dont le but était, d'après les constatations souveraines de l'autorité cantonale, de permettre l'accès à des données, protégées par le secret bancaire, sur les relations entre l'UBS et sa clientèle française (voir SCHULTZ, Le secret bancaire et le traité d'entraide judiciaire en matière pénale conclu entre la Suisse et les Etats-Unis d'Amérique, cahier SBS no 11, 1976, p. 7).
b) Compte tenu de cet état de fait, en sa qualité d'employé de l'UBS, P. a indubitablement commencé l'exécution de l'infraction (
ATF 104 IV 181
consid. a). Qu'il n'ait pas poursuivi jusqu'au bout son activité coupable n'est dû qu'à la découverte de l'affaire. S'agissant de P., la cour cantonale a ainsi retenu avec raison le délit manqué.
Contrairement à P., C ne pouvait être qualifié d'auteur car l'
art. 47 ch. 1 al. 1 LB
ne prévoit comme tel qu'un membre d'un organe, un employé, un mandataire, un liquidateur ou un commissaire de la banque, qualités qu'il n'avait pas. Comme extraneus d'un délit spécial, il ne pouvait être poursuivi qu'en qualité de complice (SCHWANDER, op.cit., p. 139 n. 276), ce qui n'a pas échappé à la cour cantonale. Le complice étant punissable dès lors que l'auteur a commis au moins un acte punissable
BGE 111 IV 74 S. 83
comme tentative (O.A. GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, Zurich 1942, p. 201), ce qui est le cas ici, l'autorité cantonale a condamné avec raison C. du chef de complicité de tentative de violation du secret bancaire.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3bdef986-5d76-41f9-a104-4b3a512d853e | Urteilskopf
115 Ia 114
23. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 17 avril 1989 dans la cause U., R. et G. contre X. et consorts, Municipalité de Blonay et Commission cantonale de recours en matière de constructions du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; Bauvorschriften, willkürliche Anwendung einer Vorschrift über die Bauästhetik.
Die Anwendung einer Vorschrift über die Bauästhetik darf nicht dazu führen, dass die Zonenvorschriften praktisch ihre Bedeutung verlieren. Dies ist der Fall, wenn die Behörde, lediglich die Überarbeitung des allgemeinen Baukonzepts verlangt, ohne diesbezüglich konkrete Anweisungen zu erteilen, und zu verstehen gibt, dass jedes neue Projekt, dessen Dimensionen und Bauvolumen - obgleich reglementskonform - nicht reduziert seien, aussichtslos sei. | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 115 Ia 114 S. 115
U., R. et G. sont copropriétaires, sur le territoire de la commune de Blonay, d'une parcelle de 3718 m2 sise au lieu dit "En Champ Magnin", à proximité immédiate du hameau du Péage. Constitué par une série de bâtiments édifiés à différentes époques, en partie en ordre contigu, ce hameau se trouve au-dessous de la route cantonale conduisant à Châtel-St-Denis, au pied d'une colline arborisée, et il est classé dans la zone du village et des hameaux instituée par le plan d'extension communal. Aux termes de l'art. 5 du règlement d'exécution de ce plan (RPE), la zone précitée est réservée à l'habitation, aux commerces, à l'artisanat, aux hôtels, aux installations sportives et de loisirs, aux exploitations agricoles et viticoles de caractère artisanal et aux constructions d'utilité publique. Sous réserve de l'adoption d'un plan partiel d'extension, les nouveaux bâtiments - qui ne peuvent avoir plus de trois niveaux - doivent être construits en ordre non contigu, la hauteur des façades ne pouvant dépasser 9 m 50 (art. 7, 11 et 12). En vertu d'une clause d'esthétique particulière (art. 14), les transformations ou constructions nouvelles doivent s'harmoniser avec les constructions existantes, notamment dans la forme, les dimensions, les matériaux et les teintes, ainsi que dans les détails de la construction. La Municipalité peut refuser des constructions nouvelles qui porteraient atteinte aux bâtiments avoisinants ou au caractère des lieux.
Dès 1984, les copropriétaires ont élaboré des projets en vue de construire deux immeubles d'habitation collective sur leur parcelle. Le premier de ces projets, mis à l'enquête publique du 16 février au 1er mars 1985, a été retiré, notamment parce qu'il paraissait contrevenir à l'interdiction de bâtir de nouveaux immeubles en ordre contigu. Le second projet, mis à l'enquête publique du 3 au 13 juin 1986, a suscité l'opposition de X. et consorts. Il prévoyait l'édification de deux bâtiments de 14 x 26 m en plan comportant trois étages habitables au-dessus d'un niveau inférieur partiellement enterré et un niveau de combles non habitables; ces bâtiments, distants l'un de l'autre de 17 m, auraient été reliés organiquement entre eux par un parking souterrain. Le permis de construire, délivré par la Municipalité de Blonay le 23 juillet 1986,
BGE 115 Ia 114 S. 116
a été attaqué par les opposants auprès de la Commission cantonale de recours en matière de constructions du canton de Vaud (ci-après: la Commission cantonale). Par décision du 6 avril 1987, celle-ci l'a annulé parce que diverses prescriptions réglementaires n'étaient pas respectées et parce que les bâtiments prévus porteraient une atteinte manifeste au charme du quartier.
Le 26 juin 1987, les copropriétaires ont déposé auprès de la Municipalité de Blonay un troisième projet différant essentiellement des précédents par le traitement architectural des façades et des toitures. La volumétrie et la densité d'occupation n'étaient en revanche, dans l'ensemble, pas modifiées. Au cours de l'enquête publique, qui eut lieu du 18 août au 7 septembre 1987, X. et consorts se sont opposés à ce nouveau projet. Le 8 février 1988, la Municipalité de Blonay rejeta toutefois leurs oppositions et délivra le permis de construire. Elle a estimé, en substance, que le législateur communal avait voulu une certaine densification de l'habitat dans la zone du village et des hameaux et que les constructeurs s'étaient pliés aux réserves émises en matière d'esthétique par la juridiction de recours dans son prononcé du 6 avril 1987. Les opposants ont entrepris la décision communale devant la Commission cantonale qui, par prononcé du 28 septembre 1988, a admis leur recours et annulé le permis de construire. Agissant par la voie du recours de droit public, les copropriétaires U., R. et G. ont demandé au Tribunal fédéral d'annuler ce prononcé, pour violation notamment de l'
art. 4 Cst.
Le Tribunal fédéral a admis leur recours et annulé le prononcé attaqué, confirmant ainsi le permis de construire délivré le 8 février 1988.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) L'art. 14 RPE a la teneur suivante:
"Esthétique générale
Les transformations ou constructions nouvelles devront s'harmoniser avec les constructions existantes, notamment dans la forme, les dimensions, les matériaux et les teintes, ainsi que dans les détails de la construction. La Municipalité pourra refuser toutes transformations extérieures apportées à des bâtiments existants ou des constructions nouvelles qui porteraient atteinte aux bâtiments avoisinants ou au caractère des lieux."
Ce texte, qui s'applique spécialement aux zones du village et des hameaux instituées dans le plan des 6/13/20 mai 1975, ne se distingue guère de la clause d'esthétique générale de l'art. 46 RPE
BGE 115 Ia 114 S. 117
qui, applicable à toutes les zones, ordonne à la Municipalité de prendre toutes mesures pour éviter l'enlaidissement du territoire communal et de veiller particulièrement à ce que les transformations ou constructions nouvelles s'harmonisent avec le site et les constructions existantes, notamment dans la forme et les dimensions, les teintes, les matériaux et les détails de la construction. Mais on peut raisonnablement inférer de l'insertion, dans le chapitre du règlement qui se rapporte aux zones du village et des hameaux, de deux dispositions sur l'esthétique des bâtiments (art. 9 et 14) que le législateur communal entendait insister sur le devoir de la Municipalité de veiller de très près à la sauvegarde des anciens noyaux d'habitation de la commune. Cette insistance paraît se justifier dès lors que les art. 5 à 14 RPE laissent une liberté importante au propriétaire qui entend construire à l'intérieur ou à proximité immédiate de l'ancien village ou des hameaux, aucun indice d'occupation n'étant prévu pour ce secteur du territoire communal.
b) Dans la première décision qu'elle a rendue à l'encontre des recourants le 6 avril 1987, et à laquelle ceux-ci disent s'être conformés en présentant le projet litigieux, l'autorité intimée avait estimé que l'architecture des deux bâtiments n'était pas admissible à cause de leur identité, de leur monotonie et de leur régularité excessive, aggravées par la présence de balcons allongés formant des masses importantes sur les façades aval. L'impression d'une construction compacte et trop lourde lui avait paru encore accentuée par la profondeur des bâtiments. La décision relevait enfin qu'aucune recherche n'avait été faite pour tenter d'affiner l'aspect du projet et de lui donner un certain rythme. Ce défaut dans la conception générale du projet aurait été de nature à porter une grave atteinte au charme du quartier du Péage, Les recourants, qui n'ont pas attaqué cette première décision, en ont partiellement tenu compte, en agrémentant les façades de fausses corniches au-dessus du rez-de-chaussée et de chaînes d'angle, en modifiant les balcons et les ouvertures de fenêtres et en accroissant la pente de la toiture. Dans la décision attaquée, l'autorité intimée considère que ces mesures - qui, pour une partie d'entre elles, reviendraient simplement à donner quelques touches de "faux vieux" à la construction - ne suffisent pas à atténuer de manière satisfaisante le sentiment de lourdeur écrasante que donneraient les deux bâtiments, sentiment encore accentué par leur architecture rigoureusement identique; en outre, la succession
BGE 115 Ia 114 S. 118
presque ininterrompue de balcons en façade sud et les aménagements extérieurs ne s'harmoniseraient pas avec le cadre particulier de l'environnement immédiat du hameau du Péage. En définitive, on se trouverait en présence d'un projet occupant trop intensivement le sol.
c) Si le hameau du Péage n'est pas dépourvu d'un certain charme, ainsi que l'inspection locale a permis de le constater - en dépit des mauvaises conditions météorologiques dans lesquelles celle-ci s'est déroulée -, sa valeur architecturale d'ensemble n'apparaît pas de tout premier ordre. La Commission cantonale est arrivée à la même conclusion en relevant que les bâtiments existants ne présentaient pas des qualités architecturales ou esthétiques exceptionnelles. Certains de ceux-ci, tel l'ancien péage, peuvent susciter, il est vrai, quelque curiosité du point de vue historique; mais, à part cela, leur intérêt particulier n'est pour le moins pas évident. Au reste, selon les représentants de la commune, aucune mesure spécifique n'a été prise à ce jour et n'est envisagée pour protéger le hameau du Péage.
L'inspection locale a révélé par ailleurs que le type de bâtiments projetés est l'un de ceux que l'on rencontre dans la région, en zone du village et des hameaux, plus particulièrement à Blonay, dans le secteur de Bahyse, et au hameau des Chevalleyres. Dans son prononcé de 1984 relatif à l'immeuble K. et C., la Commission cantonale de recours constatait qu'un tel ouvrage - de mêmes dimensions que celui ici en cause - "ne constituerait pas en soi un corps étranger, insolite ou choquant" dans un cadre comme Les Chevalleyres qui, dans son ensemble, "présente une image paisible et séduisante, tenant à la fois du bourg rural et de la station préalpine de tourisme et de repos", tout en ne comportant pas moins "maintes constructions assez volumineuses".
d) Ainsi que l'autorité intimée l'a elle-même relevé, il appartient en premier lieu aux autorités locales de veiller à l'aspect architectural; celles-ci disposent dès lors, à cet égard, d'un large pouvoir d'appréciation (cf. arrêt commune de Rossinière du 16 avril 1986, consid. 3), et la Commission cantonale de recours ne saurait substituer sans autre son propre pouvoir d'appréciation. Elle s'impose en effet une certaine retenue dans les domaines où l'autorité municipale jouit, en fait et en droit, d'un large pouvoir d'appréciation. C'est le cas notamment en matière d'esthétique dans la mesure où il est question de remettre en cause les implantations, les dimensions, les masses et les hauteurs
BGE 115 Ia 114 S. 119
d'ouvrages définis par un plan de quartier ou un plan d'affectation partiel récent (cf. Droit vaudois de la construction, Lausanne 1987, n. 3.5 ad LATC 15, p. 64 et les références citées; arrêt non publié commune de Morrens du 8 juillet 1988, consid. 2a).
La Municipalité de Blonay a estimé, dans le cas particulier, que les constructeurs avaient tenu suffisamment compte des remarques de la Commission cantonale de recours concernant l'esthétique des constructions projetées. A comparer les plans des deux projets successifs, on doit constater que leur conception architecturale n'est certes pas fondamentalement différente. Des améliorations leur ont toutefois été apportées, que la juridiction intimée reconnaît d'ailleurs elle-même: "les ouvrages envisagés se verraient maintenant agrémentés de fausses corniches au-dessus du rez-de-chaussée, ainsi que de chaînes d'angles; le rythme et les dimensions des percements - désormais pourvus de petits carreaux et dont certains deviendraient des portes-fenêtres "à la française" - comme aussi le bois des balustrades des balcons seraient moins rébarbatifs; en outre, le volume des toitures - plus amples parce que plus pentues - conduirait à des proportions générales plus satisfaisantes". Compte tenu de ces éléments et de la valeur intrinsèque des bâtiments existant actuellement dans le quartier du Péage, on ne saurait dire que la Municipalité ait usé de son pouvoir d'appréciation d'une façon qui n'était pas conforme à son devoir.
D'après la jurisprudence, l'application d'une clause d'esthétique ne doit pas aboutir à ce que, de façon générale - par exemple pour tout un quartier ou tout un secteur de constructions - la réglementation sur les zones en vigueur soit vidée de sa substance. Si celle-ci tolère, comme dans le cas particulier (art. 12 RPE), un nombre de niveaux déterminé (trois en l'occurrence), il n'est pas admissible de n'autoriser systématiquement que les projets prévoyant un étage de moins au motif que ce serait là le seul moyen d'arriver à un bon effet d'ensemble (cf.
ATF 114 Ia 346
consid. b).
La Commission cantonale a considéré que, malgré les efforts entrepris par les recourants pour se conformer à sa décision précédente, la conception générale de leur projet devrait être redéfinie. Elle n'a pas dit toutefois ce qu'ils devraient faire concrètement à cet égard, se bornant à leur signaler qu'ils parviendraient plus facilement à de sensibles améliorations "s'ils consentaient à tirer des volumes prévus - en eux-mêmes admissibles - un parti plus modéré". La formule est vague; elle
BGE 115 Ia 114 S. 120
indique néanmoins avec suffisamment de netteté que tout nouveau projet des recourants - qui en sont à leur troisième version - sera voué à l'échec tant que ses dimensions et son volume - pourtant réglementaires - ne seront pas réduits. C'est là d'ailleurs l'objectif clairement avoué par les opposants lors de l'inspection locale. En substituant simplement sa propre appréciation à celle de la Municipalité et en conférant à la clause d'esthétique en question une portée qui vide pratiquement le principe de la légalité de sa substance, l'autorité cantonale est manifestement tombée dans l'arbitraire. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3be0fec9-9dfc-4341-b281-4afa1bc9f3d6 | Urteilskopf
120 Ib 299
42. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 17 août 1994 dans la cause C. contre O. et consorts (recours de droit public) | Regeste
Internationale Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht; Sicherheitsleistung für die Prozesskosten.
Begriff des Wohnsitzes im Sinn von Art. 17 der Internationalen Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht (E. 2).
Diese Bestimmung will einzig eine Ungleichbehandlung von Angehörigen eines Vertragsstaates und solchen des die Sicherheitsleistung verlangenden Staates verhindern (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 300
BGE 120 Ib 299 S. 300
A.-
Dans le cadre d'une action en paiement ouverte contre elle par les ressortissants portugais O. et consorts, la défenderesse a requis le Tribunal civil de l'arrondissement de la Sarine d'astreindre les demandeurs à lui fournir des sûretés pour les dépens présumés du procès.
Par décision du 25 novembre 1993, la juridiction saisie a rejeté cette requête, considérant que l'art. 17 de la Convention de La Haye relative à la procédure civile du 1er mars 1954 (RS 0.274.12, ci-après: la convention) dispense les intimés de l'obligation de fournir des sûretés.
B.-
La requérante forme un recours de droit public au sens de l'
art. 84 al. 1 let
. c OJ contre cette décision, concluant à l'annulation de celle-ci. Elle se plaint d'une violation de l'art. 17 de la convention. Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En vertu de l'
art. 117 al. 1 let. a CPC
/FR, le demandeur est tenu, à la requête de la partie adverse, de lui fournir des sûretés pour les dépens présumés du procès, notamment s'il n'a pas de domicile en Suisse. L'
art. 117 al. 2 CPC
/FR réserve les conventions internationales.
Aux termes de l'art. 17 al. 1 de la convention, aucune caution ni dépôt, sous quelque dénomination que ce soit, ne peut être imposé, à raison soit de leur qualité d'étrangers, soit du défaut de domicile (Wohnsitz) ou de résidence (Aufenthalt) dans le pays, aux nationaux d'un des Etats contractants, ayant leur domicile (Wohnsitz) dans l'un de ces Etats, qui seront demandeurs ou intervenants devant les tribunaux d'un autre de ces Etats. Tant la Suisse que le Portugal, pays d'origine des intimés, que l'Allemagne, pays où ceux-ci se trouvent actuellement, sont parties à la convention.
Le Tribunal civil de la Sarine a considéré que la condition du "domicile dans l'un de ces Etats" de l'art. 17 de la convention doit être interprétée selon le droit allemand, en vertu de l'art. 52 al. 2 de la Convention de Lugano (RS 0.275.11); et, comme ce droit est très souple en matière de domicile, il y aurait de grandes chances pour qu'il reconnaisse l'existence
BGE 120 Ib 299 S. 301
d'un domicile des intimés en Allemagne. Le tribunal a toutefois laissé ouverte la question de l'existence effective d'un domicile en Allemagne car, selon lui, les intimés y ont de toute façon leur résidence habituelle et celle-ci suffit, conformément à l'
art. 20 LDIP
(RS 291), pour que l'art. 17 de la convention soit applicable. La recourante soutient que la notion de domicile de l'art. 17 de la convention ne doit être interprétée qu'en fonction du texte, de la systématique et du but de cette convention et que ni la LDIP, ni la Convention de Lugano, qui ont été adoptées bien plus tard, ne peuvent contribuer à cette interprétation. La notion de domicile devrait donc être comprise dans un sens strict et, puisque les intimés n'ont pas leur domicile en Allemagne, et qu'il est d'ailleurs douteux qu'ils y aient leur résidence habituelle, l'art. 17 de la convention ne pourrait les dispenser de l'obligation de fournir des sûretés.
a) La notion du domicile au sens de l'art. 17 de la convention ne doit pas se comprendre selon la lex fori. En d'autres termes, dans le cas de la Suisse, il ne faut pas interpréter cette notion en s'appuyant sur l'
art. 20 al. 1 let. a LDIP
. Celle-ci doit être déterminée de façon autonome, eu égard notamment au but poursuivi par le traité (Message concernant une loi fédérale sur le droit international privé du 10 novembre 1982, FF 1983 I 308/309; KELLER/KREN KOSTKIEWICZ, IPRG-Kommentar, n. 24 ad
art. 20 LDIP
).
C'est à la demande de la Suisse que la conférence de La Haye a introduit (dans l'art. 11, qui a été textuellement repris tant par l'art. 17 de la convention de 1905 que par le même art. 17 de celle de 1954) la réserve stipulant que le demandeur qui veut être dispensé de la caution doit être domicilié dans l'un des Etats contractants. Cette réserve est le corrélatif nécessaire de la règle posée à l'art. 18 (art. 12 de la convention de 1896), conférant force exécutoire au jugement relatif aux frais et dépens (FF 1898 II 654; BÜLOW/BÖCKSTIEGEL/GEIMER/SCHÜTZE, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelsverkehr, A I 1a, 100 p. 26 in fine et note 123). Ainsi, par l'art. 17 de la convention, les Etats contractants ont pu renoncer à l'obligation de fourniture des sûretés parce qu'en même temps l'art. 18 prévoyait que les condamnations aux frais et dépens du procès seraient exécutoires dans les autres Etats contractants (
ATF 94 I 358
consid. 4 p. 363;
ATF 61 I 358
). Dans l'application de la convention toutefois, les obligations des art. 17 et 18 subsistent indépendamment l'une de l'autre (
ATF 61 I 358
). La notion de domicile ne doit donc pas être interprétée non plus selon la lex domicilii, c'est-à-dire en tenant compte de la possibilité d'obtenir l'exécution du jugement dans l'Etat en
BGE 120 Ib 299 S. 302
question. D'ailleurs, conformément à l'art. 18 al. 1 de la convention, l'Etat contractant doit également exécuter le jugement sur dépens rendu à l'encontre d'un demandeur dispensé de fournir caution en vertu "de la loi de l'Etat où l'action est intentée", et ce sans condition de domicile.
Dans l'arrêt non publié M. B.-V. contre B. L. S.A. du 15 avril 1994, le Tribunal fédéral a jugé que la notion du domicile de l'art. 17 de la convention ne diffère pas par son contenu de celle de l'
art. 23 CC
, ce qui signifie qu'elle ne prend pas en compte un domicile fictif, ni un domicile dérivé.
La notion de domicile n'est toutefois pas fondamentalement différente de celle de résidence habituelle (cf. la Résolution No 72 du Conseil de l'Europe du 18 janvier 1972, in RCDIP 1973, p. 847-848). En droit international privé et en particulier dans les conventions internationales de La Haye élaborées depuis 1951, le rattachement au domicile est de plus en plus souvent remplacé par celui à la résidence habituelle (KNOEPFLER/SCHWEIZER, Précis de droit international privé suisse, p. 151 n. 449; BUCHER, n. 49-50 ad
art. 24 CC
). Ainsi, l'art. 32 de la convention et l'art. 16 de la Convention relative au statut des réfugiés du 28 juillet 1951 (RS 0.142.30) se basent expressément sur la résidence habituelle du demandeur. Cette dernière notion permet en effet d'éliminer les divergences entre les réglementations des divers pays concernant les règles posées aux
art. 23 al. 2, 24 et 26 CC
, étant entendu que cette notion correspond pour le surplus à celle prévue à l'
art. 23 al. 1 CC
(BUCHER, n. 49-50 ad
art. 24 CC
).
En conséquence, pour que l'on puisse admettre l'application de l'art. 17 de la convention, il faut que le demandeur ait son domicile ou sa résidence habituelle dans l'un des Etats contractants (BÜLOW/BÖCKSTIEGEL/GEIMER/SCHÜTZE, op.cit., A I 1b, 101 p. 17 note 77 et p. 18 note 84; A I 1a, 100 p. 25). Il s'agit donc de déterminer objectivement, en se fondant sur des circonstances reconnaissables pour les tiers, où se trouve le lieu où le demandeur réside de manière durable, c'est-à-dire de rechercher où se situe le centre de ses intérêts vitaux, le centre de ses relations personnelles et professionnelles (cf. la Résolution No 72 du Conseil de l'Europe susmentionnée).
Conformément à l'
art. 8 CC
, celui qui revendique un domicile déterminé doit établir les faits d'où il entend déduire son domicile; il supporte les conséquences de l'absence de preuve, quand bien même la détermination du domicile résulte du principe de la maxime d'office (BUCHER, Vorbemerkungen
BGE 120 Ib 299 S. 303
vor
Art. 22-26 CC
, n. 75).
b) En l'espèce, les intimés n'ont pas produit les attestations officielles faisant état de leur domicile actuel en Allemagne, que le président du tribunal avait requises. Sur la base d'une attestation fournie par l'employeur des intimés, l'autorité cantonale a retenu que ceux-ci travaillent pour l'entreprise R. S.A. sur des chantiers en Allemagne, qu'ils n'ont pas de domicile fixe puisqu'ils se déplacent de chantier en chantier et vivent à l'hôtel et que l'adresse du bureau de leur employeur à Cologne leur sert de relais postal. L'autorité cantonale en a déduit à tort que les intimés ont leur résidence habituelle en Allemagne. De telles circonstances ne sont en effet pas constitutives d'un domicile effectif et elles ne le sont pas non plus d'une résidence habituelle.
Partant, l'art. 17 de la convention ne dispense pas les intimés de l'obligation de fournir des sûretés.
3.
a) Au demeurant, l'art. 17 de la convention entend seulement empêcher qu'un étranger ressortissant d'un pays signataire soit traité plus mal que le ressortissant du pays pour la raison qu'il est étranger ou ne possède ni domicile ni résidence dans le pays (
ATF 93 I 278
consid. 4). En d'autres termes, il vise simplement à placer sur un pied d'égalité les ressortissants d'un Etat contractant et les nationaux (
ATF 58 I 310
; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3e éd., 11 n. 46 p. 265; LEUCH, Kommentar zur Berner Zivilprozessordnung, 3e éd., n. 4 ad art. 70; BROSSET, La cautio judicatum solvi selon l'article 17 al. 1 de la Convention de La Haye concernant la procédure civile et la jurisprudence du Tribunal fédéral, Mémoires de la Faculté de droit de Genève No 27, 1969, p. 2). Il ne change donc rien aux dispositions de procédure cantonale qui imposent la prestation de sûretés à tout demandeur, sans égard à sa nationalité, son domicile ou sa résidence (FF 1898 II 655;
ATF 26 I 480
/482;
ATF 93 I 278
; ZR 84/1985 Nr. 13 p. 45; STEIN/JONAS, ZPO, n. 26 ad § 110 note 44, n. 31 ad § 328 note 43).
Par conséquent, comme l'art. 17 ne doit pas placer l'étranger (ou celui qui n'a ni domicile ni résidence en Suisse) dans une situation plus favorable que celle qui est faite au national (ou à celui qui a son domicile ou sa résidence en Suisse) par tel code ou loi de procédure civile cantonal ou fédéral (BROSSET, op.cit., p. 2), il ne peut dispenser des ressortissants étrangers de l'obligation de fournir caution alors que l'
art. 117 al. 1 let. a CPC
/FR n'en dispenserait pas les ressortissants suisses.
BGE 120 Ib 299 S. 304
b) Or, seul un domicile effectif en Suisse au sens de l'
art. 23 al. 1 CC
permet de dispenser le demandeur suisse de l'obligation de fournir des sûretés en application de l'
art. 117 al. 1 let. a CPC
/FR (dans ce sens, cf.
ATF 117 Ia 292
consid. 3b et les références; cf. également POUDRET, COJ n. 2.2. ad art. 150; BROSSET, op.cit., p. 7). Si donc, par hypothèse, des ouvriers suisses se trouvaient dans la même situation que les intimés, c'est-à-dire se déplaçaient de chantier en chantier en Suisse, ils ne pourraient être dispensés de l'obligation de fournir des sûretés, la condition du domicile de l'
art. 117 al. 1 let. a CPC
/FR n'étant pas remplie. Il en découle que les intimés, qui sont de nationalité étrangère, ne peuvent être dispensés de la fourniture de sûretés par l'art. 17 de la convention puisque des nationaux ne pourraient pas l'être dans les mêmes conditions de fait par l'
art. 117 al. 1 let. a CPC
/FR. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3be11dcb-60bf-4ab3-bd48-d6e552628e55 | Urteilskopf
100 Ib 181
29. Urteil vom 3. April 1974 i.S. Kanton Zürich gegen Baugenossenschaft Asig und Mitbeteiligte und Präsident der Eidgenössischen Schätzungskommission Kreis 10 | Regeste
Enteignung für den Nationalstrassenbau. Sistierung des Verfahrens.
Der Präsident der Eidg. Schätzungskommission ist nicht befugt, ein eingeleitetes Enteignungsverfahren zu sistieren bis zum Entscheid darüber, ob ein anderes als das genehmigte Ausführungsprojekt ausgeführt wird.
- Kompetenzen des Präsidenten im Rahmen seiner Prüfungsbefugnis nach
Art. 29 EntG
(Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen solche Verfügungen, Erw. 1a) (Erw. 2).
- Kompetenzen des Präsidenten bei nachträglichen Einsprachen nach
Art. 39 EntG
sowie Art. 19, 20 VSchK (Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen solche Verfügungen, Erw. 1b). Im Enteignungsverfahren nach NSG sind nachträgliche Einsprachen gegen die Enteignung direkt bei der Plangenehmigungsbehörde einzureichen. Der Präsident entscheidet nicht, wie sonst nach Art. 19 VSchK, über ihre Zulässigkeit. | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 100 Ib 181 S. 182
A.-
Das Eidg. Departement des Innern genehmigte gestützt auf Art. 28 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG) am 28. September 1972 das vom Regierungsrat des Kantons Zürich im Einspracheverfahren bereinigte Ausführungsprojekt für die N 1/N 1.1.2, Verkehrsdreieck Aubrugg, Abschnitt Stadt Zürich, am 29. November 1972 dasjenige für die N 1/SN 1.4.4, Milchbucktunnel Nord bis Verkehrsdreieck Aubrugg, Abschnitt Schöneichstrasse bis Verkehrsdreieck Aubrugg. Am 15. Dezember 1972 bzw. 20. Februar 1973 übermittelte die Baudirektion des Kantons Zürich gemäss
Art. 39 Abs. 2 NSG
die Pläne dieser Ausführungsprojekte samt Enteignungsplänen und Grunderwerbstabellen dem Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission Kreis 10, damit dieser die Unterlagen prüfe und das Planauflageverfahren veranlasse. In der Folge stellte der Präsident die Pläne und Verzeichnisse dem Stadtrat Zürich zur öffentlichen Auflage zu.
Innert der 30tägigen Eingabefrist erhoben die Baugenossenschaft Asig und die Bau- und Holzarbeiter-Genossenschaft, welche für die N 1/N 1.1.2 Land abzutreten haben, und die Baugenossenschaften Asig, Luegisland und Glattal, welche für die N 1/SN 1.4.4 Land abzutreten haben, beim Präsidenten der Schätzungskommission Kreis 10 Beschwerde. In beiden Beschwerden wurden, sei es im Haupt- oder Nebenantrag, die
BGE 100 Ib 181 S. 183
gleichen rechtlichen Begehren gestellt. Alle Enteigneten - mit Ausnahme der Baugenossenschaft Glattal - verlangten, dass wegen vorhandener bzw. bei erneuter Überprüfung sich allenfalls ergebender Nichtübereinstimmung der Pläne mit dem genehmigten Ausführungsprojekt die Planauflage zu wiederholen und ihnen zur Einreichung ihrer Entschädigungsforderungen neu Frist anzusetzen sei. Sodann wurde beantragt, das eingeleitete Schätzungsverfahren so lange zurückzustellen, bis die im Gange befindliche Neuprojektierung der N 1.1.2 im Abschnitt des Verkehrsdreieckes Wallisellen/Überlandstrasse bzw. der SN 1.4.4 Teilstück Tulpenstrasse/Losgrenze stadtauswärts, durch welche die Autobahn von bisher sechs auf vier Spuren reduziert werden solle, abgeschlossen sei und ein rechtsgültiges neues Ausführungsprojekt vorliege.
B.-
Mit Verfügungen vom 27. September 1973 sistierte der Präsident der Eidg. Schätzungskommission Kreis 10 die Enteignungsverfahren in den die Enteigneten betreffenden, im emzelnen näher umschriebenen, Nationalstrassenabschnitten, "bis darüber entschieden ist, ob das in Auftrag gegebene neue Projekt, durch welches die Nationalstrasse von bisher 6 auf 4 Spuren herabgesetzt werden soll, zur Ausführung kommt".
Wie der Begründung der beiden Entscheide im wesentlichen zu entnehmen ist, stützt sich der Präsident der Schätzungskommission (im folgenden auch kurz SchK) auf die ihm nach
Art. 29 EntG
zustehende Prüfungspflicht. Nach seiner Ansicht ist davon auszugehen, dass es sich bei den seinerzeit eingereichten und bereits aufgelegten Plänen zufolge veränderter Verhältnisse aller Voraussicht nach gar nicht um das tatsächlich zur Ausführung bestimmte Projekt handle. Wie unbestritten sei, plane nämlich der Enteigner nicht mehr, das den eingereichten Plänen entsprechende Projekt auszuführen, sondern vorläufig lediglich eine von 6 auf 4 Spuren verkleinerte Nationalstrasse; er habe bereits den Auftrag erteilt, andere Pläne zu erstellen und das Eidg. Departement des Innern um Genehmigung einer entsprechenden Änderung des Projektes ersucht. Bei dieser Sachlage sei dem Begehren der Enteigneten, das Schätzungsverfahren so lange nicht an die Hand zu nehmen, bis die im Gange befindliche Neuprojektierung abgeschlossen und über eine neues Ausführungsprojekt entschieden sei, zu entsprechen. Da sich ein reduziertes Ausführungsprojekt anders auf die Enteigneten auswirken werde als das
BGE 100 Ib 181 S. 184
am 23. Februar 1973 bzw. 30. März 1973 aufgelegte Projekt und für das neue Projekt eine neue Planauflage zu erfolgen habe, werde das weitere Begehren, die Planauflage für das gegenwärtige Projekt zu wiederholen, gegenstandslos.
C.-
Der Kanton Zürich, vertreten durch die Direktion der öffentlichen Bauten, Tiefbauamt, hat gegen diese beiden Entscheide des Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission Kreis 10 vom 27. September 1973 Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Im Hauptantrag wird verlangt, die angefochtenen Verfügungen aufzuheben und die Eidg. Schätzungskommission anzuweisen, das Schätzungsverfahren umgehend an die Hand zu nehmen.
D.-
Die Enteigneten haben sich mit dem Antrag auf Abweisung vernehmen lassen. Der Präsident der Eidg. Schätzungskommission Kreis 10 beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 98 lit. f OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen eidgenössischer Kommissionen grundsätzlich zulässig, soweit das.Bundesrecht unmittelbar gegen ihre Verfügungen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Zwischenverfügungen, wie sie hier in Frage stehen, sind mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur anfechtbar, wenn der instanzabschliessende Hauptentscheid es ist (
Art. 101 lit. a OG
, Art. 45 Abs. 2 lit. c VwG; BGE 99 I b 415/6 mit Verweisungen). Ob gegen die angefochtenen Sistierungsverfügungen des Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben ist, hängt somit davon ab, ob das Enteignungsgesetz dieses Rechtsmittel gegen den Entscheid des Präsidenten über Einwände gegen die aufgelegten Pläne, wie sie von den Enteigneten erhoben wurden, zulässt.
a) Nach der Begründung der angefochtenen Verfügungen hat der Präsident der SchK das Enteignungsverfahren anlässlich der ihm nach
Art. 29 EntG
obliegenden Prüfung der Pläne und Verzeichnisse sistiert. Gegen Verfügungen, die der Präsident der SchK gestützt auf
Art. 29 EntG
trifft, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, auf welche das Gesetz im Falle ihrer Zulässigkeit jeweils ausdrücklich hinweist, nicht
BGE 100 Ib 181 S. 185
gegeben (vgl.
Art. 76 und 77 EntG
, Art. 19 der Verordnung für die eidg. Schätzungskommissionen vom 24. April 1972 [VSchK]; HESS, Kommentar zum Enteigungsgesetz, Bern 1935, zu
Art. 29 N 8
). Demnach kann auch die Sistierungsverfügung nicht mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden.
b) Der Sache nach hat der Präsident der SchK das Enteignungsverfahren jedoch sistiert bis zum Entscheid über eine Frage, die gar nicht Gegenstand seiner Prüfungsbefugnis im Rahmen von
Art. 29 EntG
sein kann. Die Enteigneten verlangten in ihren Beschwerden die Sistierung des Enteignungsverfahrens, weil voraussichtlich ein anderes, kleineres als das genehmigte Ausführungsprojekt verwirklicht werde und mithin die Enteignung in einem weiteren als dem tatsächlich nötigen Umfang durchgeführt würde, und dem Begehren wurde auch aus diesem Grunde stattgegeben. Die Behauptung, das Werk, das erstellt werde, entspreche nicht dem der Enteignung zugrundeliegenden genehmigten Ausführungsprojekt, ist aber ein Einwand gegen die Enteignung (
Art. 30 lit. a und b EntG
; HESS, Kommentar zu
Art. 30 EntG
N 9); sie könnte, da nach
Art. 39 Abs. 2 NSG
solche Einsprachen gegen die Enteignung ausgeschlossen sind, höchstens mit einer nachträglichen Einsprache gemäss
Art. 39 EntG
erhoben werden (dazu Erw. 3). Da der Entscheid des Präsidenten der Schätzungskommission über die Zulässigkeit einer nachträglichen Einsprache der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegt (Art. 19 Abs. 2 VSchK), so ist diese auch gegeben gegen die vom Präsidenten aus Anlass eines nachträglichen Einsprachebegehrens verfügte Sistierung des Enteigungsverfahrens. Massgebend ist dabei die Beschwerdefrist von 10 Tagen (
Art. 115, 106 Abs. 1 OG
), die vorliegend auch eingehalten worden ist.
c) Wird in rein formaler Betrachtungsweise einzig darauf abgestellt, dass der Präsident der SchK die streitigen Verfügungen im Rahmen seiner Tätigkeit gemäss
Art. 29 EntG
erlassen hat, so kann nach dem Gesagten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Unzulässigkeit nicht eingetreten werden. Wird dagegen das Gewicht darauf gelegt, dass der Präsident der Sache nach das Enteignungsverfahren auf ein Vorbringen der Enteigneten hin sistiert hat, das nur Gegenstand einer nachträglichen Einsprache sein kann, so ist auf die
BGE 100 Ib 181 S. 186
Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten. Welchem Standpunkt der Vorzug zu geben ist, braucht indessen nicht entschieden zu werden. Denn die Eingabe des Enteigners kann, wenn nicht als Verwaltungsgerichtsbeschwerde, so jedenfalls als Aufsichtsbeschwerde gestützt auf
Art. 63 EntG
entgegengenommen werden, und das Bundesgericht kann die beanstandeten Sistierungsverfügungen als Aufsichtsbehörde über die Eidg. Schätzungskommissionen und ihrer Präsidenten überprüfen (
BGE 96 I 295
Erw. 2,
BGE 96 I 93
,
BGE 67 I 176
Erw. 4; HESS, Kommentar zu
Art. 29 EntG
N 8).
2.
Nach
Art. 29 EntG
in Verbindung mit
Art. 39 NSG
übermittelt die zuständige kantonale Behörde dem Präsidenten der Schätzungskommission die Pläne des nach Behandlung der Einsprachen genehmigten Ausführungsprojektes, unter Beifügung des Enteignungsplanes und der Grunderwerbstabelle. Der Präsident prüft, ob Pläne und Verzeichnisse den Vorschriften des
Art. 27 EntG
entsprechen, verfügt allfällige Ergänzungen und stellt sie sodann den einzelnen Gemeinderäten zur Auflage zu. Findet ein von der Enteignung Betroffener, dass die Pläne trotz der vom Präsidenten nach
Art. 29 EntG
von Amtes wegen vorgenommenen Prüfung unvollständig sind, so kann er innert der mit der Planauflage angesetzten Eingabefrist deren Ergänzung verlangen (
Art. 30 Abs. 1 und 4 EntG
, für das abgekürzte Verfahren Art. 17 Abs. 2 VSchK). Diese Vorprüfung durch den Präsidenten ist eine rein formale. Sie bezieht sich einzig darauf, ob der Werkplan, welcher nach
Art. 39 Abs. 2 NSG
und Art. 24 VVNSG mit dem nach Behandlung der Einsprachen genehmigten Ausführungsprojekt identisch ist, den Anforderungen des
Art. 27 EntG
entspricht und ferner, ob der Enteignungsplan und die Grunderwerbstabelle mit dem Werkplan sowie mit dem Grundbuch oder sonstigen öffentlichen Büchern übereinstimmen (vgl. HESS, Kommentar zu
Art. 29 EntG
N 3).
In den vorliegenden Fällen hat der Präsident der SchK Kreis 10 bei der Prüfung der ihm von der kantonalen Baudirektion eingereichten Pläne und Verzeichnisse offenbar keine Unstimmigkeiten gefunden, denn er hat sie ohne Änderungen dem Stadtrat Zürich zur Auflage übermittelt. Die Enteigneten machten mit ihrer Beschwerde jedoch geltend, dass die veröffentlichten Pläne in verschiedener Hinsicht nicht dem genehmigten Ausführungsprojekt entsprächen. Diese Vorbringen,
BGE 100 Ib 181 S. 187
die mit dem Antrag auf nochmalige Überprüfung und Berichtigung der Pläne und alsdann Wiederholung der Planauflage verbunden waren, hätte der Präsident nach
Art. 30 Abs. 4 EntG
bzw. Art. 17 Abs. 2 VSchK materiell behandeln sollen. Er tat dies nicht, weil er, dem weiteren Begehren der Enteigneten folgend, mit Rücksicht auf eine möglicherweise erfolgende Änderung des genehmigten Ausführungsprojekts das Enteignungsverfahren glaubte aussetzen zu müssen. Mit dieser Sistierung hat er aber eine Verfügung getroffen, die nicht mehr im Zusammenhang mit den nach Art. 29 bzw. 30 Abs. 4 EntG zu beurteilenden Fragen und daher ausserhalb der ihm nach diesen Vorschriften zukommenden Befugnisse steht. Er hat nur zu überprüfen, ob die Pläne und Verzeichnisse dem genehmigten Ausführungsprojekt entsprechen. Mit dem Ausführungsprojekt selbst und der Rechtmässigkeit der Enteignung hat er sich nicht zu befassen. Gerade dagegen richtet sich aber der Einwand der Enteigneten, das eingeleitete Enteignungsverfahren beruhe auf einem genehmigten Ausführungsprojekt für ein grösseres als das voraussichtlich tatsächlich zu erstellende Werk, so dass mehr Land als wirklich benötigt enteignet würde. Das ist eine Einsprache gegen die Enteignung im Sinne von
Art. 30 lit. a und b EntG
(vgl. HESS, Kommentar zu
Art. 30 EntG
N 9). Einsprachen gegen die Enteignung (lit. a) sowie Begehren, die eine Planänderung bezwecken (lit. b), sind nach
Art. 39 Abs. 2 NSG
im Enteignungsverfahren für den Nationalstrassenbau überhaupt ausgeschlossen. Die Frage, ob der Präsident der SchK das Enteignungsverfahren allenfalls mit Rücksicht auf die eingegangene Einsprache gegen die Enteigung hätte sistieren dürfen, stellt sich daher nicht.
3.
In dem Einwand der Enteigneten, man führe das Enteignungsverfahren aufgrund eines Ausführungsprojektes durch, das wahrscheinlich dem tatsächlich vorgesehenen Werk nicht mehr entsprechen und daher durch ein neues zu ersetzen sein werde, kann somit nur eine nachträgliche Einsprache im Sinne von
Art. 39 EntG
gesehen werden, und es ist zu prüfen, ob die angefochtenen Sistierungsverfügungen im Rahmen der dem Präsidenten der SchK in diesem Zusammenhang zukommenden Kompetenzen liegen.
Nach
Art. 39 EntG
kann die nachträgliche Einsprache beim Präsidenten der SchK angebracht werden, der über ihre Zulässigkeit
BGE 100 Ib 181 S. 188
entscheidet und sie sodann dem zuständigen Departement zur materiellen Behandlung übermittelt (Art. 19, 20 VSchK). Diese Regelung entspricht der im EntG getroffenen Ordnung für die Behandlung der Einsprachen gegen die Enteignung, wonach diese zuerst vom Präsidenten der SchK zu behandeln sind. Die Einsprachen gegen die Enteignung im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 lit. a und b EntG
werden nach der Einleitung des Enteignungsverfahrens erhoben und sind, neben den Begehren nach
Art. 7-10 EntG
und den Entschädigungsforderungen, Gegenstand der Einigungsverhandlung. Der Präsident soll versuchen, eine Verständigung herbeizuführen. Kommt eine gütliche Einigung nicht zustande, übermittelt er die Einsprache dem zuständigen Departement zur Entscheidung (
Art. 45, 48, 50 EntG
). Wenn der Präsident der SchK die nachträglichen Einsprachen nur auf ihre Zulässigkeit hin überprüft und im übrigen von Anfang an dem zuständigen Departement zur materiellen Behandlung übergibt, so deshalb, weil in der Regel die Einigungsverhandlung und damit die Möglichkeit einer gütlichen Erledigung bereits vorbei ist.
Beim Landerwerb für den Nationalstrassenbau dagegen erfolgen die Behandlung der Einsprachen und die Enteignung in zwei sowohl nach Zuständigkeit als auch in zeitlicher Hinsicht getrennten Verfahrensabschnitten. Die Einsprachen werden vor der Einleitung des Enteignungsverfahrens im Plangenehmigungsverfahren behandelt. Sie sind beim Kanton zu erheben und werden von der zuständigen kantonalen Behörde, welche Plangenehmigungsbehörde ist, entschieden (
Art. 27 NSG
). Erst wenn die Einsprachen erledigt und die Pläne, sofern notwendig, bereinigt und hierauf vom Departement des Innern genehmigt sind (
Art. 28 NSG
), wird das Enteignungsverfahren eingeleitet und beginnt die Tätigkeit des Präsidenten der Schätzungskommission. Das Enteignungsverfahren beschränkt sich auf die Behandlung der angemeldeten Entschädigungsforderungen, und mit Einsprachen gegen die Enteignung gemäss
Art. 30 lit. a und b EntG
hat sich der Präsident der SchK überhaupt nicht zu befassen (
Art. 39 Abs. 2 NSG
). Es wäre deshalb sachwidrig, wenn der Präsident der SchK nachträgliche Einsprachen entgegenzunehmen hätte, wie Art. 10 VSchK es vorsieht. Nach dem Sinn der im NSG besonders ausgestalteten Verfahrensordnung sind sie direkt
BGE 100 Ib 181 S. 189
bei der Plangenehmigungsbehörde einzureichen, und der Präsident der SchK hat auch über ihre Zulässigkeit nicht zu entscheiden. Erweist sich eine dem Präsidenten eingereichte Eingabe als nachträgliche Einsprache, so hat er sie der zuständigen kantonalen Behörde zu übermitteln, ohne darüber irgend etwas zu befinden.
Indem der Präsident der SchK Kreis 10 das Enteignungsverfahren sistierte bis zum Entscheid darüber, ob das genehmigte Ausführungsprojekt der Nationalstrasse mit 6 Spuren oder ein auf 4 Spuren reduziertes Projekt ausgeführt werde, hat er sich jedoch über die mit dem Einsprachebegehren aufgeworfene materielle Frage ausgesprochen. Er hat damit nämlich bereits entschieden, dass im Falle des Baus einer auf 4 Spuren reduzierten Nationalstrasse das Ausführungsprojekt bzw. der Werkplan entsprechend abzuändern und die Enteignung aufgrund eines neuen Projektes durchzuführen sei. Darüber hat aber gerade die Plangenehmigungsbehörde, der Zürcher Regierungsrat, zu befinden. Der Präsident der SchK hat somit seine Befugnisse überschritten.
Eine andere Frage ist, ob der Präsident allenfalls befugt wäre, das Enteignungsverfahren zu sistieren, bis die von ihm an die Plangenehmigungsbehörde weitergeleitete nachträgliche Einsprache erledigt ist. Das Gesetz scheint jedoch eher dagegen zu sprechen. Denn nach
Art. 52 EntG
in seiner Fassung von 1971 ist trotz Hängigkeit einer Einsprache gegen die Enteignung das Schätzungsverfahren über davon abhängige Entschädigungsansprüche nach Möglichkeit fortzusetzen, was im Falle einer nachträglichen Einsprache kaum weniger gelten kann und insbesondere im Verfahren nach dem NSG, das die Einsprachen gegen die Enteignung vom Enteignungsverfahren völlig lostrennt, zu beachten wäre.
4.
Da der Präsident der SchK Kreis 10 weder im Rahmen seiner Überprüfung der Pläne und Verzeichnisse nach
Art. 29 EntG
noch im Zusammenhang mit dem nachträglichen Einsprachebegehren befugt war, das Enteignungsverfahren bis zum Entscheid darüber, ob ein neues Projekt für eine 4- statt 6-spurige Nationalstrasse ausgeführt wird, zu sistieren, sind die angefochtenen Verfügungen aufzuheben. Der Präsident wird nunmehr darüber zu befinden haben, ob die von den Enteigneten in ihrer Beschwerde vorgebrachten Einwände, die Enteignungspläne stimmten mit dem genehmigten
BGE 100 Ib 181 S. 190
Ausführungsprojekt nicht überein, Anlass zu einer Ergänzung der Pläne im Sinne von
Art. 30 Abs. 4 EntG
bzw. Art. 17 Abs. 2 VSchK geben; dem Antrag des Enteigners, den Präsidenten der SchK anzuweisen, das Schätzungsverfahren umgehend an die Hand zu nehmen, kann deshalb nicht entsprochen werden. Im übrigen hat er die Eingaben dem Regierungsrat des Kantons Zürich zu übermitteln, damit dieser prüfe, ob die darin erhobenen Einwendungen gegen das Ausführungsprojekt bzw. die Enteignung als nachträgliche Einsprache entgegengenommen werden können.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und die Verfügungen des Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission Kreis 10 vom 27. September 1973 werden aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3be64235-1be1-40b5-809a-207745ecaff6 | Urteilskopf
126 III 33
9. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 12 janvier 2000 dans la cause Banque X. (recours LP) | Regeste
Ermessensbefugnis des Betreibungsamtes bei der Verwertung eines Gesamtpfandrechts im Sinne von
Art. 798 Abs. 1 ZGB
. Verkauf der Stockwerkeinheiten gesamthaft oder einzeln (
Art. 45 Abs. 1 lit. b VZG
und
Art. 108 Abs. 1bis VZG
).
Das Betreibungsamt verfügt nicht über das ihm durch
Art. 816 Abs. 3 ZGB
und
Art. 107 Abs. 1 VZG
gewährte Ermessen, wenn nach dem festgelegten Schätzungswert sofort ersichtlich ist, dass alle Grundstücke, welche Gegenstand des Gesamtpfandes bilden, verkauft werden müssen, um den betreibenden Gläubiger zu befriedigen (E. 2). Im vorliegenden Fall kommt nur das Verfahren mit Gesamtruf zu einem Gesamtpreis oder mit Einzelruf nach
Art. 108 Abs. 1bis VZG
- analog angewendet - in Betracht (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 126 III 33 S. 33
La banque X. exerce contre V. une poursuite en réalisation de gage ayant pour objet 49 lots de propriété par étages, tous propriété de la SI Y. Ces 49 lots sont grevés en faveur de la créancière d'une cédule hypothécaire au porteur, d'un montant nominal de 7'800'000 fr. Saisi par la créancière d'une réquisition de vente, l'Office des poursuites de Genève/Rhône-Arve a fait procéder à l'expertise des 49 lots PPE, expertise qui a porté tant sur le prix de chacun des lots que sur la valeur de l'immeuble en bloc. A réception du résultat de
BGE 126 III 33 S. 34
l'expertise, la créancière a invité l'office des poursuites à procéder d'abord à une vente séparée, puis à une vente en bloc des 49 lots PPE, requête que l'office a rejetée en invoquant les art. 107 et 108 de l'Ordonnance du Tribunal fédéral du 23 avril 1920 sur la réalisation forcée des immeubles (ORFI; RS 281.51).
La plainte formée par la créancière contre cette décision a été rejetée par l'Autorité de surveillance des offices de poursuites et de faillites du canton de Genève. La créancière a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral afin d'obtenir que l'office procède à la vente aux enchères des 49 lots PPE en deux temps: d'abord à une vente séparée, puis à une vente en bloc, conformément à la procédure prévue par l'art. 108 al. 1bis ORFI. La Chambre des poursuites a admis le recours et réformé la décision attaquée dans le sens demandé.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les 49 lots PPE litigieux appartiennent au même propriétaire et sont grevés de la même cédule hypothécaire en garantie d'une seule et même créance. Comme le retient à juste titre l'autorité cantonale de surveillance, on se trouve donc en présence ici d'un gage collectif au sens de l'art. 798 al. 1 CC. En pareil cas, le créancier doit poursuivre simultanément la réalisation de tous les immeubles (art. 816 al. 3, 1ère phrase, CC); toutefois, la réalisation de ceux-ci n'a lieu que dans la mesure jugée nécessaire par l'office des poursuites (art. 816 al. 3, 2ème phrase, CC), c'est-à-dire que celui-ci n'en vendra qu'autant qu'il est nécessaire pour couvrir la créance du créancier gagiste poursuivant ainsi que les créances garanties par l'immeuble préférables à celle du poursuivant (art. 107 al. 1 ORFI). Ces dispositions tendent toutes au même but, à savoir protéger le débiteur en évitant de vendre plus d'immeubles qu'il n'est nécessaire pour satisfaire le créancier poursuivant en capital, intérêts et frais, tout en protégeant au mieux les intérêts du créancier poursuivant et d'éventuels créanciers de rangs postérieurs (LEEMANN, Commentaire bernois, n. 23 ss ad art. 816 CC; TRAUFFER, Commentaire bâlois, n. 18 ss ad art. 816 CC). L'interdiction de vendre plus d'immeubles qu'il n'est nécessaire pour satisfaire le créancier poursuivant fait ainsi obstacle à une vente en bloc de tous les immeubles remis en gage, lorsque la créance en poursuite peut être satisfaite par la vente de quelques immeubles seulement (LEEMANN, loc. cit., n. 26).
BGE 126 III 33 S. 35
S'il faut indiscutablement reconnaître à l'office des poursuites un réel pouvoir d'appréciation dans un tel contexte, force est toutefois d'admettre, avec la recourante, qu'il n'en dispose d'aucun lorsqu'il apparaît d'emblée, au vu de la valeur vénale présumée déterminée par l'estimation (art. 9 al. 1 et 99 al. 1 ORFI), que tous les immeubles devront être vendus pour satisfaire le créancier poursuivant.
La décision attaquée indique que l'expertise a porté tant sur le prix de chaque lot PPE que sur la valeur de l'immeuble en bloc; elle ne mentionne toutefois aucun chiffre, pas plus qu'elle ne précise le montant de la créance en poursuite. Le dossier permet aisément de combler ces lacunes (cf. art. 64 al. 2 OJ). En effet, dans sa communication du 10 mars 1999 portant le résultat de l'expertise à la connaissance de la créancière (dossier cantonal, pièce 14), l'office a précisé que "l'immeuble a été expertisé en bloc à Frs 7'190'000.- et par lots pour les montants suivants: ...", totalisant 7'190'000 fr. Quant au montant de la créance en poursuite, elle s'élève selon les commandements de payer (pièces 9 et 10) à 7'800'000 fr. plus intérêts à 10% dès le 31 décembre 1993; dans sa plainte à l'autorité cantonale de surveillance (p. 5/6), la recourante fait état d'un montant de poursuite, évalué au 31 mars 1999, d'environ 10'953'317 fr. La valeur vénale présumée des immeubles objet du gage collectif s'avérant nettement inférieure au montant de la créance en poursuite, l'office ne dispose par conséquent pas du pouvoir d'appréciation conféré par les art. 816 al. 3, 2ème phrase, CC et 107 al. 1 ORFI.
3.
En vertu de l'art. 134 al. 1 LP, également applicable à la poursuite en réalisation de gage (art. 156 al. 1 LP), il appartient à l'office des poursuites d'arrêter les conditions des enchères de la manière la plus avantageuse, de façon en particulier à obtenir la somme la plus élevée possible (KÄNZIG/BERNHEIM, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, n. 22 in fine ad art. 156; Rep. 1993, p. 238 consid. 3a p. 240). En cas de réalisation de plusieurs immeubles, les conditions de vente doivent indiquer s'ils seront mis en vente en bloc, par lots ou par parcelles et, éventuellement, la composition des lots et l'ordre des enchères (art. 45 al. 1 let. b ORFI, par renvoi de l'art. 102 ORFI). La procédure de mise à prix en bloc ou par lots, telle qu'elle est décrite à l'art. 108 al. 1bis ORFI est - au dire même de l'autorité cantonale de surveillance (...) - celle qui permet de tenir au mieux compte des intérêts des parties en présence en assurant notamment que le créancier et le débiteur obtiennent le meilleur prix. Seule cette procédure, applicable par analogie, doit donc être envisagée dans les circonstances données. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3beb423b-5d77-47f7-9fb9-1399d31b972d | Urteilskopf
92 I 201
35. Auszug aus dem Urteil vom 28. September 1966 i.S. Gisler gegen Menzi und Obergericht des Kantons Glarus. | Regeste
Art. 59 BV
.
Die Forderungsklage, mit welcher Ansprüche aus einem Mietvertrag geltend gemacht werden, ist auch dann eine persönliche Ansprache, wenn es sich um die Miete an einem Grundstück handelt. | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 92 I 201 S. 201
Aus dem Tatbestand:
Mit Vertrag vom 1. Oktober 1959 vermietete Fritz Menzi dem in Zollikerberg (Kt. Zürich) wohnhaften Hermann Gisler Garageräumlichkeiten in Mollis (Kt. Glarus) für die Berufsausübung seines Bruders Paul Gisler. In der Miete inbegriffen war die Überlassung gewisser Werkzeuge mit der Vereinbarung dass das infolge Verschuldens des Mieters defekte oder fehlende Material auf dessen Kosten repariert und nötigenfalls ersetzt werden müsse. Nachdem Menzi die Miete auf Ende April 1964 durch Kündigung aufgelöst hatte, belangte er Hermann und Paul Gisler beim Zivilgericht des Kantons Glarus "einzeln, eventuell solidarisch" auf Bezahlung des Kaufpreises für verschiedene in den Monaten Januar-April 1964 gelieferte Waren und auf Ersatz für gemäss Mietvertrag übernommene, nicht mehr vorhandene Werkzeuge.
Hermann Gisler bestritt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts unter Berufung auf
Art. 59 BV
. Das Zivilgericht Glarus schützte diese Einrede, das Obergericht des Kantons Glarus dagegen, an das Menzi appellierte, wies sie ab, in bezug auf den aus dem Mietvertrag abgeleiteten Teil der Forderung aus folgenden Gründen: Das Bundesgericht habe in
BGE 29 I 163
ff. Ansprüche aus Immobiliarmiete als persönliche im
BGE 92 I 201 S. 202
Sinne von
Art. 59 BV
betrachtet. Dieser Auffassung sei indes in der massgebenden Literatur widersprochen worden (Guldener, Das internat. und interkant. ZPR S. 77 N. 242 c; Burckhardt, Komm. zur BV S. 554; Haab N. 30 zu
Art. 656 ZGB
). Dem sei beizupflichten. Die Abgrenzung der persönlichen Ansprachen von den Immobilien betreffenden Klagen sei in erster Linie nach prozessualen Gesichtspunkten und nicht nach den materiellrechtlichen Begriffen vorzunehmen. Da nun bei Streitigkeiten aus der Miete von Grundstücken vielfach auf örtliche Auffassungen und Verhältnisse abzustellen und oft ein Augenschein erforderlich sei, erscheine der Richter am Ort des Mietobjekts weitaus am geeignetsten zur Beurteilung solcher Streitigkeiten. Dieser Gerichtsstand sei auch dem Beklagten, sei er Mieter oder Vermieter, ohne weiteres zuzumuten, da ein Mietgrundstück durchwegs eine enge Beziehung mit dem betreffenden Ort schaffe. Eine gemäss
Art. 260 OR
im Grundbuch vorgemerkte Miete wäre wohl in Analogie zu
BGE 44 I 41
ff. von der Garantie des
Art. 59 BV
ausgenommen, was bei der Immobiliarmiete ebenfalls für einen einheitlichen Gerichtsstand am Sachort spreche. Diese Auslegung ergebe sich auch aus der Entstehungsgeschichte des
Art. 59 BV
, der sich bereits in der BV von 1848 gefunden habe und auf ein Konkordat von 1804 zurückgehe; da das in jener Zeit vorherrschende deutsche Recht die Miete ganz den dinglichen Rechten zugewiesen habe, könne
Art. 59 BV
nach der Absicht des damaligen Gesetzgebers die Immobiliarmiete nicht erfasst haben.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Hermann Gisler, das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 4. Mai 1966 sei aufzuheben. Er macht in erster Linie Verletzung des
Art. 59 BV
, eventuell eine solche des
Art. 4 BV
durch willkürliche Auslegung von § 7 Ziff. 7 glarn. ZPO geltend.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
In bezug auf denjenigen Teil der Klageforderung, der sich auf Ansprüche aus dem Mietvertrag zwischen den Parteien bezieht, ist streitig, ob es sich um eine persönliche Ansprache im Sinne des
Art. 59 BV
oder um einen dinglichen Anspruch handelt.
In der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts sind
BGE 92 I 201 S. 203
Klagen aus einem Vertrag, sei es auf Erfüllung desselben oder auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung, sei es auf Aufhebung des Vertrags oder auf Feststellung seiner Unverbindlichkeit, auch dann als persönliche Ansprachen behandelt worden, wenn sich der Vertrag auf eine Liegenschaft bezog, wie der Grundstückkauf (
BGE 69 I 7
Erw. 3 und dort angeführte frühere Urteile), die Grundstückmiete (
BGE 29 I 167
Erw. 3) oder ein Vertrag über Arbeiten an einem Hause (BGE 6 S. 366; vgl.
BGE 87 I 55
); eine Ausnahme wurde einzig gemacht in Fällen, in denen der obligatorische Anspruch durch eine Vormerkung im Grundbuch gesichert war (
BGE 44 I 47
Erw. 2,
BGE 92 I 38
Erw. 2; ZBGR 11 S. 67). In der neuern Rechtslehre wird allerdings sozusagen einhellig die Auffassung vertreten, der Gerichtsstand der gelegenen Sache sollte allgemein anerkannt werden für Vertragsklagen auf Übertragung des Eigentums (oder dinglicher Rechte überhaupt) an einem Grundstück (vgl. die Zitate in
BGE 92 I 40
/41). Ferner ist vereinzelt und ohne nähere Begründung die Ansicht geäussert worden, der Gerichtsstand der gelegenen Sache sei auch für Forderungsklagen aus Immobiliarmiete und -pacht zuzulassen (BURCKHARDT, Komm. der BV S. 554 und GULDENER, Das internat. und interkant. ZPR der Schweiz S. 77 Anm. 242; die im angefochtenen Urteil weiter angerufene Stelle bei HAAB N. 30 zu
Art. 656 ZGB
enthält dagegen nichts hierüber). Das Obergericht hat sich dieser Ansicht im angefochtenen Entscheid angeschlossen und hat zur Begründung dafür vor allem vorgebracht, dass bei Beurteilung solcher Klagen vielfach auf örtliche Auffassungen und Verhältnisse abzustellen und oft ein Augenschein erforderlich sei, was den Gerichtsstand der gelegenen Sache als am geeignetsten, als naturgemäss gegeben erscheinen lasse. Das Bundesgericht hat es indes bisher grundsätzlich abgelehnt, aus prozessökonomischen oder sonstigen Zweckmässigkeitserwägungen von
Art. 59 BV
abzuweichen (vgl.
BGE 52 I 137
,
BGE 53 I 50
und 54,
BGE 66 I 238
,
BGE 71 I 346
Erw. 2 a. E.,
BGE 90 I 109
). Hieran ist festzuhalten.
Art. 59 BV
enthält eine an sich klare Garantie zugunsten des Schuldners, deren Tragweite, was den Begriff der persönlichen Ansprache betrifft, in einer über 100-jährigen Rechtsprechung zunächst des Bundesrates und dann des Bundesgerichts im gleichen Sinne verstanden worden ist. Diese verfassungsmässige Garantie aus blossen Zweckmässigkeitsgründen abzuschwächen und zu durchlöchern, verbietet sich
BGE 92 I 201 S. 204
schon aus grundsätzlichen Erwägungen, vor allem aber im Hinblick auf die Rechtssicherheit, die es als besonders wichtig erscheinen lässt, dass der Rechtssuchende zum voraus mit Bestimmtheit weiss, an welchen Richter er sich zu wenden hat. Nun gibt es neben den zahlreichen Forderungsklagen aus Verträgen, welche sich auf ein Grundstück beziehen, noch weitere Klagen, die mit einem Grundstück zusammenhängen, wie die Klage auf Ersatz des durch Besitzesstörung verursachten Schadens, Schadenersatzklagen gegen den Grundeigentümer wegen Überschreitung des Eigentums (
Art. 679 ZGB
) oder wegen Werkmängeln (
Art. 58 OR
), die Klage wegen Beschädigung von Grundeigentum usw., für welche das Bundesgericht den Gerichtsstand der gelegenen Sache bisher ebenfalls abgelehnt hat (BGE 3 S. 633, 30 I 296 mit Verweisungen, 66 I 235 Erw. 3). Bei allen diesen Klagen aus Vertrag oder einem andern Rechtsgrund lassen sich Zweckmässigkeitsgründe für den Gerichtsstand der gelegenen Sache anführen, wie im angefochtenen Entscheid für die Klage aus Immobiliarmiete. Müsste für jede Klage geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Gründe gewichtig genug sind, um eine Ausnahme von
Art. 59 BV
zu rechtfertigen, so ergäbe sich für den Kläger wie für den Beklagten eine Rechtsunsicherheit, die nicht zu verantworten wäre und es als geboten erscheinen lässt, an der bisherigen klaren Unterscheidung zwischen persönlichen und dinglichen Klagen festzuhalten. Hiegegen bestehen, was die in Frage stehenden Streitigkeiten aus Immobiliarmiete betrifft, umso weniger Bedenken, als die Parteien den Unzukömmlichkeiten, die sich aus der Anwendung von
Art. 59 BV
für den Kläger oder den Beklagten unter Umständen ergeben mögen, dadurch begegnen können, dass sie sich durch eine Gerichtsstandsklausel im Mietvertrag dem Richter am Ort der gelegenen Sache unterwerfen, wie dies häufig geschieht.
Unbehelflich ist schliesslich der Einwand des Obergerichts, Klagen aus Immobiliarmiete seien deshalb keine persönlichen Ansprachen im Sinne von
Art. 59 BV
, weil die Miete zur Zeit des Erlasses der BV von 1848 in weiten Teilen der Schweiz als dingliches Recht gegolten habe. Einmal vermöchte dies angesichts der jedenfalls seit dem Inkrafttreten des OR von 1881 eindeutig obligatorischen Natur der Miete keine Ausnahme von der klaren Garantie des
Art. 59 BV
und dem durch eine mehr als 100-jährige Rechtsprechung festgelegten Begriff der
BGE 92 I 201 S. 205
"persönlichen Ansprache" zu rechtfertigen. Davon abgesehen kam nach dem früheren deutschen Recht nur dem Benützungsanspruch des Mieters dinglicher Charakter zu, nicht einem Schadenersatzanspruch des Vermieters gegen den Mieter, wie er hier in Frage steht. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3bee3f83-ebc9-4b7c-9618-1737b7804707 | Urteilskopf
81 II 455
70. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Oktober 1955 i.S. Wurm gegen LIBAG Liegenschafts- und Beteiligungs A.-G. | Regeste
Einmann-A.-G., Bürgschaft.
Die rechtliche Selbständigkeit der Einmann-A.-G. ist unbeachtlich im Verhältnis zu Dritten, wenn Treu und Glauben dies erfordern.
- So wenn bei gemeinsamer Bürgschaft des Alleinaktionärs und eines Dritten für Schulden der Gesellschaft eine vom gleichen Alleinaktionär beherrschte andere Gesellschaft die verbürgte Forderung erwirbt und gegen den Mitbürgen geltendmacht.
- Ebenso wenn der Alleinaktionär seine Bürgschaft erfüllt und auf den Mitbürgen Rückgriff nimmt. | Sachverhalt
ab Seite 455
BGE 81 II 455 S. 455
A.-
Ernst Wild ist Inhaber sämtlicher Aktien und einziger Verwaltungsrat der Silva-Plastic A.-G., deren Aktienkapital Fr. 50'000.-- beträgt. Mit Vertrag vom 23. August 1950 zwischen Wild und der Silva-Plastic A.-G. einerseits und Benjamin Wurm anderseits wurde letzterer als Direktor der Silva-Plastic A.-G. angestellt. Der Vertrag sah ferner eine finanzielle Beteiligung des Wurm an der Gesellschaft vor, indem Wild ihm ein unwiderrufliches Kaufsrecht an der Hälfte des Aktienkapitals von Fr.
BGE 81 II 455 S. 456
50'000.-- einräumte. Diese Beteiligung Wurms wurde jedoch in der Folge nicht durchgeführt.
Die Silva-Plastic A.-G. nahm bei der Schweiz. Bankgesellschaft Zürich unter drei Malen Kredite im Gesamtbetrage von Fr. 880'000.-- auf. Mit Bürgscheinen vom 28. September 1950, 8. November 1950 und 23. Januar 1951 verpflichteten sich Wild und Wurm, der Bank für den genannten Betrag "gemeinsam als Mitbürgen solidarisch zu haften".
Infolge von Meinungsverschiedenheiten zwischen Wild und Wurm kündigte letzterer sein Anstellungsverhältnis bei der Silva-Plastic A.-G. auf den 31. Mai 1951.
Am 6. Juli 1951 teilte die Schweiz. Bankgesellschaft Wurm mit, die Silva-Plastic A.-G. habe sich auf Aufforderung zur Rückzahlung der verfallenen Kredite mit Schreiben vom 5. Juli 1951 als illiquid und ausser Stande erklärt, ihren Verpflichtungen der Bank gegenüber nachzukommen; Wurm werde daher als solidarischer Mitbürge auf Grund von Art. 496 /7 OR aufgefordert, bis 14. Juli 1951 den aufihn entfallenden Kopfanteil von Fr. 345'633.50 an die Bank zu bezahlen.
Wurm bestritt, dass die Bank berechtigt sei, ihn vor der Hauptschuldnerin zu belangen, da er nur mit dem Mitbürgen Wild, nicht aber auch mit der Hauptschuldnerin solidarisch hafte.
Am 9. November 1951 trat die Schweiz. Bankgesellschaft ihre Forderung gegen die Silva-Plastic A.-G. von Fr. 712'582.50 mit allen Nebenrechten gegen Bezahlung des genannten Betrages an die LIBAG Liegenschafts- und Beteiligungs A.-G. in Zürich ab. Hauptaktionär der LIBAG ist ebenfalls Wild; er besitzt von den insgesamt 50 Aktien zu Fr. 1000.-- deren 48 und ist einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft.
Mit Zahlungsbefehl vom 30. November 1951 betrieb die LIBAG als Abtretungsgläubigerin den Wurm für den Betrag von Fr. 356'291.25 nebst Zinsen und Kosten unter Berufung auf seine Bürgschaftsverpflichtung zu Gunsten
BGE 81 II 455 S. 457
der Silva-Plastic A.-G. Wurm erhob Rechtsvorschlag. Dieser wurde jedoch mit Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten Hinterland vom 7. Februar 1952 und des Obergerichtspräsidenten von Appenzell A. Rh. vom 19. Mai 1952 durch provisorische Rechtsöffnung beseitigt.
B.-
Am 28. Mai 1952 klagte Wurm auf Aberkennung der gegen ihn geltendgemachten Forderung von Fr. 356'291.25.
Die Beklagte LIBAG beantragte Abweisung der Klage.
C.-
Sowohl das Bezirksgericht Hinterland als auch das Obergericht Appenzell A. Rh., dieses mit Urteil vom 31. August 1954, zugestellt am 25. März 1955, wiesen die Aberkennungsklage ab.
Beide Instanzen verneinten die vom Kläger behauptete absichtliche Täuschung bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages, wie auch das Vorliegen eines wesentlichen Irrtums des Klägers. Sie nahmen ferner an, es liege entgegen der Auffassung des Klägers eine Solidarbürgschaft im Sinne des
Art. 496 OR
vor und wiesen demzufolge die Einrede der Vorausklage ab. Ebenso verneinten sie die vom Kläger behauptete Befreiung von der Bürgschaft auf Grund von
Art. 511 OR
und erklärten die in
Art. 496 OR
geforderten Voraussetzungen für die Belangung aus Solidarbürgschaft als gegeben. Verworfen wurde auch der Einwand des Klägers, dass seine Bürgschaft nach
Art. 509 Abs. 1 OR
infolge Erlöschens der Hauptschuld untergegangen oder dass die Bürgschaftsforderung infolge Vereinigung im Sinne von
Art. 118 OR
erloschen sei. Als unbegründet erklärt wurde endlich auch die Auffassung des Klägers, dass die Geltendmachung der Bürgschaftsforderung durch die LIBAG wegen deren wirtschaftlichen Identität mit der Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. sowie dem Mitbürger Wild einen Rechtsmissbrauch darstelle.
D.-
Mit der vorliegenden Berufung hält der Kläger an seinem Begehren auf Schutz seiner Aberkennungsklage im vollen Umfang fest; eventuell beantragt er die Rückweisung
BGE 81 II 455 S. 458
der Sache an die Vorinstanz zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zu neuer Entscheidung.
Die Beklagte beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Ob es sich bei der streitigen Bürgschaftsverpflichtung gemäss der Auffassung der Vorinstanz um eine Solidarbürgschaft handle oder um eine einfache Mitbürgschaft mit Solidarität nur zwischen den Mitbürgen, wie der Kläger in der Berufung erneut geltend macht, kann dahingestellt bleiben. Ebenso braucht nicht entschieden zu werden über die vom Kläger aufrecht erhaltene Einrede der Befreiung von der Bürgschaft gemäss
Art. 511 OR
. Denn selbst wenn in diesen beiden Fragen der Auffassung der Vorinstanz beizupflichten wäre, so erweist sich das Aberkennungsbegehren des Klägers dann auf jeden Fall deshalb als begründet, weil die Geltendmachung der streitigen Forderung durch die Aberkennungsbeklagte einen Rechtsmissbrauch i.S. von
Art. 2 ZGB
bedeutet.
2.
a) Es steht fest, dass der Mitbürge Wild im Zeitpunkt der Begründung des streitigen Bürgschaftsverhältnisses Alleinaktionär der Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. war und es in der Folge auch blieb während der ganzen Dauer der Abwicklung und Durchsetzung der vom Kläger eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung. Zu der im Vertrage vom 23. August 1950 vorgesehenen Beteiligung des Klägers an der Silva-Plastic A.-G. durch Erwerb der Hälfte der Aktien kam es tatsächlich nie. Der Kläger wurde also nie Aktionär. Er war lediglich leitender Angestellter der Gesellschaft; sein Interesse an ihr war einzig und allein dasjenige eines Dienstpflichtigen, nicht das eines Aktionärs.
Gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz besitzt Wild sodann auch 48 von den 50 Aktien der Beklagten LIBAG, an welche die Schweiz. Bankgesellschaft die verbürgte Forderung gegenüber der Hauptschuldnerin Silva-
BGE 81 II 455 S. 459
Plastic A.-G. mit allen Nebenrechten gegen Erlegung des vollen Forderungsbetrages von Fr. 712'582.50 abgetreten hat.
Sowohl bei der Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. als auch bei der Abtretungsgläubigerin LIBAG handelt es sich somit um sog. Einmanngesellschaften, bei denen die Verfügungsmacht über das Unternehmen ausschliesslich dem Allein- oder Hauptaktionär zusteht und die infolgedessen wirtschaftlich mit diesem identisch sind, weil sich die Interessensphäre der Gesellschaft mit derjenigen des Allein- oder Hauptaktionärs vollständig deckt. Eine solche Gesellschaft stellt wirtschaftlich kein selbständiges Gebilde dar, sondern sie ist ein blosses Werkzeug in der Hand des Allein- bzw. Hauptaktionärs, dessen Willen sie untertan ist.
b) Die Einmanngesellschaft wird in der Praxis des schweizerischen Rechts geduldet. Sie behält grundsätzlich ihre Rechtspersönlichkeit bei, kann Trägerin von Rechten und Pflichten sein und über ein eigenes Vermögen mit eigenen Aktiven und Passiven verfügen. Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Identität zwischen Gesellschaft und Alleinbzw. Hauptaktionär muss aber diese formalrechtliche Selbständigkeit der Gesellschaft in deren Beziehungen zu Dritten unbeachtet bleiben, wo der Grundsatz von Treu und Glauben im Verkehr dies erfordert (
BGE 71 II 275
,
BGE 72 II 76
). Diese Voraussetzung trifft im vorliegenden Fall entgegen der Meinung der Vorinstanz zu.
Die Abtretungsgläubigerin LIBAG, die durch die Befriedigung der Schweizerischen Bankgesellschaft die Stellung des Gläubigers der Hauptschuld erlangte, ist, wie erwähnt, wirtschaftlich ihrem Hauptaktionär Wild gleichzusetzen. Sofern nun der Kläger Wurm auf Grund der auf die Beklagte LIBAG übergegangenen Bürgschaftsansprüche zur Bezahlung des auf ihn entfallenden Kopfteils an die LIBAG verpflichtet würde, stünde ihm nach Begleichung seiner Bürgschaftsverpflichtung der Rückgriff auf die Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. offen. Diese ist aber wiederum
BGE 81 II 455 S. 460
wirtschaftlich mit Wild identisch. Es verhielte sich somit in Wirklichkeit so, dass Wild den Betrag, den er in der Gestalt der LIBAG aus der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers erhielte, auf der andern Seite in der Gestalt der Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. wiederum an den Kläger zurückzuerstatten hätte. Für eine derartige Vermögensverschiebung besteht aber weder für die LIBAG, noch für die Silva-Plastic A.-G., noch für Wild ein schutzwürdiges Interesse. Die LIBAG hatte, wie auch die Vorinstanz anerkennt, keine geschäftliche Veranlassung, die Schuld der Silva-Plastic A.-G. gegenüber der Schweiz. Bankgesellschaft zu begleichen und die Forderung gegen jene zu erwerben. Ihr Zweck besteht nach dem Handelsregistereintrag im An- und Verkauf sowie in der Verwaltung von Liegenschaften und Liegenschaftenrechten und in der Beteiligung an verwandten Unternehmen. Der Erwerb der Darlehensforderung der Bank gegen das Fabrikationsunternehmen Silva-Plastic A.-G. fiel also unzweifelhaft nicht in den Bereich ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit. Er erfolgte vielmehr ausschliesslich im Interesse ihres Hauptaktionärs Wild, um diesem das Vorgehen gegen den Bürgen Wurm zu ermöglichen und ihn, falls er zur Bezahlung der Bürgschaftsschuld nicht im Stande sein sollte, wirtschaftlich zu vernichten. Ein Vorgehen, das ausschliesslich einem derartigen Zweck zu dienen bestimmt sein kann, verdient keinen Rechtsschutz. Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Identität zwischen Wild und der Abtretungsgläubigerin LIBAG einerseits sowie der Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. anderseits hat vielmehr die rechtliche Selbständigkeit der beiden genannten Gesellschaften im Verhältnis zum Kläger als Bürgen unberücksichtigt zu bleiben und es ist davon auszugehen, dass mit der Zahlung der Schuld der Silva-Plastic A.-G. durch die LIBAG in Wirklichkeit Wild eine eigene Schuld getilgt hat. Infolgedessen ist die Bürgschaftsverpflichtung des Klägers durch Tilgung der Hauptschuld untergegangen. Dass der LIBAG bei der Zahlung der Schuld der Silva-Plastic A.-G. der Erfüllungswille
BGE 81 II 455 S. 461
fehlte, ist entgegen der Meinung der Vorinstanz belanglos, weil eben gerade in der Schaffung der Möglichkeit, diese Zahlung scheinbar ohne Erfüllungswillen zu bewerkstelligen, ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des tatsächlichen Hauptschuldners Wild zu erblicken ist. Das führt zur Gutheissung der Aberkennungsklage.
c) Die Vorinstanz glaubt, die Abtretung der Hauptschuld an die LIBAG sei deswegen rechtlich nicht zu beanstanden, weil Wild damit gegenüber dem Kläger nicht mehr Rechte erlangt habe, als ihm zugestanden wären, wenn er als Mitbürge die Hauptschuld beglichen und so einen Rückgriffsanspruch aus der Mitbürgschaft gegen den Kläger hätte geltend machen können. Diese Auffassung ist unrichtig. Durch die Abtretung wurde Wild unter der Maske der von ihm beherrschten LIBAG Gläubiger für die volle Hauptschuld und konnte den Bürgen Wurm für deren vollen Betrag belangen, während er durch eine Zahlung als Mitbürge lediglich einen Rückgriffsanspruch für den auf Wurm entfallenden Kopfteil erhalten hätte. Dass er von der Möglichkeit, den Kläger für den vollen Betrag der Hauptschuld zu belangen, nicht Gebrauch gemacht hat, sondern von Wurm nur die Bezahlung des auf ihn als Mitbürgen entfallenden Kopfteils fordert, ist für die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit seines Vorgehens nicht entscheidend. Abgesehen hievon wäre das Ergebnis kein anderes, wenn Wild als Bürge bezahlt und gegen Wurm als Mitbürgen auf dem Rückgriffswege vorgegangen wäre. Denn auch in diesem Falle hätte Wild in Wirklichkeit durch die Bezahlung der Hauptschuld eine eigene Verpflichtung getilgt mit der Folge, dass die Bürgschaft des Wurm erloschen wäre. Wie das Bundesgericht schon früher erkannt hat, ist die Bürgschaft des einzigen Aktionärs für die Gesellschaft wegen der wirtschaftlichen Identität des Bürgen mit dem Hauptschuldner als eine im eigenen Interessen erfolgte Verpflichtung zu betrachten und schafft darum keinen Rückgriff gegenüber einem Mitbürgen (
BGE 53 II 31
).
BGE 81 II 455 S. 462
d) Erweist sich die Aberkennungsklage schon auf Grund der vorstehenden Erwägungen als begründet, so kann dahingestellt bleiben, ob Wild gemäss den Behauptungen des Klägers die Hauptschuldnerin Silva-Plastic A.-G. wirtschaftlich ausgehöhlt habe, indem er deren Aktiven versilberte und den Erlös in die eigene Tasche steckte, statt ihn zur Tilgung der Hauptschuld gegenüber der Bank bzw. der Abtretungsgläubigerin LIBAG zu verwenden. Denn selbst wenn eine solche Aushöhlung der Hauptschuldnerin, die eine völlige Entwertung des Rückgriffsanspruchs des Bürgen Wurm bedeutet hätte, tatsächlich nicht erfolgt sein sollte, so wäre dies unerheblich, da schon die Tatsache, dass Wild mit der Befriedigung der Bank durch die LIBAG in Wirklichkeit eine eigene Schuld getilgt hat, nach den oben gemachten Darlegungen zum Erlöschen der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers geführt hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Appenzell A. Rh. vom 31. August 1954 wird aufgehoben und die Aberkennungsklage des Klägers im Betrage von Fr. 356'291.25 nebst Zinsen und Kosten geschützt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3bf01e3d-ba9c-4998-8f2e-17a2def54fe7 | Urteilskopf
113 II 31
7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. April 1987 i.S. Rinderknecht Administrations AG und Rinderknecht & Co. AG gegen Galerie Lopes AG (Berufung) | Regeste
Kündigung einer Untermiete mit Optionsrecht; treuwidrige Verhinderung des Bedingungseintritts; Durchgriff (
Art. 2 ZGB
,
Art. 156 OR
).
1. Begriff des Optionsvertrags; Abgrenzung zum Vorvertrag (E. 2a).
2. Anwendung von
Art. 156 OR
im Fall eines Mieterwechsels zum Zweck, den Bedingungseintritt für die Ausübung eines durch die Erstmieterin der Untermieterin eingeräumten Optionsrechts auf Verlängerung der Untermiete zu vereiteln (E. 2b).
3. Voraussetzungen und Folgen des Durchgriffs auf die mit der Erstmieterin konzernmässig verbundene Zweitmieterin (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 113 II 31 S. 32
A.-
Zum Zweck des Betriebs einer Kunstgalerie schloss die Galerie Lopes AG am 30. September 1976 mit der Rinderknecht Administrations AG einen Untermietvertrag über Räumlichkeiten in Zürich, welche die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (Eigentümerin) der Rinderknecht Administrations AG vermietet hatte. Der Untermietvertrag war erstmals auf den 30. September 1986 kündbar. Am 7. November 1976 räumte die Rinderknecht Administrations AG der Untermieterin in Ergänzung des Vertrags eine "Option" ein, die es dieser gestattete, über den 30. September 1986 hinaus eine Fortsetzung des Mietverhältnisses um weitere fünf Jahre zu verlangen, sofern die Rinderknecht Administrations AG dannzumal die ihrerseits gegenüber der Eigentümerin
BGE 113 II 31 S. 33
zustehende Option auf eine Verlängerung der Mietdauer ausüben sollte.
Mit Schreiben vom 24. September 1985 kündigte die Rinderknecht Administrations AG das Untermietverhältnis auf den 30. September 1986, worauf ihr die Galerie Lopes AG am 26. September 1985 mitteilen liess, sie übe die Option auf Weiterführung der Untermiete bis zum 30. September 1991 aus. Am 8. Oktober 1985 antwortete die Rinderknecht Administrations AG, das Obermietverhältnis sei ebenfalls auf den 30. September 1986 aufgelöst worden; sie habe das ihr gegenüber der Eigentümerin zustehende Vormietrecht nicht ausgeübt und könne es infolge Ablaufs der Frist auch nicht mehr ausüben. Die Eigentümerin bestätigte diesen Sachverhalt und erklärte ausserdem, sie habe auf den 1. Oktober 1986 bereits einen Mietvertrag mit der Rinderknecht & Co. AG abgeschlossen. Mit Schreiben vom 4. November 1985 teilte die Eigentümerin der Untermieterin mit, die Rinderknecht & Co. AG habe sie im September 1985 um eine einverständliche Auflösung des Mietvertrags mit der Rinderknecht Administrations AG auf den 30. September 1986 und für die Zeit ab 1. Oktober 1986 um die Übertragung des Mietvertrags auf sie ersucht; sie sei damit einverstanden gewesen und habe den neuen Mietvertrag zu den gleichen Konditionen abgeschlossen.
B.-
Am 21. Oktober 1985 klagte die Galerie Lopes AG beim Mietgericht des Bezirkes Zürich gegen die Rinderknecht Administrations AG (Erstbeklagte) sowie die Rinderknecht & Co. AG (Zweitbeklagte) mit den Begehren, die Kündigung der Erstbeklagten sei für ungültig oder nichtig zu erklären und es sei festzustellen, dass die Klägerin ihre Option gültig ausgeübt habe und der Untermietvertrag ab 1. Oktober 1986 mit der Zweitbeklagten als Schwestergesellschaft der Erstbeklagten bis zum 30. September 1991 weiterlaufe; eventuell sei der Untermietvertrag bis zum 30. September 1988 zu erstrecken. Das Mietgericht wies die Klage am 19. Dezember 1985 ab. Den Rekurs der Klägerin und deren Hauptbegehren hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 4. August 1986 gut und wies den für diesen Fall gestellten Antrag der Beklagten auf Vertragsänderung insbesondere durch Erhöhung des Mietzinses ab. Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten blieb erfolglos.
C.-
Die Beklagten haben gegen den Beschluss des Obergerichts auch Berufung eingereicht und beantragen, den Beschluss aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zur
BGE 113 II 31 S. 34
Durchführung eines Beweisverfahrens und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung. Das Bundesgericht weist ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht geht davon aus, der Klägerin sei nach Abschluss des Untermietvertrags von der Erstbeklagten ein Optionsrecht auf Verlängerung der Untermiete um weitere fünf Jahre unter der Bedingung eingeräumt worden, dass die Erstbeklagte ihr Vormietrecht gegenüber der Eigentümerin ausübe. Grundsätzlich habe es der Erstbeklagten freigestanden, auf diese Ausübung zu verzichten und damit durch Auflösung des Mietverhältnisses den Eintritt der Bedingung für die Ausübung des Optionsrechts zu vereiteln. Indessen erweise sich der Abschluss des neuen Mietvertrags mit der Zweitbeklagten als rechtsmissbräuchlich, weshalb die Bedingung für das rechtzeitig ausgeübte Optionsrecht trotzdem eingetreten sei und der Untermietvertrag demzufolge bis zum 30. September 1991 weiterlaufe. Der von der Klägerin zu Recht geforderte Durchgriff durch die Erst- auf die Zweitbeklagte führe dazu, dass sich diese das Optionsrecht und damit die Verlängerung der Untermiete entgegenhalten lassen müsse und auch sie passivlegitimiert sei.
a) Die Beklagten machen geltend, weder die Erstbeklagte noch Rinderknecht habe sich gegenüber der Klägerin vertraglich verpflichtet, den Hauptmietvertrag als Bedingung für das ohne Gegenleistung eingeräumte Optionsrecht auf Verlängerung des Untermietvertrags weiterzuführen.
Dieser Einwand verkennt, dass die Vorinstanz keineswegs eine derartige Vertragspflicht annimmt. Sie geht vielmehr vom freien Ermessen der Erstbeklagten aus, hält die Bedingung jedoch für eingetreten, weil deren Eintritt durch die Übertragung der Miete an die Zweitbeklagte wider Treu und Glauben verhindert worden sei. Wenn die Beklagten mit ihrem Hinweis auf die fehlende Gegenleistung die Verbindlichkeit des Optionsrechts bestreiten wollen, so ist das unbehelflich. Das im November 1976 der Klägerin eingeräumte Recht, eine Verlängerung der Untermiete um weitere fünf Jahre zu verlangen, wird zwar von keiner Gegenleistung abhängig gemacht. Eine solche ist aber auch nicht Gültigkeitsvoraussetzung für das Entstehen und den Bestand eines Optionsvertrags, der dem Berechtigten die Befugnis verleiht, durch einseitige
BGE 113 II 31 S. 35
Willenserklärung nicht nur wie beim Vorvertrag den Partner zum Abschluss eines Hauptvertrags zu verpflichten, sondern unmittelbar ein inhaltlich bereits fixiertes Vertragsverhältnis herbeizuführen oder zu verlängern (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil OR, S. 277 Fussnote 20; KRAMER, Münchener Kommentar, N. 40 vor § 145 BGB; STAUDINGER/DILCHER, N. 47 vor §§ 145 ff. BGB; SOERGEL/LANGE/HEFERMEHL, N. 50 vor § 145 BGB; LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, 13. Auflage 1982, S. 82).
Damit erweisen sich die Ausführungen der Beklagten darüber, wie sich die Klägerin 1976 hätte vertraglich absichern müssen, und die in diesem Zusammenhang angeführte Rechtsprechung (
BGE 92 II 116
und
BGE 108 II 215
) als belanglos.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten genügen die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts. Danach sei es den Beklagten mit dem Abschluss des zweiten Mietvertrags darum gegangen, den ersten Mietvertrag ohne jede Änderung der bisher praktizierten Benützung des Mietobjekts zu ersetzen. Zwischen den Beklagten hätten enge wirtschaftliche Beziehungen bestanden; beide Gesellschaften seien vollständig durch Rinderknecht, dem einzigen Verwaltungsrat der Erstbeklagten und Verwaltungsratspräsidenten der Zweitbeklagten, beherrscht. Die von Rinderknecht geltend gemachten wirtschaftlichen Hintergründe für den zu gleichen Bedingungen mit der Schwestergesellschaft abgeschlossenen neuen Mietvertrag vermöchten nicht zu überzeugen. Mit dem Mieterwechsel sei in Wirklichkeit gar keine Beendigung des ursprünglichen Mietvertrags, sondern im Gegenteil die Fortsetzung des Mietverhältnisses angestrebt worden. Das Vorgehen habe einzig den Zweck gehabt, die Rechte des Untermieters hinfällig werden zu lassen, was gegen Treu und Glauben verstosse. Für den Durchgriff auf die Zweitbeklagte spreche auch das eindeutige Überwiegen des Interesses der Klägerin am Verbleiben im Mietobjekt.
Die beiden Beklagten sind zwar rechtlich selbständige Unternehmen, durch die beherrschende Stellung von Rinderknecht jedoch zu einer Gesamtunternehmung mit wirtschaftlich einheitlicher Leitung, also zu einem Konzern zusammengefasst (vgl. DENNLER, Durchgriff im Konzern, Diss. Zürich 1984, S. 16). Indem die Zweitbeklagte als Mieterin an die Stelle der Erstbeklagten trat, fand somit ein bloss konzerninterner Mieterwechsel statt, der zudem die mietrechtlichen Benützungsverhältnisse nicht veränderte. Weil es überdies an wirtschaftlichen Gründen für den Abschluss
BGE 113 II 31 S. 36
des neuen Mietvertrags fehlte, konnte der Eintritt der Zweitbeklagten in das Mietverhältnis einzig zum Zweck erfolgt sein, das Optionsrecht der Klägerin zu vereiteln. Das im Brief der Eigentümerin vom 4. November 1985 geschilderte Vorgehen bestätigt diesen Schluss. Dass dieses Vorgehen Treu und Glauben im Geschäftsverkehr widerspricht und daher die Bedingung für die Ausübung des Optionsrechts als eingetreten zu gelten hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen, zumal
Art. 156 OR
keine absichtliche Verhinderung des Bedingungseintritts voraussetzt (
BGE 109 II 21
ff. E. 2b mit Hinweisen; vgl.
BGE 99 II 288
f. E. 3 und
BGE 85 II 484
f. E. 4c).
c) Was die Beklagten gegen den Durchgriff auf die Zweitbeklagte vorbringen, ist unbehelflich. Die Vorinstanz geht zutreffend von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus, nach der es die rechtliche Selbständigkeit einer juristischen Person grundsätzlich zu beachten gilt, es sei denn sie werde im Einzelfall rechtsmissbräuchlich, entgegen Treu und Glauben geltend gemacht (zur Publikation bestimmtes Urteil vom 16. Dezember 1986 i.S. S. gegen Rentenanstalt, E. 3b,
BGE 108 II 214
E. 6a mit Hinweisen; zusammenfassend ausserdem EBENROTH, Zum "Durchgriff" im Gesellschaftsrecht, Schweizerische Aktiengesellschaft 57 (1985) S. 128 ff.). Gegen Treu und Glauben verstösst die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit u.a. dann, wenn sie zur Vertragsumgehung missbraucht wird (MERZ, Kommentar, N. 287 zu
Art. 2 ZGB
). Eine Vertragsumgehung kann derart erfolgen, dass die vertraglich verpflichtete Person eine mit ihr verbundene andere Person vorschiebt, damit der rechtsgeschäftlich verpönte Erfolg erzielt wird (RIEMER, Vertragsumgehungen sowie Umgehungen anderer rechtsgeschäftlicher Rechte und Pflichten, ZSR n. F. 101 (1982) S. 365). Vorliegend hat die Erstbeklagte auf Veranlassung Rinderknechts die Zweitbeklagte vorgeschoben, um den Eintritt der Bedingung für die Ausübung des Optionsrechts auszuschliessen. Als Verletzung von
Art. 2 ZGB
führt das zum Durchgriff mit der Folge, dass die vorgeschobene Person gleich behandelt wird wie die Erstbeklagte (vgl. RIEMER, a.a.O. S. 373 mit Hinweisen). Auch der Zweitbeklagten gegenüber ist demnach das Optionsrecht rechtswirksam ausgeübt worden.
Selbst wenn die behauptete Feindschaft zwischen Frau Lopes und Rinderknecht beachtlich wäre, müsste der Rechtsmissbrauch bejaht werden. Bei der Anwendung von
Art. 2 ZGB
treten subjektive Kriterien, die das gewählte Vorgehen als verständlich erscheinen
BGE 113 II 31 S. 37
lassen, hinter den objektiven Gesichtspunkten zurück (MERZ, a.a.O. N. 105 zu
Art. 2 ZGB
). Persönliche Differenzen der Parteien eines Mietvertrags vermögen allenfalls einen wichtigen Grund zu dessen vorzeitiger Auflösung abzugeben (
Art. 269 OR
), nicht aber eine Vertragsumgehung zu rechtfertigen.
Unverständlich sind die Einwände gegen die Zulässigkeit des sogenannten "Querdurchgriffs". Bei zweckwidriger Verwendung einer Schwestergesellschaft eines Konzerns drängt sich wie hier die Notwendigkeit auf, einen solchen Durchgriff vorzunehmen (EBENROTH, a.a.O. S. 124; DENNLER, a.a.O. S. 54 und 93 ff.). Es macht keinen Unterschied aus, ob ein Aktionär die von ihm beherrschte Aktiengesellschaft vorschiebt oder ob ein zwei Aktiengesellschaften beherrschender Aktionär die eine Gesellschaft veranlasst, die andere Gesellschaft vorzuschieben, damit vertragliche Pflichten umgangen werden. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3bf6c4a3-bfe0-42e4-a864-00d87ba9435d | Urteilskopf
109 Ib 341
53. Estratto della sentenza 28 settembre 1983 della I Corte di diritto pubblico nella causa Comune di Melano c. Dipartimento federale dell'interno (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Legitimation der Gemeinde und des Kantons zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde i.S. von
Art. 103 lit. c OG
und
Art. 12 NHG
in Rodungssachen.
Gemeinde und Kanton können gestützt auf
Art. 12 NHG
in Verbindung mit
Art. 103 lit. c OG
eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur gegen die Erteilung einer Rodungsbewilligung erheben nicht jedoch gegen deren Verweigerung (Präzisierung der in
BGE 108 Ib 170
/71 E. 2a veröffentlichten Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 341
BGE 109 Ib 341 S. 341
In data 7 giugno 1977, il dott. Wolfango Spora - proprietario del fondo part. n. 203 del Comune di Melano - ha chiesto al Consiglio di Stato del Cantone Ticino d'essere autorizzato a dissodarlo per costruirvi una casa d'abitazione. L'istanza, trasmessa per ragioni di competenza all'Ispettorato federale delle foreste (ora Ufficio federale delle foreste), è stata da questo respinta con decisione dell'8 agosto 1978, confermata su ricorso dal Dipartimento federale dell'interno il 31 marzo 1982.
BGE 109 Ib 341 S. 342
Il Comune di Melano, rappresentato dal Municipio, ha impugnato questa decisione del Dipartimento con tempestivo ricorso di diritto amministrativo, chiedendo al Tribunale federale di dichiarare la particella n. 203 "bosco dissodabile e quindi edificabile come a Piano Regolatore".
Il Tribunale federale ha dichiarato il ricorso irricevibile.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
a) (Mancanza di legittimazione ricorsuale del Comune ai sensi dell'
art. 103 lett. a OG
.)
b) A norma dell'art. 103 lett. c OG, la veste per proporre ricorso di diritto amministrativo spetta anche ad ogni persona, organismo o autorità a cui la legislazione federale conferisce il diritto di ricorrere (cfr. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, II ediz., pag. 164 segg. n. 5.2 e 5.3; SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, pagg. 178/79 n. 20.333; MACHERET, La qualité pour recourir: clef de la juridiction constitutionnelle et administrative du Tribunal fédéral, RDS 94/1975 II pagg. 179 segg. e 197). Ora, secondo la giurisprudenza, anche un Comune che non è proprietario di un fondo boschivo può eccezionalmente prevalersi di questo disposto in virtù degli
art. 2 lett. b e 12 cpv. 1 LPN
, poiché la conservazione del bosco esistente sul territorio comunale rientra negli scopi perseguiti dalla LPN (art. 1 lett. a) e favorisce in modo particolare il rispetto delle caratteristiche paesaggistiche (cfr.
DTF 98 Ib 124
consid. 1; ZBl 83/1982, 415/16 consid. 1c; 82/1981, 316 consid. 1; sentenza 16 dicembre 1981 in re Comune di Melano, consid. 1 non pubblicato in
DTF 107 Ib 353
segg.).
Nella fattispecie, questa giurisprudenza non entra tuttavia in linea di conto e neppure il Comune di Melano pretende di poter dedurre la propria legittimazione dall'art. 103 lett. c OG. In effetti, l'interesse fatto valere dal ricorrente non è volto alla conservazione dell'area boschiva, ma alla concessione di un dissodamento che consentirebbe di ampliare l'area edilizia comunale: ora, la tutela di questo interesse è manifestamente inconciliabile con gli scopi della LPN poiché sfocerebbe addirittura in una modifica delle caratteristiche paesaggistiche, in dispregio dell'
art. 1 lett. a LPN
. Vero è che, in una sentenza del 3 febbraio 1982 in re Consiglio di Stato del Canton Vallese, Comune di Trient e Jean-Louis Hugon, il Tribunale federale ha riconosciuto il diritto di ricorrere ai
BGE 109 Ib 341 S. 343
Comuni e ai Cantoni anche contro decisioni che rifiutano al proprietario di un fondo il permesso di dissodare (
DTF 108 Ib 170
/71 consid. 2a). Questa giurisprudenza - peraltro isolata e criticata in dottrina (GYGI, pag. 165 n. 5.2) - non può tuttavia essere mantenuta poiché il Comune, alla stregua d'altronde delle associazioni d'importanza nazionale, può proporre ricorso di diritto amministrativo giusta gli
art. 12 cpv. 1 LPN
e 103 lett. c OG soltanto per tutelare interessi inerenti alla protezione della natura e del paesaggio e non per salvaguardare altri interessi pubblici che esulano dal contesto e dalle finalità della LPN (cfr.
DTF 100 Ib 449
segg. consid. 3,
DTF 99 Ib 97
/98 consid. 1a,
DTF 96 I 504
consid. 2; ZBl 80/1979, 27 consid. 2b; GAAC 1977, n. 42 consid. 2; GYGI, pagg. 165 e 167, n. 5.3, 5.3.1). Ne consegue che Comuni e Cantoni possono prevalersi dell'
art. 12 LPN
in rel. con l'art 103 lett. c OG soltanto per insorgere contro il rilascio di un permesso di dissodamento, non invece contro una decisione che rifiuta questo permesso al proprietario del fondo: in questo caso, la legittimazione ricorsuale non può infatti esser dedotta dalle disposizioni testé citate, e se il Comune o il Cantone non possono vantare un particolare interesse degno di protezione, dev'esser negata loro la facoltà di ricorrere tanto in virtù dell'art. 103 lett. c OG, quanto in virtù dell'
art. 103 lett. a OG
. | public_law | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3bf7c0c5-a33b-4bb6-a5c1-dff131185d94 | Urteilskopf
140 II 233
22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.X. AG und X. gegen Amt für Landwirtschaft, Agrarmassnahmen und Bodenrecht des Kantons Schwyz (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_212/2013 vom 18. März 2014 | Regeste
Art. 4 Abs. 2 und Art. 61 ff. (insbesondere Art. 61 Abs. 3 und Art. 63) BGBB: Auch juristische Personen können, sofern sie als Selbstbewirtschafter gelten, landwirtschaftliche Gewerbe erwerben und veräussern. Jede Veräusserung von Anteilen an einer juristischen Person, die ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, unterliegt der Bewilligungspflicht von
Art. 61 ff. BGBB
.
Geltungsbereich des BGBB für juristische Personen (E. 3).
Soll zusammen mit einem landwirtschaftlichen Gewerbe ein Baulandgrundstück in eine Aktiengesellschaft überführt werden, das für sich allein viel mehr Wert hat als das ganze übrige landwirtschaftliche Gewerbe zusammen, kann der Gesellschaft die Erwerbsbewilligung nicht wegen einer bloss theoretischen Möglichkeit einer allfälligen künftigen Gesetzes-umgehung verweigert werden. Die Bewilligung ist vielmehr - unter Auflagen - zu erteilen. Für die Erwerberin gilt aber, sofern sie ihre Aktien zu einem späteren Zeitpunkt ganz oder teilweise veräussert: Jede Übertragung von Anteilen einer Gesellschaft, die ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, kommt wirtschaftlich einer teilweisen Eigentumsübertragung desselben gleich und untersteht unabhängig von
Art. 4 Abs. 2 BGBB
in jedem Fall der Bewilligungspflicht und einem entsprechenden Verfahren nach
Art. 61 ff. BGBB
. Damit können die Anforderungen von
Art. 63 BGBB
und die damit verbundenen gesetzlichen Ziele weiterhin durchgesetzt werden (E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 140 II 233 S. 234
A.
X. ist Landwirt und Eigentümer verschiedener in den Gemeinden L., M., N. und O. gelegenen landwirtschaftlicher Grundstücke, welche zusammen ein landwirtschaftliches Gewerbe bilden. Eines
BGE 140 II 233 S. 235
der in der Gemeinde L. gelegenen Grundstücke (Katasternummer 1, Q.) mit einer Fläche von über 53'000 m
2
wurde im Rahmen der Zonenplanrevision von 2010 von der Landwirtschafts- in die Wohnzone umgezont. Die Zonenplanänderung trat am 1. Juni 2011 in Kraft.
(...)
C.
Die A.X. AG wurde am 12. Dezember 2011 im Handelsregister eingetragen. Am 13. Dezember 2011 teilte X. dem Volkswirtschaftsdepartement mit, mit Sachübernahmevertrag vom 7. Dezember 2011 habe die A.X. AG das Einzelunternehmen Landwirtschaftsbetriebe X. übernommen; zugleich und mit Ergänzung vom 22. Mai 2012 stellte er folgendes Gesuch:
"1. Es sei die Bewilligung zum Erwerb des landwirtschaftlichen Gewerbes von X. bzw. der Grundstücke a) Nrn. x usw. alle L., b) Nr. y, O., c) Nrn. z usw., alle M., und d) Nr. q, N., durch die A.X. AG zu erteilen.
Eventualiter sei die Bewilligung unter Auflagen zu erteilen, wie sie von den Gesuchstellern im vorliegenden Gesuch vorgeschlagen werden.
2. Es seien die gemäss den im Grundbuch angemerkten öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen betreffend Bodenverbesserungen, RRB 1571 (13.10.1994, Beleg 483 L.; 28.01.1998, Beleg 30a L.) und RRB 558 (31.05.1976, Beleg 39 O.; 10.02.2005, Beleg 46 O.), erforderlichen Zustimmungen zu den Eigentumsübertragungen zu erteilen.
3. Bei Gutheissung der Bewilligung zum Erwerb des landwirtschaftlichen Gewerbes bzw. der landwirtschaftlichen Grundstücke gemäss Antrag Ziff. 1 sei die Bewilligung zum Erwerb von 100 % des Aktienkapitals an der Gesellschaft A.X. AG durch die von X. gehaltene B.X. Holding AG (in Gründung) zu erteilen.
Eventualiter sei die Bewilligung unter Auflagen zu erteilen, wie sie von den Gesuchstellern im vorliegenden Gesuch vorgeschlagen werden."
Das Amt für Landwirtschaft liess durch Eduard Hofer und Benno Studer ein Gutachten (datiert vom 29. Februar 2012) erstellen. Mit Verfügung vom 20. Juli 2012 lehnte es die Ziff. 1 des Gesuchs ab und trat auf die Ziffern 2 und 3 nicht ein.
D.
Dagegen erhoben die A.X. AG und X. Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und wiederholten die im Gesuch gestellten Anträge. Mit Urteil vom 17. Januar 2013 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
Die A.X. AG (Beschwerdeführerin 1) und X. (Beschwerdeführer 2) erheben mit gemeinsamer Eingabe vom 27. Februar 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, es sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils die Bewilligung zum Erwerb des landwirtschaftlichen Gewerbes von X.
BGE 140 II 233 S. 236
bzw. der Grundstücke a) Nrn. x usw. alle L., b) Nr. y, O., c) Nrn. z usw., alle M., und d) Nr. q, N., durch die A.X. AG zu erteilen. Im Übrigen sei die Sache an das Amt für Landwirtschaft zur Beurteilung der Anträge Ziffern 2 und 3 des Gesuchs vom 22. Mai 2012 zurückzuweisen.
(...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts auf und weist die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Amt für Landwirtschaft, Agrarmassnahmen und Bodenrecht des Kantons Schwyz zurück.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
3.1.1
Der Geltungsbereich des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB; SR 211.412.11) wird im 2. Abschnitt des ersten Kapitels festgelegt. Art. 2 (allgemeiner Geltungsbereich) regelt den allgemeinen Grundsatz, dass das Gesetz für einzelne oder zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe gehörende landwirtschaftliche Grundstücke gilt, die ausserhalb einer Bauzone liegen (Abs. 1 lit. a) und für welche die landwirtschaftliche Nutzung zulässig ist (Abs. 1 lit. b). Art. 2 Abs. 2 erweitert den allgemeinen Geltungsbereich (lit. a-d), wogegen ihn Art. 2 Abs. 3 wieder einschränkt (betreffend die kleinen Grundstücke). Art. 3 (besonderer Geltungsbereich) regelt Besonderheiten, so etwa für Miteigentumsanteile an landwirtschaftlichen Grundstücken (Abs. 1). Art. 4 ("besondere Bestimmungen für landwirtschaftliche Gewerbe") handelt von den unterschiedlichen Vorschriften für einzelne landwirtschaftliche Grundstücke und landwirtschaftliche Gewerbe und Art. 5 (Vorbehalte kantonalen Rechts) ermächtigt die Kantone, in diesem Zusammenhang vom Bundesrecht abweichende Regelungen zu schaffen (zum Ganzen vgl. SCHMID TSCHIRREN/BANDLI, in: Das bäuerliche Bodenrecht [nachfolgend: BGBB], 2. Aufl. 2011, N. 10 der Vorbemerkungen zu
Art. 2-5 BGBB
).
Die besonderen Vorschriften über die landwirtschaftlichen Gewerbe (Art. 4) haben vor allem deren langfristige Erhaltung zum Ziel: Beim Eigentumsübergang innerhalb der Familie sollen die - privatrechtlichen - Zuweisungsansprüche in der Erbteilung (Art. 11 ff.) sowie die Kaufs- oder Vorkaufsrechte der Verwandten (Art. 25 ff. und
BGE 140 II 233 S. 237
Art. 42 ff.) nicht umgangen werden können, und bei Veräusserungen aus der Familie heraus wird mit der - öffentlich-rechtlichen - Bewilligungspflicht und den Bewilligungsvoraussetzungen (Art. 61 ff., dazu sogleich) dafür gesorgt, dass selbstbewirtschaftende Bauern ein landwirtschaftliches Gewerbe grundsätzlich ungeteilt übernehmen können (vgl. SCHMID TSCHIRREN/BANDLI, in: BGBB, a.a.O., N. 2 zu
Art. 4 BGBB
).
3.1.2
Wer landwirtschaftliche Gewerbe oder Grundstücke erwerben will, braucht dazu also eine Bewilligung (
Art. 61 Abs. 1 BGBB
). Mit der Bewilligungspflicht soll sichergestellt werden, dass ein solcher Erwerb mit den Zielsetzungen des BGBB (vgl. insbesondere dessen Art. 1 Abs. 1), namentlich also des Selbstbewirtschafter- und des Arrondierungsprinzips, in Einklang steht (BEAT STALDER, Die öffentlich-rechtlichen Verfügungsbeschränkungen im bäuerlichen Bodenrecht, in: Landwirtschaftliches Bodenrecht, 2013, S. 19). Die Bewilligung setzt daher unter anderem voraus, dass der Erwerber Selbstbewirtschafter ist (
Art. 63 Abs. 1 lit. a BGBB
e contrario), sofern kein Grund für eine Ausnahme vom Prinzip der Selbstbewirtschaftung vorliegt (
Art. 64 Abs. 1 BGBB
). Selbstbewirtschafter ist, wer den landwirtschaftlichen Boden selber bearbeitet und, wenn es sich um ein landwirtschaftliches Gewerbe handelt, dieses zudem persönlich leitet (
Art. 9 Abs. 1 BGBB
). Auf die Bewilligung besteht ein Rechtsanspruch, sofern keiner der in
Art. 63 Abs. 1 BGBB
abschliessend genannten Verweigerungsgründe vorliegt (
Art. 61 Abs. 2 BGBB
;
BGE 132 III 212
E. 3.2 S. 218; Urteil 2C_855/2008 vom 11. Dezember 2009 E. 3.2, in: ZBGR 93/2012 S. 201; BEAT STALDER, in: BGBB, a.a.O., N. 9 zu Art. 61 und N. 4 zu
Art. 63 BGBB
).
3.1.3
Die Bewilligung kann mit Auflagen erteilt werden (
Art. 64 Abs. 2 BGBB
). Dabei bezieht sich diese Möglichkeit gesetzessystematisch an sich nur auf die Ausnahmen vom Selbstbewirtschafterprinzip gemäss
Art. 64 Abs. 1 BGBB
. Nebenbestimmungen wie Auflagen oder Bedingungen bedürfen indessen nicht zwingend einer im Gesetz ausdrücklich wiedergegebenen Grundlage; ihre Zulässigkeit kann sich unter Umständen auch unmittelbar aus dem Gesetzeszweck und dem damit zusammenhängenden öffentlichen Interesse ergeben (Urteil 2C_855/2008 vom 11. Dezember 2009 E. 4). Daraus folgt, dass auch Bewilligungen des bäuerlichen Bodenrechts, die sich nicht ausdrücklich auf
Art. 64 Abs. 1 BGBB
stützen, unter bestimmten Voraussetzungen (Sachbezogenheit,
BGE 140 II 233 S. 238
Verhältnismässigkeit) mit Auflagen - und auch mit Bedingungen - versehen werden können (vgl. auch STALDER, in: BGBB, a.a.O., N. 40 f. zu
Art. 64 BGBB
).
3.2
3.2.1
Die Definition der Selbstbewirtschaftung im bäuerlichen Bodenrecht ist an sich auf die Tätigkeit natürlicher Personen zugeschnitten (
BGE 115 II 181
E. 2b S. 185). Aus der Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
), auf welche sich auch die Landwirte berufen können, soweit der Bundesgesetzgeber keine Abweichungen vorgesehen hat (
Art. 104 Abs. 2 BV
), ergibt sich jedoch, dass landwirtschaftliche Betriebe auch in Form einer juristischen Person betrieben werden können; einer gesetzlichen Grundlage bedürfte nicht die Zulassung, sondern das Verbot einer solchen Rechtsform (vgl.
BGE 138 II 440
E. 18 S. 458). Das Landwirtschaftsrecht verbietet den Betrieb landwirtschaftlicher Unternehmen durch juristische Personen nicht, sondern setzt im Gegenteil deren Zulässigkeit verschiedentlich voraus (
Art. 4 Abs. 2 BGBB
; Art. 3 Abs. 2 und 3 der Direktzahlungsverordnung vom 23. Oktober 2013 [DZV; SR 910.13]; Art. 2 Abs. 1 der landwirtschaftlichen Begriffsverordnung vom 7. Dezember 1998 [LBV; SR 910.91]). Demgemäss können auch juristische Personen grundsätzlich landwirtschaftliche Gewerbe oder Grundstücke erwerben (Botschaft vom 19. Oktober 1988 zum BGBB, BBl 1988 III 953, 1039; vgl.
BGE 133 III 562
).
3.2.2
Nach Lehre und Rechtsprechung erfüllen juristische Personen das Erfordernis der Selbstbewirtschaftung (
Art. 63 Abs. 1 lit. a BGBB
), wenn Personen, die Mitglieder oder Gesellschafter einer juristischen Person sind, über eine Mehrheitsbeteiligung verfügen und die Anforderungen an die Selbstbewirtschaftung erfüllen oder zumindest die Mehrheit der Gesellschafter auf dem Hof mitarbeitet (Urteil 5A.22/2002 vom 7. Februar 2003 E. 2.2, in: ZBl 104/2003 S. 666, m.H. auf
BGE 115 II 181
E. 2b S. 185 [zum LPG];
BGE 122 III 287
E. 3c S. 290 f. [im Zusammenhang mit
Art. 11 BGBB
]; YVES DONZALLAZ, Traité de droit agraire suisse, Bd. II, 2006, S. 632 f.; JEAN-MICHEL HENNY, Questions choisies en matière de droit foncier rural, ZBGR 2006 S. 237 ff., 251 f.; EDUARD HOFER, in: BGBB, a.a.O., N. 21 f. zu
Art. 9 BGBB
; HOFER/STUDER, Erwerb landwirtschaftlicher Gewerbe durch juristische Personen, Blätter für Agrarrecht 2012 S. 35 ff., 45 f., 59 f.; PAUL RICHLI, Landwirtschaftliches Gewerbe und Selbstbewirtschaftung - zwei zentrale Begriffe des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht, AJP 1993 S. 1063 ff., 1068; BEAT
BGE 140 II 233 S. 239
STALDER, Die verfassungs- und verwaltungsrechtliche Behandlung unerwünschter Handänderungen im bäuerlichen Bodenrecht, 1993, S. 142;
derselbe
, Der Erwerb von landwirtschaftlichem Boden durch den Nichtselbstbewirtschafter [nachfolgend: 1995], Blätter für Agrarrecht 1995 S. 45 ff., 49).
3.2.3
Lehre und Rechtsprechung anerkennen juristische Personen allerdings nur mit Zurückhaltung als Selbstbewirtschafter. Wenn der Inhaber einer Mehrheitsbeteiligung nach
Art. 4 Abs. 2 BGBB
(dazu E. 3.4) das Gewerbe, das das Hauptaktivum der juristischen Person bildet, persönlich bewirtschaftet, kann er zwar als Selbstbewirtschafter gelten. Er muss dazu aber alle Anforderungen an einen Selbstbewirtschafter erfüllen. Ausserdem muss er über das Gewerbe verfügen können, so dass er es als Arbeitsinstrument einsetzen kann, wie wenn er direkt Eigentümer wäre (STALDER, in: BGBB, a.a.O., N. 22 zu
Art. 9 BGBB
, mit Hinweis auf DONZALLAZ, a.a.O., S. 632 Rz. 3332). Betreibt er daneben noch grössere Geschäfte, ist es ihm zuzumuten, diese in separaten Gesellschaften abzuwickeln, die nicht mit dem landwirtschaftlichen Gewerbe in Verbindung stehen (HOFER/STUDER, a.a.O., S. 51). Für Konstruktionen, bei denen die Kontrolle der Auflagen gefährdet wird (beispielsweise Holdingstrukturen), besteht kein Anspruch auf Bewilligung (vgl. vorne E. 3.1.3 und hinten E. 5.6.2).
3.2.4
Veräussert eine juristische Person landwirtschaftliche Grundstücke oder Gewerbe, sind gleich wie für eine natürliche Person alle einschlägigen Bestimmungen des BGBB anwendbar. Werden hingegen Anteile an einer juristischen Person veräussert, ist damit kein Eigentümerwechsel an den Grundstücken oder Gewerben verbunden. Den damit verbundenen Umgehungsmöglichkeiten begegnet das Gesetz dadurch, dass es auch jedes Rechtsgeschäft, das wirtschaftlich einer Eigentumsübertragung (an Gewerben oder Grundstücken) gleichkommt, der Erwerbsbewilligungspflicht unterstellt (
Art. 61 Abs. 3 BGBB
), was namentlich dann zum Tragen kommt, wenn sich die Eigentumsverhältnisse an einer juristischen Person ändern, die ihrerseits Eigentümerin landwirtschaftlicher Liegenschaften ist (Urteil 5A.34/2006 vom 3. April 2007 E. 6.1; so bereits
BGE 97 I 548
E. 2b S. 550 f. zum EGG; HOFER/STUDER, a.a.O., S. 43, 48; STALDER, 1995, a.a.O., S. 49;
derselbe
, in: BGBB, a.a.O., N. 21 zu
Art. 61 BGBB
; vgl. auch
BGE 128 II 329
E. 2.5 S. 333 f.). Dabei spielt keine Rolle, ob das landwirtschaftliche Gewerbe ganz oder teilweise zusammen mit anderen Vermögenswerten übertragen wird.
BGE 140 II 233 S. 240
Desgleichen fallen ebenso alle Rechtsgeschäfte, die wirtschaftlich einer Eigentumsübertragung gleichkommen, auch unter das Realteilungsverbot von
Art. 58 BGBB
(
BGE 127 III 90
E. 5a S. 96).
3.3
Als landwirtschaftliches Gewerbe gilt eine Gesamtheit von landwirtschaftlichen Grundstücken, Bauten und Anlagen, die als Grundlage der landwirtschaftlichen Produktion dient und zu deren Bewirtschaftung, wenn sie landesüblich ist, mindestens eine Standardarbeitskraft nötig ist (
Art. 7 Abs. 1 BGBB
). Dabei sind diejenigen Grundstücke zu berücksichtigen, die nach Art. 2 dem Gesetz unterstellt sind (
Art. 7 Abs. 3 BGBB
). Der Geltungsbereich des BGBB knüpft grundsätzlich an die Zonenordnung an (
Art. 2 Abs. 1 BGBB
; Urteil 2P.270/1998 vom 13. Dezember 1999 E. 4d/dd; DONZALLAZ, a.a.O., S. 133 Rz. 1925, S. 545 f. Rz. 3106 f.; SCHMID-TSCHIRREN/BANDLI, a.a.O., N. 1 und 6 zu
Art. 2 BGBB
). Liegen landwirtschaftliche Gebäude eines landwirtschaftlichen Gewerbes hingegen in der Bauzone, sind nur die Gebäudegrundfläche und der angemessene Umschwung dem Gesetz unterstellt und somit zum Gewerbe gehörend. Ist das Grundstück grösser, liegt der übrige in der Bauzone liegende Teil nicht im Geltungsbereich des Gesetzes und ist nicht Bestandteil des Gewerbes (HOFER, a.a.O, N. 17b zu
Art. 7 BGBB
) Ebenfalls dem Gesetz unterstellt sind jedoch Grundstücke, die teilweise innerhalb einer Bauzone liegen, solange sie nicht entsprechend den Nutzungszonen aufgeteilt sind (
Art. 2 Abs. 2 lit. c BGBB
). Diese Regelung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine Ausnahme vom Realteilungsverbot (
Art. 58 Abs. 1 BGBB
) zu bewilligen ist, wenn ein landwirtschaftliches Gewerbe oder Grundstück in einen Teil innerhalb und einen Teil ausserhalb des Geltungsbereichs aufgeteilt wird (
Art. 60 Abs. 1 lit. a BGBB
; DONZALLAZ, a.a.O., S. 559 Rz. 3149; SCHMID-TSCHIRREN/BANDLI, a.a.O., N. 27 zu
Art. 2 BGBB
; HERRENSCHWAND/BANDLI, in: BGBB, a.a.O., N. 3 f. zu
Art. 60 BGBB
). Auf diese Bewilligung besteht ein Rechtsanspruch (
BGE 132 III 515
E. 3.3 S. 518 ff.;
BGE 125 III 175
E. 2c S. 178). Wird ein bisher ausserhalb der Bauzone gelegenes und landwirtschaftlich genutztes Grundstück, das zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe gehört, teilweise in die Bauzone umgezont, so kann somit für den eingezonten Teil eine Ausnahme vom Realteilungsverbot beantragt werden. Ist diese Ausnahme bewilligt worden, unterliegt der in der Bauzone gelegene Teil des Grundstücks nicht mehr dem BGBB. Bis diese konstitutive Bewilligung erteilt wird, unterliegt es aber gestützt auf
Art. 2 Abs. 2 lit. c BGBB
nach wie vor dem Gesetz
BGE 140 II 233 S. 241
(BBl 1988 III 975 f.;
BGE 132 III 515
E. 3.3.3 S. 520;
BGE 125 III 175
E. 2c S. 178; Urteil 5A.6/2002 vom 11. Juni 2002 E. 3.2; HERRENSCHWAND/BANDLI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 60 BGBB
). Damit gehört es weiterhin zum landwirtschaftlichen Gewerbe (
Art. 7 Abs. 3 BGBB
; HOFER, a.a.O., N. 37d zu
Art. 7 BGBB
).
3.4
Die Bestimmungen über die landwirtschaftlichen Gewerbe gelten auch für eine Mehrheitsbeteiligung an einer juristischen Person, deren Aktiven zur Hauptsache aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe bestehen (
Art. 4 Abs. 2 BGBB
); das Eigentum an der Mehrheitsbeteiligung überlagert damit gewissermassen das Eigentum am Gewerbe (DONZALLAZ, a.a.O., S. 535 Rz. 3072) und dehnt den Geltungsbereich des Gesetzes - im Sinne einer Ausweitung von
Art. 2 und
Art. 3 BGBB
(vgl. vorne E. 3.1.1) - auf solche Beteiligungen aus. Auch die Veräusserung der Mehrheitsbeteiligung löst die Schutzwirkungen des Gesetzes für landwirtschaftliche Gewerbe aus; diese Regelung ist insbesondere für den Zuweisungsanspruch in der Erbteilung und bei der Ausübung eines Vorkaufsrechts (also für die zivilrechtlichen Aspekte des bäuerlichen Bodenrechts) von Bedeutung. Der Zuweisungsanspruch und das Vorkaufsrecht können damit nicht nur an der Sache selber, sondern auch an der Mehrheitsbeteiligung, z.B. an einem Aktienpaket, geltend gemacht werden (BBl 1988 III 979; YVES DONZALLAZ, Commentaire de la loi fédérale [...] sur le nouveau droit foncier rural, 1993, S. 39 f.). Dies gilt e contrario nicht, sofern die Aktiven der juristischen Person nicht zur Hauptsache aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe bestehen (was - wie noch zu zeigen sein wird - allerdings nicht bedeutet, dass die Übertragung der Aktien einer Gesellschaft, die ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, frei bzw. keinen öffentlich-rechtlichen Einschränkungen unterworfen wäre).
4.
4.1
Vorliegend ist nicht bestritten, dass die streitbetroffenen Grundstücke (allenfalls ohne das Grundstück Q.) ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von
Art. 7 BGBB
bilden, dass der Erwerb dieses Gewerbes durch die Beschwerdeführerin 1 der Bewilligungspflicht unterliegt und dass die Bewilligung unter anderem voraussetzt, dass die Erwerberin Selbstbewirtschafterin ist (
Art. 63 Abs. 1 lit. a BGBB
; ein Ausnahmegrund nach
Art. 64 BGBB
wird nicht geltend gemacht). Ebenso ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer 2 bisher das landwirtschaftliche Gewerbe als Selbstbewirtschafter bewirtschaftet hat und weiterhin persönlich die Voraussetzungen eines
BGE 140 II 233 S. 242
Selbstbewirtschafters erfüllt und dass er Alleinaktionär der Beschwerdeführerin 1 ist. Auch der Preis ist nach der unbestrittenen Feststellung in der Verfügung des Amtes für Landwirtschaft nicht übersetzt (Art. 63 Abs. 1 lit. b i.V.m.
Art. 66 BGBB
).
4.2
Die Vorinstanz hat die Bewilligung mit folgender Begründung verweigert: Das landwirtschaftliche Gewerbe solle in eine Aktiengesellschaft eingebracht werden, deren Aktiven nicht zur Hauptsache aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe bestünden, denn das in der Wohnzone gelegene Grundstück Q. sei allein viel mehr wert als das landwirtschaftliche Gewerbe. Selbst wenn man davon ausginge, dass dieses Grundstück zur Zeit noch zum landwirtschaftlichen Gewerbe gehöre, werde es in absehbarer Zeit der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen und könne jederzeit vom landwirtschaftlichen Gewerbe abgetrennt werden. Bestünden aber die Hauptaktiven der Aktiengesellschaft nicht aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe, so falle eine Mehrheitsbeteiligung gemäss
Art. 4 Abs. 2 BGBB
nicht mehr unter den Geltungsbereich der Bestimmungen über die landwirtschaftlichen Gewerbe und könne bewilligungsfrei und ohne Berücksichtigung des Selbstbewirtschafterprinzips und des Schutzes vor übersetzten Preisen veräussert werden.
Art. 63 BGBB
gelange nicht mehr zur Anwendung. Die wesentlichen Schutzziele des bäuerlichen Bodenrechts könnten damit umgangen werden. Auch wenn die Übertragung des Gewerbes an eine juristische Person mit mehrheitlich nichtlandwirtschaftlichen Aktiven so lange, als der Mehrheitsaktionär noch Selbstbewirtschafter sei, noch keine Umgehung des Selbstbewirtschafterprinzips darstelle, so schaffe doch diese Eigentumsübertragung die unwiderrufliche Möglichkeit, das Gewerbe in der Folge durch Übertragung der Aktien an einen Nichtselbstbewirtschafter zu übergeben. Umgangen werden könnten damit auch das Pächtervorkaufsrecht (
Art. 47 BGBB
), das Vorkaufsrecht von Verwandten (
Art. 42 ff. BGBB
), der Zuweisungsanspruch des selbstbewirtschaftenden Erben (
Art. 11 ff. BGBB
) und die Kaufsrechte von Verwandten (
Art. 25 ff. BGBB
).
4.3
Die Beschwerdeführer kritisieren, die Vorinstanz gehe von der falschen Prämisse aus, das Grundstück Q. sei nicht mehr Bestandteil des landwirtschaftlichen Gewerbes. Das Grundstück sei aufgrund von
Art. 2 Abs. 2 lit. c BGBB
nach wie vor dem Gesetz unterstellt und bilde Teil des landwirtschaftlichen Gewerbes. Demnach bestehe das Hauptaktivum der Beschwerdeführerin 1 nach wie vor aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe, sodass dieses gemäss
BGE 140 II 233 S. 243
Art. 4 Abs. 2 BGBB
dem Gesetz unterstehe und eine Abtrennung des nichtlandwirtschaftlichen Teils des Grundstücks Q. eine Bewilligung nach
Art. 60 BGBB
bedingen würde. Eine Umgehung des Gesetzes sei damit nicht möglich.
4.4
Während das Amt für Landwirtschaft noch davon ausgegangen war, das Grundstück Q. unterstehe aufgrund von
Art. 2 Abs. 2 lit. c BGBB
weiterhin dem Gesetz (Verfügung vom 20. Juli 2012), hat die Vorinstanz dies bezweifelt, die Frage aber letztlich offengelassen; sie nahm nämlich an, selbst wenn das Grundstück noch zum landwirtschaftlichen Gewerbe gehöre, so werde es in absehbarer Zeit von diesem abgetrennt werden, so dass das Hauptaktivum der Beschwerdeführerin 1 nicht mehr aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe bestehe, was zu einer unzulässigen Umgehung führe. Insoweit geht die Kritik der Beschwerdeführer an der vorinstanzlichen Argumentation vorbei.
4.5
Es ist offensichtlich, dass das Grundstück Q., zu Baulandpreisen bewertet, ein Mehrfaches des Wertes des ganzen übrigen Gewerbes aufweist. Geht man davon aus, dass dieses Grundstück nicht (mehr) zum landwirtschaftlichen Gewerbe gehört und wird der Beschwerdeführerin 1 der Erwerb sämtlicher Grundstücke bewilligt, bestünden somit ihre Aktiven nicht zur Hauptsache aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe, so dass
Art. 4 Abs. 2 BGBB
nicht mehr anwendbar wäre.
4.6
Zutreffend ist allerdings auch die Auffassung der Beschwerdeführer, dass das Grundstück Q., sofern und solange es aufgrund von Art. 2 Abs. 2 lit. a oder c BGBB dem Gesetz untersteht, dadurch von Gesetzes wegen zum landwirtschaftlichen Gewerbe gehört (
Art. 7 Abs. 3 BGBB
), und zwar unabhängig davon, zu welchem Wert es bewertet wird. In diesem Fall bestünde das Hauptaktivum der Beschwerdeführerin 1 auch nach dem beabsichtigten Erwerb und trotz der Umzonung nach wie vor aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe und die Mehrheitsbeteiligung an der Beschwerdeführerin 1 unterstünde nach
Art. 4 Abs. 2 BGBB
weiterhin vollumfänglich den Bestimmungen über die landwirtschaftlichen Gewerbe. Eine Abtrennung des Grundstücks Q. vom Gewerbe bzw. eine Entlassung aus dem Geltungsbereich des BGBB wäre zwar möglich, setzt aber eine konstitutive Bewilligung voraus (vorne E. 3.3). Insofern kann man sich fragen, ob die Vorinstanz mit Recht offengelassen hat, ob das Grundstück Q. noch dem BGBB untersteht. Denn bejahendenfalls
BGE 140 II 233 S. 244
besteht jedenfalls zur Zeit kein Grund für eine Bewilligungsverweigerung.
5.
So oder anders kann aber - wie sich aus dem Folgenden ergibt - die Bewilligung im vorliegenden Fall nicht wegen drohender Umgehung gesetzlicher Vorschriften verweigert werden:
5.1
Eine Gesetzesumgehung besteht darin, dass ein gesetzliches Verbot verletzt wird, indem ein scheinbar legitimes Mittel verwendet wird, um ein Ergebnis zu erzielen, das verboten ist (
BGE 132 III 212
E. 4.1 S. 219 f.;
BGE 125 III 257
E. 3b S. 262; STALDER, in: BGBB, a.a.O., N. 4 zu
Art. 70 BGBB
). Das Institut der Gesetzesumgehung hat Berührungspunkte zum Rechtsmissbrauchsverbot (MOOR/FLÜCKIGER/MARTENET, Droit administratif, Bd. I, 3. Aufl. 2012, S. 933 ff.; vgl. etwa
Art. 51 Abs. 1 lit. a AuG
[SR 142.20];
BGE 128 II 145
E. 2.3 S. 152; in anderen Zusammenhängen
BGE 129 III 618
E. 6.2 S. 624 f.;
BGE 136 II 43
E. 4.3.3 S. 51): Der Wortlaut einer Verbotsnorm wird beachtet, ihr Sinn aber missachtet (
BGE 114 Ib 11
E. 3a S. 15). Um zu beurteilen, ob eine Umgehung vorliegt, ist die Verbotsnorm auszulegen und zu prüfen, ob sie nach ihrem Sinn auch auf das streitige Geschäft anwendbar ist (
BGE 132 III 212
E. 4.1 S. 219 f.). Umgehung setzt somit eine umgangene Norm voraus. Der blosse Umstand, dass ein Ziel des Gesetzes möglicherweise nicht optimal erreicht wird, erlaubt noch nicht die Annahme einer Umgehung: Es ist primär Aufgabe des Gesetzgebers, die Instrumente zu schaffen, die er zur Erreichung seiner Ziele als geeignet erachtet; erweist sich, dass die gesetzlich vorgesehenen Instrumente nicht optimal geeignet sind, um die angestrebten Ziele zu erreichen, so können nicht unter blosser Berufung auf die gesetzlichen Ziele auf dem Wege der Rechtsanwendung andere Instrumente eingeführt werden. So kann z.B. nicht entgegen der gesetzlichen Regelung eine Bewilligungspflicht angenommen werden mit der Argumentation, sonst würden die vom Gesetzgeber anvisierten Ziele unterlaufen (
BGE 123 III 233
E. 2d S. 238 f. in Bezug auf die [fehlende] Bewilligungspflicht für die Veräusserung von landwirtschaftlichen Grundstücken von weniger als 25 Aren); von den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten abzuweichen, würde voraussetzen, dass eine unbeabsichtigte Unvollständigkeit (echte Lücke) ausgenützt wird (a.a.O., E. 2e S. 240). Hingegen wurde in
BGE 132 III 212
eine Umgehung von
Art. 63 BGBB
angenommen in einem Falle, in welchem jemand sich eine pfandgesicherte Forderung hatte abtreten lassen, um trotz fehlender Selbstbewirtschaftung gestützt auf
BGE 140 II 233 S. 245
Art. 64 Abs. 1 lit. g BGBB
landwirtschaftliche Grundstücke zu erwerben; massgebend war hier, dass sich der Zessionar die Forderung mit der Absicht und dem Ziel hatte abtreten lassen, die Grundstücke zu erwerben (E. 4.2 und 4.3 S. 220 f.)
5.2
Vorliegend wird dem Beschwerdeführer 2 von keiner Seite eine Umgehungsabsicht unterstellt. Auch die Vorinstanz geht davon aus, dass die Übertragung des landwirtschaftlichen Gewerbes an eine juristische Person mit mehrheitlich nichtlandwirtschaftlichen Aktiven so lange, als der Mehrheitsaktionär Selbstbewirtschafter ist, noch keine Umgehung darstellt; sie will jedoch bereits die Gefahr einer späteren Umgehung vermeiden. Dabei fragt sich zunächst, welches überhaupt die möglicherweise umgangene Norm sein soll.
5.3
In Bezug auf den in der Bauzone gelegenen Teil des Grundstücks Q. sind Umgehungsbedenken von vornherein gegenstandslos; denn dieser fällt aufgrund von
Art. 2 Abs. 1 BGBB
nicht mehr unter das Gesetz oder kann (soweit er aufgrund von Abs. 2 lit. c dem Gesetz noch untersteht) jedenfalls nach
Art. 60 Abs. 1 lit. a BGBB
vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden (vorne E. 3.3). Alsdann kann er ohne Bewilligung verkauft werden, unabhängig davon, ob er der Beschwerdeführerin 1 oder dem Beschwerdeführer 2 gehört.
5.4
In Bezug auf die übrigen Grundstücke bzw. das verbleibende landwirtschaftliche Gewerbe gilt das BGBB uneingeschränkt weiterhin, auch wenn sie der Beschwerdeführerin 1 gehören: Wenn diese das Gewerbe oder einzelne Grundstücke veräussern will, so gelten die entsprechenden Bestimmungen.
5.5
Die Vorinstanz geht davon aus, dass - sofern das Hauptaktivum der Beschwerdeführerin nicht mehr aus einem landwirtschaftlichen Gewerbe besteht und
Art. 4 Abs. 2 BGBB
nicht mehr anwendbar ist (vorne E. 3.4) - die Mehrheitsbeteiligung an der juristischen Person bewilligungsfrei veräussert werden könnte, so dass insbesondere die Schutzbestimmungen von
Art. 63 BGBB
nicht zur Anwendung kämen. Die Vorinstanzen wollen mit ihrer Konzeption (vorne E. 4.2) somit eine Umgehung von
Art. 4 Abs. 2 BGBB
vermeiden. Die Schutzziele des Gesetzes können sie damit aber nicht wahren: Es kann nie ausgeschlossen werden, dass sich die Zusammensetzung der Aktiven einer juristischen Person im Laufe der Zeit ändert. Auch wenn - wie das Amt für Landwirtschaft in Aussicht gestellt hat - die Bewilligung erteilt würde, sofern das Grundstück Q. nicht
BGE 140 II 233 S. 246
in die Aktiengesellschaft überführt wird, könnte in der Folge die Beschwerdeführerin 1 so viele nichtlandwirtschaftliche Aktiven erwerben, dass das landwirtschaftliche Gewerbe nicht mehr ihr Hauptaktivum ist und sie damit aufgrund von
Art. 4 Abs. 2 BGBB
nicht mehr den Bestimmungen über landwirtschaftliche Gewerbe untersteht. Wollte man das absolut vermeiden, müsste die Bewilligung für den Erwerb landwirtschaftlicher Gewerbe durch juristische Personen generell verweigert werden, was indessen nicht der Rechtslage entspricht (vorne E. 3.2.1-3.2.4). Vorausgesetzt (und gegebenenfalls mit Auflagen sicherzustellen [vgl. vorne E. 3.1.3 und hinten E. 5.6.2]) für die Bewilligungsfähigkeit des Erwerbs landwirtschaftlicher Gewerbe durch juristische Personen ist bloss (aber immerhin), dass die Inhaber der Mehrheitsbeteiligung die Anforderungen an die Selbstbewirtschaftung erfüllen (vorne E. 3.2.2), aber nicht, dass das Gewerbe ein Hauptaktivum der juristischen Person sein muss. Eine allfällige Umgehung der zivilrechtlichen Schutzzwecke des Gesetzes (vorne E. 3.4) ist nicht in diesem - ausschliesslich dem öffentlichen Recht zuzurechnenden - Bewilligungsverfahren (
Art. 61 ff. BGBB
) zu prüfen.
5.6
5.6.1
Das genannte Bewilligungsverfahren steht denn auch im Fokus der vorliegend zu beurteilenden Streitsache; es geht nicht in erster Linie um einen Anwendungsfall im Geltungsbereich von
Art. 4 Abs. 2 BGBB
, sondern um die Tragweite der Bewilligungspflicht von
Art. 61 BGBB
und um die Schutzziele von
Art. 63 BGBB
. Das Verwaltungsgericht nimmt an, dass Letztere (namentlich die Berücksichtigung des Selbstbewirtschafterprinzips und der Schutz vor übersetzten Preisen) nicht eingehalten werden könnten, wenn die Beschwerdeführerin 1 ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, das nicht (mehr) ihr Hauptaktivum darstellt. Das trifft aber nicht zu: Wie ausgeführt (vorne E. 3.2.4), unterstellt das Gesetz nicht nur die Eigentumsübertragung selber, sondern auch jedes Rechtsgeschäft, das wirtschaftlich einer Eigentumsübertragung (an Gewerben oder Grundstücken) gleichkommt, der Erwerbsbewilligungspflicht (
Art. 61 Abs. 3 BGBB
). Auch die Übertragung von Anteilen an landwirtschaftlichen Grundstücken und Gewerben ist den entsprechenden Verfahrensbestimmungen unterworfen, ebenso die Übertragung von Anteils- und Nutzungsrechten an Allmenden, Alpen, Wald und Weiden, die im Eigentum von Allmendgenossenschaften, Alpgenossenschaften, Waldkorporationen oder ähnlichen Körperschaften stehen
BGE 140 II 233 S. 247
(
Art. 6 Abs. 2 BGBB
in Verbindung mit
Art. 59 Abs. 3 ZGB
), oder auch die Übertragung von Miteigentumsanteilen an landwirtschaftlichen Grundstücken (
Art. 3 Abs. 1 BGBB
, vgl. auch den Anspruch auf Zuteilung von Miteigentumsanteilen an einem landwirtschaftlichen Gewerbe [
Art. 13 BGBB
] bzw. die Ausgestaltung der entsprechenden Vorkaufsrechte [
Art. 49 BGBB
]).
Ein derartiges Rechtsgeschäft, das im Sinne von
Art. 61 Abs. 3 BGBB
wirtschaftlich einer Eigentumsübertragung gleichkommt, liegt nun aber auch dann vor, wenn Anteile einer juristischen Person übertragen werden, die ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, auch wenn dieses
nicht
ihr Hauptaktivum bildet. Das bedeutet mit anderen Worten: Jede Übertragung von Aktien einer Gesellschaft, die ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, kommt wirtschaftlich einer teilweisen Eigentumsübertragung desselben gleich und untersteht unabhängig von
Art. 4 Abs. 2 BGBB
in jedem Fall der Bewilligungspflicht und einem entsprechenden Verfahren nach
Art. 61 ff. BGBB
, in welchem auch die Verweigerungsgründe von
Art. 63 BGBB
(etwa die fehlende Selbstbewirtschaftereigenschaft beim Erwerber, vorne E. 3.2.2) zu prüfen sind. Dies gilt selbstredend auch für die Übertragung von Aktien der Beschwerdeführerin 1: Veräussert sie sie, kommt dies wirtschaftlich einer Eigentumsübertragung am Gewerbe gleich und unterliegt damit der Bewilligungspflicht, auch wenn
Art. 4 Abs. 2 BGBB
nicht zum Tragen kommt. Damit können die Anforderungen von
Art. 63 BGBB
und die damit verbundenen gesetzlichen Ziele (vorne E. 3.1.2) weiterhin durchgesetzt werden.
5.6.2
Aufgrund der anspruchsbegründend ausgestalteten Erwerbsregelung (vorne E. 3.1.2) kann die bloss theoretische Möglichkeit einer allfälligen künftigen Umgehung die Verweigerung der Bewilligung vorliegend nicht rechtfertigen. Insoweit ist die Beschwerde begründet. Jedoch sind zur Sicherstellung der Kontrollmöglichkeiten Auflagen erforderlich (vgl. vorne E. 3.1.3): So erscheint in dieser Hinsicht zwingend, dass das Kapital einer Aktiengesellschaft, die ein landwirtschaftliches Gewerbe besitzt, ausschliesslich aus Namenaktien bestehen darf, welch Letztere zudem von natürlichen Personen gehalten werden müssen (was Holdingstrukturen ausschliesst, vgl. vorne E. 3.2.3). Ebenso untersteht auch jede Veränderung in der Zusammensetzung des Kapitals solcher Gesellschaften der Bewilligungspflicht.
BGE 140 II 233 S. 248
Das Amt für Landwirtschaft, an welches die Sache zur Bewilligungserteilung zurückzuweisen ist, wird die erwähnten Auflagen verfügen und auch jene zu prüfen haben, die von den Beschwerdeführern selber vorgeschlagen worden sind. Zudem werden die bisher materiell nicht beurteilten Ziffern 2 und 3 des Gesuchs vom 22. Mai 2012 im Sinne der Erwägungen des vorliegenden Urteils zu beurteilen sein. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c014d0d-cc45-4803-af44-3eaf2275a739 | Urteilskopf
84 I 119
18. Auszug aus dem Urteil vom 11. Juni 1958 i.S. Kreissparkasse Waiblingen gegen Haaker und Obergericht des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland vom 2. November 1929;
Art. 493 Abs. 2 OR
.
1. Tragweite des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates (Erw. 2).
2. Ist die Vorschrift der öffentlichen Beurkundung bestimmter Bürgschaftserklärungen dem schweizerischen ordre public zuzurechnen? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 84 I 119 S. 120
Der in der Schweiz wohnhafte Karl Haaker unterzeichnete am 13. November 1954 in Schorndorf (Bundesrepublik Deutschland) eine Bürgschaftserklärung zugunsten der Kreissparkasse Waiblingen für deren Forderungen an Karl Bächle in Schorndorf bis zum Betrage von 35'000 DM. Gemäss Ziff. 8 der Erklärung gilt für Klagen aus der Bürgschaft "der allgemeine Gerichtsstand der Sparkasse als vereinbarter Gerichtsstand".
In der Folge anerkannte Haaker, für die Erfüllung der verbürgten Schuld einstehen zu müssen; er leistete zwei Teilzahlungen. Den Restbetrag samt Zinsen klagte die Kreissparkasse beim Landgericht Stuttgart ein. Dieses verpflichtete Haaker mit Versäumnisurteil vom 28. Februar 1957 zur Zahlung von 5623.80 DM nebst Zinsen. Die Kosten, die Haaker gemäss diesem Urteil der Kreissparkasse zu erstatten hat, setzte das Landgericht mit Beschluss vom 7. Juni 1957 auf 434.66 DM fest.
Die ihr in diesen Entscheidungen zugesprochenen Beträge setzte die Kreissparkasse beim Betreibungsamt Zürich 7 gegen Haaker in Betreibung. Haaker liess Recht vorschlagen mit der Begründung, das Urteil des Landgerichts Stuttgart verstosse "gegen zwingendes schweizerisches Recht und somit gegen unseren ordre public".
Mit Rekursentscheid vom 28. Januar 1958 hat das Obergericht des Kantons Zürich das Versäumnisurteil
BGE 84 I 119 S. 121
sowie den Kostenfestsetzungsbeschluss als nicht vollstreckbar erklärt. Es führt dazu aus, die Vollziehung dieser Entscheidungen scheitere an der in Art. 4 Abs. 1 des schweizerisch- deutschen Vollstreckungsabkommens vorbehaltenen öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates, da die Bürgschaftserklärung, auf die sich das Sachurteil stützt, entgegen der dem schweizerischen ordre public zugehörigen Formvorschrift des
Art. 493 Abs. 2 OR
nicht öffentlich beurkundet worden sei.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des genannten Staatsvertrags beantragt die Kreissparkasse Waiblingen, es sei ihr für die in Betreibung gesetzte Forderung samt Zinsen und Kosten definitiv das Recht zu öffnen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Fehlen der öffentlichen Beurkundung verstosse nicht gegen grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung; der ordre public stehe daher der Vollstreckung des Urteils und des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts Stuttgart nicht entgegen.
Das Bundesgericht schützt die Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht stützt seinen Rekursentscheid auf Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens. Nach dieser Bestimmung ist die Anerkennung eines im andern Staate ergangenen Urteils zu versagen, "wenn durch die Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem im Gebiet des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit versagt ist".
Mit dieser Vorschrift soll der Herrschaftsbereich des in der gesamten Rechtsordnung verankerten Vorbehalts der Unvereinbarkeit des fremden mit dem einheimischen Recht auf dem Gebiete der Vollstreckung von Urteilen des andern Vertragsstaates genauer abgegrenzt werden. Dieser Vorbehalt des ordre public hat allgemein zu verhindern,
BGE 84 I 119 S. 122
dass ausländisches Recht im Inland Beachtung findet, das mit der eigenen Rechtsordnung unvereinbar ist, das ihrem Sinn und Geist widerspricht. Zu diesem Behufe ermöglicht er es, einzelne Vorschriften des kollisionsrechtlich an sich anwendbaren fremden Rechts ausnahmsweise nicht anzuwenden und, wenn nötig, durch Bestimmungen des einheimischen Rechts zu ersetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts greift dieser Vorbehalt immer dann Platz, wenn sonst das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt würde (
BGE 64 II 97
/98,
BGE 76 I 129
,
BGE 81 I 145
Erw. 5,
BGE 84 I 50
a), wenn grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden (
BGE 76 I 129
,
BGE 78 II 250
c,
BGE 81 I 145
Erw. 5), wenn das schweizerische Rechtsdenken zwingend den Vorrang gegenüber dem anwendbaren (oder angewendeten) ausländischen Recht erheischt (
BGE 78 II 251
).
Mit der unbestimmten Fassung dieser Umschreibungen hat das Bundesgericht zum Ausdruck gebracht, dass es kaum möglich ist, den ordre public in allgemein gültiger Weise zu definieren (
BGE 64 II 97
Erw. 5). Ob die Vorbehaltsklausel einzugreifen habe, kann vielmehr nur aus den Gegebenheiten des Einzelfalles heraus entschieden werden. Der Richter hat dabei festzustellen, ob ein einheimischer Rechtsgrundsatz auf dem Spiele stehe, der des Schutzes bedürfe, und ob der an sich anzuwendende fremde Rechtssatz derzu schützenden einheimischen Rechtsauffassung widerspreche. Beides kann der Richter nur beurteilen, wenn er in die Rangordnung der Werte eindringt, die dem eigenen - geschriebenen und ungeschriebenen - Recht zugrunde liegt und bis in die einzelnen Rechtsinstitute hinein ihre Ausprägung findet. Da sich diese Rangordnung nicht als ein einheitliches und geschlossenes Ganzes darbietet, sieht sich der Richter letztlich auf sein eigenes Wertbewusstsein, sein "Rechtsgefühl" verwiesen (MARTI, Der Vorbehalt des eigenen Rechtes im internationalen Privatrecht der Schweiz, S. 92; NIEDERER,
BGE 84 I 119 S. 123
Einführung in die allgemeinen Lehren des internationalen Privatrechts, S. 287).
Als Ausnahmevorschrift ist die Vorbehaltsklausel einschränkend auszulegen. Das Bundesgericht hat von ihr denn auch stets nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht (
BGE 64 II 97
Erw. 5). Nach seiner Rechtsprechung sind dem Vorbehalt des ordre public zudem mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen als im Gebiete der direkten Gesetzesanwendung (
BGE 78 II 251
,
BGE 81 I 145
Erw. 5,
BGE 84 I 49
, 52, 61). Diese besondere Zurückhaltung rechtfertigt sich namentlich auch bei der Handhabung von Art. 4 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen Vollstreckungsabkommens, sollte dessen "enge Fassung" doch nach dem Willen der Vertragsschliessenden "der Gefahr einer übermässigen Ausdehnung des ordre public-Vorbehaltes" vorbeugen (vgl. die Botschaft des Bundesrates, BBl 1929 III S. 536).
3.
Das Landgericht Stuttgart hat im Urteil, dessen Vollstreckung verlangt wird, den Beschwerdegegner auf Grund seiner Bürgschaft (und nicht der nachträglichen Schuldanerkennung) zur Zahlung verpflichtet. Es hat das Rechtsverhältnis nach deutschem Recht beurteilt. Gemäss § 766 BGB genügt zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages die einfache schriftliche Form, in der die vorliegende Bürgschaftserklärung gehalten ist. Ein zahlenmässig bestimmter Höchstbetrag der Haftung ist nach deutschem Recht in der Bürgschaftsurkunde nicht anzugeben; er hat hier jedoch Aufnahme gefunden. Die Bürgschaftserklärung des Beschwerdegegners widerspricht somit nur insofern den Formerfordernissen des schweizerischen Rechts (
Art. 493 OR
), als sie nicht öffentlich beurkundet worden ist. Im Gegensatz zu dem in
BGE 64 II 349
ff. behandelten Fall steht hier mithin nicht in Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag der (einfachen) Schriftform bedürfe und den Höchstbetrag der Haftung anzugeben habe, um in der Schweiz anerkannt zu werden. Es ist demnach allein zu prüfen, ob die Vorschrift der öffentlichen Beurkundung
BGE 84 I 119 S. 124
bestimmter Bürgschaftserklärungen einen Bestandteil der schweizerischen öffentlichen Ordnung bilde. Die genannte Vorschrift ist, wie die weitern Formerfordernisse des
Art. 493 OR
, zwingender Natur (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 44 zu
Art. 493 OR
; GIOVANOLI, N. 10 und 11 zu
Art. 493 OR
; BECK, Das neue Bürgschaftsrecht, N. 14 zu
Art. 493 OR
; GUHL, Das neue Bürgschaftsrecht, S. 25). Das heisst indes nicht, dass sie schon deshalb dem schweizerischen ordre public zugehöre. Ob eine im Ausland eingegangene Bürgschaft um dieser öffentlichen Ordnung willen in der Schweiz nur beachtet werden könne, wenn der Vertrag in den Fällen, in denen
Art. 493 OR
dies vorsieht, öffentlich beurkundet ist, entscheidet sich vielmehr nach den in Erw. 2 dargelegten Grundsätzen.
Zweck der in Frage stehenden Formvorschrift ist es, dem Bürgen die Tragweite seiner Verpflichtung vor Augen zu führen und ihn von übereilten Bürgschaftsversprechen abzuhalten (
BGE 64 II 350
,
BGE 65 II 237
; Botschaft des Bundesrates zur Revision des Bürgschaftsrechts, BBl 1939 II S. 846 und 857; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 der Vorbemerkungen zu
Art. 492-512 OR
, N. 14 zu
Art. 493 OR
; GIOVANOLI, N. 33 zu
Art. 493 OR
; BECK, a.a.O., N. 1 und 8 zu
Art. 493 OR
; GUHL, a.a.O., S.11). Diese sozialpolitische Zwecksetzung rechtfertigt es nach der Auffassung der meisten Bearbeiter, die Formvorschriften des
Art. 493 OR
dem schweizerischen ordre public zuzurechnen (vgl. HOMBERGER, Die obligatorischen Verträge im internationalen Privatrecht nach der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts, S. 58 A. 1; BECK, a.a.O., N. 54 der Einleitung; derselbe, Die Bürgschaft im internationalen Privatrecht der Schweiz, ZbJV 71 S. 516; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 33 der Vorbemerkungen zu
Art. 492-512 OR
, mit der Einschränkung auf Bürgen, die zur Zeit der Eingehung der Bürgschaft ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten). Die angeführten Autoren haben aber offensichtlich die direkte Gesetzesanwendung im
BGE 84 I 119 S. 125
Auge; sie äussern sich nicht eigens über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils, das auf Grund einer den schweizerischen Formvorschriften nicht entsprechenden Bürgschaft ergangen ist. Unter diesem besonderen Gesichtswinkel kann, jedenfalls was das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung betrifft, ihrer Ansicht nicht gefolgt werden.
Bis zur Gesetzesrevision des Jahres 1941 begnügte sich auch das schweizerische Recht in allen Fällen mit der einfachen Schriftlichkeit der Bürgschaftserklärung. Die Verschärfung der Formvorschriften wurde zwar als das "Kernstück" der Vorlage bezeichnet (Sten. Bull. NatR 1940 S. 73; Prot. Kom. NatR I S.11); über deren Notwendigkeit waren die Meinungen jedoch keineswegs einhellig (vgl. die Botschaft des Bundesrates, BBl 1939 II S. 858 f.). Der Gesetzgeber sah sich denn auch auf den Weg der Verständigung und des Ausgleichs verwiesen. So sind lediglich Bürgschaftserklärungen natürlicher Personen öffentlich zu beurkunden, und auch diese nur dann, wenn der Forderungsbetrag die Summe von Fr. 2000.-- übersteigt. Nicht öffentlich zu beurkunden sind die sogen. Kautionsbürgschaften gegenüber der Eidgenossenschaft und den Kantonen (
Art. 493 Abs. 3 OR
) sowie die Wechselbürgschaften (vgl.
BGE 79 II 80
). Die schweizerische Rechtsordnung zieht damit dem Schutz des Bürgen vor der unüberlegten Eingehung von Bürgschaften gewisse Grenzen, die sich aus den Anforderungen des Wirtschaftslebens einerseits und dem Wesen des Privatrechts anderseits erklären, das dem Gedanken des Schutzes der Rechtsgenossen vor sich selber zurückhaltend begegnet. Verzichtet ein ausländisches Gesetz auf die öffentliche Beurkundung des Bürgschaftsvertrags, so stellt es mit der Freiheit des Rechtsverkehrs einen Rechtsgrundsatz in den Vordergrund, dem in der einheimischen Rechtsordnung gleichfalls eine zentrale Bedeutung zukommt, und der auch im Bürgschaftsrecht des OR dem Bestreben, den Bürgen zu schützen, Schranken setzt. Eine Umwertung, die das
BGE 84 I 119 S. 126
schweizerische Rechtsempfinden in unerträglicher Weise verletzen würde, liegt darin nicht. Es lässt sich daher nicht sagen, durch die Vollstreckung eines ausländischen Urteils, das sich auf eine in einfacher Schriftform gehaltene (statt öffentlich beurkundete) Bürgschaftserklärung stützt, gelange ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung, das gegen den schweizerischen ordre public verstosse. Wird in einem Falle wie dem vorliegenden die Vollstreckung verweigert, so wird damit der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung in einer Weise überspannt, der sich mit dem Sinn und Zweck von Art. 4 Abs. 1 des schweizerischdeutschen Vollstreckungsabkommens nicht vereinbaren lässt und den Staatsvertrag verletzt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3c077a00-1fa0-456f-bce3-67577177fafe | Urteilskopf
111 II 343
66. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1985 i.S. Dorena AG gegen Frei Beton AG (Berufung) | Regeste
Bauhandwerkerpfandrecht: einheitliche Eintragungsfrist für Betonlieferungen, die für zwei zusammengehörende Bauten erfolgten (
Art. 839 Abs. 2 ZGB
).
Wurden ein Mehrfamilienhaus und die dazugehörenden Garagen baulich getrennt, jedoch aufgrund des gleichen Werkvertrages vom gleichen Unternehmer auf dem gleichen Grundstück und in einem Zuge errichtet, so bilden die Frischbetonlieferungen, die für die beiden Bauten sukzessive aufgrund eines einzigen Vertrages erfolgten, eine einzige Bauleistung. Für diese gilt daher eine einheitliche Frist zur Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts gemäss
Art. 839 Abs. 2 ZGB
(E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 343
BGE 111 II 343 S. 343
Die Firma Bühler-Bau AG führte auf dem der Firma Dorena AG gehörenden Grundstück Nr. 4682 GB Sennwald die Baumeisterarbeiten für ein Mehrfamilienhaus und einen baulich getrennten Garagentrakt aus. Den hierfür benötigten Beton bestellte die Firma Bühler-Bau AG bei der Firma Frei Beton AG. Die Lieferung erfolgte zwischen dem 3. Mai und 27. August 1982. Gemäss den monatlich ausgestellten Fakturen betrug der Gesamtpreis Fr. 29'210.85.
Am 1. Februar 1983 machte die Firma Frei Beton AG beim Bezirksgericht Werdenberg die Klage auf definitive Eintragung des
BGE 111 II 343 S. 344
Bauhandwerkerpfandrechts anhängig. Mit Urteil vom 22. März 1984 wies das Bezirksgericht Werdenberg das Grundbuchamt Sennwald an, auf dem Grundstück Nr. 4682 zugunsten der Firma Frei Beton AG ein Bauhandwerkerpfandrecht mit einer Pfandsumme von Fr. 22'279.75 nebst Zins zu 5% seit dem 1. November 1982 definitiv einzutragen.
Die Parteien fochten dieses Urteil mit Berufung resp. Anschlussberufung beim Kantonsgericht St. Gallen an. Mit Urteil vom 22. Februar 1985 wies das Kantonsgericht das Grundbuchamt Sennwald an, das Bauhandwerkerpfandrecht im Betrage von Fr. 29'146.75 definitiv einzutragen. Der Verzugszinsanspruch wurde wegen verspäteter Geltendmachung nicht geschützt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Firma Dorena AG mit Berufung an das Bundesgericht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass auf der Liegenschaft der Beklagten zwei Baukörper erstellt wurden, nämlich das Mehrfamilienhaus und der Garagentrakt. Die beiden Gebäude stehen im Verhältnis von Haupt- und Nebengebäude. Der Garagentrakt ist ausschliesslich auf das Mehrfamilienhaus hin konzipiert worden und dient nur diesem. Mehr aus architektonischer Zufälligkeit oder aus planerischen und wirtschaftlichen Gründen wurde auf eine bauliche Verbindung der beiden Gebäude verzichtet. Diese sind jedoch ohne zeitlichen Unterbruch in einem Zuge durch den gleichen Unternehmer aufgrund des gleichen Werkvertrages errichtet worden. Für beide Gebäude hat die Klägerin sukzessive Frischbeton geliefert, wobei aber die Lieferungen für das Wohnhaus früher beendigt waren als für die Garagen.
Aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten hat die Vorinstanz den Schluss gezogen, dass mit den Betonlieferungen der Klägerin für die beiden Gebäude eine einheitliche Leistung erfolgt sei. Grundsätzlich sei zwar davon auszugehen, dass Bauarbeiten des gleichen Unternehmers für mehrere Bauwerke auf einer einzigen Parzelle gesonderten Eintragungsfristen für ein Bauhandwerkerpfandrecht gemäss
Art. 839 Abs. 2 ZGB
unterliegen würden. Damit seien aber in erster Linie Bauten gemeint, die unter sich keine Einheit bildeten, z.B. zwei oder mehrere Einfamilienhäuser auf demselben Grundstück. Im vorliegenden Fall seien indessen zwei Bauten
BGE 111 II 343 S. 345
ausgeführt worden, die funktional zusammenhängen würden. Es liege deshalb eine spezifische Bauleistung vor, die für ein zusammenhängendes Ganzes erbracht worden sei. Für die Lieferungen, welche für das Mehrfamilienhaus und den Garagentrakt bestimmt gewesen seien, gelte daher eine einheitliche Eintragungsfrist im Sinne von
Art. 839 Abs. 2 ZGB
.
b) Die Beklagte wendet dagegen im wesentlichen ein, dass zwei verschiedene, räumlich getrennte Baukörper vorliegen würden, die je ein selbständiges Bauwerk darstellten. Da für jedes Bauwerk die Frist getrennt zu laufen begonnen habe, sei die Frist gemäss
Art. 839 Abs. 2 ZGB
zur Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts hinsichtlich jener Lieferungen, welche für das Mehrfamilienhaus bestimmt gewesen seien, nicht eingehalten worden.
c) Gemäss
Art. 839 Abs. 2 ZGB
hat die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts bis spätestens drei Monate nach der Vollendung der Arbeit zu geschehen. Das ZGB stellt damit für den Beginn des Fristenlaufes auf eine blosse Tatsache, die vollendete Arbeit ab. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es nicht bundesrechtswidrig, sich im Hinblick auf den Beginn des Fristenlaufes nicht streng an die juristische Form der Beziehungen zwischen den Parteien zu halten, sondern diese Beziehungen in ihrer Gesamtheit und unter praktischen Gesichtspunkten zu betrachten. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Lieferungen der Klägerin eine einheitliche Bauleistung bildeten oder nicht (
BGE 106 II 128
,
BGE 104 II 352
). Dies trifft gemäss der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts für sukzessive Lieferungen von Frischbeton grundsätzlich zu (
BGE 104 II 351
E. 2). Im vorliegenden Fall ist aber überdies erforderlich, dass die Betonlieferungen als Einheit betrachtet werden können, obwohl sie für zwei verschiedene Bauten erfolgten.
In dieser Hinsicht ist in erster Linie davon auszugehen, dass beide Bauten aufgrund des gleichen Werkvertrages errichtet wurden (
BGE 106 II 25
f., 76 II 140; LEEMANN, N 18 zu
Art. 839 ZGB
). Vom Vertrag her bildete die Erstellung des Mehrfamilienhauses mit dem dazugehörenden Garagentrakt somit eine einheitliche Leistung. Allein die Tatsache, dass im vorliegenden Fall das Mehrfamilienhaus und die Garagen räumlich getrennt sind, vermag daran nichts zu ändern. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind neben der Regelung des Werkvertrages die gesamten Umstände massgeblich, und es ist darauf abzustellen, welches
BGE 111 II 343 S. 346
Kriterium dem betreffenden Fall am besten gerecht wird (
BGE 106 II 128
f.). Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, befinden sich die beiden Gebäude auf dem gleichen Grundstück. Die Garagen wurden auf das Mehrfamilienhaus hin konzipiert und dienen ausschliesslich diesem Wohnhaus. Die Arbeiten wurden auch vom gleichen Unternehmer in einem Zuge ausgeführt und überlagerten sich zeitlich. Angesichts dieser Umstände kann es der Klägerin, die für diese beiden Bauten aufgrund eines einzigen Vertrages sukzessive Frischbeton geliefert hat, nicht zum Nachteil gereichen, dass aus architektonischer Zufälligkeit oder aus planerischen und wirtschaftlichen Gründen auf eine bauliche Verbindung der beiden zusammengehörenden Gebäude verzichtet wurde.
SCHUMACHER (Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2. Aufl. 1982), auf den sich die Beklagte beruft, geht nicht davon aus, es sei irrelevant, ob nur ein einziger Vertrag vorgelegen habe und ob die Arbeiten in einem Zuge ausgeführt worden seien. Er betont vielmehr, das Vorliegen mehrerer Verträge und der Umstand, dass diese zeitlich gestaffelt abgeschlossen worden seien, spiele nur dann keine Rolle, wenn die mehreren Bauarbeiten ein zusammengehörendes Ganzes, eine spezifische Einheit bildeten. Eine einheitliche Bauleistung liege aber insbesondere dann vor, wenn die sukzessiven Arbeiten vom gleichen Unternehmer ausgeführt würden, z.B. Aushub-, Maurer- und Eisenbetonarbeiten (a.a.O., N 644, 646 f.). Das Bundesgericht hat in
BGE 104 II 352
zur Beurteilung der Einheitlichkeit einer Arbeitsleistung auch danach gefragt, ob die Rechtsbeziehungen zwischen General- und Subunternehmer tatsächlich ausschliesslich waren, nicht unterbrochen wurden und nicht unterbrochen werden konnten. Genauso verhält es sich im vorliegenden Fall. Der Vorinstanz kann daher keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden, wenn sie bei der Würdigung der gesamten Umstände auch auf diese Kriterien abgestellt hat.
d) Die Beklagte macht wiederholt geltend, es lägen zwei verschiedene Bauwerke vor und deshalb müssten für das Mehrfamilienhaus und die Garagen getrennte Fristen zur Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts laufen. Da es im vorliegenden Fall jedoch gerade entscheidend darauf ankommt, ob die beiden Bauten separate Bauwerke darstellen oder eine Einheit bilden, tragen diese Ausführungen wenig zur Sache bei. Der Berufungsschrift lässt sich hierzu nur entnehmen, dass zwei Bauwerke vorliegen sollen, weil zwei räumlich getrennte Baukörper vorhanden sind.
BGE 111 II 343 S. 347
Wie sich jedoch bereits ergeben hat, kann nicht einzig auf die Tatsache der getrennten Baukörper abgestellt werden.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auch darauf, dass bei Gesamtüberbauungen für jedes Gebäude die Eintragungsfrist von
Art. 839 Abs. 2 ZGB
selbständig zu laufen beginne, selbst wenn für die ganze Überbauung nur ein einziger Werkvertrag abgeschlossen worden sei (SCHUMACHER, a.a.O., N 668 f.). Zu den typischen Erscheinungen bei Gesamtüberbauungen gehören die zeitliche Staffelung in der Fertigstellung der einzelnen Häuser oder Blöcke, die zeitliche Staffelung in deren Bezug und die Parzellierung von Grund und Boden während des Bauvorganges. Typisch kann auch die Krisenanfälligkeit der Finanzierung sein, wenn die fertiggestellten Häuser und Wohnungen fortlaufend verkauft werden müssen, damit mit dem Erlös die Gesamtüberbauung fertiggestellt werden kann, ebenso die regelmässige Tilgung der Kaufpreisschuld durch die Endeigentümer schon vor dem Eigentumsübergang (KAPPELER, Das Bauhandwerkerpfandrecht bei Gesamtüberbauungen, in: ZBGR 57 (1976) S. 258 f.). Diese Besonderheiten führen zu einer ganz besonderen Interessenlage in bezug auf den Beginn der Dreimonatsfrist zur Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts. Im vorliegenden Fall liegt jedoch offensichtlich keine Gesamtüberbauung vor. Dem vorinstanzlichen Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass die Liegenschaft, auf der das Mehrfamilienhaus und die Garagen stehen, parzelliert und die Teile einzeln verkauft werden sollen. Dies ergäbe auch keinen Sinn, nachdem die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, dass die Garagen auf das Mehrfamilienhaus hin konzipiert wurden und ausschliesslich diesem dienen. Im Unterschied zu einer Gesamtüberbauung wurden die beiden Gebäude auch nicht gestaffelt, sondern in einem Zuge fertiggestellt. Es ist daher kein Interesse ersichtlich, das es rechtfertigen würde, die bei Gesamtüberbauungen geltenden Regeln für den Beginn der Eintragungsfrist gemäss
Art. 839 Abs. 2 ZGB
auch im vorliegenden Fall anzuwenden.
Ebenso ist die Berufung auf die Besonderheiten bei einer Anmerkungsparzelle unbehelflich, da im vorliegenden Fall gerade keine solche gegeben ist. Auch aus
BGE 76 II 137
E. 1 und
BGE 104 II 351
E. 2, auf welche die Beklagte über einen Hinweis bei SCHUMACHER (a.a.O., N 660) verweist, lässt sich nichts für ihren Standpunkt ableiten. In
BGE 76 II 137
E. 1 wurde nicht einfach entschieden, dass die Erstellung eines Zufahrtsweges und jene des Rohbaus
BGE 111 II 343 S. 348
eines Hauses einen getrennten Fristenlauf nach
Art. 839 Abs. 2 ZGB
auslösen, wie die Beklagte unterstellt. In jenem Fall hat das Bundesgericht vielmehr entscheidend darauf abgestellt, ob die Erstellung des Zufahrtsweges und die Maurerarbeiten für das Haus in einem einzigen Vertrag vergeben worden waren oder nacheinander in zwei verschiedenen Verträgen. Da der Bauherr nicht geltend gemacht hatte, es seien dafür zwei verschiedene Werkverträge abgeschlossen worden, musste von einer gleichzeitigen Vergabe ausgegangen werden, was einen einheitlichen Fristenlauf begründete. In
BGE 104 II 352
hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung präzisiert und ausgeführt, dass es sich da rechtfertige, für jeden einzelnen Vertrag einen eigenen Fristenlauf zur Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts anzunehmen, wo einem Unternehmer nachträglich andere Arbeiten unterschiedlicher Art übertragen würden. Da es sich bei den mehreren Verträgen jenes Falles jedoch gerade um eine Wiederholung gleichartiger Bestellungen handelte, welche zusammen eine einzige spezifische Leistung ergaben, nahm das Bundesgericht für alle Verträge einen einheitlichen Fristenlauf an. Im vorliegenden Fall bleibt die Rechtsprechung in
BGE 104 II 351
ff. indessen unbeachtlich, da die Leistungen für die beiden Gebäude unbestrittenermassen aufgrund eines einzigen Werkvertrages erfolgten.
Schliesslich ist auch der Vorwurf unbegründet, die Vorinstanz habe in Verletzung von Bundesrecht auch darauf abgestellt, wer die Garagen mieten werde. Die Vorinstanz hat hierzu nur festgestellt, das zufällige Vermieten einer einzelnen Boxe an einen Dritten ändere nichts daran, dass der Garagenbau ausschliesslich auf das Mehrfamilienhaus hin konzipiert worden sei und nicht mehreren Wohnhäusern diene. Was die Beklagte dagegen vorbringt, erweist sich als blosse Kritik an der Beweiswürdigung und ist daher nicht zu hören (
BGE 109 II 344
E. d).
e) Es ergibt sich somit, dass die Lieferungen der Klägerin eine Einheit bildeten. Ihre Arbeit für die beiden Gebäude war erst in dem Moment im Sinne von
Art. 839 Abs. 2 ZGB
vollendet, als auch die letzte Lieferung für den Garagentrakt erfolgt war. Mit der Wahrung der Frist zur Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts hinsichtlich des Garagentraktes wurde auch die Eintragungsfrist hinsichtlich des Mehrfamilienhauses eingehalten. Dies führt aber zur Abweisung der Berufung der Beklagten, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c08702a-15cb-4223-a42e-303ca35e4090 | Urteilskopf
101 IV 164
42. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Juli 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden | Regeste
Art. 159 StGB
.
Ungetreue Geschäftsführung setzt voraus, dass der zur Fürsorge Verpflichtete befugt ist, über das fremde Vermögen selbständig zu verfügen. | Sachverhalt
ab Seite 164
BGE 101 IV 164 S. 164
Aus dem Tatbestand:
Die Vormundschaftsbehörde des Kreises Oberengadin wählte 1967 X. zum Verwaltungsbeistand des blinden D. Dieser besass in Bever mehrere Grundstücke.
Am 15. August 1969 teilte X. der Vormundschaftsbehörde mit, dass D. Bauland in Bever zu verkaufen beabsichtige; dem Kaufsinteressenten W. sei bereits ein Angebot von Fr. 30.-- pro m2 gemacht worden. X. ersuchte die Behörde, dem beabsichtigten
BGE 101 IV 164 S. 165
Verkaufe zuzustimmen, damit die unmittelbar bevorstehenden Verkaufsverhandlungen bald abgeschlossen werden könnten.
Die Vormundschaftsbehörde nahm davon Kenntnis, wählte aber angesichts einer möglichen Interessenkollision für diese Veräusserungen einen Beistand ad hoc in der Person von P.
Am 12. Januar 1970 schloss D. unter Mitwirkung seines Beistandes ad hoc zwei Rechtsgeschäfte über verschiedene Grundstücke ab. In beiden Fällen schob X. Strohmänner vor. Eigentlicher Erwerber war jedoch er selbst.
Im einen, hier allein interessierenden Fall räumte D. dem W. ein persönliches und übertragbares Kaufsrecht an der Parzelle 1/10 in Bever von 9229 m2 für Fr. 30.-- pro m2 ein, zahlbar am Tage der Ausübung des Kaufsrechtes. Am 31. Dezember 1970 übte X. als Vertreter von W. das Kaufsrecht aus. Am 21. Januar 1971 erwarb X. selber das Grundstück von W. zu dem von D. mit diesem vereinbarten Preis. Der Kaufpreis wurde statt am 31. Dezember 1970 erst am 31. März 1971 von X. an D. bezahlt.
Das Kreisgericht Oberengadin verurteilte am 29. November 1973 X. u.a. wegen ungetreuer Geschäftsführung zu acht Monaten Gefängnis bedingt und Fr. 3'000.-- Busse.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer X. vor, nicht dafür gesorgt zu haben, dass W. den Kaufpreis bei oder unmittelbar nach Ausübung des Kaufsrechts bezahlt habe. Das Kantonsgericht bejaht vorsätzliche Begehung mit der Begründung, X. habe sich darüber Rechenschaft geben müssen, dass in der Zeit zwischen dem 31. Dezember 1970 und dem 31. März 1971 D. auf dem ausstehenden Betrag von rund Fr. 280'000.-- Passivzinsen erwachsen werden. Dadurch habe sich X. der ungetreuen Geschäftsführung im Sinne von
Art. 159 StGB
schuldig gemacht.
Soweit der Beschwerdeführer dagegen einwendet, die Vorinstanz spreche sich über die Höhe des Schadens nicht aus, und zudem sei nicht bewiesen, dass er bei W. nichts unternommen habe, um die Zahlung zu veranlassen, kann er damit nicht gehört werden. Die Verurteilung nach
Art. 159 StGB
setzt nicht voraus, dass der Schaden ziffernmässig genau ausgewiesen
BGE 101 IV 164 S. 166
sei. Anderseits verneint die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich, dass der Beschwerdeführer Schritte unternommen habe, um W. zur sofortigen Zahlung zu veranlassen.
Indessen sind diese Umstände aus einem andern Grund nicht entscheidend. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich des Kaufrechtsvertrages D./W. nicht als Verwaltungsbeistand und auch sonst nicht als Vermögensverwalter für D. tätig wurde. Wohl hat er den Verkauf an W. vorbereitet und am 15. August 1969 einen Antrag an die Vormundschaftsbehörde um Genehmigung des beabsichtigten Verkaufes gestellt. Die Vormundschaftsbehörde nahm davon Kenntnis, dass der Beschwerdeführer D. in seinen Verkaufsabsichten unterstützte, wählte aber angesichts einer möglichen Interessenkollision für diese Verkäufe einen Beistand ad hoc in der Person von P. Dieser hat denn auch am 12. Januar 1970 bei Abschluss des Kaufrechtsvertrages mitgewirkt und der Vormundschaftsbehörde die Genehmigung des Vertrages beantragt. Nachdem der Beschwerdeführer wegen möglicher Interessenkollision als Verwaltungsbeistand ausgeschaltet worden war, war er auch nicht verpflichtet, bei der weitern Abwicklung des Grundstückverkaufes die Interessen von D. zu wahren. Betrachtete die Vormundschaftsbehörde die Aufgabe des Beistandes P. mit der Prüfung des Kaufpreises und der Verträge und der Mitwirkung bei der öffentlichen Beurkundung für abgeschlossen, so hätte sie für die weitere Abwicklung des Geschäftes einen andern Beistand mit Sonderauftrag einsetzen oder das Geschäft selber überwachen müssen. Denn war eine Interessenkollision zu befürchten, konnten die Interessen von D. auch bei der weitern Abwicklung des Geschäftes gefährdet sein. Die Interessenkollision in diesem Geschäft war übrigens auch für die Vormundschaftsbehörde offensichtlich, nachdem der Beschwerdeführer schon anlässlich des Kaufrechtsvertrages vom 12. Januar 1970 als Bevollmächtigter des W. aufgetreten war; auch am 31. Dezember 1970, als W. das Kaufsrecht ausübte und der Kaufvertrag D./W. öffentlich beurkundet wurde, wirkte der Beschwerdeführer wieder als Vertreter von W. mit, wie sich aus der Strafanzeige der Vormundschaftsbehörde des Kreises Oberengadin an die Staatsanwaltschaft vom 2. Dezember 1971 ergibt. Es lag daher nicht am Beschwerdeführer, sondern an dem für dieses Geschäft ernannten Beistand P., für den Eingang des
BGE 101 IV 164 S. 167
fällig gewordenen Kaufpreises zu sorgen. Nachdem der Beschwerdeführer infolge Einsetzung eines Beistandes ad hoc weder gesetzlich noch vertraglich verpflichtet war, die Interessen von D. zu wahren, war er auch nicht befugt, selbständig über das fremde Vermögen zu verfügen. Damit entfallen aber die in
Art. 159 StGB
geforderten Voraussetzungen (
BGE 81 IV 279
,
BGE 86 IV 14
,
BGE 95 IV 66
) für eine Schuldigerklärung.
Auch versuchte ungetreue Geschäftsführung liegt in diesem Punkt nicht vor. Wohl hat der Beschwerdeführer den Grundstückverkauf an W. vorbereitet und den Antrag auf Genehmigung des Vertrages bei der Vormundschaftsbehörde gestellt. Dass er aber schon damals (August 1969) eine verspätete Auszahlung des Kaufpreises durch W. und eine dadurch entstehende Vermögensschädigung in Kauf genommen habe, wird im angefochtenen Urteil nicht festgestellt. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c10f787-b275-4e7e-bdca-5dc7fda50ead | Urteilskopf
100 Ib 137
25. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Mai 1974 i.S. Pensionskasse Ciba-Geigy gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Stiftungsaufsicht. Anpassung der Statuten und Reglemente der Personalfürsorgeeinrichtungen an das neue Arbeitsvertragsrecht.
1. Treffen die Organe einer rechtsbeständigen Stiftung eine widerrechtliche Massnahme oder sind einzelne Bestimmungen der Stiftungsurkunde nicht mehr gesetzeskonform, so hat die Aufsichtsbehörde nicht nach
Art. 88 Abs. 2 ZGB
vorzugehen, sondern von ihrem Aufsichtsrecht im Sinne von
Art. 84 Abs. 2 ZGB
Gebrauch zu machen. Dabei ist die Aufsichtsbehörde befugt, unmittelbar einzugreifen und die Stiftungsorgane zur notwendigen Korrektur zu zwingen (Erw. I 2a).
2. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen der Aufsichtsbehörde über Stiftungen (Erw. I 2a).
3. Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Zehnten Titel des OR, dem neuen Arbeitsvertragsrecht. Die Frist von fünf Jahren für die Anpassung der Statuten und Reglemente der bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen hat sowohl formelle als auch materielle Wirkung (Erw. III). | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 100 Ib 137 S. 138
A.-
Durch Bundesgesetz vom 25. Juni 1971 über die Revision des Arbeitsvertragsrechts wurden der Zehnte Titel und der Zehnte Titelbis des Obligationenrechts vom 30. März 1911/18. Dezember 1936/20. September 1963 aufgehoben und durch neue Bestimmungen ersetzt. Die neuen Art. 331a-331c rev. OR brachten für die Personalfürsorgeeinrichtungen zwei wesentliche Neuerungen: Einerseits vermitteln sie dem Arbeitnehmer nach fünf Beitragsjahren einen Anspruch auf eine Freizugigkeitsleistung; er hat damit das Recht, von Spareinrichtungen ausser seinen eigenen Beiträgen einen der Anzahl der Beitragsjahre angemessenen Teil der Beiträge der Arbeitgeber samt Zinsen bzw. von Versicherungseinrichtungen einen angemessenen Teil des Deckungskapitals zu verlangen. Anderseits wird die Barauszahlung der Arbeitnehmerbeiträge und allenfalls der aus den Beiträgen des Arbeitgebers finanzierten Freizügigkeitsleistung grundsätzlich ausgeschlossen. Die Personalfürsorgeeinrichtungen. wurden mit diesen neuen Bestimmungen verpflichtet, zugunsten eines
BGE 100 Ib 137 S. 139
austretenden Arbeitnehmers eine Forderung auf zukünftige Vorsorgeleistungen gegen die Personalfürsorgeeinrichtung eines andern Arbeitgebers oder gegen eine der Versicherungsaufsicht unterstellte Unternehmung oder bei Sparguthaben gegen eine Kantonalbank zu begründen. Gemäss Art. 362 rev. OR dürfen die neuen Art. 331a, 331b und 331c Abs. 1 und 2 rev. OR durch Abrede, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden.
Art. 7 der Übergangsbestimmungen des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1971 schreibt unter dem Marginale "Anpassung altrechtlicher Verhältnisse" vor:
"1 Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehenden Arbeitsverträge (Einzelarbeitsverträge, Normalarbeitsverträge und Gesamtarbeitsverträge) sind innert der Frist von einem Jahr seinen Vorschriften anzupassen; nach Ablauf dieser Frist sind seine Vorschriften auf alle Arbeitsverträge anwendbar.
2 Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen sind berechtigt, innert der Frist von fünf Jahren ihre Statuten oder Reglemente unter Beachtung der für deren Anderung geltenden formellen Bestimmungen den Vorschriften der Artikel 331a, 331b und 331c anzupassen."
Nach Art. 8 der Übergangsbestimmungen wird der Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Gesetzes durch den Bundesrat bestimmt. Dieser setzte die neue Ordnung auf den 1. Januar 1972 in Kraft.
B.-
Mit Stiftungsurkunde vom 1. Februar 1917 errichtete die Firma Geigy AG in Basel die "Pensions-, Witwen- und Waisenkasse der J. R. Geigy AG", eine Stiftung mit Sitz m Basel. Die Stiftungsurkunde wurde in der Folge wiederholt abgeändert.
Am 20. Oktober 1970 beschloss die Generalversammlung der Geigy AG, die Gesellschaft aufzulösen bzw. mit der Firma Ciba AG unter dem Namen "Ciba-Geigy AG" zu fusionieren und alle Aktiven und Passiven auf die neue Firma zu übertragen. Als Stifterin der genannten Pensionskasse trat an die Stelle der aufgelösten Geigy AG die Ciba-Geigy AG.
Auf den 1. Januar 1972 legte die Ciba-Geigy AG verschiedene Personalfürsorgeeinrichtungen zusammen und führte sie unter dem neuen Namen "Pensionskasse Ciba-Geigy" weiter. Die entsprechende Stiftungsurkunde wurde am 14. Februar 1972 errichtet. Nach § 1 dieser Urkunde ist die Pensionskasse Ciba-
BGE 100 Ib 137 S. 140
Geigy eine Stiftung im Sinne von
Art. 80 ff. ZGB
, und nach § 2 bezweckt sie die Vorsorge für die Arbeitnehmer der Ciba-Geigy AG und für die vom Verwaltungsrat bezeichneten Arbeitnehmer von Unternehmen, die mit dem Ciba-Geigy-Konzern verbunden sind, sowie für deren Familienangehörige, insbesondere durch Versicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen des Alters, der Invalidität und des Todes.
C.-
Anfangs November 1972 sandte das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt, dem in diesem Kanton die Stiftungsaufsicht obliegt, den Stiftungsräten der im Kanton bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen ein Zirkularschreiben, in welchem auf die durch das Bundesgesetz vom 25. Juni 1971 geschaffene neue Regelung hingewiesen wurde. Dazu wurde ausgeführt, in Art. 7 der Schluss- und Übergangsbestimmungen sei nicht in klarer Weise geregelt, von welchem Zeitpunkt an diese Bestimmungen anwendbar seien. Die Konferenz der kantonalen Stiftungsaufsichtsbehörden, welche sämtliche Kantone umfasse, habe sich einstimmig der Auffassung von Professor W. Hug, dem Verfasser des Gesetzesentwurfes, angeschlossen, wonach die neuen Bestimmungen ab 1. Januar 1973 Anwendung finden müssten. Diese Auslegung entspreche übrigens auch derjenigen des Bundesrates. Die formelle Anpassung von Statuten und Reglementen könne hingegen innert fünf Jahren vorgenommen werden, wie dies Art. 7 Abs. 2 der Schluss- und Übergangsbestimmungen vorsehe. Das Justizdepartement ersuchte die Stiftungsräte, der Angelegenheit die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, damit die neuen Bestimmungen bei Austritten, welche nach dem 1. Januar 1973 erfolgten, angewendet werden könnten.
Am 22. Dezember 1972 beschloss der Stiftungsrat der Pensionskasse Ciba-Geigy die Einführung einer Freizügigkeitsregelung. Darnach erhält ein Versicherter, der vor Vollendung seines fünften Dienstjahres aus der Kasse austritt, ein Austrittsgeld gemäss Art. 70 des Reglementes, das im wesentlichen seine persönlichen Beiträge, vermehrt um einen reglementarischen Zuschlag von 2% pro Dienstjahr, umfasst. Für austretende Arbeitnehmer mit mehr als fünf Dienstjahren wird eine Freizügigkeitsregelung im Sinne von Art. 331a rev. OR vorgesehen, doch kann der Versicherte verlangen, dass ihm anstelle der Freizügigkeitsleistung das Austrittsgeld nach Art. 70 des Reglementes ausgerichtet wird; er hat in
BGE 100 Ib 137 S. 141
diesem Fall den Verzicht auf die Freizügigkeitsleistung durch Unterzeichnung eines Reverses schriftlich zu bestätigen. Der Stiftungsrat orientierte die Destinatäre der Pensionskasse Ciba-Geigy im Januar 1973 über diese neue Regelung.
D.-
Nachdem das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt von dieser Änderung des Reglementes der Pensionskasse Ciba-Geigy Kenntnis erhalten hatte, teilte es der Kasse mit Schreiben vom 9. Juli 1973 mit, ihre Auszahlungspraxis stehe mit den ab 1. Januar 1973 geltenden Gesetzesvorschriften nicht in Einklang; die generelle Zulassung von Barauszahlungen liege, abgesehen von ihrer Gesetzwidrigkeit, auch nicht im Interesse der Destinatäre, denn bei der zukünftigen obligatorischen beruflichen Vorsorge würden sich fehlende Beitragsleistungen zu ihren Ungunsten auswirken. Das Justizdepartement ersuchte deshalb den Stiftungsrat der Pensionskasse Ciba-Geigy, das Barauszahlungsverbot ab sofort zu beachten und Auszahlungen ausschliesslich im Rahmen der zulässigen Ausnahmefälle vorzunehmen. Es bezeichnete diese Weisung als Verfügung, die beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt angefochten werden könne.
Die Pensionskasse Ciba-Geigy erhob am 23. Juli 1973 Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt mit dem Antrag, die Verfügung des Justizdepartementes aufzuheben. Zur Begründung machte sie im wesentlichen geltend, das Justizdepartement sei zum Erlass der angefochtenen Verfügung nicht zuständig gewesen; zudem seien die Art. 331a-331c rev. OR für sie noch gar nicht anwendbar; wollte man aber die Zuständigkeit des Justizdepartementes und die Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen auf sie bejahen, so stünde nicht fest, dass die von ihr getroffene neue Regelung diesen Gesetzesvorschriften widerspreche.
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt wies den Rekurs am 25. September 1973 ab und bestätigte die Verfügung des Justizdepartementes in allen Punkten. Er bejahte die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde zum Erlass der angefochtenen Verfügung und führte dazu aus, es sei u.a. Aufgabe der Aufsichtsbehörde, die Einhaltung der Gesetzesvorschriften durch die Organe der Stiftung zu überwachen. Dazu gehöre nötigenfalls auch die Befugnis, das Gesetz auszulegen und zu ergänzen. In concreto stehe das Verhältni s Aufsichtsbehörde - Stiftung im Vorderggund, da es in erster Linie um die Frage
BGE 100 Ib 137 S. 142
der einheitlichen Rechtsanwendung gehe und somit ein als öffentlich zu charakterisierendes Interesse auf dem Spiele stehe, das den Staat zum Eingreifen veranlasse. Im weitern nahm der Regierungsrat an, Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen beziehe sich entsprechend seinem Wortlaut und seiner Entstehungsgeschichte lediglich auf die formelle Anpassung der Statuten und Reglemente der Personalfürsorgestiftungen. Auf die Frage der materiellen Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen gebe er keine Antwort. Es sei daher eine Gesetzeslücke anzunehmen, die unter analoger Anwendung von Art. 7 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen auszufüllen sei. Daraus ergebe sich, dass die Art. 331a-331c rev. OR ab 1. Januar 1973 anwendbar seien und dass für die formelle Anpassung der Statuten und Reglemente eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 1976 eingeräumt werde.
E.-
Die Pensionskasse Ciba-Geigy erhob Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, den Beschluss des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt vom 25. September 1973 und die Verfügung des kantonalen Justizdepartementes vom 9. Juli 1973 aufzuheben. Eventualiter verlangte sie die Feststellung, dass gemäss Art. 7 Abs. 2 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Zehnten Titel des OR die Art. 331a-331c rev. OR für sie nicht in Kraft getreten seien.
F.-
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt beantragte, die Beschwerde abzuweisen und seinen Beschluss sowie die Verfügung des Justizdepartementes zu bestätigen; eventuell sei festzustellen, dass gemäss Art. 7 Abs. 2 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Zehnten Titel des OR die Art. 331a-331c rev. OR für die Beschwerdeführerin in Kraft getreten bzw. anwendbar seien.
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement reichte eine Vernehmlassung ein, ohne einen konkreten Antrag zu stellen.
G.-
Die Pensionskasse Ciba-Geigy hat den Entscheid des Regierungsrates vom 25. September 1973 gleichzeitig mit einer Berufung, eventuell einer Nichtigkeitsbeschwerde und mit einer staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesgericht angefochten.
BGE 100 Ib 137 S. 143
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I
1.
In erster Linie stellt sich die Frage, ob auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingetreten werden kann. Laut
Art. 98 lit. g OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid zulässig. Im Kanton Basel-Stadt obliegt die Aufsicht über die Stiftungen dem Justizdepartement. Dieses erliess das Zirkularschreiben vom November 1972 und die an die Beschwerdeführerin adressierte Verfügung vom 9. Juli 1973 in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde über die Stiftungen. Nach Art. 11 Ziff. 7 des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 14. Juni 1928 ist der Weiterzug von Verfügungen der Aufsichtsbehörden über Stiftungen an das kantonale Verwaltungsgericht grundsätzlich ausgeschlossen (
BGE 96 I 407
mit Hinweisen). Damit ist der angefochtene Beschluss des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid im Sinne von
Art. 98 lit. g OG
.
Die Beschwerdeführerin macht indessen geltend, das Justizdepartement sei zum Erlass der angefochtenen Verfügung sachlich nicht zuständig gewesen, weil der Entscheid über die in der Verfügung behandelten zivilrechtlichen Fragen allein in die Kompetenz des ordentlichen Zivilrichters falle. Sie behauptet damit sinngemäss, die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches hätten die Aufsichtsbehörde nicht berechtigt, im Rahmen ihrer Aufsichtsfunktion die Art. 331a-331c rev. OR als auf die Pensionskasse anwendbar zu erklären. Ob dies zutreffe, d.h. ob das Justizdepartement und der Regierungsrat im Rahmen ihrer Kompetenzen gehandelt haben, ist daher zunächst zu untersuchen. Wird diese Frage bejaht, so ist im weitern zu prüfen, ob die Vorinstanzen die genannten Bestimmungen zu Recht oder zu Unrecht als in Kraft getreten und deshalb für die Beschwerdeführerin anwendbar erklärt haben.
2.
a) Gemäss
Art. 84 Abs. 1 ZGB
stehen die Stiftungen unter der Aufsicht des Gemeinwesens (Bund, Kanton, Gemeinde), dem sie nach ihrer Bestimmung angehören. Nach Absatz 2 hat die Aufsichtsbehörde dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinem Zweck gemäss verwendet wird.
BGE 100 Ib 137 S. 144
Art. 84 Abs. 2 ZGB
schliesst nach Lehre und Rechtsprechung die Befugnis ein, darüber zu wachen, dass das Stiftungsvermögen nach Massgabe der Stiftungsurkunde erhalten bleibe (
BGE 99 Ib 258
f. Erw. 3 mit Hinweisen). Der Inhalt der Stiftungsurkunde und die Anordnungen des Stiftungsrates können indessen nur im Rahmen der Rechtsordnung Bestand haben. Die Aufsichtsorgane sind deshalb nach Lehre und Rechtsprechung auch befugt zu prüfen, ob die Stiftungsurkunde und die Anordnungen des Stiftungsrates dem Gesetz entsprechen (EGGER, N. 10 zu
Art. 84 ZGB
; EBERLE, Die Behandlung der Stiftungen im schweizerischen Recht, Diss. Bern 1929, S. 140; Botschaft des Bundesrates zur Ergänzung des Dienstvertrags- und des Stiftungsrechts vom 10. Dezember 1956, BBl 1956 II S. 834; SUTER, Untersuchungen zur Rechtsstellung des Destinatärs von Personalvorsorgestiftungen, ZBJV 1973 S. 374; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 6. April 1960 i.S. Pensionsfonds der Angestellten der Henkel & Co. AG c. Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, Erw. 4 und 5). Das Aufsichtsrecht der zuständigen Behörde nach
Art. 84 ZGB
kann sich daher nicht nur auf die Prüfung der zweckgemässen Verwendung des Stiftungsvermögens beschränken.
Eine Stiftung, deren Zweck widerrechtlich geworden ist, muss gemäss
Art. 88 Abs. 2 ZGB
durch den Richter aufgehoben werden, wobei die Aufsichtsbehörde nach
Art. 89 ZGB
klageberechtigt ist. Diese Bestimmung gelangt jedoch nur zur Anwendung, wenn der Stiftungszweck als solcher, nicht nur eine einzelne Massnahme der Stiftungsorgane, widerrechtlich wurde (EGGER, N. 4 zu Art. 88/89 ZGB). Trifft der Stiftungsrat einer rechtsbeständigen Stiftung eine widerrechtliche Massnahme, so hat die Aufsichtsbehörde nicht das Aufhebungsverfahren nach
Art. 88 Abs. 2 ZGB
einzuleiten, sondern von ihrem Aufsichtsrecht im Sinne von
Art. 84 ZGB
Gebrauch zu machen. Gleich verhält es sich, wenn sich nach einer Gesetzesänderung herausstellt, dass eine einzelne Bestimmung der Stiftungsurkunde mit dem neuen Recht nicht mehr übereinstimmt, ohne dass dadurch der Stiftungszweck als solcher widerrechtlich geworden wäre, oder wenn die Stiftungsorgane eine Anordnung treffen, welche den neuen Bestimmungen widerspricht. Ob dies zutrifft, kann nur auf dem Wege einer Würdigung ermittelt werden. Die Aufsichtsbehörde
BGE 100 Ib 137 S. 145
muss daher zur Vornahme einer solchen Würdigung berechtigt sein; sie könnte ihre Aufsichtsfunktion sonst gar nicht erfüllen.
Stellt die Aufsichtsbehörde auf Grund der vorgenommenen Würdigung fest, dass eine Anordnung des Stiftungsrates der Stiftungsurkunde oder dem Gesetz widerspricht oder dass eine einzelne Bestimmung der Stiftungsurkunde mit neuen Gesetzesbestimmungen nicht im Einklang steht, so kann sie die Stiftungsorgane, unmittelbar gestützt auf
Art. 84 Abs. 2 ZGB
, zur Vornahme der notwendigen Korrektur zwingen (
BGE 99 Ib 259
Erw. 4). Soweit es zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes erforderlich ist, darf die Aufsichtsbehörde den Stiftungsorganen verbindliche Weisungen erteilen (erwähntes Urteil des Bundesgerichtes vom 6. April 1960, Erw. 4 mit Hinweisen, und
BGE 99 Ib 259
).
Die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches, welche die Aufsichtsbehörden über Stiftungen zum Eingreifen von Amtes wegen ermächtigen, sind nach der Rechtsprechung materiell öffentliches Recht im Sinne von Art. 5 VwG (
BGE 96 I 409
). Entscheidungen, welche eine Verwaltungsbehörde im Rahmen dieser Befugnisse trifft, sind demnach öffentlich-rechtlicher Natur (Urteil des Bundesgerichtes vom 17. März 1971 in BJM 1971 S. 119; vgl. auch SUTER, a.a.O., S. 357). Als Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwG sind sie gemäss
Art. 97 Abs. 1 OG
mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar. Diese ist somit generell zulässig gegen die von der Aufsichtsbehörde kraft ihrer Stellung getroffenen Verfügungen (
BGE 96 I 409
).
b) Im vorliegenden Fall gelangte das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt zur Ansicht, das teilweise Abweichen der Beschwerdeführerin vom Barauszahlungsverbot widerspreche dem neuen Arbeitsvertragsrecht. Unter diesen Umständen war es berechtigt und verpflichtet, in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde über die Stiftungen gestützt auf
Art. 84 Abs. 2 ZGB
einzugreifen und die Stiftungsorgane anzuweisen, den gesetzmässigen Zustand herzustellen. Soweit es dies tat, kam seinem Eingriff öffentlich-rechtlicher Charakter zu. Auf die von der Pensionskasse gegen den Entscheid des Regierungsrates erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb einzutreten.
3.
Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, dringt nicht durch. Nach der angeführten Rechtsprechung
BGE 100 Ib 137 S. 146
(
BGE 99 Ib 259
Erw. 4) bot
Art. 84 Abs. 2 ZGB
der Aufsichtsbehörde eine hinreichende Grundlage, um in die Angelegenheiten der Stiftung einzugreifen.
Wohl sind die Beziehungen zwischen der Stiftung und ihren Destinatären dem Privatrecht zugeordnet. Das Justizdepartement griff jedoch mit seiner Weisung nicht, jedenfalls nicht direkt, in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen der Stiftung und den Destinatären ein, sondern es hielt die Stiftungsorgane lediglich an, die generelle Möglichkeit der Barauszahlung aufzuheben. Dem einzelnen Destinatär steht es nach wie vor frei, Barauszahlung zu verlangen, wenn er darauf einen Anspruch zu haben glaubt, und nötigenfalls den Zivilrichter anzurufen. Dass solche Barauszahlungen auch nach der neuen Regelung unter gewissen Voraussetzungen möglich und zulässig sind, wurde in der Verfügung des Justizdepartementes vom 9. Juli 1973 ausdrücklich anerkannt. Im Vordergrund des vorliegenden Verfahrens steht indessen nicht das Verhältnis zwischen Stiftung und Destinatären, sondern dasjenige zwischen der Aufsichtsbehörde und der Stiftung. Es ging den Vorinstanzen nicht in erster Linie um die Wahrung der Rechte einzelner Destinatäre, sondern darum, dass durch Barauszahlungen nicht Mittel dem Vorsorgezweck entfremdet werden und der Anspruch auf Freizügigkeit nicht verletzt werde. Das Justizdepartement erliess seine Weisung als Aufsichtsbehörde, in einer Funktion also, in der es von Amtes wegen und nicht erst auf Beschwerde hin handeln musste. Das Verhältnis zwischen der Stiftung und der Aufsichtsbehörde ist aber zumindest vorwiegend öffentlich-rechtlicher Natur (Urteil des Bundesgerichtes vom 17. März 1971 in BJM 1971 S. 119). Die Verfügung des Justizdepartementes hatte demnach öffentlichrechtlichen Charakter.
Richtig ist, dass die Vorinstanzen in ihrem Entscheid sich über die rechtliche Tragweite des Art. 7 der Übergangsbestimmungen aussprachen. Dazu waren sie jedoch berechtigt und verpflichtet. Die Aufsichtsbehörde muss befugt sein, die zeitliche Geltung von Sachnormen, selbst zivilrechtlicher Natur, über deren Anwendung sie von Amtes wegen zu wachen hat, zumindest vorfrageweise zu prüfen. Ihr Prüfungsrecht und ihre Prüfungspflicht haben gerade auf dem Gebiet der Personalfürsorgestiftungen besondere Bedeutung erlangt; sind nämlich weder die Stiftung noch die Destinatäre an der Einhaltung
BGE 100 Ib 137 S. 147
neuer zwingender Gesetzesvorschriften interessiert, so kann das materielle Recht nur durchgesetzt werden, indem die Aufsichtsbehörden den Stiftungsorganen die Anwendung der neuen Bestimmungen vorschreiben. Das setzt naturgemäss voraus, dass die Aufsichtsbehörden vorerst prüfen, ob die neuen Bestimmungen für die Stiftung überhaupt gelten oder nicht.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin verwehrt der angefochtene Entscheid den einzelnen Destinatären nicht, ihre angeblichen Ansprüche auf Barauszahlung vor dem ordentlichen Zivilrichter geltend zu machen. Gewiss besteht dabei das Risiko, dass die Aufsichtsbehörde und der Zivilrichter unter Umständen widersprechende Entscheide fällen. Doch ist dies kein Grund, um die Kompetenz der Aufsichtsbehörden einzuschränken. Die Gefahr widersprechender Urteile besteht auch auf andern Rechtsgebieten. Sollte sie sich verwirklichen, kann durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtes eine einheitliche Praxis geschaffen werden.
War die Aufsichtsbehörde im vorliegenden Fall gestützt auf
Art. 84 Abs. 2 ZGB
zum Eingreifen berechtigt, dann war die Bejahung ihrer Zuständigkeit durch die Vorinstanzen auch nicht willkürlich, wie die Beschwerdeführerin behauptet.
II
1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei durch die Entscheide der beiden Vorinstanzen in ihren verfassungsmässigen Rechten verletzt worden. Der Begriff des Bundesrechts, dessen Verletzung nach
Art. 104 lit. a OG
mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann, umfasst auch die verfassungsmässigen Rechte (
BGE 96 I 187
).
In erster Linie behauptet die Beschwerdeführerin eine Verletzung von
Art. 58 Abs. 1 BV
. Sie begründet ihre Rüge damit, sie habe einen unentziehbaren Anspruch darauf, dass die streitige zivilrechtliche Frage, nämlich das Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen, in einem Zivilprozess mit Zweiparteienverfahren und in richterlicher Unabhängigkeit entschieden werde; sie werde ihrem verfassungsmässigen Richter entzogen, wenn die Bedeutung von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen durch die Aufsichtsbehörde beurteilt werden dürfe. Diese Rüge ist sinngemäss eine Wiederholung der Behauptung, die Aufsichtsbehörde sei zum Erlass der
BGE 100 Ib 137 S. 148
angefochtenen Verfügung nicht zuständig gewesen. Diese Behauptung ist indessen bereits mit den Ausführungen im Abschnitt I widerlegt worden; es braucht daher nicht mehr näher darauf eingegangen zu werden.
Im übrigen gewährleistet
Art. 58 Abs. 1 BV
dem Bürger nur die Freiheit, von dem Richter Recht zu nehmen, der nach den bestehenden Verfassungsbestimmungen, Gesetzen und Verordnungen allgemein für die betreffende Streitsache als zuständig erklärt wird. Wenn die Gesetze des Kantons Basel-Stadt das Aufsichtsrecht über die Stiftungen dem Justizdepartement und dem Regierungsrat übertragen haben, verstossen sie nicht gegen
Art. 58 Abs. 1 BV
; denn dieser Verfassungssatz fordert weder eine bestimmte Gerichtsorganisation noch ein bestimmtes Verfahren und verlangt insbesondere nicht, dass zivilrechtliche Fragen ausschliesslich durch Zivilgerichte beurteilt werden müssen und nicht auf dem Verwaltungswege entschieden werden dürfen (
BGE 83 I 85
mit Verweisungen).
2.
War die Aufsichtsbehörde zum Erlass der angefochtenen Verfügung zuständig, dann kann darin, dass die fragliche Verfügung von ihr und nicht vom Zivilrichter getroffen wurde, weder eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs noch eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung erblickt werden. Die entsprechenden Rügen der Beschwerdeführerin fallen damit dahin. Sie hat im übrigen nicht behauptet, dass sie im Verfahren vor der Aufsichtsbehörde nicht gehörig zu Wort gekommen sei.
3.
Die Beschwerdeführerin behauptet schliesslich eine Verletzung der Rechtsgleichheit, indem zweierlei Recht geschaffen werde, wenn der Aufsichtsbehörde die Kompetenz zuerkannt werde, über das Inkrafttreten der neuen Bestimmungen zu befinden, während dieselbe Frage bei genossenschaftlichen Personalfürsorgeeinrichtungen durch den ordentlichen Richter entschieden werde, gegen dessen Entscheid der Rechtsweg offen stehe. Demgegenüber habe sich die Beschwerdeführerin als Stiftung mit dem Verwaltungsweg zu begnügen, der ihr nicht annähernd die gleichen prozessualen Rechte wie der Rechtsweg einräume.
Diese Rügen gehen fehl. Die Beschwerdeführerin legt im einzelnen nicht dar, inwiefern der Verwaltungsweg ihr "nicht annähernd die gleichen prozessualen Rechte wie der Rechtsweg" einräume und sie deshalb benachteilige. In beiden Verfahren
BGE 100 Ib 137 S. 149
kann alles Wesentliche vorgetragen und der Entscheid letztlich an das Bundesgericht weitergezogen werden. Im übrigen ist der Grundsatz der Rechtsgleichheit nur verletzt, wenn Gleiches ungleich oder Ungleiches gleich behandelt wird (vgl. FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 406). Stiftungen und Genossenschaften sind aber juristische Personen verschiedener Art. Dass die Stiftungen einer staatlichen Aufsicht unterstellt sind, die Genossenschaften dagegen nicht, bedeutet keine Rechtsungleichheit in dem von der Beschwerdeführerin behaupteten Sinne, sondern ist eine Folge der verschiedenen Struktur der beiden juristischen Personen. Während sich die Stiftungen dieser Aufsicht unterziehen müssen, haben die Genossenschaften jedes Jahr ihre Geschäftsführung und ihre Bilanz durch eine Kontrollstelle überprüfen zu lassen (
Art. 906 ff. OR
). Dieser Unterschied wurde vom Gesetzgeber gewollt, und er ist auch für den obligatorischen Ausbau der Pensionsversicherung, der sog. zweiten Säule, vorgesehen (vgl. den Bericht der eidgenössischen Expertenkommission für die Förderung der beruflichen Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenvorsorge vom 16. Juli 1970, BBl 1970 II S. 610). Beide juristischen Personen können im übrigen gegenüber ihren Destinatären bzw. Genossenschaftern den ordentlichen Richter anrufen, und dasselbe Recht steht unter Umständen auch den Destinatären bzw. den Genossenschaftern zu, wenn sie gegen die entsprechende juristische Person vorgehen wollen. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit ist demnach durch die angefochtene Verfügung nicht verletzt.
III
1.
In materieller Beziehung vertreten das Justizdepartement und der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt die Ansicht, die Art. 331a-331c rev. OR seien vom 1. Januar 1973 an auf alle Personalfürsorgeeinrichtungen anwendbar und Art. 7 Abs. 2 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Zehnten Titel des Obligationenrechts beziehe sich nur auf die formelle Anpassung der Statuten und Reglemente der fraglichen Stiftungen. Die Beschwerdeführerin macht dagegen geltend, Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen räume den Personalfürsorgestiftungen eine Frist von fünf Jahren ein, um ihre Statuten und Reglemente dem neuen Recht anzupassen; das
BGE 100 Ib 137 S. 150
bedeute, dass die Art. 331a-331c rev. OR materiell für sie noch gar nicht in Kraft getreten seien. Streitig ist somit die Auslegung der erwähnten Übergangsbestimmung.
2.
Wird der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen betrachtet, so fällt zunächst auf, dass die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen nur für berechtigt und nicht für verpflichtet erklärt werden, ihre Statuten und Reglemente innert fünf Jahren dem neuen Recht anzupassen. Diese Formulierung erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Der Bundesrat hatte in seinem Vorentwurf zum neuen Arbeitsvertragsrecht bei Auflösung des Dienstverhältnisses die Barabfindung des Arbeitnehmers durch die Fürsorgeeinrichtung vorgesehen (Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Revision des Zehnten Titels und des Zehnten Titelsbis des Obligationenrechts vom 25. August 1967, BBl 1967 II S. 356). Da diese Regelung im Vernehmlassungsverfahren auf heftige Kritik stiess, veranlasste der Bundesrat weitere Expertenberatungen, aus denen der Entwurf hervorging, den er später der Bundesversammlung unterbreitete. Dieser Entwurf verbot indessen die Barauszahlung der Arbeitnehmerbeiträge nicht, sondern sah sie in
Art. 331a Abs. 3 OR
subsidiär für den Fall vor, dass der Wert der Forderung auf künftige Vorsorgeleistung die Beiträge des Arbeitnehmers nicht übersteige (BBl 1967 II S. 439). Danach hätte die Pflicht zur Erhaltung der Vorsorgeansprüche nur dann bestanden, wenn diese Ansprüche nicht nur durch die eigenen Beiträge des Arbeitnehmers, sondern mindestens teilweise auch durch den Arbeitgeber finanziert worden waren. Hatte dagegen nur der Arbeitnehmer Beiträge an eine Personalfürsorgeeinrichtung bezahlt, hätten ihm diese bei seinem Austritt in bar zurückerstattet werden müssen (BBl 1967 II S. 362).
Im Zusammenhang mit dieser vorgeschlagenen Regelung entstand Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen. Der Bundesrat führte in seiner Botschaft hiezu aus, nachdem Art. 331a des Entwurfes eine neue Ordnung enthalte, die an Stelle der Herausgabe der Arbeitnehmerbeiträge die Pflicht zur Erhaltung des Vorsorgeschutzes in den Vordergrund rücke, müsse den Personalfürsorgeeinrichtungen die Anpassung an diese Ordnung ermöglicht werden; sie sei unter Beachtung
BGE 100 Ib 137 S. 151
der für die Änderung von Statuten oder Reglementen geltenden Vorschriften vorzunehmen; da diese Anpassung nicht vorgeschrieben, sondern bloss ermöglicht werden solle, werde dafür eine Frist von fünf Jahren vorgesehen (BBl 1967 II S. 427).
In der Folge änderten die eidgenössischen Räte den Entwurf des Bundesrates u.a. insofern ab, als sie die Barauszahlung der für die zukünftige Vorsorge geleisteten Beiträge bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich ausschlossen (ausgenommen geringfügige Beträge gemäss Art. 331c Abs. 3 rev. OR) und überdies bestimmten, dass diese Regelung nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden dürfe (
Art. 362 OR
). Der Übergang zum Barauszahlungsverbot wurde damit den Personalfürsorgeeinrichtungen nicht mehr bloss ermöglicht, sondern direkt vorgeschrieben. Aus Versehen wurde die sich unter diesen Umständen aufdrängende Anpassung von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen nicht vorgenommen (vgl. SCHWEINGRUBER, Die Anpassung bestehender Personalfürsorgeeinrichtungen an die neuen gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts, SJZ 1974 S. 123; WOHLMANN, Zu einigen Lücken im neuen Arbeitsvertragsrecht, in Aspekte der Rechtsentwicklung, Festschrift zum 50. Geburtstag von Prof. Meier-Hayoz, S. 92 oben).
3.
Der unklare Sinn von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen führte zu Unsicherheit über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen von Art. 331a-331c rev. OR für die Personalfürsorgeeinrichtungen. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement äusserte sich bereits am 10. November 1971 auf eine Anfrage hin in dem Sinne, dass die neue Regelung für die Personalfürsorgeeinrichtungen ab 1. Januar 1972 gelte, nach einer ernstzunehmenden abweichenden Auffassung dagegen ab 1. Januar 1973.
In der Folge kam es zu verschiedenen parlamentarischen Vorstössen, bei deren Behandlung sich der Bundesrat zur Frage des Inkrafttretens der neuen Ordnung und der Bedeutung von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen äusserte. Mit seiner Antwort auf das Postulat Sauser am 7. Juni 1972 legte sich der Bundesrat noch nicht fest, indem er darauf hinwies, dass bezüglich der Bedeutung der fünfjährigen Frist zur Anpassung der Kassenstatuten bei den beteiligten Kreisen erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestünden; es lägen
BGE 100 Ib 137 S. 152
Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Anpassung eine formelle Angelegenheit sei und der Wirksamkeit der neuen Regelung ab 1. Januar 1972 nicht entgegenstehe; es würden aber auch andere Meinungen vertreten und der Entscheid in dieser Angelegenheit sei Sache des Zivilrichters (Sten. Bull. NR 1972 I S. 781/82). Am 29. Juni, am 13. September und am 4. Dezember 1972 äusserte sich der Bundesrat hingegen im Nationalrat emdeutig in dem Sinne, auf Grund der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der Übergangsvorschrift könne sich die fünfjährige Frist nur auf die formelle Anpassung der Statuten und Reglemente der Pensionskassen beziehen, während sie auf die Regelung der materiellen Ansprüche nach Art. 331a-331c rev. OR nicht anwendbar sei; die neue Freizügigkeitsregelung werde spätestens ab 1. Januar 1973 voll wirksam; von diesem Zeitpunkt an dürften keine Barauszahlungen mehr gemacht werden; für die Revision der Statuten und Reglemente hätten die Pensionskassen jedoch fünf Jahre Zeit; eine offensichtliche Lücke im Freizügigkeitsgefüge des Gesetzes bestehe nicht (Sten. Bull. NR 1972 I S. 1276 und II S. 1879 und 2005). Als der Ständerat im Dezember 1972 die Statuten für die Versicherung des Bundespersonals behandelte, bemerkte der Berichterstatter, die Barauszahlung von Austrittsentschädigungen sei nach Art. 331c rev. OR und den entsprechenden Übergangsbestimmungen ab 1. Januar 1973 grundsätzlich untersagt (Sten. Bull. SR 1972 S. 816).
Der bundesrätlichen Auslegung schlossen sich u.a. die Kantone Zürich, Bern, St. Gallen und Basel-Stadt sowie die Konferenz der kantonalen Stiftungsaufsichtsbehörden an. Diese empfahl allerdings, die bis 31. Dezember 1972 einbezahlten Arbeitnehmerbeiträge in konkreten Einzelfällen vom Barauszahlungsverbot zu befreien, sofern das Verbot im fraglichen Unternehmen zu zahlreichen Kündigungen führen und dadurch die finanzielle Stabilität der Personalfürsorgestiftung gefährden sollte (SUTER, a.a.O. S. 378/79).
4.
In der Literatur haben sich die Autoren SUTER, a.a.O. S. 381, und MEYER, Arbeitsvertragsrecht und Personalvorsorge, SJZ 1973 S. 230, der bundesrätlichen Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zum neuen Arbeitsvertragsrecht angeschlossen. Dieselbe Meinung sollen auch Hug, der Redaktor des Entwurfs zum Arbeitsvertragsrecht, Merz und Viret vertreten, die alle drei von MEYER,
BGE 100 Ib 137 S. 153
a.a.O., zitiert werden. Merz soll sich in einem Vortrag vor dem Bernischen Juristenverein dahin geäussert haben, man lege Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen am besten so aus, dass man ihn als nicht geschrieben betrachte (WOHLMANN, a.a.O. S. 91). Auch MEYER, a.a.O., schlug vor, den genannten Artikel als nicht existent anzusehen.
Anderer Meinung bezüglich des Inkrafttretens der neuen Ordnung und der Tragweite von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen als der Bundesrat sind die Autoren SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 121 ff., WOHLMANN, a.a.O. S. 92, und STREIFF, Leitfaden zum neuen Arbeitsvertragsrecht, S. 250 N. 6. Sie vertreten die Auffassung, Art. 7 Abs. 2 beziehe sich nicht nur auf die formelle Anpassung der Statuten und Reglemente der Personalfürsorgeeinrichtungen, sondern auch auf die materielle Anwendung der neuen Rechtsordnung. Damit könnten Arbeitnehmer innerhalb der fünfjährigen Übergangsfrist die Barauszahlung ihrer Beiträge an die Personalfürsorgeeinrichtung verlangen, sofern diese ihre Statuten und Reglemente der neuen Ordnung noch nicht angepasst habe. WOHLMANN, a.a.O., führte in diesem Zusammenhang aus, mit Bezug auf Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen sei dem Gesetzgeber ein grobes Versehen unterlaufen, das theoretisch und praktisch keiner befriedigenden Lösung zuzuführen sei; es bleibe nichts anderes übrig, als in grösstmöglicher Annäherung an den Wortlaut und die Praktikabilität des Gesetzes die fragliche Bestimmung so zu interpretieren, dass während einer fünfjährigen Übergangsfrist alle Pensionskassen zum neuen System übergehen müssten.
5.
Die vom Bundesrat, der Konferenz der kantonalen Stiftungsaufsichtsbehörden sowie einigen Autoren vorgenommene Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen, der auch die Vorinstanz gefolgt ist, vermag indessen nicht zu befriedigen. Die Unterscheidung zwischen der rein formellen Anpassung der Statuten und Reglemente der Personalfürsorgeeinrichtungen an die neue Ordnung innerhalb der fünfjährigen Übergangsfrist von Art. 7 Abs. 2 und der Einführung der materiellen Regelung innerhalb Jahresfrist ist rechtlich nicht haltbar.
a) Bei Art. 7 der Übergangsbestimmungen handelt es sich um eine Norm des intertemporalen Privatrechts. Der Gesetzgeber bezweckte damit, eine gewisse Anpassungsfrist an die
BGE 100 Ib 137 S. 154
neue Ordnung zur Verfügung zu stellen, nach deren Ablauf nur noch das neue Recht anzuwenden sein wird (vgl. dazu und zum Folgenden SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 122 f.). In Absatz 1 hat der Gesetzgeber mit Bezug auf die Arbeitsverträge eine kurze Anpassungsfrist von einem Jahr und gegenüber den bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen in Absatz 2 eine längere Übergangsfrist von fünf Jahren vorgesehen. Abgesehen von dem unglücklich gewählten Wort "berechtigt" sind der weitere Wortlaut und der Sinn und Zweck der Bestimmung von Art. 7 Abs. 2 klar. Sie richtet sich an die bestehenden privatrechtlichen Personalfürsorgeeinrichtungen, deren Rechtsgrundlagen innerhalb von fünf Jahren seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes diesem angepasst werden müssen. Soweit es sich bei diesen Fürsorgeeinrichtungen um Stiftungen handelt, wird ihre Organisation durch die Stiftungsurkunde, das Statut und die Ausführungsreglemente bestimmt. In diesen Grundlagen sind auch die Leistungen der Fürsorgeeinrichtung, die Beitragspflichten des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer sowie die Ansprüche der Destinatäre verankert. In der Regel wird darin ein Rechtsanspruch der Begünstigten und ein Klagerecht gegen die Stiftung anerkannt. Die in Art. 7 Abs. 2 vorgesehene Anpassung an die neue Regelung der Art. 331a-331c rev. OR kann daher nicht formlos geschehen. Um das Barauszahlungsverbot einzuführen, muss das für die Änderung der Rechtsgrundlagen der Stiftung vorgesehene Verfahren eingehalten werden, wie auch Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen dies vorsieht. Erst wenn diese Rechtsgrundlagen nach formell durchgeführter Revision mit dem neuen Recht materiell übereinstimmen, ist die Anpassung vollzogen.
Solange aber die massgebenden Statuten und Reglemente der Fürsorgeeinrichtungen nicht abgeändert worden sind, werden die Ansprüche der Destinatäre darin verbindlich geregelt. Der Arbeitnehmer darf seine Ansprüche gestützt auf die für ihn geltende reglementarische Ordnung durchsetzen und den neuen Gesetzesvorschriften entgegenhalten (SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 122 unten). Die Anwendung dieser Vorschriften bedeutet für ihn entgegen der Auffassung der Vorinstanz einen Eingriff. in wohlerworbene Rechte (vgl. IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 341 I). Das Bundesgericht hat schon ausdrücklich erklärt, dass der Anspruch des
BGE 100 Ib 137 S. 155
Arbeitnehmers gegenüber einer privaten Pensionskasse auf Leistung der Rente vom Eintritt des Versicherungsfalles an die Eigenschaft eines wohlerworbenen Rechtes besitzt (
BGE 80 II 130
und
BGE 61 II 175
ff.). Dasselbe muss aber gelten, wenn der Arbeitnehmer seinen Anspruch auch in der Weise durchsetzen kann, dass ihm bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses seine eigenen Beiträge an die Fürsorgeeinrichtung ausbezahlt werden. Er hat unter Umständen diese Beiträge während Jahren im Vertrauen darauf geleistet, dass er eines Tages einen ansehnlichen Betrag herausverlangen kann, wenn er seine Stelle kündigen wird, weil er eine Änderung seiner Lebensverhältnisse ins Auge gefasst hat, wie beispielsweise die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit infolge Heirat, die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die Gründung eines eigenen Geschäftes, die Auswanderung etc. In diesen Fällen wird er die fragliche Summe in seine Zukunftspläne miteinbezogen haben. Dieser Arbeitnehmer sieht sich durch die neue Regelung von Art. 331c rev. OR in seinem Vertrauen getäuscht. Ein solcher Eingriff in bestehende Rechtsverhältnisse darf nicht ohne eine angemessene Übergangszeit erfolgen, innert welcher die Betroffenen ihre Rechte wahrnehmen können. Der neue Rechtszustand muss ihnen durch eine Statutenrevision, bei der sie möglicherweise ein Mitspracherecht haben, vor Augen geführt werden. Auf alle Fälle müssen sie aber die Möglichkeit haben, durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Barauszahlung der geleisteten Beiträge vor Inkrafttreten der neuen Ordnung doch noch zu realisieren, wofür eine nur kurze Übergangszeit nicht genügen würde. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber in Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen eine Frist von fünf Jahren für die Anpassung der massgebenden Statuten und Reglemente vorgesehen, die sowohl formelle als auch materielle Wirkung haben muss (SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 123).
Anders wäre die Rechtslage nur dann, wenn die Rechte der Begünstigten durch eine zwingende Gesetzesvorschrift mit Wirkung ab 1. Januar 1973 eingeschränkt würden. Dies ist aber nicht der Fall. Art. 7 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen gilt nur für das Verhältnis zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages. Die Beziehungen der Fürsorgeeinrichtungen zu den Arbeitnehmern werden in Absatz 2 geregelt, der eine Anpassungsfrist von fünf Jahren vorsieht.
BGE 100 Ib 137 S. 156
Dass Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen die Personalfürsorgeeinrichtungen nur als "berechtigt" und nicht etwa als verpflichtet bezeichnet, ihre Statuten und Reglemente den neuen Vorschriften von Art. 331a-331c rev. OR anzupassen, wird in der Literatur mit dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der neuen Gesetzesbestimmungen erklärt, indem der Gesetzgeber bei der Bereinigung des endgültigen Gesetzestextes versehentlich unterlassen habe, die Kannvorschrift von Art. 7 Abs. 2 in eine Mussvorschrift umzuwandeln (SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 123, und WOHLMANN, a.a.O. S. 92). Dazu ist jedoch zu bemerken, dass der Wortlaut der fraglichen Bestimmung auch schon im Gesetzesentwurf des Bundesrates nicht eben sinnvoll schien. Wenn die Personalfürsorgeeinrichtungen berechtigt sein sollten, die im Entwurf vorgesehene neue Regelung zu übernehmen, so ist nicht einzusehen, weshalb diese Berechtigung dann auf fünf Jahre beschränkt werden müsste. Die Vorschriften von Art. 331a Abs. 1 und 2 des Entwurfes wurden jedoch als relativ zwingend erklärt, d.h. sie durften nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden. Schon daraus geht hervor, dass der Gesetzgeber trotz des Ausdrucks "berechtigt" in Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen der Meinung war, es werde den Personalfürsorgeeinrichtungen eine Frist von fünf Jahren gewährt, um ihre Reglemente der neuen Ordnung anzupassen, welche die Pflicht zur Erhaltung der Vorsorgeansprüche in den Vordergrund rückte und die Barauszahlung der vom Arbeitnehmer geleisteten Beiträge nur noch subsidiär vorsah; denn die zwingende Ausgestaltung dieser Bestimmungen hätte sonst gar keinen Sinn gehabt. Das ganze System des Gesetzesentwurfes verstärkt noch den Eindruck, dass Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen richtigerweise als Mussvorschrift zu verstehen ist. Der Bundesrat beabsichtigte denn auch, mit der neuen Regelung im Entwurf die Personalfürsorgeeinrichtungen zu veranlassen, in steigendem Masse die durch Arbeitgeberbeiträge oder aus Mitteln der Fürsorgeeinrichtung selbst finanzierten Vorsorgeansprüche ihrem individuellen Fürsorgezweck zu erhalten (BBl 1967 II S. 362). Nachdem die eidgenössischen Räte in der parlamentarischen Beratung des Gesetzesentwurfes durch Einfügung der Art. 331b und 331c rev. OR die Barauszahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit einer geringfügigen Ausnahme ausgeschlossen und das Recht des Arbeitnehmers
BGE 100 Ib 137 S. 157
auf künftige Vorsorgeleistungen allgemein verpflichtend eingeführt haben, erscheint es umso eher angebracht, Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen im Sinne einer Mussvorschrift auszulegen (SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 123). Diese Auslegung ist der natürlichste und naheliegendste Weg zur Beseitigung des Widerspruchs zwischen dem zwingenden Gesetzesrecht von Art. 331c Abs. 1 und 2 rev. OR und der Übergangsbestimmung von Art. 7 Abs. 2. Sie entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift.
Ein weiterer Vorteil dieser Interpretation besteht darin, dass den Personalfürsorgeeinrichtungen damit die nötige Zeit für die Umstellung ihres Betriebes eingeräumt wird; denn die Einführung des Barauszahlungsverbotes ist für sie mit umfangreichen administrativen Arbeiten und versicherungstechnischen Studien verbunden. Im übrigen hat der Gesetzgeber auf dem Gebiete des Personalfürsorgewesens schon wiederholt eine fünfjährige Übergangsfrist vorgesehen. Dies war der Fall bei der Einführung der Wohlfahrtsfonds in Art. 3 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum revidierten Obligationenrecht sowie im Bundesgesetz betreffend Ergänzung des Dienstvertrags- und Stiftungsrechts (Wohlfahrtseinrichtungen für das Personal) vom 21. März 1958, welches die
Art. 343bis OR
und
Art. 89bis ZGB
einfügte und in Ziffer III Abs. 1 und 2 eine Übergangsbestimmung enthielt, die ebenfalls Anpassungszeiten von fünf Jahren festsetzte.
b) Demgegenüber hält die Argumentation des angefochtenen Entscheides einer kritischen Überprüfung nicht stand. Da die Vorinstanz davon ausging, dass die Übergangsbestimmung von Art. 7 Abs. 2 nur eine Anweisung zur formellen Anpassung der Statuten und Reglemente enthalte, auf die Frage nach der materiellen Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen von Art. 331a-331c rev. OR aber keine Antwort gebe, nahm sie an, es bestehe eine Lücke im Gesetz. Diese Gesetzeslücke sei in analoger Anwendung von Art. 7 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen auszufüllen, so dass die neue Ordnung materiell mit Wirkung ab 1. Januar 1973 anwendbar sei.
Das Bestehen einer Gesetzeslücke darf nicht leichthin angenommen werden. Darunter versteht man das Fehlen einer erforderlichen gesetzlichen Anordnung, indem der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen (
BGE 87 II 361
). Eine Lücke ist nur dann gegeben, wenn dem
BGE 100 Ib 137 S. 158
Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann (
BGE 83 III 152
) und wenn sich auch auf dem Wege analoger Anwendung bestehender Rechtssätze keine Lösung finden lässt (
BGE 94 I 308
Erw. 2). Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall zur Anwendung gebracht, so zeigt sich, dass eine Gesetzeslücke nicht besteht. Dem Gesetz kann nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen eine passende Vorschrift entnommen werden, indem die etwas missglückte Formulierung auf dem Wege der Interpretation als Mussvorschrift gedeutet wird. Diese richtet sich an die bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen, und Art. 331c wird darin neben Art. 331a und 331b ausdrücklich erwähnt (SCHWEINGRUBER, a.a.O. S. 124).
Aber selbst wenn man annehmen wollte, Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen sei aus Versehen stehen geblieben und sollte eigentlich als gegenstandslos geworden gestrichen werden, wie es in der Literatur von MERZ (siehe WOHLMANN, a.a.O. S. 91) und MEYER, a.a.O. S. 230, vertreten wurde, wäre keine Gesetzeslücke gegeben. Nach Art. 1 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum Obligationenrecht finden die Vorschriften des Schlusstitels des ZGB auch auf dieses Gesetz Anwendung.
Art. 1 SchlT ZGB
bestimmt jedoch, dass die rechtlichen Wirkungen von Tatsachen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind, auch weiterhin dem bisherigen Recht unterstellt bleiben. In diesem Zusammenhang wird zwar auch auf
Art. 2 SchlT ZGB
verwiesen, wonach die Bestimmungen des Gesetzes, die um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt werden, mit dessen Inkrafttreten auf alle Tatsachen Anwendung finden, soweit das Gesetz nicht eine Ausnahme vorsieht. SUTER, a.a.O. S. 380, betrachtet die neue Freizügigkeitsregelung als um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt, da sie zwingendes Recht darstelle. Die zwingende Natur einer Vorschrift genügt indessen noch nicht, um ihren Ordre-public-Charakter zu bejahen (
BGE 93 II 382
Erw. 4a). Die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit rechtfertigen die rückwirkende Anwendung einer Norm erst dann, wenn diese zu den Grundpfeilern der heutigen Rechtsordnung gehört, d.h. grundlegende sozialpolitische und ethische Anschauungen verkörpert (BROGGINI,
BGE 100 Ib 137 S. 159
Intertemporales Privatrecht, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. I, S. 451). Gewiss verfolgte der Gesetzgeber mit der Einführung des Barauszahlungsverbotes in Art. 331c rev. OR ein sozialpolitisches Ziel und liegt der Ausbau der Vorsorgeeinrichtungen im öffentlichen Interesse. Damit kann aber noch nicht gesagt werden, dass die bisherige Regelung, welche die Barauszahlung der vom Arbeitnehmer geleisteten Beiträge an die Personalfürsorgeeinrichtung bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses zuliess, gegen die öffentliche Ordnung verstosse und mit den Grundprinzipien unserer Rechtsordnung unvereinbar sei. Dies kann umso weniger der Fall sein, als die meisten öffentlichen Pensionskassen, u.a. diejenige des Bundes, die Barauszahlung heute noch allgemein zulassen. Wäre übrigens
Art. 2 SchlT ZGB
anwendbar, so hätte das zwingende neue Recht mit Bezug auf die Personalfürsorgeeinrichtungen mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 1. Januar 1972 zur Anwendung gelangen müssen und nicht erst am 1. Januar 1973, wie die Vorinstanz angenommen hat.
Wollte man aber schliesslich doch die Existenz einer Gesetzeslücke bejahen, so wäre nicht einzusehen, weshalb sie in analoger Anwendung von Art. 7 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen, der einen ganz andern Sachverhalt ins Auge fasst, auszufüllen wäre. Diese Bestimmung bezieht sich ausdrücklich auf die bestehenden Arbeitsverträge und damit auf das Verhältnis Arbeitgeber - Arbeitnehmer. Die Anpassung dieser Verträge an die neue Freizügigkeitsregelung ist relativ einfach, so dass sie innert der Frist von einem Jahr vorgenommen werden kann. Im Gegensatz dazu können sich bei der Anpassung der Statuten und Reglemente der Personalfürsorgeeinrichtungen komplizierte versicherungstechnische Probleme ergeben, die schon aus praktischen Gründen kaum innert einem Jahr gelöst werden können (WOHLMANN, a.a.O. S. 91). Wenn schon von Lückenausfüllung die Rede ist, wäre es naheliegender, auf das Bundesgesetz betreffend Ergänzung des Dienstvertrags- und Stiftungsrechts (Wohlfahrtseinrichtungen für das Personal) vom 21. März 1958 zurückzugreifen, das in Ziffer III Abs. 1 und 2 eine Frist von fünf Jahren für die Anpassung an die damals eingefügten
Art. 343bis OR
. und
Art. 89bis ZGB
(ausgenommen Absatz 4) vorsah. Diese Bestimmungen hätten gegenüber dem von der Vorinstanz zur Lückenausfüllung herangezogenen Art. 7 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen
BGE 100 Ib 137 S. 160
den Vorteil, dass sie sich auf einen dem hier zu regelnden wirklich analogen Fall beziehen.
c) Nach der vorgenommenen Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zum neuen Arbeitsvertragsrecht kommt dieser Vorschrift sowohl formelle als auch materielle Bedeutung zu. Zudem hat sie für die bestehenden Personalfürsorgeeinrichtungen verpflichtenden Charakter. Diese haben somit seit dem Inkrafttreten des neuen Arbeitsvertragsrechts am 1. Januar 1972 fünf Jahre Zeit, um das Barauszahlungsverbot der Arbeitnehmerbeiträge bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses einzuführen. Zuzugeben ist, dass mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren auch gewisse Nachteile verbunden sind. Der Hauptnachteil besteht darin, dass auf diese Weise die neue Freizügigkeitsregelung nicht für alle Personalfürsorgeeinrichtungen gleichzeitig in Kraft tritt, sondern es den einzelnen Institutionen überlassen bleibt, ob sie die Anpassung ihrer Statuten und Reglemente schon bald nach dem 1. Januar 1972 oder erst gegen Ende der Frist vornehmen wollen, was zu einer unübersichtlichen Situation im Gebiete des Personalfürsorgewesens führen kann. Dieser Mangel war jedoch bereits im System des Gesetzesentwurfes enthalten, wenn auch mit weniger schwerwiegenden Folgen, nachdem der Entwurf die Freizugigkeitsregelung nicht obligatorisch erklärt, sondern nur in den Vordergrund gerückt hatte. Im übrigen wird dieser Nachteil etwas gemildert durch den Umstand, dass sehr viele Personalfürsorgeeinrichtungen die Anpassung an das neue Recht erst gegen Ende der fünfjährigen Frist vornehmen werden, wodurch wieder eine gewisse Übereinstimmung erreicht werden wird.
Von der Vorinstanz wird ferner geltend gemacht, eine einjährige Übergangsfrist erweise sich auch im Hinblick auf die kommende Gesetzgebung über die obligatorische berufliche Vorsorge als zweckmässig und sinnvoll. Das Gesetz vom 25. Juni 1971 stelle eine Vorstufe für ein neues Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (die sog. zweite Säule) dar, das vor Ende 1976 in Kraft treten werde. Die neue Regelung im Bundesgesetz vom 25. Juni 1971, d.h. die Art. 331a-331c rev. OR, hätte aber gar keinen Sinn, wenn sie selber erst in diesem Zeitpunkt eingeführt sein werde. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge wird jedoch dieses Bundesgesetz über die obligatorische berufliche
BGE 100 Ib 137 S. 161
Vorsorge kaum vor 1977 in Kraft treten. Es bildet daher keinen Grund, die Einführung von Massnahmen zu beschleunigen, für die der Gesetzgeber trotz der missglückten Formulierung eine Frist von fünf Jahren vorgesehen hat.
Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass sich die einjährige Übergangsfrist zur Einführung des Barauszahlungsverbotes in der Praxis offenbar nicht bewährt hat, empfahl doch die Konferenz der kantonalen Stiftungsaufsichtsbehörden in einer anlässlich ihrer Jahrestagung von 1972 gefassten Resolution eine Ausnahme vom Barauszahlungsverbot für Arbeitnehmerbeiträge, welche bis zum 31. Dezember 1972 einbezahlt worden sind, sofern bei Handhabung des Verbotes im konkreten Fall die Gefahr zahlreicher Kündigungen bestehe und dadurch die finanzielle Stabilität der Personalfürsorgestiftung in Frage gestellt werde (SUTER, a.a.O. S. 379). Das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt musste als Aufsichtsbehörde bei der Anwendung von Art. 331c rev. OR ebenfalls verschiedene Ausnahmen zulassen, wie dem angefochtenen Entscheid zu entnehmen ist. Auch wenn die Vorinstanz diese Praxis der Aufsichtsbehörde lediglich als differenzierte Handhabung des Barauszahlungsverbotes bezeichnet, so wird damit eben doch offenbar, dass eine Übergangsfrist von nur einem Jahr auch den Bedürfnissen des Alltags zu wenig Rechnung trägt.
Die Art. 331a-331c rev. OR sind nach dem Ausgeführten für die Beschwerdeführerin noch nicht in Kraft getreten. Die Entscheide der beiden Vorinstanzen sind damit bundesrechtswidrig.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt vom 25. September 1973 sowie die Verfügung des Justizdepartementes des Kantons Basel-Stadt vom 9. Juli 1973 werden aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3c16fd2a-2916-4cbb-8679-563273c06b9e | Urteilskopf
114 IV 95
28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1988 i.S. T. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 55 Abs. 2 StGB
; probeweiser Aufschub der Landesverweisung.
Diese Bestimmung findet nur Anwendung bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug, nicht auch bei Ablauf der Probezeit für eine bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe. | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 114 IV 95 S. 95
A.-
Der tunesische Staatsangehörige T. wurde vom Bezirksgericht Zürich am 26. März 1984 wegen wiederholter Widerhandlung gegen das BetmG (schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
), Fahrens in angetrunkenem Zustand sowie weiterer SVG-Delikte zu 16 Monaten Gefängnis bedingt (Probezeit drei Jahre) verurteilt; zudem wurde eine unbedingte Landesverweisung von fünf Jahren ausgesprochen. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.
B.-
Am 13. November 1987 stellte T. das Gesuch, die Landesverweisung sei nach Ablauf der dreijährigen Probezeit bedingt aufzuschieben. Am 10. Dezember 1987 trat die Direktion der Justiz des Kantons Zürich auf dieses Gesuch mangels Zuständigkeit nicht ein. Einen dagegen gerichteten Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich am 18. Mai 1988 ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt T., es sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und ihm der Aufschub der gerichtlichen Landesverweisung zu gewähren; eventuell sei die Vorinstanz anzuweisen, auf das Gesuch um probeweisen Aufschub der Landesverweisung einzutreten.
D.-
Die Polizeidirektion des Kantons Zürich liess sich sinngemäss mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen. Das Bundesamt für Justiz erachtete für diesen Fall einen probeweisen Aufschub als nicht zulässig und äusserte sich nur eventualiter zur Frage der Zuständigkeit.
BGE 114 IV 95 S. 96
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Streitig ist die Frage, ob ein unbedingt des Landes Verwiesener nach Ablauf der Probezeit für die bedingte Hauptstrafe auf die Landesverweisung zurückkommen bzw. in der Schweiz deren probeweisen Aufschub für die restliche Dauer verlangen kann. Diese Frage wurde vom Gesetzgeber bisher nicht beantwortet. Weder in den Materialien zur Revision von 1950 noch in denjenigen zur Revision von 1971 finden sich diesbezügliche Anhaltspunkte.
a) Das Bundesgericht hatte im Jahre 1945 zur alten Fassung von
Art. 55 Abs. 2 StGB
("Hat sich ein bedingt Entlassener während der Probezeit bewährt, so kann der Richter die Landesverweisung aufheben.") entschieden, der Richter dürfe die Landesverweisung nach Ablauf der Probezeit bei Bewährung auch gegenüber einem Verurteilten aufheben, dessen Hauptstrafe bedingt vollziehbar war, da es nicht angehe, einen zu einer bedingten Freiheitsstrafe Verurteilten schlechter zu behandeln als einen bedingt aus dem Strafvollzug Entlassenen (
BGE 71 IV 30
). Dieser Entscheid erging jedoch in einem Zeitpunkt, als der Richter noch keine Möglichkeit hatte, auch eine Nebenstrafe bedingt auszusprechen. Seit der Gesetzesrevision von 1950 kann er indessen gemäss
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
auch für eine Nebenstrafe den bedingten Vollzug gewähren. Diese neue Bestimmung schaffte bezüglich der Landesverweisung, wie noch zu zeigen ist, eine erhebliche Veränderung.
Bei der Revision von 1950 war
BGE 71 IV 30
dem Gesetzgeber bekannt. Die diesbezügliche Problematik wurde aber in den vorbereitenden Diskussionen nie angesprochen; das legt den Schluss nahe, der Gesetzgeber habe aufgrund der veränderten Rechtslage (Möglichkeit des bedingten Vollzugs für die Landesverweisung) die im genannten bundesgerichtlichen Entscheid begründete Praxis für den grössten Teil der Fälle als überholt erachtet und bei der Revision von
Art. 55 StGB
die Möglichkeit des probeweisen Aufschubs ausdrücklich nur für den bedingt aus dem Strafvollzug Entlassenen (
Art. 55 Abs. 2 StGB
) statuieren wollen, nicht aber für denjenigen, der sich im Ausland während der Probezeit der bedingten Hauptstrafe möglicherweise bewährt hat.
b) Verschiedene Gründe lassen erkennen, dass für die
BGE 71 IV 30
zugrunde liegenden Überlegungen nach der Gesetzesrevision von 1950 kein Raum bleibt. Der Richter hat heute im Zeitpunkt der Urteilsfällung die Frage zu entscheiden, ob für die ausgesprochene
BGE 114 IV 95 S. 97
Landesverweisung der bedingte Vollzug zu gewähren oder zu verweigern sei. Dies entscheidet sich einzig aufgrund von
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
; massgebend ist, ob Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren Verbrechen und Vergehen abgehalten (
BGE 104 IV 225
E. 2c). Unerheblich sind sowohl Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit, die lediglich bei der Anordnung und Bemessung der Landesverweisung massgeblich sind, wie solche der Resozialisierung, die einzig bei der bedingten Entlassung (
Art. 55 Abs. 2 StGB
) eine Rolle spielen. Zulässig ist es, den bedingten Strafvollzug für die Freiheitsstrafe zu gewähren und für die Nebenstrafe zu verweigern, dies insbesondere dann, wenn die günstige Prognose für die Freiheitsstrafe vom Vollzug der Nebenstrafe abhängt (
BGE 104 IV 225
E. b). Dabei wird der Richter im Rahmen von
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
bezüglich der Haupt- und Nebenstrafe eine Gesamtwürdigung vorzunehmen haben.
Bei der Beurteilung der Bewährungsaussichten kann also gerade der Vollzug der Landesverweisung massgebend dafür sein, dass die Hauptstrafe bedingt ausgesprochen wird, wenn der Richter eine günstige Prognose nur für den Fall bejahen kann, dass der Verurteilte für die angeordnete Dauer der Landesverweisung in sein Heimatland bzw. sein angestammtes soziales Umfeld zurückkehrt. Der Verurteilte erleidet dann wohl den Nachteil der unbedingten Landesverweisung, erfährt aber anderseits gerade deswegen die Wohltat des bedingten Vollzugs für die Freiheitsstrafe. Schon unter diesem Gesichtspunkt verbietet sich nach der Revision von 1950 der Vergleich mit
Art. 55 Abs. 2 StGB
und wird der Vorwurf einer Schlechterstellung gegenüber dem bedingt aus dem Strafvollzug Entlassenen entkräftet.
Dass der Gesetzgeber dem unbedingt des Landes Verwiesenen nach Ablauf der Probezeit für die bedingte Hauptstrafe die Möglichkeit geben wollte, eine Neubeurteilung des Vollzugs der Landesverweisung zu verlangen, gestützt etwa auf Argumente der Resozialisierung (Wiedereingliederung in der Schweiz), wie sie in der Beschwerde geltend gemacht werden, wäre systemwidrig, da diese Kriterien nach dem vorn Gesagten bereits bei der Urteilsfällung unerheblich waren. Bedeutung kann aber insbesondere auch nicht dem Argument der bestandenen Bewährungszeit zukommen, auf welches sich der Beschwerdeführer ebenfalls stützt, war die Erwartung der Bewährung im Ausland ja gerade Grundlage des ursprünglichen Entscheids, dass sich eine bedingte Freiheitsstrafe
BGE 114 IV 95 S. 98
nur zusammen mit einer unbedingten Landesverweisung rechtfertigen lässt. Dass ein solcher, auf einer Gesamtwürdigung beruhender Entscheid gesamthaft - sowohl zu Gunsten des Verurteilten (bedingte Hauptstrafe) wie auch zu seinen Ungunsten (unbedingte Landesverweisung) - in Rechtskraft erwachsen muss, liegt auf der Hand.
Bei dieser Betrachtungsweise bleibt kein Raum für eine vom Gesetzgeber stillschweigend vorgesehene Möglichkeit, den in einem rechtskräftigen Urteil angeordneten Vollzug der Landesverweisung später neu beurteilen zu lassen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er eine solche Möglichkeit auf den im Gesetz ausdrücklich erwähnten Fall (
Art. 55 Abs. 2 StGB
) beschränken wollte. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c24132d-b8e6-4c26-952f-6ab8cd5fd2e6 | Urteilskopf
122 V 218
32. Auszug aus dem Urteil vom 23. Mai 1996 i.S. Z. gegen IV-Stelle Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 31 Abs. 1 IVG
: Mahn- und Bedenkzeitverfahren.
Gegenüber einem Eingliederungsmassnahmen ablehnenden Versicherten darf die Verwaltung in jedem Fall erst nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren die Verweigerung oder den Entzug von Versicherungsleistungen verfügen.
Das Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss
Art. 31 Abs. 1 IVG
kann nicht durch einen blossen (in die Ablehnungsverfügung aufgenommenen) Hinweis auf die Möglichkeit einer späteren Neuanmeldung ersetzt werden, und es muss auch dann durchgeführt werden, wenn der Versicherte eine konkrete zumutbare Eingliederungsmassnahme unmissverständlich abgelehnt hat (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 219
BGE 122 V 218 S. 219
Aus den Erwägungen:
4.
b)
Art. 10 Abs. 2 IVG
sieht vor, dass der Anspruchsberechtigte verpflichtet ist, die Durchführung aller Massnahmen, die zu seiner Eingliederung ins Erwerbsleben getroffen werden, zu erleichtern. Die Versicherung kann ihre Leistungen einstellen, wenn der Anspruchsberechtigte die Eingliederung erschwert oder verunmöglicht; unter den Begriff der Leistungen im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 IVG
fallen Eingliederungsmassnahmen und Taggelder. Nach der Rechtsprechung ist die Einstellung dieser Leistungen allerdings erst nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren im Sinne von
Art. 31 Abs. 1 IVG
zulässig (ZAK 1983 S. 28 Erw. 3 Abs. 1; MAURER, Bundessozialversicherungsrecht, Basel und Frankfurt a.M. 1993, S. 169 f.). Gemäss dieser Gesetzesbestimmung kann die Verweigerung oder der Entzug der Leistung erst verfügt werden, wenn die Verwaltung den Versicherten vorgängig durch eine schriftliche Mahnung und unter Einräumung einer angemessenen Bedenkzeit auf die Folgen seiner Widersetzlichkeit aufmerksam gemacht hat. Die Sanktion muss in gehöriger Form und unter Fristansetzung angekündigt werden (MAURER, a.a.O., S. 150 und 169 f.; MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 140 f.; vgl. auch
BGE 108 V 215
f. als Beispiel einer Fristansetzung zur Selbsteingliederung).
BGE 122 V 218 S. 220
Nach der Rechtsprechung (
BGE 97 V 175
unten Erw. 2; ZAK 1984 S. 36 f. Erw. 1) erübrigt sich die Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens, wenn der Eingliederungsmassnahmen ablehnende Versicherte in der leistungsausschliessenden oder -beschränkenden Verfügung auf die Möglichkeit der Neuanmeldung hingewiesen wird für den Fall, dass er seinen Widerstand gegen die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen aufgibt. Diese Rechtsprechung wurde kritisiert (MEYER-BLASER, a.a.O., S. 140 ff., insbes. S. 142): Nur eine konsequente Handhabung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens schaffe klare Verhältnisse in dem Sinne, dass der Versicherte wisse, woran er ist; der Hinweis auf die Möglichkeit einer späteren Neuanmeldung sei nicht zulässig, weil der rechtsunkundige Versicherte nicht abschätzen könne, welche nachteiligen Folgen eine verspätete Anmeldung nach sich zieht (
Art. 48 Abs. 2 IVG
: Beschränkung der Nachzahlung von Leistungen auf die letzten zwölf der Anmeldung vorangegangenen Monate). Diese Kritik ist begründet. Sinn und Zweck von
Art. 31 Abs. 1 IVG
ist es, den Versicherten in jedem Fall auf die möglichen nachteiligen Folgen seines Widerstandes gegen Eingliederungsmassnahmen aufmerksam zu machen und ihn so in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller wesentlichen Faktoren seine Entscheidung zu treffen. Die bisherige Praxis erweist sich deshalb als unrichtig, weshalb daran nicht festgehalten werden kann (
BGE 119 V 260
Erw. 4a). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass gemäss ZAK 1983 S. 28 Erw. 3 (Abs. 2 und 3) auch an der in
BGE 100 V 190
Erw. 4 veröffentlichten Rechtsprechung nicht festzuhalten ist, wonach sich die Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens erübrigt, wenn die Verwaltung eine konkrete, erfolgversprechende, zumutbare Eingliederungsmassnahme bezeichnet und der Versicherte diese unmissverständlich abgelehnt hat. Zwar nimmt ZAK 1983 S. 28 Erw. 3 nicht ausdrücklich auf
BGE 100 V 190
Bezug; inhaltlich wurde indessen die in diesem Urteil begründete Rechtsprechung durch den neuen Entscheid geändert. Es ist somit festzustellen, dass weder unter den in
BGE 97 V 175
Erw. 2 und ZAK 1984 S. 36 f. Erw. 1 noch unter den in
BGE 100 V 190
Erw. 4 umschriebenen Voraussetzungen von der Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens gemäss
Art. 31 Abs. 1 IVG
Abstand genommen werden darf. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3c2cda5c-48c8-4a43-b938-aaa03e7f87f1 | Urteilskopf
109 Ia 180
34. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 31 octobre 1983 dans la cause W. contre Ministère public du canton de Neuchâtel (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; Art. 1 des neuenburgischen Gesetzes über die Ausübung der Medizinalberufe.
Art. 1 des neuenburgischen Gesetzes über die Ausübung der Medizinalberufe kann ohne Willkür dahin ausgelegt werden, dass darunter jede beruflich ausgeübte Diagnose- oder Heiltätigkeit fällt, auch wenn die dabei angewandte Methode nicht jenen der klassischen Medizin entspricht (in casu "Reflexologie"). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 109 Ia 180 S. 180
W., qui est titulaire d'un "certificat de réflexologie" délivré par la "Bayly School of Reflexology in London", a exercé son art dans le canton de Neuchâtel, à Peseux et à Bôle, en 1981 et 1982. Sur dénonciation du médecin cantonal du canton de Neuchâtel, elle a été condamnée par le Tribunal de police du district de Boudry à une amende de 200 francs et au paiement d'une créance compensatrice à l'Etat de 1'200 francs, pour exercice illégal d'une profession médicale. Le recours qu'elle a déposé contre ce jugement a été rejeté le 25 août 1983 par la Cour de cassation
BGE 109 Ia 180 S. 181
pénale du canton de Neuchâtel. Celle-ci a considéré que la "réflexologie" (diagnostic et traitement au moyen de massages plantaires) constituait une activité médicale soumise comme telle à autorisation en vertu de la loi.
W. a déposé contre l'arrêt de l'autorité cantonale un pourvoi en nullité sur lequel il sera le cas échéant statué séparément, ainsi qu'un recours de droit public dans lequel elle se plaint d'arbitraire et d'atteinte à la liberté du commerce et de l'industrie.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La recourante considère qu'il est arbitraire d'assimiler la réflexologie à une activité médicale, car elle consiste à effectuer de la même façon sur tous les clients un massage plantaire qui exercerait une influence bénéfique sur la santé, au même titre que le sport ou le yoga. Elle fait encore valoir qu'elle n'a jamais posé de diagnostic au sens propre du terme, mais seulement parlé, d'une manière très générale, de douleurs de tête ou de dos.
La disposition cantonale applicable in casu est l'art. 1er de la loi neuchâteloise du 21 mai 1952 sur l'exercice des professions médicales, qui dispose:
"L'exercice des professions médicales, comprenant le diagnostic et le
traitement des maladies des hommes et des animaux, la pratique chirurgicale
et obstétricale, la préparation et la vente des médicaments, est réservé
aux seules personnes autorisées par le Conseil d'Etat."
L'autorité cantonale, se fondant sur les constatations précises du premier juge, a démontré que la recourante avait posé un diagnostic, s'agissant d'une série de personnes qui l'avaient consultée, et qu'elle avait procédé à des massages plantaires dans un but lucratif. La recourante n'attaque pas cette argumentation de manière précise et convaincante, elle n'apporte en tout cas aucun élément permettant de mettre en doute et les faits sur lesquels l'autorité cantonale s'est fondée et la définition du diagnostic qu'elle a adopté. Par ailleurs, il n'est en tout cas pas arbitraire d'interpréter l'art. 1er de la loi neuchâteloise précitée en ce sens que celle-ci concerne toute activité professionnelle consistant à poser un diagnostic ou à soigner, même si la méthode adoptée ne suit pas les sentiers de la médecine classique. En effet, si l'application de la loi était réservée aux activités médicales traditionnelles, les procédés les plus contestés pourraient être
BGE 109 Ia 180 S. 182
appliqués impunément par quiconque, ce qui n'a évidemment pas été voulu par le législateur. Le point de vue de l'autorité cantonale selon lequel l'obligation de disposer d'une autorisation porte sur toute activité tendante à soigner ou à poser un diagnostic professionnellement n'est d'ailleurs pas seulement soutenable, il correspond à celui de la plupart des législations cantonales sur cette matière.
Il s'ensuit que l'autorité cantonale ne saurait être taxée d'arbitraire ni dans la manière dont elle a appliqué la loi cantonale, ni pour avoir considéré que l'exercice de la réflexologie tel que l'a pratiqué la recourante dans le canton de Neuchâtel est soumis à autorisation et que, faute de celle-ci, il doit être réprimé conformément à l'art. 24 de la loi sur l'exercice des professions médicales. Le grief tiré du principe nulla poena sine lege est ainsi dénué de tout fondement.
2.
La recourante fait valoir les mêmes arguments pour étayer son grief d'arbitraire et celui d'inégalité de traitement. Mais l'affirmation que la profession la plus comparable à celle de "réflexologie" serait celle de masseur n'est évidemment pas propre à fonder une accusation de violation de la constitution. En effet, la profession de masseur appartient en vertu de la loi aux professions médicales auxiliaires et se trouve par là soumise elle aussi à autorisation. Quant à dire qu'il existe une prescription légale en ce qui concerne les massages et qu'il n'en existe pas pour la réflexologie, cela ne fait apparaître aucune inégalité de traitement. En réalité, il est vrai qu'il n'est pas possible d'exercer dans le canton de Neuchâtel et dans la plupart des autres cantons une profession médicale (ou paramédicale) nouvelle, sans que cela ne soit consacré au préalable par la loi. Toute activité médicale professionnelle touchant au diagnostic et à la thérapie est exhaustivement réglée par la loi, telle est la ratio legis; il n'y a pas, dans ces domaines, place pour une activité curative extra legem.
3.
Le recours de droit public doit également être rejeté sous l'angle de l'art. 31 Cst. En effet, il n'est pas contesté que les cantons ont la compétence d'édicter des dispositions restrictives en ce qui concerne les professions médicales. Or le point de savoir s'il existe une base légale suffisante pour soumettre la "réflexologie" à la loi sur l'exercice des professions médicales dépend de l'interprétation de l'art. 1er de cette loi. Dès lors que, pour les raisons indiquées plus haut, il n'est pas arbitraire de répondre affirmativement à la question en considérant que cette profession, en général et telle
BGE 109 Ia 180 S. 183
qu'elle a été pratiquée, a pour but de poser des diagnostics et de soigner les malades, il existe une base légale suffisante pour interdire l'exercice de cette profession à ceux qui ne sont pas au bénéfice d'une autorisation. Pour le reste, c'est au législateur, et non au Tribunal fédéral, qu'il appartient de se préoccuper de savoir si la nouvelle méthode doit être admise et de quelle manière par la loi. Il n'est en tout cas pas arbitraire de la part du canton de Neuchâtel de ne pas autoriser facilement l'exercice de nouvelles professions médicales mais d'essayer d'éviter tout malentendu par une obligation générale de demander une autorisation de pratiquer.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3c3a93cd-d03e-4122-afac-a1404cb4c9ff | Urteilskopf
104 II 12
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. März 1978 i.S. A. gegen Waisenamt G. | Regeste
Entmündigung wegen Freiheitsstrafe (
Art. 371 ZGB
).
Von einer Entmündigung kann bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber höchstens dann abgesehen werden, wenn nachgewiesen wird, dass im konkreten Fall die persönliche Fürsorge und die Wahrung der Vermögensinteressen des Verurteilten ausser Betracht fallen. | Sachverhalt
ab Seite 12
BGE 104 II 12 S. 12
A. wurde vom Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 16. Juni 1975 wegen verschiedener Vermögensdelikte zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Am 28. April 1977 stellte ihn das Waisenamt G. in Anwendung von
Art. 371 ZGB
unter Vormundschaft. Mit Beschluss vom 19. September 1977 bestätigte der Regierungsrat des Kantons Schwyz die Entmündigung. Das Bundesgericht weist die Berufung gegen diesen Beschluss ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach
Art. 371 Abs. 1 ZGB
gehört jede mündige Person unter Vormundschaft, die zu einer Freiheitsstrafe von
BGE 104 II 12 S. 13
mehr als einem Jahr verurteilt worden ist. Einzige Voraussetzung der Entmündigung gemäss dieser Bestimmung ist somit die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von bestimmter Mindestdauer, wobei nach der Rechtsprechung massgebend ist, ob bei Strafantritt noch eine Strafzeit von mindestens einem Jahr zu verbüssen blieb (
BGE 91 II 172
E. 1 mit Hinweisen). Anders als bei den andern Entmündigungsgründen ist demnach der Nachweis eines Schutzbedürfnisses des zu Bevormundenden oder anderer Personen nicht erforderlich. Das Gesetz erblickt in der Haft selbst die Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten. Darauf ist auch die Pflicht der Strafvollzugsbehörden zurückzuführen, der zuständigen Behörde vom Strafantritt Mitteilung zu machen (
Art. 371 Abs. 2 ZGB
;
BGE 62 II 69
/70 mit Hinweisen). Der Sinn der vormundschaftlichen Massnahme liegt in der mit dem Freiheitsentzug verbundenen Behinderung des Inhaftierten in der Wahrung seiner Interessen (
BGE 75 II 29
, 62 II 69).
Das Gesetz erblickt somit im Antritt einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr einen absoluten Entmündigungsgrund. Die Lehre tritt indessen für eine Relativierung von
Art. 371 ZGB
ein. Namentlich EGGER (N. 8-10 zu
Art. 371 ZGB
) weist darauf hin, die Entmündigung sei nur bei Schutzbedürftigkeit des Sträflings in persönlicher und vermögensrechtlicher Hinsicht sinnvoll.
Art. 371 ZGB
schaffe bloss eine widerlegbare Vermutung der Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten. Es sei Sache des Häftlings, darzutun, dass im konkreten Fall kein Schutzbedürfnis bestehe. Das Bundesgericht hat sich in
BGE 91 II 170
ff. mit dieser Kritik auseinandergesetzt. Es bezeichnete es als bedenklich,
Art. 371 ZGB
schon wegen gewisser mit der Bevormundung verbundener Nachteile für den Strafgefangenen nicht anzuwenden, und liess die Frage offen, ob allenfalls in ausserordentlichen Fällen, wenn die einem Vormund obliegenden Aufgaben - persönliche Betreuung des Gefangenen und Wahrung von dessen Vermögensinteressen - unter den gegebenen Umständen offensichtlich völlig ausser Betracht fielen, von einer Entmündigung abzusehen sei.
Nach diesem Entscheid haben sich weitere Autoren für eine Relativierung von
Art. 371 ZGB
eingesetzt (MERZ, ZBJV 102/1966, S. 484 f.; SCHNYDER, Die Stufenfolge der vormundschaftlichen Massnahmen und die Verhältnismässigkeit des
BGE 104 II 12 S. 14
Eingriffes, ZBJV 105/1969, S. 278; MURER, Die Entmündigung wegen Freiheitsstrafe, Diss. Freiburg 1972, S. 89 ff.; RUEDIN, A propos du statut juridique du détenu: l'avenir de l'art. 371 CCS, ZStR 88/1972, S. 98 ff.). Nach SPITZER (Die Vormundschaft wegen längerer Freiheitsstrafe, ZVW 20/1965, S. 81 ff., 85) wäre eine höchstrichterliche Praxis in dem Sinne erwünscht, dass nur noch dann nach
Art. 371 ZGB
entmündigt werden solle, wenn dafür im Einzelfall ein konkretes Bedürfnis bestehe. Die Zürcher Behörden sprechen Entmündigungen gestützt auf
Art. 371 ZGB
nur noch aus, wenn es aus fürsorgerischen und andern sachlichen Gründen als gerechtfertigt erscheint (Rundschreiben der Justizdirektion des Kantons Zürich vom 14. März 1972, veröffentlicht in SJZ 68/1972, S. 129 ff.).
In späteren (nicht veröffentlichten) Entscheiden hat das Bundesgericht daran festgehalten, dass sich ein Verzicht auf Entmündigung nach
Art. 371 ZGB
höchstens dann erwägen lässt, wenn feststeht, dass nach den gegebenen Umständen eine persönliche Betreuung des Verurteilten und die Wahrung von Vermögensinteressen völlig ausser Betracht fallen (Urteile vom 10. Februar 1972 i.S. Keusch und vom 15. Februar 1973 i.S. Stürm).
4.
Wortlaut und Entstehungsgeschichte (
BGE 91 II 173
E. 2) von
Art. 371 ZGB
sind derart eindeutig, dass die Nichtanwendung dieser Bestimmung trotz Vorliegens ihrer Voraussetzungen in der Tat nur in einem ausserordentlichen Fall in Frage kommt. Allenfalls könnte im Sinne der Auffassung Eggers und ähnlich der Relativierung des Scheidungsgrundes des Ehebruchs (
BGE 98 II 161
ff. E. 4 b) in
Art. 371 ZGB
bloss eine widerlegbare Vermutung erblickt werden, in dem Sinne, dass die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (bzw. der Antritt der Strafe) stets zur Bevormundung führt, wenn nicht der Nachweis geleistet wird, dass im konkreten Fall die persönliche Fürsorge und die Wahrung der Vermögensinteressen des Verurteilten ausser Betracht fallen. Weiter zu gehen verbietet das Gesetz. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c3d610f-cf79-4b8e-910a-30b575ecbee6 | Urteilskopf
107 II 314
49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. November 1981 i.S. T. gegen Direktion der Psychiatrischen Klinik Münsingen und Kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen des Kantons Bern (Berufung) | Regeste
Fürsorgerische Freiheitsentziehung.
1. Mit der Berufung gegen die fürsorgerische Freiheitsentziehung kann auch die Verletzung von
Art. 397f Abs. 2 ZGB
gerügt werden, wonach der betroffenen Person im gerichtlichen Verfahren wenn nötig ein Rechtsbeistand zu bestellen ist (E. 1).
2. Voraussetzungen für die Bestellung eines Rechtsbeistandes. Der Umstand, dass die zu versorgende Person an einem geistigen Gebrechen leidet und dass die Versorgung tief in seine Rechte eingreift, macht für sich allein die Bestellung eines Rechtsbeistandes noch nicht erforderlich (E. 2, 3). | Sachverhalt
ab Seite 315
BGE 107 II 314 S. 315
Der an einer chronischen paranoiden Schizophrenie leidende T. wurde im Jahre 1974 bevormundet und befindet sich seither, mit einigen Unterbrüchen, in der Psychiatrischen Klinik Münsingen. Am 18. Februar 1981 wies die Direktion der Klinik ein von ihm gestelltes Entlassungsgesuch ab. Hierauf ersuchte T. um gerichtliche Beurteilung des Gesuchs, wobei er das Begehren um Beiordnung eines Anwaltes sowie um unentgeltliche Prozessführung stellte. Mit Entscheid vom 2. Juli 1981 wies die kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen des Kantons Bern das Entlassungsgesuch zur Zeit ebenfalls ab, empfahl aber der Direktion der Klinik, im Rahmen der Hospitalisierung eine längerdauernde Bewährungsmöglichkeit ausserhalb der Klinik zu organisieren. Auch das Gesuch um Beiordnung eines Anwalts wurde abgewiesen.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt T. die Aufhebung des Entscheids der Rekurskommission. Er macht geltend, die Abweisung des Gesuchs um Beiordnung eines Anwalts verstosse gegen
Art. 4 BV
.
Die Rekurskommission beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht nimmt die staatsrechtliche Beschwerde als Berufung entgegen, weist diese aber ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach dem neuen
Art. 44 lit. f OG
ist bei fürsorgerischer Freiheitsentziehung die Berufung zulässig. Mit der Berufung kann nach
Art. 43 OG
nur die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wird zwar grundsätzlich durch das kantonale Recht geordnet; doch enthalten
Art. 397e und 397f ZGB
gewisse Vorbehalte. Insbesondere sieht
Art. 397f Abs. 2 ZGB
vor, dass der Richter im Verfahren vor Gericht der betroffenen Person wenn nötig einen Rechtsbeistand zu bestellen habe. Ähnlich wie
Art. 158 oder 374 ZGB
stellen die Verfahrensbestimmungen in
Art. 397e und 397f ZGB
Bundesrecht dar, dessen Verletzung mit der Berufung gemäss
BGE 107 II 314 S. 316
Art. 44 lit. f OG
gerügt werden kann. Sie werden in
Art. 44 lit. f OG
denn auch ausdrücklich erwähnt. Ist aber die Berufung zulässig, kann auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Das heisst nicht, dass nicht auch auf diesem Gebiet die willkürliche Anwendung kantonalen Prozessrechts mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen ist. Der in der Eingabe an das Bundesgericht als verletzt betrachtete Art. 32 der kantonalen Verordnung betreffend die Einführung des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1978 über die Änderung des ZGB (fürsorgerische Freiheitsentziehung), welcher die Rekurskommission anweist, der betroffenen Person wenn nötig einen Anwalt beizuordnen, deckt sich jedoch mit
Art. 397f Abs. 2 ZGB
und hat keine selbständige Bedeutung. Die Eingabe ist daher als Berufung entgegenzunehmen.
2.
Der Berufungskläger leidet an einem geistigen Gebrechen, das an sich geeignet ist, seine Verteidigungsmöglichkeit zu beeinträchtigen. Auch greift die Zurückbehaltung in der Anstalt zweifellos tief in seine Rechte ein. Daraus allein folgt jedoch noch nicht, dass ihm ein Rechtsbeistand beigegeben werden musste. Die fürsorgerische Freiheitsentziehung stellt stets eine schwerwiegende Massnahme dar, die vom Betroffenen in ähnlicher Weise empfunden wird wie eine Freiheitsstrafe oder eine im Rahmen eines Strafverfahrens angeordnete freiheitsentziehende Massnahme, und bei den Personen, die aus einem der in
Art. 397a Abs. 1 ZGB
genannten Grund fürsorgebedürftig sind, dürfte die Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich im Verfahren vor dem Richter wirksam gegen die Freiheitsentziehung zu wehren, wohl die Regel sein. Dennoch hat der Gesetzgeber davon abgesehen, die Verbeiständung für das Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung obligatorisch zu erklären. Der Bundesrat hat dies in der Botschaft damit begründet, der Schwerpunkt des Versorgungsverfahrens liege auf dem Offizialprinzip, so dass besondere Rechtskenntnisse auf Seiten des zu Versorgenden nicht nötig seien. Es wäre wenig befriedigend, wenn die Einweisungsinstanz, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit pflichtgemäss eine fürsorgerische Freiheitsentziehung anzuordnen habe, sich selber jedesmal einen "Gegenanwalt" ernennen müsste. Ob der Betroffene einem von der Einweisungsinstanz ernannten Beistand vertrauen würde, wäre ohnehin fraglich. Ihm sei genügender Rechtsschutz gewährleistet, wenn er über die ihm zur Verführung stehenden Rechtsmittel unterrichtet werde, jede ihm nahestehende Person die gerichtliche Beurteilung verlangen könne
BGE 107 II 314 S. 317
und jederzeit ein Entlassungsgesuch mit Weiterzugmöglichkeit an den Richter gestellt werden dürfe. Im gerichtlichen Verfahren habe der Richter im Einzelfall abzuwägen, ob die Verhältnisse die Bestellung eines Rechtsbeistandes erforderten (BBl 1977 III S. 40).
Der Hinweis auf die Offizialmaxime vermag freilich nicht voll zu überzeugen. Auch das Strafverfahren wird von der Offizialmaxime beherrscht, und dennoch besteht nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen unmittelbar aufgrund von
Art. 4 BV
ein Anspruch auf Beigabe eines amtlichen Verteidigers (
BGE 103 Ia 5
/6 E. 2,
BGE 102 Ia 88
ff.,
BGE 101 Ia 91
/92 E. 3e,
BGE 100 Ia 187
; entgegen
BGE 63 I 211
/212). Gleich verhält es sich, wenn ein Zivilprozess im Offizialverfahren durchgeführt wird; auch dann ist die Beigabe eines Offizialanwalts nicht zum vornherein ausgeschlossen (
BGE 104 Ia 72
ff.). Die Bundesversammlung ist jedoch der Betrachtungsweise des Bundesrats gefolgt. Anlässlich der parlamentarischen Beratung stellte Nationalrat Braunschweig nämlich den Antrag, die Worte "wenn nötig" in
Art. 397f Abs. 2 ZGB
zu streichen, was zur Folge gehabt hätte, dass dem Betroffenen im Verfahren vor Gericht in jedem Fall ein Rechtsbeistand hätte bestellt werden müssen. Der Antrag wurde indessen abgelehnt (Amtl. Bull. 1978 N S. 765-768). Damit steht fest, dass der Gesetzgeber die Gewährleistung des Rechtsschutzes des Betroffenen bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung in erster Linie im Verfahren selbst erblickte und dass er eine obligatorische Verbeiständung trotz der Schwere des Eingriffs und der häufig vorhandenen geistigen Schwäche des Betroffenen bewusst nicht vorsah. Daraus folgt umgekehrt, dass der Hinweis auf den Geisteszustand des zu Versorgenden noch nicht genügt, um eine amtliche Verbeiständung zu rechtfertigen, sondern dass es dazu noch weiterer Gründe bedarf. Würde man anders entscheiden, so müsste gerade in den schwersten Fällen psychischer Erkrankung, wenn die Notwendigkeit einer Versorgung ausser jedem Zweifel steht, jedesmal ein Rechtsbeistand bestellt werden, was auf eine blosse Formalität hinausliefe und nicht der Sinn des Gesetzes sein kann.
3.
Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie von der Bestellung eines Rechtsbeistandes abgesehen hat. Dass im gerichtlichen Verfahren besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht bestanden hätten, behauptet der Berufungskläger selbst nicht. Er bestreitet auch nicht, dass er in der Lage war, in der Verhandlung vor der
BGE 107 II 314 S. 318
Rekurskommission seinen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Die Rekurskommission hat von einer versuchsweisen Entlassung des Berufungsklägers nur deswegen abgesehen, weil dieser einzig nach Hause entlassen werden will, dort aber die weiterhin erforderliche Fürsorge nicht erfahren könnte, weil seine Verwandten selbst betreuungsbedürftig sind. Diese Problematik war auch für den Berufungskläger durchaus verständlich. Was ein Rechtsbeistand daran hätte ändern und welche Argumente er hätte vorbringen können, sagt der Berufungskläger nicht. Die Bestimmungen des bernischen Strafverfahrens, auf welche er verweist und die in gewissen Fällen die Offizialverteidigung vorschreiben (vgl. hierzu
BGE 106 Ia 179
ff.), sind auf das Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht anwendbar. Auch die erwähnte bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Art. 4 BV
, wonach im Strafverfahren unter Umständen ein Anspruch auf Beigabe eines amtlichen Verteidigers besteht, kann nicht direkt herangezogen werden. Im übrigen bestehen zwischen dem Strafverfahren und dem Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wesentliche Unterschiede. Einmal steht im Strafprozess dem Angeklagten als Laien in der Regel ein juristisch gebildeter Anklagevertreter gegenüber, was einen Grund für die Bestellung eines Offizialverteidigers darstellen kann (vgl.
BGE 106 Ia 183
,
BGE 103 Ia 5
). Zum andern ist die strafrechtliche Freiheitsentziehung für die vom Richter angeordnete Dauer unter Vorbehalt der bedingten Entlassung grundsätzlich definitiv, während bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung jederzeit ein Entlassungsgesuch gestellt und bei dessen Abweisung der Richter angerufen werden kann. Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall das Entlassungsgesuch des Berufungsklägers denn auch ausdrücklich nur "zur Zeit" abgewiesen, wobei sie der Direktion der Anstalt empfahl, in Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten und den vormundschaftlichen Behörden eine längerdauernde Bewährungsmöglichkeit ausserhalb der Klinik zu organisieren. Sollte sich der Berufungskläger dazu bereit finden, sich an einem Ort unterbringen zu lassen, wo die persönliche Betreuung und die Weiterführung der nach wie vor erforderlichen medikamentösen Behandlung gewährleistet ist, so dürfte einer - eventuell probeweisen - Entlassung nichts entgegenstehen.
Die Verweigerung der Beiordnung eines amtlichen Anwaltes hatte für den Berufskläger somit keine konkrete Benachteiligung zur Folge und war daher zu verantworten, weshalb die Berufung abzuweisen ist. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c3fc1e3-d504-41fb-8792-815e9c8f5841 | Urteilskopf
115 Ib 396
55. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Dezember 1989 i.S. X.-Stiftung gegen Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer sowie Kantonale Rekurskommission für eidgenössische Abgaben des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Steuerbefreiung einer Personalvorsorgestiftung nach
Art. 16 Ziff. 4bis BdBSt
:
1. Die Steuerbefreiung setzt voraus, dass die Personalvorsorgestiftung neben der Personalvorsorge keinen weiteren Zweck verfolgt.
2. Die Steuerbefreiung ist ausgeschlossen, wenn die Personalvorsorgestiftung der Stifterfirma wesentliche Teile des Grundkapitals zur Verfügung stellt. | Sachverhalt
ab Seite 396
BGE 115 Ib 396 S. 396
Die X.-Stiftung wurde mit öffentlicher Stiftungsurkunde vom 29. Dezember 1983 von H. X. und der Firma A. AG ("Stifterfirma") als Stiftern errichtet. Die Stiftungsurkunde umschreibt den Zweck in Art. 3 wie folgt:
"1. Die Stiftung bezweckt die Vorsorge für die leitenden Mitarbeiter der Stifterfirma bzw. deren Angehörige oder Hinterbliebene gegen die wirtschaftlichen Folgen des Alters, der Invalidität, der Krankheit, des Unfalls, der Arbeitslosigkeit und der unverschuldeten Notlage.
2. In Erfüllung des Stiftungszwecks kann die Stiftung auch Zuwendungen an bestehende Vorsorgeeinrichtungen zugunsten der unter Ziff. 1 erwähnten Destinatäre sowie der übrigen Arbeitnehmer der Stifterfirma gewähren. Insbesondere kann die Stiftung reglementarische Arbeitgeberbeiträge im Namen und für Rechnung der Stifterfirma an andere Vorsorgeeinrichtungen derselben leisten.
Der Stiftungsrat wird Reglemente erlassen, in welchen der Kreis der Begünstigten und die Art und der Umfang der Leistungen festgelegt sind. Solche Reglemente bedürfen der Genehmigung durch den Verwaltungsrat der Stifterfirma und können jederzeit mit Genehmigung
BGE 115 Ib 396 S. 397
des Verwaltungsrates abgeändert werden. Der Erlass sowie die Änderung der Reglemente sind der Aufsichtsbehörde bekanntzugeben."
Bei der Gründung widmete H. X. der Stiftung seine 38 Namenaktien der Stifterfirma zum Nominalwert von je Fr. .... und die Stifterfirma einen Betrag von Fr. ... Die Aktien der Stifterfirma sind in 40 Namenaktien mit einem Nennwert von je Fr. ... und in 1000 Namenaktien (Stimmrechtsaktien) mit einem Nennwert von je Fr. ... eingeteilt. Die 38 gewidmeten Namenaktien entsprechen einem Kapitalanteil von 76% am Grundkapital der Stifterfirma und einem Stimmenanteil von 3,65%.
Die Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer des Kantons Basel-Stadt verweigerte der X.-Stiftung für die direkte Bundessteuer die veranlagte Steuerbefreiung und veranlagte sie am 6. September 1985 zur direkten Bundessteuer 1983/84. Auf Einsprache der Stiftung hielt sie an der Verweigerung der Steuerbefreiung (und der im übrigen nicht beanstandeten Veranlagung) fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Kantonale Rekurskommission für eidgenössische Abgaben ab.
Gegen diesen Entscheid führt die X.-Stiftung am 19. Mai 1989 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid und die Veranlagung zur direkten Bundessteuer 1983/84 seien aufzuheben und sie sei gemäss Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt von der direkten Bundessteuer 1983/84 zu befreien. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Die Steuerbefreiung für Personalvorsorgestiftungen war in Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt wie folgt umschrieben:
"Von der Steuerpflicht sind befreit:
4bis. die nach den Artikeln 80 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches errichteten Stiftungen, deren Vermögen dauernd für Zwecke der Wohlfahrt von Angestellten und Arbeitern einer oder mehrerer Unternehmungen gewidmet ist und deren Einkommen ausschliesslich für solche Zwecke verwendet wird."
b) Zur Befreiung einer nach
Art. 80 ff. ZGB
geschaffenen Personalvorsorgestiftung von der Steuerpflicht nach Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt muss das Vermögen und das Einkommen der Stiftung dauernd und ausschliesslich dem Zweck der Personalwohlfahrt (vgl. dazu
BGE 113 Ib 15
E. 4a) gewidmet sein. Zwar müssen die Aktiven der Stiftung nicht als solche (d.h. als bewegliche oder
BGE 115 Ib 396 S. 398
unbewegliche Vermögensgegenstände) unmittelbar für die Erfüllung dieses Stiftungszwecks allein verwendet werden. Sie können ihm auch mittelbar mit ihrem Kapitalbetrag und Ertrag dienen. Doch muss durch ihre Widmung für den Personalvorsorgezweck ausgeschlossen sein, dass sie später zum Beispiel wieder an die Stifterfirma zurückfallen oder für andere als Personalwohlfahrtszwecke verwendet werden könnten. Zudem darf das Vermögen der Stiftung nicht einem weiteren Zweck neben dem der Personalwohlfahrt gewidmet sein, wenn sie Steuerbefreiung geniessen will (Urteil vom 26. Juni 1987, in ASA 57, 559 E. 4, mit Hinweisen, wo auch schon auf den seit 1. Januar 1986 geltenden
Art. 16 Ziff. 4 BdBSt
hingewiesen wird, der in dieser Hinsicht nicht anders lautet).
c) Die Steuerbefreiung ist nicht bloss anhand des Zweckartikels in der Stiftungsurkunde zu prüfen. Zu berücksichtigen ist auch, ob und wie das Vermögen und das Einkommen der Stiftung nach den übrigen Bestimmungen der Stiftungsurkunde (über die Vermögensanlage und Organisation der Stiftung), den Stiftungsreglementen und den wirtschaftlichen Verhältnissen in dem bis zum Entscheid überblickbaren Zeitraum tatsächlich für die dauernde Erfüllung des Personalvorsorgezweckes verwendet wird (vgl.
BGE 114 Ib 279
E. 3a).
3.
a) Die Beschwerdeführerin hat nach ihrer eigenen Darstellung eine Personalvorsorgetätigkeit einstweilen noch nicht aufgenommen und auch keine Reglemente für diese vorgelegt. Es ist fraglich, ob die Beschwerdeführerin Personalvorsorgezwecke im Sinne von Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt verfolgt (vgl. dazu
BGE 113 Ib 15
E. 4b-c). Die Frage kann offenbleiben.
b) Sobald sich eine Personalvorsorgestiftung in erheblichem Masse am Grundkapital der Stifterfirma beteiligt, stellt sich nicht nur für die Aufsichtsbehörde die Frage, ob ihr Vermögen den für die Vorsorge geltenden Vorschriften entsprechend angelegt ist. Auch die Steuerbehörden haben zu prüfen, ob sie nicht neben dem Personalvorsorgezweck auch eine unternehmerische Zielsetzung verfolgt und ihr Vermögen damit tatsächlich einem weiteren Zweck neben dem der Personalvorsorge gewidmet ist, der eine Steuerbefreiung ausschliesst.
So kann eine Stiftung, die sich als Holding-Stiftung in erheblichem Masse am Kapital der Stifterfirma beteiligt, in der Regel keine Steuerbefreiung nach Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt beanspruchen, auch wenn sie daneben nach ihrem Stiftungszweck den
BGE 115 Ib 396 S. 399
Ertrag der Beteiligung für Personalwohlfahrtszwecke verwendet. Ihr Vermögen, das ganz oder teilweise in Anteilen am Grundkapital der Stifterfirma besteht, dient auch dem Holding-Zweck, der nicht unter Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt fällt (ASA 57, 560 E. 5a).
c) Für die Beantwortung der Frage, ob eine Stiftung einen solchen weiteren Zweck neben dem der Personalvorsorge verfolgt, kann nicht entscheidend sein, dass die Stiftung - weil die übrigen Beteiligten Stimmrechtsaktien halten - einen Stimmenanteil innehat, der kleiner als ihr Kapitalanteil ist. Nicht nur die stimmenmässige Einflussnahme auf eine Unternehmung, sondern auch das Zurverfügungstellen wesentlicher Teile des Betriebskapitals (Risikokapitals) stellt eine unternehmerische Tätigkeit dar. Auch wenn die Kapitalbeteiligung bzw. deren Ertrag der Stiftung letztlich für Vorsorgezwecke dient, übernimmt die Stiftung mit einer wesentlichen Kapitalbeteiligung an der Stifterfirma unternehmerische Aufgaben und Risiken. Sie verfolgt damit nicht ausschliesslich Zwecke der Personalvorsorge, was die Steuerbefreiung nach Art. 16 Ziff. 4bis altBdBSt ausschliesst. Dabei spielt keine Rolle, ob die Stiftung die Beteiligung entgeltlich oder unentgeltlich erworben hat.
Es braucht hier nicht weiter geprüft zu werden, wann in einem solchen Falle eine Kapitalbeteiligung an der Arbeitgeberfirma, wesentlich ist und einen unternehmerischen Zweck der Stiftung aufzeigt. Namentlich kann offenbleiben, ob die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung angewendete Regel, wonach eine Personalvorsorgestiftung eine über die Personalvorsorge hinausgehende (Holding-)Funktion übernimmt, sobald sie sich zu mehr als 20% am Grundkapital der Stifterfirma beteiligt (vgl. dazu ASA 57, 560 E. 5b), allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls herangezogen werden kann.
d) Die Beschwerdeführerin hatte 1983/84 zu Steuerwerten 96.24% ihres Vermögens in Aktien der Stifterfirma angelegt und ist am Kapital der Stifterfirma zu 76% beteiligt. Dabei handelt es sich ohne jeden Zweifel um eine bzw. um die wesentliche Beteiligung an der Stifterfirma. Dies ist nicht bloss ein vorübergehender Zustand in der Aufbauphase der Personalvorsorge. Laut der Einsprache der Beschwerdeführerin vom 30. September 1985 ist keine Änderung der Beteiligungsverhältnisse vorgesehen. Zwar mochten im Hinblick auf die beabsichtigten Personalvorsorgezwecke weitere Zuwendungen der Stifterfirma (von Fr. ...) vorgesehen sein, die allenfalls nur wegen der Verweigerung der Steuerbefreiung bisher unterblieben, wie die Beschwerdeführerin in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 115 Ib 396 S. 400
(allerdings erstmals und nach
Art. 105 Abs. 2 OG
unbeachtlich) geltend macht. Doch sollen der Beschwerdeführerin vorerst 76% des Grundkapitals der Stifterfirma gewidmet bleiben, die den Hauptteil des Stiftungsvermögens bilden. Und sie soll so den grossen Teil des Unternehmerrisikos der Aktionäre tragen.
e) Die Vorinstanz hat damit zu Recht angenommen, dass die Beschwerdeführerin nicht ausschliesslich Zwecke der Personalwohlfahrt verfolgt und keine Steuerbefreiung beanspruchen kann. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3c469d05-76c3-42b8-b9f5-2a64f1935166 | Urteilskopf
99 II 401
57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1973 i.S. SADEC, Aktiengesellschaft für chemische Unternehmungen gegen Dr. Schieffer, Arzneimittelgesellschaft mbH | Regeste
Markenrecht.
Schutzfähigkeit der Marke "Biovital". Die ungewöhnliche Verbindung zweier an sich gemeinfreier Zeichen kann eine schutzfähige Marke bilden. Keine Sachbezeichnung liegt vor, wenn eine Wort bloss mit Hilfe der Phantasie auf die Beschaffenheit, Herkunft oder Zweckbestimmung einer Ware schliessen lässt (Erw. 1). | Sachverhalt
ab Seite 401
BGE 99 II 401 S. 401
A.-
Die Dr. Schieffer-Arzneimittel-Gesellschaft mbH & Co. ist Inhaberin der am 7. Juli 1955, mit deutscher Priorität, eingetragenen internationalen Wortmarke Nr. 186 057 "Biovital" für "Médicaments, produits chimiques pour la médecine et l'hygiène, drogues pharmaceutiques, emplâtres, étoffes pour pansements, produits pour la destruction d'animaux et de végétaux, désinfectants, produits pour conserver les aliments".
Die SADEC Aktiengesellschaft für chemische Unternehmungen hinterlegte am 15. April 1971 die unter Nr. 252 885 registrierte schweizerische Wortmarke "FERO-VITAL" für "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse
BGE 99 II 401 S. 402
für Kinder und Kranke; Pflaster, Verbandsmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von Unkraut und schädlichen Tieren".
In der Folge forderte die Firma Dr. Schieffer durch ihren schweizerischen Anwalt die SADEC Aktiengesellschaft auf, die Marke "FERO-VITAL" wegen Verwechslungsgefahr zu löschen. SADEC lehnte dieses Ansinnen ab.
B.-
Daraufhin klagte die Firma Dr. Schieffer im Juni 1972 gegen die SADEC Aktiengesellschaft mit den Begehren:
"1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Schweizer Marke Nr. 242 885 FERO-VITAL der Beklagten nichtig ist.
2. Es sei der Beklagten unter Androhung von Haft oder Busse gemäss
Art. 292 StGB
im Widerhandlungsfall an ihre Organe zu verbieten, die Bezeichnung FERO-VITAL im Zusammenhang mit dem Anbieten, Verkaufen oder Inverkehrbringen von pharmazeutischen Erzeugnissen zu gebrauchen."
Das Kantonsgericht Nidwalden hiess die Klage am 10. Mai 1973 gut.
C.-
Die Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein. Sie beantragt Abweisung der Klage. Die Klägerin schliesst auf Bestätigung des kantonalen Entscheides.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beklagte hält an der Einrede fest, die Wortverbindung "Biovital" sei nicht schutzfähig, weil sie keine unterscheidende Kraft habe; sie setze sich aus zwei Wörtern des allgemeinen Sprachgebrauchs zusammen und sei daher Gemeingut.
a) Zeichen, die als Gemeingut anzusehen sind, geniessen den Markenschutz nicht (Art. 3 Abs. 2, 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG). Das gilt für Wörter, die in einem so engen Zusammenhang zur Ware stehen, dass sie unmittelbar auf deren Herkunft, Zweckbestimmung oder Eigenschaften hinweisen, also Sachbezeichnungen sind und als solche die erforderliche Kennzeichnungs-und Unterscheidungskraft nicht besitzen (
BGE 96 I 250
, 755,
BGE 96 II 249
,
BGE 95 I 478
f.,
BGE 94 I 76
,
BGE 93 II 263
f.,
BGE 91 I 357
; DAVID, Kommentar 2. Aufl. zu
Art. 3 MSchG
N. 18 ff.; TROLLER, Immaterialgüterrecht II. Aufl. I S. 347 ff.). Eine Marke ist jedoch nicht schon dann Gemeingut, wenn sie ein gemeinfreies Element enthält,
BGE 99 II 401 S. 403
sondern nur dann, wenn sie als Ganzes auf die Beschaffenheit oder Herkunft der Ware hinweist (
BGE 96 II 250
,
BGE 88 II 380
). Fehlt ein solcher Hinweis, so kann auch die ungewöhnliche Verbindung zweier an sich gemeinfreier Zeicher eine schutzfähige Marke bilden (DAVID, a.a.O. N. 19, 20 und 22).
b) Der Ausdruck "Bio..." stammt aus dem Griechischen. Er wird verwendet als Bestimmungswort von Zusammensetzungen mit der Bedeutung "Lebens..." oder "lebens..." und erscheint in zahlreichen Verbindungen, von Bioastronautik über u.a. Biochemie, Biodynamik, Biographie, Bioklima, Biologie, Biometrik, Biopsychismus, Biorhythmen, Biosoziologie, Biosphäre, Biotechnik bis biozentrisch. "Vital" anderseits ist lateinischen Ursprungs und bedeutet lebensvoll, lebenswichtig, lebenskräftig, für das Leben kennzeichnend, das Leben betreffend, unternehmungslustig (vgl. unter den entsprechenden Stichwörtern im Brockhaus Enzyklopädie, Der grosse Herder, Meyers Enzyklopädisches Lexikon bzw. Vorauslexikon dazu). Beide Wörter sind in die schweizerischen Landessprachen eingegangen und je für sich und in Zusammensetzungen der erwähnten Art gebräuchlich und verständlich.
c) Massgebend ist nach dem Gesagten nicht, ob die Markenbestandteile "Bio" und "vital" je einzeln gemeinfrei seien. Zu beurteilen ist die Wortverbindung insgesamt. Sie ergibt einen originellen Pleonasmus, indem kein Wort das andere präzisiert, und der keinen klaren Sinn ergibt, gerade deshalb besticht und dadurch kennzeichnend wirken kann. Abgesehen davon, dass sie ungebräuchlich ist, enthält sie keine unmittelbare Angabe über Zweckbestimmung, Beschaffenheit oder Eigenschaften der Waren, die sie kennzeichnet. Das Warenverzeichnis der Klägerin umfasst medizinische, pharmazeutische, hygienische Produkte sowie Schädlingsvertilgungs-, Desinfektions- und Konservierungsmittel. Es könnte ebenso gut noch weitere ähnliche oder andere Erzeugnisse einschliessen, etwa Nahrungsmittel, wie sie in sogenannten Reformhäusern angeboten werden, Mittel zur Erhaltung oder Hebung körperlicher Leistungsfähigkeit usw. Die genannten Waren mögen einen engeren oder weiteren Zusammenhang mit "Leben" oder "Beleben" haben, der jedoch durch die Wortverbindung "Biovital" nicht konkret, sondern bloss andeutungsweise aufgezeigt wird. Anspielungen, die bloss entfernt, mit Hilfe besonderer Phantasie auf die Beschaffenheit, Herkunft oder Zweckbestimmung einer Ware schliessen lassen,
BGE 99 II 401 S. 404
sind indessen nicht Gemeingut nach
Art. 3 Abs. 2 MSchG
(
BGE 98 II 144
und dort erwähnte Entscheide).
Zu diesem Ergebnis gelangt man, ohne sich auf die Meinung der im Kantonsgericht vertretenen Laienrichter zu stützen. Die Kritik der Beklagten, die Vorinstanz sei nicht aus "sachverständigen Laien für Stärkungsmittel zusammengesetzt", stösst daher ins Leere. Abgesehen davon, geht es nicht allein um Stärkungsmittel, die im Warenverzeichnis nicht ausdrücklich aufgeführt sind und auf die die Marke so wenig wie auf andere Erzeugnisse unmittelbar hinweist. Im übrigen ist für die Bewertung einer Marke nicht die Auffassung des durchschnittlichen Verbrauchers massgebend, den das Kantonsgericht in seinen Laienrichtern vertreten sieht. Ein Wort ist schon dann nicht mehr als Marke zu schützen, wenn nur ein bestimmter Kreis, z.B. die Fachleute, es allgemein zur Bezeichnung einer bestimmten Ware verwendet (
BGE 96 I 755
und dort erwähnte Entscheide). Ob das zutrifft, ist Tatfrage (
BGE 96 II 261
). Die Beklagte behauptet nicht, sie habe im kantonalen Verfahren ein abweichendes Fachverständnis behauptet und dafür Beweis angeboten. Sie kann aus
BGE 91 I 357
und
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
nichts für sich ableiten. Um einen im Gemeingut stehenden wesentlichen Markenbestandteil im Sinne des Gesetzes und jenes Entscheides handelt es sich bei "Biovital" nicht. Ebensowenig hilft ihr der Hinweis auf
BGE 84 II 225
, mit dem die beiden Weinmarken "trois plants" und "deux plants" ihres bestimmten und unmittelbar erkennbaren Gehaltes wegen als Sachbezeichnung beurteilt wurden. Anders als beispielsweise die für ein ähnliches Warenverzeichnis gewählte und nicht als schutzfähig erklärte Marke "Enterocura" (
BGE 96 I 752
ff) hat "Biovital" keinen spezifischen Sinn. Sie gehört als Ganzes im Unterschied zu ihren Bestandteilen in keiner Landessprache zum allgemeinen Wortschatz.
d) Die Marke "Biovital" der Klägerin ist nicht deshalb Gemeingut, weil Dritte ihre Bestandteile in Marken für gleiche oder ähnliche Waren ebenfalls verwenden. Jene Wirkung tritt erst ein, wenn der Gebrauch eines Zeichens so allgemein geworden ist, dass es über die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Betrieb nichts mehr auszusagen vermag, weil alle am Verkehr der Ware beteiligten Kreise, namentlich auch die Fabrikanten, es für eine Sachbezeichnung halten und die Rückbildung in ein Individualzeichen sich trotz darauf gerichteter Bestrebungen als
BGE 99 II 401 S. 405
unmöglich erweist (
BGE 96 II 251
,
BGE 93 II 264
). Das Kantonsgericht stellt zwar fest, dass das Vorwort "Bio" über zwanzigmal und das Wort "vital" weit über fünfzigmal als Bestandteil von Wortmarken für pharmazeutische Produkte erscheinen. Es sagt aber nicht, dass deswegen diese Bestandteile und ihre Verbindung zu "Biovital" die genannte Entwicklung durchgemacht hätten und von allen beteiligten Kreisen unwiderruflich als Sachbezeichnungen für pharmazeutische Produkte betrachtet würden. Vielmehr erklärt es, die Marke der Klägerin habe sich im Geschäftsverkehr durchgesetzt. Es stützt sich dabei - beweiswürdigend - auf die laufenden Erhebungen der IHA Institut für Marktanalysen AG Hergiswil, was die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr beanstandet. Sie macht aber insbesondere geltend, der für das vierte Quartal 1972 von der Klägerin auf dem Gebiete der Stärkungsmittel erzielte Marktanteil spreche nicht für die Verkehrsgeltung der Marke "Biovital", da der Käufer das Erzeugnis wegen der Beschreibung "Bio" und "vital" erstehe. Das ist schon deshalb unzutreffend, weil das Produkt tatsächlich unter der Bezeichnung "Biovital" angeboten wird. Der unter Hinweis auf
BGE 82 II 340
(Verkehrsgeltung der seit Jahrzehnten verwendeten Firma Eisen & Metall A.-G.) vorgebrachte Einwand der Beklagten, die Klägerin habe sich nirgends darüber geäussert, seit wann sie die im Juli 1955 eingetragene internationale Marke "Biovital" gebrauche, ist unbegründet, hat doch das Kantonsgericht festgestellt, die Klägerin habe die Marke "dauernd zur Kennzeichnung ihres Eisenpräparates in der Schweiz benutzt und vor allem in jüngerer Zeitbeträchtliche Umsätze erzielt". Angesichts dessen unterstellt die Beklagte zu Unrecht, es sei "sehr naheliegend", dass der ermittelte Marktanteil infolge einer kurzen, breit gestreuten Propaganda erzielt worden sei. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c470d5c-3d36-4b1a-9616-707f04acf7fe | Urteilskopf
122 III 414
76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. November 1996 i.S. B. M. und M. gegen Direktion des Innern des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Familienname des Kindes (
Art. 270 Abs. 1 ZGB
).
Nach dem klaren, nicht auslegungsbedürftigen Wortlaut von
Art. 270 Abs. 1 ZGB
erhält das Kind miteinander verheirateter Eltern deren Familiennamen. Entspricht dieser dem väterlichen Nachnamen, so können die Eltern nicht verlangen, dass das Kind unter dem Nachnamen der Mutter in das Geburtsregister eingetragen wird (E. 2).
Zwischen
Art. 270 Abs. 1 ZGB
sowie den
Art. 8 und 14 EMRK
besteht keine Divergenz (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 414
BGE 122 III 414 S. 414
Die Eheleute B. M. und M. blieben mit dem Begehren, ihre Tochter L. unter dem mütterlichen Nachnamen B. statt unter dem Familiennamen M. in das Geburtsregister eintragen zu lassen, sowohl beim Zivilstandsamt der Stadt Zürich wie auch bei der Direktion des Innern des Kantons Zürich erfolglos. Gegen deren Entscheid führen sie Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Damit ersuchen sie, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und das Zivilstandsamt anzuweisen, die gewünschte Eintragung vorzunehmen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Wie die Direktion des Innern zutreffend bemerkt, erhält das Kind verheirateter Eltern deren Familiennamen (
Art. 270 Abs. 1
BGE 122 III 414 S. 415
ZGB
), der in der Regel demjenigen des Ehemannes entspricht (
Art. 160 Abs. 1 ZGB
), bei entsprechendem Gesuch der Brautleute vor der Trauung (HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Aufl. Bern 1993, N. 13.23) aber auch derjenige der Ehefrau sein kann (
Art. 30 Abs. 2 ZGB
). Um letzteres haben die Beschwerdeführer sich indessen nicht bemüht.
b) Nach dem klaren, nicht auslegungsbedürftigen Wortlaut des Gesetzes trägt also im vorliegenden Fall die Tochter der Beschwerdeführer zwingend den Familiennamen, der dem Namen ihres Vaters entspricht. Die Beschwerdeführer glauben indessen, der Richter sei bereits auf der Basis von Grundsätzen des Gesetzesrechts, von
Art. 4 und 28 ZGB
befugt und verpflichtet, eine Rechtsentwicklung zu vollziehen, die ihrer Auffassung von Freiheitsrechten und ihrer Interpretation der EMRK entspricht. Damit übersehen sie allerdings, dass es nicht zur Aufgabe des Richters gehört, klares Recht fortbildend zu ändern (MEIER-HAYOZ Berner Kommentar, N. 302 ff. zu
Art. 1 ZGB
; LIVER, Begriff und System in der Rechtssetzung, in: Probleme der Rechtssetzung, Referate des Schweiz. Juristenvereins 1974/I, Basel 1974 S. 140 und 162). Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer stehen nicht mehr bloss ihre eigenen Rechte und Vorlieben auf dem Spiel, sondern auch und vor allem die Interessen des Kindes. Das Kind verheirateter Eltern hat einen eigenen und eigenständigen Anspruch darauf, deren Familiennamen tragen zu dürfen und sich durch den Namen mit der Familie verbunden zu wissen (zum Kindesnamen allgemein siehe HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 4. Aufl. Bern 1994, Rz. 16.01 ff.). Insbesondere ginge es da, wo die Eltern mehr als ein gemeinsames Kind haben oder erhalten können, nicht an, ihnen jedesmal die freie Wahl des Nachnamens zu belassen.
3.
In der Bindung an den Familiennamen bei der Namengebung für das Kind erblicken die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres durch
Art. 8 EMRK
garantierten Anspruches auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Ausserdem stehe mit dem Verbot der Diskriminierung der Geschlechter gemäss
Art. 14 EMRK
in Widerspruch, dass der für den Namen des Kindes massgebende Familienname allein auf den Namen des Ehemannes abgestützt werde. Zwar hätten sie (die Beschwerdeführer) mittels einer Namensänderung vor der Heirat die Freiheit gehabt, den Namen der Ehefrau zum Familiennamen zu machen; doch wäre dies im Sinne einer unzulässigen Diskriminierung zu Lasten des Ehemannes ausgefallen.
BGE 122 III 414 S. 416
a) Das Bundesgericht hat es in der jüngeren Rechtsprechung abgelehnt, Bestimmungen des Zivilgesetzbuches auf ihre EMRK-Konformität zu überprüfen (
BGE 120 II 384
E. 5a S. 387; nicht veröffentlichter Entscheid vom 6. September 1995 i.S. W., E. 2a). In einem Fall, wo es um die Auslieferung eines in der Schweiz wohnhaften italienischen Staatsangehörigen nach Deutschland ging, hat es hingegen abgeklärt, ob
Art. 37 IRSG
(SR 351.1) mit den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1; für die Schweiz in Kraft getreten am 20. März 1967; für Deutschland am 1. Januar 1977) bzw. mit den Normen des Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens und die Erleichterung seiner Anwendung, vom 13. November 1969 (SR 0.353.913.61; in Kraft getreten am 1. Januar 1977), vereinbar sei. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem ausgeführt, die Tatsache, dass
Art. 37 IRSG
im Jahre 1983 und damit nach den beiden Abkommen in Kraft getreten sei, bedeute nicht, dass die Bestimmung des internen Rechts denjenigen der Abkommen entgegengehalten werden könne. Der Vorrang des Völkerrechts vor dem innerstaatlichen Recht ergebe sich aus der Natur der völkerrechtlichen Vorschrift; diese stehe hierarchisch über allen Normen des innerstaatlichen Rechts, weshalb der Grundsatz der lex posterior nicht zur Anwendung gelangen könne. Aufgrund der Prüfung hat das Bundesgericht
Art. 37 IRSG
denn auch die Anwendung versagt (zur teilweisen Publikation bestimmter Entscheid des Bundesgerichts vom 1. November 1996, i.S. S., E. 3, insbes. 3a).
Der vorliegend zu beurteilende Fall weist mit dem in der zitierten Rechtsprechung aufgezeigten insofern eine Parallele auf, als
Art. 270 Abs. 1 ZGB
nach der Europäischen Menschenrechtskonvention in Kraft getreten ist (EMRK; SR 0.101; für die Schweiz in Kraft getreten am 28. November 1974;
Art. 270 ZGB
: am 1. Januar 1988). Ob indessen die Rechtsprechung in ihrer ganzen Tragweite auf den Bereich des Zivilrechts zu übertragen ist und welche Konsequenzen sich insgesamt daraus ergeben, braucht hier nicht entschieden zu werden, zumal die Beschwerde, was die gerügte Verletzung der
Art. 8 und 14 EMRK
betrifft, ohnehin abzuweisen ist.
b/aa) Der angestammte Name ist Ausdruck der Identität und Individualität (WILDHABER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln, 2. Lieferung 1992, N. 178 zu
Art. 8 EMRK
; HEGNAUER, a.a.O., Rz. 16.02). Nach der neueren
BGE 122 III 414 S. 417
Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gehört der Anspruch auf Achtung des Namens grundsätzlich zur Achtung des Privatlebens gemäss
Art. 8 EMRK
(Entscheid vom 22. Februar 1994 i.S. Burghartz Schnyder c. CH, in: PCourEDH Série A Volume 280 B = VPB 1994 Nr. 121). Die Regelung von
Art. 270 Abs. 1 ZGB
, wonach bei Verheiratung der Eltern das Kind deren Familienname erhält, bezweckt die Erkennbarkeit der Familieneinheit nach aussen (HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 10 f. zu
Art. 270 ZGB
; derselbe, Grundriss des Kindesrechts, Rz. 16.02). Dabei handelt es sich um ein legitimes Ziel (WILDHABER, a.a.O., N. 177), welches auch durch den Entscheid des EGMR in Sachen Burghartz nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern lediglich insoweit relativiert worden ist, als die von den damaligen Beschwerdeführern beanspruchte und mittlerweile in
Art. 177a Abs. 1 ZStV
(SR 211.112.1) verwirklichte Lösung die Familieneinheit nach aussen nicht minder widerspiegle als die in
Art. 160 Abs. 2 ZGB
enthaltene Regelung (VPB 1994 Nr. 121, Ziff. 28). Die Erkennbarkeit der Familieneinheit nach aussen rechtfertigt grundsätzlich Eingriffe in die Ausübung des Rechts (
Art 8 Ziff. 2 EMRK
). Der Name, den eine Person in der Öffentlichkeit führt, ist zwar eng mit ihrem Privat- und Familienleben verbunden; die Regelung der Namensführung erschöpft sich jedoch nicht allein in der Ordnung privater Lebensverhältnisse, sondern entfaltet darüber hinaus eine dem öffentlichen Interesse dienende Ordnungsfunktion (vgl. HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 13 zu
Art. 270 ZGB
). Das Namensrecht steht daher einer Ordnung durch den Gesetzgeber offen und kann von diesem nach durchaus unterschiedlichen Grundsätzen gestaltet werden (vgl. Entscheid des österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1993, in: EuGRZ 1994, S. 498).
b/bb) Der Zwang, den angestammten Namen abzulegen, muss sich demnach auf
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
stützen können (WILDHABER, a.a.O., N. 178 zu
Art. 8 EMRK
). Nun ist aber nicht zu sehen, inwiefern Identität oder Individualität des Kindes ein freies Wahlrecht der Eltern in der Namengebung erheischen, geht es doch nicht darum, dass das Kind seinen angestammten Namen aufgeben müsste; vielmehr wird es sich, unter welchem Namen es auch immer aufwächst, unter diesem individualisieren. Zur Achtung des Privatlebens gemäss
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
gehört daher nicht auch die Wahlfreiheit der Eltern hinsichtlich des Nachnamens ihrer Kinder. Eine Divergenz zwischen
Art. 270 Abs. 1 ZGB
und
Art. 8 EMRK
ist folglich nicht auszumachen.
BGE 122 III 414 S. 418
c/aa) Ungeachtet der, wenn auch nicht voraussetzungslosen (
Art. 30 Abs. 2 ZGB
) Wahlfreiheit der Ehegatten in bezug auf ihren Familiennamen ist dem Grundsatz des gemeinsamen Familiennamens die Ungleichbehandlung der angestammten Namen inhärent. Sie wird zwar dadurch wesentlich gemildert, dass nunmehr ungeachtet der Frage, wessen Namen zum Familiennamen wird, der jeweils andere Ehegatte erklären kann, seinen bisherigen Namen dem Familiennamen voranzustellen (
Art. 160 Abs. 2 ZGB
und
Art. 177a Abs. 1 ZStV
). Dadurch wird die Ungleichbehandlung indessen nicht vollends beseitigt; dies zeigt sich namentlich darin, dass es, wenn sich die Ehegatten für den Namen des einen als Familiennamen entschlossen haben, dem andern verwehrt bleibt, seinen Nachnamen dem Kind weiterzugeben. Eine diesbezügliche volle Gleichstellung nach der Vorstellung der Beschwerdeführer setzte demnach im Ergebnis die Aufgabe des Grundsatzes voraus, dass sich die Familieneinheit im gemeinsamen Familiennamen widerspiegeln soll. Konsequenterweise erblicken die Beschwerdeführer denn auch eine Lösung nur im Recht auf freie Wahl des Namens, d.h. im Recht, dem Kind den Familiennamen, M., oder aber den früheren Namen der Ehefrau, B., geben zu können.
c/bb) Fraglich bleibt indessen, ob eine so verstandene Gleichstellung nicht schon deshalb an Grenzen stösst, weil es wie bei der Namengebung der Kinder in der Natur der Sache liegt, dass sich die Ehegatten auf einen Namen einigen müssen und es insoweit eine Wahlfreiheit nach den Vorstellungen der Beschwerdeführer auch dann nicht gäbe, wenn der Gesetzgeber vom Grundsatz des gemeinsamen Familiennamens der Ehegatten abweichen würde. Die Beschwerdeführer selber verkennen nicht, dass gerade die Aufgabe des gemeinsamen Familiennamens bei der Namengebung der Kinder zu praktischen Schwierigkeiten führen kann, sollten sich die Eltern auf den Namen des Kindes nicht einigen können, wenn das bei ihnen auch nicht der Fall zu sein scheint.
c/cc) Das in
Art. 14 EMRK
verankerte Diskriminierungsverbot erheischt denn auch keine absolute Gleichstellung. Eine Massnahme oder Regelung ist u.a. dann diskriminierender Natur, wenn zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel kein angemessenes Verhältnis besteht (FROWEIN/PEUKERt, EMRK-Kommentar, Kehl 1985, N. 17 zu
Art. 14 EMRK
; vgl. auch VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, Rz. 637 ff.). Nicht jede noch so geringfügige Ungleichheit verstösst demnach von vornherein gegen
Art. 14 EMRK
. Geahndet wird mit anderen
BGE 122 III 414 S. 419
Worten nur eine unterschiedliche Behandlung, die einer sachlichen oder vernünftigen Rechtfertigung entbehrt (vgl. VILLIGER, a.a.O., Rz. 637). Im Lichte dieser Ausführungen gilt es vorliegend insbesondere hervorzuheben, dass die vom Gesetzgeber gewollte Erkennbarkeit der Familieneinheit nach aussen durch den Namen als legitimes Ziel gilt und dass eine völlige Gleichstellung der Ehegatten in der Wahl des Nachnamens für das Kind zwangsläufig zur Aufgabe dieses Ziels führen müsste; nicht ausser acht gelassen werden dürfen sodann auch die praktischen Schwierigkeiten, die entstehen, wenn die Eltern sich auf den Namen ihres Kindes nicht einigen können. Angesichts dieser Umstände lässt sich darin, dass die Ehegatten in der Wahl des Nachnamens für ihre Kinder weitgehend, wenn auch nicht vollständig gleichgestellt sind, keine Diskriminierung im Sinne von
Art. 14 EMRK
erblicken. Eine Divergenz zwischen dieser Bestimmung und
Art. 270 Abs. 1 ZGB
ist demnach zu verneinen. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3c4de1b0-fc0c-41d5-b9f2-19a55c08ee66 | Urteilskopf
81 II 391
60. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1955 i. S. Guaranty AG gegen "Astra", Gesellschaft für internationalen Handel und Vertretungen. | Regeste
Internationales Privatrecht.
Rück- und Weiterverweisungen der Rechtsordnung, auf die die Parteien sich geeinigt haben oder mit der ihr Rechtsverhältnis räumlich am engsten zusammenhängt, sind nicht zu beachten. | Sachverhalt
ab Seite 391
BGE 81 II 391 S. 391
A.-
Die "Astra", Gesellschaft für internationalen Handel und Vertretungen, Zagreb, kam im Juni 1953 mit der Guaranty AG, Zürich, überein, an einen von dieser zu bezeichnenden Dritten aus dem italienisch-jugoslawischen Verrechnungsverkehr Lit. 60'000,000 zu bezahlen.
Die Guaranty AG versprach der Astra als Gegenleistung, in Zürich freie Dollars 88'888 zu entrichten und eine entsprechende Bankgarantie sowie eine sogenannte formelle Warenlieferungsgarantie zu beschaffen. Die Guaranty AG
BGE 81 II 391 S. 392
liess beide Garantien durch eine Bank leisten, erhielt jedoch von der Astra die Mitteilung, die jugoslawische Nationalbank verweigere die Annahme der Warenlieferungsgarantie. Nach Ansetzung einer Frist zur Auszahlung der Lire erklärte die Guaranty AG am 10. August 1953, auf diese Leistung zu verzichten und Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Sie klagte solchen in der Folge in der Höhe von Fr. 31'343.08 nebst Zins in Zürich als dem Gerichtsstand des Arrestes ein.
B.-
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies am 20. Juni 1955 die Klage ab. Es wandte mit folgender Begründung schweizerisches Recht an: Das Rechtsverhältnis sei ein Kaufvertrag, und typische Leistung bilde die von der Beklagten versprochene Auszahlung von Lit. 60'000,000. Da diese in italienischer Währung und gemäss Weisung der Klägerin in Mailand zu erfolgen gehabt habe, bestehe die verhältnismässig engste räumliche Beziehung des Rechtsverhältnisses zu Italien und es wäre somit italienisches Recht anzuwenden. Dieses verweise aber durch Art. 25 der einleitenden Bestimmungen des italienischen Zivilgesetzbuches auf den Abschlussort (hier Zürich).
C.-
Die Guaranty AG legte Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich und Berufung an das Bundesgericht ein.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde am 6. September 1955 abgewiesen, soweit das Kassationsgericht auf sie eintrat.
Mit der Berufung wird beantragt, die Klage sei gutzuheissen, eventuell seien die Akten zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurückzuweisen.
D.-
Die Astra beantragt, die Berufung sei abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Da nach
Art. 43 Abs. 1 OG
das Bundesgericht über die materiellen Rechtsfolgen des streitigen Verhältnisses nur zu urteilen hat, wenn dieses dem schweizerischen Recht
BGE 81 II 391 S. 393
untersteht, ist von Amtes wegen zu prüfen, welches Recht anwendbar ist (
BGE 78 II 77
).
2.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unterstellt das internationale Schuldrecht der Schweiz den Vertrag hinsichtlich seiner Wirkungen dem Rechte, das die Parteien anlässlich des Abschlusses ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben, und mangels einer Vereinbarung dem Rechte jenes Staates, mit dem der Vertrag räumlich am engsten zusammenhängt (
BGE 78 II 77
f.).
Die Guaranty AG und die Astra haben sich weder ausdrücklich noch stillschweigend auf ein bestimmtes Recht geeinigt. Unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Beziehungen des Rechtsverhältnisses aber ist italienisches Recht anzuwenden. Für dieses sprechen die Leistung, welche die Beklagte der Klägerin versprochen hat, und der Ort, an dem sie zu erbringen war: Die Klägerin hatte Anspruch darauf, dass italienische Währung aus einem im jugoslawisch-italienischen Verrechnungsverkehr entstandenen Guthaben an einen von ihr in Italien bezeichneten Dritten gelange. Insofern hält die Auffassung der Vorinstanz vor dem eidgenössischen Rechte stand.
3.
Nicht beizupflichten ist dem Handelsgerichte dagegen darin, dass schweizerisches Recht angewendet werden müsse, weil Art. 25 der einleitenden Bestimmungen des italienischen Zivilgesetzbuches das am Orte des Vertragsschlusses geltende Recht angewendet wissen wolle, wenn die Parteien nicht einem gemeinsamen Heimatrecht unterstehen.
Dass diese Verweisung nicht zu beachten wäre, wenn die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend die Anwendung des italienischen Rechts vereinbart hätten, ist klar. Mit einer dahin gehenden Vereinbarung hätten sie nicht den Willen bekundet, dass die italienische Kollisionsnorm, sondern dass das italienische materielle Recht angewendet werde. Denn wer schon daran denkt, die Frage des anwendbaren Rechts im Vertrage zu ordnen, bleibt nicht auf halbem Wege stehen, indem er lediglich auf eine Kollisionsnorm
BGE 81 II 391 S. 394
hinweist. Will er überhaupt den Umweg über eine solche einschlagen, so hat er allen Anlass, ihren Inhalt wiederzugeben und mit ihrer Hilfe gerade auch die Sachnorm zu ermitteln, die den Vertrag beherrschen soll.
Es kann aber auch nicht Sinn des schweizerischen internationalen Schuldrechts sein, an den engsten räumlichen Zusammenhang des Rechtsverhältnisses mit einem bestimmten Staate lediglich die Folge zu knüpfen, dass die Kollisionsnorm dieses Staates anzuwenden wäre. Auf den engsten räumlichen Zusammenhang wird nicht abgestellt, damit die Frage des anwendbaren materiellen Rechts überhaupt irgendwie entschieden werden könne, sondern weil der schweizerische Richter dafür hält, mangels abweichender Parteivereinbarung sei die materielle Rechtsordnung des Staates, mit dessen Gebiet das Rechtsverhältnis am engsten verbunden ist, die objektiv richtige, sich aufdrängende. Früher wurde denn auch die Anwendung des Rechts des engsten räumlichen Zusammenhangs damit begründet, die Parteien hätten sich vernünftigerweise für dieses Recht entschieden, wenn sie beim Vertragsschluss an die Regelung der Frage gedacht hätten (
BGE 60 II 300
f.;
BGE 63 II 43
f., 307;
BGE 64 II 92
;
BGE 65 II 80
f., 169;
BGE 68 II 207
;
BGE 75 II 62
;
BGE 76 II 48
). Dass diese Begründung die Beachtung von Rück- oder Weiterverweisungen ausschloss, liegt auf der Hand; denn sowenig wie von einem beim Vertragsschluss geäusserten, kann von einem bloss hypothetischen Parteiwillen gesagt werden, er sei vernünftigerweise nur auf Bestimmung einer Kollisionsnorm, nicht der Sachnorm selbst gerichtet. Dass seitBGE 78 II 74ff. die Rechtsprechung das anwendbare Recht nicht mehr auf dem Umweg über einen hypothetischen Parteiwillen, sondern unmittelbar anhand der engsten räumlichen Beziehungen bestimmt, führt zu keiner anderen Lösung; denn damit ist lediglich die Begründung, nicht das Ergebnis berichtigt worden. Was vom Standpunkt der Parteien aus unzweckmässig wäre, nämlich im engsten räumlichen Zusammenhang lediglich einen Anknüpfungsbegriff zur Ermittlung einer anwendbaren
BGE 81 II 391 S. 395
Kollisionsnorm, nicht der Sachnorm selbst zu sehen, kann auch nicht Inhalt des objektiven internationalen Schuldrechts der Schweiz sein. Wenn davon ausgegangen wird, der schweizerische Richter habe das Recht jenes Staates anzuwenden, mit dem das Rechtsverhältnis am engsten verbunden ist, so geschieht das, weil nach schweizerischer Auffassung materiell diese Rechtsordnung die geeignetste ist. Sie dann doch nicht anzuwenden, weil im betreffenden Staate eine Kollisionsnorm gilt, die auf schweizerisches Recht zurück- oder auf das Recht eines dritten Staates weiterverweist, hiesse die sachlich richtige Lösung zugunsten einer nach schweizerischer Auffassung unzweckmässigen aufgeben.
4.
Der vorliegende Fall ist somit nach italienischem Recht zu beurteilen. Da das Handelsgericht schweizerisches Recht angewendet hat, muss das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung zurückgewiesen werden (
Art. 60 Abs. 1 lit. c OG
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Juni 1955 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung unter Anwendung italienischen Rechts an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c5d0427-8559-4b31-a3ac-49f31301c2f8 | Urteilskopf
94 II 145
26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Februar 1968 i.S. Schoch gegen Stiftung Schüler Ferienversorgung Herzogenbuchsee. | Regeste
Grunddienstbarkeit (Fahrwegrecht); Vereinigung des berechtigten Grundstücks mit einem andern.
Die Dienstbarkeit darf nur dann für die Bedürfnisse eines mit dem berechtigten Grundstück vereinigten andern Grundstücks ausgeübt werden, wenn dadurch für den Belasteten keine erhebliche Mehrbelastung entsteht (
Art. 739 ZGB
) und die Ausübung der Dienstbarkeit zur Befriedigung der veränderten Bedürfnisse im Rahmen des Zweckes bleibt, für den die Dienstbarkeit errichtet wurde. | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 94 II 145 S. 146
Aus dem Tatbestand:
A.-
Die Stiftung Schüler-Ferienversorgung Herzogenbuchsee (Stiftung) besitzt in Grindelwald das nördlich durch den Terrassenweg begrenzte, nach Süden abfallende Grundstück Nr. 3091. Östlich davon befand sich früher das ebenfalls am Terrassenweg liegende, nur halb so weit wie Nr. 3091 nach Süden reichende Grundstück Nr. 2952, weiter östlich das in seinem nördlichen Teil an Nr. 2952 und den Terrassenweg grenzende, in seinem südlichen Teil die Ostgrenze von Nr. 3091 berührende, Schoch gehörende Grundstück Nr. 3094 mit einem Ferienhaus. Den südlichen Teil des Grundstücks Nr. 3091 überquert ein westlich dieses Grundstücks vom Terrassenweg abzweigender, bis zur Grenze zwischen diesem Grundstück und der Parzelle Schoch führender Fahrweg. Schoch benützte diesen Weg als Zufahrt zu seinem Ferienhaus, was die Stiftung lange Zeit duldete. Er glaubte, er sei zu dieser Wegbenützung berechtigt. Er hatte nämlich zu seinem Grundstück Nr. 3094 hinzu den (unter Nr. 2952 verbliebenen) östlichen Teil des Grundstücks Nr. 2952 erworben, zu dessen Gunsten ein Fahrwegrecht zulasten von Nr. 3091 eingetragen war. Nach dem Errichtungsakt vom Jahre 1921 bezog sich dieses Recht jedoch auf einen andern Weg, der zwischen dem bestehenden Weg und dem Terrassenweg hätte verlaufen sollen, aber nie erstellt wurde.
B.-
Am 16. August 1960 ersuchte Schoch das Grundbuchamt Interlaken, seine Grundstücke Nr. 3094 und 2952 "unter Ausdehnung der Dienstbarkeiten" zu vereinigen und dem neuen Grundstück die Nummer 2952 zu geben. Das Amt entsprach diesem Gesuch, ohne die Stiftung zu begrüssen, da Schoch erklärt hatte, durch die Vereinigung entstehe für die Dienstbarkeitsbelasteten keine Mehrbelastung.
Ebenfalls am 16. August 1960 verkaufte Schoch den nördlichen Teil des vergrösserten Grundstücks Nr. 2952 an Chavannes. Das zugunsten von Nr. 2952 und zulasten von Nr. 3091 eingetragene Wegrecht wurde mit Bezug auf die an Chavannes verkaufte
BGE 94 II 145 S. 147
Parzelle als sie nicht betreffend gelöscht. Am 11. Februar 1961 verkaufte Schoch die südliche Hälfte des ihm verbliebenen Landes an Losinger, der das Wegrecht über Nr. 3091 für sein Grundstück nicht beanspruchte. Schoch behielt nach diesen Verkäufen als Grundstück Nr. 2952 eine Parzelle von 1992 m2 mit seinem Ferienhaus.
C.-
Am 3. September 1966 reichte die Stiftung gegen Schoch Klage ein mit den Begehren, es sei festzustellen, dass zugunsten des Grundstücks Nr. 2952 und zulasten des Grundstücks Nr. 3091 kein Fahrwegrecht bestehe; die bezüglichen Grundbucheinträge seien zu löschen; dem Beklagten sei zu untersagen, über das Grundstück Nr. 3091 zu fahren. Sie machte geltend, der Beklagte habe am 16. August 1960 u.a. das ganze Grundstück Nr. 2952 im vor der Vereinigung mit Nr. 3094 gegebenen Umfange, zu dessen Gunsten das Wegrecht bestand, unter Löschung des Wegrechts an Chavannes verkauft; das Wegrecht sei bloss noch zugunsten eines Teils des früheren Grundstückes Nr. 3094 (neue Parzelle Nr. 2952) eingetragen, zu dessen Gunsten es nie bestanden habe.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Er anerkannte, dass zugunsten seiner Parzelle Nr. 3094 nie ein Fahrwegrecht zulasten von Nr. 3091 bestanden habe, behauptete aber, er habe einen Teil des früheren Grundstückes Nr. 2952 behalten und dürfe das mit diesem Grundstück verbundene Wegrecht nach wie vor in bisheriger Weise ausüben; die Vereinigung der früheren Parzellen Nr. 2952 und 3094 habe nicht zu einer Mehrbelastung der Klägerin geführt.
Das Beweisverfahren ergab, dass der Beklagte vom Grundstück Nr. 2952, wie es vor dem 16. August 1960 bestanden hatte, in dessen südlicher Randzone noch eine schmale dreieckige Fläche von höchstens 18 m2 besitzt, die an einem bewaldeten Steilhang liegt.
Der Appellationshof des Kantons Bern stellte in seinem Urteil vom 6. Juli 1967 fest, das zugunsten von Nr. 2952 und zulasten von Nr. 3091 eingetragene Fahrwegrecht dürfe nur insoweit ausgeübt werden, als es sich um den Zugang zur erwähnten dreieckigen Fläche von höchstens 18 m2 handle, ordnete die Eintragung dieser Beschränkung im Grundbuch an, verbot dem Beklagten, das Wegrecht zu einem andern als zum genannten Zweck auszuüben, und wies die weitergehenden Begehren der Klägerin ab.
BGE 94 II 145 S. 148
Das Bundesgericht weist die Berufung Schochs gegen dieses Urteil ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
Nach der Auffassung der Kommentatoren beurteilt sich die Frage, ob eine Dienstbarkeit auch zugunsten eines zum berechtigten Grundstück hinzuerworbenen Grundstücks ausgeübt werden dürfe, nach
Art. 739 ZGB
, der bestimmt: "Ändern sich die Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks, so darf dem Verpflichteten eine Mehrbelastung nicht zugemutet werden" (WIELAND, N. 2, LEEMANN, N. 6, LIVER, N.21-23 zu
Art. 739 ZGB
). Die Auffassung, dass dem Eigentümer des belasteten Grundstücks im Falle der Vereinigung des berechtigten und eines nicht berechtigten Grundstücks keine Mehrbelastung zugemutet werden darf, liegt auch dem
Art. 91 Abs. 3 GBV
zugrunde, wonach die Vereinigung, falls Grunddienstbarkeiten zugunsten der Grundstücke eingetragen sind, ohne Einwilligung der Eigentümer der belasteten Grundstücke nur stattfinden kann, "wenn durch die Vereinigung keine Vergrösserung der Belastungen eintritt". Als Mehrbelastung im Sinne von
Art. 739 ZGB
lassen die Kommentatoren auch in diesem Zusammenhang nur eine erhebliche Mehrbelastung gelten (WIELAND, N. 2, LEEMANN, N. 6, LIVER, N. 21 und 22 zu
Art. 739 ZGB
; zum Erfordernis der Erheblichkeit im allgemeinen LEEMANN, N. 4, LIVER, N. 31 ff. zu Art. 739).
Es ist sehr wohl denkbar, dass die Vereinigung eines dienstbarkeitsberechtigten Grundstücks mit einem anderen Grundstück nicht zu einer unzulässigen Mehrbelastung des Verpflichteten führt. So hätte es sich wohl verhalten, wenn das streitige Wegrecht zugunsten des Grundstücks Nr. 3094 begründet worden wäre und nun auch für den damit zusammengelegten Teil des Grundstücks Nr. 2952 beansprucht würde.
Das Fahrwegrecht wurde jedoch zugunsten des früheren Grundstücks Nr. 2952 begründet und war für dessen Bedürfnisse bestimmt. Die Ausdehnung dieses Rechts auf den im Besitz des Beklagten gebliebenen Teil des frühern Grundstücks Nr. 3094 führt unbestreitbar zu einer erheblichen Mehrbelastung der Klägerin, und zwar gilt das auch dann, wenn man den Umfang des Grundstücks Nr. 2952 zur Zeit der Einräumung des Wegrechts und die im Falle einer Überbauung dieses Grundstücks durch einen Ortseinwohner zu erwartende Beanspruchung des
BGE 94 II 145 S. 149
Weges in Betracht zieht. Der Fahrweg, auf den die Parteien das streitige Wegrecht heute beziehen, führt nämlich überhaupt nicht zum frühern Grundstück Nr. 2952, sondern erreicht nach den Plänen ziemlich weit (ca. 25 m) unterhalb der Südgrenze dieses Grundstücks das frühere Grundstück Nr. 3094. Von dort führte und führt kein Fahrweg zum frühern Grundstück Nr.2952 Der Dienstbarkeitsvertrag von 1921 sah zugunsten von Nr. 2952 das Recht zur Benützung eines in jener Gegend verlaufenden Fusswegs vor, der später einging. Auch im Falle einer Überbauung des früheren Grundstücks Nr. 2952 war daher nicht mit einer erheblichen Benützung des bestehenden Fahrwegs über Nr. 3091 zu rechnen. (Dagegen wäre der im Vertrag von 1921 erwähnte, zwischen dem bestehenden Fahrweg und dem Terrassenweg anzulegende neue Weg, dessen Benützung das streitige Fahrwegrecht dem Eigentümer von Nr. 2952 eigentlich erlauben sollte, möglicherweise recht intensiv benützt worden, doch wurde dieser neue Weg eben nicht gebaut und hat der Beklagte das Fahrwegrecht von Anfang an nicht dafür, sondern für den bestehenden Weg beansprucht.) Für den im Besitz des Beklagten gebliebenen Teil des früheren Grundstücks Nr. 3094 bedeutet der bestehende Fahrweg über Nr. 3091 demgegenüber die einzige befahrbare Verbindung mit dem öffentlichen Wegnetz. Obwohl auf dem genannten Teil des frühern Grundstücks Nr. 3094 nur ein nicht ganzjährig benütztes (aber immerhin nicht bloss vom Beklagten, sondern zeitweise auch von Gästen oder Mietern bewohntes) Ferienhaus steht, führt die Ausübung des streitigen Fahrwegrechts für Fahrten zu diesem Grundstücksteil und von ihm hinweg also unzweifelhaft zu einer weit stärkeren Belastung des Grundstücks der Klägerin (Nr. 3091), als sie bei Beanspruchung des Fahrwegs für die Bedürfnisse des frühern Grundstücks Nr. 2952 sogar im Falle der Überbauung dieses Grundstücks durch einen ständig dort wohnenden Eigentümer zu erwarten war. Schon aus diesem Grunde darf die zugunsten des frühern Grundstücks Nr. 2952 begründete Wegberechtigung nicht auf die Ferienhausparzelle des Beklagten ausgedehnt werden.
7.
Der aus
Art. 739 ZGB
folgende Grundsatz, dass eine unerhebliche Mehrbelastung infolge veränderter Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks zu dulden ist, gilt im übrigen nur unter der Voraussetzung, dass die Ausübung der Dienstbarkeit zur Befriedigung der veränderten Bedürfnisse im Rahmen des
BGE 94 II 145 S. 150
Zwecks bleibt, für den die Dienstbarkeit errichtet wurde. Die Ausübung zu einem andern, vom ursprünglichen unabhängigen Zweck bedeutet eine Überschreitung des Dienstbarkeitsrechts, die der Belastete nicht zu dulden hat, auch wenn daraus keine Mehrbelastung entsteht (LIVER, N. 2-4 zu Art. 739; vgl.
BGE 92 II 94
Erw. 4 mit Hinweisen).
Das streitige Wegrecht wurde offensichtlich nur zu dem Zwecke begründet, um dem frühern Grundstück Nr. 2952 eine die direkte Zufahrt vom Terrassenweg aus ergänzende Zufahrt zu verschaffen. Die Ausdehnung der Berechtigung auf das damit vereinigte frühere Grundstück Nr. 3094 liefe auf eine Änderung des ursprünglichen Zwecks der Dienstbarkeit hinaus. Auch deshalb darf sich die Klägerin dieser Ausdehnung widersetzen.
Die Vorinstanz hat darum mit Recht die Ausübung des zugunsten des heutigen Grundstücks Nr. 2952 eingetragenen Wegrechts auf den Verkehr zu dem im Besitz des Beklagten gebliebenen Rest des frühern Grundstücks Nr. 2952 beschränkt und dem Beklagten verboten, es zu andern Zwecken auszuüben. Obwohl als berechtigtes Grundstück nur ein Grundstück als Ganzes in Frage kommt, kann die Ausübung einer Dienstbarkeit auf die Befriedigung der Bedürfnisse eines Teils des berechtigten Grundstücks beschränkt werden (LIVER, N. 30 in Verbindung mit N. 24 zu Art. 730 ZBG).
An diesem Ergebnis ändert nichts, dass der Beklagte heute von dem ursprünglich etwa 1500 m2 und später noch 495 m2 messenden frühern Grundstück Nr. 2952 nur noch etwa 18 m2 besitzt und dass die Wegberechtigung nicht auf den an Chavannes verkauften Teil dieses Grundstücks übertragen wurde, so dass die Belastung des Grundstücks Nr. 3091 durch die Benützung des streitigen Wegs als Zufahrt zum Gebiet der frühern Parzelle Nr. 2952 abgenommen hat (soweit sie überhaupt je aktuell war). Eine Abnahme der mit der Ausübung der Dienstbarkeit zum ursprünglichen Zweck verbundenen Belastung ist kein Grund dafür, die Ausübung zu einem andern, durch den Inhalt der Dienstbarkeit nicht gedeckten Zwecke zu gestatten.
Inwiefern der angefochtene Entscheid die Vorschrift des
Art. 743 ZGB
über die Teilung des berechtigten Grundstücks verletzen könnte, ist nicht zu sehen. Wenn der Erwerber des vom Beklagten im Jahre 1960 verkauften Teils der damaligen
BGE 94 II 145 S. 151
Parzelle Nr. 2952 auf die zu deren Gunsten eingetragene, ihm praktisch nichts nützende Wegberechtigung für seinen Teil verzichtete, so war das seine Sache. Der Beklagte kann daraus nichts zu seinem Vorteil ableiten. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c63ba68-a7e6-4350-8638-b4d4b3185f90 | Urteilskopf
106 IV 158
48. Urteil des Kassationshofes vom 9. Mai 1980 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 264 BStP
. Verfahren in Bundesstrafsachen, die nach Bundesgesetz von kantonalen Behörden zu beurteilen sind.
Die Bezeichnung des Kantons, der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt und verpflichtet ist, ist Sache der Anklagekammer des Bundesgerichts, nicht des Kassationshofes. | Sachverhalt
ab Seite 158
BGE 106 IV 158 S. 158
A.-
S. hat als Leiter der Filiale St. Gallen der T. AG einen vom Arbeiter C. quittierten Vorschuss von Fr. 50.-- auf dem für die Firma bestimmten Exemplar des Arbeitsrapportes vom 14. August 1976 in Fr. 1'150.-- abgeändert und unter Vorlage dieses Rapportes die Differenz von Fr. 1'100.-- bei der Abrechnung für sich behalten. Durch Übergabe des abgeänderten Rapportes hat er die Sekretärin der Filiale veranlasst, den falschen Betrag in das Kassabuch der Firma einzutragen.
B.-
Deswegen erklärte das Bezirksgericht St. Gallen S. der Veruntreuung und der Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu sechs Wochen Gefängnis mit bedingtem Strafaufschub.
Die dagegen erhobene Berufung hat das Kantonsgericht St. Gallen am 18. September 1979 abgewiesen.
BGE 106 IV 158 S. 159
Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde hat das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am 1. Februar 1980 verworfen.
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S., das Urteil des Kantonsgerichts sei "aufzuheben und der Fall zuständigkeitshalber den Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Land zur Beurteilung zuzuweisen".
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Seine Beschwerdebegründung fasst der Beschwerdeführer wie folgt zusammen:
"Aus all diesen Gründen ergibt sich, dass die Auffassung der Vorinstanz,
wonach der Beschwerdeführer eine mittelbare Falschbeurkundung im Kantons
St. Gallen begangen habe, unrichtig ist. Vielmehr bleibt der an sich
bestrittene Vorwurf der Strafverfolgungsbehörden, der Beschwerdeführer habe
eine Urkundenfälschung bei der Erstellung des angeblich unrichtigen Beleges
begangen. Diese Urkundenfälschung kann der Beschwerdeführer jedoch
unbestrittenermassen nur an seinem damaligen Wohnsitz, im Kanton
Basel-Land, begangen haben.
Der angefochtene Entscheid ist daher wegen Verletzung von
Art. 346 Abs. 1
StGB in Gutheissung der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben, und
die Sache den Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Land
zuständigkeitshalber zuzuweisen."
Es ist also zu prüfen, ob das Urteil des Kantonsgerichtes wegen Unzuständigkeit aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen ist, die Sache den Behörden von Basel-Landschaft zur Verfolgung und Beurteilung zu überweisen.
b) Wird die Gerichtsbarkeit eines Kantons vom Beschuldigten bestritten, so bezeichnet die Anklagekammer des Bundesgerichts den Kanton, der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt und verpflichtet ist (
Art. 264 BStP
). Dieser speziellere Rechtsbehelf schliesst die Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht aus (
BGE 76 IV 114
mit Hinweisen). Auf die Nichtigkeitsbeschwerde kann daher nicht eingetreten werden.
Es erübrigt sich auch, die Beschwerde als Gesuch im Sinne von
Art. 264 BStP
an die Anklagekammer zu überweisen. Zwar ist dieses Gesuch an keine gesetzliche Frist gebunden. Doch widerspricht es der Prozessökonomie, die Unzuständigkeitseinrede noch zuzulassen, nachdem ein Sachurteil ergangen ist, es sei denn, die schweizerische Gerichtsbarkeit als solche stehe in Frage (
BGE 82 IV 67
E. 1). Wird daher das Gesuch nach
Art. 264 BStP
, mit dem der Beschuldigte die Zuständigkeit eines
BGE 106 IV 158 S. 160
Kantons bestreitet, nicht rechtzeitig vor der erstinstanzlichen Beurteilung gestellt, kann die Zuständigkeit des betreffenden Kantons nicht mehr in Frage gestellt werden (
BGE 86 IV 67
mit Hinweisen).
c) Der Beschwerdeführer hat zwar im kantonalen Verfahren die Zuständigkeit der St. Galler Behörden bestritten. Er wurde aber mit seinem Begehren durch den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 18. Februar/25. März 1977 abgewiesen. Er hat es unterlassen, die Zuständigkeit der St. Galler Behörden rechtzeitig vor dem erstinstanzlichen Urteil vom 7. Dezember 1978 gemäss
Art. 264 BStP
bei der Anklagekammer des Bundesgerichts anzufechten. Damit waren die Behörden des Kantons St. Gallen auch zuständig, den Beschwerdeführer wegen Urkundenfälschung zu verurteilen, wo immer er auch die Tat in der Schweiz begangen haben mag.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c6b8a0d-5bcf-4790-ab7f-c0e6f3888cc8 | Urteilskopf
140 V 521
67. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_369/2013 vom 2. September 2014 | Regeste a
Art. 25 Abs. 2 erster Satz und
Art. 31 Abs. 2 ATSG
;
Art. 321a Abs. 1 OR
;
Art. 20 Abs. 1 BPG
;
Art. 65 Abs. 2 AHVG
; Art. 116 Abs. 1 in fine AHVV; Art. 7 Abs. 1 und 5 des Einführungsgesetzes des Kantons Bern vom 23. Juni 1993 zum AHVG (EG AHVG); Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der regierungsrätlichen Verordnung vom 4. November 1998 über die Ausgleichskasse des Kantons Bern und ihre Zweigstellen (AKBV); Art. 55 des Personalgesetzes des Kantons Bern vom 16. September 2004 (PG/BE); unterlassene Meldung der Wiederverheiratung eines Witwerrentenbezügers; Rückerstattung der unrechtmässig bezogenen Rentenleistungen; Auslösung der einjährigen Verwirkungsfrist durch ausserdienstlich erfolgte Kenntnisnahme?
Das bei einer AHV-Gemeindezweigstelle vorhandene, aber nicht an den Hauptsitz weitergeleitete Wissen um eine leistungsrelevante Zivilstandsänderung ist der Ausgleichskasse des Kantons Bern grundsätzlich zuzurechnen (E. 6).
Dies gilt indes nicht, wenn Zweigstellenmitarbeiter nicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern auf privatem Wege von der neuerlichen Verehelichung eines Witwerrentenbezügers erfahren. Weder aus
Art. 31 Abs. 2 ATSG
(E. 7.1) noch aufgrund der aus dem Arbeitsverhältnis fliessenden allgemeinen Treuepflicht (E. 7.2) lässt sich für die Mitarbeiter eines Sozialversicherers die Verpflichtung ableiten, ausserdienstlich erlangtes Wissen in ihre behördliche Tätigkeit einzubringen.
Regeste b
Art. 29 Abs. 3 BV
;
Art. 61 lit. f ATSG
;
Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG
; unentgeltliche Rechtspflege; Aussichtslosigkeit; Beurteilungszeitpunkt.
Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (
BGE 129 I 129
E. 2.3.1 S. 135;
BGE 128 I 225
E. 2.5.3 S. 236), namentlich aufgrund der bis dann vorliegenden Akten (Urteil 1P.338/1999 vom 20. Juli 1999 E. 2b/aa in fine). Indizien, welche erst nach Einreichung des Gesuchs bekannt werden, aber darauf hinweisen, dass das Gesuch seinerzeit begründet (oder unbegründet) war, sind bei dessen Beurteilung mit zu berücksichtigen (Urteil 1P.424/1993 vom 6. September 1993 E. 3a; E. 9.1 und 9.2). | Sachverhalt
ab Seite 523
BGE 140 V 521 S. 523
A.
Nachdem seine erste Ehefrau am 29. April 2000 verstorben war, sprach die Ausgleichskasse des Kantons Bern dem 1964 geborenen A. ab Mai 2000 eine ordentliche Witwerrente der Alters- und
BGE 140 V 521 S. 524
Hinterlassenenversicherung zu (Verfügung vom 14. Juni 2000). Im Zusammenhang mit einer Abgleichung der Zivilstandsdaten aus dem zentralen Rentenregister der AHV/IV mit denjenigen des Informatisierten Standesregisters erfuhr die Ausgleichskasse im September 2011, dass sich der Versicherte bereits am 2. April 2004 wieder verheiratet hatte. Darauf verfügte die Kasse am 27. September 2011 (sinngemäss) die rückwirkende Aufhebung der Witwerrente ab Mai 2004 und forderte gleichzeitig sämtliche unrechtmässig bezogenen Rentenbetreffnisse im Gesamtbetrag von Fr. 103'434.- von A. zurück. Auf dessen Einsprache hin reduzierte die Ausgleichskasse den Rückerstattungsbetrag auf Fr. 70'890.-, was den ab Oktober 2006 zu Unrecht ausgerichteten Witwerrenten entspricht (Einspracheentscheid vom 22. November 2011).
B.
B.a
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 6. März 2012 ab, soweit es darauf eintrat. Auf Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hin hob das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid mit Urteil 9C_276/2012 vom 14. Dezember 2012 auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit diese ergänzende Abklärungen vornehme und anschliessend über die Rückforderung der unrechtmässig bezogenen Witwerrente neu entscheide. A. hatte nämlich (in Verdeutlichung seiner im kantonalen Verfahren vorgetragenen Sachverhaltsdarstellung) letztinstanzlich geltend gemacht, dass er in den Jahren vor seiner zweiten Eheschliessung Kinderbetreuerinnen angestellt gehabt und für diese AHV-Beiträge abgerechnet habe. In der Folge seien ihm von der AHV-Zweigstelle U. noch mehrmals entsprechende Lohnbescheinigungsformulare zugestellt worden, welche er "jeweils mit dem Vermerk 'Aufgrund Wiederverheiratung hinfällig' retourniert habe".
B.b
Zur Prüfung der Frage, ob die Ausgleichskasse des Kantons Bern oder die zuständige Gemeindezweigstelle tatsächlich auf die von A. geltend gemachte Art und Weise über die neuerliche Heirat vom 2. April 2004 in Kenntnis gesetzt worden war, holte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern bei beiden Behörden die leistungs- und die beitragsbezogenen Unterlagen ein. Mit Entscheid vom 10. April 2013 wies es die Beschwerde wiederum ab, soweit es darauf eintrat.
C.
A. führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, eine Rückerstattungspflicht sei gänzlich zu verneinen; eventuell sei die
BGE 140 V 521 S. 525
Sache zu rechtsgenüglicher Beweiserhebung und anschliessendem neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Überdies lässt er um unentgeltliche Rechtspflege für das vor- wie das letztinstanzliche Verfahren ersuchen.
Während Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Abweisung der Beschwerde schliessen, verzichtet das kantonale Gericht auf eine Vernehmlassung.
D.
Das Bundesgericht hat am 2. September 2014 eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten (Art. 25 Abs. 1 erster Satz ATSG [SR 830.1]). Gemäss Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG erlischt der Rückforderungsanspruch mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung. Bei den genannten Fristen handelt es sich um Verwirkungsfristen (
BGE 139 V 1
E. 3.1 S. 3,
BGE 139 V 6
E. 2 S. 7;
BGE 138 V 74
E. 4.1 S. 77 mit Hinweisen).
Unter der Wendung "nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat", ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem die Verwaltung bei Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehen, oder mit andern Worten, in welchem sich der Versicherungsträger hätte Rechenschaft geben müssen über Grundsatz, Ausmass und Adressat des Rückforderungsanspruchs. Ist für die Leistungsfestsetzung (oder die Rückforderung) das Zusammenwirken mehrerer mit der Durchführung der Versicherung betrauter Behörden notwendig, genügt es für den Beginn des Fristenlaufs, dass die nach der Rechtsprechung erforderliche Kenntnis bei einer der zuständigen Verwaltungsstellen vorhanden ist (
BGE 139 V 6
E. 4.1 S. 8;
BGE 124 V 380
E. 1 S. 382;
BGE 122 V 270
E. 5a S. 274;
BGE 119 V 431
E. 4a S. 433; Urteil 9C_454/2012 vom 18. März 2013 E. 4, nicht publ. in:
BGE 139 V 106
, aber in: SVR 2013 IV Nr. 24 S. 66; ULRICH MEYER, Die Rückerstattung von Sozialversicherungsleistungen, in: Ausgewählte Schriften, Thomas Gächter [Hrsg.], 2013, S. 141 ff., 147 f.).
BGE 140 V 521 S. 526
2.2
Die Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung erfolgt unter der Aufsicht des Bundes durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verbandsausgleichskassen, kantonale Ausgleichskassen, Ausgleichskassen des Bundes und eine zentrale Ausgleichsstelle (
Art. 49 AHVG
). Gemäss
Art. 61 Abs. 1 AHVG
werden die kantonalen Ausgleichskassen von den Kantonen als selbständige öffentliche Anstalten errichtet. Diese unterhalten in der Regel für jede Gemeinde eine Zweigstelle; wo die Verhältnisse es rechtfertigen, kann für mehrere Gemeinden eine gemeinsame Zweigstelle errichtet werden (
Art. 65 Abs. 2 AHVG
). Laut
Art. 116 Abs. 1 der bundesrätlichen Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV; SR 831.101)
haben die Gemeindezweigstellen der kantonalen Ausgleichskassen in allen Fällen u.a. folgende Aufgaben zu übernehmen: Auskunftserteilung (lit. a); Entgegennahme und Weiterleitung von Korrespondenzen (lit. b); Abgabe der Formulare und der einschlägigen Vorschriften (lit. c); Mitwirkung bei der Abrechnung (lit. d) sowie Mitwirkung bei der Erfassung aller Beitragspflichtigen (lit. g); den Gemeindezweigstellen können weitere Aufgaben übertragen werden.
Im Kanton Bern errichten die Einwohnergemeinden Zweigstellen der kantonalen Ausgleichskasse; mehrere Einwohnergemeinden können eine Zweigstelle gemeinsam führen (Art. 7 Abs. 1 und 2 des kantonalen Einführungsgesetzes vom 23. Juni 1993 zum AHVG [EG AHVG; BSG 841.11]). Nach Abs. 5 der letztgenannten Gesetzesbestimmung werden die Aufgaben und Befugnisse der Zweigstellen durch Verordnung des Regierungsrates geregelt. Gestützt darauf hat der Regierungsrat des Kantons Bern als weitere Aufgaben im Sinne von Art. 116 Abs. 1 in fine AHVV die Entgegennahme von Anmeldungen und Leistungsgesuchen, die Weiterleitung der überprüften Unterlagen sowie die laufende Meldung aller erheblichen Veränderungen den Gemeindezweigstellen übertragen (Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Verordnung vom 4. November 1998 über die Ausgleichskasse des Kantons Bern und ihre Zweigstellen [AKBV; BSG 841.111]). Überdies wirken die Zweigstellen nach Art. 10 Abs. 2 AKBV u.a. mit bei der Abrechnung von Lohnbeiträgen (lit. a) sowie bei der Überprüfung von Leistungsansprüchen (lit. d) und von Arbeitgebern, die nicht der Arbeitgeberkontrolle unterstehen (lit. e).
3.
Bereits im eingangs erwähnten Rückweisungsurteil 9C_276/2012 vom 14. Dezember 2012 (teilweise publ. in:
BGE 139 V 6
) hat
BGE 140 V 521 S. 527
das Bundesgericht festgestellt (E. 3), dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf die bisher bezogene Witwerrente mit dessen Wiederverheiratung vom 2. April 2004 erloschen ist (
Art. 23 Abs. 4 lit. a AHVG
) und die in der Folge unrechtmässig bezogenen Leistungen - unabhängig von einer Meldepflichtverletzung - grundsätzlich zurückzuerstatten sind (Art. 25 Abs. 1 erster Satz ATSG; vgl.
BGE 122 V 134
). Nach wie vor zu prüfen bleibt, ob der Rückforderungsanspruch der Verwaltung (teilweise) verwirkt ist, weil - wie in der Beschwerde geltend gemacht - die hievor angeführte einjährige relative Verwirkungsfrist gemäss
Art. 25 Abs. 2 ATSG
bereits abgelaufen war, als die Ausgleichskasse ihre Rückerstattungsverfügung vom 27. September 2011 erliess. Nicht mehr im Streite liegt, dass selbst bei Verneinung dieser Frage nur die ab Oktober 2006 geleisteten Rentenbetreffnisse im Gesamtbetrag von Fr. 70'890.- zurückgefordert werden können, wogegen die von Mai 2004 bis September 2006 zu Unrecht bezogenen Witwerrenten zufolge Ablaufs der fünfjährigen absoluten Verwirkungsfrist ohnehin nicht zurückzuerstatten sind.
Ferner hat das Bundesgericht im früheren den Beschwerdeführer betreffenden Urteil erkannt (9C_276/2012 E. 5.1), dass die Festsetzung und die Auszahlung der AHV-Renten (und somit auch die Rückforderung unrechtmässig bezogener Renten) nach
Art. 63 Abs. 1 lit. b und c AHVG
allein den Ausgleichskassen obliegt (vgl. auch die in vorstehender E. 2.2 dargelegte Zuständigkeitsregelung). Offenkundig können deshalb weder die Zivilstandsbehörde oder die Einwohner- und Fremdenkontrolle noch die (mit einem der Söhne des Beschwerdeführers befasste) IV-Stelle des Kantons Bern als (ebenfalls) mit der Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung betraute Behörden im Sinne der angeführten Rechtsprechung (E. 2.1 hievor in fine) gelten. Die Kenntnis einer in diesem Lichte unzuständigen Verwaltungsstelle vermag die einjährige Verwirkungsfrist des
Art. 25 Abs. 2 ATSG
nicht auszulösen.
4.
Wie im Sachverhalt erwähnt, erfolgte die Rückweisung ans kantonale Gericht, weil der Beschwerdeführer geltend gemacht hatte, er habe nach seiner zweiten Eheschliessung ihm zugestellte Lohnbescheinigungsformulare jeweils mit dem Vermerk "Aufgrund Wiederverheiratung hinfällig" zurückgesandt und den AHV-Behörden die Zivilstandsänderung auf diesem Wege zur Kenntnis gebracht. Die von der Vorinstanz eingeholten renten- und beitragsbezogenen Unterlagen der kantonalen Ausgleichskasse und deren
BGE 140 V 521 S. 528
Gemeindezweigstelle U. widerlegen indessen diese Sachdarstellung. Lediglich auf einem einzigen Aktenstück findet sich ein Hinweis des Beschwerdeführers auf die Wiederverheiratung, nämlich auf einem Post-it-Zettel, den er im November 2012 dem Lohnbescheinigungsformular für das Jahr 2012 angeheftet hatte. Eine Mitteilung seitens des Witwerrentenbezügers erfolgte also erst lange nach der Rentenaufhebungs- und Rückerstattungsverfügung vom 27. September 2011. Indem mit letztinstanzlicher Beschwerde trotz geschilderter Aktenlage daran festgehalten wird, dass bereits die Lohnbescheinigung für das Jahr 2004 (ausgefüllt am 29. Januar 2005) mit einer Haftnotiz betreffend Wiederverheiratung versehen gewesen sei, wird unterstellt, dass die Verwaltung den streitigen Hinweis entfernt habe. Aufgrund der gegebenen Umstände verbietet sich indessen eine solche Annahme. Von einer offensichtlich unrichtigen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung (nicht publ. E. 1) kann jedenfalls keine Rede sein, wenn das kantonale Gericht zum Schluss gelangt, dass der Beschwerdeführer seine zweite Heirat den AHV-Organen im relevanten Zeitraum nicht gemeldet hat.
5.
Hingegen förderte die nachträgliche Einholung der Akten bei der AHV-Gemeindezweigstelle erstmals einen Hinweis zutage, wonach deren Mitarbeiter Kenntnis von der Wiederverheiratung des Beschwerdeführers hatten (wie von Letzterem stets geltend gemacht worden war). Der Finanzverwalter der Einwohnergemeinde U. äusserte sich in einer Stellungnahme zuhanden der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 1. März 2013 folgendermassen:
"Es ist in der Tat so, dass sowohl ich als auch meine damalige - langjährige - Mitarbeiterin als Privatpersonen Kenntnis davon hatten, dass Herr A. sich wieder verheiratet hatte. Ab welchem Zeitpunkt diese Kenntnis vorhanden war, kann nicht mehr gesagt werden."
5.1
Die erwähnte Mitarbeiterin, welche während Jahrzehnten die AHV-Zweigstelle U. betreute, hatte sich in dieser Funktion auf vielfältige Weise mit dem Beschwerdeführer zu befassen und erhielt so immer wieder verwaltungsmässigen Einblick in dessen Schicksal und dasjenige seiner Familie. So wurde ihr am 2. Februar 2000 eine Kopie der Verfügung der IV-Stelle des Kantons Bern zugestellt, mit welcher der ersten Ehefrau des Beschwerdeführers wegen der Folgen eines Krebsleidens eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde. Drei Monate später musste sie deren Ableben mitteilen (der Ausgleichskasse des Kantons Bern am 7. Mai 2000 übermittelte "Veränderungsanzeige für AHV-/IV-Renten"). Wie der
BGE 140 V 521 S. 529
Beschwerdeführer bereits im ersten vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren unwidersprochen dargelegt hat, bat ihn die Zweigstellenmitarbeiterin in der Folge ins Gemeindehaus, wo sie ihn am 18. Mai 2000 über die Witwer- und Waisenrentenberechtigung informierte, das entsprechende Anmeldeformular ausfüllen und unterzeichnen liess und es nach einer Prüfung anhand der Einwohnerkontrolldaten gleichentags an die kantonale Ausgleichskasse weiterleitete. Von der am 14. Juni 2000 erlassenen Kassenverfügung betreffend Witwer- und drei Mutterwaisenrenten ging wiederum eine Kopie an die Gemeindezweigstelle.
Während ihrer Krankheit benötigte die erste Ehefrau des Beschwerdeführers Mithilfe im Haushalt und vor allem bei der Pflege und Betreuung der drei noch nicht schulpflichtigen Kinder. Der Einsatz der berufsmässigen Helferinnen wurde von Pro Infirmis organisiert; deren Entlöhnung von der Stiftung bis zur Nachzahlung der IV-Rentenbetreffnisse bevorschusst. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau oblag es dem Beschwerdeführer selber, das Personal für die Haushaltführung und die Kinderbetreuung zu engagieren. Seine diesbezügliche Anmeldung als Arbeitgeber im Bereich Hausdienst/Kinderbetreuung und die entsprechende Aufnahme ins Mitgliederregister liefen ebenso über die langjährige Sachbearbeiterin der AHV-Zweigstelle U. wie die Erfassung der neueintretenden Arbeitnehmerinnen, die Lohnbescheinigungen und die Prüfung des Anschlusses an eine BVG-Vorsorgeeinrichtung. Im November 2003 beantragte der Beschwerdeführer - ebenfalls bei der Zweigstellenmitarbeiterin - die Ausstellung eines AHV-Versicherungsausweises für seine nachmalige zweite Ehefrau, welche im August 2002 aus V. (Mittelamerika) eingereist war und beim Witwerrentenbezüger als Angestellte den Haushalt führte und dessen drei Kinder betreute.
5.2
Wann und unter welchen Umständen die Mitarbeiterin der Gemeindezweigstelle von der am 2. April 2004 geschlossenen Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner vormaligen Angestellten erfuhr, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Ersichtlich ist nur, dass sie auf dem Lohnbescheinigungsformular für das Jahr 2004 die (behördlicherseits vorgedruckte) alte Adresse des Beschwerdeführers handschriftlich korrigierte und die nunmehr zutreffende einsetzte (vgl. auch die wohl gleichzeitig verfasste Mutationsmeldung zuhanden der Beitragsabteilung der kantonalen Ausgleichskasse vom 12. Januar 2005). Das Paar war nämlich mit den drei Kindern kurz vor der Eheschliessung innerhalb der Gemeinde in das
BGE 140 V 521 S. 530
elterliche Haus des Beschwerdeführers umgezogen, wo es mit den später eingereisten beiden Söhnen der zweiten Ehefrau seither eine sog. Patchwork-Familie bildet.
Im Rentendossier wurde die Adresse erst viel später korrigiert: Irgendwann in der ersten Hälfte des Jahres 2010 wurde der Zweigstellenmitarbeiterin (eventuell vom Beschwerdeführer) eine "Leistungsbestätigung" von "Januar 2010" vorgelegt, worin die Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Leistungen, dem Witwerrentenbezüger zuhanden der Steuerbehörden bescheinigte, dass im Jahre 2009 insgesamt Fr. 35'880.- an AHV-Renten (Witwer- und Waisenrenten) ausgerichtet worden seien. Auf welchem Wege die (im Rentendossier des Hauptsitzes abgelegte) Bestätigung seinerzeit in die Hände der Mitarbeiterin der Gemeindezweigstelle gelangte, ist nicht ersichtlich (weitere Exemplare der offenbar alljährlich von der Ausgleichskasse direkt an die Rentenbezüger versandten Bestätigungen finden sich weder in den vorgelegten Akten der kantonalen Ausgleichskasse noch in denjenigen ihrer Zweigstelle). Klar ist einzig, dass die Zweigstellenmitarbeiterin das Aktenstück betreffend die nach wie vor ausgerichtete Rente zu Gesicht bekommen hat, korrigierte sie doch in ihrer charakteristischen Handschrift unmittelbar auf der Bestätigung selber die Wohnadresse des Beschwerdeführers und füllte (gleichzeitig oder in der Folge) am 2. Juli 2010 ein Formular "Veränderungsanzeige für AHV-/IV-Renten" aus, worin sie den Betreff "Hinterlassenenrente" ankreuzte und den bereits Ende März 2004 erfolgten Umzug ins elterliche Wohnhaus erstmals auch der Abteilung Leistungen der kantonalen Ausgleichskasse mitteilte.
5.3
Die geschilderten Lebensumstände des Beschwerdeführers sind nicht alltäglich. Angesichts der kleinräumigen Verhältnisse einer Gemeinde mit weniger als ...tausend Einwohnern vermag es deshalb auch nicht zu erstaunen, dass die Sachbearbeiterin der AHV-Zweigstelle (wie auch ihr Vorgesetzter) früher oder später Kenntnis von der zweiten Eheschliessung des Witwerrentenbezügers erlangt hat, ohne dass dieser selber den AHV-Organen seine Zivilstandsänderung je mitgeteilt hätte. Ob - wie der Beschwerdeführer sinngemäss geltend macht - überhaupt "alle in der Gemeindeverwaltung Tätigen" von Beginn weg von seiner Wiederverheiratung wussten, lässt sich ohne (Zeugen-)Befragungen nicht beantworten. Ebenso wenig lassen sich die Gründe eruieren, weshalb die Zweigstellenverantwortlichen trotz hievor erwähntem Hinweis auf die
BGE 140 V 521 S. 531
Weiterausrichtung der Witwerrente und eingestandener, (allenfalls erst später) auf privatem Wege erlangter Kenntnis von der neuerlichen Eheschliessung jegliche Mitteilung an die kantonale Ausgleichskasse unterliessen.
Kantonales Gericht und BSV halten die vom Beschwerdeführer beantragte Befragung bzw. Einvernahme der langjährigen Mitarbeiterin der AHV-Gemeindezweigstelle (und ihres Vorgesetzten, des Finanzverwalters der Einwohnergemeinde U.) für entbehrlich, weil deren Antworten so oder anders nichts am Ausgang des vorliegenden Verfahrens änderten. Dem ist im Folgenden nachzugehen.
6.
Soweit die Aufsichtsbehörde die Ansicht vertritt, das Wissen von Zweigstellenmitarbeitern könne der Ausgleichskasse des Kantons Bern ohnehin nicht angerechnet werden, ist ihr nicht zu folgen. Der Einwand des BSV, "im Zusammenhang mit der Festsetzung und Ausrichtung von ordentlichen Renten" komme den Gemeindezweigstellen gar keine Aufgabe zu, geht an der Sache vorbei. Der vorliegende Streit dreht sich um die Nichtmeldung einer Änderung im Zivilstand. Wie in E. 2.2 hievor dargelegt, hat der Regierungsrat des Kantons Bern den AHV-Gemeindezweigstellen u.a. die laufende Meldung aller erheblichen Veränderungen zuhanden der kantonalen Ausgleichskasse übertragen (Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 AKBV). Auf der Internetseite der Ausgleichskasse (
www.akbern.ch
) wird denn auch die "Meldung zu den persönlichen (...) Verhältnissen von versicherten und beitragspflichtigen Personen" als eine der Hauptaufgaben ihrer AHV-Zweigstellen bezeichnet (abrufbar unter: Wer sind wir? / Ausgleichskasse / Zweigstellen der AKB). Es wäre deshalb nicht einzusehen, wenn das bei einer Zweigstelle vorhandene, aber nicht an den Hauptsitz weitergeleitete Wissen um eine leistungsrelevante Zivilstandsänderung der kantonalen Ausgleichskasse von vornherein nicht zugerechnet werden könnte. Die AHV-Gemeindezweigstellen bilden organisatorischen Teil der Ausgleichskasse des Kantons Bern und damit der Versicherungseinrichtung im Sinne von Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG; es gilt daher grundsätzlich die Formel: "Was die Zweigstelle weiss, das weiss rechtlich gesehen auch die Ausgleichskasse."
7.
Im vorliegenden Fall stellt sich indessen die Frage, wie der Umstand zu werten ist, dass die Zweigstellenmitarbeiterin nicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit von der Neuvermählung erfuhr, sondern
auf privatem Wege
. Entgegen den Einwendungen des
BGE 140 V 521 S. 532
Beschwerdeführers erübrigen sich diesbezügliche Abklärungen zu den näheren Umständen. Dass nämlich nicht von amtlich erlangter Kenntnis ausgegangen werden kann, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die beigezogenen Akten der Ausgleichskasse und ihrer Zweigstelle für den Zeitraum vor September 2011 jeglichen Hinweis auf die Zivilstandsänderung vermissen lassen (vgl. vorstehende E. 3 in fine und E. 4). Ist aber die genannte Formel dahingehend zu erweitern, dass der Ausgleichskasse auch Wissen zuzurechnen ist, welches ihre Mitarbeiter oder diejenigen ihrer Zweigstellen privat, d.h. ausserhalb ihrer Tätigkeit für die Versicherungseinrichtung erlangt haben?
7.1
7.1.1
Das BSV hat die Anwendbarkeit von
Art. 31 Abs. 2 ATSG
geprüft, wonach es dem Versicherungsträger zu melden ist, wenn eine an der Durchführung der Sozialversicherung beteiligte Person oder Stelle Kenntnis davon erhält, dass sich die für die Leistung massgebenden Verhältnisse geändert haben. Der blosse Wortlaut dieser Bestimmung ("an der Durchführung der Sozialversicherung beteiligte Person oder Stelle"; "toute personne ou institution participant à la mise en oeuvre des assurances sociales"; "qualsiasi persona o servizio che partecipa all'esecuzione delle assicurazioni sociali") liefert keine eindeutige Antwort darauf, ob der hier zu beurteilende Sachverhalt der privat erlangten Kenntnis einer an der AHV-Durchführung beteiligten Person unter den zitierten Normtatbestand zu subsumieren ist.
7.1.2
Klarheit schaffen indes die übrigen normunmittelbaren Auslegungskriterien (vgl.
BGE 140 V 15
E. 5.3.2 S. 18 mit Hinweis):
In systematischer Hinsicht ist
Art. 31 ATSG
(Randtitel: Meldung bei veränderten Verhältnissen) eingebettet zwischen der Bestimmung über die Weiterleitungspflicht der Durchführungsstellen (
Art. 30 ATSG
) und der Norm über die Amts- bzw. Verwaltungshilfe verschiedener Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden gegenüber den Sozialversicherungsorganen wie auch der Organe der einzelnen Sozialversicherungen untereinander (
Art. 32 Abs. 1 und 2 ATSG
). Regelungsgegenstand der jeweils benachbarten Gesetzesbestimmungen bildet demnach die Durchlässigkeit im zwischenbehördlichen Verhältnis. Im gleichen Sinne handelt auch
Art. 31 Abs. 2 ATSG
von der Durchlässigkeit zwischen Amtsstellen, indem er mit der Durchführung der Sozialversicherung betraute Personen oder Stellen
BGE 140 V 521 S. 533
verpflichtet, ihre Kenntnis über leistungsrelevante Veränderungen an den Versicherungsträger weiterzuleiten. Von Art. 32 unterscheidet sich
Art. 31 Abs. 2 ATSG
dadurch, dass Letzterer keine schriftliche und begründete Anfrage voraussetzt.
Art. 31 Abs. 2 ATSG
hat somit in teleologischer Hinsicht nicht mehr und nicht weniger als die ohne Gesuch zu leistende Amtshilfe zum Inhalt (in diesem Sinne auch UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 5 und 25 zu Art. 31 sowie N. 7 und 20 zu
Art. 32 ATSG
). Der Titel zum 1. Abschnitt des 4. Kapitels des ATSG lautet denn auch "Auskunft, Verwaltungshilfe, Schweigepflicht". Die Meldepflicht gemäss
Art. 31 Abs. 2 ATSG
auf privat erworbenes Wissen auszudehnen, hiesse die aufgezeigte systematische Einbettung der Norm im rein amtlichen Kontext und deren nur darauf gerichteten Sinn und Zweck zu missachten.
Nichts Gegenteiliges lässt sich aus
Art. 31 Abs. 1 ATSG
ableiten, welcher u.a. auch "Dritten" eine Meldepflicht auferlegt (wozu durchaus auch Verwaltungsangestellte als Privatpersonen gezählt werden könnten). Aus dessen Wortlaut erhellt jedoch klar, dass nur Dritte angesprochen sind, "denen die Leistung zukommt" ("auxquels une prestation est versée"; "ai quali è versata la prestazione"). Schliesslich unterstreichen auch die Materialien zum hier streitigen Abs. 2 das bisher Gesagte. Im ursprünglichen Bericht und Entwurf der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungsrecht zu einem Allgemeinen Teil der Sozialversicherung aus dem Jahre 1984 wurden noch ausdrücklich die Arbeitgeber als ebenfalls meldepflichtig bezeichnet (Beiheft zur SZS 1984, S. 72 oben), wogegen der im Rahmen der Parlamentarischen Initiative Allgemeiner Teil Sozialversicherung von der ständerätlichen Kommission vorgelegte Entwurf vom 27. September 1990 davon absah (BBl 1991 II 197); die damals vorgeschlagene Fassung der Bestimmung wurde in der Folge zum Gesetz erhoben. Wenn demnach bewusst darauf verzichtet wurde, den Arbeitgeber (zu welchem immerhin ein Arbeitsverhältnis besteht) dem Kreis der meldepflichtigen Personen zuzurechnen, geht es noch viel weniger an, den mit der Versicherungsdurchführung betrauten Personen eine Meldepflicht hinsichtlich privat erlangter Informationen aufzuerlegen. Denn zwischen den Angestellten der Versicherungseinrichtungen und den Leistungsempfängern besteht ja regelmässig kein näheres Verhältnis.
Aufgrund der dargelegten systematischen, zweckgerichteten und die Entstehungsgeschichte berücksichtigenden Auslegung fällt die
BGE 140 V 521 S. 534
Subsumtion des zu beurteilenden Sachverhalts unter
Art. 31 Abs. 2 ATSG
ausser Betracht. Diese Norm verpflichtete die Sachbearbeiterin der AHV-Gemeindezweigstelle nicht zur Meldung an den Hauptsitz.
7.2
Es stellt sich ferner die Frage, ob die Zweigstellenmitarbeiterin aufgrund der aus dem Arbeitsverhältnis fliessenden Treuepflicht gehalten gewesen wäre, das ihr privat zu Ohren gekommene Wissen über die Wiederverheiratung des Rentenbezügers an die Ausgleichskasse des Kantons Bern weiterzuleiten.
7.2.1
Über die Rechtsnatur ihres Anstellungsverhältnisses ist nichts bekannt. Die Frage kann aber offenbleiben, da die einschlägigen Regelungen der Treuepflicht im öffentlichen Dienstrecht mit derjenigen im privatrechtlichen Arbeitsvertrag, soweit hier von Bedeutung, weitgehend übereinstimmen:
Nach
Art. 321a Abs. 1 OR
hat der Arbeitnehmer die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren. Er hat insbesondere alles zu unterlassen, was den Arbeitgeber wirtschaftlich schädigen könnte (
BGE 124 III 25
E. 3a S. 27;
BGE 117 II 72
E. 4a S. 74,
BGE 117 II 560
E. 3a S. 561). Die allgemeine Treuepflicht ist Nebenpflicht zur Arbeitspflicht und ergänzt diese notwendig, indem sie der Arbeit einen Zweck, eine Zielrichtung verleiht: die Wahrung der Interessen des Arbeitgebers. Damit ist auch gesagt, dass die Interessenwahrungspflicht des Arbeitnehmers eine beschränkte ist: Sie besteht nur so weit, als ein genügender Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis besteht (STREIFF/ VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 2 zu
Art. 321a OR
). Im ausserdienstlichen Bereich ist der Arbeitnehmer frei; denn Grenze der Treuepflicht sind seine berechtigten eigenen Interessen, und das Privatleben gehört zu den berechtigten Eigeninteressen des Arbeitnehmers. Hier hat er sich lediglich aktiver Behinderung der Unternehmensziele zu enthalten (REHBINDER/STÖCKLI, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2010, N. 7 zu
Art. 321a OR
).
Gemäss Art. 55 des Personalgesetzes des Kantons Bern vom 16. September 2004 (PG/BE; BSG 153.01) sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet, die Interessen des Arbeitgebers zu wahren und ihre Aufgaben gegenüber der Bevölkerung und dem Arbeitgeber rechtmässig, gewissenhaft, wirtschaftlich und initiativ zu erfüllen. Festzuhalten ist auch hier, dass sich die Treuepflicht auf das Arbeitsverhältnis beschränkt. Eine ausserdienstliche Treuepflicht wirkt nur insofern, als von der betroffenen Person ein Verhalten verlangt
BGE 140 V 521 S. 535
wird, welches mit ihrer dienstlichen Stellung vereinbar ist (Kommentar der Finanzdirektion des Kantons Bern zur genannten Bestimmung; abrufbar unter
www.fin.be.ch
: Personal/Personalrecht/Wissensdatenbank). Laut Art. 20 Abs. 1 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) haben die Angestellten die ihnen übertragene Arbeit mit Sorgfalt auszuführen und die berechtigten Interessen des Bundes beziehungsweise ihres Arbeitgebers zu wahren. Diese Bestimmung ist mit Blick auf
Art. 6 Abs. 2 BPG
bloss deklaratorisch, indem sie
Art. 321a Abs. 1 OR
wiederholt (PETER HELBLING, in: Bundespersonalgesetz, 2013, N. 26 zu
Art. 6 BPG
).
7.2.2
Im Lichte vorstehender Darlegung lässt sich aus der allgemeinen Treuepflicht, welche der Sachbearbeiterin der AHV-Gemeindezweigstelle seinerzeit oblag, keine Verpflichtung ableiten, wonach sie auch privat erlangtes Wissen in ihre behördliche Tätigkeit hätte einfliessen lassen müssen. Die Pflicht zur Wahrung der Interessen ihrer Arbeitgeberin erstreckte sich nicht auf Angelegenheiten, von denen sie in rein privatem Rahmen ausserhalb ihres Arbeitsplatzes erfahren hatte. Ausserdienstliches bleibt somit ausgeklammert: Weil die Kenntnisnahme von der Wiedervermählung des Witwerrentenbezügers nicht im Zusammenhang mit ihrer dienstlichen Tätigkeit erfolgte, befand sich die Zweigstellenmitarbeiterin in derselben Situation wie irgendein Bürger, bei welchem mangels Garantenstellung keine Meldepflicht ausgelöst wird und der auch sonst nicht gehalten ist, im Interesse eines andern tätig zu werden.
Diese Betrachtungsweise ist denn auch unter verschiedensten Blickwinkeln sachgerecht. Sie vermeidet zum einen, dass einem bestimmten - richtig besehen: privaten - Personenkreis geradezu eine Denunzierungspflicht aufgebürdet wird. Der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Urteil vom 28. April 1998 (IX R 49/96) erwogen, dass die private Sphäre des Finanzbeamten unzumutbar belastet würde, wenn man ihm zur Pflicht machen würde, privates Wissen dienstlich zu nutzen (Bundessteuerblatt [BStBl.] 1998 II S. 458 E. 2c in fine). Ferner würde die Wirkung von
Art. 31 Abs. 1 ATSG
geschwächt, wenn den Versicherungsträgern privat erlangtes Wissen ihrer Angestellten zuzurechnen wäre. Die genannte Norm auferlegt ausdrücklich den Bezügerinnen und Bezügern, ihren Angehörigen oder Dritten, denen die Leistung zukommt, die Pflicht, jede wesentliche Änderung in den für eine Leistung massgebenden Verhältnissen dem Versicherungsträger oder dem jeweils zuständigen
BGE 140 V 521 S. 536
Durchführungsorgan zu melden. Dass diejenigen Personen im Fokus der Meldepflicht stehen, welche auch in den Genuss der Leistung gelangen, ist folgerichtig und in allen Sozialversicherungszweigen zwingend. Jede diesbezügliche Akzentverschiebung gilt es zu vermeiden. Eine solche würde indes eingeleitet, wenn dem Versicherungsträger auch privates Wissen seiner Mitarbeiter zuzurechnen wäre. Im Hinblick darauf könnte ein Rentenbezüger in einer kleinen Gemeinde gar versucht sein, eine leistungsrelevante Änderung dem zuständigen Zweigstellenmitarbeiter bewusst in privatem Rahmen möglichst beiläufig mitzuteilen, um sich gestützt darauf ein Jahr später auf die Verwirkung der Rückforderung zu berufen. Dieses Beispiel und die erwähnten dörflichen Gegebenheiten im hier zu beurteilenden Fall zeigen, dass auch Rechtsgleichheitsüberlegungen dagegen sprechen, einem Sozialversicherer Kenntnisse anzurechnen, welche seine Sachbearbeiter auf privatem Wege erlangt haben: In weniger kleinräumigem Umfeld erhalten die Angestellten eines Versicherungsträgers naturgemäss auch deutlich weniger Einblick in die privaten Verhältnisse der Versicherten.
8.
Nach dem Gesagten lässt sich weder aus
Art. 31 Abs. 2 ATSG
(E. 7.1 hievor) noch aufgrund der aus dem Arbeitsverhältnis fliessenden allgemeinen Treuepflicht (vorstehende E. 7.2) eine Verpflichtung der Zweigstellenmitarbeiterin ableiten, das ausserdienstlich erlangte Wissen über die Wiederverheiratung des Beschwerdeführers in ihre behördliche Tätigkeit einzubringen. Das kantonale Gericht hat somit zu Recht auf Weiterungen verzichtet (vgl. E. 5.3 hievor), da die in privatem Rahmen erfolgte Kenntnisnahme die einjährige Verwirkungsfrist gemäss Art. 25 Abs. 2 zweiter Satz ATSG von vornherein nicht auszulösen vermochte. Weil der Beschwerdeführer selber seiner Meldepflicht nicht nachkam (E. 4 hievor), erfuhren die AHV-Organe erst im September 2011 (mit der Abgleichung der Zivilstandsdaten) auf amtlichem Wege von der neuerlichen Verehelichung des Witwerrentenbezügers. Die am 27. September 2011 verfügte Rückforderung erging demnach klarerweise innerhalb der einjährigen relativen Verwirkungsfrist, weshalb der Beschwerdeführer insgesamt Fr. 70'890.- (vorstehende E. 3) an unrechtmässig bezogenen Rentenbetreffnissen zurückzuerstatten hat.
9.
Die Vorinstanz verweigerte dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Verbeiständung gemäss Art. 61 lit. f zweiter Satz ATSG wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde.
BGE 140 V 521 S. 537
9.1
Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (
BGE 129 I 129
E. 2.3.1 S. 135;
BGE 128 I 225
E. 2.5.3 S. 236), namentlich aufgrund der bis dann vorliegenden Akten (Urteil 1P.338/1999 vom 20. Juli 1999 E. 2b/aa in fine).
9.2
Das kantonale Gericht legt seiner Ablehnung offenkundig den Umstand zugrunde, dass bei Einreichung der vorinstanzlichen Beschwerde vom 19. Dezember 2011 und gleichzeitig gestelltem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung die in E. 5 Ingress hievor zitierte Stellungnahme des Finanzverwalters von U. vom 1. März 2013 noch nicht bei den Akten lag. Dabei wird indes ausgeblendet, dass der Beschwerdeführer von Beginn weg geltend machte, dass die zuständigen Gemeindebehörden von der Wiederverheiratung gewusst haben. Aufgrund der geschilderten unüblichen Lebensumstände in kleinräumiger Umgebung war diese Annahme durchaus nicht unberechtigt, wenn sich auch die spätere Bestätigung auf ausserdienstlich erlangtes Wissen beschränkte. So gesehen ist die Stellungnahme des Finanzverwalters als Indiz zu werten, welches zwar erst nach Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung bekannt wurde, aber immerhin deutlich darauf hinweist, dass das Gesuch seinerzeit begründet war, und deshalb rechtsprechungsgemäss bei dessen Beurteilung mit zu berücksichtigen ist (Urteil 1P.424/1993 vom 6. September 1993 E. 3a). Die Vorinstanz wird die übrigen Erfordernisse der wirtschaftlichen Bedürftigkeit und der Gebotenheit anwaltlicher Vertretung zu prüfen und hernach über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung neu zu befinden haben. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3c6cc8fe-2790-4081-863d-373923e48683 | Urteilskopf
122 V 6
2. Urteil vom 22. Januar 1996 i.S. B. gegen IV-Stelle des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 42 Abs. 1 IVG
,
Art. 109 MVG
.
Der Ausschluss der Kumulation von Hilflosenentschädigungen der Militärversicherung einerseits und der AHV/IV anderseits für denselben Gesundheitsschaden gilt ab Inkrafttreten des revidierten Rechts (ex nunc et pro futuro) auch in bezug auf die vorher festgelegten Leistungen. | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 122 V 6 S. 6
A.-
Der 1948 geborene B. erlitt am 31. Mai 1980 im Militärdienst einen Unfall, bei dem er sich eine Paraplegie zuzog. Aufgrund der damit verbundenen bleibenden Behinderungen in den alltäglichen Lebensverrichtungen erhielt er von der Invalidenversicherung eine Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit ab 1. Mai 1981 zugesprochen (Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen vom 9. September 1981). Diese Hilflosenentschädigung wurde revisionsweise auf Ende Dezember 1982 aufgehoben (Verfügung vom 14. Dezember 1982). Nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) kam die Invalidenversicherung wiedererwägungsweise auf diese Leistungsaufhebung zurück, indem sie aufgrund einer erneuten Abklärung zur Annahme einer Hilflosigkeit leichten
BGE 122 V 6 S. 7
Grades gelangte (Verfügung vom 8. Februar 1984). Dieser Anspruch wurde im Rahmen dreier Revisionsverfahren bestätigt.
Parallel dazu richtete das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) an B. als Folge von
BGE 113 V 140
ungekürzte Pflegezulagen nach
Art. 22 aMVG
aus, eine Leistungsberechtigung, die zuletzt bis Ende August 1995 verlängert wurde (Mitteilung vom 13. August 1993).
Am 27. September 1993 leitete die Invalidenversicherung erneut ein Revisionsverfahren zur Hilflosenentschädigung ein. Dabei gelangte sie gestützt auf die Abklärungsergebnisse der Militärversicherung zum Schluss, der Versicherte sei in denjenigen Lebensverrichtungen, die bis anhin den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung leichten Grades begründeten, nicht mehr in erheblichem Mass eingeschränkt oder auf fremde Hilfe angewiesen. Infolgedessen hob die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen die Hilflosenentschädigung mit Wirkung ab 1. Februar 1994 auf (Verfügung vom 30. Dezember 1993).
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. Mai 1995 ab.
C.-
B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides weiterhin der Anspruch auf Hilflosenentschädigung zuzuerkennen.
Die IV-Stelle St. Gallen schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das vorliegende Verfahren gründet in einer Revisionsverfügung nach
Art. 41 IVG
vom 30. Dezember 1993, mit der die an den Beschwerdeführer ausgerichtete Hilflosenentschädigung wegen veränderter tatsächlicher Verhältnisse aufgehoben wurde. Ob sich diese Änderung des anspruchsbegründenden Sachverhaltes wirklich zutrug, ist im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren ausdrücklich offengelassen worden. Denn das kantonale Gericht hat erwogen, der mit dem neuen MVG (Anhang Ziffer 5) geänderte
Art. 42 Abs. 1 IVG
stehe einer weiteren Bezugsberechtigung nach seinem Inkrafttreten (1. Januar 1994) entgegen, weil der Beschwerdeführer erwiesenermassen einen Pflegebeitrag der Militärversicherung für Hilflosigkeit beziehe.
Mit dieser im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen (
BGE 110 V 52
Erw. 4a; vgl. ferner
BGE 116 V 26
Erw. 3c) zulässigen Substituierung der Begründung
BGE 122 V 6 S. 8
ist der Streitgegenstand weder ausgedehnt noch sonstwie geändert worden (vgl. dazu
BGE 110 V 51
Erw. 3b am Ende). Ebensowenig liegt eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruchs vor, nachdem sich der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren replicando zu dieser erstmals in der Beschwerdeantwort vorgebrachten neuen Begründung äussern konnte (
BGE 116 V 185
Erw. 1a mit Hinweisen).
Somit ist im vorliegenden Verfahren nach wie vor streitig und zu prüfen, ob der Beschwerdeführer gegenüber der Invalidenversicherung nach dem 1. Februar 1994 weiterhin eine Entschädigung wegen leichter Hilflosigkeit beanspruchen kann. Sollte sich dabei ergeben, dass die mit dem Inkrafttreten des MVG geänderte Bestimmung von
Art. 42 Abs. 1 IVG
auf den vorliegenden Fall Anwendung findet und sie zur Aufhebung des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung führt, könnte die Frage nach der im Rahmen von
Art. 41 IVG
wesentlichen Entwicklung der anspruchsbegründenden Sachlage in der Tat dahingestellt bleiben.
2.
Gemäss Art. 42 Abs. 1 erster Satz IVG in der seit dem 1. Januar 1994 gültigen Fassung haben in der Schweiz wohnhafte Versicherte, die hilflos sind, Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, sofern ihnen keine solche nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung oder nach dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über die Militärversicherung zusteht.
Wie eingangs angedeutet, hat das kantonale Gericht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung gefolgert, der streitige Anspruch sei auf den 1. Januar 1994 dahingefallen, weil der Beschwerdeführer tatsächlich einen Pflegebeitrag (Hilflosenentschädigung) der Militärversicherung beziehe.
3.
a) Nach der sogenannten unechten Rückwirkung wird neues Recht - gestützt auf Sachverhalte, die früher eingetreten sind und noch andauern - für die Zeit seit Inkrafttreten (ex nunc et pro futuro) angewendet. Diese Art der Rückwirkung ist bei kantonalen Erlassen und bundesrechtlichen Verordnungen grundsätzlich als zulässig zu erachten, sofern ihr nicht wohlerworbene Rechte entgegenstehen (
BGE 114 V 151
Erw. 2,
BGE 113 V 299
,
BGE 110 V 254
Erw. 3a, je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre; vgl. auch
BGE 120 V 329
unten f. und 184 Erw. 4b,
BGE 119 Ia 160
Erw. 4b, 258 Erw. 3b,
BGE 119 V 206
Erw. 5c/dd,
BGE 118 Ia 255
Erw. 4c, je mit Hinweisen). Sieht hingegen ein Bundesgesetz ausdrücklich oder sinngemäss die unechte Rückwirkung vor oder untersagt es eine solche, ist diese Anordnung gemäss Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV für den Richter zum vornherein verbindlich. Ob einer
BGE 122 V 6 S. 9
neuen bundesgesetzlichen Bestimmung die Bedeutung unechter Rückwirkung zukommt, muss sich aus dem Wortlaut (insbesondere der Übergangsbestimmungen), der sinngemässen Auslegung oder durch Lückenfüllung ergeben (
BGE 114 V 151
Erw. 2b mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre).
b) Der Beschwerdeführer zieht die mit der unechten Rückwirkung einhergehende Anwendbarkeit des neuen Rechts auf die früher eingetretenen, indes fortdauernden Sachverhalte nicht in grundsätzlicher Hinsicht in Zweifel. Er meint jedoch, dass der im Zuge der Totalrevision des MVG neugefasste Art. 42 Abs. 1 erster Satz IVG der Geltung besonderer Übergangsbestimmungen unterliege, die den allgemeinen Regeln über die Rückwirkung rechtsprechungsgemäss vorgehen würden. So lasse sich dem Wortlaut von
Art. 109 MVG
("Versicherungsfälle, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch hängig waren, werden in jenen Teilen nach dem neuen Recht beurteilt, die nicht anerkannt sind oder über die nicht verfügt wurde") durch Umkehrschluss entnehmen, dass Versicherungsfälle, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des MVG bereits anerkannt worden seien und über die bereits verfügt wurde, nach altem Recht beurteilt werden müssten. Aufgrund dieser Bestimmung falle die unechte Rückwirkung des MVG ausser Betracht, wie auch die dazu ergangene bundesrätliche Botschaft vom 27. Juni 1990 ohne weiteres bestätige (BBl 1990 III 257f.; Separatausgabe S. 57, zu Art. 108 des Gesetzesentwurfes). Das neue Gesetz gehe vielmehr von einer Besitzstandsgarantie aus, auf die er sich als Bezüger von Militärversicherungsleistungen berufen könne. Abgesehen davon habe das Eidg. Versicherungsgericht in seinem Fall rechtskräftig entschieden, dass er Hilflosenentschädigungen der Militärversicherung und der Invalidenversicherung kumulieren dürfe (
BGE 113 V 148
Erw. 7c). Dieses Urteil gelte mit Blick auf die in den Übergangsbestimmungen angelegte Besitzstandsgarantie weiterhin.
4.
a) Trotz seiner sinngemäss erhobenen Einrede der abgeurteilten Sache (res iudicata) verkennt der Beschwerdeführer nicht, dass es an der hiefür erforderlichen Identität des Rechts- oder Entstehungsgrundes auch dann gebricht, wenn seit Erlass des Urteils eine Rechtsänderung eingetreten ist, die dieses als rechtswidrig erscheinen lässt (
BGE 98 V 178
Erw. 2; vgl. ferner
BGE 120 V 144
Erw. 2d mit Hinweisen). Insofern hängt die zeitliche Ausdehnung der Rechtskraft des in
BGE 113 V 140
veröffentlichten Urteils eben davon ab, ob und inwieweit die auf Dauerleistungen gerichteten Ansprüche des Beschwerdeführers von der Geltung des neuen Rechts erfasst
BGE 122 V 6 S. 10
werden.
Gerade der Hinweis auf den im Falle des Beschwerdeführers ergangenen
BGE 113 V 140
zeigt, dass sein Standpunkt nicht verfängt. Denn das Eidg. Versicherungsgericht nahm die Kumulation von Pflegebeiträgen gemäss MVG und Hilflosenentschädigung nach IVG seinerzeit allein deshalb hin, weil es im damaligen Recht der Militärversicherung an einer Koordinationsbestimmung für diese beiden Leistungsarten fehlte (
BGE 113 V 147
ff. Erw. 7a-d). Dem wollte der Gesetzgeber im Rahmen der Totalrevision des MVG mit der Schaffung von
Art. 77 Abs. 5 MVG
und Art. 42 Abs. 1 erster Satz IVG analog zu der schon vorher im Verhältnis zwischen den Hilflosenentschädigungen der Invaliden- und der Unfallversicherung bestehenden sowie der im Entwurf zu einem Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vorgesehenen Ordnung (vgl. Art. 73 Abs. 3 EATSG, BBl 1991 II 205) Rechnung tragen. In dieser Hinsicht lassen denn auch die Gesetzesmaterialien keine Zweifel offen. So wurde in der bundesrätlichen Botschaft - ausdrücklich unter Hinweis auf
BGE 113 V 104
(recte: 140) - darauf verwiesen, dass es die unter dem alten Recht mangels Koordinationsbestimmung mögliche Kumulation von Leistungen für Hilflosigkeit und die unter Umständen hieraus folgende Überdeckung zu verhindern gelte (vgl. BBl 1990 III 252[betreffend
Art. 77 Abs. 5 MVG
] und 260; Separatausgabe S. 51 f. und 60). Und auch im Verlauf der weiteren Beratung sowohl der MVG-Revision als auch des Bundesbeschlusses über Leistungsverbesserungen in der AHV/IV sowie ihre Finanzierung vom 19. Juni 1992 (vgl. Art. 4 Abs. 1) blieb unbestritten, dass die bis anhin zugelassene Kumulation von Hilflosenentschädigungen der AHV oder der Invalidenversicherung mit analogen Leistungen der Militärversicherung ausgeschlossen werden soll (vgl. etwa die Dokumentation für die Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit [SGK] vom 9. Juni 1992, in: Ordner XII, Anhang, Fasz. 6, S. 1/3 der vom BAMV im Januar 1995 herausgegebenen, nach Artikeln geordneten Dokumente aus den parlamentarischen Beratungen zur Totalrevision; vgl. ferner AHI 1994 S. 57).
b) Was nun die hier im einzelnen zu entscheidende Frage anbelangt, ob sich der mit der revidierten Ordnung angestrebte Ausschluss der Kumulation nur auf die nach dem 1. Januar 1994 neu festzusetzenden Hilflosenentschädigungen beziehen oder ob er gleichermassen für die vorher unter der Geltung des alten MVG zugesprochenen und beim Inkrafttreten der
BGE 122 V 6 S. 11
revidierten IVG-Bestimmung laufenden Hilflosenentschädigung gelten solle, so lässt sich die vom Beschwerdeführer verfochtene Besitzstandsgarantie durch die Materialien nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil steht fest, dass der Gesetzgeber in den
Art. 109 ff. MVG
für bestimmte ausgewählte Leistungsberechtigungen, die aus sozialpolitischer Sicht besonders umstritten waren, die weitere Geltung des alten Rechts garantierte. Dies geschah etwa für die Invaliden-, Integritätsschadens- und Hinterlassenenrenten ebenso wie für die Steuerfreiheit der altrechtlichen Militärversicherungsrenten (Art. 112, 113, 114 und 116 MVG). Einer solchen Verankerung des Fortbestandes der alten Ordnung für Rentenansprüche, die in der Zeit nach dem 1. Januar 1994 bezogen werden, hätte es gerade nicht bedurft, wenn bereits
Art. 109 MVG
die Bedeutung einer allgemeinen Besitzstandsgarantie zukäme.
Wohl ist einzuräumen, dass sich bei einer ganz und gar dem Wortlaut verpflichteten Auslegung von
Art. 109 MVG
sagen liesse, der Eintritt der nach MVG und IVG erheblichen Hilflosigkeit stelle je einen Versicherungsfall im Sinne von
Art. 109 MVG
dar, über den bei Inkrafttreten des Gesetzes schon längstens verfügt worden war. Diese rein grammatikalische Lesart von
Art. 109 MVG
vermag aber gegen das Ergebnis einer historischen, systematischen und zweckgerichteten Betrachtungsweise nicht aufzukommen. Insofern fällt entscheidend ins Gewicht, dass sich der beabsichtigte Ausschluss der Kumulierbarkeit von Hilflosenentschädigungen der Militärversicherung einerseits und der AHV oder Invalidenversicherung anderseits anhand der Materialien klar nachweisen lässt und es - anders als in den Fällen von Art. 112, 113, 114 und 116 MVG - an einer Bestimmung fehlt, welche die laufenden Hilflosenentschädigungen davon ausnehmen wollte. Deshalb kann auch keine Rede davon sein, der Beschwerdeführer beziehe eine Pflegezulage nach altem MVG, die im revidierten
Art. 42 Abs. 1 IVG
nicht erwähnt werde. Was er seit dem 1. Januar 1994 an Pflegebeiträgen seitens der Militärversicherung erhält, gründet in
Art. 20 MVG
und nicht in
Art. 22 aMVG
. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3c6f8d42-55d8-4433-8d7d-2f69a80c52c3 | Urteilskopf
139 III 38
6. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_495/2012 vom 10. Januar 2013 | Regeste
Art. 248 lit. a i.V.m.
Art. 250 ZPO
; § 3 lit. f der Vollzugsverordnung des Kantons Schwyz zum Schweizerischen Obligationenrecht vom 25. Oktober 1974; Mieterausweisung.
Eine Mieterausweisung kann einzig beim Vorliegen eines klaren Falles nach Massgabe von Art. 248 lit. b i.V.m.
Art. 257 ZPO
in einem summarischen Verfahren erwirkt werden. Eine kantonale Bestimmung, welche die Mieterausweisung allgemein dem summarischen Verfahren im Sinne von Art. 248 lit. a i.V.m. 250 ZPO zuweisen will, verstösst gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 39
BGE 139 III 38 S. 39
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe das Ausweisungsbegehren zu Unrecht im summarischen Verfahren beurteilt und damit die Zivilprozessordnung verletzt.
2.1
Die beiden kantonalen Instanzen gingen davon aus, das Ausweisungsbegehren sei in der Grundform des summarischen Verfahrens nach Art. 248 lit. a und
Art. 252-256 ZPO
i.V.m. § 3 lit. f der Vollzugsverordnung des Kantons Schwyz zum Schweizerischen Obligationenrecht vom 25. Oktober 1974 (SRSZ 217.110; GS 16-549; nachfolgend: VVzOR/SZ) zu behandeln. Die Vorinstanz erwog,
Art. 123 Abs. 1 BV
begründe eine verpflichtende Gesetzgebungskompetenz mit nachträglich derogatorischer Wirkung. Soweit der Bund in einem Bereich, in welchem er zwar umfassend, aber mit nachträglich derogatorischer Wirkung zuständig ist, nicht abschliessend legiferiert habe, seien die Kantone zuständig geblieben, ohne dass es dazu einer Delegation durch das Bundesrecht bedürfe. Im Katalog von
Art. 250 ZPO
, welcher Angelegenheiten dem summarischen Verfahren zuweist, sei die Ausweisung von Mietern nicht aufgeführt. § 3 lit. f VVzOR/SZ sehe nun aber für die Ausweisung von Mietern und Pächtern generell das summarische Verfahren vor.
2.2
Der Beschwerdeführer beanstandet, diese Auffassung sei bundesrechtswidrig. Unter der Geltung der ZPO könne eine Ausweisung nur im summarischen Verfahren angeordnet werden, sofern die Voraussetzungen von Art. 248 lit. b i.V.m.
Art. 257 ZPO
erfüllt seien. Indem die Vorinstanz die Anwendbarkeit der Grundform des summarischen Verfahrens im Sinne von Art. 248 lit. a i.V.m.
Art. 252-256 ZPO
auf eine Mietausweisung aus kantonalem Recht ableite und
BGE 139 III 38 S. 40
dabei auf das Erfordernis eines liquiden Sachverhalts verzichte, verletze sie Bundesrecht. Denn dieses verlange für eine im summarischen Verfahren verfügte Mieterausweisung einen klaren Fall im Sinne von
Art. 257 ZPO
; fehle es an einem solchen, so könne sie nicht in einem Summarium angeordnet werden.
2.3
Nach
Art. 248 ZPO
ist das summarische Verfahren anwendbar: a. in den vom Gesetz bestimmten Fällen; b. für den Rechtsschutz in klaren Fällen; c. für das gerichtliche Verbot; d. für die vorsorglichen Massnahmen; und e. für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die beiden Vorinstanzen gingen davon aus, ein Gesetz im Sinne von
Art. 248 lit. a ZPO
könne auch ein kantonales Gesetz sein, das eine vom Bundeszivilrecht geregelte Materie wie die Mieterausweisung ins summarische Verfahren verweist. Die von der Vorinstanz zur Stützung dieser Auffassung zitierten Stellen belegen sie aber gerade nicht: weder der Expertenbericht zum Vorentwurf der ZPO (S. 125), der einzig von Zivilsachen spricht, die im kantonalen Privatrecht geregelt sind, noch die Kommentarmeinungen von KAUFMANN (in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner et al. [Hrsg.], 2011, N. 3 zu
Art. 248 ZPO
), der im Zusammenhang mit Gesetzen im Sinne von
Art. 248 lit. b ZPO
nur von Spezialgesetzen des Bundesprivatrechts sowie des kantonalen Privatrechts spricht; von GASSER/RICKLI (Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, N. 3 zu
Art. 248 ZPO
), die kantonalrechtliche Zivilsachen aufführen, oder schliesslich von JENT-SØRENSEN (in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 1 zu
Art. 249 ZPO
), die sich auf "andere in kantonalen Erlassen oder in Spezialgesetzen des Bundes vorgesehene Klagen bzw. Gesuche" beschränkt.
2.4
Art. 249-251 ZPO
weisen bestimmte Angelegenheiten des Zivilgesetzbuches, des Obligationenrechts und des SchKG dem summarischen Verfahren i.S. von
Art. 248 lit. a ZPO
zu. Diese Kataloge sind nicht abschliessend, worauf namentlich die jeweilige Verwendung der Formulierung, das summarische Verfahren gelte insbesondere für die aufgeführten Angelegenheiten, hinweist. Die Botschaft des Bundesrates hält dazu fest, das Gesetz bestimme den Geltungsbereich des summarischen Verfahrens im Wesentlichen selbst, doch könne sich die Anwendbarkeit auch aus einem anderen Bundesgesetz ergeben (BBl 2006 7349 Ziff. 5.17 zu Art. 244-247 E-ZPO). Während weitere, von der Vorinstanz nicht zitierte Kommentatoren ebenfalls davon ausgehen, nur das Bundesrecht könne die von ihm geregelten Materien dem summarischen Verfahren i.S. von
Art. 248 lit. a ZPO
BGE 139 III 38 S. 41
gesetzlich zuweisen (STEPHAN MAZAN, in: Basler Kommentar, Zivilprozessordnung, 2010, N. 2 zu
Art. 248 ZPO
; BERNHARD RUBIN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 5 zu
Art. 248 ZPO
), wird soweit ersichtlich in der Lehre nirgends die Meinung vertreten, es sei auch dem kantonalen Recht freigestellt, dies zu tun. Vielmehr halten etwa HAUSER/SCHWERI/LIEBER (Kommentar zum zürcherischen Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess, 2012, N. 4 der Vorb. vor § 137 GOG; N. 4 zu § 140 GOG) ausdrücklich fest, es stehe den Kantonen nicht zu, weitere Geschäfte des Obligationenrechts dem summarischen Verfahren zuzuweisen. Für diese Ansicht spricht auch bereits der Umstand, dass an den wenigen Stellen, wo die ZPO den Kantonen eine Restkompetenz belässt, der Gesetzestext die Kantone bzw. das kantonale Recht ausdrücklich erwähnt (so u.a. in Art. 3, 4, 6, 7, 68 Abs. 2 lit. d, Art. 96, 116 Abs. 1 und
Art. 218 Abs. 3 ZPO
). Die Frage braucht hier indessen nicht abschliessend geklärt zu werden, denn aus der Entstehungsgeschichte der Zivilprozessordnung ergibt sich eindeutig der spezifische Wille des Gesetzgebers, die Erwirkung einer Mieterausweisung in einem summarischen Verfahren einzig beim Vorliegen eines klaren Falles nach Massgabe von Art. 248 lit. b i.V.m.
Art. 257 ZPO
zu ermöglichen.
2.5
2.5.1
Vor der Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts oblag es den Kantonen, die Verfahrensart für die Ausweisung von Mietern zu bestimmen (
BGE 119 II 141
E. 4b S. 145). Wegen der bundesrechtlichen Vorschrift von aArt. 274g OR war es den Kantonen allerdings nicht gestattet, für die Beurteilung von Ausweisungsgesuchen mehrere Behörden zu bezeichnen: Focht der Mieter eine ausserordentliche Kündigung wegen Zahlungsrückstands (
Art. 257d OR
) an und war gleichzeitig ein Ausweisungsverfahren anhängig, so hatte die für die Ausweisung zuständige Behörde auch über die Wirkung der Kündigung zu entscheiden (aArt. 274g Abs. 1 OR). Wandte sich der Mieter mit seinem Begehren an die Schlichtungsbehörde, so hatte diese das Verfahren an die Ausweisungsinstanz zu überweisen (aArt. 274g Abs. 3 OR; vgl.
BGE 118 II 302
E. 4a S. 306 f.; WEBER, in: Basler Kommentar, 4. Aufl. 2011, N. 2 zu
Art. 274g OR
).
2.5.2
Diese verfahrensrechtliche Regelung war Gegenstand intensiver Debatten in den parlamentarischen Beratungen der schweizerischen Zivilprozessordnung. Im Ständerat als Erstrat stellte Herr Ständerat Hoffmann (AB 2007 S 517) einen Antrag auf Aufnahme des
BGE 139 III 38 S. 42
Ausweisungsverfahrens in den Katalog der im summarischen Grundverfahren zu behandelnden Angelegenheiten des Obligationenrechtes als neuen Art. 246 lit. b Ziff. 1 des bundesrätlichen Entwurfes (welcher Artikel schliesslich als
Art. 250 ZPO
Gesetz wurde). Er begründete dies damit, dass ansonsten die ZPO wegen der beabsichtigten Streichung von aArt. 274g OR in einem wesentlichen Punkt lückenhaft bleiben werde (AB 2007 S 519). Ständerat Hoffmann zog seinen Antrag zurück, nachdem Bundesrat Blocher im Ständerat versichert hatte, er werde selbst das Problem in die Kommission des Nationalrates hineintragen (AB 2007 S 521).
In der ersten Lesung im Nationalrat wollte eine Minderheit die Verfahrensbestimmung von aArt. 274g OR in die ZPO überführen und die Ausweisung in den Katalog der im summarischen Grundverfahren zu behandelnden Angelegenheiten des Obligationenrechtes als Art. 246 lit. b Ziff. 0 des Entwurfes aufnehmen (AB 2008 N 968). Bundesrätin Widmer-Schlumpf erklärte hierzu, der Bundesrat und die Mehrheit der Nationalratskommission seien der Auffassung, dass diese Spezialbestimmung überflüssig werde, weil dem Vermieter nach Art. 253 des bundesrätlichen Entwurfes (welcher Artikel schliesslich als
Art. 257 ZPO
Gesetz wurde) in klaren Fällen der schnelle Rechtsschutz zur Verfügung stehe. Sie führte wörtlich aus (AB 2008 N 950):
"Das Konzept ist einfach: Eindeutige Fälle gehen direkt zum Ausweisungsrichter, egal, ob es sich um eine ordentliche oder eine ausserordentliche Kündigung handelt. Nicht liquide Fälle hingegen beginnen bei der Schlichtungsbehörde. (...) Die mietrechtliche Sonderregelung von
Art. 274g OR
, welche in der Praxis doch einige Schwierigkeiten bereitet, wird durch eine gleichwertige allgemeine Regelung abgelöst."
Der Minderheitsantrag wurde indessen mit 104 zu 61 Stimmen angenommen (AB 2008 N 951).
Die ständerätliche Kommission hielt zuhanden der Differenzbereinigung an der Nichtaufnahme der Ausweisung in den Katalog der im summarischen Grundverfahren zu behandelnden Angelegenheiten des Obligationenrechtes fest (AB 2008 S 279). Nachdem Ständerat Hess seinen Antrag auf Zustimmung zum entgegengesetzten Beschluss des Nationalrates zurückgezogen hatte, blieb es bei der Nichtaufnahme in den Katalog (AB 2008 S 279). Der Nationalrat schloss sich in der Schlussberatung dem Beschluss des Ständerates mit 101 gegen 70 Stimmen an (AB 2008 N 1627, 1628).
2.5.3
Zusammenfassend hatte sich das Parlament somit dafür entschieden, die Verfahrensregelung gemäss aArt. 274g OR aufzuheben,
BGE 139 III 38 S. 43
weil es der Ansicht war, dass das summarische Verfahren in der Variante nach
Art. 257 ZPO
- und nur in dieser - für die Gewährung von raschem Rechtsschutz in Ausweisungssachen ausreiche (HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, S. 260 Rz. 1428 i.f.; vgl. ferner Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung 2012, S. 248 f. sowie BOHNET, Le droit de bail en procédure civile suisse, in: 16
e
Séminaire sur le droit du bail, Bohnet/Wessner [Hrsg.], 2010, S. 54 Rz 196-199).
2.6
Damit erweist sich die Rüge, die Vorinstanz habe durch Anwendung der Grundform des summarischen Verfahrens auf eine Mieterausweisung gestützt auf kantonales Recht Bundesrecht verletzt, als begründet.
3.
Als Konsequenz der bundesrechtswidrigen Durchführung eines summarischen Verfahrens gestützt auf kantonales Recht hat die erste Instanz es unterlassen und die Vorinstanz ausdrücklich darauf verzichtet zu prüfen, ob es sich vorliegend um einen klaren Fall i.S. von
Art. 248 lit. b ZPO
handelt. Der angefochtene Entscheid ist damit aufzuheben und an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückzuweisen. Diese wird dabei zu beurteilen haben, ob die Voraussetzungen für die Anordnung der Ausweisung als klarer Fall gestützt auf
Art. 257 Abs. 1 lit. a und b ZPO
vorliegen und damit das Verfahren bundesrechtskonform im Summarium mit Sachurteil abgeschlossen werden kann oder ob nach Massgabe von
Art. 257 Abs. 3 ZPO
wegen Illiquidität auf das Gesuch nicht einzutreten ist. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3c6fdb8a-22ca-4336-add5-00b3a60ebc68 | Urteilskopf
126 V 344
58. Urteil vom 6. November 2000 i.S. D. gegen CSS Versicherung und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 47 Abs. 1, Art. 49 Abs. 6 und 7,
Art. 50 KVG
;
Art. 7 KLV
: Prüfung der Gesetzmässigkeit einer Tarifposition bei Heimaufenthalt.
Der Kantonsregierung steht bei der Tariffestsetzung ein weiter Ermessensspielraum zu, in den das Gericht nur mit grosser Zurückhaltung eingreift.
Es ist sachgerecht, den Tarif nach Massgabe der zunehmenden Kostentransparenz an das Ziel einer vollen Kostendeckung der Pflichtleistungen heranzuführen. | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 126 V 344 S. 344
A.-
Die 1913 geborene, im Januar 1999 verstorbene P. war bei der CSS Versicherung unter anderem obligatorisch für Krankenpflege versichert. Sie litt an einer Alzheimer-Demenz und hielt sich wegen Pflegebedürftigkeit ab 16. Dezember 1996 in der Pflegeabteilung der Seniorenresidenz X auf. Die CSS Versicherung leistete einen Kostenbeitrag von 40 Franken im Tag ab 1. Januar 1997. Am 16. August 1997 ersuchte der Ehemann der Versicherten, D., um Übernahme der Kosten von Fr. 61'794.30 für die vom Pflegeheim für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1997 in Rechnung gestellten Leistungen. Mit Verfügung vom 13. Oktober 1997 hielt die CSS Versicherung daran fest, dass sie an den Aufenthalt der Versicherten im Pflegeheim lediglich die tarifliche Tagespauschale von 40 Franken zu erbringen sowie die ärztlichen Leistungen, Therapien und Medikamente gemäss Tarif zu entschädigen habe.
In teilweiser Gutheissung der hiegegen erhobenen Einsprache setzte die CSS Versicherung die zu vergütende Tagespauschale auf 70 Franken fest, nachdem der Bundesrat mit Entscheid vom 9. März
BGE 126 V 344 S. 345
1998 den vom Regierungsrat des Kantons Zürich im vertragslosen Zustand für 1997 beschlossenen Tarif im Wesentlichen bestätigt hatte. Dementsprechend sprach sie der Versicherten für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1997 eine Nachzahlung von 30 Franken pro Tag zu (Einspracheentscheid vom 4. Juni 1998).
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher der Ehemann der Versicherten die Vergütung der vollen Pflegekosten verlangte, wurde vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 14. Januar 2000 abgewiesen.
C.-
D. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die CSS Versicherung zu verpflichten, die von ihr zu ermittelnden versicherten Pflegekosten für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1997 zu vergüten; eventuell sei sie zu verpflichten, zusätzlich zum anerkannten Betrag von 6'360 Franken Pflegekosten von 37'444 Franken zu bezahlen.
Die CSS Versicherung beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt sich nicht vernehmen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Verfügungen über Tarife. Nach der Rechtsprechung ist dieses Rechtsmittel allerdings nur unzulässig gegen Verfügungen, welche den Erlass oder die Genehmigung eines Tarifes als Ganzes zum Gegenstand haben, oder wenn unmittelbar einzelne Tarifbestimmungen als solche angefochten werden. Hingegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen gegen Verfügungen, welche in Anwendung eines Tarifes im Einzelfall ergangen sind; dabei kann das Gericht zwar nicht den Tarif als Ganzes mit all seinen Positionen und in ihrem gegenseitigen Verhältnis auf die Gesetzmässigkeit hin überprüfen, wohl aber kann es die konkret angewandte Tarifposition ausser Acht lassen, wenn sie sich als gesetzwidrig erweist (
BGE 125 V 104
Erw. 3b mit Hinweisen).
Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine Tarifstreitigkeit im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
, sondern um die Anwendung eines Tarifes im Einzelfall, weshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde - welche die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt - einzutreten ist.
BGE 126 V 344 S. 346
2.
a) Nach
Art. 24 KVG
übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen gemäss den Artikeln 25-31 KVG nach Massgabe der in den Artikeln 32-34 KVG festgelegten Voraussetzungen. Die Leistungen umfassen nach
Art. 25 Abs. 2 KVG
unter anderem die Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär oder in einem Pflegeheim von Ärzten oder Ärztinnen, Chiropraktoren oder Chiropraktorinnen oder Personen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Leistungen erbringen, durchgeführt werden (lit. a), und den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals (lit. e) oder in einer teilstationären Einrichtung (lit. f). Gemäss
Art. 33 Abs. 2 KVG
bezeichnet der Bundesrat unter anderem die nicht von Ärzten und Ärztinnen oder von Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen nach
Art. 25 Abs. 2 KVG
, welche Befugnis er mit
Art. 33 lit. b KVV
an das Eidg. Departement des Innern (EDI) subdelegiert hat. Gestützt auf diese Kompetenznorm hat das Departement den Leistungsbereich bei Krankenpflege zu Hause, ambulant oder im Pflegeheim in
Art. 7 KLV
näher umschrieben. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung übernimmt die Versicherung die Kosten der Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen (Leistungen), die auf ärztliche Anordnung hin oder im ärztlichen Auftrag unter anderem von Pflegeheimen im Sinne von
Art. 39 Abs. 3 KVG
erbracht werden. Die Leistungen werden in Abs. 2 der Bestimmung näher umschrieben und umfassen Massnahmen der Abklärung und Beratung (lit. a), der Untersuchung und Behandlung (lit. b) sowie der Grundpflege (lit. c).
b) Bei Aufenthalt in einem (nach
Art. 39 Abs. 3 KVG
zugelassenen) Pflegeheim vergütet der Versicherer nach
Art. 50 KVG
die gleichen Leistungen wie bei ambulanter Krankenpflege und bei Krankenpflege zu Hause. Er kann mit dem Pflegeheim pauschale Vergütungen vereinbaren. Die Bestimmungen von
Art. 49 Abs. 6 und 7 KVG
sind sinngemäss anwendbar. Danach ermitteln die Spitäler ihre Kosten und erfassen ihre Leistungen nach einheitlicher Methode; sie führen hiezu eine Kostenstellenrechnung und eine Leistungsstatistik (Abs. 6). Die Kantonsregierungen und, wenn nötig, der Bundesrat ordnen Betriebsvergleiche zwischen den Spitälern an, welche zu Kündigungen oder Anpassungen bestehender Tarifverträge Anlass geben können (Abs. 7).
Nach
Art. 9 Abs. 1 KLV
können die Leistungen insbesondere nach Zeit- oder nach Pauschaltarifen (
Art. 43 KVG
) in Rechnung gestellt
BGE 126 V 344 S. 347
werden. Gemäss dem mit Verordnung des EDI vom 3. Juli 1997 (AS 1997 2039) auf den 1. Januar 1998 eingefügten Abs. 4 dieser Bestimmung vereinbaren die Vertragspartner oder setzen die zuständigen Behörden für die Leistungen der Pflegeheime Tarife fest, die nach dem Pflegebedarf abzustufen sind, wobei mindestens vier Pflegebedarfsstufen festzusetzen sind. Auf den gleichen Zeitpunkt wurde der gestützt auf die Delegationsnorm von
Art. 59a KVV
mit Verordnung des EDI vom 18. September 1997 (AS 1997 2436) eingefügte
Art. 9a KLV
in Kraft gesetzt, welcher in Abs. 2 Rahmentarife vorsieht, die nicht überschritten werden dürfen, wenn die Leistungserbringer nach
Art. 7 Abs. 1 lit. c KLV
nicht über eine einheitliche Kostenstellenrechnung im Sinne von
Art. 49 Abs. 6 KVG
verfügen. Die Rahmentarife betragen für die erste Pflegebedarfsstufe 10-20 Franken, für die zweite Pflegebedarfsstufe 15-40 Franken, für die dritte Pflegebedarfsstufe 30-60 Franken und für die vierte Pflegebedarfsstufe 40-70 Franken pro Tag (
Art. 9a Abs. 2 KLV
).
c) Im Kanton Zürich kam für die Zeit ab 1. Januar 1997 keine Tarifvereinbarung zwischen den Leistungserbringern und den Krankenversicherern für die Pflegeheimleistungen zustande. Gestützt auf
Art. 47 KVG
beschloss der Regierungsrat des Kantons Zürich am 2. Oktober 1996 folgende Regelung:
1. Verrechnung nach Pflegekategorien (Teilpauschale):
BESA-Stufe 1: 10 Franken pro Pflegetag
BESA-Stufe 2: 20 Franken pro Pflegetag
BESA-Stufe 3: 50 Franken pro Pflegetag
BESA-Stufe 4: 70 Franken pro Pflegetag
Zusätzlich verrechenbar sind Arzt-Leistungen, Therapieleistungen und Medikamente.
2. Verrechnung ohne Berücksichtigung der Pflegekategorien (Vollpauschalen):
85 Franken pro Pflegetag
3. Diese Taxen gelten auch für Ferienpatienten und Patienten der Tagesheime.
Gegen diesen Beschluss haben sowohl der Verband Zürcher Krankenhäuser (VZK) und der Heimverband Schweiz, Sektion Zürich, sowie die Stadtgemeinden Zürich und Winterthur als auch der Verband Zürcher Krankenversicherer (VZKV) beim Bundesrat Beschwerden erhoben. Mit Entscheid vom 9. März 1998 änderte der Bundesrat den Tarif insofern ab, als die Vollpauschale auf 75 Franken im Tag festgesetzt und auf Versicherte der BESA-Stufen 3 und 4 beschränkt wurde; im Übrigen bestätigte er den regierungsrätlichen Tarif für den vertragslosen Zustand ab 1. Januar 1997 (RKUV 1998 Nr. KV 28 S. 180).
BGE 126 V 344 S. 348
3.
a) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hält der Beschwerdeführer zu Recht nicht daran fest, dass die CSS Versicherung für die vollen Kosten des Pflegeheimaufenthaltes aufzukommen habe. Aus der (abschliessenden) Umschreibung des Leistungsanspruchs in
Art. 25 Abs. 2 KVG
und der Bestimmung von
Art. 50 KVG
, wonach die Versicherer bei Aufenthalt in einem Pflegeheim die gleichen Leistungen zu vergüten haben wie bei ambulanter Krankenpflege und bei Krankenpflege zu Hause (Spitex), folgt, dass die so genannten Pensions- oder Hotelkosten (Kosten für Aufenthalt und Verpflegung) keine Pflichtleistungen darstellen und daher nicht zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gehen (vgl. Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 127 und 187). Auch im Lichte von
Art. 49 Abs. 3 KVG
steht dem Pflegebedürftigen kein Anspruch auf die für den Fall eines Spitalaufenthaltes vorgesehenen Leistungen zu, solange die im Pflegeheim gewährte Pflege den tatsächlichen Bedürfnissen entspricht (
BGE 125 V 177
; ferner
BGE 124 V 362
).
b) Der Beschwerdeführer bestreitet die Gesetzmässigkeit der im vorliegenden Fall in Anwendung des regierungsrätlichen Rahmentarifs zur Anwendung gebrachten Tagespauschale von 70 Franken (entsprechend BESA-Stufe 4) und macht geltend, diese decke bei weitem nicht die in
Art. 7 KLV
genannten und im konkreten Fall vom Pflegeheim erbrachten Leistungen. Laut Abrechnung des Pflegeheimes für Januar 1997 hätten sich die Pflegekosten (ohne Berücksichtigung der Position "Tageslogis") auf 240 Franken im Tag belaufen, sodass lediglich knapp 30% dieses Betrages vergütet würden, was in einem gesetzwidrigen Missverhältnis zu den tatsächlichen Kosten stehe. Es verstosse gegen Sinn und Zweck des Gesetzes, wenn die Versicherer als Folge der mangelnden Kostentransparenz wesentlich zu tiefe Pauschalen in Anschlag bringen könnten. Es gehe nicht an, die volle Kostendeckung mit der Begründung zu verweigern, dass die effektiven Kosten nicht ermittelt werden könnten, und gleichzeitig die Pflegeheime auf dem Verordnungsweg Jahr für Jahr von der Pflicht zur Kostentransparenz zu befreien. Im Hinblick darauf, dass die Tagespauschale im konkreten Fall lediglich knapp 30% der effektiven Pflegekosten ausmache, sei zumindest eine gewisse Korrektur des gesetzwidrigen Zustandes angebracht. Von einer blossen Sicherheitsmarge, wie sie der Bundesrat im Hinblick auf die noch nicht genügend transparenten Berechnungsgrundlagen vorsehe, könne bei einer Differenz von
BGE 126 V 344 S. 349
rund 70% nicht die Rede sein. Ein derartiges Missverhältnis sei auch im Sinne einer Übergangslösung mit dem Gesetz nicht vereinbar.
4.
a) Nach der Rechtsprechung steht den Vertragsparteien bei der Tariffestsetzung ein weiter Ermessensspielraum zu, weil sie am ehesten zu beurteilen vermögen, was unter den gegebenen Umständen als angemessen und notwendig zu erachten ist. Der Richter hat in einen Tarifvertrag daher nur mit grosser Zurückhaltung und normalerweise nur dann einzugreifen, wenn die Anwendung einer Tarifposition zu einer offensichtlich rechtswidrigen Benachteiligung oder Bevorteilung einer Partei führt, oder wenn sich der Tarif nicht von objektiven Überlegungen leiten lässt. Dies gilt praxisgemäss auch dann, wenn der Tarif nach
Art. 47 Abs. 1 KVG
von der Kantonsregierung festgesetzt wird (
BGE 125 V 104
Erw. 3c mit Hinweisen).
Des Weiteren darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass beim Erlass von Tarifen unter Umständen komplexe und allenfalls in der Zielrichtung widersprüchliche Aspekte auf einen Nenner zu bringen sind, was ebenfalls für einen weiten Ermessensspielraum spricht (
BGE 112 V 288
Erw. 3 mit Hinweisen).
b) Der vom Regierungsrat am 2. Oktober 1996 für die Dauer des vertragslosen Zustandes ab 1. Januar 1997 beschlossene Tarif hat den Charakter einer Übergangslösung im Hinblick darauf, dass die für die Tarifgestaltung nach Art. 50 in Verbindung mit
Art. 49 Abs. 6 KVG
vorausgesetzte Kostenstellenrechnung und Leistungsstatistik der Leistungserbringer noch nicht vorlagen. Bei der Festsetzung des Tarifs stützte sich der Regierungsrat auf verschiedene Erhebungen, unter anderem auf einen Durchschnittswert ohne Berücksichtigung der Pflegeintensität von 114 Franken pro Pflegetag. Bei der Festsetzung des Tarifs war man sich des Umstandes bewusst, dass die effektiven Kosten für den Pflegeaufwand im Durchschnitt höher liegen als die beschlossenen Pauschalen. Im Entscheid des Bundesrates vom 9. März 1998 über den regierungsrätlichen Tarif wird hiezu festgestellt, es sei zwischen den gegenläufigen Interessen zu vermitteln, wobei sich die Übergangslösung zweckmässigerweise am Grundsatz zu orientieren habe, dass die Annäherung der Tarife an die maximale Kostendeckung von 100% der Pflichtleistungen mit der steigenden Kostentransparenz zu koordinieren sei. Eine volle Kostendeckung der Pflichtleistungen lasse sich nur und erst dann rechtfertigen, wenn praktisch uneingeschränkte Kostentransparenz im Sinne von
Art. 50 KVG
bestehe (RKUV 1998 Nr. KV 28 S. 187 Erw. 5.4).
BGE 126 V 344 S. 350
c) Bei der Festsetzung des ab 1. Januar 1997 gültigen Rahmentarifs hatten Regierungsrat und Bundesrat dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es an den in
Art. 49 Abs. 6 KVG
vorgesehenen Unterlagen noch fehlte und die vorhandenen Kostenstatistiken in einem nicht im Einzelnen feststellbaren Umfang auch nichtpflichtige Leistungen umfassten, was eine tarifarisch volle Kostendeckung ausschloss. Sodann war zu berücksichtigen, dass sich die Leistungspflicht der Krankenversicherer nach
Art. 25 Abs. 2 KVG
und
Art. 7 KLV
nur so weit erstreckt, als die in Rechnung gestellten Kosten insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahmen gerechtfertigt sind (
Art. 56 Abs. 1 KVG
). Da mangels zuverlässiger Vergleichszahlen eine konkrete Wirtschaftlichkeitsprüfung mit den in
Art. 49 Abs. 7 KVG
vorgesehenen tarifvertraglichen Folgen nicht Platz greifen konnte, war dem Wirtschaftlichkeitsgebot ermessensweise bei der Festsetzung des Rahmentarifs Rechnung zu tragen (vgl.
Art. 59a Abs. 2 KVV
, in Kraft seit 18. September 1997, für die vom EDI festzulegenden Rahmentarife). Wenn der Bundesrat im Entscheid zum zürcherischen Rahmentarif für 1997 zum Schluss gelangt ist, den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten sei in der Weise Rechnung zu tragen, dass der Tarif nach Massgabe der zunehmenden Kostentransparenz an das Ziel einer vollen Kostendeckung der in
Art. 7 KLV
genannten Pflichtleistungen heranzuführen sei, so erscheint dies als sachgerecht. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände hat der Regierungsrat das ihm bei der Tariffestsetzung zustehende weite Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt, wenn er die hier streitige Tagespauschale für schwer pflegebedürftige Personen (BESA-Stufe 4) auf 70 Franken pro Pflegetag festgesetzt hat. Zu einem Abgehen vom kantonalen Rahmentarif besteht umso weniger Anlass, als das EDI gestützt auf eigene Unterlagen auf den 1. Januar 1998 eine Bestimmung erlassen hat, wonach bei noch fehlender einheitlicher Kostenstellenrechnung der Rahmentarif für die vierte Pflegebedarfsstufe 40-70 Franken nicht übersteigen darf (
Art. 9a Abs. 2 lit. d KLV
).
5.
a) Dass die nach Art. 50 in Verbindung mit
Art. 49 Abs. 6 KVG
vorausgesetzte Kostenstellenrechnung und die Leistungsstatistik der Leistungserbringer anlässlich des Beschlusses des Regierungsrates vom 2. Oktober 1996 über den Rahmentarif ab 1. Januar 1997 (und auch am 9. März 1998, als der Bundesrat über die hiegegen erhobenen Beschwerden entschied) noch nicht vorlagen, mag als unbefriedigend erscheinen, genügt jedoch nicht, um
BGE 126 V 344 S. 351
eine Gesetzwidrigkeit der hier zur Anwendung gelangenden Tarifposition zu begründen. Nach der Übergangsbestimmung von
Art. 104 Abs. 3 KVG
oblag es dem Bundesrat, den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an Spitäler und Pflegeheime
Art. 49 Abs. 6 und 7 KVG
einzuhalten haben. Mit Art. 9 der Verordnung vom 12. April 1995 über die Inkraftsetzung und Einführung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (AS 1995 1367; SR 832.101) wurden die Spitäler verpflichtet, dem Bundesrat bis zum 31. Dezember 1996 einen gemeinsamen Vorschlag für die Kostenstellenrechnung und die Leistungsstatistik im Sinne von
Art. 49 Abs. 6 KVG
mit einem Vorschlag über die Frist zur Einführung in den Spitälern und Pflegeheimen einzureichen. Die nach dem Gesetz für die Tarifgestaltung massgebenden Grundlagen konnten Anfang 1997 somit gar noch nicht vorliegen, sodass es einer Übergangslösung bedurfte. Von einem gesetz- bzw. verordnungswidrigen Zustand kann jedenfalls für das Jahr 1997 nicht die Rede sein.
b) Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer auch, soweit er sich auf ein gesetzwidriges Missverhältnis zwischen der vergüteten Tagestaxe und den effektiven (versicherten) Pflegekosten beruft. Zunächst ist festzustellen, dass die vom Pflegeheim ab Januar 1997 in Rechnung gestellte Tagestaxe von 240 Franken auch nichtpflichtige Leistungen umfasst (hauswirtschaftliche Leistungen sowie animatorische und aktivierende Massnahmen), wie das Pflegeheim in einem Schreiben an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bestätigt hat. Zudem beläuft sich der Ansatz für das "Tageslogis" auf lediglich 37 Franken, womit die nichtpflichtigen Pensionskosten (Aufenthalt und Verpflegung) kaum gedeckt sein dürften, sodass anzunehmen ist, dass im Pflegepreis von 240 Franken teilweise auch nichtpflichtige Pensionskosten enthalten sind. Ferner ist nicht ersichtlich, inwieweit die Pflegetaxe auch Infrastruktur- und Betriebskosten des Pflegeheims einschliesst, welche vom Krankenversicherer nicht zu vergüten sind (vgl.
Art. 7 Abs. 3 KLV
, eingefügt durch Ziff. I der Verordnung des EDI vom 3. Juli 1997, in Kraft getreten am 1. Januar 1998). Insbesondere aber steht nicht fest, ob die in Rechnung gestellten Kosten unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit der Massnahmen gerechtfertigt sind, liegen sie doch deutlich über den im Entscheid des Bundesrates genannten Durchschnittswerten. Danach hatten die Verbände der Leistungserbringer Pflegekosten für schwer bis sehr schwer pflegebedürftige Personen von etwa 150 Franken (+/- 20%)
BGE 126 V 344 S. 352
angegeben. Die vom Beschwerdeführer eingereichten Pflegerechnungen bilden daher keine zuverlässige Grundlage für die Beurteilung der Leistungspflicht des Krankenversicherers. Zu näheren Abklärungen besteht schon deshalb kein Anlass, weil es an verlässlichen Vergleichszahlen fehlt und damit eine Wirtschaftlichkeitsprüfung mit allfälligen tarifvertraglichen Folgen nach
Art. 49 Abs. 7 KVG
nicht vorgenommen werden kann. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3c7023c6-5f39-476a-9779-ade5cfcd6384 | Urteilskopf
119 III 54
14. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. April 1993 i.S. S. (Rekurs) | Regeste
Betreibungsort (
Art. 46 Abs. 1,
Art. 48 und
Art. 50 Abs. 2 SchKG
).
Wer seinen schweizerischen Wohnsitz aufgibt, kann an diesem ordentlichen Betreibungsorte nicht mehr betrieben werden.
Massgebend ist die Gesamtheit der Lebensumstände einer Person, wobei die Schriftenniederlegung immer nur ein Indiz für die Absicht dauernden Verbleibens bildet, das selbständig zu würdigen ist.
Für die Betreibung an einem schweizerischen Aufenthaltsort genügt die bloss zufällige Anwesenheit des Schuldners nicht.
Bei Wohnsitz im Ausland oder bei Fehlen eines festen Wohnsitzes überhaupt kann der Schuldner an dem von ihm gewählten Spezialdomizil betrieben werden; der Zahlungsort auf einem Wechsel gilt als solcher nur bei eindeutigen Ortsangaben. | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 119 III 54 S. 54
Das Betreibungsamt D. stellte S. in B. einen Zahlungsbefehl zu, wobei unter der Rubrik "Forderungsurkunde/Grund der Forderung" auf einen Wechsel sowie auf das Spezialdomizil in B. hingewiesen
BGE 119 III 54 S. 55
wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde des S. wurde von der kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen. Mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer beantragt S., das angefochtene Urteil und die Betreibung aufzuheben, eventuell die Sache zur Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen.
Die Rekursgegnerin und die kantonale Aufsichtsbehörde beantragen die Abweisung des Rekurses.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Rekurrent bestreitet die örtliche Zuständigkeit des Betreibungsamtes D., da er in L. wohnhaft sei und sich überdies in B. weder aufhalte noch dort ein Spezialdomizil begründet habe.
a) Nach
Art. 46 Abs. 1 SchKG
ist der Schuldner an seinem schweizerischen Wohnsitz zu betreiben, wobei das Betreibungsrecht hier an das Zivilrecht anknüpft. Der Wohnsitz einer Person befindet sich demnach an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält und den sie zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen gemacht hat (
Art. 23 Abs. 1 ZGB
; BUCHER, Berner Kommentar, N 8 ff. zu
Art. 23 ZGB
). Gibt der Schuldner seinen bisherigen Wohnsitz in der Schweiz auf, ohne dass er irgendwo einen neuen begründet, so ist
Art. 24 Abs. 1 ZGB
nicht anwendbar. Er kann nun allenfalls an einem besondern Betreibungsort belangt werden (
Art. 48 ff. SchKG
;
BGE 82 III 13
;
BGE 88 III 139
E. 1; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. A. Bern 1988, S. 83 N 5; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, 3. A. Zürich 1984, S. 109 N 9).
b) In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Rekurrent sich im Jahre 1988 bei der Einwohnerkontrolle der Stadt X. abgemeldet hat, eine Adresse in L. vorweist und sich dort bei der Schweizer Botschaft immatrikuliert hat, den örtlichen Behörden jedoch nicht bekannt ist. Diese Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörde sind für das Bundesgericht verbindlich, da sie weder offensichtlich auf einem Versehen beruhen noch unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind (
Art. 63 Abs. 2 OG
in Verbindung mit
Art. 81 OG
;
BGE 112 III 71
E. 2a;
BGE 107 III 2
E. 1).
c) Die kantonale Aufsichtsbehörde stützt ihre Ansicht, der Rekurrent habe seit dem Jahre 1988 keinen festen Wohnsitz mehr, vor allem
BGE 119 III 54 S. 56
auf den Umstand, dass er den Behörden in L. nicht bekannt sei. Nun ist die Schriftenniederlegung immer nur ein Indiz für die Absicht dauernden Verbleibens, das selbständig zu würdigen ist (
BGE 88 III 139
E. 1; KARL SPÜHLER, Die Rechtsprechung zur polizeilichen Meldepflicht bei Niederlassung und Aufenthalt, ZBl 93/1992 S. 337 ff.; BUCHER, Berner Kommentar, N 36 zu
Art. 23 ZGB
). Der Rekurrent hat sich in L. bei der Schweizer Botschaft gemeldet; gerade in dieser Stadt aber hat er seine einzig bekannte Adresse. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass er sich in L. tatsächlich aufhält, und sich dort auch sein räumlicher Lebensmittelpunkt befindet. Davon ausgehend könnte er an einem schweizerischen Aufenthaltsort nicht betrieben werden (
Art. 48 SchKG
; AMONN, a.a.O., S. 85 N 14; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 109 N 9; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2. A. Lausanne 1988, S. 84). Ob der Rekurrent überhaupt einen festen Wohnsitz hat, muss jedoch nicht abschliessend beurteilt werden, denn die Voraussetzungen, ihn an einem Aufenthaltsort zu betreiben, sind ohnehin nicht gegeben.
d) Aufenthalt bedeutet übrigens Verweilen an einem bestimmten Orte, wobei eine bloss zufällige Anwesenheit nicht genügt (BUCHER, Berner Kommentar, N 15 zu
Art. 23 ZGB
). Der Zahlungsbefehl wurde dem Rekurrenten in B. zugestellt, wo er auch bei der Aufnahme des Wechselprotestes anwesend war. Einzig aus diesen beiden Vorkommnissen und ohne irgendwelche weitere Angaben über die Ausgestaltung seiner Anwesenheit an diesem Ort kann - entgegen der Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde - nicht bereits ein Aufenthalt des Rekurrenten in B. angenommen werden.
e) Nach Ansicht der kantonalen Aufsichtsbehörde hat der Rekurrent in B. kein Spezialdomizil zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten begründet (
Art. 50 Abs. 2 SchKG
). Dieser besondere Betreibungsort gilt einzig für Verbindlichkeiten gegenüber einem bestimmten Gläubiger (
BGE 107 III 56
E. 3a), und zwar nicht nur bei Wohnsitz des Schuldners im Ausland, sondern auch wenn dieser überhaupt keinen festen Wohnsitz hat (
BGE 89 III 3
). Nach den verbindlichen Feststellungen der kantonalen Behörden hat der Rekurrent einen auf ihn gezogenen Wechsel angenommen, wobei darauf als Zahlungsort X. und O. sowie als Adresse des Bezogenen B. vermerkt wurde.
f) Nun genügt die Vereinbarung eines Erfüllungsortes im allgemeinen noch nicht zur Annahme eines Spezialdomizils, sondern besondere Umstände müssen hinzutreten, um ihm diese Bedeutung
BGE 119 III 54 S. 57
zu verleihen. Dem Zahlungsort auf einem Wechsel hingegen wird gemeinhin bereits diese Wirkung zugestanden (
BGE 89 III 4
). Ob dies auch im vorliegenden Fall zutrifft, kann indessen offenbleiben, lautet der Zahlungsort ohnehin gerade nicht auf B. Überdies erlauben die verschiedenen Angaben auf dem Wechsel - entgegen der von der Rekursgegnerin vertretenen Auffassung - nicht, auf ein Spezialdomizil an einem bestimmten Orte, nämlich in B., zu schliessen.
Demzufolge war das Betreibungsamt D. auch gestützt auf
Art. 50 Abs. 2 SchKG
für das vorliegende Betreibungsverfahren nicht zuständig. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3c70c304-cfef-41f9-8606-de3665036c94 | Urteilskopf
116 Ia 295
46. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 12 juin 1990 dans la cause Ligue suisse des droits de l'homme (section vaudoise), Association de défense des prisonniers de Suisse, G. et T. contre Grand Conseil du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Rechtsschutz des Untersuchungshäftlings gemäss waadtländischem Recht.
1. Waadtländer Vorschriften über die Verhaftung und die Untersuchungshaft; Änderungen durch das Gesetz vom 22. Mai 1989. Die Rechte des Untersuchungshäftlings sind durch die Aufhebung der periodischen Kontrolle der Haftvoraussetzungen durch die Anklagekammer nicht geschmälert worden; sie sind im Gegenteil insofern ausgebaut worden, als der Häftling jederzeit seine Haftentlassung verlangen und gegen den abweisenden Entscheid rekurrieren kann (E. 3).
2. Recht des Häftlings, ausdrücklich darüber informiert zu werden, dass jederzeit ein Haftentlassungsgesuch gestellt werden kann (E. 4c)?
3. Eine Bestimmung, wonach der Untersuchungshäftling sich mit einem Haftentlassungsgesuch zuerst an den Untersuchungsrichter wenden kann und nicht unmittelbar an die Anklagekammer, entspricht den durch
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
geschützten Interessen des Häftlings (E. 4a und b).
4. Die Oberaufsicht der Anklagekammer stellt ein rein internes Kontrollmittel im Justizbereich und als solches eine zusätzliche Garantie dar, die das Gesetz dem Untersuchungshäftling gewährleistet (E. 5).
5. Das vom kantonalen Gesetzgeber sehr weit gefasste Recht des Untersuchungshäftlings auf einen Verteidiger erfüllt die Voraussetzungen gemäss
Art. 4 BV
und 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 296
BGE 116 Ia 295 S. 296
Le 22 mai 1989, le Grand Conseil du canton de Vaud a adopté une loi modifiant le code de procédure pénale du 12 septembre 1967, dont la teneur est la suivante:
"III Détention préventive
1. Conditions
Art. 59. - Le prévenu à l'égard duquel il existe des présomptions suffisantes de culpabilité peut être mis en détention préventive:
1. s'il présente un danger pour la sécurité ou l'ordre publics;
2. si sa fuite est à craindre;
3. si sa liberté offre des inconvénients sérieux pour l'instruction.
Dès que les motifs justifiant la détention préventive n'existent plus, le juge ordonne la mise en liberté.
Le prévenu peut en tout temps demander sa mise en liberté. Le juge lui rappelle ce droit par écrit, au plus tard après quatorze jours de détention.
3. Contrôle
Art. 61. - Afin de permettre au Tribunal d'accusation d'exercer sa haute surveillance sur les conditions de la détention préventive et de contrôler l'existence de raisons la justifiant, le juge lui adresse un rapport circonstancié, la première fois au plus tard quatorze jours après l'arrestation, puis de mois en mois.
I. Défenseur indispensable
Art. 104. - Le prévenu doit être pourvu d'un défenseur lorsque la
BGE 116 Ia 295 S. 297
détention préventive dure depuis plus de trente jours et dans toutes les causes où le Ministère public intervient.
Hormis ces cas, il peut être pourvu d'un défenseur, même contre son gré, quand les besoins de la défense l'exigent, notamment pour des motifs tenant à sa personne ou en raison des difficultés particulières de la cause."
Par la voie d'un recours de droit public, la section vaudoise de la Ligue suisse des droits de l'homme, l'Association de défense des prisonniers de Suisse, G. et T. ont demandé au Tribunal fédéral de dire que le nouveau texte des art. 59 al. 3, 2e phrase, 61 et 104 al. 1 CCP vaud. violait les
art. 5 par. 4 et 6 par. 3 CEDH
, ainsi que leur liberté personnelle et leur droit d'être entendus, garantis respectivement par le droit constitutionnel non écrit et par l'
art. 4 Cst.
Ils ont conclu en outre à l'annulation de ces dispositions, le Tribunal fédéral devant ordonner au canton de Vaud de modifier la loi attaquée dans un sens conforme au droit conventionnel et constitutionnel.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours, dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) L'arrestation et la détention d'un prévenu sont réglementées, en droit vaudois, par les art. 56 à 82 du code de procédure pénale du 12 septembre 1967 (CPP). Aux termes de ces dispositions, le prévenu peut être arrêté lorsqu'il est pris en flagrant délit ou lorsqu'il existe contre lui des présomptions suffisantes de culpabilité. Hormis le cas de flagrant délit et les situations d'urgence, l'arrestation en vue de détention préventive ne peut être exécutée qu'en vertu d'un mandat d'arrêt décerné par le juge. La détention préventive n'est ordonnée que si le prévenu constitue un danger pour la sécurité ou l'ordre publics, si sa fuite est à craindre ou si sa liberté présente des inconvénients sérieux pour l'instruction. Le juge doit libérer provisoirement le prévenu dès que les motifs justifiant sa détention n'existent plus (art. 56 à 60). La décision ordonnant la détention préventive et celle refusant la mise en liberté provisoire doivent être notifiées par écrit au prévenu avec mention du recours qu'il peut exercer contre elles dans les dix jours dès cette modification (art. 81, 295 let. b, 300 et 301 al. 1). Au lieu d'incarcérer le prévenu dont il craint qu'il ne s'enfuie ou ne se soustraie à son action, le juge peut se borner à exiger de lui des sûretés suffisantes; celles-ci sont libérées lorsque la fuite du prévenu n'est plus à craindre ou lorsqu'il a donné suite à toutes
BGE 116 Ia 295 S. 298
les réquisitions du juge (art. 69 et 75). Indépendamment de sa compétence d'autorité de recours, le Tribunal d'accusation exerce une haute surveillance sur les mesures privatives de liberté prises par le juge d'instruction (art. 82).
b) Avant la novelle du 22 mai 1989, ces dispositions ne prévoyaient pas expressément le droit du prévenu - consacré par la pratique cantonale - de demander en tout temps sa mise en liberté; elles n'exigeaient donc pas du juge qu'il lui rappelle l'existence de ce droit. En outre, le prévenu devait être pourvu d'un défenseur dans toutes les causes où le Ministère public intervenait; en dehors de ces cas, il pouvait être pourvu d'un défenseur, même contre son gré, quand les besoins de la défense le commandaient, notamment pour des motifs tenant à sa personne ou en raison de difficultés particulières de la cause (art. 104 anc.). L'art. 61 anc. limitait à 14 jours la durée de la détention préventive, sous réserve de prolongations, d'un mois chacune au maximum, que le juge d'instruction pouvait ordonner après y avoir été autorisé par le Tribunal d'accusation.
Saisi d'un recours de droit public dirigé contre une mesure de prolongation de la détention préventive adoptée sur la base de l'ancien
art. 61 CPP
, le Tribunal fédéral a considéré qu'une telle mesure constituait une décision susceptible d'être attaquée par la voie d'un recours de droit public pour violation de la liberté personnelle ou de l'
art. 5 CEDH
. Cette décision devait donc être motivée et communiquée au prévenu, pour que celui-ci ait la possibilité de s'exprimer avant que sa détention ne soit prolongée. Dans la mesure où le prévenu avait en tout temps la possibilité de demander sa mise en liberté, il suffisait à la régularité de la procédure de prolongation périodique de la détention que le prévenu pût s'exprimer à ce sujet par écrit, soit dans le cadre d'une procédure de recours auprès d'une autorité ayant une cognition illimitée, soit devant l'autorité de décision elle-même, soit devant l'autorité inférieure qui demandait l'autorisation de prolonger la détention (
ATF 114 Ia 281
ss).
c) En vertu des nouvelles dispositions cantonales de procédure pénale, le prévenu a le droit de demander en tout temps sa mise en liberté, droit que le juge lui rappelle par écrit au plus tard après 14 jours de détention (art. 59 al. 3). Si le système de la prolongation périodique de la détention préventive a été abandonné, la haute surveillance du Tribunal d'accusation a été maintenue. Le juge doit d'office adresser à cette autorité un rapport circonstancié, la
BGE 116 Ia 295 S. 299
première fois au plus tard 14 jours après l'arrestation, puis de mois en mois (art. 61). Le nouvel art. 104 prescrit l'obligation de pourvoir le prévenu d'un défenseur non seulement dans les causes où le Ministère public intervient, mais aussi lorsque la détention préventive dure depuis plus de 30 jours. L'ancien al. 2 de l'art. 104, qui donnait au juge la possibilité de pourvoir le prévenu d'un défenseur, même contre son gré, dans tous les cas où les besoins de la défense l'exigeaient, a été maintenu sans changement. Le droit de recours du prévenu contre toute décision d'incarcération ou de maintien en détention est demeuré inchangé conformément à l'
art. 295 let. b CPP
.
Les droits de la personne détenue préventivement n'ont donc pas été réduits par la suppression du contrôle périodique de la détention. Ils ont au contraire été accrus dans la mesure où le prévenu, qui doit obligatoirement être pourvu d'un défenseur d'office si la détention se prolonge, peut demander en tout temps sa mise en liberté et recourir contre une décision la lui refusant, cela indépendamment du contrôle d'office des conditions et de la durée de la détention par l'autorité de surveillance (Rapport de la commission, Bulletin des séances du Grand Conseil du canton de Vaud 1989, p. 369).
4.
Les recourants soutiennent en premier lieu que le nouvel art. 59 al. 3, 2e phrase, CPP viole l'
art. 5 par. 4 CEDH
. La demande de mise en liberté devrait pouvoir être adressée par le prévenu directement au Tribunal d'accusation, car le juge d'instruction, qui ne ferait que réexaminer une mesure privative de liberté qu'il a ordonnée, n'aurait pas l'indépendance requise. Il ne serait en outre pas admissible que le juge puisse attendre 14 jours pour "rappeler" au prévenu son droit de demander à un tribunal sa mise en liberté.
a) Selon l'
art. 5 par. 4 CEDH
, toute personne privée de sa liberté par arrestation ou détention a le droit d'introduire un recours devant un tribunal, afin que celui-ci statue à bref délai sur la légalité de sa détention et ordonne sa libération si la détention est illégale. Cette demande doit être examinée par une instance judiciaire disposant d'un pouvoir d'examen effectif, à bref délai et selon une procédure contradictoire qui garantisse le droit d'être entendu (
ATF 114 Ia 85
ss, 185 consid. 3b et arrêts cités). La notion conventionnelle du "bref délai" n'est pas un concept abstrait. Elle doit s'apprécier à la lumière des circonstances particulières de chaque espèce. Il n'est en tout cas pas admissible
BGE 116 Ia 295 S. 300
d'attendre plusieurs semaines (par exemple 31, 41, 46, 51 ou 53 jours) avant de se prononcer sur une demande de mise en liberté (arrêt Sanchez de la Cour européenne des droits de l'homme du 21 octobre 1986, série A, vol. 107 par. 55-61;
ATF 114 Ia 92
consid. 5c; arrêt non publié Wenger du 28 septembre 1989, consid. 4d). En outre, le détenu ne saurait être empêché de demander à un tribunal sa mise en liberté pendant les 6, 7 ou 11 premiers jours de sa détention (arrêt du 22 mai 1984 de la Cour européenne des droits de l'homme en la cause de Jong, Baljet et van den Brink, série A, vol. 77, par. 58;
ATF 115 Ia 62
).
Le droit du prévenu de demander sa mise en liberté implique par ailleurs celui de répondre à la prise de position de l'autorité de répression sur ce point, indépendamment de la question de savoir si cette prise de position contient ou non de nouveaux arguments (
ATF 115 Ia 301
consid. b et les arrêts cités). On ne saurait davantage priver le défenseur du prévenu du droit de prendre connaissance d'éléments du dossier pendant les 30 premiers jours de la détention préventive (arrêt Lamy du 30 mars 1989, Cour EDH Publications série A, vol. 151).
b) La réglementation litigieuse est différente de la réglementation zurichoise dont le Tribunal fédéral a constaté l'inconstitutionnalité dans un arrêt sur lequel les recourants s'appuient fortement (
ATF 115 Ia 56
ss). Elle est, d'une part, plus large puisqu'elle confère au prévenu le droit de demander en tout temps sa mise en liberté et de saisir immédiatement le Tribunal d'accusation en cas de refus (
art. 295 let. b CPP
), alors que dans le cas zurichois à juger, le prévenu devait attendre au moins 14 jours avant de pouvoir obtenir un contrôle judiciaire des conditions de sa détention. D'autre part, en droit vaudois, le juge d'instruction auquel la demande de mise en liberté doit être adressée est un magistrat de l'ordre judiciaire élu par le Tribunal cantonal en vertu des art. 2 et 8 de la loi d'organisation judiciaire du 12 décembre 1979; il a donc les qualités exigées par l'
art. 5 par. 4 CEDH
. La jurisprudence ne s'oppose pas, du reste, à ce que la demande soit traitée d'abord par un organe administratif (arrêt non publié Wenger du 28 septembre 1989, consid. 4d/cc; arrêt Sanchez-Reisse du 21 octobre 1986, Cour EDH Publications série A, vol. 107). Sans doute, puisque le juge d'instruction veille d'office, en vertu de l'
art. 59 al. 2 CPP
, à ce que la détention préventive cesse dès le moment où les motifs qui la justifient n'existent plus, on eût pu concevoir que la demande de mise en liberté soit adressée
BGE 116 Ia 295 S. 301
directement au Tribunal d'accusation comme le souhaitent les recourants. Le système choisi n'est cependant pas critiquable; il paraît même plus favorable au prévenu. Les recourants perdent en effet de vue que la procédure qu'ils souhaitent serait nécessairement contradictoire, comme l'est aujourd'hui la procédure de recours devant le Tribunal d'accusation. Le juge d'instruction serait naturellement appelé à se prononcer sur le bien-fondé de la demande de mise en liberté, ce qui aurait pour effet de prolonger la procédure. Il est donc conforme aux intérêts du prévenu, protégés par l'
art. 5 par. 4 CEDH
, de lui permettre de s'adresser au juge d'instruction qui, si la demande est fondée, peut ordonner immédiatement sa libération. En cas d'échec de sa requête, le prévenu bénéficie en outre de deux instances judiciaires, ce qui est une assurance complémentaire du respect des garanties qui lui sont offertes soit par le droit conventionnel, soit par le droit constitutionnel non écrit. Certes, la mise en oeuvre d'une décision de libération par le juge d'instruction peut être retardée par un recours du Ministère public sur la base de l'
art. 295 let. b CPP
. En vertu de l'art. 303, 2e phrase de ce même code, le recours n'a cependant pas d'effet suspensif, à moins que le juge d'instruction n'en décide autrement. Dans tous les cas, la procédure de mise en liberté doit être menée promptement et rien dans le texte critiqué n'empêche les autorités cantonales d'agir avec la diligence voulue pour que la procédure respecte les conditions de rapidité posées par l'
art. 5 par. 4 CEDH
.
c) Dans l'état de son interprétation par les juridictions européennes, l'
art. 5 par. 4 CEDH
n'exige pas que le prévenu soit informé expressément de son droit de demander en tout temps sa mise en liberté.
Ce droit à l'information est institué dans quelques législations cantonales de procédure pénale (BE 118; UR 114; AI 58 al. 2, 2e phrase; GE 41 al. 1 let. c; JU 119). Il n'est pas nécessaire, en l'espèce, de dire si un tel droit peut être déduit de la liberté personnelle garantie par le droit constitutionnel non écrit, et cela à partir de cette considération que la possibilité de demander la mise en liberté peut être dans certains cas illusoire si le prévenu n'en est pas informé, par exemple quand il s'agit de détenus étrangers. L'art. 59 al. 3, 2e phrase, CPP, oblige en effet le juge d'instruction à rappeler l'existence de ce droit. Il est vrai que cette obligation n'existe qu'après 14 jours de détention. La formulation adoptée n'est peut-être pas heureuse et paraît être une réminiscence
BGE 116 Ia 295 S. 302
du système de la prolongation périodique qui a été abandonné. A vrai dire, lors de la fixation du délai en question, l'on a voulu tenir compte des garanties offertes au prévenu au moment de son arrestation, à savoir en particulier la mention obligatoire, dans le mandat d'arrêt à lui signifié, de son droit de recourir dans les 10 jours au Tribunal d'accusation (
art. 300 et 301 al. 1 CPP
; cf. Rapport de la commission, Bulletin des séances du Grand Conseil, p. 370). La rédaction de la disposition litigieuse ne permet donc pas de nourrir des craintes quant à l'institution d'une sorte de délai de garde à vue de 14 jours qui serait manifestement contraire à la liberté personnelle garantie par le droit constitutionnel non écrit. Dans une note du 17 juillet 1989, le juge d'instruction cantonal a du reste invité les juges d'instruction à faire apposer, sur les formulaires des mandats d'arrêt, l'indication - par le moyen d'un timbre humide ou en caractères gras de machine à écrire - que le prévenu peut demander en tout temps sa mise en liberté. La note précise que les formulaires officiels seront modifiés en ce sens une fois le stock actuel épuisé.
5.
Les recourants soutiennent en outre que le système de la "haute surveillance" institué à l'art. 61 de la novelle a été prévu pour empêcher que la prolongation de la détention préventive bénéficie des garanties de la procédure contradictoire qu'offrent au prévenu les art. 5 par. 4, 6 par. 3 let. a CEDH et 4 Cst. Cette surveillance d'office par le Tribunal d'accusation ne respecterait pas le droit d'être entendu du prévenu.
a) L'
art. 6 par. 3 let. a CEDH
donne à tout accusé le droit d'être informé, dans le plus court délai, dans une langue qu'il comprend et d'une manière détaillée, de la nature et de la cause de l'accusation portée contre lui. Du point de vue du droit à l'audition, ce texte conventionnel ne confère pas à l'intéressé des garanties supérieures à celles dont il peut se prévaloir sur la base de l'
art. 4 Cst.
(arrêt non publié Malé du 13 septembre 1988 consid. 2). Le grief tiré d'une violation de l'
art. 6 par. 3 let. a CEDH
n'a donc pas en l'espèce de portée propre.
Le droit d'être entendu déduit directement de l'
art. 4 Cst.
comporte le droit pour le justiciable de s'expliquer avant qu'une décision ne soit prise à son détriment, de fournir des preuves quant aux faits de nature à influer sur le sort de la décision, de participer à l'administration des preuves, d'en prendre connaissance et de se déterminer à leur propos (
ATF 115 Ia 11
consid. 2b,
ATF 114 Ia 99
consid. 2a et arrêts cités).
BGE 116 Ia 295 S. 303
b) La haute surveillance instituée à l'
art. 82 CPP
, dont la disposition critiquée règle l'exercice par le Tribunal d'accusation, est un contrôle purement interne du fonctionnement de l'appareil judiciaire. Elle permet au Tribunal d'accusation de s'assurer que la détention est justifiée et que le juge d'instruction conduit l'enquête avec diligence. Elle s'exerce d'office en tout temps, mais le nouveau droit exige du juge d'instruction qu'il fasse rapport périodiquement sur la détention des prévenus placés sous sa juridiction. Cette obligation de rapporter périodiquement est calquée sur la procédure de prolongation de la détention préventive qui a été abandonnée après que le Tribunal fédéral eut constaté qu'elle ne respectait pas suffisamment le droit d'être entendu du prévenu. L'abandon de ce système n'a, comme on l'a vu, pas restreint les droits du prévenu en détention préventive. Dans le nouveau système, la haute surveillance du Tribunal d'accusation est au contraire un complément aux garanties que l'
art. 59 CPP
offre au prévenu en détention. Celui-ci a, on le rappelle, le droit de recourir en toute connaissance de cause contre son arrestation et sa mise en détention préventive, ainsi que celui de demander en tout temps sa mise en liberté, une décision défavorable pouvant être déférée au Tribunal d'accusation. La surveillance d'office de cette autorité pourra jouer un rôle dans les cas où le prévenu ne se plaint pas d'un maintien en détention injustifié à ses yeux. La solution retenue est de toute évidence compatible avec l'
art. 5 par. 4 CEDH
. L'argumentation des recourants se fonde d'ailleurs essentiellement sur l'arrêt du Tribunal fédéral du 6 octobre 1988 (
ATF 114 Ia 281
) qui a conduit les autorités cantonales à modifier leur législation. Or, les solutions nouvelles ébauchées dans cet arrêt se situaient dans le cadre du système alors en vigueur de la prolongation périodique de la détention. Ce système ayant été abandonné au profit d'un autre qui se défend tout aussi bien, le grief de violation de l'
art. 4 Cst.
s'avère dénué de toute pertinence.
6.
Les recourants prétendent enfin que l'
art. 104 al. 1 CPP
viole l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH dans la mesure où il ne prévoit l'obligation de désigner un défenseur d'office au prévenu qu'après le 30e jour de la détention préventive. Ils estiment que cette mesure devrait être prise "au moment de la première prolongation de la détention préventive, soit après 14 jours".
a) L'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH donne à tout accusé le droit de se défendre lui-même ou d'avoir l'assistance d'un défenseur de son choix et, s'il n'a pas les moyens de rémunérer un défenseur, de
BGE 116 Ia 295 S. 304
pouvoir être assisté gratuitement par un avocat d'office, lorsque les intérêts de la justice l'exigent. Ces garanties ont pour objet de rendre la défense concrète et effective en raison du rôle éminent que le droit à un procès équitable joue dans la société démocratique (arrêts de la Cour européenne des droits de l'homme Pakelli du 25 avril 1983, série A, vol. 64 par. 31 et Artico du 13 mai 1980, série A, vol. 37 par. 33). La disposition conventionnelle précitée ne dit pas si le droit d'être assisté d'un défenseur doit être garanti dès la phase de l'instruction; la Commission européenne des droits de l'homme a cependant considéré que le défenseur de l'accusé doit pouvoir contrôler les actes du juge d'instruction, notamment en ce qui concerne les conditions de la détention préventive (THÉO VOGLER, Internationaler EMRK Kommentar, No 503 ad
art. 6 CEDH
n. 1).
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, l'inculpé a le droit de se faire désigner un défenseur d'office lorsqu'il ne s'agit pas d'un cas de peu d'importance et que l'affaire présente des difficultés de fait ou de droit dont l'appréciation dépasse les capacités de l'inculpé. Cette mesure est indispensable lorsque l'accusé est menacé d'une peine qui ne peut être assortie du sursis (
ATF 113 Ia 221
/222 consid. 3b,
ATF 111 Ia 83
consid. 2c et arrêts cités). Le défenseur ainsi désigné a le droit de conférer librement avec son client (
ATF 111 Ia 347
ss consid. 3d); en cas de défense obligatoire, la tenue de l'audience en l'absence de l'avocat constitue dans tous les cas une violation des droits de la défense (
ATF 113 Ia 223
). Le Tribunal fédéral a jugé aussi qu'une disposition du droit cantonal qui place dans le pouvoir d'appréciation du fonctionnaire ou du magistrat chargé de l'instruction l'admission du défenseur à l'interrogatoire du prévenu est conforme à la Constitution (
ATF 104 Ia 17
ss). Il a affirmé que dans les cas graves ou difficiles, l'
art. 4 Cst.
confère un droit à l'assistance judiciaire gratuite dès le stade de l'instruction (
ATF 111 Ia 81
ss), sans toutefois dire qu'il en va ainsi dès l'instant où une personne est placée en détention préventive (voir à ce propos les avis opposés de MARTIN SCHUBARTH, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, besonders bei Untersuchungshaft, Berne 1973, p. 224, et d'ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Berne 1985, p. 174).
b) L'
art. 104 CPP
modifié par la novelle du 22 mai 1989 respecte à tout le moins ces exigences du droit conventionnel et du droit constitutionnel. Il fait en effet obligation à l'autorité
BGE 116 Ia 295 S. 305
compétente de doter le prévenu d'un défenseur, non seulement comme dans l'ancien texte, dans toutes les causes où le Ministère public intervient, mais encore dans tous les cas où la détention préventive dure depuis plus de 30 jours. Hormis ces cas, le prévenu peut être pourvu d'un défenseur, même contre son gré, quand les besoins de la défense l'exigent, notamment pour des motifs tenant à sa personne ou en raison des difficultés particulières de la cause. Les objections des recourants s'inscrivent une nouvelle fois dans le contexte de l'ancien système de la prolongation périodique de la détention. Ils prétendent en effet que la désignation obligatoire d'un défenseur d'office après 30 jours créerait une "zone grise de deux semaines entre la première décision de prolongation de la détention préventive et la désignation du défenseur". Ce serait là "une période où un détenu a particulièrement besoin de défense, notamment parce que court le délai de recours contre la première décision de prolongation, souvent décisive". Ils se contentent pour le surplus d'affirmer que "la désignation d'un défenseur d'office, non obligatoire mais à la demande du détenu, doit être prévue dès le premier jour de la détention préventive". Le législateur cantonal ayant conçu de manière très large le droit du prévenu à un défenseur, qui doit notamment être désigné chaque fois que les besoins de la défense l'exigent, n'a manifestement pas violé l'
art. 6 par. 3 let
. c CEDH, ni l'
art. 4 Cst. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3c766499-4032-45b0-a662-686e46ede960 | Urteilskopf
105 IV 132
35. Urteil des Kassationshofes vom 21. Juni 1979 i.S. Statthalteramt Bülach gegen A. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 322 Ziff. 1 StGB
. Presseübertretungen.
Die Vorschrift, auf Druckschriften den Namen des Verlegers anzugeben, gilt nur unter dem Vorbehalt, dass ein Verleger überhaupt vorhanden ist. Begriff des Verlegers. | Sachverhalt
ab Seite 132
BGE 105 IV 132 S. 132
A.-
Eine Druckerei in Zürich stellte vor der Gemeinderatswahl in Bassersdorf vom 22. Januar 1978 zwei Flugblätter her, auf welchen jemand zur Wiederwahl in den Gemeinderat empfohlen wurde. Die Druckschriften, welche am 12. und 19. Januar 1978 in Bassersdorf an alle Haushaltungen verteilt wurden, gaben lediglich Drucker und Druckort an, ohne einen Verleger zu nennen.
B.-
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Bülach sprach deswegen den verantwortlichen Drucker A. am
BGE 105 IV 132 S. 133
17. November 1978 der fortgesetzten Übertretung von
Art. 322 Ziff. 1 StGB
schuldig und büsste ihn mit Fr. 150.-.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach ihn am 30. April 1979 von Schuld und Strafe frei.
C.-
Das Statthalteramt Bülach führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 322 Ziff. 1 StGB
sind auf Druckschriften, die nicht lediglich den Bedürfnissen des Verkehrs, des Gewerbes oder des geselligen oder häuslichen Lebens dienen, der Name des Verlegers und des Druckers und der Druckort anzugeben.
a) Wie das Bundesgericht entschieden hat, will diese Vorschrift die Belangung der gemäss
Art. 27 StGB
verantwortlichen Personen erleichtern, wenn durch das Mittel der Druckerpresse eine strafbare Handlung begangen wird (
BGE 70 IV 177
). Kommt demnach
Art. 322 StGB
im Verhältnis zu
Art. 27 StGB
Hilfsfunktion zu, kann er vernünftigerweise keine weiteren Anforderungen stellen, als zur Durchsetzung von
Art. 27 StGB
nötig ist. Wenn deshalb
Art. 322 StGB
neben der Nennung des Druckers und des Druckortes zusätzlich auch diejenige des Verlegers verlangt, so ist das im Lichte des
Art. 27 StGB
zu verstehen, der in Ziffer 2 bei nicht periodischen Druckschriften, deren Verfasser nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, den Verleger und, wenn ein solcher fehlt, den Drucker strafbar erklärt. Damit geht das Gesetz selber von der Möglichkeit aus, dass es bei solchen Druckschriften unter Umständen gar keinen Verleger gibt. Entsprechend ist auch
Art. 322 Ziff. 1 StGB
auszulegen und die kumulative Aufzählung von "Verleger und Drucker" unter den Vorbehalt zu stellen, dass solche Pressebeteiligte überhaupt vorhanden sind (C. LUDWIG, Schweizerisches Presserecht, S. 171).
b) Verleger im Sinne des Gesetzes ist, wer den Vertrieb der Druckschrift unter seiner Verantwortung besorgt. Die Tätigkeit des Verlegers charakterisiert sich als Vermittlung zwischen den Produzenten (Verfasser, Herausgeber, Drucker) und den Verbreitern (Sortimentsbuchhändlern, Kioskinhabern, Kolporteuren usw.). Daraus erhellt, dass der blosse Verteiler nicht
BGE 105 IV 132 S. 134
Verleger ist und dass die Tätigkeit des Verlegers dort entfallen kann, wo die Vermittlung zwischen Produzent und Verbreiter nach der Natur des Druckerzeugnisses nicht nötig ist. Das ist namentlich der Fall bei Flugblättern und Plakaten, bei denen regelmässig ein Verleger fehlt (HAFTER, Allgemeiner Teil, S. 501; LUDWIG, a.a.O. S. 171; M. REHBINDER, Schweizerisches Presserecht, S. 64). Wo das zutrifft, genügt ein Impressum der Vorschrift des
Art. 322 Ziff. 1 StGB
, wenn es den Drucker und den Druckort angibt.
2.
Von diesen Überlegungen ist auch die Vorinstanz ausgegangen. Sie hat den Begriff des Verlegers von demjenigen des blossen Verteilers zutreffend auseinandergehalten und die Unterstellung der fraglichen Flugblätter unter die Ursprungszeugnispflicht des
Art. 322 Ziff. 1 StGB
grundsätzlich zu Recht bejaht, von der nur die im Gesetz selber angeführten sogenannten harmlosen Druckwerke ausgenommen sind (LUDWIG, a.a.O., S. 170; REHBINDER, a.a.O., S. 49).
In tatsächlicher Hinsicht stellt die Vorinstanz fest, es könne den Akten nichts dafür entnommen werden, dass die Verfasser der Flugblätter deren Vertrieb in eigener Verantwortung übernommen hätten; sie seien höchstens als Verteiler tätig gewesen. Dem Beschwerdegegner sei es darum objektiv gar nicht möglich gewesen, den Namen eines Verlegers auf die Flugblätter zu drucken, weil ein solcher gefehlt habe. Ist von diesem für den Kassationshof verbindlichen Sachverhalt auszugehen, wurde der Beschwerdegegner zu Recht von der Anklage der Übertretung des
Art. 322 Ziff. 1 StGB
freigesprochen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c76e61a-9a51-410b-ac23-924fb6df3f5c | Urteilskopf
138 V 533
62. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen AXA Versicherungen AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_287/2012 vom 15. November 2012 | Regeste
Art. 13 Abs. 2 Bst. a, Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. i und Art. 14c Bst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (gültig gewesen bis 31. März 2012); gemeinschaftsrechtliche Kollisionsregeln bei gleichzeitiger Beschäftigung einer Person in mehreren Mitgliedstaaten.
Abkommensrechtlicher Anknüpfungspunkt im Falle eines sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz erwerbstätigen deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Deutschland, welcher in Deutschland einen Nichtberufsunfall erleidet (E. 2-5). | Sachverhalt
ab Seite 534
BGE 138 V 533 S. 534
A.
Die in der Schweiz domizilierte Firma X. AG verfügte für ihre Angestellten über eine obligatorische Unfallversicherung bei der AXA Versicherungen AG (nachfolgend: AXA). Mit Meldung vom 4. Februar 2010 zeigte sie einen Nichtberufsunfall des bei ihr tätigen, 1967 geborenen S., deutscher Staatsangehöriger, an, welchen dieser am 22. Januar 2010 anlässlich eines Spazierganges in Deutschland durch einen Sturz auf die rechte Hand erlitten hatte. Nach Abklärungen insbesondere zur Frage des Lebensmittelpunktes von S. lehnte die AXA eine Versicherungsdeckung mangels Wohnsitzes in der Schweiz ab (Verfügung vom 3. November 2010). Daran wurde auf Einsprache hin mit Entscheid vom 21. März 2011 festgehalten.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 15. Februar 2012).
C.
S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die AXA zu verpflichten, ihm die versicherten UVG-Leistungen auszurichten.
Während die AXA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
BGE 138 V 533 S. 535
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage von Art. 8 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112. 681) ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (
Art. 15 FZA
) Anhangs II ("Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit") FZA in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1) und die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.11) oder gleichwertige Vorschriften an.
Die beiden genannten gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen sind für die Schweiz durch den Beschluss Nr. 1/2012 des Gemischten Ausschusses vom 31. März 2012 zur Ersetzung des Anhangs II FZA über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit per 1. April 2012 in Kraft getreten (AS 2012 2345; vgl. auch Urteil 8C_455/2011 vom 4. Mai 2012 E. 2.1).
2.2
Mangels einer einschlägigen gemeinschafts- bzw. abkommensrechtlichen Regelung bestimmt sich die Frage nach schweizerischem Recht, ob das FZA und insbesondere dessen Anhang II zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in einem gerichtlichen Beschwerdeverfahren gegen eine vor dessen Inkrafttreten ergangene Verfügung für den Zeitraum ab Inkrafttreten des FZA anzuwenden ist, unter Vorbehalt der Grundsätze der Gleichwertigkeit und Effektivität gemäss Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). Nach der Praxis des Bundesgerichts ist die Prüfung einer streitigen Verwaltungsverfügung grundsätzlich auf den Zeitraum bis zu deren Erlass beschränkt; nachträgliche Sachverhalts- und Rechtsänderungen werden regelmässig nicht berücksichtigt (
BGE 128 V 315
). Dieser Grundsatz hat auch bezüglich der hievor dargelegten Neuerungen des Anhangs II zu gelten. Im vorliegenden Verfahren - der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin datiert
BGE 138 V 533 S. 536
vom 21. März 2011 - finden deshalb die bis Ende März 2012 in Kraft gestandenen Normen, namentlich die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung 1408/71), und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, Anwendung.
Art. 115a UVG
(SR 832.20) verweist in Abs. 1 lit. a auf das FZA und die erwähnten Koordinationsbestimmungen.
2.3
Das Abkommen und insbesondere die Verordnung 1408/71 sind in persönlicher Hinsicht auf den Beschwerdeführer anwendbar, weil er als deutscher Staatsbürger Angehöriger eines Mitgliedstaates ist und als Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten untersteht oder unterstand (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung 1408/71). Auch der sachliche Anwendungsbereich ist gegeben. Dieser bezieht sich gemäss Art. 4 Abs. 1 der Verordnung 1408/71 auf alle Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit, welche unter anderem Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft (lit. a) und bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (lit. e) betreffen. Dabei sind die in dieser Bestimmung enthaltenen Leistungsumschreibungen nicht nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts, sondern nach gemeinschaftsrechtlichen Kriterien zu verstehen (
BGE 134 V 284
E. 3.2 S. 288 mit Hinweisen). Sowohl Leistungen aus Berufs- wie auch solche aus Nichtberufsunfällen gemäss UVG fallen unter den Geltungsbereich der Verordnung 1408/71 (FRÉSARD/MOSER-SZELESS, L'assurance-accidents obligatoire, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2007, S. 854 Rz. 50 ff.; EDGAR IMHOF, Eine Anleitung zum Gebrauch des Personenfreizügigkeitsabkommens und der Vo 1408/71, in: Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, 2001, S. 74 f.; PATRICIA USINGER-EGGER, Die Unfallversicherung und ihre Auslandswirkung, SZS 2008 S. 253; vgl. zudem MÉTRAL/MOSER-SZELESS, L'accord sur la libre circulation des personnes: coordination des systèmes de sécurité sociale et jurisprudence du Tribunal fédéral [II], HAVE 2007 S. 164). Da die Schweiz als einziges Land der Vertragsstaaten des FZA Nichtberufsunfälle grundsätzlich obligatorisch durch das Unfallversicherungsrecht abdeckt, koordiniert die Verordnung 1408/71 das Risiko der
BGE 138 V 533 S. 537
Nichtberufsunfälle nicht (
BGE 136 V 182
E. 5.3.2 S. 188 f.; Urteil 8C_468/2009 vom 11. Mai 2010 E. 3.2; FRÉSARD/MOSER-SZELESS, a.a.O., S. 854 Rz. 51; USINGER-EGGER, a.a.O., S. 253; abweichend: SILVIA BUCHER, Die sozialrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts zum FZA und zu Anhang K des EFTA-Übereinkommens, SZS 2012 S. 209 ff., insb. S. 213 in fine f.; zur Unterstellung von Heilbehandlung und Taggeld bei Nichtberufsunfällen unter die Leistungen bei Krankheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. a und Titel III Kapitel I der Verordnung 1408/71:
BGE 136 V 182
E. 5.3.3 S. 189;
BGE 135 V 339
E. 4.4.1 S. 346 und E. 5.2 S. 349 sowie Urteil 8C_468/2009 vom 11. Mai 2010 E. 3.3; bislang offengelassen bezüglich der Zuordnung der Renten der Nichtberufsunfallversicherung:
BGE 136 V 182
E. 5.3.3-6.2 S. 189 ff.).
3.
3.1
Titel II der Verordnung 1408/71 (Art. 13-17a) enthält allgemeine Kollisionsregeln zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften. Dabei legt Art. 13 Abs. 1 den kollisionsrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften nach den Regeln gemäss Art. 13 Abs. 2 bis Art. 17a in dem Sinne fest, dass für jede betroffene Person die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates massgebend sind (
BGE 138 V 258
E. 4.2 S. 263 f. mit Hinweis). Ausnahmen vorbehalten, gilt für Arbeitnehmende das Beschäftigungslandprinzip. Dies trifft auch dann zu, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, den Wohn- oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Grundsatz der lex loci laboris; Art. 13 Abs. 2 Bst. a der Verordnung 1408/71;
BGE 136 V 244
E. 3.2.1 S. 247;
BGE 135 V 339
E. 4.3.1 S. 343; je mit Hinweisen; Urteil 8C_656/2009 vom 14. April 2010 E. 5.1).
3.2
Diese Bestimmung gelangt vorliegend unstreitig nicht zur Anwendung, da der Beschwerdeführer im massgeblichen Zeitpunkt nicht nur in der Schweiz (für die Firma X. AG [vgl. Gesamtkontoauszug der Ausgleichskasse des Kantons Aargau vom 29. Juni 2010, definitive Steuerveranlagung 2007 der Steuerkommission Y. vom 25. März 2010]) sondern auch in Deutschland (für die R. GmbH [vgl. E-Mail vom 21. Juli 2010, Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2009 des Finanzamtes I. vom 15. Dezember 2009, Schreiben des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers vom 12. September 2011]) erwerbstätig war.
BGE 138 V 533 S. 538
4.
4.1
Das kantonale Gericht hat alsdann in Nachachtung von Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. i der Verordnung 1408/71 die Wohnsitzsituation geprüft. Danach untersteht eine Person, die gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt ist, grundsätzlich den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Staates ausübt oder wenn sie für mehrere Unternehmen oder mehrere Arbeitgeber tätig ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten haben (Wohnsitzprinzip; vgl. dazu Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 25/05 vom 29. März 2006 E. 3.1, nicht publ. in:
BGE 132 V 310
, aber in: RKUV 2006 S. 206; EDGAR IMHOF, Über die Kollisionsnorm der Verordnung Nr. 1408/71 [anwendbares Sozialrecht, zugleich Versicherungsunterstellung], SZS 2008 S. 313 ff., insb. S. 328). Auf Grund der konkreten Verhältnisse ist es zum Schluss gelangt, dass sich der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers in Deutschland befinde. Dagegen wird letztinstanzlich opponiert.
4.2
Gemäss Art. 1 Bst. h der Verordnung 1408/71 definiert sich der Begriff "Wohnort" als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Davon ist der vorübergehende Aufenthalt zu unterscheiden (Art. 1 Bst. i der Verordnung 1408/71). Der Wohnort als gewöhnlicher Aufenthalt befindet sich an demjenigen Ort, an welchem eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensführung hat. Seine nähere Bestimmung kann von subjektiven oder objektiven Umständen abhängen. Bei subjektiver Bestimmung richtet sich der Wohnort nach dem Willen der betreffenden Person; bei objektiver Bestimmung richtet er sich nach den äusserlichen Lebensumständen, die notfalls auch gegen den erklärten Willen der betreffenden Person ins Feld geführt werden können (EBERHARD EICHENHOFER, in: Kommentar zum europäischen Sozialrecht, Maximilian Fuchs [Hrsg.], 4. Aufl. 2005, N. 30 f. zu Art. 1 Verordnung 1408/71; SILVIA BUCHER, Das FZA und Anhang K des EFTA-Übereinkommens in der sozialrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichts [1. Teil], in: Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2008/2009, Epiney/Gammenthaler [Hrsg.], S. 398 f.; PATRICIA USINGER-EGGER, Die soziale Sicherheit der Arbeitslosen in der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71 und in den bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und ihren Nachbarstaaten, 2000, S. 86 f.). Das Gemeinschaftsrecht lässt die Frage, wie der Wohnort zu bestimmen ist, weitgehend offen und überantwortet die nähere Definition dem jeweiligen nationalen Recht (vgl. Urteile des Gerichtshofs der
BGE 138 V 533 S. 539
Europäischen Gemeinschaften [EuGH] vom 13. November 1990 C-216/89
Reibold
, Slg. 1990 I-4163; vom 27. Mai 1982 C-227/81
Aubin,
Slg. 1982 S. 1991; vom 17. Februar 1977 C-76/76
Di Paolo,
Slg. 1977 S. 315). In der Rechtsprechung des Bundesgerichts beurteilt sich der Ort, wo die Person ihren Wohnsitz hat, ausschliesslich nach objektiven Kriterien, während der innere Wille der betreffenden Person nicht entscheidend ist (Urteil 5A_663/2009 vom 1. März 2010 E. 2.2.2). Dabei ist die familiäre Situation lediglich eines von verschiedenen Indizien. Massgebend sind auch Dauer und Kontinuität des Wohnens bis zur Aufnahme der Beschäftigung, die Dauer und die Modalität der Abwesenheit, die Art der im anderen Mitgliedstaat ausgeübten Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, an den Ort vor Aufnahme der Beschäftigung zurückzukehren (
BGE 138 V 186
E. 3.3.1 S. 191 f. mit Hinweisen; vgl. ferner Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 25/05 vom 29. März 2006 E. 4.1, nicht publ. in:
BGE 132 V 310
, aber in: RKUV 2006 S. 206).
4.3
Die Vorinstanz hat auf Grund der vorhandenen Indizien einen in der Schweiz begründeten Wohnsitz des Beschwerdeführers verneint. Als ausschlaggebend wertete sie namentlich den Umstand, dass, obgleich der Beschwerdeführer über eine Niederlassungsbewilligung C verfüge und sich zunächst, nachdem er am 22. Januar 2002 in die Schweiz eingereist sei, in der Gemeinde B. bzw. hernach - rückwirkend per 1. Januar 2010 - in M. angemeldet habe, verlässliche Anhaltspunkte für eine tatsächliche Wohnsitznahme an den jeweiligen Adressen fehlten. So seien weder er noch eine der Firmen, mit denen der Beschwerdeführer geschäftlich zu tun habe, der Verwalterin der von ihm in B. angeblich bewohnten Liegenschaft bekannt gewesen und habe er sich seine Post jeweils an ein Postfach schicken lassen. In M., wo er seit 2003 eine eigene Wohnung besitze, habe er sich nach Auskunft der übrigen Bewohner der Liegenschaft seit mindestens Herbst 2008 nicht mehr aufgehalten; im April 2009 sei denn auch der Immobilienfirma T. ein entsprechender Vermietungsauftrag erteilt worden. Sodann habe sich der Unfall vom 22. Januar 2010 auf einem Wanderweg in der - von M. knapp 400 km entfernt gelegenen - deutschen Gemeinde A. ereignet und hätten die nachfolgenden ärztlichen Behandlungen (vom 25. und 26. Januar, 6. und 24. Februar sowie 16. März 2010) unstreitig ebenfalls dort stattgefunden. In O., welche Ortschaft rund 15 km ausserhalb von A. liegt, lebten die Eltern des Beschwerdeführers und verfüge auch er über
BGE 138 V 533 S. 540
eine Wohnadresse. Ferner verbänden ihn diverse geschäftliche Beziehungen mit Deutschland, indem sowohl die Firma R. GmbH als auch die Gesellschaften E. GmbH sowie W. GmbH, an welchen der Beschwerdeführer als Geschäftsführer und/oder Gesellschafter beteiligt sei, in A. domiziliert seien. Schliesslich habe der Beschwerdeführer 2009 in Deutschland Steuern bezahlt und sei dort krankenversichert. Zusammenfassend kam das kantonale Gericht zum Schluss, dass es vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden sei, wenn der Unfallversicherer den Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers in Deutschland angenommen und einen schweizerischen Wohnsitz verneint habe. Die Tatsache allein, dass er hierzulande formell angemeldet sei, stelle das einzige Indiz für einen Aufenthalt in der Schweiz dar. Sämtliche übrigen Tatsachen sprächen für einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder zumindest gegen einen solchen in der Schweiz. Die Schweiz erscheine trotz formeller Anmeldung und Niederlassungsbewilligung als blosses Briefkasten-Domizil, während das Zentrum seines Lebens sich überwiegend wahrscheinlich in A. befinde.
4.3.1
Die vorinstanzliche Würdigung der objektiven Lebensumstände des Beschwerdeführers weist keine augenfälligen Mängel auf, welche eine offensichtliche Unrichtigkeit oder eine Unvollständigkeit der diesbezüglichen Feststellungen zu begründen vermöchten (zur eingeschränkten Kognition des Bundesgerichts: nicht publ. E. 1.2.1 und 1.2.2). Vielmehr sprechen die äusseren Gegebenheiten mit dem kantonalen Gericht und der Beschwerdegegnerin jedenfalls für den Zeitraum ab Herbst 2008 überwiegend wahrscheinlich für einen Wohnsitz in Deutschland. Zusätzlich untermauert wird diese Betrachtungsweise durch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer trotz bei Wohnsitz in der Schweiz bestehendem Krankenpflegeversicherungsobligatorium (im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 KVG
in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 KVV
[SR 832.102]) lediglich in Deutschland über eine Krankenversicherung verfügt; er macht auch nicht geltend, er habe sich in Wahrnehmung des sog. Optionsrechts unter Hinweis auf eine in Deutschland existierende gleichwertige Absicherung für den Krankheitsfall vom schweizerischen Krankenversicherungsobligatorium befreien können (zum Ganzen:
BGE 135 V 339
E. 4.3.2 und 4.3.3 S. 343 f. samt dortigen Hinweisen; ferner SILVIA BUCHER, Die sozialrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts zum FZA und zu Anhang K des EFTA-Übereinkommens, SZS 2012 S. 209 ff., insb. S. 230). In der Gemeinde M. hat er sich alsdann erst am 30. August 2010 - unter dem Eindruck der sich im UVG-Verfahren
BGE 138 V 533 S. 541
abzeichnen den Wohnortproblematik - rückwirkend auf 1. Januar 2010 angemeldet. Der Beschwerdeführer ist im Weiteren nicht nur als Eigentümer der Wohnung in M., sondern auch einer Liegenschaft in A. verzeichnet (so gemäss "Details zur Steuerveranlagung 2008" der Abteilung Steuern der Stadt B. vom 16. Dezember 2011). Dass diese fremdvermietet sein soll, wie in der Beschwerde postuliert, ändert insoweit nichts am vorstehenden Ergebnis, als für die Eigentumswohnung in der Schweiz ebenfalls Mietzinseinnahmen verbucht wurden. Schliesslich stösst auch das Argument ins Leere, die Beschwerdegegnerin habe sich durch die jahrelange Annahme von Prämien treuwidrig verhalten. Dem Unfallversicherer kann in Anbetracht der komplexen Lebenssituation des Angestellten ihrer Vertragspartnerin, der X. AG, nicht vorgeworfen werden, sie habe bei Eingehen bzw. Fortführung des Versicherungsverhältnisses nicht die den Umständen gebührende Sorgfalt walten lassen.
4.3.2
Es hat damit grundsätzlich mit der Feststellung im angefochtenen Entscheid sein Bewenden, dass Anhaltspunkte für einen gewollten und gelebten dauernden Aufenthalt in der Schweiz fehlen und daher von einem Wohnsitz in Deutschland auszugehen ist.
5.
Zu berücksichtigen gilt es indes ferner, dass der Beschwerdeführer zwar unbestrittenermassen in der Schweiz unselbstständig (bzw. "abhängig") erwerbstätig ist. Mit dem Argument, er sei auf Grund seiner Beschäftigung für die ihm infolge der tatsächlichen Besitzverhältnisse (faktisch) gehörende R. GmbH bezüglich seines sozialversicherungsrechtlichen Status in Deutschland als Selbstständigerwerbender qualifiziert, votiert der Beschwerdeführer jedoch für die Beurteilung des Leistungsanspruchs auf der Basis schweizerischer Rechtsvorschriften.
5.1
Eine Person, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbstständige Tätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie eine abhängige Beschäftigung ausübt (Art. 14c Bst. a der Verordnung 1408/71; die in Abschnitt A Ziff. 1 Bst. p Anhang II FZA in Verbindung mit Art. 14c Bst. b und Anhang VII der Verordnung 1408/71 vorgesehene Sonderregelung steht vorliegend ausser Frage [Erfordernis der selbstständigen Erwerbstätigkeit in der Schweiz]).
5.2
Für die Anwendung der Art. 14a ("Sonderregelung für andere Personen als Seeleute, die eine selbstständige Tätigkeit ausüben") und
BGE 138 V 533 S. 542
14c der Verordnung 1408/71 sind unter "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" bzw. "selbstständiger Tätigkeit" diejenigen Tätigkeiten zu verstehen, die im Rahmen der Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet die Tätigkeit ausgeübt wird, als solche angesehen werden (Urteile des EuGH vom 30. Januar 1997 C-340/94
de Jaeck,
Slg. 1997 I-461 Randnrn. 9, 28 sowie 34; vom 30. Januar 1997 C-221/95
Hervein und Hervillier SA
, Slg. 1997 I-609 Randnrn. 17 und 22; ferner HEINZ-DIETRICH STEINMEYER, in: Kommentar zum europäischen Sozialrecht, Maximilian Fuchs [Hrsg.],4. Aufl. 2005, N. 1 in fine zu Art. 14c Verordnung 1408/71). Es bestehen mithin keine vertragsautonomen Definitionen - im Sinne einer eigenständigen gemeinschaftsrechtlichen Bedeutung (vgl. aufgeführtes Urteil des EuGH C-340/94, Randnr. 28) -, sondern es sind die Begriffsbestimmungen im jeweiligen Landesrecht massgeblich. Im genannten Urteil des EuGH C-221/95 etwa übte die am Recht stehende Person in Frankreich und in Belgien die gleichen Tätigkeiten aus (Vorsitzende, Mitglied oder geschäftsführendes Mitglied des Verwaltungsrates verschiedener Firmen); während sie in Frankreich in dieser Funktion als unselbstständig erwerbstätig eingestuft wurde, erfassten sie die Belgier als Selbstständigerwerbende. Es ist somit denkbar, dass Deutschland eine Tätigkeit, die aus schweizerischer Optik als unselbstständig einzuordnen wäre, als selbstständig deklariert. Ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass das deutsche Recht für die steuer- und die sozialversicherungsrechtliche Qualifikation je unterschiedliche Anknüpfungskriterien vorsieht.
5.2.1
Den vorhandenen Akten lassen sich gewisse Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beschwerdeführer auch in Deutschland als abhängig Erwerbstätiger klassifiziert wird: So fungieren als Gesellschafter der R. GmbH K. und D., wohingegen der Beschwerdeführer lediglich als Geschäftsführer registriert ist. Sodann wird im "Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2009" des Finanzamtes I. vom 15. Dezember 2009 unter der Rubrik "Anschrift des Arbeitgebers" die R. GmbH und gleichenorts der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Gesellschaft aufgeführt. Ebenso wurden die entsprechenden Einkünfte gemäss der definitiven Steuerveranlagung 2007 der Steuerkommission B. vom 25. März 2010 als aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit stammend taxiert. Aus der Lohnsteuerbescheinigung wird jedoch auch ersichtlich, dass in Deutschland keine Sozialversicherungsbeiträge abgezogen worden sind, sondern einzig die Lohnsteuer. Dieser Umstand deutet eher auf
BGE 138 V 533 S. 543
eine jedenfalls in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht selbstständige Stellung des Beschwerdeführers hin.
5.2.2
Da sich nach dem Gesagten auf Grund der existierenden Unterlagen nicht abschliessend feststellen lässt, ob der Beschwerdeführer vom deutschen Sozialversicherungssystem als Selbst- oder Unselbstständigerwerbstätiger erfasst wurde, ist die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie die entsprechenden Abklärungen an die Hand nehme. Kommt sie zum Schluss, dass er als Selbstständigerwerbender zu klassifizieren ist, erfolgt die Anknüpfung gemäss Art. 14c Bst. a der Verordnung 1408/71 auf Grund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in welchem der Beschwerdeführer seine abhängige Beschäftigung ausübt, d.h. derjenigen der Schweiz. Resultiert aus den zusätzlichen Erhebungen das Ergebnis, dass sowohl für die Schweiz als auch für Deutschland von abhängigen Beschäftigungen auszugehen ist, entscheidet sich die Frage der Unfallversicherungsdeckung grundsätzlich nach Massgabe der Rechtsnormen des Wohnsitzstaates des Beschwerdeführers (E. 4.1 hievor). Zu berücksichtigen wäre hierbei indes auch das Urteil des EuGH vom 24. Juni 1975 8/75
Caisse primaire d'assurances maladie de Sélestat gegen Association du football club d'Andlau
, Slg. 1975 S. 739, insb. 747 f. Randnrn. 3-11, wonach die Anknüpfung an die Vorschriften des Wohnsitzstaates voraussetzt, dass die betroffene Person für ihre Tätigkeit dem dortigen System der sozialen Sicherheit angeschlossen ist, andernfalls die Rechtsnormen des anderen Beschäftigungsstaates gelten (vgl. auch STEINMEYER, a.a.O., N. 28 zu Art. 14 Verordnung 1408/71). Sollte ein derartiger Anschluss des Beschwerdeführers in Deutschland nicht gegeben sein, müsste vor dem Hintergrund, dass die die Risiken Krankheit und Mutterschaft betreffenden Art. 18-36 der Verordnung 1408/71 (Kapitel I) auch die Pflegeleistungen (und Taggelder) bei Nichtberufsunfällen erfassen (vgl. E. 2.3 hievor), ferner geprüft werden, ob der Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der DKV Deutsche Krankenversicherung AG über eine private Krankenversicherung verfügt, nicht dennoch die Kostentragung durch den deutschen Krankenversicherer gewährleistete (dazu auch
BGE 135 V 339
E. 4.4.1 S. 346 mit Hinweisen). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3c78f7e0-58fc-406e-989d-0779d69dec7f | Urteilskopf
104 II 190
31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Juni 1978 i.S. American Express Bank (Switzerland) AG gegen Frau X. | Regeste
Kontokorrentverhältnis.
1.
Art. 117 Abs. 2 OR
. Voraussetzungen (E. 2a) und Wesen (E. 2c) der Neuerung. Anfechtung des anerkannten Saldos (E. 3a).
2.
Art. 55 ZGB
. Organhaftung (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 191
BGE 104 II 190 S. 191
A.-
X. hatte bei der Basler Filiale der American Express International Banking Corporation Hartford und New York ein Dollarkonto mit der Bezeichnung 27'903/919 Linda (im folgenden: Linda). Die das Konto betreffende Korrespondenz hatte die Bank banklagernd aufzubewahren. Am 16. Februar 1972 wurde auf Veranlassung Kriegs, eines damaligen Direktors der Bank, der Betrag von Dollars 38'000.- dem Konto eines Dritten belastet und dem Konto Linda gutgeschrieben. Als Auftraggeber wurde "un de nos clients" genannt. Im Kontoauszug vom 29. Februar 1972 wurde der Betrag mit dem Vermerk "transfer received" ins Haben eingestellt.
Dasselbe wiederholte sich im Jahre 1974 hinsichtlich weiterer Dollars 10'000.-. Auch dieser Betrag wurde unter Belastung des Kontos eines Dritten dem Konto Linda auf Grund eines "Telephonic order of payment" Kriegs gutgeschrieben. Alsdann wurde er im Kontoauszug vom 31. Januar 1974 als "transfer" ins Haben eingestellt.
Nach dem Tode des X. wurde das Konto Linda auf seine Ehefrau überschrieben. Diese liess im November 1974 den Saldo auf das neu eröffnete Konto Louis 11'426 (im folgenden: Louis) übertragen. Nach wie vor waren Korrespondenzen banklagernd zu Gunsten des Kontoinhabers zurückzubehalten.
Im Laufe des Jahres 1974 bemerkte die Bank, dass ihr Direktor Krieg unbefugterweise Gelder zwischen verschiedenen Kundenkonten verschoben hatte. Am 2. Oktober 1974 teilte sie deshalb Frau X. mit, man habe festgestellt, dass auch hinsichtlich ihres Kontos Unregelmässigkeiten vorgekommen seien. Diese würden indes gründlich abgeklärt. Die Bank werde alsdann für alle gerechtfertigten Ansprüche aufkommen ("... to honor all legally justifiable claims...").
Weiterhin legte die Bank der Frau X. Kontoauszüge ins Bankfach, ohne dass deren Saldo im Hinblick auf die erwähnten Gutschriften je geändert wurde. Nachdem aber Frau X. das Konto
BGE 104 II 190 S. 192
Louis aufgehoben hatte, erschien im letzten Kontoauszug per 31. August 1975 eine mit als "Vergütungsauftrag" bezeichnete Belastung im Betrage von Dollars 48'000.-. Es handelte sich dabei um die Rückbelastung der beiden Gutschriften durch die Bank.
B.-
Unterm 11. Juni 1976 klagte Frau X. beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die American Express Bank (Switzerland) AG, hinsichtlich der Zweigniederlassung Basel die Rechtsnachfolgerin der American Express International Banking Corporation Hartford und New York. Mit Urteil vom 14. Dezember 1977 sprach das Handelsgericht der Klägerin US Dollars 48'000.- nebst Zins zu 5% seit dem 29. August 1975 zu. Eine von der Beklagten gegen das handelsgerichtliche Erkenntnis erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 24. April 1978 ab, soweit es auf sie eintrat.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung erklärt. Sie beantragt Abweisung der Klage; allenfalls sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin trägt auf Abweisung der Berufung an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte erklärt die Beschwerdeschrift an das Kassationsgericht zum "integrierenden Bestandteil" ihrer Berufungsschrift. Solche Verweisungen sind nach ständiger Rechtsprechung indes unbeachtlich, da in der Berufungsschrift selbst darzulegen ist, welche Bundesrechtssätze das angefochtene Urteil verletze und inwiefern dies zutreffe (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
;
BGE 100 II 205
E. 1, 290 oben,
BGE 97 II 163
E. 1,
BGE 92 II 67
,
BGE 89 II 414
E. 6,
BGE 84 II 110
E. 1). Entsprechendes gilt auch für die Berufungsantwort, soweit mit ihr auf die klägerischen Ausführungen vor Handelsgericht verwiesen wird.
2.
a) Fest steht, dass vorliegend Forderungen und Gegenforderungen aus dem gegenseitigen Geschäftsverkehr nicht einzeln geltend gemacht, sondern gegeneinander verrechnet wurden, wobei der Saldo jeweils monatlich gezogen wurde. Zu Recht geht die Vorinstanz unter diesen Umständen davon aus, dass zwischen den Parteien ein Kontokorrentverhältnis bestanden habe (vgl.
BGE 100 III 82
E. 3 mit Hinweisen).
Die umstrittenen Dollars 38'000.- wurden dem Konto Linda im Februar 1972, die Dollars 10'000.- im Januar 1974 gutgeschrieben. Die Klägerin behauptet, dass es sich dabei um Beträge handle,
BGE 104 II 190 S. 193
die ihr Ehemann seinerzeit dem Direktor Krieg, mit dem er in einem Vertrauensverhältnis gestanden sei, bar übergeben habe. Krieg habe die entsprechenden Gutschriften aber erst auf wiederholte Vorstellungen hin veranlasst. Nach den Feststellungen der Vorinstanz tat er das, indem er zwei fremde Konten belasten liess. Hinsichtlich der beiden umstrittenen Beträge beruft sich die Klägerin auf Neuerung, weil sie die ihr von der Bank zugestellten Saldomeldungen jeweils anerkannt habe. In der Tat ist bei einem Kontokorrentverhältnis gestützt auf
Art. 117 Abs. 2 OR
Neuerung anzunehmen, wenn der Saldo gezogen ist und von beiden Parteien anerkannt wird. Solche Neuerungen sind vorliegend deshalb insoweit gegeben, als die Klägerin bzw. ihr Ehemann nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, dass der jeweils gezogene Saldo auch von der Bank anerkannt werde. Das traf jedenfalls solange zu, als die Bank dem Kontoinhaber vorbehaltslos Saldomeldungen zukommen liess. Unter Hinweis auf den Vermerk "S. E. & O." (salvo errore et omissione) dieser Saldomeldungen behauptet die Berufung, dass mit jedem Kontoauszug ein Vorbehalt angebracht worden sei. Das ist jedoch nicht richtig. Der fragliche Vermerk, mit dem nur zum Ausdruck gebracht werden soll, dass ein allfälliger Irrtum vorbehalten werde, ist nämlich ohne rechtliche Bedeutung, da im Falle eines Irrtums ohnehin die gesetzlichen Vorschriften betreffend Willensmängel zum Zuge kämen (ALBISETTI/BODMER/ BOEMLE/GSELL/RUTSCHI, Handbuch des Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz, 1977, S. 347 und 535; BECKER, N. 4 zu
Art. 117 OR
; vgl. auch
BGE 96 II 26
E. 1). In diesem Zusammenhang weist die Berufung aber auch auf das Schreiben der Beklagten vom 2. Oktober 1974 hin, mit welchem diese die Klägerin darauf aufmerksam machte, dass hinsichtlich ihres Kontos Unregelmässigkeiten vorgekommen seien. Die Vorinstanz meint dazu, die Klägerin habe darin bezüglich der später gezogenen Saldi nach Treu und Glauben keinen Vorbehalt sehen müssen, da die umstrittenen Habenposten auch in den späteren Kontoauszügen nach wie vor ohne entsprechenden Vorbehalt aufgeführt worden seien. Letzteres ist ein offensichtliches Versehen, das gestützt auf
Art. 63 Abs. 2 OG
zu berichtigen ist. Aus den bei den Akten liegenden Kontoauszügen ergibt sich nämlich, dass von Monat zu Monat nur der jeweilige Saldo übertragen wurde, nicht aber die "umstrittenen Habenposten". Richtig ist aber, was die Vorinstanz offenbar zum Ausdruck
BGE 104 II 190 S. 194
bringen wollte, dass diese Saldi im Hinblick auf die umstrittenen Gutschriften von der Bank nie korrigiert und auch nicht mit einem Vorbehalt versehen wurden. Im übrigen ist die von der Vorinstanz vertretene Rechtsauffassung aber unhaltbar. Nach Erhalt des Briefes vom 2. Oktober 1974 wusste die Klägerin, dass hinsichtlich der ihr Konto betreffenden Unregelmässigkeiten eine Untersuchung angehoben war. Dass bei diesem Stand der Dinge keine Beträge genannt werden konnten, lag auf der Hand; ebenso musste die Klägerin davon ausgehen, dass die angekündigte Untersuchung einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Unter diesen Umständen durfte sie hinsichtlich der Saldi der auf das Schreiben vom 2. Oktober 1974 folgenden Kontoauszüge nicht mehr - jedenfalls nicht ohne vorherige Rückfrage - annehmen, sie seien von der Bank im Sinne von
Art. 117 Abs. 2 OR
anerkannt. Dass die folgenden Kontoauszüge keine Vorbehalte enthielten, hilft deshalb angesichts der unmissverständlichen Hinweise in besagtem Schreiben nichts. Demgegenüber nimmt die Vorinstanz bezüglich der Saldomeldungen bis und mit September 1974 zu Recht an, dass die Bank mit ihrer vorbehaltlosen Zustellung nach den Regeln von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr zum Ausdruck brachte, dass sie die entsprechenden Saldi anerkenne. Da diese jeweils auch von der Klägerin und ihrem Ehemann - stillschweigend - anerkannt wurden, trat nach der gesetzlichen Vorschrift von
Art. 117 Abs. 2 OR
Neuerung ein. Hinsichtlich des Betrages von Dollars 38'000.- war das somit der Fall, als der Kontoauszug per Februar 1972 zugestellt und dergestalt anerkannt wurde, hinsichtlich des Betrages von Dollars 10'000.- mit Zustellung und Anerkennung des Kontoauszuges von Januar 1974.
Dieser Schlussfolgerung sucht die Berufung mit dem Einwand zu begegnen, dass die Klägerin bzw. ihr Ehemann von den fraglichen Kontoauszügen keine Kenntnis gehabt hätten, da sie ihnen jeweils ins Bankfach gelegt worden seien. Demzufolge hätten sie aus den Kontoauszügen auch nichts ableiten können. Indes geht das fehl. Wenn eine Bank sich darauf einlässt, dass die mit ihren Kunden gewechselte Korrespondenz, insbesondere die monatlichen Saldomeldungen, ins Bankfach gelegt werden, so muss sie sich nach Treu und Glauben alles, was der Kunde aus den betreffenden Schreiben ableiten durfte und ableiten musste, entgegenhalten lassen, wie wenn der Kunde sie selbst entgegengenommen hätte. Eine andere Lösung wäre mit einem geordneten
BGE 104 II 190 S. 195
Geschäftsverkehr nicht zu vereinbaren. Insbesondere könnten die monatlich gezogenen Saldi nicht als genehmigt angesehen werden, so dass auch die Bank über den Stand der Konten im Ungewissen wäre.
b) Die Berufung wirft der Klägerin bösen Glauben vor. Sie habe nämlich gewusst, dass die von ihr behaupteten Einzahlungen von Dollars 48'000.- nie getätigt worden seien. Damit ist die Beklagte aber nicht zu hören, weil sie sich hiefür nicht auf eine entsprechende tatsächliche Feststellung des angefochtenen Urteils stützen kann. Dieses schliesst ein solches Wissen im Gegenteil aus, indem es erklärt, die Klägerin habe nach Treu und Glauben annehmen dürfen, die Bank ziehe die fraglichen Gutschriften nicht in Zweifel.
c) Per 31. Juli 1975 betrug der Saldo auf dem Konto Louis Dollars 1'102.60. Nachdem im August 1975 der Gegenwert zweier "Certificates of Deposit" eingegangen war, schrieb die Bank der Klägerin unter dem Vermerk "Wertschriften" den Betrag von Dollars 137'242.50 gut, um anschliessend das Konto mit dem umstrittenen Betrag von Dollars 48'000.- zu belasten, welchen Vorgang sie als "Vergütungsauftrag" bezeichnete.
In diesem Zusammenhang bringt die Berufung vor, der Saldo des Kontos Louis habe stets sehr viel weniger als Dollars 48'000.- betragen, weshalb die Vorinstanz diesen Betrag nicht "aus Novation" habe zusprechen dürfen. Sodann wird unter Hinweis auf einen Brief der Beklagten an die Klägerin vom 2. Juli 1975 erklärt, diese sei damit einverstanden gewesen, dass die Bank die beiden "Certificates of Deposit" zurückbehalten habe. Für die Bank sei es somit vorerst nicht erforderlich gewesen, das klägerische Konto mit dem umstrittenen Betrag von Dollars 48'000.- zu belasten. Unmittelbar nach dem Eingang des Gegenwertes der beiden Wertschriften habe die Beklagte das dann aber getan.
Zugunsten der Beklagten lässt sich aus diesen Umständen jedenfalls nichts ableiten. Entscheidend ist, dass nach dem Gesagten hinsichtlich der vor Oktober 1974 gezogenen Saldi Neuerung anzunehmen ist, dass also bis September 1974 Monat für Monat eine alte Schuld durch Begründung einer neuen getilgt wurde (
Art. 116 Abs. 1 OR
). Ob diese Saldi den Betrag von Dollars 48'000.- je erreichten, ist unerheblich, denn die in einem Kontokorrentverhältnis in die Rechnung aufgenommenen einzelnen Forderungen und Gegenforderungen gehen durch Verrechnung unter (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen
BGE 104 II 190 S. 196
Obligationenrechts Band II, S. 184) während im Betrage des dabei sich ergebenden Saldos eine neue Forderung begründet wird (
Art. 116 Abs. 1 und
Art. 117 Abs. 2 OR
). Anerkannte die Beklage aber, dass die umstrittenen Gutschriften von insgesamt Dollars 48'000.- bei der Berechnung solcher Saldi berücksichtigt wurden, so durfte sie darauf nicht wieder zurückkommen, indem sie den entsprechenden Betrag einfach wieder ins Soll einer späteren Rechnung einstellte. Unerheblich ist somit auch, ob die Klägerin damit einverstanden war, dass die Beklagte die beiden "Certificates of Deposit" als Sicherheit für den Gegenwert der umstrittenen Gutschriften zurückbehielt. Dass die Klägerin damit die von der Beklagten erhobene Forderung anerkannt hätte, wird nicht behauptet und ist auf Grund der gegebenen Umstände auch nicht anzunehmen.
3.
a) Die Anerkennung des Kontokorrentsaldos hat allerdings nicht zur Folge, dass auf bei der Saldoziehung versehentlich berücksichtigte bzw. nicht berücksichtigte Posten schlechthin nicht mehr zurückgekommen werden könnte. Neuerung, wie sie nach
Art. 117 Abs. 2 OR
eintritt, setzt nämlich den Rechtsbestand der Forderung voraus, auf der sie beruht (vgl. GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, S. 270). Im Betrage des anerkannten Saldos liegt ein Schuldbekenntnis ohne Angabe eines Verpflichtungsgrundes vor (
Art. 17 OR
). Das führt dazu, dass diejenige Partei, die die Richtigkeit des anerkannten Saldos bestreiten will, seine Unrichtigkeit zu beweisen hat. Auch wird mit der Anerkennung des Saldos auf Einwendungen gegen versehentliche Buchungen nicht verzichtet (
BGE 100 III 85
E. 6; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, S. 186). Anderseits bedeutet die Anerkennung des Saldos, dass hinsichtlich der in der Kontokorrentrechnung aufgeführten Posten auf die Geltendmachung bereits bekannter Willensmängel sowie streitiger oder ungewisser, aber nicht ausdrücklich vorbehaltener Einreden verzichtet werde (GUHL/MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 270; VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 186).
b) Die Vorinstanz meint, es könne offen bleiben, ob für die beiden umstrittenen Gutschriften ein Rechtsgrund bestanden habe. Hiegegen wendet sich die Berufung vor allem. Ihre Rüge,
Art. 8 ZGB
sei verletzt, wäre nach dem Gesagten an sich zu prüfen, nämlich hinsichtlich allfälliger tatsächlicher Behauptungen der Beklagten über den Nichtbestand der anerkannten
BGE 104 II 190 S. 197
Forderungen oder über Willensmängel anlässlich der Anerkennung der fraglichen Saldi. Solches erweist sich indes nicht als erforderlich.
Die Vorinstanz führt nämlich aus, Krieg sei im fraglichen Zeitpunkt Direktor der American Express International Banking Corporation gewesen, weshalb sich die Beklagte sein Wissen und Wollen im Sinne von
Art. 55 ZGB
anrechnen lassen müsse. Mit Recht bestreitet die Berufung das nicht, ist doch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unter anderem derjenige als Organ anzusehen, der unter der Aufsicht des obersten Verwaltungsausschusses einer juristischen Person deren eigentliche Geschäftsführung besorgt oder sich sonst in leitender Stellung betätigt (
BGE 87 II 187
E. 2,
BGE 81 II 226
,
BGE 72 II 65
,
BGE 68 II 289
E. 3, 301 E. 4,
BGE 65 II 6
E. 3). Letzteres traf auf Krieg aber offensichtlich zu. Der Einwand der Berufung, Krieg sei nur kollektivzeichnungsberechtigt gewesen und habe deshalb die Beklagte weder mit seiner alleinigen Unterschrift noch mit den von ihm veranlassten unterschriftslosen Auszügen verpflichten können, ist unbehelflich. Für die Frage, ob sich die Beklagte Kriegs Wissen im Sinne von
Art. 55 ZGB
anrechnen lassen muss, spielt der Umstand, dass er nicht allein zeichnungsberechtigt war, keine Rolle (
BGE 89 II 251
; EGGER, N. 17 und 18 zu Art. 54/55 ZGB).
In tatsächlicher Hinsicht stellt die Vorinstanz für das Bundesgericht sodann verbindlich fest, dass Krieg den Grund oder die Grundlosigkeit der von ihm veranlassten Gutschriften kannte und selbst nicht irrte. Muss sich aber die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin nach dem Gesagten das Wissen Kriegs anrechnen lassen, so scheidet hinsichtlich der fraglichen Gutschriften ein wesentlicher Irrtum sowie eine Täuschung der Bank durch die Eheleute X. ohne weiteres aus. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz auch offen lassen, wie es sich mit dem Rechtsgrund dieser Gutschriften verhalte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. Dezember 1977 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c799a63-0840-4210-8a0d-311cb4dd867b | Urteilskopf
113 II 323
60. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Juni 1987 i.S. Frau X. und ihre drei Kinder gegen Versicherungsgesellschaft Z. (Berufung) | Regeste
Zusammenstoss von zwei Lastwagen, Tod eines Lenkers, Haftung.
1.
Art. 59 Abs. 2 SVG
und
Art. 44 Abs. 1 OR
. Verteilung des Schadens auf die Haftpflichtigen: Bedeutung des beidseitigen Verschuldens (E. 1) und der Betriebsgefahren, wenn es um solidarische Haftung geht und eine der beiden Halterfirmen sich auf das Privileg des
Art. 129 Abs. 2 KUVG
berufen kann (E. 2).
2.
Art. 45 Abs. 3 OR
. Versorgerschaden der Witwe: Massgebliches Einkommen, Bedeutung und Berechnung der Teuerung (E. 3a); Ermittlung der Witwenquote (E. 3b); Abzug wegen Aussichten auf eine Wiederverheiratung (E. 3c); Berechnung des Schadens durch Kapitalisierung, anzurechnende Renten (E. 4).
3.
Art. 45 Abs. 1 OR
. Bestattungskosten: Umstände, unter denen Auslagen für Trauerkleider voll zu berücksichtigen sind; die Kosten für den Grabunterhalt sind nicht zu ersetzen (E. 5).
4.
Art. 47 OR
. Genugtuungssummen bei Unfalltod des Versorgers, Angemessenheit der Summen (E. 6).
5. Vorprozessuale Anwaltskosten unterliegen in Haftpflichtprozessen der allgemeinen Herabsetzung gemäss
Art. 59 Abs. 2 SVG
(E. 7).
6. Zahlungen der belangten Haftpflichtversicherung sind vorweg auf die bereits fälligen Zinsen und nur im Restbetrag auf die Hauptforderung anzurechnen (E. 8).
7.
Art. 157 OG
und
Art. 42 Abs. 2 OR
. Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens durch das Bundesgericht; Bedeutung des Veranlassungsprinzips, der finanziellen Lage der Parteien und des Schadensnachweises (E. 9). | Sachverhalt
ab Seite 325
BGE 113 II 323 S. 325
A.-
Am 9. Dezember 1980, etwa um neun Uhr, fuhr X. mit einem Lastwagen seiner Arbeitgeberin, der Firma A., auf der Autobahn von Sissach Richtung Egerkingen. Nach 133 m Fahrt im Ebenrain-Tunnel, der in einer leichten Rechtsbiegung der Autobahn liegt, prallte er mit seinem Fahrzeug gegen einen stillstehenden Lastenzug, bestehend aus einem Volvo-Lastwagen und einem Anhänger. X. wurde auf der Stelle getötet. Er war damals 36 Jahre alt und hinterliess eine 33jährige Ehefrau mit drei minderjährigen Kindern.
Der Lastenzug, geführt von B., war wegen eines technischen Defektes kurz vorher im Tunnel stehengeblieben. Da er nur schwach beleuchtet war, wollte B. ihn nach einem Versuch, den Motor wieder in Gang zu setzen, mit einem Pannendreieck sichern, wozu die Zeit aber nicht mehr reichte. Der Lastenzug gehörte der Firma C., die für ihre Halterhaftpflicht bei der Versicherungsgesellschaft Z. versichert war.
B.-
Im April 1983 klagten die Witwe X. und ihre drei Kinder gegen diese Versicherung auf Zahlung von Fr. 232'399.20 Schadenersatz und Genugtuung nebst Zins. Die Beklagte anerkannte die Haftung nur in der Höhe von Fr. 38'898.-- nebst Zins, die sie in vier Malen bezahlte.
Das Bezirksgericht Sissach verpflichtete die Beklagte am 25. Oktober 1984, den Klägern Fr. 88'650.90 nebst Zins zu bezahlen, wovon der bereits bezahlte Betrag abzuziehen war.
Beide Parteien appellierten an das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft, das den Klägern am 19. November 1985 nach Abzug des bereits bezahlten Betrages Fr. 46'087.85 nebst 5% Zins seit 24. November 1983 sowie Fr. 4'024.80 für vorprozessuale Anwaltskosten zusprach.
C.-
Die Kläger haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, mit der sie an ihrem Klagebegehren vollumfänglich festhalten, den
BGE 113 II 323 S. 326
bezahlten Betrag vor allem auf fällige Zinsen angerechnet und das angefochtene Urteil bezüglich der vorprozessualen Anwaltskosten bestätigt wissen wollen.
Die Beklagte hat sich der Berufung mit dem Antrag angeschlossen, die Klage abzuweisen, soweit sie den Betrag von Fr. 40'927.70 übersteige.
Jede Partei widersetzt sich auch ausdrücklich den Anträgen der andern.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht prüfte vorweg das Verschulden der Beteiligten und fand, dass der Verunfallte mit einem, B. und seine Arbeitgeberin dagegen mit zwei Dritteln zu belasten seien. Die Parteien lassen diese Verteilung nicht gelten: Die Beklagte möchte das beidseitige Verschulden gleich gewichten, während die Kläger eine volle Verschuldenskompensation verlangen.
a) Nach dem angefochtenen Urteil und dessen Hinweisen auf ergänzende Feststellungen des Bezirksgerichts ist der Unfall vor allem darauf zurückzuführen, dass der Lastenzug des B. wegen seines schlechten Allgemeinzustandes und insbesondere eines Defektes der Lichtmaschine im Tunnel stehenblieb. Dieser Defekt hatte schon bei Antritt der Fahrt in Pratteln zur Folge gehabt, dass der Lastenzug mit Hilfe der Batterie eines andern Lastwagens hatte starten müssen. Unterwegs fiel die Stromversorgung aus und führte, als B. mangels genügender Stromzufuhr nicht mehr von einem Gang in einen andern schalten konnte, zum Stillstand des Lastenzuges.
Unter diesen Umständen wirft das Obergericht dem B. mit Recht vor, dass er trotz Kenntnis des schlechten Fahrzeugzustandes die Autobahn gewählt und die Fahrt nicht abgebrochen hat, als die Lichtmaschine die Batterie nicht mehr zu speisen vermochte und eine Kontrollampe ihm dies anzeigte. Beizupflichten ist der Vorinstanz auch darin, dass die Firma C. als Halterin ebenfalls ein Verschulden trifft, weil sie den Lastenzug unbekümmert um die erwähnten Mängel verkehren liess und B., der sie auf die defekte Lichtmaschine aufmerksam gemacht hatte, sogar anhielt, die Fahrt gleichwohl fortzusetzen. Nach Auffassung der Kläger hat es B. zudem pflichtwidrig unterlassen, sofort das Pannendreieck aufzustellen. Die Annahme der Vorinstanz, dies sei ihm zeitlich nicht mehr möglich gewesen, beruht auf der Tatsache, dass vom Stillstand
BGE 113 II 323 S. 327
des Lastenzuges bis zur Kollision nur 100 Sekunden vergingen. Zu beachten ist ferner, dass der Lastenzug 133 m nach dem Tunneleingang stehenblieb, das Pannendreieck wegen der unterschiedlichen Lichtverhältnisse aber nahe beim Eingang hätte angebracht werden müssen, um nicht übersehen zu werden. Dafür war die Zeit jedoch zu knapp, weshalb offenbleiben kann, ob B. vom Versuch, den Motor wieder in Gang zu bringen, hätte absehen sollen.
b) Der vom Verunfallten gesteuerte Lastwagen der Firma A. war in gutem Zustand; ein Verschulden der Halterin scheidet daher aus. Dagegen bejaht das Obergericht zu Recht ein Verschulden des X., weil er ohne Rücksicht auf die besonderen Lichtverhältnisse vom Unfalltag mit über 80 km/h in den Tunnel gefahren ist. Die Auswertung seines Fahrtschreibers hat ergeben, dass er 1300 m vor der Unfallstelle mit 94 km/h und 560 m davon entfernt noch mit 86 km/h gefahren ist, diese Geschwindigkeit in den letzten acht Sekunden oder auf den letzten 185 m vor dem Anprall aber nur auf 81 km/h herabgesetzt hat. Der schroffe Lichtwechsel im Bereiche des Tunneleinganges hätte ihn jedoch zu einer erheblich langsameren Fahrweise veranlassen müssen, um einem unvermutet auftauchenden Hindernis in seiner Fahrbahn rechtzeitig ausweichen zu können.
Nach den Feststellungen des Untersuchungsrichters, von denen auch die Kläger ausgehen, wurde man am Unfalltag als Fahrer wegen des schönen Wetters durch einen schneebedeckten Hang vor der Tunneleinfahrt stark geblendet, weshalb man trotz Tunnelbeleuchtung zunächst völlig im Dunkeln gefahren sei, bis das Auge sich von der Blendung erholt und der Beleuchtung angepasst habe. Diese Feststellungen stützen sich zwar auf die Lichtverhältnisse eine Stunde nach dem Unfall. Entgegen der Ansicht der Beklagten herrschten beim Tunneleingang, wie der Untersuchungsrichter in seinem Bericht über den Unfallhergang beifügte, schon um neun Uhr ähnliche Sichtverhältnisse. Unter diesen Umständen war es höchst unvorsichtig, den Tunnel mit kaum verminderter Geschwindigkeit durchfahren zu wollen. Es ist offensichtlich, dass X. nicht etwa wegen der leichten Rechtsbiegung, sondern wegen des jähen Lichtwechsels von dem seit 100 Sekunden stillstehenden Lastenzug überrascht wurde und den Zusammenstoss nicht mehr vermeiden konnte.
Rücksichten auf nachfolgende Fahrzeuge und das Erfordernis eines gleichmässigen Verkehrsflusses, auf welche die Kläger sich
BGE 113 II 323 S. 328
berufen, vermögen das Verhalten des X. nicht zu entschuldigen, da alle Fahrer die Geschwindigkeit den bestehenden Sichtverhältnissen anzupassen haben. Dies gilt umso mehr, als X. nach den Feststellungen des Obergerichts den Tunnel gekannt hat und bei einem vorausgehenden Tunnel am Unfalltag ähnliche Lichtverhältnisse bestanden haben. Dass im Tunnel eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h signalisiert ist, hilft ihm ebenfalls nicht, zumal für Lastwagen eine solche von 80 km/h gilt. Erst recht unbeachtlich, ja bedenklich ist der Einwand, diese Geschwindigkeit sei ohnehin toter Buchstabe und wenig sinnvoll. Der schwere Unfall zeigt, wohin eine solche Auffassung führen kann.
c) Die Abwägung des beidseitigen Verschuldens durch die Vorinstanz kann vom Bundesgericht frei überprüft werden (
BGE 111 II 90
E. 1 mit Hinweisen), ist aber nicht zu beanstanden. Die von den Klägern verlangte Verschuldenskompensation scheitert schon am Grundgedanken des
Art. 44 Abs. 1 OR
, der in Fällen wie dem vorliegenden nur eine Ermässigung der Ersatzpflicht zulässt (
BGE 60 II 201
; VON TUHR/PETER, OR I S. 110/11; OFTINGER, Haftpflichtrecht I S. 265 Anm. 18; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, S. 253; STARK, Skriptum N. 330). Dass X. nicht nur übersetzte Geschwindigkeit, sondern auch ungenügende Aufmerksamkeit vorzuwerfen sei, wie die Beklagte behauptet, ergibt nichts zu ihren Gunsten. Die pflichtwidrige Fahrweise gereicht X. zum gleichen Verschulden, gleichviel ob er bloss infolge der Blendung oder auch aus Unachtsamkeit zu spät gebremst hat; sie rechtfertigt angesichts des primären Verschuldens des B. und dessen Arbeitgeberin jedoch keine höhere Schuldquote als die vom Obergericht angenommene.
Diese Quote ist entgegen der Annahme der Kläger aber auch nicht deswegen zu kürzen oder gar durch Kompensation beidseitigen Verschuldens aufzuheben, weil die Beklagte eine Haftpflichtversicherung sei. Gewiss ist in
BGE 104 II 188
E. 3a berücksichtigt worden, dass der Geschädigte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebte und der Pflichtige gegen seine Haftpflicht versichert war. Der Versicherungsschutz kann indes nicht dazu führen, dass die Haftung das allgemeine Mass übersteigt. Daran ändert selbst der Umstand nichts, dass es im Versicherungsfall dem Belangten und erst recht dem Versicherer verwehrt ist, sich auf eine Notlage gemäss
Art. 44 Abs. 2 OR
zu berufen (
BGE 111 II 303
E. 3a mit Hinweisen).
BGE 113 II 323 S. 329
2.
Vor Bundesgericht ist nicht mehr streitig, dass der Unfall trotz Stillstand des Lastenzuges noch auf dessen Betrieb zurückzuführen ist (
BGE 107 II 272
E. 1a mit Zitaten). Umstritten ist dagegen, wie der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge Rechnung zu tragen ist. Nach Auffassung der Vorinstanz kann die Beklagte weder aus der Betriebsgefahr des Lastwagens des X. noch aus dem Haftungsprivileg der Halterfirma gemäss
Art. 129 Abs. 2 KUVG
etwas für eine Kürzung ihrer Haftung herleiten. Die Beklagte lässt das nicht gelten; sie ist vielmehr der Meinung, dass beides sich zu ihren Gunsten auswirken müsse. Die Kläger sodann beharren darauf, dass die Betriebsgefahr des Lastwagens des X. zulasten der Beklagten gehe, weil beide Halterfirmen dem Verunfallten gegenüber solidarisch hafteten.
a) Da X. nicht Fahrzeughalter war, haften die übrigen Beteiligten, darunter die beiden Halterfirmen, seinen Hinterbliebenen solidarisch (
Art. 60 Abs. 1 SVG
). Sowohl nach Art. 60 Abs. 2 Satz 2 als auch nach
Art. 61 Abs. 1 SVG
ist der Schaden den beteiligten Haltern zu gleichen Teilen aufzuerlegen, wenn nicht besondere Umstände, namentlich das Verschulden, eine Abweichung rechtfertigen. Diese Regel beruht auf der Vermutung, dass die Betriebsgefahren der am Unfall beteiligten Fahrzeuge meistens einigermassen gleich und daher zu kompensieren sind (
BGE 99 II 95
E. 2b). Sie findet aber keine Anwendung, wenn sich Halter über die Haftung streiten; diesfalls sind die Betriebsgefahren vielmehr in die Würdigung aller Umstände gemäss
Art. 59 Abs. 2 SVG
einzubeziehen. Dann stehen hier den Hinterbliebenen des Verunfallten grundsätzlich auch Ansprüche aus der Betriebsgefahr zu, die dem Lastwagen des X. innewohnte. Das entspricht auch der herrschenden Lehre (ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, S. 246; DESCHENAUX/TERCIER, S. 147 Ziff. 43/44; STARK, N. 903 und 915; OSWALD, in BJM 1967 S. 8; GREC, La situation juridique du détenteur de véhicule automobile en cas de collision de responsabilités, S. 128 f.).
Die Beklagte beruft sich auf eine abweichende Äusserung OFTINGERS (II/2 S. 649 f.), der dem Verunfallten in einem Falle wie hier die Betriebsgefahr "seines" eigenen Fahrzeugs zurechnen möchte, analog einem Selbstverschulden gemäss
Art. 44 Abs. 1 OR
. Andere Stellen OFTINGERS (z.B. I S. 276 und II/2 S. 669) können freilich, wie die Kläger mit Recht einwenden, gegenteilig verstanden werden. Einem verunfallten Lenker, der nicht Halter ist, die seinem Fahrzeug innewohnende Betriebsgefahr anzulasten,
BGE 113 II 323 S. 330
geht indes entgegen
BGE 69 II 159
E. 3 schon deshalb nicht an, weil dies der Haftung des Halters gegenüber dem Lenker widerspricht. Wegen der bestehenden Solidarität aller Beteiligten muss sich die Beklagte daher grundsätzlich auch die Betriebsgefahr des Lastwagens des X. anrechnen lassen. So ist auch das Obergericht vorgegangen; es hat die Haftungsquote der Beklagten nur gestützt auf das Verschulden des X. gekürzt, die Betriebsgefahr der beiden Fahrzeuge dagegen auf seiten der Beklagten in die Würdigung der Umstände einbezogen.
b) Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nun darin, dass die Halterin des Lastwagens, in welchem X. verunfallt ist, zugleich dessen Arbeitgeberin war und sich deshalb auf das Haftungsprivileg des
Art. 129 Abs. 2 KUVG
berufen kann. Die Parteien stimmen zu Recht mit dem Obergericht darin überein, dass das Privileg nicht nur eine Klage der Hinterbliebenen gegen die Firma A., sondern auch einen Rückgriff der SUVA oder der Beklagten auf sie ausschliesst; diese Firma fällt mithin aus der Solidarhaft heraus (OFTINGER, I S. 437; STARK, in ZSR 86/1967 II S. 66 Anm. 141). Nach Auffassung der Beklagten ist deshalb der Anspruch der Kläger um den Betrag zu kürzen, den sie ohne das Privileg von der Firma A. hätte verlangen können. Die Beklagte kann sich dafür auf verschiedene Autoren stützen (STARK, in ZSR 86/1967 II S. 66 ff., Skriptum N. 1018; STOESSEL, Das Regressrecht der AHV/IV gegen den Haftpflichtigen, S. 60). Andere Autoren, auf welche die Vorinstanz und die Kläger sich berufen, lehnen eine Kürzung des Anspruchs, den der Geschädigte gegen den Haftpflichtigen hat, ab und wollen dem Pflichtigen zulasten des Regressanspruchs der SUVA einen Ausgleich gewähren (OSWALD, in Schweiz. Zeitschrift für Sozialversicherung 1962 S. 277/78; R. SCHAER, Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichsystemen, Rz. 982 ff.; STEIN, Haftungskompensation, in ZSR 102/1983 S. 108).
Ein solcher Ausgleich liegt in der Tat nahe. Er setzt jedoch voraus, dass ein Regressanspruch der SUVA gegeben und nicht etwa wegen des Quotenvorrechts des Geschädigten (
BGE 113 II 91
E. 2 und
BGE 96 II 360
E. III) ausgeschlossen ist; eine befriedigende Lösung muss auch darauf Rücksicht nehmen. Es bleibt dann die entscheidende Frage, ob die Haftungsquote, die dem Privileg des
Art. 129 Abs. 2 KUVG
entspricht, letztlich zulasten des Geschädigten oder des Haftpflichtigen gehen soll. Dass dem Geschädigten deren Tragung zuzumuten sei, weil er in den Genuss der SUVA-Leistungen
BGE 113 II 323 S. 331
komme, lässt sich entgegen den Einwänden der Beklagten zum vornherein nicht sagen; denn diese Leistungen werden ihm gestützt auf
Art. 100 KUVG
so oder anders auf den Haftpflichtanspruch angerechnet. In diesem offenkundigen Dilemma ist nicht gegen, sondern zugunsten des Geschädigten zu entscheiden. Ein solidarisch haftender Halter kann auch faktisch, insbesondere wegen Zahlungsunfähigkeit, sein Rückgriffsrecht auf Mithaftende verlieren. Es entspricht aber dem Wesen der Solidarität und auch der Billigkeit, dass in einem solchen Fall er und nicht der Geschädigte den Ausfall zu tragen hat (
BGE 112 II 144
E. 4,
BGE 97 II 416
). Im gleichen Sinn wird dem Haftpflichtigen nach der neuern Rechtsprechung keine Herabsetzung wegen mitwirkenden Drittverschuldens oder leichten Selbstverschuldens des Geschädigten gewährt (
BGE 112 II 144
, 98 II 104 Nr. 14). Nach dem Sinn und Zweck der Solidarhaft rechtfertigt es sich auch vorliegend, der Beklagten eine Kürzung des klägerischen Anspruchs infolge des Haftungsprivilegs zu versagen, selbst wenn sie dafür beim Regress der SUVA nicht zum Ausgleich kommen sollte; ob ein solcher überhaupt gegeben ist, braucht deshalb nicht entschieden zu werden.
c) Bei der Abwägung von Verschulden und Betriebsgefahren hat das Obergericht zu Recht vor allem auf das Verschulden abgestellt (
BGE 99 II 97
E. 2c mit Hinweisen). Das gilt nicht nur für B. und seine Arbeitgeberin, sondern auch für die pflichtwidrige Fahrweise des X. Die erhöhte Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge erforderte zudem beiderseits erhöhte Vorsicht und Aufmerksamkeit. Ob die Betriebsgefahr des Lastenzuges, der wegen fehlerhafter Beschaffenheit im Tunnel steckenblieb, oder jene des zu schnell fahrenden Lastwagens sich stärker auf den Unfall ausgewirkt habe, ist übrigens eine müssige Frage, weil die Beklagte nach dem Gesagten so oder anders für beide Gefahren solidarisch haftet. Auf dieser Grundlage geht es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an, die Haftung hälftig zu verteilen. Es rechtfertigt sich aber auch nicht, auf jeden Abzug zulasten der Hinterbliebenen zu verzichten, wie dies von den Klägern verlangt wird. Als angemessen erscheint vielmehr das angefochtene Urteil, das die Betriebsgefahren mit einem Drittel, die Verschuldensanteile dagegen mit zwei Dritteln gewichtet und letzteres zu einem Drittel den Klägern anlastet. Der Anspruch der Kläger ist daher insgesamt um zwei Neuntel zu kürzen, während die Anteile Betriebsgefahren und Restanteil Verschulden der Beklagten zuzurechnen sind. Berufung
BGE 113 II 323 S. 332
und Anschlussberufung erweisen sich auch insoweit als unbegründet.
3.
Ein Versorgerschaden wird nur von der Witwe geltend gemacht, und zwar erst mit Wirkung ab 1. August 1988, wenn die Waisenrenten wegfallen werden. Anerkannt ist sodann, dass das Mitverschulden des Verunfallten wegen des Quotenvorrechts der Witwe keinen Einfluss auf die Berechnung dieses Schadens hat.
a) Die Vorinstanz geht gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts vom Einkommen des X. zur Zeit des Todes (9. Dezember 1980) aus, das sich auf Fr. 41'753.-- belief. Erhöhend berücksichtigt sie sodann die Aussichten des X. auf den 13. Monatslohn und eine gewisse Reallohnsteigerung, hält ergänzend aber auch fest, dass sich in der Branche seit 1980 eine Stagnation bemerkbar mache und der Verunfallte keine Aussicht auf eine Beförderung gehabt habe. Die Teuerung wird von ihr unter Hinweis auf den Kapitalisierungszins von 3 1/2% nicht zusätzlich berücksichtigt. Die Vorinstanz ermittelt so ein massgebliches Jahreseinkommen von Fr. 50'000.--, das an sich unbestritten ist; es kann deshalb offenbleiben, wieweit es sich dabei um tatsächliche Feststellungen handelt. Die Kläger anerkennen sodann, dass die Schadensermittlung der Vorinstanz sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung stützt; sie kritisieren aber diese Rechtsprechung und verlangen, dass die Teuerung bis zum Urteilsdatum (19. November 1985) konkret mit 25% zu berechnen und die künftige zu schätzen sei.
Was die künftige Teuerung angeht, bestreitet die Erstklägerin, dass der günstige Zinssatz von 3 1/2% den Ausgleich garantiere. Sie begnügt sich aber mit dem Vorschlag, dass von einem massgeblichen Basiseinkommen von Fr. 62'400.-- auszugehen sei, das nur die bisherige Teuerung berücksichtige; nach ihrer Ansicht würde eine Ersatzleistung in Form einer indexierten Rente der Problematik besser gerecht. Darauf einzugehen, erübrigt sich indes schon deshalb, weil die Erstklägerin nicht eine Rente, sondern eine Kapitalabfindung verlangt, bei der die künftige Teuerung nach ständiger Rechtsprechung nicht berücksichtigt wird (
BGE 101 II 352
E. 3c,
BGE 99 II 211
E. 6,
BGE 96 II 446
E. 6 mit weitern Hinweisen). Auf diese Rechtsprechung zurückzukommen, besteht umso weniger Anlass, als auch die Lehre, soweit sie sich dazu überhaupt äussert, keine überzeugendere Alternative aufzuzeigen weiss (OFTINGER, I S. 212 ff. und 224/25).
BGE 113 II 323 S. 333
Was sodann die Teuerung betrifft, die bis zum Urteilstag der letzten kantonalen Instanz eingetreten ist, stellt das Bundesgericht seit 1958 (
BGE 84 II 300
E. 7) beim Versorgerschaden - im Gegensatz zum Invaliditätsschaden - auf das Einkommen zur Zeit des Todes ab und berücksichtigt diese Teuerung gleich wie die künftige (
BGE 108 II 440
E. 5a mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung wird in der Lehre mehrheitlich gebilligt (SCHAER, Rz. 172; STAUFFER/SCHAETZLE, in SJZ 71/1975 S. 120; SZÖLLOSZY, in ZBJV 112/1976 S. 31 ff.; DESCHENAUX/TERCIER, S. 237 N. 28; BREHM, N. 94 zu
Art. 45 OR
; STARK, Skriptum N. 126). Andere Autoren fordern, dass die Teuerung auch beim Versorgerschaden bis zum Urteilstag konkret berechnet werde (ZEN-RUFFINEN, La perte de soutien, S. 59 ff., ZEN-RUFFINEN in Festgabe Jeanprêtre S. 148; MERZ, in ZBJV 119/1983 S. 134, MERZ in Schweiz. Privatrecht VI/1 S. 212; WEBER, N. 206 zu
Art. 84 OR
). Das leuchtet ein in Fällen, in denen auf Hypothesen abgestellt wird, obschon eine konkrete Berechnung möglich wäre und auch näherläge, namentlich wenn das Urteil erst Jahre nach dem Unfall erlassen wird. Das von der Kritik befürwortete Vorgehen ist aber häufig zu umständlich und führt, z.B. wenn der Arbeitgeber den Teuerungsausgleich nicht bezahlt hat, ebenfalls zu Abstrichen. Zu bedenken ist ferner, dass der gesetzliche Zins von 5% den Kapitalisierungszinsfuss übersteigt und regelmässig vom Todestag an zugesprochen wird, was meistens sogar einen vollen Ausgleich ergibt (STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3. Aufl. S. 176 ff.). Die mit
BGE 84 II 300
E. 7 eingeführte Vereinfachung in der Berechnung bietet eine praktische und im allgemeinen auch angemessene Lösung für einen Entscheid, der ohnehin weitgehend auf Schätzungen und Hypothesen beruht. Daran festzuhalten, rechtfertigt sich umso mehr, als gerade das Haftpflichtrecht angesichts der Häufigkeit von Schadenfällen, die übrigens grösstenteils durch Vergleich erledigt werden, auf eine einfache und praktische Berechnungsart angewiesen ist.
b) Das Obergericht hat die Witwenquote auf 50% des Basiseinkommens von Fr. 50'000.-- festgesetzt. Die Erstklägerin verlangt eine Quote von 65%. Die Beklagte will dagegen nur 45% anerkennen, vor allem weil der Versorgerschaden nicht auf dem Basiseinkommen, sondern auf den gemeinsamen Ausgaben der Ehegatten zu berechnen, eine gewisse Sparquote also auszunehmen sei. Dem hielt schon das Obergericht zu Recht entgegen, dass jedenfalls nur von einer bescheidenen Sparquote die Rede sein könnte. Das gilt
BGE 113 II 323 S. 334
selbst dann, wenn berücksichtigt wird, dass der Kinderunterhalt sukzessive wegfällt, da dieser Umstand bei einem mässigen Einkommen erfahrungsgemäss eher dazu benutzt wird, die Lebenshaltung zu verbessern als vermehrt zu sparen. Es braucht deshalb auch nicht untersucht zu werden, ob eine allfällige Sparquote sich voll zulasten des Versorgeranteils auswirken müsste, was nach STARK (in ZSR 105/1986 S. 347) übrigens nur bei sehr hohen Einkommen anzunehmen ist.
Das Bundesgericht hat früher in vergleichbaren Fällen Witwenquoten von 40 und 45% festgesetzt oder bestätigt (
BGE 101 II 353
E. 4,
BGE 99 II 210
E. 5), im Fall Blein (
BGE 108 II 439
E. 4) dagegen erstmals eine Witwerquote von 65% angenommen. Demnach ist nicht massgebend, welcher Anteil der gemeinsamen Ausgaben auf den verstorbenen Ehegatten entfällt, sondern wieweit diese Ausgaben mit seinem Tod dahingefallen sind und wieviel der überlebende benötigt, um die bisherige Lebensweise beizubehalten; dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass gewisse fixe Kosten unverändert weiterlaufen und dass deshalb die Kosten des überlebenden Ehegatten höher sind als sein Anteil an den gemeinsamen Ausgaben (S. 437 E. 2). Im Normalfall ist deshalb von einer hälftigen Beteiligung der beiden Ehegatten am gemeinsamen Aufwand auszugehen. Schon das ergibt einen Versorgerschaden von über 50%, weil Fixkosten zu berücksichtigen sind, die sich für den überlebenden Ehegatten nicht einfach halbieren lassen. Das gilt entgegen der Annahme des Obergerichts für die Witwe so gut wie für den Witwer und wird auch in der Lehre anerkannt (OFTINGER, I S. 238; STARK, in ZSR 105/1986 S. 344 ff.; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, S. 55; BREHM, N. 51 ff. zu
Art. 45 OR
).
Wenn die Fixkosten einbezogen werden, ergibt sich auch vorliegend ein Versorgerschaden von über 50%, da nichts dagegen spricht, dass die Ehegatten X. ab 1988 je hälftig vom Einkommen des Mannes gelebt hätten. Dagegen rechtfertigt sich nicht, auf die im Fall Blein ermittelte Quote abzustellen, wie die Erstklägerin dies verlangt; sie übersieht, dass der Anteil des überlebenden Ehegatten umso höher einzusetzen ist, je tiefer das massgebende Basiseinkommen ist (DESCHENAUX/TERCIER, S. 237 N. 30; STARK, Skriptum N. 116; BREHM, N. 104 zu
Art. 45 OR
). Dadurch unterscheidet der Fall Blein sich denn auch deutlich vom vorliegenden. Zu bedenken ist ferner, dass selbst für eine Witwe mit Kindern das Total der Versorgungsquoten zwischen 65 und 70% liegt und nicht überschritten werden sollte (SCHAER, Rz. 175; STARK, Skriptum
BGE 113 II 323 S. 335
N. 118; BREHM, N. 143 f. zu
Art. 45 OR
). Vorliegend erscheint eine Witwenquote zwischen 55 und 60% als angemessen, was bei 57,5% einen Versorgerschaden von Fr. 28'750.-- im Jahr ergibt.
c) Umstritten ist ferner, wieweit die Aussichten auf eine Wiederverheiratung der Erstklägerin zu berücksichtigen sind. Das Obergericht macht dafür einen Abzug von 21%, den es ebenfalls vom Todestag an berechnet. Die Beklagte möchte den Abzug auf 31% erhöht wissen. Die Erstklägerin dagegen widersetzt sich jedem Abzug; jedenfalls gehe es auch in diesem Zusammenhang nicht an, auf den Todestag statt auf den Urteilstag abzustellen und als ungewiss zu behandeln, was sicher sei; die Wiederverheiratungschancen seien zudem zwischen dem 2. und 5. Jahr nach dem Tod des Gatten am höchsten. Die Auffassung des Obergerichts über den Berechnungstag entspricht indes der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 108 II 44
E. 3c,
BGE 95 II 418
E. 10), an der wie hinsichtlich der Teuerung festzuhalten ist, weil hier wie dort ähnliche Schwierigkeiten bestehen und es sich rechtfertigt, den gesamten Versorgerschaden auf den gleichen Tag zurückzurechnen.
Als bundesrechtswidrig rügt die Erstklägerin sodann, dass die Vorinstanz auf Zahlen von STAUFFER/SCHAETZLE abstellt, die längst überholt seien; die Gerichte setzten regelmässig weniger weit gehende Abzüge zwischen 0 und 30% fest; nach neueren Statistiken sei die Wiederverheiratungschance zudem stark gesunken. Die Beklagte möchte dagegen nach STAUFFER/SCHAETZLE den allgemeinen Abzug von 31% statt jenen für SUVA-Versicherte von 21% angewandt wissen. Dass die erwähnten Zahlen mit Zurückhaltung anzuwenden sind, anerkennt auch das Bundesgericht, da es sie seit Jahren erheblich zu unterschreiten pflegt (
BGE 108 II 441
E. 5c,
BGE 102 II 95
E. 3b,
BGE 101 II 264
E. 3). Vorliegend ist indes zu beachten, dass der Ansatz für SUVA-Versicherte bereits um rund einen Drittel unter dem Normalwert liegt und eine weitere Kürzung nicht angebracht ist. Dass dabei Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, wie z.B. die Anzahl der Kinder, hat das Obergericht nicht übersehen; es sieht darin einen heiratsfördernden Umstand. Gewiss kann diese Besonderheit die Heiratsbereitschaft einer Witwe erhöhen, was aber noch keineswegs heisst, dass sie auch ihre Heiratschancen verbessere. Wie es sich damit genau verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben; die Beklagte ist nämlich wie die Erstklägerin der Meinung, dass mit dem Ausscheiden der Kinder aus der Unterhaltspflicht dieser Umstand ausser Betracht fällt.
BGE 113 II 323 S. 336
Die Beklagte wirft der Erstklägerin Rechtsmissbrauch vor, weil sie seit mehreren Jahren in einem eheähnlichen Verhältnis lebe und nur aus rentenpolitischen Überlegungen von einer Heirat absehe. Die Erstklägerin sieht darin eine neue unzulässige Behauptung, die übrigens schon im kantonalen Verfahren widerlegt worden sei. Dem angefochtenen Urteil ist für den Vorwurf nichts zu entnehmen und die Beklagte tut nicht dar, dass sie ihn rechtzeitig substantiiert habe (
BGE 107 II 224
). Dass aus dem Verhältnis angeblich ein Kind hervorgegangen ist, belegt noch kein Konkubinat. Es braucht deshalb auch nicht entschieden zu werden, ob ein solches den Versorgerschaden beeinflussen und insbesondere ausreichen würde, die Grundsätze über die Abänderung von Scheidungsrenten (
BGE 109 II 190
ff.) sinngemäss anzuwenden. Die Zunahme eheähnlicher Gemeinschaften spricht zwar für einen Rückgang der Wiederverheiratungsquote; deswegen ein Konkubinat versorgungsrechtlich im vornherein einer Wiederverheiratung gleichsetzen zu wollen, geht indes nicht an.
Bei diesem Ergebnis ist der Abzug von 21% nicht zu beanstanden, zumal die Beziehungen der Erstklägerin zu einem Mann auf durchaus normale Heiratschancen schliessen lassen.
4.
Alter des Versorgers und der Witwe zur Unfallzeit und der Kapitalisierungszins von 3 1/2% sind unbestritten. Davon geht auch das Obergericht aus. Es nimmt sodann an, dass die Witwenquote am Basiseinkommen und die anzurechnende SUVA-Rente nach der Tabelle 26 von STAUFFER/SCHAETZLE zu kapitalisieren seien, die anzurechnende AHV-Rente dagegen nach der AK-Tabelle 26bis (ZAK 1984 S. 477 ff.); beide Tabellen sähen dafür übereinstimmend den Faktor 1717 vor. Wegen Aufschubs des Versorgerschadens bis 1. August 1988, d.h. um 7 1/2 Jahre, ergebe sich nach der Tabelle 66 von STAUFFER/SCHAETZLE jedoch eine Herabsetzung auf 66% und damit der Faktor 1133. Gegen dieses Vorgehen haben die Parteien an sich nichts einzuwenden. Sie wollen hingegen einzelne Berechnungselemente geändert wissen, weshalb der Versorgerschaden nach Auffassung der Erstklägerin zu erhöhen, nach Ansicht der Beklagten dagegen überhaupt zu verneinen ist, da die Leistungen der Sozialversicherung laufend der Teuerung angepasst würden.
a) Die Erstklägerin möchte die temporäre Verbindungsrente nach der Aktivitätsdauer des Versorgers gemäss Tabelle 25 von STAUFFER/SCHAETZLE berechnen und daher vom Faktor 1865 ausgehen. Das Bundesgericht pflegt in der Tat auf die Aktivitätsdauer
BGE 113 II 323 S. 337
abzustellen, selbst wenn eine Pensionierung mit 65 Jahren wahrscheinlich ist, wie z.B. bei einem Beamten (nicht veröffentlichte E. 3c zu
BGE 110 II 423
ff.; siehe ferner
BGE 112 II 129
und
BGE 104 II 309
). In die gleiche Richtung geht die Lehre (OFTINGER, I S. 208 und 241; DESCHENAUX/TERCIER, S. 237/38; STARK, Skriptum N. 127; abweichend SCHAER, Rz. 149 ff. und insbes. Anm. 28). Im Fall Blein hat das Bundesgericht wegen der besonderen Lage der Hausfrau ein Mittel zwischen Aktivität und Mortalität angenommen (
BGE 108 II 441
E. 5c), was im Ergebnis ebenfalls gegen eine Beschränkung der Kapitalisierung bis zum 65. Altersjahr gemäss Tabelle 26 spricht. Die Berufung erweist sich insoweit als begründet, weshalb vom Faktor 1865 statt von 1717 auszugehen ist. Das ergibt in Verbindung mit der Umrechnung nach Tabelle 66, wie auch die Beklagte anerkennt, eine Herabsetzung auf 66% oder neu den Faktor 1231, der für den Versorgerschaden und die SUVA-Rente massgebend ist; für die AHV-Rente bleibt es dagegen, was nicht streitig ist, beim Faktor 1133.
Die Beklagte beanstandet, dass das eingesetzte Basiseinkommen nicht dem tatsächlichen Einkommen des Versorgers am Todestag entspricht. Sie anerkennt, dass darin nach der Rechtsprechung die künftige Teuerung nicht berücksichtigt ist und die Leistungen der Sozialversicherung ebenfalls ohne Teuerungszulagen in die Berechnung des Versorgerschadens einbezogen werden. Sie macht aber geltend, dass die AHV-Renten ausser an die Lebenskosten auch an die Lohnentwicklung angepasst würden, weshalb für die Zeit bis zum Urteilstag die Erhöhung der Renten von Fr. 9'720.-- auf Fr. 12'192.-- hälftig anzurechnen, folglich eine Jahresrente von Fr. 10'956.-- zu kapitalisieren sei. Dafür besteht indes kein ausreichender Grund. Die Beklagte übersieht, dass die Rentenerhöhung neben den Konsumentenpreisen auch der Lohnentwicklung Rechnung trägt, es sich also auch insoweit um eine Anpassung an die Teuerung handelt. Davon abgesehen berücksichtigt das eingesetzte Basiseinkommen von Fr. 50'000.-- nicht etwa allgemeine Reallohnsteigerungen, sondern bloss die konkreten Aussichten des X., namentlich auf einen 13. Monatslohn, und branchenbedingt nur eine bescheidene Reallohnzunahme.
b) Der Versorgerschaden ist, was von keiner Seite angefochten wird, nach dem zutreffenden Schema des Obergerichts zu berechnen, wobei aber die vorstehend erwähnten Änderungen zu berücksichtigen sind. Das ergibt folgende Berechnung:
BGE 113 II 323 S. 338
Massgebendes Jahreseinkommen Fr. 50'000.--
Witwenquote 57,5% Fr. 28'750.--
kapitalisiert mit 12.31 Fr. 353'912.--
./. 21% Wiederverheiratung Fr. 74'322.--
--------------
Brutto-Versorgerschaden Fr. 279'590.--
Anrechnung der Renten:
SUVA-Rente Fr. 12'510.--
kapitalisiert mit 12.31 Fr. 153'998.--
./. 21% Wiederverheiratung Fr. 32'340.--
--------------
Fr. 121'658.--
AHV-Rente Fr. 9'720.--
kapitalisiert mit 11.33 Fr. 110'127.--
./. 21% Wiederverheiratung) Fr. 23'126.--
--------------
Fr. 87'001.--
Total Anrechnung Fr. 208'659.--
--------------
Netto-Versorgerschaden Fr. 70'931.--
==============
5.
Das Obergericht geht bei den Bestattungskosten von Fr. 5'189.20 aus, die es dem Mitverschuldensanteil des X. entsprechend um auf Fr. 4'036.05 herabsetzt. Die Kosten für den Grabunterhalt hat es davon zum vornherein ausgenommen, jene für die Trauerkleider dagegen berücksichtigt. Ausser acht gelassen wegen des Quotenvorrechts der Kläger hat es ferner die Bestattungsentschädigung der SUVA.
Die Kläger halten am Ersatzanspruch von Fr. 1'523.-- für den Grabunterhalt fest, um dem Bundesgericht Gelegenheit zu geben, seine Rechtsprechung zu überdenken. Sein Hinweis auf die Pietätspflicht überzeuge nicht; nach
Art. 45 OR
seien alle Bestattungskosten zu ersetzen, auch wenn man genau genommen dabei nicht von einem Schaden sprechen könne. Schon aus dem Gesetzestext erhellt indes, dass nur die Kosten zu ersetzen sind, die unmittelbar mit der Bestattung zusammenhängen. Dadurch unterscheidet sich der künftige Grabunterhalt denn auch von den anerkannten Kosten für Todesanzeigen, Beerdigung, Traueressen, Grabmal und dergleichen, selbst wenn dafür ähnliche Pietätsgründe sprechen (
BGE 95 II 308
E. 5 und
BGE 65 II 254
mit Hinweisen). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, zumal ihr in der Lehre mehrheitlich zugestimmt wird (SCHAER, Rz. 197; DESCHENAUX/TERCIER, S. 234 N. 13; BREHM, N. 18 zu
Art. 45 OR
; anders offenbar
BGE 113 II 323 S. 339
OFTINGER, I S. 229 Anm. 348, und KELLER/GABI, Haftpflichtrecht, S. 87).
Die Beklagte will die Auslagen für Trauerkleider nur hälftig mit Fr. 346.25 anerkennen, wobei sie sich auf die nicht veröffentlichte E. 3 zu
BGE 82 II 38
ff. beruft. Nach dieser Erwägung sind die Kosten von Trauerkleidern, die auch später noch getragen werden können, nicht voll zu berücksichtigen. Das trifft genau besehen nur zu, wenn die Angehörigen ohnehin Trauerkleider angeschafft hätten (OFTINGER, I S. 229 Anm. 345). Das Obergericht scheint dies vorliegend eher zu verneinen und hält eine anderweitige Verwendbarkeit der Kleider für sehr beschränkt. Dass die in bescheidenen Verhältnissen lebenden Kläger eine schwarze Kleidung für festliche Anlässe benötigt hätten oder auch nur verwenden könnten, ist unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass Fr. 480.-- auf die Kinder und nur Fr. 212.50 auf die Witwe entfallen und dass die Kinder - damals 12 bis 14 Jahre alt - den Kleidern bald entwachsen sein dürften. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass, die Kosten für Trauerkleider aufzuteilen.
6.
Das Obergericht hat den Klägern Genugtuungssummen von insgesamt Fr. 50'000.-- zugesprochen. Es hat nicht übersehen, dass in den letzten Jahren solche Summen, namentlich für schwere Körperverletzungen, erheblich höher angesetzt werden. In Würdigung aller Umstände, insbesondere des Verschuldens der Beteiligten, betrachtete es Fr. 20'000.-- für die Witwe und je Fr. 10'000.-- für die drei Kinder als angemessen. Die Berufung will diese Beträge auf Fr. 30'000.-- bzw. Fr. 12'000.-- erhöht, die Anschlussberufung dagegen auf Fr. 15'000.-- bzw. Fr. 7'500.-- herabgesetzt wissen.
Die zugesprochenen Beträge beruhen im Gegensatz zu den Anträgen der Parteien auf einer zutreffenden Beurteilung der Umstände. Das Verschulden des X. fällt zwar erheblich weniger ins Gewicht als das pflichtwidrige Verhalten der beiden Mitbeteiligten; es ist aber auch in diesem Zusammenhang zulasten der Kläger zu berücksichtigen. Die neueste Rechtsprechung zu Körperverletzungen mit schwerwiegenden Dauerschäden (
BGE 112 II 133
ff. mit Hinweisen) lässt sich, von der Anpassung an die Teuerung abgesehen, nicht auf einen Unfalltod übertragen, der mit der Zeit doch leichter überwunden werden kann als eine lebenslängliche schwere Invalidität (OFTINGER, I S. 307). Vergleiche mit Urteilen des Bundesgerichts in einigermassen ähnlichen Fällen (z.B.
BGE 101 II 355
E. 8,
BGE 99 II 214
E. IV) zeigen, dass das Obergericht mit Fr. 20'000.-- für die Witwe jedenfalls klar über die blosse Geldentwertung
BGE 113 II 323 S. 340
hinausgegangen ist. Zum vornherein nicht vergleichen lässt sich der vorliegende Fall dagegen mit dem in
BGE 112 II 120
ff. veröffentlichten, wo den beiden Eltern, die in einem unverschuldeten und besonders tragischen Unfall zwei Söhne verloren haben, je Fr. 40'000.-- zugesprochen worden sind. Gegen eine Erhöhung der Genugtuungssumme zugunsten der Witwe sprechen auch die Umstände, die hiervor in der Erwägung über die Wiederverheiratungschance erwähnt sind. Berufung und Anschlussberufung erweisen sich insoweit als unbegründet.
7.
Das Obergericht hat den Klägern für vorprozessuale Anwaltskosten Fr. 4'024.80 zugesprochen. Davon entfallen Fr. 2'024.80 auf den ersten Anwalt, der die Erstklägerin namentlich im Strafverfahren gegen B. vertreten hat. Die Vorinstanz fand, dass die Kläger im Haftpflichtprozess einen Spezialisten beiziehen durften, der insbesondere Vergleichsverhandlungen führte; eine pauschale Vergütung von Fr. 2'000.-- für seine vorprozessualen Bemühungen sei angemessen.
Die Beklagte anerkennt ihre Ersatzpflicht (
BGE 97 II 267
E. 5), will sie aber auf Fr. 1'006.20 beschränkt wissen, weil es nicht angehe, dass sie die gleichen Bemühungen wegen des Anwaltswechsels doppelt bezahle. Wie weit das tatsächlich der Fall ist, erläutert sie aber nicht; sie versucht die vom Obergericht angeführten Gründe für den Wechsel auch nicht zu widerlegen. Fragen kann sich daher bloss, ob sie entsprechend der von ihr verfochtenen Haftungsquote von 50% verlangen könne, dass der streitige Betrag zu halbieren sei. Die Kläger halten dies für unzulässig und machen geltend, dass die Versicherungsgesellschaften im Vergleichsfall selbst bei nur teilweiser Schadensvergütung die vollen Anwaltskosten übernähmen. Sie verkennen, dass es sich um einen Schadensposten handelt, der jedenfalls im Prozess der allgemeinen Herabsetzung unterliegt. Eine davon abweichende Kürzung könnte sich höchstens daraus ergeben, dass die Ersatzpflicht insoweit nicht auf
Art. 59 SVG
, sondern auf
Art. 41 OR
beruht. In Übereinstimmung mit der Beklagten darf indes die allgemeine Haftungsquote angewandt werden. Der Betrag von Fr. 4'024.80 ist daher um 2/9 auf Fr. 3'130.-- herabzusetzen.
8.
Versorgerschaden (Fr. 70'951.--), Bestattungskosten (Fr. 4'036.--) und Genugtuungssummen (Fr. 50'000.--) ergeben zusammen Fr. 124'967.--. Das Obergericht hat den Klägern auf diesen Beträgen, soweit es sie gutgeheissen hat, 5% Zins seit dem Unfalldatum vom 9. Dezember 1980 zugesprochen, dabei aber
BGE 113 II 323 S. 341
berücksichtigt, dass die Beklagte ihnen am 5. April und am 28. Mai 1982 je Fr. 5'000.--, am 31. Oktober 1983 Fr. 33'778.80 und am 23. November 1983 Fr. 222.65 bezahlt hat. Es hat die Zahlungen vorweg jeweils auf den bereits fälligen Zins und nur den Überschuss auf die Hauptforderung angerechnet. Dieses Vorgehen wird von beiden Parteien anerkannt; es ist daher beizubehalten.
Ab 9. Dezember 1980 schuldete die Beklagte 5% Zins auf Fr. 124'967.--, was im Jahr Fr. 6248.35 ergab. Zur Zeit der ersten Zahlung von Fr. 5'000.-- war für 483 Tage ein Zins von Fr. 8'269.-- fällig; nach Abzug der Zahlung blieben Fr. 3'269.-- offen. Zur Zeit der zweiten Zahlung von Fr. 5'000.-- war für weitere 53 Tage ein Zins von Fr. 907.-- fällig; dazu kamen die noch offenen Fr. 3'269.--. Durch die Zahlung wurden diese Zinsen gedeckt und Fr. 824.-- der Ersatzforderung getilgt, die sodann Fr. 124'143.-- betrug und im Jahr mit Fr. 6'207.-- zu verzinsen war. Zur Zeit der dritten Zahlung von Fr. 33'779.-- waren für 521 Tage Fr. 8'860.-- Zins fällig, die aus der Zahlung gedeckt wurden, während Fr. 24'919.-- als Abzahlung übrigblieben. Die Ersatzforderung reduzierte sich damit auf Fr. 99'224.--, der Jahreszins auf Fr. 4'961.--. Die vierte Zahlung von Fr. 222.65 reichte nicht aus, um den Zins für weitere 23 Tage (Fr. 312.60) zu decken; der Zins war damit nur für 16 Tage, d.h. bis 16. November 1983 bezahlt. Es bleibt daher bei der Ersatzforderung von Fr. 99'224.--, die ab 17. November 1983 mit 5% zu verzinsen ist; dazu kommen Fr. 3'130.-- für vorprozessuale Anwaltskosten. In diesem Umfang ist die Klage daher gutzuheissen.
9.
Bei der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist davon auszugehen, dass die Parteien vor Bundesgericht im Verhältnis von zwei zu einem Drittel unterliegen, nämlich die Kläger mit rund Fr. 130'000.--, die Beklagte mit rund Fr. 61'000.--. Unbekümmert um diesen Ausgang des Berufungsverfahrens beantragen die Kläger, dass die Kosten aller Instanzen der Beklagten aufzuerlegen seien.
a) Nach Ansicht der Beklagten kann das Bundesgericht die auf kantonalem Recht beruhende Kostenregelung der Vorinstanz im Berufungsverfahren nicht überprüfen. Das trifft an sich zu (
BGE 96 II 63
mit Hinweisen). Die Beklagte übersieht dagegen, dass das Bundesgericht gemäss
Art. 157 OG
die Kosten des kantonalen Verfahrens anders verlegen kann, wenn es das angefochtene Urteil in der Sache abändert; dabei hat es freilich die Vorschriften des kantonalen Rechts zu beachten (
BGE 85 II 291
mit Hinweisen).
BGE 113 II 323 S. 342
Von dieser Möglichkeit ist hier Gebrauch zu machen. Dies rechtfertigt sich umso mehr, als die kantonalen Vorschriften über die Kosten- und Entschädigungsfolgen mit der Ordnung übereinstimmen, die für das bundesgerichtliche Verfahren gilt (Art. 156 Abs. 1 und 3,
Art. 159 Abs. 2 und 3 OG
). Danach sind die Gerichtskosten in der Regel der unterliegenden Partei aufzuerlegen (
§ 209 ZPO
/BL). Bei teilweisem Unterliegen können die Kosten verhältnismässig auferlegt werden, ebenso wenn die unterliegende Partei sich in guten Treuen zum Prozess veranlasst sehen durfte (§ 210). Entsprechend ist die Entschädigung zugunsten der Gegenpartei zu regeln (§ 211).
b) Das Obergericht anerkennt, dass der Prozess nicht mehr zu vermeiden war, als die Vergleichsverhandlungen scheiterten. Es hält sodann fest, dass die Kläger in den Grundsatzfragen über die Art und die Bedeutung der Schadensursachen im wesentlichen durchgedrungen seien und bei den Rechts- und Ermessensfragen zur Schadenshöhe beide Parteien Teilerfolge erzielt hätten. Aus diesen Gründen und weil auch das Veranlassungsprinzip zu berücksichtigen sei, rechtfertige es sich, die Kostenregelung des Bezirksgerichts (zwei Drittel nebst einer reduzierten Parteientschädigung zulasten der Kläger) zu bestätigen, die Kosten des Appellationsverfahrens dagegen hälftig aufzuerlegen und die Parteientschädigungen für dieses Verfahren wettzuschlagen.
Die Kläger erblicken darin einen Verstoss gegen Bundesrecht, insbesondere gegen
Art. 42 Abs. 2 OR
, der vom Geschädigten nicht verlange, dass er die Ersatzforderung schon in der Klage genau beziffere. In Haftpflichtprozessen müsse der Kläger bestmögliche Forderungen erheben, was aber nicht wie hier dazu führen dürfe, ihn mit einer Parteientschädigung von Fr. 10'000.-- zu belasten, wenn er teilweise unterliege. Aus
Art. 42 Abs. 2 OR
folge jedenfalls mittelbar, dass der Schädiger alle Gerichts- und Anwaltskosten zu übernehmen habe, wenn die eingeklagte Forderung sich in einem vernünftigen Rahmen halte; das entspreche auch
Art. 156 Abs. 3 OG
und Rücksichten auf die unterschiedliche finanzielle Lage der Parteien.
Art. 4 BV
führe zum gleichen Ergebnis, weil der unbemittelten Partei mit der Gewährung des Armenrechts allein nicht geholfen sei.
c) Die finanzielle Lage der Parteien kann nach der allgemeinen Bestimmung, wonach die Prozesskosten "in der Regel" der unterliegenden Partei aufzuerlegen sind, den Kostenentscheid beeinflussen; sie kann entgegen der Auffassung der Kläger aber nicht dazu
BGE 113 II 323 S. 343
führen, in Haftpflichtprozessen unbekümmert um deren Ausgang alle Kosten der beklagten Versicherung zu überbinden, soll die Regel nicht ins Gegenteil verkehrt werden. Auch
Art. 4 BV
hilft den Klägern nicht, ganz abgesehen davon, dass dessen Verletzung nicht mit der Berufung, sondern mit der staatsrechtlichen Beschwerde zu rügen ist (
Art. 43 Abs. 1 Satz 2 OG
;
BGE 109 II 31
E. 3b mit Hinweisen); die Verfassungsbestimmung schützt im Bereich der unentgeltlichen Rechtspflege nur gegen Vorauszahlungen, aber nicht vor dem Risiko, schliesslich zu Kosten verurteilt zu werden (HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 160 mit Hinweisen).
Art. 42 Abs. 2 OR
sodann bestimmt, dass der ziffernmässig nicht nachweisbare Schaden zu schätzen ist; er entbindet den Geschädigten in solchen Fällen auch von genauen Angaben im Klagebegehren. Wo diese Schwierigkeit aber durch das Beweisverfahren behoben wird und der Schaden sich nachher überblicken lässt, kann vom Geschädigten auch nach den allgemeinen Beweisregeln des Bundesrechts (
Art. 8 ZGB
und
Art. 42 Abs. 1 OR
) verlangt werden, dass er den Schaden alsdann beziffert (
BGE 77 II 187
/88; vgl.
§ 61 Abs. 2 ZPO
/ZH und dazu STRÄULI/MESSMER N. 16).
Art. 42 Abs. 2 OR
hat nicht den Sinn, dass dem Kläger das Prozessrisiko, das sich aus der Anwendung materiellen Rechts oder richterlichen Ermessens ergibt, abzunehmen sei. Die vorliegend massgebende kantonale Ordnung ermöglicht durchaus eine dem Haftpflichtrecht angemessene Lösung; die Kläger machen denn auch nicht geltend, dass sie die Anwendung von
Art. 42 Abs. 2 OR
beeinträchtige oder gar vereitle (
BGE 106 II 150
E. 2b,
BGE 104 Ia 108
E. 4 mit Hinweisen).
Dass die Kosten abweichend von der Regel verteilt werden können, wenn eine teilweise unterliegende Partei sich in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sehen durfte, gilt auch für den Fall, dass eine Partei sich überklagt, weil ihr die genaue Bezifferung nicht zuzumuten war; denn es handelt sich um Sachverhalte von gleicher Bedeutung (vgl.
§ 64 Abs. 3 ZPO
/ZH und STRÄULI/MESSMER, N. 10 dazu). Wenn das kantonale Recht wie das eidgenössische für solche Fälle eine verhältnismässige Kostenverlegung vorsieht (
§ 210 ZPO
/BL, Art. 156 Abs. 3 und 159 Abs. 3 OG), besagt das, dass die Gegenpartei stärker als ihrem Unterliegen entsprechend, ja sogar voll belastet werden darf, wo die Umstände das eine oder das andere rechtfertigen (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, S. 406).
BGE 113 II 323 S. 344
d) Es ist richtig, dass die Rechtsprechung das Veranlassungsprinzip, das den angeführten Bestimmungen über die Kostenregelung zugrunde liegt, nicht immer gehörig berücksichtigt (BUCHER, in ZSR 102/1983 S. 293). Das gilt insbesondere dann, wenn der Belangte seine Haftung überhaupt bestreitet, für den Schaden aber zumindest teilweise aufzukommen hat. Das war hier aber nicht der Fall. Die Bezifferung der Forderungen hing vorliegend auch nicht entscheidend von einem Beweisverfahren, sondern vor allem von Rechts- und Ermessensfragen ab. Insoweit unterscheidet der vorliegende Haftpflichtprozess sich nicht grundsätzlich von andern Prozessen, in denen um die Höhe von Forderungen, Renten oder andern Ansprüchen gestritten wird. Besondere Rücksicht auf den Geschädigten ist zudem nur für das erstinstanzliche Verfahren angebracht, weil er seine Begehren oft in Unkenntnis der gegnerischen Auffassung formulieren muss. Wenn bereits ein Sachurteil vorliegt, besteht dazu meistens kein Anlass mehr, jedenfalls nicht nach einem zweitinstanzlichen Urteil.
Die Vorinstanz hat den Klägern, die über Fr. 230'000.-- Schadenersatz und Genugtuung verlangt haben, rund Fr. 50'000.-- zugesprochen. Dem Veranlassungsprinzip Rechnung tragend hat sie ihnen sodann zwei Drittel der bezirksgerichtlichen und die Hälfte der obergerichtlichen Kosten auferlegt. Nach dem vorliegenden Urteil erhalten die Kläger rund Fr. 100'000.--. Dieser Ausgang des Prozesses entspricht einem knapp hälftigen Obsiegen der Kläger. Es rechtfertigt sich daher, nicht nur die Kosten des kantonalen, sondern auch des Berufungsverfahrens den Parteien zu gleichen Teilen zu überbinden und die Parteientschädigungen für alle drei Instanzen wettzuschlagen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 2. Juli/19. November 1985 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Klägern Fr. 99'224.-- nebst 5% Zins seit 17. November 1983 sowie Fr. 3'130.-- zu bezahlen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c7e3e71-f207-42b4-8009-32c51d990bc2 | Urteilskopf
89 IV 44
10. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 31 janvier 1963 dans la cause dame Abecassis-Harary contre Ministère public du canton de Genève. | Regeste
Art. 96 Ziff. 2 SVG
: Führen eines Motorfahrzeuges, für das keine Haftpflichtversicherung besteht.
1. Der Führer eines im Ausland immatrikulierten Motorfahrzeuges ist nicht nach dieser Gesetzesbestimmung strafbar, wenn er bei der Einfahrt in die Schweiz die Schadenbehandlungsgebühr gemäss Art. 43 Abs. 1 und 47 der Verordnung vom 20. November 1959 über Haftpflicht und Versicherungen im Strassenverkehr nicht entrichtet (Erw. 1).
2. Ist er allenfalls nach Art. 60 Ziff. 1 Abs. 1 der genannten Verordnung strafbar (Erw. 2)?
3. Befindet sich der Standort des Motorfahrzeuges in der Schweiz, so ist
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 SVG
anwendbar (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 45
BGE 89 IV 44 S. 45
A.-
En septembre 1961, dame Gaby Abecassis a piloté à Genève une voiture automobile munie des plaques françaises 48 TT 74, sans être au bénéfice d'une assuranceresponsabilité civile.
B.-
Le Tribunal de police du canton de Genève lui a infligé, le 30 mai 1962, en raison de ce fait, trois jours d'emprisonnement, avec sursis pendant deux ans, et 300 fr. d'amende.
Sur appel de la condamnée, la Cour de justice a confirmé ce jugement, le 24 septembre. Son arrêt est en bref motivé comme suit. La prévenue, qui avait acquitté en juillet 1961 l'émolument de gestion de sinistre prévu à l'art. 43 de l'ordonnance du 20 novembre 1959 sur la responsabilité civile et l'assurance en matière de circulation routière (OAV), n'en a pas payé un nouveau lorsque, après être retournée à Livourne où elle était domiciliée, elle revint en Suisse, le 6 ou le 7 septembre 1961; or, cet émolument doit être payé lors de chaque entrée en Suisse; comme, à cette époque, son véhicule n'était pas couvert par une assurance-responsabilité civile ni par une assurance-frontière, elle n'avait pas le droit de l'utiliser en Suisse; en le conduisant néanmoins, elle est tombée sous le coup de l'art. 96 ch. 2 LCR.
BGE 89 IV 44 S. 46
C.-
Dame Abecassis se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Elle conclut à libération.
Le Procureur général propose de rejeter le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 96 ch. 2 LCR punit de l'emprisonnement et de l'amende celui qui conduit un véhicule automobile en sachant qu'il n'est pas couvert par une assurance-responsabilité civile ou qui devait le savoir en prêtant toute l'attention commandée par les circonstances. Le texte allemand, plus précis, mentionne "die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung". L'obligation de conclure une telle assurance est prescrite par l'art. 63 al. 1 LCR, qui vise uniquement les véhicules immatriculés en Suisse. Cette restriction résulte du fait que les véhicules étrangers sont régis par l'art. 74. Or, cette disposition, à la différence de l'art. 63, ne subordonne pas la mise en circulation à la conclusion d'une assurance-responsabilité civile. Elle charge le Conseil fédéral de prendre les dispositions nécessaires afin non pas que les véhicules étrangers ne soient admis à circuler en Suisse que s'ils sont couverts par une assuranceresponsabilité civile, mais seulement que la réparation des dommages qu'ils causent dans le pays soit garantie dans la même mesure que si l'accident était dû à un véhicule suisse. Ces dispositions ont été introduites dans l'ordonnance précitée du 20 novembre 1959 (
art. 39 à 51
).
Le Conseil fédéral a prévu trois modes de couverture des dommages causés en Suisse par des véhicules automobiles étrangers: 1o une assurance satisfaisant aux conditions requises en Suisse et dont le conducteur doit justifier l'existence en produisant un certificat d'assurance (art. 43 al. 1 et 44 OAV); 2o une assurance-frontière, valable trente jours consécutifs, conclue aux bureaux de douane (art. 45 OAV); 3o la réparation subsidiaire selon une convention passée entre le Département fédéral de justice et police et des entreprises d'assurances autorisées à opérer en Suisse (art. 46 OAV). Le conducteur qui, lors de son entrée dans
BGE 89 IV 44 S. 47
ce pays, n'est pas en mesure de présenter un certificat d'assurance et ne conclut pas une assurance-frontière est tenu d'acquitter l'émolument de gestion de sinistre, qui s'élève à 3 fr. (art. 43 al. 1 et 47 OAV). Selon les renseignements communiqués par la Division fédérale de police à la Cour de céans, la réparation subsidiaire est accordée même si l'émolument de gestion de sinistre n'a pas été payé, par exemple lorsque l'assurance-responsabilité civile arrive à échéance pendant que le véhicule étranger est en Suisse ou que, une assurance-frontière ayant été conclue, ce véhicule reste plus de trente jours en Suisse. Il ressort de cette réglementation que l'émolument de gestion de sinistre n'est pas une prime d'assurance, puisque la réparation subsidiaire intervient précisément quand le véhicule étranger n'est pas au bénéfice d'une assurance. La quittance remise au conducteur qui verse cet émolument précise d'ailleurs: "En payant la taxe de gestion vous n'avez pas conclu une police d'assurance".
Le droit fédéral n'exige donc pas que les véhicules étrangers qui pénètrent en Suisse soient couverts par une assurance. S'ils ne le sont pas, il est indifférent, au point de vue pénal, que l'émolument de gestion de sinistre soit acquitté ou non: l'art. 96 ch. 2 LCR reprime uniquement, on l'a vu, la conduite d'un véhicule non couvert par l'assurance prescrite. Or celui qui entre en Suisse au volant d'un véhicule étranger n'a pas l'obligation de conclure une assurance-responsabilité civile.
Il s'ensuit qu'en condamnant la recourante pour n'avoir pas payé l'émolument de gestion de sinistre lors de son entrée en Suisse, le 6 ou le 7 septembre 1961, les premiers juges ont violé l'art. 96 ch. 2 LCR.
2.
On peut se demander si le conducteur étranger qui entre et circule en Suisse sans avoir acquitté l'émolument de gestion de sinistre est passible des arrêts ou de l'amende en vertu de l'art. 60 ch. 1 al. 1 OAV. Cette disposition réprime le comportement de "celui qui ne se sera pas procuré une autorisation exigée par la présente ordonnance".
BGE 89 IV 44 S. 48
Le paiement de l'émolument en question serait alors la condition requise pour obtenir une autorisation - verbale ou même tacite - de pénétrer et de circuler en Suisse sans être au bénéfice d'une assurance-responsabilité civile. Mais les art. 43 al. 1 et 2 et 47 OAV ne parlent pas d'une autorisation qui serait donnée au conducteur, moyennant paiement de l'émolument prescrit. Ce conducteur ne reçoit qu'une quittance, qu'il doit garder dans son véhicule et présenter, sur demande, aux organes chargés du contrôle (art. 43 al. 3 OAV). Il serait difficile de considérer comme une autorisation la seule délivrance d'une telle quittance. Sans doute le Conseil fédéral n'a-t-il pas envisagé, en édictant l'ordonnance, qu'un automobiliste réussisse à pénétrer en Suisse sans avoir produit un certificat d'assurance ni contracté une assurance-frontière ni payé l'émolument de gestion de sinistre. S'il l'avait prévu, il aurait prescrit clairement que le conducteur doit obtenir une autorisation subordonnée à l'accomplissement préalable de l'une des trois démarches précitées, qui lui serait accordée verbalement, voire tacitement, par le fait que le fonctionnaire de la douane auquel il se serait annoncé le laisserait poursuivre sa route. Le Conseil fédéral aurait pu aussi déclarer punissable celui qui, n'ayant pas fourni un certificat d'assurance ni contracté une assurance-frontière, entre en Suisse sans payer l'émolument de gestion de sinistre. Or l'OAV ne contient aucune disposition semblable. Le juge ne saurait combler cette lacune par une interprétation artificielle de l'art. 60 ch. 1 al. 1 OAV. Les mêmes raisons s'opposent à l'application de l'art. 96 ch. 1 al. 2 LCR, déclarant punissable celui qui, sans autorisation, aura entrepris des courses soumises à l'agrément de l'autorité en vertu de ladite loi.
Hormis les cas exceptionnels où un conducteur franchit frauduleusement la frontière, un véhicule étranger non assuré ne peut circuler en Suisse sans que l'émolument de gestion de sinistre ait été payé que si le bureau de douane a négligé de le percevoir. Voulût-on assimiler la quittance
BGE 89 IV 44 S. 49
à une autorisation, qu'il serait excessif de retenir une faute à la charge du conducteur que les douaniers ont laissé entrer en Suisse sans exiger le paiement de l'émolument. Quoi qu'il en soit, nul ne reproche en l'espèce à la recourante d'avoir, le 6 ou le 7 septembre 1961, pénétré illicitement en Suisse.
3.
Il n'est cependant pas exclu qu'un conducteur étranger tombe sous le coup de l'art. 96 ch. 2 LCR. Lorsque son séjour en Suisse se prolonge, il arrive un moment où son véhicule doit être immatriculé dans le pays. L'immatriculation suppose la conclusion d'une assurance-responsabilité civile (art. 63 al. 1 LCR). Si une telle assurance n'est pas conclue, l'art. 96 ch. 2 LCR s'applique au conducteur. La difficulté provient du silence des dispositions légales quant au moment où l'immatriculation en Suisse doit intervenir. Pas plus que la LA ni le RA, la LCR ni ses ordonnances d'exécution n'abordent la question.
La Division fédérale de police expose dans une lettre du 19 janvier 1962 adressée au conseil de la recourante que, selon la pratique actuelle, un véhicule portant plaques étrangères devrait être immatriculé en Suisse lorsqu'il y séjourne plus de trois mois, sauf si le détenteur (ou le conducteur) fournit la preuve ou rend vraisemblable qu'il quittera le pays avant l'échéance de six mois, comptés à partir de son entrée; d'une façon générale, l'immatriculation doit intervenir (à titre provisoire ou définitif selon les circonstances) après un séjour de six mois en Suisse. Quant à la Commission intercantonale de la circulation routière, elle admet, dans sa circulaire du 17 février 1954, adressée aux autorités cantonales compétentes, que l'immatriculation devrait être exigée immédiatement après l'entrée en Suisse si le détenteur prenait un domicile durable dans le pays ou s'il fallait prévoir que le véhicule y restera plus de six mois. Les recommandations de ladite commission ne sont toutefois pas opposables aux conducteurs. Aussi faut-il examiner si la pratique des autorités administratives trouve un fondement suffisant dans la législation en vigueur.
BGE 89 IV 44 S. 50
Pour qu'un véhicule automobile étranger soit immatriculé en Suisse, il doit y avoir son lieu de stationnement. Ce lieu détermine en effet la compétence des autorités dans les relations intercantonales (art. 22 al. 1 et 3 LCR). Il doit aussi servir de point de rattachement dans les relations internationales. L'art. 16 al. 1 OAV s'y réfère d'ailleurs, en prescrivant l'immatriculation provisoire des véhicules dont le lieu de stationnement ne se trouve en Suisse que pour une durée limitée. L'al. 3 réserve toutefois les dispositions concernant les véhicules admis en circulation internationale sous le couvert de permis étrangers et de plaques étrangères.
Aux termes de l'art. 1er de l'ACF du 10 mai 1957 concernant la circulation automobile internationale (ROLF 1957 p. 416), les véhicules étrangers sont autorisés à circuler temporairement en Suisse s'ils sont munis de leur permis national de circulation ou du certificat international pour automobiles prescrit par la convention du 24 avril 1926 (al. 1); ils doivent porter les plaques de contrôle de leur pays et le signe distinctif international (al. 3). Un tel véhicule ne doit être immatriculé en Suisse que lorsque prend fin l'autorisation de circuler temporairement dans le pays. Elle s'éteint en tout cas au moment où le permis de circulation est périmé. Toutefois le certificat international, qui tient lieu de permis national de circulation, peut être renouvelé par les autorités cantonales (art. 5 al. 2), ce qui montre que le temps visé à l'art. 1er al. 1 de l'ACF du 10 mai 1957 ("circuler temporairement") est largement mesuré. Tant qu'un véhicule automobile circule dans le pays sous le couvert de plaques étrangères et d'un permis valable - étranger ou international - il n'est pas soumis à l'immatriculation.
La réserve de l'art. 16 al. 3 OAV ne se rapporte qu'à l'immatriculation provisoire, qui fait l'objet des
art. 16 à 19
, groupés dans la section III du chapitre deuxième de l'ordonnance. Elle ne touche pas l'immatriculation définitive des véhicules étrangers dont le lieu de stationnement
BGE 89 IV 44 S. 51
est fixé en Suisse pour une durée illimitée. Il faut dès lors distinguer trois catégories:
a) les véhicules étrangers avec lieu de stationnement durable en Suisse, qui sont soumis aux règles du droit commun, et dont les détenteurs reçoivent des plaques et un permis de circulation aux mêmes conditions que les véhicules suisses qui, par exemple, changent de lieu de stationnement d'un canton dans un autre ou qui passent à un autre détenteur (cf. art. 11 al. 3 LCR);
b) les véhicules étrangers dont le lieu de stationnement ne se trouve en Suisse que pour une durée limitée, qui sont immatriculés provisoirement selon l'art. 16 al. 1 OAV et dont les détenteurs reçoivent un permis de circulation spécial, valable en principe douze mois au plus (cf. art. 17 OAV), ainsi que des plaques spéciales et une vignette de contrôle (cf. art. 18 OAV);
c) les véhicules admis en circulation internationale selon l'ACF du 10 mai 1957 déjà cité, réservé par l'art. 16 al. 3 OAV.
Lorsque le détenteur d'un véhicule étranger admis en Suisse en circulation internationale fixe dans ce pays le lieu de stationnement du véhicule, pour une durée limitée ou illimitée, il passe de la catégorie c) à la catégorie b) ou a). De même, lorsque le lieu de stationnement fixé en Suisse pour une durée limitée devient durable, le véhicule passe de la catégorie b) dans la catégorie a). Dans tous les cas, il faudra, avant de prononcer une condamnation pénale, laisser au détenteur un délai suffisant pour effectuer les démarches requises, mais ce délai doit être bref. Quant à la détermination du moment à partir duquel le détenteur fixe le lieu de stationnement en Suisse, elle dépend des circonstances de chaque cas particulier. Le domicile ou la résidence du détenteur, sans être toujours décisifs, fourniront un indice sérieux. On pourrait certes envisager, de lege ferenda, qu'après un certain délai, compté dès l'entrée du véhicule étranger en Suisse, le détenteur doit en fixer le lieu de stationnement dans ce pays et, partant,
BGE 89 IV 44 S. 52
obtenir une immatriculation provisoire ou ordinaire, selon que la durée du stationnement prévu est limitée ou illimitée. Mais pareille obligation ne résulte pas des dispositions en vigueur. Les règles admises dans la pratique administrative ou préconisées dans les recommandations adressées aux autorités compétentes n'ont par conséquent, de lege lata, que la valeur de présomptions. Le détenteur doit être admis à prouver les faits pertinents qui, dans chaque cas particulier, s'opposeraient à l'application stricte de ces normes.
Le détenteur (ou le conducteur) d'un véhicule étranger qui en a fixé le lieu de stationnement en Suisse et qui ne se procure pas le permis de circulation et les plaques suisses à l'expiration d'un délai raisonnable pour accomplir ces démarches, mais continue à rouler avec un permis et des plaques étrangères, tombe sous le coup de l'art. 96 ch. 1 al. 1 LCR. En outre, si son assurance étrangère, jugée conforme aux exigences du droit suisse lors de son entrée dans le pays, n'est plus en vigueur, ou si l'assurance-frontière qu'il a contractée à cette occasion n'est plus valable, il commet l'infraction réprimée par l'art. 96 ch. 2 LCR, du moins s'il n'a pas payé l'émolument de gestion de sinistre. Il n'est pas nécessaire d'examiner aujourd'hui si la disposition précitée est applicable également lorsque ledit émolument a été payé. De même, on peut laisser indécis le point de savoir si les infractions visées par les art. 96 ch. 1 et 2 LCR ne sont punissables qu'après une sommation de l'autorité compétente invitant le détenteur du véhicule étranger dont le lieu de stationnement se trouve désormais en Suisse à se procurer le permis de circulation et les plaques requis par la législation interne.
4.
En l'espèce, la recourante est poursuivie sur la base d'un rapport de contravention dressé le 22 septembre 1961. Elle est entrée en Suisse avec son véhicule le 6 ou le 7 septembre 1961. On ignore si elle est venue résider dans ce pays ou si elle y a fixé son domicile. On ne trouve pas non plus dans les faits exposés par l'autorité cantonale la mention
BGE 89 IV 44 S. 53
d'autres circonstances d'où l'on pourrait déduire que, le 22 septembre 1961, le véhicule de la recourante aurait dû être immatriculé en Suisse et, partant, couvert par une assurance conforme aux art. 63 ss. LCR. On lit certes dans le jugement du tribunal de première instance que dame Abecassis "a obtenu par la suite les plaques de police GE 6537.Z.62". Cela signifie que le véhicule a fait l'objet d'une immatriculation provisoire (art. 16 al. 1 OAV) à une date ultérieure non précisée. On ne saurait en inférer toutefois que cette démarche aurait dû être accomplie avant le 22 septembre 1961, ni, partant, que la recourante était punissable, à cette date déjà, parce que "le permis de circulation ou les plaques de contrôle nécessaires faisaient défaut" (art. 96 ch. 1 al. 1 LCR), voire parce que l'assurance prescrite par la législation interne n'avait pas encore été contractée (art. 96 ch. 2 LCR).
Le pourvoi s'avère ainsi fondé. La cause doit être renvoyée à l'autorité cantonale, en vertu de l'art. 277ter PPF, pour qu'elle libère la recourante des fins de la poursuite pénale dirigée contre elle sur la base du rapport de contravention dressé le 22 septembre 1961. Il reste loisible aux autorités genevoises de rechercher si le comportement ultérieur de la recourante constitue une infraction aux prescriptions en vigueur.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision. | null | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c814bfb-681c-4201-9ac8-964c6ccd6ae1 | Urteilskopf
133 IV 142
23. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause A. contre Ministère public du canton du Valais (demande de révision)
6F_1/2007 du 9 mai 2007 | Regeste
Revisionsbegehren;
Art. 121 ff. BGG
.
Begriff der Anträge im Sinne von
Art. 121 lit. c BGG
. Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 133 IV 142 S. 142
Par arrêt du 29 décembre 2006, la cour de céans a rejeté, dans la mesure où il était recevable, le recours de droit public et admis partiellement en application de l'
art. 277 PPF
le pourvoi en nullité formés tous deux par A. contre un arrêt du 21 juin 2006 émanant de la Cour pénale II du Tribunal cantonal valaisan. En ce qui concerne les frais de procédure, un émolument judiciaire de 2000 francs a été mis à la charge du recourant pour le recours de droit public, cependant qu'il n'a pas été perçu de frais, ni alloué d'indemnité pour le pourvoi en nullité.
A. forme une demande de révision de cet arrêt en application de l'
art. 136 let
. c OJ, invoquant qu'il n'a pas été statué sur sa conclusion tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire. Il conclut à la modification de l'arrêt entrepris en ce sens que la demande d'assistance judiciaire jointe aux deux recours précités soit admise, que M
e
B., avocat, soit désigné en qualité de conseil d'office, qu'une indemnité soit allouée à ce dernier à titre d'honoraires pour chacun des deux recours et qu'il ne soit pas perçu de frais. Il sollicite par ailleurs à nouveau l'assistance judiciaire pour la procédure de révision.
Il n'a pas été ordonné d'échange d'écritures.
Le Tribunal fédéral a admis la demande de révision.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recourant invoque le motif de révision tiré de l'
art. 136 let
. c OJ (RO 3 p. 521), aux termes duquel la demande de révision d'un
BGE 133 IV 142 S. 143
arrêt du Tribunal fédéral est recevable lorsqu'il n'a pas été statué sur certaines conclusions. Ce motif de révision a été repris sans changement par l'
art. 121 let
. c de la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF; RS 173.110).
2.1
Selon une jurisprudence déjà ancienne, le fait que le Tribunal fédéral n'a pas statué sur une conclusion ne constitue un motif de révision qu'en ce qui concerne les conclusions de fond, à l'exclusion, notamment de celles tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire (
ATF 101 Ib 220
consid. 2 p. 222 s.), parce qu'il peut être statué implicitement sur ces conclusions, comme sur celles de procédure.
2.2
En doctrine, la plupart des auteurs énoncent ce principe en se référant à l'arrêt publié précité sans plus amples commentaires (à propos de l'
art. 136 let
. c OJ: URSINA BEERLI-BONORAND, Die ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, thèse Zurich 1985, p. 135; JEAN-FRANÇOIS Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Berne 1992, vol. V,
art. 136 OJ
, n. 4; KARL SPÜHLER/DOMINIK VOCK, Rechtsmittel in Zivilsachen im Kanton Zürich und im Bund, Zurich 1999, p. 159; en relation avec le nouvel
art. 121 let
. c LTF: KARL SPÜHLER/ ANNETTE DOLGE/DOMINIK VOCK, Kurzkommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], Zurich/St-Gall 2006,
art. 121 LTF
, n. 3; moins affirmatif cependant en ce qui concerne les conclusions de procédure en général: NICOLAS VON WERDT, in Bundesgerichtsgesetz [BGG], Berne 2007,
art. 121 LTF
, n. 23).
2.3
La justification de l'arrêt publié aux
ATF 101 Ib 220
repose exclusivement sur le fait qu'il peut être statué implicitement sur les conclusions de procédure et celles tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire. Dans sa formulation absolue, le principe à la base de cet arrêt suppose l'existence d'une présomption irréfragable que le silence du tribunal exprime un jugement implicite des conclusions de procédure ou tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire. Comme l'a jugé le Tribunal fédéral dans l'arrêt publié aux
ATF 114 Ia 332
, consid. 2b p. 334, cette présomption n'est pourtant pas absolue, même en matière de dépens, si bien que la motivation de l'arrêt publié aux
ATF 101 Ib 220
n'explique pas ce qui justifierait le rejet de la demande de révision lorsqu'il y a des raisons sérieuses d'admettre que le tribunal a effectivement omis de statuer sur une conclusion de procédure ou tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire. Par ailleurs, l'allocation ou le refus de dépens visés par l'
ATF 114 Ia 332
sont
BGE 133 IV 142 S. 144
étroitement liés au sort de la cause au fond. Souvent, on peut ainsi déduire du dispositif sur les points principaux quel sort a implicitement été donné à la question des dépens. Il n'en va, en revanche, pas de même de l'assistance judiciaire, dont l'octroi ou le refus ne dépend pas exclusivement du sort de la cause au fond, mais procède d'une appréciation plus complexe d'autres facteurs, dont la situation économique de la partie requérante (qui ne ressort pas nécessairement des considérants de l'arrêt), la difficulté des questions soulevées (pour la désignation d'un conseil d'office) et surtout le pronostic sur les chances de succès (
art. 152 OJ
;
art. 64 LTF
), qui ne peut, en règle générale, pas être non plus déduit du seul dispositif de l'arrêt sur les points principaux. Il se justifie ainsi moins encore pour les conclusions tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire que pour celles tendant à l'octroi de dépens de présumer de manière absolue que le silence du dispositif de l'arrêt exprime un jugement implicite. Une telle présomption ne peut donc fonder, à elle seule et de prime abord, le rejet de la demande de révision motivée par l'absence de décision sur une conclusion tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire.
2.4
Il y a ainsi lieu d'examiner, au préalable, s'il existe des raisons sérieuses d'admettre que le tribunal a effectivement omis de statuer sur les conclusions tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire.
2.5
A cet égard, il convient de relever que l'arrêt du 29 décembre 2006 ne mentionne les conclusions du recourant tendant à l'octroi de l'assistance judiciaire ni dans ses considérants en fait, ni dans ses considérants en droit. Il s'agit d'un premier indice permettant de penser que ces conclusions ont purement et simplement été omises. Cet arrêt n'a, par ailleurs, pas été rendu dans la procédure de l'
art. 36a OJ
, si bien que la procédure suivie ne permet pas non plus, à elle seule, de retenir que le recours était manifestement irrecevable ou infondé et donc d'emblée privé de chances de succès. La motivation de l'arrêt ne fournit non plus aucune indication que la situation financière du recourant était telle qu'elle aurait de toute évidence justifié le refus de l'assistance judiciaire. Dans ces conditions, le seul fait que des frais ont été mis à la charge du recourant pour le recours de droit public et qu'il a été statué sans frais ni dépens pour le pourvoi en nullité admis partiellement, ne permet pas d'interpréter le silence du dispositif sur la question de l'assistance judiciaire comme un refus implicite de cette dernière. Il convient dès lors de trancher la question du droit du demandeur en révision à l'assistance judiciaire pour la procédure précédente. | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c82f03d-a79c-433d-9798-477e0d8e3579 | Urteilskopf
117 II 466
87. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. September 1991 i.S. Sekundarschulgemeinde Rapperswil-Jona gegen Custer und Zangger (Berufung) | Regeste
Urheberrecht an Werken der Baukunst. Urheberpersönlichkeitsrecht des Architekten; Verhältnis zur Rechtsstellung des Eigentümers am Werkexemplar.
Art. 1 Abs. 2 URG
. Voraussetzungen und Umfang des urheberrechtlichen Schutzes (E. 2).
Urheberpersönlichkeitsrecht des Schöpfers (E. 3). Rechtslage bei einer Kollision von urheber- und eigentumsrechtlichen Ansprüchen am gleichen Werkexemplar (E. 4). Die Verfügungsfreiheit des Eigentümers geht im Grundsatz dem Integritätsanspruch des Architekten vor. Die Änderung eines urheberrechtlich geschützten Werkes darf jedoch nicht zu einer eigentlichen Verletzung oder Gefährdung der Persönlichkeit des Urhebers führen (E. 5). Verneinung einer solchen Beeinträchtigung im vorliegenden Fall (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 467
BGE 117 II 466 S. 467
Die Architekten Walter Custer und Hans Zangger führten in den Jahren 1959/60 gestützt auf Pläne, die sie für einen Projektwettbewerb ausgearbeitet hatten, die Erweiterung der Sekundarschulanlage Burgerau in Rapperswil aus. Der neue kubisch gegliederte zweistöckige Bau mit Flachdach und einer zweigeschossigen zentralen Mittelhalle wurde als Ergänzungsbau zum alten Sekundarschulhaus konzipiert.
Am 30. Juni 1986 beschloss die Sekundarschulgemeinde Rapperswil-Jona, das Flachdach durch Aufsetzen eines Satteldaches zu sanieren und die Betonfassaden mit einer Aussenisolation zu versehen. Durch die neue Dachgestaltung liesse sich Raum für zwei zusätzliche Schulzimmer im Giebel gewinnen.
In Prosequierung einer privatrechtlichen Baueinsprache erhoben die Architekten Custer und Zangger im Januar 1988 Klage aus Urheberrecht mit dem Begehren, der Sekundarschulgemeinde die Realisierung des Projekts verbieten zu lassen. Das Kantonsgericht St. Gallen holte bei zwei Architekten ein Gutachten ein und schützte die Klage mit Urteil vom 5. Juli 1990.
Das Bundesgericht heisst die Berufung der Beklagten gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Klage ab.
BGE 117 II 466 S. 468
Erwägungen
Erwägungen:
2.
In der Berufungsschrift spricht die Beklagte dem von den Klägern erstellten Ergänzungsbau die urheberrechtliche Werkqualität insgesamt oder doch im wesentlichen ab. Wie es sich damit verhält, hat das Bundesgericht im Berufungsverfahren als Rechtsfrage frei zu prüfen.
a) Unter den Begriff des geschützten Werkes im Sinne von
Art. 1 URG
fallen konkrete Darstellungen, die nicht bloss Gemeingut enthalten, sondern insgesamt als Ergebnis geistigen Schaffens von individuellem Gepräge oder als Ausdruck einer neuen originellen Idee zu werten sind; Individualität oder Originalität gelten denn auch als Wesensmerkmale des urheberrechtlich geschützten Werkes. Am eindrücklichsten sind die Schutzvoraussetzungen erfüllt, wenn das Werk den Stempel der Persönlichkeit seines Urhebers trägt, unverkennbar charakteristische Züge aufweist und sich von Darstellungen der gleichen Werkgattung deutlich unterscheidet. Das heisst nicht, an das Mass der geistigen Leistung, an den Grad der Individualität oder Originalität seien stets gleich hohe Anforderungen zu stellen. Das verlangte individuelle Gepräge hängt vielmehr vom Spielraum des Schöpfers ab; wo ihm von vornherein der Sache nach wenig Raum bleibt, wird der urheberrechtliche Schutz schon gewährt, wenn bloss ein geringer Grad selbständiger Tätigkeit vorliegt (
BGE 113 II 196
, 308 mit Hinweisen).
Urheberrechtlichen Schutz geniessen nach der ausdrücklichen Vorschrift von
Art. 1 Abs. 2 URG
auch Werke der Baukunst. Der Architekt, der Pläne und Projekte entwirft, muss dabei, um den Schutz des URG beanspruchen zu können, nicht etwas absolut Neues schaffen, sondern er darf sich mit einer relativen und teilweisen Neuschöpfung begnügen. Diese kann darin bestehen, dass er Erkenntnisse seines Fachgebiets durch einen persönlichen Aufwand geistiger Tätigkeit auf ein konkretes Problem anwendet und eine Lösung findet, die sowohl praktischen Bedürfnissen als auch ästhetischen Anforderungen entspricht. Das URG verlangt auch vom Architekten nicht, dass er eine ausgeprägt originelle Leistung erbringe, sondern lässt einen geringen Grad selbständiger Tätigkeit genügen. Es versagt ihm den Schutz aber dann, wenn er durch Verbindung oder Abwandlung bekannter Formen und Linien bloss eine handwerkliche Leistung erbringt oder nach den gegebenen Verhältnissen keinen Raum für individuelles Schaffen findet
BGE 117 II 466 S. 469
(
BGE 100 II 172
mit Hinweisen). Geschützt ist mit anderen Worten die individuelle oder originelle Schöpfung im Rahmen dessen, was durch die Zweckbestimmung der Baute, die tatsächlichen oder natürlichen Vorbedingungen und die normativen Gestaltungsschranken des Bau- und Planungsrechts vorgegeben ist.
Der Werkschöpfer, der Urheberrechtsschutz beansprucht, fühlt sich als Künstler oft einer bestimmten Stilrichtung verpflichtet. Weder geniesst indessen der Stil als Anweisung selbständigen Urheberrechtsschutz und damit Monopolanspruch, noch schliesst die Befolgung der Anweisung einen solchen aus. Entscheidend bleibt stets die individuelle Gestaltung im Rahmen der Anweisung, der positive Ausdruck des Geisteswerkes, nicht die Idee (
BGE 116 II 354
mit Hinweisen). Werke, die einer bestimmten Stilrichtung zuzuordnen sind, sind allein der Stilverpflichtung wegen nicht schutzunfähig, selbst wenn die schöpferische Leistung sich beispielsweise in der Malerei "à la manière des tachistes" darin erschöpft, die Farbe gleichsam aus Distanz auf die Leinwand zu schleudern, oder musikalische Kompositionen nach den Anweisungen der Zwölftonmusik gestaltet sind (KUMMER, Das urheberrechtlich schützbare Werk, Bern 1968, S. 52 f.; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. Auflage, Band I, S. 394; TROLLER, Probleme des urheberrechtlichen Schutzes von Werken der Baukunst, in: SIA-Dokumentation 45, S. 27 ff.). Die Ausführung einer dem Zeitgeist oder einer bestimmten Geschmacksrichtung entfliessenden Gestaltungsidee ist ungeachtet der ideenmässigen Vorgabe schutzfähig, soweit sie zu einer individuellen Formgebung führt.
b) Gestützt auf die beiden von ihm eingeholten Gutachten bejaht das Kantonsgericht die urheberrechtliche Werkqualität des von den Klägern realisierten Projekts. Die Originalität des Werkes sieht es vorab in der äusseren harmonischen Gliederung des Baukörpers, in der Wechselwirkung von Konstruktionselementen und Fensterflächen sowie in der klaren Innenraumgestaltung, in zweiter Linie in der Beziehung zum bestehenden Altbau und in der Eingliederung in die übrige Umgebung. Zwar spreche die Tatsache, dass in Solothurn eine "praktisch gleiche Konstruktion" realisiert worden sei, gegen die statistische Einmaligkeit, doch sei die Gesamtkonzeption des klägerischen Baus desungeachtet als schützenswert einzustufen. In Anbetracht dieser Erwägung liesse sich an sich fragen, ob von einer Individualität im Sinne des Urheberrechts noch gesprochen werden kann, jedenfalls sofern die
BGE 117 II 466 S. 470
Schöpferpriorität in bezug auf ein mehrfach realisiertes Projekt nicht den Klägern zukommen sollte. Die Erwägung des Kantonsgerichts, das sich zur Frage der Schöpferpriorität nicht äussert, ist indessen im Gesamtzusammenhang so zu verstehen, dass die Vergleichsanlage in Solothurn nur auf einer "sehr ähnlichen Konzeption", d.h. Anweisung, beruht. Dies schliesst Urheberrechtsschutz des Folgewerkes nicht aus, sofern dieses im Rahmen eines einheitlichen Konzeptes seinerseits Individualität erreicht. Davon aber kann hier ausgegangen werden, wird doch insbesondere nicht geltend gemacht, das streitige Werk gründe auf einer sklavischen Planimitation oder reiche über eine bloss handwerkliche Kombination von Vorgegebenem nicht hinaus (
BGE 100 II 172
; KUMMER, a.a.O., S. 136; KARSTEN SCHMIDT, Urheberrechtlicher Werkbegriff und Gegenwartskunst - Krise oder Bewährung eines gesetzlichen Konzepts?, in: UFITA 77/1976, S. 26). Der Vorinstanz ist deshalb im Ergebnis beizupflichten, dass die Kläger mit dem Schulgebäude in Rapperswil ein urheberrechtlich geschütztes Werk geschaffen haben.
3.
Das schweizerische Recht schützt den Urheber nicht nur in seinen vermögensrechtlichen Befugnissen am Werk, sondern auch in seinen persönlichen Beziehungen zum Werk. Kantonsgericht und Parteien sind sich einig, dass im vorliegenden Fall allein Ansprüche dieser Art in Frage stehen. Gemäss Rechtsprechung stellt das Urheberpersönlichkeitsrecht einen Teil oder eine besondere Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, dessen Schutz sich aus Vorschriften des URG, wie z.B. aus Art. 43 Ziff. 1 und 2, vor allem aber aus
Art. 28 ZGB
und
Art. 49 OR
sowie aus Art. 6bis der in Rom bzw. Brüssel revidierten Fassung der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ, SR 0.231.12 bzw. SR 0.231.13) ergibt (
BGE 113 II 311
,
BGE 96 II 420
E. 6,
BGE 69 II 57
f.). In bezug auf das Urheberpersönlichkeitsrecht hat das Bundesgericht in
BGE 114 II 370
erklärt, es gewähre einen absoluten Anspruch auf Unterlassung gegenüber demjenigen, der das Werk abändere, gleichviel, ob das Werk dadurch entstellt oder verstümmelt, verbessert oder gar wertvoll ergänzt werde. Ob dieser Entscheid mit Blick auf die frühere Rechtsprechung als zu absolut erscheint, kann hier offenbleiben, da dort der unmittelbare Schutz des Werkes, im vorliegenden Fall dagegen der - mittelbare - Schutz eines vom Schöpfer begebenen Werkexemplars zur Beurteilung steht. Zwar sind Werk und Werkexemplar untrennbar verbunden, doch ist nicht zu verkennen,
BGE 117 II 466 S. 471
dass die durch die Begebung des Exemplars geschaffene sachenrechtliche Herrschafts- und Verfügungsmacht des Erwerbers und Eigentümers auch urheberrechtlich nicht ohne Bedeutung bleiben kann und nach einem sachgerechten Ausgleich der sich widerstreitenden Interessen aus den entgegengesetzten absoluten Rechtspositionen ruft. Dies ist namentlich dort zu beachten, wo das Werk einem bestimmten Nützlichkeitszweck dient und der Eigentümer beansprucht, es im Rahmen dieses Zweckes gewandelten Bedürfnissen anpassen zu können. Das gilt vorab für Bauwerke, die nach den Ansprüchen des Eigentümers bedarfsgerecht erweitert oder geändert werden sollen (TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band II, S. 692 ff.).
4.
Zur Rechtslage bei einer Kollision von urheber- und eigentumsrechtlichen Ansprüchen am selben Werk oder Werkexemplar äussern sich weder das URG noch die RBÜ ausdrücklich. Die schweizerische Rechtsprechung hatte sich offenbar mit diesem Problem bisher kaum zu befassen, insbesondere nicht hinsichtlich der Änderung eines Werkexemplars der Baukunst. Das Luzerner Obergericht wies am 7. November 1990 ein Gesuch um Anordnung vorsorglicher Massnahmen ab, mit dem ein Architekt beantragt hatte, den SBB die Erweiterung des nach seinem Wettbewerbsprojekt gestalteten Bahnhofs Luzern um einen von diesem Projekt abweichenden Westtrakt zu verbieten, und das Bundesgericht erblickte darin keine Willkür (BGE vom 25. April 1991 i.S. Baumann c. SBB und Mitbeteiligte).
a) In der schweizerischen Literatur unterstellt Alois Troller die Lösung des Problems einem Interessenausgleich zwischen Architekt und Eigentümer, orientiert an der Zweckbestimmung des Baus. Im Rahmen des ursprünglichen Zwecks könnten Änderungen urheberrechtlich nicht untersagt werden, sollten aber dem bestehenden Werk möglichst angepasst sein, wobei auch der Grad der Individualität oder der statistischen Einmaligkeit zu beachten sei. Es sollte wenigstens versucht werden, die Änderungen durch den früheren Architekten gestalten zu lassen (Probleme des urheberrechtlichen Schutzes von Werken der Baukunst, S. 78 ff.). IVAN CHERPILLOD und FRANÇOIS DESSEMONTET sprechen dem Eigentümer das Recht zu, ein Bauwerk zu ändern, sofern auf den ursprünglichen Charakter im Rahmen des Zumutbaren Rücksicht genommen werde. Ausschliesslich ästhetisch begründete Änderungen bedürften stets der Zustimmung des Urhebers; die übrigen seien aufgrund ihrer Notwendigkeit und der Schwere des Eingriffs
BGE 117 II 466 S. 472
zu beurteilen, wobei die Kriterien der Zumutbarkeit und der Verhältnismässigkeit massgebend seien (Les droits d'auteur, in: GAUCH/TERCIER, Das Architektenrecht, Freiburg 1986, S. 314 ff.). MARKUS BACHMANN will die sich widerstreitenden Interessen einer objektivierten Prüfung nach Massgabe des Vertrauensprinzips unterziehen, was verhindern soll, vorgeschobene Änderungswünsche bzw. Einwände leichtfertig zu schützen. Er vertritt zudem die Auffassung, dass auch ästhetisch begründete Änderungen an Bauwerken unter bestimmten Umständen nicht schlechthin ausgeschlossen seien (Architektur und Urheberrecht, Diss. Freiburg 1979, S. 338 ff.). RICHARD FRANK stellt den Zweckgedanken der Veränderung in den Vordergrund. Er hält dafür, der Zweck werde in der Regel im umfassenden Eigentumsrecht des Grundeigentümers seine Rechtfertigung finden, so dass sich der konkurrierende Unterlassungsanspruch des Urhebers praktisch gesehen auf Fälle des Rechtsmissbrauchs bzw. der Schikane beschränken dürfte (Urheberrecht in interdisziplinärer Sicht, in: Festschrift Pedrazzini, S. 596 f.). Ähnlich argumentiert FELIX CHRISTEN, der eine Änderungsbefugnis des Eigentümers im Rahmen des ursprünglichen Gebrauchszwecks um so eher anerkennt, je stärker das Werk auf einen Gebrauchszweck ausgerichtet sei. Dem Eigentümer gesteht er ein weitgehendes Änderungsrecht zu, zumal Bauwerke nicht leichthin ausgetauscht und ersetzt werden könnten (Die Werkintegrität im schweizerischen Urheberrecht, Diss. Zürich 1982, S. 145 ff.). LUCAS DAVID schliesslich meint, angesichts der Zweckbezogenheit des Bauwerkes und der sich wandelnden Bedürfnisse müsse bei der Interessenabwägung zwischen dem Anspruch des Architekten am unversehrten Fortbestand seines Werkes und dem Anspruch des Bauherrn an einer zweckmässigen und rentablen Baute der letztere die Oberhand gewinnen (Die Baukunst im Urheberrecht, in: Festschrift 100 Jahre URG, S. 275 f.).
b) In rechtsvergleichender Sicht ist folgendes festzuhalten: Der deutsche Bundesgerichtshof hält bei Zweckbauten Änderungen und Erweiterungen durch den Eigentümer für zulässig, wenn sie keine Entstellung des Werkes im Sinne von
§ 14 URG
enthalten und dem Urheber nach Abwägung der beidseitigen Interessen zuzumuten sind. Unter diesem Leitsatz hat er einer Gemeinde gegen den Widerstand des Architekten gestattet, den nach Art eines Atriums gestalteten Schulbau durch zwei Trakte im Innenhof und einen Anbau an einer Aussenecke zu erweitern (GRUR 1974,
BGE 117 II 466 S. 473
S. 675 ff.). Das Oberlandesgericht Frankfurt hat seinerseits den Ersatz des undichten Flachdachs eines Verwaltungsgebäudes durch ein flachgeneigtes Zeltdach und eine Veränderung der Fassaden zur Vermeidung von Feuchtigkeitsschäden aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen im Rahmen der Interessenabwägung als zulässig erachtet (GRUR 1986, S. 244 f.). Auch die deutsche Literatur geht grundsätzlich davon aus, dass eine einzelfallbezogene Interessenabwägung vorzunehmen sei. Besondere Bedeutung beigemessen wird dabei einerseits der Wahrung des künstlerischen Gesamtcharakters des Werkes und anderseits dem von diesem angestrebten Gebrauchszweck (ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Auflage, S. 220 f.; FROMM/NORDEMANN, Urheberrecht, 7. Auflage, N. 1 zu § 14 und N. 7 zu
§ 39 URG
; SCHRICKER/DIETZ, N. 17 und 35 f. zu § 14 sowie N. 27 f. zu
§ 39 URG
mit Kritik am erwähnten Frankfurter Entscheid; BEIGEL, Urheberrecht des Architekten, Wiesbaden 1984, S. 41 ff.; WALCHSHÖFER, Der persönlichkeitsrechtliche Schutz der Architektenleistung, in: Festschrift Hubmann, Frankfurt a. M. 1985, S. 469 ff.; GERLACH, Das Urheberrecht des Architekten und die Einräumung von Nutzungsrechten nach dem Architektenvertrag, GRUR 1976, S. 613 ff.).
Die französische Lehre und Rechtsprechung fordert bei einem Konflikt zwischen den Rechten des Urhebers und des Eigentümers an einem Werkexemplar ebenfalls eine Abwägung der gegenseitigen Interessen, scheint aber bei Zweckbauten den berechtigten Anliegen des Eigentümers den Vorzug zu geben (DESBOIS, Le droit d'auteur en France, 3. Auflage, S. 558 f.; HUET, Le miroir figé - éclat du droit d'auteur en matière d'architecture, S. 143 mit Hinweis auf einen Entscheid des Pariser Appellationsgerichts vom 20. Oktober 1933).
Das österreichische Urheberrechtsgesetz untersagt in § 21 alle Änderungen an einem Werk, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, soweit nicht der Urheber einwilligt oder das Gesetz sie gestattet. Gesetzlich zugelassen sind insbesondere Änderungen, die der Urheber dem zur Benutzung des Werkes Berechtigten nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen nicht untersagen kann, namentlich Änderungen, die durch die Art oder den Zweck der erlaubten Werknutzung gefordert werden. Bei Werken der Baukunst wird das Änderungsverbot ferner dahin eingeschränkt, dass der Urheber Umbauten zu dulden hat und nur die Berichtigung der Urheberbezeichnung verlangen kann (
§ 83 Abs. 3 URG
).
BGE 117 II 466 S. 474
Art. 20 des italienischen Urheberrechtsgesetzes enthält an sich ebenfalls den Grundsatz des absoluten Werkschutzes, schränkt ihn aber für Bauwerke insofern ein, als der Urheber sich unausweichlichen Änderungen nicht widersetzen kann, jedoch in den Fällen, in denen die zuständige staatliche Behörde dem Bauwerk einen besonderen künstlerischen Wert beimisst, Anspruch auf Projektierung und Durchführung der Änderungen hat (AULETTA/MANGINI, N. 3 zu Art. 2577 CCit).
5.
a) Für das geltende schweizerische Recht ist davon auszugehen, dass jedenfalls kein ausservertraglicher urheberpersönlichkeitsrechtlicher Anspruch des Architekten auf eine ungeschmälerte Werkintegrität besteht. Dies folgt bereits daraus, dass Werke der Baukunst im allgemeinen nicht um ihrer selbst willen, sondern im Hinblick auf einen bestimmten Gebrauchszweck geschaffen werden. Der Urheber weiss um diesen Zweck, und er hat sein künstlerisches Schaffen darauf auszurichten. Er muss aber auch wissen, dass das Bauwerk auf Dauer angelegt und daher mitbestimmt ist, allenfalls geänderte oder erweiterte Bedürfnisse des Eigentümers, die sich während der Nutzungsdauer einstellen können, zu befriedigen. Dieser wiederum ist gemäss
Art. 641 ZGB
im Rahmen der Rechtsordnung frei, über die Sache grundsätzlich umfassend und nach eigenem Belieben zu verfügen. Dabei ist namentlich zu beachten, dass diese Verfügung, steht die Befriedigung gewandelter Nutzungsbedürfnisse im Vordergrund, sich in aller Regel in einer Änderung des Bauwerkes ausdrücken wird, da Immobilien naturgemäss nicht leichthin ausgetauscht und ersetzt werden können. Beständigkeit und Zweckbestimmtheit des Bauwerkes räumen diesem eine besondere Stellung im Rahmen des allgemeinen Urheberrechts ein und heben es vom reinen Kunstwerk auch hinsichtlich des Rechtsschutzes ab. Daraus folgt, dass jedenfalls im abstrakten Widerstreit der Interessen des Urhebers und des Eigentümers am Werkexemplar im Zweifelsfall die letzteren die Oberhand gewinnen müssen und dass weder der spezifisch urheberrechtliche noch der allgemein privatrechtliche Persönlichkeitsschutz den Eigentümer daran hindern können, seine unmittelbare Sachherrschaft zweck- und bedürfnisgerecht auszuüben. Will der Urheber dies verhindern im Bestreben, das im Bereiche der Baukunst regelmässig einzige Werkexemplar in voller Integrität zu erhalten, bleibt er darauf angewiesen, sich im Rahmen vertraglicher Rechtsgestaltung abzusichern.
BGE 117 II 466 S. 475
Diese Betrachtungsweise findet ihre Stütze auch in den Vorarbeiten zu einer Totalrevision des URG. Dabei ist namentlich zu beachten, dass gemäss Entwurf und Botschaft des Bundesrats vom 19. Juni 1989 (BBl 1989 III 477ff.) die Rechtsstellung des Eigentümers an einem Werkexemplar der Baukunst und insbesondere dessen Änderungsrecht im Vergleich zu den Vorentwürfen der ersten beiden Expertenkommissionen und dem früheren Entwurf vom 29. August 1984 (BBl 1984 III 173ff.) eine Stärkung erfahren hat. Der zur Zeit in Beratung stehende Entwurf des Bundesrats sieht in Art. 12 Abs. 3 ein Recht des Eigentümers vor, ausgeführte Werke der Baukunst zu ändern. Nach der Botschaft verbleibt anderseits dem Urheber die in Art. 11 Abs. 2 des Entwurfs eingeräumte Befugnis, sich Änderungen zu widersetzen, die zu einer Verstümmelung, Entstellung oder anderen Beeinträchtigung des Werkes führen und ihn in seiner Persönlichkeit verletzen (BBl 1989 III 531f.). Wie aus dem bundesrätlichen Entwurf und der im Ständerat darüber geführten Diskussion (Amtl.Bull. 1991 S 99 ff.) geschlossen werden kann, wird in bezug auf diese Fragen nicht eine grundlegende Neuordnung, sondern vorab eine Konkretisierung des bestehenden Rechtszustandes angestrebt. Dies erlaubt, den Vorarbeiten auch bei der Anwendung des geltenden Rechts Rechnung zu tragen (
BGE 114 II 94
).
b) Damit ist nicht gesagt, dass der Urheber eines architektonischen Werkes jeden beliebigen Eingriff in seine Form gewordene Idee widerspruchslos zu dulden hätte. Er hat sich lediglich damit abzufinden, dass seine berechtigten Interessen an denjenigen des Eigentümers ihre Schranken finden und die gestalterischen Anliegen im Zweifelsfall hinter die Zweckbestimmung des Werkes zurückzutreten haben. Das Urheberpersönlichkeitsrecht vermag daher insbesondere nicht zu verhindern, dass der Eigentümer die Gebrauchstauglichkeit und den Wert seines Werkexemplars zu erhalten sucht (durch Sanierungen usw.), es gewandelten technischen oder ökologischen Anschauungen anpasst (z.B. zusätzliche Isolierung, Einbau von Sonnenkollektoren), auf entwicklungsbedingte Bedürfnisse ausrichtet (Erweiterung, Zweckänderung) oder versucht, die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Dies alles hat der Urheber mit der vorbehaltlosen Begebung des zweckbestimmten Werkexemplars und der Erschöpfung der urheberrechtlichen Nutzungsbefugnisse zwangsläufig in Kauf genommen und damit insoweit auch auf seine persönlichkeitsrechtlichen Ansprüche verzichtet. Ein solcher Verzicht ist bloss in dem Umfang unbeachtlich,
BGE 117 II 466 S. 476
als er die Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes missachtet. Geschützt ist mithin letztlich nicht die Integrität des Werkexemplars, sondern das Ansehen seines Urhebers als Person (
BGE 113 II 311
E. 4a; PEDRAZZINI, Das droit moral der Berner Übereinkunft in der Schweiz, in: Festschrift 100 Jahre RBÜ, Bern 1986, S. 233 ff.).
c) Wann die Änderung eines urheberrechtlich geschützten Werkes das Ansehen seines Urhebers als Person beeinträchtigt oder gefährdet, lässt sich nicht allgemein beurteilen. Die Prüfung hat in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Beschaffenheit und des Charakters des Werkes sowie der übrigen Verhältnisse, namentlich der Persönlichkeit des Urhebers, zu erfolgen. Es kommt darauf an, wie stark ein Werk Ausdruck der persönlichen Eigenart des Urhebers und das Resultat seiner individuellen Geistestätigkeit ist. Ebenfalls eine Rolle spielt, welchen Grad die Intensität der Beziehung der Urheberpersönlichkeit zum Werk erreicht (
BGE 96 II 421
,
BGE 69 II 59
). Wie die Individualität den Werkcharakter prägt, erlangt sie auch Bedeutung im Rahmen des Bestandesschutzes. Die Einmaligkeit ist letztlich Ausdruck für den Ursprung des Werkes im Geiste des Urhebers, für das persönliche Band zwischen dem Urheber und seinem Werk (KNAP, Künstlerisches und wissenschaftliches Werk als Schutzobjekt des Urheberrechts, in: Festschrift Troller, Basel 1976, S. 117 ff.). Ein hoher Grad an Individualität stellt daher das Werk in eine ausgeprägte Beziehung zu seinem Urheber, ist besonderer Ausdruck der Persönlichkeit und mitbestimmend für das geschützte Ansehen. Das heisst allerdings nicht, dass bei einem hohen Grad an Individualität Änderungen am Bauwerk allgemein ausgeschlossen wären; sie sind bloss bei geringerer Individualität eher zu gestatten, vor allem, wenn diese im wesentlichen nur an Einzelheiten zu erkennen ist (TROLLER, Probleme des urheberrechtlichen Schutzes von Werken der Baukunst, S. 86). Weiter ist zu beachten, dass der Urheberrechtsschutz als Objektschutz auch persönlichkeitsrechtlich das Ansehen des Urhebers nur so weit schützt, als es im Werk zum Ausdruck gelangt. Schliesslich gilt auch in bezug auf den urheberrechtlichen Persönlichkeitsschutz, dass nur die individuelle, nicht die angewiesene Schöpfung berücksichtigt werden kann.
d) Wie jede Ausübung eines Rechts untersteht auch das Änderungsrecht des Eigentümers dem allgemeinen Missbrauchsverbot von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
. Änderungen am Bauwerk beeinträchtigen daher die Urheberrechte im allgemeinen stets, wenn sie nicht
BGE 117 II 466 S. 477
auf einem schutzwürdigen subjektiven Interesse des Eigentümers beruhen, insbesondere, wenn sie bloss der Schikane dienen sollen. In Weiterführung dieses Prinzips wird in einem Teil der Lehre die Auffassung vertreten, eine an sich zulässige Rechtsausübung sei zusätzlich in bezug auf die Gestaltung der Werkänderung von einer Interessenabwägung abhängig zu machen, insbesondere sei der Eigentümer nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der schonenden Rechtsausübung verpflichtet, die Werkintegrität im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten, sich auf den milderen Eingriff zu beschränken und dabei auch gewisse Unzulänglichkeiten und Mehraufwendungen in Kauf zu nehmen. Auf dieser Ansicht gründet letztlich auch der angefochtene Entscheid.
In den Entwürfen der drei Expertenkommissionen zur Neuordnung des URG und im bundesrätlichen Entwurf vom 29. August 1984 waren entsprechende Bestimmungen enthalten, indem der änderungswillige Eigentümer verpflichtet wurde, die Individualität des Werkes nach Möglichkeit zu wahren. Der in den parlamentarischen Beratungen stehende Entwurf enthält diese Verpflichtung nicht mehr; nach dem Willen von Bundesrat und Ständerat soll sie zugunsten der Rechtsstellung des Eigentümers fallengelassen werden. Dem ist auch für das geltende Recht zuzustimmen. Ausgehend davon, dass die Verfügungsfreiheit des Eigentümers am Werkexemplar im Grundsatz dem Integritätsanspruch des Architekten vorgeht, wird man jenem auch die Freiheit einräumen müssen, die Änderungen am Werk nach seinen Absichten und den von ihm als zweckmässig erachteten Nutzungsvorstellungen auszuführen, solange diesen ein hinreichend schutzwürdiges Interesse zur Seite steht. Die Freiheit des einzelnen, sein Eigentum bedürfnisgerecht zu nutzen, verträgt sich nicht mit Auflagen, die aus allgemeiner Betrachtung möglicherweise vertretbar sind, den im Rahmen einer freiheitlichen Rechtsordnung schützenswerten subjektiven Wertvorstellungen und Wünschen des Eigentümers indes nicht gerecht werden. Wer anderseits als Urheber im Architektenvertrag tätig wird, schafft für fremde und nicht für eigene Interessen. Dessen muss er sich auch bewusst sein, wenn das begebene Werkexemplar später nach Massgabe der Interessen des Eigentümers geändert werden soll. Der Urheber kann insoweit einzig einer Verletzung oder Gefährdung seines Ansehens entgegentreten.
Aus denselben Gründen ist für das geltende Recht ein Anspruch des Urhebers abzulehnen, primär mit der Projektierung der Änderung
BGE 117 II 466 S. 478
beauftragt zu werden. Zwar mag sich diese Rücksichtnahme in der Praxis durchaus rechtfertigen oder gar aufdrängen; auf urheberrechtlicher Verpflichtung beruht sie jedoch nicht. Solange die Zweckbestimmung des Bauwerkes gegenüber der äusseren Erscheinung im Vordergrund steht, muss es dem Entscheid des Eigentümers überlassen sein, wie sie am besten erreicht werden soll. Der Architekt hat sich diesen Wünschen unterzuordnen und kann auch urheberrechtlich nicht beanspruchen, das Werk nach seinen eigenen Ideen zu ändern (DAVID, a.a.O., S. 276; GERLACH, a.a.O., S. 623). Ein Optionsrecht des ursprünglichen Architekten auf Bearbeitung eines begebenen Werkexemplars liesse sich zudem auch kaum mit der zwingenden Ordnung von
Art. 404 OR
vereinbaren (BGE vom 25. April 1991 i.S. Baumann c. SBB und Mitbeteiligte E. 2,
BGE 110 II 382
, 109 II 466).
6.
Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass die Beklagte als Eigentümerin berechtigt ist, das notwendige Bedürfnis von Veränderungen an ihrem Schulhaus zu definieren. Gemäss den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen liegt das Ziel des projektierten Umbaus in der Dachsanierung, der Verbesserung der Isolation sowie im Einbau von zwei Schulzimmern, wobei der Baukörper räumlich nicht zu Lasten der Grünanlage ausgedehnt werden soll. Nach Auffassung des Kantonsgerichts verstümmelt das steile, massive Schrägdach weitgehend die urheberrechtliche Idee und wird die Fassade durch die vorgehängte Aussenisolation verdeckt, wobei das anerkannte Bedürfnis nach besserer bautechnischer Isolation nur etwa zu 20% erfüllt werde. Auch die innere Raumaufteilung und die ihr zugrunde liegende Werkidee würden in ihrem Kern verändert. Da sich das Umbauprogramm der Beklagten mit zumutbarem finanziellen Mehraufwand durch schonendere Alternativprojekte verwirklichen lasse, stelle ihr Vorhaben einen unverhältnismässigen Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht der Kläger dar, was zur Gutheissung der Unterlassungsklage führe.
Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass eine Verpflichtung der Beklagten, sich auf den milderen Eingriff zu beschränken und die Integrität des bestehenden Bauwerkes möglichst zu wahren, nach geltender Rechtslage abzulehnen ist. Es geht nicht an, ihr auf dem Wege des Urheberrechts gleichsam ein Projekt aufzuzwingen, das ihren Vorstellungen von einer zweckgerechten Nutzung des Schulgebäudes nicht entspricht. Damit erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit der Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit.
BGE 117 II 466 S. 479
Zu prüfen bleibt, ob das Projekt der Beklagten zu einer eigentlichen Verletzung oder Gefährdung der Persönlichkeit der Kläger führt. Die Beurteilung hat dabei von der Individualität des Werkes, seinem Originalitätsgrad und vom Prinzip auszugehen, dass Änderungen im Rahmen einer zweckbestimmten Nutzung dem Eigentümer grundsätzlich frei zustehen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht der Kläger vermag sodann nur durchzudringen, wenn der Eingriff eine Intensität erreicht, die zwar einerseits die Werkbeziehung des Urhebers nicht vollständig aufhebt und damit dessen Ansehen ähnlich wie bei einer Zerstörung des Werkes rechtlich nicht mehr berührt, anderseits aber doch den Kernbereich der Unverzichtbarkeit persönlichkeitsbezogener Rechtspositionen beschlägt. Dies ist gestützt auf die Feststellungen der Vorinstanz, jedoch entgegen ihrer Rechtsauffassung zu verneinen. Die kubische Gestaltung des bestehenden Bauwerkes besticht zwar unbestreitbar durch ihre Leichtigkeit und Eleganz. Die vom Kantonsgericht erwähnte sehr ähnliche Konstruktion in Solothurn und die von der Beklagten eingereichten Unterlagen betreffend weitere Bauwerke belegen indes, dass das Erscheinungsbild in erster Linie durch die Anweisungen des sogenannten Bauhaus-Stils geprägt ist. Entsprechend kann auch nicht von einem hohen Grad an Individualität gesprochen werden, der das Werk in eine ausgeprägte Beziehung zu den Klägern als Urheber stellen würde und unverwechselbarer Ausdruck ihrer Persönlichkeit wäre. Die durch den vorgesehenen Umbau in Mitleidenschaft gezogenen originellen Gestaltungselemente, welche die Schutzwürdigkeit des Werkes ausmachen, werden nicht in einer Weise beeinträchtigt, die nach einem unverzichtbaren Schutz der Urheber ruft. Dies führt zur Gutheissung der Berufung und zur Abweisung der Klage. Damit kann offenbleiben, ob die Veränderung des Werkexemplars entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht doch ein Mass erreicht, das im Ergebnis die Beziehungen der ursprünglichen Urheber zum Werk nicht mehr erkennen lässt und bereits deshalb als Persönlichkeitsverletzung entfällt. Ebensowenig entschieden zu werden braucht, ob sich das Persönlichkeitsrecht der Kläger - entsprechend der österreichischen Lösung - allenfalls darin erschöpfen würde, eine Berichtigung der Urheberschaft am veränderten Werk verlangen zu können, um ihrerseits nicht in Beziehungen gestellt zu werden, die sie ablehnen dürfen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c845fa0-3d9b-4376-ab05-5ee7aa9ad029 | Urteilskopf
111 IV 112
28. Urteil des Kassationshofes vom 19. April 1985 i.S. Statthalteramt des Bezirkes Zürich gegen F. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 270 Abs. 1 BStP
.
Die Statthalterämter des Kantons Zürich können nicht neben der Staatsanwaltschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde führen. | Erwägungen
ab Seite 112
BGE 111 IV 112 S. 112
Erwägung:
1.
Mit Urteil vom 5. Juli 1985 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich Frau F. vom Vorwurf der Übertretung des
Art. 210 StGB
frei. Dieser Entscheid wurde durch die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich am 11. Januar 1985 bestätigt. Mit heutigem Datum wies der Kassationshof eine dagegen durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich eingereichte eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ab.
Dasselbe Rechtsmittel gegen den angefochtenen Freispruch wurde beim Bundesgericht auch durch das Statthalteramt des Bezirkes Zürich erhoben.
2.
Gemäss
Art. 270 Abs. 1 BStP
ist der Ankläger des Kantons zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert. Nach der Praxis des Bundesgerichtes, zu deren Überprüfung heute kein Anlass besteht, werden Beschwerden von Zürcher Statthalterämtern dann zugelassen, wenn diese gewissermassen an Stelle der Staatsanwaltschaft in der Funktion des Anklägers auftreten. Ohne jeden Zweifel unzulässig ist es jedoch, dass ein Statthalteramt neben der Staatsanwaltschaft Beschwerde führt. Daran ändert nichts, dass im zürcherischen Strafverfahren nach
§ 395 Ziff. 1 StPO
/ZH in Übertretungssachen nebst der Staatsanwaltschaft auch die Verwaltungsbehörde, die den vorinstanzlichen Entscheid gefällt hat, zur Ergreifung von Rechtsmitteln befugt ist. Auf die Beschwerde des Statthalteramtes des Bezirkes Zürich ist mithin nicht einzutreten. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c89fce7-c5eb-4e6e-8cba-714cbd712c3c | Urteilskopf
96 II 18
4. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Mai 1970 i.S. Leitplanken AG und Heimann gegen Brouwer. | Regeste
1.
Art. 19 und 20 OR
. Bestimmung des Vertragsinhalts, Nichtigkeit (Erw. 1).
2. Art. 72, 111, 646 Abs. 1, 659 Abs. 1 und 691 Abs. 3 OR. Rechtsnatur und Gültigkeit eines Vertrages, durch den eine Aktiengesellschaft sich einem Dritten gegenüber verpflichtet, ihm gegen eine Geldsumme so bald als möglich bestehende oder neue Aktien zu verschaffen und ihn vom Vertragsschluss an mit den Rechten eines Aktionärs an ihren Versammlungen teilnehmen zu lassen (Erw. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 96 II 18 S. 19
A.-
Der im Wallis wohnhafte holländische Geschäftsmann Adrian Brouwer schloss am 26. Juli 1965 mit der Leitplanken AG, Hergiswil, folgenden Vertrag:
"1. Herr Brouwer bezahlt der Leitplanken AG den Betrag von Fr. 12'500.--. Dieser Betrag ist gleichwertig wie Aktien (125 Stück im Nennwert à Fr. 100.--) hinsichtlich der Beteiligung am Geschäftsvermögen.
2. Herr Brouwer wird an die Aktionärversammlungen eingeladen und es stehen ihm die gleichen Rechte zu wie den Aktionären.
3. Dieser Vertrag gilt als Quittung für die Bezahlung des eingangs genannten Betrages.
4. Herr Brouwer erhält so bald als möglich für den Betrag von Fr. 12'500.-- Aktien, spätestens jedoch bei Neuauflage oder Aktienkapital-Erhöhung."
In einem Zusatzvertrag vom gleichen Tage vereinbarten die Parteien:
"Herr Brouwer bezahlt im Zusammenhang mit dem Beteiligungsvertrag den Betrag von Fr. 12'500.-- à fonds perdu."
Brouwer zahlte Fr. 25'000.--, wovon Fr. 12'500.-- in der Betriebsrechnung der Gesellschaft für das Jahr 1965 als "Agio aus Aktienvertrag" und Fr. 12'500.-- in der Jahresbilanz als "Aktienvorauszahlung Brouwer" verbucht wurden.
Brouwer wurde hierauf jeweils zu den Versammlungen der Gesellschaft eingeladen und nahm daran teil. Eine Kapitalerhöhung nahm die Gesellschaft nicht vor. Sie übergab Brouwer auch keine Aktien.
B.-
Mit Klage vom 13. September 1967 belangte Brouwer die Leitplanken AG und deren Verwaltungsratsmitglied Oskar Heimann solidarisch auf Bezahlung von Fr. 25'000.-- nebst 5% Zins.
C.-
Das Kantonsgericht und auf Appellation hin am 4. September 1969 auch das Obergericht Nidwalden hiessen die Klage gut und verpflichteten die Beklagten, dem Kläger solidarisch Fr. 25'000.-- nebst 5% Zins seit 26. Dezember 1966 zu zahlen.
Das Obergericht hielt die beiden Verträge vom 26. Juli 1965, die eine Einheit bildeten, nach
Art. 20 OR
für nichtig, weil sie einen widerrechtlichen und unmöglichen Inhalt hätten. Brouwer habe sich durch den Hauptvertrag in der Gesellschaft eine Beteiligung, die dem Besitz von 125 Aktien entsprach, verschaffen wollen, sei aber ohne Aktien geblieben, folglich nicht Aktionär
BGE 96 II 18 S. 20
geworden. Ziffer 1 und 2 des Vertrages seien unvereinbar mit den Grundsätzen des Aktienrechts. Auch Ziffer 4 des Vertrages sei nichtig, da die Gesellschaft nicht Aktien habe versprechen können, die sie nicht besass und die zu erwerben ihr das Gesetz verbot. Ebensowenig habe die Gesellschaft versichern können, dass das Grundkapital erhöht und von seiten der Aktionäre auf das Bezugsrecht verzichtet werde. Ob Brouwer beim Vertragsabschluss getäuscht worden sei oder sich in einem Irrtum befunden habe, könne offen bleiben.
D.-
Die Beklagten haben gegen das Urteil des Obergerichts die Berufung erklärt mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das Urteil des Obergerichts zu bestätigen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 19 und 20 OR
kann der Inhalt eines Vertrages innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden. Das gilt vom Vertragsinhalt als Ganzes wie von der einzelnen Parteiabrede. Das Gesetz verbietet eine abweichende Vereinbarung nur, wo es eine unabänderliche Vorschrift aufstellt, der Vertrag einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst. Auch ist nach ständiger Rechtsprechung ein Rechtsgeschäft, das gegen eine Norm des Gesetzes verstösst, nur insoweit nichtig, als die Norm diese Folge ausdrücklich vorsieht oder der Sinn und Zweck der Vorschrift sie mit Rücksicht auf die Bedeutung des zu bekämpfenden Erfolges verlangen (
BGE 81 II 619
,
BGE 82 II 132
,
BGE 84 II 427
,
BGE 86 II 450
,
BGE 95 II 538
).
2.
Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die beiden Verträge vom 26. Juli 1965 als eine Vereinbarung aufzufassen sind und dem Kläger für Fr. 25'000.-- in der Leitplanken AG eine Beteiligung gesichert werden sollte, die 125 Aktien im Nennwert von je Fr. 100.-- entsprach.
Wie aus Ziffer 4 des Hauptvertrags erhellt, konnte die Gesellschaft dem Kläger diese Beteiligung dadurch verschaffen, dass sie ihm nach ihrer Wahl entweder 125 bestehende Aktien übergab oder im Falle einer Erhöhung des Aktienkapitals so viele neue Aktien zuteilte. Die Leistung der Gesellschaft war für Brouwer wirtschaftlich freilich nicht in beiden Fällen von gleichem
BGE 96 II 18 S. 21
Wert, da sein Anteil im ersten Fall einem Viertel des Aktienkapitals von Fr. 50'000.-- entsprach, im zweiten aber von der Erhöhung des Aktienkapitals abhing. Diese Besonderheit des Vertrages, aus der Brouwer nichts zu seinen Gunsten abzuleiten scheint, hält sich indes innerhalb der Schranken des Gesetzes, ist folglich nach
Art. 19 OR
nicht zu beanstanden. Es steht den Parteien frei, eine Wahlobligation zu vereinbaren (
Art. 72 OR
), was nicht heisst, dass die Leistungen, zwischen denen der Schuldner wählen kann, gleichwertig sein müssen.
a) Wenn eine Gesellschaft in einem Fall, wie hier, dem Vertragspartner als Gegenleistung bestehende Aktien übergibt, so erfüllt sie einen Kaufvertrag. Ein solcher Vertrag erzeugt nach schweizerischem Recht bloss die Pflicht, Eigentum zu übertragen, weshalb er sich auch auf eine Sache beziehen kann, die sich zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht im Eigentum des Verkäufers befindet. Ob und wie der Verkäufer diesfalls seiner Pflicht nachkomme, berührt die Gültigkeit des Vertrages nicht, sondern sind Fragen der Erfüllung. Das gilt insbesondere für den Fall, dass die Leistung hinterher unmöglich wird, sei es, weil der Verkäufer sich die Sache nicht verschaffen kann oder anderweitig darüber verfügte, sei es, weil ein Dritter sie dem Käufer nicht mehr übergeben will. Unmöglichkeit im Sinne von
Art. 20 OR
ist nur anzunehmen, wenn sie von Anfang an bestanden hat; die versprochene Leistung muss aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen überhaupt nicht erbringbar sein (
BGE 95 II 554
Erw. b).
Dass die Leitplanken AG am 26. Juli 1965 keine Aktien besass, machte ihre Verträge mit dem Kläger daher nicht unmöglich. Die Vorinstanz hält Ziffer 4 des Hauptvertrages gleichwohl für nichtig, weil die Aktiengesellschaft nach
Art. 659 Abs. 1 OR
eigene Aktien weder zu Eigentum erwerben noch zu Pfand nehmen darf. Die Leitplanken AG konnte dem Kläger indes Aktien verschaffen, ohne sie selbst zu erwerben. Sie brauchte nicht persönlich zu erfüllen (
Art. 68 OR
), sondern konnte mit Aktionären, die Aktien abtreten wollten, vereinbaren, dass diese dem Kläger direkt zu übergeben seien. Ob eine Gesellschaft, die den Aktienerwerb zwischen Personen bloss vermittelt, Eigentümerin der Titel werde, wie SIEGWART (N. 17 zu
Art. 659 OR
) anzunehmen scheint, kann dahingestellt bleiben. Der Erwerb eigener Aktien ist der Gesellschaft vor allem verboten, weil sie sonst die Stimmrechtsverhältnisse in der Generalversammlung
BGE 96 II 18 S. 22
durch ihre Organe in unzulässiger Weise beeinflussen könnte (
BGE 43 II 298
,
BGE 72 II 283
). Die Leitplanken AG wollte die Aktien nicht für sich, sondern für Brouwer erwerben. Diesfalls hat das Verbot aber bloss den Sinn einer Ordnungsvorschrift, deren Missachtung das Erwerbsgeschäft nicht ungültig macht (
BGE 60 II 314
Erw. 2). Die Leitplanken AG konnte daher selbst dann, wenn sie sich über das Verbot hinwegsetzte, bestehende Aktien gültig erwerben und an den Kläger weitergeben.
b) Die Leitplanken AG konnte sich auch gültig verpflichten, dem Kläger bei der Erhöhung des Aktienkapitals 125 neue Aktien zukommen zu lassen. Der Entscheid über die Zuteilung neuer Aktien stand, was unbestritten ist, der Gesellschaft zu. Diese hatte dabei freilich auf das Bezugsrecht Rücksicht zu nehmen, das § 5 der Statuten den bisherigen Aktionären ausdrücklich im Sinne von
Art. 652 OR
vorbehielt. Deswegen bedurfte es entgegen der Annahme der Vorinstanz jedoch keiner Statutenänderung, um dem Kläger neue Aktien zuweisen zu können. Es genügte die Zusicherung eines oder mehrerer Aktionäre, dass sie bei der in Aussicht genommenen Kapitalerhöhung 125 neue Aktien dem Kläger überlassen, insoweit also auf ihr Bezugsrecht verzichten wollten.
Dass die Leistung der Gesellschaft damit von Dritten, nämlich vom Verzicht bisheriger Aktionäre auf die Ausübung ihres Bezugsrechtes abhing, ändert nichts. Nach
Art. 111 OR
kann einem andern auch die Leistung eines Dritten versprochen werden. Wer das tut, verpflichtet sich gültig und steht seinem Vertragspartner dafür ein, dass der Dritte die Leistung erbringt. Das trifft nach der Rechtsprechung z.B. zu, wenn eine Person, die selber kein Recht auf Alleinverkauf hat, einer andern dieses Recht zusichert (
BGE 82 II 247
). Gleich verhält es sich bei Zusicherungen, die eine Bank bei der Ausgabe von Anleihensobligationen gegenüber Zeichnern oder künftigen Inhabern von Obligationen abgibt (
BGE 43 II 346
).
Da die Gesellschaft im vorliegenden Fall die Übergabe von bestehenden oder die Zuteilung von neuen Aktien versprach, musste beiden Parteien klar sein, dass mit diesem Versprechen Leistungen von Aktionären gemeint waren. Dem Kläger insbesondere konnte als Geschäftsmann nicht entgehen, dass die Gesellschaft sich nur mit Hilfe von Aktionären alte oder neue Aktien verschaffen konnte. Mussten aber die Parteien selber
BGE 96 II 18 S. 23
Ziffer 4 des Hauptvertrages vernünftigerweise so verstehen, so kann der Inhalt dieser Vereinbarung weder als objektiv unmöglich noch als widerrechtlich bezeichnet werden. Die Verpflichtung, welche die Leitplanken AG damit einging, hält vor dem Gesetz stand und ist gültig.
3.
Nach dem angefochtenen Urteil haben Ziffer 1 und 2 des Hauptvertrages als nichtig zu gelten, weil dem Kläger von der Gesellschaft gestattet wurde, an ihren Generalversammlungen mit den Rechten eines Aktionärs teilzunehmen. Brouwer habe denn auch gemeint, gegen seine Zahlung alle Rechte eines Gesellschafters zu erhalten, hätte die Eigenschaft eines Aktionärs aber nur durch den Erwerb von Aktien erlangen können. Die Vereinbarung verstosse deshalb gegen Grundsätze des Aktienrechts, das ein festes Grundkapital voraussetze und die Rechte des Aktionärs vom Aktienbesitz abhängig mache.
Die Vorinstanz hat insofern recht, als die von den Parteien vereinbarte Beteiligung des Klägers an den Generalversammlungen der Gesellschaft mit dem geltenden Aktienrecht nicht zu vereinbaren ist. Ziffer 2 des Hauptvertrages sieht in der Tat vor, dass ein Nichtgesellschafter an den Generalversammlungen der Leitplanken AG teilnehme, obschon diese Versammlung sich gemäss
Art. 698 Abs. 1 OR
einzig aus den Aktionären zusammensetzt. Die Vereinbarung wäre indes, wie hievor ausgeführt worden ist, nur dann nichtig, wenn eine Gebots- oder Verbotsnorm diese Rechtsfolge ausdrücklich vorsähe oder sie nach ihrem Sinn und Zweck verlangte. Das trifft nicht zu. Wenn Personen, die zur Teilnahme an der Generalversammlung nicht befugt sind, bei einem Beschluss mitwirken, ist der Beschluss deswegen nicht nichtig.
Art. 691 Abs. 3 OR
gibt diesfalls den Aktionären bloss das Recht, den Beschluss mit Klage anzufechten, und selbst das nur unter der Voraussetzung, dass die Mitwirkung des Unbefugten die Beschlussfassung der Versammlung überhaupt beeinflusst hat. Das Anfechtungsrecht erlischt zudem, wenn die Klage nicht spätestens zwei Monate nach der Generalversammlung angehoben wird (
Art. 706 Abs. 4 OR
). Es steht den Aktionären daher frei, einen Dritten an den Verhandlungen und Beschlüssen der Gesellschaft mitwirken zu lassen. Wird dagegen von keinem Aktionär Einsprache und Anfechtungsklage erhoben, so behalten die unter Mitwirkung des Dritten gefassten Beschlüsse ihre Gültigkeit.
Das Recht des Aktionärs, einen vorschriftswidrig zustande
BGE 96 II 18 S. 24
gekommenen Beschluss der Versammlung anzufechten, gehört zu seinen wohlerworbenen Rechten im Sinne von
Art. 646 OR
. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn der Beschluss unter Mitwirkung eines Unbefugten gefasst wird. Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 646 Abs. 1 OR
kann der Aktionär jedoch dem Entzug eines solchen Rechts zustimmen. Er kann sich damit schon zum voraus einverstanden erklären (SIEGWART, N. 43 zu Art. 646). In diesem Sinne hat das Bundesgericht bereits in
BGE 88 II 174
entschieden. Es hat dort die Gültigkeit einer Abstimmungsvereinbarung, die mit einer Sperrabrede verbunden war, ausdrücklich bejaht, obwohl die Vereinbarung zumindest auf eine erhebliche Beschränkung des Stimmrechts jener Aktionäre hinauslief, welche ihr zustimmten.
Auch im vorliegenden Fall führte die Verpflichtung der Gesellschaft, einen Dritten an ihren Beschlüssen mitwirken zu lassen, zu einer Einschränkung des Stimmrechts, da die Aktionäre ihren Einfluss, den die Aktie dem Gesellschafter verleiht, teilweise einbüssten. Die Leitplanken AG konnte die Verpflichtung indes gültig eingehen. Indem sie dem Kläger das Recht einräumte, an ihren Versammlungen wie ein Aktionär teilzunehmen, stand sie dafür ein, dass die Aktionäre damit einverstanden waren. Ziffer 1 und 2 des Hauptvertrages können daher ebenfalls nicht als widerrechtlich im Sinne von
Art. 20 OR
bezeichnet werden.
Die Gesellschaft hat die durch Ziffer 2 übernommene Verpflichtung übrigens erfüllt. Der Kläger ist nach den Feststellungen der Vorinstanz zu den Versammlungen eingeladen worden und hat daran auch teilgenommen. Er ist somit wie ein Aktionär behandelt worden. Mehr hat ihm die Gesellschaft bis zur Aushändigung von Aktien nicht versprochen.
(4. - Ausführungen darüber, dass die Sache insbesondere zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger beim Vertragsabschluss getäuscht worden sei oder sich in einem Irrtum befunden habe, an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.) | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3c8b7b80-5598-40f9-85de-054d1ab9efdb | Urteilskopf
110 Ib 398
65. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 5 septembre 1984 dans la cause Cloetta et consorts contre Etat de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Einsprache gegen das Ausführungsprojekt für einen Nationalstrassenabschnitt (
Art. 27 NSG
). Einsprache- und Beschwerdelegitimation (
Art. 48 lit. a VwVG
und
Art. 103 lit. a OG
). Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 99 lit. c OG
; Ausnahmen. Nichteintreten auf Rügen, die sich in Wirklichkeit gegen das generelle Projekt richten.
Zur Einsprache oder Beschwerde gegen das Ausführungsprojekt für eine Nationalstrasse ist nach
Art. 48 lit. a VwVG
und
Art. 103 lit. a OG
jeder Nachbar legitimiert, der durch die voraussichtlichen Einwirkungen aus dem Bau und Betrieb der Strasse stärker betroffen wird als die Allgemeinheit, und nicht nur der Enteignete (E. 1b).
Liegt in der Genehmigung des Ausführungsprojektes die Abweisung einer Einsprache gegen eine Enteignung, so ist das Bundesgericht Beschwerdeinstanz, sonst der Bundesrat. Auch wenn die genannte Voraussetzung hier nur hinsichtlich einiger Beschwerdeführer erfüllt ist, so tritt das Bundesgericht aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen auf alle Beschwerden ein (E. 1c).
Direkt gegen das generelle Projekt erhobene Rügen sind unzulässig, sowohl hinsichtlich des Inhaltes wie auch dessen Zustandekommens. Die Gutheissung einer Beschwerde gegen das Ausführungsprojekt bedingt mitunter die Wiedererwägung des generellen Projektes, doch fällt der Entscheid über diesen Punkt in die Kompetenz des Bundesrates (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 400
BGE 110 Ib 398 S. 400
Extrait des considérants:
1.
a) (la décision attaquée est une décision au sens de l'
art. 5 PA
).
b) L'
art. 103 lettre a OJ
reconnaît la qualité pour agir par la voie du recours de droit administratif à quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée. Le recourant n'a pas à alléguer la violation de normes juridiques destinées à assurer sa protection; il lui suffit de démontrer l'existence d'un intérêt de fait important, résultant de sa situation par rapport à l'objet litigieux. Il faut toutefois qu'il soit touché plus que quiconque ou que la généralité des administrés dans ses intérêts économiques, matériels ou idéaux; il possédera un intérêt digne de protection chaque fois que sa situation de droit ou de fait peut être influencée par le sort de la cause (
ATF 108 Ib 93
consid. 3b aa;
ATF 104 Ib 317
/318 consid. 3b).
L'autorité intimée conteste la qualité pour agir sous l'angle de l'
art. 103 lettre a OJ
à ceux des recourants qui ne seraient "touchés ni par une emprise provisoire de chantier, ni par une emprise définitive nécessaire au passage de l'ouvrage national". Elle produit à l'appui de cette argumentation un plan où est mise en évidence la situation géographique de chacun des recourants par rapport au tracé litigieux.
C'est à juste titre que la qualité pour agir n'a pas été déniée aux opposants dans la procédure cantonale. En effet, si la plupart des parcelles concernées ne seront pas directement mises à contribution pour la réalisation de l'ouvrage, toutes se situent à proximité de celui-ci et sont exposées aux nuisances provoquées par lui. Au regard de la situation géographique particulière de ces parcelles examinées individuellement, il faut admettre que le plan critiqué touche chacun des recourants dans une mesure plus intense que la généralité des citoyens. Cela suffit à leur reconnaître la qualité de partie dans la procédure d'opposition au sens de l'
art. 6 PA
et la qualité pour recourir contre la décision rendue sur opposition au sens de l'
art. 48 lettre a PA
. La question de savoir s'ils seront expropriés ou non n'est, de ce point de vue, pas
BGE 110 Ib 398 S. 401
déterminante. La qualité pour intervenir dans une procédure d'approbation de plan et d'opposition est en effet reconnue aussi aux particuliers qui, sans être l'objet d'une procédure d'expropriation, sont touchés par l'ouvrage public projeté dans de simples intérêts de fait (
ATF 110 Ib 100
consid. 1,
ATF 108 Ib 247
ss consid. 2).
c) Que l'acte attaqué soit une décision au sens de l'
art. 5 PA
et que les recourants jouissent de la qualité au sens de l'
art. 48 lettre a PA
ne suffit pas encore à faire admettre la recevabilité du recours de droit administratif auprès du Tribunal fédéral.
Aux termes de l'art. 99 lettre c OJ, le recours de droit administratif n'est en effet pas recevable contre des décisions relatives à des plans, en tant qu'il ne s'agit pas de décisions sur opposition contre des expropriations ou des remembrements. En matière de routes nationales, ce sont les plans du projet définitif, approuvés conformément aux
art. 27 et 28 LRN
, qui servent de base à l'acquisition, par voie d'expropriation, des terrains nécessaires à la réalisation de l'ouvrage (
art. 39 al. 2 LRN
). Le recours de droit administratif au Tribunal fédéral n'est donc recevable que si l'adoption du plan définitif équivaut à un rejet d'opposition contre une expropriation. Dans le cas contraire, c'est la voie du recours administratif au Conseil fédéral qui est ouverte (art. 72 lettre d, 73 al. 1 lettre c, 74 lettre a PA), cette autorité étant au demeurant mieux placée pour l'examen des questions techniques soulevées par le projet (cf.
ATF 99 Ib 204
/205 consid. 1;
ATF 97 I 579
consid. 1b).
En l'espèce, certains recourants seulement doivent céder du terrain pour la réalisation de l'oeuvre; pour eux, la décision attaquée est assimilée à un rejet d'opposition contre une expropriation et leur recours de droit administratif est sans autre recevable. Etant donné l'identité des questions soulevées, il y a lieu, par souci d'économie de procédure et pour éviter le risque de décisions contradictoires sur le même objet, d'entrer en matière sur l'ensemble des recours, en application - extensive - du principe de l'attraction de compétence.
2.
... La procédure d'opposition au projet définitif d'une route nationale, selon les
art. 26 et 27 LRN
, assume toutes les fonctions de la procédure d'opposition en matière d'expropriation au sens étroit et au sens large. L'opposant peut donc, conformément à l'art. 35 lettre b de la loi fédérale des 20 juin 1930/18 mars 1971
BGE 110 Ib 398 S. 402
sur l'expropriation (LEx.), faire dans cette procédure toutes les demandes fondées sur les art. 7 à 10 de ce texte. (...)
3.
Saisi d'un recours de droit administratif dirigé contre le rejet d'une opposition faite au projet définitif d'une route nationale conformément à l'
art. 27 LRN
, le Tribunal fédéral a admis que les impératifs de la protection juridique exigeaient que le propriétaire soit habilité à prendre des conclusions tendant à l'établissement d'un tracé s'écartant du projet général, alors même que celui-ci ne peut pas être attaqué directement (
ATF 97 I 577
ss consid. 1a). Cela ne signifie pas que le propriétaire concerné puisse critiquer dans le cadre de l'
art. 27 LRN
le projet général, ce qui reviendrait, contrairement à la règle fondamentale instituée aux
art. 97 ss OJ
, à permettre d'attaquer devant le Tribunal fédéral une décision du Conseil fédéral (cf.
ATF 99 Ib 208
). Il se peut toutefois que l'admission d'un recours contre le projet définitif implique la reconsidération du projet général. Une telle perspective n'exclut pas la recevabilité des griefs formés directement contre le projet définitif; le particulier doit cependant limiter son argumentation à démontrer en quoi le projet définitif lui-même le lèse dans ses intérêts dignes de protection. Si l'annulation d'un projet définitif conduit nécessairement à la révision du projet général, c'est au Département fédéral de l'intérieur qu'il appartient d'en tirer les conséquences, en faisant des propositions dans ce sens au Conseil fédéral, seul compétent en vertu de l'
art. 20 LRN
pour se prononcer sur une modification du projet général (
ATF 99 Ib 209
consid. 3 in fine).
L'irrecevabilité des moyens dirigés directement contre le projet général s'applique tant au contenu matériel de celui-ci qu'à la procédure qui a été suivie pour son adoption. Une distinction à ce propos serait absurde, puisqu'elle reviendrait à permettre au recourant de critiquer la décision du Conseil fédéral en raison des vices de procédure dont elle était éventuellement entachée, et par là même d'obtenir, dans le cadre d'un recours de droit administratif dirigé contre le projet définitif, l'annulation du projet général contre lequel cette voie n'est pas ouverte.
Est également irrecevable le grief selon lequel le projet définitif ne serait pas conforme au réseau des routes nationales adopté par l'Assemblée fédérale. Son examen conduirait en effet le Tribunal fédéral à revoir la légalité du projet général lui-même et, par voie de conséquence, la validité de la décision d'approbation rendue par le Conseil fédéral. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3c8ca086-9b65-48a7-a1b4-e749c491f6c3 | Urteilskopf
119 IV 38
7. Urteil des Kassationshofes vom 24. März 1993 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 161 Ziff. 2 StGB
; Tipnehmer.
1. Die Strafbarkeit des Tipnehmers setzt voraus, dass ihm eine insiderrelevante Tatsache von einem Insider mitgeteilt wird; nicht erforderlich ist, dass der Tipgeber wegen Insidermissbrauchs bestraft wird (E. 3a).
2. Nach
Art. 161 Ziff. 2 StGB
macht sich nicht strafbar:
a) wer zufällig in den Besitz des Insiderwissens gelangt oder aus unverfänglichen Mitteilungen oder Andeutungen die richtigen Schlüsse gezogen hat (E. 3a);
b) wer aus Mitteilungen von Personen, die sich nicht auf Insiderwissen, sondern auf eine Analyse des Börsengeschehens stützten, die richtigen Schlüsse gezogen hat (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 39
BGE 119 IV 38 S. 39
A.-
a) Anlässlich der Bilanzpressekonferenz der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) vom 3. März 1989 wurde der Öffentlichkeit die Absicht bekanntgegeben, im Rahmen einer Umstrukturierung die bereits als Schwestergesellschaft bestehende CS-Holding zur Dachholding und Muttergesellschaft der SKA-Gruppe auszubauen. Zu diesem Zweck wurde den Aktionären ein aktionärsfreundliches Angebot gemacht, ihre Aktien in solche der CS-Holding umzutauschen. Die Tatsache der Umstrukturierung der SKA-Gruppe mit den damit verbundenen Änderungen war geeignet, den Kurs der börslich gehandelten SKA-Titel erheblich in die Höhe zu treiben, und wurde bis zum Zeitpunkt der Pressekonferenz als geheim klassifiziert.
b) X. war im damaligen Zeitpunkt als Ringhändler der BZ Bank an der Börse in Zürich tätig. Anlässlich der Börsensitzung am Vortag der Bilanzpressekonferenz der SKA traf er mit dem für die SKA tätigen Ringhändler Y. die Abmachung, gleichentags gemeinsam eine möglichst grosse Anzahl von SKA-Inhaberaktien zu erwerben, wobei das Gesamtengagement sieben Millionen Franken nicht übersteigen sollte. X. beabsichtigte zudem, Call-Optionen auf den erwähnten Basistitel zu kaufen, an welchem Geschäft er Y. aber nicht beteiligen wollte.
Am fraglichen 2. März 1989 kaufte X. über die Bank Rinderknecht AG als Ringbank 1400 Inhaberaktien SKA zum Kurs von Fr. 2700.-- und weitere 1000 gleiche Titel zum Kurs von Fr. 2690.-- im
BGE 119 IV 38 S. 40
Gesamtwert von Fr. 6'484'718.40. Ebenfalls am 2. März 1989 erwarb er über die SOFFEX-Optionenbörse 100 Call-Optionen auf den Basistitel SKA-Inhaber + PS CS-Holding mit Ausübungspreis Fr. 2600.-- und Verfalldatum März zum Preis von Fr. 93'951.--.
Nachdem der Handel mit SKA-Titeln und diesbezüglichen Optionen am Tag der Bilanzpressekonferenz an den Schweizer Börsen vorsorglich sistiert worden war, kletterte der Kurs der Inhaberaktie kurzfristig auf Fr. 3010.--.
Am 6. März 1989 verkaufte X. die 2400 SKA-Inhabertitel wieder in Tranchen zu 1000 Stück zum Preis von Fr. 2970.--, 900 Stück zum gleichen Preis und 500 Stück zum Preis von Fr. 2975.--, wofür ihm insgesamt Fr. 7'104'864.45 gutgeschrieben wurden. Der Nettogewinn, von dem er Y. Fr. 250'000.-- in bar aushändigen liess, betrug Fr. 620'146.05.
Ebenfalls am 6. März 1989 verkaufte er die 100 Call-Optionen zum Preis von insgesamt Fr. 189'296.30, wobei er einen Nettogewinn von Fr. 95'345.30 erzielte.
c) Die Strafuntersuchungsbehörden warfen X. vor, er habe den Kurssprung der SKA-Titel vorausgesehen, da er auf nicht näher bekanntem Weg und von einer nicht namentlich bekannten Person einen Tip hinsichtlich der Umstrukturierungsmassnahmen der SKA erhalten habe, bevor diese öffentlich bekanntgegeben wurden. Es wurde vermutet, beim Informanten habe es sich entweder um einen (echten oder unechten) Insider gehandelt, der die vertrauliche Tatsache kraft seiner Stellung oder Funktion in der die Umstrukturierung bewerkstelligenden Projektgruppe "Omnirex" erfahren habe, oder aber seinerseits um einen Tipnehmer, der die Information von einem Insider hatte.
B.-
Das Bezirksgericht Zürich sprach X. am 27. Juni 1991 des fortgesetzten Ausnützens der Kenntnis einer vertraulichen Tatsache im Sinne von
Art. 161 Ziff. 2 StGB
schuldig und bestrafte ihn mit vier Monaten Gefängnis und einer Busse von Fr. 30'000.--; es verpflichtete ihn, den unrechtmässig erzielten Vermögensgewinn von Fr. 465'491.35 an die Staatskasse abzuliefern, und stellte weiter fest, er hafte solidarisch für die beim Mitangeklagten Y. abgeschöpfte Gewinnsumme von Fr. 250'000.--.
Im Berufungsverfahren sprach ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 29. September 1992 frei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das obergerichtliche Urteil sei wegen Verletzung von
Art. 161 Ziff. 2 StGB
und
Art. 58
BGE 119 IV 38 S. 41
StGB
aufzuheben und die Sache zur Schuldigsprechung und Bestrafung wegen Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen sowie zur Einziehung des Deliktserlöses an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wer als (echter oder unechter) Insider sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil verschafft, indem er die Kenntnis einer vertraulichen Tatsache, deren Bekanntwerden den Kurs von in der Schweiz börslich oder vorbörslich gehandelten Aktien, anderen Wertschriften oder entsprechenden Bucheffekten der Gesellschaft oder von Optionen auf solche in voraussehbarer Weise erheblich beeinflussen wird, ausnützt oder diese Tatsache einem Dritten zur Kenntnis bringt, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft. Zum Täterkreis zählt das Gesetz Mitglieder des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und der Revisionsstelle, Beauftragte der Aktiengesellschaft oder einer sie beherrschenden oder von ihr abhängigen Gesellschaft, Mitglieder einer Behörde oder Beamte sowie Hilfspersonen einer der vorgenannten Personen (
Art. 161 Ziff. 1 StGB
).
Neben den echten und unechten Insidern dehnt der im vorliegenden Fall anwendbare
Art. 161 Ziff. 2 StGB
die Strafbarkeit auf Drittpersonen, auf sogenannte Tipnehmer (Tippees) aus. Nach dieser Bestimmung wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Busse bestraft, wer eine vertrauliche Tatsache im Sinne von Ziff. 1 von einer der im letzten Absatz genannten Personen unmittelbar oder mittelbar mitgeteilt erhält und sich oder einem anderen durch Ausnützen dieser Mitteilung einen Vermögensvorteil verschafft.
2.
a) Die Anklage ging davon aus, der Beschwerdegegner habe eine vertrauliche Tatsache im Sinne von
Art. 161 Ziff. 1 StGB
von einem Insider direkt oder gegebenenfalls auf dem Umweg über einen anderen Tipnehmer erfahren und sich in Ausnützung dieser Mitteilung einen Vermögensvorteil verschafft.
b) Die Vorinstanz führte in rechtlicher Hinsicht aus, wer bloss zufällig oder durch Mitteilung von einem Nicht-Insider, der die vertrauliche Tatsache zufällig erfahren habe, zu Insiderwissen komme und dieses zu seinem Vorteil ausnütze, mache sich nicht nach
Art. 161 Ziff. 2 StGB
strafbar. Als Tipnehmer mache sich ein Aussenstehender nur strafbar, wenn er das Wissen um eine vertrauliche Tatsache, die zuvor ein Insider im Sinne von
Art. 161 Ziff. 1 StGB
BGE 119 IV 38 S. 42
ihm oder einem Dritten bewusst zur Kenntnis gebracht habe, vorsätzlich ausnütze. Zum objektiven Tatbestand von
Art. 161 Ziff. 2 StGB
gehöre als ungeschriebenes Merkmal, dass eine zumindest tatbestandsmässige und rechtswidrige Vortat eines Insiders vorliege. Der Tipnehmer könne jedoch auch dann bestraft werden, wenn der Vortäter einer Verurteilung entgehe, weil er beispielsweise nicht mehr lebe, flüchtig sei oder in seiner Person ein Schuldausschlussgrund bestehe.
In tatsächlicher Hinsicht stellte die Vorinstanz für den Kassationshof im vorliegenden Verfahren verbindlich fest, es sei nicht nachgewiesen, dass der Beschwerdegegner unmittelbar oder mittelbar aus dem Kreise der Insider im Sinne von
Art. 161 Ziff. 1 StGB
einen Tip erhalten habe. Im Anschluss an ein SKA-internes "Market Meeting", das einige Wochen vor der Pressekonferenz vom 3. März 1989 stattgefunden habe, hätten verschiedene SKA-Mitarbeiter, die nicht als Insider im Sinne von
Art. 161 Ziff. 1 StGB
zu betrachten seien, die kursrelevante Information auf straflose Weise erlangt. Überdies habe der damalige SOFFEX-Chefhändler der SKA aufgrund eigener Beobachtungen den bevorstehenden Kursanstieg vorausgesehen und entsprechende Kaufempfehlungen auch an Mitarbeiter abgegeben. Es lasse sich nicht ausschliessen, dass auch der Beschwerdegegner durch eine dieser Quellen vom kurstreibenden Ereignis erfahren habe, weshalb sich der Nachweis einer strafbaren Vortat nicht erbringen lasse.
c) Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber gestützt auf
BGE 118 Ib 456
E. 6c, der ein Rechtshilfeverfahren betraf, geltend, es sei nicht notwendig, dass der Insider, von dem die Information des Tipnehmers direkt oder indirekt herrühre, seinerseits durch Ausnützen oder Verbreiten der Information Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt habe.
Art. 161 StGB
schütze nämlich auch "die Integrität des Börsenmarktes" und die Chancengleichheit unter allen Anlegern. Der Tipnehmer sei daher selbst dann strafbar, wenn es der eingeweihte Tipgeber nicht sei, weil dieser durch die Verbreitung der Information keine Pflicht zur Verschwiegenheit gegenüber der Gesellschaft verletzt habe.
3.
a) Die Strafbarkeit des Tipnehmers setzt voraus, dass ihm eine insiderrelevante Tatsache von einem Insider (unmittelbar oder mittelbar) mitgeteilt wird. In der Doktrin wird angenommen, dass
Art. 161 Ziff. 2 StGB
nur zur Anwendung kommen könne, wenn der Insider den Hinweisempfänger bewusst in den Kreis der Eingeweihten einbezogen hat, und dass die versehentliche oder fahrlässige
BGE 119 IV 38 S. 43
Mitteilung nicht genügt (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht BT I, 4. A. Bern 1993, S. 392 N 38; SCHUBARTH, Kommentar Band 2,
Art. 161 N 124
). Ob diese Auffassung zutrifft und ob und inwieweit der Tipnehmer bestraft werden kann, wenn der Insider rechtmässig gehandelt hat, braucht vorliegend nicht beantwortet zu werden. Die Vorinstanz hält jedenfalls zu Recht fest, es sei nicht erforderlich, dass der Insider seinerseits wegen Verletzung von
Art. 161 Ziff. 1 StGB
bestraft werde (NIKLAUS SCHMID, Schweizerisches Insiderstrafrecht, Bern 1988 N 297).
Demgegenüber ist derjenige nicht aus
Art. 161 Ziff. 2 StGB
strafbar, der zufällig in den Besitz des Insiderwissens gelangt (Botschaft BBl 1985 II 84) oder der aus unverfänglichen Mitteilungen oder halben Andeutungen die richtigen Schlüsse gezogen hat (SCHUBARTH, a.a.O.; TRECHSEL, Kurzkommentar, Zürich 1989,
Art. 161 N 24
; PETER BÖCKLI, Insiderstrafrecht und Verantwortung des Verwaltungsrates, Zürich 1989, S. 113).
b) Im vorliegenden Fall stellte die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich fest, bereits vor der Pressekonferenz vom 3. März 1989 hätten mehrere nicht als Insider anzusehende Personen "auf straflose Weise" anlässlich eines SKA-internen Meetings von der Umstrukturierung erfahren. Überdies habe der SOFFEX-Chefhändler der SKA aufgrund eigener Beobachtungen den bevorstehenden Kursanstieg vorausgesehen und entsprechende Kaufempfehlungen an Mitarbeiter abgegeben. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch der Beschwerdegegner sein Wissen aus einer dieser Quellen bezogen habe, sei nicht nachgewiesen, dass er unmittelbar oder mittelbar aus dem Kreise der Insider im Sinne von
Art. 161 Ziff. 1 StGB
einen Tip erhalten habe.
Die Vorinstanz schloss also insbesondere nicht aus, dass der Beschwerdegegner von den Beobachtungen des SOFFEX-Chefhändlers erfahren und die richtigen Schlüsse daraus gezogen haben könnte. Bei diesen Beobachtungen geht es nicht um Insiderwissen im Sinne von
Art. 161 StGB
, sondern um eine Analyse des Börsengeschehens durch den SOFFEX-Chefhändler. Wenn der Beschwerdegegner aber weder unmittelbar noch mittelbar durch einen Insider als "eingeweihten Tipgeber" informiert worden ist, sondern aus Mitteilungen von Drittpersonen, die sich auf eine Analyse des Börsengeschehens stützten, die richtigen Schlüsse gezogen hat, so gelangte er gar nicht in den Besitz von "Insiderwissen" im Sinne des Gesetzes und kann deshalb von vornherein nicht nach
Art. 161 Ziff. 2 StGB
bestraft werden. Beim Sachverhalt, wie er von der Vorinstanz
BGE 119 IV 38 S. 44
verbindlich festgestellt wurde, ist der angefochtene Entscheid bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Dies zeigt, dass die Beschwerdeführerin nichts aus
BGE 118 Ib 456
E. 6c herleiten kann. Denn diese Entscheidung geht davon aus, dass das Wissen von einem Insider stammte, was vorliegendenfalls beweismässig nicht erstellt ist.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist mithin abzuweisen. Fehlt es aber bereits an der Strafbarkeit des Beschwerdegegners, muss sich das Bundesgericht mit der Frage der Einziehung nicht befassen. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3c908efd-3247-451c-b840-dc735d5b3491 | Urteilskopf
137 III 453
67. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans les causes jointes A.X. et B.X. contre Banque Z. (recours en matière civile)
4A_513/2010 / 4A_515/2010 du 30 août 2011 | Regeste
Höhe des Verzugszinses (
Art. 104 Abs. 2 OR
).
War eine Schuld vor Eintritt des Verzugs zu einem höheren als dem gesetzlichen Zinssatz von 5 % zu verzinsen, gilt der vertraglich vereinbarte Zinssatz auch für die Verzugszinsen (Klarstellung der Rechtsprechung; E. 5.1). | Erwägungen
ab Seite 454
BGE 137 III 453 S. 454
Extrait des considérants:
5.
(...)
5.1
S'agissant du taux de l'intérêt moratoire, les recourants, se fondant sur l'arrêt rendu le 9 septembre 2004 dans la cause 4C.131/2004 et publié partiellement aux
ATF 130 III 694
, soutiennent que la cour cantonale aurait dû appliquer le taux légal de 5 % l'an, faute d'un accord des parties quant au taux applicable après la dénonciation des crédits ou pour maintenir ultérieurement les taux d'intérêt stipulés dans les contrats résiliés.
Aux termes de l'
art. 104 CO
, le débiteur qui est en demeure pour le paiement d'une somme d'argent doit l'intérêt moratoire à 5 % l'an, même si un taux inférieur avait été fixé pour l'intérêt conventionnel (al. 1). Si le contrat stipule, directement ou sous la forme d'une provision de banque périodique, un intérêt supérieur à 5 %, cet intérêt plus élevé peut également être exigé du débiteur en demeure (al. 2). Le texte du deuxième alinéa de la disposition citée est clair et ne souffre aucune interprétation qui s'en écarterait: si la dette portait déjà intérêt avant la demeure à un taux supérieur au taux légal, c'est ce taux conventionnel qui s'applique à titre de taux de l'intérêt moratoire (
ATF 130 III 312
consid. 7.1 p. 319 confirmé par l'arrêt 4A_204/2009 du 10 septembre 2009 consid. 2; cf., parmi d'autres: WOLFGANG WIEGAND, in Commentaire bâlois, Obligationenrecht, vol. I, 4
e
éd. 2007, n° 7 ad
art. 104 CO
; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, vol. II, 9
e
éd. 2008, n° 2690; LUC THÉVENOZ, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, n° 14 ad
art. 104 CO
; STÉPHANE SPAHR, L'intérêt moratoire, conséquence de la demeure, Revue valaisanne de jurisprudence [RVJ] 1990 p. 351 ss, 366). Le débiteur ne doit, en effet, pas pouvoir profiter de conditions plus favorables que celles qu'il a acceptées en concluant le contrat, du seul fait qu'il est en demeure (jugement du Tribunal cantonal valaisan du 7 septembre 1995, in RVJ 1996 p. 286 ss, 290). L'arrêt fédéral invoqué par les recourants traite essentiellement de l'interdiction de l'anatocisme en liaison avec la résiliation d'un contrat de compte courant, problème qui n'est pas d'actualité en l'espèce dès lors que les premiers juges n'ont pas procédé à une composition de l'intérêt moratoire (sur cette figure
BGE 137 III 453 S. 455
juridique, cf. THÉVENOZ, op. cit., n° 6 ad
art. 105 CO
). Vrai est-il, toutefois, que, dans un passage non publié de ce précédent, il a été jugé qu'il convenait d'appliquer le taux légal de 5 %, étant donné qu'aucune disposition des conditions générales et spéciales de la banque "ne précis[ait] le taux d'intérêt valable
après
la résiliation du contrat" (arrêt 4C.131/2004, précité, consid. 4; préposition mise en évidence par la Cour de céans). Dans la mesure où elle paraît avoir voulu exclure, ce faisant, la possibilité d'appliquer au débiteur en demeure le taux fixé pour l'intérêt conventionnel, la I
re
Cour civile s'est écartée de l'opinion qu'elle avait émise dans un arrêt rendu quelques mois auparavant (
ATF 130 III 312
, précité), qui a été confirmé par la suite (arrêt 4A_204/2009, susmentionné), et a exprimé un avis qui n'est pas compatible avec le texte même de l'
art. 104 al. 2 CO
, comme l'ont souligné les commentateurs de l'arrêt en question (DANIEL SCHWANDER, in Pra 2005 n° 64 p. 497; CORINNE ZELLWEGER-GUTKNECHT, in Aktuelle Rechtsprobleme des Finanz- und Börsenplatzes Schweiz, 12/2004 p. 203). Aussi les recourants ne sauraient-ils s'appuyer sur ce précédent pour réclamer l'application du taux légal de 5 %.
Dès lors, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en portant en compte, au titre de l'intérêt moratoire, les taux arrêtés d'un commun accord par l'intimée et chacun des recourants pour la rémunération des différents crédits que la première avait octroyés aux seconds. | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3c989a70-4020-4ffe-a44d-01120c95eb6a | Urteilskopf
99 V 152
47. Urteil vom 21. Februar 1973 i.S. Augsburger gegen AHV-Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Mehrkosten medizinischer Massnahmen (
Art. 14 Abs. 2 IVG
) gehen nicht zu Lasten der Versicherung, wenn sie dadurch entstehen, dass die Heilanstalt den Versicherten aus betrieblichen Gründen und ohne sein Begehren in die private Abteilung verlegt (Erw. 1, 2).
Verhältnis der Heilanstalt zur Invalidenversicherung (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 152
BGE 99 V 152 S. 152
A.-
Im Zusammenhang mit einer im Jahre 1967 durchgeführten Beckenosteotomie wurde bei Yolanda Augsburger im Frühjahr 1970 das Osteosynthesematerial entfernt. Wegen der im Operationsgebiet des Unterschenkels aufgetretenen Infektion mussten im Dezember 1970 und Februar 1971 ausgedehnte
BGE 99 V 152 S. 153
Spüldrainagen angelegt werden. Im April 1971 war eine erneute Revision des Operationsgebietes notwendig. Der Orthopäde Dr. H. berichtete am 16. April 1971 der Invalidenversicherungs-Kommission, infolge der Infektionsgefahr für andere Frischoperierte lasse sich die erwähnte Infektion nicht in einem Krankenzimmer mit mehreren Betten durchführen. Yolanda Augsburger habe deshalb im Januar 1971 in ein Einerzimmer verlegt werden müssen. Die Invalidenversicherung übernahm die Kosten der Hospitalisierung und Behandlung für die Zeit vom 27. Oktober 1970 bis vorläufig 31. Oktober 1971 (Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 19. Mai 1971) mit der Bemerkung:
"Dagegen können die Kosten für eine private Hospitalisation und entsprechende Behandlung wegen eingetretener Infektion von der Versicherung nicht übernommen werden. Die IV-Kommission ist der Auffassung, dass eine Infektionsabschirmung in der Klinik S. nicht durchführbar sei, weshalb die Kosten nur im allg. Tarif gemäss BSV übernommen werden können."
B.-
Hans Augsburger beschwerte sich für seine Tochter gegen die Weigerung der Invalidenversicherung, für die durch den Aufenthalt in der Privatabteilung entstandenen Mehrkosten aufzukommen.
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich stellte fest, dass die wegen der Sekundärinfektion notwendig gewordene Isolierung und besondere Behandlung nicht eine Massnahme darstelle, die objektiv in einer andern als der allgemeinen Abteilung habe durchgeführt werden müssen. Die Verlegung in die Privatabteilung sei allein aus Gründen, die im organisatorischen Aufbau und in der Ausstattung der Klinik liegen, erfolgt. Deshalb habe die Invalidenversicherung die durch diese Verlegung entstandenen Mehrkosten nicht zu übernehmen. Sie komme ihren Verpflichtungen vollumfänglich nach, indem sie die für die allgemeine Abteilung vereinbarte Pauschaltaxe bezahle. Demgemäss hat die Rekurskommission die Beschwerde am 27. Oktober 1972 abgewiesen.
C.-
Yolanda Augsburger reicht Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein mit dem Begehren, die Invalidenversicherung sei zu verpflichten, "die in Frage stehenden Kosten restlos" zu übernehmen. Zur Begründung verweist sie auf ein Schreiben des behandelnden Orthopäden Dr. H., der darlegt, dass die
BGE 99 V 152 S. 154
Versicherte aus dringenden medizinischen Überlegungen zur Isolierung vorübergehend in einem Einzelzimmer habe untergebracht werden müssen. Der dadurch bedingte pflegerische Mehraufwand sei in der Tagespauschale nicht inbegriffen.
Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, deren Abweisung vom Bundesamt für Sozialversicherung beantragt wird.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen umfassen ausser den ärztlich verordneten Medikamenten die vom Arzt selbst oder auf seine Anordnung durch medizinische Hilfspersonen in Anstalts- oder Hauspflege vorgenommene Behandlung (
Art. 14 Abs. 1 IVG
). Bei Anstaltsbehandlung hat der Versicherte überdies Anspruch auf Unterkunft und Verpflegung in der allgemeinen Abteilung. Begibt er sich in eine andere Abteilung, obschon die Massnahme in der allgemeinen Abteilung durchgeführt werden könnte, so hat er Anspruch auf Ersatz der Kosten, welche der Versicherung bei der Behandlung in der allgemeinen Abteilung entstanden wären (
Art. 14 Abs. 2 IVG
). Die durch die Behandlung in einer Privatabteilung entstehenden Mehrkosten gehen nur dann zu Lasten der Invalidenversicherung, wenn die Massnahme in der allgemeinen Abteilung nicht durchgeführt werden kann.
Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Spitalbehandlung in der allgemeinen Abteilung der Klinik S. hatte. Unbestritten ist ferner, dass die Verlegung der Versicherten von dieser Abteilung in ein Privatzimmer nicht auf ihr Begehren erfolgte und dass sich die Behandlung grundsätzlich auch in der allgemeinen Abteilung hätte durchführen lassen. Yolanda Augsburger wurde ausschliesslich darum in ein Zimmer der Privatabteilung verlegt, weil die allgemeine Abteilung der Klinik S. über kein Isolierzimmer verfügte. Die Voraussetzungen für die Übernahme der durch den Aufenthalt und die Behandlung der Beschwerdeführerin in der Privatabteilung entstandenen Mehrkosten durch die Invalidenversicherung sind nicht erfüllt, weshalb die Invalidenversicherung diese Kosten nicht zu tragen hat.
2.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin folgt daraus aber nicht, dass sie selber für jenen Mehraufwand
BGE 99 V 152 S. 155
aufzukommen hat. Die medizinischen Massnahmen sind nämlich Sachleistungen, die als solche gesamthaft von der Invalidenversicherung angeordnet und bezahlt werden. Deren Leistung beschränkt sich nicht auf die Gewährung eines Beitrages. Dementsprechend hatte sich das Bundesamt in Anwendung von
Art. 27 IVG
um den Abschluss einer Tarifvereinbarung mit der Klinik S. bemüht. In dieser Vereinbarung wird ausdrücklich festgehalten, falls der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter ausdrücklich verlange, in einer andern als der allgemeinen Abteilung hospitalisiert und behandelt zu werden, komme die Invalidenversicherung lediglich für die Kosten der Behandlung in der allgemeinen Abteilung auf. Obschon sich diese Regelung ausdrücklich nur auf jenen Fall bezieht, da der Patient die Unterbringung in einer andern als der allgemeinen Abteilung verlangt, so gilt sie noch vielmehr auch dann, wenn die Klinik entgegen der stillschweigenden Vertragsvoraussetzung sich aus betrieblichen Gründen ausserstande sieht, die Behandlung in der allgemeinen Abteilung vorzunehmen. Die dadurch entstehenden Mehrkosten kann die Klinik nicht auf den Patienten oder auf die Invalidenversicherung abwälzen.
3.
Es ist Sache der Invalidenversicherung, die Klinik mit der Durchführung der bewilligten medizinischen Massnahme zu betrauen. Dadurch entsteht ein Auftragsverhältnis zwischen der Versicherung und der Stelle, welche die Eingliederungsmassnahme durchführt. Die Entschädigung erfolgt alsdann auf Grund des gemäss
Art. 27 IVG
abgeschlossenen Tarifvertrages. Zwischen dem Versicherten und der durchführenden Stelle fehlt es in der Regel an direkten Rechtsbeziehungen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen der Versicherte auf eigenes Begehren in einer andern als in der allgemeinen Abteilung behandelt wird, obschon die Behandlung in der allgemeinen Abteilung möglich wäre (vgl. EVGE 1965 S. 172). Ein solcher Fall liegt - wie bereits gesagt - nicht vor, denn die Behandlung der Beschwerdeführerin in der Privatabteilung der Klinik S. erfolgte nicht auf Begehren der Versicherten oder deren Eltern, sondern aus Gründen, welche diese Personen nicht zu vertreten haben. Richtigerweise hat daher die Ausgleichskasse in ihrer Verfügung vom 19. Mai 1971 die Beschwerdeführerin nicht verpflichtet, die zur Diskussion stehenden Mehrkosten zu bezahlen. Anderseits hatte sich die Klinik durch die Annahme des Behandlungsauftrages stillschweigend mit der Entschädigung
BGE 99 V 152 S. 156
gemäss Tarifvereinbarung einverstanden erklärt. Somit bestand für Yolanda Augsburger kein rechtliches Interesse an der Einreichung der Beschwerde bei der kantonalen Rekurskommission. Diese hätte demnach auf das Rechtsmittel gar nicht eintreten dürfen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3c9a4239-530e-4b2e-8f23-a66df964fbfb | Urteilskopf
107 III 67
16. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 6 août 1981 dans la cause Niala Inc. (recours LP) | Regeste
Art. 98 ff. 56 SchKG; Pfändungsvollzug und Sicherungsmassnahmen; Betreibungsferien.
1. Die in den
Art. 98 ff. SchKG
vorgesehenen Sicherungsmassnahmen dienen der Erhaltung von Vermögenswerten und können in dringenden Fällen deshalb auch während der Betreibungsferien angeordnet werden (Erw. 1).
2. Wenn es die Umstände erfordern, darf die Pfändung vorbereitet und zum Schutze der Gläubigerinteressen eine Sicherungsmassnahme angeordnet werden, gemäss welcher sämtliche Guthaben des Schuldners bei einem Dritten gesperrt werden (Erw. 2).
3. Zulässigkeit der Pfändung von Vermögenswerten, die anscheinend nicht dem Schuldner gehören; Grenzen der Ermittlungen hinsichtlich besserer Rechte Dritter, zu deren Anordnung die Betreibungsbehörden gehalten sein können (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 107 III 67 S. 68
A.-
a) Sur requête de la société General United Incorporated (G.U.I.), l'Office des poursuites de Genève exécuta, les 5 et 11 avril 1979, des saisies provisoires dans la poursuite no 8.284.762 dirigée contre Marcel Porquerel. La mesure frappait les biens et avoirs du débiteur et de diverses sociétés, dont Niala Inc., auprès d'une vingtaine de banques et sociétés commerciales établies à Genève, notamment la Société de Banque Suisse (S.B.S.). Le 18 juin 1980, l'autorité cantonale de surveillance annula ces saisies qui, à s'en tenir à leur formulation, avaient porté sur des biens censés appartenir juridiquement aux tiers saisis, mais appréhendés en raison d'une prétendue identité économique entre le débiteur et ces tiers.
Le 1er juillet 1980, l'Office donna suite à une requête de saisie complémentaire que G.U.I. avait déposée le 6 février dans la même poursuite no 8.284.762. La mesure frappait derechef en mains de divers détenteurs, dont la S.B.S., les actifs inscrits au nom du débiteur et de plusieurs sociétés tierces, notamment Niala Inc.; la créancière prétendait que les biens et avoirs appartenant apparemment aux tiers saisis étaient en réalité la propriété du débiteur. Statuant sur plainte le 19 novembre 1980, l'autorité cantonale de surveillance jugea que les biens appréhendés n'avaient pas été désignés de manière assez précise. Elle confirma les saisies sur les choses et les droits inscrits au nom du débiteur Marcel Porquerel. Elle les annula pour le surplus, soit dans la mesure où elles frappaient des biens figurant au nom de tiers. G.U.I. forma un recours que le Tribunal fédéral rejeta par arrêt du 18 décembre 1980.
b) Le 4 décembre 1980, G.U.I. avait requis, dans la poursuite no 8.284.762, une nouvelle saisie complémentaire, définitive à concurrence de Fr. 4'292'040.-- et provisoire pour le solde de sa créance de Fr. 22'000'000.--. La mesure devait notamment porter sur quatre comptes ouverts au nom de Niala Inc. auprès de la S.B.S. La créancière affirmait que ces avoirs appartenaient en réalité au débiteur Marcel Porquerel. L'Office décida de surseoir à l'exécution jusqu'à droit connu sur le recours pendant devant le Tribunal fédéral. Le 24 décembre 1980, l'Office reçut l'avis de
BGE 107 III 67 S. 69
dispositif de l'arrêt rendu par la Chambre de céans le 18 décembre, qui confirmait l'annulation des saisies exécutées le 1er juillet 1980 dans la mesure où elles frappaient des biens au nom de tiers. Le jour même, il adressa à la S.B.S. la lettre qui suit:
"Vous êtes avisés que, conformément aux art. 88 et suivants LP, nous saisissons en vos mains les actifs suivants dont la créancière de la poursuite susmentionnée (no 8.284.762) affirme qu'ils appartiennent en réalité à M. Marcel Porquerel:
- les comptes Nos C 2 633.268; O 9316; D 9334; C 2 9316 ouverts au nom de Niala Inc., calle Aquilino de la Guardia, Panama City, Panama.
En conséquence, vous ne pouvez plus vous dessaisir valablement de ces biens qu'en nos mains.
La saisie est exécutée à concurrence de 22 millions plus les intérêts et les frais. Elle est définitive à concurrence de Fr. 4'292'040.-- et provisoire pour le surplus.
Veuillez nous faire une déclaration.
Par ailleurs nous vous signalons que la saisie exécutée en vos mains dans le cadre de cette même poursuite le 1er juillet 1980 sur des avoirs au nom des sociétés... Niala Inc. ... est annulée. Elle est en revanche maintenue en ce qui concerne les avoirs au nom de M. Marcel Porquerel."
B.-
Niala Inc. a déposé plainte pour faire constater la nullité de la saisie exécutée le 24 décembre 1980. Elle a obtenu une ordonnance d'effet suspensif la libérant, elle et la S.B.S., de toute déclaration jusqu'à droit connu.
Par décision du 24 juin 1981, l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a rejeté la plainte.
C.-
Niala Inc. a interjeté un recours auprès du Tribunal fédéral. Elle reprend les conclusions qu'elle a formulées dans la procédure de plainte et demande subsidiairement le renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour complément d'instruction et nouvelle décision dans le sens des considérants.
La Chambre des poursuites et des faillites a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
L'acte attaqué a été accompli le 24 décembre 1980, pendant les féries de Noël (
art. 56 ch. 3 LP
). La recourante tient dès lors la saisie pour nulle, l'Office n'ayant pas précisé que la mesure ne prendrait effet qu'à la fin des féries. Elle se méprend toutefois sur la portée de la communication que l'Office a faite à la S.B.S. le 24 décembre. Cet avis ne constituait pas une saisie. La saisie consiste en effet dans la déclaration par laquelle l'office signifie au débiteur poursuivi, sous la menace de
BGE 107 III 67 S. 70
sanctions pénales, que certains de ses biens sont mis sous main de justice et donc soustraits à sa libre disposition (
ATF 94 III 80
consid. 3,
ATF 93 III 36
). L'avis donné aux tiers détenteurs des choses ou débiteurs des créances saisies est une simple mesure de sûreté. Il a pour effet d'obliger le tiers à ne se dessaisir de la chose ou à ne s'acquitter de son dû qu'en mains de l'office, à l'exclusion de toute remise directe au poursuivi (
ATF 103 III 39
,
ATF 101 III 67
consid. 6). En l'espèce donc, l'Office des poursuites, par sa lettre du 24 décembre à la S.B.S., n'a pas exécuté de saisie au préjudice du débiteur Marcel Porquerel mais a ordonné une mesure de sûreté du type de celles prévues aux
art. 98 ss LP
. Cette intervention devait empêcher que le débiteur ou la recourante ne se fassent remettre les actifs détenus par la S.B.S. et ne les soustraient ainsi à l'exécution. Elle avait dès lors un caractère manifestement conservatoire et urgent, ce qui, selon l'
art. 56 LP
, la rendait admissible durant les féries, sans qu'on ait à se demander si elle constituait même un acte de poursuite (
ATF 41 III 308
s. consid. 2).
2.
La recourante tient l'acte attaqué pour nul, même considéré comme simple avis au tiers détenteur. Elle relève que l'Office n'a pas établi avoir exécuté la saisie à l'encontre du débiteur, auquel il aurait dû, à cet effet, signifier la mise sous main de justice de divers biens détenus par des tiers. De l'avis de la recourante, l'office ne saurait appréhender chez un tiers des actifs qu'il n'a pas encore valablement saisis à l'encontre du débiteur. De plus, les biens mis sous main de justice n'auraient pas été désignés en l'espèce avec une précision suffisante, un seul et même compte bancaire pouvant contenir des actifs de toutes sortes, notamment des créances en argent suisse ou en monnaie étrangère, des valeurs mobilières, des effets de commerce, des pièces de monnaie ou des métaux précieux.
La saisie a pour but de déterminer et de sauvegarder les éléments du patrimoine du débiteur dont le produit servira à couvrir le montant de la créance (
ATF 106 III 102
,
ATF 102 III 8
s.). La réalisation ne pouvant porter que sur des droits ou des choses individualisés de manière suffisante, la saisie est affectée d'un vice essentiel lorsque le fonctionnaire chargé de son exécution n'indique pas avec précision les biens qui en sont l'objet. Aussi doctrine et jurisprudence tiennent-elles pour nulle la saisie de biens non individualisés, notamment celle frappant, d'une manière
BGE 107 III 67 S. 71
globale, l'ensemble des valeurs qu'un tiers détient pour le débiteur ou toutes les créances que le débiteur a contre lui (
ATF 106 III 102
s.,
ATF 50 III 194
ss,
ATF 47 III 86
ss consid. 2,
ATF 46 III 3
,
ATF 43 III 218
; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, p. 155; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., pp. 174 et 176; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurs-Praxis, n. 1 ad art. 95). L'office est dès lors tenu de faire les investigations nécessaires auprès des tiers qui, de l'avis du créancier, détiennent des biens appartenant au débiteur, inscrits en son nom ou à celui d'autres personnes; il ne peut exécuter valablement la saisie qu'après avoir reçu de la sorte les renseignements lui permettant d'individualiser de manière suffisante les biens à mettre sous main de justice (
ATF 106 III 103
s. consid. 2). Or ces démarches peuvent prendre un certain temps, notamment quand le créancier poursuivant a indiqué de nombreuses personnes comme tiers détenteurs ou débiteurs. On doit alors permettre à l'office, si les circonstances l'exigent, de préparer la saisie et de sauvegarder les intérêts du créancier par une mesure conservatoire bloquant de manière globale les actifs du débiteur détenus par certains tiers, qu'ils soient inscrits en son nom ou à celui d'autres personnes dont le créancier conteste les droits. L'office invitera le tiers à lui indiquer s'il détient de tels biens. Le cas échéant, il ordonnera l'ouverture de coffres. Dès qu'il aura ainsi obtenu les renseignements lui permettant d'individualiser les actifs du débiteur en mains de tiers, il exécutera la saisie et en donnera avis au tiers détenteur. Pour des motifs analogues, un blocage provisoire apparaît indispensable tant que le tiers, en violation de ses obligations, refuse d'indiquer à l'office les actifs qu'il détient pour le débiteur ou pour d'autres personnes dont le créancier conteste les droits. En subordonnant toute mesure conservatoire à l'exécution préalable de la saisie, on donnerait au tiers qui refuse tout renseignement et rend ainsi la saisie impossible le moyen d'échapper, par une attitude illicite, aux effets juridiques qui sont attachés aux avis de mise sous main de justice.
L'Office des poursuites pouvait en l'espèce bloquer à titre conservatoire, auprès de la S.B.S., les biens inscrits au nom de la recourante mais dont la créancière prétendait qu'ils appartenaient tous au débiteur Marcel Porquerel. La décision de l'Office n'avait pas à contenir sur les biens visés, notamment sur la composition des comptes, les précisions qui eussent été indispensables à l'exécution d'une saisie. Dès que la recourante aura amené son banquier, la S.B.S., à fournir les
BGE 107 III 67 S. 72
renseignements sollicités, elle pourra exiger de l'Office qu'il procède à la saisie ou lève les effets de la mesure provisoire.
3.
L'office doit saisir tous les biens que le créancier déclare appartenir au débiteur, si les droits préférables d'un tiers ne peuvent d'emblée être établis de manière indiscutable. Les litiges sur la propriété des biens appréhendés ressortissent au juge civil saisi de l'action en revendication ou en contestation de la revendication. L'office ou l'autorité de surveillance statuant sur plainte ne peuvent examiner que succinctement la propriété des biens à saisir; ils doivent se limiter aux moyens de preuve immédiatement disponibles et absolument concluants (
ATF 107 III 39
,
ATF 105 III 114
ss).
La recourante prétend qu'aucun des actifs inscrits à son nom auprès de la S.B.S. n'appartient à Marcel Porquerel. Elle invoque sur ce point les déclarations écrites de son propre administrateur, de la S.B.S. et de Porquerel lui-même. De tels moyens de preuve ne suffisent toutefois pas à établir, sans doute possible, la vérité d'une affirmation qui est formellement contestée par la créancière G.U.I. L'autorité a d'ailleurs souverainement constaté que les droits préférables de la recourante n'avaient pas été prouvés de manière indiscutable.
La recourante soutient que la réalité de ses prétentions aurait pu être démontrée au moyen des pièces de la procédure pénale no 2269/77 ouverte contre Marcel Porquerel. L'autorité cantonale ayant refusé d'ordonner la production de ce dossier, la recourante se plaint d'une violation du droit à la preuve que lui garantit l'
art. 8 CC
, applicable par analogie à la procédure de plainte. Ce grief est mal fondé. L'administration du moyen de preuve offert par la recourante dépassait les limites de l'instruction que les autorités de poursuite peuvent être tenues d'ordonner sur la propriété des biens à saisir. Au demeurant, l'
art. 8 CC
ne règle ni l'admissibilité, ni l'administration, ni l'appréciation des preuves, tous points qui relèvent du droit cantonal (
ATF 105 III 116
,
ATF 102 III 13
s. consid. 2 a). Or l'autorité cantonale a jugé souverainement que les dispositions impératives de la loi genevoise de procédure pénale faisaient obstacle à l'apport du dossier d'une action à laquelle la recourante n'était pas partie. | null | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
Subsets and Splits
No community queries yet
The top public SQL queries from the community will appear here once available.