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f12515d0-1e9c-49b5-9cbb-cb084697500c | Urteilskopf
119 Ib 124
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. Januar 1993 i.S. M. gegen Kanton Aargau und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 5 Abs. 2 RPG
; materielle Enteignung; Schutzzonenfestsetzung durch den Kanton.
1. Zusammenfassung der Rechtsprechungsgrundsätze zur materiellen Enteignung; die Festsetzung von Zonen gemäss
Art. 14 ff. RPG
in Erfüllung des Raumplanungsauftrages (
Art. 22quater BV
) ist Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung (
Art. 22ter BV
; E. 2).
2. Anforderungen des Bundesrechts an Zonenpläne; Nichteinzonung (E. 3).
3. Eine für sich allein betrachtet überbaubare Parzelle ist nicht baureif, wenn eine systematischen Quartiererschliessung und notwendige Parzellarordnungsmassnahmen fehlen (E. 4a). Begriff des weitgehend überbauten Gebiets (E. 4b).
4. Kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Weiterbestand einer altrechtlichen Bauzone,
- wenn eine Gemeinde auf eine den Anforderungen des Bundesrechts entsprechende Bauzonenbegrenzung verzichtet hat (E. 4c, aa);
- wenn erste Planentwürfe den Einbezug einer Parzelle in ein Schutzgebiet noch nicht vorsehen (E. 4c, aa); Tragweite von fiskalischen Aspekten (E. 4c, bb) und von entschädigungsfreundlichen Äusserungen bei der politischen Beratung einer Schutzzonenfestsetzung (E. 4c, cc). | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 119 Ib 124 S. 125
M. erwarb das Grundstück Nr. 2994, haltend 927 m2, welches im Gebiet "Rügel/Gäldrüti" in der Gemeinde Seengen liegt. Die heutige Liegenschaftsform ergab sich aus einem 1973 abgeschlossenen Tauschvertrag, der zu einer Vergrösserung der Parzelle auf 1191 m2 führte. Der Liegenschaft stehen Fuss- und Fahrwegrechte zu, die über die bestehende Zufahrt zur reformierten Heimstätte Rügel eine Verbindung zur K 373 (Sarmenstorferstrasse) ermöglichen.
Das Grundstück befindet sich oberhalb des Hallwilersees im Gebiet zwischen den Kantonsstrassen K 251 (Seengen Meisterschwanden) und K 373 und bildet Bestandteil des im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung
BGE 119 Ib 124 S. 126
(BLN) verzeichneten Objektes "Hallwilersee" (BLN-Inventar 1303). Bereits seit 1963 ist das Gebiet in dem von der Kommission für die Inventarisation schweizerischer Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung erstellten KLN-Inventar unter Nr. 2.42 verzeichnet. Nach der Zonenordnung (ZO) und dem Zonenplan der Gemeinde Seengen vom 15. Dezember 1967, vom Grossen Rat des Kantons Aargau am 17. März 1969 genehmigt, war die Parzelle der Landhauszone, 1. Etappe, zugeteilt, in welcher der Bau von Einfamilienhäusern mit einer Ausnützungsziffer von 0,2 zulässig war (Art. 9 ZO). Gleichzeitig befand sich das Grundstück in der allgemeinen Schutzzone gemäss der kantonalen Verordnung über den Schutz des Hallwilersees und seiner Ufer vom 27. Juli 1956 (Hallwilerseeschutzverordnung, HSV). Nach § 6 HSV wurden in der allgemeinen Schutzzone Neu- und Umbauten sowie andere das Landschaftsbild verändernde Massnahmen bewilligt, sofern keine Verunstaltung oder erhebliche Beeinträchtigung eintrat.
Im Jahre 1972 erteilte der Gemeinderat der Firma von M., der M. AG, Ingenieure und Geometer, den Auftrag, für das Gebiet "Rügel/Ghei" einen Überbauungsplan auszuarbeiten. Im Jahre 1973 ordnete der Gemeinderat eine Bausperre an. Diese lief zwei Jahre später ab. 1978 wurde der in der Zwischenzeit ausgearbeitete Überbauungsplan zurückgewiesen. Die Gemeindeversammlung erteilte dem Gemeinderat den Auftrag, Auszonungen im fraglichen Gemeindegebiet zu prüfen. In der Folge beschlossen der Gemeinderat, das Baudepartement des Kantons Aargau und das Bundesamt für Raumplanung, durch einen Expertenauftrag den Stimmberechtigten der Gemeinde objektive Entscheidungsgrundlagen für die zu treffenden planerischen Massnahmen zu beschaffen. Ende 1981 lehnte es die Gemeindeversammlung ab, im Gebiet "Rügel/Ghei" Auszonungen zu beschliessen. Im Anschluss an Vorstösse im Grossen Rat des Kantons Aargau sah hierauf der Kanton die Festlegung einer kantonalen Schutzzone vor. Nach wiederholten öffentlichen Auflagen von Dekretsentwürfen stimmte der Grosse Rat schliesslich am 13. Mai 1986 dem Hallwilerseeschutzdekret (HSD) zu. Es trat am 27. Juli 1986 mit dem dazugehörenden Schutzplan 1:25'000 in Kraft. Nach diesem liegt die Parzelle von M. neu in der Schutzzone, in welcher nur noch betriebsnotwendige Bauten und Anlagen für die ordentliche Bewirtschaftung des Bodens zulässig sind (§ 6 HSD).
M. verlangte bei der kantonalen Schätzungskommission nach Baugesetz und Gewässerschutzgesetz eine Entschädigung aus materieller Enteignung in der Höhe von Fr. 339'435.-- nebst 5% Zins seit
BGE 119 Ib 124 S. 127
27. Juli 1986. Die Schätzungskommission wies die Klage ab. Eine hiegegen erhobene Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau blieb ohne Erfolg.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt M. den Antrag, der Staat Aargau sei zu verpflichten, Fr. 339'435.-- nebst Zins aus materieller Enteignung zu bezahlen. Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Ob Planungen zu Eigentumsbeschränkungen führen, die einer Enteignung gleichkommen, ist im Lichte der verfassungsrechtlichen Ordnung des Bodenrechts gemäss Vorlage vom 15. August 1967 (BBl 1967 II 133 ff.), die am 14. September 1969 zur Annahme der
Art. 22ter und 22quater BV
durch Volk und Stände führte, zu beurteilen. Danach wurden die Kantone verpflichtet, nach den bundesrechtlichen Grundsätzen eine der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dienende Raumplanung zu schaffen. Ein zentrales Anliegen dieser Neuordnung des Bodenrechts bildet die Festlegung der zulässigen Nutzung des Bodens in Beachtung des Gebotes der haushälterischen Nutzung (
Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 [Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700]
) durch Nutzungspläne (Botschaft, BBl 1967 II 139 f., 141; WALTER HALLER/PETER KARLEN, Raumplanungs- und Baurecht, 2. Aufl., Zürich 1992, S. 20 f., 35 ff.; LEO SCHÜRMANN, Bau- und Planungsrecht, 2. Aufl., Bern 1984, S. 153 ff.; MARTIN LENDI/HANS ELSASSER, Raumplanung in der Schweiz, 3. Aufl., Zürich 1991, S. 95, 188, 210, 226 f.).
Die Nutzungspläne haben vorab Bau-, Landwirtschafts- und Schutzzonen zu unterscheiden (
Art. 14 RPG
). Diese Anordnung des Raumplanungsgesetzes knüpft an die vom Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung vom 8. Oktober 1971 (AS 1972 I 950ff.; ersetzt seit 1. November 1992 durch das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 [Gewässerschutzgesetz, GSchG; SR 814.20]) und vom Bundesbeschluss vom 17. März 1972 über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung (BMR; AS 1972 I 644ff.) geschaffene Ordnung an (
BGE 105 Ia 336
ff. E. 3c und d). Das für die Überbauung bestimmte Land ist in Beachtung der Grundsatzbestimmung
BGE 119 Ib 124 S. 128
von
Art. 15 RPG
in Bauzonen einzuweisen. Das ausserhalb der Bauzonen gelegene Areal ist Landwirtschaftszonen (
Art. 16 RPG
), allenfalls Schutzzonen (
Art. 17 RPG
) oder kantonalen Spezialzonen zuzuteilen, soweit es nicht als Wald nach der Forstgesetzgebung des Bundes geschützt ist (
Art. 18 RPG
). Die Festsetzung dieser Zonen in Erfüllung des Raumplanungsauftrages (
Art. 22quater BV
), welcher namentlich die Trennung des Baugebietes vom Nichtbaugebiet verlangt (vgl.
Art. 24 RPG
; Botschaft, BBl 1967 II 139f.), ist Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung und damit Konkretisierung der verfassungsrechtlich garantierten Eigentumsrechte (
Art. 22ter BV
), wie dies das Bundesgericht bereits in
BGE 105 Ia 336
E. 3c erkannte (GEORG MÜLLER, Privateigentum heute, ZSR 100/1981 II S. 65, 87 ff.; RICCARDO JAGMETTI in Kommentar BV, Art. 22quater, Rz. 86). Die Zuweisung von Land in eine Nichtbauzone bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen Grundordnung, welche den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen entspricht, ist deshalb als Anwendungsfall der in der Regel entschädigungslos zulässigen Inhaltsbestimmung des Grundeigentums zu betrachten (
BGE 118 Ib 40
E. 2a; Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Oktober 1991, publiziert in ZBl 93/1992 S. 374 f.; ENRICO RIVA, Hauptfragen der materiellen Enteignung, Bern, 1990, S. 178).
b) Eine auf eine Planung zurückzuführende Eigentumsbeschränkung kommt einer Enteignung im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 RPG
gleich, wenn einem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch seines Grundeigentums untersagt oder besonders stark eingeschränkt wird, weil ihm eine aus dem Eigentumsinhalt fliessende wesentliche Befugnis entzogen wird. Geht der Eingriff weniger weit, so kann ausnahmsweise eine Eigentumsbeschränkung einer Enteignung gleichkommen, falls ein einziger oder einzelne Grundeigentümer so getroffen werden, dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erschiene und es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hiefür keine Entschädigung geleistet würde. In beiden Fällen ist die Möglichkeit einer zukünftigen besseren Nutzung der Sache nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war, sie lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verwirklichen. Unter besserer Nutzung eines Grundstückes ist in der Regel eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gegebene Möglichkeit der Überbauung zu verstehen (
BGE 118 Ib 41
E. 2a; Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Oktober 1991, publiziert in ZBl. 93/1992 S. 375).
BGE 119 Ib 124 S. 129
c) Vom Entzug einer wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden Befugnis im Sinne des Tatbestandes der materiellen Enteignung kann in Beachtung der verfassungsrechtlichen Ordnung des Bodenrechts (vorstehende Erw. 2a; vgl. GEORG MÜLLER in Kommentar BV, Art. 22ter, Rz. 51; THOMAS PFISTERER, Entschädigungspflichtige raumplanerische Massnahmen, BVR 1990 S. 29 ff.) zum vornherein nur dann gesprochen werden, wenn im Zeitpunkt der Rechtskraft der Planungsmassnahme, die einer Enteignung gleichkommen soll, eine raumplanerische Grundordnung galt, welche die Berechtigung zum Bauen auf dem fraglichen Grundstück einschloss. Dies trifft zu, wenn die Gemeinde über einen Nutzungsplan verfügt, der u.a. die Bauzonen in zweckmässiger Weise rechtsverbindlich von den Nichtbauzonen trennt. Bauzonen umfassen Land, das sich für die Überbauung eignet und weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird (
Art. 15 und 19 RPG
; Art. 5 des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974 [WEG; SR 843];
BGE 118 Ib 42
E. 2c; Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Oktober 1991, ZBl 93/1992 S. 375).
Wird bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen Grundordnung, welche den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen entspricht, eine Liegenschaft keiner Bauzone zugewiesen, so liegt - wie bereits erwähnt - gemäss der von der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Klarstellung der Rechtslage befolgten Terminologie in Anwendung der Raumplanungsgesetzgebung eine Nichteinzonung vor, und zwar auch dann, wenn die in Frage stehenden Flächen nach dem früheren, der Revision des Bodenrechts nicht entsprechenden Recht überbaut werden konnten (
BGE 118 Ib 42
E. 2b mit Hinweisen).
d) Die Nichteinzonung in eine Bauzone löst grundsätzlich keine Entschädigungspflicht aus. Sie trifft nur ausnahmsweise den Eigentümer enteignungsähnlich, etwa dann, wenn er überbaubares oder groberschlossenes Land besitzt, das von einem gewässerschutzrechtskonformen generellen Kanalisationsprojekt (GKP) erfasst wird, und wenn er für die Erschliessung und Überbauung seines Landes schon erhebliche Kosten aufgewendet hat (so schon
BGE 105 Ia 338
E. 3d), wobei diese Voraussetzungen in der Regel kumulativ erfüllt sein müssen. Sodann können weitere besondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes so gewichtig sein, dass ein Grundstück unter Umständen hätte eingezont werden müssen. Ein Einzonungsgebot kann ferner zu bejahen sein, wenn sich das fragliche Grundstück im weitgehend überbauten Gebiet (
Art. 15 lit. a
BGE 119 Ib 124 S. 130
RPG
) befindet. Solche Umstände hätten möglicherweise eine Einzonung gebieten können, so dass der Eigentümer am massgebenden Stichtag mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer aus eigener Kraft realisierbaren Überbauung seines Landes rechnen durfte. Trifft dies nicht zu, kann nicht von einer enteignungsgleichen Wirkung der Nichteinzonung gesprochen werden. Der Eigentümer besitzt grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Einweisung seines Landes in eine Bauzone, auch nicht, wenn er erschlossenes oder erschliessbares Land besitzt. Dies ergibt sich aus dem Vorrang der rechtlichen Gegebenheiten, auf die in erster Linie abzustellen ist. Erste Voraussetzung der Überbaubarkeit einer Parzelle und damit deren Baulandqualität bildet die Zugehörigkeit des entsprechenden Landes zu einer Bauzone, welche den aus der Neuordnung des Bodenrechts fliessenden verfassungs- und gesetzmässigen Anforderungen entspricht und welche die Berechtigung zum Bauen einschliesst (
BGE 118 Ib 42
E. 2c, 343 E. 4; Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Oktober 1991, ZBl 93/1992 S. 375 f.).
3.
Das Verwaltungsgericht ist in Anwendung dieser Grundsätze von einer Nichteinzonung ausgegangen. Der Beschwerdeführer bestreitet diese Schlussfolgerung.
a) Der Zonenplan von 1967 teilte das Gemeindegebiet in verschiedene Bauzonen, in eine Zone für öffentliche Bauten und Anlagen sowie in Grün-, Sperr- und Wasserzonen. Das nach dem damals geltenden Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 11. Oktober 1902 (AS 19 492 ff.; ersetzt seit 1. Januar 1993 durch das Bundesgesetz über den Wald vom 4. Oktober 1991 [Waldgesetz, WaG; SR 921.0] geschützte Waldareal war besonders bezeichnet. Eine Landwirtschaftszone fehlte. Daraus allein darf jedoch nicht geschlossen werden, der Zonenplan genüge den Anforderungen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes nicht. Dieses verlangt nicht, dass in jeder Gemeinde alle Nutzungsansprüche zu befriedigen sind. Ob eine Landwirtschaftszone auszuscheiden ist, beurteilt sich nach den gesetzlichen Zonenkriterien (
Art. 16 RPG
) und aufgrund einer gesamthaften Abwägung und Abstimmung aller räumlich wesentlichen Gesichtspunkte und Interessen (
Art. 1 Abs. 1 und
Art. 3 RPG
;
BGE 117 Ib 7
E. 3a, aa).
Hingegen verlangt das Raumplanungsgesetz, dass die Bauzone auf das mit der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes zu vereinbarende Mass beschränkt wird (
Art. 22quater Abs. 1 BV
,
Art. 1 und 3 RPG
). Bauzonen dürfen höchstens Land umfassen, das sich für die Überbauung eignet und
BGE 119 Ib 124 S. 131
weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert fünfzehn Jahren benötigt und erschlossen wird (
Art. 15 RPG
;
BGE 117 Ib 7
E. 3a, bb). Die Zonenordnung von 1967 widerspricht diesen Anforderungen. Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid anhand der Bevölkerungsentwicklung in der Gemeinde Seengen während der letzten dreissig Jahre und anhand der vorhandenen Baulandreserven überzeugend darstellte, lässt der fragliche Zonenplan eine Bevölkerungszunahme um rund 2400 Personen zu, mithin das Vierfache des Bedarfes in fünfzehn Jahren. Die Bauzone widerspricht somit
Art. 15 RPG
. Das Verwaltungsgericht konnte an seinem Augenschein feststellen, dass nebst dem rund 23 ha umfassenden Gebiet "Rügel/Ghei" noch weitere 30 ha Land aus dem altrechtlichen Baugebiet zu entlassen sind, um dieses auf das bundesrechtskonforme Mass zu reduzieren. Dies bestätigte der Regierungsrat im kantonalen Verfahren. Aus den vom Bundesgericht eingeholten Angaben über den Stand der Zonenplanung in der Gemeinde Seengen ergibt sich, dass nun insgesamt "Auszonungen" im Umfange von 48,8 ha vorgesehen sind, während 5,9 ha neu einer Bauzone zugeteilt werden sollen. Das viel zu umfangreiche altrechtliche, vor der Bodenrechtsreform von 1969 bezeichnete Baugebiet soll nach dem geltenden Stand der Zonenplanung um 42,9 ha reduziert werden in diesen sind die 23 ha des Gebietes "Rügel/Ghei" eingeschlossen.
b) Das eidgenössische Gewässerschutzgesetz von 1971, das am 1. Juli 1972 in Kraft trat, brachte für die Liegenschaft des Beschwerdeführers keine Rechtslage, die eine Überbauung ohne weiteres gestattet hätte. Das Grundstück lag zwar in der Landhauszone gemäss der Zonenordnung vom 15. Dezember 1967, so dass nach Art. 19 des Gewässerschutzgesetzes von 1971 die Erteilung von Baubewilligungen nicht ausgeschlossen war. Doch ging die Gewässerschutzgesetzgebung mit den von ihr angeordneten Pflichten für die Abwasserreinigung (dazu heute Art. 17 f. GSchG von 1991, im wesentlichen übereinstimmend mit den Pflichten insbesondere gemäss Art. 5 und 13 ff. des GSchG vom 8. Oktober 1971) von einer angemessenen Begrenzung des Baugebiets aus, wobei dieses grundsätzlich auf das für das überbaute und für das innert höchstens 15 Jahren zur Erschliessung vorgesehene Baugebiet anzulegen war (
Art. 11 und 15 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 [AGSchV; SR 814.201]
). Altrechtliche Bauzonen können nur dann als bundesrechtskonform gelten, wenn sie dem Gebot der angemessenen Begrenzung des Baugebiets entsprechen, so dass die Gemeinde in der Lage ist, die ihr obliegenden Erschliessungspflichten zu
BGE 119 Ib 124 S. 132
erfüllen (Erw. 3 des Urteils des Bundesgerichtes vom 2. Oktober 1991, publiziert in ZBl 93/1992 S. 376). Die Gemeinden sind bereits auf Grund des eidgenössischen Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974 verpflichtet, die für den Wohnungsbau bestimmten Bauzonen entsprechend dem Bedarf in angemessenen Etappen innerhalb von 10 bis 15 Jahren zu erschliessen (
Art. 5 WEG
;
BGE 116 Ia 332
E. cc;
BGE 115 Ia 348
E. e;
BGE 112 Ia 157
E. 2b).
Im Falle der Gemeinde Seengen hätte wohl der auftragsgemäss von der Firma M. AG ausgearbeitete Überbauungsplan jedenfalls für das Gebiet "Rügel/Ghei" zu einer angemessenen Bauzonenbegrenzung führen können, sofern die Gemeinde eine gesamthafte Überprüfung ihrer Baugebietsausdehnung veranlasst hätte. Doch wurde dieser Überbauungsplan von der Gemeindeversammlung nicht festgesetzt, sondern mit dem Auftrag zurückgewiesen, Auszonungen im Gebiet "Rügel/Ghei" zu prüfen. Hieraus ergibt sich, dass auch in diesem Gebiet weder die bestehende altrechtliche Landhauszone noch das aus dem Jahre 1958 stammende GKP als dem Bundesrecht entsprechend anerkannt werden können (
BGE 116 Ib 383
E. 5;
112 Ib 400
E. 5c). In bezug auf das GKP legten die Vertreter des Gemeinderates sowie der Beschwerdeführer als ehemaliger Präsident der kommunalen Zonenplankommission anlässlich des verwaltungsgerichtlichen Augenscheines dar, die für den Zonenplan von 1967 erfolgte neue Berechnung des GKP hätte lediglich zu begrenzten Anpassungen geführt.
c) Bei der Zonenordnung aus dem Jahre 1967 handelt es sich nach dem Gesagten nicht um einen dem Bundesrecht entsprechenden Nutzungsplan. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass sie gemäss
Art. 35 Abs. 3 RPG
vorerst in Kraft blieb, so stand sie unter dem Vorbehalt der vom Bundesrecht verbindlich geforderten Überprüfung und Festsetzung eines den Anforderungen des Bundesrechts entsprechenden Nutzungsplanes. Die altrechtliche Zonenordnung wurde nicht vom Kanton gemäss
Art. 26 und
Art. 35 Abs. 3 RPG
genehmigt. Nachdem die Gemeinde Seengen bis heute noch nicht über einen dem Bundesrecht entsprechenden Nutzungsplan verfügt, verlor die Zonenordnung von 1967 jedenfalls ab dem 1. Januar 1988 mit Bezug auf die Umschreibung des Baugebiets ihre Gültigkeit; an ihrer Stelle gilt das weitgehend überbaute Gebiet als vorläufige Bauzone (
Art. 36 Abs. 3 RPG
;
BGE 118 Ib 43
E. 4 mit Hinweisen). Für das Gebiet "Rügel/Ghei" ist diese Feststellung allerdings nicht von ausschlaggebender Bedeutung, da die kantonale Schutzzone gemäss
BGE 119 Ib 124 S. 133
dem Hallwilerseeschutzdekret vom 13. Mai 1986 die altrechtliche Landhauszone abgelöst hat.
d) Aus diesen Erwägungen folgt, dass mit der Festsetzung der Schutzzone durch das Hallwilerseeschutzdekret erstmals in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Bundesrechts der Inhalt des Grundeigentums des Beschwerdeführers als Nichtbauland verbindlich festgelegt wurde. Es liegt deshalb nicht eine Auszonung aus einer dem Bundesrecht entsprechenden Bauzone, sondern eine Nichteinzonung von Land in eine mit den Grundsätzen des Bundesrechts übereinstimmende Bauzone vor (
BGE 118 Ia 154
ff. E. 3b;
BGE 118 Ib 43
ff. E. 4). Dass die Begrenzung der Grundstücksnutzung auf die ordentliche Bewirtschaftung des Bodens durch eine kantonale Planung erfolgte, ändert hieran nichts. Auch in anderen Kantonen werden Freihalte- und Landwirtschaftszonen durch den Kanton festgesetzt (vgl. § 36 ff. und § 39 ff. des Gesetzes des Kantons Zürich über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975 [PBG]), wobei auf Grund der Planungspflicht (
Art. 2 RPG
, §§ 118, 121 und 126 des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 [BauG]) der sachgerechten Begrenzung der Bauzonen sowohl durch kommunale als auch durch kantonale Nutzungszonen Rechnung zu tragen ist (
BGE 112 Ia 284
ff. E. 6 und 7). Auch wenn kantonale Schutzzonen zu einer Reduktion zu grosser altrechtlicher kommunaler Bauzonen führen, liegt eine Nichteinzonung in eine dem Raumplanungsrecht entsprechende Bauzone vor (
BGE 118 Ib 341
betreffend Freihaltezonenfestsetzung in einem Rebengebiet;
BGE 114 Ib 104
E. 3b betreffend Schutzzone Lavaux/VD).
4.
Ob die Nichteinzonung den Beschwerdeführer ausnahmsweise enteignungsähnlich traf, ist anhand der hiefür massgebenden Kriterien (vorstehende Erw. 2d) zu beurteilen.
a) aa) Die fragliche Parzelle lag nicht innerhalb eines gewässerschutzrechtskonformen GKP (vorstehende Erw. 3b). Auch hat der Beschwerdeführer für die Erschliessung seines Landes - wie er darlegt - keine erheblichen Kosten aufgewendet. Der Liegenschaftserwerb im Jahre 1972/1973, somit unter der Herrschaft der 1969 von Volk und Ständen angenommenen Bodenrechtsreform und nach Inkrafttreten des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 sowie des BMR, kann grundsätzlich nicht als Aufwendung für die Erschliessung und Überbauung des Landes gelten. Wer Land erwirbt in der Hoffnung, die aufgrund des neuen Rechts erforderlichen Voraussetzungen für eine künftige Überbauung würden erfüllt, kann nicht besser gestellt werden als jeder langjährige Eigentümer
BGE 119 Ib 124 S. 134
landwirtschaftlich genutzten Landes, das keiner Bauzone zugewiesen wird. Auch dieser hat die der verfassungsrechtlichen Ordnung entsprechende Bezeichnung seines Grundeigentums als Nichtbauland hinzunehmen.
bb) Sodann kann die Liegenschaft nicht entsprechend den Anforderungen des Bundesrechts als baureif betrachtet werden. Zwar meint der Beschwerdeführer, seine Parzelle sei hinsichtlich der Zufahrt, der Kanalisation und der Wasserversorgung erschlossen. Er geht davon aus, ein Einzelanschluss an diese Erschliessungsanlagen sei möglich, eine Auffassung, welche auch die Gemeinde im kantonalen Verfahren vertrat. Beide verkennen, dass der bereits seit dem 1. Mai 1972 geltende § 157 Abs. 1 BauG eine systematische Erschliessung von Bauland im Rahmen eines Überbauungs- oder Gestaltungsplanes verlangt, eine Vorschrift, die in Übereinstimmung mit den dargelegten Regeln des Bundesrechts sicherstellen will, dass eine Bauzone zweckmässig und zielgerichtet in Beachtung des Gebots der haushälterischen Bodennutzung (
Art. 1 RPG
,
Art. 5 WEG
) erschlossen wird (vgl. ERICH ZIMMERLIN, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, 2. Aufl., Aarau 1985, N. 2 und 6a zu §§ 157/18). Beide Vorinstanzen hoben dieses Erfordernis zutreffend hervor. Auch der Regierungsrat weist in seinen Vernehmlassungen zu Recht darauf hin. Im hier fraglichen Gebiet fehlt es insbesondere an Kanalisationsanlagen, die den Anforderungen der Gewässerschutzgesetzgebung an die Erschliessung des gesamten Gebiets entsprechen und an welche die Parzelle des Beschwerdeführers angeschlossen werden könnte. Dieser kann aus der Tatsache, dass das auf der Nachbarparzelle Nr. 1709 bestehende Wohnhaus mit einer 1987 erstellten Sanierungsleitung an das Kanalisationsnetz angeschlossen wurde, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Diese Sanierungsleitung bezweckt einzig, den für bestehende Wohnbauten ausserhalb der Bauzone gesetzlich vorgeschriebenen Anschluss an das Kanalisationsnetz sicherzustellen (vorstehende Erw. 3b). Für das umliegende Gebiet konnte sie schon deshalb keinen Kanalisationsanschluss ermöglichen, weil 1987 die Schutzzone bereits in Kraft stand. Im übrigen bezwecken weder kommunale Sammelleitungen ausserhalb der Bauzonen noch private Anschlussleitungen, welche der Erfüllung der Anschlusspflicht dienen, angrenzenden Liegenschaften einen Kanalisationsanschluss zu verschaffen (
BGE 118 Ib 47
E. 4d). Dies gilt auch für die Abwasserleitung der benachbarten Heimstätte Rügel, welche, wie der Gemeindeschreiber anlässlich des Augenscheines vor dem Verwaltungsgericht ausführte, einzig den Zweck hat, diese Baute, nicht
BGE 119 Ib 124 S. 135
aber die Nachbarliegenschaften, mit dem Kanalisationsnetz zu verbinden.
cc) Für eine geordnete Überbauung des Gebietes "Rügel/Gäldrüti" wären hinsichtlich der nötigen Strassenanlagen noch Erschliessungsplanungen und Parzellarordnungsmassnahmen nötig gewesen (
Art. 20 RPG
;
Art. 7 ff. WEG
; §§ 172 ff. BauG;
BGE 113 Ib 135
E. 4c;
BGE 112 Ib 390
E. 3), wie dies der von der Firma des Beschwerdeführers ausgearbeitete Vorschlag zu einem Überbauungsplan deutlich erkennen lässt. Der Beschwerdeführer stellt dies nicht in Abrede. Er vertritt einzig die Meinung, ihm wäre es möglich gewesen, seine einzelne Parzelle mit Hilfe privatrechtlicher Abmachungen wie der Einräumung von Durchleitungsrechten zu überbauen. Diese Überlegung geht deshalb fehl, weil Einzelüberbauungen zu einer den Grundsätzen des eidgenössischen und kantonalen Bau- und Planungsrechts widersprechenden Streubauweise führen. Auch derjenige, der eine für sich allein möglicherweise überbaubare Parzelle besitzt, hat mit seinem Grundbesitz an einem sachgerecht begrenzten, auf die Nutzungsplanung abgestützten Erschliessungs- und Parzellarordnungsverfahren teilzunehmen, das eine bauordnungsgemässe Überbauung des gesamten Gebiets sicherstellt (Urteil des Bundesgerichtes vom 1. April 1981, publiziert in ZBl 84/1983 S. 183). Ein Grundeigentümer besitzt sodann keinen Anspruch auf Einräumung privatrechtlicher Weg- und Durchleitungsrechte in einem Gebiet, das öffentlichrechtlich nicht baureif ist (
BGE 117 II 35
;
BGE 110 II 125
).
Dementsprechend kommt es zufolge der gebotenen gebietsbezogenen Betrachtungsweise nicht entscheidend darauf an, dass die Liegenschaft des Beschwerdeführers aufgrund des 1973 abgeschlossenen Tauschvertrages eine für die Überbauung günstige Form aufweist und dass er sich für eine Zufahrt zu seinem Grundstück ein Fahr- und Wegrecht sicherte. Eine zweckmässige Verkehrserschliessung erfordert eine auf die geordnete Quartierüberbauung ausgerichtete Parzellarordnung und Erschliessung. Eine unter der Herrschaft des früheren Rechts erstellte Privatstrasse, wie sie zur Heimstätte Rügel und zum Wohnhaus auf der benachbarten Parzelle Nr. 1709 führt und an welche der Beschwerdeführer seiner Auffassung nach sein Grundstück hätte anschliessen können, genügt diesen Anforderungen nicht, ganz abgesehen davon, dass diese Privatstrasse nicht den Zweck hat, das umliegende Gebiet zu erschliessen (vgl.
BGE 110 II 125
; Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Oktober 1991, E. 4b, publiziert in ZBl 93/1992 S. 378). Für die zeitgerechte Erschliessung trägt die Gemeinde die Erschliessungspflicht
BGE 119 Ib 124 S. 136
(
Art. 5 WEG
,
Art. 19 Abs. 2 RPG
,
BGE 110 Ia 54
E. 4c). Auch wenn sie die Feinerschliessung gemäss den von ihr zu genehmigenden Plänen den Eigentümern überbinden kann, bleibt sie verantwortlich; nötigenfalls hat sie die Ersatzvornahme anzuordnen (
Art. 5 Abs. 2 WEG
). Bis zur Sicherstellung der zweckmässigen Erschliessung sind Baubewilligungen im Regelfall zu verweigern (vgl.
BGE 109 Ib 23
f. E. 4c).
b) Die fragliche Parzelle liegt nicht im weitgehend überbauten Gebiet. Der Begriff des weitgehend überbauten Landes nach
Art. 15 lit. a RPG
umfasst im wesentlichen nur den geschlossenen Siedlungsbereich und eigentliche Baulücken innerhalb dieses Bereichs. Gleich verhält es sich mit dem weitgehend überbauten Gebiet im Sinne von
Art. 36 Abs. 3 RPG
(
BGE 118 Ib 45
E. 4a, 344 E. 4a;
116 Ia 337
E. 4a). Wie den bei den Akten liegenden Plänen entnommen werden kann, befinden sich im "Gheiacher" im wesentlichen sechs und in der "Gäldrüti" zwei Wohnbauten, nämlich die Heimstätte Rügel und das Wohnhaus Schlossrain auf Parzelle Nr. 1709. Es handelt sich dabei selbst dann nicht um geschlossene Siedlungen, wenn beachtet wird, dass die altrechtliche Landhauszone eine lockere Überbauung vorschrieb. Bei einer gebietsbezogenen Betrachtungsweise kann weder von einem Siedlungskern noch von einem Siedlungszusammenhang gesprochen werden. Das ganze Gebiet befindet sich ausserhalb des Siedlungsrandes, weshalb die Liegenschaft des Beschwerdeführers nicht zum weitgehend überbauten Gebiet im Sinne des Raumplanungsgesetzes gehört (
BGE 117 Ia 437
f. E. 3e;
BGE 116 Ia 201
E. 2b).
c) Der Beschwerdeführer beruft sich auf weitere besondere Umstände, die es nach seiner Auffassung aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten hätten, seine Liegenschaft einer Bauzone zuzuweisen.
aa) Das am 1. Januar 1980 in Kraft getretene Raumplanungsgesetz trug Kanton und Gemeinden auf, ihre bestehende Nutzungsplanung zu überprüfen und den Anforderungen des Bundesrechts entsprechende Ortsplanungen zu erlassen (
Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG
). Für die Planung und Ausführung der Kanalisationsanlagen ergab sich diese Verpflichtung bereits aus der am 1. Juli 1972 in Kraft getretenen Gewässerschutzgesetzgebung und für die Planung und Ausführung der für die Erschliessung der Wohnbauzonen bestimmten Strassen aus dem Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz vom 4. Oktober 1974. Bei der Ausarbeitung und Festsetzung der dem Bundesrecht entsprechenden Nutzungspläne kann grundsätzlich kein Eigentümer einer in einer altrechtlichen, den Anforderungen des
BGE 119 Ib 124 S. 137
Bundesrechts nicht entsprechenden Zone liegenden Parzelle verlangen, dass seine Liegenschaft dem Baugebiet zugewiesen wird (
BGE 116 Ib 187
f. E. 3c und 4b). Daran ändert nichts, dass es die Gemeinde zunächst ablehnte, im Gebiet "Rügel/Ghei" eine den Anforderungen des Bundesrechts entsprechende Bauzonenbegrenzung anzuordnen, weil die Nutzungsplanung in Beachtung der dem Kanton zustehenden Kompetenzen zu erfüllen ist (
Art. 26 RPG
, § 147 BauG). Die Gemeinde kann den Kanton auch nicht daran hindern, übergeordnete Planungsmassnahmen zu erlassen (
Art. 2 Abs. 1 und 3 RPG
, §§ 117, 118 und 120 BauG). Die Gemeinde ist mit der Ablehnung von "Auszonungen" ihrer Verpflichtung, die Ortsplanung den Anforderungen des Bundesrechts entsprechend zu überarbeiten, nicht nachgekommen. Die von ihr im Jahre 1972 in Auftrag gegebene Ausarbeitung eines Überbauungsplanes "Rügel/Ghei" bestätigt dies. Diese Planung hätte in eine gesamthafte Überprüfung der Baugebietsausdehnung einbezogen werden müssen (vorstehende Erw. 3b). Der Verzicht auf die Festsetzung einer Schutzzone durch die Gemeinde begründet kein schutzwürdiges Vertrauen in den weiteren Bestand der altrechtlichen Bauzone; diese hätte in jedem Fall gestützt auf die Raumplanungsgesetzgebung entweder genehmigt oder mit Zustimmung des Kantons neu festgesetzt werden müssen (
Art. 35 Abs. 3 und
Art. 26 RPG
).
Auch allfällige Äusserungen des Gemeinderates oder des Baudepartementes, wonach sich am Baulandcharakter eines Grundstückes nichts ändern werde, können nach der Rechtsprechung die für die Nutzungsplanung zuständigen Organe der Gemeinde und des Kantons in der Regel nicht binden, womit eine wesentliche Voraussetzung für die Annahme des Vertrauensschutzes fehlt (
BGE 117 Ia 287
E. 2b;
BGE 116 Ib 187
E. 3c). Dass die ersten öffentlich aufgelegten Entwürfe des Hallwilerseeschutzdekretes den Einbezug des hier fraglichen Gebietes in die Schutzzone noch nicht vorsahen, ändert hieran nichts. Die öffentliche Auflage von Nutzungsplänen (
Art. 33 Abs. 1 RPG
) dient der Mitwirkung der Bevölkerung bei Planungen (
Art. 4 Abs. 1 und 2 RPG
) und dem Rechtsschutz Betroffener. Es ist nicht ausgeschlossen, dass deren Einwendungen oder sonstige neue Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der Planauflage gewonnen werden, zu einer Überarbeitung von Planentwürfen führen (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 11. November 1992 i.S. B. gegen Gemeinde Maur, E. 2c; vgl.
BGE 115 Ia 89
;
BGE 111 Ia 168
f. E. 2c und d). Für das Gebiet "Rügel/Ghei" ist es verständlich, dass die ersten kantonalen Schutzzonenpläne weniger weit gingen,
BGE 119 Ib 124 S. 138
wurde doch mit der Möglichkeit kommunaler Anordnungen gerechnet, wie sich aus der im Jahre 1978 erfolgten Rückweisung des Überbauungsplanes "Rügel/Ghei" durch die Gemeindeversammlung ergibt.
bb) Fiskalische Aspekte spielen für die planungsrechtliche Behandlung einer Parzelle keine ausschlaggebende Rolle. Die Tatsache, dass ein Grundstück bei der Steuerveranlagung für eine bestimmte Periode als Bauerwartungsland erfasst wird, bindet die Planungsbehörden bei der Erfüllung der Planungspflicht nicht (
BGE 112 Ib 492
E. 9 mit Hinweisen). Ob aus der für jedermann verbindlichen Nutzungsplanung steuerrechtliche Rückforderungsansprüche hergeleitet werden können, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
cc) Weiter weist der Beschwerdeführer auf Aussagen kantonaler Parlamentarier und Mitglieder des Regierungsrates anlässlich der Behandlung des Hallwilerseeschutzdekretes im Grossen Rat hin, wonach durch das Dekret bewirkte "Auszonungen" zufolge der Festsetzung der Schutzzone entschädigt werden müssten. Es trifft in der Tat zu, dass im Grossen Rat entschädigungsfreundliche Auffassungen vertreten wurden. Doch sind diese im Zusammenhang mit der politischen Meinungsbildung zu verstehen. Es war den Mitgliedern des Grossen Rates klar, dass nicht die politischen Behörden, sondern die kantonalen Gerichte und letztlich das Bundesgericht verbindlich über Fragen der materiellen Enteignung entscheiden, wie sich dies aus den vom Beschwerdeführer angeführten Protokollauszügen ergibt. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f1255afa-7711-4405-8aff-7d4e629afe08 | Urteilskopf
97 I 573
79. Urteil vom 12. Juli 1971 i.S. von Schulthess-Rechberg gegen Zürich, Kanton und Regierungsrat. | Regeste
Einsprache und Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Nationalstrassenprojekte.
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide über Pläne, aufgrund deren Land enteignet werden kann (Erw. 1 b).
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts als Verwaltungsgericht im allgemeinen (Erw. 3).
Einsprache und Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Nationalstrassenprojekte (
Art. 27 NSG
).
- Anspruch des Grundeigentümers auf Stellungnahme zur generellen Projektierung? (Erw. 2 c).
- Mit der gegen das Ausführungsprojekt gerichteten Einsprache (
Art. 27 NSG
) kann auch die im generellen Projekt (
Art. 19, 20 NSG
) festgelegte Linienführung angefochten werden (Erw. 1a).
- Interessen, die bei der von
Art. 5 NSG
geforderten Interessenabwägung zu berücksichtigen sind. Umfang der Überprüfung dieser Interessenabwägung und der ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen durch das Bundesgericht, insbesondere soweit sich technische Fragen stellen, die durch fachkundige Instanzen des Kantons und des Bundes abgeklärt worden sind. Anwendung auf die Linienführung einer Expressstrasse durch die Stadt Zürich (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 574
BGE 97 I 573 S. 574
A.-
Mit Beschluss vom 19. November 1969 hat der Bundesrat verschiedene generelle Projekte für den Bau von National strassen im Bereich der Stadt Zürich definitiv genehmigt, darunter das Projekt einer Express-Strasse vom Sportplatz Hardturm nach Zürich-Aubrugg. Rechts der Limmat wird ein Teil dieser Strasse in einen Tunnel verlegt, der etwa 1,7 km lang ist und aus zwei Röhren mit je drei Fahrbahnen besteht. Vom Südportal des Tunnels, das sich ungefähr 170 m nördlich des Limmatufers befindet, geht die Express-Strasse zur Limmat und überquert diese. Unmittelbar vor dem Ufer ist ein wichtiges
BGE 97 I 573 S. 575
Kreuzungsbauwerk vorgesehen; die dort in einer Entfernung von 50 m dem Ufer parallel laufende Wasserwerkstrasse wird verbreitert, durch eine Überführung über die Express-Strasse gehoben und durch Anschlüsse mit dieser verbunden. Das Ausführungsprojekt wurde in der Stadt Zürich vom 18. August bis 16. September 1969 öffentlich aufgelegt. Im Anschluss an die Auflage erhoben mehrere Grundeigentümer Einsprache, darunter auch Dr. Anton von Schulthess-Rechberg. Er ist Eigentümer der 2705 m2 haltenden Parzelle Nr. 2770, die zwischen der Wasserwerkstrasse und der Limmat gelegen ist. Aus dem Landerwerbsplan und der Landerwerbstabelle, die Bestandteile des aufgelegten Ausführungsprojektes sind, ergibt sich, dass das ganze Grundstück Nr. 2770 für das erwähnte Kreuzungsbauwerk erworben, wenn nötig enteignet werden soll.
Von Schulthess-Rechberg verlangte mit der am 16. September 1969 eingereichten Einsprache, das aufgelegte Ausführungsprojekt sei zurückzuziehen und nach der Genehmigung des generellen Projekts durch den Bundesrat neu aufzulegen; eventuell habe der Regierungsrat den Bundesrat um Aufschub der Genehmigung zu ersuchen, um dem Einsprecher Gelegenheit zu geben, sich zum generellen Projekt zu äussern; subeventuell sei dem Einsprecher nach Vorliegen der bundesrätlichen Genehmigung eine Nachfrist zur Ergänzung seiner Einsprache anzusetzen. Der Einsprache lagen ein technischer Bericht und einige Planskizzen des dipl. Bauingenieurs Adam Magyar bei, worin Varianten aufgezeigt werden, nach welchen das Südportal des Tunnels und das Kreuzungsbauwerk derart nach Westen verschoben werden könnten, dass das Grundstück des Einsprechers nicht enteignet werden müsste. Das Ausführungsprojekt (und das generelle Projekt) sei daher im Sinne einer dieser Varianten abzuändern und neu aufzulegen.
Der Bundesrat genehmigte das generelle Projekt ohne dass von Schulthess-Rechberg Gelegenheit erhalten hätte, sich dazu zu äussern. Hierauf entschied der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 16. April 1970 über sämtliche Einsprachen. Dabei trat er auf diejenige des Dr. von Schulthess-Rechberg nur "im Sinne eines gegen das genehmigte generelle Projekt gerichteten Wiedererwägungsgesuches" ein und wies sie ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Der Einsprecher verlange eine Verschiebung des Tunnels nach Westen. Der Verlauf des Tunnels sei indes so weitgehend durch die geologischen
BGE 97 I 573 S. 576
Verhältnisse vorbestimmt, dass schon geringe Änderungen der Linienführung bedeutende technische Inkonvenienzenund damit erhebliche Mehrkosten zur Folge hätten. Nach dem Projekt wie nach den vom Einsprecher vorgelegten Varianten müsse das etwa 120 m lange südliche Tunnelende "über Tag" gebaut werden. Während jedoch im Gebiet der projektierten Tagbaustrecke ältere, fast ausschliesslich gewerblich benutzte Gebäude ständen, käme die Tagbaustrecke nach allen Varianten des Einsprechers in ein ausgesprochenes Wohnquartier mit zum Teil neuen Bauten. Eine Beseitigung ganzer Teile dieser Wohnviertel lasse sich nicht rechtfertigen, selbst wenn man berücksichtige, dass dann der mehr als 100 Jahre alte Familiensitz des Einsprechers erhalten bliebe. Die vom Einsprecher verlangte Verschiebung der Express-Strasse nach Westen würde sodann den Raum zwischen dieser und der Kornhausbrücke so stark einengen, dass sich ein befriedigender Anschluss der Express-Strasse an das untergeordnete Strassennetz selbst mit hohem technischem Aufwand nicht herstellen liesse; ferner würden die Brückenbauten über die Limmat gegenüber dem Ausführungsprojekt etwa 10 m höher und überdies länger, was unverhältnismässige Mehrkosten ergäbe. Auch bei der verlangten Verschiebung der Express-Strasse nach Westen sei übrigens der Abbruch der Gebäude des Einsprechers unvermeidlich, weil die Wasserwerkstrasse, als wichtige Verbindung zwischen der Nationalstrasse und dem städtischen Strassennetz, auf alle Fälle auf vier Fahrspuren ausgebaut werden müsse. Den materiellen Begehren des Einsprechers könne daher nicht entsprochen werden. Ebensowenig sei das Begehren um neue Auflage des Ausführungsprojekts begründet (wird näher ausgeführt).
B.-
Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates hat Dr. Anton von Schulthess-Rechberg beim Bundesrat Beschwerde erhoben mit den Anträgen:
1. Es sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen, das Auflageverfahren in richtiger Form zu wiederholen.
2. Eventuell sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und von Amtes wegen das Ausführungsprojekt samt Baulinien (und das generelle Projekt) im Sinne der beiliegenden Varianten abzuändern und neu aufzulegen.
3. Es sei ein doppelter Schriftenwechsel und ein Augenschein durchzuführen.
BGE 97 I 573 S. 577
In der Begründung wird zunächst geltend gemacht, dass der Regierungsrat nur die Nachteile der ihm vom Beschwerdeführer vorgelegten Varianten aufgezählt, deren eindeutige Vorteile aber ausseracht gelassen habe. Sodann wird versucht, die einzelnen Erwägungen des Regierungsrats zu widerlegen. In rechtlicher Beziehung werden zuerst die Gründe dargelegt, aus denen das Planauflageverfahren zu wiederholen sei. In der Sache selbst macht der Beschwerdeführer insbesondere Verletzung von
Art. 5 Abs. 1 und 2 NSG
geltend, weil der Regierungsrat die sich entgegenstehenden Interessen weder richtig festgestellt noch richtig abgewogen habe. Ferner wirft ihm der Beschwerdeführer Überschreitung bzw. Missbrauch des Ermessens, Verweigerung des rechtlichen Gehörs sowie unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes vor. Die nähere Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungnen.
C.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement überwies die Beschwerde dem Bundesgericht, dessen Zuständigkeit sich aus
Art. 99 lit. c OG
ergebe. Das Bundesgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich und das Eidg. Departement des Innern beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde beim Bundesrat eingereicht und sich für dessen Zuständigkeit auf Art. 1 Abs. 2 lit. e in Verbindung mit Art. 5 und 44 VwG berufen. Aus diesen Bestimmungen über den Geltungsbereich des VwG, den Begriff der Verfügung und das Beschwerdeverfahren im allgemeinen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob der vorliegende Entscheid des Regierungsrates mit der Beschwerde an den Bundesrat oder mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht angefochten werden kann. Das ist anhand aller einschlägigen Bestimmungen des NSG, des OG und des VwG zu ermitteln.
a) Der Regierungsrat hat mit dem angefochtenen Entscheid über eine vom Beschwerdeführer erhobene Einsprache im Sinne des
Art. 27 NSG
entschieden. Aus dem Wortlaut von Abs. 1 dieser Bestimmung könnte man zwar schliessen, dass sich eine solche Einsprache nur gegen das gemäss
Art. 26 NSG
aufgelegte Ausführungsprojekt und die darin enthaltenen Baulinien
BGE 97 I 573 S. 578
richten könne. Diese Auslegung ist jedoch zu eng. Mit der Einsprache gemäss
Art. 27 NSG
muss derjenige, der ein schutzwürdiges Interesse an der Nichtausführung oder Änderung des Projekts hat, alle Rügen erheben können, mit denen er im weiteren Laufe des Verfahrens ausgeschlossen ist. Da
Art. 39 Abs. 2 NSG
bestimmt, dass in dem nach Genehmigung des Ausführungsprojekts durchgeführten Enteignungsverfahren Einsprachen gegen die Enteignung sowie Begehren, die eine Planänderung bezweckten, ausgeschlossen sind, muss es daher, wie das Bundesgericht im heutigen Urteil i.S. Gauger & Co. AG inbezug auf Einsprachen festgestellt hat, zulässig sein, solche Einsprachen und Begehren im Anschluss an die öffentliche Auflage des Ausführungsprojekts zu erheben.
Der Beschwerdeführer hat mit seiner Einsprache verschiedene Mängel des Auflageverfahrens geltend gemacht und dessen Wiederholung verlangt. Der Regierungsrat ist auf diese Rüge, die später nicht mehr erhoben werden könnte, mit Recht eingetreten, hat sie aber als unbegründet abgewiesen. Für diesen Fall hat der Beschwerdeführrer eine Änderung des Ausführungsprojektes verlangt, die - wie unbestritten ist - auf eine Änderung der durch das generelle Projekt festgelegten Linienführung hinausläuft. Der Regierungsrat ist der Auffassung, dass ein solches Begehren nicht Gegenstand einer Einsprache gemäss
Art. 27 NSG
sein, sondern nur im Sinne eines gegen das generelle Projekt gerichteten Wiedererwägungsgesuchs entgegengenommen werden könne. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Das NSG sieht freilich kein Rechtsmittel vor, mit dem ein generelles Projekt, z.B. wegen Missachtung des
Art. 5 NSG
, angefochten werden könne. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine solche Anfechtung unzulässig wäre, da dies einer teilweisen Verweigerung des Rechtsschutzes gleichkäme. Im Hinblick hierauf hat bereits der Bundesrat in einem Entscheid vom 22. Januar 1969 (ZBl 71/1970 S. 124 Erw. 4) zutreffend festgestellt, dass mit der Einsprache gemäss
Art. 27 NSG
auch eine vom generellen Projekt abweichende Linienführung verlangt werden könne und die kantonale Behörde zuständig sei, eine derartige Einsprache zu beurteilen. Dass der Regierungsrat im vorliegenden Fall das auf Abänderung auch des generellen Projekts gerichtete Begehren des Beschwerdeführers nicht als Einsprache gelten liess, ist indessen bedeutungslos, da er die materielle Begründetheit des Begehrens umfassend abgeklärt
BGE 97 I 573 S. 579
hat. Zu prüfen bleibt, ob sein Entscheid der Beschwerde an den Bundesrat oder der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegt.
b) Der Regierungsrat hat mit dem angefochtenen Entscheid nicht nur die vom Beschwerdeführer gestellten Begehren um Wiederholung des Einspracheverfahrens und um Änderung der Pläne abgewiesen, sondern auch seine Baudirektion ermächtigt, das Land des Beschwerdeführers freihändig oder auf dem Enteignungswege zu erwerben. Da dieser Entscheid eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG darstellt, unterliegt er nach
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 98 lit. g OG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, wenn der Regierungsrat als letzte kantonale Instanz entschieden hat und nicht eine der in
Art. 99-102 OG
aufgezählten Ausnahmen vorliegt. Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Beschwerdeführer hat gegen den angefochtenen Entscheid neben der Beschwerde an den Bundesrat vorsorglich auch eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich eingereicht. Dieses ist indes mit Urteil vom 2. Oktober 1970 auf die Beschwerde deshalb nicht eingetreten, weil alle darin vorgebrachten Rügen mit einem andern eidgenössischen Rechtsmittel als der staatsrechtlichen Beschwerde einer Bundesbehörde unterbreitet werden können und daher das kantonale Rechtsmittel nach § 49 des zürch. Verwaltungsrechtspflegegesetzes unzulässig sei. Daraus ergibt sich, dass der Regierungsrat als letzte kantonale Instanz entschieden hat. Ferner ist aus
Art. 99 lit. c OG
zu entnehmen, dass gegenüber Verfügungen über Pläne die Verwaltungsgerichtsbeschwerde dann zulässig ist, wenn es sich wie hier um Entscheide über Einsprachen gegen Enteignungen handelt, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Einsprache materielle oder Verfahrensfragen betrifft. Vorbehalten ist nur der hier nicht gegebene Sonderfall von
Art. 99 lit. d OG
(
BGE 96 I 516
Erw. 1).
Unterliegt der angefochtene Entscheid aber der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, so ist - da auch
Art. 98 lit. g OG
hier nicht zutrifft - die Beschwerde an den Bundesrat unzulässig (Art. 74 lit. a VwG) und die vorliegende, beim Bundesrat eingereichte Beschwerde als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln (
Art. 96 Abs. 1 OG
).
2.
Der Beschwerdeführer beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheids in erster Linie, der Regierungsrat sei
BGE 97 I 573 S. 580
anzuweisen, das Auflageverfahren in richtiger Form zu wiederholen. Wäre dieses Begehren gutzuheissen, so würde sich die Beurteilung des Eventualbegehrens, mit dem eine Abänderung des Ausführungsprojekts (und des generellen Projekts) verlangt wird, erübrigen. Es ist daher vorweg zu prüfen, ob das Begehren um Wiederholung des Auflageverfahrens begründet ist.
a) Der Bundesrat hat das generelle Projekt für die Express-Strassen im Bereich der Stadt Zürich bereits am 13. Juli 1962 "in seinen Grundzügen" genehmigt und dabei die weitere Abklärung der Gestaltung zweier hier nicht umstrittener Teilstücke angeordnet. Der Regierungsrat nahm diese Abklärung vor und unterbreitete das bereinigte generelle Projekt am 14. November 1968 neuerdings dem Bundesrat. Dieser hat es erst am 19. November 1969 genehmigt. In der Zwischenzeit, nämlich vom 18. August bis zum 16. September 1969, wurde das Ausführungsprojekt öffentlich aufgelegt mit folgendem Hinweis:
"Die ebenfalls aufgelegten Pläne im Massstab 1:2500 sind Bestandteil des generellen Projektes und können daher nicht angefochten werden; sie dienen lediglich der Orientierung."
b) Dieser vom Beschwerdeführer beanstandete Hinweis war nach dem in Erw. 1a Gesagten unzutreffend. Das bildet jedoch keinen Grund zur Wiederholung des Auflageverfahrens. Der Regierungsrat hat entgegen jenem Hinweis sämtliche Rügen, die der Beschwerdeführer gegen das generelle Projekt erhob, beurteilt und sich mit seinen Gegenvorschlägen sachlich auseinandergesetzt. Mehr hätte der Beschwerdeführer auch dann nicht erreichen können, wenn der beanstandete Hinweis in der Ausschreibung nicht enthalten gewesen wäre. Der Einwand des Beschwerdeführers, der irreführende Hinweis habe möglicherweise andere Grundeigentümer veranlasst, ihre Einsprache entsprechend zu begrenzen oder von einer Einsprache überhaupt abzusehen, ist nicht zu hören. Der Beschwerdeführer ist nur zur Geltendmachung eigener schutzwürdiger Interessen legitimiert (
Art. 103 lit. a OG
).
c) Der Beschwerdeführer macht dem Sinne nach geltend, er hätte mit seiner Einsprache gegen das generelle Projekt nicht bloss überhaupt, sondern schon in dem der Genehmigung dieses Projekts vorausgegangenen Verfahren gehört werden sollen. Ein solcher Anspruch lässt sich jedoch weder aus dem NSG
BGE 97 I 573 S. 581
noch aus § 7 der zürch. Verordnung vom 12. April 1965 zum EG/NSG in Verbindung mit
Art. 4 BV
noch unmittelbar aus
Art. 4 BV
ableiten.
Nach
Art. 19 Abs. 1 NSG
haben die Kantone die vom Strassenbau betroffenen Gemeinden "und allenfalls die Grundeigentümer" einzuladen, zum generellen Projekt Stellung zu nehmen. Diese Anhörung der Grundeigentümer war in der Vorlage des Bundesrates nicht vorgesehen; sie wurde in der Bundesversammlung als Obligatorium beantragt und dann als Fakultativum in das Gesetz aufgenommen (StenB StR 1959 S. 387/88, NR 1959 S. 808). Im Hinblick hierauf bestimmt § 7 der erwähnten zürch. Verordnung, die generellen Projekte würden den Grundeigentümern zur Stellungnahme unterbreitet, "soweit dies als gerechtfertigt erscheint". Diese kantonale Bestimmung gewährt dem betroffenen Grundeigentümer keinen weitergehenden Anspruch auf rechtliches Gehör als
Art. 19 Abs. 1 NSG
, der es ins Ermessen der kantonalen Behörden stellt, die Grundeigentümer zum generellen Projekt anzuhören. Dass dieses Ermessen im vorliegenden Falle überschritten oder missbraucht worden wäre, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und noch weniger dargetan. Gründe, aus denen eine Anhörung der betroffenen Grundeigentümer und insbesondere des Beschwerdeführers zum generellen Projekt geboten gewesen wäre, sind auch nicht ersichtlich. Im Einspracheverfahren gegen das Ausführungsprojekt war die Aussicht des Beschwerdeführers, auch das generelle Projekt mit triftigen sachlichen Gründen anzufechten, besser als vorher. Mehr hätte er mit einer in einem früheren Zeitpunkt und bloss gegen das generelle Projekt gerichteten Einsprache nicht geltend machen können.
d) Das Ausführungsprojekt, im Anschluss an das der Beschwerdeführer Einsprache erhoben hat, ist vor der Genehmigung des generellen Projekts nicht nur ausgearbeitet, sondern auch öffentlich aufgelegt worden. Das entsprach, wie der Beschwerdeführer zutreffend feststellt, nicht dem Wortlaut des
Art. 21 Abs. 1 NSG
, der anordnet, "nach der Genehmigung der generellen Projekte sind... die Ausführungsprojekte auszuarbeiten". Diese Bestimmung ist indessen offensichtlich nicht zum Schutze der Grundeigentümer aufgestellt worden. Sie bezieht sich auf die zeitliche Aufeinanderfolge technischer Arbeiten und soll womöglich verhindern, dass für ein Ausführungsprojekt Arbeit und Kosten aufgewendet werden, die
BGE 97 I 573 S. 582
sich im Falle der Nichtgenehmigung des generellen Projekts als nutzlos erweisen. Dient die Vorschrift aber nicht dem Schutze der Grundeigentümer, so konnte durch ihre Missachtung kein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdeführers verletzt werden. Es ist ihm, wie bereits dargelegt wurde, daraus kein Rechtsnachteil erwachsen, dass seine Rügen gegen das generelle Projekt erst im Anschluss an die Auflage des Ausführungsprojekts vorgebracht werden konnten und geprüft wurden.
e) Auch der Umstand, dass im August/September 1969 nur das Ausführungsprojekt für den nördlich der Limmat gelegenen Teil der Express-Strasse, nicht auch dasjenige für die Fortsetzung südlich der Limmat und insbesondere für das Verkehrsdreieck vor dem Platzspitz aufgelegt worden sind, bildet keinen Grund zu einer Wiederholung des Auflageverfahrens. Wo das Verkehrsdreieck ist, ergibt sich aus dem generellen Projekt und weiss der Beschwerdeführer; wie es ausgestaltet wird, braucht nicht bekannt zu sein beim Entscheid darüber, ob das auf dem andern Ufer der Limmat befindliche Grundeigentum des Beschwerdeführers für die dortige Nationalstrasse und deren Anschlüsse benötigt wird.
f) Zu Unrecht beanstandet der Beschwerdeführer schliesslich, dass ihm keine Möglichkeit zur Ergänzung seiner Einsprache eingeräumt worden sei. Der Beschwerdeführer hat sich in seiner innert der Frist des
Art. 27 NSG
eingereichten Einsprache zum Streitgegenstand in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geäussert. Dass das kantonale Recht darüber hinaus weitere Äusserungen des Einsprechers zulassen dürfe und wirklich zulasse, ist nicht dargetan worden. Überdies wurde mit dem Beschwerdeführer auch mündlich verhandelt, zuletzt am 29. November 1969. Er behauptet nicht, bei dieser Gelegenheit Kenntnis von Tatsachen erhalten zu haben, die Anlass zu Rügen gegeben hätten, die vorher nicht vorgebracht wurden noch vorgebracht werden konnten. Unter diesen Umständen ist das Mass des rechtlichen Gehörs, das der Beschwerdeführer beim Fehlen einschlägiger Bestimmungen des Bundes und des Kantons unmittelbar aus
Art. 4 BV
ableiten kann, nicht nur erfüllt, sondern übertroffen worden, selbst wenn man davon absieht, dass die vom Beschwerdeführer ergriffene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein Rechtsmittel darstellt, welches zu einer umfassenden Überprüfung des Sachverhalts und der Rechtslage führt (
BGE 93 I 656
Nr. 82).
BGE 97 I 573 S. 583
3.
In der Sache selbst stellt sich vor allem die Frage, inwieweit das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid überprüfen kann.
Der Umfang der Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts als Verwaltungsgericht ergibt sich aus der in
Art. 104 OG
enthaltenen Umschreibung der Beschwerdegründe in Verbindung mit
Art. 105 und 114 Abs. 1 OG
(
BGE 96 I 271
, 516 E. 2). Danach hat das Bundesgericht, und zwar grundsätzlich frei, zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletze (Art. 104 lit. a). Ferner hat es zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes beruhe (Art. 104 lit. b, 105 Abs. 1). Auch hierüber befindet das Bundesgericht im vorliegenden Falle frei; die Voraussetzungen, unter denen Art. 105 Abs. 2 die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz beschränkt, sind hier nicht gegeben. Im Bereich des Ermessens kann das Bundesgericht dagegen im allgemeinen nur wegen Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens einschreiten (
Art. 104 lit. a OG
). Die Angemessenheit des angefochtenen Entscheids kann es, ausser in den in Art. 104 lit. c Ziff. 1 und 2 genannten Fällen, nur prüfen, wenn eine besondere Vorschrift des Bundesrechts, wie z.B.
Art. 14 GSchG
, die Rüge der Unangemessenheit ausdrücklich vorsieht (Art. 104 lit. c Ziff. 3). Das NSG enthält keine solche Sondervorschrift. Soweit sich im vorliegenden Falle Ermessensfragen stellen, könnte das Bundesgericht daher den angefochtenen Entscheid nur wegen der in
Art. 104 lit. a OG
genannten groben, als Bundesrechtsverletzung geltenden Ermessensfehler aufheben. Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Verwaltung ihr Ermessen walten lässt, wo das Gesetz ihr keines einräumt, oder wo sie statt zweier zulässiger Lösungen eine Dritte wählt (GRISEL, Droit administratif suisse S. 171). Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn die Verwaltung zwar im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt (vgl.
BGE 97 I 140
E. 3 am Ende mit Hinweis auf frühere Urteile), ferner wenn sie willkürlich oder rechtsungleich handelt (IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung 3. A. Nr. 221 X a; GRISEL a.a.O. S. 171).
4.
Art. 5 NSG
, den der Beschwerdeführer in erster Linie als verletzt bezeichnet, enthält "Grundsätze für die Ausgestaltung
BGE 97 I 573 S. 584
der Nationalstrassen". Nach Abs. 1 haben diese Strassen hohen verkehrstechnischen Anforderungen zu genügen und insbesondere eine sichere und wirtschaftliche Abwicklung des Verkehrs zu gewährleisten. Stehen diesen Anforderungen andere schutzwürdige Interessen entgegen, so sind sie, wie Abs. 2 weiter bestimmt, gegenüber dem Interesse an der Nationalstrasse abzuwägen. Bei den dabei aufgezählten andern Interessen (Erfordernisse der militärischen Landesverteidigung und der wirtschaftlichen Nutzung des Grundeigentums, Anliegen der Landesplanung oder des Gewässer-, Natur- und Heimatschutzes) handelt es sich ausschliesslich um öffentliche Interessen. Wären nur diese Interessen gegenüber dem ebenfalls öffentlichen Interesse an der Nationalstrasse abzuwägen, so wären private Grundeigentümer, deren Land für den Bau der Nationalstrasse beansprucht wird, wohl nicht legitimiert, wegen Verletzung des
Art. 5 NSG
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen (
BGE 94 I 188
E. 4). Nun ist jedoch, wie schon der Ausdruck "insbesondere" zeigt, die in
Art. 5 Abs. 2 NSG
enthaltene Aufzählung nicht abschliessend. Schon der Bundesrat hat anerkannt, dass auch der dem Gemeinwesen erwachsende Aufwand zu berücksichtigen ist (ZBl 71/1970 S. 125 E. 6). Ein schutzwürdiges Interesse, das gegenüber dem Interesse an der Nationalstrasse abzuwägen ist, ist sodann namentlich das Interesse des vom Strassenprojekt betroffenen Grundeigentümers am Weiterbesitz seines Landes, denn zu den Enteignungsvoraussetzungen gehört, auch wenn dies in
Art. 22ter BV
nicht ausdrücklich gesagt ist, dass das öffentliche Interesse nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit staatlicher Eingriffe schwerer wiegt als das entgegenstehende private Interesse. Im Zusammenhang mit dem privaten Interesse aber kann der betroffene Grundeigentümer sich auch auf schutzwürdige öffentliche Interessen wie die in
Art. 5 Abs. 2 NSG
aufgezählten berufen und geltend machen, dass diese andern öffentlichen Interessen das öffentliche Gesamtinteresse an der streitigen Linienführung der Nationalstrasse vermindern.
a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, mit denen Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen aufgrund kantonalen Rechts wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
) angefochten werden, prüft das Bundesgericht nach seiner neuern Rechtsprechung grundsätzlich frei, ob das geltend gemachte öffentliche Interesse seiner Art und seinem Gewicht nach den
BGE 97 I 573 S. 585
streitigen Eingriff in das Privateigentum rechtfertige und schwerer wiege als das entgegenstehende private Interesse; es übt lediglich insoweit Zurückhaltung, als es um die Würdigung örtlicher Verhältnisse geht oder sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (
BGE 94 I 134
E. 7 und 340/41,
BGE 95 I 554
E. 3 b und zahlreiche nicht veröffentlichte Urteile). Die gleiche und jedenfalls keine engere Überprüfungsbefugnis steht dem Bundesgericht zu, wenn es als Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, ob die Interessenabwägung gemäss
Art. 5 Abs. 2 NSG
von der Vorinstanz richtig vorgenommen wurde. Der Entscheid hierüber weist indessen, im Verhältnis zu demjenigen über kantonalrechtliche Eingriffe ins Privateigentum, gewisse Besonderheiten auf. Einmal steht aufgrund des
Art. 36bis BV
von vorneherein fest, dass das öffentliche Interesse am Bau der Nationalstrassen und an einer den Anforderungen von
Art. 5 Abs. 1 NSG
genügenden Linienführung sehr erheblich ist. Wenn sodann, wie im vorliegenden Falle, geltend gemacht wird, dass eine andere, das Grundstück des Beschwerdeführers nicht berührende Linienführung dem öffentlichen Interesse nicht weniger oder sogar besser entspreche als die angefochtene, so ist einerseits das Ermessen, das bei der Bestimmung der Linienführung von Strassen besteht (vgl.
BGE 94 I 136
), zu berücksichtigen und stellen sich anderseits meist schwierige technische Fragen. Im Hinblick hierauf hat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 24. September 1965 über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit (BBl 1965 II 1265ff.) vorgeschlagen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auszuschliessen gegenüber Verfügungen betreffend die Erteilung des Enteignungsrechts und solchen im Bereich der Nationalstrassen (Botschaft S. 1310/11 und Art. 99 lit. i und k des Entwurfes). Die nationalrätliche Kommission hat indessen in ihrer Sitzung vom 17./18. Januar 1966 beschlossen, die entsprechenden Bestimmungen zu streichen, und die Bundesversammlung hat dem diskussionslos zugestimmt. Daraus folgt aber nicht, dass das Bundesgericht die mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Enteignungen für den Nationalstrassenbau aufgeworfenen Fragen frei zu prüfen hätte. Dass es im Bereich des Ermessens nur bei Überschreitung und Missbrauch einschreiten kann, ist schon in Erw. 3 dargelegt worden. Es kann aber auch nicht Sache des Bundesgerichts sein, die sich bei der Interessenabwägung stellenden technischen Fragen selber oder mit Hilfe von Sachverständigen
BGE 97 I 573 S. 586
frei zu prüfen. Es ist bereits in
BGE 96 I 513
ff., wo es um die verhältnismässig einfache Frage der Linienführung und Verkabelung eines kurzen Teils einer Starkstromleitung durch ländliches Gebiet ging, betont worden, dass das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid nur mit Zurückhaltung überprüfen könne, soweit sich technische Fragen stellen und die Vorinstanz sich auf Berichte sachverständiger Instanzen stütze (S. 518/19). Diese Zurückhaltung ist erst recht geboten, wenn es um so heikle und komplexe technische Fragen geht wie bei der hier streitigen Linienführung der Nationalstrasse durch eine grössere Stadt mit den dafür erforderlichen Tunnels, Brücken, Kreuzungsbauwerken usw.
b) Geht man hievon aus und sieht man von der noch zu prüfenden Kritik des Beschwerdeführers an den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ab, so erweist sich die Rüge des Beschwerdeführers, die dem angefochtenen Entscheid zugrundeliegende Interessenabwägung verstosse gegen
Art. 5 NSG
, ohne Zweifel als unbegründet.
Die lange umstrittene Frage, ob es richtig sei, die Nationalstrassen in der Gestalt sogenannter Express-Strassen bis ins Zentrum der Stadt Zürich hineinzuführen, wird vom Beschwerdeführer nicht mehr aufgeworfen; er hat vielmehr schon in der Einsprache vom 16. September 1969 erklärt, dass er sich dem BRB vom 13. Juli 1962, wo diese Frage bejaht worden ist, zu fügen habe. Streitig war vor dem Regierungsrat und ist nun vor Bundesgericht einzig die Linienführung der Express-Strasse zwischen dem Nordportal des Milchbucktunnels und der Limmat. Dass das genehmigte generelle Projekt und das Ausführungsprojekt den in
Art. 5 Abs. 1 NSG
vorgeschriebenen hohen verkehrstechnischen Anforderungen genüge, wird in der Beschwerde, offenbar zu recht, nicht bestritten. Von den nach
Art. 5 Abs. 2 NSG
gegenüber dem Interesse an der Nationalstrasse abzuwägenden andern schutzwürdigen Interessen werden in der Beschwerde nur die wirtschaftliche Nutzung des Grundeigentums und die Belange des Heimatschutzes namhaft gemacht; ferner ist darin von den Kosten die Rede.
aa) Den Materialien zum NSG ist nicht zu entnehmen, was unter "wirtschaftlicher Nutzung des Grundeigentums" im Gegensatz zu den ebenfalls erwähnten "Anliegen der Landesplanung" zu verstehen ist. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnet man als wirtschaftlich ein vorteilhaftes Verhältnis
BGE 97 I 573 S. 587
zwischen Aufwand und Ertrag. Das Erfordernis der wirtschaftlichen Nutzung des Grundeigentums darf daher dahin verstanden werden, dass Boden, der durch seine Beschaffenheit oder die Art seiner Nutzung einen besonders hohen Ertrag abwirft, so wenig als möglich in Anspruch genommen wird. Dass die vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Varianten der Linienführung sich in dieser Beziehung vom offiziellen Projekt wesentlich unterscheiden, wird jedoch in der Beschwerde nicht darzutun versucht, noch bestehen Anhaltspunkte dafür.
bb) Gesichtspunkte des Natur- und Heimatschutzes fallen in zweifacher Hinsicht in Betracht.
Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid angedeutet und in der Beschwerdeantwort näher ausgeführt, dass das offizielle Projekt den verschiedenen Varianten des Beschwerdeführers deshalb vorzuziehen sei, weil die Brücken über die Limmat nach allen Varianten höher und länger als nach dem offiziellen Projekt wären und dadurch das Stadt- und Flussbild stärker beeinträchtigt würde. Diese Ausführungen leuchten ein und werden durch die Beschwerde nicht hinreichend widerlegt. Zudem handelt es sich, wie die Beschwerde selber bemerkt, um eine Ermessensfrage. Der Entscheid über eine solche ist aber der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Regierungsrat bei der Interessenabwägung annahm, vom städtebaulichen Standpunkt aus sei das offizielle Projekt den Varianten des Beschwerdeführers vorzuziehen.
Als weiteren Gesichtspunkt des Natur- und Heimatschutzes erwähnt der Beschwerdeführer, seinem mehr als 100 Jahre alten Familiensitz "Zum engen Weg" komme "auch kulturhistorische Bedeutung" zu. In der Tat ist seine Liegenschaft im Sammelwerk "Die Kunstdenkmäler der Schweiz" (Kanton Zürich, Band V/2 S. 484/5) beschrieben. Danach handelt es sich zweifellos um eine beachtliche Anlage, jedoch weder um ein historisches noch sonst um ein Bauwerk ersten Ranges, da es sonst abgebildet worden wäre. Das Gebäude erhielt seine heutige Gestalt im wesentlichen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ist offenbar nicht das einzige seinesgleichen. Sofern die Annahme des Regierungsrates, dass das offizielle Projekt verkehrstechnisch und auch sonst die beste Lösung bilde, sich als zutreffend erweist, so erscheint es richtig, ihm bei der Interessenabwägung auch dann den Vorzug zu geben, wenn
BGE 97 I 573 S. 588
seine Ausführung die Beseitigung des Gebäudes des Beschwerdeführers anstatt anderer, kunsthistorisch bedeutungsloser Wohnhäuser bedingt.
cc) Was schliesslich den Aufwand betrifft, so spricht der Beschwerdeführer zwar wiederholt von den Kosten. Die Beschwerde enthält jedoch keine Zahlenangaben oder Schätzungen und behauptet nicht, dass die Varianten des Beschwerdeführers oder doch einzelne von ihnen im Ganzen weniger finanziellen Aufwand erforderten als das offizielle Projekt. Im Gegenteil schliesst der vom Beschwerdeführer beigezogene Ingenieur seinen Bericht mit dem Satz: "Kostenmässig bewegen sich alle Varianten ungefähr im gleichen Rahmen wie das Auflageprojekt". Den Kosten kommt somit bei der Interessenabwägung nach
Art. 5 Abs. 2 NSG
selbst dann keine entscheidende Bedeutung zu, wenn die Annahme des Regierungsrates, dass die Ausführung einzelner Varianten des Beschwerdeführers erhebliche Mehrkosten zur Folge hätte, nicht zutreffen sollte.
5.
Der Beschwerdeführer hat, wohl in der Erkenntnis, dass die Rüge der Verletzung des
Art. 5 NSG
angesichts der tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheids kaum durchdringen werde, das Schwergewicht auf die Kritik dieser Feststellungen gelegt. Er wirft dem Regierungsrat unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verbindung mit Ermessensüberschreitung, Ermessensmissbrauch und Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
Die Bestimmung der Linienführung der Express-Strasse durch die Stadt Zürich ist ein Problem, für das es seiner Natur nach verschiedene Lösungen gibt, von denen jede neben besonderen Vorzügen gewisse Nachteile aufweist. Angesichts der bei ihrer Beurteilung zu berücksichtigenden verschiedenartigen, namentlich auch technischen Gesichtspunkte muss den für die Projektierung verantwortlichen Behörden ein Ermessen eingeräumt werden, das der Überprüfung durch das Bundesgericht als Verwaltungsgericht entzogen ist. Das gilt insbesondere für das sogenannte technische Ermessen.
Im vorliegenden Falle haben die fachkundigen Instanzen des Kantons Zürich und des Bundes in jahrelanger Zusammenarbeit eine grosse Zahl von Varianten eingehend auf ihre Eignung geprüft. Sie sind dabei, wie das Eidgenössische Departement des Innern in der Beschwerdeantwort zusammenfassend erklärt, zum Ergebnis gelangt, das vom Regierungsrat dem
BGE 97 I 573 S. 589
Bundesrat unterbreitete und von diesem am 13. Juli 1962 in seinen Grundzügen und dann am 19. November 1969 definitiv genehmigte generelle Projekt stelle vom verkehrstechnischen, bautechnischen, wirtschaftlichen, städtebaulichen und kostenmässigen Standpunkt aus betrachtet die beste Lösung dar.
Der Beschwerdeführer hat dies in seiner Einsprache bestritten und fünf von einem Ingenieur skizzierte Varianten vorgelegt, nach denen seine Liegenschaft nicht beansprucht würde und von denen er behauptete, sie wiesen mindestens ebenso gute Verkehrslösungen auf wie das offizielle Projekt, teilweise sogar bessere. Der Regierungsrat hat diese Varianten durch die Organe seiner Baudirektion überprüfen lassen und sich im angefochtenen Entscheid mit ihnen auseinandergesetzt und dargelegt, dass und weshalb allen Varianten Nachteile anhaften, im Hinblick auf welche das offizielle Projekt den Vorzug verdiene.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird demgegenüber geltend gemacht, der Regierungsrat habe zahlreiche Sachverhalte unrichtig dargestellt oder ungenügend abgeklärt und habe es insbesondere unterlassen, die Gegenvorschläge des Beschwerdeführers bis in die Einzelheiten zu prüfen. Der Beschwerdeführer geht dabei, ohne es auszusprechen, von der Annahme aus, der Regierungsrat hätte prüfen sollen, ob sich nicht aufgrund der vorgelegten Varianten eine gleichwertige oder gar bessere Alternative zum aufgelegten Projekt finden lasse. Das war jedoch nicht die Aufgabe des Regierungsrates.
Im Gegensatz zu den meisten andern Einsprachen richtete sich diejenige des Beschwerdeführers nicht gegen Einzelheiten des Ausführungsprojekts, sondern gegen die im generellen Projekt festgelegte Linienführung der Express-Strasse vom Nordportal des Milchbucktunnels bis zur Limmat. Um diese Linienführung in jeder Hinsicht (wie z.B. inbezug auf die geologischen Verhältnisse im Tunnelgebiet) mit den fünf Varianten des Beschwerdeführers vergleichen zu können, hätte es langwieriger und kostspieliger Untersuchungen bedurft. Zu diesem Aufwand an Zeit und Geld hätte nur Anlass bestanden, wenn es aufgrund der Vorbringen des Beschwerdeführers offenkundig gewesen wäre, dass das offizielle Projekt an einem erheblichen Mangel leide oder dass eine der Varianten des Beschwerdeführers bedeutende, mit keinen Nachteilen verbundene Vorteile aufweise und deshalb bei der Interessenabwägung
BGE 97 I 573 S. 590
gemäss
Art. 5 NSG
den Vorzug vor dem offiziellen Projekt verdiene. Das eine wie das andere konnte der Regierungsrat gestützt auf die tatsächlichen Erhebungen, die für die Bearbeitung des offiziellen Projekts gemacht worden waren, mit Grund verneinen.
Dagegen vermag auch die in der Beschwerde vorgebrachte Kritik am angefochtenen Entscheid nicht aufzukommen. Der Regierungsrat hat in der Beschwerdeantwort seine früheren Ausführungen in Einzelheiten berichtigt und präzisiert, im Ganzen aber bestätigt und durch weitere Argumente ergänzt. Dass er nach wie vor die im offiziellen Projekt festgelegte Linienführung des Milchbucktunnels und des südlich anschliessenden Strassenstücks als die beste Lösung betrachtet, erscheint als das Ergebnis einer sorgfältigen Würdigung aller in Betracht fallenden Verhältnisse (geologischer Zustand des Untergrundes, Vor- und Nachteile des Tunnelbaus über Tag und unter Tag, Abbruch von Wohnhäusern und andern Gebäuden, möglichst ausgeglichenes Längenprofil der Strasse, Höhe und Länge der Brücken, Böschungen und Stützmauern, Gestaltung der Anschlüsse an das städtische Strassennetz, Ästhetik usw.). Für das Bundesgericht besteht kein Anlass, sich mit diesen Verhältnissen im einzelnen zu befassen, zumal da es sich dabei in der Hauptsache um technische Fragen handelt, in bezug auf deren Überprüfung Zurückhaltung geboten ist gegenüber dem Befund der fachkundigen Instanzen des Kantons und des Bundes, auf den sich der angefochtene Entscheid stützt und auch stützen durfte. Davon, dass das offizielle Projekt an einem offensichtlichen Mangel leide, der eine weitere, eingehendere Abklärung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Varianten als notwendig erscheinen liesse, kann nicht die Rede sein. Selbst wenn, was wenig wahrscheinlich ist und dahingestellt bleiben mag, eine der vom Beschwerdeführer skizzierten Varianten nach gründlicher Überarbeitung zu einer dem offiziellen Projekt annähernd gleichwertigen Lösung führen sollte, so hätte der Regierungsrat dadurch, dass er dem offiziellen Projekt den Vorzug gab, lediglich von dem ihm zustehenden Ermessen Gebrauch gemacht und dieses nicht überschritten. Vollends fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass er sein Ermessen missbraucht hätte, d.h. sich von unsachlichen Überlegungen hätte leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt hätte.
BGE 97 I 573 S. 591
Unter diesen Umständen erübrigt sich auch ein weiterer Schriftenwechsel und ein Augenschein. Neue Gesichtspunkte könnte der Beschwerdeführer nach Ablauf der Beschwerdefrist nicht mehr vorbringen, und eine weitere Begründung der in der Beschwerdeschrift enthaltenen Rügen würde ihm nichts nützen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f129e909-4f6c-4b51-8632-fb6c16d1ae42 | Urteilskopf
96 IV 35
8. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 2 février 1970 dans la cause Toledo contre Ministère public du canton de Genève. | Regeste
Art. 36 Abs. 2 Satz 1 SVG
; Art. 1 Abs. 8 und 15 Abs. 3 Satz 1 VRV.
1. Begriff der Strassenverzweigung (Erw. 1).
2. Die Fahrzeuge, die auf grossen Durchgangsstrassen verkehren, naben den Vortritt vor denjenigen, die aus Seitenstrassen und -wegen einmünden, die offenkundig ohne praktische Verkehrsbedeutung sind (Erw. 2).
3. Der vortrittsberechtigte Fahrer darf sich darauf verlassen, dass sein Recht respektiert werde, ausser wenn konkrete Anzeichen für dessen Verletzung bestehen; um sich der Situation zu vergewissern, genügt es, dass er einen kurzen Blick nach links wirft, sobald für ihn die Sicht nach dieser Seite frei wird (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 96 IV 35 S. 36
A.-
L'avenue Louis-Aubert et l'avenue de Miremont, à Genève, forment une croisée. Un des tronçons de la première, long de 100 à 150 m, large de 4 m 90, dessert une dizaine de villas; goudronné, il n'est plus ensuite qu'un chemin de terre battue. Le signal no 315 (impasse) est placé à l'entrée de ce tronçon. Là, celui-ci forme un assez vaste arrondi concave, qui améliore la visibilité à droite et à gauche sur l'avenue de Miremont, laquelle relie le plateau de Champel à la cité universitaire.
Le 12 février 1969, à 11 h. 30, la Citroën de Toledo, qui débouchait du tronçon nord-est de l'avenue Louis-Aubert et s'apprêtait à tourner à droite dans l'avenue de Miremont, a été tamponnée sur le flanc gauche par la Jaguar que pilotait Christine Mayor et qui, venant de gauche, descendait l'avenue de Miremont en direction de la ville.
B.-
La Cour de justice du canton de Genève a confirmé, le 8 décembre 1969, un jugement du Tribunal de police, qui avait infligé une amende de 75 francs à Toledo. Elle estime que, débouchant d'une impasse peu fréquentée sur une route à grand trafic, le prévenu devait céder le passage à la voiture circulant dans l'avenue de Miremont.
C.-
Contre cet arrêt, le condamné se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à libération.
D.-
Le Procureur général propose de rejeter le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux intersections, le véhicule qui vient de droite a la priorité (art. 36 al. 2, 1re phrase, LCR). Les intersections sont
BGE 96 IV 35 S. 37
des croisées, des bifurcations ou des débouchés de routes. Ne sont pas des intersections, les endroits où débouchent sur la chaussée notamment des chemins de campagne ou des sorties de garages, de places de stationnement, de cours etc. (art. 1er al. 8 OCR). Il en résulte que le conducteur qui débouche sur une route en sortant d'un chemin de campagne, d'un garage, d'une cour etc. ne bénéficie d'aucune priorité. Cette conséquence logique a été consacrée par une disposition expresse, l'art. 15 al. 3, 1re phrase, OCR.
Selon la jurisprudence, le débouché sur une route de grand transit d'une rue latérale sans importance pratique pour la circulation ne constitue pas une intersection (RO 84 IV 34 consid. 2, 92 IV 27), à condition toutefois, précise avec raison l'arrêt Allegranza du 11 juillet 1969, p. 7 (non publié), que ce caractère de la rue latérale soit apparent (p.ex. étroitesse, absence de revêtement). L'automobiliste qui, sortant d'une telle rue, s'engage sur une artère de grand transit doit donc céder le passage aux véhicules roulant sur celle-ci.
Quant au rapport de deux routes secondaires entre elles, la situation est différente: la priorité appartient au conducteur venant de droite, tant qu'elle n'a pas été supprimée par le signal 116 ou 217; que l'une des deux routes soit plus animée que l'autre ne joue aucun rôle (RO 92 IV 28 s.).
2.
Suivant l'arrêt attaqué, l'avenue de Miremont est une route à grand trafic. Cette constatation souveraine manque de pertinence. Il y a dans les villes de nombreuses rues avec une circulation intense, qui ne sont pas des routes de grand transit au sens des arrêts précités. Or seules ces dernières donnent la priorité à l'égard des rues et chemins latéraux manifestement dépourvus d'intérêt pratique pour la circulation. Il ressort clairement du plan de Genève que l'avenue de Miremont, en dépit de son importance, n'est pas une route de grand transit: elle aboutit en effet à la rue Edouard-Tavan, dont l'autre extrémité forme le point de départ du chemin des Crêts-de-Champel, lequel, presque parallèle à l'avenue de Miremont, conduit aussi au plateau de Champel.
D'autre part, le tronçon nord-est de la rue Louis-Aubert n'est pas assimilable à un chemin de campagne ou à une sortie de cour. Sans doute est-il sans issue. Mais cette circonstance n'est pas décisive. Dans la cause Allegranza (arrêt précité), la cour de céans a admis qu'une impasse longue de 54 m, large de 5 m 10
BGE 96 IV 35 S. 38
et menant uniquement à un collège et à une maison familiale formait une intersection à l'endroit où elle débouche sur la chaussée. Ici on est en présence d'un tronçon sensiblement plus long (100 à 150 m), un peu plus étroit (4 m 90) et desservant une dizaine de villas. Son étroitesse relative est d'autant moins déterminante que le tronçon nord-est (direction Champel) de l'avenue de Miremont n'est pas large non plus (5 m 30).
Il s'ensuit que les avenues de Miremont et Louis-Aubert sont toutes deux des routes secondaires et que, partant, c'est Christine Mayor qui devait céder le passage à Toledo.
La conclusion ne serait d'ailleurs pas différente si l'on tenait l'avenue de Miremont pour une artère de grand transit. Rien dans l'aspect de l'avenue Louis-Aubert ne révèle au conducteur ne connaissant pas les lieux que son tronçon nord-est n'aurait pas d'importance pratique pour la circulation. Outre que, à cet égard, il n'est pas concluant, le signal 315 est placé de façon à être vu des conducteurs qui s'engagent sur ce tronçon, non de ceux qui longent l'avenue de Miremont.
3.
Les premiers juges ayant condamné Toledo parce qu'ils ont admis à tort que la priorité appartenait à Christine Mayor, l'arrêt attaqué doit être annulé. Cela ne signifie pas que le recourant doive nécessairement être libéré. Le conducteur prioritaire peut compter que son droit sera respecté, à moins que des indices concrets n'en fassent prévoir la violation. C'est pourquoi, abordant une intersection, il doit jeter un bref coup d'oeil à gauche pour constater si, de ce côté, un véhicule approche, dont le conducteur, par son comportement, fait prévoir une violation de la priorité. Dans ce cas, le conducteur prioritaire doit faire son possible pour éviter un accident. Mais il n'est tenu de regarder à gauche qu'au moment où, pour lui, la vue s'ouvre de ce côté; il lui suffit de jeter un bref coup d'oeil, car son attention doit principalement se porter vers la droite, afin de céder le passage aux véhicules qui surviennent de ce côté, même s'ils ne tiennent pas leur droite (RO 93 IV 33).
L'arrêt attaqué n'aborde pas ces questions ...
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à la juridiction cantonale pour nouvelle décision. | null | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f12a5f5c-e4c6-4904-8740-492c339acdbd | Urteilskopf
110 Ib 201
34. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. September 1984 i.S. Salaheddine und Monika Reneja-Dittli gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers im Verhältnis zum Recht auf Schutz des Familienlebens gemäss
Art. 8 EMRK
(SR 0.101).
1. Verweis auf den in dieser Sache ergangenen prozessleitenden Beschluss, der die verfahrensrechtlichen Grundsätze bei der Anwendung von
Art. 8 EMRK
im Fremdenpolizeirecht darlegt (E. 1; vgl.
BGE 109 Ib 183
ff.).
2. Die Berufung auf
Art. 8 EMRK
bei Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers setzt voraus, dass eine intensiv gelebte Beziehung dieses Ausländers zu einem über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügenden Familienglied (Ehegatte oder minderjähriges Kind) besteht (E. 2a/b) und dem anwesenheitsberechtigten Familienglied die Ausreise in den in Frage kommenden ausländischen Staat nicht zugemutet werden kann (E. 2a/c).
3. Sofern die massgebliche Familienbeziehung besteht und dem anwesenheitsberechtigten Ehegatten die Ausreise nicht zuzumuten ist, erfolgt eine Rechtsgüterabwägung gemäss
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
; nur wenn auch hier das private Interesse der Beschwerdeführer an der Anwesenheit in der Schweiz gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Ausländers überwiegt, ist die Beschwerde gutzuheissen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 202
BGE 110 Ib 201 S. 202
Salaheddine Reneja, marokkanischer Staatsangehöriger, erhielt am 28. März 1980 von der Fremdenpolizei des Kantons Zürich eine Aufenthaltsbewilligung. Reneja ist mit einer Schweizerin verheiratet. Mit Urteil vom 11. Mai 1982 sprach ihn das Bezirksgericht Zürich verschiedener Zuwiderhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 (SR 812.121) schuldig und bestrafte ihn mit 24 Monaten Zuchthaus. Gestützt auf diese Verurteilung wies die Polizeidirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 23. November 1982 das Gesuch des Rekurrenten vom 27. September 1982 um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab; die Verfügung bestimmte ferner, dass S. Reneja das zürcherische Kantonsgebiet unmittelbar nach der Entlassung aus der Strafanstalt zu verlassen habe. Ein hiegegen gerichteter Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich blieb erfolglos.
Salaheddine und Monika Reneja-Dittli erheben sowohl eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde als auch eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die ergangenen fremdenpolizeirechtlichen Entscheide. Sie beantragen namentlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheide und die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Das Bundesgericht hat die beiden Beschwerdeverfahren vereinigt.
In ihren Vernehmlassungen vom 25. und 29. August 1983 beantragt die Finanzdirektion des Kantons Zürich den Beschwerden
BGE 110 Ib 201 S. 203
keine aufschiebende Wirkung zu erteilen und auf die Sache selbst nicht einzutreten. Mit Verfügung vom 15. Juni 1983 hat das Bundesamt für Ausländerfragen die Wegweisung von S. Reneja auf das ganze Gebiet der Schweiz ausgedehnt und gleichzeitig eine fünfjährige Einreisesperre über ihn verhängt.
Am 9. Dezember 1983 beschloss das Bundesgericht auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten, nicht indes auf die staatsrechtliche Beschwerde (
BGE 109 Ib 183
ff.). Gleichzeitig überwies es die Akten an das Bundesamt für Ausländerfragen zur Vernehmlassung lassen.
Dem Bundesamt für Ausländerfragen wurde aufgetragen, sich namentlich über folgende Fragen tatsächlicher Natur vernehmen zu lassen:
"- Sind die behaupteten familiären Beziehungen zu dem über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügenden Ehegatten oder minderjährigen Kind intakt und werden sie auch tatsächlich intensiv gelebt?
- Bestehen besondere Gründe, die den Weggang der Familienangehörigen ins Ausland als völlig unzumutbar erscheinen lassen?
- Soweit die Vorwürfe an den Familienangehörigen, dessen Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert werden soll, nicht bereits rechtsgenügend festgehalten sind, Ausführungen zu diesen unter Gewährung des rechtlichen Gehörs."
In der innert verlängerter Frist eingereichten Vernehmlassung des Bundesamtes für Ausländerfragen vom 24. Februar 1984, die den Akzent mehr auf die dem Bundesgericht zukommende Beantwortung von Rechtsfragen als auf die verlangte weitere Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse legt, kommt das Amt zum Schluss, dass die angefochtene Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung von Salaheddine Reneja zu bestätigen und die Beschwerden abzuweisen seien. Aufgrund einer Verfügung des Instruktionsrichters vom 21. März 1984 liessen sich die Beschwerdeführer am 10. April 1984 zum durchgeführten Verfahren vernehmen: Sie halten an ihren ursprünglich gestellten Anträgen fest. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen. Am 16. Juli 1984 hat eine Delegation des Bundesgerichts eine Instruktionsverhandlung mit den Eheleuten Reneja, der Sozialarbeiterin Frau Riemensberger sowie einem Vertreter des Zürcher Regierungsrates und einem solchen des Bundesamtes für Ausländerfragen durchgeführt. Auf ein Schreiben des Bundesgerichts vom 3. August 1984 erklärte sich der Urner Regierungsrat am 14. August 1984 bereit, Salaheddine Reneja "auf Zusehen hin" und unter Vorbehalt eines ordentlichen fremdenpolizeilichen
BGE 110 Ib 201 S. 204
Verfahrens eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Die Chance, für Reneja im Kanton Uri einen Arbeitsplatz zu finden, beurteilte der Regierungsrat positiv. "Aufgrund dieser neuen Sachlage und der anlässlich der Instruktionsverhandlung gewonnenen Erkenntnisse" hob das Bundesamt für Ausländerfragen am 29. August 1984 "im Verfahren nach
Art. 58 VwVG
" seine Ausdehnungsverfügung samt Einreisesperre gegen S. Reneja auf. Die Beschwerdeführer ihrerseits würden lieber eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton St. Gallen erhalten, wobei sie davon ausgehen, dass St. Gallen zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bereit sein würde, weil sie "mit dem st. gallischen Justiz- und Polizeidepartement bei menschlichen Fragen immer wieder positive Erfahrungen" gemacht hätten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Es wäre dem Bundesgericht zwar verfahrensrechtlich möglich, auf den prozessleitenden Entscheid vom 9. Dezember 1983 (
BGE 109 Ib 183
ff.) zurückzukommen, soweit das Eintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerden der Eheleute Reneja beschlossen wurde; es besteht hiezu aber kein Anlass.
b) Im vorliegenden Beschwerdeverfahren stellt sich die Frage, ob sich die Eheleute Reneja im Zusammenhang mit der Nichterneuerung der Zürcher Aufenthaltsbewilligung von Salaheddine Reneja auf den im
Art. 8 EMRK
(SR 0.101) gewährleisteten Schutz des Familienlebens berufen können. Sofern dies zutrifft, ist zu prüfen, ob bei der in
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
vorgesehenen Rechtsgüterabwägung das private Interesse der Beschwerdeführer an einer Aufenthaltsbewilligung für S. Reneja oder das öffentliche Interesse an seiner Entfernung aus dem Kanton Zürich überwiegt.
c) Zwar ist im vorliegenden Verfahren nur zu entscheiden, ob die Nichterneuerung der Zürcher Aufenthaltsbewilligung von S. Reneja bundesrechtskonform ist und ob er demzufolge aus dem Gebiet des Kantons Zürich weggewiesen werden kann. Hinsichtlich der vom Bundesamt für Ausländerfragen gestützt auf
Art. 12 Abs. 3 ANAG
(SR 142.20) zu prüfenden Frage der Ausdehnung der Wegweisung auf das ganze Gebiet der Schweiz besteht aber in der Praxis insofern ein gewisser Automatismus, als bei Nichterneuerung einer kantonalen Aufenthaltsbewilligung der Erlass der Ausdehnungsverfügung die normale Folge ist. Das Bundesamt für Ausländerfragen hat denn auch schon am 15. Juni 1983 die
BGE 110 Ib 201 S. 205
Ausdehnungsverfügung erlassen. Da die von den Bundesbehörden zu erlassende Ausdehnungsverfügung nicht beim Bundesgericht angefochten werden kann (Bundesgerichtsurteil vom 24. Mai 1984 i.S. Parsons c. EJPD), hat die Prüfung der kantonalen Wegweisungsverfügung jeweils unter der Annahme zu geschehen, dass eine Ausdehnung auf die ganze Schweiz erfolgt.
2.
a) Gemäss
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Familienlebens. Gemäss Ziff. 2 sind Eingriffe in dieses Grundrecht nur statthaft, "insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral sowie der Rechte und Freiheit anderer notwendig ist".
Nach der bundesgerichtlichen Praxis kann sich die schweizerische Ehefrau eines Ausländers nur dann auf
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
berufen, wenn die Beziehung zu ihrem Mann tatsächlich gelebt wird und es ihr nicht zuzumuten ist, ihrem Ehemann ins Ausland zu folgen (
BGE 109 Ib 189
; Bundesgerichtsurteil vom 3. August 1984 i.S. Halimi c. ZH). Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EuGRZ 1983 S. 423 Ziff. 54 und S. 511 N 75); die Kommission hat in zahlreichen Fällen die Zumutbarkeit der Ausreise bejaht. Dabei beurteilt sich die Frage der Zumutbarkeit der Ausreise nicht nach den persönlichen Wünschen der Betroffenen, sondern ist unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse und aller Umstände objektiv zu beurteilen.
b) Die ehelichen Beziehungen von Monika und Salaheddine Reneja scheinen trotz der durch den Zuchthausaufenthalt von S. Reneja verursachten Trennung der Ehegatten intakt zu sein: Beide Ehegatten erklären, sich innig zu lieben und es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eheliche Schwierigkeiten bestehen würden.
c) Die weitere Frage, ob es Monika Reneja objektiv zuzumuten ist, ihrem Ehemann ins Ausland, aller Voraussicht nach in die marokkanische Heimat ihres Ehemannes, nachzufolgen, ist nicht einfach zu beantworten. Durch das Instruktionsverfahren hat das Bundesgericht einen unmittelbaren Eindruck von der Persönlichkeit von Monika Reneja erhalten: Sie ist wenig gebildet und scheint auch wenig bildungsfähig zu sein. Sie spricht keinerlei
BGE 110 Ib 201 S. 206
Fremdsprachen; es darf wohl ausgeschlossen werden, dass sie sich mit ihren marokkanischen Schwiegereltern, die ihrerseits lediglich einen marokkanischen Dialekt sprechen und nach Angabe von S. Reneja weder schreiben noch lesen können, jemals würde verständigen können. Als gläubige Katholikin wäre sie sodann auch religiös in einem moslemischen Umfeld isoliert. Ausserdem stammt Monika Reneja aus dem kleinen Gebirgsdorf Gurtnellen. Sie betont denn auch selbst, aus den Bergen zu stammen und nur in der (Deutsch-)Schweiz leben zu können. Unter diesen Umständen darf man der jungen Frau nicht zumuten, mit ihrem Mann nach Marokko ziehen zu müssen.
3.
a) Aus dem Umstand, dass Monika Reneja die Ausreise nach Marokko nicht zuzumuten ist, können die Eheleute Reneja aber noch keinen Anspruch auf Gewährung einer Aufenthaltsbewilligung für S. Reneja ableiten. Eine solche Unzumutbarkeit bedeutet lediglich, dass die Sache nunmehr unter dem Gesichtswinkel von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
geprüft wird. Eine Aufenthaltsbewilligung ist erst zu gewähren, wenn die in
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
vorgesehene Rechtsgüterabwägung zugunsten des privaten Interesses der Beschwerdeführer am Aufenthalt in der Schweiz ausschlägt. Eine Wegweisung des ausländischen Ehemannes kann somit unter dem Gesichtswinkel von
Art. 8 EMRK
auch dann in Frage kommen, wenn der schweizerischen Ehefrau die Ausreise nicht zuzumuten ist; die Unzumutbarkeit der Ausreise für das anwesenheitsberechtigte Familienmitglied ist eine Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine Rechtsgüterabwägung nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
erfolgt.
b) Dass der Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers gesetzlich vorgesehen ist, wird zu Recht nicht bestritten (
Art. 4 ANAG
). Im übrigen ist das private Interesse des Beschwerdeführers auf Anwesenheit in der Schweiz gegen die in
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
genannten öffentlichen Interessen abzuwägen. Bei der hier vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung ist das Bundesgericht nicht frei: Zu prüfen ist lediglich, ob die Vorinstanz ihr Ermessen bei der Annahme eines überwiegenden Interesses an der Entfernung des Beschwerdeführers überschritten oder missbraucht hat (
Art. 104 lit. a OG
).
Die Verstösse des S. Reneja gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung sind zwar keinesfalls als leicht, jedoch auch nicht als ganz besonders schwer einzustufen. Hiezu kommt, dass S. Reneja nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug vom 14. Mai bis zum
BGE 110 Ib 201 S. 207
15. Juni 1984 als Chauffeur für ein Architekturbüro gearbeitet hat, wobei sein Arbeitgeber im Arbeitszeugnis vom 20. Juni 1984 festhielt: "Seine aufrichtige und zuverlässige Art haben wir sehr zu schätzen gelernt." Auch hat S. Reneja vor der bundesgerichtlichen Instruktionskommission versichert, von seiner ehemals deliktischen Tätigkeit endgültig Abstand genommen zu haben. Schliesslich stellt ihm auch seine Betreuerin, Frau Riemensberger, ein gutes Zeugnis aus. Die von S. Reneja begangenen Straftaten begründeten wohl ein gewisses öffentliches Interesse an dessen Wegweisung aus der Schweiz, doch darf dieses Interesse angesichts der besonderen Umstände des Falles als nicht allzu gewichtig angesehen werden.
Auf der anderen Seite kann Monika Reneja, der es nicht zuzumuten ist, ihrem Ehemann nach Marokko nachzufolgen (E. 2), ein sehr gewichtiges privates Interesse an einer Aufenthaltsbewilligung für S. Reneja geltend machen. Gesamthaft wiegt dieses private Interesse an einer Aufenthaltsbewilligung für S. Reneja schwerer als das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung, weshalb die Beschwerden gutzuheissen sind.
c) Der vorliegende Fall liegt, dies muss betont werden, verglichen mit zahlreichen andern Fällen, aussergewöhnlich. In den meisten Fällen kann einer Ehefrau, deren Ehemann straffällig geworden ist, zugemutet werden, ihm ins Ausland zu folgen. Dabei muss insbesondere gelten, dass bei sehr schweren Verfehlungen oder gar bei Rückfälligkeit des Ehemanns das öffentliche Interesse an der Wegweisung auch dann überwiegt, wenn damit gerechnet werden muss, dass eine Ehefrau nur mit sehr erheblichen Schwierigkeiten im Heimatland des Weggewiesenen wird leben können (Urteil vom 7. September 1984 i.S. Oezaltay).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Eheleute Reneja wird gutgeheissen, und die Verfügung der Fremdenpolizei des Kantons Zürich vom 23. November 1982 sowie der Rekursentscheid des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 18. Mai 1983 werden aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f12bd8d8-2e4a-4761-8d61-ec8affca2079 | Urteilskopf
104 Ia 473
70. Extrait de l'arrêt du 26 avril 1978 dans la cause Guyot contre Conseil d'Etat du canton de Vaud | Regeste
Handels- und Gewerbefreiheit, Recht auf Reklame; freie Berufe, Architekten,
Art. 31 BV
.
1. Das Recht Reklame zu machen ist durch
Art. 31 BV
gewährleistet; die Kantone können es im öffentlichen Interesse beschränken; diese Beschränkungen können bei freien Berufen noch verschärft werden (E. 2).
2. Werbung durch einen Architekten, die im Verhältnis zu sonst berufsüblichen Massstäben als unzulässig erscheint. Die SIA-Norm 154 über die Reklame kann als Ausdruck der geltenden Gepflogenheiten im Architektenstand betrachtet werden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 473
BGE 104 Ia 473 S. 473
Architecte inscrit sur la liste des architectes reconnus par l'Etat de Vaud (art. 3 de la loi cantonale sur la profession d'architecte; en abrégé: LPA) Guyot a fait imprimer un
BGE 104 Ia 473 S. 474
dépliant qui a été inséré dans le "Bulletin immobilier", organe de la Fédération romande immobilière. Ce dépliant comprend la reproduction de plusieurs photographies de constructions ("quelques exemples de nos nombreuses réalisations") ainsi que le signe distinctif de Guyot, et ses nom et prénom suivis des indications suivantes: urbanisme, architecture, génie civil, entreprise générale, société de promotion et recherche de financement, régie immobilière.
Sous la rubrique "Libérez-vous de vos soucis immobiliers", le dépliant contient notamment les textes suivants:
"Notre entreprise est la seule à regrouper sous le même toit une agence d'urbanisme, un atelier d'architecture, un bureau d'études en génie civil, une société d'entreprise générale, une société de promotion et de recherche de financement et une société de régie immobilière...
La diversité de nos services, notre expérience dans tous les domaines touchant à l'immobilier, nous permettent d'intervenir pour vous efficacement à l'échelon de l'étude de projets, de la réalisation de tout ou partie de leur exécution puis de la saine gestion de l'ouvrage achevé."
"Consultez-nous sans engagement. Retournez simplement la carte ci-dessous. Quel que soit votre problème, nous pouvons vous aider à le résoudre à des conditions plus avantageuses et plus rapides que si vous deviez recourir séparément à plusieurs services spécialisés."
Plus loin figure, en lettres grasses, la mention: "consultez-nous!" suivie d'un coupon-réponse à l'adresse de Guyot, invitant à prendre contact avec lui.
Considérant que le dépliant inséré dans le "Bulletin immobilier" constituait "une publicité prohibée au sens des
art. 10 et 11 LPA
", la Chambre des architectes du canton de Vaud a condamné Guyot à une amende de 1000 fr. Saisi d'un recours de l'intéressé, le Conseil d'Etat du canton de Vaud l'a rejeté, à la suite de quoi Guyot a formé un recours de droit public auprès du Tribunal fédéral, soutenant notamment que l'
art. 10 LPA
viole l'
art. 31 Cst.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des motifs:
1.
L'art. 10 de la loi vaudoise du 13 décembre 1966 sur la profession d'architecte dispose que "l'architecte s'interdit toute publicité".
Le recourant prétend que cette disposition est incompatible avec l'
art. 31 Cst.
, mais il ne l'a pas attaquée, en tant que telle,
BGE 104 Ia 473 S. 475
dans le délai de trente jours dès sa promulgation, de sorte qu'il ne peut plus en demander l'annulation par le Tribunal fédéral. Il peut en revanche soulever encore le grief d'inconstitutionnalité contre une décision qui applique cette disposition à un cas d'espèce; mais alors le Tribunal fédéral n'a pas à rechercher si, examinée pour elle-même, ladite disposition est inconstitutionnelle, mais uniquement si, telle qu'elle a été interprétée en l'espèce et appliquée au cas du recourant, elle implique une violation de la Constitution; et s'il répond affirmativement à cette question, il ne peut annuler que la décision d'espèce.
Le Tribunal fédéral ne revoit l'interprétation de la législation cantonale que sous l'angle restreint de l'arbitraire (
ATF 95 I 426
consid. 4 et les arrêts cités), sauf s'il s'agit d'une atteinte particulièrement grave, ce qui n'est manifestement pas le cas en l'espèce; il examine en revanche librement si le droit cantonal, interprété de manière non arbitraire, est compatible avec l'
art. 31 Cst.
(
ATF 101 Ia 256
,
ATF 98 Ia 59
et les arrêts cités); tout au plus s'impose-t-il une certaine réserve, étant donné qu'il n'a pas à substituer sa propre appréciation à celle de l'autorité cantonale.
2.
L'architecte exerce une profession libérale et peut se prévaloir de la liberté du commerce et de l'industrie garantie par l'
art. 31 Cst.
(
ATF 93 I 519
consid. 4a,
ATF 86 I 326
consid. 2). De cette liberté constitutionnelle découle notamment le droit de faire de la réclame (
ATF 96 I 701
consid. 2,
ATF 87 I 264
et 453 et les arrêts cités). Ce droit est cependant limité par les prescriptions de police du commerce que les cantons peuvent édicter en vertu de l'
art. 31 al. 2 Cst.
Pour être conformes à la Constitution, ces prescriptions doivent reposer sur une base légale, se justifier par un intérêt public et ne pas aller au-delà de ce qui est nécessaire pour atteindre le but d'intérêt public visé par le législateur. Se justifient notamment par un intérêt public les mesures qui tendent à sauvegarder la tranquillité, la sécurité, la santé et la moralité publiques, de même que celles qui visent à prévenir les atteintes à la bonne foi en affaires par des procédés déloyaux et propres à tromper le public (
ATF 103 Ia 262
ATF 96 I 701
consid. 2 et les arrêts cités).
S'agissant de personnes qui exercent une profession libérale, les cantons peuvent, selon la jurisprudence, être plus restrictifs envers elles qu'à l'égard des commerçants et des industriels. Ces personnes sont tenues d'avoir une attitude digne et correcte
BGE 104 Ia 473 S. 476
dans leurs rapports avec leurs clients et le public en général. Elles ne doivent en particulier pas user de moyen de publicité de nature à jeter le discrédit sur leur profession. Il est dès lors loisible aux cantons de leur interdire une publicité qui mettrait l'accent sur le côté pécuniaire de leur activité, qui serait tapageuse, mercantile ou trompeuse (cf. AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, vol. II, p. 677 no 1898; MARTI, Die Wirtschaftsfreiheit der schweizerischen Bundesverfassung, p. 114 no 200 et p. 123 no 218). Pour délimiter ce qui est licite à cet égard de ce qui ne l'est pas, il faut se fonder sur les habitudes et les opinions généralement admises dans la profession et dans le canton. Une réclame dépassant ce qui est usuel n'est pas admissible (
ATF 87 I 265
consid. 2 et les arrêts cités). De telles restrictions sont destinées à protéger non seulement la dignité des professions libérales pour elle-même, mais encore les intérêts du public en général.
C'est spécialement à propos des avocats et des médecins que le Tribunal fédéral a développé les principes rappelés ci-dessus (
ATF 87 I 265
consid. 2 et les arrêts cités, pour les avocats; ZBl 1951, p. 73, et
ATF 54 I 96
s., pour les médecins; AUBERT, loc.cit.). On peut se demander si ces principes s'appliquent avec la même rigueur au cas des architectes, dont la profession, tout en étant considérée comme libérale, est étroitement liée à d'autres professions de caractère artisanal (voire industriel) et commercial, avec lesquelles les architectes sont parfois en concurrence. La question peut cependant rester ouverte, car, comme on l'a vu ci-dessus, la Cour de céans doit examiner non pas la constitutionnalité de l'
art. 10 LPA
en tant que tel, mais la façon dont les autorités vaudoises ont interprété et appliqué cette disposition au cas du recourant. Or ce dernier n'a pas été puni pour avoir simplement fait de la publicité, mais parce que la publicité qu'il a faite a été jugée excessive par rapport aux usages de la profession.
3.
La LPA ne définit pas quels sont les usages auxquels les architectes vaudois sont tenus en matière de réclame. Dans son Exposé des motifs accompagnant le projet de loi sur la profession d'architecte, du 24 septembre 1965 (projet dont l'art. 8 prévoyait déjà que "l'architecte s'interdit toute publicité"), le Conseil d'Etat du canton de Vaud déclarait à propos des art. 5 à 13 dudit projet:
BGE 104 Ia 473 S. 477
"Sans négliger le point de vue selon lequel les règles de l'éthique professionnelle sont délicates a définir et qu'il appartiendra à la Chambre des architectes de les préciser par sa jurisprudence, le Conseil d'Etat a cependant jugé nécessaire de fixer dans un chapitre intitulé "Droits et devoirs de l'architecte" les principes fondamentaux de l'exercice de la profession d'architecte. Il l'a fait en s'inspirant largement du "Code des droits et devoirs de l'architecte" promulgué en 1955 à La Haye par l'Union internationale des architectes." (Bulletin des séances du Grand Conseil du canton de Vaud, automne 1976, p. 553.)
Lors de la discussion du projet de loi au Grand Conseil, le rapporteur de la commission parlementaire exposa, à la séance du 6 décembre 1966 à propos de l'art. 8, devenu l'art. 10: "La commission n'a pas apporté de modifications à cet article. La question de la publicité est réglée par le code de l'UIA et les dispositions de la SIA", sur quoi cette disposition fut acceptée (cf. Bulletin des séances, automne 1976, p. 600).
Le règlement sur la publicité de la SIA (Société suisse des ingénieurs et des architectes; Norme 154, édition 1973) - qui remplace les "Directives concernant la publicité", du 20 août 1954, et a été établi en collaboration avec les délégués de l'Association suisse des ingénieurs-conseils, de l'Union de sociétés suisses d'ingénieurs-conseils et de l'intergroupe des associations d'architectes du canton de Genève - restreint les membres de la SIA dans leur liberté en matière de publicité. Il dispose à son art. 1.2 que la publicité "admissible" ne doit pas porter atteinte à la dignité professionnelle et au principe de la collégialité; elle ne doit pas être excessive ou faite en relation avec des produits de tiers. Aux termes de l'art. 2.1, "porte atteinte à la dignité professionnelle toute publicité qui peut causer un préjudice quelconque aux professions d'ingénieur et d'architecte ou contient des indications fallacieuses. La promesse d'avantages ou la garantie de rabais, de faveurs et autres doit être considérée comme une atteinte particulièrement grave à la dignité professionnelle." L'art. 2.3 précise: "Est excessive toute publicité tapageuse qui se manifeste par des superlatifs ou prend des formes exagérées..." Ces règles sont applicables également à "toutes les personnes physiques et morales inscrites à la liste SIA des bureaux d'études" (art. 1.3). Elles ont été approuvées notamment par la Fédération des architectes suisses, par la Fédération suisse des architectes indépendants, et par l'Association suisse des ingénieurs-conseils.
BGE 104 Ia 473 S. 478
Il est vrai que, s'il n'est pas membre de la SIA, un architecte n'est pas directement lié par la réglementation interne que s'est donnée cette organisation professionnelle de droit privé. Toutefois, le recourant a tort lorsqu'il allègue qu'"il est vain à cet égard de faire référence aux règles SIA qui constituent des éléments de déontologie non requis dans la législation vaudoise". En effet, les règles fixées dans le règlement sur la publicité de la SIA, approuvées par plusieurs associations professionnelles, peuvent être considérées comme l'expression des principes déontologiques que tout architecte ou ingénieur doit respecter en Suisse et singulièrement dans le canton de Vaud. La référence du Conseil d'Etat aux "Branchenbedingungen" traitées par SCHÖNENBERGER/JÄGGI (no 437 ad
art. 1er CO
, cf. p. 6 de l'arrêt attaqué) n'est sans doute pas pertinente, en ce sens qu'il ne s'agit pas ici de déterminer le contenu d'un contrat conclu par un architecte avec un tiers. Il n'en reste pas moins que la norme 154 de la SIA peut être tenue pour l'expression des usages de la profession, dont les autorités vaudoises peuvent s'inspirer pour délimiter ce qui est licite en matière de publicité de ce qui ne l'est pas. On peut rapprocher ces règles de celles que contiennent les Us et Coutumes des associations (privées) d'avocats, à propos desquelles le Tribunal fédéral a déclaré qu'elles explicitent dans le détail ce que la loi détermine de façon générale et qu'elles ont, en ce sens, une portée qui dépasse le cercle privé des membres de l'association et valent de façon générale pour l'activité des avocats dans le canton (
ATF 98 Ia 360
consid. 3a; cf. aussi
ATF 87 I 266
et RJB 1952 p. 447 s. et 1957 p. 488 s.).
4.
C'est ainsi avec raison que le Conseil d'Etat, à la suite de la Chambre des architectes, a interprété l'
art. 10 LPA
en s'inspirant des principes formulés dans le règlement sur la publicité de la SIA. Cette interprétation n'est à tout le moins pas arbitraire, en particulier dans la mesure où elle signifie que tout architecte autorisé à exercer sa profession dans le canton de Vaud est tenu de s'abstenir, dans sa publicité, de tout excès, et de tout ce qui pourrait porter atteinte à la dignité de la profession, notamment par la promesse d'avantages ou la garantie de rabais et autres faveurs.
Cette délimitation non arbitraire de la publicité admissible et de celle qui ne l'est pas est compatible avec la liberté du commerce et de l'industrie telle qu'elle découle de l'
art. 31 Cst.
pour
BGE 104 Ia 473 S. 479
l'architecte. La question de savoir si la restriction de la liberté de publicité fondée sur le principe de la collégialité (Norme SIA 154 art. 1.2 en relation avec l'art. 2.2) constitue un but de police couvert par l'intérêt public peut rester ouverte en l'espèce. En effet, dans la mesure où l'
art. 10 LPA
vise l'interdiction d'une publicité tapageuse et excessive, ou qui porte atteinte d'une autre manière à la dignité professionnelle, il tend à réaliser un but de police compatible avec l'
art. 31 Cst.
et le fait en respectant le principe de la proportionnalité. Si les architectes avaient toute liberté de faire une publicité qui ne respecte pas ces principes, il pourrait s'ensuivre une surenchère et des abus qui seraient préjudiciables non seulement à la dignité de la profession, mais surtout aux intérêts du public en général. Le législateur cantonal n'est donc pas sorti de son rôle en édictant des règles qui empêchent de tels abus, inadmissibles spécialement de la part de ceux qui entendent exercer une profession libérale à laquelle sont attachés des avantages non négligeables.
Le grief de violation de la liberté du commerce et de l'industrie doit ainsi être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f12ce806-1080-44bc-9c62-ead6ce58b063 | Urteilskopf
96 II 200
32. Arrêt de la IIe Cour civile du 9 octobre 1970 dans la cause Compagnie du chemin de fer électrique Aigle-Sépey-Diablerets. | Regeste
1. Das Bundesgericht weist ein gemäss
Art. 1185 Abs. 2 OR
bei ihm eingereichtes Gesuch um Einberufung einer Gläubigerversammlung ab, wenn von vornherein feststeht, dass es den Vorschlag, über den die Versammlung abstimmen soll, nicht genehmigen kann (Erw. 1).
2. Die Stundung eines Obligationenanleihens, dessen Dauer bereits über die in
Art. 1170 Ziff. 5 OR
vorgesehenen Stundungs- und Verlängerungsmöglichkeiten hinaus erstreckt worden ist, bedarf der Zustimmung sämtlicher Obligationäre (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 200
BGE 96 II 200 S. 200
A.-
La Compagnie du chemin de fer électrique Aigle-Sépey-Diablerets (en abrégé: la Compagnie) est une société anonyme qui a été constituée le 24 décembre 1910 et dont le siège est à Aigle. Elle exploite une ligne de chemin de fer d'Aigle au Sépey et du Sépey à Ormont-Dessus.
Suivant le bilan du 31 décembre 1925, la Compagnie était débitrice notamment d'un emprunt hypothécaire en 1er rang d'un montant de 3 100 000 fr. à 5%, divisé en obligations de 500 fr., du 30 mars 1914 (en abrégé: l'emprunt en 1er rang). Le remboursement de cet emprunt devait se faire le 15 avril 1934. Par convention du 17 avril 1926, la Compagnie et les porteurs d'obligations ont décidé de convertir en actions privilégiées une partie des intérêts impayés de l'emprunt en 1er rang et de
BGE 96 II 200 S. 201
remplacer pour une période de cinq ans l'intérêt contractuel de cet emprunt par un intérêt variable dépendant du résultat d'exploitation.
Depuis 1926, la Compagnie n'a plus payé d'intérêts.
Le 4 décembre 1944, l'assemblée des porteurs d'obligations de l'emprunt en 1er rang a pris les décisions suivantes:
"1. Les intérêts échus et impayés au 31 décembre 1944 de l'emprunt en 1er rang 5 %, 1914, de 3 100 000 fr. sont abandonnés.
2. Ledit emprunt sera transformé comme suit dès le 1er janvier 1945:
a) 50% du capital, soit 1 550 000 fr., est maintenu comme emprunt hypothécaire sur la ligne entière, avec intérêt fixé à 2% par an; b) le solde de l'emprunt, soit 1 500 000 fr., est abandonné.
3. L'échéance de l'emprunt 1er rang ainsi réduit et transformé est reportée à fin 1959".
Le Tribunal fédéral a homologué ces décisions par arrêt du 8 octobre 1945. Il a considéré notamment que rien ne s'opposait à la durée des mesures qui avaient été prises. Il s'est référé à cet égard à l'arrêté du Conseil fédéral du 2 octobre 1942 qui a complété celui du 1er octobre 1935 concernant l'application des dispositions sur la communauté des créanciers à certaines branches économiques souffrant de la crise par un art. 1er al. 2 selon lequel l'assemblée des créanciers d'entreprises privées de chemin de fer remplissant certaines conditions - ce qui était le cas de la Compagnie - pouvait prendre toutes les mesures prévues par l'art. 51 al. 2 de la loi fédérale du 25 septembre 1917 concernant la constitution de gages sur les entreprises de chemin de fer et de navigation et la liquidation forcée de ces entreprises. Parmi ces mesures, l'art. 51 al. 2 de la loi précitée mentionne la prorogation de l'échéance de droits de créance et ne la limite pas dans le temps.
B.-
En décembre 1951, la Société de banque suisse s'est adressée, à la demande du conseil d'administration de la Compagnie, aux porteurs d'obligations de l'emprunt en 1er rang et leur a soumis les propositions suivantes:
"a) renonciation pour 1951 à l'intérêt de 2% sur l'emprunt 1er rang 1914, réduit à 1 550 000 fr.;
b) remplacement dès 1952 de l'intérêt de 2% par un intérêt variable dépendant des résultats d'exploitation;
c) prorogation de la durée de l'emprunt pour une nouvelle période de 10 ans à partir de l'échéance de 1959".
BGE 96 II 200 S. 202
Tous les obligataires ont adhéré à ces propositions. La Société de banque suisse aurait fait part de ce résultat au Tribunal fédéral. Celui-ci lui aurait déclaré qu'il n'était pas nécessaire de soumettre ces décisions à son approbation puisqu'elles avaient été acceptées par tous les obligataires.
C.-
Par lettre du 5 mai 1970, la Société de banque suisse a fait savoir au Tribunal fédéral que tous les obligataires de l'emprunt en 1er rang avaient consenti à en proroger la durée jusqu'au 31 décembre 1979. Elle le priait de lui confirmer que, dans ces conditions, il n'avait pas à intervenir. Le Président de la Chambre des poursuites et des faillites lui a répondu, le 20 mai 1970, que le Tribunal fédéral ne pouvait donner un avis sur le point de savoir si l'accord de tous les créanciers rendait inutile la procédure instituée par la loi pour la convocation de l'assemblée des obligataires et l'approbation de ses décisions.
Le 6 juillet 1970, la Société de banque suisse a informé le Tribunal fédéral que le conseil d'administration de la Compagnie avait décidé de solliciter une prorogation de la durée de l'emprunt en 1er rang conformément à la procédure prévue par la loi et lui a demandé de prendre les mesures nécessaires en vue de la convocation de l'assemblée des obligataires.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 1185 al. 2 CO, le Tribunal fédéral est compétent pour convoquer l'assemblée des créanciers d'un emprunt par obligations contracté par une entreprise de chemin de fer, ainsi que pour approuver ses décisions. Saisi d'une requête tendant à la convocation d'une telle assemblée, il doit la rejeter si elle se révèle inutile. Tel est le cas lorsqu'il est en mesure de juger que la proposition qui sera soumise au vote de l'assemblée ne saurait obtenir son approbation.
2.
Les créanciers d'un emprunt par obligations constituent une communauté dont les décisions sont prises par l'assemblée des créanciers (art. 1157 al. 1 et 1164 al. 2 CO). Les restrictions des droits des créanciers que chaque obligataire peut être contraint de tolérer par une décision de la communauté réunissant la majorité des deux tiers du capital en circulation sont uniquement celles qu'énumère l'art. 1170 CO (cf. art. 1173 al. 1 CO). Des restrictions qui, par leur nature ou leur durée, portent une atteinte plus grave aux droits des créanciers exigent l'unanimité des obligataires (ZIEGLER, n. 3 aux art. 1170-1183 CO).
BGE 96 II 200 S. 203
Pour un emprunt échu ou venant à échéance dans le délai de cinq ans, l'art. 1170 ch. 5 CO autorise l'ajournement des termes de remboursement pendant dix ans au plus, avec possibilité de prorogation pour cinq ans au plus.
En l'espèce, l'assemblée des créanciers a décidé, le 4 décembre 1944, de prolonger jusqu'au 31 décembre 1959 la durée de l'emprunt en 1er rang qui était arrivé à échéance le 15 avril 1934. Les possibilités d'ajournement et de prorogation qu'offre l'art. 1170 ch. 5 CO sont donc épuisées. Mais cette décision, que le Tribunal fédéral a homologuée par arrêt du 8 octobre 1945 en se fondant sur les arrêtés du Conseil fédéral des 1er octobre 1953 et 2 octobre 1942, est intervenue avant le 1er janvier 1950, date de l'entrée en vigueur des
art. 1157 à 1186
CO. Or, selon le ch. 3 al. 3 des dispositions finales de la loi fédérale du 1er avril 1949 modifiant les dispositions du code des obligations sur la communauté des créanciers dans les emprunts par obligations, il faut tenir compte équitablement, lors de l'application de l'art. 1170 CO, des facilités égales ou correspondantes à celles que prévoit cette disposition et dont le débiteur a déjà bénéficié sous le régime de l'ancien droit en vertu de décisions de la communauté. ZIEGLER (Schlussbestimmungen 3, n. 6) estime que les facilités accordées au débiteur sur la base des dispositions exceptionnelles du droit de crise, dont font partie les deux arrêtés précités du Conseil fédéral, ne devraient pas être prises en considération. Cette opinion ne se concilie toutefois pas avec le texte de la loi qui par le uniquement de l'ancien droit sans faire de distinction à cet égard. On ne saurait dès lors faire abstraction de la décision du 4 décembre 1944 prorogeant la durée de l'emprunt pour une période de quinze ans, bien que son homologation repose sur des dispositions exceptionnelles du droit de crise. D'autre part, cette décision a été prise alors que l'emprunt était échu depuis le 15 avril 1934. Enfin, grâce à l'accord de tous les créanciers, la Compagnie a encore bénéficié d'une prorogation de dix ans à partir de l'échéance de 1959. La durée de l'emprunt en 1er rang a ainsi été prolongée de trente-cinq ans. Dans ces conditions, il convient de subordonner toute nouvelle prorogation à l'assentiment de l'ensemble des obligataires. C'est dire que le Tribunal fédéral ne pourrait approuver une décision de l'assemblée des créanciers qui accepterait, à la majorité requise par l'art. 1170 CO, de reporter l'échéance de l'emprunt au-delà du 31 décembre 1969. La demande de convocation de l'assemblée
BGE 96 II 200 S. 204
des créanciers, appelée précisément à se prononcer sur une nouvelle prorogation de cette échéance, doit dès lors être rejetée. Cela ne signifie toutefois pas que le remboursement de l'emprunt en 1er rang est actuellement exigible, puisque, selon les déclarations de la Société de banque suisse, tous les obligataires ont déjà consenti à une prorogation de la durée de l'emprunt jusqu'au 31 décembre 1979.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette la demande. | public_law | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f12db2a1-d153-4309-b949-c4c2ace24942 | Urteilskopf
122 V 331
49. Sentenza del 30 aprile 1996 nella causa G. contro Cassa malati Herpes e Tribunale cantonale delle assicurazioni, Lugano | Regeste
Art. 6bis KUVG
, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AHVG.
Verwirkung des Forderungsanspruchs für noch nicht entrichtete Krankenkassenprämien.
Analoge Anwendung von
Art. 16 AHVG
. | Sachverhalt
ab Seite 331
BGE 122 V 331 S. 331
A.-
G._, nato nel 1967, è stato assicurato contro le malattie presso la Cassa malati Royal dal 1o aprile al 30 giugno 1988. Dopo aver sollecitato il pagamento dei premi assicurativi l'8 giugno e il 14 luglio 1988, la Cassa ha informato l'interessato, per decisione formale del 24 ottobre 1988, che avrebbe riscosso tale importo per via esecutiva e sospeso le prestazioni oltre il minimo legale fino al momento dell'incasso. Il precetto esecutivo, spiccato il 22 maggio 1989, non ha potuto essere notificato poiché l'escusso era, nel frattempo, partito per destinazione ignota.
Il 27 settembre 1993 la Cassa malati Hermes, la quale aveva integralmente assorbito la Cassa malati Royal nell'ambito di una fusione avvenuta nell'anno 1988, ha fatto spiccare nei confronti di G. un nuovo precetto esecutivo per l'incasso dei premi assicurativi ancora insoluti dei mesi di aprile a giugno 1988, pari a fr. 437.--.
Avendo l'escusso interposto opposizione contro il precetto esecutivo, la Cassa malati Hermes l'ha rigettata, mediante decisione formale del 19 maggio 1994, integrando nel proprio credito un importo di spese esecutive di fr. 28.--.
BGE 122 V 331 S. 332
B.-
G._ è insorto contro la decisione in parola asserendo da un lato di non avere mai avuto a che fare con questa Cassa, dall'altro, che, risalendo la causa al 4 agosto 1988, sarebbero trascorsi oltre 6 anni dall'esigibilità del credito e quindi sarebbe subentrata prescrizione del medesimo. In una comunicazione del 19 agosto 1994, egli ha inoltre affermato che la Cassa malati Royal gli sarebbe debitrice di un importo ben maggiore di quello posto in esecuzione e che, per di più, quest'ultimo sarebbe in realtà stato pagato, all'epoca, dall'Ufficio cantonale di assistenza.
Per giudizio dell'11 ottobre 1994 il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino ha respinto il ricorso e confermato il rigetto dell'opposizione al precetto esecutivo limitatamente a fr. 437.--. In sostanza, considerata la decorrenza del termine quinquennale di prescrizione, ha giudicato che il debito dell'escusso nei confronti della Cassa non era prescritto.
C.-
L'interessato propone ricorso di diritto amministrativo a questa Corte chiedendo implicitamente, in base agli argomenti già esposti in sede di prima istanza, l'annullamento della pronunzia impugnata.
Nella sua risposta, la Cassa malati Hermes postula la disattenzione del gravame. Invitato a determinarsi, l'Ufficio federale delle assicurazioni sociali ha rinunciato a presentare osservazioni.
Adeguandosi a quanto stabilito dal Presidente del Tribunale federale delle assicurazioni l'8 febbraio 1995, l'insorgente ha versato entro il termine previsto fr. 400.-- a titolo di garanzie per le presunte spese giudiziarie.
Erwägungen
Diritto:
1.
(Potere cognitivo)
2.
Nell'impugnato giudizio è stato correttamente esposto che determinante per l'obbligo di pagare i premi assicurativi è la durata dell'affiliazione (
art. 6bis LAMI
) e che le modalità secondo le quali il versamento deve essere operato sono stabilite dalle disposizioni interne della Cassa (
art. 1 cpv. 2 LAMI
). Pure esattamente i primi giudici hanno constatato che la Cassa opponente è legittimata a richiedere il pagamento dei premi nella misura in cui essa ha integralmente assorbito la Cassa malati Royal nel dicembre 1988.
3.
È pacifico in concreto che G. è stato affiliato alla Cassa malati a partire dal 1o aprile 1988 e che egli ha presentato le sue dimissioni con effetto al 30 giugno seguente. Si pone quindi il tema di sapere se il
BGE 122 V 331 S. 333
debito relativo ai premi assicurativi rimasti insoluti sia tuttora esigibile dalla Cassa opponente e, in caso affermativo, se l'insorgente possa invocare il diritto di compensarlo con un diritto a prestazioni assicurative che egli asserisce vantare nei confronti della Cassa. Emerge comunque dagli atti all'inserto che il credito posto in esecuzione con precetto esecutivo 27 settembre 1993 non è stato pagato alla Cassa malati Royal o alla Cassa opponente dall'Ufficio cantonale di assistenza.
a) A ragione i giudici di prime cure hanno constatato che la LAMI non contiene disposizioni disciplinanti la prescrizione dei crediti relativi ai premi assicurativi e che al riguardo nulla dicono le disposizioni interne della Cassa malati Hermes. Non può invece essere tutelato il parere della giurisdizione cantonale quando essa afferma che troverebbero applicazione in concreto le norme riguardanti l'estinzione delle obbligazioni secondo il Codice delle obbligazioni: queste disposizioni prevedono che le azioni per prestazioni periodiche si prescrivono con il decorso di 5 anni (art. 128 cifra 1 CO), che la prescrizione è interrotta mediante atti di esecuzione (art. 135 cifra 2 CO), e che con l'interruzione incomincia a decorrere una nuova prescrizione (
art. 137 cpv. 1 CO
).
Secondo la giurisprudenza del Tribunale federale delle assicurazioni, in caso di restituzione di premi dell'assicurazione malattia pagati in eccesso, ove sia carente una disposizione statutaria, è applicabile per analogia l'art. 16 cpv. 3, prima frase, LAVS al credito di restituzione dell'assicurato (
DTF 119 V 300
consid. 4). Ammesso questo principio in caso di diritto dell'assicurato alla restituzione dei contributi indebitamente pagati, si giustifica di applicare per analogia l'
art. 16 LAVS
anche per quanto concerne la perenzione dell'esigibilità di crediti delle casse malati relativi ai premi assicurativi rimasti insoluti. A norma dell'
art. 16 cpv. 1 LAVS
, i contributi il cui importo non è stato fissato in una decisione notificata entro un termine di cinque anni dalla fine dell'anno civile per il quale sono dovuti non possono più essere né pretesi né pagati. L'art. 16 cpv. 2, prima frase, LAVS dispone che il credito per contributi, fissato in una decisione notificata conformemente al capoverso 1, si estingue tre anni dopo la fine dell'anno civile in cui la decisione è passata in giudicato.
b) Nell'evenienza concreta, la Cassa malati opponente ha informato l'interessato, per decisione formale del 24 ottobre 1988, rimasta inimpugnata, che avrebbe riscosso per le vie esecutive l'importo dei premi assicurativi dovuti per il periodo dal 1o aprile al 30 giugno 1988.
BGE 122 V 331 S. 334
Mediante tale provvedimento, il credito per i premi assicurativi ancora insoluti è stato pertanto fissato in una decisione notificata conformemente all'
art. 16 cpv. 1 LAVS
. Ne discende che, giusta l'art. 16 cpv. 2, prima frase, LAVS, esso si è estinto tre anni dopo la fine dell'anno civile in cui la decisione è passata in giudicato, vale a dire il 31 dicembre 1991.
In esito a quanto precede, alla data in cui la Cassa malati Hermes ha fatto spiccare il contestato precetto esecutivo del 27 settembre 1993 nei confronti di G., la perenzione del suo credito era intervenuta da quasi due anni.
4.
Considerato l'esito della vertenza, può rimanere irrisolto il tema di sapere se al ricorrente fosse consentito di estinguere un proprio debito invocando la compensazione (
DTF 110 V 183
; RAMI 1992 no. K 896 pag. 139 consid. 3), nonché quello dell'effettiva esistenza di un asserito suo credito e dell'eventuale importo del medesimo.
5.
(Spese di procedura) | null | nan | it | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f1323432-662c-4b79-af74-7705a8201cd2 | Urteilskopf
122 IV 133
18. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 20 mars 1996 dans la cause R. c L. et Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 18 Abs. 3 und
Art. 125 StGB
; Art. 26 Abs. 1, 27 Abs. 1, 36 Abs. 2 und 47 Abs. 2 SVG; Art. 14, 15 Abs. 3 und 17 Abs. 1 VRV; fahrlässige Körperverletzung; Sorgfaltspflicht des Vortrittsbelasteten.
Darstellung der Sorgfaltspflichten, die dem im Strassenverkehr vortrittsbelasteten Fahrzeugführer bei stark eingeschränkter Sicht obliegen; Hineintasten (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 133
BGE 122 IV 133 S. 133
Le 9 juin 1995 vers 11 heures, un accident de la circulation s'est produit au boulevard St-Georges, à Genève, à la hauteur de la rue des Jardins. L., au volant de sa voiture, s'est arrêtée au stop situé à l'extrémité de la rue des Jardins, au débouché de cette rue sur le boulevard St-Georges qui lui est perpendiculaire. Comme la circulation était dense, elle a attendu. A un certain moment, le conducteur d'un fourgon s'est arrêté en lui laissant la place nécessaire pour sortir. L., qui avait l'intention
BGE 122 IV 133 S. 134
d'obliquer à gauche pour s'engager dans le boulevard Saint-Georges, dans la direction de la plaine de Plainpalais, s'est avancée très lentement. Arrivée à la hauteur du fourgon, qui lui masquait par sa masse la visibilité, elle s'est arrêtée à nouveau et elle a avancé très lentement, avec beaucoup de prudence. C'est alors qu'un choc s'est produit avec une moto, pilotée par R., lequel circulait au boulevard Saint-Georges en direction de la rue des Deux-Ponts, à une vitesse d'environ 50 km/h, et dépassait la file de véhicules arrêtée derrière le fourgon. Le conducteur de ce véhicule, qui a aperçu dans son rétroviseur la moto qui arrivait assez vite en dépassant la file de véhicules, a fait un signe de la main au motocycliste, afin de le mettre en garde, mais en vain. Les deux témoins de l'accident, le conducteur du fourgon et une piétonne qui se trouvait sur le trottoir, ont affirmé que L. s'était arrêtée à la hauteur du fourgon et s'était ensuite avancée très lentement, sans qu'aucun élément de preuve ne vienne le contredire.
Au moment de l'accident, le temps était beau, la chaussée sèche et la visibilité bonne.
L'accident a causé à R. de multiples fractures à la jambe droite.
Le 28 août 1995, R. a déposé plainte contre L. pour lésions corporelles par négligence et s'est constitué partie civile.
Par ordonnance du 5 septembre 1995, le Procureur général a classé la procédure pénale, considérant, vu l'enquête effectuée par la police, qu'aucune faute ne pouvait être reprochée à L.
Statuant sur recours du plaignant, la Chambre d'accusation genevoise a confirmé le classement par ordonnance du 24 novembre 1995.
Contre cette décision, R. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Soutenant que L., qui était débitrice de la priorité, aurait dû, en raison du manque de visibilité, renoncer à sa manoeuvre ou se faire aider d'un tiers, il en déduit que le classement viole le droit fédéral et conclut à l'annulation de la décision attaquée.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
a) Le recourant se plaint de ce que l'autorité cantonale n'ait pas retenu que la conductrice s'était rendue coupable de lésions corporelles par négligence au sens de l'
art. 125 CP
.
Cette disposition prévoit, à son alinéa 1, que "celui qui, par négligence, aura fait subir à une personne une atteinte à l'intégrité corporelle ou à
BGE 122 IV 133 S. 135
la santé sera, sur plainte, puni de l'emprisonnement ou de l'amende". L'
art. 125 al. 2 CP
précise que la poursuite a lieu d'office si la lésion corporelle est grave (sur cette notion:
ATF 105 IV 179
,
ATF 101 IV 381
consid. 1b).
L'
art. 18 al. 3 CP
donne une définition de la négligence: "celui-là commet un crime ou un délit par négligence qui, par une imprévoyance coupable, agit sans se rendre compte ou sans tenir compte des conséquences de son acte. L'imprévoyance est coupable quand l'auteur de l'acte n'a pas usé des précautions commandées par les circonstances et par sa situation personnelle".
La négligence suppose que l'auteur ait violé les devoirs de la prudence. Un comportement viole le devoir de prudence lorsque l'auteur, au moment des faits, aurait pu, compte tenu des circonstances et de ses capacités, se rendre compte de la mise en danger et qu'il a simultanément dépassé les limites du risque admissible (
ATF 121 IV 207
consid. 2a,
ATF 118 IV 130
consid. 3,
ATF 116 IV 306
consid. 1a,
ATF 114 IV 173
consid. 2a).
Pour déterminer concrètement quels sont les devoirs de la prudence, on peut se référer à des normes édictées en vue d'assurer la sécurité et d'éviter des accidents (
ATF 121 IV 207
consid. 2a, 249 consid. 3a/aa,
ATF 118 IV 130
consid. 3a,
ATF 116 IV 306
consid. 1a,
ATF 114 IV 173
consid. 2a,
ATF 106 IV 80
). Dans le domaine du trafic routier, on se référera donc aux règles de la circulation routière.
Il n'est pas douteux en l'espèce que la conductrice, qui sortait d'un "stop", était débitrice de la priorité (art. 27 al. 1, 36 al. 2 in fine LCR [RS 741.01],
art. 36 al. 1 OSR
[RS 742.21]). Il ressort des constatations de fait cantonales - qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) - que la conductrice s'est arrêtée à la ligne d'arrêt du "stop" (cf.
art. 75 al. 1 OSR
) et qu'elle ne s'est avancée très prudemment que lorsque le bénéficiaire de la priorité, le conducteur du fourgon, lui a permis de le faire. A ce stade, on ne discerne aucune violation des règles de la priorité (
art. 14 al. 1 OCR
; RS 741.11).
La conductrice devait céder la priorité sur toute la largeur de l'axe prioritaire, que les véhicules viennent de sa gauche ou de sa droite (
ATF 117 IV 498
consid. 3, 116 IV 157; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, Lausanne 1984,
art. 36 LCR
no 3.2.6 et les arrêts cités; cf. également
art. 14 al. 3 OCR
). S'étant avancée devant le fourgon qui lui laissait le passage, la conductrice s'est arrêtée, puis, sa visibilité sur la gauche étant très restreinte en raison de la présence du fourgon, elle s'est avancée très lentement et en faisant très attention. Ce
BGE 122 IV 133 S. 136
sont là des constatations de fait qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
).
Contrairement à ce que soutient le recourant, aucune règle de la circulation n'oblige le débiteur de la priorité, en cas de visibilité très restreinte, à renoncer à une manoeuvre que la signalisation n'interdit pas. Le devoir de faire appel à l'aide d'un tiers n'est prévu que dans le cas des art. 15 al. 3 et 17 al. 1 OCR, qui ne sont manifestement pas applicables en l'espèce. La jurisprudence exige seulement du débiteur de la priorité, en cas d'absence de visibilité, qu'il s'avance très lentement et très prudemment, "en tâtonnant" (
ATF 105 IV 339
; BUSSY/RUSCONI, op.cit.,
art. 36 LCR
no 3.4.7 et les arrêts cités). Or, il a précisément été constaté en fait - d'une manière qui lie la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) - que la conductrice s'était comportée de cette manière, de sorte qu'elle n'a pas violé les devoirs de la prudence.
D'ailleurs, dès lors que la conductrice se conformait aux devoirs d'un débiteur de la priorité, elle n'avait pas à compter, selon le principe de la confiance (
ATF 120 IV 252
,
ATF 118 IV 277
consid. 4a; sur cette notion, voir également BUSSY/RUSCONI, op.cit.,
art. 26 LCR
no 4.1), avec la survenance d'une moto, difficilement visible en raison de sa position et de sa faible largeur, qui, à une vitesse soutenue, dépassait par la gauche la colonne de voitures arrêtée derrière le fourgon, violant ainsi de manière flagrante l'
art. 47 al. 2 LCR
.
En admettant en pareilles circonstances que la conductrice n'a pas commis de négligence et ne s'est donc pas rendue coupable de lésions corporelles par négligence au sens de l'
art. 125 CP
, l'autorité cantonale n'a pas violé le droit fédéral. Le pourvoi doit donc être rejeté.
3.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f137ecb8-2e57-4147-9177-06cf4dfa4ff6 | Urteilskopf
99 V 41
13. Auszug aus dem Urteil vom 5. April 1973 i.S. Wülser gegen Ausgleichskasse des Basler Wirtschaftsbundes und Rekursbehörde für die Sozialversicherung des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Geldleistungen während der Eingliederung (
Art. 22 Abs. 1 IVG
und 17bis IVV).
Voraussetzungen des Taggeldanspruchs für nicht zusammenhängende Eingliederungstage. | Erwägungen
ab Seite 41
BGE 99 V 41 S. 41
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 22 Abs. 1 Satz 1 IVG
hat der Versicherte während der Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld, wenn er an wenigstens drei aufeinanderfolgenden Tagen wegen der Eingliederung
BGE 99 V 41 S. 42
verhindert ist, einer Arbeit nachzugehen, oder zu 50 Prozent arbeitsunfähig ist. Abs. 3 desselben Artikels ermächtigt den Bundesrat, Voraussetzungen für den Anspruch auf Taggeld für nicht zusammenhängende Tage sowie für Untersuchungs-, Warte- und Anlernzeiten aufzustellen. Diese Voraussetzungen sind in den
Art. 17-20 IVV
geregelt. Von diesen Bestimmungen ist im heutigen Zusammenhang allein Art. 17bis erwähnenswert.
Nach der bundesrätlichen Botschaft zum IVG soll das Taggeld während jeder Eingliederung, "die einen gewissen Dauercharakter hat", gewährt werden (BBl 1958 II 1261). Eine Ausnahme von diesem Prinzip ist in
Art. 17bis IVV
normiert, welcher dem Versicherten, der innerhalb eines Kalendermonats an mindestens vier ganzen Tagen wegen der Eingliederung verhindert ist, der Arbeit nachzugehen, für diese Tage einen Taggeldanspruch einräumt.
Aus dem Wortlaut des
Art. 17bis IVV
ergibt sich eindeutig, dass diese Bestimmung nicht auf jene in
Art. 22 Abs. 1 Satz 1 IVG
aufgeführte Kategorie invalider Versicherter anwendbar ist, bei denen als Voraussetzung für den Taggeldanspruch eine 50prozentige Arbeitsunfähigkeit zur Zeit der Eingliederungsmassnahmen genügt. Vielmehr ist sie nur anwendbar auf jene Invaliden, die wegen der Eingliederung verhindert sind, einer Arbeit nachzugehen. Diese Differenzierung rechtfertigt sich aus folgenden Überlegungen: Die Expertenkommission für die Einführung der Invalidenversicherung wollte den Taggeldanspruch auf jene Versicherten beschränken, die wegen der Eingliederung nicht imstande sind, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, und daher einen Erwerbsausfall erleiden. Sie verwies auf die ursprüngliche Regelung in der Erwerbsersatzordnung, wonach nurjene Wehrpflichtigen eine Erwerbsausfallentschädigung beanspruchen konnten, bei denen während des Militärdienstes ein Verdienstausfall eintrat (Expertenbericht 1956, S. 91). Da mit der (am 1. Januar 1959 in Kraft getretenen) Revision der Erwerbsersatzordnung die Entschädigungsberechtigung auf die Nichterwerbstätigen ausgedehnt wurde, wollte der Bundesrat diese Kategorie von Versicherten in der Invalidenversicherung nicht vom Taggeld ausschliessen. Den Vorschlag der Expertenkommission erweiternd, beantragte er deshalb den eidgenössischen Räten, den Taggeldanspruch auch einem nichterwerbstätigen Invaliden einzuräumen, vorausgesetzt,
BGE 99 V 41 S. 43
dass er zu 50 Prozent arbeitsunfähig ist (BBl 1958 II 1189; vgl. S. 1347 betreffend Erwerbsersatzordnung). Diese Erweiterung der ursprünglichen Konzeption brachte den nichterwerbstätigen Versicherten, die aber mindestens zur Hälfte arbeitsunfähig sind, eine wesentliche Besserstellung. Wenn der Bundesrat davon absah, diese Erweiterung auf die Fälle nicht zusammenhängender Eingliederungstage auszudehnen, hat er keinen unsachgemässen Gebrauch von der ihm in
Art. 22 Abs. 3 IVG
eingeräumten Ermächtigung gemacht. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f1383900-d7f8-4778-91f7-58fdfb1327c4 | Urteilskopf
115 II 187
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. März 1989 i.S. X. gegen Erbengemeinschaft W. (Berufung) | Regeste
Materielle Rechtskraft eines Urteils, mit dem die Einrede ungenügender Substantiierung gutgeheissen wird.
Voraussetzungen, unter denen ein Sachurteil mit materieller Rechtskraftwirkung ergeht, wenn ein Gericht die Sachvorbringen der beweisbelasteten Partei als nicht hinreichend substantiiert beurteilt. Bedeutung der Begründung, des Dispositivs und der prozessualen Bezeichnung des Entscheides durch das urteilende Gericht. | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 115 II 187 S. 187
A.-
Rechtsanwalt X. vertrat W. in einem Enteignungsverfahren, das der Kanton Uri gegen diesen eingeleitet hatte. Wieweit er für W. oder dessen Tochter noch in anderen Angelegenheiten tätig war, ist umstritten. Mit Entscheid vom 20. Dezember 1972 verpflichtete die Eidgenössische Schätzungskommission, 9. Kreis, den Kanton Uri, dem enteigneten W. eine Parteientschädigung von Fr. 4'126.60 zu bezahlen. In der gleichen Sache sprach das Bundesgericht mit Abschreibungsbeschluss vom 16. Mai 1974 W. eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu. Die genannten Beträge wurden vom Kanton Uri an X. ausbezahlt. Zudem hatte er von
BGE 115 II 187 S. 188
seinem Mandanten Kostenvorschüsse von insgesamt Fr. 4'000.-- erhalten.
Am 11. Juni 1974 stellte X. für seine anwaltlichen Bemühungen Rechnung über Fr. 30'504.20 und beanspruchte nach Abzug der geleisteten Parteientschädigungen und Kostenvorschüsse einen Saldo von Fr. 20'377.60. W. verweigerte die Zahlung, worauf X. beim Landgericht Uri Klage einreichte. Der Beklagte erhob die Einreden der sachlichen und örtlichen Unzuständigkeit, der beurteilten Sache, der ungenügenden Substantiierung der Klage sowie des Verzichts des Klägers auf den streitigen Saldo.
Das Landgericht hiess mit Urteil vom 11. Dezember 1979 die Einreden des Beklagten mit Ausnahme derjenigen des Verzichts gut. Gegen diesen in der Rechtsmittelbelehrung als Prozessurteil bezeichneten Entscheid reichte X. beim Obergericht des Kantons Uri Rekurs, eventuell Berufung, ein. Dieses wies den Rekurs gegen den auch von ihm als Prozessurteil bezeichneten erstinstanzlichen Entscheid am 18. Juni 1980 ab. Hierauf erhob X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Das Bundesgericht kam mit Urteil vom 17. Februar 1982 zum Schluss, das Landgericht Uri habe die Einreden der abgeurteilten Sache und der fehlenden Zuständigkeit in unhaltbarer Weise geschützt. Hingegen hätte es die Einrede der ungenügenden Substantiierung der Klage unter dem Blickwinkel des Willkürverbots auch dann gutheissen dürfen, wenn es sich für die Beurteilung der Klage in vollem Umfang als zuständig erachtet hätte. Weil damit die kantonalen Entscheide im Ergebnis vor
Art. 4 BV
standhielten, wurde die Beschwerde abgewiesen.
B.-
Am 22. Juni 1983 reichte X. gegen die Erbengemeinschaft des zwischenzeitlich verstorbenen W. beim Landgericht Uri erneut eine Forderungsklage über die nämlichen Fr. 20'377.60 ein. Das Landgericht trat mit Urteil vom 26. März 1985 auf die Klage nicht ein, da sein erstes Urteil in materielle Rechtskraft erwachsen sei und somit eine abgeurteilte Sache vorliege. Dagegen erhob X. Rekurs an das Obergericht, wobei er geltend machte, der Entscheid sei unter Verletzung von Ausstandsbestimmungen zustande gekommen und zudem im Ergebnis willkürlich, da das erste Urteil des Landgerichts bloss als Prozessurteil ergangen sei und somit keine materielle Rechtskraft entfalte. Das Obergericht wies den Rekurs am 30. Oktober 1985 ab.
Das Bundesgericht hiess am 23. Januar 1987 die von X. gegen diesen Entscheid eingelegte staatsrechtliche Beschwerde wegen
BGE 115 II 187 S. 189
Verletzung von
Art. 58 BV
gut. Die Frage der abgeurteilten Sache wurde nicht geprüft. In den Erwägungen hielt das Gericht lediglich fest, diese Rüge wäre ihm wohl mit Berufung und nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde zu unterbreiten gewesen.
C.-
Mit Urteil vom 10. November 1987 trat das Landgericht Uri auf die Klage erneut nicht ein, welchen Entscheid das Obergericht auf Rekurs des Klägers am 24. Februar 1988 bestätigte. Beide kantonalen Instanzen hielten dafür, der erste Entscheid des Landgerichts vom 11. Dezember 1979 sei jedenfalls insoweit als Sachurteil ergangen, als er die Einrede der mangelnden Substantiierung der Klage geschützt habe. Da der streitige Anspruch somit endgültig beurteilt worden sei, stehe die materielle Rechtskraft des ersten Entscheides einer neuen Klage entgegen.
Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichtes Berufung eingereicht, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) In materielle Rechtskraft erwachsen grundsätzlich nur Sachurteile, Prozessurteile höchstens hinsichtlich der beurteilten Zulässigkeitsfrage (HABSCHEID, Die Rechtskraft nach schweizerischem Zivilprozessrecht, SJZ 74/1978, S. 201 ff., 203 f.; HABSCHEID, Droit judiciaire privé suisse, 2. Aufl., S. 306 f.). Im vorliegenden Verfahren stellt sich die Frage, ob das formell rechtskräftige Urteil des Landgerichts Uri vom 11. Dezember 1979 ein Sachurteil darstellt.
b) Ein Sachurteil liegt vor, wenn das Gericht sich über Begründetheit oder Unbegründetheit der Klage ausspricht, wenn der geltend gemachte Anspruch bestandesmässig beurteilt wird (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 204 und S. 242). Im Gegensatz zum Prozessurteil beschlägt es nicht die formelle Zulässigkeit, sondern die materielle Begründetheit der Klage. Es stellt fest, ob nach Massgabe des vorgetragenen oder im Beweisverfahren ermittelten Sachverhalts der behauptete Anspruch besteht und gegebenenfalls in welchem Umfang.
Ob ein Sachurteil vorliegt, hängt demnach allein davon ab, ob das Gericht die Sachverhaltsvorbringen der Parteien materiell-rechtlich würdigte, nicht aber von der Art und Weise der Ermittlung der tatbeständlichen Urteilsgrundlagen. Stellt der Richter fest, ein Sachvorbringen sei unbewiesen geblieben, und fällt er gestützt darauf einen non-liquet-Entscheid, erwächst dieser ebenso
BGE 115 II 187 S. 190
in materielle Rechtskraft, wie wenn der Richter zum Schluss gelangt, die Behauptungen der beweisbelasteten Partei seien nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden, um über Bestand oder Nichtbestand des Anspruchs die notwendigen Enscheidungsgrundlagen abzugeben, weshalb dieser aufgrund der gesetzlichen Beweislastregel zu verneinen sei (zur Substantiierungspflicht
BGE 108 II 339
ff.; zur Rechtskraft der non-liquet-Entscheidung KUMMER, das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 94 f.). Für die Frage nach dem Sachurteil ist mithin ausschliesslich das materielle Schicksal der individualisierten Rechtsbehauptung massgebend, denn zur Beurteilung gelangt bloss diese Rechtsbehauptung und nicht eine Rechtsfolge im Umfang ihrer Begründetheit (KUMMER, a.a.O., S. 94). Daher ergeht ein Sachurteil, wenn der Richter nach Massgabe der aufgestellten Behauptungen den geltend gemachten Anspruch als hinreichend individualisiert, jedoch die Tatsachenbehauptungen als ungenügend substantiiert erachtet, ein Prozessurteil dagegen, wenn die vorgetragenen Behauptungen nicht einmal die Individualisierung des Anspruchs zulassen (GEORGES HUGUENIN-DUMITTAN, Behauptungslast, Substantiierungspflicht und Beweislast, Diss. Zürich 1980, S. 21 f. und 25). Diese Rechtslage verkennt der Kläger, wenn er einwendet, nach der von den kantonalen Instanzen vertretenen Auffassung wäre der Urheber einer vollständig begründungslosen Klage rechtskraftmässig besser gestellt als derjenige einer mangelhaft begründeten Eingabe.
Die materielle Rechtskraft des Sachurteils erstreckt sich nach dem Grundsatz der Präklusion auf den individualisierten Anspruch schlechthin und schliesst Angriffe auf sämtliche Tatsachen aus, die im Zeitpunkt des ersten Urteils bereits bestanden hatten, unabhängig davon, ob sie den Parteien bekannt waren, von diesen vorgebracht oder vom Richter beweismässig als erstellt erachtet wurden (HABSCHEID, Schweiz. Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, S. 229 Rz. 631; HABSCHEID, Droit judiciaire, S. 317; GULDENER, a.a.O., S. 379). Unbekümmert darum, ob die privatrechtliche oder die prozessrechtliche Substantiierungspflicht in Frage steht, trägt daher die behauptungsbelastete Partei das Risiko, den materiellen Anspruch zu verlieren, wenn sie ihrer Obliegenheit nicht nachkommt, die Tatsachenbehauptungen genügend zu substantiieren (
BGE 108 II 340
E. 2d).
Sachurteile entfalten materielle Rechtskraft nur insoweit, als über den erhobenen Anspruch entschieden worden ist (BGE 101
BGE 115 II 187 S. 191
II 378). Das heisst indessen nicht, der Richter müsse sich in jedem Fall mit den Anspruchsbehauptungen beweismässig auseinandersetzen, sondern besagt bloss, dass einzig das Sachurteilsdispositiv an der Rechtskraft teilnimmt, nicht aber die Sachverhaltsfeststellungen oder die Erwägungen zur Rechtslage. Fällt der Richter einen non-liquet-Entscheid oder verneint er einen erhobenen Anspruch mangels genügender Substantiierung, ist daher unter dem Blickwinkel der materiellen Rechtskraft unerheblich, ob
Art. 8 ZGB
durch falsche Verteilung der Beweislast oder übersetzte Anforderungen an die bundesrechtliche Substantiierungspflicht verletzt oder kantonales Prozessrecht falsch angewandt wurde. Die Funktion der Rechtsprechung, die Rechtsgewissheit und den Rechtsfrieden herzustellen, erheischt, dass jedes formell rechtskräftige Sachurteil auch materielle Rechtskraft entfaltet, selbst wenn es auf unrichtigen Grundlagen beruht (GULDENER, a.a.O., S. 387; GERHARD WALTER, Zur Abweisung einer negativen Feststellungsklage, ZBJV 123/1987, S. 553 ff., S. 557 f.; vgl. auch STEIN-JONAS, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 20. Aufl., N. 118 zu § 322 mit weiteren Hinweisen).
Ob sodann ein Sach- oder ein Prozessurteil vorliegt, entscheidet sich nicht nach der Bezeichnung des Entscheides, sondern allein nach dessen Gehalt. Ein Prozessurteil ändert seinen Charakter nicht, wenn im Dispositiv eine Klage fälschlicherweise abgewiesen, anstatt wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung - auf sie nicht eingetreten wird (
BGE 101 II 378
f.). Ebensowenig wird ein Sachurteil, mit dem ein ungenügend substantiierter Anspruch als unbegründet erklärt wird, zum Prozessurteil, bloss weil das urteilende Gericht es als solches bezeichnet.
c) Das Landgericht Uri hat mit seinem Urteil vom 11. Dezember 1979 die Einrede W.s, die Klage sei ungenügend substantiiert, geschützt. Das Obergericht hat diese Betrachtungsweise im Urteil vom 18. Juni 1980 übernommen. Wohl gingen beide kantonalen Instanzen zu Unrecht davon aus, die eingeklagte Honorarforderung sei bloss insoweit zu überprüfen, als sie Bemühungen ausserhalb des Enteignungsverfahrens umfasse; doch stellte das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 17. Februar 1982 ausdrücklich fest, die Gutheissung der Einrede halte vor
Art. 4 BV
selbst dann stand, wenn die zu Unrecht vorgenommene Kognitionsbeschränkung entfalle. Mit dieser Begründung aber wurden die angefochtenen Entscheide in ihrer formellen Rechtskraft belassen.
BGE 115 II 187 S. 192
Die Erwägungen im Urteil vom 11. Dezember 1979 lassen weiter keinen Zweifel darüber offen, dass nach Auffassung des Landgerichts der beweisbelastete Kläger seine Behauptungen nicht genügend substantiiert vorgetragen hatte, um über Bestand oder Nichtbestand des im übrigen ausreichend individualisierten Anspruchs die notwendigen Entscheidungsgrundlagen abzugeben. Insoweit liegt nach dem Gesagten inhaltlich ein Sachentscheid vor. Dessen Bezeichnung als Prozessurteil in der Rechtsmittelbelehrung ist unerheblich, da die Qualifikation - wie dargelegt - nach dem Inhalt und nicht nach der äusseren Form vorzunehmen ist. Aus denselben Gründen ist für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens bedeutungslos, dass das Obergericht gegen das Urteil des Landgerichts kantonalrechtlich nur einen Rekurs, d.h. das Rechtsmittel gegen ein Prozessurteil zuliess. Zudem vermöchte auch eine unrichtige prozessuale Beurteilung des erstinstanzlichen Entscheides durch das Obergericht die materielle Rechtskraft als Institut des Bundesrechts nicht zu beeinflussen.
Ebensowenig ist entscheidend, dass das Urteil vom 11. Dezember 1979 lediglich die Einrede des Beklagten schützte, sich dagegen über das Schicksal der Klage nicht aussprach, diese insbesondere nicht förmlich abwies. Der Schutz des Anspruchs und der auf seine Zerstörung gerichteten Einrede schliessen sich gegenseitig aus. Wird einem der beiden Begehren entsprochen, bedeutet dies gleichzeitig die Abweisung des andern. Schützt der Richter beispielsweise eine vom Beklagten erhobene Verjährungseinrede, verneint er gleichzeitig die selbständige Durchsetzbarkeit des eingeklagten Anspruchs, wobei wiederum ohne Bedeutung ist, ob er im Dispositiv die Einrede gutheisst oder die Klage abweist. Das eine heisst zwangsläufig gleichzeitig das andere. Gleich verhält es sich aber bei Gutheissung der Einrede ungenügender Substantiierung; damit ist ebenfalls die Abweisung des eingeklagten, ungenügend substantiierten Anspruchs festgestellt. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1397066-ec40-4e95-bb15-5b2785ddb1e1 | Urteilskopf
103 Ib 366
58. Auszug aus dem Urteil vom 28. Oktober 1977 i.S. D. AG gegen Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Bindung des Bundesgerichts an Parteibegehren, Zulässigkeit neuer Begehren (
Art. 114 Abs. 1 OG
); Rückstellungen gemäss Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB.
1. Nach
Art. 114 Abs. 1 OG
kann das Bundesgericht in Abgabestreitigkeiten einen Entscheid der Vorinstanz korrigieren, ohne an die Anträge der Parteien gebunden zu sein. Eine solche Korrektur wird aber nur vorgenommen, wenn ihr eine erhebliche Bedeutung zukommt und der betreffende Entscheid offensichtlich unrichtig ist. Der Steuerpflichtige kann aus
Art. 114 Abs. 1 OG
hingegen nicht das Recht ableiten, dass das Bundesgericht in Abgabestreitigkeiten auf neue, d.h. vor der Vorinstanz nicht geltend gemachte Begehren eintritt (E. 1; Klärung der Rechtsprechung).
2. Zulässigkeit einer Rückstellung für die Entwertung eines Dollarguthabens, die wegen eines befürchteten Kursrückgangs droht (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 367
BGE 103 Ib 366 S. 367
Die in Zürich domizilierte D. AG gewährte im Juli 1967 im Rahmen eines Treuhandkredites mit der X. Bank der G. Kaufhaus GmbH, Wien, einen Kredit von öSch 7'025'000.--. Dieser Kredit wurde am 30. Juni 1968 auf US$ 272'182.-- umgestellt. In der Folge veränderte sich die Höhe des Kredites durch Rückzahlungen und Aufstockungen. Er erreichte Ende 1972 einen Betrag von § 854'896.--. Die D. AG bilanzierte die Forderung von § 854'896.-- per 31. Dezember 1972 mit Fr. 3'222'957.92, d.h. zu einem Kurs von Fr. 3.77. Da der Dollarkurs gesunken war, verbuchte sie zu Lasten der Erfolgsrechnung 1972 einen Kursverlust von Fr. 98'657.42. Ferner schuf sie zu Lasten der gleichen Erfolgsrechnung eine Rückstellung "Kursrisiko Treuhandkredit X. Bank" von Fr. 322'300.--, weil sie im Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses mit weiteren Kursverlusten auf ihrem Dollarguthaben rechnete. Diese Rückstellung deckte einen Kursrückgang bis zum Stand von Fr. 3.51 ab.
Das kantonale Steueramt Zürich hielt weder die Abschreibung von Fr. 98'657.42, noch die Rückstellung von Fr. 322'300.-- für gerechtfertigt. Es rechnete darum diese Beträge, d.h. total Fr. 420'957.-- zum steuerbaren Reinertrag. Gleich verfuhr das Steueramt mit Bezug auf Beratungshonorare (Fr. 244'425.--), welche die D. AG an die I. GmbH, München bezahlt hatte, und anerkannte davon nur einen Betrag von
BGE 103 Ib 366 S. 368
Fr. 100'000.-- als Geschäftsunkosten. Die D. AG focht diese Veranlagung ohne Erfolg mit Einsprache und Rekurs an. In beiden Verfahren wandte sie sich gegen die Aufrechnung der zum Ausgleich von Kursverlusten vorgenommenen Abschreibung und Rückstellung. Die nur teilweise Anerkennung der Beratungshonorare blieb jedoch sowohl im Einsprache- als auch Beschwerdeverfahren unangefochten.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die D. AG, die von der Vorinstanz vorgenommenen Aufrechnungen der Abschreibung auf dem Kursverlust von Fr. 98'657.42 und der Rückstellung wegen künftigen Kursverlusten von Fr. 322'300.-- seien aufzuheben; ferner seien die vom Steueramt des Kantons Zürich aufgerechneten Beratungshonorare (Fr. 144'424.--) im Sinne eines neuen, d.h. in der Vorinstanz nicht vorgebrachten Begehrens anzuerkennen.
Das Bundesgericht hebt den Entscheid der Vorinstanz auf, soweit die Abschreibung und Rückstellung als steuerbarer Reinertrag erfasst werden. Auf das weitergehende Begehren der Beschwerdeführerin tritt das Bundesgericht nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Unter dem Gesichtspunkt des Eintretens stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht die Aufrechnung der Beratungshonorare an die I. GmbH im Betrag von Fr. 144'425.-- noch rügen kann, nachdem sie die Einschätzung in diesem Punkt weder im Einspracheverfahren noch im Verfahren vor der Rekurskommission angefochten hat.
a) Nach der Rechtsprechung und Lehre sind neue Begehren in einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich unzulässig (
BGE 100 Ib 120
,
BGE 99 Ib 126
E. 1a, 198,
BGE 98 Ib 428
,
BGE 93 I 569
; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, 2. Aufl., S. 28, 60). Im vorliegenden Fall hat die Frage, ob die gesamten Beratungshonorare, die der I. GmbH bezahlt wurden, geschäftsmässig gebotene Aufwendungen waren, nichts zu tun mit den umstrittenen Abschreibungen und Rückstellungen auf dem Dollarguthaben bei der G. GmbH. Es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen diesen beiden Begehren. Der Antrag betreffend die Aufrechnung der Beratungshonorare erweist sich somit als neues Begehren und ist grundsätzlich unzulässig.
BGE 103 Ib 366 S. 369
b) Nach dem von der Beschwerdeführerin zitierten Kommentar MASSHARDT ist das Bundesgericht jedoch bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden in Steuersachen nicht an die Lage des Prozesses vor der Vorinstanz gebunden und kann auch neue Begehren berücksichtigen, die in der Beschwerde an die kantonale Rekurskommission nicht gestellt worden sind (Kommentar zur eidg. Wehrsteuer 1971-1982, N. 26 zu Art. 112). MASSHARDT stützt diese Auffassung unter anderem auf die Entscheide des Bundesgerichts in ASA 30, 135 und 16, 146. In diesen Entscheiden wurde die Pflicht zum Eintreten auf neue Begehren aus dem Umstand abgeleitet, dass das Bundesgericht in Abgabestreitigkeiten über die Rechtsbegehren der Parteien hinausgehen könne (Art. 109 aOG, heute
Art. 114 Abs. 1 OG
). Das Bundesgericht habe daher den Entscheid zu treffen, der nach seiner eigenen Prüfung richtig sei. In
BGE 63 I 89
, worauf sich die beiden zitierten Entscheide stützen, wurde die Berücksichtigung neuer Begehren allerdings davon abhängig gemacht, dass ihre Beurteilung keine neuen tatsächlichen Erhebungen erfordert.
In anderen Entscheiden hat das Bundesgericht auch in Steuersachen keine neuen Begehren im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zugelassen. So wurde in
BGE 69 I 101
(betreffend Stempelabgaben) erklärt, was nicht Gegenstand der Einsprache gewesen sei, könne nicht mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Diese Rechtsprechung wurde in
BGE 71 I 366
E. 2 mit Bezug auf die Verrechnungssteuer bestätigt.
Es muss unterschieden werden zwischen dem prozessualen Anspruch des Beschwerdeführers auf Prüfung eines völlig neuen Rechtsbegehrens, das vor der Vorinstanz nicht gestellt worden war und der Pflicht des Richters, den ihm unterbreiteten Streitgegenstand von Amtes wegen zu überprüfen. Mit
Art. 114 Abs. 1 OG
soll dem Bundesgericht die Möglichkeit gegeben werden, in Abgabestreitigkeiten einen Entscheid der Vorinstanz im Rahmen seiner von Amtes wegen getroffenen Abklärungen gegebenenfalls dem objektiven Recht anzupassen, ohne an die Anträge der Parteien gebunden zu sein. Eine solche Berichtigung wird aber nur vorgenommen, wenn der betreffende Entscheid offensichtlich unrichtig und die Korrektur von erheblicher Bedeutung ist.
BGE 103 Ib 366 S. 370
Der Sinn von
Art. 114 Abs. 1 OG
besteht nicht darin, dem Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, den Streitgegenstand vor Bundesgericht auf neue Fragen auszudehnen, die überhaupt nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens waren. Der Bürger hat darum auch in Abgabestreitigkeiten keinen Anspruch darauf, dass das Bundesgericht auf völlig neue Begehren eintritt. Insoweit in den zitierten Entscheiden aus dem ehemaligen Art. 109, jetzt
Art. 114 Abs. 1 OG
etwas anderes abgeleitet wird, kann daran nicht festgehalten werden.
Der Entscheid der Vorinstanz erscheint in bezug auf die Aufrechnung eines Teils der an die I. GmbH ausgerichteten Beratungshonorare nicht offensichtlich als unrichtig. Das Bundesgericht hat darum keine Veranlassung, diese Frage von Amtes wegen näher zu prüfen. Auf den Antrag betreffend die Aufrechnung der Beratungshonorare kann aus diesen Gründen nicht eingetreten werden.
Im vorliegenden Fall kann die Frage offen bleiben, ob der Eidg. Steuerverwaltung in der Umschreibung ihrer Anträge in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine grössere Freiheit einzuräumen ist, wenn sie am kantonalen Verfahren nicht beteiligt war (vgl.
BGE 98 Ib 319
).
2.
/3.- (Feststellung, dass die zum Ausgleich des eingetretenen bzw. befürchteten Kursverlustes vorgenommenen Abschreibungen und Rückstellungen weder eine verdeckte Gewinnausschüttung noch eine Steuerumgehung darstellen.)
4.
Die Eidg. Steuerverwaltung und das Kantonale Steueramt weisen schliesslich darauf hin, dass sich die Aufrechnung der strittigen Rückstellung auch darum rechtfertige, weil diese Rückstellung geschäftsmässig nicht begründet sei.
Nach Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB sind Rückstellungen, die nicht geschäftsmässig begründet sind, zum Reinertrag hinzuzurechnen. Die bundesgerichtliche Praxis betrachtet Rückstellungen dann als geschäftsmässig begründet und somit steuerrechtlich zulässig, wenn sie zur Sicherung von unmittelbar drohenden Verlustgefahren vorgenommen werden. Geschäftsmässig nicht begründet sind jedoch Rückstellungen, die künftigen Risiken dienen (ASA 32, 484,
BGE 75 I 259
f. E. 2).
Im vorliegenden Fall nahm die Beschwerdeführerin die strittige Rückstellung vor, weil sie eine Entwertung des Dollarguthabens befürchtete. Rückstellungen dieser Art werden in der Literatur zum Teil auch als vorübergehende Wertberichtigungen
BGE 103 Ib 366 S. 371
bezeichnet (KÄNZIG, Kommentar, N. 80 und 85 zu Art. 22 Abs. 1 lit. b WStB, vgl. auch BLUMER/GRAF, Kaufmännische Bilanz und Steuerbilanz, 6. Aufl. 1977, S. 412). Eigentliche Rückstellungen können nach diesen Autoren nur gebildet werden für Verbindlichkeiten, und zwar für solche, die am Ende eines Geschäftsjahres bereits entstanden sind, aber ihrem Rechtsbestande oder ihrer Höhe nach nicht genau feststehen (KÄNZIG, Kommentar, N. 85 zu Art. 22 Abs. 1 lit. b WStB und N. 171 zu Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB, BLUMER/GRAF, a.a.O.).
Ob die Wertberichtigung, mit der die Unsicherheit des Dollarguthabens abgedeckt werden sollte, zu Recht als "Rückstellung" bezeichnet wird, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Solche Wertberichtigungen gelten nämlich unabhängig davon, wie sie genannt und systematisch eingeordnet werden, steuerrechtlich als zulässig, wenn sie zur Sicherung von unmittelbar drohenden Verlustgefahren vorgenommen werden und somit geschäftsmässig begründet sind.
Im vorliegenden Fall fiel der Wert des Dollars während der Bemessungsperiode (1971/72) von Fr. 4.33 auf Fr. 3.77, d.h. um 13% seines Wertes. Die meisten Prognosen gingen dahin, dass er im Laufe des Jahres 1973 weiter fallen werde. Aus diesem Grund hätte das Dollarguthaben am Bilanzstichtag vermutlich bereits nicht mehr zum Tageskurs abgetreten werden können. Mit ihrer Rückstellung wollte die Beschwerdeführerin ein Absinken des Dollarkurses um weitere 6,9%, d.h. bis auf den Stand von Fr. 3.51 abdecken. Diese Massnahme war aufgrund der damaligen Prognosen betreffend die Währungsentwicklung geschäftsmässig begründet und somit steuerrechtlich zulässig. Die Aufrechnung der strittigen Rückstellung verletzt daher Bundesrecht.
Es zeigte sich im übrigen, dass der Dollarkurs bis März 1973 15% des Kurswertes von Ende 1972 verloren hatte und auf den Stand von Fr. 3.20 abgesunken war. Die Schätzung des unmittelbar drohenden Kursverlustes blieb somit hinter dem bald nachher eintretenden tatsächlichen Verlust zurück. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f13a164f-7d41-4eed-a3d6-99b7f8d14c9e | Urteilskopf
107 Ib 380
67. Arrêt de la Ire Cour de droit public du 18 novembre 1981 dans la cause Kocher c. Commune d'Orbe et Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois (recours de droit administratif) | Regeste
Materielle Enteignung. Eigentumsbeschränkung, die nur einen einzigen privaten Eigentümer trifft.
Art. 22ter Abs. 3 BV
,
Art. 5 Abs. 2, 26 und 34 RPG
.
1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 34 RPG
ist auch dann gegeben, wenn die Eigentumsbeschränkung auf einer Raumplanungsmassnahme beruht, die vor der Inkraftsetzung des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes nach kantonalem Recht in Rechtskraft erwachsen ist (E. 1).
2. Materielle Enteignung: Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs; Zusammenfassung der Rechtsprechung (E. 2).
3. Beschränkung, die nur einen einzigen privaten Eigentümer trifft (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 380
BGE 107 Ib 380 S. 380
Gilbert Kocher est propriétaire d'une parcelle de 2122 m2,
BGE 107 Ib 380 S. 381
située au lieu dit "Sous le Signal", à Orbe. Cette parcelle comprend d'abord, à l'ouest, une partie plate sise à la hauteur de la route du Signal, puis une partie qui descend en une pente moyenne d'environ 60% et enfin, dans sa partie inférieure, une bande peu inclinée dont la largeur varie de 10 à 15 m et qui est limitée à l'est par le chemin de la Colline. A l'ouest de la route du Signal, d'où la vue s'étend sur toute la plaine et sur la ville d'Orbe, la commune a aménagé une zone de détente pour la population.
En 1976/77, la Municipalité d'Orbe a fait établir un projet de "plan d'extension partiel de la Magnenette", qui englobe notamment la parcelle Kocher et la parcelle voisine (No 2106) de même configuration et qui appartient à la commune; les autres parcelles comprises dans le périmètre du plan sont situées dans la partie inférieure du terrain.
Le plan fixe pour chaque parcelle le périmètre à l'intérieur duquel des bâtiments peuvent être édifiés. Ce périmètre se trouve généralement limité par les distances à observer par rapport aux limites des parcelles (généralement 6 m) et aux voies de communication (10 m, 7 m, ou 3 m 50, suivant l'importance des routes et chemins).
Pour la parcelle Kocher, le plan fixe le périmètre de construction au bas du talus, sous la forme d'un rectangle de 46 m sur 10 m; il en va de même de la parcelle voisine No 2106, propriété de la commune. Le reste de ces parcelles, notamment leur partie supérieure d'où la vue est la plus favorable, est classé en zone de verdure et en zone à arboriser, ce qui exclut toute construction.
Après s'être opposé sans succès au projet de plan, auquel il reprochait de ne lui permettre de construire que dans la partie la moins favorable de sa parcelle, Kocher a ouvert contre la commune d'Orbe une action en indemnisation pour expropriation matérielle, concluant principalement au transfert de la propriété de sa parcelle à la commune, subsidiairement au versement d'une indemnité en capital de 106'100 francs, correspondant à 50 francs le m2. Par jugement du 5 mars 1980, le Tribunal d'expropriation du district d'Orbe a admis partiellement la demande et condamné la commune à verser à Kocher une indemnité de 20'000 francs.
Saisi d'un recours de la commune d'Orbe, la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois a cassé la décision de première instance, estimant que les conditions d'une expropriation matérielle n'étaient pas remplies.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, Kocher
BGE 107 Ib 380 S. 382
demande au Tribunal fédéral d'annuler la décision de la Chambre des recours et conclut au paiement d'une indemnité de 63'660 francs; à titre subsidiaire, il propose le renvoi du dossier à l'autorité cantonale pour une nouvelle décision admettant l'expropriation matérielle.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Il y a lieu d'examiner tout d'abord si c'est bien par la voie du recours de droit administratif que la décision de la Chambre des recours du Tribunal cantonal devait être attaquée.
Selon l'art. 34 al. 1 de la loi fédérale du 22 juin 1979 sur l'aménagement du territoire (en abrégé: LAT), entrée en vigueur le 1er janvier 1980, la voie du recours de droit administratif est ouverte notamment "contre les décisions prises par l'autorité cantonale de dernière instance sur des indemnisations résultant de restrictions apportées au droit de propriété (art. 5)". L'
art. 5 LAT
auquel renvoie l'art. 34 prévoit, en son alinéa 2, qu'"une juste indemnité est accordée lorsque des mesures d'aménagement apportent au droit de propriété des restrictions équivalant à une expropriation". Le texte allemand emploie à cet endroit le terme "Planungen" et non celui qui correspond à "mesures d'aménagement" et précise à l'alinéa 1er qu'il s'agit de "Planungen nach diesem Gesetz" (plans selon la présente loi); quant au texte italien, il emploie aux deux alinéas l'expression "pianificazioni secondo la presente legge" (plans selon la présente loi). La Cour de céans a jugé récemment qu'il fallait entendre par là non seulement les plans qui sont entrés ou entrent en vigueur sous l'empire de la nouvelle loi fédérale et qui sont approuvés selon l'
art. 26 LAT
, mais aussi tous ceux qui contribuent à la réalisation de l'objectif constitutionnel de l'
art. 22quater Cst.
- à savoir: "assurer une utilisation judicieuse du sol et une occupation rationnelle du territoire" - et qui, de ce fait, rentrent dans le champ de la loi fédérale (décision préliminaire sur la recevabilité du recours d'une commune contre une décision cantonale admettant l'existence d'une expropriation matérielle, - dans une affaire qui n'est pas encore tranchée au fond; cf. sur ce point un arrêt ultérieur publié aux
ATF 107 Ib 229
consid. 1).
En l'espèce, la décision attaquée a été rendue le 28 novembre 1980, soit sous l'empire de la nouvelle loi fédérale. La restriction de propriété sur laquelle se fonde le recourant pour justifier sa
BGE 107 Ib 380 S. 383
demande d'indemnisation découle du plan d'extension partiel de la Magnenette, adopté par le Conseil communal d'Orbe le 10 novembre 1977 et ratifié par le Conseil d'Etat le 11 janvier 1978. En vertu de la jurisprudence précitée, ce plan doit être considéré comme une mesure d'aménagement au sens des
art. 5 al. 2 et 34 LAT
, de sorte que c'est bien la voie du recours de droit administratif qui était ouverte contre la décision de la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois du 28 novembre 1980.
2.
Selon la jurisprudence, il y a expropriation matérielle lorsque l'usage actuel de la chose ou un usage futur prévisible est interdit ou restreint d'une manière particulièrement grave, de telle sorte que le lésé se trouve privé d'un attribut essentiel dont il jouissait au nom de son droit de propriété. Une atteinte de moindre importance peut également constituer une expropriation matérielle si elle frappe une seule personne - ou quelques propriétaires seulement - de telle manière que, s'ils n'étaient pas indemnisés, ils devraient supporter un sacrifice par trop considérable en faveur de la collectivité (
ATF 106 Ia 372
consid. 2a,
ATF 101 Ia 469
et les arrêts cités).
La jurisprudence envisage ainsi deux cas dans lesquels une indemnité pour expropriation matérielle peut entrer en considération. Dans le premier cas, qui se fonde exclusivement sur la garantie de la propriété, c'est la substance même de ce droit, déterminée par rapport aux circonstances concrètes de l'espèce, qui est atteinte. Cette atteinte substantielle constitue à elle seule une expropriation matérielle (cf. PIERRE MOOR, Aménagement du territoire et propriété privée, dans RDS 1976 II 403 ss). Il est généralement admis qu'une interdiction de construire frappant des terrains équipés et situés en zone à bâtir constitue une telle atteinte grave au droit de propriété, qui doit être considérée, en principe, comme une expropriation matérielle (GRISEL, Droit administratif suisse, p. 405; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, p. 768 No 2199; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, vol. II No 130 p. 960), sous réserve éventuellement des réductions de surface de zones à bâtir trop largement dimensionnées.
La question est plus délicate de déterminer l'existence d'une expropriation matérielle dans la deuxième hypothèse envisagée par la jurisprudence. Celle-ci se réfère davantage au principe de l'égalité de traitement qu'à la garantie de la propriété, puisque aucune faculté essentielle découlant de ce droit n'est enlevée au propriétaire.
BGE 107 Ib 380 S. 384
Une indemnité ne sera due en pareil cas que si le sacrifice qu'une restriction impose à un propriétaire particulier le frappe à tel point, par rapport aux autres, que seule une compensation pécuniaire pourrait rétablir un certain équilibre.
L'expropriation matérielle alléguée par le recourant ne relève pas de la première hypothèse jurisprudentielle puisque, contrairement à ce qu'il paraît soutenir à titre principal, il n'est nullement privé d'un attribut essentiel de son droit de propriété. Il est en effet manifeste que les restrictions que le plan litigieux impose à la parcelle du recourant n'enlève pas à celui-ci ses possibilités de bâtir, ni ne les réduit quantitativement. Seul l'emplacement de sa construction est désormais déterminé de manière impérative, alors qu'il ne l'était auparavant que par les distances à respecter en vertu des dispositions ordinaires de la police des constructions. Ses prétentions relèvent donc de la deuxième hypothèse. Le Tribunal d'expropriation s'est, au demeurant, fondé sur celle-ci pour reconnaître le droit du recourant à une indemnité, dans la mesure où il a admis qu'il n'avait pas à faire seul les frais d'une restriction de propriété justifiée par l'intérêt public. C'est, dès lors, sous cet angle qu'il y a lieu d'apprécier le mérite du présent recours; le Tribunal fédéral examine librement si une atteinte déterminée à la propriété équivaut à une expropriation et fait naître, par conséquent, le droit à une indemnité pour expropriation matérielle (
ATF 106 Ia 372
consid. 2 et les arrêts cités).
3.
Le plan d'extension partiel de la Magnenette n'a pas modifié l'affectation des parcelles qu'il concerne. La parcelle du recourant demeure ainsi, comme les autres biens-fonds compris dans le plan, soumise en principe au régime de la zone de villas (art. 28 du règlement communal), avec les particularités prévues dans le règlement annexé au plan partiel. L'examen du plan révèle en outre que, sous réserve de la localisation imposée des places de parc et des garages, ce plan n'entraîne que des restrictions insensibles pour les propriétaires intéressés. Hormis la commune, propriétaire de la parcelle voisine, seul le recourant se voit imposer un périmètre d'implantation très réduit et strictement limité à la partie inférieure de son terrain, sur une surface maximale de 460 m2 représentant moins d'un quart de la surface totale. La commune d'Orbe paraît soutenir dans ses observations que cette restriction répond fondamentalement à la topographie de la parcelle; on pourrait dès lors penser
BGE 107 Ib 380 S. 385
qu'elle s'apparente à des mesures de police qui, en principe, n'entraînent pas l'obligation d'indemniser (
ATF 105 Ia 335
consid. 3b,
ATF 96 I 360
).
En réalité, la détermination d'un périmètre spécial pour la parcelle du recourant, de même que pour la parcelle voisine de la commune, a été décidée en vue d'atteindre un but d'intérêt public, soit la protection du site du Signal aménagé en zone de détente par la commune. Le traitement auquel le plan litigieux soumet le terrain du recourant a ainsi une portée analogue à la constitution d'une servitude qui grèverait d'une interdiction de bâtir tant la plate-forme supérieure, à la hauteur de la route du Signal, que le talus intermédiaire. Or, si l'inspection des lieux a démontré que la plate-forme supérieure paraît trop étroite pour recevoir une construction, il n'en va pas de même du talus intermédiaire. Il est au contraire apparu que, à priori, c'est là l'endroit qui serait le plus favorable à une construction du point de vue de l'exposition et des dégagements visuels, sous réserve des conditions techniques de réalisation. La possibilité d'y construire constituerait sans nul doute un élément de valorisation de la parcelle aux yeux de son propriétaire ou aux yeux d'un tiers acquéreur. L'état des lieux impose cette constatation, sans qu'il soit utile d'examiner les raisons pour lesquelles la commune avait promis de vendre la parcelle voisine - soumise au même régime que celle du recourant - à un prix inférieur à celui de ses terrains aliénés antérieurement dans la même région et sans qu'il faille se référer au plan d'implantation déposé par le recourant immédiatement avant la mise à l'enquête publique du plan d'extension partiel. S'il ne faut guère attacher d'importance à l'argumentation du recourant tirée du trafic automobile sur le chemin de la Colline, qui se termine en cul-de-sac et ne dessert qu'un nombre limité de parcelles, on doit reconnaître en revanche que la partie inférieure du terrain à laquelle se limite le périmètre de construction ne présente pas, en ce qui concerne les dégagements visuels, les avantages du talus intermédiaire. La présence d'une nouvelle construction sur la parcelle No 2114 à l'ouest du chemin de la Colline a permis à la délégation du Tribunal fédéral, lors de l'inspection des lieux, d'apprécier la réalité des inconvénients dont pâtirait un bâtiment construit dans le périmètre imposé au recourant, si les propriétaires inférieurs utilisaient, le plus avantageusement pour eux, les possibilités de construire qui leur sont reconnues par le nouveau plan. Les limitations du droit de construire que celui-ci fixe pour le seul recourant pourraient revêtir la forme d'un
BGE 107 Ib 380 S. 386
sacrifice particulier en faveur de la collectivité, si la possibilité de construire dans le talus se révélait réalisable sans frais excessifs; un tel sacrifice pourrait entraîner l'obligation d'indemnité, dans la mesure où il serait suffisamment important. L'autorité de première instance a admis l'existence d'une telle obligation, tandis que l'autorité de recours l'a niée; ni l'une ni l'autre n'a cependant procédé à une étude approfondie des possibilités de bâtir dans le talus et du coût d'une telle construction. Le dossier ne fournit en effet aucun élément concret de nature à permettre au Tribunal fédéral de se prononcer à ce sujet et, en définitive, de dire s'il y a ou non expropriation matérielle. Il appartiendra donc à l'autorité compétente d'examiner attentivement si la situation géologique et topographique du terrain permet d'édifier, sans frais excessifs, une construction dans le talus ou si au contraire elle rendrait une telle construction à ce point onéreuse qu'un propriétaire raisonnable y renoncerait d'emblée.
Seul cet examen permettra de dire si les restrictions du plan ont porté à l'usage du bien-fonds une atteinte suffisamment importante pour que l'on puisse admettre l'existence d'une expropriation matérielle. L'élévation à 0,4 de l'indice d'utilisation ne saurait jouer dans cette appréciation un rôle déterminant, dans la mesure où il s'agit là d'un avantage - au reste théorique pour le recourant - dont profitent aussi les autres propriétaires auxquels le plan n'impose aucune restriction sensible.
Ainsi la décision attaquée doit être annulée et l'affaire renvoyée à l'autorité cantonale de recours, à qui il incombera d'examiner si elle peut statuer elle-même sur le fond ou renvoyer au Tribunal d'expropriation.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule l'arrêt attaqué et renvoie l'affaire à l'autorité cantonale pour complément de l'état de fait et nouvelle décision. | public_law | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f13c4ecf-a333-4d09-b4ff-71485f54f1c9 | Urteilskopf
103 V 32
8. Urteil vom 10. März 1977 i.S. Eidgenössische Militärversicherung gegen Roedel und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 7 Abs. 1 MVG
.
Kürzung der Leistungen wegen grober Fahrlässigkeit des Versicherten: Begriff der groben Fahrlässigkeit und Kausalzusammenhang zwischen Fahrlässigkeit und Schaden. | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 103 V 32 S. 32
A.-
F. Roedel erhielt als Angehöriger der Pz Stabskp 26 am 28. November 1974 zwischen 05.30 und 06.00 Uhr den Auftrag, den ihm dienstlich anvertrauten leichten Geländelastwagen, der hinter der Stadthalle Bülach parkiert war, vor das Kantonnement zu fahren. Beim Gang zum Parkplatz stolperte er über das 65 cm hohe Betonmäuerchen, welches die in das Kellergeschoss führende Einfahrt zur Stadthalle sichert, und stürzte 2 1/2 m tief in diese Einfahrt hinunter. Dabei zog er sich schwere Schädel- und Gehirnverletzungen zu.
BGE 103 V 32 S. 33
Die vom militärischen Untersuchungsrichter angeordnete Blutanalyse ergab einen Alkoholgehalt von rund 1,03 Gewichtspromille. In seinem Untersuchungsbefund wies der Gerichtschemiker ausdrücklich auf folgende Umstände hin: "Blutentnahme nach 1 Std. Operation, massive Blutung, 5 Beutel Blut transfundiert + 1000 ml Plasmaersatzmittel." Die Frage nach dem Alkoholgehalt zur rechtlich relevanten Zeit liess er offen mit der Bemerkung, dass zur Interpretation des gefundenen Blutwertes genaue Angaben über Trink- und Zeitverhältnisse kurz vor dem kritischen Ereignis nötig seien. Zusätzliche Fragen der Militärversicherung nach dem Blutalkoholgehalt im Zeitpunkt des Unfalles beantwortete das Gerichtlich-Medizinische Institut am 11. August 1975 unter anderem in dem Sinne: Vor allem angesichts der erwähnten besondern Umstände lasse sich die Blutalkoholkonzentration für den kritischen Augenblick nicht bestimmen. Immerhin dürfe angenommen werden, dass sie nicht unter dem Analysenresultat liege, das unter Berücksichtigung der Fehlergrenzen einen Wert von 0,98 Gewichtspromille ergebe.
Am 5. November 1975 verfügte die Militärversicherung, dass sie die Barleistungen an Roedel gestützt auf
Art. 7 Abs. 1 MVG
um 15% kürze, weil dieser im Zeitpunkt des Unfalles "noch unter erheblichem Alkoholeinfluss stand" und weil "er diesen Zustand grobfahrlässig herbeigeführt hat". Hingegen würden die Heilungs- und Behandlungskosten im Rahmen der vertraglichen Abmachungen voll zu Lasten der Militärversicherung übernommen.
B.-
Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die von Roedel gegen die Kürzungsverfügung erhobene Beschwerde gut (Entscheid vom 2. Juli 1976).
C.-
Die Militärversicherung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Wiederherstellung ihrer Verfügung vom 5. November 1975.
Der Versicherte lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 7 Abs. 1 MVG
können die Leistungen der Militärversicherung gekürzt und in besonders schweren Fällen ganz verweigert werden, wenn der Versicherte die Gesundheitsschädigung
BGE 103 V 32 S. 34
vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat. Grobfahrlässig handelt nach der Rechtsprechung, wer jene elementarsten Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder vernünftige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgen würde, um eine nach dem natürlichen Lauf der Dinge voraussehbare Körperschädigung zu vermeiden (
BGE 98 V 228
). Im übrigen hat der Entscheid über die Leistungskürzung bzw. Leistungsverweigerung alle Umstände des einzelnen Falles, insbesondere die Grösse des Verschuldens und die wirtschaftliche Lage des Anspruchsberechtigten zu berücksichtigen (
Art. 7 Abs. 2 MVG
).
2.
Die Militärversicherung macht geltend, der Unfall habe sich auf dem normalen Weg vom Kantonnement zum Parkplatz ereignet, den der Beschwerdegegner genau habe kennen müssen. Jeder vernünftige Mensch, der die Verhältnisse kenne und bei stürmischem Wetter die erwähnte Strecke beschreiten müsse, hätte sich mit Rücksicht auf die Autoeinfahrt sorgfältig nach vorn getastet und wäre alsdann beim 65 cm hohen Betonmäuerchen zum Stillstand gekommen.
Nach den unwidersprochenen Feststellungen des kantonalen Richters herrschten völlige Dunkelheit und ein orkanartiger Wind, der von massiven Regengüssen begleitet war, als der Beschwerdegegner am Morgen des 28. November 1974 sich zum Parkplatz begab. Gegenüber dem militärischen Untersuchungsrichter hatte der Zeuge Wm S. ausgesagt: Die Beleuchtung auf dem Parkplatz habe nicht gebrannt. Es sei dort stockdunkel gewesen. Er selber habe die Mauer, über welche Roedel gestürzt sei, sehr schlecht gesehen: "Das einzige, was man auf diesem Platz sah, waren zwei helle Flecken von den Reflektoren des Pinzgauer." Dabei ist zu beachten, dass es bereits nicht mehr stark regnete, als S. sich etwa eine halbe Stunde nach dem Versicherten auf den Parkplatz begab. Umso schlimmer musste demnach die Sichtbehinderung für den Beschwerdegegner gewesen sein, als dieser unter strömendem Regen den Parkplatz aufsuchen wollte. Der Versicherte trug zudem eine Brille, ein Umstand, der bei massiven Regengüssen eine zusätzliche Behinderung darstellen kann. Bei diesen Sicht- und Witterungsverhältnissen hätte sich durchaus auch ein anderer Wehrmann in der Marschrichtung und in der Distanz täuschen können, so dass er selbst bei vorsichtiger
BGE 103 V 32 S. 35
Gangart unvermutet rasch auf das nur knapp Kniehöhe erreichende Mäuerchen gestossen wäre, das Gleichgewicht verloren hätte und in die Kellereinfahrt hinuntergestürzt wäre. Die Militärversicherung vermag aus
BGE 98 V 227
nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Denn der dort geschilderte, bei völliger Dunkelheit durchgeführte Sprung über eine 1,4 m breite Kellertreppe gegen ein höher gelegenes Schlafzimmerfenster lässt sich in keiner Weise mit dem Gang über den Platz vor einem öffentlichen Gebäude vergleichen. Ebenso wenig stichhaltig ist der Hinweis in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf den Fussgänger, der bei stürmischem Regenwetter mit dem Schirm unvorsichtig die Fahrbahn betritt und wegen der Witterung nicht auf den Verkehr achtet. Mit Recht macht der Beschwerdegegner demgegenüber geltend, dass jeder vernünftige Mensch wisse, dass er sich beim Betreten der Fahrbahn in einen Gefahrenbereich begibt, währenddem der Vorplatz vor der Stadthalle an sich noch bei weitem keine Gefahrenquelle darstellt.
Bloss darin, dass der Versicherte bei seinem Gang zum Parkplatz das Mäuerchen nicht beachtete, kann also keine kürzungsbegründende grobe Fahrlässigkeit erblickt werden.
3.
Zur Begründung der groben Fahrlässigkeit macht die Militärversicherung aber überdies geltend, der Beschwerdegegner habe unter - selbstverschuldetem - Alkoholeinfluss (mindestens 0,98 Gewichtspromille) gestanden, als er sich auf den Parkplatz begab.
Aus dem gutachtlichen Bericht des Gerichtlich-Medizinischen Institutes ist ersichtlich, dass die Blutentnahme zur Bestimmung des Alkoholwertes nach der einstündigen Operation erfolgt ist. Dazu führt der Gerichtsmediziner aus:
"Da der Blutverlust in unseren Akten quantitativ nicht erfasst ist und verschiedene therapeutische Massnahmen vor der Blutentnahme durchgeführt wurden, insbesondere Bluttransfusionen und Gabe von Plasma-Ersatzmitteln, ist es nicht mehr möglich, die Blutalkoholkonzentration für die Zeit des kritischen Ereignisses zu bestimmen. Immerhin darf angenommen werden, dass die Blutalkoholkonzentration zur rechtlich relevanten Zeit nicht unter dem Analysenresultat liegt, das unter Berücksichtigung der Fehlergrenzen einen Wert von 0,98 Gewichtspromille ergibt. Wir gehen dabei selbstverständlich davon aus, dass die verabreichten Bluttransfusionen frei von Alkohol waren. Wir haben deshalb versucht, auf Grund der angegebenen Zeit- und Trinkverhältnisse die mutmassliche Blutalkoholkonzentration zur rechtlich relevanten Zeit zu ermitteln. Der Angeschuldigte soll jeweilen
BGE 103 V 32 S. 36
6-7 Flaschen Bier zwischen 19.30 h und 24.00 h getrunken haben. Wegen der starken Schwankung der individuellen Abbauwerte (0,1-0,25 Promille pro Stunde) ergibt aber auch diese Berechnung recht unzuverlässige Werte. Sie liegen bei Annahme des Konsums von 7 Flaschen Lagerbier zwischen 0,45 und 1,95 Gewichtspromille, bei Annahme eines Konsums von 6 Flaschen Lagerbier zwischen 0 und 1,5 Gewichtspromille. Auf eine ausführliche Darstellung dieser Berechnung verzichten wir, da sie ohnehin kaum verwertbare Resultate ergibt."
Daraus muss geschlossen werden, dass der Annahme einer Blutalkoholkonzentration von 0,98 Gewichtspromille lediglich die Bedeutung einer Hypothese zukommt, welcher der im Sozialversicherungsprozess erforderliche Wahrscheinlichkeitswert fehlt.
Völlig unhaltbar ist die Behauptung der Militärversicherung, die Alkoholisierung des Beschwerdegegners ergebe sich auch daraus, dass er unmittelbar nach dem Unfall den Eindruck eines "Stockbesoffenen" gemacht und selber erklärt habe, er habe zu viel getrunken. - Beim Sturz zog sich Roedel ein Schädelhirntrauma mit rechtsseitiger Kalottenfraktur fronto-temporal, ein Epiduralhämatom an derselben Stelle und Stammhirnläsionen zu. Nachdem er kurz nach dem Unfall ins Wachtlokal zurückgekehrt war, verneinte er die Frage von Wm T., ob er angefahren worden oder umgefallen sei. Sowohl diesem Wehrmann gegenüber wie auch dem Gfr G. erklärte er, er sei auf dem Parkplatz gewesen, doch konnte er die Örtlichkeit nicht genauer bezeichnen. Dass er einen schweren Sturz erlitten hatte, wusste er offensichtlich nicht. Er klagte lediglich, er habe "soo einen Grind" und "er hätte zu viel getrunken, es sei nichts". Die gleichen Wehrmänner bestätigten übereinstimmend gegenüber dem Untersuchungsrichter aber auch, er habe sich vor dem Unfall völlig normal verhalten und nicht den Anschein eines Betrunkenen oder Angetrunkenen erweckt; er habe auch nicht nach Alkohol gerochen, während er - so Wm S. - nach dem Unfall "den Eindruck eines Stockbesoffenen" gemacht habe. Der schwer verletzte Versicherte war somit unfallbedingt gar nicht bewusstseinsorientiert, als er von sich selber behauptete, zu viel getrunken zu haben. Bei den geschilderten Gegebenheiten auf diese seine eigene Aussage abzustellen, geht nicht an. Dagegen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sein auffälliges Benehmen, das von den Zeugen als Betrunkenheit
BGE 103 V 32 S. 37
gedeutet wurde, in Wirklichkeit die Folge der erlittenen Schädelverletzung war.
Im übrigen ist überhaupt nicht erwiesen, dass Roedel am Vorabend des Unfalltages 6-7 Flaschen Bier getrunken hat. Gegenüber der Militärversicherung sagte E. am 5. Juni 1975, also ein halbes Jahr nach dem Ereignis zwar aus: "Ich stellte fest, dass er pro Abend, d.h. von ca. 20 bis 24 Uhr vielleicht seine 6-7 Flaschen Bier konsumiert hat." Dass dies auch am Vorabend der Fall gewesen wäre, vermochte er aber nicht konkret zu bestätigen, bemerkte er doch: "Ich stelle mir vor, dass er dieses Quantum auch am Abend vor seinem Unfall konsumiert haben könnte." Dabei handelt es sich offensichtlich um eine blosse Vermutung, denn E. selber traf den Versicherten an jenem Abend erst "im letzten besuchten Restaurant", konnte also der Militärversicherung keine zuverlässigen Angaben darüber machen, was Roedel während des ganzen Abends getrunken hatte.
Aber selbst wenn als erwiesen gelten könnte, dass der Beschwerdegegner am Vorabend tatsächlich 6-7 Flaschen Bier getrunken hat und die Blutalkoholkonzentration knapp 1%o betrug, so dürfte dieser Alkoholgehalt doch nicht als adäquate Teilursache des Unfalles betrachtet werden. Denn der Versicherte war anerkanntermassen alkoholgewohnt und alkoholtolerant. Somit rechtfertigt sich die Annahme, dass jedenfalls seine Grobreaktionen nicht wesentlich beeinträchtigt waren und dass der Beschwerdegegner, der auch nach den Zeugenaussagen vor dem Unfall einen normalen Eindruck machte, durchaus imstande war, ohne besonderes Unfallrisiko zu gehen. Daran ändert nichts, dass ihm die Fahrtüchtigkeit im viel komplizierteren und verantwortungsvolleren Bereich des Führens von Motorfahrzeugen allenfalls hätte abgesprochen werden müssen. Auch in dieser Sicht erweist sich die Leistungskürzung als unbegründet.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f13f185b-37e4-4816-a9f2-09e9029c867c | Urteilskopf
101 IV 177
45. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 21. Juni 1975 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Hans und Gisela Wolf | Regeste
Verbotener Nachrichtendienst.
1. Zuständigkeit. Einrichten und Betreiben eines verbotenen Nachrichtendienstes; Zweck des Verbotes. Mittäterschaft, fortgesetzte Delikte (Erw. I).
2. Militärischer Nachrichtendienst zum Nachteil fremder Staaten (
Art. 301 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
) und der Schweiz (
Art. 274 Ziff. 1 StGB
); politischer Nachrichtendienst gegen die Schweiz und ihre Einwohner (
Art. 272 StGB
); wirtschaftlicher Nachrichtendienst, Verhältnis zwischen
Art. 273 Abs. 1 und 2 StGB
. Schwere Fälle verbotenen Nachrichtendienstes. Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, Verhältnis zwischen
Art. 162 und 273 StGB
(Erw. II/1-5).
3. Urkundendelikte (
Art. 251-253 StGB
), Wahlfälschungen (
Art. 282 Ziff. 1 StGB
) und Widerhandlungen gegen das TVG (Art. 42 Abs. 1 lit. a) und gegen das ANAG (Art. 23 Abs. 1), die zur Tarnung eines verbotenen Nachrichtendienstes oder bei dessen Betreiben begangen wurden (Erw. II/6 und 7).
4. Betrug (
Art. 148 StGB
): Unrechtmässige Bereicherung als unerwünschte Nebenfolge eines verbotenen Nachrichtendienstes (Erw. II/8)?
5. Strafzumessung (
Art. 63 und 68 StGB
). Anrechnung der Untersuchungshaft (
Art. 69 StGB
). Landesverweisung (
Art. 55 StGB
). Einziehung von Gegenständen (
Art. 58 StGB
) und Verfall von Zuwendungen (
Art. 59 StGB
), die zur Begehung strafbarer Handlungen bestimmt waren oder diese fördern sollten (Erw. III). | Sachverhalt
ab Seite 178
BGE 101 IV 177 S. 178
A.-
Hans Wolf ist in Halle (DDR) aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die Ehe seiner Eltern wurde geschieden, als er vier Jahre alt war. Im zweiten Weltkrieg leistete er als Panzergrenadier Dienst, zuletzt im Grade eines Unteroffiziers. Nach Abschluss einer Schlosserlehre arbeitete er in Halle, bis 1949 als technischer Sachbearbeiter in der Bezirksverwaltung und dann bis 1966 als Leiter in einem volkseigenen Betrieb, der Waggons herstellt. Durch Fernstudium wurde er Maschinenbau-Ingenieur und Diplom-Wirtschaftler.
Gisela Wolf stammt ebenfalls aus Halle, wo sie 1943 die Schule mit der mittleren Reifeprüfung abschloss und bis 1966 lebte. Sie arbeitete dort zunächst als Arztgehilfin, dann in der Bezirksverwaltung und in den letzten vierzehn Jahren als Abteilungsleiterin und Redaktorin bei einer Tageszeitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Im Jahre 1953 studierte sie neben ihrer Berufsarbeit an der Universität Leipzig Journalistik und 1959/60 besuchte sie die SED-Parteischule in Ballenstedt.
Hans und Gisela Wolf lernten sich während des Krieges an einer Veranstaltung der Hitlerjugend kennen. Sie sind seit Mai 1949 miteinander verheiratet, haben aber keine Kinder. Seit
BGE 101 IV 177 S. 179
über 20 Jahren sind sie beide SED-Mitglieder; Hans Wolf zählt sich selber zum Kader der Partei.
B.-
1) Hans Wolf wurde Ende 1965 vom militärischen Nachrichtendienst der DDR gefragt, ob er eine illegale Aufgabe im Ausland übernehmen würde. Er erklärte sich hiezu bereit, wenn er seine Frau mitnehmen könne. Anfangs 1966 erkundigten sich zwei Beamte der DDR-Spionagezentrale auch bei Gisela Wolf nach ihrer Bereitschaft, sich im Ausland einsetzen zu lassen. Sie erhielt einen Fragebogen, in dem sie darauf hingewiesen wurde, dass der Einsatz illegal sei und dass sie und ihr Mann mit einer Freiheitsstrafe, im Kriegsfall sogar mit der Todesstrafe rechnen müssten, "wenn etwas schief ginge"; sie könnten sich die Sache noch überlegen. Einige Zeit später wurden die Eheleute Wolf nach Ost-Berlin eingeladen, wo sie sich in einer Wohnung mit dem für ihren Einsatz verantwortlichen Führungsoffizier "Werner" und einem weiteren Vertreter der Zentrale eingehend besprachen. Nach einem weiteren Tag Bedenkzeit sagten beide zu und verpflichteten sich unterschriftlich für zehn Jahre, wobei sie "unter Androhung einer hohen Strafe" versprechen mussten, über ihren Einsatz zu schweigen. Erst jetzt wollen sie erfahren haben, dass es sich um eine militärische Aufgabe handle.
In der Folge wurden Hans und Gisela Wolf nach Ost-Berlin aufgeboten, wo sie während 15 Monaten unter dem Namen Wagner für ihren Einsatz ausgebildet wurden. Die Ausbildung bezog sich insbesondere auf das Benehmen bei Treffen mit einem andern Agenten oder mit Angehörigen des Geheimdienstes, das Anlegen von toten Briefkästen und Signalstellen, das Ausforschen von Personen und auf das Verhalten bei Verhaftung. Sie umfasste ferner Sprachkurse, Unterricht im Fotografieren, Funken, Verschlüsseln und Entschlüsseln von Meldungen, Schreiben mit Kontaktpapier sowie Studium westlicher Belletristik und Zeitungen. Gisela Wolf hatte zudem Maschinenschreiben und Stenographie zu lernen.
Die Eheleute Wolf erfuhren schon während der Ausbildungszeit, dass sie für den Einsatz in der Schweiz vorgesehen waren; sie sollten hier unter dem Deckmantel eines gut bürgerlichen Ehepaares "eine illegale Residentur" aufbauen. Hans Wolf wurde darauf vorbereitet, unter dem Namen des Schweizers Hans Franz Kälin, der seit seiner Geburt im Jahre 1922 in Ost-Deutschland lebt, in der Schweiz zu wohnen und
BGE 101 IV 177 S. 180
zu arbeiten. Er erhielt zu diesem Zwecke eine auf den Schweizer passende Legende sowie zahlreiche auf Kälin lautende Papiere. Dazu gehörten insbesondere drei Geburtsurkunden, ein Schweizerpass, ein Ehefähigkeitszeugnis, eine Eheurkunde für Hans Kälin und Gisela Strach mit dem Vermerk, dass deren Ehe seit 21. Juni 1966 rechtskräftig geschieden sei, ferner ein Scheidungsurteil samt einer Vereinbarung über eine einmalige Abfindung, ein Abgangszeugnis, mehrere Urkunden über bestandene Prüfungen, drei Arbeitszeugnisse sowie verschiedene Führerscheine.
Gisela Wolf hatte sich mit den persönlichen Verhältnissen der Ursula Meissner vertraut zu machen, die am 25. Juli 1924 in Rosslau (Sachsen) geboren wurde, 1952 in den Westen flüchtete und von der Bundesrepublik Ausweispapiere erhielt, später aber wieder verschwand. Gisela Wolf bekam auf diese Person lautende Papiere, insbesondere einen Personalausweis der Bundesrepublik, eine Geburtsurkunde und ein Ehefähigkeitszeugnis, eine Eheurkunde der Eltern Meissner, sieben Arbeitszeugnisse sowie zahlreiche Bescheinigungen über Versicherungen, besuchte Schulen oder bestandene Prüfungen.
2) Am 11. Oktober 1966 reisten die Eheleute Wolf auf Weisung der Zentrale für vier Tage nach Zürich, um schweizerische Lebensbedingungen und Verhältnisse kennenzulernen. Sie verwendeten dabei falsche Ausweise.
Im April 1967 bewarb Hans Wolf sich schriftlich bei einer Stellenvermittlung in Zürich um eine "leitende Tätigkeit in Produktion oder Technik, Betriebsorganisation einschliesslich Datenverarbeitung, Planung, Entwicklung und Forschung auf Juni/Juli 1967". Gisela Wolf übersiedelte im Juni 1967 auf Weisung der Zentrale, von der sie zunächst DM 3'000.-- und später monatlich DM 600.-- erhielt, nach Freiburg im Breisgau, um sich dort als Ursula Meissner in westliche Verhältnisse einzuleben. Mit einem auf diesen Namen lautenden Personalausweis fuhr sie im Sommer 1967 nach Zürich und erkundigte sich bei der Stellenvermittlung nach den Arbeitsaussichten des Hans Kälin.
Am 7. August 1967 reiste Hans Wolf mit einem gefälschten Schweizerpass in die Schweiz ein und nahm in Zürich als Hans Kälin Wohnsitz. Einen Tag später überbrachte ihm seine Frau im Auftrag "Werners" DM 500.-- sowie Chiffrierunterlagen für den Funkverkehr mit der Zentrale. Von Freiburg
BGE 101 IV 177 S. 181
fuhr sie in der Folge noch mehrmals nach Zürich, wobei sie sich an der Grenze jeweils als Ursula Meissner auswies. Als solche verlegte sie im Februar 1968 den Wohnsitz zu ihrem Manne, der seit 1. Dezember 1967 in Effretikon wohnte und bereits seit 21. August 1967 als Ingenieur bei der Firma Sulzer in Winterthur arbeitete.
Am 8. Februar 1968 meldeten sie beim Zivilstandsamt Illnau das Eheversprechen an, wobei Hans Wolf sich mit einem Familienschein, einem Scheidungsurteil und einem Schriftenempfangsschein als Hans Kälin auswies. Gisela Wolf gab sich als Ursula Meissner aus und legte eine Geburtsurkunde, eine Aufenthaltsbescheinigung der Stadt Freiburg i.Br., ein von dieser Stadt ausgestelltes Ehefähigkeitszeugnis sowie eine Eheurkunde der Eltern Meissner vor. Am 1. März 1968 liessen sie sich als Hans Kälin und Ursula Meissner trauen.
Als angebliche Schweizerbürger nahmen sie in der Folge an Wahlen und Abstimmungen teil. Das Kreiskommando Zürich liess den Rückwanderer "Hans Kälin" bereits am 14. November 1967 zur militärischen Aushebung aufbieten. Er wurde für diensttauglich befunden und in eine HD-Truppe eingeteilt, hatte aber keinen Dienst zu leisten, auch nicht beim Zivilschutz, dem er nach seiner Entlassung aus der Wehrpflicht im Februar 1973 zugeteilt wurde.
Auch Gisela Wolf interessierte sich für eine Stelle bei der Firma Sulzer. Sie fand sie in der Abteilung "Information und Public Relations", wo sie vom 1. April bis 1. August 1968 halb und dann ganztägig arbeitete.
3) Hans und Gisela Wolf verfügten über zwei Kofferradios (PLATA und BRAUN), mit denen sie Sendungen der Zentrale empfangen konnten. Im September 1968 übernahmen sie von "Werner" in Jugoslawien ein erstes Sende- und Empfangsgerät, das in einem Benzinkanister versteckt war. Da sie damit angeblich keine Verbindungen mit der Zentrale herstellen konnten, wollen sie es auf deren Weisung zerlegt und die Teile bei Oberwies (ZH) in einen Wald geworfen haben. Im Herbst 1970 und 1971 erhielten sie vom Funker der Zentrale in Zürich je ein weiteres Gerät (UNIT AN). Das zweite vergruben sie in einem Wald bei Winterberg (ZH) als Reservefunkanlage; das dritte gaben sie dem Funker im Frühjahr 1972 in Zürich zurück, als er ihnen das vierte überbrachte. Dieses versteckten sie im Doppelboden einer eigens
BGE 101 IV 177 S. 182
hiefür hergerichteten antiken Truhe, die Hans Wolf bereits am 4. Oktober 1970 an der Grenze abgeholt und im Schlafzimmer seiner Frau aufgestellt hatte. Zusammen mit den Geräten bekamen sie ferner eine Betriebsanleitung sowie verschiedene Decknamen- und Schlüsseltabellen für den Funkverkehr. Für schriftliche Berichte an die Zentrale verfügten sie über zwei Arten von Kontaktpapier, um den Text unsichtbar zu machen. Erhielten sie solche Texte, so standen ihnen als Aspirin getarnte Chemikalien zur Verfügung, um die Schrift sichtbar zu machen.
Hans und Gisela Wolf besassen ausserdem eine vielseitige Photoausrüstung. Dazu gehörten insbesondere zwei Apparate, wovon einer Kleinstaufnahmen ermöglichte, ein Belichtungsmesser, ein Elektronen-Blitzgerät, je zwei Nahlinsen, Sonnenblenden und Draht-Auslöser, ein Stativ, Entwicklungsmaterial sowie Sicherheitsfilme, die nur etwas ergeben, wenn sie nach einem geheimen Verfahren entwickelt werden. Um auf Mikrofilmen aufgenommene Texte lesen zu können, kauften sie je ein Taschen- und ein Tisch-Mikroskop.
Die Zentrale lieferte den Eheleuten Wolf zahlreiche Gebrauchsgegenstände mit geheimen Fächern oder Behältern, nämlich die bereits erwähnte Truhe, einen Tennisschläger, zwei Schmuckkassetten, je eine Schachtel für ein Massagegerät, Schönheitsartikel und für Zigaretten, zwei Schreibmappen, ein Intarsienbild aus Holz, eine Sporttasche und einen Plattenspieler. Sie liess ihnen ferner eine Anzahl Verschlüsse übergeben, um weitere Geheimfächer oder -behälter anfertigen zu können. Im Geheimfach der Truhe hielten sie, ausser der Funkanlage, insbesondere auf den Namen Friedl lautende Pässe, Personalausweise und Führerscheine versteckt, welche ihnen die Flucht erleichtern sollten. Für den Fall einer unmittelbaren Gefahr hatte die Zentrale mit ihnen zudem zwei verschiedene Alarmsysteme vereinbart.
Zu Beginn ihres gemeinsamen Aufenthaltes in der Schweiz erhielten die Eheleute Wolf von der Zentrale mindestens Fr. 10'000.-- womit sie insbesondere Möbel und einen gebrauchten Personenwagen kauften. Am 28. Februar 1968 eröffnete Frau Wolf unter dem Namen Ursula Kälin bei der Zürcher Kantonalbank in Effretikon ein laufendes Konto, auf das sie Fr. 2'000.-- einzahlte und später auch ihre Guthaben bei einer Sparkasse in Freiburg i.Br. von insgesamt Fr. 3'257.29 überweisen
BGE 101 IV 177 S. 183
liess. Das Konto wurde am 10. Februar 1969 aufgehoben. Vom 11. Dezember 1968 an unterhielten sie als Eheleute Kälin-Meissner beim Schweizerischen Bankverein in Winterthur das Einlagekonto Nr. 728.028, das sie nur mit Lohngeldern gespiesen haben wollen. Es wies am 21. September 1973 einen Saldo von Fr. 9'155.-- auf. Darin inbegriffen war angeblich ein Guthaben der Zentrale, die ihnen für den Kauf eines neuen Toyota-Personenwagens ein Darlehen von Fr. 7'000.-- gewährte. Bei der Bank für Handel und Effekten in Zürich liess die Zentrale am 25. Februar 1969 durch einen Dritten ein Nummernkonto 10775 mit dem Kennwort Sonntag errichten, über das u.a. auch Hans Wolf verfügen durfte. Mittels Checks hob seine Frau unter dem Namen Berger von diesem Konto zwischen Mitte Januar 1970 und 21. Februar 1971 insgesamt Fr. 32'909.-- ab, die sie teilweise für nachrichtendienstliche Zwecke verwendeten. Seit ihrer Ausreise im Jahre 1967 erhielten Hans und Gisela Wolf von der Zentrale ferner für ihre Tätigkeit im Ausland monatlich je 600 Ostmark, die sie ihrem Gehaltskonto in der DDR gutschreiben liessen.
Ihr Jahresgehalt bei der Firma Sulzer betrug 1968 zusammen Fr. 28'830.--, 1972 Fr. 64'400.-- und 1973 noch Fr. 47'950.--. Da Hans Wolf als Hans Kälin angeblich seit 17. Mai 1966 geschieden und Vater von drei Kindern war, zahlte ihm die Firma Sulzer von 1967 bis 1972 insgesamt Fr. 2'480.-- Kinderzulagen.
4) Hans und Gisela Wolf sollten sich in der Schweiz einrichten, um in Krisenzeiten insbesondere militärische Nachrichten aus der Bundesrepublik und aus andern Nato-Staaten weitergeben zu können. Sie hatten aber auch militärische, politische und wirtschaftliche Nachrichten über die Schweiz zu senden. Nach einem schriftlichen Auftrag, den sie zusammen mit zahlreichen andern Papieren in der Truhe versteckt hielten, verlangte die Zentrale von ihnen eine "kontinuierliche Informationslieferung" über die Planung, Organisation und praktische Erprobung der schweizerischen Landesverteidigung, die Entwicklung neuer Waffen, das Rüstungswesen sowie über die militärische Zusammenarbeit mit neutralen oder Nachbarstaaten. Die Zentrale interessierte sich ferner für Massnahmen zur Wahrung der Neutralität, die Haltung der Schweiz zur europäischen Sicherheitskonferenz und zur Anerkennung der DDR, für innenpolitische Entwicklungen, das
BGE 101 IV 177 S. 184
Meldewesen, die Überwachung der Ausländer und die Grenzkontrolle, für Forschungsunterlagen über den Motorenbau des Sulzer-Konzerns, dessen Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik sowie für marktstrategische Hinweise. Ein weiterer schriftlicher Auftrag mit zahlreichen Einzelfragen, welche angeblich "für die ständige Diskussion mit Lindner" (= Firma Sulzer) von Interesse waren, betrafen die elektronische Datenverarbeitung (EDV), die "Materialökonomie", den Einsatz von Werkstoffen und aussenwirtschaftliche Probleme.
Hans Wolf empfing mit dem Kofferradio PLATA schon kurz nach der Einreise Funksprüche seiner Auftraggeber. Die Zentrale übermittelte ihm zu vereinbarten Zeiten und auf wechselnden Frequenzen Sendungen in Morsezeichen, die er mit Hilfe der Schlüssel in einen Text zu übertragen hatte. Später benutzte er den Kofferradio BRAUN für den Empfang der chiffrierten Funksprüche, die teils Aufträge oder dienstliche Weisungen enthielten, teils bloss der Übung dienten und die Eheleute Wolf an die ständige Anwesenheit der Zentrale erinnern sollten. Mit den UNIT AN-Geräten konnte Hans Wolf Sendungen nicht bloss empfangen, sondern auch selber durchgeben, selbst im Freien, wo er die Geräte an die Autobatterie anschloss. Um der Überwachung möglichst zu entgehen, hatte er die Funksprüche zunächst in Morsezeichen auf Tonband aufzunehmen und dann in wenigen Sekunden zu übermitteln. Hans Wolf hat von dieser Möglichkeit wiederholt Gebrauch gemacht, angeblich aber nur zu Übungszwecken, da die Geräte vor allem für Krisenzeiten bestimmt gewesen seien.
Gisela Wolf liess der Zentrale im Einvernehmen mit ihrem Mann mindestens alle vier bis sechs Wochen Briefe zukommen, die sie mit Deckadressen in Ost-Berlin und mit beliebig aus dem Telephonbuch gegriffenen Absendern versah. Auf Dienstreisen sandte sie ihr über solche Adressen Kartengüsse als Zeichen dafür, dass die Reise gut verlaufe. Mit Karten unterrichtete sie auch ihren Mann, wenn sie sich allein auf Reisen befand. Deckadressen benutzte sie ferner für Telegramme, insbesondere wenn sie kurzfristig einen Termin z.B. für eine Reise in die DDR, ein Treffen mit dem Instrukteur oder Kurier oder für eine besondere Funksendung zu bestätigen hatte. Im schriftlichen Verkehr mit der Zentrale verwendeten die Eheleute Wolf oft Kontaktpapier, das ihnen unsichtbare Mitteilungen ermöglichte.
BGE 101 IV 177 S. 185
Während ihres Aufenthaltes in der Schweiz kamen Hans und Gisela Wolf, sei es einzeln oder miteinander, zudem wiederholt mit Angehörigen der Zentrale, namentlich mit dem Führungsoffizier, dem Funker und dem Instrukteur zusammen, um mündlich zu berichten, technisches Material oder Aufträge entgegenzunehmen. Solche Treffen fanden auch im Ausland statt, vor allem in Ost-Berlin. Auf Weisung der Zentrale legten sie in Zürich und Radolfzell drei tote Briefkasten mit je einer Ausweich- und einer Signalstelle an. Einen weitern in Konstanz hatten sie im Auftrage der Zentrale auf seine Zweckmässigkeit zu prüfen. Eine der beiden Ablagen in Zürich haben sie wiederholt mit Berichten auf Mikrofilmen bedient, die für die Zentrale bestimmt waren. Sie haben dort auch schriftliche Meldungen entgegengenommen. Über den Zeitpunkt, an dem die Ablage zu bedienen oder zu leeren war, wurden sie über Funk unterrichtet. Die Zentrale sandte ihnen ferner direkt Briefe mit scheinbar harmlosen Texten, die sie gemäss Code-Tabellen auszulegen hatten. Verschleierte Mitteilungen, z.B. über Objekte von besonderem Interesse, liess ihnen die Zentrale auch durch den Kurier auf Mikrofilmen zukommen.
C.-
Am 12. September 1973 wurden Hans und Gisela Wolf in Winterthur festgenommen und in Untersuchungshaft gesetzt. Im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren, das daraufhin gegen sie eingeleitet wurde, liess der Bundesanwalt zahlreiche Beweisgegenstände sicherstellen und insbesondere die Guthaben auf dem Nummernkonto 10775 von DM 9'585.-- und Fr. 10'907.-- sowie den Saldo von Fr. 9'155.-- auf dem Einlagekonto Nr. 728.028 beschlagnahmen. Der Untersuchungsrichter beschränkte diese Massnahme beim Saldo auf Fr. 5'000.--, hielt sie im übrigen aber aufrecht.
Die Firma Sulzer stellte am 2. November 1973 gegen Hans und Gisela Wolf Strafantrag wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, machte im Verfahren jedoch keine Schadenersatzforderungen geltend.
Am 3. Juli 1974 ermächtigte der Bundesrat die Strafbehörden, die Eheleute Wolf wegen politischen, Wirtschaftlichen und militärischen Nachrichtendienstes, militärischen Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten und Wahlfälschung zu verfolgen (
Art. 105 BStP
und
Art. 302 StGB
). Er vereinigte
BGE 101 IV 177 S. 186
zudem die Verfahren in der Hand der Bundesbehörden (
Art. 344 Ziff. 1 StGB
).
Nach Abschluss der Voruntersuchung erhob der Bundesanwalt am 20. Februar 1975 Anklage. Er beschuldigte:
Hans und Gisela Wolf des fortgesetzten Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten im Sinne von
Art. 301 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
, des fortgesetzten militärischen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 274 Ziff. 1 Abs. 1 und 4 StGB
, des fortgesetzten politischen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 272 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 StGB
, des fortgesetzten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 273 Abs. 1, 2 und 3 StGB
sowie des fortgesetzten unvollendeten und in einem Falle des vollendeten Versuchs dazu (Art. 273 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 und 22 Abs. 1 StGB), der Verletzung des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses (
Art. 162 Abs. 1 StGB
) sowie des fortgesetzten unvollendeten und in einem Fall vollendeten Versuchs dazu (Art. 162 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 und 22 Abs. 1 StGB), der fortgesetzten Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1, 2 und 3 und teilweise Ziff. 2 StGB), der fortgesetzten Erschleichung einer falschen Beurkundung (
Art. 253 Abs. 1 und 2 StGB
), der Fälschung von Ausweisen (
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB
), der fortgesetzten Wahlfälschung (
Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
), der fortgesetzten Hans Wolf ferner des Betruges (
Art. 148 Abs. 1 StGB
) und Gisela Wolf der Fälschung von Ausweisen im Sinne von
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 StGB
.
Die Anklagekammer des Bundesgerichtes liess am 26. März 1975 die Anklage gegen beide Beschuldigte im vollen Umfange zu.
Zu Beginn der Hauptverhandlung ergänzte der Bundesanwalt die Anklageschrift dahin, dass er Hans und Gisela Wolf bezüglich der von ihnen verwendeten Ausweisschriften, Zeugnissen und Bescheinigungen eventualiter der Urkundenfälschung im Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
beschuldigte; er fügte bei, dass diese Sachverhalte bereits verjährt wären, wenn man sie bloss als Fälschungen von Ausweisen im Sinne des
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB
würdigen wollte.
D.-
Der Bundesanwalt beantragt:
1.- Die beiden Angeklagten im Sinne der Anklage und deren Ergänzung schuldig zu sprechen.
2.- Hans Wolf unter Anrechnung von 555 Tagen Untersuchungshaft zu acht Jahren Zuchthaus, Gisela Wolf unter Anrechnung von 645 Tagen Untersuchungshaft zu sieben Jahren Zuchthaus zu verurteilen.
BGE 101 IV 177 S. 187
3.- Beide Angeklagten für fünfzehn Jahre des Landes zu verweisen.
4.- Die gemäss besonderen Verzeichnissen beschlagnahmten Beweisgegenstände in Anwendung von Art. 274 Ziff. 2, 301 Ziff. 2 und
Art. 58 StGB
einzuziehen und der Bundesanwaltschaft zu Instruktionszwecken zu überlassen.
5.- Die Guthaben von Fr. 10'968.-- und DM 7'550.-- auf dem Nummernkonto 10775 bei der Bank für Handel und Effekten in Zürich sowie den Saldo von Fr. 5'000.-- auf dem Einlagekonto Nr. 728.028 beim Schweizerischen Bankverein in Winterthur in Anwendung von
Art. 59 Abs. 1 StGB
der Eidgenossenschaft als verfallen zu erklären.
E.-
Der Verteidiger beantragt:
1.- Beide Angeklagten von der Anklage des fortgesetzten militärischen und politischen Nachrichtendienstes gegen die Schweiz, Hans Wolf zudem von der Anklage des Betruges freizusprechen.
2.- Dem Verfahren wegen Fälschung von Ausweisen keine weitere Folge zu geben.
3.- Die Angeklagten Hans und Gisela Wolf schuldig zu sprechen des fortgesetzten Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten, des fortgesetzten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes sowie des Versuchs dazu, der fortgesetzten Urkundenfälschung, der fortgesetzten Erschleichung einer falschen Beurkundung, der fortgesetzten Wahlfälschung, der fortgesetzten Widerhandlung gegen das Telegraphen- und Telephonverkehrsgesetz, der fortgesetzten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer.
4.- Hans und Gisela Wolf zu einer gleich langen Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren, unter voller Anrechnung der Untersuchungshaft, sowie zu Landesverweisung und zu den Kosten des Verfahrens zu verurteilen.
5.- Die beschlagnahmten Gegenstände in Anwendung von
Art. 58 StGB
einzuziehen.
Erwägungen
Das Bundesstrafgericht hat erwogen:
I.
I.1.
Verbotener Nachrichtendienst im Sinne von Art. 272 bis 274 und 301 StGB sowie Fälschungen bei eidgenössischen Wahlen oder Abstimmungen im Sinne von
Art. 282 StGB
unterstehen gemäss
Art. 340 Ziff. 1 Abs. 5 StGB
der Bundesgerichtsbarkeit. Dieser Gerichtsbarkeit unterliegen ferner die Verletzungen des Fernmelderegals (
Art. 42 und 43 TVG
). Zuständig ist das Bundesstrafgericht (
Art. 342 StGB
).
Im übrigen ist im vorliegenden Fall nach Auffassung der Bundesbehörden kantonale Gerichtsbarkeit gegeben, insbesondere
BGE 101 IV 177 S. 188
auch für alle den Angeklagten vorgeworfenen Urkundendelikte. Mit Bezug auf gefälschte, verfälschte oder erschlichene Urkunden, die tatsächlich oder angeblich von einer Behörde oder einem Beamten des Bundes ausgestellt worden sind (wie z.B. der Schweizerpass Nr. 0187716 und teilweise auch das Dienstbüchlein), trifft das freilich nicht zu (vgl.
BGE 96 IV 163
Erw. 1 und dort angeführte Urteile). Das ändert an der Zuständigkeit des Bundesstrafgerichtes jedoch nichts, da der Bundesrat durch Beschluss vom 3. Juli 1974 die Verfolgung und Beurteilung aller Straftaten, die Gegenstand der Anklage sind, gemäss
Art. 344 Ziff. 1 StGB
in der Hand des Bundesgerichtes vereinigt hat. Die Parteien haben in der Hauptverhandlung denn auch ausdrücklich erklärt, dass sie gegen die Zuständigkeit des Bundesstrafgerichtes nichts einzuwenden haben.
I.2.
Nach Art. 272 und 274 wie auch nach
Art. 301 StGB
wird insbesondere bestraft, wer einen im Sinne dieser Bestimmungen verbotenen Nachrichtendienst einrichtet oder betreibt.
Unter Einrichten sind alle Vorbereitungen zu verstehen, die den geheimen Nachrichtendienst ermöglichen und ihn nach aussen sichern sollen. Solche Vorbereitungen trifft insbesondere, wer wie die Angeklagten sich als Agent ausbilden und einsetzen lässt, in der Schweiz "eine illegale Residentur" aufbaut und sich die Mittel, die dafür notwendig oder nützlich sind, verschafft und sie zum Gebrauch bereithält. Dazu gehörten im vorliegenden Falle namentlich die Empfangs- und Sendegeräte samt den zugehörigen Anleitungen und Code-Tabellen, die umfassende Photoausrüstung und die chemischen Mittel, um Schriften unsichtbar und sichtbar zu machen, ferner die Zahlreichen Gebrauchsgegenstände mit geheimen Fächern oder Behältern, die Legenden samt den falschen oder erschlichenen Ausweisschriften, Zeugnissen usw. sowie die Vorschüsse der Zentrale. Die Angeklagten haben sich mit all diesen Mitteln für ihre geheime Nachrichtentätigkeit vorbereitet, sich in ihrer Wohnung für die sichere Übermittlung und Entgegennahme von Meldungen eingerichtet.
Verbotenen Nachrichtendienst im Sinne der angeführten Bestimmungen betreibt, wer die ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten benützt, um Meldungen weiterzugeben oder entgegenzunehmen. Das kann über Radio, Funk und
BGE 101 IV 177 S. 189
tote Briefkästen, aber auch durch Wechsel von Briefen oder Karten im gewöhnlichen Postverkehr und bei Treffen mit andern Angehörigen des Geheimdienstes geschehen. Unter den Begriff des Betreibens fallen ferner das Ausforschen von Tatsachen, das Sammeln, Sichten und Auswerten von Meldungen sowie alle notwendigen Begleithandlungen. Nicht erforderlich ist, dass diese Tätigkeiten sich auf Geheimnisse beziehen. Es genügt, dass die vermittelten oder zu vermittelnden Meldungen Tatsachen betreffen, die nicht allgemein bekannt sind. Gegenstand des Nachrichtendienstes können sogar Tatsachen sein, die einer örtlich begrenzten Öffentlichkeit bekannt sind, von Aussenstehenden, insbesondere von fremden Staaten, jedoch nur durch einen besonderen Erkundungs- oder Meldedienst zu erfahren sind. Ebenso kann ein Nachrichtendienst auf die Ermittlung und Meldung einer Gesamtheit von Tatsachen ausgehen, die zwar einzeln bekannt sind, insgesamt aber nur durch besondere Vorkehren miteinander verglichen, überprüft und ausgewertet werden können (
BGE 61 I 412
,
BGE 80 IV 83
Erw. 1,
BGE 82 IV 163
).
Dem Betreiben brauchen nicht notwendig Vorbereitungen im Sinne des Einrichtens vorauszugehen. Das Gesetz behandelt die beiden Arten von Handlungen als selbständige Tatbestände, die freilich eng zusammenhangen oder ineinander übergehen, aber auch unabhängig voneinander erfüllt werden können. Das Gesetz ergänzt sie zudem, indem es wegen verbotenen politischen und militärischen Nachrichtendienstes auch bestraft, wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet. Hiefür genügt nach ständiger Rechtsprechung, dass das Verhalten des Beteiligten sich irgendwie in die Kette der Handlungen einreihen lässt, die gesamthaft das Einrichten oder den Betrieb des Nachrichtendienstes ausmachen. Darunter fallen selbst Handlungen, die unter dem Gesichtspunkt des angestrebten Enderfolges bloss Vorbereitung, Versuch, Anstiftung oder Beihilfe wären; sie gelten als vollendete Delikte (
BGE 61 I 414
,
BGE 65 I 332
,
BGE 66 I 113
,
BGE 74 IV 202
,
BGE 80 IV 82
,
BGE 82 IV 163
und zahlreiche nicht veröffentlichte Urteile des Bundesstrafgerichtes).
Diese Rechtsprechung entspricht dem Zweck der
Art. 272, 274 und 301 StGB
. Er besteht darin, den im verbotenen Nachrichtendienst liegenden Übergriff fremder Behörden, Parteien oder ähnlicher Organisationen in schweizerische Gebietshoheit
BGE 101 IV 177 S. 190
abzuwehren, die Spitzeltätigkeit in allen Stadien und Formen zu bekämpfen (
BGE 74 IV 204
; vgl. ferner
BGE 71 IV 218
; Botschaft des Bundesrates zum sog. Spitzelgesetz vom 21. Juni 1935, BBl 1935 I 742ff.; THILO, JdT 1935 I 516). Eine besonders gefährliche Form nimmt der Übergriff an, wenn eine ausländische Behörde, wie hier, ausgebildete Agenten unter falschen Namen in die Schweiz einschleust und technisch ausrüstet, damit sie sich hier als angebliche Schweizer für ihre Aufgabe einrichten, von einem Grossunternehmen anstellen lassen und eine auf die Dauer geplante, geheime Nachrichtentätigkeit entfalten. Richtet sich der verbotene Nachrichtendienst gegen die Schweiz (Art. 272 bis 274 StGB), so ist gemäss
Art. 4 StGB
auch die im Ausland begangene Tat strafbar.
I.3.
Die Angeklagten wurden zusammen nicht bloss auf ihre Agententätigkeit vorbereitet und von der Zentrale während Jahren betreut, sondern handelten auch nach gemeinsamen Aufträgen. Laut ihren eigenen Angaben teilten sie zudem die Arbeit unter sich auf. Zur Aufgabe des technisch begabten Angeklagten gehörte insbesondere, dass er Sendungen der Zentrale mit den Radioapparaten empfing, die Funkanlage bediente, Dokumente fotografierte und Geheimfächer oder -behälter öffnete, wenn es etwas zu verstecken gab. Die als Journalistin ausgebildete Mitangeklagte hatte dagegen vor allem die schriftlichen Berichte zu verfassen und weiterzugeben. Soweit die Tätigkeit des einen mit den Vorstellungen des anderen sich im wesentlichen deckte, sie also bewusst zusammenarbeiteten, sind sie daher nach den ihnen zukommenden Rollen und Aufgaben als Mittäter zu behandeln, ohne dass ihre Beteiligung im einzelnen ausgeschieden zu werden braucht (vgl.
BGE 96 IV 169
Erw. 7).
Ihre verbotene Agententätigkeit samt den Vorbereitungen beruhte ausserdem auf einheitlichen Willensentschlüssen. Die Angeklagten kamen in die Schweiz, um hier die der Zentrale gegenüber eingegangene Verpflichtung zu erfüllen. Da ihre strafbaren Handlungen sich ferner gegen gleiche Rechtsgüter richteten, ist fortgesetzte Begehung anzunehmen. Im Fortsetzungszusammenhang verübte Taten werden rechtlich ohne Rücksicht auf die Einzelhandlungen wie eine Straftat behandelt. Dass sämtliche Einzelhandlungen unter die gleiche Strafandrohung fallen, ist für die Annahme eines fortgesetzten
BGE 101 IV 177 S. 191
Deliktes nicht erforderlich; es genügt, dass sie den gleichen gesetzlichen Tatbestand erfüllen oder Begehungsformen desselben Verbrechens oder Vergehens darstellen (
BGE 91 IV 66
Erw. a und dort angeführte Urteile). Im vorliegenden Fall erübrigt sich daher, zwischen unvollendetem und vollendetem Versuch sowie vollendeter Tat zu unterscheiden. Das gilt nicht bloss für die Delikte des politischen und militärischen Nachrichtendienstes, sondern grundsätzlich auch für die übrigen Straftaten, Der Bundesanwalt wirft den Angeklagten denn auch durchwegs fortgesetzte Begehung vor.
II.
II.1.
Gemäss
Art. 301 Ziff. 1 StGB
wird unter anderem mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer im Gebiete der Schweiz für einen fremden Staat zum Nachteil eines andern fremden Staates einen militärischen Nachrichtendienst einrichtet.
Die Angeklagten hatten nach ihren eigenen Angaben in der Schweiz eine "Residentur für Verbindung und Versorgung" aufzubauen, um in Krisen- oder Kriegszeiten insbesondere Nachrichten militärischer Natur aus der Bundesrepublik Deutschland oder andern Nato-Staaten an ihre Auftraggeber in der DDR weitergeben zu können. Der Angeklagte hätte diesfalls den Funkverkehr übernommen, seine Frau den Kurierdienst besorgt. Sie sind zu diesen Zwecken nicht bloss ausgebildet und in die Schweiz geschickt worden, sondern haben mit den ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln, wozu namentlich Unterlagen über die Nato-Streitkräfte und die deutsche Bundeswehr gehörten, sich in Effretikon auch bewusst und gewollt auf ihre Aufgabe vorbereitet.
Dadurch haben sie im Gebiete der Schweiz für einen fremden Staat, nämlich die DDR, zum Nachteil von Nato-Staaten einen militärischen Nachrichtendienst im Sinne von
Art. 301 StGB
eingerichtet, einen Tatbestand dieser Bestimmung somit objektiv und subjektiv erfüllt. Die Angeklagten geben dies denn auch zu. Ob sie gewusst haben, dass ihre Handlungen die Beziehungen der Schweiz zum Ausland stören und fremden Staaten schaden könnten, ist unerheblich;
Art. 301 StGB
setzt weder eine solche Störung noch einen Schaden, folglich auch kein entsprechendes Wissen oder Wollen voraus (nicht
BGE 101 IV 177 S. 192
veröffentlichtes Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 5. November 1953 i.S. Roessler und Schnieper Erw. 5 und 8).
Dass die Angeklagten einen militärischen Nachrichtendienst im Sinne von
Art. 301 StGB
betrieben haben, wird ihnen nicht vorgeworfen. Der Bundesanwalt macht ihnen namentlich keinen besonderen Vorwurf daraus, dass sie vom Instrukteur angeblich ohne nähere Begründung ersucht worden sind, sich unter Decknamen, die sie notierten, an zwei Personen in der Bundesrepublik zu wenden und dass sie diesem Gesuch in einem Falle entsprochen haben.
II.2.
Wer für einen fremden Staat zum Nachteil der Schweiz militärischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, wird gemäss
Art. 274 Ziff. 1 StGB
mit Gefängnis oder mit Busse bestraft; in schweren Fällen kann auf Zuchthaus erkannt werden.
Die Angeklagten bestreiten, sich im Sinne dieser Bestimmung schuldig gemacht zu haben. Sie machen geltend, weder ihre Aufgabe noch die bereits getroffenen Vorbereitungen seien gegen die Schweiz gerichtet gewesen, da sie bloss Nachrichten aus Nato-Staaten weiterleiten sollten. Was sie über schweizerische Belange berichteten, habe den Rahmen eines zulässigen Nachrichtendienstes nicht überschritten und zudem nur der Übung gedient.
a) Dass der besondere Erkundungs- und Meldedienst der Angeklagten samt deren Vorkehren sich auch gegen die Schweiz richtete, kann indes schon nach dem allgemeinen Auftrag, den sie in der Truhe versteckt und offensichtlich von der Zentrale erhalten haben, nicht zweifelhaft sein. Laut diesem Schriftstück interessierten ihre Auftraggeber sich für "eine kontinuierliche Informationslieferung" aus der Schweiz, und zwar vorweg für Meldungen über militärische und militärpolitische Sachfragen. Dazu gehörten insbesondere Angaben über die Planung, Organisation und die praktische Erprobung der Landesverteidigung, über die Entwicklung der Waffentechnik, das Rüstungswesen, die Artillerie, die Fliegerabwehr, die Führung von Kampfhandlungen durch Computer sowie über den Rüstungspool und die sonstige militärische Zusammenarbeit mit andern neutralen Staaten.
Die Angeklagte charakterisierte den schriftlichen Auftrag in der Untersuchung zutreffend als Rahmenkonzept der Zentrale
BGE 101 IV 177 S. 193
für ihnen Meldedienst, und zwar nicht bloss auf militärischem, sondern auch auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Im Gegensatz zum Mitangeklagten, der sich aufs Leugnen verlegte oder nach Ausreden suchte, gab sie im Verfahren ferner zu, dass der Auftrag ihnen von "Werner" oder dem Instrukteur übergeben worden sei, dass er sich auch auf schweizerische Verhältnisse bezogen habe und dass seine handschriftlichen Ergänzungen von ihrem Manne stammen könnten. In der Hauptverhandlung schloss sie sich dagegen der Behauptung des Mitangeklagten an, der Auftrag sei ihnen wahrscheinlich von Dritten unterschoben worden. Diese Behauptung verdient jedoch keinen Glauben, zumal aus weiteren Schriftstücken klar erhellt, dass die Schweiz in die Aufgabe der Angeklagten miteinbezogen worden ist, diese auch über schweizerische Militärverhältnisse berichten sollten. Das ergibt sich namentlich aus den Code-Tabellen zu den Objekten in Zell (= Kaspar Escher-Haus Zürich, wo sich u.a. die kantonale Militärdirektion befindet) und Bremen (= EMD Bern) sowie aus dem vom Angeklagten selber notierten Decknamen Waldemar für WK (Wiederholungskurs). Die Angeklagte machte in der Untersuchung kein Hehl daraus, dass mehrere Abteilungen dieser Tabellen ausschliesslich militärische Belange der Schweiz betrafen. Der Angeklagte seinerseits anerkannte, dass sie für ihn bestimmt waren. Er machte sich davon denn auch eigenhändig Abschriften, weil die Mikrofilme mit den Code-Tabellen für seine Augen Gift gewesen seien.
b) Nach dem Beweisergebnis haben die Angeklagten einen militärischen Nachrichtendienst zum Nachteil der Schweiz nicht bloss eingerichtet, sondern bewusst und gewollt auch betrieben. Freilich kann ihnen das Betreiben nur in beschränktem Umfange nachgewiesen werden. Das liegt in der Natur des Falles begründet, ändert aber nichts daran, dass die Angeklagten nach ihren eigenen Angaben für eine militärische Aufgabe ausgebildet und eingesetzt worden sind, dass sie unbekümmert um ihre Tätigkeit im Kriegs- oder Krisenfall periodisch zu berichten hatten und während rund 5 1/2 Jahren über schweizerische Verhältnisse auch regelmässig berichtet haben, dass ihre Auftraggeber zum militärischen Nachrichtendienst der DDR gehörten, sich folglich vorweg für militärische Belange interessierten. Dieses Interesse erhellt z.B. daraus, dass sie von der Zentrale schon 1968 angewiesen worden
BGE 101 IV 177 S. 194
sind, mit dem Militärpublizisten Oberst X. womöglich in Verbindung zu bleiben und näher an ihn heranzukommen.
Ob schon die Übermittlung von angeblich belanglosen Meldungen zu Übungszwecken als Betreiben eines Nachrichtendienstes zu werten ist, kann offen bleiben. Die Angeklagten haben nicht bloss "Spielmaterial", wie Frau Wolf sich in der Hauptverhandlung ausdrückte, für ihre Meldungen verwendet. Das Studium und das Auswerten westlicher Zeitungen und Zeitschriften, auch schweizerischer, gehörte zu ihrer Ausbildung. Sie mussten solche lesen, um ihr Wissen zu erweitern. Sie haben in der Schweiz denn auch mehrere Blätter und Schriften abonniert, teils sogar auf ausdrückliche Weisung der Zentrale; dies traf z.B. auf die "Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift" zu. Die Berichte, welche die Angeklagte "meist nach Absprache" mit ihrem Mann alle 4-6 Wochen an die Zentrale schrieb, beruhten nach Aussagen von Frau Wolf freilich zum Teil auf Wissen, das sie sich durch das Zeitungsstudium erwarben, teils aber auch auf eigenen Feststellungen. Die Angeklagte erklärte dies in der Untersuchung zutreffend damit, wenn man lange Zeit in einem Lande lebe, lerne man die Dinge mit den Augen dieses Landes zu sehen, und das sei (von der Zentrale) als wichtig erachtet worden. Wenn etwas Besonderes vorlag, sollte sie öfter schreiben. Sie räumte übrigens ein, dass ihre Berichte für die DDR "nicht unwichtig" gewesen seien.
In diesem Sinne berichtete die Angeklagte im Einvernehmen mit ihrem Manne, "der sehr viel Zeitung las", regelmässig u.a. über militärische Verhältnisse in der Schweiz. Die Berichte umfassten jeweils 2-4 Seiten und gaben "überwiegend Stimmungen und Ideologien wieder". Sie betrafen Themen wie z.B. "Kriegsdienstverweigerer", "Der Schweizer und seine Armee" und enthielten Angaben über Linkstendenzen in der Armee, Massnahmen gegen Dienstverweigerer und bei Disziplinarverstössen, ferner über Besonderheiten der Milizarmee, die persönliche Ausrüstung, die Zahl und Dauer der Wiederholungskurse und deren administrative Vorbereitung, über die Offiziersausbildung und die soziale Stellung des Offiziers. Andere Meldungen, die anhand des verwendeten Kohlepapiers teilweise ermittelt werden konnten, bezogen sich auf den neuen Rüstungschef, auf "erregte Diskussionen" über das Zivilverteidigungsbuch und "Ansätze einer beginnenden Autoritätskrise"
BGE 101 IV 177 S. 195
beim Militär, wobei auf beiliegende "Proben und Artikel" verwiesen wurde. Weitere Meldungen lauteten dahin, dass die Jugend in der äusserst harten Ausbildung, die oft aus preussischem Schliff bestehe, keinen Sinn mehr sehe, dass Bekannte unzufrieden aus dem WK zurückkehrten und Z. der Kopf der harten Linie zu sein scheine.
Dass die Berichte sich teilweise auf Zeitungsartikel oder andere Veröffentlichungen stützten, befreit die Angeklagten nicht. Es entsprach durchaus ihrer Aufgabe und der Meinung ihrer Auftraggeber, dass sie z.B. Artikel wie "Die Konzeption der militärischen Landesverteidigung" (NZZ vom 9. November 1971) oder die NZZ-Broschüre "Schweizerische Gesamtverteidigung - Beiträge zu einem strategischen Konzept 1971" studierten, sie mit anderen Publikationen oder eigenen Erkundigungen und Beobachtungen verglichen. Zu einer Änderung der Rechtsprechung besteht umsoweniger Anlass, als sie insbesondere auch einen Vortrag, Flugblätter von Extremisten und Schriften berücksichtigten, die wegen ihrer bloss lokalen oder fachtechnischen Bedeutung auf einen kleinen Personenkreis beschränkt blieben. Aus den auf diese Weise gewonnenen Eindrücken verfasste die Angeklagte nach Besprechung mit ihrem Mann aber selbständige Berichte, die auf die Interessen ihrer Auftraggeber zugeschnitten waren, wie die Auswertung der Kohlepapiere zeigt, jedoch sehr verschiedene Einzelheiten enthielten. Darin sind besondere Vorkehren im Sinne der Rechtsprechung (
BGE 80 IV 83
Erw. 1 und 82 IV 163 mit Zitaten) zu erblicken, mit denen die Angeklagten eine ausländische Amtsstelle über nicht allgemein bekannte Tatsachen unterrichteten. Dadurch unterscheidet der verbotene Nachrichtendienst sich denn auch vom erlaubten internationalen Pressedienst, der in der Regel offen betrieben wird, jedermann unterrichten will und nicht auf ein planmässiges Ausforschen im Interesse eines fremden Staates ausgerichtet ist (vgl.
BGE 74 IV 204
sowie nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 5. November 1953 i.S. Roessler und Schnieper Erw. 2 und 4).
c) Ob ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 274 Ziff. 1 StGB
vorliegt, hängt von den dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen sowie von den gesamten Tatumständen ab, die bei der Abwägung des Verschuldens zu berücksichtigen sind (
BGE 73 IV 113
; vgl. ferner
BGE 95 IV 26
Erw. c).
BGE 101 IV 177 S. 196
Die Wertungen des Gesetzes ergeben sich aus dem geschützten Rechtsgut und dem weitgespannten Strafrahmen, der von Busse bis zu zwanzig Jahren Zuchthaus reicht, obschon sich die Strafnorm nicht auf die Verletzung militärischer Geheimnisse erstreckt (vgl.
Art. 86 MStG
); auch bei schweren Fällen genügt, dass der Nachrichtendienst militärischer Natur ist (
BGE 97 IV 122
und dort angeführte Urteile). Die Angeklagten und ihre Auftraggeber interessierten sich freilich auch für solche Geheimnisse; das muss insbesondere nach dem allgemeinen Auftrag und der handschriftlichen Notiz des Angeklagten über das "SLAR-Seitensichtfunkmessgerät" und die "Harrier-Entwicklung" angenommen werden. Ein Verrat militärischer Geheimnisse konnte den Angeklagten jedoch nicht nachgewiesen werden und wird ihnen auch nicht vorgeworfen. Die Schwere des Falles ist denn auch nicht im Wert der übermittelten Nachrichten, sondern in den Vorbereitungen und im Vorgehen der Angeklagten zu erblicken. Diese wurden für ihre Tätigkeit allseitig ausgebildet und umfassend ausgerüstet, von einer ausländischen Behörde während Jahren betreut und finanziell unterstützt und schreckten selber vor keinem Mittel zurück, um andere über ihre Identität und Agententätigkeit zu täuschen. Es liegt ein besonders schwerer Übergriff in schweizerische Gebietshoheit vor, der nicht bloss von langer Hand vorbereitet und auf lange Sicht geplant war, sondern im Falle kriegerischer Ereignisse die Sicherheit und Interessen des Landes in hohem Masse gefährden konnte.
II.3.
Nach
Art. 272 StGB
wird insbesondere mit Gefängnis bestraft, wer im Interesse eines fremden Staates zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet (Ziff. 1). In schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Ein solcher Fall ist z.B. anzunehmen, wenn der Täter falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden (Ziff. 2).
a) Die Wendungen "im Interesse eines fremden Staates" und "zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen" haben sowenig wie beim militärischen Nachrichtendienst den Sinn, dass die gemeldeten oder zu meldenden Tatsachen den ausländischen Behörden tatsächlich nützen und der Schweiz oder Inländern schaden. Sie bedeuten bloss, dass der verbotene
BGE 101 IV 177 S. 197
Nachrichtendienst für einen fremden Staat betrieben und gegen die Schweiz, ihre Angehörigen, Einwohner oder Organisationen gerichtet sein muss. Auch aus eigenem Antrieb gelieferte Nachrichten kommen in Betracht; es genügt, dass sie für ausländische Stellen bestimmt sind und nicht bloss offenkundige Tatsachen betreffen. Das können Stimmungsberichte über allgemeine politische Verhältnisse und Entwicklungen, aber auch Mitteilungen über Einzelpersonen, insbesondere über deren politische Tätigkeit oder Einstellung sein (
BGE 74 IV 203
,
BGE 80 IV 88
,
BGE 82 IV 163
/4; Geschäftsbericht des Bundesrates 1942 S. 182, 1943 S. 212).
b) Die Angeklagten haben neben dem militärischen auch einen politischen Nachrichtendienst gegen die Schweiz eingerichtet. Das ergibt sich vorweg aus ihrem allgemeinen Auftrag, den sie sich in diesem Zusammenhang ebenfalls vorhalten lassen müssen. Danach interessierte die Zentrale sich insbesondere für die Rolle und Haltung der Schweiz zur europäischen Sicherheitskonferenz, für die inoffizielle Beurteilung von Krisenherden durch schweizerische Politiker und Militärs, für die Anerkennung der DDR durch die Schweiz und die dabei zu erwartenden Auswirkungen sowie für innenpolitische Entwicklungen.
Dass die Tätigkeit der Angeklagten gegen die Schweiz gerichtet war, erhellt ferner aus ihren Berichten, deren politische Themen übrigens weitgehend dem schriftlichen Auftrag entsprachen. So schrieb die Angeklagte im Einvernehmen mit ihrem Manne z.B. an die Zentrale, dass die Sulzer-Giesserei zu mehr als 90% aus Fremdarbeitern bestehe und in dieser Firma im Zusammenhang mit der Schwarzenbach-Initiative eine Fremdenfeindlichkeit aufgetreten sei, die sie wegen ihrer Sprache ebenfalls zu spüren bekommen habe, dass der Ausländeranteil aus politischen Gründen nicht mehr gesteigert werden solle, dass die DDR alte Schulden begleichen müsse, wenn sie mit der Anerkennung durch die Schweiz rechnen wolle, dass die Einstellung zur DDR dem beigefügten Artikel aus der Lokalpresse entspreche, dass die Schweiz starke Sympathien für Israel hege und die gängige Meinung zu Helsinki dahin laute, "nur dem Osten nicht trauen", dass das Misstrauen gegen alles Fremde zunehme und die proisraelische Stimmung komplett sei, dass man in Zürich einen neuen Spionagefall aufgedeckt habe, dass das Büro A. die grösste Agentur
BGE 101 IV 177 S. 198
für Public Relations in der Schweiz, aber nicht überall beliebt sei, weil es zum Meinungsmanipulator werden könne. Die Angeklagte stützte sich dabei vor allem auf eigene Wahrnehmungen und Hauszeitungen der Firma Sulzer oder Unterlagen, die sie von ihrem Vorgesetzten erhielt.
c) Angaben dieser Art, welche die Angeklagten der Zentrale in "Lageberichten über aktuelle Geschehnisse" zukommen liessen, sind strafrechtlich freilich nicht von besonderer Bedeutung. Schwerer wiegt dagegen, dass die Angeklagten über Einzelpersonen berichteten. Das Betreiben des politischen Nachrichtendienstes ist daher vorwiegend darin zu erblicken, dass beide Angeklagten die Zentrale über persönliche Verhältnisse, insbesondere von Angestellten der Firma Sulzer und deren Angehörigen, einlässlich unterrichteten. Auffallend ist dabei, dass sie sich durchwegs über Leute äusserten, die entweder als Flüchtlinge aus dem Osten kamen, mit Oststaaten geschäftlich zu tun hatten, beruflich oder militärisch besondere Stellungen einnahmen oder charakterliche Schwächen zeigten. Das ist kein Zufall. Die Erfahrung lehrt, dass östliche Geheimdienste gerade solche Umstände auszuforschen oder auszunützen pflegen. Die Angeklagten wurden im Ausforschen persönlicher Verhältnisse denn auch ausgebildet, weil die Zentrale sich "für wichtige Leute", namentlich deren Stellung, politische Gesinnung und Privatleben besonders interessierte (es folgen Bespiele).
Die Angeklagten wollen die Zentrale über Bekannte, Vorgesetzte und Mitarbeiter allerdings nur aus Vorsicht und im Interesse der eigenen Sicherheit unterrichtet haben. Diese Behauptung verdient indes keinen Glauben, zumal die Angeklagte in der Untersuchung zugegeben hat, dass sie sich bei jedem Treffen mit "Werner" erneut über alle Personen äussern musste, um neue Erkenntnisse zu melden. Dazu kommt, dass die meisten Personen von der Zentrale Decknamen erhielten. Unglaubwürdig ist ferner der Einwand, dass die Angeklagten ihre Aufgabe, über bekannte Personen zu berichten, angeblich nur widerwillig erfüllten, mag die sog. "Personenabschöpfung", wie sie der Bundesanwalt ihnen vorhält, auch zu den verabscheuungswürdigsten Tätigkeiten eines Spions gehören. Der Einwand wird insbesondere widerlegt durch einen Satz, der in einem Bericht der Angeklagten aus dem Jahre 1969 enthalten war und dem dabei verwendeten Kohlepapier entnommen
BGE 101 IV 177 S. 199
werden konnte. Die Angeklagte schrieb damals der Zentrale, dass sie und ihr Mann sich immer wieder den Kopf zerbrächen, wie sie aus ihren Kontakten mit interessanten Personen mehr Nutzen ziehen könnten.
d) Die Schwere des Falles im Sinne von
Art. 272 Ziff. 2 StGB
ergibt sich, wie beim militärischen Nachrichtendienst gegen die Schweiz, vor allem aus den Vorbereitungen und dem Vorgehen der Angeklagten. Es kann daher auf bereits Gesagtes verwiesen werden (hiervor Ziff. II/2/c). Ergänzend hervorzuheben ist, dass die Ausbildung der Angeklagten und deren Ausrüstung, insbesondere mit falschen Papieren, zum vorneherein auch auf politischen Nachrichtendienst ausgerichtet waren. Als angebliche Schweizer haben die Angeklagten das Vertrauen Ahnungsloser zudem bedenkenlos ausgenützt, um über Bekannte, Vorgesetzte und Mitarbeiter Einzelheiten zu erfahren, für die ihre Auftraggeber sich interessierten.
II.4.
Gemäss
Art. 273 StGB
wird bestraft, wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis auskundschaftet, um es insbesondere einer fremden amtlichen Stelle oder ihren Agenten zugänglich zu machen (Abs. 1), ferner wer ihnen ein solches Geheimnis zugänglich macht (Abs. 2). Die Freiheitsstrafe lautet auf Gefängnis, in schweren Fällen auf Zuchthaus und kann mit Busse verbunden werden (Abs. 3).
a) Die Tatbestände des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes sind erheblich enger gefasst als diejenigen des politischen und militärischen. Es ist darin weder von Einrichten, Anwerben oder Vorschubleisten, noch von Betreiben überhaupt, sondern bloss von Auskundschaften und Zugänglichmachen die Rede. Diese Tätigkeiten müssen sich zudem auf Geheimnisse beziehen. Der Begriff des Geschäftsgeheimnisses ist nach der Rechtsprechung zu
Art. 273 StGB
freilich weit auszulegen, da er nach dem Sinn und Zweck der Bestimmung alle Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens erfasst, an deren Geheimhaltung nach schweizerischer Auffassung ein schutzwürdiges Interesse besteht und die deshalb dem Auslande gegenüber geschützt werden sollen (
BGE 98 IV 210
Erw. a mit Zitaten). Er unterscheidet sich dadurch vom gleichlautenden Ausdruck in
Art. 162 StGB
und
Art. 13 lit. f UWG
.
Das Auskundschaften im Sinne von Abs. 1 muss in der Absicht geschehen, das Geheimnis einer fremden amtlichen Stelle oder ihren Agenten zugänglich zu machen. Der Vorsatz
BGE 101 IV 177 S. 200
des Verrates gemäss Abs. 2 ist somit bereits im Tatbestand des Abs. 1 enthalten. Es fragt sich, ob deswegen das Zugänglichmachen als blosse Nachtat zu betrachten, ein Täter folglich einzig nach Abs. 1 zu bestrafen ist, wenn er ein Geheimnis nicht nur auskundschaftet, sondern auch weitergibt.
Gegen eine Realkonkurrenz spricht, dass das Gesetz beide Straftaten mit der gleichen Strafe bedroht. Dass es sie, wie im nicht veröffentlichten Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 30. Juni 1949 i.S. Vitianu ausgeführt worden ist, als verschiedene Tatbestände behandelt, die unabhängig voneinander erfüllt werden können, steht dem nicht entgegen; Abs. 2 war nötig, weil es auch Fälle ohne vorgängiges Auskundschaften geben kann (
BGE 85 IV 141
). Tut der gleiche Täter jedoch beides, so handelt er im Fortsetzungszusammenhang, der eine Realkonkurrenz zwischen Abs. 1 und 2 ausschliesst. Zuzugeben ist, dass dieser Zusammenhang unterbrochen werden, der Täter z.B. die Absicht des Verrates vorübergehend aufgeben kann. Das darf bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, rechtfertigt aber noch keine Bestrafung nach beiden Bestimmungen, zumal diese bloss verschiedene Begehungsformen desselben Deliktes enthalten. Diese Auffassung deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu den Tatbeständen der Urkundenfälschung und des Gebrauchs einer falschen Urkunde, bei denen es sich ähnlich verhält (
BGE 95 IV 73
Erw. b und c,
BGE 96 IV 167
). Sie entspricht zudem der im Schrifttum vorherrschenden Meinung (vgl. insbes. HAFTER, Festgabe Fleiner S. 213, Strafrecht Bes. Teil S. 674; THORMANN/OVERBECK, N. 8 zu
Art. 273 StGB
; anderer Auffassung: LOHNER, ZStR 1967 S. 155/6).
b) Die Angeklagte hat nach eigenen Angaben im Frühjahr 1973 an ihrem Arbeitsplatz die Listen über die sog. erwähnenswerten Bestellungen des ersten Quartals in mehreren Malen entwendet, sie zuhause vom Ehemann auf einen Sicherheitsfilm aufnehmen lassen und diesen an die Zentrale weitergegeben. Da der Film sich als unbrauchbar erwies, wiederholte sie die Tat. In der gleichen Absicht eignete sie sich im Sommer 1973 die Listen des zweiten Quartals an und liess sie vom Mitangeklagten fotografieren, konnte den Film wegen der Verhaftung aber nicht mehr der Zentrale zugänglich machen. Die Angeklagte hat ferner zugegeben, im Juli oder August 1973 im Büro ihres Vorgesetzten einen Protokollentwurf,
BGE 101 IV 177 S. 201
der vertrauliche Beschlüsse der Sulzer-Konzernleitung über die laufende Geschäftsführung enthielt, weggenommen und fotokopiert zu haben. Sie liess die Kopie zuhause vom Ehemann in einem Geheimfach verstecken, konnte sie wegen ihrer Verhaftung aber nicht mehr der Zentrale übergeben.
Bei der Haussuchung wurden in einem Geheimfach zwei Zettel gefunden, auf denen der Angeklagte im Sommer 1973 Angaben über drei Grossaufträge der Firma Sulzer aufgezeichnet hatte. Er musste sich damals an seinem Arbeitsplatz angeblich mit diesen Aufträgen befassen und wollte, wie er in der Hauptverhandlung zugab, die Zentrale darüber unterrichten. Seine Aufzeichnungen betrafen einen vom Sulzer-Konzern zu erwartenden Auftrag für ein Kernkraftwerk in Westdeutschland, einen Lizenzvertrag mit Bulgarien für den Bau einer Dieselmotorenfabrik sowie einen Planungsauftrag über den Bau einer Turbinenfabrik in China.
c) Nach den Zeugenaussagen muss angenommen werden, dass der Entwurf des Sitzungsprotokolls als geheim galt, weil er über wichtige Geschäfte und Beschlüsse des Konzerns Auskunft gab und nur für dessen Leitung bestimmt war. Dass der Vorgesetzte der Angeklagten eine Kopie erhielt, ändert nichts; er durfte von deren Inhalt nur im Rahmen seiner Aufgabe Gebrauch machen und musste die Kopie nachher vernichten. Als Geschäftsgeheimnisse sind auch die Angaben in den Bestell-Listen zu werten, die nach einem darauf angebrachten Vermerk einzig für den internen Gebrauch aufgestellt, bloss in etwa 70 Exemplaren ausgefertigt und in Winterthur nur an Abteilungsleiter abgegeben wurden. Dass die Listen auch auswärtigen Sulzer-Gesellschaften zugestellt wurden, um sie über die Tätigkeit des Konzerns zu unterrichten, steht der Annahme von Geheimnissen nicht im Wege. Die Listen durften auch auswärts nicht beliebig weitergegeben werden, sondern waren überall vertraulich zu behandeln (vgl.
BGE 97 IV 119
/20). Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung übrigens anerkannt, dass die Listen vertraulichen Charakter hatten und dass sie sich dessen bewusst war.
Grossaufträge werden nach dem Beweisergebnis bei der Firma Sulzer vor allem im Vorbereitungs- und Planungsstadium, wo geschäftspolitische Fragen abzuklären sind, geheim behandelt. Das war gemäss den Zeugenaussagen auch bei den
BGE 101 IV 177 S. 202
Anfragen aus Deutschland, Bulgarien und China der Fall. Im Jahre 1973 wussten nur wenige Leute um diese geplanten Geschäfte; sie waren insbesondere auch von der Abteilung "Organisation und Datenverarbeitung", mit welcher der Angeklagte damals eng zusammenarbeitete, vertraulich zu behandeln. Der Angeklagte war sich dessen offensichtlich bewusst, da er sich die Geschäfte heimlich notierte und die Zettel zuhause in einem Geheimfach versteckte, um sie bei nächster Gelegenheit an die Zentrale weiterzugeben. Mit Rücksicht auf ihre geschäftspolitischen Angaben muss übrigens angenommen werden, dass sowohl die Unterlagen über die Grossaufträge wie die Bestell-Listen und das Sitzungsprotokoll nicht bloss Geschäftsgeheimnisse gemäss
Art. 273 StGB
, sondern im engen Sinne des Art. 162 enthalten haben.
d) Indem die Angeklagte sich an ihrem Arbeitsplatz rechtswidrig die Bestell-Listen des ersten und zweiten Quartals 1973 sowie ein Sitzungsprotokoll aneignete, um deren Inhalt der Zentrale zukommen zu lassen, machte sie sich, wie sie im Verfahren und in der Hauptverhandlung anerkannte, des verbotenen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 273 StGB
schuldig. Sie ist für ihre Handlungen, die sie im Fortsetzungszusammenhang begangen hat, nach Abs. 1 dieser Bestimmung zu bestrafen. In einem Fall blieb der Erfolg der Handlung deshalb aus, weil der Film sich als unbrauchbar erwies, und in einem weiteren weil sie die Kopie des Protokolls wegen ihrer Verhaftung nicht mehr an die Zentrale weiterleiten konnte; in diesem Fall ist unvollendeter (
Art. 21 Abs. 1 StGB
), in jenem vollendeter Versuch gegeben (
Art. 22 Abs. 1 StGB
). Der Angeklagte wirkte beim versuchten und erfolgten Verrat der Geschäftsgeheimnisse bewusst und gewollt mit, indem er die Schriftstücke teils auf Mikrofilme aufnahm und diese versteckte, teils bloss in einem Geheimfach versorgte. Er ist als Mittäter nach
Art. 273 Abs. 2 StGB
zu bestrafen. Dass er sich dem von seiner Frau geplanten Verrat widersetzt habe, ist als Ausrede zu werten, zumal er von Anfang an mitmachte und selber ähnliche Gelegenheiten ausnützte, um seinen Auftraggebern Geschäftsgeheimnisse der Firma Sulzer zu verschaffen.
Bei den Grossaufträgen ist nicht erwiesen, dass der Angeklagte sich die Unterlagen unrechtmässig aneignete. Er will damit als Angestellter der Firma Sulzer zu tun gehabt haben, was ihm nicht widerlegt werden konnte. Da er zudem seine
BGE 101 IV 177 S. 203
Aufzeichnungen wegen der Verhaftung nicht mehr weitergeben konnte, ist er bloss wegen versuchten Zugänglichmachens zu bestrafen (Art. 273 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 21 Abs. 1 StGB
). Der Bundesanwalt legt diesen Versuch auch der Mitangeklagten zur Last, weil sie von der beabsichtigten Weitergabe Kenntnis gehabt habe und damit einverstanden gewesen sei. Das trifft nach dem Beweisergebnis zu. Die Angeklagte weigerte sich in der Hauptverhandlung, darüber nähere Angaben zu machen, räumte aber ein, dass sie die Informationen über die Grossaufträge zusammen bereitgestellt haben. Das Vorgehen ihres Mannes entsprach übrigens nicht nur dem gemeinsamen Willen, sondern auch den ihnen von der Zentrale erteilten Aufträgen. Die Angeklagte ist daher in diesem Punkte als Mittäterin zu behandeln.
e) Der von den Angeklagten betriebene wirtschaftliche Nachrichtendienst zugunsten einer ausländischen Behörde ist als schwerer Fall im Sinne von
Art. 273 Abs. 3 StGB
zu würdigen. Sie haben beide als Schweizer getarnt nicht nur ihre berufliche Stellung, sondern auch das Vertrauen von Vorgesetzten und Mitarbeitern grob missbraucht, um der Zentrale bedeutende Geschäftsgeheimnisse ihres Arbeitgebers verschaffen zu können. Nach ihrer Aufgabe und der Erfahrung muss zudem angenommen werden, dass sie von Anfang an darauf ausgingen, bei einem schweizerischen Grossunternehmen in Schlüsselstellungen unterzukommen, und dass sie von ihren Auftraggebern auch darauf hin vorbereitet und ausgerüstet worden sind. Das Stellengesuch des Angeklagten vom April 1967 um "eine leitende Tätigkeit in Produktion oder Technik, Betriebsorganisation einschliesslich Datenverarbeitung" hat viel Ähnlichkeit mit dem Auftrag "Linder" (= Sulzer), der "ein grosses Interesse an einer laufenden und vertieften Information" über alle Fragen der elektronischen Datenverarbeitung verrät. Dazu kommt, dass der Angeklagte wiederholt versucht hat, die Leitung einer Fachstelle in der Abteilung "Organisation und Datenverarbeitung" zu erhalten und vom Spezialisten der Firma Einzelheiten über Datenerfassung, Datenfernübertragung und Kleincomputer zu erfahren. Die Angeklagte fand bei Sulzer ebenfalls eine Stelle, die ihren besonderen Interessen und ihrer Aufgabe entsprach. Das machte sie zu besonders gefährlichen Agenten. Untersuchungsrichter und Bundesanwalt wiesen mit Recht auf ähnliche Fälle aus jüngster
BGE 101 IV 177 S. 204
Zeit hin, welche von den Gerichten ebenfalls als schwer qualifiziert worden sind. Im übrigen ist auch hier auf bereits Gesagtes zu verweisen (hiervor Ziff. II/2/c).
II.5.
Wer ein Geschäftsgeheimnis verrät, das er infolge einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht bewahren sollte, wird gemäss
Art. 162 Abs. 1 StGB
auf Antrag mit Gefängnis oder mit Busse bestraft. Da die von den Angeklagten gemeldeten oder nach ihrer Absicht noch zu meldenden Tatsachen über Vorgänge in der Firma Sulzer Geschäftsgeheimnisse im Sinne von
Art. 273 und 162 StGB
betrafen, fragt sich, ob sie nach beiden Bestimmungen zu bestrafen sind, was vom Bundesanwalt bejaht, vom Verteidiger dagegen verneint wird.
Der Verteidiger begründet seine Auffassung damit, die engere Bestimmung des Art. 162 gehe in der weiteren des
Art. 273 StGB
auf, weshalb Konsumtion gegeben sei. Solche wäre indes nur anzunehmen, wenn der Tatbestand des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes denjenigen der Verletzung des Geschäftsgeheimnisses in allen Teilen in sich schlösse, ihn folglich auch wertmässig, dem Verschulden und dem Unrecht nach (
BGE 91 IV 213
), erfassen würde. Das trifft nicht zu. Die beiden Bestimmungen schützen verschiedene Interessen und Rechtsgüter, weshalb der Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne von Art. 273 sich denn auch nicht notwendig mit demjenigen des Art. 162 deckt. Dazu kommt, dass der Täter nach dieser Bestimmung eine gesetzliche oder vertragliche Geheimhaltungspflicht verletzen muss. Wer wie die Angeklagten mit dem Verrat eines Geschäftsgeheimnisses ans Ausland zugleich gegen seine Treuepflicht als Arbeitnehmer verstösst, der vergeht sich aber schwerer als derjenige, der ein Geheimnis preisgibt, ohne zu dessen Geheimhaltung vertraglich verpflichtet zu sein. Sein strafbares Verhalten ist nur dann allseits erfasst und seine Schuld im vollen Umfange abgegolten, wenn neben Art. 273 auch
Art. 162 StGB
angewendet wird. Die Angeklagten sind daher nach beiden Bestimmungen zu bestrafen.
Die Angeklagten haben zusammen und fortgesetzt gehandelt, weshalb sich auch hier erübrigt, ihre Teilnahme in subjektiver Hinsicht im einzelnen festzustellen. Ein Vorbehalt ist einzig bei der Angeklagten anzubringen. Diese war mit der geplanten Weitergabe der Aufzeichnungen über die Grossaufträge einverstanden. Dass sie im Zeitpunkt der Verletzung des Arbeitsvertrages durch ihren Ehemann davon Kenntnis hatte
BGE 101 IV 177 S. 205
oder sich dessen bewusst war, konnte ihr indes nicht nachgewiesen werden. Das schliesst eine Bestrafung wegen Teilnahme an dem von ihrem Mann versuchten Verrat von Geschäftsgeheimnissen gemäss
Art. 162 StGB
aus. Die Angeklagte ist daher in diesem Punkte ohne Entschädigung freizusprechen. Anders verhält es sich mit der Teilnahme des Angeklagten an den von seiner Ehefrau begangenen Verletzungen, da er ihr deswegen Vorwürfe gemacht haben will.
II.6.
Die Angeklagten sind geständig, die ihnen in der Anklageschrift zur Last gelegten Urkundenfälschungen begangen und von gefälschten, verfälschten oder inhaltlich unrichtigen Urkunden fortgesetzt Gebrauch gemacht zu haben, um in der Schweiz zugunsten ihrer Auftraggeber einen geheimen Nachrichtendienst einzurichten und ihre Aufgaben zu erfüllen, sich oder einem andern also einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Mit Ausnahme der Dienstverträge handelte es sich dabei um öffentliche Urkunden gemäss Art. 110 Ziff. 5 Abs. 2 und 251 Ziff. 2 StGB, was sie nicht zu widerlegen suchen. Sie sind daher im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen.
Beide Angeklagten sind ferner geständig, im Sinne von
Art. 253 StGB
zahlreiche falsche Beurkundungen erschlichen (Abs. 1) und daraufhin erhaltene Papiere gebraucht zu haben, um andere über darin beurkundete Tatsachen zu täuschen (Abs. 2). Sie haben die Anklage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht anerkannt, sind daher auch in diesem Punkte im Sinne der Anklageschrift schuldig zu sprechen.
Der Bundesanwalt wirft dem Angeklagten vor, seinem Stellengesuch vom April 1967 eine gefälschte Urkunde über eine von Hans Kälin angeblich bestandene Ingenieurprüfung beigelegt zu haben; ähnlich habe die Angeklagte im März 1968, als sie sich bei der Firma Sulzer um eine Stelle bewarb, verschiedene gefälschte oder verfälschte Ausweisschriften, Zeugnisse und Bescheinigungen vorgelegt; dadurch hätten beide sich des Gebrauchs gefälschter Ausweise im Sinne von
Art. 252 StGB
, eventuell der Urkundenfälschung im Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
schuldig gemacht. Mit der Verwendung der gefälschten oder verfälschten Schriften verfolgten die Angeklagten indes nicht bloss eine unmittelbare Erleichterung ihres persönlichen Fortkommens, sondern vor allem den Zweck, andere über ihre Identität zu täuschen, um ihre Agentenaufträge erfüllen zu können. Darin ist, wie bei den übrigen Urkundenfälschungen, ein unrechtmässiger Vorteil
BGE 101 IV 177 S. 206
im Sinne von
Art. 251 StGB
zu erblicken, was eine Bestrafung nach der Sonderbestimmung des
Art. 252 StGB
ausschliesst. Die Angeklagten haben auch für den ihnen zur Last gelegten Gebrauch von falschen oder gefälschten Ausweispapieren, Zeugnissen und Bescheinigungen nach
Art. 251 StGB
einzustehen, womit der Einrede der Verjährung der Boden entzogen ist.
II.7.
Beide Angeklagten haben während ihres Aufenthaltes in der Schweiz mehrmals als die im Stimmregister der Gemeinde Illnau-Effretikon eingetragenen Schweizerbürger Hans und Ursula Kälin-Meissner an eidgenössischen und kantonalen Wahlen und Abstimmungen teilgenommen. Dass sie diese Straftaten bloss begangen haben wollen, um nicht aufzufallen oder weil sie angeblich nicht anders handeln konnten, befreit sie nicht, spricht aber für fortgesetzte Begehung. Die ihnen vorgeworfenen Wahlfälschungen, die sie im übrigen nicht bestreiten, gehörten zur Tarnung ihrer Agententätigkeit. Sie sind deswegen nach
Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zu verurteilen.
Der Bundesanwalt wirft beiden Angeklagten fortgesetzte Widerhandlung gegen
Art. 42 Abs. 1 lit. a TVG
vor, weil der Angeklagte konzessionspflichtige Sende- und Empfangseinrichtungen im Einverständnis mit der Mitangeklagten benützt oder betrieben habe. Dieser Vorwurf und seine Begründung sind zutreffend. Die Angeklagten haben dagegen mit Recht nichts einzuwenden; sie sind daher im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen.
Dem Vorwurf des Bundesanwaltes, dem
Art. 23 Abs. 1 Satz 4 ANAG
fortgesetzt zuwidergehandelt zu haben, indem sie mehrmals mit falschen Papieren in die Schweiz einreisten und sich hier während Jahren unter falschen Namen aufhielten, versuchen die Angeklagten ebenfalls nicht zu entgehen. Sie machen insbesondere nicht geltend, die Tat sei verjährt (vgl.
BGE 91 IV 66
). Sie sind auch in diesem Punkte im Sinne der Anklageschrift schuldig zu sprechen.
II.8.
Der Bundesanwalt beschuldigt den Angeklagten des Betruges, weil er am 16. August 1967, als er wegen seiner Anstellung bei der Firma Sulzer vorsprach, in einem Fragebogen entsprechend seiner Legende angab, er sei seit dem 17. Mai 1966 geschieden und Vater von Kindern im Alter von 12, 15 und 16 Jahren; dadurch habe er die Firma arglistig
BGE 101 IV 177 S. 207
irregeführt und veranlasst, ihm bis 1972 insgesamt Fr. 2'480.-- Kinderzulagen zu bezahlen.
Der Angeklagte bestreitet diesen Sachverhalt nicht, sondern bloss die zum Betrug gehörende Bereicherungsabsicht. Er macht geltend, er habe sich zunächst gesträubt, Kinderzulagen anzunehmen, sei vom zuständigen Angestellten der Firma aber aufmerksam gemacht worden, dass der Arbeitgeber die Zulagen ausrichten müsse. Er habe diese in der Folge einzig deshalb entgegengenommen, um seine Legende nicht zu gefährden, habe sich also nicht bereichern wollen.
Der als Zeuge einvernommene Personal-Chef der Firma Sulzer konnte sich nicht an Einwände des Angeklagten gegen die Auszahlung von Kinderzulagen erinnern. Er fügte bei, dass die Firma 1967 bei Scheidungen noch auf die Angaben des Bewerbers abstellte, dass der Angeklagte von der Möglichkeit, für das jüngste Kind Zulagen bis zu dessen 18. Altersjahr zu beziehen, aber keinen Gebrauch machte; er habe darauf verzichtet, die hiefür notwendige Bestätigung zurückzuschicken. Dieser Verzicht und sein angebliches Sträuben sprechen eher für die Darstellung des Angeklagten, er habe die Zulagen einzig wegen seiner Legende angenommen, als für eine Bereicherungsabsicht. Eine solche Absicht scheint auch nicht zu seiner Persönlichkeit zu passen.
Nach der Rechtsprechung genügt freilich schon eine bloss mitgewollte oder in Kauf genommene Bereicherung (
BGE 69 IV 80
,
BGE 72 IV 125
,
BGE 74 IV 45
). Auch diese Rechtsprechung setzt aber voraus, dass die Absicht des Täters selbst dann, wenn er die Bereicherung bloss für möglich hält, auf Erlangung des Vorteils gerichtet ist; er will die Bereicherung für den Fall, dass sie eintritt. Anders verhält es sich, wenn die Erlangung des Vorteils nur eine notwendige, dem Täter vielleicht höchst unerwünschte Nebenfolge eines von ihm erstrebten anderen Erfolges ist (Komm. SCHÖNKE-SCHRÖDER, 14. Aufl. N. 129 zu § 263 des deutschen StGB). Da im vorliegenden Fall Zweifel darüber bestehen, ob der Angeklagte den Vorteil zur Zeit der Anstellung tatsächlich gewollt habe, ist zu seinen Gunsten zu entscheiden, Hans Wolf folglich von der Anklage des Betruges freizusprechen.
Eine Entschädigung ist ihm nicht auszurichten, da er ein Strafverfahren wegen Betruges durch sein Benehmen verschuldet hat (
Art. 122 Abs. 1 und 176 BStP
).
BGE 101 IV 177 S. 208
III.
III.1.
Die Strafe ist nach dem Verschulden des Täters zuzumessen, wobei die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen zu berücksichtigen sind (
Art. 63 StGB
). Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen mehrere Freiheitsstrafen verwirkt, so ist er zu der Strafe der schwersten Tat zu verurteilen und ist deren Dauer angemessen zu erhöhen (
Art. 68 Ziff. 1 Satz 1 StGB
).
Vorliegend ist vom Strafrahmen auszugehen, den das Gesetz für schwere Fälle verbotenen Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 272 bis 274 StGB vorsieht; er reicht von einem bis zu zwanzig Jahren Zuchthaus. Innerhalb dieses Rahmens ist vorweg dem Verschulden und der Dauer der Verfehlungen Rechnung zu tragen. Das Verschulden der beiden Angeklagten wiegt schwer. Sie erfuhren schon bei ihrer Anwerbung, dass es um eine illegale Tätigkeit ging und dass sie im Falle einer Entdeckung mit harten Strafen rechnen mussten. Dennoch erklärten beide sich ohne jeden äussern Zwang bereit, sich als Spione ausbilden und für zehn Jahre einsetzen zu lassen. Sie haben ihre Aufgaben sodann mit den verfügbaren Mitteln der Täuschung und der Technik beharrlich zu erfüllen versucht und sich während Jahren nicht bloss als willige, sondern auch als sehr gefährliche Agenten erwiesen. Wie sehr sie sich den Absichten ihrer Auftraggeber unterziehen und wie hinterhältig sie handeln konnten, erhellt namentlich aus ihrem Vorgehen bei der Übersiedlung in die Schweiz. Der Angeklagte liess sich als biederer Schweizer Rückwanderer einschleusen, der angeblich wegen seiner Kritik am DDR-Regime Schwierigkeiten bekommen hatte, während die Mitangeklagte sich als Flüchtling ausgab und Bedenken Dritter dadurch vorzubeugen suchte, dass sie ihre "Flucht" aus der DDR schilderte.
Die Schwere des Verschuldens ergibt sich ferner aus der Vielzahl der Verfehlungen, insbesondere dem hemmungslosen Gebrauch falscher Urkunden, welche die Angeklagten zur Tarnung ihrer Tätigkeit von der Zentrale erhielten. Sie haben damit Behörden, Beamte und Vorgesetzte während Jahren planmässig getäuscht und zahlreiche weitere falsche Papiere oder Beurkundungen erschlichen. Um unter dem Decknamen
BGE 101 IV 177 S. 209
eines gutbürgerlichen Ehepaars als Agenten wirken zu können, scheuten sie sich nicht, in der Schweiz unter falschem Namen nochmals die Ehe einzugehen und mit Hilfe der Zentrale den Personenstand eines Schweizers, von dem sie wussten, dass er in Ostdeutschland lebt und eine Familie mit drei Kindern hat, bedenkenlos für ihre Zwecke zu missbrauchen. Die Auswirkungen dieses Missbrauchs auf das Selbstbestimmungsrecht des Auslandschweizers und seiner Familie konnten ihnen schlechterdings nicht entgehen, störten sie aber offensichtlich nicht.
Die strafbaren Handlungen der Angeklagten richteten sich vor allem gegen die schweizerische Staatshoheit und Landesverteidigung, mag ihre Hauptaufgabe auch erst für einen Kriegs- oder Krisenfall geplant gewesen sein. Das ändert an ihrem Verschulden nichts, zumal sie diesfalls für die Schweiz noch gefährlicher werden konnten. Zu berücksichtigen ist ausserdem, dass die Angeklagten für ihre Tätigkeit entlohnt und mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt worden sind und nach Aufdeckung ihrer Straftaten weder Einsicht noch Reue gezeigt haben. Sie versuchten, ihre Agententätigkeit gegen die Schweiz womöglich abzustreiten oder als Spiel oder blosse Übung zu verharmlosen. Von besonderer Hartnäckigkeit zeugt, dass die Angeklagte in der Hauptverhandlung erklärte, sie würde den Auftrag der Zentrale selbst nach 22 Monaten Untersuchungshaft wieder übernehmen.
Dass die Angeklagten aus politischer Überzeugung und aus Pflichtgefühl ihrem Lande gegenüber gehandelt haben wollen, entlastet sie nicht. Von einem neutralen Staate aus gesehen entbehrt ihre geheime Agententätigkeit in der Schweiz so oder anders jeder Rechtfertigung. Die Angeklagte will denn auch "schockiert" gewesen sein, als sie von ihren Auftraggebern erfuhr, wo sie eingesetzt werde. Von einem Schuldminderungsgrund kann umsoweniger die Rede sein, als die Angeklagten im Falle einer Weigerung keinerlei Nachteile zu befürchten hatten und durch ihren Einsatz in der Schweiz in den Genuss erheblicher Vorteile kamen. Dass sie durch ihre allgemeine Lebensführung in der Schweiz zu keinen Klagen Anlass gaben, mindert ihr Verschulden ebenfalls nicht. Nicht aufzufallen und ein nach aussen geordnetes Leben zu führen, gehört zur Tarnung eines Agenten. Zugute gehalten werden kann ihnen, dass aus ihrem Vorleben nichts Nachteiliges bekannt
BGE 101 IV 177 S. 210
ist, der Angeklagte eine schwierige Jugend und dass beide unter den Kriegswirren zu leiden hatten.
Das Verschulden der Angeklagten ist als gleich schwer zu werten, rechtfertigt folglich keinen Unterschied im Strafmass. Sie haben aus ähnlichen Motiven gehandelt, den Auftrag der Zentrale gemeinsam übernommen und ihn bis zu ihrer Verhaftung zusammen erfüllt. Schliesslich sind bei derartigen Delikten generalpräventive Überlegungen am Platz; andere sollen gewarnt und von ähnlichen Straftaten abgehalten werden.
Die Angeklagten haben ihre Schuld mit je sieben Jahren Zuchthaus zu sühnen.
III.2.
Der Bundesanwalt beantragt, der Angeklagten die ausgestandene Untersuchungshaft im vollen Umfang, dem Mitangeklagten dagegen bloss zu 555 Tagen anzurechnen, weil er die Haft durch hartnäckiges Leugnen und Verweigern von Antworten verlängert habe.
Gemäss
Art. 69 StGB
und
Art. 171 BStP
ist dem Verurteilten die Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe anzurechnen, soweit er sie nicht durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat. Die Bestimmungen erfordern einen klaren Zusammenhang zwischen dem Benehmen des Täters im Verfahren und der Dauer der Haft. An diesem Zusammenhang ist hier zu zweifeln, weil die Haft, wie der Bundesanwalt einräumt, wegen Fluchtgefahr nicht bloss angeordnet, sondern während des ganzen Verfahrens aufrechterhalten werden musste; diese Gefahr besteht übrigens heute noch. Dass das Verhalten des Angeklagten die Dauer der Untersuchung und damit der Haft in erkennbarer Weise verlängerte, ist nicht nachgewiesen. Beiden Angeklagten ist daher die Untersuchungshaft voll anzurechnen. Es sind bis und mit heute 648 Tage.
Die Sicherheitshaft ist wegen des noch zu verbüssenden Teils der Zuchthausstrafe sowie wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten. Die Strafen sind vom Kanton Zürich in den Anstalten Regensdorf und Hindelbank zu vollziehen (
Art. 241 Abs. 1 BStP
). Die kantonale Vollzugsbehörde darf davon nur abweichen, wenn eine andere Anstalt sich gleich oder besser eignet.
III.3.
Die Angeklagten sind in Anwendung von
Art. 55 Abs. 1 StGB
des Landes zu verweisen. Gemäss Antrag des Bundesanwaltes ist dabei wegen der Art und Schwere der Verfehlungen
BGE 101 IV 177 S. 211
auf die höchstzulässige Dauer von fünfzehn Jahren zu erkennen.
III.4.
Der Untersuchungsrichter hat zahlreiche Gegenstände gemäss besonderen Verzeichnissen beschlagnahmt. Es steht fest, dass sie der nachrichtendienstlichen Tätigkeit der Angeklagten gedient haben, was diese denn auch nicht zu widerlegen suchen. Sie sind daher gemäss Antrag des Bundesanwaltes gestützt auf
Art. 58 Abs. 1 StGB
einzuziehen. Gegen ihre Abgabe an die Bundesanwaltschaft, welche sie zu Instruktionszwecken benutzen will, ist nichts einzuwenden. Diese Befugnis des Richters ist als das Mindere in der anderen eingeschlossen, eingezogene Gegenstände unbrauchbar machen oder vernichten zu lassen (
Art. 58 Abs. 2 StGB
).
Das Nummernkonto 10775 mit dem Kennwort Sonntag bei der Bank für Handel und Effekten in Zürich ist von der Zentrale eröffnet und gespiesen worden, um die Angeklagten, die darüber verfügen durften, in ihrer Agententätigkeit zu unterstützen. Die Angeklagten haben davon zwischen Mitte Februar 1970 und 21. Februar 1972 über Fr. 32'000.-- abgehoben und insbesondere für Reisen oder andere Kosten, die mit ihren Aufgaben zusammenhingen, verwendet. Das Konto wies am 14. September 1973 noch Guthaben von Fr. 10'907.-- und DM 7'585.-- auf, die vom Bundesanwalt und am 29. November 1974 auch vom Untersuchungsrichter gesperrt und beschlagnahmt worden sind. Da damit die Tätigkeit der Angeklagten gefördert werden sollte, sind diese Guthaben samt den inzwischen angefallenen Zinsen gestützt auf
Art. 59 Abs. 1 StGB
als dem Staate verfallen zu erklären.
Das gleiche gilt für den Saldo von Fr. 5'000.-- auf dem Einlagekonto Nr. 728.028, das die Angeklagten beim Schweizerischen Bankverein in Winterthur unterhielten. Die Angeklagten wollen dieses Konto freilich nur mit Lohngeldern gespiesen haben. Es enthielt zur Zeit ihrer Verhaftung jedoch ein Darlehen der Zentrale von Fr. 7'500.--, das für den Ankauf eines neuen Personenwagens bestimmt war, von den Angeklagten aber, wie sie zugaben, mit künftigen Spesen verrechnet werden durfte; es diente somit der Unterstützung ihrer Agententätigkeit, ist folglich ebenfalls als Zuwendung im Sinne von
Art. 59 Abs. 1 StGB
zu betrachten. Eine Rückforderung des Darlehens durch die Zentrale ist wegen des rechtswidrigen Erfolges, der damit verfolgt wurde, nach
Art. 66 OR
ausgeschlossen
BGE 101 IV 177 S. 212
(
BGE 99 Ia 418
ff. und dort angeführte Entscheide).
Die eingezogenen Gelder fallen gemäss
Art. 381 Abs. 2 StGB
an die Bundeskasse.
Dispositiv
Aus diesen Gründen hat das Bundesstrafgericht erkannt:
1. Hans Wolf wird von der Anklage des Betruges, angeblich begangen zum Nachteil der Firma Sulzer, freigesprochen.
2. Gisela Wolf wird im Falle der sog. Grossaufträge von der Anklage der versuchten Verletzung von Geschäftsgeheimnissen freigesprochen.
3. Hans und Gisela Wolf werden schuldig erklärt:
a) der fortgesetzten, teilweise versuchten, teilweise vollendeten Verletzung von Geschäftsgeheimnissen im Sinne von Art. 162 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 und 22 Abs. 1 StGB;
b) der fortgesetzten Urkundenfälschung im Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 und 2 StGB
;
c) der fortgesetzten Erschleichung von falschen Beurkundungen im Sinne von
Art. 253 Abs. 1 StGB
;
d) des fortgesetzten politischen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 272 Ziff. 1 Abs. 1 sowie Ziff. 2 StGB
;,
e) des fortgesetzten, teilweise versuchten, teilweise vollendeten Wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 273 Abs. 2 bzw. 1 und 3 StGB;
f) des fortgesetzten militärischen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 274 Ziff. 1 Abs. 1 und 4 StGB
;
g) der fortgesetzten Wahlfälschung im Sinne von
Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
;
h) des fortgesetzten Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten im Sinne von
Art. 301 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
;
i) der fortgesetzten Widerhandlung gegen
Art. 42 Abs. 1 lit. a TVG
;
k) der fortgesetzten Widerhandlung gegen
Art. 23 Abs. 1 Satz 4 ANAG
.
4. Hans und Gisela Wolf werden zu je sieben Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 648 Tagen Untersuchungshaft, sowie zu fünfzehn Jahren Landesverweisung verurteilt.
5. Die im Verfahren beschlagnahmten Beweisgegenstände gemäss den Verzeichnissen A 3/25 und 25a werden eingezogen.
BGE 101 IV 177 S. 213
6. Die bei der Bank für Handel und Effekten in Zürich auf Konto Nr. 10775 bestehenden Guthaben von Fr. 10'907.-- und DM 7'585.-- nebst Zinsen sowie das beim Schweizerischen Bankverein in Winterthur auf Konto 728.028 bestehende Guthaben von Fr. 5'000.-- nebst Zins werden als der Schweizerischen Eidgenossenschaft verfallen erklärt. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1469f76-e4ef-4e8a-98e7-c9a9895e1fe8 | Urteilskopf
112 Ib 124
19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. April 1986 i.S. X. AG gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Einleitung eines Enteignungsverfahrens vor den eidgenössischen Schätzungskommissionen durch Private.
1. Welche Möglichkeiten hat ein Privater vor den eidgenössischen Schätzungskommissionen ein Enteignungsverfahren einzuleiten? (E. 2)
2. Die Beschwerdeführerin verlangt vorliegend eine Entschädigung dafür, dass sie ihr Projekt eines Tanklagers ändern und zusätzliche, sonst nicht notwendige Sicherheitsmassnahmen ergreifen musste, um im Falle eines Tanklagerbrandes die Gefahren für den benachbarten Armeemotorfahrzeugpark (AMP) zu verringern oder wenn möglich ganz auszuschliessen. Die eidgenössische Schätzungskommission ist aber nicht zuständig zum Entscheid über eine solche Entschädigungsforderung. Das EMD hat deshalb die Eröffnung eines Enteignungsverfahrens zu Recht abgelehnt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 112 Ib 124 S. 125
Die X. AG erstellte in der Gemeinde G. ein grösseres Tanklager. Unmittelbar daneben befindet sich ein Armeemotorfahrzeugpark (AMP) der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Das Unternehmen macht geltend, es habe auf Verlangen der eidgenössischen Kriegsmaterialverwaltung (KMV) und unter Androhung der Enteignung verschiedene bauliche Massnahmen vorkehren müssen, um den spezifischen Gefahren, welche das Tanklager für den AMP mit sich bringt, Rechnung zu tragen. Die sich daraus ergebenden Mehrkosten betragen nach Angaben der X. AG ca. 2,5 Millionen Franken. Die Eidgenossenschaft lehnt es indessen ab, auch nur einen Teil dieser Mehraufwendungen zu bezahlen.
Am 13. März 1984 ersuchte die X. AG das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) beim Präsidenten der zuständigen Schätzungskommission das Enteignungsverfahren einzuleiten, damit sie ihre Entschädigungsansprüche gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft geltend machen könne. Der geschilderte Sachverhalt erfülle gemäss ihrem Standpunkt den Tatbestand der materiellen Enteignung. Mit Verfügung vom 20. August 1984 lehnte das EMD diesen Antrag ab.
Die X. AG führt gegen den Entscheid des EMD Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragt, er sei aufzuheben und es sei die Eröffnung des Enteignungsverfahrens durch das EMD anzuordnen; eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Der Gesetzgeber hat die eidgenössischen Schätzungskommissionen als richterliche Spezialinstanzen primär für die erstinstanzliche Beurteilung von Ansprüchen auf dem Gebiet der formellen Enteignung geschaffen (vgl.
Art. 59 und 64 EntG
). In der Regel kann einzig das Unternehmen, das mit dem Enteignungsrecht ausgestattet oder welchem dieses noch zu verleihen ist, dem zuständigen Präsidenten das Gesuch zur Einleitung des Enteignungsverfahrens stellen.
Die Privaten können ihre Entschädigungsforderungen erst dann bei der Schätzungskommission anmelden, wenn das Verfahren
BGE 112 Ib 124 S. 126
bereits eröffnet ist, d.h. wenn eine öffentliche Planauflage im Sinne von
Art. 30 EntG
stattgefunden hat oder wenn ihnen im abgekürzten Verfahren nach Art. 33 f. EntG eine persönliche Anzeige zugestellt worden ist (
BGE 106 Ib 234
E. 2a mit Hinweisen). Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so hat der Private, der eine Entschädigungsforderung geltend machen will, beim Enteigner die Eröffnung eines Enteignungsverfahrens zu beantragen oder - wenn das Enteignungsrecht noch übertragen werden muss (
Art. 3 Abs. 3 EntG
) - bei der dazu zuständigen Behörde vorstellig zu werden (
BGE 110 Ib 371
E. 1 mit Hinweis).
Dagegen können sich die Privaten dort, wo es die Spezialgesetzgebung ausdrücklich vorsieht, mit einem Gesuch um Eröffnung des Schätzungsverfahrens direkt an den Präsidenten der Schätzungskommission wenden; es handelt sich hiebei um Fälle der materiellen Enteignung, deren Beurteilung der Gesetzgeber nach Erlass des Enteignungsgesetzes für besondere Sachbereiche ebenfalls den eidgenössischen Schätzungskommissionen übertragen hat (vgl. z.B. Art. 18 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960; Art. 44 Abs. 1 und 4 des Bundesgesetzes über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 sowie Art. 18i des revidierten Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957).
3.
Es ist unbestritten, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit der Landesverteidigung das Enteignungsrecht besitzt (
Art. 1 EntG
) und dass das EMD die zu seiner Ausübung zuständige Behörde ist (vgl. dazu
BGE 109 Ib 134
E. c und d mit Hinweisen). Ein Enteignungsverfahren vor der eidgenössischen Schätzungskommission kann aber nur eröffnet werden, wenn diese zum Entscheid über die geltend gemachte Entschädigungsforderung auch tatsächlich kompetent ist. Es ist zu prüfen, ob dies im vorliegenden Fall zutrifft.
a) Die Beschwerdeführerin behauptet zu Recht nicht, sie erhebe ihre Forderung gegenüber der Eidgenossenschaft als Entschädigung für den Entzug oder die Beschränkung eines der Rechte, die gemäss
Art. 5 Abs. 1 EntG
enteignet werden können. Es steht weder ein dingliches Recht an einem Grundstück, das ihr gehört, noch ein aus dem Grundeigentum hervorgehendes Nachbarrecht oder ein persönliches Recht von Mietern und Pächtern im Sinne dieser Bestimmung auf dem Spiel. Die Beschwerdeführerin macht denn auch nicht geltend, der Betrieb des AMP bewirke auf ihrem Grundstück übermässige Immissionen, welche sie im Interesse der Landesverteidigung dulden müsse. Im Gegenteil: Die X. AG verlangt
BGE 112 Ib 124 S. 127
eine Entschädigung dafür, dass sie ihr Projekt für das Tanklager ändern und zusätzliche, sonst nicht notwendige Sicherheitsmassnahmen ergreifen musste, um im Falle eines Tanklagerbrandes die Gefahren für den AMP zu verringern oder wenn möglich ganz auszuschliessen. Nicht die Eidgenossenschaft verursacht somit übermässige Einwirkungen, sondern das Tanklager der Beschwerdeführerin stellt eine Gefahrenquelle für den unmittelbar benachbarten AMP dar. Der vorliegende Sachverhalt liegt ähnlich wie in den Urteilen in Sachen Säurefabrik Schweizerhall (
BGE 101 Ib 166
ff.) und Maurino SA (
BGE 108 Ib 492
ff.). In beiden Fällen hat das Bundesgericht erkannt, dass der Grundeigentümer nicht gestützt auf
Art. 5 Abs. 1 EntG
Entschädigungsforderungen geltend machen kann für Massnahmen, mit denen Einwirkungen aus seinem Grundstück auf solche der Nachbarn verhindert oder entsprechende Gefahren verringert werden sollen. Der Private kann auch nicht gestützt auf
Art. 7 Abs. 3 EntG
vom Bund verlangen, er solle solche Vorkehren auf eigene Rechnung vornehmen lassen (
BGE 108 Ib 498
E. 5).
b) Die Beschwerdeführerin vertritt jedoch die Ansicht, die finanziellen Aufwendungen für die zusätzlichen, bei einem "gewöhnlichen" Nachbarn nicht notwendig gewesenen Sicherheitsmassnahmen zum Schutz des AMP erfüllten den Tatbestand der materiellen Enteignung. Sie nennt aber keine Bestimmung des Bundesrechts, nach welcher die eidgenössische Schätzungskommission zum Entscheid über einen solchen Anspruch zuständig wäre. Eine solche Norm besteht - soweit ersichtlich - auch nicht, und die Beschwerdeführerin irrt, wenn sie aus
BGE 106 Ib 234
E. 2a am Ende eine allgemeine Kompetenz der Schätzungskommission ableitet. Aus dieser Textstelle ergibt sich vielmehr, dass die sachliche Zuständigkeit der eidgenössischen Schätzungskommission nur durch besondere gesetzliche Vorschrift begründet werden kann (vgl. dazu die Beispiele in E. 2 am Ende).
c) Die eidgenössische Schätzungskommission ist somit offensichtlich nicht zuständig zum Entscheid über die von der Beschwerdeführerin erhobenen Ansprüche. Das EMD hat deshalb kein Bundesrecht verletzt, wenn es den Antrag der X. AG auf Eröffnung eines Enteignungsverfahrens abgelehnt hat. Die Schätzungskommission hätte auf ein entsprechendes Gesuch des EMD wegen fehlender sachlicher Kompetenz ohnehin nicht eintreten können. Zwar entscheidet diese gemäss
Art. 64 Abs. 2 EntG
selbst über ihre Zuständigkeit, aber es würde im vorliegenden Fall einen
BGE 112 Ib 124 S. 128
unnötigen Formalismus darstellen, diese Frage in erster Instanz von der Kommission selbst beantworten zu lassen. Das Bundesgericht ist nicht nur Aufsichtsbehörde über die eidgenössischen Schätzungskommissionen, sondern es würde auch im Rahmen der in
Art. 64 Abs. 2 EntG
vorgesehenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit voller Kognition über dieselbe Frage entscheiden wie im vorliegenden Urteil. Das Recht der Beschwerdeführerin, das strittige Problem einem Gericht zur Lösung zu unterbreiten, ist somit voll gewahrt (vgl. auch
BGE 110 Ib 379
E. 3a). | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f1480c10-c5c9-4ec4-a096-b53051d1f9b3 | Urteilskopf
84 III 1
1. Entscheid vom 29. April 1958 i.S. O. | Regeste
Zwangsvollstreckung unter Ehegatten (
Art. 173 ff. ZGB
).
Prozessentschädigungen sind nur dann gemäss
Art. 176 Abs. 2 ZGB
vom Betreibungsverbot ausgenommen, wenn sie mit der Zuerkennung von Unterhaltsansprüchen zusammenhängen.
Bei Prüfung der Frage, ob die dem Ehemann auferlegten periodischen Leistungen als Unterhaltsbeiträge oder aber als Haushaltungsgeld (wofür die Zwangsvollstreckung ausgeschlossen ist) anzusehen seien, haben die Betreibungsbehörden darauf abzustellen, ob die Ehegatten tatsächlich getrennt leben oder einen gemeinsamen Haushalt führen.
Lohnpfändung (
Art. 93 SchKG
).
Der Notbedarf eines getrennt lebenden Ehemannes ist ohne Rücksicht darauf, ob er zum Getrenntleben berechtigt sei oder nicht, nach Massgabe der tatsächlich vorhandenen Verhältnisse zu berechnen. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 84 III 1 S. 2
A.-
Mit Urteil vom 5. Oktober 1956 wies das Bezirksgericht die Scheidungsklage des O. ab. Nachdem O. die Berufung gegen dieses Urteil zurückgezogen hatte, schrieb das Obergericht des Kantons Zürich den Prozess am 21. Januar 1957 als erledigt ab und verpflichtete O., die Anwaltsrechnung der Ehefrau für das Berufungsverfahren bis zum Betrage von Fr. 200.-- zu bezahlen.
Am 5. Februar 1957 verliess O. die eheliche Wohnung unter Mitnahme von Mobiliar. Hierauf forderte ihn der Eheschutzrichter mit Verfügung vom 23. Februar 1957 auf, in die eheliche Wohnung zurückzukehren und die von ihm weggeschafften Gegenstände zurückzubringen, und verpflichtete ihn, seine Ehefrau für Umtriebe mit Fr. 50.- zu entschädigen.
Da O. der an ihn ergangenen Aufforderung keine Folge leistete und für den Unterhalt der Ehefrau nicht mehr aufkam, befahl ihm der Eheschutzrichter am 27. April 1957 unter Androhung der Zwangsvollstreckung, die weggenommenen Gegenstände in die eheliche Wohnung zurückzubringen, verpflichtete ihn, der Ehefrau mit Wirkung ab 1. März 1957 Unterhaltsbeiträge von Fr. 110.-- pro 14tägige Zahltagsperiode zu bezahlen, und wies seine Arbeitgeberin an, diesen Betrag jeweilen der Ehefrau zu
BGE 84 III 1 S. 3
überweisen. Gleichzeitig wurde O. verpflichtet, dem Vertreter der Ehefrau eine Prozessentschädigung von Fr. 30.- zu bezahlen.
B.-
In der Betreibung Nr. 493, mit welcher die Ehefrau vom Ehemann die Bezahlung der im obergerichtlichen Abschreibungsbeschluss vom 21. Januar 1957 festgesetzten Prozessentschädigung verlangte, pfändete das Betreibungsamt am 4. März 1957 vom Lohn des Schuldners Fr. 90.- pro Monat. Die gleiche Lohnpfändung verfügte es in der Folge auch in den Betreibungen Nr. 2230 und 2643, mit denen die Ehefrau die Prozessentschädigungen gemäss den Verfügungen des Eheschutzrichters vom 23. Februar bzw. 27. April 1957 geltend machte.
C.-
Mit einem Revisionsgesuch, das er am 3. Juli 1957 an das Betreibungsamt richtete, verlangte O. die Aufhebung der Lohnpfändung. Zur Begründung berief er sich auf den Lohnabzug gemäss Verfügung des Eheschutzrichters vom 27. April 1957 sowie darauf, dass er für unter Eigentumsvorbehalt gelieferte notwendige Einrichtungsgegenstände, die er nach Rückschaffung des aus der ehelichen Wohnung mitgenommenen Mobiliars zur Ausstattung seiner eigenen Kleinwohnung habe kaufen müssen, monatlich Fr. 90.- abzuzahlen habe. Das Betreibungsamt berechnete seinen Notbedarf unter Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Aufwendungen neu auf Fr. 694.-- und hob, da sein Verdienst diesen Betrag nicht erreichte, mit Verfügung vom 5. Juli 1957 die Lohnpfändung in allen drei Betreibungen mit sofortiger Wirkung auf.
D.-
Gegen diese Verfügung führte die Ehefrau Beschwerde, mit der sie vor allem geltend machte, bei der Festsetzung des Notbedarfs des Ehemannes dürfe nicht berücksichtigt werden, dass er einen selbständigen Haushalt führe, weil er nach den ergangenen Gerichtsentscheiden nicht zum Getrenntleben berechtigt, sondern im Gegenteil zur Rückkehr in die eheliche Wohnung und zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft verpflichtet sei. Die untere und die obere kantonale Aufsichtsbehörde haben
BGE 84 III 1 S. 4
die Beschwerde, der sie aufschiebende Wirkung erteilten, abgewiesen, die obere mit Entscheid vom 7. März 1958.
E.-
Diesen Entscheid hat die Ehefrau an das Bundesgericht weitergezogen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales.)
2.
Die Vorinstanz hat mit Recht von Amtes wegen geprüft, ob die in Frage stehenden Betreibungen vor den Bestimmungen des ZGB über die Beschränkung der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten Bestand haben; denn diese Bestimmungen sind, da im öffentlichen Interesse erlassen, zwingender Natur, so dass die dagegen verstossenden Betreibungen nichtig sind (
BGE 77 III 55
,
BGE 80 III 147
).
Die streitigen Betreibungen sind nach
Art. 173 ff. ZGB
nur dann zulässig, wenn
Art. 176 Abs. 2 ZGB
auf sie zutrifft, d.h. wenn sie für Beiträge angehoben wurden, die dem einen Ehegatten gegenüber dem andern durch den Richter auferlegt worden sind.
Im Entscheide
BGE 82 III 1
ff., an den die Erwägungen der Vorinstanz anknüpfen, hat das Bundesgericht erklärt, es rechtfertige sich allgemein, die Prozessentschädigung, die einem Ehegatten gegenüber dem andern ausser (d.h. neben) Unterhaltsbeiträgen vom Richter zugesprochen wird - sei es in einem Verfahren gemäss
Art. 145 oder 170 ZGB
oder auch bei gerichtlicher Trennung der Ehe -, als vom Betreibungsverbot ausgenommenen Beitrag im Sinne von
Art. 176 Abs. 2 ZGB
gelten zu lassen. Die Frage, ob noch weitergehend jede einem Ehegatten vom andern geschuldete Prozessentschädigung zu den Beiträgen in diesem Sinne zu rechnen sei, hat das Bundesgericht damals ausdrücklich offen gelassen (S. 6). Im angefochtenen Entscheid ist die Vorinstanz dazu gelangt, diese Frage wenigstens für den Fall zu bejahen, dass die Ehegatten tatsächlich getrennt leben und dem betreibenden
BGE 84 III 1 S. 5
Ehegatten nicht etwa entgegengehalten werden kann, er selber lehne das Zusammenleben pflichtwidrig ab. (Ob die Betreibung eines so handelnden Ehegatten wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig wäre, liess die Vorinstanz als im vorliegenden Falle unerheblich dahingestellt.) Das Bundesgericht hat jedoch in dem bei Erlass des angefochtenen Urteils bereits veröffentlichten Entscheide
BGE 83 III 89
ff. die in
BGE 82 III 1
ff. offen gelassene Frage in klarer Weise verneint, indem es feststellte, nach geltendem Recht lasse sich die in
Art. 176 Abs. 2 ZGB
für Beiträge, d.h. Unterhaltsbeihilfen, vorgesehene Befreiung vom Betreibungsverbot nur auf Prozessentschädigungen ausdehnen, die dem unterhaltsberechtigten Ehegatten als Nebenfolge des (u.a.) den Unterhaltsanspruch bestimmenden Urteils gewährt werden und sich damit (ganz oder doch teilweise) als Aufwand zur Erwirkung eines vollstreckbaren Unterhaltsanspruchs erweisen; dagegen sei es unzulässig, zu den Beiträgen des
Art. 176 Abs. 2 ZGB
auch solche Prozessentschädigungen zu rechnen, die nicht mit der Zuerkennung von Unterhaltsansprüchen zusammenhängen (S. 91/92). An diesem Entscheide, mit dem die Vorinstanz sich nicht auseinandergesetzt hat, ist festzuhalten. Der kantonale Entscheid, den das Bundesgericht damals aufgehoben hat, war ähnlich begründet wie der heute angefochtene Entscheid, so dass zur Widerlegung der Auffassung der Vorinstanz auf die damaligen Erwägungen des Bundesgerichts verwiesen werden kann.
Die Betreibungen Nr. 493 und 2230 betreffen Prozessentschädigungen, die nicht mit der Zuerkennung von Unterhaltsansprüchen zusammenhängen (vgl. oben A u. B). Sie sind daher nichtig, was ohne weiteres zur Abweisung des Rekurses mit Bezug auf diese beiden Betreibungen führt.
3.
Mit Betreibung Nr. 2643 wird dagegen eine Prozessentschädigung eingefordert, die der Rekurrentin in einer Verfügung zugesprochen wurde, mit welcher ihr Ehemann u.a. zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen verpflichtet
BGE 84 III 1 S. 6
und seine Arbeitgeberin angewiesen wurde, jeweilen den entsprechenden Betrag vom Lohn des Ehemannes abzuziehen und der Rekurrentin zu überweisen. Wie die Vorinstanz mit Recht angenommen hat, handelt es sich bei diesen dem Ehemann auferlegten Leistungen um Beiträge (Unterhaltsbeihilfen) im Sinne von
Art. 176 Abs. 2 ZGB
, so dass die der Rekurrentin im gleichen Entscheid zugesprochene Prozessentschädigung nach der Rechtsprechung auf dem Betreibungsweg geltend gemacht werden kann.
Die Rekurrentin hatte freilich nicht behauptet, dass der eine oder andere Ehegatte zum Getrenntleben berechtigt sei, und die ihr zugesprochenen periodischen Leistungen nicht als Unterhaltsbeiträge, sondern als Beiträge an die Haushaltskosten bezeichnet, wobei ihr nach den Feststellungen der Vorinstanz vorschwebte, es handle sich um das ihr als Führerin des ehelichen Haushalts gebührende Haushaltungsgeld. Hieraus hat jedoch die Vorinstanz mit Recht nicht geschlossen, man habe es bei den fraglichen Leistungen nicht mit wirrklichen Unterhaltsbeiträgen, sondern mit einem Haushaltungsgeld, d.h. mit Geldbeträgen zu tun, die der Ehemann der Ehefrau zur Bestreitung der Kosten des gemeinsamen Haushalts zur Verfügung zu stellen hätte, wofür die Zwangsvollstreckung nach
BGE 81 III 1
ff. nicht zulässig wäre. Der Eheschutzrichter hat der Rekurrentin die erwähnten Leistungen in der Verfügung vom 27. April 1957 unter Berufung auf
Art. 170 ZGB
zugesprochen. Vor allem aber ist ein gemeinsamer Haushalt der Eheleute O. zur Zeit tatsächlich nicht vorhanden. Auf diesen Sachverhalt, der es ausschliesst, die streitigen Leistungen als Haushaltungsgeld zu betrachten, haben die Betreibungsbehörden abzustellen. Es kann nicht ihre Sache sein, darüber zu befinden, ob ein Ehepaar zu Recht oder zu Unrecht getrennt lebe. Selbst wenn gerichtliche Urteile und Verfügungen vorliegen, die bezügliche Ausführungen enthalten, lässt sich diese Frage im Betreibungsverfahren nicht so zuverlässig abklären, dass es
BGE 84 III 1 S. 7
anginge, die Zulässigkeit der Betreibung vom Ergebnis dieser Untersuchung abhängig zu machen. So beweist die Abweisung einer Scheidungsklage an sich (entgegen der in
BGE 80 I 308
Erw. 3 geäusserten, für die damals getroffene Entscheidung aber nicht ausschlaggebenden Auffassung) noch nicht, dass die Ehegatten zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft verpflichtet seien. Die Voraussetzungen für das Getrenntleben gemäss
Art. 170 Abs. 1 ZGB
können sehr wohl auch beim Fehlen eines Scheidungsgrundes gegeben sein (z.B. ernstliche Gefährdung der Gesundheit infolge ansteckender schwerer Krankheit des andern Ehegatten). Aber auch eine auf Wiederherstellung der Gemeinschaft gerichtete Massnahme des Eheschutzrichters erlaubt in der Folge nicht ohne weiteres den Schluss, dass das Getrenntleben unrechtmässig sei. Die Verhältnisse können sich von einem Tag auf den andern ändern, sei es, dass ein Grund zum Getrenntleben entsteht, sei es, dass ein solcher nunmehr bewiesen werden kann. Angesichts solcher Möglichkeiten könnten die Betreibungsbehörden auch beim Vorliegen gerichtlicher Urteile und Verfügungen nicht zuverlässig feststellen, ob das als Tatsache gegebene Getrenntleben rechtlich begründet sei oder nicht. Es bleibt ihnen daher gar nichts anderes übrig, als sich in dieser Beziehung an die tatsächlichen Verhältnisse zu halten, wie die Vorinstanz es getan hat, und diese Verhältnisse lassen die Betreibung Nr. 2643 wie gesagt als zulässig erscheinen.
4.
Ist diese Betreibung mit Rücksicht darauf, dass die in der Verfügung vom 27. April 1957 festgesetzten periodischen Leistungen nach der tatsächlichen Lage nicht als Haushaltungsgeld, sondern als Unterhaltsbeihilfen gelten müssen, zu gestatten, so können nach Vernunft und Billigkeit für die Berechnung des Notbedarfs auch nur die tatsächlich vorhandenen Verhältnisse massgebend sein und kann auch in diesem Punkte nichts darauf ankommen, ob der Ehemann der Rekurrentin zum Getrenntleben berechtigt sei oder nicht.
BGE 84 III 1 S. 8
Das Begehren der Rekurrentin, der Notbedarf ihres Ehemannes sei ohne Rücksicht auf die aus dem Getrenntleben sich ergebenden erhöhten Bedürfnisse festzusetzen, läuft darauf hinaus, dass auf den Ehemann durch Entzug von Mitteln, die er wirklich benötigt, um als alleinstehender Mann sein Leben zu fristen, ein Druck ausgeübt werden soll, um ihn zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bestimmen. Einen derartigen Zwang erlaubt das Gesetz ebensowenig wie einen solchen durch Verpflichtung des widerspenstigen Ehegatten zu Schadenersatzleistungen (
BGE 80 I 309
Erw. 4).
Dass der Notbedarf des Ehemannes seinen Verdienst auch bei Berücksichtigung der Bedürfnisse eines alleinstehenden Mannes nicht erreiche, wird von der Rekurrentin nicht behauptet.
Aus diesen Gründen ist der Rekurs auch mit Bezug auf die Betreibung Nr. 2643 abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f14844b0-c9a3-4f51-965a-c9d061ec5a6e | Urteilskopf
107 V 230
53. Urteil vom 25. August 1981 i.S. Dettwiler gegen Betriebskrankenkasse der Schweizerischen Reederei und Neptun AG und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 26 Abs. 1 KUVG
, Art. 16 Vo III. Die Kapitalauszahlung einer Spareinrichtung ist bei der Beurteilung der Überversicherungsfrage als Leistung im Sinne dieser Bestimmungen zu berücksichtigen.
Art. 159 Abs. 2 OG
. Den Krankenkassen, die vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht obsiegen, sind in der Regel keine Parteientschädigungen zuzusprechen. | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 107 V 230 S. 230
A.-
Der 1914 geborene Walter Dettwiler war als Magaziner bei der Schweizerischen Reederei und Neptun AG in Basel angestellt und gehörte der dortigen Betriebskrankenkasse an. Nach seiner vorzeitigen Pensionierung auf 1. November 1978 wurde ihm von der Pensionskasse der Firma ein Sparkapital von Fr. ... ausbezahlt. Mit Verfügung vom 6. Juni 1979 eröffnete die Betriebskrankenkasse dem Versicherten, das von ihr ausgerichtete Krankengeld werde ab 1. November 1978 wegen Überversicherung u.a. um den Betrag von Fr. ... monatlich gekürzt, weil das von der Pensionskasse ausbezahlte Sparkapital in diesem Umfang bei der Berechnung des Versicherungsgewinns zu berücksichtigen sei.
B.-
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 16. September 1980 ab.
C.-
Die Erben des am 6. September 1979 verstorbenen Versicherten lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, die Betriebskrankenkasse sei zur Bezahlung des ungekürzten Krankengeldes bis 6. September 1979 zu verpflichten. Zur Begründung wird im wesentlichen vorgebracht, bei der Berechnung der Überversicherung gemäss
Art. 26 Abs. 1 und 3 KUVG
BGE 107 V 230 S. 231
dürfe die Rückzahlung einer Spareinlage nicht berücksichtigt werden. Bei der Alterssparkasse handle es sich nicht um eine Versicherung, weil der Spareinleger weder einer Risikogemeinschaft beitrete noch Prämienzahlungen erbringe. Die Spareinlagen beruhten vielmehr auf den Leistungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche lohnähnlichen Charakter hätten und deren Auszahlung nicht vom Eintritt eines Versicherungsfalles abhänge. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz dürfe daher die Auszahlung der Spareinlagen nicht den Leistungen der Rentenversicherung gleichgestellt werden.
Die Betriebskrankenkasse lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sowie die Zusprechung einer Parteientschädigung beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist, ob die Betriebskrankenkasse berechtigt war, die dem Versicherten von der Pensionskasse ausgerichtete Kapitalzahlung von Fr. ... in eine Rente umzurechnen und diese bei der Beurteilung der Überversicherungsfrage zu berücksichtigen.
Gemäss
Art. 26 Abs. 1 KUVG
darf dem Versicherten aus der Versicherung kein Gewinn erwachsen. Die Kassen haben ihre Leistungen höchstens in dem Mass zu gewähren, als unter Berücksichtigung der Leistungen allfällig weiterer leistungspflichtiger Versicherungsträger dem Versicherten kein Gewinn erwächst (
Art. 26 Abs. 3 KUVG
). Als Versicherungsgewinn gelten nach Art. 16 Vo III KUVG die Leistungen, welche die volle Deckung des Erwerbsausfalls, der Krankenpflegekosten und der übrigen krankheitsbedingten, nicht anderweitig gedeckten Kosten des Versicherten übersteigen.
Zur Feststellung einer allfälligen Überversicherung hat die Kasse oder der Richter die Gesamtheit der Leistungen, in deren Genuss der Versicherte wegen seiner Krankheit kommt, zu vergleichen mit der Gesamtheit des Verdienstausfalls und der übrigen Krankheitskosten (
BGE 105 V 288
; RSKV 1978 Nr. 314 S. 39, 1974 Nr. 200 S. 125, 1973 Nr. 176 S. 139).
Als anrechenbare Leistungen anderer Versicherungsträger im Sinne von
Art. 26 Abs. 3 KUVG
sind nur solche zu betrachten, deren Funktion mit der von der sozialen Krankenversicherung im Einzelfall geschuldeten Leistung vergleichbar ist (
BGE 101 V 236
;
BGE 107 V 230 S. 232
RSKV 1978 Nr. 314 S. 39, 1974 Nr. 189 S. 11; unveröffentlichte Urteile Müller vom 2. April 1981 und Amrein vom 12. November 1975; vgl. auch
BGE 102 V 91
). Im Urteil Pedrelli vom 18. Januar 1974 hat das Eidg. Versicherungsgericht festgestellt, dass sowohl Leistungen der Sozialversicherungen (wie SUVA, Militärversicherung oder IV) als auch solche von privaten Versicherungsträgern in die Ermittlung einer allfälligen Überversicherung einzubeziehen sind. Ferner wurde ausgeführt, dass ebenfalls Leistungen Dritter, die nicht Versicherungsträger sind (wie z.B. Haftpflichtige oder Arbeitgeber), bei der Berechnung der Überversicherung gemäss
Art. 26 Abs. 1 KUVG
und Art. 16 Vo III KUVG zu berücksichtigen sind. Zu dem für die Beurteilung der Überversicherung massgebenden Verdienst gehören dabei gesetzlich oder vertraglich geschuldete Leistungen, nicht aber freiwillige Leistungen (
BGE 99 V 140
,
BGE 97 V 94
, RSKV 1976 Nr. 271 S. 212).
2.
Nach § 51 des Pensionskassenreglements vom 1. September 1962 ist für diejenigen Angestellten, welche nicht in die Rentenversicherung aufgenommen werden, der Beitritt zur Sparkasse obligatorisch. Die der Sparkasse zugewiesenen Angestellten liefern monatlich und bei Gehaltserhöhungen die nämlichen Beiträge an die Sparkasse ab, wie dies für Mitglieder der Rentenversicherung geschieht (§ 52 Abs. 1 des Reglements). Nach § 53 Abs. 1 des Reglements fällt der Gesamtbetrag der einbezahlten Beiträge von Mitglied und Firma an das Mitglied, wenn es dauernd arbeitsunfähig wird und aus diesem Grunde oder nach erreichter Altersgrenze aus dem Dienst der Reederei ausscheidet.
Aufgrund der Akten steht fest, dass der Versicherte auf den 1. November 1978 krankheitshalber vorzeitig pensioniert wurde. Er hatte daher im Rahmen von § 53 des Reglements der Personalfürsorgestiftung einen Anspruch auf Ausrichtung der Kapitalzahlung. Das ausbezahlte Spargeld stellt somit keine freiwillige, sondern eine vertraglich geschuldete Leistung dar, die als Ersatzeinkommen zu qualifizieren und nach den in Erwägung 1 dargelegten Grundsätzen in die Beurteilung der Überversicherungsfrage einzubeziehen ist. Dies würde selbst dann gelten, wenn Spareinlegerkassen allenfalls nicht als Versicherungsträger im Sinne von
Art. 26 Abs. 3 KUVG
zu betrachten wären, was offen bleiben kann.
Im übrigen ist von keiner Seite bestritten und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Berechnung der für die Feststellung der Überentschädigung massgebenden Beträge unzutreffend
BGE 107 V 230 S. 233
wäre. Demzufolge bleibt es dabei, dass aus dem Zusammentreffen von Krankengeld und Kapitalzahlung den Beschwerdeführern ein Gewinn erwächst, den die Betriebskrankenkasse zu Recht durch Herabsetzung der Leistungen korrigiert hat. Die angefochtene Verfügung erweist sich daher als gesetzeskonform.
3.
Krankenkassen wird im Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht grundsätzlich keine Parteientschädigung zugesprochen (
BGE 106 V 123
). Besondere Verhältnisse, welche eine Abweichung hievon zu rechtfertigen vermöchten, liegen nicht vor. Dem Begehren der Beschwerdegegnerin um Zuerkennung einer Parteientschädigung wird daher nicht stattgegeben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f14d09a5-9962-4076-9bf3-5f6323b51111 | Urteilskopf
139 V 570
74. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_672/2013 vom 22. November 2013 | Regeste
Art. 9 Abs. 1 ELG
;
Art. 30 ELV
;
Art. 25 Abs. 2 ATSG
; Beginn der relativen einjährigen Verwirkungsfrist.
Aus
Art. 9 Abs. 1 ELG
, wonach die Ergänzungsleistung in der Regel für die Dauer eines Jahres festgesetzt wird, somit jährlich neu zu berechnen ist, folgt nicht, dass von einer zumutbaren Kenntnis der EL-Durchführungsstelle von einer allfälligen fehlerhaften erstmaligen Anspruchsberechnung und Leistungsfestsetzung von Gesetzes wegen auszugehen wäre, wie dies im Rahmen der periodisch, mindestens alle vier Jahre vorzunehmenden Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach
Art. 30 ELV
der Fall ist (E. 3.1). | Sachverhalt
ab Seite 571
BGE 139 V 570 S. 571
A.
A. bezog ab 1. September 2010 Ergänzungsleistungen (EL) zur Altersrente der AHV (Verfügung vom 29. Oktober 2010), welche in der Folge mehrmals neu berechnet wurde. Im November 2012 nahm das Amt für AHV und IV, Ausgleichskasse, des Kantons Thurgau im Rahmen der periodischen Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Neuberechnung der EL vor. Diese ergab für die Zeit vom 1. September 2010 bis 30. November 2012 zu viel ausbezahlte Leistungen in der Höhe von Fr. 29'822.-. Mit Verfügung vom 14. November 2012 forderte die Ausgleichskasse diesen Betrag zurück und setzte den Anspruch für Dezember 2012 auf Fr. 1'728.- fest. Die dagegen erhobene Einsprache wies das Amt für AHV und IV, Rechts- und Einsprachedienst, mit Entscheid vom 13. März 2013 ab.
B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde der A. änderte das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 17. Juli 2013 den angefochtenen Einspracheentscheid dahingehend ab, dass es den Rückforderungsbetrag (für die Monate Dezember 2010 bis November 2012) auf Fr. 28'850.- festsetzte.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A., der Entscheid vom 17. Juli 2013 sei aufzuheben und von der Rückforderung über Fr. 28'850.- sei abzusehen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach verbindlicher, im Übrigen unbestrittener Feststellung der Vorinstanz (
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
) war bei der ursprünglichen EL-Berechnung ein zu hoher Mietzins als Ausgabe anerkannt worden, indem unberücksichtigt blieb, dass die 1980 geborene Tochter der Beschwerdeführerin im selben Haushalt wohnte (vgl.
Art. 10 Abs. 1 lit. b ELG
[SR 831.30] und
Art. 16c ELV
[SR 831.301]). Ebenfalls erfolgte keine Anrechnung des Freizügigkeitsguthabens des Ehemannes samt Zins ab dem frühestmöglichen Bezugszeitpunkt nach Vollendung des 60. Altersjahres am 6. April 2011 (
Art. 16 Abs. 1 FZV
[SR 831.425]; vgl.
Art. 11 Abs. 1 lit. b und c ELG
).
2.
Mit Bezug auf die einzig streitige Frage, ob der Rückforderungsanspruch bei Erlass der Verfügung vom 14. November 2012 verwirkt war (
Art. 25 Abs. 2 ATSG
[SR 830.1];
BGE 138 V 74
E. 4 S. 77), steht sodann fest, dass die Beschwerdeführerin im
BGE 139 V 570 S. 572
Anmeldeformular angegeben hatte, dass drei Personen - ausser ihr und ihrem Ehemann auch die Tochter - in ihrem Haushalt lebten. Das Freizügigkeitskonto ihres Ehegatten wurde nicht erwähnt und auch später nicht mitgeteilt, als das Guthaben hätte bezogen werden können. Erst im Rahmen der Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse per September 2012 wurde - auf dem Beiblatt 6 (BVG-Leistungen) - das Freizügigkeitskonto samt derzeitigem Kontostand angegeben.
3.
3.1
Es ist - zu Recht - unbestritten, dass die versehentliche Nichtberücksichtigung des Umstandes der im Haushalt der Beschwerdeführerin wohnenden Tochter bei der Festsetzung des Mietzinses als anerkannte Ausgabe bei der EL-Berechnung in der Verfügung vom 29. Oktober 2010 die relative einjährige Verwirkungsfrist für die Geltendmachung einer Rückforderung nicht auszulösen vermochte. Diesbezüglich massgebend ist jener Zeitpunkt, in dem die Beschwerdegegnerin später bei der gebotenen und zumutbaren Aufmerksamkeit, etwa aufgrund eines zusätzlichen Indizes, den Fehler hätte erkennen können und dass die Voraussetzungen für eine Rückforderung gegeben sind (Urteil 9C_877/2010 vom 28. März 2011 E. 4.2.1 mit Hinweisen). Dieser Rechtsprechung liegt u.a. die Überlegung zugrunde, dass bei einer Neuberechnung der EL grundsätzlich bloss die dazu Anlass gebenden Änderungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur zu beachten und zu berücksichtigen sind. Dagegen ist nicht jedes Mal bzw. lediglich bei entsprechenden Anhaltspunkten zu prüfen, ob die Angaben im Anmeldeformular seinerzeit auch richtig umgesetzt worden waren. Anders verhält es sich bei der periodischen, mindestens alle vier Jahre vorzunehmenden Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Spätestens in diesem Zeitpunkt gilt eine allenfalls unrechtmässige Leistungsausrichtung als erkennbar, sodass die relative einjährige Verwirkungsfrist zu laufen beginnt, sobald der Rückforderungsanspruch als solcher und betragsmässig feststeht (
Art. 30 ELV
; SVR 2011 EL Nr. 7 S. 21, 9C_999/2009 E. 3.2.1 mit Hinweis). Darüber hinaus ist jedoch nicht - mit Blick darauf, dass die Ergänzungsleistung in der Regel für die Dauer eines Jahres festgesetzt wird (
Art. 9 Abs. 1 ELG
;
BGE 128 V 39
), somit jährlich neu zu berechnen ist - von einer zumutbaren Kenntnis der EL-Durchführungsstelle von einer allfälligen fehlerhaften erstmaligen Anspruchsberechnung und Leistungsfestsetzung von Gesetzes wegen auszugehen (offengelassen im Urteil 9C_999/2009 vom 7. Juni 2010 E. 3.2.1). Eine jährliche Verifizierung jeder einzelnen
BGE 139 V 570 S. 573
Position in der EL-Berechnung stellte einen im Rahmen der Massenverwaltung kaum zu bewältigenden Aufwand dar, welchem Umstand der Verordnungsgeber mit
Art. 30 ELV
, wonach die wirtschaftlichen Verhältnisse periodisch, mindestens alle vier Jahre zu überprüfen sind, in gesetzeskonformer Weise Rechnung getragen hat.
3.2
3.2.1
Die Vorinstanz hat festgestellt, die Frage nach der Anzahl der mit der Beschwerdeführerin im selben Haushalt wohnenden Personen sei auch anlässlich der folgenden EL-Berechnungen (Verfügungen vom 23. Dezember 2010, 21. Februar, 12. und 31. Mai 2011) nicht thematisiert worden. Das Zusammenleben mit der Tochter ergebe sich denn auch nicht aus den vorliegenden Akten. Erst anlässlich der im September 2012 eingeleiteten Revision sei diese Tatsache festgestellt worden. Mit Erlass der Rückerstattungsverfügung vom 14. November 2012 sei somit die einjährige Verwirkungsfrist gewahrt. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der Mietzins nicht der Grund für die verschiedenen EL-Neuberechnungen im Zeitraum Dezember 2010 bis Mai 2011 war. Umstände, welche die Beschwerdegegnerin bei der gebotenen Aufmerksamkeit hätten veranlassen müssen, auch diese Berechnungsposition zu überprüfen, und zwar anhand der Akten, welche der erstmaligen EL-Zusprechung zugrunde lagen, insbesondere der Angaben im Anmeldeformular, bringt sie jedoch nicht vor. Die erwähnten Berechnungen waren auch nicht anlässlich einer Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt auf
Art. 30 ELV
erfolgt.
3.2.2
Mit Bezug auf das erstmals im Oktober 2012 erwähnte Freizügigkeitskonto bringt die Beschwerdeführerin vor, sie habe bei der Erstanmeldung das Beiblatt 6 (BVG-Leistungen) nicht erhalten. Dieses habe somit bei den eingereichten Unterlagen gefehlt und hätte von der Beschwerdegegnerin nachgefordert bzw. eingeholt werden müssen. Bei diesem Vorgehen hätte das Freizügigkeitsguthaben rechtzeitig bei der Berechnung des Vermögensverzehrs berücksichtigt werden können. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Unter Ziff. 19 "Erhalten Sie eine BVG-Rente?" im Anmeldeformular vom 30. August 2010 fand sich fett gedruckt der Vermerk "Bitte Beiblatt 6 (BVG Leistungen) ausfüllen". Fehlte das betreffende Formular tatsächlich, wäre es Sache der Beschwerdeführerin gewesen, dies der Beschwerdegegnerin zu melden. Es kommt dazu, dass Ziff. 10 des
BGE 139 V 570 S. 574
Anmeldeformulars nach sonstigem Vermögen der EL-Ansprecherin und ihres Ehemannes fragte, was verneint wurde. Es wären somit sämtliche Aktiven anzugeben gewesen, wozu unzweifelhaft auch ein Freizügigkeitskonto gehört (Urteil 9C_112/2011 vom 5. August 2011 E. 2). Im Übrigen gilt das im Zusammenhang mit dem Mietzins Gesagte.
3.3
Der masslich nicht bestrittene Rückforderungsanspruch ist somit nicht verwirkt. Die Beschwerde ist unbegründet. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f14dd733-e1be-457a-b6e4-31043bc28aee | Urteilskopf
109 II 15
5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Januar 1983 i.S. N. und Mitbeteiligte gegen M. (Berufung) | Regeste
Unsittliche Zuwendung (
Art. 20 Abs. 1 OR
).
Die Zuwendung eines verheirateten Mannes an seine Konkubinatspartnerin ist nur dann unsittlich, wenn sie dazu bestimmt ist, das ehebrecherische Verhalten zu fördern, wenn es sich also um ein eigentliches pretium stupri handelt (E. 1).
Obligatorisches Wohnrecht.
Die Begründung eines unentgeltlichen obligatorischen Wohnrechts ist zulässig (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 16
BGE 109 II 15 S. 16
Aus den Erwägungen:
1.
Der Streit der Parteien dreht sich hauptsächlich um die Frage, ob die verschiedenen Zuwendungen des Erblassers an die Beklagte gültig seien. Die Kläger bestreiten die Gültigkeit der Zuwendungen vor allem mit der Begründung, diese hätten sittenwidrigen Charakter gehabt.
a) Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz lebten die Beklagte und der Erblasser während fast fünf Jahren bis zu dessen Tod in eheähnlicher Lebensgemeinschaft im streitigen Haus in L. Ob die Ehe des Erblassers mit seiner 17 Jahre älteren Ehefrau im Zeitpunkt der Aufnahme des Konkubinats im April 1968 zerrüttet war, hat die Vorinstanz offen gelassen. Dagegen hat sie festgestellt, ein Einverständnis der Ehefrau mit dem Konkubinat sei trotz der Weiterführung der Kontakte mit dem Erblasser nicht bewiesen. Ferner hat die Vorinstanz festgehalten, dass die Beklagte, die sich während Jahren der Prostitution hingegeben habe, auch noch zu Beginn des Konkubinats mit dem Erblasser mit andern Männern Bekanntschaft gehabt habe, die ihr Geld gegeben hätten. Ein eigentliches Dirnenleben zu jener Zeit sei aber nicht erwiesen. Auf der andern Seite nahm die Vorinstanz auch nicht an, dass andere Gründe als das Konkubinat den Erblasser zu den umstrittenen Vermögensdispositionen zugunsten seiner Partnerin veranlasst hätten. Trotzdem hielt sie die Zuwendungen nicht für ungültig, da mit ihnen kein unsittlicher Zweck verfolgt worden sei.
b) Demgegenüber weisen die Kläger darauf hin, das Bundesgericht habe in gefestigter Rechtsprechung daran festgehalten, dass unentgeltliche Zuwendungen im ehebrecherischen Konkubinat als unsittlich und damit nichtig zu betrachten seien. Tatsächlich liegt diese Auffassung, allerdings mit gewissen Einschränkungen, den Entscheidungen des Bundesgerichts
BGE 39 II 85
ff.,
BGE 73 II 15
ff. und
BGE 93 II 161
ff. zugrunde. Der Umstand, dass in den beiden zuletzt erwähnten Entscheidungen eine ehebrecherische Beziehung zu beurteilen war, die nicht ohne weiteres auch als eheähnliche Gemeinschaft bezeichnet werden kann, da eine solche Wohn-, Tisch- und Geschlechtsgemeinschaft voraussetzt (vgl. BGE 71 IV
BGE 109 II 15 S. 17
46 ff.; HAUSHEER, ZBJV 116/1980, S. 99, und NOIR-MASNATA, Les effets patrimoniaux du concubinage et leur influence sur le devoir d'entretien entre époux séparés, Diss. Lausanne 1982, S. 7 ff., je mit gewissen Differenzierungen zwischen Konkubinat und eheähnlicher Lebensgemeinschaft), hat dabei keine Bedeutung. Denn was für die ehebrecherische Beziehung gilt, muss um so mehr für die ehebrecherische eheähnliche Lebensgemeinschaft Geltung haben. In
BGE 93 II 165
hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zu dieser Frage dahingehend zusammengefasst, dass eine unentgeltliche Zuwendung nicht schon deswegen als unsittlich zu bezeichnen sei, weil ihr ein entsprechender Beweggrund zugrundeliege; vielmehr müsse die Liberalität als solche als unsittlich erscheinen, sei es, dass der Zuwendende ein solches Resultat selber gewollt oder dass er es doch in Kauf genommen habe. So sei eine Zuwendung im Rahmen einer ehebrecherischen Beziehung dann nicht sittenwidrig, wenn sie das Verhalten des Zuwendungsempfängers nicht weiter zu beeinflussen vermöge, beispielsweise weil dieser von einer Verfügung von Todes wegen bis zum Tod des Zuwendenden keine Kenntnis erhalten habe. Entscheidend für die Frage der Sittenwidrigkeit einer Liberalität ist somit nicht die Tatsache des Ehebruchs des Zuwendenden, sondern die Wirkung der Zuwendung auf den Zuwendungsempfänger; die Zuwendung muss dazu bestimmt sein, das ehebrecherische Verhalten zu fördern (
BGE 108 II 208
). Die Sittenwidrigkeit einer Zuwendung unter Konkubinatspartnern ist demzufolge nur dann zu bejahen, wenn es sich dabei um ein eigentliches pretium stupri handelt.
Auch in anderem Zusammenhang hat die Rechtsprechung nicht einfach deshalb jeden Rechtsschutz versagt, weil eine eheähnliche Lebensgemeinschaft, und sei es eine ehebrecherische, betroffen war (vgl. dazu HAUSHEER, ZBJV 116/1980, S. 99 ff. und ZBJV 118/1982, S. 98 ff.; ferner DESCHENAUX/TERCIER, Le mariage et le divorce, 2. Aufl., S. 152 ff.). So hat das Bundesgericht in
BGE 108 II 204
ff. beispielsweise zugelassen, dass Konkubinatspartner ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen, auch wenn sie Grundlage der eheähnlichen Lebensgemeinschaft bildeten, mindestens im Zeitpunkt der Auflösung des Konkubinats nach den Regeln der einfachen Gesellschaft rechtlich ordnen können, ohne dass die Liquidationsgesellschaft wegen ihres Zweckes als unsittlich bezeichnet werden könnte (vgl. auch
BGE 106 III 11
ff.). Die Rechtsprechung trägt damit dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung, der in den vergangenen Jahrzehnten mit Bezug auf die eheähnliche
BGE 109 II 15 S. 18
Lebensgemeinschaft eingetreten ist. Dass diese Art des Zusammenlebens in jüngster Zeit zu einer verbreiteten und von der Gesellschaft - ungeachtet der in einigen kantonalen Rechtsordnungen noch weiter bestehenden Konkubinatsverbote - weitgehend tolerierten Erscheinung geworden ist, ist notorisch.
c) Soll der Rechtsschutz aber nur dort versagt werden, wo eine unentgeltliche Zuwendung an einen Konkubinatspartner ein eigentliches pretium stupri darstellt, so gilt es zu beachten, dass die Rechtsprechung bei der Umschreibung dieses Begriffs Zurückhaltung übt. So hat das Bundesgericht in
BGE 85 II 378
ff. darauf hingewiesen, dass nicht von einer Unzuchtsentschädigung gesprochen werden könne, wenn ein Mann seine Konkubinatspartnerin testamentarisch begünstige, die ihn während seiner Krankheit nicht verlassen hatte, sondern ihm bis zum Tod beigestanden war, so dass die geschlechtlichen Beziehungen gegenüber der von der Partnerin erwiesenen Pflege mit der Zeit in den Hintergrund getreten waren. Damit konnte nicht gesagt sein, dass eine unentgeltliche Zuwendung an einen Konkubinatspartner nur durch ein ethisch besonders hochstehendes Verhalten vom Makel der Unsittlichkeit befreit werden könne. Zuwendungen unter Lebenden und solche von Todes wegen, die im Rahmen der verfügbaren Quote bleiben, bedürfen grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigung: sie können vielmehr den verschiedenartigsten Zwecken zugeführt werden, die ethisch keineswegs hoch einzustufen sind. Der Hinweis auf die in jenem Fall angenommene moralische Unterstützungspflicht zwischen den Konkubinatspartnern konnte daher nur den Sinn haben, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft nicht leichthin auf blosse geschlechtliche Beziehungen eingeschränkt werden kann. Welche Bedeutung der Geschlechtsgemeinschaft im Einzelfall zukommt, kann nicht allgemein gesagt werden, weder in der Ehe noch in der eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Dass aber gerade auch in einer gefestigten eheähnlichen Gemeinschaft in der Beziehung zwischen Mann und Frau neben dem Geschlechtlichen anderes von Bedeutung sein kann, lässt sich im Ernst nicht bestreiten. Alsdann kann aber auch nicht einfach davon ausgegangen werden, jede unentgeltliche Zuwendung führe in einer solchen Gemeinschaft ohne weiteres dazu, dass die Geschlechtsgemeinschaft weitergeführt oder doch begünstigt werde. Im vorliegenden Fall ist zudem nicht zu übersehen, dass die Beklagte ihre nach eigenen Angaben äusserst lukrative Dirnentätigkeit der eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit dem Erblasser
BGE 109 II 15 S. 19
"geopfert" hat, was allein schon darauf hinweist, wieviel ihr diese Beziehung bedeutete. Die Vorinstanz hat denn auch festgestellt, dass der Erblasser und die Beklagte echte menschliche Beziehungen pflegten, die über das rein Sexuelle hinausgingen. Unter diesen Umständen verstösst es nicht gegen Bundesrecht, wenn die Vorinstanz den streitigen Zuwendungen den Charakter des pretium stupri absprach. Diese Zuwendungen sind daher grundsätzlich gültig, weshalb die Berufung der Kläger im Hauptpunkt abzuweisen ist.
2.
Was das der Beklagten zugesprochene obligatorische Wohn- und Benützungsrecht an der im Eigentum der N. AG stehenden Liegenschaft in L. anbetrifft, beanstandet die N. AG, die dadurch allein beschwert ist, das Urteil der Vorinstanz nicht etwa deswegen, weil sie in Ziffer 6 des Dispositivs unmittelbar zur Schuldnerin dieses Rechts erklärt worden ist, obwohl nicht sie, sondern ihr Alleinaktionär N. es eingeräumt hatte. Sie macht vielmehr einzig geltend, ein unentgeltliches Wohnrecht könne entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht als obligatorisches Recht, sondern nur in der Gestalt einer Dienstbarkeit begründet werden; zudem bedürfe seine Einräumung der öffentlichen Beurkundung, an der es hier fehle. Es ist indessen kein Grund ersichtlich, weshalb in diesem Zusammenhang die das schweizerische Obligationenrecht kennzeichnende Inhaltsfreiheit nicht gelten sollte. Dass ein obligatorisches Wohnrecht nur gegen Entgelt errichtet werden könne, hat das Bundesgericht entgegen der Behauptung der Kläger in
BGE 82 II 337
nicht gesagt. Sollte in der unentgeltlichen Einräumung eines obligatorischen Wohnrechts auch ein Schenkungsversprechen zu erblicken sein, das zu seiner Gültigkeit nach
Art. 243 Abs. 1 OR
der schriftlichen Form bedarf, so wäre diese Form in den beiden Urkunden vom 21. Juni 1968 eingehalten worden. Da am Grundstück der N. AG kein dingliches Recht errichtet worden ist, besteht schliesslich keinerlei Anlass, für das Geschäft die öffentliche Beurkundung zu verlangen. Die Hauptberufung erweist sich daher auch in diesem Punkt als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f14fbb33-663f-450e-b1e3-a374f53f00a6 | Urteilskopf
118 IV 296
53. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 30. Oktober 1992 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern | Regeste
Art. 346 und 350 Ziff. 1 StGB
. Begehungsort.
Sondergerichtsstand für Konkurs- und Betreibungsdelikte.
Besteht am Ort der Konkurseröffnung bzw. der Pfändungsbetreibung nur ein rein fiktiver Geschäftssitz, so bestimmt sich der Gerichtsstand für Konkurs- und Betreibungsdelikte nach dem tatsächlichen Geschäfts- bzw. Wohnsitz. | Sachverhalt
ab Seite 296
BGE 118 IV 296 S. 296
A.-
Am 24. Januar 1973 wurde die X. AG mit Sitz in Hergiswil/NW gegründet.
Im Eigentum der X. befand sich bis 1983 die Y. AG, die, 1961 in Zürich gegründet, seit 1983 ihren Sitz in Luzern hat. Diese war Eigentümerin eines Grundstücks in Root/LU, das sie 1961 für Fr. 410'288.-- erworben hatte.
Am 14./15. Juni 1983 wurde die Z. AG mit Sitz in Luzern gegründet; einziger Verwaltungsrat war A. Am 20. Juni 1983 erwarb die Z. AG von der X. AG deren 100%ige Beteiligung an der Y. AG für Fr. 1'139'970.--; der Aktienübernahmevertrag wurde in Baden abgeschlossen. Das Vermögen der Y. AG bestand aus dem Grundstück in Root und einem Guthaben (Aktionärsdarlehen) von Fr. 568'000.-- gegenüber der Z. AG.
Am 29. Juni 1983 kaufte die Z. AG von der Y. AG das Grundstück in Root für Fr. 1'550'000.--, obwohl ihr dieses gemäss Übernahmevertrag vom 20. Juni 1983 wirtschaftlich schon gehörte; der Kaufvertrag wurde in Root abgeschlossen.
BGE 118 IV 296 S. 297
Am 3. April 1984 verkaufte die Z. AG das Grundstück für Fr. 3'260'000.-- der Gebrüder B. AG in Küssnacht, die als Käuferin bereits bei Abschluss des Übernahmevertrages bekannt gewesen war; auch dieser Kaufvertrag wurde in Root abgeschlossen.
Als die Luzerner Steuerbehörden diese Geschäftsvorgänge besteuern wollten, waren die Y. AG und die Z. AG bereits in Liquidation und keine Mittel mehr vorhanden, um die Steuerbeträge von Fr. 475'053.65 bzw. Fr. 5'451.25 zu bezahlen; das Betreibungsamt Luzern stellte in der Folge am 27. bzw. 21. Dezember 1988 entsprechende Pfändungsverlustscheine über diese Beträge aus.
Da das gewählte Vorgehen bei den Transaktionen vermuten liess, die Z. AG sei einzig zum Zwecke der Verminderung der Grundstückgewinnsteuer gegründet worden, erhob die Gemeinde Root/LU am 25. Oktober 1989 gegen A. Strafklage wegen ungetreuer Geschäftsführung, Veruntreuung, eventuell Steuerbetruges und weiterer Vermögensdelikte; in der Klage wird die Ausdehnung der Untersuchung auf "C., D., E., u.a." verlangt.
Die Behörden des Kantons Luzern führen seither ein Ermittlungsverfahren "wegen Veruntreuung und Konkursdelikten".
B.-
Am 18. März 1983 wurde die N. AG mit Sitz in Baden gegründet; das Aktienkapital wurde von A., C. und F. gezeichnet; im Verwaltungsrat sass u.a. E.
Am 6. Oktober 1983 übertrug die Y. AG der N. AG ein Kaufrecht an zwei Grundstücken in Auenstein/AG für Fr. 250'000.--. Der Vertrag wurde in Aarau abgeschlossen. Diese Grundstücke wurden schliesslich mehrfach unter den Beschuldigten bzw. deren Gesellschaften weiterverkauft.
Am 29. Oktober 1984 wurde das Aktienkapital der N. AG durch D., C. und die Z. AG auf Fr. 1,5 Mio. erhöht.
Am 7. Januar 1987 bzw. 10. November 1988 verkaufte die N. AG ihre zwei letzten Grundstücke in Ennetbaden und Wohlenschwil für Fr. 3'950'000.-- bzw. Fr. 670'000.--. Beide Kaufverträge wurden in Baden abgeschlossen.
Aufgrund dieser Verkäufe wurde die N. AG im Februar 1991 durch das Steueramt des Kantons Aargau nach Ermessen veranlagt.
Das anschliessend wegen Nichtbezahlung der Steuerbeträge der Steuerperiode 87/88 durchgeführte Pfändungsverfahren ergab, dass die N. AG faktisch liquidiert worden war und über keine pfändbaren Vermögenswerte mehr verfügte, weshalb das Betreibungsamt Baden über diese Beträge Verlustscheine im Betrag von Fr. 314'743.25 (Staats- und Gemeindesteuern) bzw. Fr. 111'018.90
BGE 118 IV 296 S. 298
(direkte Bundessteuer) ausstellte; für die in der Steuerperiode 89/90 geschuldeten Staats- und Gemeindesteuern resultierte ein Verlustschein im Betrag von Fr. 441'868.65.
Am 2. Juni 1992 erstattete das Steueramt des Kantons Aargau nach verschiedenen Abklärungen im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der N. AG gegen G., A., C., D., H. und E. Strafanzeige wegen Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsführung, Pfändungsbetruges, leichtsinnigen Konkurses und Vermögenszerfalls, Unterlassung der Buchführung und Gläubigerbevorzugung.
Die Ermittlungen ergaben, dass im Kanton Luzern gegen denselben Beschuldigtenkreis bereits eine Strafuntersuchung u.a. auch wegen Pfändungsbetruges hängig war, in deren Verlauf die Kantonspolizei des Kantons Aargau bereits im Oktober 1991 Rechtshilfe geleistet hatte. Der in der Folge zwischen den beiden Kantonen durchgeführte Meinungsaustausch führte zu keiner Einigung in der Frage des Gerichtsstandes.
C.-
Mit Eingabe vom 24. September 1992 ersucht die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau die Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Luzern seien berechtigt und verpflichtet zu erklären, die den Beschuldigten in beiden Verfahren zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist, auch für die Verfolgung und Beurteilung der übrigen Taten zuständig (
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
). Sind diese strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde (Abs. 2).
2.
a) Die Beschuldigten gingen in beiden Kantonen nach dem gleichen Muster vor. Zur Abwicklung eines Liegenschaftshandels wurde eine Aktiengesellschaft gegründet bzw. aktiviert. Nach Abschluss der Transaktion wurden die Gewinne abgezogen, die Firmen faktisch liquidiert und die Steuergläubiger mit Pfändungsverlustscheinen abgespiesen; es sollen zudem weitere Vermögensverminderungen im Sinne von
Art. 164 StGB
(insbesondere Verwendung von Gesellschaftsmitteln für private Aufwendungen) vorliegen.
BGE 118 IV 296 S. 299
b) Beide Parteien gehen gestützt darauf übereinstimmend davon aus, dass im vorliegenden Fall die mit der schwersten Strafe bedrohten Delikte die Pfändungsbetrüge im Sinne von
Art. 164 StGB
sind. Diese werden den Beschuldigten A., C., D., E. in beiden Kantonen sowie zudem G. und H. im Kanton Aargau vorgeworfen.
Wurden diese Delikte in beiden Kantonen verübt, so läge der gesetzliche Gerichtsstand gemäss
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
im Kanton Luzern, wo klarerweise die Untersuchung zuerst angehoben wurde.
c) Es bleibt zu prüfen, wo diese Delikte im Sinne von
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
"verübt", das heisst ausgeführt wurden. Denn
Art. 350 Ziff. 1 StGB
kommt nur zur Anwendung, wenn mehrere strafbare Handlungen für sich allein genommen an verschiedenen Orten bzw. in verschiedenen Kantonen zu verfolgen und zu beurteilen wären.
3.
a) Die Gesuchstellerin geht davon aus, dass die im Luzerner Verfahren zu beurteilenden Straftaten teils im Kanton Luzern, teils im Kanton Aargau begangen worden seien.
Die Gesuchsgegnerin habe sich im übrigen im Meinungsaustauschverfahren zu Unrecht auf
BGE 106 IV 31
und
BGE 107 IV 75
berufen, nach welcher Rechtsprechung Konkursdelikte, wenn der Sitz der Firma und der Ort der Konkurseröffnung zusammenfallen, als an diesem Ort begangen gelten, weshalb sie dort zu verfolgen und zu beurteilen seien: Da sowohl die Y. AG als auch die Z. AG ihren Sitz in Luzern hätten und das Betreibungsamt Luzern das Zwangsvollstreckungsverfahren durchgeführt habe, liege der Begehungsort auch nach dieser Rechtsprechung in diesem Kanton. Im übrigen sei diese für Konkursdelikte geltende Praxis nicht auf den hier in Frage stehenden Pfändungsbetrug anwendbar.
b) Die Gesuchsgegnerin bestreitet die Annahme der Gesuchstellerin, die im Luzerner Verfahren zu beurteilenden Straftaten seien teils im Kanton Aargau, teils im Kanton Luzern begangen worden, nicht ausdrücklich.
In bezug auf die von ihr im Meinungsaustausch angerufene Rechtsprechung betreffend den Gerichtsstand bei Konkursdelikten betont sie, diese gelte nicht für den Fall, dass der Konkurs an einem Ort eröffnet wurde, wo die Gesellschaft lediglich einen fiktiven Sitz hatte. Letzteres sei hier der Fall: Der Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit liege im Kanton Aargau, denn die eigentlichen Geschäftsniederlassungen hätten sich zu keinem Zeitpunkt im Kanton Luzern, sondern am Arbeitsort von A. in Baden befunden.
BGE 118 IV 296 S. 300
Die erwähnte Rechtsprechung zu den Konkursdelikten müsse auch beim Pfändungsbetrug gelten. Damit liege der Gerichtsstand gemäss
Art. 346 Abs. 1 StGB
im Kanton Aargau.
c) Von jeher bestand ein Bedürfnis, die Konkurs- und Betreibungsdelikte nicht am Begehungsort, sondern, soweit er damit nicht zusammenfällt, am Wohn- oder Geschäftssitz des Schuldners zu verfolgen, wo in der Regel auch das Betreibungsverfahren durchgeführt wird (LORENZ CASPAR, Betrügerischer Konkurs, Pfändungsbetrug, Leichtsinniger Konkurs und Vermögensverfall gemäss StrGB Art. 163-165; ZStrR 1971, S. 43).
In
BGE 72 IV 90
erachtete denn auch die Anklagekammer die Anwendung der Regel, wonach für den Gerichtsstand der Ausführungsort gemäss
Art. 346 StGB
massgebend ist, im Zusammenhang mit Konkurs- und Betreibungsdelikten als unbefriedigend, da diese Delikte wegen der Auswirkungen, die sie auf das Vermögen des Täters hätten, welches sich an dessen Wohn- oder Geschäftssitz befinde, bestraft würden; am Wohn- oder Geschäftssitz liege bei diesen Delikten meist auch das Schwergewicht der deliktischen Handlungen; Konkurs- und Betreibungsdelikte seien deshalb von den Behörden des Ortes zu verfolgen, an dem der Schuldner zur Zeit der Begehung seinen Wohn- oder Geschäftssitz hatte. Die im erwähnten Entscheid offengelassene Frage, ob diese Rechtsprechung auch gelte, wenn der Wohn- oder Geschäftssitz nicht mit dem Konkurs- oder Betreibungsort zusammenfalle, wurde in
BGE 81 IV 64
bejaht (vgl. dazu auch Schwander, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, S. 373).
Mit
BGE 106 IV 31
wurde diese Rechtsprechung dahingehend geändert, dass sich der Begehungsort allgemein neu am Ort der Konkurseröffnung bestimme, sofern dieser mit dem Sitz der Firma zusammenfällt und die Gesellschaft dort nicht nur einen rein fiktiven Sitz hatte. In
BGE 107 IV 75
wurde diesbezüglich herausgestrichen, dass der Gerichtsstand nur dann am Ort der Konkurseröffnung liege, wenn im konkreten Fall die besonderen Umstände, die diese Ausnahme zu begründen vermögen, auch wirklich erfüllt sind, dass mit anderen Worten
- sich die Akten, auf die die Untersuchung zurückgreifen muss, am Ort der Konkurseröffnung befinden,
- die in der Untersuchung zu befragenden Zeugen am Konkursort oder in dessen Nähe wohnen,
- und von der Konkursverwaltung für das Strafverfahren allenfalls wichtige Aufschlüsse zu erhalten sind.
Sind diese Umstände dagegen nicht erfüllt, indem der tatsächliche
BGE 118 IV 296 S. 301
Sitz der Gesellschaft in einem anderen Kanton lag, in welchem die Geschäftstätigkeit abgewickelt und die Buchhaltung geführt wurde, wo auch der Angeschuldigte bzw. die Beschuldigten wohnten, sich das Betriebsmaterial befand, so gilt das Delikt als in diesem Kanton verübt (vgl. unveröffentlichten Entscheid der Anklagekammer vom 5. August 1983 in Sachen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, E. 1). Entgegen der Auffassung der Gesuchstellerin wurde mit dieser Praxisänderung der bereits nach der früheren Rechtsprechung für Betreibungs- und Konkursdelikte geschaffene Sondergerichtsstand nicht auf die Konkursdelikte beschränkt. In
BGE 106 IV 31
und
BGE 107 IV 75
ist nur von Konkursdelikten die Rede, weil es in den zu beurteilenden Fällen um betrügerischen Konkurs ging; wie sich insbesondere aus
BGE 106 IV 34
(E. 4a) ergibt, erstreckt sich die Praxisänderung indessen auf die Anwendung der Art. 163 bis 172 StGB, das heisst auf Konkurs- und Betreibungsdelikte (Randtitel). Auch in der Lehre wird für den Gerichtsstand der Ort der Konkurseröffnung demjenigen der Pfändungsbetreibung gleichgestellt (THOMAS MÜLLER, Betrügerischer Konkurs und Pfändungsbetrug (Art. 163/164 StGB), Diss. Zürich 1982, S. 242, N 3, S. 243; HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, S. 343 ff.).
Eine Unterscheidung rechtfertigt sich auch insofern nicht, als das strafbare Verhalten beim Pfändungsbetrug grundsätzlich dasselbe ist wie beim betrügerischen Konkurs (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., S. 302 f.). Es kommt hinzu, dass beispielsweise die Betreibung für Steuern auch gegen die der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner auf dem Wege der Pfändung oder der Pfandverwertung erfolgt (
Art. 43 SchKG
).
d) Die Gesuchsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass mit diesem Entscheid noch nicht feststehe, wie der Gerichtsstand zu bestimmen sei, wenn die zur Begründung der mit
BGE 106 IV 31
vorgenommenen Praxisänderung angeführten Elemente fehlen. Sie geht unter Hinweis auf MÜLLER (a.a.O., S. 243) davon aus, der Gerichtsstand liege in einem solchen Fall am Ort des tatsächlichen Wohn- oder Geschäftssitzes zur Zeit der Konkurseröffnung oder Betreibung.
e) Bereits im obenerwähnten unveröffentlichten Entscheid vom 5. August 1983 entschied die Anklagekammer, der Gerichtsstand bestimme sich in diesem Fall nach dem tatsächlichen Geschäfts- bzw. Wohnsitz zur Zeit der strafbaren Handlungen (E. 1; vgl. auch SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N 111).
BGE 118 IV 296 S. 302
Ob an dieser Rechtsprechung in bezug auf den massgeblichen Zeitpunkt festzuhalten sei, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, da die Gesuchsgegnerin davon ausgeht, dass sich die tatsächliche Geschäftstätigkeit der Y. AG und der Z. AG in Baden, das heisst im Kanton Aargau abgespielt habe und dieser Sitz auch im Zeitpunkt der Betreibung noch bestand; wie sich aus den von der Gesuchsgegnerin erwähnten Beilagen des Schreibens des Amtsstatthalters für Wirtschaftsdelikte ergibt, dürfte der Ort der eigentlichen Geschäftstätigkeit der Y. AG und der Z. AG tatsächlich in Baden gelegen haben.
Dass die tatsächliche Geschäftstätigkeit im Kanton Luzern entfaltet worden sei, macht die Gesuchstellerin nicht geltend. Da die beiden Gesellschaften ihren formellen Sitz im Kanton Luzern hatten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch in diesem Kanton einzelne strafbare Handlungen ausgeführt wurden; dies gilt insbesondere für die im Kanton Luzern abgewickelten Grundstückverkäufe, die unter Umständen als Teilhandlungen der Pfändungsbetrüge betrachtet werden könnten. Nach dem oben Gesagten dürfte allerdings eher davon auszugehen sein, dass sich der Sitz der in Frage stehenden Gesellschaften tatsächlich im Kanton Aargau befunden hat, wo daher grundsätzlich auch der Gerichtsstand zu bestimmen wäre. Die Frage des gesetzlichen Gerichtsstandes kann aber offenbleiben.
4.
(Stillschweigende Anerkennung des Gerichtsstandes durch die Behörden des Kantons Luzern; Gesuch im übrigen verspätet (fast drei Jahre nach Einreichen der Strafklage), daher offengelassen, ob allenfalls triftige Gründe bestehen, von diesem anerkannten Gerichtsstand abzuweichen.) | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f15308ea-6063-4837-bc4a-963c4186fba8 | Urteilskopf
117 Ib 28
6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. März 1991 i.S. Z. gegen Gemeinde Samnaun, Schweizerische PTT-Betriebe und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (verwaltungsgerichtliche und staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
1. Materielle Koordination der raumplanerischen Interessenabwägung gemäss
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
mit dem Umweltschutzgesetz (E. 2 und 3).
2. Immissionsgrenzwerte für Strahlenbelastung: Festsetzung im Einzelfall im Rahmen des Gesetzes und anhand privater technischer Richtlinien (E. 4).
3. Grundsätzlich sind bei allen Vorhaben zuerst die Vorschriften über die vorsorglichen Emissionsbegrenzungen (
Art. 11 Abs. 2 USG
) anzuwenden. Eine Beschränkung auf die Anwendung der Regeln über die Immissionsgrenzwerte darf nur gemacht werden, wenn von vornherein feststeht, dass die geplante Anlage nur bedeutungslose Emissionen verursacht. Die Beurteilung richtet sich nach dem gegenwärtigen Stand der Technik und des Wissens; vorbehalten bleiben spätere, neue Erkenntnisse (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 29
BGE 117 Ib 28 S. 29
Die Schweizerischen PTT-Betriebe (PTT) betreiben in der Gemeinde Samnaun eine Mehrzweckanlage, welche mit einer Parabolantenne zur Verbreitung der schweizerischen TV-Programme mittels Richtstrahlung ausgerüstet ist. Die Station befindet sich ausserhalb der Bauzone. Die PTT möchten die Antennenanlage für die Herstellung einer Telefon-Richtstrahlverbindung ausbauen, damit Kapazitätsengpässe bei der bestehenden Telefonverbindung vermieden werden können und die Verbindung auch im Not- und Katastrophenfall gesichert wäre. Eine Kabelverbindung parallel zum bereits bestehenden Strang fällt für die PTT aus Sicherheitsgründen ausser Betracht.
Die Baubehörde der Gemeinde Samnaun erteilte am 18. Juli 1989 die Bewilligung, die bestehende Parabolantenne durch eine neue, optisch gleich grosse, aber leistungsfähigere Muschelantenne zu ersetzen. Gleichzeitig wies sie eine Einsprache von Z., Stockwerkeigentümerin in einem Mehrfamilienhaus, das ungefähr
BGE 117 Ib 28 S. 30
500 m von der PTT-Anlage entfernt steht, ab. Z. wehrte sich nicht gegen die Telefonverbindung an sich, befürchtete aber vor allem eine Umwelt- und Gesundheitsgefährdung durch zusätzliche Strahlenbelastung. Sie verlangte daher eine Verkabelung der Telefonverbindung. Eine gegen die Baubewilligung gerichtete Beschwerde von Z. wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 22. November 1989 ab, soweit es darauf eintrat. Es führte im wesentlichen aus, auf das Begehren um Verkabelung der Telefonverbindung sei nicht einzutreten, da die Verkabelung nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens sei. Für die Strahlenbelastung sei auf den von den Fachleuten anerkannten sogenannten IRPA-Wert abzustellen, da in der Schweiz noch keine Grenz- oder Alarmwerte vorgeschrieben seien. Die geplante Richtstrahlverbindung werde eine Leistungsdichte aufweisen, die weit unter diesen Grenzwerten liege. Deshalb sei eine Schädigung von Mensch, Tier und Umwelt durch die neue Richtstrahlverbindung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.
Mit Beschwerde vom 28. Januar 1990 beantragt Z. im wesentlichen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts Graubünden sei aufzuheben und die Bewilligung wegen Umweltgefährdung durch zusätzliche nichtionisierende elektromagnetische Strahlung zu verweigern. Sie verlangt die Verwirklichung des Vorhabens mit neuzeitlichen, nicht umweltgefährdenden Techniken; die Telefonverbindung sei zu verkabeln. Zudem seien Langzeitmessungen und breit angelegte Untersuchungen über die Wirkungen nichtionisierender, elektromagnetischer Strahlung auf Menschen, Tiere und Pflanzen durchzuführen. Sie macht ferner geltend, es dürfe nicht einfach auf die "IRPA-Zahlenwerte" abgestellt werden; diese seien falsch und jedenfalls auf die konkrete Situation nicht anwendbar.
Das Bundesgericht nimmt die Beschwerde zum Teil als Verwaltungsgerichtsbeschwerde, zum Teil als staatsrechtliche Beschwerde entgegen. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist es ab, auf die staatsrechtliche Beschwerde tritt es nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Lebensraum ist eine Einheit. Deshalb sind die ihn betreffenden Regelungen koordiniert anzuwenden (
BGE 116 Ib 57
E. b;
BGE 115 Ib 472
ff.;
BGE 114 Ib 227
E. 5b. Sind für die Verwirklichung eines Projektes verschiedene materiellrechtliche Vorschriften
BGE 117 Ib 28 S. 31
anzuwenden und besteht zwischen diesen Vorschriften ein derart enger Sachzusammenhang, dass sie nicht getrennt und unabhängig voneinander angewendet werden dürfen, so muss diese Rechtsanwendung von Verfassungs- und Bundesrechts wegen materiell koordiniert werden (vgl. ausdrücklich
Art. 22quater Abs. 3 BV
;
BGE 116 Ib 56
f. E. 4; ALFRED KUTTLER, Umweltschutz und Raumplanung, in: Schriftenfolge 54 der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung, Dezember 1990). Es gilt Lösungen zu finden, bei denen alle Regelungen möglichst gleichzeitig und vollumfänglich zum Zuge kommen und das Ergebnis gesamthaft sinnvoll ist. Diese Gesamtbeurteilung wird in materieller Hinsicht durch die Anwendung einer Norm, die eine umfassende Interessenabwägung vorschreibt, gewährleistet. Im vorliegenden Fall verlangt die raumplanungsrechtliche Bewilligung nach
Art. 24 RPG
eine solche Interessenabwägung (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
;
BGE 116 Ib 59
f. E. 4c, 62 E. 6a). Formell setzt die Gesamtbeurteilung voraus, dass diese Interessenabwägung durch die nämliche Behörde vorgenommen wird (
BGE 115 Ib 514
E. 6b;
BGE 112 Ib 119
ff.). Es ist demnach im Rahmen der Baubewilligungserteilung nach
Art. 24 RPG
zu prüfen, ob auch die Gesichtspunkte der Umweltschutzgesetzgebung richtig angewendet worden seien.
3.
Eine Baubewilligung nach
Art. 24 Abs. 1 RPG
setzt voraus, dass ihr keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
). Sie beruht auf einer gesamthaften Abstimmung aller räumlich wesentlichen Gesichtspunkte und Interessen (
BGE 114 Ia 369
E. 4, 374 E. 5b). Lenkender Massstab der Interessenabwägung bilden die verbindlichen Anordnungen im Bundesgesetz über die Raumplanung, hauptsächlich die gesetzlichen Planungsziele und -grundsätze (
Art. 1 und 3 RPG
). Danach ist u.a. darauf zu achten, dass Wohngebiete vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen wie Luftverschmutzung, Lärm und Erschütterungen möglichst verschont werden (
Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG
); zu diesen Einwirkungen zählt auch die Belastung durch Strahlen. Sodann ergeben sich weitere Zielvorstellungen aus dem übrigen positiven Recht.
Soweit das positive Verfassungs- und Gesetzesrecht einzelne Aspekte der allgemeinen Interessenabwägung (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
) konkret regelt, sind Bauvorhaben im Bewilligungsverfahren vorweg nach diesen Sondernormen zu prüfen (
BGE 115 Ib 486
;
BGE 114 Ib 272
E. 3b). Erst wenn sich zeigt, dass nach diesen Sondernormen das Vorhaben nicht verhindert wird, ist die Abwägung
BGE 117 Ib 28 S. 32
aller für und gegen das Vorhaben sprechenden privaten und öffentlichen Interessen gemäss
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
koordiniert durchzuführen (
BGE 116 Ib 62
E. 6a). Im vorliegenden Fall ist somit zu prüfen, ob die eidgenössische Umweltschutzgesetzgebung dem Vorhaben entgegenstehe.
4.
Die Beschwerdeführerin beanstandet den angefochtenen Entscheid, weil er für die Frage, ob Emissionsbegrenzungen gemäss
Art. 11 Abs. 3 USG
erforderlich seien, auf die sogenannten IRPA-Richtlinien abgestellt habe.
a) Für die Beurteilung der Schädlichkeit oder Lästigkeit von Einwirkungen ... legt der Bundesrat Immissionsgrenzwerte fest (
Art. 13 Abs. 1 USG
). Da eine solche Verordnung für Strahlen heute noch fehlt, ist im Einzelfall zu beurteilen, ob die Immissionen schädlich oder lästig sind (
Art. 12 Abs. 2 USG
;
BGE 112 Ib 46
E. 4a; ANDRÉ SCHRADE, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Zürich 1989,
Art. 11 N 37
und
Art. 14 N 3
). Diese Einzelfallbeurteilung hat sich an die materiellen Grundsätze des Bundesgesetzes für die verordnungsmässige Festsetzung der Immissionsgrenzwerte zu halten (Art. 13 bis 15 USG): Sie berücksichtigt namentlich das Schutzbedürfnis der konkret und aktuell betroffenen Bevölkerung, eingeschlossen Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit wie Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere (
Art. 13 Abs. 2 USG
; SCHRADE, a.a.O.,
Art. 13 N 18
f.) und legt die Immissionsgrenzwerte derart fest, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaft und Lebensräume nicht gefährden und die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören (
Art. 14 lit. a und b USG
). Die Anforderungen nach
Art. 14 USG
gelten zwar vorab für Luftverunreinigungen, sie sind jedoch auch auf die Einwirkung von Strahlen anzuwenden (SCHRADE, a.a.O.,
Art. 14 N 3
), weil sie lediglich allgemeine Regeln wiedergeben (vgl.
Art. 1 Abs. 1 und
Art. 13 Abs. 2 USG
).
b) Für die Beurteilung der Immissionen im Einzelfall darf die Verwaltung fachlich genügend abgestützte private Grenzwertrichtlinien berücksichtigen (
BGE 114 Ib 36
ff. E. 3;
BGE 112 Ib 46
ff. E. 4). Bei den vom Verwaltungsgericht hinzugezogenen Richtlinien der internationalen Strahlenschutzvereinigung (International Non-Ionizing Radiation Committee of the International Radiation Protection Association, Guidelines on Limits of Exposure to Radiofrequency Electromagnetic Fields in the Frequency Range from 100 kHz to 300 GHz, publiziert in: Health Physics vol. 54, Nr. 1, S. 115 bis 123;
BGE 117 Ib 28 S. 33
im folgenden: IRPA-Richtlinien 1988) handelt es sich um solche in der Fachwelt anerkannte Grundlagen. Sowohl die vom Bundesamt für Umweltschutz bzw. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft in Auftrag gegebenen Berichte "Der Einfluss von nichtionisierender elektromagnetischer Strahlung auf die Umwelt" (Schriftenreihe Umweltschutz Nr. 98 vom Dezember 1988, S. ii und 25 ff.) sowie "Biologische Auswirkungen nichtionisierender elektromagnetischer Strahlung auf den Menschen und seine Umwelt, 1. Teil: Frequenzbereich 100 kHz bis 300 GHz" der Ad-hoc-Arbeitsgruppe "Auswirkungen nichtionisierender elektromagnetischer Strahlung auf die Umwelt" (Schriftenreihe Umweltschutz Nr. 121 vom Juni 1990, S. II und 40 ff.) als auch der Bericht der Eidgenössischen Kommission für elektrische Anlagen "Beeinflussung der Umwelt durch elektromagnetische Felder" (hrsg. vom Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement, Bern 1986, S. 54) verweisen auf diese Richtlinien bzw. empfehlen deren Übernahme. Ein Grund, nicht darauf abzustellen, ist nicht ersichtlich. Somit durfte das Verwaltungsgericht diese Richtlinien beiziehen und auf die entsprechenden massgeblichen Werte abstellen.
5.
Die Beschwerdeführerin wirft im wesentlichen die Frage auf, ob in Samnaun die Immissionsgrenzwerte (
Art. 13 USG
) ... eingehalten seien.
b) Die geplante Anlage empfängt Strahlen im Frequenzbereich von 7000 bis 8000 MHz. Sie wird eine Leistungsdichte von 0.0008 mW/cm2 aufweisen; daneben ist die Empfangsleistung von 0.00000002 mW/cm2 vernachlässigbar. Die IRPA-Richtlinien 1988 legen für das allgemeine Publikum und den massgeblichen Frequenzbereich (zwischen 2000 und 300 000 MHz) einen Grenzwert von 10 mW/cm2 fest. Die geplante Anlage erreicht diesen Wert bei weitem nicht; ihre Leistungsdichte macht bloss 0.08% des Grenzwertes der IRPA-Richtlinien 1988 aus. Das Gefährdungspotential von Richtstrahlverbindungen ist nach Auskunft von Fachleuten äusserst gering, da die Sendeleistungen kleine Werte aufweisen und die Strahlen in Sendernähe stark gebündelt sind (Peter E. Leuthold, Die Beeinflussung der Umwelt durch hochfrequente elektromagnetische Felder, in: Bulletin SEV/VSE 22/1988, S. 1381; Eidgenössische Kommission für elektrische Anlagen, "Beeinflussung der Umwelt durch elektromagnetische Felder", hrsg. vom Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement, Bern 1986, S. 47 f.). Inwiefern die konkreten Verhältnisse daran etwas ändern sollten, ist nicht ersichtlich.
BGE 117 Ib 28 S. 34
c) (Die Beschwerde ist insoweit unbegründet.)
6.
a) Das zweistufige Konzept des Umweltschutzgesetzes bezweckt nicht nur den Schutz der Umwelt (
Art. 1 Abs. 1 USG
) vor den die Grenzwerte übersteigenden Immissionen (
Art. 11 Abs. 3 USG
); es verlangt die Begrenzung der Immissionen überhaupt, soweit dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist (
Art. 11 Abs. 2 USG
). Ein Vorhaben vermag daher vor dem Umweltschutzgesetz nicht schon zu bestehen, wenn die Immissionsgrenzwerte eingehalten werden. Zusätzlich ist zu prüfen, ob nicht die Vorsorge weitergehende Beschränkung erfordere (
Art. 11 Abs. 2 USG
). Dem Vorsorgeprinzip (
Art. 1 Abs. 2 USG
) liegt u.a. der Gedanke zugrunde, unüberschaubare Risiken zu vermeiden; es schafft eine Sicherheitsmarge, welche die Unsicherheit über die längerfristigen Wirkungen von Umweltbelastungen berücksichtigt. Demnach sind bei allen Vorhaben (vgl.
Art. 7 Abs. 7 USG
) auch die Vorschriften über die vorsorglichen Emissionsbegrenzungen (
Art. 11 Abs. 2 USG
) anzuwenden.
b) Die PTT und die Behörden sind anscheinend bisher davon ausgegangen, dass solche weitergehende, vorsorgliche Emissionsbegrenzungen - wie etwa eine andere Standortwahl, eine technisch andere Art von Antenne oder eine Verkabelung - nicht geboten seien, weil die neue Richtstrahlstation derart kleine Belastungswerte zur Folge habe, dass die Anlage umweltschutzmässig nicht relevant sei. Die Beschwerdeführerin verlangte - abgesehen von der Verkabelung - selber nie vorsorgliche Massnahmen. Das Eidgenössische Departement des Innern stellte lediglich fest, es gehe davon aus, dass die fragliche Anlage nach dem heutigen Stand der Technik gebaut werde und somit den Anforderungen an die vorsorgliche Emissionsbegrenzung nach
Art. 11 Abs. 2 USG
genüge.
c) Es ist anhand der bekannten Immissionswerte von vornherein offensichtlich, dass die geplante Richtstrahlanlage lediglich äusserst geringe Emissionen verursacht (vgl. die Werte in E. 5b hiervor). In einem solchen Fall besteht grundsätzlich kein Anlass zu weitergehenden Anordnungen im Sinne der Vorsorge (
Art. 1 Abs. 2 und
Art. 11 Abs. 2 USG
; vgl.
BGE 116 Ib 268
E. 4b). Bei derart geringer Umweltbeeinflussung liegt umweltschutzrechtlich ein Bagatellfall vor. Es muss daher für die geplante Telefonverbindung nicht geprüft werden, ob mit einer anderen Variante als der Telefon-Richtstrahlverbindung, also der Verkabelung parallel zum bereits bestehenden Kabel Samnaun-Martina, die
BGE 117 Ib 28 S. 35
Emissionen begrenzt werden könnten; die bereits vorgesehenen Massnahmen zur Emissionsbegrenzung im Sinne von
Art. 11 Abs. 2 USG
sind genügend.
d) Freilich muss mit dem Verwaltungsgericht ein Vorbehalt angefügt werden: Diese Beurteilung geht vom gegenwärtigen Stand der Technik und des Wissens aus (
Art. 11 Abs. 2 USG
; SCHRADE, a.a.O.,
Art. 11 N 26
bis 28). Vorbehalten bleiben somit neue Erkenntnisse. Liegen solche vor, so besteht möglicherweise Anlass für eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder eine Sanierung der Anlage (
Art. 16 ff. USG
). | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f153c17d-358d-45a3-8a51-bfa4cc264c91 | Urteilskopf
119 Ib 229
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Oktober 1993 i.S. X. AG gegen Politische Gemeinde Emmetten und Mitbeteiligte sowie i.S. Politische Gemeinde Emmetten gegen X. AG und Mitbeteiligte (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine materielle Enteignung vorliegt.
Massgeblichkeit des Datums des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung. Wenn die Regierung eine von einer Gemeinde festgesetzte Bauzone nicht genehmigt und gleichzeitig definitiv über die Zuweisung des fraglichen Landes in eine Nichtbauzone befindet, tritt die Eigentumsbeschränkung bereits mit diesem Nichtgenehmigungsentscheid - und nicht erst mit der nachfolgenden Umzonung durch die Gemeinde - ein (E. 3a).
Art. 5 Abs. 2 RPG
; materielle Enteignung gestützt auf besondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes.
Mehrere positiv verlaufene Schritte zur Realisierung einer grösseren Ferienhaussiedlung begründen noch kein schützenswertes Vertrauen auf eine künftige Einzonung des fraglichen Landes, wenn die Gemeinde über zu grosse Bauzonen verfügt und Gründe des Landschaftsschutzes gegen eine Einzonung sprechen (E. 3d).
Art. 4 und 22ter BV
; Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungsaufwendungen.
Voraussetzungen des Anspruchs (E. 4a). Verneinung eines Ersatzanspruchs, weil das fragliche Bauprojekt nicht Anlass zur umstrittenen Umzonung gegeben hat (E. 4b) und auch keine Zusicherungen auf den Fortbestand der Bauzone vorlagen (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 119 Ib 229 S. 231
Die X. AG erwarb am 10. Dezember 1980 die beiden Liegenschaften Urliberg (Grundbuch Emmetten Nr. 191) und Kleinberg (Grundbuch Emmetten Nr. 192), um sie zu erschliessen und zu überbauen. Die beiden Parzellen von insgesamt 88 194 m2 liegen hoch über dem Vierwaldstättersee und dem Dorf Emmetten auf rund 1100 m in einem landschaftlich exponierten und bisher von der baulichen Entwicklung weitgehend unberührten Gebiet.
Nach dem Zonenplan der Gemeinde Emmetten aus dem Jahre 1972 befanden sich die beiden Grundstücke in der Ferienhauszone. In dieser waren eingeschossige Wohn- und Ferienhäuser mit einer Ausnützung von höchstens 0,15 zugelassen, wobei die Baubewilligung einen Arealüberbauungsplan voraussetzte und die Gemeinde mit keinen Erschliessungskosten belastet werden durfte. Die Parzellen der X. AG gehörten zudem zum Landschaftsschongebiet gemäss dem gestützt auf den Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März 1972 (BMR; AS 1972 I 644 ff.) erlassenen Plan der provisorischen Schutzgebiete. Seit 1983 ist das Gebiet Kleinberg/Urliberg Teil einer Landschaft von nationaler Bedeutung gemäss der Verordnung über das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler vom 10. August 1977 (VBLN; SR 451.11).
Nach dem Erwerb der Grundstücke durch die X. AG wurde die Planung für deren Erschliessung und Überbauung, die bereits 1978 begonnen hatte, weitergeführt. Im Jahre 1981 erteilte der Regierungsrat des Kantons Nidwalden die Rodungsbewilligung für den Bau der Zufahrtsstrasse und stimmte dem Überbauungskonzept Urliberg grundsätzlich zu, wies aber zugleich auf die Fragwürdigkeit der festgesetzten Ferienhauszone im Gebiet Kleinberg/Urliberg hin. Am
BGE 119 Ib 229 S. 232
27. Oktober 1981 genehmigte der Gemeinderat Emmetten den von der X. AG eingereichten Arealüberbauungsplan. Im Jahre 1982 wurden ihre beiden Liegenschaften in mehrere Grundstücke unterteilt (GB Emmetten Nrn. 191, 192, 847, 853 und 854).
Anlässlich einer Teilrevision des Zonenplans vom 24. Juni 1983 verblieben die Parzellen der X. AG in der Ferienhauszone. Am 6. Februar 1984 nahm jedoch der Regierungsrat des Kantons Nidwalden die Ferienhauszone Kleinberg/Urliberg vorläufig von der Genehmigung aus und erliess für dieses Gebiet eine Planungszone. Am 15. April 1986 beschloss demgegenüber der Landrat des Kantons Nidwalden, das Gebiet Kleinberg/Urliberg im kantonalen Richtplan weiterhin im Baugebiet zu belassen. Der Bundesrat genehmigte am 8. Dezember 1986 den Richtplan des Kantons Nidwalden mit Ausnahme der Ferienhauszone Urliberg; er lud den Regierungsrat ein, dieses Gebiet einer Landwirtschafts- oder Schutzzone zuzuweisen. Der Regierungsrat verweigerte darauf am 9. Juni 1987 der Ferienhauszone Kleinberg/Urliberg definitiv die Genehmigung und wies die Gemeinde Emmetten an, die davon erfassten Grundstücke in eine Landwirtschafts- oder Schutzzone umzuteilen.
Die X. AG reichte am 15. Februar 1990 eine Klage bei der Enteignungskommission Nidwalden ein, mit welcher sie von der Politischen Gemeinde Emmetten die Bezahlung einer Entschädigung von Fr. 7'915'232.-- nebst 5% Zins seit dem 3. August 1988 infolge materieller Enteignung verlangte. Eventualiter beantragte sie die Zusprechung eines Betrags von Fr. 1'616'601.40 nebst 5% Zins seit dem 3. August 1988 für unnütze Aufwendungen gestützt auf
Art. 4 BV
.
Die Enteignungskommission Nidwalden wies am 17. September 1990 das Entschädigungsbegehren infolge materieller Enteignung ab. Die Klage auf Ersatz für nutzlos gewordene Planungsaufwendungen hiess die Enteignungskommission dagegen grundsätzlich gut und verwies die Festsetzung dieser Entschädigung in ein separates Verfahren. Das Verwaltungsgericht bestätigte am 21. September 1992 auf Rekurs der X. AG und der Gemeinde Emmetten hin den Entscheid der Enteignungskommission vollumfänglich.
Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 21. September 1992 haben die X. AG und die Gemeinde Emmetten eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Die X. AG wiederholt die vor der Enteignungskommission gestellten Rechtsbegehren; die Gemeinde Emmetten widersetzt sich der Bezahlung einer Entschädigung für nutzlos gewordene Planungskosten.
BGE 119 Ib 229 S. 233
Das Bundesgericht weist die Beschwerde der X. AG ab und diejenige der Gemeinde Emmetten im hier interessierenden Punkt gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Entscheid davon aus, die Umzonung der Parzellen der X. AG stelle keine materielle Enteignung dar. Ob diese von der Grundeigentümerin bestrittene Auffassung zutrifft, ist nachstehend anhand der von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze zu prüfen. Diese hat das Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegeben, so dass darauf verwiesen werden kann (vgl. auch
BGE 118 Ib 38
E. 2 S. 40 ff.).
a) Zuerst ist der Zeitpunkt zu bestimmen, der für die Beurteilung massgebend ist, ob eine materielle Enteignung vorliegt (sog. Stichtag). Grundsätzlich ist dabei auf das Datum des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen, welche die materielle Enteignung bewirkt (
BGE 117 Ib 4
E. 2b S. 6;
BGE 114 Ib 100
E. 2 S. 103;
BGE 112 Ib 105
E. 2c S. 110).
Das Verwaltungsgericht betrachtet als Stichtag den Zeitpunkt der definitiven Nichtgenehmigung der Ferienhauszone durch den Regierungsrat, also den 9. Juni 1987. Diese Annahme wird von den Parteien nicht beanstandet. Es mag indessen fraglich erscheinen, ob die Eigentumsbeschränkung bereits mit dem regierungsrätlichen Nichtgenehmigungsentscheid eintritt oder erst mit der nachfolgenden Umzonung der Parzellen durch eine entsprechende Revision des Zonenplans der Gemeinde. Häufig wird in der Tat mit der Nichtgenehmigung eines Teils des kommunalen Zonenplans die künftig geltende Ordnung noch nicht festgelegt, sondern es verbleibt der Gemeinde bei der Überarbeitung des Zonenplans ein gewisser Spielraum. Diesfalls bewirkt die Nichtgenehmigung noch keine Eigentumsbeschränkung (vgl.
BGE 118 Ia 165
E. 2a S. 168). Anders verhält es sich jedoch, wenn mit der Nichtgenehmigung die künftige planerische Behandlung im umstrittenen Punkt - meist die Zuweisung zu einer Nichtbauzone - feststeht und die Gemeinde bei der Überarbeitung des Zonenplans insoweit über keinen Spielraum mehr verfügt. Das Bundesgericht ist daher auf eine Beschwerde gegen einen Nichtgenehmigungsentscheid eingetreten, mit dem eine Gemeinde eingeladen worden war, ein der Schutzzone angehörendes Landstück teilweise der Landwirtschaftszone zuzuweisen, mit dem
BGE 119 Ib 229 S. 234
aber die vom Beschwerdeführer verlangte Zuteilung zur Bauzone von der Genehmigungsbehörde abgelehnt wurde. Es nahm deshalb an, es liege in dieser Hinsicht ein anfechtbarer Teilentscheid vor (nicht veröffentlichtes Urteil vom 8. Oktober 1992 i.S. D. c. Commune de Fribourg, E. 1). Auch im hier zu beurteilenden Fall ist bereits mit dem Nichtgenehmigungsentscheid des Regierungsrat über die Zuweisung der Parzellen der X. AG zu einer Nichtbauzone entschieden. Ob die Gemeinde eine Landwirtschafts- oder eine Schutzzone festsetzen wird, bleibt mit Bezug auf die geltend gemachte materielle Enteignung unerheblich.
Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, mit dem Verwaltungsgericht den 9. Juni 1987 als Stichtag anzusehen.
b) (Bejahung einer Nichteinzonung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.)
c) (Verneinung einer materiellen Enteignung unter dem Gesichtspunkt der Baureife und der Erschliessung.)
d) Unter Umständen können besondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes so gewichtig sein, dass ein Grundstück beim Erlass einer bundesrechtskonformen Nutzungsplanung hätte eingezont werden müssen, weshalb dessen Nichteinzonung eine materielle Enteignung bewirkt. Diese Annahme kann sich auch rechtfertigen, wenn das fragliche Grundstück am Stichtag im weitgehend überbauten Gebiet (
Art. 15 lit. a RPG
) lag (vgl.
BGE 118 Ib 38
E. 2d S. 42).
Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass das fragliche Land der X. AG am Stichtag nicht zum weitgehend überbauten Gebiet zählte und damit der zuletzt genannte Grund für das Bestehen eines Einzonungsgebots ausscheidet.
Hingegen ist näher zu prüfen, ob ein solches allenfalls aus der Vorgeschichte zur Nichtgenehmigung der fraglichen Ferienhauszone folgt. Mehrere Gegebenheiten mochten in der Tat die X. AG die Hoffnung schöpfen lassen, sie werde in der Lage sein, die beabsichtigte Ferienhausüberbauung zu verwirklichen. Am 11. August 1978 genehmigte das Eidgenössische Departement des Innern das Projekt für eine Forststrasse, die zwar für die Waldbewirtschaftung bestimmt war, aber auch dem nichtlandwirtschaftlichen bzw. nichtforstwirtschaftlichen Verkehr bis zur geplanten Überbauung offen stand. Der Bau dieser Strasse wurde von den beteiligten Gemeinden Emmetten und Beckenried bewilligt, und der Regierungsrat und das Oberforstamt erteilten die erforderlichen Rodungsbewilligungen. Der Regierungsrat stimmte am 3. August 1981 einem von der X. AG
BGE 119 Ib 229 S. 235
eingereichten Überbauungskonzept zu, und der Gemeinderat Emmetten bewilligte am 27. Oktober 1981 unter verschiedenen Bedingungen und Auflagen den Arealüberbauungsplan. In der Folge verlängerten die Gemeinden Emmetten und Beckenried die Baubewilligung für die Forststrasse; am 30. Mai 1983 genehmigte die kantonale Direktion für Planung die erste Etappe der internen Erschliessungsstrasse für die Ferienhauszone Urliberg. Die Gemeindeversammlung Emmetten beschloss am 24. Juni 1983 anlässlich einer Teilrevision des Zonenplans, das Gebiet Urliberg in der Ferienhauszone zu belassen.
Trotz diesen zahlreichen positiv verlaufenen Schritten bestanden gegenüber einer Realisierung der geplanten Ferienhaussiedlung Kleinberg-Urliberg von Anfang an gewichtige Hindernisse und Vorbehalte. Als die X. AG im Jahre 1980 das Land erwarb, war dieses nicht einmal groberschlossen und lag weitab vom Dorf Emmetten im provisorischen Landschaftsschongebiet gemäss dem Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März 1972 (BMR; AS 1972 I 644 ff.). Die Ferienhauszone beruhte auf einer Planung aus dem Jahre 1972. Es lag auf der Hand, dass der Zonenplan an das am 1. Januar 1980 in Kraft getretene RPG anzupassen war (vgl.
Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG
). Die X. AG musste damit rechnen, dass die Zuweisung ihrer Parzellen zu einer Bauzone der Überprüfung unterzogen werden könnte, und sie musste wissen, dass der Entscheid darüber nicht in der alleinigen Kompetenz der Politischen Gemeinde Emmetten liegen würde (vgl.
Art. 11 und 26 RPG
; § 27 der inzwischen aufgehobenen Einführungsverordnung zum Bundesgesetz über die Raumplanung vom 17. Dezember 1979 [EV RPG]). Zudem drückte der Regierungsrat in seinem für die X. AG zwar günstigen Entscheid vom 3. August 1981 seine Vorbehalte gegenüber der fraglichen Ferienhauszone deutlich aus. Er wies auf die Revisionsbedürftigkeit der Ortsplanung der Gemeinde Emmetten, die bestehende Überkapazität der Bauzone und den hohen Anteil an Ferienhauszonen hin. Ausdrücklich erwähnte er, es sei im Blick auf die Zielsetzungen der Raumplanung unverständlich, dass der sehr exponierte Landschaftsteil Kleinberg-Urliberg seinerzeit von der Gemeinde Emmetten einer Bauzone zugewiesen worden sei; vor dem Hintergrund der Bestimmungen des RPG wäre eine solche Bauzone nun kaum mehr zulässig. Der Regierungsrat sah zwar davon ab, selber eine Planungszone gemäss
Art. 27 RPG
zu erlassen, stimmte aber dem Überbauungskonzept der X. AG nur zu, sofern die fragliche Ferienhauszone bei der erforderlichen
BGE 119 Ib 229 S. 236
Zonenplanrevision der Gemeinde Emmetten überhaupt erhalten bleibe. Seit der Zuteilung der fraglichen Parzellen zum BLN-Objekt Nr. 1606 im Jahre 1983 musste überdies damit gerechnet werden, dass auch der Bundesrat intervenieren könnte (vgl.
Art. 11 und 37 RPG
).
Unter diesen Umständen konnte die X. AG nicht darauf vertrauen, dass ihr Land bei der Revision der Ortsplanung der Gemeinde Emmetten in der Ferienhauszone verbleiben würde. Die erwähnten Schritte zur Realisierung der geplanten Überbauung waren nicht geeignet, die aufgeführten Bedenken zu zerstreuen. Die Projektgenehmigung der Forststrasse durch das Eidgenössische Departement des Innern erging bereits 1978, also noch vor dem Inkrafttreten des RPG und der Aufnahme des Gebiets in das BLN-Inventar. Die Forststrasse sollte überdies nicht allein der geplanten Überbauung dienen. Auch die Genehmigung der ersten Etappe der internen Erschliessung durch die kantonale Direktion für Planung vom 30. Mai 1983 beruhte auf den damals gültigen, revisionsbedürftigen Planungsgrundlagen und konnte demzufolge weder die bevorstehende Zonenplanrevision der Gemeinde noch den diesbezüglichen Genehmigungsentscheid des Regierungsrats, noch den Genehmigungsentscheid des Bundesrats im Richtplanverfahren präjudizieren. Vollends zerstört werden musste das Vertrauen in die Überbaubarkeit durch die vorläufige Nichtgenehmigung der Ferienhauszone durch den Regierungsrat am 6. Februar 1984.
Gesamthaft betrachtet liegen somit keine besonderen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes vor, derentwegen die Parzellen der X. AG auch im Rahmen einer künftigen Ortsplanungsrevision hätten eingezont werden müssen. Diese konnte demnach nicht davon ausgehen, die beabsichtigte Überbauung lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft realisieren. Es sei beigefügt, dass eine Einzonung des fraglichen Gebiets den Zielen und Grundsätzen des RPG widersprochen hätte und dass dies wie erwähnt lange vor dem Stichtag erkennbar war. Wenn die X. AG trotz der dargestellten unsicheren Rechtslage Investitionen tätigte, so handelte sie auf eigenes Risiko und kann daraus keinen Anspruch auf Einzonung und - gestützt darauf - einen Entschädigungsanspruch aus materieller Enteignung ableiten.
Es ergibt sich somit, dass der Tatbestand der materiellen Enteignung auch unter dem Gesichtspunkt eines allfälligen Einzonungsgebots nicht erfüllt ist.
BGE 119 Ib 229 S. 237
4.
Die Enteignungskommission und das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden haben beide angenommen, der X. AG stehe gestützt auf
Art. 4 BV
ein Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungsaufwendungen zu.
Die Politische Gemeinde Emmetten und der Kanton Nidwalden bestreiten einen solchen Anspruch, da sie nie ausdrückliche oder konkludente Zusicherungen auf den Fortbestand der geltenden Bauvorschriften gegeben hätten und das Überbauungsprojekt Kleinberg-Urliberg auch nicht der Anlass für die fragliche Änderung der Zonenordnung gebildet habe. - Die X. AG führt demgegenüber aus, sie sei durch das Verhalten der Gemeinde und des Regierungsrats (Entgegennahme, Prüfung und Bewilligung von Baugesuchen, Ausführung von Erschliessungsarbeiten) zu grossen Investitionen von über 2 Mio. Franken für die Planung und Erschliessung veranlasst worden. Die nachträgliche Verhinderung der Überbauung widerspreche Treu und Glauben, ja sie stelle eine Irreführung dar.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Bauherr keinen Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungskosten, wenn sein Vorhaben aufgrund der geltenden Bauvorschriften nicht bewilligt werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Bauherr ein dem geltenden Recht entsprechendes Baugesuch eingereicht hat, sich bis zum Entscheid darüber aber die gesetzlichen Grundlagen zum Nachteil des Gesuchstellers geändert haben. Einzig wenn gerade die Einreichung eines bestimmten Baugesuchs Anlass zur Änderung der baurechtlichen Vorschriften gegeben hat, weil die Baubehörden auf diese Weise die Ausführung des Vorhabens verhindern wollten, besteht gestützt auf Art. 4 in Verbindung mit
Art. 22ter BV
für die nutzlos gewordenen Aufwendungen ein Entschädigungsanspruch, jedenfalls wenn die Absicht der Baubehörden für den Grundeigentümer nicht voraussehbar war.
Ersatz muss sodann in denjenigen Fällen geleistet werden, in welchen dem Bauwilligen vor Einreichung des Baugesuchs Zusicherungen auf den Fortbestand der geltenden Bauvorschriften gegeben worden sind und dieser im Vertrauen darauf Projektierungskosten aufgewendet hat (
BGE 117 Ib 497
E. 7b S. 500 f.).
b) Zunächst ist zu prüfen, ob sich ein Entschädigungsanspruch daraus ergibt, dass das Überbauungsprojekt der X. AG den Anlass zur fraglichen Nichtgenehmigung der Ferienhauszone gebildet hat und die Behörden auf diese Weise die Ausführung des geplanten Vorhabens haben verhindern wollen.
BGE 119 Ib 229 S. 238
Die im Jahre 1983 erfolgte Einbeziehung des Gebiets Kleinberg-Urliberg in das BLN-Objekt Nr. 1606 steht in keinem direkten Zusammenhang mit dem Überbauungsprojekt der X. AG. Das Landstück war nämlich bereits 1972 unter dem Gesichtspunkt des Landschaftsschutzes als empfindlich eingestuft und einem Landschaftsschongebiet zugeteilt worden. Das vom erwähnten BLN-Objekt erfasste Schutzgebiet ist zudem viel grösser als das zur Überbauung vorgesehene Gebiet.
Das lange Zögern der kantonalen Behörden, mit Bezug auf die Parzellen der X. AG klare Zeichen zu setzen, ist darauf zurückzuführen, dass diese ihren Bauwillen bekundete und von der Gemeinde Emmetten darin unterstützt wurde. Ohne eine solche in der Planung schon recht weit gediehene Bauabsicht wäre sowohl dem Gemeinderat Emmetten als auch dem Regierungsrat die Nichteinzonung des fraglichen Gebiets leichter gefallen. Auch der Landrat des Kantons Nidwalden hat bei der Beschlussfassung über den Richtplan der Zuweisung zu einer Ferienhauszone offensichtlich nur deshalb zugestimmt, weil die Planung der Überbauung schon weit fortgeschritten war und er hohe Entschädigungsforderungen befürchtete. Es zeigt sich also, dass das bestehende Überbauungsprojekt die aufgrund der Zielsetzungen der Raumplanung unabdingbare Umzonung in eine Landwirtschafts- oder Schutzzone verzögerte und diese schliesslich erst aufgrund der Nichtgenehmigung des kantonalen Richtplans durch den Bundesrat angeordnet wurde. Das Überbauungsprojekt der X. AG bildete somit nicht den Anlass für die Zuweisung der fraglichen Parzellen in eine Nichtbauzone; im Gegenteil hat die Überbauungsabsicht diese in den Zielsetzungen der Raumplanung begründete Umzonung lange hinausgezögert.
Hat demnach das Bauprojekt der X. AG nicht Anlass zur umstrittenen Umzonung gegeben, so besteht insoweit auch kein Anspruch auf Ersatz der nutzlos gewordenen Planungskosten.
c) Es bleibt weiter zu untersuchen, ob die X. AG eine Entschädigung aus dem Grund beanspruchen kann, weil ihr ausdrückliche oder konkludente Zusicherungen auf den Fortbestand der geltenden Bauvorschriften gegeben worden sind.
Unbestritten ist zunächst, dass die zuständigen Behörden der X. AG nie ausdrückliche Zusicherungen auf den Fortbestand der Ferienhauszone Kleinberg-Urliberg machten. Das Verwaltungsgericht geht jedoch davon aus, es habe konkludente Zusicherungen gegeben: So habe der Regierungsrat am 20. August 1979 vorgängig zur Bewilligung interner Erschliessungsstrassen in der Ferienhauszone
BGE 119 Ib 229 S. 239
einen zweckdienlichen Gestaltungsplan gefordert, und er habe das entsprechende Konzept am 3. August 1981 auch genehmigt. Der Gemeinderat Emmetten habe daraufhin am 27. Oktober 1981 dem Arealüberbauungsplan zugestimmt. Die X. AG sei deshalb in ihrem Vertrauen, dass eine sinnvolle, den gesetzlichen Anforderungen und den Anliegen des Landschaftsschutzes angepasste Planung bewilligt würde, zu schützen. Es seien daher der X. AG jene Kosten zu ersetzen, welche ihr aufgrund der Anordnung der Gestaltungsplanpflicht in Treu und Glauben erwuchsen.
Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Der Regierungsrat stellte im erwähnten Beschluss vom 20. August 1979 lediglich fest, welches die Voraussetzungen für eine Überbauung des gemäss dem BMR im Landschaftsschongebiet gelegenen Gebiets nach dem damals geltenden Recht waren, nämlich eben die Erstellung eines Gestaltungsplans. Dies ist nicht als konkludente Zusicherung anzusehen, dass das Land auch später, nach dem Inkrafttreten des RPG am 1. Januar 1980, weiterhin überbaut werden könne. Behördliche Informationen und Anordnungen stehen immer unter dem Vorbehalt einer späteren Rechtsänderung. Eine vertrauensbegründende Auskunft kann deshalb nur vorliegen, wenn die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung des Tatbestands die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung (
BGE 118 Ib 245
E. 4b S. 254;
BGE 117 Ia 285
E. 2b S. 287;
BGE 116 Ib 185
E. 3c S. 187). Mit dem Inkrafttreten des RPG hat sich die Rechtslage im vorliegenden Fall entscheidend geändert: Die Kantone und Gemeinden waren nun gehalten, ihre Nutzungsplanung an die Erfordernisse dieses Gesetzes anzupassen. Bestehende Richt- und Nutzungspläne blieben nur noch bis zur Genehmigung durch die zuständigen kantonalen Behörden in Kraft (
Art. 26 und 35 RPG
).
Die Genehmigung des Überbauungskonzepts Urliberg durch den Regierungsrat am 3. August 1981 enthielt ebensowenig eine konkludente Zusicherung. Die Zustimmung erfolgte ausdrücklich "im Sinne der Erwägungen" und "sofern die Bauzone Urliberg erhalten bleibt". Diese mit der Genehmigung erfolgten Hinweise legten die Unsicherheit über den Weiterbestand der damals geltenden Ferienhauszone offen, und es kann demzufolge nicht von einer "reservatio mentalis" des Regierungsrats gesprochen werden, wie die X. AG behauptet. Der Regierungsrat hätte zwar die Möglichkeit gehabt, mittels einer Planungszone (
Art. 27 und 36 Abs. 2 RPG
) sogleich in einem weitergehenden Masse einzugreifen, auch wenn die damals geltende EV RPV diese Befugnis noch nicht ausdrücklich vorsah. Er
BGE 119 Ib 229 S. 240
hätte gestützt auf eine solche Planungszone dem Überbauungskonzept seine Zustimmung vorläufig verweigern können. Offenbar wollte der Regierungsrat jedoch der Ortsplanung der Gemeinde Emmetten und der kantonalen Richtplanung nicht vorgreifen. Der X. AG konnte jedoch nicht verborgen bleiben, dass die revidierte Ortsplanung der Genehmigung des Kantons bedurfte, dem erst noch zu erarbeitenden kantonalen Richtplan entsprechen musste und der Regierungsrat der geplanten Überbauung grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. Dementsprechend kann in der Genehmigung des Überbauungskonzepts auch nicht eine konkludente Zusicherung, dass das Land auch künftig überbaut werden könne, gesehen werden. Dasselbe gilt für die Genehmigung des Arealüberbauungsplans durch den Gemeinderat Emmetten vom 27. Oktober 1981, der neben dem Vorbehalt zahlreicher noch zu regelnder Punkte ausdrücklich auf den Regierungsratsbeschluss vom 3. August 1981 verwies.
Eine konkludente Zusicherung liegt schliesslich auch nicht im Beschluss der Gemeindeversammlung Emmetten vom 24. Juni 1983, das Gebiet Kleinberg-Urliberg in der Ferienhauszone zu belassen, da die Festsetzung noch der kantonalen Genehmigung bedurfte. Dass eine solche Genehmigung unproblematisch wäre, durfte die X. AG im Blick auf den erwähnten Beschluss vom 3. August 1981 nicht annehmen.
Auch wenn der Gemeinderat Emmetten die Überbauungsabsichten der X. AG unterstützte und nicht gewillt war, eine Umzonung des fraglichen Landes vorzunehmen, ferner die Baubewilligung für die Forststrasse aus dem Jahre 1978 noch am 26. Oktober 1982 erneuerte, so lässt sich aus diesen Einzelschritten noch keine Zusicherung ableiten. Der X. AG musste vielmehr klar sein, dass die Belassung ihrer Parzellen in der Ferienhauszone im Rahmen der Überarbeitung der Ortsplanung primär in die Zuständigkeit der Gemeindeversammlung Emmetten fiel. Weder von dieser, noch von dem für die Genehmigung zuständigen Regierungsrat lagen jedoch ausdrückliche oder konkludente Zusicherungen für eine Beibehaltung der Ferienhauszone vor. Erst recht hatte der Bundesrat, der letztlich die Umzonung anordnete, nie irgendwelche Zusicherungen gemacht.
Ein Anspruch auf Ersatz der nutzlos gewordenen Planungsaufwendungen besteht somit auch nicht unter dem Gesichtspunkt allfällig gemachter Zusicherungen. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f156324d-78db-419a-a448-5d4862237130 | Urteilskopf
111 Ia 120
22. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. März 1985 i.S. Spinnerei X. AG gegen Kanton St. Gallen und Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 46 Abs. 2 BV
; Buchgewinne auf Kapitalanlageliegenschaften.
Fall einer Unternehmung, die in einem Kanton, in dem sie keine Betriebsstätte unterhält, Liegenschaften besitzt. Wertet die Unternehmung die Liegenschaften auf ihren ursprünglichen Anlagewert auf, indem sie früher getätigte Abschreibungen reaktiviert, so unterliegt der ganze Buchgewinn der Besteuerung im Liegenschaftskanton; und zwar auch dann, wenn die Abschreibungen mangels genügenden Liegenschaftsertrags seinerzeit (zum Teil) zu Lasten des Unternehmenserfolgs vorgenommen wurden. | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 111 Ia 120 S. 121
Die Spinnerei X. AG mit Sitz im Kanton Zürich erwarb in den Jahren 1960 und 1961 zwei Liegenschaften in der Gemeinde Flawil/SG. Bis zum Jahre 1973 nahm sie auf den beiden Liegenschaften Abschreibungen von Fr. ... vor. 1977 wertete sie die Liegenschaften auf ihren ursprünglichen Anlagewert von Fr. ... auf.
Die Kantonale Steuerverwaltung St. Gallen veranlagte die Spinnerei X. AG aufgrund des Rechnungsabschlusses vom 31. Dezember 1977 mit einem im Kanton St. Gallen steuerbaren Liegenschaftsertrag von Fr. ..., in dem die reaktivierten Abschreibungen mitberücksichtigt waren. Eine dagegen gerichtete Einsprache wurde abgewiesen, ebenfalls der gegen den Einspracheentscheid gerichtete Rekurs. Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen verwarf die Ansicht der Steuerpflichtigen, wonach die Besteuerung der vom Kanton Zürich zulasten des Betriebsergebnisses in den Jahren 1961 bis 1973 zugelassenen Abschreibungen bei der Reaktivierung dem Sitzkanton zustehe. Sie entschied, die wiedereingebrachten Abschreibungen auf den beiden st. gallischen Liegenschaften der Steuerpflichtigen unterlägen vollumfänglich der Besteuerung durch den Kanton St. Gallen.
BGE 111 Ia 120 S. 122
Gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen vom 24. November 1983 hat die Spinnerei X. AG mit Eingabe vom 3. Januar 1984 fristgerecht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Verbotes der Doppelbesteuerung sowie des Willkürverbots eingereicht, mit folgenden Anträgen:
1. Es sei der Entscheid der Verwaltungsrekurskommission St. Gallen vom 24. November 1983 aufzuheben und dem Kanton St. Gallen sei zur Besteuerung des infolge reaktivierter Abschreibungen realisierten Buchgewinnes auf den Kapitalanlageliegenchaften in Flawil/SG von insgesamt Fr. ... lediglich der Betrag von Fr. ... zuzuweisen. Der Kanton St. Gallen sei demgemäss anzuweisen, den für das Jahr 1977 steuerbaren Reinertrag von Fr. ... um Fr. ... auf Fr. ... herabzusetzen.
2. Eventualiter sei der Entscheid der Verwaltungsrekurskommission St. Gallen vom 24. November 1983 aufzuheben und festzustellen, dass der auf den im Kanton St. Gallen gelegenen Kapitalanlageliegenschaften infolge reaktivierter Abschreibungen realisierte Buchgewinn quotenmässig nach Lage der Aktiven zu besteuern sei. Der Kanton St. Gallen sei demzufolge anzuweisen, den auf der Liegenschaft realisierten Buchgewinn quotenmässig zu veranlagen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 BV
muss der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft sein (
Art. 86 Abs. 2 OG
). Es schadet daher der Beschwerdeführerin nicht, dass sie von der Möglichkeit, an das kantonale Verwaltungsgericht zu rekurrieren, keinen Gebrauch gemacht, sondern gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission direkt staatsrechtliche Beschwerde erhoben hat. Diese wurde form- und fristgerecht eingereicht. Es ist daher darauf einzutreten; und zwar auch insoweit, als eine Verletzung des Willkürverbots gerügt wird. Diese Rüge setzt zwar grundsätzlich die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraus. Eine Ausnahme gilt aber dort, wo der Willkürbeschwerde keine selbständige Bedeutung zukommt (
BGE 105 Ib 40
E. 1b). Das trifft hier zu: Die Beschwerdeführerin rügt als Verletzung von
Art. 4 BV
den Umstand, dass auf die Tatsache der Übernahme von Abschreibungen durch den Sitzkanton nicht Rücksicht genommen wurde. Diese Rüge steht eindeutig im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des Doppelbesteuerungsverbotes; sie ist daher zulässig.
BGE 111 Ia 120 S. 123
b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer Natur. Eine Ausnahme macht das Bundesgericht in den Fällen, in denen die verfassungsmässige Lage nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheides wiederhergestellt werden kann (
BGE 107 Ia 257
E. 1 mit Verweisen). Dies kommt bei Beschwerden wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbotes vor (
BGE 85 I 17
,
BGE 81 I 219
) und würde hier gegebenenfalls zutreffen. Auf die Anträge der Beschwerdeführerin ist somit einzutreten.
c) Die Beschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die Besteuerung der Buchgewinne der Beschwerdeführerin auf ihren Liegenschaften im Kanton St. Gallen durch den Liegenschaftskanton. Der Kanton Zürich als Sitzkanton hat die Beschwerdeführerin für die wiedereingebrachten Abschreibungen auf ihren Liegenschaften mangels hinreichenden Unternehmensertrages definitiv nicht besteuert. Es ist daher zu prüfen, ob der Kanton St. Gallen mit der Besteuerung der Buchgewinne seine Steuerhoheit verletzt und ein Steuersubstrat erfasst hat, das der Besteuerung durch den Sitzkanton unterliegt (vgl.
BGE 108 Ia 253
E. 2).
2.
Die Beschwerdeführerin ist keine interkantonale Unternehmung. Sie hat ihren Sitz in Zürich, wo sie für den Unternehmensertrag besteuert wird. Im Kanton St. Gallen führt sie keine Betriebsstätte, sondern ist dort nur als Eigentümerin zweier Liegenschaften steuerpflichtig; ihre Liegenschaften in diesem Kanton sind reine Kapitalanlageliegenschaften.
a) Das Grundeigentum und sein Ertrag unterstehen der Steuerhoheit des Kantons der gelegenen Sache (
BGE 94 I 41
,
BGE 83 I 333
E. 2, vgl. auch
BGE 108 Ia 257
E. 6). Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass das Grundeigentum als einziges der Gebietshoheit unentziehbar unterliegendes Gut dem Träger dieser Gebietshoheit zur ausschliesslichen Besteuerung vorbehalten sein soll (
BGE 91 I 397
mit Hinweisen). Im System der Reineinkommens- und Reinvermögensbesteuerung hat der Liegenschaftskanton vom Liegenschaftsbruttovermögen und -ertrag des ausserkantonalen Eigentümers nebst den Abzügen für Unterhalt und Verwaltung der Liegenschaft einen proportionalen Abzug der Schulden und Schuldzinsen entsprechend dem Anteil der besteuerten Liegenschaften an den gesamten Aktiven des Steuerpflichtigen zuzulassen (
BGE 104 Ia 261
). Im übrigen hat der Liegenschaftskanton das Gesamteinkommen und -vermögen des Steuerpflichtigen nicht heranzuziehen, sondern darf dieses höchstens zur Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, d.h.
BGE 111 Ia 120 S. 124
zur Bestimmung des Steuersatzes, berücksichtigen (
BGE 79 I 31
; Urteil vom 6. Juli 1960, publiziert im ASA 30, 239 ff.). Er braucht umgekehrt aber auch auf das übrige Einkommen und Vermögen des Steuerpflichtigen keine Rücksicht zu nehmen, sondern kann den Reinertrag der Liegenschaft auch dann voll erfassen, wenn der Steuerpflichtige kein Gesamteinkommen bzw. keinen Gesamtertrag erreicht. Das Bundesgericht hat dem Grundsatz, dass die Liegenschaften dem Kanton der gelegenen Sache zur ausschliesslichen Besteuerung vorbehalten sind, den Vorrang vor dem Grundsatz eingeräumt, dass ein Steuerpflichtiger in mehreren auf dem Boden der allgemeinen Reineinkommensbesteuerung stehenden Kantonen zusammen nicht mehr als sein gesamtes Reineinkommen zu versteuern hat (
BGE 93 I 241
f. E. 2 und dort erwähnte Urteile).
b) Die Besteuerung des Wertzuwachses auf Liegenschaften ist insoweit, als er nicht Folge einer gewerblichen Tätigkeit ist, stets dem Liegenschaftskanton vorbehalten worden (
BGE 79 I 31
f., 139 f.).
In
BGE 79 I 145
wurden sodann auch die Grundstücksgewinne der Liegenschaftshändler und der Bauunternehmer in Abänderung der bisherigen Rechtsprechung (
BGE 49 I 46
,
BGE 54 I 241
) dem Liegenschaftskanton zur ausschliesslichen Besteuerung zugewiesen. Vorbehalten wurde lediglich der Fall, da das Grundstück zu einer vom Steuerpflichtigen unterhaltenen Betriebsstätte gehört, sowie der Fall des blossen Buchgewinnes, wo der Verkaufserlös nur den abgeschriebenen Buchwert übersteigt, die Gestehungskosten aber nicht erreicht (
BGE 79 I 148
/49).
Der erste dieser Vorbehalte wurde in
BGE 83 I 257
ff. auf den Gewinn aus der Veräusserung von Geschäftsliegenschaften im Betriebsstättekanton einer interkantonalen Unternehmung anderer Art (Handelsgärtnerei) nicht anwendbar bezeichnet. Das Bundesgericht entschied, dass Veräusserungsgewinne zufolge Wertzuwachs auf Geschäftsliegenschaften, die ohne Zutun des Eigentümers entstanden sind, dem Kanton der gelegenen Sache zur ausschliesslichen Besteuerung zustehe und dass sich die Annahme hier nicht rechtfertige, dass der Grundsatz der Einheitlichkeit des steuerbaren Einkommens interkantonaler Unternehmungen stets den Vorrang verdiene vor dem andern Grundsatz, wonach Grundstücke sowohl für ihren Wert wie für den Ertrag (mit Einschluss des Wertzuwachses) der Steuerhoheit des Kantons der gelegenen Sache unterstehe. In diesem Urteil wurde anderseits auch für (interkantonale)
BGE 111 Ia 120 S. 125
Unternehmungen, die nicht gewerbsmässig mit Liegenschaften handeln, am zweiten in
BGE 79 I 148
aufgestellten Vorbehalt betreffend die Besteuerung von Buchgewinnen unter Hinweis auf zwei unveröffentlichte Urteile ausdrücklich festgehalten mit der Begründung, im blossen Buchgewinn trete nicht eine Wertsteigerung der Liegenschaft, sondern ein (infolge vorheriger übersetzter Abschreibungen oder aus andern Gründen) nachträglich frei gewordener Geschäftsgewinn in Erscheinung (
BGE 83 I 266
).
c) Das in
BGE 83 I 266
zitierte Urteil vom 7. Oktober 1953 i.S. Jenny betrifft ebenfalls den Fall eines auf einer Betriebsstätte-Liegenschaft erzielten Buchgewinnes. Dass der auf Betriebsstätteliegenschaften erwirtschaftete Buchgewinn Teil des Geschäftserfolges der Gesamtunternehmung bildet und grundsätzlich - unter Vorbehalt quotenmässiger Beteiligung des Betriebsstätte-Kantons am Unternehmensgewinn - dem Sitzkanton zur Besteuerung zuzuweisen ist, hat das Bundesgericht im Urteil vom 15. Oktober 1982 i.S. Nyffeler, Corti AG (E. 3a, publiziert bei LOCHER, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, § 7 I D Nr. 35) ausdrücklich bestätigt. Das in
BGE 83 I 266
erwähnte zweite Urteil vom 9. Mai 1951 i.S. Papierfabriken Landquart (LOCHER, a.a.O., § 7 I D Nr. 6) betrifft zwar den Buchgewinn auf einer Kapitalanlage-Liegenschaft, den die Steuerpflichtige beim Verkauf - dessen Erlös die Anlagekosten nicht erreichte - realisierte. Die Steuerpflichtige hatte hier jedoch die Liegenschaft bis kurz vor dem Verkauf als Betriebsstätte genutzt und die Abschreibungen während der Dauer ihrer Geschäftstätigkeit auf dieser Liegenschaft vorgenommen. Der Liegenschaftskanton hatte denn auch die Abschreibungen - ebenso wie der Sitzkanton - als Geschäftsgewinn zur Besteuerung beansprucht. Das Bundesgericht mass daher dem Umstand, dass das Unternehmen die Geschäftsniederlassung im Liegenschaftskanton kurz vor der Veräusserung aufgegeben hatte und seither dort nur noch als Grundeigentümerin steuerpflichtig war, keine entscheidende Bedeutung zu. Die Folge, dass der Liegenschaftskanton an der Besteuerung des buchmässigen Verkaufsgewinnes überhaupt nicht mehr teilnahm, obwohl sein Anteil am Reingewinn früherer Jahre durch Abschreibungen verkürzt worden war, vermochte eine andere Zuweisung nicht zu rechtfertigen (vgl. auch das erwähnte Urteil i.S. Nyffeler, Corti AG, E. 3a, sowie das Urteil vom 15. Oktober 1969 in ASA 40, 67 ff.).
d) Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin ihre Liegenschaften im Kanton St. Gallen nie zum Betrieb einer
BGE 111 Ia 120 S. 126
Geschäftsniederlassung genutzt, sondern diese seit dem Erwerb im Jahre 1960 ausschliesslich als Kapitalanlage besessen. Sie hat auf diesen Grundstücken, die sie in ihrer Unternehmensbuchhaltung führt, Abschreibungen gemacht, deren Reaktivierung zum umstrittenen Buchgewinn führte. Es ist daher zu prüfen, ob der Kanton St. Gallen als Liegenschaftskanton die Buchgewinne auf diesen Kapitalanlageliegenschaften zu Recht (vollumfänglich) besteuert hat.
3.
a) Kapitalanlageliegenschaften bilden im Gegensatz zu Betriebsstätteliegenschaften Sondervermögen, dessen Ertrag und dessen Wertzuwachs (welcher regelmässig ohne Zutun des Eigentümers entsteht) dem Liegenschaftskanton zur ausschliesslichen Besteuerung vorbehalten sind. Bei der Berechnung des steuerbaren Liegenschafts-Ertrages hat der Kanton der gelegenen Sache (im System der Reinertragsbesteuerung) neben den objektbezogenen Unterhaltskosten und dem verhältnismässigen Anteil der Schuldzinsen auch die geschäftsmässig begründeten Abschreibungen auf den Kapitalanlageliegenschaften buchführungspflichtiger Unternehmen zu berücksichtigen. Da Abschreibungen als Ausdruck einer Wertverminderung der Liegenschaft nicht nur objektmässig zugeordnet werden, sondern auch primär deren Reinertrag schmälern, erscheint es folgerichtig, den Liegenschaftskanton nicht nur die Abschreibungen zu Lasten des Liegenschaftsertrages tragen zu lassen, sondern ihm auch den entsprechenden Wertzuwachs, der durch die wiedereingebrachten Abschreibungen entsteht, zur Besteuerung zuzuweisen. Mit dieser Begründung wird in der Lehre denn auch die Besteuerung des Buchgewinnes durch den Liegenschaftskanton befürwortet (vgl. HÖHN, Interkantonales Steuerrecht, Bern 1983, S. 460, 464; DÄTWYLER, Die Behandlung von Unternehmensliegenschaften im interkantonalen Steuerrecht, Diss. St. Gallen 1969, S. 130 f.; REIMANN/SCHÄRRER/ZUPPINGER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Bd. I, Bern 1961, § 6 N. 102). Auch die Beschwerdeführerin bestreitet nicht grundsätzlich, dass dem Liegenschaftskanton der aus wiedereingebrachten Abschreibungen entstandene Buchgewinn jedenfalls insoweit zuzuweisen ist, als er zu Lasten des Reinertrages aus der Liegenschaft gebildet worden war. Sie will jedoch den Buchgewinn insoweit dem Kanton Zürich als Sitzkanton zur Besteuerung zuweisen, als die Abschreibungen in früheren Jahren mangels hinreichenden Liegenschaftsertrages zu Lasten des Unternehmenserfolges und damit zu Lasten des Sitzkantons gingen.
BGE 111 Ia 120 S. 127
b)
Art. 46 Abs. 2 BV
gewährt dem Bürger ein Individualrecht, indem es ihn gegen eine doppelte Belastung schützt. Der Steuerpflichtige hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass die Doppelbelastung in einer bestimmten Art und Weise vermieden wird. Es ist vielmehr eine Aufgabe des Bundesrechtes, darüber die nötigen Regeln aufzustellen. Dabei ist die Besteuerung bestimmter Steuerobjekte demjenigen Kanton zuzuweisen, zu dem der die Steuerpflicht auslösende Sachverhalt die engsten Beziehungen hat, wobei wirtschaftliche Überlegungen von Bedeutung sind sowie vor allem die Notwendigkeit, zwischen den Kantonen einen gewissen Ausgleich zu finden. Im weiteren können auch Erfordernisse der Praktikabilität eine gewisse Ordnung der Aufteilung der Steuerhoheiten nahelegen (
BGE 101 Ia 387
/8 mit Verweis).
c) Es besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, in Abweichung von den dargelegten Grundsätzen die Besteuerung des Buchgewinns teils dem Sitzkanton und teils dem Liegenschaftskanton zuzuweisen, wie es die Beschwerdeführerin verlangt. Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen hat in dieser Hinsicht zu Recht erwogen, dass die - unter Umständen Jahrzehnte umfassende - Prüfung, in welchem Masse frühere Abschreibungen auf einer Liegenschaft zu Lasten des Liegenschaftsertrages bzw. in welchem Umfange sie umgekehrt zu Lasten des Unternehmenserfolges vorgenommen wurden, mit einem unverhältnismässigen Aufwand verbunden wäre. Im Interesse der Einfachheit und Praktikabilität muss der Buchgewinn auf einer Liegenschaft vielmehr ohne Rücksicht auf dessen Entstehung im konkreten Fall der Steuerhoheit eines der beteiligten Kantone zugewiesen werden können. Dabei liegt die Zuweisung der Besteuerung an den Liegenschaftskanton - wie dargetan - näher als die Besteuerung des Buchgewinns durch den Sitzkanton. Dies hat freilich zur Folge, dass der Sitzkanton unter Umständen zu Lasten des Unternehmensertrages Abschreibungen auf ausserkantonalen Kapitalanlageliegenschaften anerkennen muss (vgl.
BGE 93 I 241
f.,
BGE 107 Ia 43
E. 2), ohne dass er später am entsprechenden Buchgewinn partizipiert (HÖHN, a.a.O., S. 460 Anm. 25). Man könnte sich in dieser Hinsicht fragen, ob es richtig ist, vom Sitzkanton in jedem Falle die Berücksichtigung der auf einer Kapitalanlageliegenschaft entstandenen Defizite zu verlangen, nachdem heute die meisten Kantone die Verlustverrechnung wenigstens über einige Jahre kennen. Die Frage braucht indessen nicht näher geprüft zu werden, da der Kanton Zürich die
BGE 111 Ia 120 S. 128
Abschreibungen auf den ausserkantonalen Kapitalanlageliegenschaften jeweils anerkannt hat.
4.
Ihren Eventualantrag begründet die Beschwerdeführerin im wesentlichen damit, im blossen Buchgewinn trete nicht eine Wertsteigerung der Liegenschaft, sondern ein nachträglich freigewordener Geschäftsgewinn in Erscheinung; es rechtfertige sich deshalb eine quotenmässige Zuteilung, wie sie bei den Buchgewinnen auf Liegenschaften in Betriebsstättekantonen üblich sei.
Die Beschwerdeführerin übersieht indes, dass Abschreibungen auf reinen Kapitalanlageliegenschaften in erster Linie den der Besteuerung des Belegenheitskantons unterliegenden Reinertrag der Liegenschaft schmälern. Buchgewinne auf solchen Liegenschaften bilden demzufolge den Ausgleich für früher vom Pflichtigen und den Steuerbehörden übereinstimmend (wenn auch übersetzt) geschätzte Wertverluste, welche den im Belegenheitskanton steuerbaren Liegenschaftenreinertrag schmälerten. Sie sind insoweit Ausdruck einer Wertsteigerung, deren Besteuerung dem Liegenschaftskanton vorbehalten bleibt. Entgegen der Beschwerdeauffassung trifft es nicht zu, dass das Bundesgericht in jüngsten Urteilen die unterschiedliche Behandlung von Betriebsstätteliegenschaften einerseits und Kapitalanlageliegenschaften anderseits in Frage gestellt hat. In dem von der Beschwerdeführerin zitierten Urteil vom 15. Juli 1982 i.S. Denner AG (publiziert bei LOCHER, a.a.O., § 7 I B Nr. 32, und in ASA 53, 444 ff.) wurde im Gegenteil ausgeführt, dass die konsequente Anwendung der für die Kapitalanlageliegenschaften entwickelten Regeln eigentlich dazu führen müsste, auch den Ertrag von Kapitalanlageliegenschaften in Betriebsstättekantonen der ausschliesslichen Steuerhoheit des Belegenheitskantons vorzubehalten (E. 4c a.E., vgl. auch
BGE 109 Ia 317
).
Eine quotenmässige Beteiligung des Belegenheitskantons, in dem sich keine Betriebsstätte befindet, am Gesamtreinertrag des Unternehmens im Hinblick auf einen bei der Veräusserung erzielten Buchgewinn würde von den dargestellten Grundsätzen völlig abweichen (viel mehr als in der Literatur gemachte Vorschläge für interkantonale Unternehmungen, vgl. das zitierte Urteil vom 15. Juli 1982 i.S. Denner AG, E. 4d). Sie würde praktisch wohl auf das gleiche hinauslaufen wie der Hauptantrag. Auch dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin kann daher nicht gefolgt werden. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f15b1e32-ab3d-4bf2-964e-080c239c578f | Urteilskopf
123 III 200
34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. November 1996 i.S. K. gegen S. (Berufung) | Regeste
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
und
Art. 25 Abs. 1 OR
; Grundlagenirrtum; Geltendmachung gegen Treu und Glauben.
Die Anfechtbarkeit darf nicht im Sinne einer Abwägung der im Zeitpunkt der Berufung auf den Irrtum bestehenden Vertragsinteressen der Parteien davon abhängig gemacht werden, ob die einseitige Unverbindlichkeit des Vertrages als unverhältnismässige Rechtsfolge erscheint. Die Geltendmachung des Irrtums verstösst vielmehr nur dann gegen Treu und Glauben, wenn es sich um unnütze Rechtsausübung handelt oder ein krasses Missverhältnis der Interessen besteht. | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 123 III 200 S. 201
A.-
K., der den Architektenberuf ausübt, erfuhr anfangs März 1990, dass S. seinen Landwirtschaftsbetrieb aussiedeln und deshalb die bisherige Hofliegenschaft verkaufen wolle. Mit Schreiben vom 16. März 1990 teilte er S. mit, dass er für die Hofliegenschaft Fr. 1'200'000.-- offeriere und sich für die Architekturarbeiten im Zusammenhang mit dem Aussiedlungsprojekt interessiere. Ende März 1990 wurde sodann vereinbart, dass K. neben der Hofliegenschaft von S. auch Landwirtschaftsland und Wald kaufen könne.
Nachdem K. eine Offerte für das Landwirtschaftsland und den Wald unterbreitet hatte, beauftragte S. die Amtsschreiberei am 8. Mai 1990, einen Vertrag über den Verkauf dieser Grundstücke zu einem Preis von Fr. 251'798.- aufzusetzen. Am 11. Juni 1990 wurde der öffentlich beurkundete Kaufvertrag, der einer behördlichen Genehmigung bedurfte, von den Parteien unterzeichnet. Am 13. September 1990 erteilte das Landwirtschafts-Departement seine Zustimmung, worauf der Eigentumsübergang im Grundbuch eingetragen wurde. Die Bezahlung des Kaufpreises sollte später erfolgen.
Hinsichtlich des Kaufs der Hofliegenschaft hatten die Parteien am 4. Juli 1990 einen schriftlichen Vorvertrag geschlossen, worauf K. die Amtsschreiberei mit der Ausarbeitung des entsprechenden Kaufvertrags beauftragt hatte. Dieser sollte am 21. September 1990 von den Parteien unterzeichnet werden. Dazu kam es aber nicht, weil das Landwirtschafts-Departement gestützt auf das Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes Einsprache gegen den Verkauf der Hofliegenschaft erhob. Als Grund wurde angegeben, es handle sich um das Betriebszentrum des landwirtschaftlichen Betriebes; sobald ein neues Zentrum erbaut worden sei, entfalle dieser Einsprachegrund.
Darauf beschlossen die Parteien, einen verbindlichen Vorvertrag über den Kauf der Hofliegenschaft einzugehen, der mit einer Konventionalstrafe abgesichert werden und die Bestimmung enthalten sollte, dass S. im Fall des Vertragsrücktritts die mit dem Kaufvertrag vom 11. Juni 1990 übertragenen Parzellen zum gleichen Preis zurückzunehmen habe. Gegen diesen Vertragsentwurf erhob die Bank, welche das Aussiedlungsprojekt finanzieren sollte, verschiedene Einwände mit Änderungsvorschlägen. Die Vorschläge wurden von den Parteien am 12. November 1990 besprochen. Bei dieser Besprechung wurde K., der als Architekt Projektierungsarbeiten ausgeführt hatte, zudem eröffnet, dass er nicht mehr als Architekt zugezogen werde.
BGE 123 III 200 S. 202
Am 5. Dezember 1990 teilte K. schriftlich mit, er werde den Vorvertrag nicht unterzeichnen, und forderte S. auf, die mit dem Vertrag vom 11. Juni 1990 übertragenen Parzellen zurückzunehmen. Dieser kam der Aufforderung nicht nach.
B.-
Im Januar 1991 leitete S. gegen K. Betreibung auf Zahlung des gemäss Vertrag vom 11. Juni 1990 geschuldeten Kaufpreises nebst Zins ein. Nachdem der Gerichtspräsident von Dorneck-Thierstein am 4. Februar 1991 den Rechtsvorschlag K.s beseitigt hatte, erhob dieser Aberkennungsklage gegen S. Mit Urteil vom 20. November 1992 hiess das Amtsgericht von Dorneck-Thierstein die Aberkennungsklage gut und erklärte die Forderung des Beklagten auf Zahlung von Fr. 251'797.50 nebst 5% Zins seit 20. September 1990 für unbegründet.
Der Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Solothurn, das mit Urteil vom 18. Oktober 1994/30. April 1996 die Aberkennungsklage für den Betrag von Fr. 231'797.50 nebst 5% Zins seit 20. September 1990 abwies und für diesen Betrag definitive Rechtsöffnung erteilte. Das Obergericht kam im Gegensatz zur ersten Instanz zum Ergebnis, dass der Kaufvertrag vom 11. Juni 1990 für beide Parteien trotz Berufung des Klägers auf Grundlagenirrtum verbindlich und der Kaufpreis deshalb geschuldet sei.
Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Ein Vertrag ist für jene Partei unverbindlich, die sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (
Art. 23 OR
). Als wesentlich gilt ein Irrtum namentlich, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betrifft, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet werden konnte (
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
: Grundlagenirrtum). Als Rechtsfolge des Irrtums sieht das Gesetz die einseitige Unverbindlichkeit vor (vgl. dazu SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 105 ff. zu Art. 23/24 OR).
Art. 25 OR
schränkt die Möglichkeit einer Partei, sich auf den Irrtum zu berufen, insofern ein, als sie als unstatthaft bezeichnet wird, wenn sie Treu und Glauben widerspricht (Abs. 1). Der Tatbestand wird sodann in Absatz 2 dahin konkretisiert, dass der Irrende den Vertrag so gelten lassen muss, wie er ihn verstanden hat, wenn sich die Gegenpartei dazu bereit erklärt.
BGE 123 III 200 S. 203
Schliesslich lässt
Art. 26 OR
den Irrenden für den durch den Wegfall des Vertrages entstandenen Schaden haften, wenn er den Irrtum seiner eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben hat.
a) Aus
Art. 25 Abs. 1 OR
leitet ein Teil der Lehre ab, dass im Zeitpunkt der Berufung auf den Irrtum eine Interessenabwägung stattzufinden habe. Es seien die Vertragsinteressen beider Vertragspartner nach Treu und Glauben abzuwägen (SCHMIDLIN, a.a.O., N. 7 zu
Art. 25 OR
mit Zitat). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Das Gesetz sieht als Rechtsfolge der Irrtumsanfechtung die Unverbindlichkeit des Vertrages mit allen Unannehmlichkeiten vor, die sich daraus für die Parteien ergeben können. Diese Nachteile werden für die Gegenpartei dadurch gemildert, dass unter Umständen bloss ein Teil des Vertrages unverbindlich ist (vgl. dazu EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, S. 214) und bei Fahrlässigkeit eine Haftung der anfechtenden Partei besteht. Ein grösserer Ermessensspielraum wird dem Gericht nicht eingeräumt. Es fehlt somit die Rechtsgrundlage für eine Prüfung, ob die einseitige Unverbindlichkeit des Vertrages als unverhältnismässige Rechtsfolge erscheint.
b) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass
Art. 25 Abs. 1 OR
in Konkretisierung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbotes (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
) festhält, die Berufung auf den Irrtum dürfe nicht wider Treu und Glauben erfolgen. Dieser Grundsatz kann die Geltendmachung des Irrtums nur dann als Verstoss gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, wenn es sich um unnütze Rechtsausübung handelt oder ein krasses Missverhältnis der Interessen besteht (MERZ, Berner Kommentar, N. 340 ff. und N. 371 zu
Art. 2 ZGB
).
aa) Von einer unnützen Rechtsausübung kann im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden. Bei einer Geldleistung ist ohnehin kaum ersichtlich, warum die Geltendmachung nutzlos sein soll (MERZ, a.a.O., N. 342 zu
Art. 2 ZGB
). Das gilt auch für den beurteilten Sachverhalt. Mit der Geltendmachung des Willensmangels verteidigt der Kläger genau die Interessen, die mit den Regeln über den Irrtum geschützt werden sollen. Er will verhindern, dass er den Kaufpreis für die landwirtschaftlichen Parzellen bezahlen muss, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht gekauft hätte.
bb) Unter dem Gesichtspunkt von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
ist grundsätzlich ohne Belang, ob die Rechtsausübung durch die eine Partei die andere empfindlich trifft. Ausnahmen können im Bereich der Verpflichtungen zu einem Handeln bestehen (MERZ, a.a.O., N. 372 ff. zu
Art. 2 ZGB
). Der Umstand, dass es den Beklagten hart treffen
BGE 123 III 200 S. 204
würde, wenn er den Kaufpreis nicht erhalten sollte, wogegen der Kläger die Bezahlung des Preises möglicherweise besser verkraften kann, vermag aber ein solches krasses Missverhältnis der Interessen nicht zu begründen.
c) Dem Obergericht kann deshalb nicht gefolgt werden, wenn es zwar die Voraussetzungen eines Grundlagenirrtums als gegeben ansieht, die Anfechtung aber mit der Begründung zurückweist, die einseitige Unverbindlichkeit sei unter den gegebenen Umständen keine angemessene Rechtsfolge. (In der folgenden Erwägung wird ausgeführt, dass das Obergericht im Ergebnis richtig entschieden hat, weil die Voraussetzungen eines Grundlagenirrtums fehlen). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f15f7711-e8ce-4cef-90d9-71c43df769ab | Urteilskopf
118 II 508
96. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. November 1992 i.S. Y. Company gegen X. Limited und vertragliches Schiedsgericht (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 191 IPRG
. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Intertemporales Recht.
1. Frage offen gelassen, ob es in bezug auf den Geltungsbereich gemäss
Art. 176 IPRG
auf eine blosse Niederlassung in der Schweiz ankommen kann (E. 1).
2. Jeder altrechtliche kantonale Rechtsmittelentscheid, der als nicht selbständig anfechtbarer Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
ergangen ist, lässt die frühere Rechtsmittelordnung fortdauern. Das heisst, dass auch der spätere Endentscheid (Schiedsspruch) weiterhin dem kantonalrechtlichen Anfechtungsverfahren untersteht und die Beschwerde gemäss
Art. 191 IPRG
ausgeschlossen ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 508
BGE 118 II 508 S. 508
A.-
Die X. Limited schloss für die schweizerische Zweigniederlassung der Y. Company Rückversicherungsverträge ab, die diese ihrerseits in Südamerika rückversicherte. Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehungen bezahlte die X. Limited die von den Versicherungsgesellschaften als Kunden geforderten Schadenssummen aus. Um für diese Zahlungen Deckung zu erhalten, leitete sie gegen die Y. Company vertragsgemäss ein schiedsgerichtliches Verfahren ein. Am 28. Juni 1984 fällte das Schiedsgericht mit Sitz in Zürich einen
BGE 118 II 508 S. 509
Schiedsspruch, in dem die streitigen Ansprüche teilweise summenmässig beurteilt, teilweise bloss einem parteiinternen Bereinigungsverfahren unterstellt wurden. Die X. Limited focht diesen Entscheid mit Nichtigkeitsbeschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich an. Dieses hob den Schiedsspruch am 7. Februar 1985 wegen formeller Mängel in wesentlichen Teilen auf, wobei es die zusätzlich aufgeworfenen Fragen betreffend Verletzung klaren Rechts offen liess; die Streitsache wurde zur Neubeurteilung ans Schiedsgericht zurückgewiesen. Eine gegen den obergerichtlichen Kostenspruch gerichtete staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht am 6. Juni 1985 ab.
B.-
Mit Entscheid vom 26. Mai 1992 urteilte das Schiedsgericht erneut über die Klage der X. Limited sowie über eine nach Erlass des ersten Schiedsspruchs erhobene Widerklage der Y. Company. Diese führt gegen den zweiten Schiedsspruch staatsrechtliche Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. c OG
und
Art. 191 IPRG
. Gleichzeitig hat sie kantonale Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt; sie beantragt dem Bundesgericht daher in prozessualer Hinsicht, vorerst über die Zuständigkeitsfrage zu entscheiden. Das bundesgerichtliche Verfahren wurde durch Präsidialverfügung vom 14. Juli 1992 entsprechend beschränkt. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hängt die Frage, ob das eidgenössische oder das kantonale Rechtsmittel gegeben ist, allein davon ab, ob dem angefochtenen Schiedsspruch ein internationales Verhältnis im Sinne von
Art. 176 IPRG
zugrunde liegt. Da sowohl das Schiedsgericht wie die Beschwerdegegnerin ihren Sitz unstreitig in der Schweiz hätten, sei einzig entscheidend, ob für ihren eigenen Sitz die Hauptniederlassung in den Vereinigten Staaten oder die geschäftsführende Niederlassung in der Schweiz massgebend sei. In der Begründung zur prozessleitenden Verfügung vom 14. Juli 1992 wurde diese Fragestellung übernommen.
In der Literatur wird offenbar einhellig die Meinung vertreten, eine blosse Niederlassung in der Schweiz begründe der ausländischen juristischen Person kein inländisches Domizil, so dass desungeachtet ein internationales Schiedsverfahren vorliege, wenn im übrigen dessen gesetzliche Voraussetzungen erfüllt seien (LALIVE/POUDRET/REYMOND, N 3 zu
Art. 176 IPRG
; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN,
BGE 118 II 508 S. 510
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 46 f., je mit weiteren Hinweisen). Sie scheint sich auch aus der Systematik des IPRG zu ergeben, welches in Art. 176 Abs. 1 die Niederlassung als Anknüpfungskriterium für die Internationalität nicht erwähnt, ihren inländischen Bestand dagegen in Art. 192 Abs. 1 ausdrücklich als Ausschlussgrund für einen Rechtsmittelverzicht anführt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage erübrigt sich indessen im vorliegenden Fall, da die staatsrechtliche Beschwerde gegen den angefochtenen Schiedsspruch aus einem anderen Grund nicht offen steht.
2.
Gemäss der mit
BGE 115 II 97
begründeten und seither stets befolgten Rechtsprechung (
BGE 115 II 105
E. 3, 290, 301 E. 1,
BGE 116 Ia 157
) ist in bezug auf das Anfechtungsverfahren intertemporalrechtlich auf das Datum des Schiedsspruchs und nicht auf dasjenige der Schiedsvereinbarung abzustellen. Da der angefochtene Schiedsspruch nach dem 1. Januar 1989 gefällt wurde, fänden hier somit grundsätzlich die Rechtsmittelbestimmungen des IPRG Anwendung.
Die Rechtsprechung macht von diesem Grundsatz allerdings eine Ausnahme, wenn im Schiedsverfahren bereits ein auf die materielle Streitsache bezüglicher Zwischenentscheid einer kantonalen Rechtsmittelinstanz ergangen ist, der nach Massgabe von
Art. 87 OG
nicht selbständig mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden konnte. Denn diesfalls bliebe bei einem Wechsel des Rechtsmittelsystems mit dem Inkrafttreten des IPRG der Zwischenentscheid einer Kontrolle durch das Bundesgericht entzogen. Um dieser Unzulänglichkeit zu begegnen, entschied das Bundesgericht, dass auch ein dem kantonalen Zwischenentscheid nachgehender, zeitlich unter der Herrschaft des IPRG gefällter Endentscheid des Schiedsgerichts weiterhin der kantonalrechtlichen Anfechtung untersteht (
BGE 115 II 106
).
a) In den Erwägungen des letztgenannten Urteils bezeichnete das Bundesgericht den vorgängig mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde angefochtenen Schiedsspruch bald als Teilurteil, bald als Zwischenentscheid. Nach VOGEL (ZBJV 127/1991 S. 279) lag ein blosser Vorentscheid vor, da lediglich über eine materielle Vorfrage entschieden worden sei. Tatsächlich hatte damals das Schiedsgericht die Ungültigkeit einer Vertragskündigung und damit in Form eines Vor- oder Zwischenentscheids eine Voraussetzung des Klageanspruchs bejaht, gleichzeitig aber mit derselben Begründung eine Widerklage abgewiesen und insoweit ein Teilurteil gefällt. Die Bezeichnung bleibt indessen für die hier zu beurteilende Frage ohne Bedeutung,
BGE 118 II 508 S. 511
da nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch Teilurteile als Zwischenentscheide im Sinne von
Art. 87 OG
gelten und die Anfechtung schweizerischer wie internationaler schiedsgerichtlicher Entscheidungen derselben Ordnung untersteht (
BGE 117 Ia 89
E. 3b,
BGE 116 II 81
ff.,
BGE 115 II 292
,
BGE 106 Ia 228
,
BGE 105 Ib 433
).
b) Nach
BGE 115 II 106
gilt die Ausnahme in jedem Fall, wenn sich der vor dem 1. Januar 1989 ergangene und kantonalrechtlich angefochtene Teilschiedsspruch (Zwischen- oder Teilentscheid) auf materielle Streitfragen bezog. Nicht zu entscheiden war damals, ob die Ausnahmeregelung auch Anwendung findet, wenn bloss Verfahrensfragen Gegenstand der Vorabentscheidung bildeten. In einem unveröffentlichten Urteil vom 15. Oktober 1991 hat das Bundesgericht die Frage ohne weitere Begründung bejaht.
SCHNEIDER (Das Übergangsrecht in Rechtsprechung und Schiedspraxis, Bulletin ASA 1992 S. 97 f.) schliesst sich den der Ausnahmeregelung zugrunde liegenden Überlegungen zwar an, hält aber dafür, ihnen könnte zweckmässiger dadurch Rechnung getragen werden, dass der schiedsgerichtliche Endentscheid der Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. c OG
und
Art. 191 IPRG
unterstellt, daneben aber auch die staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a (und allenfalls lit. b) OG zugelassen werde, soweit der altrechtliche kantonale Rechtsmittelentscheid mitangefochten werde. Damit könnte seiner Meinung nach eine Ungleichheit in der Anfechtbarkeit von Schiedssprüchen, die nach dem 1. Januar 1989 ergangen sind, vermieden werden.
POUDRET (Remarques au sujet du droit transitoire, Bulletin ASA 1992 S. 113 f.) billigt demgegenüber die bundesgerichtliche Lösung, will sie aber entsprechend der ratio legis von
Art. 87 OG
eingeschränkt wissen. Er möchte sie dort ausschliessen, wo im altrechtlichen kantonalen Verfahren nicht Rügen aus dem Schutzbereich von
Art. 4 BV
vorgetragen worden waren, der Zwischenentscheid somit nicht
Art. 87 OG
unterstand, sondern selbständig anfechtbar war, ferner dort, wo ein mit einem Nachteil im Sinne von
Art. 87 OG
verbundener Zwischenentscheid selbständig angefochten wurde oder hätte angefochten werden können, mithin immer dann, wenn den Parteien aus dem Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit des neuen Rechts kein Rechtsnachteil erwächst. Seiner Ansicht nach hat das Bundesgericht diese Rechtslage im Urteil vom 15. Oktober 1991 verkannt.
aa) Der Lösungsvorschlag von SCHNEIDER würde zum unbefriedigenden Ergebnis führen, dass ein auf einem altrechtlichen Zwischen- oder
BGE 118 II 508 S. 512
Teilentscheid beruhender neurechtlicher Endentscheid eines Schiedsgerichts in Teilgehalte aufgeschlüsselt und einer unterschiedlichen Rechtskontrolle unterstellt würde, nämlich einerseits derjenigen aus
Art. 4 BV
, soweit vom vorangegangenen kantonalen Rechtsmittelentscheid berührte Urteilsbestandteile angefochten werden, und anderseits jener aus
Art. 189 IPRG
, soweit davon unberührte Bestandteile zu beurteilen sind. Führte zudem die durch den Endentscheid beschwerte Partei einzig Beschwerde gemäss IPRG, bliebe die im Ergebnis nicht beschwerte Gegenpartei davon ausgeschlossen, sich im Rahmen ihrer Vernehmlassung gegen die in ihren Augen unrichtigen Feststellungen und Folgerungen der kantonalen Rechtsmittelinstanz zu wenden (
BGE 115 Ia 30
, 101 Ia 525, 531). Diese Nachteile, aber auch die Kompliziertheit einer doppelspurigen Rechtsmittelordnung, vermögen den allfälligen Vorteil einer etwas weitergehenden Gleichbehandlung aller Schiedssprüche, die nach dem 1. Januar 1989 ergangen sind, nicht aufzuwiegen.
bb) Der Ansicht von POUDRET ist insoweit beizupflichten, als die Ausnahmeregelung nicht Platz greift, sofern der altrechtliche kantonale Rechtsmittelentscheid nicht das dem Schiedsgerichtsverfahren zugrunde liegende Streitverhältnis, sondern ausschliesslich die Zusammensetzung oder die Zuständigkeit des Schiedsgerichts beschlägt. Dies folgt im wesentlichen daraus, dass derartige Zuständigkeits- und Organisationsfragen ihrer Natur nach endgültig zu erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann, was verbietet, mit entsprechenden Rügen zuzuwarten und sie erst mit der Anfechtung gegen den Endentscheid vorzutragen (
BGE 116 Ia 183
mit Hinweisen; vgl. auch
Art. 190 Abs. 3 IPRG
).
Weiter ist der Auffassung von POUDRET darin zu folgen, dass jeder altrechtliche kantonale Rechtsmittelentscheid, der als nicht unmittelbar anfechtbarer Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
erging, die frühere Rechtsmittelordnung fortdauern lässt, und zwar unabhängig davon, ob er Rügen formeller oder materieller Rechtsverweigerung zum Gegenstand hatte. Das rechtfertigt sich einerseits daraus, dass oftmals in einem einzigen Rechtsmittelverfahren diese beiden Seiten von
Art. 4 BV
angerufen werden und - wie bereits erwähnt - in bezug auf die Anfechtung des späteren Endentscheids eine Gabelung des Rechtswegs zu vermeiden ist. Anderseits gilt es zu berücksichtigen, dass das Schiedsgericht an die Erwägungen des kantonalen Rückweisungsurteils und in dem Umfang, in dem er nicht aufgehoben worden ist, auch an seinen eigenen Vor-, Zwischen- oder Teilentscheid gebunden ist (
BGE 112 Ia 171
f.). Folglich erscheint einzig
BGE 118 II 508 S. 513
sachgerecht, derselben Rechtsmittelinstanz die Beurteilung zu überlassen, ob ihren seinerzeitigen Weisungen nachgelebt worden ist. Dies drängt sich um so mehr auf, als die formellen Verfahrensgarantien nach kantonalem oder eidgenössischem Recht eine unterschiedliche Tragweite haben können, das Bundesgericht sie im Verfahren gemäss
Art. 191 IPRG
indessen bloss im Lichte der in
Art. 190 Abs. 2 IPRG
abschliessend genannten verfahrensrechtlichen Beschwerdegründe überprüfen kann (vgl. z.B.
BGE 117 II 347
zur Tragweite von
Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG
). Dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Prozessparteien würde widersprechen, einer von ihnen in der möglichen kantonalrechtlichen Anfechtung eines Zwischen- oder Teilurteils weitergehende Verfahrensgarantien zu gewähren, als der andern im Rahmen einer Anfechtung des Endentscheids.
Dagegen liesse sich die Frage stellen, ob der Ansicht von POUDRET auch insoweit zu folgen ist, als er die Fortdauer der früheren Rechtsmittelordnung trotz eines altrechtlichen kantonalen Rechtsmittelentscheids ausschliesst, wenn dieser seinerzeit zulässigerweise mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten wurde oder selbständig hätte angefochten werden können. Zwar trifft zu, dass sich diesfalls die ratio legis von
Art. 87 OG
der Anwendung des neuen Verfahrensrechts nicht entgegenstellt. Es gilt jedoch auch hier zu bedenken, dass die Unterstellung des neurechtlichen Schiedsspruchs unter
Art. 191 IPRG
vielfach die Prüfung nicht mehr erlauben würde, ob Weisungen des ihm vorangegangenen kantonalen Rechtsmittelentscheids missachtet wurden, und dass der durch diesen im Ergebnis nicht beschwerten Partei die Möglichkeit genommen wäre, bei sie beschwerendem Endentscheid auch an den für sie ungünstigen Erwägungen des kantonalen Rechtsmittelentscheids Kritik zu üben. Die Frage kann im vorliegenden Fall indessen offenbleiben, da es sich beim Rückweisungsentscheid des Zürcher Obergerichts vom 7. Februar 1985 um einen nicht selbständig anfechtbaren Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
handelte (vgl.
BGE 116 Ia 43
, 445). Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht auf eine gegen den obergerichtlichen Kostenspruch gerichtete staatsrechtliche Beschwerde eingetreten ist. Der Kostenentscheid als solcher stellte einen Endentscheid dar, der ungeachtet des Inzidenzcharakters des Hauptentscheids anfechtbar war, weil die Beschwerde nicht aus der materiellen Grundlage der Kostenliquidation begründet wurde (s. LUDWIG, Endentscheid, Zwischenentscheid und Letztinstanzlichkeit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, ZBJV 110/1974 S. 180 f.).
BGE 118 II 508 S. 514
c) Nach dem Gesagten untersteht der angefochtene Schiedsspruch weiterhin dem kantonalrechtlichen Anfechtungsverfahren und ist die Beschwerde gemäss
Art. 191 IPRG
ausgeschlossen. Dass die Beschwerdeführerin sich bloss gegen den Schiedsspruch als solchen, nicht auch gegen den vorangegangenen Zwischenentscheid wendet, ändert nichts. Intertemporalrechtlich kommt es für die Bestimmung des Rechtswegs allein auf die an sich zulässigen, nicht auf die tatsächlich erhobenen Rügen an, andernfalls das Postulat einer klaren und überblickbaren Rechtsmittelordnung wiederum in Frage gestellt wäre. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1618ff2-61cd-4283-95f9-36c512f4d4ea | Urteilskopf
116 IV 386
68. Urteil des Kassationshofes vom 24. August 1990 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 42 Abs. 1 MPG; Militärpflichtersatz.
1. Die Bestrafung nach Art. 42 MPG setzt keine vorgängige Betreibung voraus (E. 2f).
2. Die Ersatzabgabe als solche ist als Geldschuld durch Bezahlung zu erfüllen; sie ist bei Nichtbezahlung ausschliesslich auf dem Weg der Schuldbetreibung zu vollstrecken (E. 2c).
3. Die gestützt auf Art. 42 MPG verhängte Strafe sanktioniert den Ungehorsam gegenüber den Veranlagungsbehörden und entbindet nicht von der Entrichtung der Ersatzabgabe; sie verstösst daher nicht gegen das Verbot des Schuldverhafts im Sinne von
Art. 59 Abs. 3 BV
bzw.
Art. 5 EMRK
(E. 2d/3a).
4. Art. 42 MPG setzt als Unterlassungsdelikt voraus, dass der Ersatzpflichtige überhaupt die Möglichkeit hatte, seiner Abgabepflicht rechtzeitig nachzukommen (E. 2e; Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 387
BGE 116 IV 386 S. 387
A.-
Das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. verurteilte G. mit Strafverfügungen vom 23. Oktober 1985 und 6. Juni 1986 wegen schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes für das Jahr 1982 bzw. die Jahre 1983 und 1984 zu sieben bzw. neun Tagen Haft; es wurde ihm in beiden Fällen der bedingte Strafvollzug gewährt. Auch für die Jahre 1985 und 1986 leistete er die Ersatzabgabe (Fr. 2'433.60 total für beide Jahre) wiederum nicht, weshalb er mit Strafverfügung vom 14. März 1989 zu acht Tagen Haft, diesmal ohne Gewährung des bedingten Strafvollzuges, verurteilt wurde.
Auf seine Einsprache hin wurde G. dem Kantonsgericht von Appenzell A.Rh. überwiesen, welches mit Urteil vom 12. Juli 1989 den Beschuldigten wegen wiederholter Begehung - inzwischen hatte G. auch den Militärpflichtersatz für das Jahr 1987 (Fr. 1'730.--) nicht bezahlt - mit zehn Tagen Haft bestrafte.
Das Obergericht von Appenzell A.Rh. wies am 20. Februar 1990 die von G. gegen dieses Urteil gerichtete Appellation ab.
B.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt G., das Urteil des Obergerichts aufzuheben und ihn von Schuld und Strafe freizusprechen.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gegen die Veranlagung der Militärpflicht-Ersatzabgabe erhob G. keine Einsprache; diese ist somit in Rechtskraft erwachsen. Die Ersatzpflicht des Beschwerdeführers als solche ist daher verbindlich festgestellt und im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu prüfen.
b) Soweit der Beschwerdeführer geltend machen wollte, die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz (MPG; SR 661) seien als solche unvereinbar mit
Art. 59 Abs. 3 BV
, könnte das Bundesgericht die Rüge nicht prüfen (
Art. 113 Abs. 3 BV
).
BGE 116 IV 386 S. 388
Es kann im Rahmen der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde bei der Prüfung einer Verletzung von Bundesrecht lediglich untersucht werden, ob die entsprechenden Bestimmungen des MPG im Lichte von
Art. 59 Abs. 3 BV
bzw.
Art. 5 Abs. 1 lit. b EMRK
verfassungs- bzw. konventionskonform ausgelegt wurden (
BGE 114 Ia 377
;
112 IV 139
E. 1).
2.
a) Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, weil er vor dem Eingriff in seine persönliche Freiheit nicht betrieben worden sei; dies insbesondere weil
Art. 59 Abs. 3 BV
den "Schuldverhaft" ausdrücklich untersage.
b) Zu prüfen ist nach dem eingangs Gesagten, ob eine verfassungskonforme Auslegung von Art. 34 und 42 MPG verlange, dass vorgängig einer Bestrafung nach Art. 42 MPG in jedem Fall eine Betreibung zu erfolgen habe.
c) Der Beschwerdeführer beruft sich dazu auf Art. 34 Abs. 1 MPG, wonach für rechtskräftig festgesetzte Abgaben die Betreibung angehoben werden kann, sofern trotz Mahnung keine Zahlung geleistet wird. Diese Formulierung stelle es nicht in das Belieben des Beamten, ob zu betreiben sei oder nicht.
aa) Art. 34 befindet sich im sechsten Abschnitt des Gesetzes unter dem Titel "Bezug der Ersatzabgabe" und beschlägt damit einzig die Vollstreckung der - mangels Einsprache des Beschwerdeführers - rechtskräftig veranlagten Ersatzabgabe.
Die Vollstreckung der rechtskräftig veranlagten Ersatzabgabe erfolgt - wie bei allen Geldforderungen - gemäss Art. 34 MPG auf dem Weg der Schuldbetreibung (PETER RUDOLF WALTI, Der schweizerische Militärpflichtersatz, Diss. Zürich 1979, S. 220, N 537); eine andere Möglichkeit wird im Gesetz zu Recht nicht angeführt.
bb) Die Ersatzabgabe ist eine Geldschuld, die durch Bezahlung zu erfüllen ist (Art. 1 MPG; BGE 22, 26). Der Ersatzpflichtige kann daher nicht gezwungen werden, anstelle der Ersatzabgabe eine Arbeitsleistung zu erbringen ("Abverdienen"), da dies gegen das Verbot des Schuldverhafts im Sinne von
Art. 59 Abs. 3 BV
verstiesse (BGE 22, 26). Das Verbot des Schuldverhafts hat nämlich zur Folge, dass dem Gläubiger gegenüber nicht die Person, sondern ausschliesslich das Vermögen des Schuldners haftet.
Art. 59 Abs. 3 BV
verbietet demnach jeden zwangsweisen Freiheitsentzug zum Zwecke der Vollstreckung oder Tilgung einer Geldforderung, die nicht den Charakter einer echten Strafe hat;
BGE 116 IV 386 S. 389
kein Schuld- sondern (zulässiger) Strafverhaft sind daher die Umwandlung einer als Strafe und nicht als Zwangsmittel auferlegten Busse in Haft (BGE 5, 27) oder die Haft wegen schuldhafter Nichtbezahlung geschuldeter Geldleistungen, sofern es sich dabei um eine vom Gesetz vorgesehene Strafe handelt, also um die Sanktion für eine strafrechtlich verfolgbare Tat (BGE 14, 179; WALTI, a.a.O., S. 210, N 513; KNAPP, Kommentar BV, Art. 59, Rz. 79).
d) Der Ersatzpflichtige, der die rechtskräftig veranlagte Ersatzabgabe trotz vorausgegangener Verwarnung nicht bezahlt, wird mit Haft bis zu zehn Tagen bestraft (Art. 42 Abs. 1 MPG); eine andere Sanktion ist nicht vorgesehen.
Auch wenn diese Bestimmung einen gewissen indirekten Zwang auf den Ersatzabgabeschuldner ausübt (WALTI, a.a.O., S. 220, N 537), hat die gestützt darauf ausgefällte Sanktion den Charakter einer echten Strafe: Sanktioniert wird nämlich der Ungehorsam gegenüber den Veranlagungsbehörden und der von ihnen erlassenen Zahlungsaufforderungen (WALTI, a.a.O., S. 229, N 559). Der Grundsatz, dass dem Gläubiger nur das Vermögen des Ersatzpflichtigen haftet, wird nicht aufgehoben; denn gemäss Art. 42 Abs. 3 MPG enthebt die Verbüssung der gestützt auf diese Bestimmung ausgesprochenen Strafe nicht von der Pflicht zur Bezahlung der Ersatzabgabe.
e) Gemäss Art. 42 Abs. 1 MPG wird der Ersatzpflichtige bestraft, der die Ersatzabgabe schuldhafterweise nicht innert der in Art. 33 Abs. 3 MPG bezeichneten zweiten Nachfrist bezahlt. Der Tatbestand ist demnach objektiv erfüllt, wenn es der Ersatzpflichtige unterlässt, rechtzeitig die Ersatzabgabe zu bezahlen. Das tatbestandsmässige Verhalten liegt also in einem Unterlassen. Nach den allgemeinen Regeln des Unterlassungsdeliktes setzt die Erfüllung des objektiven Tatbestandes voraus, dass der Täter überhaupt die Möglichkeit hatte, seiner Pflicht nachzukommen (NOLL/TRECHSEL, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil I, 3. Aufl., S. 208; HAUSER/REHBERG, Strafrecht I, 4. Aufl., S. 183; STRATENWERTH, Allg. Teil I, S. 386; SCHULTZ, Allg. Teil I, 4. Aufl., S. 141; vgl. auch
BGE 114 IV 124
E. 3b betr. Leistungsmöglichkeit beim Tatbestand der Vernachlässigung von Unterstützungspflichten,
Art. 217 StGB
). Fehlen dem Ersatzpflichtigen daher im Zeitpunkt, in welchem er die Ersatzabgabe entrichten müsste, die dafür nötigen Mittel, so kann er den Unterlassungstatbestand von Art. 42 Abs. 1 MPG gar nicht erfüllen, es sei denn, man bejahe eine Pflicht, die
BGE 116 IV 386 S. 390
nötigen Mittel schon vorher zur Verfügung zu halten. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung betreffend Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes dem Gesichtspunkt der Möglichkeit, der Ersatzabgabepflicht überhaupt nachzukommen, nicht Rechnung getragen wurde (vgl.
BGE 85 IV 241
,
BGE 69 IV 142
,
BGE 68 IV 144
), kann daran nicht festgehalten werden.
Zutreffend an diesen Entscheidungen ist allerdings, dass der Pflichtige im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen gehalten ist, die nötigen Mittel für die Bezahlung der Ersatzabgabe zu beschaffen beziehungsweise bereit zu halten. Tut er dies nicht, verletzt er seine Pflicht schuldhafterweise im Sinne von Art. 42 Abs. 1 MPG.
Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgehalten (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), dass der Beschwerdeführer mit seinem Einkommen die Bezahlung des Militärpflichtersatzes hätte vornehmen können. Eine Bundesrechtsverletzung ist somit nicht ersichtlich.
f) Ersatzabgabe und Strafe sind nach dem Gesagten völlig unabhängig voneinander. Dass eine Betreibung - als Teil der Vollstreckung - eingeleitet worden sei, ist daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht Voraussetzung für die Anwendung von Art. 42 MPG. Dies kann auch nicht unter Berufung auf das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt werden. Die Strafe nach Art. 42 MPG kann nicht durch blosse Betreibung ersetzt werden, denn diese erfolgt neben der Bestrafung und unabhängig von dieser (WALTI, a.a.O., S. 214, N 522). Da der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Vorinstanz trotz zweier vorausgehender Verurteilungen wegen des gleichen Delikts keine Reaktionen zeigte, sondern die Sache erneut einfach treiben liess, war der Verzicht auf eine erneute Betreibung im übrigen durchaus vertretbar.
Ein solcher im pflichtgemässen Ermessen der Behörde liegender Verzicht auf eine vorgängige Betreibung ist ebenfalls unter dem Gesichtspunkt von
Art. 59 Abs. 3 BV
nicht zu beanstanden und stellt damit eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von Art. 34 und 42 MPG dar.
g) Im übrigen ist Art. 33 Abs. 3 MPG - im Gegensatz zur "Kann-Vorschrift" von Art. 34 Abs. 1 MPG - zwingend formuliert, indem die Bezugsbehörde, wenn der Ersatzpflichtige innert 15 Tagen nach Empfang der Verwarnung weder die Ersatzabgabe bezahlt noch unter Nachweis unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit
BGE 116 IV 386 S. 391
den Erlass oder eine Zahlungserleichterung begehrt, seine Überweisung an den Strafrichter beantragt. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass vorgängig einer Bestrafung eine Betreibung zwingend erfolgen muss, so hätte er dies sicher auch bei Art. 34 MPG durch eine andere Formulierung zum Ausdruck gebracht.
3.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich eine Verletzung von
Art. 5 Abs. 1 lit. b EMRK
, welcher einen Schuldverhaft nicht zulasse.
a) Wie dargelegt (E. 2), stellt die Bestrafung nach Art. 42 Abs. 1 MPG keinen Schuldverhaft dar. Von einer Verletzung von
Art. 5 Abs. 1 lit. b EMRK
kann deshalb keine Rede sein. Auch die Berufung auf BISCHOFBERGER (Die Verfahrensgarantien der EMRK (Art. 5 und 6) in ihrer Einwirkung auf das schweizerische Strafprozessrecht, S. 179) hilft dem Beschwerdeführer nicht, wird an jener Stelle doch lediglich ausgeführt, auch der Schuldverhaft sei unter
Art. 5 EMRK
zu subsumieren.
b) Da die Haft neben der Schuldbetreibung und unabhängig von dieser gesetzlich vorgesehen ist, kann von einer Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips auch im Rahmen der Anwendung der EMRK keine Rede sein. Die dazu vom Beschwerdeführer bei BISCHOFBERGER zitierte Stelle (S. 158) hat mit diesem Thema nichts zu tun, sondern mit der Verteidigung.
4.
Die Beschwerde erweist sich, soweit darauf eingetreten werden kann, als unbegründet. Entsprechend diesem Ausgang gehen die Kosten zu Lasten des Beschwerdeführers (
Art. 278 BStP
). | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f16590a6-def9-412e-85ed-79e08cdf956d | Urteilskopf
119 V 389
56. Urteil vom 28. Mai 1993 i.S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen N. und Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen Z. und Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen D. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 52 AHVG
.
Zur Haftung von Verwaltungsräten für Beitragsschulden, die im Rahmen der Übertragung von Aktiven und Passiven einer Kollektivgesellschaft auf eine Aktiengesellschaft übergegangen sind. | Sachverhalt
ab Seite 390
BGE 119 V 389 S. 390
A.-
Urs N. und Josef Z. gründeten 1985 als Kollektivgesellschaft die Firma N. + Z. Gemäss Publikation vom 4. Mai 1987 im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) erlosch diese Kollektivgesellschaft "infolge Auflösung und beendigter Liquidation", indem ihre Aktiven und Passiven auf die neugegründete Firma N. + Z. AG "gemäss Sacheinlagevertrag vom 16. April 1987 und Übernahmebilanz per 31. Januar 1987" übertragen wurden, in welcher AG Urs N. und Josef Z. sowie, neu an der Unternehmenstätigkeit beteiligt, Emil D. als Verwaltungsräte amteten. Der Geschäftsgang der neugegründeten AG nahm rapide einen schlechten Verlauf, indem sie bereits im Sommer 1987 um Nachlassstundung ersuchen musste, welche aber nichts ergab, so dass der Konkursrichter des Bezirkes O. durch Verfügung vom 2. Dezember 1987 über sie den Konkurs eröffnete. Der Konkurs über die AG wurde im ordentlichen Verfahren durchgeführt mit Auflage des Kollokationsplanes im Mai 1988 und Aufstellung der Verteilungsliste Ende 1990. Am 3. Januar 1991 übermittelte das Konkursamt der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen den Verlustschein infolge Konkurses, welcher auswies, dass die Kasse mit der von ihr eingegebenen Forderung von Fr. 119'882.65, nach Erhalt einer Teilzahlung von Fr. 60'373.60, im Betrag von Fr. 59'509.05 zu Verlust gekommen war.
Da ein Teil der Verbindlichkeiten der konkursiten AG Schulden der früheren Kollektivgesellschaft gewesen waren - was insbesondere auch auf Beitragsforderungen der Ausgleichskasse zutrifft -, hielten sich die Gläubiger an Urs N. und Josef Z. in ihrer Eigenschaft als frühere Kollektivgesellschafter schadlos, so dass diesen nichts anderes übrigblieb, als selber den Konkurs zu erklären, nämlich am 7. Dezember 1987 (Z.) und am 1. Februar 1988 (N.). In beiden Fällen kam es jedoch zu gerichtlichen Bestätigungen von am 20. Juni 1989 abgeschlossenen Nachlassverträgen im Konkurs, welche für die in der 5. Klasse kollozierten Forderungen je eine Nachlassdividende von 20% vorsahen (Entscheide des Bezirksgerichts U. vom 20. Oktober 1989 und des Bezirksgerichts O. vom 12. Dezember 1989), so dass die Konkurse widerrufen wurden. Die Ausgleichskasse hatte sich weder an den Privatkonkursen noch folglich an den gerichtlich genehmigten Nachlassverträgen im Konkurs beteiligt.
Aufgrund von Beitragsübersichten und -auszügen der Jahre 1980 bis 1989 stellte die Ausgleichskasse fest, dass ihr Kollektivgesellschaft und AG insgesamt Fr. 121'011.15 an paritätischen Beiträgen (einschliesslich Nebenkosten) schuldig geblieben waren, worauf sie
BGE 119 V 389 S. 391
mit Verfügungen vom 9. Mai 1989 Urs N., Josef Z. und Emil D. zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe dieses Betrages verpflichtete.
B.-
Nachdem Urs N., Josef Z. und Emil D. hiegegen je hatten Einspruch einlegen lassen, wandte sich die Ausgleichskasse mit drei Schadenersatzklagen an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen. Nach Durchführung eines zweifachen Schriftenwechsels hiess das kantonale Gericht die Schadenersatzklagen gegen Urs N. und Josef Z. im Umfange von Fr. 15'500.-- teilweise gut; die Klage gegen Emil D. wies es ab (Entscheide vom 5. März 1992).
C.-
In allen drei Fällen führt einzig die Ausgleichskasse Verwaltungsgerichtsbeschwerde, jeweils mit dem Rechtsbegehren auf Aufhebung der kantonalen Gerichtsentscheide und Verurteilung von Urs. N. und Josef Z. auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von jeweils Fr. 52'913.30, im Falle Emil D's auf Zahlung von Fr. 26'685.75. Auf die im wesentlichen gleich begründeten Verwaltungsgerichtsbeschwerden der Kasse wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Das gleiche gilt für die Vernehmlassungen von Urs N., Josef Z. und Emil D., die auf Abweisung der Beschwerden schliessen und für die Stellungnahmen des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV), in denen Gutheissung beantragt wird.
Urs N., Josef Z. und Emil D. wurde Gelegenheit gegeben, sich gegenseitig als Mitinteressierte zu den Beschwerden des andern zu äussern.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Obwohl das kantonale Gericht drei getrennte Entscheide erlassen hat, sind die vorliegenden Kassenbeschwerden in einem Verfahren zu vereinigen und durch ein Urteil zu erledigen. Denn die entscheidwesentlichen Erwägungen der Vorinstanz lauten im wesentlichen gleich, ebenso Begründung und Einwendungen der Kasse hiegegen. Auch die Vorbringen in den Vernehmlassungen und die Sichtweise des BSV sind in allen drei Fällen praktisch identisch, weil sich in den drei Fällen die gleichen grundsätzlichen Rechtsfragen stellen.
2.
a) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich
BGE 119 V 389 S. 392
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
).
b) Weil der Schadenersatzprozess nach
Art. 52 AHVG
gemäss ständiger Rechtsprechung (nicht veröffentlichtes Urteil E. vom 27. Dezember 1987 und seitherige Urteile) nicht unter den Begriff der Abgabestreitigkeiten im Sinne von
Art. 114 OG
fällt, somit enge Kognition nach Art. 104/5 OG (Erw. 2a) gilt, woran festzuhalten ist, sind die Einwendungen in der Vernehmlassung des Josef Z. teilweise prozessual unzulässig. Da er (ebenso wie Urs N.) die vorinstanzlichen Entscheide, welche ihn und Urs N. zu je Fr. 15'500.-- Schadenersatz verurteilt haben, nicht anfocht, liegt aufgrund der Anträge der einzig Verwaltungsgerichtsbeschwerde führenden Ausgleichskasse bloss im Streit, ob das kantonale Gericht diese beiden Beschwerdegegner zu mehr als Fr. 15'500.-- Schadenersatz hätte verurteilen sollen, nämlich zu Fr. 52'913.30, wie beantragt. Weil
Art. 114 OG
nicht anwendbar ist und die Beschwerdegegner Urs N. und Josef Z. keine Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht haben, besteht prozessual keine Möglichkeit, zu Lasten der beschwerdeführenden Kasse über ihren Antrag hinauszugehen. Somit ist auf die vorinstanzliche Verurteilung von Urs N. und Josef Z. zu Schadenersatz bis zum Umfang von Fr. 15'500.-- nicht einzugehen.
3.
Das kantonale Gericht hat in für das Eidg. Versicherungsgericht im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
verbindlicher (Erw. 2a) und im übrigen unbestrittener Weise festgestellt, dass die Ausgleichskasse folgende ausstehende bundesrechtliche Beitragsforderungen hatte:
- Fr. 63'282.75 von der Kollektivgesellschaft N. + Z.;
- Fr. 37'772.25 von der N. + Z. AG.
Fest steht ebenfalls, dass die Ausgleichskasse aufgrund der endgültigen Verteilung an ihre im Konkurs der N. + Z. AG eingegebene Forderung von Fr. 119'882.65 Deckung im Umfang von Fr. 60'373.60 erhielt, so dass ein Verlustschein über Fr. 59'509.05 resultierte. Auch dies hat das kantonale Gericht verbindlich und im übrigen ebenfalls unbestritten festgestellt.
4.
Das kantonale Gericht ist, nach Darlegung der rechtlichen Grundlagen zu
Art. 52 AHVG
, in folgenden Schritten vorgegangen: In ihrer Eigenschaft als Verwaltungsräte der N. + Z. AG hat das kantonale Gericht eine Ersatzpflicht der drei Beschwerdegegner für den
BGE 119 V 389 S. 393
durch die Kollektivgesellschaft N. + Z. verursachten Schaden in Höhe von Fr. 63'282.75 verneint. Bezüglich der von der N. + Z. AG schuldig gebliebenen Beiträge von Fr. 37'772.25 hat es dagegen eine Verletzung der Organpflichten bejaht, jedoch diesbezüglich einen Schadenseintritt verneint, weil die Ausgleichskasse ja letztlich aus dem Konkurs der N. + Z. AG mehr an Dividende herausbekommen habe (Fr. 60'373.60), als die AG ihr an Beiträgen schuldig geblieben sei (Fr. 37'772.25). Zu diesem Teilergebnis konnte das kantonale Versicherungsgericht nur aus der Überlegung heraus gelangen, dass die Kollokation der Kassenforderung im Konkurs der AG in dem Umfange unrichtig war, als es sich um Beitragsschulden der Vorgängerin (Kollektivgesellschaft) handelte (insgesamt, einschliesslich der FAK-Beiträge von Fr. 14'262.65, welche das kantonale Gericht im kantonalen Haftungsprozess ausklammerte, Fr. 77'545.40). Daher hätte die Kollokation, so die Vorinstanz, auf den Betrag von Fr. 42'337.25 beschränkt bleiben müssen. Diese Argumentation führte zur Befreiung aller drei Beschwerdegegner von der Ersatzpflicht, soweit es um Schaden im Zusammenhang mit der AG geht. Für die früheren Kollektivgesellschafter Urs N. und Josef Z. prüfte das kantonale Gericht sodann die Frage der Schadenersatzpflicht in dieser Eigenschaft für die Beiträge, welche die aufgelöste Kollektivgesellschaft der Ausgleichskasse schuldig geblieben war. Das kantonale Gericht warf zunächst die Frage auf, ob Urs N. und Josef Z. zwei oder fünf Jahre für die Verbindlichkeiten der Kollektivgesellschaft (Art. 591 Abs. 1 oder Art. 592 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 181 OR
) haften würden. Da nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts Sozialversicherungsbeiträge "nicht nach der Regel von
Art. 181 OR
an den Übernehmer übergehen und somit keine anderen Sicherheiten mehr zur Verfügung stehen", erscheine die Anwendung der fünfjährigen Verwirkungsfrist nach
Art. 591 Abs. 1 OR
als sachgerecht. Unabhängig von der Frage der Haftungsverjährung hätte die Ausgleichskasse, so die Vorinstanz, den Beitragsausstand aus der Kollektivgesellschaft von Fr. 63'282.75 zunächst in Privatkonkursverfahren gegen die beiden Gesellschafter durchsetzen müssen. Erst nach Abschluss eines solchen Konkursverfahrens hätte sich entschieden, ob der Ausgleichskasse ein Schaden und damit eine Schadenersatzforderung entstanden sei. "Es kann somit nicht gesagt werden, dass hinsichtlich dieser Beitragsforderung der Schadeneintritt mit dem Konkurs des Nachfolgeunternehmens, der N. + Z. AG, erfolgte. Der Schadeneintritt bei dieser Beitragsforderung ist gänzlich unabhängig vom Konkurs der N. + Z. AG, da dieses
BGE 119 V 389 S. 394
Unternehmen nicht Beitragsschuldner war." Auch wenn sich Beitrags- und Schadenersatzforderung gegen die gleichen Personen richteten, so sei zwischen den beiden Ansprüchen rechtlich und begrifflich genau zu unterscheiden. Die Ausgleichskasse habe daher auch bei Identität von Beitrags- und Schadenersatzschuldner immer zunächst die Beitragsforderung durchzusetzen. Erst wenn sich zeige, dass sie dabei zu Schaden komme, entstehe ein Schadenersatzanspruch gemäss
Art. 52 AHVG
. Weil die Ausgleichskasse es unterlassen habe, ihre Beitragsforderung in den Privatkonkursen von Urs N. und Josef Z. einzugeben, müsse die Schadenersatzklage "im Umfang der Nachlassdividende von Fr. 25'313.10 (2 x 20% von Fr. 63'282.75) zur Zeit abgewiesen werden. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Klägerin nach entsprechenden Vollstreckungsbemühungen den Schadennachweis später führen kann." Der Ausgleichskasse sei anderseits in Höhe des Differenzbetrages zwischen der Dividende aus dem Nachlassvertrag und der Beitragsforderung bereits heute ein Schaden entstanden. Der Verzicht auf die Ausschöpfung des Konkursprivilegs stelle indessen eine teilweise Einwilligung des Geschädigten in die Verursachung des Schadens dar. Es würde Treu und Glauben zuwiderlaufen und wäre auch eine Umgehung betreibungsrechtlicher Vorschriften, wenn die Ausgleichskasse ihren Forderungsausfall in Form von Schadenersatz doch wieder decken könnte. Das fehlerhafte Verhalten der Ausgleichskasse, welches zum Beitragsverlust führe oder dazu beitrage, sei deshalb als Herabsetzungsgrund zu würdigen. Das aus dem Konkurs der AG erzielte Betreffnis (Konkursdividende) von Fr. 60'373.60 diene in seinem überschiessenden Teil von Fr. 18'036.35 "rechnerisch gesehen der Tilgung der Beitragsschuld in Höhe von Fr. 77'545.40 (einschliesslich FAK-Beiträge)" der Kollektivgesellschaft. Dieser Überschuss sei anteilmässig auf die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge von Fr. 63'282.75 und auf die FAK-Beiträge von Fr. 14'262.65 aufzuteilen. Damit entfalle auf die Beitragsforderung der Ausgleichskasse noch ein Anteil von Fr. 14'719.--, um welchen Betrag sich der Schaden von Fr. 37'969.65 reduziere. Vom verbleibenden Ausfall von Fr. 23'251.-- gehe im Sinne eines Herabsetzungsgrundes ein Drittel zu Lasten der Klägerin, weshalb sie gerundet von Urs N. und Josef Z. noch je Fr. 15'500.-- Schadenersatz verlangen könne. Dieser Schadenersatzanspruch auf verbleibend Fr. 15'500.-- sei rechtzeitig geltend gemacht und nicht verwirkt. Diesbezüglich seien auch die materiellen Haftungsvoraussetzungen (Widerrechtlichkeit, Verschulden usw.) erfüllt.
BGE 119 V 389 S. 395
5.
Zu prüfen ist somit zunächst, ob Urs N., Josef Z. und Emil D. in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsräte der N. + Z. AG als Ersatzpflichtige in Betracht fallen, insoweit es um den Ersatz von Schaden geht, welcher daraus resultiert, dass die frühere Kollektivgesellschaft N. + Z. Beiträge im Umfange von Fr. 63'282.75 nicht bezahlte.
a) In dem von den Verfahrensbeteiligten erwähnten
BGE 112 V 152
, wo es um die Schadenersatzpflicht der Organe einer AG ging, welche eine nicht im Handelsregister eingetragene Einzelfirma mit Aktiven und Passiven übernommen hatte, entschied das Eidg. Versicherungsgericht:
"Il reste toutefois à examiner le problème de l'étendue du dommage dont la caisse de compensation est en droit de demander la réparation. La juridiction cantonale admet que ce dernier englobe également les cotisations paritaires dues mais non versées par l'entreprise Z; elle considère que, dans la mesure où elle a repris l'actif et le passif de cette entreprise, X S.A. est devenue responsable de l'ensemble des dettes de celle-ci. Par conséquent, il ne se justifierait pas d'opérer "une réduction sur le montant arrêté par la caisse au titre des engagements de l'entreprise Z".
De leur côté, les recourants contestent toute reprise par X S.A. de la dette de cotisations en question, faisant valoir que les statuts de la société prévoyaient expressément, sur ce point, "un effet rétroactif au 1er janvier 1980 sans plus".
Il n'est cependant pas nécessaire de se prononcer sur cette controverse, car la solution retenue ici par les premiers juges ne peut pas être confirmée quant à son résultat. Sans doute est-il vrai que celui qui acquiert une entreprise avec actif et passif devient responsable des dettes envers les créanciers dès que l'acquisition a été portée par lui à leur connaissance ou qu'il l'a publiée dans les journaux (art. 181 al. 1 CO; cf. également, en ce qui concerne plus particulièrement les dettes de cotisations, ATFA 1965 p. 11). Mais, à elle seule, l'application de cette disposition ne permettrait pas de conclure que les recourants doivent être tenus à réparation en leur qualité d'anciens administrateurs de la société reprenante. Selon le système légal, la responsabilité de droit public instituée par l'art. 52 LAVS est le corollaire des obligations que l'employeur - c'est-à-dire celui qui verse à des personnes obligatoirement assurées une rémunération au sens de l'art. 5 al. 2 LAVS (cf. art. 12 al. 1 LAVS) - assume, notamment, en matière de perception des cotisations et de versement des prestations (BINSWANGER, Kommentar zum AHVG, note 1 ad art. 52; ATF 96 V 124; voir également le message du Conseil fédéral relatif à un projet de loi sur l'assurance-vieillesse et survivants, FF 1946 II 437 et 529). Cette norme ne vise donc pas n'importe quel dommage invoqué par une caisse de compensation: par définition, ce dernier doit être la conséquence d'un acte ou d'une omission relevant des tâches que la loi attribue à l'employeur. En matière de cotisations, qui représente le champ d'application principal de l'art. 52 LAVS, l'employeur responsable ne peut donc être que la personne (physique ou morale) qui était chargée, en tant qu'organe d'exécution de la loi,
BGE 119 V 389 S. 396
de la perception des cotisations et du règlement des comptes, conformément à l'art. 14 al. 1 LAVS en corrélation avec les art. 34 ss RAVS (cf. RCC 1985 p. 608 consid. 5b).
Or, dans le cas particulier, X S.A. n'avait à l'évidence aucune obligation découlant de la LAVS en matière de retenue et de paiement des cotisations d'assurances sociales dues sur les rémunérations versées par l'entreprise Z. C'est dire que le non-paiement d'une partie de ces cotisations n'a rien à voir avec la qualité d'employeur de X S.A. Cela suffit à exclure, sur le point ici en discussion, une responsabilité - subsidiaire - des recourants, fondée sur l'art. 52 LAVS (
BGE 112 V 154
Erw. 5)."
b) aa) Die Vorinstanz hat dazu unter Hinweis auf KNUS, Die Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers in der AHV, Diss. Zürich 1989, S. 18 f., Anmerkung 45, erwogen, diese Auffassung sei nicht unbestritten geblieben; doch sprächen für sie gleichwohl gewichtige rechtliche Gründe, bestehe doch kein Anlass, vom Prinzip abzuweichen, wonach sich die öffentlichrechtliche Organstellung nach
Art. 14 Abs. 1 AHVG
in Verbindung mit
Art. 34 ff. AHVV
nicht mittels privatrechtlicher Vereinbarung auf eine andere juristische oder natürliche Person übertragen lasse.
bb) Die Ausgleichskasse wendet gegen diese vorinstanzliche Betrachtungsweise ein, damit werde ermöglicht, "durch privatrechtliche Vereinbarung eine Gesellschaft aufzulösen und dadurch deren AHV-rechtliche Arbeitgeberstellung ändern zu lassen, bevor alle damit verbundenen öffentlichrechtlichen Pflichten erfüllt" seien. Dieses "unbefriedigende Resultat" spreche gegen ein Vorgehen ausschliesslich nach privatrechtlichen Regeln. Die Erfüllung der AHV-rechtlichen Arbeitgeberpflichten lasse sich nur durchsetzen, "wenn der Übernehmer nicht nur die offenen Beitragsschulden seines Vorgängers, sondern auch alle übrigen AHV-rechtlichen Pflichten zu übernehmen" habe, wenn also "der Übernehmer in die AHV-rechtliche Arbeitgeberstellung seines Vorgängers eintreten" müsse. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Möglichkeit, durch privatrechtliche Vereinbarung die AHV-rechtliche Arbeitgeberstellung von einer aufzulösenden juristischen Person oder Personengesellschaft auf eine andere Person zu übertragen, der Durchsetzung der Beitragsabrechnungs- und Beitragsablieferungspflicht hinderlich sein solle. Missbräuchen (z.B. Übertragung von Aktiven und Passiven einschliesslich Beitragsschulden einer aufzulösenden Kollektivgesellschaft auf eine bereits zahlungsunfähige AG) könne dadurch begegnet werden, dass die bisher Verantwortlichen, soweit nicht ohnehin Organe der übernehmenden AG, "als Arbeitgeber im Sinne
BGE 119 V 389 S. 397
der zu
Art. 52 AHVG
entwickelten Praxis für den Schaden haftbar gemacht werden, den sie durch die Übergabe der Aktiven und Passiven einer aufgelösten Gesellschaft an eine andere Gesellschaft, die aber offensichtlich nicht in der Lage ist, den übernommenen (Beitragsablieferungs)pflichten (...) nachzukommen, (mit-)verursacht haben".
cc) Das BSV teilt diese Auffassung der Ausgleichskasse und unterstützt sie mit zwei zusätzlichen Argumenten:
- Abgesehen von der
BGE 112 V 154
Erw. 5 zugrunde liegenden "handelsrechtlichen Lösung", wonach anlässlich der Geschäftsübernahme nach
Art. 181 OR
immer nur die einzelnen Forderungen und Pflichten auf den Erwerber übergingen, nicht aber Schuldverhältnisse als solche, die der Veräusserer mit Dritten abgeschlossen hat, halte das Zivilrecht nun aber ausserdem "eine arbeitsvertragliche Lösung" bereit: Nach
Art. 333 Abs. 1 OR
würden unter den dort genannten Voraussetzungen die Arbeitsverhältnisse (d.h. die ganzen Schuldverhältnisse) auf den Erwerber übergehen; somit träfen den Übernehmer alle Arbeitgeberpflichten, nicht nur die zufolge von
Art. 181 OR
abgetretenen;
- ferner erscheine eine Berücksichtigung der erwähnten Übernahme der gesamten Schuldverhältnisse auch deswegen angezeigt, weil kein rechtlich relevanter Unterschied zu der vom Eidg. Versicherungsgericht jüngst bejahten Haftung des Verwaltungsrats bestehe, wonach er für die - bei seiner Mandatsübernahme bereits verfallenen - Sozialversicherungsbeiträge, welche die AG als Arbeitgeberin schuldet, einstehen muss; dies unter Hinweis auf ZAK 1992 S. 249 Erw. 7b.
c) Die vom BSV unterstützte Argumentation der Ausgleichskasse gibt keinen Anlass, von der mit
BGE 112 V 154
Erw. 5 eingeleiteten und bisher nie in Frage gestellten Rechtsprechung abzuweichen. Aufsichtsbehörde und Durchführungsstelle übersehen, dass mit der Auflösung einer juristischen Person oder, wie hier, Personengesellschaft die gegenüber der Ausgleichskasse beitragsabrechnungs- und beitragsablieferungspflichtige Arbeitgeberin im Sinne von
Art. 12 AHVG
ausfällt. Das bedeutet, dass sämtliche paritätischen Beiträge, welche der Arbeitgeber nach
Art. 14 Abs. 1 AHVG
der Ausgleichskasse bis zu diesem Zeitpunkt schuldet, zunächst keinem Rechtssubjekt mehr zugerechnet werden können. Hat eine juristische Person oder Personengesellschaft im Zeitpunkt ihrer Auflösung nicht sämtliche von ihr bis zu diesem Datum geschuldeten, fällig gewordenen Beitragsforderungen der Ausgleichskasse beglichen,
BGE 119 V 389 S. 398
so steht fest, dass diese Arbeitgeberin ihrer öffentlichrechtlichen Pflicht der Beitragsabrechnung und -ablieferung nicht nachgekommen ist und nicht mehr wird nachkommen können. Damit liegt ein Verstoss gegen die Arbeitgeber- und gegebenenfalls Arbeitgeberorganpflichten vor. Die übernehmende neue Arbeitgeberin hat sich diese vorher verwirklichte Verletzung der AHV-rechtlichen Vorschriften schadenersatzrechtlich nicht anrechnen zu lassen. Darin liegt der grundlegende Unterschied zu der vom BSV erwähnten mit ZAK 1992 S. 249 Erw. 7b eingeleiteten Rechtsprechung. Hier geht es nicht um den Wegfall einer juristischen Person/Personengesellschaft mit Arbeitgeberqualität im Sinne von
Art. 12 und 14 AHVG
, sondern um den Tatbestand, dass jemand (z.B. durch Eintritt in den Verwaltungsrat einer AG) neu Organ einer seit je bestehenden abrechnungspflichtigen Arbeitgeberin wird und kraft Konstituierung als Organ dafür zu sorgen hat, dass nebst den laufenden auch die verfallenen paritätischen Beiträge dieser Arbeitgeberin entrichtet werden.
6.
a) Können nach dem Gesagten die drei Beschwerdegegner in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsräte der AG nicht als Ersatzpflichtige für denjenigen Teil des Schadens betrachtet werden, welcher der Ausgleichskasse dadurch entstand, dass die aufgelöste Kollektivgesellschaft Beiträge schuldig geblieben war, so fragt sich weiter, ob die Vorinstanz zu Recht das im Konkurs der AG von der Ausgleichskasse erzielte Betreffnis einzig auf denjenigen Schadensteil angerechnet hat, welcher der Ausgleichskasse dadurch entstand, dass die AG paritätische Beiträge schuldig geblieben war. Das kantonale Gericht hat dazu erwogen:
"Gestützt auf die erwähnte höchstrichterliche Rechtsprechung (gemeint ist
BGE 112 V 152
) ist aber festzustellen, dass die Forderung der Klägerin in diesem Konkurs offensichtlich falsch kolloziert worden ist. Da die konkursite N. + Z. AG nicht auch für die Beitragsschulden ihrer Vorgängerin in Höhe von Fr. 77'545.40 belangt werden konnte, hätte die Kollokation grundsätzlich auf den Betrag von Fr. 42'337.25 beschränkt bleiben müssen. Die unrichtige Kollokation hat zur Folge, dass die Klägerin in diesem Konkurs von seiten der konkursiten N. + Z. AG in Höhe von Fr. 60'373.60 befriedigt worden ist. Es ist ihr deshalb kein Schaden entstanden, da die Beitragsschuld der N. + Z. AG in Höhe von Fr. 37'772.50 voll gedeckt worden ist. Keine Rolle kann spielen, dass eine Befriedigung in dieser Höhe rechtlich gesehen nicht ausgewiesen wäre. Entscheidend ist allein, dass die Klägerin in dieser Höhe tatsächlich Befriedigung gefunden hat. Eine Grundlage für eine Schadenersatzforderung nach
Art. 52 AHVG
besteht deshalb nicht, soweit es um die von der N. + Z. AG geschuldeten
BGE 119 V 389 S. 399
Beiträge geht."
b) Dieser Auffassung der Vorinstanz, welche die entscheidende Weichenstellung für die wiedergegebene Verfahrenserledigung ist (Erw. 4), kann nicht beigepflichtet werden. Denn das kantonale Gericht geht zu Unrecht davon aus, dass Beitragsschulden nicht von einem Arbeitgeber auf den anderen übertragen werden können. Das steht nicht im Widerspruch zu dem in Erw. 5 Gesagten, weil auch in diesem Zusammenhang die Beitrags- von der Schadenersatzpflicht begrifflich zu unterscheiden ist. In
BGE 112 V 152
hat das Eidg. Versicherungsgericht nur entschieden, dass die öffentlichrechtliche Arbeitgeberstellung und die damit einhergehenden Pflichten nicht auf eine zweite neu gegründete Arbeitgeberin übertragen werden können. Hievon ist sehr wohl, wie die Vorinstanz es selber in anderem Zusammenhang richtigerweise tut, die Beitragsforderung der Ausgleichskasse zu unterscheiden. Nun trifft zwar zu, dass das gesamte AHV-Recht keine Vorschriften über die Beitragssukzession (Beitragsnachfolge) enthält, wie sie im Steuerrecht weit verbreitet und oftmals ausdrücklich vorgesehen sind (vgl.
Art. 12 Abs. 2 BdBSt
; MASSHARDT, Wehrsteuerkommentar, S. 48 f.). Zudem sichert das Steuerrecht die Einbringlichkeit der vom Steuernachfolger übernommenen Steuerschuld dadurch, dass bei juristischen Personen deren Organe und bei den Kollektiv- und Kommanditgesellschaften deren unbeschränkt haftende Gesellschafter für die Bezahlung des geschuldeten Steuerbetrages zu sorgen oder Sicherheit dafür zu leisten haben, bevor über das Liquidationsergebnis verfügt werden kann (
Art. 121 BdBSt
; MASSHARDT, a.a.O., S. 447 f.). Trotz dieses Fehlens analoger Vorschriften über die Beitragsnachfolge im AHV-Recht hat das Eidg. Versicherungsgericht schon früh, einem praktischen Bedürfnis folgend, angenommen, dass kraft analoger Anwendung von
Art. 181 Abs. 1 OR
im öffentlichrechtlichen Bereich AHV-Beitragsschulden übertragbar sind und dass im Rahmen einer Geschäftsübernahme die übernehmende Arbeitgeberin für die von der Rechtsvorgängerin geschuldeten Beiträge einzustehen hat (EVGE 1963 S. 183 f. Erw. 2 i.f. mit Hinweis auf das unveröffentlichte Urteil Martelli vom 6. März 1956, bestätigt in EVGE 1965 S. 11); eine Rechtsprechung, welche übrigens in die Verwaltungspraxis Eingang gefunden hat (Rz. 1037 der vom BSV herausgegebenen Wegleitung über den Bezug der Beiträge in der AHV/IV/EO).
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz unterliegt es somit keinem Zweifel, dass Beitragsschulden im Rahmen einer Geschäftsübernahme, wie sie hier vorliegt, übertragbar sind. Dabei behält die Beitragsforderung der Ausgleichskasse, entgegen der Auffassung der
BGE 119 V 389 S. 400
Vorinstanz, das 2.-Klasse-Konkursprivileg nach
Art. 219 SchKG
. Dies hat das Bundesgericht beispielsweise in dem in Semaine judiciaire 1985 S. 557 publizierten Urteil Boulaz SA entschieden, wonach "le classement des créances colloquées doit être effectué en fonction de la nature de ces créances, non des personnes qui les produisent". Das entspricht auch der Doktrin, sagt doch AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes, 4. Aufl., ausdrücklich: Privilegiert ist - nach schweizerischem Recht - nicht der Gläubiger persönlich (wie z.B. nach gemeinem Recht), sondern die Forderung an sich; das Privileg haftet an der Forderung. Dies hat zur Folge, dass durch Abtretung die Forderung samt dem Privileg auf den neuen Gläubiger übergeht (a.a.O., S. 344 N. 56). Beim Schuldnerwechsel im Rahmen einer Geschäftsübernahme nach
Art. 181 OR
kann es sich nicht anders verhalten.
c) Sind somit die verfallenen Beitragsschulden der Kollektivgesellschaft N. + Z. rechtswirksam auf ihre Rechtsnachfolgerin, die N. + Z. AG, übertragen worden, und zwar als AHV-rechtliche Beitragsverbindlichkeiten, so kann keine Rede davon sein, dass die Beitragsforderung der Ausgleichskasse, welche sie im Konkurs der N. + Z. AG anmeldete, im Umfange der von der Kollektivgesellschaft N. + Z. geschuldeten Beiträge unrichtig kolloziert worden ist. Es geht daher nicht an, die Konkursdividende auf die von der AG verursachten Beitragsschulden anzurechnen. Vielmehr ist die Konkursdividende nach der Regel des
Art. 87 OR
auf die früher fällig gewordenen Beitragsverbindlichkeiten anzurechnen. Das sind hier die Beitragsschulden, welche die aufgelöste Kollektivgesellschaft unbeglichen gelassen hat. Folglich ist die Ausgleichskasse in bezug auf jene Beitragsausstände, welche die AG verursacht hat, gänzlich zu Verlust gekommen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist der Ausgleichskasse somit diesbezüglich ein Schaden entstanden. Die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es prüfe, ob hinsichtlich dieses Schadens die weiteren Voraussetzungen aller oder einzelner der drei Beschwerdegegner für eine Haftung gemäss
Art. 52 AHVG
, einschliesslich der Verwirkung nach
Art. 82 AHVV
, erfüllt sind.
7.
Was den Beitragsausfall anbelangt, welchen die Ausgleichskasse dadurch erlitten hat, dass die von der Kollektivgesellschaft geschuldeten Beiträge weder von ihr noch von der Rechtsnachfolgerin bezahlt worden sind, beträgt der entsprechende Schadensposten (bundesrechtlich) infolge der Anrechnung des Konkursbetreffnisses nur noch rund Fr. 3'000.--. Nichtsdestotrotz sind
BGE 119 V 389 S. 401
Urs N. und Josef Z. hiefür voll ersatzpflichtig, sofern die materiellen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind. Der Auffassung der Vorinstanz, die Ausgleichskasse hätte die Beitragsforderung gegenüber der aufgelösten Kollektivgesellschaft zunächst gegen die Gesellschafter durchzusetzen versuchen sollen, fehlt jede Grundlage; denn die Gesellschafter sind nicht - auch nicht subsidiär - beitragspflichtig. Vielmehr werden sie schadenersatzpflichtig, wenn die von ihnen konstituierte Personengesellschaft als beitragspflichtiger Arbeitgeber untergeht und verfallene Beitragsschulden zurücklässt. Die Ausgleichskasse durfte daher direkt die Schadenersatzpflicht gegen Urs N. und Josef Z. geltend machen, was sie vorliegend getan hat.
8.
(Kostenpunkt)
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden dahingehend gutgeheissen, dass die angefochtenen Entscheide vom 5. März 1992 aufgehoben und die Sachen an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen werden, damit es im Sinne der Erwägungen nach Prüfung der gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen über die Schadenersatzpflicht der Beschwerdegegner neu entscheide. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f166061b-dd94-4116-847a-eebcc7300ffb | Urteilskopf
119 V 220
31. Arrêt du 4 mai 1993 dans la cause FAMA, Fondation pour l'Assurance Maladie et Accidents contre La Caisse Vaudoise et Tribunal des assurances du canton de Vaud concernant Z. | Regeste
Art. 134 OG
: Verfahrenskosten.
Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift vor allem im Interesse der Versicherten geschaffen, die mit einem Sozialversicherer im Streite stehen. Der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Verfahrens vor dem Eidg. Versicherungsgericht gilt nicht für den Fall, dass sich zwei Unfallversicherer über Leistungen aus Unfallfolgen für einen gemeinsam Versicherten streiten. | Sachverhalt
ab Seite 220
BGE 119 V 220 S. 220
A.-
Gabrielle Z., née en 1939, est assurée contre le risque de maladie auprès de la Fondation pour l'Assurance Maladie et Accidents (la FAMA). Elle a été engagée par l'Etat de Vaud en qualité de maîtresse secondaire, depuis le 1er août 1990. L'enseignement devait débuter le jour de la rentrée scolaire, le 20 août 1990.
Le 4 août 1990, Gabrielle Z. a été victime d'un accident non professionnel elle a subi une déchirure du ménisque interne gauche.
BGE 119 V 220 S. 221
Par décision du 7 juin 1991, la Caisse Vaudoise, Caisse cantonale vaudoise d'assurance en cas de maladie et d'accidents (la Caisse Vaudoise), agissant en l'occurrence en qualité d'assureur-accidents de l'employeur de Gabrielle Z., a refusé de couvrir les suites de l'accident survenu le 4 août 1990. Par décision sur opposition du 15 juillet 1991, la Caisse Vaudoise a confirmé son prononcé du 7 juin précédent, après que la FAMA l'eut frappé d'opposition.
B.-
La FAMA a recouru contre cette décision sur opposition devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, en concluant à son annulation et à ce que la Caisse Vaudoise fût condamnée à prendre le cas en charge.
Par jugement du 3 avril 1992, la Cour cantonale a rejeté le pourvoi.
C.-
La FAMA interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande l'annulation en reprenant ses conclusions formulées en première instance.
La caisse intimée conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales. Quant à Gabrielle Z., en sa qualité d'intéressée, elle ne s'est pas déterminée sur le recours.
Les moyens des parties seront exposés ci-après en tant que de besoin.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Seul est litigieux le point de savoir si Gabrielle Z. était assurée par la Caisse Vaudoise, lors de l'accident survenu le 4 août 1990.
2.
Les premiers juges ont exposé correctement les dispositions légales applicables en l'espèce, de sorte qu'il suffit d'y renvoyer. Quant aux références jurisprudentielles, citées également à bon droit par la Cour cantonale, il convient de les compléter par une mention de l'arrêt
ATF 118 V 177
ainsi que de la doctrine: MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, p. 140, et GHÉLEW/RAMELET/ RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents, p. 30.
3.
a) A l'appui de ses conclusions, la recourante se réfère, comme en première instance, à l'avis de Duc (SZS 1990 pp. 225 ss); elle estime qu'une modification de la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances s'impose, au regard de la lettre et du but de la loi.
Cette opinion doctrinale est isolée et ne convainc pas pour les motifs déjà exposés par les premiers juges. L'
art. 3 al. 1 LAA
dispose
BGE 119 V 220 S. 222
en effet très explicitement que l'assurance produit ses effets dès le jour où le travailleur commence ou aurait dû commencer le travail en vertu de l'engagement, mais en tout cas dès le moment où il prend le chemin pour se rendre au travail. La Cour de céans ne saurait donc interpréter cette norme de manière extensive ou restrictive (
ATF 118 V 178
-179 consid. 1a).
b) En l'espèce, l'accident est survenu alors que Gabrielle Z. bénéficiait de vacances payées, avant le début de l'année scolaire fixé au 20 août 1990. Elle n'était donc pas assurée par l'intimée à ce moment-là, puisqu'elle n'avait pas encore commencé son travail (cf. ATFA 1963 p. 233).
Il s'ensuit que le recours est mal fondé et qu'il doit être rejeté.
4.
a) Aux termes de l'
art. 156 al. 1 OJ
, les frais judiciaires sont, en règle générale, mis à la charge de la partie qui succombe. Cependant, d'après l'
art. 134 OJ
, le Tribunal fédéral des assurances ne peut, en règle générale également, imposer de frais de procédure aux parties dans la procédure de recours en matière d'octroi ou de refus de prestations d'assurance (POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943, Ve vol., pp. 95-96, 131; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, no 475, p. 269; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2e éd., p. 328).
b) A l'occasion de la dernière révision de l'OJ, le maintien de cette règle de faveur avait été remis en question par la Commission d'experts ainsi que par le Conseil fédéral. Ceux-ci souhaitaient que les deux tribunaux fédéraux fussent soumis aux mêmes règles en matière de frais de justice, ces derniers étant supportés par la partie qui succombait, sous réserve de l'octroi de l'assistance judiciaire (cf. Message du 29 mai 1985 concernant la révision de la loi fédérale d'organisation judiciaire, FF 1985 II 805 ch. 214.4, 902 ch. 511.7). L'Assemblée fédérale a toutefois préféré ne pas modifier cette réglementation légale (cf. Message du 18 mars 1991 concernant la révision de la loi fédérale d'organisation judiciaire et de l'arrêté fédéral concernant l'augmentation temporaire du nombre des juges suppléants et des rédacteurs d'arrêts du Tribunal fédéral, FF 1991 II 497 ss ch. 254.4 et 254.5). Certains parlementaires avaient en effet exprimé leurs craintes que de nombreux assurés, souvent de condition modeste et peu favorisés par le sort, renoncent à défendre leurs droits devant le Tribunal fédéral des assurances en raison du coût de la procédure, ou qu'ils soient contraints de requérir l'assistance judiciaire, alourdissant ainsi la tâche
BGE 119 V 220 S. 223
de la Cour (BO 1987 CN 380; BO 1988 CdE 260-261; BO 1989 CN 121-122).
Le 7 mars 1989, le Conseil des Etats s'est rallié à la décision du Conseil national de ne pas modifier la teneur de l'
art. 134 OJ
. Le rapporteur de la Commission du Conseil des Etats a cependant rappelé que la "règle générale" de cette disposition souffrait de supporter des exceptions, notamment lorsque la capacité financière des parties ou d'autres circonstances le justifiaient: "wenn den Parteien infolge ihrer Finanzkraft oder infolge anderer besonderer Umstände eine Kostentragung zumutbar ist" (BO 1989 CdE 67).
c) Ainsi, on constate que le législateur a édicté l'
art. 134 OJ
avant tout dans l'intérêt des assurés en litige avec un assureur social. En revanche, lorsque, comme en l'espèce, deux assureurs-accidents sont en procès devant le Tribunal fédéral des assurances à propos de leur seul intérêt pécuniaire, il n'y a aucune raison de les faire bénéficier de cette règle de faveur.
La FAMA, qui succombe, supportera donc les frais de la cause, fixés ex aequo et bono à 500 francs (
art. 153a OJ
).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
I. Le recours est rejeté.
II. Les frais de l'instance fédérale, consistant en un émolument de
justice de 500 francs, sont mis à la charge de la recourante. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f16641d5-554e-4930-8333-68a2d104f9f3 | Urteilskopf
97 II 390
54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Dezember 1971 i.S. Neumühle AG gegen Stadtgemeinde Chur. | Regeste
Auflösung eines unter der Herrschaft des alten kantonalen Rechts begründeten Dauerschuldverhältnisses. Abgeurteilte Sache.
Zusammengesetzter Vertrag. Analoge Anwendung der für gegenseitige Verträge geltenden Grundsätze.
Art. 2 SchlT/ZGB. Um der Sittlichkeit willen aufgestellte Vorschriften sind auch auf Verträge anwendbar, welche unter der Herrschaft des alten kantonalen Rechts abgeschlossen worden sind (Erw. 3).
Abgeurteilte Sache. Identität gleichlautender individualisierter Rechtsbegehren? Frage offen gelassen. Keine res iudicata liegt vor, wenn die zu vergleichenden Rechtsbegehren inhaltlich verschieden oder seit dem Vorprozess neue erhebliche Tatsachen eingetreten sind (Erw. 4).
Art. 19 und 20 OR
. Ein Energielieferungsvertrag, kraft welchem das Gemeinwesen einem Grossabnehmer Strom zu Vorzugspreisen überlässt, verstösst nicht gegen die öffentliche Ordnung (Erw. 5).
Art. 2 Abs. 2 ZGB
. Clausula rebus sic stantibus. Voraussetzungen und Rechtsfolgen des richterlichen Eingriffes (Erw. 6).
Art. 2 und 27 ZGB
. Das Gemeinwesen kann einen auf unbestimmte Dauer abgeschlossenen Energielieferungsvertrag nicht nach
Art. 27 ZGB
, sondern nach
Art. 2 ZGB
durch Kündigung vorzeitig auflösen (Erw. 7).
Kündbarkeit der Stromlieferungspflicht auf den Zeitpunkt, da die als Gegenleistung abgetretene Wasserrechtsverleihung abläuft (Erw. 9).
Art. 74 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zum WRG. Die Dauer einer vor dem 25. Oktober 1908 erteilten Wasserrechtskonzession bestimmt sich nach dem damals massgebenden kantonalen Recht (Erw. 10). | Sachverhalt
ab Seite 392
BGE 97 II 390 S. 392
A.-
Im Jahre 1889 hatte die Firma Lendi & Parli in Chur von einem Julius Martin die Liegenschaft Meiersboden erworben. Dazu besass sie auch die von der Gemeinde Churwalden erteilte Konzession der Wasserrechte an der Rabiusa. Da die Stadt Chur als Inhaberin der Gebietshoheit auf der linken Seite der Rabiusa das Wasser dieses Baches zur Hälfte beanspruchte, kam es zum Prozess, der am 22. Juni 1891 durch einen Vergleich erledigt wurde. Der Vergleich lautet u.a.:
"Art. 1: Die Handelsfirma Lendi & Parli verkauft und überlässt der Stadt Chur Alles und Jedes, was sie mittelst Kaufbrief vom 28. Januar 1889 von Herrn Jul. Martin erworben hat, und die von der Gemeinde Churwalden erworbenen Conzessionsrechte und Alles, was sie seither erworben oder neu erstellt hat;..."
Der Kaufpreis wurde in Art. 2 festgesetzt auf Fr. 70'000.--. Ausserdem hatte die Käuferin alle Kosten für Ausbesserungen und andere Arbeiten, welche die Verkäuferin vorgenommen hatte, zu erstatten. Weiter heisst es dann in Art. 3 des Vergleichs:
"Ausserdem überlässt die Stadt Chur der Handelsfirma Lendi & Parli für zu erstellende Etablissemente mit elektrischer Kraft betrieben in der Stadt Chur oder deren nächster Umgebung, immerhin auf Territorium der Stadt Chur, folgende elektr. Kräfte:"
(es folgen die Bezeichnung dieser Kräfte in PS und die genaue Umschreibung, zu welchen Zeiten der Strom geliefert wird, ferner Bestimmungen über die Zuleitung, die Folgen von Betriebsstörungen und dergleichen). Im zweitletzten Absatz des Art. 3 heisst es u.a.:
BGE 97 II 390 S. 393
"Für diese Benützung der erwähnten elektr. Kräfte oder Teile derselben zahlt die Firma Lendi & Parli der Stadt Chur jährlich die Summe von Fr. 1000.-- (tausend Franken)."
B.-
Im Jahre 1901 berief sich die Stadt Chur auf Irrtum und reichte gegen die Firma Lendi & Parli Klage ein mit dem Hauptbegehren, "der Vergleich sei für die Stadt Chur unverbindlich, hauptsächlich soweit es sich um Überlassung von elektrischer Kraft (Wasserkraft) als Gegenleistung handelt". Das Bezirksgericht Unterlandquart und - auf Appellation der Klägerin hin - das Kantonsgericht von Graubünden wiesen die Klage am 29. April 1903 und 4. Mai 1904 ab. Das Bundesgericht trat am 16. September 1904 auf die Berufung der Klägerin mit dem etwas abgeänderten Rechtsbegehren, der Vergleich sei unverbindlich, soweit es sich um Überlassung von elektrischer Kraft als Gegenleistung handle, nicht ein, weil es sich bei der Verpflichtung der Stadt Chur zur Abgabe elektrischer Kraft lediglich um eine von mehreren "Ergänzungen des Fr. 70'000.-- betragenden Kaufpreises" zu handeln scheine. Die Klägerin fechte somit die Gültigkeit eines Liegenschaftenkaufs an, der jedoch dem kantonalen Recht gemäss Art. 231 (alt) OR unterstehe.
C.-
Am 20. September 1967 reichte die Stadtgemeinde Chur gegen die Rechtsnachfolgerin der Firma Lendi & Parli, die Neumühle AG, beim Bezirksgericht Plessur eine Klage mit folgenden Rechtsbegehren ein:
"1) Es sei gerichtlich festzustellen, dass Art. 3 des Vergleichs zwischen der Stadt Chur und der Handelsfirma Lendi & Parli (Rechtsvorgängerin der heutigen Beklagten) vom 22. Juni 1891 mindestens seit dem 1. Dezember 1963 ungültig ist.
2) Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin Fr. 22'125.30 nebst 5 % Zins seit 25. Mai 1967 zu bezahlen."
Die Klägerin führte zur Begründung aus, ihre Stromlieferungspflicht sei mit der geltenden Rechtsordnung nicht mehr vereinbar; sie verstosse gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten. Ausserdem bestehe ein unerträgliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, da dem Kaufpreis von Fr. 70'000.-- eine Energielieferung im Werte von Fr. 1,4 Millionen gegenüberstehe. Eine Wasserrechtskonzession könne übrigens nach dem eidgenössischen Wasserrechtsgesetz (WRG) nur 80 Jahre dauern, so dass das Wassernutzungsrecht der Beklagten spätestens im Jahre 1971 erloschen wäre. Die Stromlieferungspflicht
BGE 97 II 390 S. 394
könne daher nicht über diesen Zeitpunkt hinaus bestehen. Die Beklagte beantragte, auf die Klage nicht einzutreten, da über die gleiche Streitsache schon ein rechtskräftiges Urteil vorliege. Eventuell verlangte sie, die Klage abzuweisen.
D.-
Das Bezirksgericht Plessur hiess die Klage am 5. Mai/13. Oktober 1970 gut und stellte fest, dass Art. 3 des Vergleichs zwischen der Stadt Chur und der Firma Lendi & Parli vom 22. Juni 1891 durch Kündigung auf den 31. Dezember 1966 hinfällig geworden sei. Ferner verpflichtete es die Beklagte, der Klägerin den für die Jahre 1964 bis 1966 ausstehenden Pauschalbetrag von insgesamt Fr. 3000.-- und für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1967 für gelieferten Strom zu Tarifpreisen Fr. 4642.05, zusammen Fr. 7642.05 nebst Zins zu 5% seit 25. Mai 1967 zu bezahlen.
Das Kantonsgericht von Graubünden wies die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil am 19. März/27. April 1971 ab. Die Einrede der abgeurteilten Sache, an der die Beklagte festhielt, verwarf es mit dem Bezirksgericht. In der Sache selber liess es sich im wesentlichen von der Erwägung leiten, die Energielieferungspflicht der Klägerin sei obligatorischer Natur und habe nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung nicht auf ewige Zeiten begründet werden können. Der Klägerin, die ihre Pflicht während 75 Jahren erfüllt habe, müsse deshalb das Recht zugestanden werden, den Vertrag zu kündigen. Da nicht angenommen werden könnte, die Firma Lendi & Parli hätte den Vergleich vom 22. Juni 1891 nicht unterzeichnet, wenn sie damit hätte rechnen müssen, dass die Stromlieferung zu den vereinbarten Bedingungen nicht ewig, sondern nur bis Ende 1966 dauern werde, bleibe im übrigen der genannte Vergleich bestehen. Das Urteil der ersten Instanz sei auch hinsichtlich der Zahlungspflicht der Beklagten für die ausstehenden Pauschalbeträge und den zum üblichen Tarif gelieferten Strom zu bestätigen.
E.-
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht eingereicht mit den Anträgen, es aufzuheben und auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Soweit der Vergleich vom Jahre 1891 den Kauf der Liegenschaft Meiersboden betrifft, wäre er an sich nach altem Bündner Recht auszulegen, da Grundstückkäufe nach Art. 231
BGE 97 II 390 S. 395
des OR von 1881 dem kantonalen Recht unterstanden. Anders verhält es sich mit Art. 3 des Vergleichs. Obwohl die darin umschriebenen Vorteile für die Firma Lendi & Parli - wirtschaftlich gesehen - ein weiteres Entgelt für die verkaufte Liegenschaft und die abgetretene Wasserrechts-Verleihung bildeten, ist diese Bestimmung nicht als Klausel des Kaufvertrags, sondern als selbständiger Energielieferungsvertrag zu verstehen. Die gesamte, im Vergleich getroffene Vereinbarung stellt deshalb einen zusammengesetzten Vertrag dar, bestehend im wesentlichen aus einem Kauf- und einem Energielieferungsvertrag, die voneinander abhangen. Die für gegenseitige Verträge aufgestellten Grundsätze sind daher analog anwendbar (
BGE 38 II 554
,
BGE 43 II 345
; MEIER-HAYOZ, SJK Nr. 1135 N. 3). Es wäre somit in den Jahren 1901 bis 1904 zum vornherein nicht zulässig gewesen, den Energielieferungsvertrag wegen Irrtums unverbindlich zu erklären und den Grundstückkaufvertrag bestehen zu lassen (vgl.
BGE 44 II 345
).
Die Klägerin anerkennt im neuen Prozess die Gültigkeit des Energielieferungsvertrages gemäss Art. 3 des Vergleichs bis 1. Dezember 1963. Streitig ist daher nur, ob der Vertrag wegen Zeitablaufes aufgehoben werden konnte. Diese Frage ist, da der Vertrag im Jahre 1891 also unter der Herrschaft des OR abgeschlossen wurde, nach Bundesrecht zu beurteilen. Dem steht die Verkoppelung mit dem Kaufvertrag nicht entgegen. Art. 1 der Schluss- und Übergangsbestimmungen des OR bestimmt, dass die Vorschriften des Schlusstitels des ZGB auch auf das OR anzuwenden sind. Gemäss Art. 2 SchlT zum ZGB finden die Bestimmungen des Gesetzes, die um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt sind, auf alle Tatsachen Anwendung, soweit das Gesetz nicht Ausnahmen vorsieht. Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres Anspruchs auf die öffentliche Ordnung, die guten Sitten und den Grundsatz von Treu und Glauben. Lehre und Rechtsprechung haben den aus
Art. 2 und 27 ZGB
abgeleiteten Grundsatz aufgestellt, dass in der Regel zeitlich unbefristete und unkündbare obligatorische Verpflichtungen durch Kündigung aufgelöst werden können (vgl.
BGE 93 II 300
/301 E. 7 und 8 mit Hinweisen). Da die erwähnten Bestimmungen um der Sittlichkeit willen ins Gesetz aufgenommen wurden, sind sie auch auf Verträge anwendbar, die unter der Herrschaft des alten kantonalen Rechts abgeschlossen worden sind.
4.
Die Beklagte hält an der Einrede der abgeurteilten Sache
BGE 97 II 390 S. 396
fest. Sie beruft sich auf KUMMER (Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft nach schweizerischem Recht, Bern 1954, S. 66 ff.) und GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 167 f.). Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 95 II 639
ff.) kann mit der Berufung geltend gemacht werden, der kantonale Richter habe in einer Streitsache, die nach Bundesrecht zu beurteilen ist, die Einrede der abgeurteilten Sache zu Unrecht verworfen. Auf die Berufung ist somit in diesem Punkte einzutreten.
Die erwähnten Autoren unterscheiden zwischen individualisierten und nicht individualisierten Rechtsbegehren und sind der Ansicht, gleichlautende individualisierte Rechtsbegehren (z.B. Feststellungsklagen) seien identisch (GULDENER, a.a.O. S. 167; KUMMER, a.a.O. S. 71). Das Bundesgericht hat sich mit dieser Auffassung, die nicht unbestritten geblieben ist (vgl. z.B. THORENS, L'objet du litige dans le procès civil, Mémoires publiés par la faculté de droit de Genève, Nr. 24, S. 33 ff.), bis jetzt nicht auseinandergesetzt. Nach seiner Rechtsprechung ist der eingeklagte Anspruch mit einem früher beurteilten dann identisch, wenn die Parteien des Vorprozesses dem Richter den gleichen Anspruch aus gleichem Entstehungsgrund erneut zur Beurteilung unterbreiten. Der blosse Wortlaut der Rechtsbegehren ist nicht entscheidend. Massgebend ist vielmehr, ob auch dieselben Tatsachen und rechtlich erheblichen Umstände, mit denen der Kläger den Anspruch begründet, schon im Vorprozess zum Klagegrund gehörten (vgl.
BGE 71 II 284
). Dieser Ansicht ist auch LEUCH (Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 11 lit. d zu Art. 192, S. 213/14), auf den sich die Beklagte zu Unrecht für ihre These beruft. LEUCH erwähnt an der angeführten Stelle auch die Patentnichtigkeitsklagen, deren Identität oder Nichtidentität nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen sei, während KUMMER (a.a.O. S. 85) eine Wiederholung solcher Klagen mit einem andern als dem früher angerufenen Nichtigkeitsgrund für unzulässig hält.
Zu dieser Streitfrage braucht nicht abschliessend Stellung genommen zu werden. Die zu vergleichenden Rechtsbegehren stimmen nämlich inhaltlich nicht überein. Während die Klägerin im Vorprozess auf Feststellung der einseitigen Unverbindlichkeit (wegen Willensmängel) von Art. 3 des Vergleichs vom 22. Juni 1891 geklagt hat, will sie im neuen Prozess die Ungültigkeit jener Bestimmung feststellen lassen. Die Ungültigkeit
BGE 97 II 390 S. 397
umfasst als Oberbegriff die unvollendeten, nichtigen und anfechtbaren Rechtsgeschäfte (VON TUHR/SIEGWART, OR I S. 13 f.). Aber in diesem juristisch-technischen Sinne ist das neue Rechtsbegehren der Klägerin nicht zu verstehen. Der Antrag, Art. 3 des Vergleichs sei "mindestens seit dem 1. Dezember 1963 ungültig" zu erklären, schliesst eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit oder einseitiger Unverbindlichkeit des Energielieferungsvertrages aus; denn die Nichtigkeit oder Unverbindlichkeit wirkt ex tunc, d.h. seit Vertragsschluss. Die Klägerin hat somit durch ein neues Rechtsbegehren die Identität der Klage verändert, nicht bloss, wie die Beklagte behauptet, das Klagebegehren des Vorprozesses durch eine "Zeitangabe" beschränkt.
Die Identität einer Klage ist auch dann ausgeschlossen, wenn seit dem Vorprozess neue erhebliche Tatsachen eingetreten sind (vgl.
BGE 95 II 640
,
BGE 85 II 59
,
BGE 78 II 403
,
BGE 71 II 285
).
Nach Auffassung der Beklagten hat sich der Sachverhalt seit dem Vorprozess nicht wesentlich verändert, weil einzig der Zeitablauf hinzugekommen sei. Wohl trifft zu, dass die Parteien den Energielieferungsvertrag zeitlich nicht befristet haben. Ob die Lieferpflicht der Klägerin auf unbegrenzte Dauer begründet oder nach einem gewissen Zeitablauf aufgehoben werden konnte, ist eine im Berufungsverfahren zu überprüfende Rechtsfrage. Die Klägerin hat sich in diesem Zusammenhang namentlich auf die lange Dauer der Lieferungen und auf das Missverhältnis zwischen den Leistungen der Beklagten und dem Gesamtwert dieser Lieferungen, also auf Tatsachen berufen, die nach dem Vorprozess eingetreten sind.
Fehlt es somit an der Identität der Rechtsbegehren und der Klagegründe, so hat die Vorinstanz die Einrede der abgeurteilten Sache zu Recht verworfen.
5.
Die Vorinstanz hat sich mit der Behauptung der Klägerin, der Energielieferungsvertrag verstosse gegen die öffentliche Ordnung, nicht auseinandergesetzt. Die Klägerin hat nicht dargetan, welche Normen des öffentlichen oder privaten Rechts der Vertrag verletze. Es ist denn auch in der Tat nicht erfindlich, wie ein Energielieferungsvertrag die öffentliche Ordnung, welche die
Art. 19 und 20 OR
im Auge haben, missachten könnte. Das ist jedenfalls nicht dadurch möglich, dass das Gemeinwesen einem Grossabnehmer elektrischer Energie Vergünstigungen gewährt, die im Zusammenhang mit einem
BGE 97 II 390 S. 398
Kaufvertrag und der Abtretung einer Wasserrechtskonzession ausbedungen worden sind. Art. 7 des Reglements über die Abgabe von elektrischem Strom an die Abonnenten, erlassen am 26. November 1920 vom Grossen Stadtrat von Chur, auf das sich die Klägerin beruft, stand dem nicht entgegen und gehört übrigens nicht zu den Vorschriften der öffentlichen Ordnung, die die erwähnten Bestimmungen betreffen.
6.
Die Klägerin verlangt die Aufhebung des Energielieferungsvertrages auch unter Berufung auf die clausula rebus sic stantibus. Nach
Art. 2 Abs. 2 ZGB
hat der Richter einen Vertrag dann zu ändern oder aufzuheben, wenn durch nachträgliche, nicht voraussehbare Umstände ein derart offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eingetreten ist, dass das Beharren einer Partei auf ihrem Anspruch als missbräuchlich erscheint (vgl.
BGE 93 II 189
mit Hinweisen; VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 614; VON BÜREN, OR S. 118, 404/05).
a) Im vorliegenden Fall ist das Missverhältnis nicht auf veränderte Umstände zurückzuführen. Es bestand schon von Anfang an und zwar in grösserem Masse als heute. Die Beklagte (oder ihre Rechtsvorgängerin) hatte nach dem Vergleich Anspruch auf die Lieferung von 250'000 kWh im Jahr und musste dafür jährlich Fr. 1000.-- bezahlen. Das Werk Rabiusa (Sand) erzeugte in den Jahren 1891 bis 1900 nur 325'000 kWh Energie im Jahr, so dass also damals rund 77% dieser Produktion der Firma Lendi & Parli zu liefern waren. In der Folge verbesserte sich dieses ungünstige Verhältnis. Von 1901 bis 1917 erzeugte das Werk Rabiusa 975'000 kWh und von 1918 bis 1945 2'225,000 kWh im Jahr. Die Elektrizitätsproduktion im Werk Rabiusa stieg in den Jahren 1948 bis 1968 auf rund 4 bis 5 Millionen kWh an. Die gesamte Erzeugung an elektrischer Energie der Industriellen Betriebe der Stadt Chur betrug in dieser Zeit zwischen rund 64 und rund 87 Millionen kWh. Die Strompreise sanken seit 1891 ständig. Während sie 1892-1920 durchschnittlich 14,6 Rappen je kWh betrugen (im Jahre 1895 sogar 25 Rappen), machten sie 1921-1963 durchschnittlich 4,9 Rappen aus. Entsprechend verbesserte sich auch das Verhältnis zwischen dem Wert der Stromlieferungen und der dafür entrichteten pauschalen Entschädigung.
b) Aus dem "Abschied" des Stadtrates von Chur an die Einwohnergemeinde vom 20. Juni 1891 ergibt sich übrigens,
BGE 97 II 390 S. 399
dass sich Volk und Behörden des Missverhältnisses zwischen den beiden Leistungen bewusst waren, heisst es doch dort: "Die Herren Lendi & Parli erhalten durch diesen (Vergleich) freilich ansehnliche elektrische Kraft zu einem verhältnismässig billigen jährlichen Betrag, allein bestimmend müssen für uns die bedeutenden Vorteile sein, welche der Stadt ... erwachsen ..." Diese Vorteile wurden den Stimmbürgern im gleichen Dokument auseinandergesetzt: Erwerb der Liegenschaft Meiersboden mit den Rabiusa-Wasserkräften um den gleichen Preis, den die Firma Lendi & Parli bezahlt hatte; Verfügung über alle Wasserkräfte im Gebiet der Plessur und der Rabiusa; rasche Verwirklichung der elektrischen Beleuchtung; günstige Zeiten für die Stromlieferung an die Firma Lendi & Parli; Niederlassung dieser Firma in Chur statt in der Gemeinde Churwalden usw. Ist somit das Missverhältnis nicht auf veränderte Umstände zurückzuführen, so ist die auf
Art. 2 Abs. 2 ZGB
beruhende clausula rebus sic stantibus schon aus diesem Grunde nicht verletzt.
7.
Der in Art. 3 des Vergleiches abgeschlossene Energielieferungsvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis. Nach Lehre und Rechtsprechung können obligatorische Verträge nicht auf "ewige" Zeiten vereinbart werden; sie sind kündbar (
BGE 93 II 300
Erw. 7 mit Hinweisen). Ob man freilich die Kündbarkeit des Vertrags wie im erwähnten Urteil des Bundesgerichts i.S. Gemeindeverband Wasserversorgung Saurenhorn gegen Aeberhard damit begründen kann, die gegenteilige Annahme führe zu einer mit
Art. 27 ZGB
unvereinbaren Beschränkung der persönlichen Freiheit, mag hier fraglich erscheinen, da die Klägerin eine Gemeinde ist, die durch die Energielieferungspflicht in ihren finanziellen Interessen nicht ernstlich beeinträchtigt wird. Man wird deshalb auch kaum sagen können, sie werde durch einen unkündbaren Energielieferungsvertrag im Gebrauche ihrer Freiheit in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränkt. Beim Gemeindeverband Wasserversorgung Saurenhorn lagen die Verhältnisse anders: Es bestand eine wirtschaftliche Notlage, weil die Einnahmen aus den seinerzeitigen Wasserverkäufen längstens für den laufenden Unterhalt der Anlagen verbraucht worden waren und weil sich die Wasserkäufer weigerten, an die grossen Kosten des Unterhalts, der Erneuerung und der Erschliessung neuer Wasservorkommen beizutragen, obwohl der Wasserverbrauch
BGE 97 II 390 S. 400
im Vergleich zu früher viel grösser geworden war. Solche Umstände bestehen hier nicht. Die Leistungen der Klägerin, die in einem ausgesprochenen Missverhältnis zu den Gegenleistungen der Beklagten stehen, bilden in ihrer Betriebsrechnung einen untergeordneten Posten und verhindern nicht, dass ihr Elektrizitätswerk Jahr für Jahr ganz erhebliche Überschüsse erzielt. LIVER hat bei der Besprechung von
BGE 93 II 290
f. (ZBJV 1969 S. 9 ff.) darauf hingewiesen, dass
Art. 27 ZGB
in solchen Fällen eine unzulängliche Grundlage bilde und dass besser auf den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben des
Art. 2 ZGB
zurückzugreifen sei. Dem ist beizupflichten. Das bedingt, dass man auf den Zweck abstellt, den die Parteien seinerzeit mit dem Abschluss des Stromlieferungsvertrages verfolgt haben. Die Vorinstanz hat zwar darüber keine Feststellungen getroffen, doch ergeben sie sich aus der Lage, in der sich die Parteien im Jahr 1891 befanden sowie aus dem Text des damals abgeschlossenen Vergleichs und des erwähnten "Abschieds" des Stadtrates von Chur vom 20. Juni 1891. Die Firma Lendi & Parli hatte von der Gemeinde Churwalden die Wasserrechte an der Rabiusa erworben, soweit sie dieser Gemeinde zustanden. Infolge des Verkaufs der Liegenschaft Meiersboden musste sie auf ihre Absicht, dort eine Mühle zu errichten und sie mit einem Wasserkraftwerk zu betreiben, verzichten. Als Entschädigung für die abgetretene Wasserrechtskonzession vereinbarten die Parteien neben dem Kaufpreis für die Liegenschaft Meiersboden und der Erstattung aller Aufwendungen die Lieferung von Strom zu einem Vorzugspreis durch die Stadt Chur. Es darf deshalb nach dem Grundsatz von Treu und Glauben angenommen werden, dass die Parteien stillschweigend davon ausgingen, die Stromlieferungen seien für die Dauer der Konzession vereinbart. Diese Annahme rechtfertigt sich umsomehr, als das Gesetz sogar dingliche Nutzungsrechte zeitlich begrenzt, obwohl sonst dingliche Beschränkungen des Eigentums auf unbegrenzte Zeit bestehen können. So endigt z.B. die Nutzniessung juristischer Personen gemäss
Art. 749 Abs. 2 ZGB
spätestens nach 100 Jahren, kann das Baurecht gemäss
Art. 7791 ZGB
höchstens auf hundert Jahre und das Wohnrecht nur auf Lebenszeit des Berechtigten begründet werden (
Art. 776 Abs. 2 ZGB
). Auch Grundlasten können nach dreissigjährigem Bestand gemäss
Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB
abgelöst werden.
BGE 97 II 390 S. 401
8.
Die Beklagte räumt zwar ein, dass die Stromlieferungspflicht der Klägerin nicht Gegenstand einer Grundlast im Sinne der
Art. 782 ff. ZGB
sei. Sie macht aber geltend, die Parteien hätten obligatorisch genau das vereinbart, was
Art. 788 Abs. 3 ZGB
vorsieht, nämlich die Verkoppelung eines Wassernutzungsrechts mit einer Stromlieferungspflicht, die inhaltlich einer Dienstbarkeit und einer Grundlast entsprächen.
Art. 788 Abs. 3 ZGB
, der in solchen Fällen die Ablösung der Grundlast ausschliesse, müsse daher analog angewendet werden.
Dem kann nicht beigepflichtet werden. Freilich können Rechtsverhältnisse mit dienstbarkeits- und grundlastrechtlichem Inhalt auch obligatorisch vereinbart werden; und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dann auf sie Bestimmungen des Gesetzes über Dienstbarkeiten und Grundlasten wenigstens analog angewendet werden. Das ist jedoch hier hinsichtlich des
Art. 788 Abs. 3 ZGB
zum vornherein nicht möglich. Im Entscheid 93 II 76 ff. Erw. 3 hat das Bundesgericht erklärt, dass eine Grundlast nur dann im Sinne des
Art. 788 Abs. 3 ZGB
mit einer unablösbaren Grunddienstbarkeit verbunden sei, wenn beide das gleiche Grundstück belasten. Wenn die Pflicht zur Stromlieferung ihrem Inhalt nach überhaupt als grundlastähnlich gelten könnte, so fehlte es an einer damit verbundenen grunddienstbarkeitsähnlichen Verpflichtung der Klägerin; denn das ihr gemäss Konzession zustehende Wasserrecht stellt keine Belastung dar. Wollte man demzufolge auf dem Weg der Analogie vorgehen, so müsste man zum Schluss kommen, dass die Stromlieferungspflicht der Klägerin gemäss
Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB
schon nach dreissigjährigem Bestand hätte abgelöst werden können.
9.
Der nach Erwägung 7 hievor bestehenden Möglichkeit, den Stromlieferungsvertrag nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne durch Kündigung zu beenden, steht nicht entgegen, dass der Energielieferungsvertrag seinerzeit mit einem Kaufvertrag gekoppelt wurde. Nach der eigenen Darstellung der Beklagten bildete die Stromlieferungspflicht ein Äquivalent für die Abtretung der Wasserrechtsverleihung. Daher darf zwanglos angenommen werden, die Klägerin sei berechtigt, den Energielieferungsvertrag auf den Zeitpunkt zu künden, an welchem die Konzession abläuft.
10.
Fraglich mag sein, wann die Konzession abläuft oder abgelaufen ist. Darüber finden sich weder Feststellungen im
BGE 97 II 390 S. 402
angefochtenen Urteil noch Anhaltspunkte in den Akten. Die Beklagte beruft sich hilfsweise auf
Art. 58 Abs. 1 WRG
, wonach die Verleihung 80 Jahre von der Eröffnung des Betriebs an dauert. Zwar können nach Abs. 2 dieser Bestimmung Gemeinwesen die Erneuerung der Konzession verlangen. Eine Übertragung auf Private ist dagegen nicht möglich. Die Frist von 80 Jahren soll nach der Beklagten mit dem Jahre 1903 beginnen, weil damals die Gemeinde Churwalden der Klägerin die Konzession gegen eine einmalige Zahlung von Fr. 22'500.-- erteilt habe. Letztere Behauptung findet weder im angefochtenen Urteil noch in den Akten eine Stütze. Sie steht zudem im Widerspruch zur Darstellung der Beklagten, ihre Rechtsvorgängerin habe die Konzession schon im Jahre 1891 besessen und damals der Klägerin abgetreten. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben. Die Beklagte übersieht - und das ist entscheidend -, dass gemäss Art. 74 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen des WRG Art. 58 dieses Gesetzes für Wasserrechte, die vor dem 25. Oktober 1908 (Tag der Volksabstimmung über
Art. 24 bis BV
) begründet worden waren, nicht gilt. Die Dauer der von der Gemeinde Churwalden erteilten Konzession ist deshalb nach dem Recht des Kantons Graubünden, das zu dieser Zeit galt, zu bemessen. Das Bundesgericht kann dieses Recht gemäss
Art. 65 OG
selber anwenden oder die Sache an die Vorinstanz zurückweisen. Nach Art. 10 des Bündner Gesetzes betreffend die Benutzung der öffentlichen Gewässer des Kantons Graubünden zur Errichtung von Wasserwerken vom 18. März 1906 (abgedruckt bei GEISER/ABBÜHL/BÜHLMANN, Einführung und Kommentar zum Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte, 1921, S. 399 ff.) durfte eine Konzession auf höchstens 60 Jahre erteilt werden. Ausnahmsweise konnte der Kleine Rat längere Konzessionen bewilligen, wenn bei einer kürzern Dauer die Unternehmung nicht zustande kam. Übergangsbestimmungen, die schon bestehende, auf eine längere Dauer als 60 Jahre erteilte Konzessionen vorbehielten, finden sich in diesem Gesetz nicht, vielleicht weil die Gemeinden vor Inkrafttreten des Gesetzes Konzessionen im allgemeinen auf die Dauer von ca. 60 Jahren erteilt haben (O. WIELAND, Die Wasserrechtsverleihung im Kanton Graubünden, Diss. Zürich 1941, S. 124). Da der Kanton Graubünden erstmals auf diesem Gebiet legiferierte (WIELAND, a.a.O. S. 18 ff.), musste er auch nicht frühere Erlasse förmlich
BGE 97 II 390 S. 403
aufheben. Es kann deshalb angenommen werden, die Höchstdauer von 60 Jahren seit Erteilung der Konzession (WIELAND, a.a.O. S. 125) habe auch für schon bestehende Wasserrechtsverleihungen gegolten. Die Klägerin hat daher den Stromlieferungsvertrag auf den 31. Dezember 1966 künden dürfen, da die Konzession über 60 Jahre gedauert hat, sei diese nun 1891 oder 1903 erteilt worden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 19. März/27. April 1971 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f167c140-11f3-4eb5-b080-47573f40400d | Urteilskopf
104 IV 24
8. Urteil des Kassationshofes vom 11. April 1978 i.S. Sch. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau | Regeste
Art. 3 SVG
. Verkehrsbeschränkungen, Publikation.
1. Welcher Art eine bestimmte Verkehrsbeschränkung ist, entscheidet sich nach
Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 SVG
, nicht aufgrund von Absatz 2 (E. 3a).
2. Das signalisierte Verbot, die Einfahrt zu einem Parkplatz in der Gegenrichtung als Ausfahrt zu benutzen, ist eine örtliche Verkehrsbeschränkung im Sinne des
Art. 3 Abs. 4 SVG
. Sie ist ohne amtliche Veröffentlichung grundsätzlich ungültig (E. 3b und c). | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 104 IV 24 S. 24
A.-
Am 12. Februar 1977, um 22.30 Uhr, fuhr Sch. am Steuer seines Personenwagens vom Parkplatz des Restaurants Freihof in Matzingen hinaus auf die Frauenfelder Strasse. Er benützte dazu die Einfahrt zum Parkplatz, bei der links und
BGE 104 IV 24 S. 25
rechts je eine Signaltafel Nr. 202 (verbotene Fahrtrichtung) angebracht war, welche die Ausfahrt an dieser Stelle untersagte.
B.-
Am 15. Februar 1977 büsste das Bezirksamt Frauenfeld Sch. wegen Missachtung von
Art. 27 Abs. 1 SVG
und 16 Abs. 2 SSV mit Fr. 30.-.
Die Bezirksgerichtskommission Frauenfeld wies am 14. November 1977 eine gegen den Strafentscheid erhobene Einsprache des Gebüssten ab, und am 10. Januar 1978 bestätigte die Rekurskommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau den Bussenentscheid.
C.-
Sch. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil der Rekurskommission sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Signalisation bei der Einfahrt zum Parkplatz des Restaurants Freihof sei nicht amtlich veröffentlicht worden, wie das in
Art. 82 Abs. 4 SSV
für Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen gemäss
Art. 3 Abs. 4 SVG
vorgeschrieben werde. Die Auffassung der Vorinstanz, eine Publikation sei nicht nötig gewesen, weil es sich hier nicht um eine "andere Beschränkung oder Anordnung" im Sinne des Art. 3 Abs. 4, sondern um eine Verkehrsbeschränkung im Sinne von Abs. 2 des genannten Artikels handle, gehe fehl und verstosse gegen Bundesrecht. Mangels Publikation sei jene Signalisation nichtig gewesen, weshalb der Strafentscheid aufzuheben sei.
2.
Dem wegen Missachtung einer signalisierten Verkehrsbeschränkung - also einer Allgemeinverfügung - in ein Strafverfahren verwickelten Beschwerdeführer steht nach neuerer Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen ein Anspruch auf vorfrageweise Prüfung der Rechtsbeständigkeit der Verfügung durch den Strafrichter zu unter Ausschluss der Prüfung der Angemessenheit (
BGE 99 IV 166
,
BGE 98 IV 111
und 266). Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer die Rechtsbeständigkeit der Verfügung auf dem Rechtsmittelweg in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht überprüfen lassen, weil einerseits im Kanton Thurgau noch kein Verwaltungsgericht
BGE 104 IV 24 S. 26
besteht und anderseits die Verkehrsbeschränkung nicht veröffentlicht worden ist, somit ein Hinweis auf eine allfällige Beschwerdemöglichkeit ohnehin nicht ergangen ist. Der Kassationshof kann deshalb die Frage der Rechtsbeständigkeit der genannten Verfügung frei überprüfen.
3.
Die Vorinstanz ist der Meinung, die mit der Aufstellung des Signals Nr. 202 getroffene Anordnung, nach der die Einfahrt zum Parkplatz des Restaurants Freihof nicht auch in der Gegenrichtung als Ausfahrt benutzt werden darf, zähle zu den "Fahrverboten, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs" auf bestimmten Strassen gemäss
Art. 3 Abs. 2 SVG
, weshalb eine Publikation nicht geboten gewesen sei.
a) Aus der Systematik des
Art. 3 SVG
ergibt sich folgendes: Absatz 1 hält fest, dass die Strassenhoheit der Kantone im Rahmen des Bundesrechts gewahrt bleibe. Absatz 2 macht abweichend von der früheren weitergehenden Regelung klar, dass die Kantone befugt sind, Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs für bestimmte Strassen zu erlassen (BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière annoté, N. 3.1 zu
Art. 3 SVG
). Die Absätze 3 und 4 bestimmen sodann des näheren, in welchem Rahmen bzw. unter welchen Voraussetzungen solche Massnahmen von den Kantonen getroffen werden können und welches die gegen ihren Entscheid gegebenen Rechtsmittel sind. SCHLEGEL/GIGER (Strassenverkehrsgesetz, 3. Aufl., S. 9) bemerken dazu mit Recht, dass die in Abs. 2 grundsätzlich verankerte Befugnis der Kantone zum Erlass von Fahrverboten, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs nach Massgabe der folgenden Bestimmungen zu verstehen sei. Welcher Art eine bestimmte Verkehrsbeschränkung ist, entscheidet sich demnach nicht aufgrund von Abs. 2, sondern nach Abs. 3 und 4. Entsprechend ist auch die Frage der Publikation nach diesen beiden Bestimmungen zu beantworten, schreibt doch
Art. 82 Abs. 4 SSV
eine solche nur für örtliche, sog. funktionelle Verkehrsbeschränkungen des
Art. 3 Abs. 4 SVG
vor.
b) Das im vorliegenden Fall signalisierte Verbot, die Einfahrt zu dem dem öffentlichen Verkehr offen stehenden Parkplatz des Restaurants Freihof auch als Ausfahrt zu benutzen, ist ohne Zweifel nicht eine Anordnung im Sinne von
Art. 3
BGE 104 IV 24 S. 27
Abs. 3 SVG
, wird doch dadurch der Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr auf Strassen weder vollständig untersagt noch zeitlich beschränkt. Vielmehr handelt es sich um eine funktionelle, durch die örtlichen Verhältnisse bedingte Beschränkung, die die Sicherheit des Strassenverkehrs bezweckt. Das erhellt ohne weiteres, wenn man berücksichtigt, dass einerseits der Führer bei der Ausfahrt an der betreffenden Stelle ein Bahngeleise queren muss und dass anderseits seine Sicht in die Strasse jedenfalls nach der einen Seite hin durch einen Lebhag beschränkt ist. Die fragliche Massnahme ist deshalb gleicherweise wie die Anordnung, die den Fahrverkehr über die Grenze zwischen einer Strasse und einem Grundstück untersagt (
BGE 94 I 142
) oder die Aufhebung eines Rechtsvortritts (s.
BGE 102 IV 109
) eine "andere Beschränkung" im Sinne des
Art. 3 Abs. 4 SVG
.
c) Die vom Regierungsrat des Kantons Thurgau beschlossene, in der Folge an Ort und Stelle signalisierte Verkehrsbeschränkung, die länger als 30 Tage dauern sollte, musste daher nach
Art. 82 Abs. 4 SSV
unter Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit amtlich veröffentlicht werden. Das ist nach dem angefochtenen Urteil nicht geschehen. Nach der Rechtsprechung ist eine solche Publikation aber Gültigkeitsvoraussetzung der Verkehrsbeschränkung, ohne die sie der rechtlichen Verbindlichkeit grundsätzlich entbehrt (
BGE 99 IV 167
). Dass eine der in
BGE 99 IV 168
f. genannten Ausnahmen vorliege, in denen auch ein nicht rechtsgültig aufgestelltes Signal zu beachten ist, wird von der Vorinstanz nicht festgestellt. Insbesondere nimmt sie selber nicht an, dass der Beschwerdeführer durch die Missachtung des Signals andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet habe. Er ist daher zu Unrecht wegen Übertretung des
Art. 27 Abs. 1 SVG
bestraft worden. Das angefochtene Urteil ist demzufolge aufzuheben und die Sache zur Freisprechung zurückzuweisen, ohne dass weiter geprüft werden muss, ob die Signalisation auch mit
Art. 73 Abs. 2 SSV
vereinbar gewesen sei und ob der Beschwerdeführer die Signaltafeln aus mangelnder Aufmerksamkeit nicht gesehen habe; eine Übertretung von
Art. 31 SVG
wurde ihm von der Vorinstanz nicht zur Last gelegt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau
BGE 104 IV 24 S. 28
vom 10. Januar 1978 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f169f8b8-1875-4b4c-a2ec-147e77761756 | Urteilskopf
104 Ia 350
54. Extrait de l'arrêt du 4 octobre 1978 en la cause Jenni, Mouvement Vigilance et Groupe Vigilant du Grand Conseil genevois contre Conseil d'Etat du canton de Genève | Regeste
Art. 84, 85 lit. a und 88 OG
; Genehmigung einer Vereinbarung, die der Bundesrat mit einer internationalen Organisation getroffen hat, durch eine kantonale Regierung.
1.
Art. 84 und 88 OG
: Unzulässigkeit der Popularbeschwerde (E. 1b).
2. Ist die Zustimmung, die eine kantonale Regierung gemäss Art. 4 des BB betreffend Vereinbarungen mit internationalen Organisationen über ihr rechtliches Statut in der Schweiz vom 30. September 1955 gegeben hat, mit staatsrechtlicher Beschwerde i. S. von
Art. 84 OG
anfechtbar? Frage offen gelassen, denn die in
Art. 85 lit. a OG
vorgesehene Beschwerde ist gegen einen hoheitlichen Akt, der die Voraussetzungen einer auf
Art. 84 OG
gestützten Beschwerde nicht erfüllt, zulässig (E. 6).
3. Die von der Genfer Regierung erteilte Genehmigung einer Vereinbarung mit der IATA verletzt das Stimmrecht der Bürger nicht (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 351
BGE 104 Ia 350 S. 351
L'Association de transport aérien international (en abrégé: IATA), créée à La Havane en avril 1945, a pour buts statutaires d'encourager le développement de transports aériens surs, réguliers et économiques, de favoriser le commerce aérien, de fournir les moyens propres à une collaboration des entreprises de transports aériens, engagées directement ou indirectement dans les services de transports aériens internationaux, et de coopérer avec l'Organisation de l'aviation civile internationale (OACI) et autres organisations internationales. Sont admises en son sein en qualité de membres actifs les entreprises de transport aérien exploitant, entre les territoires de deux ou plusieurs Etats, un service aérien, et en qualité de membres passifs les autres entreprises de transport aérien exploitant un service aérien. Elle constitue une association incorporée selon le droit canadien par loi du 18 décembre 1945; son siège est fixé à Montréal.
L'IATA a dans le canton de Genève un siège subsidiaire où elle occupe 287 personnes, dont 48 de nationalité suisse. Selon un accord conclu entre les autorités genevoises et cette organisation, les membres étrangers du personnel de cette association bénéficiaient d'un abattement de 40% sur leurs impôts. Cet accord ayant été dénoncé par le Gouvernement genevois, l'IATA s'est adressée au Département politique fédéral en vue de régler le statut fiscal de ses services et de son personnel en Suisse. Par lettre du 1er octobre 1976, la Mission permanente de la Suisse près les organisations internationales à Genève a soumis au Conseil d'Etat du canton de Genève, à la demande du Département politique fédéral, le texte d'un projet d'accord. Ce dernier devait être conclu sur la base des dispositions de l'arrête fédéral concernant la conclusion ou la modification d'accords avec des organisations internationales en vue de déterminer leur statut juridique en Suisse, du 30 septembre 1955. L'art. 4 de cet arrête prévoit que si un accord comporte des dispositions contraires au droit cantonal du siège de l'organisation internationale (par exemple, droit fiscal), l'approbation
BGE 104 Ia 350 S. 352
du canton intéressé devra être obtenue. La Mission permanente priait le Conseil d'Etat genevois de faire connaître dés que possible l'avis des autorités genevoises sur ce projet d'accord, tendant notamment à exonérer, sous certaines réserves, l'IATA des impôts directs et indirects ainsi que des taxes fédéraux, cantonaux et communaux, et à exonérer également de tous impôts fédéraux, cantonaux et communaux sur les traitements, émoluments et indemnités versés par l'IATA les membres du personnel de celle-ci qui n'ont pas la nationalité suisse.
Par lettre du 13 octobre 1976, le Conseil d'Etat a fait savoir à la Mission permanente qu'il était "en principe d'accord" avec le texte proposé. Il a cependant exprimé le voeu que trois articles complémentaires soient inclus dans le texte, en ce qui concerne le but des privilèges, la levée des immunités et la non-responsabilité de la Suisse.
Le 20 décembre 1976, le Conseil fédéral et l'IATA ont conclu un accord "pour régler le statut fiscal des services et du personnel de cette organisation en Suisse". Le texte définitif de cet accord est presque identique à celui qui avait été soumis au Conseil d'Etat genevois. Son art. 5 est ainsi conçu:
"1. Les membres du personnel de l'Association qui n'ont pas la nationalité suisse sont exonérés, pendant la durée de leurs fonctions, de tous impôts fédéraux, cantonaux et communaux sur les traitements, émoluments et indemnités qui leur sont versés par l'Association. 2. Sont également exemptes en Suisse de tous impôts quelconques sur le capital et le revenu, au moment de leur versement, les prestations en capital dues en quelque circonstance que ce soit par une caisse de pension ou une institution de prévoyance sociale; il en sera de même à l'égard de toutes les prestations qui pourraient être versées à titre d'indemnité à la suite de maladie, accident, invalidité, etc. En revanche, les revenus des capitaux versés ainsi que les rentes et pensions payées par l'Association aux anciens membres de son personnel ne bénéficient pas de l'exemption. Il demeure au surplus entendu que la Suisse conserve la possibilité de tenir compte des traitements et autres éléments de revenu exonérés pour déterminer le taux d'impôt applicable aux autres éléments, normalement imposables, du revenu des membres du personnel."
Ayant appris par la lecture d'un article paru dans un quotidien genevois du 28 janvier 1977 l'existence de l'accord du 20 décembre 1976, Hermann Jenni, à Genève, le "Mouvement Vigilance" et le Groupe Vigilant du Grand Conseil genevois ont adressé au Tribunal fédéral un "recours, au sens des
art. 84
BGE 104 Ia 350 S. 353
et 85 OJ
, contre la décision du Conseil d'Etat de Genève visant à exonérer les employés étrangers de l'Association internationale des transporteurs aériens datée vraisemblablement du 20 décembre 1976."
Le Tribunal fédéral n'est pas entré en matière sur le recours formé par le Groupe Vigilant du Grand Conseil genevois; pour le surplus, il a rejeté le recours en tant qu'il était recevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
b) Hermann Jenni, citoyen domicilié à Genève, est en principe recevable à former un recours de droit public contre une décision ou un arrête cantonal. L'acte de recours précise que Jenni agit en sa qualité de député d'une part et de citoyen d'autre part; la qualité de député ne confère cependant pas au recourant une qualité spéciale, différente de celle qu'il a en qualité de citoyen, pour exercer le recours de droit public (arrêt Bachhofner, du 2 juin 1976, consid. 2;
ATF 98 Ia 108
,
ATF 91 I 115
, consid. 2).
Seule la personne lésée ou tout au moins susceptible d'être lésée dans ses intérêts juridiquement protégés par l'arrêté ou la décision attaqués a qualité pour former un recours pour violation des droits constitutionnels des citoyens. Le recours de droit public au sens des
art. 84 et 88 OJ
ne constitue pas une "action populaire", ouverte à quiconque entendrait faire valoir la lésion d'un intérêt général (
ATF 102 Ia 207
consid. 3,
ATF 96 I 626
, consid. 3). La jurisprudence a considéré qu'un particulier qui n'est pas plus intéressé que quiconque à l'annulation d'une décision accordant des avantages prétendument illicites à des tiers ne peut invoquer, par la voie d'un recours de droit public, la violation de ses droits constitutionnels (
ATF 93 I 517
, consid. 2,
ATF 86 I 284
). C'est ainsi que le Tribunal fédéral a admis qu'une disposition légale conférant au gouvernement cantonal la faculté d'accorder des allégements fiscaux à certaines catégories de contribuables ne pouvait être attaquée par des tiers pour violation de droits constitutionnels. Le citoyen qui entendrait recourir contre un tel arrête ne peut faire valoir un intérêt personnel particulier, qui se distinguerait de l'intérêt général, dont la sauvegarde incombe aux pouvoirs publics; reconnaître un tel droit au citoyen équivaudrait à lui ouvrir la voie de l'action populaire, ce qui serait contraire aux intentions du législateur (
ATF 85 I 53
, consid. 3).
BGE 104 Ia 350 S. 354
Cette jurisprudence a été critiquée par plusieurs auteurs (cf.
ATF 93 I 177
), et les recourants demandent au Tribunal fédéral de la modifier et d'admettre la recevabilité d'un recours dirigé contre une décision accordant des exemptions fiscales à des tiers. Ils soutiennent que les contribuables forment une fraction de la population qui poursuit des intérêts propres, qui ne coïncident pas forcément avec l'intérêt général. Le montant des impôts qui ne serait plus payé par les personnes mises au bénéfice de l'exonération serait réparti entre les contribuables ne profitant pas d'une exonération.
S'il est exact que tous les habitants du canton ne sont pas contribuables, on ne saurait prétendre qu'il s'agisse d'une "fraction de la population qui poursuit des intérêts propres". La grande majorité des habitants sont, par eux-mêmes ou par la famille à laquelle ils appartiennent, contribuables en matière d'impôts cantonaux et communaux; font seuls exception les personnes dont le revenu et la fortune sont trop minimes pour qu'ils puissent être imposés, ainsi que les étrangers bénéficiant d'immunités ou de privilèges particuliers. On ne peut donc guère dissocier l'intérêt de l'ensemble des contribuables de l'intérêt général. En outre, si l'on admettait in casu la recevabilité du recours, il n'y aurait pas de raison d'écarter celle d'un recours qui, sans être fondé sur la violation alléguée du droit de vote, aurait pour objet un crédit ouvert par le gouvernement et entraînant des dépenses pour l'Etat. Dans ce cas aussi, les contribuables pourraient prétendre être lésés. La voie à l'action populaire serait donc largement ouverte. Il n'y a dès lors pas de raison de se départir de la jurisprudence de l'arrêt Ochsner (
ATF 85 I 55
).
On peut aussi relever en l'espèce qu'il résulte des déclarations faites au Grand Conseil par le chef du Département des finances et contributions que le refus d'accorder l'exonération sollicitée aurait, le cas échéant, pu avoir pour conséquence le transfert par l'IATA de son siège de Genève dans un autre pays (Mémorial du Grand Conseil 1977, p. 675). L'intérêt des contribuables individuels pourrait donc être apprécié d'une façon différente de celle qui est décrite par les recourants.
Dès lors, le recours formé par Jenni est irrecevable en tant qu'il est fondé sur la violation de droits constitutionnels (absence de base légale, séparation des pouvoirs et parallélisme des formes, égalité de traitement).
BGE 104 Ia 350 S. 355
c) En revanche, Jenni a en principe qualité pour recourir dans la mesure où il invoque la violation de son droit de vote (
art. 85 lettre a OJ
), alors même qu'il ne serait pas personnellement lésé par l'acte attaqué (
ATF 102 Ia 108
, 98 Ia 108). Il est donc recevable à agir dans la mesure où il soutient que le Conseil d'Etat a pris une décision que seul le législateur aurait pu prendre, en privant ainsi les citoyens du droit de référendum facultatif que leur reconnaît la constitution cantonale (
ATF 98 Ia 108
; cf. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 70).
6.
Le recours de droit public n'est en principe recevable que contre une décision ou un arrête cantonal (art. 84 al. 1, 86 al. 1, 88 OJ). La jurisprudence considère comme tels les actes de souveraineté émanant d'une autorité cantonale, accomplis en vertu de la puissance publique dont elle est investie et affectant d'une façon quelconque la situation de l'individu en lui imposant, soit sous la forme d'un arrête de portée générale, soit sous celle d'une décision particulière, une obligation de faire, de s'abstenir ou de tolérer (
ATF 102 Ia 186
, 536;
ATF 89 I 258
).
a) Le Conseil d'Etat conteste en l'espèce l'existence d'un tel acte de souveraineté. Il prétend même qu'il n'y a eu aucun acte du gouvernement cantonal, en soutenant que les "quelques observations" présentées à l'autorité fédérale et concernant le projet d'accord avec l'IATA n'avaient pas de portée juridique. Il se fonde à cet égard sur l'art. 7 de la loi générale sur les contributions publiques, du 9 novembre 1887 (LCP), aux termes duquel "sont exonérés des impôts sur le revenu et sur la fortune, dans la mesure où le prévoient les conventions, accords et arrangements avec les organisations internationales publiques: a) les organisations internationales; b) les membres des conseils, les représentants et les fonctionnaires des organisations internationales". La reconnaissance de l'IATA comme organisation internationale par l'autorité fédérale lierait le canton, de telle sorte que l'art. 7 LCP s'appliquerait automatiquement. L'exonération de l'organisation et de ses fonctionnaires découlant de la disposition précitée, l'accord conclu ne dérogerait donc pas au droit cantonal et l'approbation du canton, prévue à l'art. 4 de l'arrête fédéral concernant la conclusion ou la modification d'accords avec des organisations internationales en vue de déterminer leur statut juridique en Suisse du 30 septembre 1955 (RS 192, 12) (ci-après: arrêté fédéral), ne serait pas nécessaire.
BGE 104 Ia 350 S. 356
Cette argumentation doit être rejetée. L'art. 7 LCP n'exonère les organisations internationales et leurs fonctionnaires que "dans la mesure où le prévoient les conventions, accords et arrangements avec les organisations internationales publiques". L'imposition est donc la règle, l'exonération l'exception. Tant qu'un accord n'a pas été conclu, les organisations internationales et leurs fonctionnaires sont en principe imposables. La conclusion d'un accord entre une organisation internationale et la Confédération, prévoyant une exonération d'impôt sur le plan cantonal, est subordonnée à l'approbation du canton. Le fait que l'autorité fédérale reconnaisse à l'organisation en cause le statut d'organisation internationale n'a nullement pour conséquence d'obliger le canton à donner cette approbation. Par ailleurs, on ne saurait soutenir que l'art. 7 LCP ne laisse à cet égard aucune possibilité de choix à l'autorité cantonale. Celle-ci reste libre d'approuver ou de ne pas approuver le projet d'accord qui lui est soumis.
b) Il convient en outre d'observer que, devant le Grand Conseil, qui a discuté des problèmes évoqués par l'actuel recours dans sa séance du 11 février 1977, le chef du Département des finances et contributions a admis que le Conseil d'Etat avait donné son approbation au projet d'accord:
"Le Conseil fédéral nous a posé la question l'été dernier: savoir si nous acceptions qu'il conclût un accord de siège avec l'IATA. Nous avons été placés devant une situation difficile:. Ayant pesé les avantages et les inconvénients, nous nous sommes rendu compte qu'il était préférable, pour maintenir cette organisation sur le territoire genevois, avec les possibilités de travail qu'elle offre, l'impulsion qu'elle donne à notre économie, d'accepter l'idée qu'un accord de siège soit conclu, cela dans l'intérêt bien évident de notre canton.)... En conclusion.)... si l'IATA devait finalement quitter (c'était le problème) notre territoire, la perte générale qui aurait pu en résulter pour la commune de Meyrin aurait été nettement plus importante que l'inconvénient qu'elle subira du fait de l'application de ces nouvelles dispositions prises, avec notre accord il est vrai, par le Conseil fédéral."
(Mémorial du Grand Conseil, 1977, p. 675/6).
Ces explications ont été confirmées par les déclarations faites par le même conseiller d'Etat à la séance du Grand Conseil du 1er avril 1977:
"Sollicité par la Confédération de donner son accord à une exonération fiscale, non seulement à l'institution comme telle, mais également à ses employés et fonctionnaires, le Conseil d'Etat a mis en balance le manque à gagner fiscal que cette mesure allait provoquer avec les avantages
BGE 104 Ia 350 S. 357
que le maintien de l'institution sur notre territoire pouvait procurer à l'économie genevoise."
(Mémorial 1977, p. 1456)
Ainsi, le gouvernement fédéral a bien demandé l'assentiment du gouvernement cantonal, comme le Département politique fédéral l'a relevé dans sa lettre du 12 mai 1977 et comme le chef du Département genevois des finances et contributions l'a admis dans ses déclarations faites au Grand Conseil. Cet assentiment a été donné "en principe" par la lettre du Conseil d'Etat du 13 octobre 1976, et les réserves qui y ont été formulées ont été prises en considération dans l'accord définitif (sauf en ce qui concerne la levée des immunités, mais l'accord ne porte nullement sur une telle levée). L'assentiment donné par le Gouvernement genevois constitue donc l'approbation requise par l'art. 4 de l'arrêté fédéral.
c) Cette constatation ne suffit cependant pas pour que l'on en déduise que l'"approbation" donnée par l'autorité cantonale au projet d'accord soumis par le Conseil fédéral constitue nécessairement un acte attaquable par la voie du recours de droit public. Cette approbation n'impose aucune obligation ni ne confère aucun droit aux particuliers, mais constitue une décision prise dans le cadre du processus ouvert par le Conseil fédéral en vue d'accorder une exonération d'impôt aux services de l'IATA et aux membres du personnel de cette organisation. Elle est un maillon d'une procédure prévue par le droit fédéral et qui est destinée à permettre au Conseil fédéral de prendre une décision définitive et de conclure un accord. L'approbation ne déploie aucun effet direct sur le plan de la législation cantonale; elle est seulement la condition nécessaire d'une décision prise par l'autorité fédérale. Il paraît dès lors douteux qu'elle puisse faire l'objet d'un recours de droit public au sens de l'
art. 84 OJ
. Mais la question peut rester indécise.
d) Le recours prévu par l'
art. 85 lettre a OJ
peut être dirigé contre un acte qui ne remplit pas les conditions nécessaires pour que soit admise la recevabilité d'un recours fondé sur l'
art. 84 OJ
(
ATF 89 I 259
/260). Il convient donc d'examiner si l'approbation donnée par le Conseil d'Etat constitue un acte qui est susceptible de porter atteinte aux droits politiques. Cette question doit être résolue par l'affirmative.
Les recourants soutiennent en effet que le Conseil d'Etat, en donnant l'assentiment du canton à la conclusion de l'accord avec l'IATA, a empiété sur les compétences du pouvoir législatif;
BGE 104 Ia 350 S. 358
l'exonération d'une organisation non gouvernementale - telle que l'association précitée - et de son personnel nécessitait, selon les recourants, la modification de la loi sur les contributions, en particulier celle de l'art. 7 LCP qui ne s'applique, d'après son texte, qu'aux "organisations internationales publiques". En empiétant sur les compétences de l'autorité législative, le Conseil d'Etat a privé les électeurs de la faculté de faire usage du droit de référendum prévu par la constitution cantonale. Si l'on suit l'argumentation développée par les recourants, force est de constater que l'approbation donnée par le Conseil d'Etat, seul acte en cause, violait le droit de vote des citoyens. Ceux-ci peuvent donc l'attaquer par la voie du recours fondé sur l'
art. 85 lettre a OJ
.
7.
a) Ni la législation fédérale, ni la constitution ou la législation cantonales ne contiennent de dispositions sur le point de savoir quelle est, dans le canton, l'autorité compétente pour donner l'approbation requise par l'arrêté fédéral. Cependant, les recourants ne contestent pas que cette compétence eût appartenu au Conseil d'Etat si l'IATA avait été une organisation intergouvernementale, soit "une organisation internationale publique"" au sens de l'art. 7 LCP. Par ailleurs, il n'est pas non plus contesté que le Conseil d'Etat, chargé d'appliquer la loi sur les contributions publiques, est, par l'intermédiaire du Département des finances ou collégialement, l'autorité à laquelle il incombe normalement de constater la réalisation des conditions exigées par l'art. 7 LCP. Dans ces conditions, il convient d'admettre qu'en donnant son assentiment au projet d'accord avec l'IATA, le Conseil d'Etat s'est prononcé sur le statut de cette association en lui reconnaissant la qualité d'"organisation internationale publique" au sens de la disposition précitée. La question litigieuse in casu est ainsi celle de l'interprétation qu'il convient de donner à la notion de "conventions, accords et arrangements avec les organisations internationales publiques". Le Tribunal fédéral ne peut l'examiner que sous l'angle restreint de l'arbitraire, la disposition en cause n'étant pas de celles qui définissent le contenu et l'étendue du droit de vote (cf.
ATF 101 Ia 232
).
b) Le Conseil d'Etat soutient qu'il était lié par la décision de l'autorité fédérale d'assimiler l'IATA à une organisation internationale. Il considère donc que l'association à laquelle le Conseil fédéral reconnaît le statut d'organisation internationale
BGE 104 Ia 350 S. 359
pouvant conclure un accord sur la base de l'arrêté fédéral, constitue une "organisation internationale publique" au sens de l'art. 7 LCP. Cette interprétation n'est pas insoutenable.
Par ailleurs, si l'on devait admettre, avec les recourants, que le Conseil d'Etat n'est pas lié par la décision de l'autorité fédérale quant au statut de l'organisation en cause, il faudrait alors constater que l'autorité exécutive n'est pas tombée dans l'arbitraire en considérant l'IATA comme une organisation internationale publique, en tenant compte des fonctions exercées par cette association et du rôle qu'elle joue dans un domaine important des relations interétatiques. On peut à cet égard relever qu'à l'avis de certains auteurs, l'IATA doit être considérée comme une organisation "quasi gouvernementale" (cf. CHUANG, The International Air Transport Association, A Study of a Quasi-Governmental Association, cité dans Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht, 25/1976, p. 190). C'est dans le même sens, semble-t-il, que postérieurement aussi à l'adoption de l'arrêté fédéral, soit le 28 septembre 1971, le Conseil fédéral a conclu avec l'Union interparlementaire, organisation "semi-officielle" ayant son siège à Genève, mais non créée par accord intergouvernemental, un accord destiné à régler le statut juridique de cette organisation en Suisse, et qui confère aux fonctionnaires du bureau de l'Union non seulement des exemptions fiscales, mais aussi, dans de certaines limites, une immunité de juridiction et d'autres privilèges accordés normalement aux diplomates (RO 1971, p. 1602). Le Conseil fédéral a considéré que cette institution présentait un caractère intergouvernemental prédominant (rapports de gestion du Conseil fédéral, 1970, p. 27, et 1971, p. 25; cf. aussi RENE KELLER, in Les organisations non gouvernementales en Suisse, colloque organisé par l'Institut universitaire de hautes études internationales, Genève 1973, p. 39; voir aussi ibid., p. 23).
C'est ainsi sans arbitraire que le Conseil d'Etat a considéré l'IATA comme une organisation internationale publique au sens de l'art. 7 LCP. Dès lors, il lui appartenait de donner l'approbation du canton requise par l'arrêté fédéral, et cet assentiment ne dépendait pas du vote par le Grand Conseil d'une loi soumise au référendum facultatif. Il n'y a donc pas eu en l'espèce violation du droit de vote des citoyens. Le présent recours doit ainsi être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f16c185d-69fa-4e13-8328-2dfab2dd58b7 | Urteilskopf
114 V 119
24. Urteil vom 8. April 1988 i.S. M. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht von Appenzell A.Rh. | Regeste
Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG
,
Art. 28 Abs. 1 UVV
: Massgebliches Validen- bzw. Invalideneinkommen für die Bemessung der Invalidität bei unfallbedingter Verzögerung der Ausbildung.
-
Art. 28 Abs. 1 UVV
gelangt nicht zur Anwendung, wenn die Ausbildung eines Lehrlings unfallbedingt verzögert wird. In diesem Fall ist als Valideneinkommen rechtsprechungsgemäss derjenige Verdienst anzunehmen, welchen der Lehrling aller Wahrscheinlichkeit nach erzielen würde, wenn er, ohne zu verunfallen, die Lehre ordnungsgemäss hätte abschliessen können (Erw. 2a).
- Wann ist als Invalideneinkommen der Lehrlingslohn zu betrachten (Erw. 2b)? | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 114 V 119 S. 119
A.-
Die 1956 geborene Barbara M., ausgebildete Turnlehrerin, begann am 19. Juli 1982 in der Firma J.B. C. eine dreijährige Lehre als Möbelschreinerin und war daher bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Betriebs- und Nichtbetriebsunfall versichert. Am 18. Juli 1983 erlitt sie anlässlich eines Verkehrsunfalls eine Doppelfraktur des linken Armes, und am 25. Juli 1984 brach sie sich auf einer Bergtour den linken Vorderarm sowie zwei Finger der rechten Hand. Als Folgen blieben Beweglichkeits- und Sensibilitätsdefizite zurück (kreisärztlicher
BGE 114 V 119 S. 120
Abschlussbericht des Dr. med. C. vom 23. Oktober 1985). Die Versicherte musste daher die Ausbildung am 2. Juli 1984 abbrechen, setzte sie aber am 15. April 1985 in der Firma M. I. AG fort. Nachdem die SUVA ihre gesetzliche Leistungspflicht anerkannt hatte, gewährte sie Barbara M. rückwirkend ab 1. November 1985 eine Invalidenrente, wobei die Anstalt eine durch beide Unfälle bewirkte Erwerbsunfähigkeit von 15% annahm (Verfügung vom 12. Dezember 1985).
Barbara M. liess Einsprache erheben und die Ausrichtung einer "der effektiv erlittenen Beeinträchtigung in der Erwerbsfähigkeit" entsprechenden Invalidenrente beantragen. Sie liess geltend machen, durch die unfallbedingte zweijährige Verzögerung der Ausbildung erhalte sie bis am 14. April 1987 nur den Lehrlingslohn von Fr. 600.-- im ersten und Fr. 900.-- im zweiten Jahr; demgemäss betrage die Erwerbseinbusse bis 15. April 1986 82% und hernach bis 14. April 1987 73%; eine 15%ige Einschränkung liege erst nach dem Lehrabschluss vor. Mit Einspracheentscheid vom 4. April 1986 hielt die SUVA an der angefochtenen Verfügung fest, da die Abgeltung des einem Lehrling durch Verzögerung der Ausbildung entstandenen Schadens gesetzlich nicht vorgesehen sei.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht von Appenzell A.Rh. mit Entscheid vom 23. Oktober 1986 ab.
C.-
Die Versicherte lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Begehren auf Festlegung des "zutreffenden Invaliditätsgrades" und Zusprechung einer entsprechenden Invalidenrente.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Streitig und zu prüfen ist vorliegend die Bemessung des Invaliditätsgrades für die Zeit ab 1. November 1985 (Beginn des Rentenanspruchs).
b) Gemäss
Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG
wird für die Bestimmung des Invaliditätsgrades das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach Eintritt der unfallbedingten Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen
BGE 114 V 119 S. 121
könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre.
2.
a)
Art. 28 Abs. 1 UVV
legt fest, welcher hypothetische, ohne gesundheitliche Einschränkung erzielbare Verdienst (Valideneinkommen) für die Invaliditätsbemessung massgeblich ist, wenn der Versicherte eine geplante Ausbildung unfallbedingt nicht aufnehmen konnte oder abbrechen musste. Dagegen wird der - hier vorliegende - Tatbestand der unfallbedingten Verzögerung bzw. Verlängerung der Ausbildung durch
Art. 28 Abs. 1 UVV
nicht erfasst. Insoweit diese Bestimmung nicht zur Anwendung gelangt, gilt rechtsprechungsgemäss jener Verdienst als Valideneinkommen, den der Versicherte ohne versicherte gesundheitliche Beeinträchtigung bei sonst gleichen Verhältnissen wahrscheinlich erzielen würde (ZAK 1985 S. 634 Erw. 3, 1980 S. 511 Erw. 4 mit Hinweis und S. 593, 1961 S. 367 Erw. 3; vgl. auch
BGE 99 V 29
Erw. 3a und EVGE 1968 S. 92 Erw. 2a). Im Lichte dieses Grundsatzes, der sich unmittelbar aus
Art. 18 Abs. 2 UVG
ergibt, kann vorliegend entgegen der Auffassung von Vorinstanz und SUVA, wonach eine Verzögerung der Ausbildung von vornherein keine Konsequenzen für die Invaliditätsbemessung habe, nicht der Lehrlingslohn als Valideneinkommen angenommen werden. Denn nach der Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ohne die erlittenen versicherten Unfälle aller Wahrscheinlichkeit nach seit dem 19. Juli 1985 (dem Datum des geplanten Abschlusses der am 19. Juli 1982 begonnenen Lehre) das Einkommen einer gelernten Schreinerin erzielen würde, welches unbestrittenermassen Fr. 39'773.-- beträgt.
b) Es stellt sich weiter die Frage, ob der von der Beschwerdeführerin effektiv erzielte Monatslohn von Fr. 600.-- im ersten und Fr. 900.-- im zweiten Lehrjahr als Invalideneinkommen zu betrachten und der Invaliditätsbemessung zugrunde zu legen ist, was die Vorinstanz mit der Argumentation verneint, es fehle am Erfordernis der stabilen Verhältnisse.
Wenn der Verdienst, den ein Versicherter in einem zufälligen Zeitpunkt erzielt, für sich allein grundsätzlich kein genügendes Kriterium für die Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit bildet, so kann das Mass der tatsächlichen Erwerbseinbusse mit dem Umfang der Erwerbsunfähigkeit unter Umständen doch übereinstimmen. Dies trifft dann zu, wenn - kumulativ - besonders stabile Arbeitsverhältnisse eine Bezugnahme auf den allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch erübrigen, wenn der Versicherte eine Tätigkeit
BGE 114 V 119 S. 122
ausübt, bei der anzunehmen ist, dass er die ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft (
BGE 109 V 27
Erw. 3c), und wenn das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht als Soziallohn (BGE
BGE 104 V 90
) erscheint.
Die am 15. April 1985 aufgenommene zweite Lehre in der Firma M. I. AG kann durchaus als stabiles Arbeitsverhältnis im Sinne dieser Rechtsprechung gelten. Ferner erscheint auch das Arbeitsentgelt von Fr. 600.-- (im ersten Lehrjahr) bzw. Fr. 900.-- (im zweiten Lehrjahr) als angemessener Leistungslohn eines Lehrlings. Zu prüfen ist aber, ob die Beschwerdeführerin durch diese Tätigkeit die ihr verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft oder ob ihr eine bessere Verwertung der Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch Wiederaufnahme des ursprünglich erlernten Turnlehrerinnenberufes zumutbar ist. Dies ist angesichts der gesundheitlichen Einschränkungen wie auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die am 19. Juli 1982 begonnene Schreinerlehre bereits recht weit vorangeschritten war, als sie unfallbedingt abgebrochen werden musste, zu verneinen. Somit erweist sich die Entlöhnung im Rahmen der am 15. April 1985 neu aufgenommenen Ausbildung von Fr. 600.-- bzw. Fr. 900.-- als zumutbares Invalideneinkommen während der Lehrzeit. Der Invaliditätsgrad ist demnach ab 1. November 1985 durch Vergleich des Lehrlingslohnes mit dem Verdienst eines ausgelernten Schreiners festzulegen.
c) Der SUVA bleibt eine revisionsweise Änderung des Invaliditätsgrades gemäss
Art. 22 Abs. 1 UVG
auf den 15. April 1987, das Datum des Lehrabschlusses, vorbehalten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts von Appenzell A.Rh. vom 23. Oktober 1986 und der Einspracheentscheid vom 4. April 1986 aufgehoben, und es wird die Sache an die SUVA zurückgewiesen, damit diese im Sinne der Erwägungen über den Rentenanspruch neu verfüge. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f176064c-f088-4d16-a651-76601d397219 | Urteilskopf
137 III 127
21. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause M. contre Z. SA et O. (recours en matière civile)
4A_106/2011 / 4A_108/2011 du 31 mars 2011 | Regeste
Art. 405 Abs. 1 ZPO
; Eröffnung des Entscheids.
Die Zustellung des Dispositivs, und nicht erst diejenige des begründeten Entscheids, gilt als Eröffnung im Sinne dieser Bestimmung (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 137 III 127 S. 128
Par jugement du 13 janvier 2010, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a partiellement accueilli une action en dommages-intérêts consécutive à un accident de la circulation routière. Ce jugement n'a pas été prononcé en audience. Le 19 février 2010 et le 6 janvier 2011, respectivement, le Tribunal cantonal a adressé à toutes les parties un dispositif écrit puis une expédition motivée.
Contre ce jugement, le Tribunal fédéral est saisi de deux recours en matière civile, l'un formé par la demanderesse, l'autre par les défendeurs. En l'état de la cause, les parties n'ont pas été invitées à déposer leurs réponses.
La I
re
Cour de droit civil du Tribunal fédéral a délibéré en public le 22 mars 2011. Appelée à trancher une question juridique concernant plusieurs cours, elle a suspendu la cause en vue d'une décision commune des cours concernées.
Une décision commune des deux cours de droit civil est intervenue le 31 mars 2011.
La I
re
Cour de droit civil a prononcé que les recours sont recevables au regard de l'
art. 75 al. 1 LTF
; pour le surplus, la cause est renvoyée au juge rapporteur.
(résumé)
Erwägungen
Considérants:
1.
A teneur de l'
art. 75 al. 1 LTF
, le recours en matière civile est recevable contre les décisions des autorités cantonales de dernière instance.
Selon le droit cantonal vaudois en vigueur jusqu'au 31 décembre 2010, un jugement de la Cour civile du Tribunal cantonal n'était susceptible d'aucun recours à une autorité cantonale qui pût porter sur tous les griefs visés aux art. 95 à 97 LTF, de sorte qu'un pareil jugement pouvait être déféré au Tribunal fédéral conformément à l'
art. 75 al. 1 LTF
.
Le code de procédure civile unifié (CPC; RS 272) est entré en vigueur le 1
er
janvier 2011 (RO 2010 1835), et ce code prévoit l'appel contre les jugements finals de première instance (
art. 308 al. 1 let. a CPC
), y compris ceux terminant une instance régie par le droit cantonal ancien (HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2009, p. 236 in medio; DENIS TAPPY, Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III 11 p. 44), si la valeur litigieuse excède 10'000 francs (
art. 308 al. 2
BGE 137 III 127 S. 129
CPC
). Egalement depuis l'entrée en vigueur du code de procédure unifié, les art. 75 al. 2 et 130 al. 2 LTF excluent, en règle générale, l'instance cantonale unique en matière civile.
Le jugement présentement attaqué est final et la valeur litigieuse, déterminée d'après les conclusions des parties conformément à l'
art. 91 al. 1 CPC
, excédait le minimum ci-indiqué. L'
art. 75 al. 1 LTF
exclut qu'un jugement susceptible d'appel soit attaqué directement devant le Tribunal fédéral.
L'
art. 405 al. 1 CPC
prévoit que les recours sont régis par le droit en vigueur au moment de la communication de la décision aux parties. Il faut donc élucider si ledit jugement a été communiqué en 2010 déjà ou en 2011 seulement. Dans cette première hypothèse, l'appel n'est pas recevable parce que l'
art. 308 CPC
n'était pas en vigueur lors de la communication (MARC PASCAL FISCHER, in Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [éd.], 2010, n° 2 ad
art. 405 CPC
; FREI/WILLISEGGER, in Commentaire bâlois, CPC, 2010, n° 4 ad
art. 405 CPC
); le recours au Tribunal fédéral est alors recevable et le délai de recours se calcul selon l'
art. 100 al. 1 LTF
, ou, le cas échéant, selon l'
art. 100 al. 6 LTF
(TAPPY, op. cit., p. 46), même si le point de départ ne survient qu'en 2011, parce que ces dispositions étaient, elles, en vigueur lors de la communication. Dans la seconde hypothèse, où le jugement est communiqué en 2011 seulement, cette décision est susceptible d'appel et le recours adressé au Tribunal fédéral est irrecevable.
Il convient de souligner que de l'
art. 404 al. 1 CPC
, il ne résulte pas qu'un jugement rendu en instance cantonale unique, selon une organisation judiciaire cantonale désormais incompatible avec l'
art. 75 al. 2 LTF
, soit un jugement de dernière instance cantonale au regard de l'
art. 75 al. 1 LTF
.
2.
La communication visée par l'
art. 405 al. 1 CPC
est une notion autonome de droit fédéral; il n'y a pas de renvoi ni de référence au droit cantonal. Pour appréhender cette notion dans le système du code de procédure unifié, il faut se référer d'abord à l'
art. 239 CPC
(FISCHER, ibidem; opinion contraire: TAPPY, op. cit., p. 31/32, auteur pour qui le droit cantonal est déterminant). D'après cette disposition, la communication peut intervenir par remise d'un dispositif à l'audience (
art. 239 al. 1 let. a CPC
), par notification d'un dispositif écrit (
art. 239 al. 1 let. b CPC
) ou par notification d'une expédition motivée, incluant le dispositif. Chacune de ces modalités, y compris la notification d'un dispositif écrit, doit être considérée comme pertinente
BGE 137 III 127 S. 130
aussi au regard de l'
art. 405 al. 1 CPC
, même si elles n'ont pas toutes pour effet de provoquer l'écoulement du délai de recours.
En conséquence, les deux cours de droit civil du Tribunal fédéral ont décidé en commun, le 31 mars 2011 et en application de l'
art. 23 al. 2 LTF
, que la remise aux parties d'un dispositif écrit, le cas échéant, vaut "communication de la décision" aux termes de l'
art. 405 al. 1 CPC
, et que cette communication n'est pas reportée à la remise d'une expédition motivée. Les mêmes cours ont par ailleurs décidé que la date déterminante est celle de l'envoi de l'acte par le tribunal, à l'exclusion de la date de réception par l'une ou l'autre des parties.
Dans la présente affaire, un dispositif écrit a été adressé aux parties le 19 février 2010 déjà. La communication déterminante selon l'
art. 405 al. 1 CPC
est donc intervenue en 2010, bien que l'expédition motivée n'ait été envoyée qu'en 2011. Il s'ensuit que le jugement n'est pas susceptible de l'appel prévu par l'
art. 308 CPC
et que les deux recours en matière civile sont recevables au regard de l'
art. 75 al. 1 LTF
. | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f17670d0-edca-464c-82ee-fc9347fddcce | Urteilskopf
117 Ib 94
12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Januar 1991 i.S. K. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 17 Abs. 1 OG
; Öffentlichkeit der Verhandlungen.
Die Beratungen und Abstimmungen sind öffentlich, wenn der Kassationshof des Bundesgerichts eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend eine Administrativmassnahme im Strassenverkehr beurteilt. | Erwägungen
ab Seite 94
BGE 117 Ib 94 S. 94
Aus den Erwägungen:
1.
Letztinstanzliche kantonale Entscheide über Administrativmassnahmen im Strassenverkehr (Führerausweisentzüge, Verwarnungen) unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (
Art. 24 Abs. 2 SVG
). Gemäss
Art. 12 Abs. 1 lit. a OG
i.V.m. Art. 3 Ziff. 3 des Reglementes für das Schweizerische Bundesgericht (SR 173.111.1) fällt die Behandlung dieser Beschwerden in die Zuständigkeit der zweiten öffentlichrechtlichen Abteilung. Nach
Art. 14 Abs. 1 OG
i.V.m. Art. 8 Abs. 4 des Reglementes kann zur Ausgleichung der Geschäftslast vorübergehend von der Geschäftsverteilung gemäss Art. 2 bis 7 des Reglementes abgewichen werden. In Anwendung dieser Bestimmung sind seit 1. Januar 1982 die Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Administrativmassnahmen im Strassenverkehr (soweit es sich um Verfügungen betreffend Führerausweisentzüge handelt) dem
BGE 117 Ib 94 S. 95
Kassationshof zugewiesen (unveröffentlichter Beschluss des Gesamtgerichts vom 30. November 1981).
Sofern das Gesetz nichts anderes vorschreibt, sind die Parteiverhandlungen, Beratungen und Abstimmungen öffentlich, ausgenommen unter anderem die Beratungen und Abstimmungen der strafrechtlichen Abteilungen (
Art. 17 Abs. 1 OG
). Wie dargelegt, urteilt der Kassationshof, soweit er über Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Administrativmassnahmen entscheidet, anstelle einer öffentlichrechtlichen Abteilung. Folglich ist das für die öffentlichrechtlichen Abteilungen massgebende Verfahrensrecht anwendbar. Eine öffentlichrechtliche Abteilung müsste - da eine abweichende gesetzliche Bestimmung nicht besteht - über Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Administrativmassnahmen öffentlich verhandeln, beraten und abstimmen, wie dies vor der vorübergehenden Übertragung dieser Geschäfte an den Kassationshof auch der Fall war. Entsprechendes muss deshalb auch für den Kassationshof gelten: Er tagt in solchen Fällen nicht als strafrechtliche, sondern anstelle der zweiten öffentlichrechtlichen Abteilung. Die im vorliegenden Verfahren durchzuführende Sitzung des Kassationshofes ist deshalb öffentlich. Die von 1982 bis 1990 gehandhabte andere Praxis wird somit aufgegeben. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f1793c6a-8ad8-4010-a6d0-5641806b84e1 | Urteilskopf
99 II 85
13. Arrêt de la IIe Cour civile du 24 mai 1973, dans la cause Alpina contre Banque de gestion privée SA. | Regeste
Art. 33 und 14 VVG
.
1. Die von der Versicherung ausgeschlossenen Ereignisse sind in den allgemeinen Vertragsbestimmungen genau und unzweideutig zu bezeichnen. Unter Vorbehalt einer gegenteiligen Abmachung habendie Umstände, unter denen ein Schadensereignis eintritt, keinen Einfluss auf die Deckung der Gefahr. Wenig klare Bestimmungen von Verträgen, die auf Grund eines zum voraus erstellten Formulars abgeschlossen werden, sind gegen die Partei auszulegen, welche sie abgefasst hat (Erw. 2-4).
2. Ein voraussehbares, ja sicher eintretendes Ereignis kann Gegenstand eines Versicherungsvertrags sein, sofern sein Datum nicht bekannt ist.
3. Wenn der Versicherungsnehmer das Schadenereignis unter Zwang herbeiführt, kann ihm nicht vorgeworfen werden, er habe es absichtlich oder grobfahrlässig verursacht. | Sachverhalt
ab Seite 86
BGE 99 II 85 S. 86
A.-
La Banque de gestion privée SA, à Genève (ci-dessous la banque) a conclu, le 2 mai 1968, pour la période du 24 avril 1968 au 1er mai 1978, avec l'Alpina, Compagnie d'assurances SA, à Zurich (ci-dessous l'Alpina), un contrat d'assurance contre le vol.
Le contrat prévoit trois groupes de risques assurés:
1. le vol avec effraction et le détroussement, à l'intérieur des locaux d'assurance, à concurrence d'un million de francs, ainsi que, pour les valeurs sous fermeture simple, à concurrence de cinq mille francs;
2. le détroussement des agents de caisse, à concurrence de cinq cent mille francs;
3. le vol aux guichets, à concurrence de cent mille francs.
En matière de détroussement des agents de caisse, les conditions générales d'assurance, jointes à la police, précisent que les objets de valeur doivent être transportés par des personnes majeures de sexe masculin. Lorsque leur valeur dépasse cinq centmille francs, l'agent doit être accompagné d'une seconde personne; au-dessus d'un million de francs, des mesures complémentaires de sûreté doivent être prises.
BGE 99 II 85 S. 87
B.-
Le 18 décembre 1969, vers 18 h 30, deux inconnus, masqués et armés, pénètrèrent, après avoir réduit à l'impuissance les deux employés de la maison, dans la villa de Savaldor Hassan, directeur de la banque. Celui-ci, accompagné de sa femme, rentra à son domicile vers 18 h 45. Sous la menace des armes des bandits, les époux furent contraints de se laisser bâillonner et ligoter sur des chaises. Ils passèrent la nuit, ainsi que leur fille de trois ans et demi et les deux domestiques, sous la surveillance des agresseurs. Ceux-ci, qui déclaraient agir pour le compte du Front populaire pour la libération de la Palestine, exigèrent le versement d'une rançon de trois millions de francs.
Le lendemain, Hassan fut contraint de téléphoner à son frère, sous-directeur de la banque, pour l'inviter à venir immédiatement. Celui-ci arriva un quart d'heure après et tomba lui aussi entre les mains des bandits. Des discussions s'engagèrent à propos de la somme exigée. Elles aboutirent à un accord portant sur un million cent mille francs. Le sous-directeur fut alors contraint de téléphoner à un fondé de pouvoir, Jean-Claude Rochat, pour lui ordonner de réunir ce montant et de l'apporter personnellement à la villa. Il précisa que le directeur, souffrant, ne pouvait se déplacer et qu'il s'agissait de conclure une transaction financière importante.
Rochat, à qui la demande avait paru suspecte, consulta un autre fondé de pouvoir, Wilhelm Scherrer, puis décida de se rendre à la villa, sans l'argent demandé, pour voir de quoi il s'agissait. Arrivé sur place, il tomba à son tour entre les mains des bandits. Sous la menace d'une arme, il téléphona à Scherrer que tout était en ordre et qu'il fallait venir avec l'argent le plus rapidement possible. Scherrer arriva vers midi. Il s'était fait conduire à la villa par un employé de la banque, qui était reparti aussitôt. Une domestique lui ayant ouvert la porte, il aperçut Rochat, assis sur un canapé, les yeux bandés. Mais avant qu'il ait eu le temps de reculer, un des agresseurs se glissa derrière lui, le poussa dans le salon et, après l'avoir tâté sommairement, le délesta de la serviette contenant l'argent (six cent septante mille francs suisses et cent mille dollars US). Les prisonniers furent ensuite rassemblés dans le salon et ligotés sur des chaises. Les agresseurs quittèrent la villa peu après. Les prisonniers purent se libérer, mais ce n'est qu'après 15 h, par crainte des représailles, qu'ils alertèrent la police. Ni
BGE 99 II 85 S. 88
les auteurs de l'agression, ni l'argent, ne furent retrouvés.
C.-
La Banque a déclaré le vol à l'Alpina le 29 décembre 1969, réclamant le paiement de la somme d'assurance de cinq cent mille francs prévue pour le cas de détroussement des agents de caisse. La société d'assurance a répondu, le 24 février 1970, par un refus de toute indemnisation. Selon elle, la banque n'aurait pas été victime d'un détroussement, mais d'une extorsion, d'ailleurs intervenue en dehors des locaux d'assurance; de plus, si un détroussement avait eu lieu, il n'aurait pas été commis pendant la course du fondé de pouvoir Scherrer, agent de caisse, mais au domicile du directeur de la Banque. Or ce risque ne serait pas assuré.
D.-
La Banque a ouvert action contre l'Alpina en paiement de cinq cents mille francs, avec intèrêts à 8% dès le 19 décembre 1969.
Par arrêt du 28 septembre 1971, le Tribunal de première instance de Genève a condamné la défenderesse à payer la somme réclamée, mais avec intérêts à 5% dès le 15 février 1970.
Il a admis que le fondé de pouvoir Scherrer avait été délesté de l'argent qu'il portait durant le transport des fonds et que, par conséquent, l'une des hypothèses visées dans la police d'assurance était réalisée.
Le 15 décembre 1972, la Cour de justice du canton de Genève, sur appel de la défenderesse, a confirmé pour l'essentiel ce jugement.
E.-
L'Alpina recourt en réforme. Elle conclut au rejet de l'action.
La Banque conclut au rejet du recours et à la confirmation de l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les parties admettent que le directeur de la banque a été attaqué et qu'il a agi, à son domicile privé, en tant qu'organe de l'assurée; que c'est donc bien cette dernière, partie au contrat d'assurance, qui a subi le dommage.
Elles reconnaissent toutes deux que la question de la qualification pénale de l'acte dont la banque, respectivement son organe, a été victime, ne joue pas de rôle. Il n'est dès lors pas nécessaire d'examiner si le détroussement, notion du droit des assurances, recouvre aussi bien le brigandage que l'extorsion
BGE 99 II 85 S. 89
et si le directeur de l'intimée a été victime de l'un ou l'autre de ces crimes.
Le dommage n'étant survenu ni à l'intérieur des locaux de la banque, ni à ses guichets, seul demeure litigieux le point de savoir si le sinistre, vu l'ensemble des circonstances, présente les caractères d'un détroussement d'agent de caisse.
2.
Au sens de l'art. 33 LCA, l'assureur répond de tous les événements qui présentent le caractère du risque contre les conséquences duquel l'assurance a été conclue, à moins que le contrat n'exclue certains événements d'une manière précise non équivoque.
La recourante reproche à la Cour cantonale d'avoir violé cette disposition en isolant l'agression perpétrée contre le fondé de pouvoir Scherrer de l'extorsion dont a été victime son directeur. Il ne s'agirait pas là d'un acte distinct, susceptible d'être défini comme le détroussement d'un agent de caisse pendant le transport de fonds. Ce serait bien plutôt l'extorsion - événement non couvert par la police - qui aurait été la cause du dommage, l'attaque du transporteur ne constituant qu'un acte d'exécution, la phase finale de l'ensemble de l'opération.
3.
Le contrat d'assurance conclu entre les parties prévoit la couverture du détroussement des agents de caisse, soit des employés de la banque pendant les courses qu'ils effectuent pour elle en Suisse et dans la Principauté du Liechtenstein; l'hypothèse envisagée dans ce cas est donc le risque spécifique d'un vol durant un transport de fonds.
Les conditions générales pour l'assurance des banques contre le vol, annexées à la police, considèrent comme détroussement le vol commis par actes ou menaces de violence contre une personne, ou perpétré à la faveur de l'incapacité de résister consécutive à un décès, un évanouissement, un accident ou un malaise soudain.
Il y a également détroussement lorsque l'agresseur commet les actes de violence après s'être emparé de la chose, ou bien lorsqu'après avoir commis ces actes, il ne s'empare pas luimême de la chose, mais se la fait remettre par celui qu'il a molesté (SUTER, Die allgemeinen Bedingungen der Einbruchdiebstahlversicherung, p. 43).
De ce point de vue, le fondé de pouvoir Scherrer a été victime d'un détroussement. En effet, il a été dépouillé, sous la menace
BGE 99 II 85 S. 90
d'armes, de l'argent qu'il avait été chargé par son directeur d'apporter au domicile privé de celui-ci. De plus, employé de la banque, il a été attaqué lors d'un transport d'argent.
On ne saurait suivre la société recourante lorsqu'elle prétend que le détroussement doit être replacé dans son contexte, le sinistre n'étant couvert que dans la mesure où le vol n'a pas un caractère spécifique, autrement dit lorsqu'il n'est pas l'élément d'exécution d'une autre infraction. En effet, le détroussement est considéré pour lui-même, dans la police, soit sans allusion aux motifs du transport d'argent. Les circonstances qui ont provoqué le sinistre n'ont pas été envisagées par les parties lors de la conclusion du contrat et celles-ci n'ont pas prévu qu'elles devaient jouer un rôle quant à la couverture du risque. Il n'y a donc pas de raison de faire une liaison entre le détroussement - effectivement réalisé - et les opérations qui ont précédé le vol ou qui sont à son origine, même si elles sont constitutives d'un délit. Dès le moment où le détroussement était nettement défini, il devait être considéré comme couvert, en application de l'art. 33 LCA, à moins que les circonstances dans lesquelles le sinistre s'est produit ne permettent de conclure à l'existence d'une cause d'exclusion clairement précisée. Toute autre solution conduirait à permettre, par l'interprétation des conditions générales d'une police d'assurance, d'ajouter aux cas d'exclusion prévus par les parties des cas nouveaux, qui n'avaient initialement pas été envisagés; cela serait contraire aux règles d'interprétation applicables aux contrats d'adhésion et plus particulièrement au principe dit de la confiance, duquel la jurisprudence a déduit qu'en matière de contrats conclus sur la base d'une formule préparée d'avance par l'un des contractants, les clauses peu claires doivent être interprétées contre la partie qui les a rédigées (RO 92 II 348 et les arrêts cités;
97 II 74
consid. 3).
4.
La recourante voudrait encore se libérer de son obligation en faisant valoir que l'assurée savait que le dommage allait survenir; bien plus, qu'elle l'a provoqué; que dès lors celui-ci ne présentait plus le caractère de hasard, ou de risque, en vue duquel l'assurance avait été conclue. Selon elle, le directeur de l'intimée n'ignorait pas - et ne pouvait ignorer - au moment où il a ordonné le transport des fonds, que, dans le cours normal des choses, le transporteur allait être détroussé.
L'analyse du texte légal suffit à démontrer l'inanité de cette
BGE 99 II 85 S. 91
argumentation. En effet, pour que l'assureur ne soit pas lié par le contrat, il faut que le preneur ou l'ayant droit ait causé le sinistre intentionnellement (art. 14 LCA), que l'on puisse lui reprocher une réticence (art. 6 LCA), ou que la date de survenance de l'événement assuré soit connue au moment de la conclusion du contrat. Or tel n'est pas le cas en l'espèce.
Le droit des assurances ne connaît plus le principe selon lequel la responsabilité de l'assureur n'est engagée que si l'événement contre les conséquences duquel l'assurance a été conclue se réalise d'une manière fortuite (cf. KÖNIG, Schweiz. Privatversicherungsrecht, 3e éd. p. 161 et 293). Il suffit, pour que l'obligation de payer subsiste, que lors de la conclusion du contrat, l'événement soit incertain quant au moment de sa survenance. Il en est ainsi des assurances-vie (dans la mesure en tout cas où il ne s'agit pas d'assurances de risque pur) où le décès inéluctable du preneur n'empêche pas la conclusion du contrat (KÖNIG, op.cit. p. 161). Or le détroussement du fondé de pouvoir Scherrer n'est devenu prévisible qu'après la conclusion du contrat.
Il n'est pas non plus possible de reprocher une réticence à la banque; au moment de la conclusion du contrat, elle n'a caché aucun élément d'appréciation important à la recourante.
Enfin, si le directeur de l'intimée a été, dans une certaine mesure, l'instrument du sinistre, on ne peut lui faire le grief de l'avoir causé intentionnellement. En effet, le contrat d'assurance couvrait, entre autres, le risque de détroussement, qui est caractérisé par les menaces exercées sur le preneur - ou son ayant droit - et par la crainte inspirée à celui-ci, dans l'intention de s'emparer d'une chose déterminée. Par définition, le contrat vise l'hypothèse où le preneur, dont la volonté subit une contrainte, devient l'instrument du sinistre et sait que le risque va se réaliser.
On relève d'ailleurs que dans certains cas, la responsabilité de l'assureur peut demeurer entière, alors même que le preneur a provoqué le sinistre, lorsque par exemple il a accompli un acte de dévouement (art. 15 LCA).
La recourante ne saurait davantage fonder son refus sur une faute du directeur de la banque. En effet, cela supposerait que celui-ci ait eu le pouvoir et le devoir d'empêcher le résultat dommageable de se produire. Or les circonstances dans lesquelles le sinistre s'est déroulé permettent de penser que l'organe
BGE 99 II 85 S. 92
de la banque n'a pas eu la faculté de s'opposer au transport des fonds. De toute manière, seule une faute grave du preneur autorise l'assureur à réduire sa prestation (art. 14 al. 2 et 4 LCA). Or le directeur de l'intimée n'a pas commis une telle faute.
5.
La recourante fait valoir subsidiairement que l'intimée n'était assurée que pour des transports d'un montant de cinq cents mille francs, alors que la somme transportée était de plus d'un million; on se trouverait de ce fait dans un cas de sousassurance, si bien que la réparation du dommage serait limitée à la proportion existant entre la somme assurée et la valeur de remplacement (art. 69 LCA).
Il s'agit là d'un moyen nouveau, partant irrecevable dans la procédure du recours en réforme (art. 55 al. 1 lit. c OJ).
6.
Enfin, la recourante prétend que des mesures de sécurité particulières auraient dû être prises par la banque lors du transport de l'argent.
En effet, le fondé de pouvoir Scherrer s'est fait accompagner en voiture par un employé de la banque. Il n'a pas pris d'autres précautions. Or les conditions générales d'assurance stipulent que lorsque les fonds transportés dépassent cinq cents mille francs, l'agent doit être accompagné d'une autre personne; audessus d'un million, des mesures de sécurité complémentaires doivent être prises. La recourante s'estime dès lors fondée à refuser ou à réduire ses prestations.
Contrairement à l'opinion de l'autorité cantonale, le fait que la somme assurée était limitée à cinq cents mille francs ne libérait pas le preneur de l'obligation de prendre des mesures de sécurité particulières lors de transport de fonds dépassant ce montant. En effet, le risque d'agression est, dans une large mesure, fonction de l'importance de la somme transportée. Il y a donc lieu de renvoyer la cause à la Cour cantonale pour qu'elle se prononce sur le point de savoir si des mesures complémentaires auraient dû être prises par le preneur d'assurance eu égard à la somme transportée et, le cas échéant, quelle aurait été leur incidence sur le déroulement des événements.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet partiellement le recours, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à la juridiction cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants;. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f17cc413-6168-4dea-af72-8bed79b76bf6 | Urteilskopf
109 II 389
82. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1983 i.S. M. gegen F. (Berufung) | Regeste
Lidlohn (
Art. 334 ZGB
).
1. Als Lidlohn darf im Maximum jener Betrag zugesprochen werden, der nach üblichen Lohnansätzen den Netto-Gegenwert der geleisteten Arbeit darstellt. Die vom Schweizerischen Bauernsekretariat in Brugg ermittelten Lidlohnansätze werden vom Bundesgericht grundsätzlich als angemessen betrachtet. Aus Billigkeitsgründen dürfen sie im konkreten Fall bis zu den üblichen Lohnansätzen erhöht werden (E. 3).
2. Lidlohnforderungen sind nach neuem Recht nicht mehr erbrechtlicher Natur. Sie können daher durch letztwillige Verfügung nicht wegbedungen werden (E. 4-6). | Sachverhalt
ab Seite 390
BGE 109 II 389 S. 390
A.-
Fritz M. und Margrit F. sind Nachkommen des im Jahre 1980 verstorbenen M. Dieser war Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes, welcher im Jahre 1979 mit dem toten und lebenden Inventar dem Sohn Fritz M. zum Ertragswert verkauft wurde. Sohn und Tochter verblieben nach ihrer Mündigkeit auf dem väterlichen Hof. Nach der Verehelichung der Tochter arbeitete auch ihr Ehemann seit 1960 auf dem Hof mit, wurde aber anfangs 1964 vom Erblasser weggewiesen. Margrit F. arbeitete selber während 18 Jahren im Landwirtschaftsbetrieb ihres Vaters mit.
Nach dem Verkauf seines Hofes an den Sohn bezahlte der Erblasser seiner Tochter einen Lidlohn von Fr. 17'800.--. Er anerkannte diesen Betrag auch noch in dem von Margrit F. gegen ihn persönlich eingeleiteten Sühneverfahren. In seiner letztwilligen Verfügung vom 18. April 1980 setzte M. die Tochter auf den Pflichtteil, sprach die verfügbare Quote dem Sohn zu
BGE 109 II 389 S. 391
und stellte im Zusammenhang mit der Regelung der Ausgleichspflicht fest, dass seine Tochter für ihre Lidlohnansprüche abgefunden sei.
B.-
Am 2. März 1981 reichte Margrit F. Klage beim Bezirksgericht ein. Sie verlangte die Bezahlung von Fr. 27'300.-- als Lidlohn nebst Zins zu 5% seit Klageeinreichung.
Das Bezirksgericht hiess die Klage am 25. November 1981 im Umfange von Fr. 13'500.-- nebst Zins zu 5% ab 3. März 1981 teilweise gut. Das Obergericht wies am 11. März 1983 eine dagegen gerichtete Appellation des Beklagten ab.
C.-
Der Beklagte erhebt beim Bundesgericht Berufung, mit der er die Aufhebung des Urteils des Obergerichts und die Abweisung der Klage verlangt.
Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach
Art. 334 Abs. 1 ZGB
können mündige Kinder oder Grosskinder, die ihren Eltern oder Grosseltern in gemeinsamem Haushalt ihre Arbeit oder ihre Einkünfte zugewendet haben, hiefür eine angemessene Entschädigung verlangen. Über die Höhe dieser Entschädigung entscheidet im Streitfall der Richter (
Art. 334 Abs. 2 ZGB
), der seinen Entscheid nach Recht und Billigkeit zu treffen hat (
Art. 4 ZGB
). Eine solche Billigkeitsentscheidung verlangt, dass alle wesentlichen Besonderheiten des konkreten Falles beachtet werden. Das Bundesgericht ist zwar in deren Überprüfung frei; es übt aber bei der Überprüfung solcher Ermessensentscheide grosse Zurückhaltung aus (
BGE 100 II 437
und
BGE 83 II 361
). Es schreitet nur ein, wenn grundlos von den in Lehre und Rechtsprechung ermittelten Bemessungsgrundsätzen abgegangen wird oder wenn Tatsachen berücksichtigt werden, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen oder wenn umgekehrt Umstände ausser Betracht geblieben sind, die gerade zwingend hätten beachtet werden müssen. Es greift ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen.
In
BGE 100 II 437
f. hat das Bundesgericht festgestellt, dass die vom Schweizerischen Bauernsekretariat in Brugg ermittelten Lidlohnansätze grundsätzlich als angemessen zu betrachten seien. Diese Ansätze dürften wohl je nach den Umständen des Einzelfalles
BGE 109 II 389 S. 392
reduziert, niemals aber erhöht werden. Immerhin hat das Bundesgericht diesen Grundsatz dann eingeschränkt, wenn sich ein Wille des Erblassers zu höheren Ansätzen ergebe oder ein solcher zu vermuten sei. Bereits in
BGE 71 II 78
ging das Bundesgericht über die Ansätze des Bauernsekretariates hinaus, weil eine Ausgleichung nur nach diesen Ansätzen in jenem konkreten Fall nicht als billig erschien, nachdem die Söhne eine die für sie errechneten Ziffern beinahe um das Doppelte übersteigende Vergütung erhalten hatten und behalten durften. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung steht daher trotz der - im konkreten Fall verständlichen, aber dennoch allzu absoluten - Formulierung in
BGE 100 II 437
aus Billigkeitsgründen einer Erhöhung der Ansätze des Bauernsekretariates nicht entgegen. Immer aber gilt, dass im Maximum jener Betrag als Lidlohn zugesprochen werden kann, der nach üblichen Lohnansätzen den Netto-Gegenwert der geleisteten Arbeit darstellt (
BGE 100 II 438
).
4.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin für die 18 Jahre ihrer Mitarbeit auf dem Bauernhof ihres Vaters Fr. 17'800.-- von diesem selbst erhalten hat. Der Erblasser hat in seinem Testament sodann festgehalten, dass der Lidlohnanspruch seiner Tochter abgegolten sei. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass dieser über den zu jener Zeit ausbezahlten Betrag hinaus keine weitere Forderung mehr zustehe. Die Vorinstanz hat jedoch zu Recht auf diese testamentarische Willensäusserung des Erblassers nicht abgestellt. Sie hat vielmehr erklärt, dass der Lidlohn als Erbschaftsschuld im Sinne des
Art. 603 Abs. 2 ZGB
weder ganz noch teilweise vom Erblasser durch letztwillige Verfügung unterdrückt werden könne. Es handle sich dabei um einen obligatorischen Anspruch, der dem Berechtigten von Gesetzes wegen zustehe, der somit unabhängig vom erblasserischen Willen nach dessen Tod wie irgend eine Drittforderung den Erben gegenüber geltend gemacht werden könne, und zwar gegebenenfalls bis zum Betrage des Nettonachlasses (
Art. 603 Abs. 2 ZGB
). Dem Lidlohnberechtigten müsse deshalb auch das Recht zustehen, entgegen einer ausdrücklichen letztwilligen Verfügung des Erblassers einen höheren Anspruch geltend zu machen, als ihm der Erblasser testamentarisch zugestehen wollte. Die Höhe der Entschädigung richte sich ausschliesslich nach den im Rahmen des richterlichen Ermessens im Einzelfall wesentlichen Bemessungsfaktoren und nicht nach dem Willen des Erblassers. Der Lidlohnanspruch könne deshalb entgegen dem Willen des Erblassers auch über die auf
BGE 109 II 389 S. 393
Durchschnittszahlen beruhenden Ansätze des Bauernsekretariates hinausgehen, wenn dies auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles als gerechtfertigt erscheine. Als Umstand, der eine Erhöhung dieser Ansätze rechtfertigen könne, falle insbesondere in Betracht, dass der Erblasser die vergleichbare Arbeit eines andern Hauskindes erheblich höher entschädigt habe, als es den Ansätzen des Bauernsekretariates entsprochen hätte (
BGE 71 II 78
). Das Obergericht hat diese Voraussetzung bejaht und erklärt, dass der Klägerin ein Anspruch zustehe, der sich proportional zu der dem Beklagten ausser dem bezahlten Lidlohn noch zusätzlich ausgerichteten Entschädigung für seine Mitarbeit auf dem väterlichen Hof berechne. Ihr Anspruch belaufe sich demnach auf insgesamt Fr. 38'147.--. Nach dem Vorbezug von Fr. 17'800.-- ständen ihr somit heute noch Fr. 20'347.-- zu. Da sie jedoch nicht appelliert habe, müsse es bei dem ihr vom Bezirksgericht zugesprochenen Betrag von Fr. 13'500.-- sein Bewenden haben.
5.
Der Beklagte bestreitet die von der Vorinstanz aufgestellten Grundsätze an sich nicht. Insbesondere schliesst er sich der Auffassung an, dass der Erblasser den Lidlohnanspruch nicht gänzlich wegbedingen könne. Indessen ist er der Ansicht, dass diese Einschränkung der Verfügungsfreiheit des Erblassers durch
Art. 334 und 603 Abs. 2 ZGB
nur soweit reichen könne, als der Zweck von
Art. 334 ZGB
nicht gefährdet werde. Zweck dieser Bestimmung sei es, mündigen Kindern, die ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt ihre Arbeit zugewendet hätten, gleichsam als Vorausgleichung, eine angemessene Entschädigung zu verschaffen. Das Obergericht verleihe nun aber den Lidlohnbestimmungen des ZGB eine viel weitreichendere Bedeutung als die soeben genannte. Es betrachte nicht nur diejenige Lidlohnentschädigung in jedem Fall als angemessen, welche (proportional) den anderen Kindern in irgend einer Form als Arbeitsentschädigung zugekommen sei, es wolle den so bemessenen Anspruch zudem auch dann gewähren, wenn der Erblasser ausdrücklich anders verfügt habe. Dies habe erstens nichts mehr mit der angemessenen "Vorausgleichung" für "hypothetische Ersparnis" gemäss Lidlohnrecht zu tun und könne zweitens ad absurdum führen, nämlich dann, wenn ein Vater seinem Kind für geleistete Arbeit einen beträchtlichen Vermögensteil schenke. Dann hätten, nach der Auslegung der Vorinstanz, alle übrigen Kinder, welche die sonstigen Voraussetzungen von
Art. 334 ZGB
erfüllen, den (proportional) gleichen Lidlohnanspruch. Die Auffassung des Obergerichts könne so dazu führen,
BGE 109 II 389 S. 394
dass das Lidlohnrecht das Ausgleichungsrecht gemäss
Art. 626 ff. ZGB
völlig verdränge.
6.
Diese Einwände des Beklagten vermögen nichts daran zu ändern, dass zumindest im Ergebnis der Vorinstanz darin zu folgen ist, dass der Klägerin noch ein zusätzlicher Anspruch auf Lidlohn im Betrage von Fr. 13'500.-- zusteht. Diese Lösung drängt sich im vorliegenden Fall angesichts der konkreten Umstände geradezu auf. Ein anderer Entscheid würde ganz offensichtlich den Grundsätzen von Recht und Billigkeit und der Gerechtigkeit in stossender Weise widersprechen. Es steht fest, dass die Klägerin für ihre 18jährige Mitarbeit und dafür, dass sie zudem während Jahren ihren Fabriklohn dem Vater abgegeben hat, von diesem nur gerade mit Fr. 3800.-- hätte abgefunden werden sollen. Erst die Berechnungen des Schweizerischen Bauernsekretariates und die Einleitung des Sühneverfahrens veranlassten den Erblasser, seiner Tochter dazu noch Fr. 14'000.-- auszuzahlen. Wie die Vorinstanz selbst ausgeführt hat, wäre damit grundsätzlich der Lidlohnanspruch abgegolten worden, wenn auf die Zahlen des Bauernsekretariates abgestellt würde. Indessen hat das Obergericht noch berücksichtigt, dass dem Sohn zwar beim Abschluss des Kaufvertrages nur Fr. 78'000.-- als Lidlohn angerechnet wurden, womit die Ansätze des Bauernsekretariates ebenfalls unterschritten wurden. Doch erhielt der Beklagte zu Lebzeiten des Erblassers von diesem als Entschädigung für seine Arbeitsleistungen weitere Zuwendungen, die sich nach den Berechnungen der Vorinstanz auf Fr. 124'300.-- beliefen (Barlohn Fr. 103'700.--, Zuwendungen für Kauf von Grundstücken Fr. 20'600.--). Wie in
BGE 71 II 79
vom Bundesgericht festgehalten wurde, darf zwar ein Hausvater mit einer Lohnentschädigung inter vivos über das hinausgehen, worauf aArt. 633 ZGB Anspruch gab. Gleiches gilt wohl auch unter neuem Recht. Eine solche "unangemessene", übersetzte Entschädigung für einzelne Hauskinder kann aus Billigkeitsgründen dem mit dem Streit befassten Richter daher auch nach heutigem Recht Anlass geben, die "angemessene Entschädigung", die nach Art. 334 Abs. 2 und 603 Abs. 2 ZGB allen lidlohnberechtigten Kindern zusteht, entsprechend zu erhöhen. Es geht dabei um einen familienrechtlichen Lohnanspruch analog zu
Art. 320 OR
und nicht um eine Art "Vorausgleichung", somit nicht um einen Erbanspruch, wie das der Beklagte unter Berufung auf aArt. 633 ZGB darzulegen versucht. Wenn die Vorinstanz diesen Lohnanspruch im Rahmen dessen, was der Erblasser seinem Sohn als Arbeitsentschädigung
BGE 109 II 389 S. 395
zukommen liess, proportional auch der Tochter zuerkannt hat, so liegt das im Ermessensbereich des Sachrichters, der nicht überschritten wurde. Dass dieser sich über den Willen des Erblassers hinweggesetzt hat, verstösst nicht gegen Art. 334 Abs. 2 und 603 Abs. 2 ZGB. Wie der Beklagte selbst anerkannt hat, ist der Erblasser nicht befugt, verbindlich die Angemessenheit der Lidlohnansprüche zu bestimmmen und damit deren Überprüfung zum Nachteil einzelner Kinder auszuschliessen.
Ob die Berechnungsweise der Vorinstanz theoretisch dazu führen könnte, das Ausgleichungsrecht der
Art. 626 ff. ZGB
zu verdrängen, kann offen bleiben. Lidlohnforderungen sind nach neuem Recht nicht mehr erbrechtlicher Natur (vgl. NEUKOMM/CZETTLER, Das bäuerliche Erbrecht, 5. Aufl., S. 177/78). Sie berühren als obligatorische Forderungen das Erbrecht nur insofern, als der Umfang der Zahlungspflicht gemildert und die Haftung der Erben im Maximum auf den Nettonachlass begrenzt ist (
Art. 603 Abs. 2 ZGB
) und als der Zeitpunkt der Fälligkeit hinausgeschoben werden kann (
BGE 100 II 438
,
Art. 334bis ZGB
). Die Ausgleichungspflicht im Sinne der
Art. 626 ff. ZGB
für Lidlohnentschädigungen, die den Rahmen der Angemessenheit zum Vorteil des Begünstigten und zum Nachteil anderer Erben sprengen, wird dadurch nicht berührt. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f17cd59a-8527-4d36-b0ee-3bf229d098e7 | Urteilskopf
82 II 544
72. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1956 i.S. Corinphila-Liga und Luder gegen Heinrich Köhler. | Regeste
Art. 1 Abs. 1,
Art. 8 UWG
,
Art. 50 OR
.
a) Wer mit dem Verletzten nicht im Wettbewerb steht, ist jedenfalls dann, wenn er fremden Wettbewerb in den Teilnahmeformen des
Art. 50 OR
fördert, dem UWG gleichwohl unterworfen (Erw. 1).
b) Eine nach objektiven Merkmalen im Rahmen des Wettbewerbes stehende Handlung fällt auch dann unter das UWG, wenn dem Täter die Beeinflussung des Wettbewerbes nebenbei oder ausschliesslich Mittel zur Erreichung eines anderen Zweckes ist (Erw. 2).
c) Verstösst es gegen Treu und Glauben, einen Mitbewerber zu einem erpressungsähnlichen Zwecke öffentlich blosszustellen? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 544
BGE 82 II 544 S. 544
Aus dem Tatbestand:
Emilie Brauer beauftragte die Firma Heinrich Köhler, die in Wiesbaden mit Briefmarken handelt, eine seltene Moldau-Briefmarke zu versteigern. Die Marke wurde zusammen mit anderen in den Katalog der Versteigerung
BGE 82 II 544 S. 545
aufgenommen, die vom 7. bis 9. Dezember 1950 in Wiesbaden stattfand. Die Versteigerungsbedingungen wiesen darauf hin, dass die Veräusserung in fremdem Namen erfolge und der Versteigerer berechtigt sei, den Bieter darauf zu verweisen, Reklamationen direkt gegen den Einlieferer geltend zu machen. Die Marke der Frau Brauer wurde von Kligler, Briefmarkenhändler in Solingen, ersteigert, der von der mit Briefmarken Handel treibenden Kommanditgesellschaft E. Luder & Co. in Zürich beauftragt war. Der Vertrag wurde indes am 12. Dezember 1950 in beidseitigem Einverständnis aufgehoben. Am 15. Dezember 1950 kaufte Kligler die Marke zum Preise von DM 8330 aber doch noch, übernahm sie und bezahlte sie der Firma Heinrich Köhler. Im Bestätigungsschreiben wies diese Firma erneut darauf hin, dass sie nur Treuhänder zwischen Einlieferer und Käufer sei. Dem Käufer wurde das Recht vorbehalten, die Marke durch einen Spezialisten auf Echtheit prüfen zu lassen. Da das Ergebnis dieser Prüfung binnen der in den Versteigerungsbedingungen vorgesehenen Rügefrist nicht eintraf und eine Anfrage bei Kligler ergab, dass sein Auftraggeber verreist war, lieferte die Firma Heinrich Köhler den Kaufpreis der Marke an Frau Brauer ab. In der Folge behauptete Kligler unter Berufung auf verschiedene Prüfungsergebnisse, die Marke sei gefälscht, und klagte gegen die Firma Heinrich Köhler auf Rückerstattung des Kaufpreises. Die Beklagte, ohne die Prüfungsergebnisse anzuerkennen, berief sich darauf, dass sie als direkte Stellvertreterin der Frau Brauer gehandelt habe. Das Landgericht Wiesbaden und auf Appellation Kliglers am 7. März 1952 auch das Oberlandesgericht Frankfurt schützten diesen Standpunkt und wiesen die Klage ab, ohne die Frage der Echtheit der Marke zu prüfen.
Schon zu Beginn des Prozesses hatte die Firma E. Luder & Co. der Firma Heinrich Köhler gedroht, die Angelegenheit in den philatelistischen Kreisen und in der Presse zu veröffentlichen, wenn ihr der Preis der Marke nicht zurückerstattet
BGE 82 II 544 S. 546
werde. Nach Beendigung des Prozesses unterzeichnete und verbreitete Eduard Luder, der unbeschränkt haftende Gesellschafter der Firma E. Luder & Co. und Präsident der mit Briefmarken handelnden Genossenschaft Corinphila, im Namen des dieser Genossenschaft angeschlossenen und ebenfalls von Luder präsidierten Vereins Corinphila-Liga im Jahre 1953 zwei Rundschreiben und einen Fragebogen "an alle Briefmarken-Experten, Händler-Organisationen, Sammler-Vereine und Philatelisten". In diesen Schriften prangerte er die Firma Heinrich Köhler wegen ihres Verhaltens in der Angelegenheit an, mit dem Zwecke, sie zur Rückzahlung des Preises der Marke zu bewegen. Wegen dieser Schmähungen reichte die Firma Heinrich Köhler gegen die Corinphila-Liga und Eduard Luder Zivilklage aus unlauterem Wettbewerb ein. Die Klage wurde vom Bezirksgericht Zürich und vom Obergericht des Kantons Zürich mit der Begründung geschützt, die beanstandeten Schriften enthielten zahlreiche unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen. Die Berufung der Beklagten wurde vom Bundesgericht abgewiesen, unter anderem mit der
Erwägungen
Begründung:
1.
Art. 1 Abs. 1 UWG
umschreibt den unlauteren Wettbewerb als Missbrauch des wirtschaftlichen Wettbewerbs durch täuschende oder andere Mittel, die gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstossen. Das Gesetz ist somit nur anzuwenden, wenn die Handlung, aus der Ansprüche abgeleitet werden, im Rahmen des wirtschaftlichen Wettbewerbes steht.
Die Beklagten sind der Meinung, dieser Wettbewerb müsse zwischen dem Verletzten und der handelnden Person selbst bestehen, dem Gesetze unterstehe also nicht, wer nur fremden Wettbewerb beeinflusse. Dem ist jedenfalls insoweit nicht beizupflichten, als jedermann den unlauteren Wettbewerb eines andern in den Teilnahmeformen des
Art. 50 OR
, insbesondere als Miturheber oder Gehülfe,
BGE 82 II 544 S. 547
fördern kann, ohne selber im Wettbewerb mit dem Verletzten zu stehen. Das ergibt sich aus
Art. 8 UWG
, wonach, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes vorsieht, die Bestimmungen des Obligationenrechts anwendbar sind. Es kommt also nichts darauf an, ob die Corinphila-Liga mit Briefmarken handelt, somit selber zur Klägerin in einem Verhältnis wirtschaftlichen Wettbewerbes steht. Sie konnte als Miturheberin oder Gehilfin den wirtschaftlichen Wettbewerb Luders und der Kommanditgesellschaft E. Luder & Co. fördern. Dass diese Gesellschaft und damit auch ihr unbeschränkt haftender Gesellschafter Luder zur Klägerin in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, ist klar, treiben sie doch Handel mit Briefmarken, dem auch die Klägerin sich widmet. Ein Wettbewerbsverhältnis besteht ferner zwischen der Klägerin und der von Luder geleiteten Genossenschaft Corinphila, die ebenfalls mit Briefmarken handelt. Auch ist die Tat, wie Miturheberschaft und Gehilfenschaft im Sinne des
Art. 50 OR
voraussetzen (
BGE 55 II 314
f.), gemeinsam, d.h. in bewusstem Zusammenwirken mit dem Haupturheber, begangen worden; denn was Luder zur Förderung des Wettbewerbes der Kommanditgesellschaft E. Luder & Co. und damit des eigenen Wettbewerbes und was er zur Begünstigung des Briefmarkenhandels der Genossenschaft Corinphila beschloss, hat er notwendigerweise auch in seiner Eigenschaft als Präsident der Corinphila-Liga, in deren Namen er die Schmähschriften verfasste, unterzeichnete und verbreitete, gewollt. Daher stellt sich die Frage nicht, ob und unter welchen Voraussetzungen die Corinphila-Liga aus unlauterem Wettbewerb auch belangt werden könnte, wenn sie ihre Tat nicht im Einvernehmen mit dem Beklagten Luder, der Firma E. Luder & Co. und der Corinphila-Genossenschaft begangen hätte.
2.
Die Beklagten machen geltend, sie unterständen dem Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb nicht, weil sie nicht auf die Beeinflussung des Wettbewerbes ausgegangen seien, sondern lediglich eine die Briefmarkensammler
BGE 82 II 544 S. 548
allgemein interessierende Frage hätten aufwerfen und die Versteigerungsbedingungen der Klägerin und die sie schützenden Urteile der deutschen Gerichte hätten beanstanden wollen, wozu der weitere Zweck gekommen sei, die Klägerin zur Rückzahlung des Kaufpreises für die Moldau-Marke zu veranlassen.
Der Beweggrund der Wahrung allgemein philatelistischer Interessen wird jedoch vom Bezirksgericht, dessen tatsächliche Feststellungen das Obergericht übernommen hat, als vorgeschoben bezeichnet, womit für das Bundesgericht verbindlich festgestellt ist, dass er nicht bestanden hat. Schon deshalb kann auf die bezügliche Behauptung der Beklagten nichts ankommen.
Die Absicht sodann, die Klägerin zur Rückzahlung des Kaufpreises zu bewegen, schliesst die Anwendung der Bestimmungen über unlauteren Wettbewerb nicht aus. Gegen Treu und Glauben verstossende Handlungen, die sich eignen, den wirtschaftlichen Wettbewerb zu beeinflussen, fallen auch dann unter das Gesetz, wenn der Täter in ihnen ein Mittel sieht, dem Verletzten eine Leistung abzunötigen.
Art. 1 UWG
verlangt nicht eine bestimmte Absicht. Insbesondere sagt er nicht, dass er nur gelte, wenn sich der Zweck der Tat in der Beeinflussung des Wettbewerbes erschöpft, nicht auch, wenn der Täter in dieser Beeinflussung ein Mittel zur Erreichung eines anderen Zieles sieht oder sonstwie neben ihr noch andere Zwecke verfolgt. Das Bundesgericht hat denn auch schon entschieden, dass die Verfolgung wirtschafts- und sozialpolitischer Ziele den Täter nicht berechtigt, im Wettbewerb die durch das Gesetz gezogenen Schranken zu überschreiten; wirtschaftspolitische Kritik, in den Rahmen des Wettbewerbes gestellt, erscheine als ein Mittel, das geeignet, wenn nicht sogar bestimmt sei, den einen Bewerber zum Nachteil des andern zu begünstigen (
BGE 79 II 411
f.). Wenn die Beklagten geltend machen, sie hätten ihre Handlungen nicht "in den Rahmen des Wettbewerbes gestellt", wie dieser Entscheid verlange, so verkennen sie, dass sich nach
BGE 82 II 544 S. 549
objektiven Merkmalen, nicht nach dem verfolgten Endzweck, beurteilt, ob die Handlung in diesem Rahmen steht. Das aber trifft hier ohne weiteres zu, da die Beklagten in ihren Schmähschriften das Geschäftsgebaren der Klägerin beanstanden, und zwar bei Personen und Organisationen, auf welche die Klägerin im wirtschaftlichen Wettbewerbe, an dem sie als Konkurrentin des Beklagten Luder, der Firma E. Luder & Co. und der Genossenschaft Corinphila teilnimmt, angewiesen ist.
3.
Der Beklagte Luder hat schon dadurch gegen Treu und Glauben verstossen, dass er seine Stellung als Präsident der Corinphila-Liga ausgenützt hat, um in deren Namen Geschäftsverhältnisse und Geschäftsgebaren der Klägerin öffentlich zu beanstanden mit dem Zwecke, die Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin so zu schwächen oder zu gefährden, dass sie trotz ihres Obsiegens vor dem Oberlandesgericht Frankfurt den Preis der Moldau-Marke zurückerstatte. Desgleichen widersprach es Treu und Glauben, dass die Corinphila-Liga zu dieser Machenschaft Hilfe leistete. Nach den Geboten der guten Sitten und des Rechts hätte die Firma E. Luder & Co. selber oder durch den in ihrem Auftrag und auf ihre Rechnung auftretenden Kligler die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ergreifen oder gegen Frau Brauer klagen sollen, wenn sie sich mit der Abweisung der Klage gegen die Firma Heinrich Köhler durch das Oberlandesgericht nicht zufrieden geben wollte. Es war missbräuchlich, das Wettbewerbsverhältnis, in welchem E. Luder & Co., ihr unbeschränkt haftender Gesellschafter und die Genossenschaft Corinphila einerseits und die Klägerin anderseits stehen, durch öffentliche Blossstellung der letzteren dem erpressungsähnlichen Ziele dienstbar zu machen. Diese Art der Selbsthilfe erfüllt als Rechtsmissbrauch allgemein den Tatbestand des unlauteren Wettbewerbes, unbekümmert darum, ob die Schmähschriften auch durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen noch speziell gegen Treu und Glauben verstossen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1885335-3c1d-4079-a3f0-6455ac7c36cd | Urteilskopf
120 III 153
52. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 27 octobre 1994 dans la cause P. (recours LP) | Regeste
Verteilung; Bezahlung der Grundstückgewinnsteuer als Masseschuld (
Art. 262 Abs. 1 SchKG
).
Sofern nicht schon die Steuerbehörde darüber entschieden hat, ob eine Steuer als Masseschuld zu bezeichnen sei, ist die Konkursverwaltung befugt, über diese Frage mit der Schlussrechnung zu befinden (E. 2a).
Wie andere Masseschulden muss die Grundstückgewinnsteuer, die wegen des bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks erzielten Mehrerlöses geschuldet wird, vor der Verteilung des Erlöses vollständig bezahlt werden (E. 2b).
Die Masseschulden müssen weder im Kollokationsplan noch im Lastenverzeichnis aufgeführt werden, sondern sind in die Schlussrechnung aufzunehmen (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 154
BGE 120 III 153 S. 154
A.-
Prononcée le 3 décembre 1992, la faillite de la Société immobilière X. a été suspendue, faute d'actifs, le 14 du même mois. Le 5 janvier 1993, l'Administration cantonale vaudoise des impôts a exigé, conformément à l'art. 134 ORI (RS 281.42), que la liquidation de la faillite soit poursuivie concernant un immeuble grevé de droits de gage en sa faveur. Dans le cadre de cette procédure, l'état des charges a été déposé le 23 juin et publié les 22/23 juin 1993. Les conditions de vente, consultables dès le 30 août suivant, ont été envoyées à cette date aux créanciers hypothécaires, dont P. L'art. 23 desdites conditions était ainsi libellé:
"L'administration de la faillite paiera l'impôt sur le bénéfice en capital au titre des dettes de la masse, par prélèvement sur le produit de réalisation, sous réserve qu'aucune contestation ne soit formulée soit par la masse en faillite, soit par les créanciers hypothécaires quant au principe même de la qualité de dettes de la masse revendiquée par l'ACI pour ces impôts...".
Par lettre du 1er septembre 1993, l'Administration cantonale des impôts a fait savoir à l'Office des faillites de Lausanne que, dans l'hypothèse
BGE 120 III 153 S. 155
d'une vente au prix de 3'500'000 fr., les impôts "bénéfice en capital" à prendre en considération comme dettes de la masse s'élèveraient au total (Confédération, canton et commune) de 455'185 fr. L'office a transmis une copie de cette lettre à P., en lui rappelant que le montant de l'impôt en question serait payé par "dettes de la masse par prélèvement sur le produit de vente des immeubles, conformément aux conditions de vente, chiffre 23".
L'adjudication des immeubles est intervenue le 30 septembre 1993, pour le prix de 4'005'000 fr., en faveur de la banque Y., créancière hypothécaire également.
B.-
Le 11 octobre 1993, l'Administration cantonale des impôts a notifié à l'office deux bordereaux d'impôt sur le bénéfice en capital, représentant un montant total de 584'250 fr. 95. P., à qui une copie de ces bordereaux fut transmise, a informé l'office qu'elle renonçait à recourir contre la décision de taxation, mais se réservait le droit de déposer plainte lors de la distribution des deniers.
Dans le compte des frais et tableau de distribution des deniers, publié par l'office le 7 février 1994, l'impôt sur le bénéfice en capital, soit 584'250 fr. 95, a été mis à la charge des créanciers hypothécaires. Par la voie d'une plainte, P. a demandé que ce montant soit radié du compte des frais et porté, dans le tableau de distribution, en diminution des dettes de la masse, respectivement en augmentation de sa propre attribution.
Déboutée par l'autorité cantonale inférieure de surveillance, la plaignante a vainement recouru à la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois.
C.-
Contre l'arrêt de cette dernière, P. a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral, en reprenant les mêmes conclusions. La Chambre des poursuites et des faillites a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) L'office a considéré que l'impôt sur le bénéfice en capital était une dette de la masse. Expressément avisée, par les conditions de vente portées à sa connaissance, de son droit de contester le principe même de la qualité de dette de la masse, la recourante n'a pas réagi en temps utile - savoir avant la distribution des deniers ou, plus précisément, avant le dépôt du tableau de distribution (Dominique RIGOT, Le recouvrement forcé des créances de droit public selon le droit de poursuite pour dettes et la faillite, thèse Lausanne 1991, p. 328 n. 319) -, en saisissant l'autorité
BGE 120 III 153 S. 156
compétente pour statuer sur le fond de la prétention en cause, c'est-à-dire en l'occurrence l'autorité fiscale (GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 300 ch. III A et les arrêts cités). Contrairement à ce qu'elle prétend, elle avait qualité pour agir (cf. RIGOT, op.cit., p. 328 ss n. 319 et 320).
A défaut d'une décision au fond passée en force et contraignante pour l'administration de la faillite, déniant à l'impôt en question sa qualité de dette de la masse, l'office était fondé à faire état, dans le compte final, de cette qualité clairement affirmée dans les conditions de vente, ce d'autant que les créanciers hypothécaires, à la lecture de celles-ci, avaient été formellement avertis que, faute de contestation de leur part, l'impôt serait payé au titre des dettes de la masse, par prélèvement sur le produit de la réalisation (RIGOT, loc.cit., n. 320).
b) La Chambre de céans ne peut elle-même trancher la question de la nature de la dette en jeu, son examen se restreignant aux éventuels litiges portant sur l'interprétation des décisions au fond rendues par les autorités compétentes (
ATF 96 I 244
consid. 1 p. 246). Il appert cependant que le point de vue de l'office et des autorités cantonales de surveillance, quant au sort de la dette en cause, est conforme à la jurisprudence et à la doctrine. En effet, outre les frais de faillite proprement dits au sens de l'
art. 262 al. 1 LP
, les dettes de la masse comprennent notamment les obligations de droit public dont l'origine se trouve dans un fait réalisé après l'ouverture de la faillite (
ATF 111 Ia 86
consid. 2c p. 89 et les références; GILLIÉRON, op.cit., p. 300 ch. III B). Tel est le cas, par exemple, de l'impôt sur les gains immobiliers ou sur le bénéfice en capital, lié à la réalisation d'une plus-value lors de la vente aux enchères d'un immeuble, l'adjudication étant le fait générateur engendrant la créance fiscale (WALTER RYSER, Dix leçons introductives au droit fiscal, impôts directs, 2e éd., Berne 1980, p. 26 n. 13; JEAN-MARC RIVIER, Droit fiscal suisse, Neuchâtel 1980, p. 348 et les références; RIGOT, op.cit., p. 314 s. n. 303 et 304, p. 322 n. 311). Or les dettes de la masse, à l'instar des frais occasionnés par l'ouverture de la faillite et la liquidation (
art. 262 al. 1 LP
), sont payées intégralement sur le produit brut de la vente des biens, avant la répartition aux créanciers, c'est-à-dire avant la distribution des deniers (
ATF 96 I 244
consid. 2 p. 246; GILLIÉRON, op.cit., p. 300 ch. III A).
C'est dès lors à bon droit que l'autorité cantonale de surveillance a confirmé la décision de l'autorité inférieure et, partant, celle de
BGE 120 III 153 S. 157
l'office de mentionner l'impôt litigieux, dans le compte des frais et tableau de distribution des deniers, sous la rubrique "dettes de la masse - à charge des créanciers hypothécaires".
c) La recourante se prévaut de ce que l'office, par la décision précitée, aurait en fait modifié illicitement l'état des charges de l'immeuble en cause. Les dettes de la masse n'ayant pas à figurer dans l'état de collocation ou dans l'état des charges qui en fait partie, mais dans le compte final (
ATF 106 III 118
consid. 3 p. 123; RIGOT, op.cit., p. 328 n. 320 et les références), le grief est manifestement dénué de toute consistance. | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f18c9c87-5352-43fd-87a2-6b55297cce52 | Urteilskopf
142 II 9
2. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause X., Paris contre Administration fédérale des contributions (recours en matière de droit public)
2C_642/2014 du 22 novembre 2015 | Regeste
Art. 24 Abs. 3 VStG
; Abkommen vom 9. September 1966 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht (DBA CH-FR); Verrechnungssteuer auf Wertschriftenerträgen aus indexgestützten Differenzgeschäften; Anspruch auf Rückerstattung.
Das Vorliegen einer Steuerumgehung ist im Zusammenhang mit der Verrechnungssteuer nur zu prüfen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen, die zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer berechtigen, überhaupt erfüllt sind (E. 4).
Bestätigung der Praxis, wonach der Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Fall eines ausländischen Unternehmens, das eine inländische Betriebsstätte unterhält, davon abhängt, dass die Einkünfte dem Betriebsvermögen angehören (E. 5).
Falls der angefochtene Entscheid die Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Sinne von
Art. 24 Abs. 3 VStG
betrifft, ist eine neue rechtliche Begründung der Beschwerde, welche die Rückerstattung der Verrechnungssteuer nach dem DBA CH-FR zum Gegenstand hat, vor dem Bundesgericht unzulässig, weil sie auf einem gänzlich anderen Tatsachenzusammenhang beruht (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 142 II 9 S. 10
A.
X., Paris (ci-après: la Société) possède une succursale à Zurich, inscrite au registre du commerce du canton de Zurich depuis octobre 1999 (ci-après: la Succursale ou la Succursale de Zurich). Elle a pour but tous types d'opérations bancaires ou toute affaire en relation avec des opérations bancaires et/ou des participations.
En 2008 et 2009, la Société, agissant par l'intermédiaire de la Succursale de Zurich, a demandé à l'Administration fédérale des contributions le remboursement à titre provisoire de l'impôt anticipé pour les années 2008 et 2009. A la suite de ses demandes, la Société a reçu trois acomptes de 4'000'000 fr. à titre d'impôt anticipé à récupérer pour l'année 2008 et deux acomptes de 4'000'000 fr. pour l'année 2009.
Les 8 janvier 2009, 25 février 2009 et 3 février 2010, la Société a demandé à l'Administration fédérale des contributions le remboursement définitif de l'impôt anticipé perçu sur les rendements échus en 2008 et 2009. Les demandes portaient sur des montants de 33'502'652 fr. 40 et de 3'595 fr. 57 pour 2008, et sur un montant de 31'298'025 fr. 39 pour 2009.
BGE 142 II 9 S. 11
L'Administration fédérale des contributions n'a que très partiellement fait droit aux demandes de remboursement de l'impôt anticipé formées par la Société, admettant de rembourser 399'402 fr. 50 pour 2008 et 768'110 fr. 70 pour 2009.
B.
Le 1
er
avril 2011, l'Administration fédérale des contributions a rendu une décision formelle, dans laquelle elle a réclamé à la Succursale de Zurich le paiement de 18'832'486 fr. 80 à verser dans les trente jours, auquel s'ajoutait un intérêt de 5 %. Statuant sur réclamation, l'Administration fédérale a confirmé cette décision le 7 novembre 2012.
A l'encontre de la décision sur réclamation, la Société a interjeté recours auprès du Tribunal administratif fédéral qui, par arrêt du 3 juin 2014, a rejeté celui-ci. Les juges ont estimé que le remboursement n'était pas possible pour deux motifs. D'une part, ils ont considéré que les titres en cause ne pouvaient pas être attribués à l'établissement stable en Suisse, de sorte que l'une des conditions du droit au remboursement fondé sur l'art. 24 al. 3 de la loi fédérale du 13 octobre 1965 sur l'impôt anticipé (LIA; RS 642.21) faisait défaut. D'autre part, sous l'angle de l'évasion fiscale, un tel remboursement était également exclu.
C.
La Société forme un recours en matière de droit public à l'encontre de l'arrêt du 3 juin 2014. Elle conclut principalement à l'annulation de l'arrêt attaqué et, reprenant les conclusions chiffrées formulées devant le Tribunal administratif fédéral, conclut au remboursement de l'impôt anticipé pour les années 2008 et 2009.
Le Tribunal fédéral rejette le recours de la Société dans la mesure où il est recevable.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Le litige porte sur le bien-fondé des prétentions de la recourante en remboursement de l'impôt anticipé prélevé sur des revenus de titres détenus dans le cadre d'activités d'arbitrage sur indice (pour une description de ces activités, cf. consid. 3.2 non publié). Le Tribunal administratif fédéral les a refusées parce que, d'une part, les conditions du droit au remboursement prévues à l'
art. 24 al. 3 LIA
n'étaient pas réunies et que, d'autre part, il y avait évasion fiscale (
art. 21 al. 2 LIA
). La recourante invoque une violation de ces deux dispositions.
BGE 142 II 9 S. 12
L'application de l'
art. 24 al. 3 LIA
par le Tribunal administratif fédéral doit être vérifiée en premier lieu. En effet, l'existence d'une évasion fiscale en lien avec l'impôt anticipé (cf.
art. 21 al. 2 LIA
) ne doit être envisagée que si les conditions justifiant le remboursement en vertu de la loi sont réunies (cf. MAJA BAUER BALMELLI, in Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer [VStG], 2
e
éd. 2012, n° 35 in fine ad art. 21 VStG).
5.
En lien avec l'
art. 24 al. 3 LIA
, la recourante reproche au Tribunal administratif fédéral de lui avoir refusé le bénéfice de cette disposition au motif que les titres en cause ne faisaient pas partie de la fortune d'exploitation de la Succursale de Zurich. Elle conteste en substance l'application à sa situation de la jurisprudence sur laquelle le Tribunal administratif fédéral s'est fondé; elle soutient que les titres en cause ne doivent pas être considérés comme des "participations", mais, selon leur comptabilisation, comme des actifs faisant partie du stock commercial de la succursale de Zurich. Partant, en application des règles applicables à la répartition intercantonale et internationale du capital des entreprises, elle estime que ces titres appartiennent à sa fortune d'exploitation.
5.1
L'article 24 LIA énumère les catégories de personnes morales et d'entreprises commerciales ayant droit au remboursement si elles remplissent les conditions générales figurant à l'
art. 21 LIA
. Il prévoit, à son alinéa 3, que les entreprises étrangères qui sont tenues de payer des impôts cantonaux ou communaux sur leurs revenus provenant d'un établissement stable en Suisse ou sur la fortune d'exploitation de cet établissement, ont droit au remboursement de l'impôt anticipé déduit du revenu de cette fortune.
5.2
Dans une jurisprudence rendue en 2008, le Tribunal fédéral s'est interrogé sur la portée de l'
art. 24 al. 3 LIA
(arrêt 2C_333/2007 du 22 février 2008, in RDAF 2009 II p. 162 et in RF 63/2008 p. 475). Le Tribunal administratif fédéral a fondé sa décision sur les principes posés dans cet arrêt.
5.2.1
La recourante soutient que cette jurisprudence ne lui est pas opposable, car l'état de fait sur lequel elle repose est différent. L'arrêt 2C_333/2007 concernait la détention par une succursale suisse d'une société étrangère de l'entier du capital-actions d'une société anonyme, alors que la succursale de Zurich détenait moins d'un pour cent du capital de diverses sociétés du SMI; de plus, les actions suisses détenues ne pouvaient être considérées comme de
BGE 142 II 9 S. 13
véritables "participations" au sens du droit fiscal (impôts directs, TVA, droit de timbre de négociation), mais, tel que cela ressort du reste de leur comptabilisation effective, comme des actifs faisant partie du stock commercial de la succursale de Zurich.
Dans la cause 2C_333/2007, le Tribunal fédéral a précisé la portée de l'
art. 24 al. 3 LIA
et défini les conditions d'application de cette disposition de manière générale. Dès lors que la demande de remboursement litigieux se fonde sur cette même disposition, on ne voit pas que les principes jurisprudentiels posés en lien avec l'
art. 24 al. 3 LIA
ne seraient pas applicables au motif que le cas d'espèce diffère de celui qui est à son origine. Quant à la définition fiscale ou comptable de la "participation", elle peut avoir une incidence sur l'imposition des titres détenus par la recourante et/ou des rendements s'agissant des lois fiscales citées par celle-ci. En revanche, il est difficile de saisir, et la recourante ne l'explique pas non plus, en quoi cette qualification aurait justifié que le Tribunal administratif fédéral ne tienne pas compte de l'arrêt 2C_333/2007. En outre, la façon dont la recourante a comptabilisé les titres en cause dans les actifs faisant partie du stock commercial de la succursale de Zurich ne saurait jouer un rôle déterminant si celle-ci ne correspond pas à la réalité économique (cf. infra consid. 5.3.1).
5.2.2
Il ressort de l'arrêt 2C_333/2007 que pour avoir droit au remboursement de l'impôt anticipé en vertu de l'
art. 24 al. 3 LIA
, l'entreprise doit a) être étrangère, b) disposer d'un établissement stable en Suisse, c) être tenue de payer des impôts cantonaux et communaux d) sur les revenus provenant de cet établissement stable ou sur la fortune d'exploitation de cet établissement et enfin e) demander le remboursement de l'impôt anticipé prélevé sur le rendement de cette fortune ("von den Einkünften aus diesem Betriebsvermögen abgezogenen Verrechnungssteuer") (arrêt 2C_333/2007 du 22 février 2008 consid. 6.1, in RDAF 2009 II p. 171). A la suite d'une analyse détaillée, la Cour de céans a considéré que l'appartenance du rendement à la fortune d'exploitation constituait une condition supplémentaire et distincte qui limitait le droit au remboursement de l'impôt anticipé d'une entreprise étrangère fondé sur l'établissement suisse (arrêt 2C_333/2007 précité, consid. 6.2, 7.1-7.3).
5.2.3
Certains auteurs ont critiqué l'approche consistant à faire de l'appartenance à la fortune d'exploitation une condition distincte de l'assujettissement aux impôts cantonaux et communaux, sans véritable motivation (ADRIANO MARANTELLI, Rückerstattung der
BGE 142 II 9 S. 14
Verrechnungssteuer bei einer inländischen Betriebsstätte mit ausländischem Stammhaus: das verrechnungssteuerliche "Betriebsstätten-Sandwich", in Entwicklungen im Steuerrecht 2009, 2009, p. 291 ss, 303). Ils relèvent en substance que la fonction de garantie qu'exerce l'impôt anticipé dans les relations internes devrait aussi valoir s'agissant de l'
art. 24 al. 3 LIA
et que l'approche de la jurisprudence risque d'engendrer des situations de double charge, si une succursale en Suisse, assujettie aux impôts cantonaux et communaux, se voit refuser le remboursement de l'impôt anticipé au motif que les rendements en cause n'appartiennent pas à la fortune d'exploitation de l'entité en Suisse (cf. GRÜNINGER/OESTERHELT, Steuerrechtliche Entwicklungen [insbesondere im Jahr 2008], RSDA 2009 p. 51 ss, 63; BEHNISCH/ OPEL, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2008, RJB 145/2009 p. 572 s.; MARANTELLI, op. cit., p. 303 ss).
Ces critiques perdent de vue que la fonction de garantie de l'impôt anticipé s'applique seulement aux personnes qui ont leur domicile ou leur siège en Suisse et qui déclarent correctement les rendements qui en sont frappés (arrêt 2C_939/2011 du 7 août 2012 consid. 8), mais que, pour les bénéficiaires de prestations imposables qui ne sont pas domiciliés en Suisse selon le droit interne suisse, l'impôt anticipé est en principe une charge définitive dans les relations internationales. Ce n'est ainsi qu'à certaines conditions précises que l'impôt anticipé peut être remboursé à une entreprise étrangère, soit en cas de rattachement économique (établissement stable en Suisse) (cf. OBERSON/FALTIN, Impôt anticipé, Fiche juridique suisse 1236 p. 4) ou en vertu d'une convention de double imposition (FILIPPO LURÀ, L'impôt anticipé, 2015, p. 317 s.). L'
art. 24 al. 3 LIA
apparaît ainsi comme une exception permettant à des sociétés étrangères d'éviter la charge définitive que constitue en principe cet impôt pour elles; on ne peut dans ce contexte parler de fonction de garantie similaire à celle existant pour les sociétés établies en Suisse.
Quant au risque de double imposition aussi objecté par la doctrine, il y a lieu de relever que l'Administration fédérale chargée de gérer l'impôt anticipé ne saurait être liée par l'appréciation des autorités fiscales cantonales dans le domaine de l'impôt cantonal et communal sur la fortune et le revenu (cf. PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, vol. I, 2001, Vorbem. n° 97); du reste, il est seulement exigé que l'établissement stable soit assujetti aux impôts cantonaux ou communaux, peu importe que celui-ci bénéficie d'un traitement privilégié sous forme d'allégement, voire d'une exonération (BERNHARD
BGE 142 II 9 S. 15
ZWAHLEN, in Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer, 2
e
éd. 2012, n° 51 ad art. 24 VStG; PFUND/ZWAHLEN, Verrechnungssteuer, vol. II, 1985, n° 6.10 art. 24). Le risque de double charge fiscale doit donc être relativisé. Des situations de "double imposition" peuvent d'ailleurs se produire en lien avec l'impôt anticipé pour un contribuable domicilié en Suisse; si celui-ci s'abstient de déclarer en temps utile le rendement frappé de l'impôt anticipé, il devra alors supporter la double charge de l'impôt anticipé et des impôts directs. Le Tribunal fédéral a récemment souligné que cette conséquence, même si elle peut s'avérer lourde, ne viole aucune norme de droit fédéral (arrêt 2C_620/2012 du 14 février 2013 consid. 3.7, in RDAF 2013 II p. 197, 206 confirmant un arrêt du 25 janvier 1952, in ASA 21 p. 447 ss, spéc. 450).
Dans ces circonstances, il n'apparaît pas que les critiques de la doctrine mettent en évidence des motifs pertinents qui justifieraient de revenir sur l'arrêt 2C_333/2007 en tant qu'il exige, comme condition indépendante, l'appartenance du rendement pour lequel le remboursement est demandé à la fortune d'exploitation de l'établissement stable en Suisse (cf. sur les conditions d'un changement de jurisprudence,
ATF 136 III 6
consid. 3 p. 8;
ATF 133 V 37
consid. 5.3.3 p. 39).
5.3
En l'espèce, la recourante est une entreprise dont le siège principal est en France et qui dispose d'une succursale à Zurich. Selon l'arrêt attaqué, cette dernière est assujettie à l'imposition en Suisse, dans le canton de Zurich; il convient de préciser que le fait qu'elle bénéficie d'une réduction d'impôt (le Tribunal administratif fédéral évoque une réduction de 100 % en ce qui concerne l'impôt sur le bénéfice), n'est pas pertinent sous l'angle de l'
art. 24 al. 3 LIA
(cf. supra consid. 5.2.3). Le remboursement a par ailleurs été demandé, par l'entremise de la succursale de Zurich, dans les formes prescrites. Seule reste problématique l'appartenance des titres en cause à la fortune d'exploitation de la succursale de Zurich, que l'arrêt attaqué n'a pas admise.
5.3.1
Selon l'arrêt 2C_333/2007, la notion de fortune d'exploitation de l'
art. 24 al. 3 LIA
est une notion à contenu économique, de sorte que les autorités fiscales peuvent se laisser guider par des considérations économiques et rechercher si la participation en cause sert directement et exclusivement l'activité de l'établissement stable, constituant ainsi une part du capital d'exploitation et un actif nécessaire à l'exploitation de l'établissement ou si l'activité de l'établissement
BGE 142 II 9 S. 16
stable a contribué pour une part essentielle à l'acquisition des bénéfices de la société dont la participation est en cause. Cet examen a pour but d'éviter qu'une entreprise étrangère ne transfère une participation dans les comptes de sa succursale suisse que pour des motifs fiscaux, notamment le remboursement de l'impôt anticipé, et non pas pour des motifs commerciaux (arrêt 2C_333/2007 du 22 février 2008 consid. 7.5, in RDAF 2009 II p. 162, 174 et les références doctrinales citées).
Selon la pratique de l'Administration fédérale, décrite et confirmée dans l'arrêt précité (cf. consid. 6.2 et 7.3), une participation est rattachée à l'établissement stable en Suisse si elle sert directement et exclusivement l'activité de l'établissement stable, constituant ainsi une part du capital d'exploitation et un actif nécessaire à l'exploitation de l'établissement ("upstream") ou si l'activité de l'établissement stable a contribué pour une part essentielle à l'acquisition des revenus de participation ("downstream"). Tel n'est pas le cas si la participation est détenue dans l'intérêt de l'ensemble de l'entreprise étrangère ou profite à l'ensemble de cette dernière. L'attribution d'une participation à la fortune d'exploitation de l'établissement stable d'une société étrangère doit répondre à des critères objectifs et ne peut dépendre du libre arbitre de l'entreprise étrangère. La doctrine récente reprend cette conception (cf. ZWAHLEN, op. cit., n° 55 s. ad art. 24 VStG).
5.3.2
Il ressort des faits constatés dans l'arrêt attaqué, qui lient le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
; cf. consid. 3.1 non publié), que les titres litigieux ont pour la plupart été acquis sur le marché par la recourante au nom de son siège et ont ensuite été transférés à sa succursale dans le cadre d'opérations "back to back". Par ce procédé, le siège "vendait" les actions à sa succursale et achetait les futures émis par cette dernière. Ces transferts étaient de plus financés par le siège au moyen de prêts à court terme, dans la mesure où les opérations d'arbitrage obligent à acquérir un grand volume de titres (cf. consid. 3.2 non publié). Le bilan de la succursale au 31 décembre 2008 s'élevait à 942 millions de francs alors que cet établissement détenait des titres pour une valeur de plusieurs milliards entre février et mai de la même année. La recourante avait elle-même expliqué que la succursale suisse n'avait pas l'envergure nécessaire pour procéder aux opérations en question et que les cocontractants exigeaient de traiter avec le siège, ce qui était habituel dans ce genre d'opérations. Enfin, la plupart des opérations liées à la vente ou à
BGE 142 II 9 S. 17
l'achat des titres étaient effectuées depuis le siège, un seul trader se trouvait à Zurich qui était détaché du siège et non engagé par la succursale. Le Tribunal administratif fédéral relève que la recourante avait souligné que les activités dites "post-trade", comprenant par exemple le travail de vérification et de rapprochement pour les opérations de livraison des actions et des mouvements en cash, étaient aussi sous-traitées au siège de Paris sur la base d'un contrat de service, dans un but de maîtrise des coûts et de concentration des connaissances et expertises.
Sur la base de ces faits, on ne voit pas que l'on puisse reprocher au Tribunal administratif fédéral d'avoir violé l'
art. 24 al. 3 LIA
en estimant que les rendements pour lesquels le remboursement était demandé ne faisaient pas partie de la fortune d'exploitation de la succursale.
5.4
La recourante ne formule aucun grief propre à modifier cette conclusion. Comme déjà indiqué, on ne voit pas que la qualification des titres litigieux sous l'angle d'autres lois fiscales justifie l'inapplication de la jurisprudence 2C_333/2007; l'affirmation de la recourante selon laquelle lesdits titres appartiendraient à la fortune commerciale de la Succursale conformément à leur comptabilisation ne saurait être déterminante si cela ne correspond pas à la réalité économique (cf. supra consid. 5.3.1). Il n'y a, au demeurant, pas lieu d'entrer plus avant sur l'interprétation de l'
art. 24 al. 3 LIA
selon les règles applicables à la répartition intercantonale et internationale du capital des entreprises prônée par la recourante, car le raisonnement suivi dans le recours part de la prémisse erronée qu'il est justifié d'un point de vue économique de considérer que les titres en cause appartiennent à la fortune d'exploitation de la Succursale. Or, il a été vu que les constatations de l'arrêt attaqué ne permettent pas de tirer cette conclusion et la recourante affirme l'inverse en se fondant sur sa propre appréciation des preuves. Le fait que les opérations d'arbitrage sur indice soient en principe organisées de la sorte, avec la mise à contribution de succursales situées dans différents pays n'est pas un élément propre à modifier cette conclusion. Enfin, la recourante s'égare lorsqu'elle invoque une inégalité de traitement contraire aux
art. 8 et 127 al. 2 Cst.
entre les succursales de sociétés étrangères et les sociétés de capitaux suisses sous l'angle de l'impôt anticipé. En effet, il a déjà été souligné que, pour les sociétés de capitaux étrangères, l'impôt anticipé constitue une charge fiscale définitive. Elles ne peuvent en obtenir le remboursement qu'en
BGE 142 II 9 S. 18
vertu d'une convention internationale ou de l'
art. 24 al. 3 LIA
, par le biais d'un établissement stable en Suisse. Cette situation n'est pas identique à celles des sociétés de capitaux dont le siège est en Suisse et pour lesquelles l'impôt anticipé a en premier lieu une fonction de garantie (cf. supra consid. 5.2.3).
5.5
En conclusion, on ne voit pas que l'arrêt attaqué viole l'
art. 24 al. 3 LIA
.
6.
Dès lors que c'est à juste titre que les autorités précédentes ont considéré que la recourante n'avait pas droit au remboursement de l'impôt anticipé en application de l'
art. 24 al. 3 LIA
, il n'y a pas lieu d'examiner la problématique sous l'angle, subsidiaire, de l'
art. 21 al. 2 LIA
(évasion fiscale). Il ne se justifie pas non plus d'analyser en détail les caractéristiques des opérations effectuées pour déterminer si, en fonction de celles-ci, la succursale était ou non le bénéficiaire effectif des dividendes. Du reste, le Tribunal administratif fédéral n'a pas abordé la problématique sous cet angle.
7.
A titre alternatif et dans une argumentation nouvelle, la recourante soutient que, en considérant que l'essentiel des montants engagés dans l'activité d'arbitrage sur futures proviennent du siège, le Tribunal administratif fédéral reconnaît indirectement que c'est l'établissement principal de la recourante à Paris (et non la succursale de Zurich) qui aurait dû faire valoir les demandes de remboursement de l'impôt anticipé sur la base de l'art. 11 ch. 2 let. a de la Convention du 9 septembre 1966 entre la Suisse et la France en vue d'éliminer les doubles impositions en matière d'impôts sur le revenu et sur la fortune et de prévenir la fraude et l'évasion fiscales (CDI CH-FR; RS 0.672.934.91). Partant, la recourante invoque, comme
ultima ratio
, de pouvoir bénéficier de cette disposition et récupérer l'impôt anticipé sur la base du taux conventionnel de 20 % à la place du taux de 35 % applicable aux entreprises suisses.
7.1
Devant le Tribunal fédéral, il est admissible de présenter une argumentation juridique nouvelle, pour autant que celle-ci repose sur les constatations de fait de l'arrêt attaqué (
ATF 138 II 217
consid. 2.4 p. 220 s.; arrêt 2C_941/2012 du 9 novembre 2013 consid. 1.8.3, in ASA 82 p. 375). Par exemple, on peut, si le litige porte sur des prétentions en paiement de nature contractuelle, remettre en cause pour la première fois devant le Tribunal fédéral la qualification juridique du contrat retenue (cf. arrêt 4A_71/2011 du 2 mai 2011 consid. 2.2). En revanche, il n'est pas possible d'étendre l'objet du litige devant le Tribunal fédéral (cf.
ATF 136 V 362
consid. 3.4.4 et 4 p. 365 s.).
BGE 142 II 9 S. 19
7.2
En l'occurrence, le litige porte sur le droit de la recourante d'obtenir le remboursement de l'impôt anticipé. Avant son recours devant le Tribunal fédéral, la recourante s'était fondée exclusivement sur l'
art. 24 al. 3 LIA
. A présent, elle demande à titre alternatif que l'on admette son droit au remboursement en application de l'art. 11 ch. 2 let. a CDI CH-FR.
L'art. 11 ch. 1 de la Convention prévoit que les dividendes provenant d'un Etat contractant et payés à un résident d'un autre Etat contractant sont imposables dans cet autre Etat. Selon l'art. 11 ch. 2 let. a CDI CH-FR, "les dividendes visés au par. 1 sont aussi imposables dans l'Etat contractant d'où ils proviennent, et selon la législation de cet Etat, mais si le bénéficiaire effectif des dividendes est un résident de l'autre Etat contractant, l'impôt ainsi établi ne peut excéder 15 % du montant brut des dividendes". Il en découle que la demande de remboursement de l'impôt anticipé, selon qu'elle se fonde sur l'
art. 24 al. 3 LIA
ou sur la CDI CH-FR, repose sur un contexte complètement différent. Elle implique pour la première, l'existence d'un établissement stable en Suisse tenu de payer des impôts cantonaux ou communaux et le remboursement ne porte que sur des rendements en lien direct avec celui-ci, alors que, sous l'angle de la Convention internationale, la société étrangère peut réclamer le remboursement partiel en lien avec des dividendes qui sont imposables en France et qui ont été frappés de l'impôt anticipé en Suisse. Les demandes en remboursement de l'impôt anticipé ont donc un contenu matériel différent, selon qu'elles se fondent sur l'
art. 24 al. 3 LIA
ou sur l'art. 11 al. 2 CDI CH-FR. Les formulaires officiels prévus à cet effet ne sont du reste pas les mêmes et la recourante n'a fait usage que du formulaire 25, en lien avec l'
art. 24 al. 3 LIA
.
En résumé, le remboursement de l'impôt anticipé selon 24 al. 3 LIA n'a pas le même objet qu'un remboursement de l'impôt anticipé fondé sur l'art. 11 ch. 2 CDI CH-FR et est soumis à des conditions différentes. On ne saurait ainsi considérer qu'il s'agit d'une même prétention issue du même contexte de fait dont seul le fondement juridique différerait. Par conséquent, en formulant pour la première fois devant le Tribunal fédéral une demande de remboursement de l'impôt anticipé sur la base de l'art. 11 ch. 2 let. a CDI CH-FR, la recourante élargit l'objet du litige, ce qui n'est pas admissible. Son argumentation n'est donc pas recevable.
7.3
Si la recourante estime avoir droit à un remboursement partiel sur la base de la CDI CH-FR, il lui appartient de s'adresser dans les
BGE 142 II 9 S. 20
formes requises aux autorités compétentes et d'obtenir une décision à ce sujet contre laquelle elle pourra, le cas échéant, recourir. Il convient de rappeler que, comme il l'a été indiqué dans l'arrêt 2C_333/2007 consid. 3 et 8.2, il n'appartient pas à l'Administration fédérale d'examiner cette question d'office. (...) | public_law | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f191bd40-cf85-4f04-a8a5-a7d6925ebec1 | Urteilskopf
83 IV 32
7. Urteil des Kassationshofes vom 22. März 1957 i.S. Leibundgut gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art.25Abs. 1 MFG.
Vorsichtspflicht des Führers, der ein abgestelltes oder parkiertes Motorfahrzeug wieder in den Verkehr einschalten will. | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 83 IV 32 S. 32
A.-
Max Leibundgut fuhr am Vormittag des 18. Oktober 1956 mit einem linksgesteuerten Personenwagen durch die Baselstrasse in Luzern stadteinwärts. In der Nähe der Post stellte er den Wagen auf dem als Parkplatz bestimmten rechten Trottoir längs der Strasse ab. Als er später wieder in die Strasse einschwenkte, um die Fahrt in der ursprünglichen Richtung fortzusetzen, näherte sich ihm von hinten ein von Frieda Zwald geführter "Chevrolet". Dieser streifte den schräg in die Strasse hineinragenden Wagen Leibundguts an dessen vorderm linken Kotflügel, geriet wegen übermässig abgenützter Pneus auf dem nassen Asphaltbelag ins Schleudern und prallte gegen ein weiter vorn parkiertes Auto. An den drei Fahrzeugen entstand Sachschaden.
B.-
Frau Zwald erklärte Annahme der vom Statthalteramt Luzern-Stadt wegen Fahrens mit ungenügenden Pneus beantragten Busse von Fr. 30.-, wogegen Leibundgut gerichtliche Beurteilung verlangte.
Am 8. Februar 1957 verurteilte ihn das Amtsgericht Luzern-Stadt wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (
Art. 237 Ziff. 2 StGB
) zu einer bedingt löschbaren
BGE 83 IV 32 S. 33
Busse von Fr. 40.-. Es warf ihm vor, er habe den herannahenden Wagen der Frau Zwald zu spät wahrgenommen und es daher an der erforderlichen Aufmerksamkeit fehlen lassen.
C.-
Leibundgut beantragt mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Amtsgericht zurückzuweisen. Er bestreitet jedes Verschulden und schreibt den Zusammenstoss ausschliesslich den von Frau Zwald begangenen Fehlern zu.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Wer ein am Strassenrand angehaltenes oder parkiertes Motorfahrzeug wieder in den Verkehr einschalten will, darf es erst tun, wenn er sich gewissenhaft überzeugt hat, dass die Strasse dazu frei ist. Art. 25 Abs. 1 MFG verlangt, dass er auf den fliessenden Verkehr auf der Fahrbahn Rücksicht nehme und die zweckentsprechenden Vorsichtsmassnahmen treffe, damit herannahende Fahrzeuge nicht behindert oder gefährdet werden. Der Fahrzeugführer genügt dieser Pflicht nicht immer dadurch, dass er vor dem Anfahren einen Blick nach hinten wirft und den Richtungsanzeiger stellt. Er muss in Rechnung stellen, dass namentlich auf Strassen, die grosse Geschwindigkeiten zulassen oder eine grosse Verkehrsdichte aufweisen, die Verkehrssituation sehr rasch ändern kann. Das bedingt, dass dort, wo es die örtlichen Verhältnisse erfordern, und immer dann, wenn die Ausfahrt aus der Parkstellung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, das rückwärts liegende Strassenstück nicht bloss unmittelbar vor dem Anfahren, sondern auch während des Ausbiegens in die Fahrbahn mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt beobachtet wird. Wo die Sicht vom Führersitz des abgestellten Fahrzeugs nach hinten ungenügend ist, obliegt dem Führer ausserdem die Pflicht, sich mit grösster Vorsicht in die Fahrbahn hineinzutasten, bis er durch den Rückblickspiegel
BGE 83 IV 32 S. 34
oder das allenfalls geöffnete Seitenfenster sich vergewissern kann, ob er auf sie hinausfahren darf.
Umsomehr sind diese Sorgfaltspflichten zu beachten, wenn ein neben der Strasse, auf dem Trottoir oder einem angrenzenden Platz parkiertes Motorfahrzeug in den Verkehr eingeschaltet werden soll. Wie der Kassationshof wiederholt festgestellt hat, ist es in erster Linie Sache desjenigen, der in die Strasse hinausfahren will, die zu seinem Schutz notwendige Vorsicht walten zu lassen, sich vor allem gehörig umzusehen; der auf der Strasse Fahrende muss sich darauf verlassen können (
BGE 64 I 353
,
BGE 80 IV 132
, Urteil des Kassationshofes vom 23.9.1955 i.S. Kyburz).
2.
Das Amtsgericht stellt fest, dass durch das linke Seitenfenster des parkierten Wagens die Strasse nach hinten auf 120 m frei überblickt werden konnte und dass infolgedessen der herannahende "Chevrolet", selbst wenn dessen Geschwindigkeit auf 80 km/Std geschätzt werde, 5 Sekunden vor dessen Eintreffen auf der Kollisionsstelle sichtbar war. Diese Feststellung bindet den Kassationshof des Bundesgerichts (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
). Daraus erhellt, dass der Beschwerdeführer den "Chevrolet" rechtzeitig hätte wahrnehmen müssen, wenn er sich unmittelbar vor dem Verlassen des Trottoirs durch einen Blick nach hinten gewissenhaft überzeugt hätte, ob die Strasse frei sei. Da er dies nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz nicht tat, hat er es an der pflichtgemässen Aufmerksamkeit fehlen lassen. Daran ändert die Behauptung nichts, dass er mit gestelltem Richtungsanzeiger und langsam in die Strasse gefahren sei und dass er sofort gebremst habe, als er den "Chevrolet" (zu spät) wahrnahm.
Ob auch Frau Zwald ein Verschulden am Unfall trifft, ist unerheblich. Wäre diese Frage zu bejahen, so würde damit die Pflichtwidrigkeit des Beschwerdeführers nicht beseitigt und dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht aufgehoben; im Strafpunkt gibt es keine Schuldkompensation. Insbesondere vermag die Berufung auf die angeblich übersetzte Geschwindigkeit des "Chevrolet" den
BGE 83 IV 32 S. 35
Beschwerdeführer nicht zu entlasten. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Führer eines Motorfahrzeuges diejenige Geschwindigkeit in Rechnung stellen, die ein anderes tatsächlich hat, nicht diejenige, die dieses haben sollte. Ebensowenig hilft dem Beschwerdeführer, dass die Reifen des "Chevrolet" abgenützt waren. Er durfte sich nicht darauf verlassen, ein herannahendes Fahrzeug werde noch rechtzeitig bremsen oder ausweichen können, sondern er war im Gegenteil verpflichtet, keine gefährliche Lage zu schaffen, die ein anderes Fahrzeug zum Bremsen zwang, wenn es einen Zusammenstoss verhindern wollte.
3.
Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge war die Unaufmerksamkeit des Beschwerdeführers geeignet, einen Zusammenstoss herbeizuführen, wie umgekehrt pflichtgemässes Verhalten ihn verhütet hätte. Die Unvorsichtigkeit des Beschwerdeführers ist daher auch rechtserhebliche Ursache der Störung des öffentlichen Verkehrs.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f192e12f-a65e-4380-87e2-9ac91730748d | Urteilskopf
105 Ia 205
41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1979 i.S. M. gegen Anklagekammer des Obergerichtes des Kantons Bern | Regeste
Hafterstreckung; rechtliches Gehör.
Art. 4 BV
,
Art. 5 EMRK
.
Aus
Art. 4 BV
ergibt sich kein Rechtsanspruch des Untersuchungsgefangenen auf Anhörung vor jeder Hafterstreckung. Hingegen muss ihm - auch nach
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
- eine Beschwerdemöglichkeit gegen die Haftverlängerung eingeräumt werden. Das Recht, ein Haftentlassungsgesuch stellen zu können, kann dieser Beschwerdemöglichkeit gleichgestellt werden. | Sachverhalt
ab Seite 205
BGE 105 Ia 205 S. 205
Gegen M. wird im Kanton Bern wegen einer Reihe von Delikten Strafuntersuchung geführt. Da das Verfahren nicht in der in Art. 123 Abs. 4 des bernischen Gesetzes über das Strafverfahren (StrV) vorgesehenen Frist abgeschlossen werden konnte, verlängerte die Anklagekammer des Obergerichtes des Kantons Bern am 24. Juli 1979 die Frist zur Aburteilung von M.
BGE 105 Ia 205 S. 206
bis zum Oktober 1979; sie verfügte gleichzeitig, dass M., der seine Strafe vorzeitig angetreten hatte, im vorzeitigen Strafvollzug zu belassen sei. M. beklagt sich mit staatsrechtlicher Beschwerde darüber, dass er im Verfahren vor der Anklagekammer nicht angehört worden sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Anklagekammer habe die unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden Verfahrensregeln verletzt, die den Umfang des rechtlichen Gehörs bestimmen, indem sie den Beschwerdeführer vor Erlass ihres Entscheides nicht angehört habe. Das Bundesgericht hat indessen nie erklärt, aus
Art. 4 BV
ergebe sich ein Rechtsanspruch des Untersuchungs- oder Sicherheitsgefangenen, vor jeder Hafterstreckung angehört zu werden. Aus der Natur der Sache folgt, dass die Anordnung oder die Erstreckung von Untersuchungshaft in der Regel keinen Aufschub erträgt. Den Anforderungen des rechtlichen Gehörs wird daher hinlänglich entsprochen, wenn sich der Betroffene gegen die Erstreckungsverfügung bei einer richterlichen, mit voller Kognition ausgestatteten Instanz beschweren und die für eine Haftentlassung sprechenden Argumente vorbringen kann.
Art. 123 Abs. 4 StrV gibt dem Angeschuldigten ausdrücklich das Recht, ein Gesuch um Haftentlassung zu stellen. In diesem vom Angeschuldigten selbst einzuleitenden Haftprüfungsverfahren hat er Gelegenheit, sämtliche Argumente, die für eine Haftentlassung sprechen, schriftlich vorzubringen. Das rechtliche Gehör wird somit gewahrt. Daran ändert nichts, wenn die Anklagekammer, wie im vorliegenden Fall, die Verlängerung der Aburteilungsfrist bzw. die Haftverlängerung bereits beschlossen hat. Die Anklagekammer ist verpflichtet, auf ein Haftentlassungsgesuch hin neu zu entscheiden, und zwar unter Berücksichtigung der vom Angeschuldigten vorgetragenen Argumente.
3.
Das geschilderte Verfahren entspricht nicht nur den Anforderungen von
Art. 4 BV
, sondern auch denjenigen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Rechte des verhafteten Angeschuldigten sind in
Art. 5 EMRK
speziell geregelt, so dass sich der Verhaftete nicht auf die Anrufung
BGE 105 Ia 205 S. 207
des allgemeinen Grundsatzes der Waffengleichheit zu beschränken braucht. Der Grundsatz der Waffengleichheit will übrigens einzig sicherstellen, dass der Angeschuldigte in jedem Verfahrensstadium in angemessener Weise Gelegenheit erhält, seinen Standpunkt vorzutragen, sagt aber nichts darüber aus, in welcher Form und welchem Zeitpunkt dies geschehen soll; über diese Fragen entscheidet vielmehr allein das massgebende Prozessrecht. In Betracht zu ziehen ist im vorliegenden Fall dagegen
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
, wonach jeder Angeschuldigte berechtigt ist, die Überprüfung der Rechtmässigkeit seiner Festnahme durch ein Gericht zu verlangen. Das Bundesgericht hat unlängst in diesem Zusammenhang entschieden, dass dem Verhafteten, der bei seiner Festnahme vorschriftsgemäss dem Richter vorgeführt worden ist, zwar auch bei Haftverlängerungen eine Beschwerdemöglichkeit eingeräumt werden muss, dass ihm aber auf Grund der EMRK kein Anspruch auf eine erneute Vorführung zusteht, um seine Beschwerdegründe mündlich vortragen zu können (
BGE 105 Ia 41
ff.). Ist den Anforderungen der EMRK aber damit Genüge getan, dass der Verhaftete die gegen die Fortdauer des Freiheitsentzuges sprechenden Gründe einem Gericht in geeigneter Form zur Kenntnis bringen kann, so ist nicht ersichtlich, weshalb das im Strafprozessrecht des Kantons Bern vorgesehene Verfahren, das die Einreichung eines ausdrücklichen Haftentlassungsgesuches voraussetzt, rechtswidrig wäre. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f19659ca-7011-4814-8e93-911831a70877 | Urteilskopf
91 I 11
4. Urteil vom 20. Januar 1965 i.S. X. gegen Bank Y. und Obergericht des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 59 BV
.
Gerichtsstandsklausel.
Der Verzicht auf die Garantie des
Art. 59 BV
darf nicht leicht angenommen werden; es bedarf dazu einer ausdrücklichen, von andern Vertragsbestimmungen abgehobenen Erklärung, deren Inhalt unmissverständlich ist und den Willen, einen andern Gerichtsstand zu begründen, klar und deutlich zum Ausdruck bringt.
Anwendung dieses Grundsatzes auf eine schwer verständliche, in englischer Sprache abgefasste Gerichtsstandsklausel in einem in der Schweiz abgeschlossenen Vertrag zwischen einer schweizerischen Firma und einer in der Schweiz wohnhaften, geschäftlich nicht erfahrenen und rechtsunkundigen Person. | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 91 I 11 S. 11
A.-
Der Beschwerdeführer X. ist Musiker von Beruf und wohnt in Genf. Am 8. November 1961 schloss er mitder BankY., die ihren Sitz in Zürich und in Genf eine Zweigniederlassung hat, einen als "Margin Account Agreement" bezeichneten Vertrag. Das von der Bank in englischer Sprache abgefasste, maschinengeschriebene und mit Matrize vervielfältigte Vertragsformular besteht aus einer einzigen Seite und enthält einen in
BGE 91 I 11 S. 12
sechs numerierte Absätze gegliederten Text. Der letzte Absatz steht unmittelbar vor den Unterschriften und lautet:
"6. For the present contract Swiss law ist applicable. Venue is Zürich, Switzerland".
Auf Grund dieses Vertrages führte die Bank eine Reihe von Börsengeschäften für X. aus. Im Dezember 1963 reichte sie beim Bezirksgericht Zürich eine Klage ein, mit der sie X. auf Bezahlung von Fr. 47'539.75 nebst Zins und Kosten belangte. X. bestritt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts. Dieses wies die Einrede mit Beschluss vom 27. August 1964 ab, da der Beklagte mit Ziff. 6 des Vertrages vom 8. November 1961 auf den Wohnsitzgerichtsstand gültig verzichtet und Zürich als Gerichtsstand vereinbart habe.
X. rekurrierte hiegegen an das Obergericht des Kantons Zürich, wurde aber durch Entscheid vom 19. Oktober 1964 abgewiesen, im wesentlichen mit folgender Begründung: Die streitige Gerichtsstandsklausel stehe an gut sichtbarer Stelle des Vertrages und sei vom übrigen Text deutlich getrennt, so dass sie in dieser Beziehung den Anforderungen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung genüge und angenommen werden könne, der Verzicht auf den ordentlichen Richter sei bewusst erfolgt. Der Einwand, der Wortlaut der Klausel sei missverständlich und der Beklagte habe infolge mangelhafter Kenntnisse der englischen Sprache nicht gewusst, dass "venue" Gerichtsstand bedeute, sei unbehelflich, da derjenige, der einen fremdsprachigen Vertragstext unterschreibe, sich um dessen Verständnis zu bemühen habe, nötigenfalls unter Beiziehung eines Wörterbuchs oder eines sprachkundigen Dritten. Es verstosse offensichtlich gegen Treu und Glauben, wenn der Beklagte, der einen Vertrag von so erheblicher Bedeutung und Tragweite abgeschlossen habe, sich jetzt, wo er aus dem Vertrag belangt werde, auf Unkenntnis der englischen Sprache berufe. Die Berufung des Beklagten auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 52 I 269
und ZR 1932 Nr. 153) gehe fehl, da in jenen Fällen die Gerichtsstandsklausel sich vom übrigen Vertragstext nicht genügend abgehoben habe. In ZR 1953 Nr. 100 sei die Klausel "Rechtsdomizil für beide Parteien ist Zürich" mangels Eindeutigkeit des Begriffs Rechtsdomizil als ungenügende Gerichtsstandsklausel betrachtet worden. Demgegenüber bedeute der vorliegend verwendete Ausdruck "venue" in der anglo-amerikanischen
BGE 91 I 11 S. 13
Rechtssprache den Ort, wo eine Gerichtsverhandlung stattfindet und damit klar und eindeutig den Gerichtsstand, wie sich ohne weiteres aus den einschlägigen Wörterbüchern (die näher genannt werden) ergebe.
B.-
Gegen diesen Rekursentscheid des Obergerichts hat X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 59 BV
erhoben. Er beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben, die streitige Gerichtsstandsklausel als ungültig und demzufolge die zürcherischen Gerichte als zur Anhandnahme der Klage unzuständig zu erklären. Die Begründung der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
C.-
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die beschwerdebeklagte Bank beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht ausschliesslich eine Verletzung des
Art. 59 BV
geltend. Diese Garantie kann gegen jede richterliche Handlung, die sich als Ausübung der Gerichtsbarkeit darstellt, angerufen werden (
BGE 87 I 129
mit Verweisungen), ohne vorherige Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges (
Art. 86 Abs. 2 OG
). Die vorliegende, im Anschluss an das Urteil des Obergerichts eingereichte Beschwerde ist daher ohne Rücksicht auf die allfällige Möglichkeit einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde gemäss § 344 zürch. ZPO zulässig; sie hätte schon gegen die Vorladung zur Sühneverhandlung erhoben werden können. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten, und zwar auch insoweit, als der Beschwerdeführer damit, über die Aufhebung des angefochtenen Entscheids hinaus, beantragt, die streitige Gerichtsstandsklausel als unzulässig und demzufolge die zürcherischen Gerichte als zur Anhandnahme der Klage unzuständig zu erklären, da diese Anträge mit der grundsätzlich kassatorischen Natur der Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 59 BV
vereinbar sind (vgl.
BGE 46 I 249
,
BGE 52 I 138
,
BGE 53 I 136
,
BGE 66 I 238
). Dagegen fallen nur die in der Eingabe an das Bundesgericht erhobenen Einwendungen des Beschwerdeführers in Betracht; die Verweisung auf die kantonalen Eingaben, die zum integrierenden Bestandteil der staatsrechtlichen Beschwerde
BGE 91 I 11 S. 14
erklärt werden, ist unbeachtlich (
BGE 86 I 41
und 228 mit Verweisungen).
2.
Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer aufrechtstehend ist, dass er in Genf wohnt und dass die gegen ihn erhobene Klage eine persönliche Ansprache im Sinne von
Art. 59 BV
zum Gegenstand hat. Für diese braucht er sich daher nur dann in Zürich belangen zulassen, wenn er gültig auf den Richter an seinem Wohnort verzichtet hat. Ob ein solcher Verzicht vorliegt, hat das Bundesgericht in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung frei zu prüfen (
BGE 46 I 248
; BIRCHMEIER, Handbuch des OG S. 329).
3.
Die Beschwerdegegnerin behauptet, dass die Parteien in Ziff. 6 des Vertrages vom 8. November 1961 den Gerichtsstand Zürich vereinbart hätten und der Beschwerdeführer dadurch auf den Richter an seinem Wohnort verzichtet habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts darf ein solcher Verzicht auf die Garantie des
Art. 59 BV
nicht leicht angenommen werden; es bedarf dazu einer ausdrücklichen, von andern Vertragsbestimmungen deutlich abgehobenen Erklärung, deren Inhalt unmissverständlich ist und den Willen, einen andern Gerichtsstand zu begründen, klar und deutlich zum Ausdruck bringt (
BGE 84 I 36
/37 und dort zitierte frühere Urteile,
BGE 85 I 150
,
BGE 87 I 51
Erw. 3 und 56 lit. c).
a) Zur Gültigkeit einer in ein Vertragsformular aufgenommenen Gerichtsstandsklausel gehört danach, dass sie an einer für den Verzichtenden gut sichtbaren Stelle angebracht ist und hervortritt (vgl.
BGE 49 I 49
,
BGE 52 I 268
). Dass es hieran fehle, wird in der staatsrechtlichen Beschwerde mit Recht nicht mehr behauptet. Die streitige Klausel steht am Ende eines nur 6 kurze Absätze mit insgesamt 18 Zeilen umfassenden, gut lesbar mit Maschine geschriebenen Vertragstextes unmittelbar vor der Unterschrift und konnte daher, obschon weder durch Fettdruck noch sonst hervorgehoben, selbst bei nur flüchtiger Durchsicht nicht übersehen werden (vgl.
BGE 57 I 11
/12,
BGE 87 I 52
).
b) Dagegen wird geltend gemacht, dass die streitige Klausel sogar für einen der englischen Rechtssprache Kundigen unverständlich sei und jedenfalls vom Beschwerdeführer, der kein Geschäftsmann sei und die englische Sprache lediglich auf dem Gebiete der Musik und allgemeinen Konversation einigermassen beherrsche, nicht als Gerichtsstandsvereinbarung habe verstanden werden können und müssen.
BGE 91 I 11 S. 15
Wie die Beschwerdegegnerin in der Klageschrift vom 6. Dezember 1963 anerkannt hat, kann im angelsächsischen Recht der Gerichtsstand nicht von den Parteien vereinbart werden. Die Klausel "venue is Zürich" wird somit von einem Engländer nicht als Gerichtsstandsvereinbarung verstanden. Sie bekommt diese Bedeutung erst durch die Übersetzung ins Deutsche oder Französische. In den Wörterbüchern wird "venue" meist (auch) mit Ort der Gerichtsverhandlung, zuständiger Gerichtsort, Gerichtsstand, lieu du jugement, juridiction und dergleichen übersetzt. Nach diesen Übersetzungen und auf schweizerische Verhältnisse übertragen, kann die an die Bestimmung des auf den Vertrag anwendbaren Rechts anschliessende Klausel "venue is Zürich" von einem Rechtskundigen kaum anders verstanden werden denn als Bezeichnung des Ortes, vor dessen Gerichten im Streitfall der Prozess durchzuführen ist, d.h. als Bezeichnung des Gerichtsstands. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Beschwerdeführer mit der Unterzeichnung des diese Klausel enthaltenden Vertrages gültig auf die Garantie des
Art. 59 BV
verzichtet habe.
Nach der erwähnten Rechtsprechung liegt ein solcher Verzicht nur dann in einer Erklärung, wenn deren Inhalt unmissverständlich ist und den Willen, einen anderweitigen Gerichtsstand zu begründen, klar und deutlich zum Ausdruck bringt. Beim Entscheid hierüber hat das Bundesgericht von jeher dem Umstand, dass eine Person geschäftlich unerfahren und nicht rechtskundig ist, besonderes Gewicht beigelegt. So hat es in
BGE 34 I 59
,
BGE 52 I 269
, ZR 1932 Nr. 153 und
BGE 85 I 151
in bezug auf solche Personen keine gültigen Gerichtsstandsklauseln erblickt in Vertragsbestimmungen, welche eine geschäftserfahrene und rechtskundige Person als verbindlich gegen sich hätte gelten lassen müssen. Auch im vorliegenden Falle verhält es sich so. Die Klausel "venue is Zürich" ist nicht ohne weiteres, sondern nur für denjenigen verständlich, der die englische Rechtssprache kennt und dazu mit den schweizerischen Rechtsverhältnissen vertraut ist oder wenigstens Geschäftserfahrung besitzt. Dies trifft beim Beschwerdeführer offenbar nicht zu. Er ist von Beruf Musiker. Wohl hat er sich im vorliegenden Falle auf Börsenspekulationen eingelassen. Dass er sich schon früher mit solchen Geschäften befasst habe oder sonst geschäftliche Erfahrungen besitze, hat die Beschwerdegegnerin indes nicht behauptet und noch weniger dargetan.
BGE 91 I 11 S. 16
In der Bestreitung der Gültigkeit der fraglichen Klausel ist auch kein Verstoss gegen Treu und Glauben zu erblicken. Wer einen Vertrag unterschreibt, muss zwar seine Bestimmungen grundsätzlich auch insoweit gegen sich gelten lassen, als er sie nicht gelesen oder nicht verstanden hat (vgl.
BGE 76 I 350
und dort zitierte Urteile). Dieser Grundsatz gilt indes, jedenfalls soweit Gerichtsstandsklauseln in Frage stehen, nur in bezug auf Geschäftsleute vorbehaltslos. Bei einer geschäftsunerfahrenen und rechtsunkundigen Person dagegen ist eine Ausnahme zu machen, wenn es, wie hier, als glaubhaft und entschuldbar erscheint, dass sie die Bedeutung der Klausel nicht richtig erfasste und sich nicht bewusst war, damit sich einem auswärtigen Richter zu unterwerfen und auf die Garantie des
Art. 59 BV
zu verzichten.
Gegen die Gutheissung der Beschwerde bestehen umso weniger Bedenken, als in der Beschwerdeantwort nicht angegeben wird, aus welchen Gründen die Beschwerdegegnerin, die nach den Akten sonst in deutscher oder französischer Sprache mit dem Beschwerdeführer verkehrte, den Vertrag vom 8. November 1961 in englischer Sprache mit ihm abgeschlossen hat. Selbst wenn sie es nicht darauf abgesehen haben sollte, dass der Beschwerdeführer die Tragweite der Gerichtsstandsklausel und anderer Vertragsbestimmungen nicht voll erfasse, ist es ein Unfug, wenn eine schweizerische Firma einem in der Schweiz ansässigen Schweizer ein nicht in einer Landessprache abgefasstes Vertragsformular zur Unterzeichnung vorlegt. Dies rechtfertigt es durchaus, die Unklarheit, die sich aus einer so ungebräuchlichen und schwer verständlichen Gerichtsstandsklausel ergeben kann, zu Ungunsten der Beschwerdegegnerin sich auswirken zu lassen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 19. Oktober 1964 aufgehoben und festgestellt wird, dass die zürcherischen Gerichte zur Behandlung der Klage der Beschwerdegegnerin gegen den Beschwerdeführer nicht zuständig sind. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f198c49e-dcaf-4f1b-9c59-32156222d30d | Urteilskopf
116 III 75
17. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 9. Mai 1990 i.S. B. (Rekurs) | Regeste
Art. 93 SchKG
: Berechnung des Existenzminimums, wenn beide Ehegatten Einkommen erzielen. Berücksichtigung einer Alimentenschuld des nicht betriebenen Ehegatten und von Versicherungsprämien.
1. Nicht nur der Schuldner, sondern auch sein Ehegatte kann geltend machen, mit der Einkommenspfändung werde in den Notbedarf der Familie eingegriffen (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 1a).
2. Der Notbedarf ist zwischen dem Schuldner und seinem Ehegatten auch dann im Verhältnis zu ihren Einkommen aufzuteilen, wenn ein Ehegatte neben einer vollen Erwerbstätigkeit einen Teil der Haushaltarbeiten verrichtet, während der andere nur teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Unterhaltsvereinbarungen zwischen den Ehegatten sind in dem Umfang, wie sie abgeändert und den Verhältnissen des Schuldners angepasst werden können, für das Betreibungsamt bei der Festsetzung des pfändbaren Einkommens nicht verbindlich (E. 2).
3. Sind die Unterhaltsbeiträge, die der Ehegatte des Schuldners gegenüber einem Kind aus einer früheren Ehe zu erbringen hat, für die Berechnung des pfändbaren Einkommensteils zum Notbedarf zu zählen oder vom Nettoeinkommen in Abzug zu bringen (E. 4)?
4. Prämien für eine freiwillige Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenversicherung gehören nicht zum Notbedarf (E. 7a). | Sachverhalt
ab Seite 77
BGE 116 III 75 S. 77
A.-
In der Betreibung Nr. 6/1989 wurde dem Gläubiger Hugo X. ein Verlustschein über Fr. 25'403.50 ausgestellt, da bei der Schuldnerin Kathrin B. kein pfändbares Vermögen gefunden wurde. Mit Entscheid vom 10. Januar 1990 hob der Gerichtspräsident von W. auf Beschwerde des Gläubigers hin diesen Verlustschein auf und stellte fest, dass die Schuldnerin über ein pfändbares Einkommen von monatlich Fr. 156.-- verfüge. Zudem wies er das Betreibungsamt an, das in
Art. 4 ff. der bundesgerichtlichen Verordnung betreffend die Pfändung, Arrestierung und Verwertung von Versicherungsansprüchen vom 10. Mai 1910 (SR 281.51)
vorgeschriebene Verfahren einzuschlagen.
B.-
Gegen diesen Entscheid erhoben sowohl Hugo X. als auch Kathrin B. und ihr Ehemann Paul B. Beschwerde an das Obergericht des Kantons Luzern. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts erhöhte mit Entscheid vom 22. März 1990 den monatlich pfändbaren Teil des Einkommens auf Fr. 416.20 und bestätigte im übrigen den angefochtenen Entscheid.
C.-
Mit Rekurs vom 20. April 1990 gelangen Kathrin und Paul B. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragen, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass bei der Schuldnerin kein pfändbares Lohnbetreffnis vorhanden sei.
Das Bundesgericht weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Neben der Schuldnerin hat auch der Ehemann Rekurs eingereicht. Soweit es im vorliegenden Rechtsstreit um die Ermittlung des pfändbaren Lohnanteils der Schuldnerin und damit um den Notbedarf ihrer Familie geht, ist die Legitimation des Ehemannes zweifellos gegeben (
BGE 82 III 55
; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1988, S. 56). Soweit sich allerdings der Rekurs gegen die Pfändung der Versicherungsansprüche der Schuldnerin richtet, fehlt die Legitimation ihres Ehemannes. Insoweit ist auf seinen Rekurs nicht einzutreten.
2.
a) Die Vorinstanz ist bei der Berechnung des pfändbaren Einkommensteils der Schuldnerin so vorgegangen, wie dies die Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz vom 1. Dezember 1987 empfehlen (BlSchK 51/1987, S. 224 ff.). Das Bundesgericht hat diesem Vorgehen in BGE 114
BGE 116 III 75 S. 78
III 15 f. grundsätzlich zugestimmt. Demnach ist die pfändbare Einkommensquote so zu berechnen, dass zunächst die Nettoeinkommen beider Ehegatten und ihr gemeinsames Existenzminimum zu bestimmen und dieses sodann im Verhältnis jener auf die Ehegatten aufzuteilen ist. Die beim betriebenen Ehegatten pfändbare Einkommensquote ergibt sich alsdann durch Abzug seines Anteils am Existenzminimum von seinem massgeblichen Nettoeinkommen (
BGE 114 III 16
).
Die Rekurrenten wenden sich nicht gegen diese Betrachtungsweise an sich, sondern machen geltend, diese sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das besagte Vorgehen sei richtig, wenn sich beide Ehegatten in die Erwerbstätigkeit und die Haushaltführung teilen. Das pfändbare Einkommen könne jedoch nicht gleich berechnet werden, wenn ein Ehegatte voll erwerbstätig sei und zusätzlich einen Teil der Haushaltarbeiten verrichte, während der andere nur teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Diesfalls habe der nur teilweise Erwerbstätige einen erhöhten Anteil seines Einkommens für den ehelichen Unterhalt und damit für den Notbedarf einzusetzen. Andernfalls erbringe der voll erwerbstätige Ehegatte einen zu grossen Beitrag an den ehelichen Unterhalt.
b) Im Gegensatz zum alten Eherecht beruht die Unterhaltsregelung im neuen auf den Grundsätzen der Gleichberechtigung beider Ehegatten und der Gleichwertigkeit ihrer Leistungen, insbesondere durch Geldzahlungen und Haushaltführung (
BGE 114 III 15
E. 3). Das neue Recht schreibt den Ehegatten keine bestimmte Aufgabenteilung mehr vor. Es ist vielmehr ihre eigene Sache, sich darüber zu verständigen, wie die Leistungen erbracht werden. Allerdings müssen die Beiträge beider Ehegatten zusammen den gesamten Unterhalt decken (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, N. 36 zu Art. 163; HEGNAUER, Die allgemeinen vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe, in: Hausheer (Hrsg.), Vom alten zum neuen Eherecht, S. 12). Das neue Recht lässt somit eine Vereinbarung ohne weiteres zu, die - wie im vorliegenden Fall von den Rekurrenten behauptet - dahin geht, dass ein Ehegatte sein ganzes Erwerbseinkommen für den ehelichen Unterhalt verwendet, während der andere nur einen Teil seines Einkommens diesem Zwecke widmet, weil er zusätzlich noch einen Teil der Haushaltführung und Kinderbetreuung übernimmt.
Die Rekurrenten verkennen aber, dass die Gültigkeit einer solchen Vereinbarung noch nicht bedeutet, dass sie auch für die
BGE 116 III 75 S. 79
Berechnung des pfändbaren Einkommensteils ausschlaggebend sein muss. Im Betreibungsverfahren kann nicht auf beliebige Vereinbarungen der Ehegatten abgestellt werden, da sonst die Ehegatten die Möglichkeit hätten, zum Nachteil ihrer Gläubiger das Existenzminimum des betriebenen Ehegatten zu verändern (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 67 zu
Art. 163 ZGB
; in diese Richtung bereits zum alten Recht:
BGE 107 III 18
, E. 3). Die Vereinbarung der Ehegatten über den Unterhalt verpflichtet die Parteien. Sie kann aber nicht auch die Rechte Dritter beschränken.
Nach
Art. 93 SchKG
kann das Einkommen des Schuldners in dem Umfang gepfändet werden, in dem es nach dem Ermessen des Betreibungsamtes für den Schuldner und seine Familie nicht unumgänglich notwendig ist. Soweit es nicht nur um den Unterhalt des Schuldners, sondern darüber hinaus um denjenigen seiner Familie geht, hat das Betreibungsamt zu berücksichtigen, in welchem Umfang die Familienmitglieder für ihren eigenen Unterhalt aufkommen können. Bei der Frage, welchen Teil seines zu pfändenden Einkommens der Schuldner für seinen Notbedarf braucht, sind zudem die Unterhaltsleistungen mitzuberücksichtigen, die er von Personen erhalten kann, die ihm gegenüber unterhaltspflichtig sind. Unterhaltsvereinbarungen sind deshalb in dem Umfang, wie sie abgeändert und den Verhältnissen des Schuldners angepasst werden können, für das Betreibungsamt bei der Festsetzung des pfändbaren Einkommens nicht verbindlich.
c) Dem von den Rekurrenten erwähnten Bundesgerichtsentscheid vom 18.8.1989 (
BGE 115 III 103
ff.) ist nichts anderes zu entnehmen. In BlSchKG 1989, S. 226 ff. ist nicht dieser Entscheid, sondern derjenige der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen abgedruckt, der vor Bundesgericht angefochten und von diesem bestätigt worden ist. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts hatte entgegen dem, was aus der Veröffentlichung in den Blättern für Schuldbetreibung und Konkurs geschlossen werden könnte, zur hier interessierenden Frage aber gar nicht Stellung zu nehmen.
d) Der Umstand, dass es sich bei der in Betreibung gesetzten Forderung um eine voreheliche Schuld der Ehefrau handelt, ist ohne Bedeutung. Entgegen der Ansicht der Rekurrenten, führt die Berechnungsweise der Vorinstanz nicht dazu, dass der Ehemann für voreheliche Schulden seiner Frau aufzukommen habe. Die voreheliche Schuld bewirkt nur, dass die wirtschaftliche Leistungskraft der Ehefrau reduziert ist und sie deshalb selber weniger an
BGE 116 III 75 S. 80
den ehelichen Unterhalt beitragen kann. Dies muss aber ein Ehegatte hinnehmen; die gleiche Sachlage ergibt sich auch, wenn ein Ehegatte Unterhaltsverpflichtungen aus einer früheren Ehe hat.
Der Einwand der Rekurrenten, das von den kantonalen Instanzen aufgrund von
BGE 114 II 15
f. gewählte Vorgehen sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, erweist sich somit als nicht begründet.
4.
Im Zusammenhang mit den Kinderalimenten verlangen die Rekurrenten sodann, dass die Unterhaltsbeiträge, die der Ehemann der Schuldnerin an sein nicht in der Familie lebendes Kind zu bezahlen hat, von seinem Nettoeinkommen abgezogen werden, bevor der Notbedarf unter die Ehegatten aufgeteilt wird.
a) In der Lehre wurde darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich zwei Möglichkeiten gibt, Unterstützungspflichten, die nur einen Ehegatten treffen, bei der Festlegung des pfändbaren Einkommensteils zu berücksichtigen (vgl. ISAAK MEIER, Neues Eherecht und Schuldbetreibungsrecht, Zürich 1987, S. 118; vgl. auch
BGE 115 III 108
, E. 7): Entweder sind diese Alimente, soweit der Gläubiger für seinen Unterhalt darauf angewiesen ist, zum ehelichen Notbedarf des Schuldners zu rechnen, wie dies die Vorinstanz getan hat, oder sie bleiben beim Notbedarf unberücksichtigt und sind dafür bei der Errechnung des Nettoeinkommens von den Einkünften des Alimentenschuldners abzuziehen (so grundsätzlich
BGE 115 III 108
, E. 7).
Demgegenüber erscheint es von vornherein nicht gerechtfertigt, die Unterhaltsbeiträge, die nur ein Ehegatte schuldet, sowohl zum Notbedarf zu rechnen, als sie auch vom massgeblichen Einkommen in Abzug zu bringen. Damit würden sie nämlich - zum Nachteil der anderen Gläubiger - zweimal berücksichtigt.
Entgegen der Auffassung der Rekurrenten und der Vorinstanz wirkt sich die von letzterer angewandte Vorgehensweise für die Schuldnerin günstiger aus. Mit Einschluss der Alimentenschuld des Ehemannes von Fr. 500.-- gelangte das Obergericht zu einem Notbedarf von Fr. 4'854.40 und zu einem massgebenden Nettoeinkommen der Ehefrau von Fr. 1'563.-- sowie einem solchen des Ehemannes von Fr. 5'035.-- (ohne Abzug der Alimentenschuld). Daraus ergab sich für die Schuldnerin ein Anteil am Notbedarf von Fr. 1'146.85. Ginge man von der von den Rekurrenten verlangten Betrachtungsweise aus, betrüge der Notbedarf Fr. 500.-- weniger, d.h. Fr. 4'354.40. Das massgebliche Nettoeinkommen des Ehemannes reduzierte sich um den gleichen Betrag, so dass
BGE 116 III 75 S. 81
diesbezüglich Fr. 4'535.-- einzusetzen wären. Die Schuldnerin hätte somit vom Notbedarf Fr. 1'116.10 zu übernehmen und von ihrem Einkommen könnten monatlich Fr. 446.90 statt nur Fr. 416.20 gepfändet werden.
b) Wie das Bundesgericht bereits in
BGE 115 III 108
, E. 7 festgehalten hat, erscheint es entgegen der Ansicht der Vorinstanz und der Auffassung von ISAAK MEIER (a.a.O., S. 118) richtig, Unterhaltsschulden, die nur den Ehegatten des Schuldners treffen, nicht zum ehelichen Notbedarf zu rechnen. Solange die Kinder nicht im gemeinsamen Haushalt leben und der alimentenpflichtige Ehegatte für ihren Unterhalt ohne weiteres selber aufkommen kann, besteht kein Grund, seinen betriebenen Partner für einen Teil dieser Schuld aufkommen zu lassen. Demgegenüber ist es richtig, bei der Aufteilung des Notbedarfs auf die Ehegatten dieser Schuld Rechnung zu tragen. Es erweist sich somit als angemessen, sie vom Einkommen des alimentenpflichtigen Ehegatten abzuziehen, wenn es um die Berechnung des für die Aufteilung massgeblichen Nettoeinkommens geht. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich auf jeden Fall solange, als die Ehegatten in der Lage sind, für ihren Notbedarf einschliesslich der geschuldeten Alimente aufzukommen.
Wie es sich allerdings damit verhält, braucht im vorliegenden Fall nicht abschliessend beurteilt zu werden, da diese Berechnungsweise zu einer höheren pfändbaren Quote führen würde. Eine Änderung des vorinstanzlichen Entscheides in diese Richtung ist aber nicht möglich, da nur die Schuldnerin und ihr Ehegatte Rekurs erhoben haben, nicht aber der Gläubiger.
7.
a) Die Rekurrenten verlangen schliesslich, dass auch die Kosten für Lebensversicherungen der Schuldnerin beim Notbedarf berücksichtigt werden. Es wird geltend gemacht, es müsse der Rekurrentin möglich sein, über die AHV hinaus für die Risiken Alter, Tod und Invalidität vorzusorgen.
Die Schuldnerin hat als Teilzeitangestellte einen Arbeitsverdienst von Fr. 563.-- monatlich. Als Arbeitnehmerin untersteht sie grundsätzlich der beruflichen Vorsorgepflicht. Nach BVG besteht aber eine obligatorische Versicherung erst, wenn der Arbeitnehmer ein bestimmtes Einkommen erzielt. Dahinter steht der Gedanke, dass bei niedrigeren Einkommen die erste Säule der Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenvorsorge ausreichend ist. Diese gesetzgeberische Wertung muss auch für die Berechnung des Notbedarfs ausschlaggebend sein. Eine Erhöhung des
BGE 116 III 75 S. 82
Notbedarfs um freiwillig bezahlte Versicherungsprämien rechtfertigt sich deshalb nicht. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f19b9450-06c6-48bf-b75b-2bb51fd8a868 | Urteilskopf
98 IV 184
35. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 7 septembre 1972 dans la cause X contre Procureur général du canton de Berne. | Regeste
Art. 134 Ziff. 1 StGB
.
1. Unter
Art. 134 StGB
fällt die Gefährdung der Gesundheit oder der geistigen Entwicklung eines Kindes lediglich, wenn sie schwer ist; zudem muss sie tatsächlich sein (Erw. 1).
2. Der Vorsatz muss sich auf die Misshandlung richten; es ist nicht nötig, dass er sich auch auf das Ergebnis richtet, sofern dieses voraussehbar ist (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 184
BGE 98 IV 184 S. 184
A.-
Le 17 juillet 1971, vers midi, dame X. était à table avec ses trois enfants. Une querelle éclata entre ces derniers, et l'un d'eux renversa un verre de limonade. Johanna, âgée de six ans, qui refusait de manger, se mit à lécher la boisson répandue sur
BGE 98 IV 184 S. 185
la table. Enervée, sa mère lui saisit la tête par les cheveux et la tapa sur son assiette. Celle-ci se brisa et provoqua deux blessures au front.
Dame X. fit immédiatement conduire sa fille à l'hôpital de P. Les deux blessures, d'une profondeur de quelques millimètres, avaient une longueur de trois centimètres environ. Le médecin, qui fit une dizaine de points de suture pour refermer les plaies, retira de l'une d'elles une esquille acérée, vraisemblablement de porcelaine. A son avis, les blessures n'ont pas mis en danger la vie de l'enfant, qui présentait un bon état général, sans symptômes neurologiques anormaux.
B.-
Statuant en deuxième instance, la 1re chambre pénale de la Cour suprême du canton de Berne a déclaré dame X. coupable de mauvais traitements envers les enfants et lui a infligé 5 jours d'emprisonnement avec sursis pendant 2 ans; elle a admis que la responsabilité de la prévenue, qui avait agi sous l'empire d'une violente colère, était restreinte.
C.-
Contre cet arrêt, la condamnée se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Elle conclut à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 134 ch. 1 CP punit celui qui, ayant la charge ou la garde d'un enfant de moins de 16 ans, l'aura maltraité, négligé ou traité avec cruauté, de façon que la santé ou le développement intellectuel de cet enfant en soit atteint ou gravement compromis.
a) La recourante, avec raison, ne conteste pas avoir maltraité sa fille Johanna, le 17 juillet 1971. Il suffit d'ailleurs que les mauvais traitements aient été infligés une seule fois (arrêt Keller du 20 mars 1956, consid. 1).
b) Selon l'arrêt attaqué, les mauvais traitements n'ont pas porté atteinte à la santé de la victime ni à son développement intellectuel; en revanche, ils ont gravement menacé sa santé et auraient pu compromettre son développement intellectuel.
La mise en danger de la santé ou du développement intellectuel ne tombe sous le coup de l'art. 134 CP que si elle est grave. "Damit stellt das Gesetz besondere Anforderungen sowohl an den der Gesundheit oder geistigen Entwicklung drohenden Schaden, als auch an den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der er bevorgestanden haben muss. Es genügt weder jede drohende Schädigung der Gesundheit oder geistigen Entwicklung, noch
BGE 98 IV 184 S. 186
jede konkrete Gefahr, in die diese Rechtsgüter gebracht werden. Schwer gefährdet ist die Gesundheit oder geistige Entwicklung nur, wenn die Misshandlung, Vernachlässigung oder grausame Behandlung einen erheblichen Schaden an der Gesundheit oder eine erheblich von der Norm abweichende geistige Entwicklung des Kindes in grosse Nähe rückt" (RO 80 IV 105). Il n'y a aucune raison de s'écarter de cette définition, que FEHR approuve, malgré les critiques que, sur d'autres points, il adresse à l'arrêt Piquerez (RPS 1963 p. 184/185).
aa) L'art. 134 ch. 1 CP ne se contente pas de la simple possibilité que le développement intellectuel de l'enfant ait été compromis; il exige une mise en danger réelle. Aussi est-il indifférent que les mauvais traitements subis par la petite Johanna aient pu compromettre son développement intellectuel. La Cour bernoise ne prétend pas qu'ils l'aient compromis et, moins encore, qu'ils l'aient compromis gravement.
bb) La santé de la fillette a-t-elle été gravement compromise? Ainsi que l'écrit FEHR (op. cit., p. 185):
"Da beim Gefährdungsdelikt der Verletzungserfolg schliesslich nicht eintritt, wird es stets eine schwierige Beweisfrage sein, ob es sich beim drohenden Schaden um einen solchen schwerer Natur gehandelt hätte."
Si l'on compare le cas présent avec l'affaire Annen, où la correction administrée par le père a été plus sévère et les conséquences aussi sérieuses et où l'applicabilité de l'art. 134 CP a néanmoins été niée (RO 85 IV 125 et 126 consid. 1), on pourrait être tenté de conclure qu'une solution identique s'impose en l'espèce, si ces deux éléments constituaient les seuls critères d'appréciation.
D'après la Cour cantonale, les conséquences du comportement de la recourante auraient pu être beaucoup plus graves qu'elles ne l'ont été; sous la violence du choc, l'assiette en se brisant aurait pu causer des dommages irréparables aux organes de la vue. Le pourvoi objecte qu'il s'agit d'une supposition. Il est certain que les yeux de la fillette n'ont pas été touchés par des éclats de porcelaine. S'ils l'avaient été, sa santé aurait été non pas compromise, mais sérieusement atteinte; il y aurait eu non Gefährdung, mais Schädigung der Gesundheit. Comme elle a été blessée au front, à quelques centimètres des yeux, et qu'un éclat acéré - vraisemblablement de porcelaine - a été extrait d'une des plaies, l'enfant a échappé de peu au risque que cet
BGE 98 IV 184 S. 187
éclat ne se loge dans un oeil. Il s'ensuit que sa santé a été gravement compromise.
2.
Les mauvais traitements envers les enfants sont un délit intentionnel. L'intention (qui peut se présenter sous la forme du dol éventuel) doit évidemment porter sur les mauvais traitements. Est-il nécessaire qu'elle ait trait, de plus, au résultat, lésion ou mise en danger? La question est controversée. La plupart des auteurs répondent affirmativement (GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, p. 31; HAFTER, Bes. T. p. 65 ch. 3; THORMANN/OVERBECK, art. 134, n. 9; LOGOZ, art. 134 n. 7; PETRZILKA, Zürcher Erläuterungen zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, p. 159). La Cour de céans l'a laissée ouverte dans les arrêts Sträuli du 21 juin 1948, consid. 3; Odermatt du 23 septembre 1952, consid. 1 i.f.; Keller du 20 mars 1956, consid. 3, après l'avoir résolue négativement dans l'arrêt Brunner du 24 août 1946, par les motifs suivants:
"... die schwere Schädigung oder Gefährdung der Gesundheit braucht vom Misshandelnden nicht gewollt zu sein, es genügt, dass sie für ihn voraussehbar war. Das findet sich ausdrücklich gesagt für den qualifizierten Fall des Abs. 2, folgerichtig muss es auch für den einfachen des Abs. 1 gelten. Es wäre auch unverständlich, wenn zur gewollten Misshandlung noch der besondere Vorsatz der schweren Schädigung oder Gefährdung hinzukommen müsste, um sie strafbar zu machen, die blosse Voraussehbarkeit dieser Folge hiefür nicht genügen sollte."
Cette opinion doit être confirmée. Comme le montre FEHR (op. cit., p. 189), elle s'appuie sur le texte même de l'art. 134 CP. Si cette disposition avait été calquée sur le modèle des art. 122 ss.. CP et rédigée en ces termes:
"Celui qui, par des mauvais traitements, etc., aura lésé ou gravement compromis la santé ou le développement intellectuel d'un enfant de moins de 16 ans dont il avait la charge ou la garde, sera puni...",
l'intention devrait porter sur la lésion ou la mise en danger. Selon le texte en vigueur, l'acte incriminé consiste non dans la lésion ou la mise en danger, mais dans les mauvais traitements. La lésion ou la mise en danger n'est qu'une condition, indispensable il est vrai, de la répression, mais que l'auteur n'a pas nécessairement voulue. Il suffit qu'il ait pu la prévoir. En effet, l'art. 134 ch. 1 al. 2 ou 3 se contente de la prévisibilité du résultat, lésion corporelle grave ou décès. En revanche, lorsque l'intention porte sur celui-ci, les art. 122 ou 111 ss. sont seuls
BGE 98 IV 184 S. 188
applicables. Cette éventualité est rarement réalisée. Les éducateurs et les parents inculpés de mauvais traitements ont cru agir, le plus souvent, pour le bien de l'enfant ou, s'ils ont perdu de vue son intérêt, ils ont cédé à un mouvement d'impatience ou de colère, mais sans penser aux risques que le châtiment faisait courir à la santé ou au développement intellectuel de l'enfant ni les accepter. En exigeant que l'intention s'étende au résultat dans l'hypothèse de l'art. 134 ch. 1 al. 1, on restreindrait par trop l'efficacité de cette disposition (FEHR, op. cit., pp. 189/190) et on renoncerait, sans que rien le justifie, à l'interprétation systématique de l'art. 134 ch. 1 dans son ensemble.
Déterminer si une personne pouvait prévoir telle conséquence, c'est trancher une question de droit qui ressortit à la Cour de céans (RO 83 IV 189, no 54). En tapant volontairement la tête de Johanna contre son assiette avec assez de force pour que celle-ci se brise, la recourante pouvait prévoir qu'elle compromettrait gravement la santé de la fillette.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f19e7f4e-72e2-4dbe-a349-471d29145492 | Urteilskopf
90 IV 224
46. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 novembre 1964 dans la cause Ministère public du canton de Vaud contre Gillioz. | Regeste
Art. 91 Abs. 1 SVG
.
1. Ein Fahrer befindet sich in angetrunkenem Zustand, ohne dass er betrunken zu sein braucht, wenn er zufolge des genossenen Alkohols nicht mehr imstande ist, in jeder Lage, auch in einer aussergewöhnlichen, so zu reagieren, wie man es von einem nüchternen Führer erwarten darf.
- Das gilt selbst dann, wenn sein Zustand keine Verletzung von Verkehrsvorschriften zur Folge hatte (Erw. 1).
2. Die Angetrunkenheit des Fahrers wird grundsätzlich und unabhängig von seiner Alkoholverträglichkeit stets vermutet, wenn sein Blut einen Alkoholgehalt von 0,8 Gewichtspromilleaufweist; in gewissen Fällen kann schon eine etwas geringere Alkoholkonzentration genügen (Erw. 2).
3. Anwendung dieser Grundsätze (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 90 IV 224 S. 225
A.-
Le 30 août 1963, à 22 heures environ, Gillioz, dont le sang contenait plus de 1,23 g promille d'alcool, a conduit en zigzaguant sur la chaussée une automobile dont le pneumatique avant gauche était partiellement dégonflé.
Le 29 avril 1964, le Tribunal du district de Cossonay a libéré Gillioz, accusé d'avoir conduit une automobile alors qu'il était pris de boisson. Le 8 juin 1964, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté un recours formé par le Ministère public du canton de Vaud, considérant qu'une alcoolémie de 1 g promille fait présumer l'incapacité de conduire un véhicule à moteur avec la sécurité requise; que cette présomption, cependant, peut être renversée lorsqu'en raison de circonstances spéciales, il est prouvé que l'accusé avait néanmoins conservé la maîtrise de soi exigée par la loi; qu'en l'espèce, d'après les constatations souveraines du juge de première instance, il n'est pas possible d'affirmer que l'alcool consommé par Gillioz ait influencé la façon dont il a conduit son véhicule; qu'enfin l'absence d'une expertise spéciale sur ce point ne constitue pas une lacune propre à justifier l'intervention de la Cour de cassation vaudoise.
B.-
Le Procureur général du canton de Vaud s'est pourvu en nullité. Il conclut à la condamnation de Gillioz en vertu de l'art. 91 LCR.
C.-
Gillioz conclut au rejet du pourvoi.
BGE 90 IV 224 S. 226
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 91 al. 1 LCR punit celui qui, étant pris de boisson, aura conduit un véhicule à moteur. Comme le faisait déjà l'art. 59 LA, il vise non pas seulement l'ivresse proprement dite, mais aussi les états éthyliques moins prononcés, dès qu'ils rendent le sujet incapable de piloter un véhicule avec la sûreté requise, c'est-à-dire de réagir dans toute situation, même exceptionnelle, comme on peut l'attendre d'un conducteur de sang-froid. La loi, en revanche, n'exige pas que l'intoxication alcoolique ait entraîné une violation des règles de la circulation. Ainsi une personne prise de boisson au sens de l'art. 91 al. 1 LCR pourra, lorsqu'il ne se présente pas de difficultés spéciales, conduire un véhicule sans que son état se manifeste par son comportement sur la route (SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr, vom 19. Dezember 1958, p. 184; GRISEL, l'analyse du sang dans l'application des art. 59 al. 1 LA et 91 al. 1 LCR, Journal des Tribunaux, Droit pénal, 1958, p. 148).
L'arrêt entrepris est donc entaché d'une erreur de droit dans la mesure où il justifie l'acquittement par le motif que la manière de conduire de Gillioz n'aurait pas été influencée par l'alcool.
2.
C'est résoudre une question de droit fédéral que de juger si, dans tel état éthylique donné, un conducteur est pris de boisson au sens de l'art. 91 al. 1 LCR. La cour de céans peut donc revoir ce point (art. 269 al. 1 PPF).
Selon l'arrêt Ministère public du canton de Zurich contre Riess (RO 90 IV 159), le conducteur est toujours présumé "pris de boisson", en principe, indépendament de son accoutumance à l'alcool et même si d'autres circonstances ne manifestent pas son état, lorsque la teneur d'alcool dans le sang dépasse un certain degré. Précédemment la Cour de cassation pénale admettait que, pour fonder cette présomption, il fallait une concentration de 1 g promille environ. Dans l'arrêt précité, elle a abaissé cette limite à 0,8 promille sur
BGE 90 IV 224 S. 227
le vu d'un rapport général d'expertise, élaboré par trois médecins, professeurs d'université, désignés par elle. Elle a dit en outre que, dans certains cas, un conducteur pouvait être pris de boisson même si son alcoolémie était quelque peu inférieure (0,5 à 0,8 g promille ), par exemple s'il est malade ou surmené.
3.
Gillioz a conduit son automobile alors que son sang contenait plus de 1,23 g promille d'alcool. Une interprétation correcte de la loi devait dès lors faire présumer qu'il était pris de boisson. De toute façon, non seulement la concentration établie par l'analyse dépassait largement la limite admissible en principe, même selon l'ancienne jurisprudence (1 g promille ), mais encore aucun indice ne permettait de supposer que l'inculpé eût pu être de sang-froid nonobstant le taux d'alcoolémie constaté. Peu importe, de ce point de vue, que les gendarmes qui ont contrôlé Gillioz n'aient pas remarqué, chez lui, de comportement anormal et que le médecin chargé de la prise de sang, après l'examen clinique prescrit dans le canton de Vaud, n'ait relevé qu'un léger nystagmus et ait déclaré douteux que le patient fût sous l'influence de l'alcool. Car il s'agit là, d'une part, d'observations tout à fait superficielles et, d'autre part, d'une recherche rapide de quelques symptômes seulement. Or on sait que nombre de conducteurs sont incapables, ayant bu, de conduire avec une sûreté suffisante, alors même que leur intoxication n'a rien de manifeste (RO 79 II 398; GRISEL, op.cit., p. 143 et 145). Gillioz devra donc être condamné en vertu de l'art. 91 al. 1 LCR. En se prononçant à nouveau dans ce sens, l'autorité cantonale examinera si l'art. 102 ch. 2 LCR, qu'invoque le recourant, est applicable en l'espèce.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour que celle-ci se prononce à nouveau. | null | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1a06eee-b632-4cf9-b28e-2ed1f247b36f | Urteilskopf
135 V 339
43. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit social dans la cause F. contre Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (recours en matière de droit public)
8C_66/2009 du 7 septembre 2009 | Regeste
Art. 8 und 15 des Freizügigkeitsabkommens (FZA);
Art. 1 Abs. 1 Anhang II FZA
; Art. 13 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Bst. a, Art. 20, Art. 22 Abs. 1 Bst. a und Art. 89 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; Art. 114 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72.
Eine in Frankreich wohnende und in der Schweiz arbeitende Person, welche von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und sich einem privaten Krankenversicherer ihres Wohnsitzstaates angeschlossen hat, kann, wenn sie sich eine Gesundheitsschädigung zugezogen hat, welche weder Folge eines Unfalles noch einer einem Unfall gleichgestellten Körperschädigung ist, keinen Anspruch, auch nicht vorläufiger Art, auf Vergütung von Heilungskosten durch die SUVA (oder eine andere zuständige Institution in der Schweiz) geltend machen (E. 4-4.4.3).
Die Ausnahme von der Unterstellung unter eine schweizerische Krankenversicherung bei gleichwertiger Deckung durch einen privaten Versicherer kann zu Versicherungslücken führen, welche nicht vom Gericht zu schliessen sind (E. 5.1-5.6). | Sachverhalt
ab Seite 340
BGE 135 V 339 S. 340
A.
F., né en 1980, de nationalité française, domicilié à B. (France), travaille en qualité de conducteur de travaux au service de la société T., à A. En cette qualité, il est obligatoirement assuré contre les accidents professionnels et non professionnels auprès de la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA). La caisse-maladie Q. l'assure pour la perte de gain en cas de maladie. En ce qui concerne les soins en cas de maladie, il a opté, en tant que travailleur frontalier, pour l'application de la législation française. A ce titre, il était affilié auprès de l'assureur L. du 1
er
décembre 2004 au 27 novembre 2005, puis auprès de l'assureur M. depuis le 28 novembre 2005.
Le 27 octobre 2005, au cours d'un match de rugby, il a ressenti des douleurs rachidiennes. Il a néanmoins travaillé le lendemain. Le
BGE 135 V 339 S. 341
2 novembre suivant, il a consulté son médecin traitant, à B. Par déclaration d'accident-bagatelle LAA, son employeur a annoncé le cas à la CNA, qui lui a remboursé diverses consultations médicales en France. F. a été incapable de travailler dès le 19 novembre 2005. Son médecin traitant, le docteur R., a posé le diagnostic de syndrome radiculaire C7 gauche avec présence d'une hernie discale C6-C7 gauche. Le 16 janvier 2006, en réponse à un questionnaire de la CNA, l'intéressé a fourni des précisions en vue de compléter la déclaration d'accident. Il a précisé qu'au cours du match en question, qu'il a qualifié de "physique", il avait ressenti des douleurs à la fin du match. Celles-ci s'étaient accentuées au fur et à mesure du refroidissement des muscles.
Le 15 mars 2006, le Service de neurologie de l'Hôpital X. a communiqué à la CNA divers documents concernant l'assuré en précisant que l'état de celui-ci nécessiterait une intervention neurochirurgicale. Le 21 mars 2006, F. a eu un entretien avec un représentant de la CNA, à W. Il a fourni divers renseignements concernant sa formation, son activité professionnelle, ses antécédents et sa couverture d'assurance en France. Il est revenu sur les circonstances qui avaient provoqué le déclenchement de ses douleurs rachidiennes. Enfin, il a indiqué que l'intervention chirurgicale, qui consisterait en l'ablation du disque et la mise en place d'une prothèse, aurait lieu le 28 mars 2006 à l'Hôpital X. L'intervention a été pratiquée à la date prévue.
Par décision du 30 mars 2006, confirmée par décision sur opposition du 20 juin suivant, la CNA a refusé de prendre en charge le cas, au motif que l'événement annoncé ne présentait pas les caractéristiques d'un accident et ne répondait pas non plus à la notion de lésion corporelle assimilée à un accident. Elle a exigé le remboursement de 282,15 euros pour des frais de traitement qu'elle avait assumés.
La caisse-maladie Q. a versé les indemnités journalières en raison de l'incapacité de travail.
B.
Statuant le 24 septembre 2008, le Tribunal des assurances du canton de Vaud a rejeté le recours formé par l'assuré contre la décision sur opposition de la CNA.
C.
F. a formé un recours en matière de droit public et un recours constitutionnel subsidiaire dans lequel il a conclu à la réforme du
BGE 135 V 339 S. 342
jugement cantonal en ce sens que la CNA soit condamnée à prendre en charge les suites de l'événement du 27 octobre 2005 "libre à elle de régler compte, cas échéant, avec des institutions d'assurances françaises concernées". Il a produit un avis de droit de la professeure J.
La CNA a conclu au rejet du recours. L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS), domaine des affaires internationales, a déposé un préavis dans lequel il a proposé le rejet du recours. Les parties ont maintenu leurs conclusions au terme d'un nouvel échange d'écritures; le recourant a déposé un avis de droit complémentaire.
Le Tribunal fédéral a déclaré irrecevable le recours constitutionnel subsidiaire et il a partiellement admis le recours en matière de droit public.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
A l'instar de la CNA, les premiers juges ont retenu que l'atteinte à la santé apparue le 27 octobre 2005 n'était pas consécutive à un accident. Cette atteinte ne pouvait pas non plus être considérée comme une lésion corporelle assimilée à un accident. Ces deux points ne sont plus contestés devant le Tribunal fédéral. Le droit aux prestations litigieuses ne peut donc pas être déduit de la LAA (
art. 6 al. 1 et al. 2 LAA
[RS 832.20] en corrélation avec l'
art. 9 al. 2 OLAA
[RS 832.202]).
4.
Le recourant fonde sa prétention, principalement, sur les règles de coordination de l'Accord sur la libre circulation des personnes et sur les règlements communautaires en matière de sécurité sociale. C'est donc sous cet angle qu'il convient, en premier lieu, d'examiner le litige.
4.1
L'Accord sur la libre circulation des personnes (ALCP; RS 0.142.112.681) est entré en vigueur le 1
er
juin 2002. Selon l'art. 1 par. 1 annexe II "Coordination des systèmes de sécurité sociale" de l'accord, fondée sur l'
art. 8 ALCP
et faisant partie intégrante de celui-ci (
art. 15 ALCP
), en relation avec la section A de cette annexe, les Parties contractantes appliquent entre elles, en particulier, le Règlement (CEE) n° 1408/71 du Conseil du 14 juin 1971 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (Règlement n° 1408/71;
BGE 135 V 339 S. 343
RS 0.831.109.268.1), ainsi que le Règlement (CEE) n° 574/72 du Conseil du 21 mars 1972 fixant les modalités d'application du Règlement (CEE) n° 1408/71 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (Règlement n° 574/72; RS 0.831.109.268.11) ou des règles équivalentes.
4.2
Cette réglementation est applicable au recourant du point de vue personnel: de nationalité française, l'intéressé doit être considéré comme un travailleur qui est ou était soumis à la législation d'un ou de plusieurs Etats membres (art. 2 par. 1 du Règlement 1408/71). Il en va de même de l'applicabilité de l'accord et des règlements cités sous l'angle matériel. Les prestations litigieuses se rapportent à l'un des risques énumérés expressément à l'art. 4 par. 1 du Règlement 1408/71, en l'occurrence la lettre a (prestations de maladie et de maternité).
4.3
S'agissant d'une relation transfrontalière, il faut tout d'abord examiner la question du droit applicable en matière d'assurance-maladie.
4.3.1
Le Titre II du Règlement 1408/71 (art. 13-17
bis
) contient des règles qui permettent de déterminer la législation applicable pour toute la généralité des cas. L'art. 13 par. 1 énonce le principe de
l'unicité de
la législation applicable
en fonction des règles contenues aux art. 13 "par. 2" à 17
bis
, dans le sens de l'applicabilité de la législation d'un seul Etat membre. En principe, le travailleur salarié est soumis à la législation de son Etat d'occupation salariée, même s'il réside sur le territoire d'un autre Etat membre ou si l'entreprise ou l'employeur qui l'occupe a son siège ou son domicile sur le territoire d'un autre Etat membre. Le travailleur frontalier est donc soumis, en vertu de ce principe, à la législation de l'Etat où il travaille (principe de la
lex loci laboris
); l'Etat compétent est l'Etat d'emploi (art. 13 par. 2 let. a du Règlement 1408/71;
ATF 133 V 137
consid. 6.1 p. 143; PRODROMOS MAVRIDIS, La sécurité sociale à l'épreuve de l'intégration européenne: étude d'une confrontation entre libertés du marché et droits fondamentaux, Athènes et Bruxelles 2003, p. 488 n° 473).
4.3.2
Ce principe peut être assorti
d'exceptions
. En effet, en application de l'art. 89 du Règlement 1408/71, l'annexe VI audit
BGE 135 V 339 S. 344
règlement régit les modalités particulières d'application des législations de certains Etats membres. Cette annexe a été complétée par la section A annexe II ALCP "Coordination des systèmes de sécurité sociale". Il en ressort notamment que les personnes soumises aux dispositions légales suisses peuvent, sur demande, être exemptées de l'assurance-maladie obligatoire (LAMal) en tant qu'elles résident dans l'un des Etats suivants et peuvent prouver qu'elles y bénéficient d'une couverture en cas de maladie: Allemagne, Autriche, France, Italie et, dans certains cas, la Finlande et le Portugal (section A par. 1 let. o point 3 b annexe II ALCP, dans sa version modifiée par les décisions n° 2/2003 et 1/2006 du Comité mixte UE-Suisse des 15 juillet 2003 et 6 juillet 2006 [RO 2004 1277 et 2006 5851]). Cette faculté est communément appelée "droit d'option" (cf. aussi KAHIL-WOLFF/PACIFICO, Sécurité sociale, droit du travail et fiscalité: le droit applicable en cas de situations transfrontalières, in: Assujettissement, cotisations et questions connexes selon l'Accord sur la libre circulation des personnes CH-CE, 2004, p. 37 s.).
4.3.3
Cette réglementation sur le droit d'option n'exige pas une couverture équivalente auprès d'un organisme d'assurance
de droit public
; il peut également s'agir d'une assurance conclue auprès d'un assureur privé.
Il est à relever dans ce contexte que jusqu'au 1
er
juin 2002 les relations entre la Suisse et la France en matière de sécurité sociale étaient régies par la Convention de sécurité sociale du 3 juillet 1975 entre la Confédération suisse et la République française (RS 0.831. 109.349.1). Les travailleurs frontaliers n'avaient alors pas l'obligation de s'affilier à la LAMal, faute de domicile en Suisse (
art. 3 LAMal
), mais ils en avaient la faculté (
art. 3 OAMal
; RS 832.102). Lors des négociations de l'ALCP, les autorités françaises n'ont pas souhaité l'introduction d'un droit d'option, car cela revenait à remettre en cause le principe de l'unicité de la législation applicable. Elles sont revenues sur cette position de principe après avoir été saisies par le Groupement transfrontalier européen - dont la vocation est de veiller à l'intérêt des populations transfrontalières - d'un rapport insistant sur l'importance du droit d'option pour les travailleurs frontaliers. Sur la base des conclusions d'une expertise indépendante, le gouvernement français s'est engagé dans un premier temps à accepter un droit d'option, mais en faveur seulement des régimes nationaux (LAMal ou couverture maladie universelle
BGE 135 V 339 S. 345
[CMU] selon la loi française du 27 juillet 1999). Comme une majorité de travailleurs frontaliers se trouvait alors au bénéfice d'un contrat d'assurance privé, le gouvernement a finalement admis que le choix pouvait aussi se porter sur des opérateurs privés en cas d'option pour la couverture d'assurance en France (voir à ce sujet: GUYLAINE RIONDEL BESSON, La sécurité sociale des travailleurs frontaliers dans le cadre de l'Accord sur la libre circulation des personnes, signé entre la Suisse et la Communauté européenne: l'exemple de l'assurance-maladie maternité, Cahiers genevois et romands de sécurité sociale [CGSS] 30/2003 p. 25 s.). La législation française a été modifiée en conséquence par l'adjonction dans le code de la sécurité sociale d'un article L. 380-3-1. Cet article pose le principe de l'affiliation obligatoire au régime de base de la sécurité sociale (CMU) des travailleurs frontaliers qui ont demandé à être exemptés de l'affiliation au régime suisse d'assurance-maladie. Il prévoit cependant, pour une période transitoire, se terminant au plus tard le 1
er
juin 2014 (selon l'actuelle version de cette disposition), que les intéressés peuvent conserver un contrat d'assurance privé, les couvrant en France, ainsi que leurs ayants droit, pour le risque de maladie et de maternité (voir RIONDEL BESSON, loc. cit., p. 30 s.;
de la
même auteure
, Le droit d'option en matière d'assurance-maladie dans le cadre de l'Accord sur la libre circulation des personnes: difficultés de mise en oeuvre et conséquences pour les assurés, CGSS 42/2009 p. 33 ss).
4.3.4
En fonction de ce droit d'option, les personnes qui résident en France et qui travaillent en Suisse peuvent ainsi être couvertes soit en Suisse soit en France. Elles ont le choix entre le régime d'assurance-maladie suisse selon la LAMal, le régime de la CMU et (pour une période transitoire) l'assurance privée en France. C'est donc en application de la réglementation précitée que le recourant - travaillant en Suisse et résidant en France - a demandé et obtenu l'exemption de l'assurance-maladie obligatoire en Suisse selon la LAMal au profit d'une couverture d'assurance privée.
4.4
La question est maintenant de savoir si le recourant peut déduire un droit au remboursement, même provisoire, par la CNA (ou par une autre institution compétente suisse) des frais de traitement litigieux en se fondant sur les règles générales de coordination européenne en matière d'assurance-maladie.
BGE 135 V 339 S. 346
4.4.1
La personne qui - à l'instar du recourant - travaille en Suisse et a opté pour la législation de l'Etat de résidence en ce qui concerne l'assurance-maladie reste assurée aux autres assurances sociales suisses, notamment à la LAA (
art. 1a LAA
).
Il est largement admis que les art. 18-36 du Règlement 1408/71 (chap. 1), qui concernent les éventualités maladie et maternité, englobent les prestations pour soins accordées pour les accidents non professionnels (BETTINA KAHIL-WOLFF, La coordination européenne des systèmes nationaux de sécurité sociale, in Soziale Sicherheit, SBVR vol. XIV, 2
e
éd. 2007, p. 200 n. 74 [ci-après: SBVR]; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in SBVR, p. 565 s. n. 494; FRÉSARD/MOSER-SZELESS, L'assurance-accidents obligatoire, in SBVR, p. 927 n. 282 et 283; SERAINA ROHNER, L'Accord et l'assurance-accidents selon la LAA: Accord sur la libre circulation des personnes, Sécurité sociale 2/2002 p. 85 s.; EDGAR IMHOF, Eine Anleitung zum Gebrauch des Personenfreizügigkeitsabkommens und der VO 1408/71: insbesondere eine Darstellung der besonderen Vorschriften der VO 1408/71 über die einzelnen Leistungszweige, in Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, 2001, p. 75; contra: PATRICIA USINGER-EGGER, Die Unfallversicherung und ihre Auslandwirkung, RSAS 2008 p. 253 ss, qui considère que les prestations de la LAA pour les accidents non professionnels sont dans l'ensemble soumises au chap. 4 du Règlement 1408/71, relatif aux accidents du travail et aux maladies professionnelles).
Par conséquent, si la personne en question est victime d'un accident non professionnel, elle pourrait prétendre des prestations en nature de l'assurance-accidents suisse (au titre de la LAA) et de l'organisme compétent dans son Etat de résidence (au titre de l'assurance-maladie). Dans cette éventualité, les coûts des prestations en nature sont répartis pour moitié entre l'assureur suisse LAA et l'institution de l'assurance-maladie de l'autre Etat (section A par. 1 let. o point 3
bis
annexe II ALCP; voir aussi KAHIL-WOLFF, SBVR, p. 206 n. 84). Cette éventualité n'entre pas en considération en l'espèce. Elle suppose un droit à des prestations des deux organismes. Or, le recourant - cela est incontesté - n'a pas droit à des prestations de la CNA en application de la LAA (supra consid. 3).
4.4.2
Le chapitre I ("Maladie et maternité") du Titre III ("Dispositions particulières aux différentes catégories de prestations") du
BGE 135 V 339 S. 347
Règlement 1408/71 contient des règles d'entraide visant à faciliter l'accès aux soins et aux prestations en espèces lors du séjour ou de la résidence en dehors de l'Etat compétent (soit l'Etat dans lequel l'intéressé est assuré). En ce qui concerne plus précisément les prestations en nature, qui sont en discussion ici, ces règles prévoient une répartition des tâches entre l'institution de l'Etat de résidence ou de l'Etat de séjour et l'Etat compétent selon les principales modalités suivantes:
a) En cas de
résidence
sur le territoire d'un Etat membre autre que l'Etat compétent, le travailleur (salarié ou non salarié) a droit à des prestations en nature servies - pour le compte de l'institution compétente - par l'institution du lieu de résidence, selon les dispositions de la législation que celle-ci applique (art. 19 par. 1 let. a du Règlement 1408/71). Les travailleurs frontaliers peuvent également obtenir les prestations sur le territoire de l'Etat compétent; ces prestations sont servies par l'institution compétente selon les dispositions de la législation de cet Etat, comme si l'intéressé résidait dans celui-ci (art. 20 du Règlement 1408/71).
b) En cas de
séjour
en dehors de l'Etat compétent, l'intéressé qui satisfait aux conditions requises par la législation de l'Etat compétent et dont l'état vient à nécessiter des prestations en nature nécessaires du point de vue médical a droit aux prestations en nature servies - pour le compte de l'institution compétente - par l'institution du lieu de séjour (art. 22 par. 1 let. a, dans sa version modifiée par le Règlement n° 631/2004, et applicable dans les relations entre la Suisse et l'Union européenne en vertu de la décision précitée n° 1/2006 du Comité mixte UE-Suisse). Cette disposition est aussi applicable aux personnes qui travaillent mais ne résident pas en Suisse et qui sont affiliées à l'assurance-maladie légale de leur Etat de résidence, pour tout état venant à nécessiter des prestations lors d'un séjour en Suisse (section A par. 1 let. o point 3
ter
annexe II ALCP introduit par la décision n° 2/2003 du Comité mixte). Il s'agit d'un accès facilité aux soins pour les personnes qui ont fait le choix de s'assurer au régime (légal) de la CMU (RIONDEL BESSON, L'évolution de la prise en charge des soins de santé à l'étranger dans le cadre des relations communautaires, CGSS 32/2004 p. 122 s.).
Sous réserve de cette dernière éventualité (état venant à nécessiter des prestations lors d'un séjour en Suisse), qui n'entre pas en
BGE 135 V 339 S. 348
considération ici (l'opération en Suisse était programmée et, de surcroît, l'intéressé n'était pas affilié à la CMU), le système d'entraide tel que décrit plus haut est inopérant en l'espèce. Il ne se conçoit en effet que dans le régime ordinaire d'affiliation à la
lex loci laboris
(cf. KESSLER/LHERNOULD, Code annoté européen de la protection sociale, 3
e
éd., Paris 2005, p. 155). De même, selon l'art. 20 précité du règlement, les travailleurs frontaliers assujettis à la LAMal (Etat d'occupation) peuvent aussi obtenir des prestations sur le territoire de l'Etat compétent (en l'occurrence la Suisse). Mais cette disposition est sans pertinence lorsque le travailleur frontalier a opté pour l'assurance de son Etat de résidence. Dans ce cas, en effet, l'Etat compétent et l'Etat de résidence coïncident et il n'y a donc pas matière à coordination des prestations d'assurance-maladie (cf. également EUGSTER, SBVR, p. 423 n. 74). La coordination se limite ici à l'accès facilité aux soins selon la décision susmentionnée n° 2/2003.
4.4.3
En conséquence, les règles de coordination européenne telles que décrites n'imposent pas, en l'espèce, une prise en charge des frais de traitement litigieux par une institution suisse d'assurance. Le recourant, du reste, ne prétend pas le contraire.
5.
5.1
Le recourant fait cependant valoir qu'il pâtit d'un conflit négatif de compétences, quand bien même il a régulièrement payé des cotisations visant à l'assurer contre les conséquences de la maladie et de l'accident, en Suisse comme en France. Le droit d'option instauré par l'ALCP conduit à une lacune en ce qui concerne l'entraide. Le but du règlement, qui est de garantir une prise en charge, au moins provisoire, au profit des travailleurs migrants est totalement manqué si l'assureur LAA et l'assureur-maladie refusent tous les deux, de manière non concertée, de prendre en charge un traitement. Selon lui, il convient d'interpréter les Règlements 1408/71 et 574/72 sous un angle téléologique soit au regard du but de l'ALCP. Sous cet angle il eût appartenu à la CNA, qui est l'organisme de liaison pour l'assurance-accidents, de prendre en charge le traitement litigieux et d'entreprendre au besoin les démarches nécessaires en vue de se faire rembourser par l'assureur privé.
5.2
On relèvera tout d'abord ici que la CNA n'est un organisme de liaison que pour les accidents du travail et les maladies
BGE 135 V 339 S. 349
professionnelles. Pour les accidents non professionnels (qui relèvent de la maladie; supra consid. 4.4.1), l'organe de liaison est l'Institution commune LAMal (section A par. 2 let. c point 4 et let. d point 1 annexe II ALCP). Il n'y a cependant pas lieu d'examiner plus avant si le recourant aurait dû en réalité s'adresser à cette institution. Son argumentation tirée d'une lacune dans le système d'entraide européen est, comme on va le voir, de toute façon mal fondée.
5.3
Un mécanisme de coopération judiciaire sous la forme notamment d'un renvoi préjudiciel à la Cour de justice des communautés européennes n'existe pas entre la Suisse et la Communauté européenne et ses Etats membres. Confronté à un problème d'interprétation, le juge suisse n'a donc ni l'obligation ni même la possibilité de se référer à la Cour de justice mais doit le résoudre seul, en se conformant aux règles d'interprétation habituelles déduites de la Convention de Vienne du 23 mai 1969 sur le droit des traités (RS 0.111;
ATF 130 II 113
consid. 6.1 p. 120 s.). Pour ce qui est de l'interprétation des accords internationaux, la Convention de Vienne pose des principes directeurs, qui sont relativement semblables aux méthodes d'interprétation valant pour les normes générales et abstraites que la jurisprudence fédérale a consacrées (
ATF 130 I 312
consid. 4.1 in fine p. 326;
ATF 130 II 113
consid. 6.1 in fine p. 121). Ainsi, l'art. 31 par. 1 de cette convention prescrit que le traité doit être interprété de bonne foi suivant le sens ordinaire à attribuer aux termes du traité dans leur contexte et à la lumière de son objet et de son but. Quant à l'art. 32 par. 1 in initio, il précise qu'il peut être fait appel à des moyens complémentaires d'interprétation, notamment aux travaux préparatoires, en vue soit de confirmer le sens résultant de l'application de l'art. 31, soit de déterminer le sens lorsque l'interprétation donnée conformément à ces dispositions laisse en particulier le sens ambigu ou obscur (let. a). Il n'appartient toutefois pas au juge de remédier par voie d'interprétation à une éventuelle lacune d'un traité international, en étendant l'application de celui-ci au-delà de son texte. Une telle application extensive n'entrerait en ligne de compte que si l'on pouvait déduire avec certitude du contexte ou de la genèse du traité que l'expression de la volonté des parties à la convention est inexacte (voir
ATF 119 V 98
consid. 6a p. 107;
ATF 117 V 268
consid. 3b p. 269).
5.4
Tel n'est pas le cas en l'espèce. Comme on l'a vu, l'exercice du droit d'option exclut, par principe, une coordination des prestations
BGE 135 V 339 S. 350
de l'assurance-maladie par le biais de l'entraide instituée par les art. 19 ss du Règlement 1408/71 (sous réserve d'un état venant à nécessiter des prestations lors d'un séjour en Suisse). Cette absence de coordination est le corollaire de l'exemption de l'assurance obligatoire en Suisse. Par ailleurs, les parties contractantes admettent une exemption de l'assujettissement à l'assurance-maladie suisse en cas de couverture équivalente non seulement auprès d'un organisme de droit public, mais également auprès d'un assureur privé. Cette dernière faculté comporte, il est vrai, certains risques pour l'intéressé, en ce sens qu'elle peut conduire à des lacunes d'assurance. Ainsi, les contrats d'assurance privés peuvent être résiliés en cas de retard dans le paiement des primes ou encore en cas de réticence. Le contrat d'assurance peut aussi prévoir des clauses d'exclusion qui ne sont généralement pas admissibles dans un régime de couverture d'assurance régi par le droit public (EUGSTER, SBVR, p. 423 n. 74). La présente cause est une illustration de ce risque. Selon une lettre de Y. à l'assuré du 31 août 2006, le refus par l'assurance privée de prendre en charge les frais d'hospitalisation à l'Hôpital X. est motivé par le fait que la prise en charge d'un traitement chirurgical est soumise à "entente préalable", que la prise en charge en Suisse est "hors contrat" et que la hernie discale est considérée par les experts français comme un accident dans les "trois premiers mois". Pour autant, ce n'est pas à l'institution de l'Etat dont la personne, précisément, est exemptée de l'assurance obligatoire, d'assumer les conséquences de ce risque. Cela reviendrait, dans les faits, à créer à la charge de cet Etat une assurance subsidiaire destinée à combler des lacunes de couverture ou à compléter une couverture d'assurance insuffisante ou encore à prendre en charge des prestations pour des affections faisant l'objet d'une réserve. Cette subsidiarité ne relève pas de la coordination des prestations selon le droit communautaire tel qu'il est aménagé dans les relations franco-suisses. Le fait que la CNA a alloué dans un premier temps des prestations avant de les refuser en raison de l'absence d'un événement accidentel ou d'un événement assimilé ne génère pas, à lui seul, une obligation découlant de la réglementation internationale de continuer à verser (même à titre provisoire) des prestations.
5.5
On notera enfin que l'art. 114 du Règlement 574/72 règle le versement provisoire de prestations en cas de contestation de la législation applicable ou de l'institution appelée à servir les
BGE 135 V 339 S. 351
prestations. Dans ce cas, l'intéressé bénéficie à titre provisoire des prestations prévues par la législation qu'applique l'institution du lieu de résidence. Dès lors, même en admettant que le cas présent requiert une coordination sous l'angle du droit communautaire, une prise en charge préalable incomberait, en application de cette disposition, à l'institution française et non à la première institution à laquelle l'intéressé s'est adressé.
5.6
En conclusion, il n'y a pas de lacune qu'il incomberait au juge de combler. L'argumentation du recourant est sur ce point mal fondée. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f1a9dc52-1784-47fe-8eb8-f4a46db42ee9 | Urteilskopf
125 I 7
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1998 i.S. Hugo Spirig und Mitbeteiligte gegen MediService AG, Andreas Maritz, Departement des Innern und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; formelle Rechtsverweigerung; Nichteintreten auf eine Konkurrentenbeschwerde; zivilrechtliche Ansprüche.
Es ist nicht willkürlich, auf die Beschwerde von Konkurrenten nicht einzutreten, mit welcher diese die Rechtmässigkeit einer Apothekenbewilligung für eine Versandapotheke bestreiten (E. 3).
Die Erteilung einer Apothekenbewilligung berührt nicht zivilrechtliche Ansprüche von Konkurrenten (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 125 I 7 S. 7
Das Departement des Innern des Kantons Solothurn erteilte am 26. März 1997 der MediService AG als Betriebsinhaberin und Andreas Maritz als verantwortlichem Apotheker die Bewilligung zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke in Zuchwil, welche teils als sogenannte Versandapotheke (Postversand von ärztlich verschriebenen Medikamenten an die Patienten) geführt wird. Hugo Spirig, Matthias Hochreuter, Regula Studer, Roland Stegmann und Franz Schaller erhoben am 7. April 1997 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit dem Antrag, die Bewilligung zu verweigern.
Mit Urteil vom 19. Januar 1998 trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht ein.
BGE 125 I 7 S. 8
Hugo Spirig, Matthias Hochreuter, Regula Studer, Roland Stegmann und Franz Schaller erheben gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
3.
a) Zur Diskussion steht einzig, ob das Verwaltungsgericht zulässigerweise die Legitimation der Beschwerdeführer verneint hat, was sich nach kantonalem Verfahrensrecht richtet. Die unrichtige Anwendung kantonalen Verfahrensrechts kann dabei nur insoweit beanstandet werden, als sie zugleich eine Verfassungsverletzung darstellt, namentlich wenn sie gegen
Art. 4 BV
verstösst. Das Bundesgericht kann im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde die Anwendung kantonalen Verfahrensrechts nicht frei prüfen, selbst wenn es inhaltlich gleich lautet wie entsprechendes Bundesrecht und die kantonalen Behörden erklärtermassen sich bei der Anwendung des kantonalen Rechts an das Bundesrecht anlehnen. Zu prüfen ist somit einzig, ob das Verwaltungsgericht § 12 Abs. 1 VRG/SO willkürlich ausgelegt oder angewendet hat.
b) § 12 Abs. 1 VRG/SO lautet wie folgt:
"Zur Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist legitimiert, wer durch eine Verfügung oder einen Entscheid berührt wird und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat."
Nach unbestrittener und zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts lehnt sich diese Formulierung an diejenige von
Art. 103 lit. a OG
an. Danach genügt zur Beschwerdelegitimation ein schutzwürdiges faktisches Interesse. Die Legitimation der Beschwerdeführer kann daher nicht schon damit verneint werden, das Bundesgericht sei in seinem zwischen den gleichen Parteien ergangenen Urteil vom 18. September 1997 (
BGE 123 I 279
) auf die damalige Eingabe der Beschwerdeführer nicht eingetreten; denn dort ging es um die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde, wozu nach
Art. 88 OG
eine Verletzung in geschützten Rechten erforderlich ist. Die Legitimation nach
Art. 103 lit. a OG
bzw. § 12 VRG/SO ist demgegenüber weiter gefasst.
c) Wenn - wie vorliegend - nicht der Verfügungsadressat, sondern ein Dritter die Verfügung anficht, ist zur Abgrenzung gegenüber der unzulässigen Popularbeschwerde gefordert, dass der
BGE 125 I 7 S. 9
Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht. Der Beschwerdeführer muss persönlich und unmittelbar einen rechtlichen oder faktischen Nachteil erleiden. Ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines, öffentliches Interesse berechtigt - ohne die erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache selber - nicht zur Beschwerde (
BGE 123 II 376
E. 2 S. 378 f., mit Hinweisen).
d) Konkurrenten eines Bewilligungsempfängers sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht schon auf Grund der blossen Befürchtung, einer verstärkten Konkurrenz ausgesetzt zu sein, zur Beschwerde legitimiert. Diese Art des Berührtseins liegt vielmehr im Prinzip des freien Wettbewerbs und schafft keine schutzwürdige besondere Beziehungsnähe (
BGE 109 Ib 198
E. 4d/e S. 202 f.). Erforderlich ist vielmehr eine spezifische Beziehungsnähe, die von der einschlägigen gesetzlichen Ordnung erfasst wird (
BGE 123 II 376
E. 5b/aa S. 382;
BGE 109 Ib 198
E. 4c/d S. 201; LUCREZIA GLANZMANN-TARNUTZER, Die Legitimation des Konkurrenten zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, Diss. St. Gallen 1997, S. 107, 122; ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl. Zürich 1998, S. 199 Rz. 554; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Basel/Frankfurt 1998, S. 351 Rz. 29). Oft wird zudem verlangt, dass der Konkurrent eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Position geltend macht (GLANZMANN-TARNUTZER, a.a.O., S. 149 ff, 176 f.; MERKLI/AESCHLIMANN/HERZOG, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, Bern 1997, S. 438 Rz. 12 zu Art. 65; ANDRÉ MOSER, in: MOSER/UEBERSAX, Prozessieren vor eidgenössischen Rekurskommissionen, Basel/Frankfurt 1998, S. 42; RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel/Frankfurt 1996, S. 244 Rz. 1275; ebenso ein Entscheid der Rekurskommission EVD vom 25. August 1995, VPB 60/1996 Nr. 46).
e) In
BGE 97 I 591
E. 2 S. 593 und
BGE 98 Ib 226
E. 2 S. 229 bejahte das Bundesgericht die Legitimation von Berner Apothekern zur Beschwerde gegen die Eröffnung einer Apotheke im Bahnhof Bern besonders deshalb, weil vorgesehen war, dass die neue Apotheke auch zu Zeiten offen halten konnte, da die anderen Apotheken in der Regel geschlossen sein mussten.
BGE 99 Ib 104
E. 1b S. 107 f. anerkannte die Legitimation einer zur Bankenrevision ermächtigten Treuhandgesellschaft gegen eine Verfügung, die einer anderen
BGE 125 I 7 S. 10
Gesellschaft dieselbe Tätigkeit gestattete, da sie in einer derart nahen Beziehung zur Streitsache stand, dass ihr die Befugnis zuerkannt werden musste. Ein schutzwürdiges Interesse wurde ferner angenommen für Konkurrenten in Wirtschaftszweigen, die durch wirtschaftspolitische Regelungen (z.B. Kontingentierung) geordnet werden, da hier durch die entsprechende Regelung für alle Konkurrenten eine besondere Beziehungsnähe geschaffen wurde (
BGE 101 Ib 87
E. 2a S. 90;
BGE 100 Ib 421
E. 1b S. 424;
BGE 97 I 293
E. 1c S. 297). Ebenso waren Kinoeigentümer als lokale Konkurrenten zur Beschwerde gegen die Eröffnung eines neuen Kinos legitimiert, weil die filmrechtliche Regelung die erforderliche spezifische Beziehungsnähe schaffte (
BGE 113 Ib 97
E. 1b S. 100). In einem nicht veröffentlichten Urteil vom 19. September 1996 i.S. W., E. 2c/bb, beschränkte das Bundesgericht die Legitimation auf Kinobetriebe in der gleichen Ortschaft, soweit die Bewilligung örtlich fester Kinos in Frage steht. Bezweckt ein Gesetz ausdrücklich den Schutz vor Konkurrenz, dann wird dadurch eine Rechtsposition der bisherigen Bewilligungsinhaber geschaffen, welche diese sogar zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Zulassung neuer Konkurrenten legitimieren kann (
BGE 119 Ia 433
E. 2c S. 437).
Ein Konkurrent ist sodann legitimiert, soweit er geltend macht, andere Konkurrenten würden rechtsungleich bzw. privilegiert behandelt (
BGE 101 Ib 178
E. 4b S. 186 [wobei hier allerdings der Verfügungsadressat, dem die bisher gewährte Vergünstigung im Unterschied zu andern entzogen worden war, Beschwerde erhoben hatte]; MERKLI/AESCHLIMANN/HERZOG, a.a.O., S. 438 Rz. 12 zu Art. 65; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI, a.a.O., S. 353 Rz. 40; vgl. auch - im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde -
BGE 123 I 279
E. 3d S. 281 f.;
BGE 121 I 279
E. 4 S. 284 f.).
f) Nicht als schutzwürdig gilt demgegenüber das Interesse des Konkurrenten an der Anfechtung der Baubewilligung, da der Konkurrent dadurch bloss in seiner allgemeinen wirtschaftlichen Stellung als Gewerbegenosse berührt ist (
BGE 109 Ib 198
E. 4e S. 202 f.). Ebensowenig als schutzwürdig anerkannt wird das Interesse von Produzenten an einer Verhinderung der lebensmittelpolizeilichen Zulassung eines Produkts, das den Absatz ihrer eigenen Produkte zu konkurrenzieren geeignet ist (
BGE 123 II 376
E. 5b/cc S. 383 f.;
BGE 113 Ib 363
E. 3c S. 367;
BGE 100 Ib 331
E. 2c S. 338). Die mit dieser Zulassung verbundenen Nachteile für die bisherigen Produzenten sind bloss mögliche Folgen der Marktentwicklung und verschaffen noch keine spezifische schützenswerte Beziehungsnähe
BGE 125 I 7 S. 11
(
BGE 123 II 376
E. 5b/cc S. 383). Auch das blosse Interesse an der Wahrung des Qualitätsstandards einer Berufsbranche vermag die Beschwerdelegitimation nicht zu begründen (MOSER, a.a.O., S. 42).
g) Im Lichte dieser Lehre und Rechtsprechung ist der angefochtene Entscheid jedenfalls nicht willkürlich.
aa) Soweit die Beschwerdeführer ihre Legitimation damit begründen, die von den Beschwerdegegnern betriebene Versandapotheke stelle eine Gefährdung der Volksgesundheit dar, machen sie ausschliesslich öffentliche Interessen geltend, was nach dem Gesagten keine Legitimation begründen kann. Dass sie als Apotheker gesetzlich verpflichtet sind, Umstände, durch welche ein Nachteil oder eine Gefahr für Gesundheit und Leben entstehen kann, amtlich anzuzeigen (§ 13 des Gesetzes vom 30. Mai 1857 über die Organisation des Sanitätswesens), ändert daran nichts. Das Recht oder auch die Pflicht zur Anzeige begründet für sich allein nicht generell eine Beschwerdelegitimation. Nach der von den Beschwerdeführern vertretenen weiten Auslegung wäre jeder Apotheker legitimiert zur Beschwerde gegen jegliches Vorhaben, das irgendwann zu einer Gefährdung der Gesundheit führen könnte. Eine derart weite quasi amtliche Aufsichtsfunktion bedürfte einer besonderen gesetzlichen Regelung (vgl.
Art. 103 lit. b und c OG
) und kann nicht in der allgemeinen Beschwerdebefugnis enthalten sein.
bb) Die blosse Eigenschaft als Konkurrenten der Beschwerdegegner kann ebenfalls keine Legitimation der Beschwerdeführer begründen. Eine solche ergibt sich auch nicht bereits daraus, dass beide der gleichen gesetzlichen Regelung, nämlich dem Sanitätsgesetz und der Heilmittelverordnung, unterstellt sind. Diese Gesetzgebung ist gesundheits- bzw. wirtschaftspolizeilich ausgerichtet (
BGE 123 I 279
E. 3c/ff S. 281). Würde das Bestehen einer solchen Regelung bereits ausreichen, um die Konkurrentenbeschwerde zuzulassen, würde die Regel, wonach die blosse Konkurrenteneigenschaft zur Legitimation nicht ausreicht, praktisch in ihr Gegenteil verkehrt, da die meisten Gewerbe irgendwie gesetzlich geregelt sind. Die anwendbaren gesetzlichen Grundlagen schaffen nicht eine spezifische wirtschaftsrechtliche Ordnung, welche die Apotheker im Sinne der oben E. 3d/e zitierten Lehre und Praxis in eine besondere Beziehung zu einander setzen würde. Wohl könnte sich eine unrichtige Anwendung der auf Apotheken anwendbaren Vorschriften unter Umständen zu Lasten der Beschwerdeführer auf die Konkurrenzverhältnisse auswirken. Dabei verhält es sich aber nicht anders als bei bau- oder lebensmittelpolizeirechtlichen Vorschriften, deren
BGE 125 I 7 S. 12
möglicherweise unrichtige Anwendung nach dem Gesagten die Konkurrenten noch nicht zur Beschwerde legitimiert.
Selbst wenn die massgebenden Vorschriften - wie die Beschwerdeführer vorbringen - den Schutz des Apothekerberufs zum Ziel hätten, würde sich am Ergebnis nichts ändern; denn geschützt würden nur die Apotheken gesamthaft vor der Konkurrenz durch apothekenfremde Verkaufsstellen (vgl.
BGE 119 Ia 433
E. 2c S. 437 f.), nicht aber die einen Apotheken vor der Konkurrenz durch andere. Die Beschwerdegegner betreiben indessen nicht eine apothekenfremde Verkaufsstelle, sondern gleich wie die Beschwerdeführer eine öffentliche Apotheke.
cc) Eine Legitimation der Beschwerdeführer wäre unter diesen Umständen höchstens dann zu bejahen, wenn sie eine zu ihrem Nachteil rechtsungleiche Anwendung der massgebenden Vorschriften geltend machten (
BGE 123 I 279
E. 3d S. 281 f.). Sie bringen indessen nicht vor, ihnen sei ein gleiches Verkaufskonzept wie dasjenige der Beschwerdegegner nicht bewilligt worden.
dd) Die Beschwerdeführer lehnen vielmehr dieses Verkaufskonzept ab, weil sie davon eine Schädigung des Ansehens ihres Berufsstandes befürchten. Wohl mag unter Umständen eine unrichtige Anwendung der einschlägigen Vorschriften geeignet sein, das Ansehen der Apotheker zu mindern. Dies als Grund für eine Anerkennung der Beschwerdelegitimation anzuerkennen, würde jedoch im Ergebnis bedeuten, dass jeder Gewerbegenosse legitimiert wäre, jede Bewilligung für einen Konkurrenten anzufechten, da eine unrichtige Anwendung der einschlägigen Vorschriften immer denkbar ist. Dieses Ergebnis würde den dargestellten Grundsätzen widersprechen. Zudem erscheint es auch wenig plausibel, dass allfällige durch den Versandhandel verursachte Probleme den Apothekern generell angelastet würden, zumal die Beschwerdeführer auch in ihrer Öffentlichkeitsarbeit einen erheblichen konzeptionellen Unterschied zwischen der herkömmlichen Offizinapotheke und einer Versandapotheke geltend machen.
h) Das Verwaltungsgericht hat daher keine verfassungsmässigen Rechte der Beschwerdeführer verletzt, wenn es deren Beschwerdelegitimation verneint hat.
4.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von
Art. 6 EMRK
, da das Verwaltungsgericht entgegen ihrem ausdrücklichen Antrag keine öffentliche Verhandlung durchgeführt habe.
a) Streitigkeiten über die Bewilligung einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit gelten als zivilrechtlich im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
BGE 125 I 7 S. 13
(
BGE 123 I 87
E. 2a S. 88;
BGE 122 II 464
E. 3b S. 466 f.; RUTH HERZOG,
Art. 6 EMRK
und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 195; je mit Hinweisen). Das trifft zu, wenn jemand durch staatliche Anordnungen in einer Tätigkeit, die er selber ausüben möchte, eingeschränkt wird; dadurch wird die `zivile' (bürgerliche) Rechtsposition des Betroffenen beeinträchtigt. Daraus folgt aber nicht ohne weiteres, dass auch Dritte, die sich gegen die Bewilligung einer entsprechenden Tätigkeit wenden, durch den Entscheid in ihren eigenen zivilen Rechten betroffen sind.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
begründet nicht selber materiellrechtliche Befugnisse, sondern sichert den verfahrensrechtlichen Schutz von zivilen Rechten, die nach nationalem Recht bestehen. Der Dritte, der gegen die Zulassung einer bestimmten Tätigkeit opponiert, kann sich nur auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
berufen, soweit die Erteilung der Bewilligung unmittelbare und direkte Auswirkungen auf ein ihm nach nationalem Recht zustehendes materiellrechtliches ziviles Recht hat (
BGE 123 II 376
E. 6 S. 384; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 26. August 1997 i.S. Balmer-Schafroth, Ziff. 32 und 40; je mit Hinweisen).
b) Durch die Erteilung der Bewilligung an die Beschwerdegegner werden keinerlei zivilrechtliche Befugnisse der Beschwerdeführer beeinträchtigt. Namentlich wird die Ausübung ihrer eigenen privatwirtschaftlichen Tätigkeit weder verboten noch eingeschränkt. Die Beschwerdeführer haben auf Grund der anwendbaren Vorschriften kein Recht auf Schutz vor Konkurrenz. Die staatliche Bewilligung an einen Konkurrenten, seinerseits die gleichen Produkte zu verkaufen wie die Beschwerdeführer, hat deshalb keine unmittelbaren Auswirkungen auf die zivilen Rechte der Beschwerdeführer (vgl.
BGE 123 II 376
E. 6 S. 384). Eine öffentliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht war auf Grund von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht erforderlich. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f1aea5ed-d23a-4347-9c81-50bdeab4d00c | Urteilskopf
101 IV 33
10. Urteil des Kassationshofes vom 3. Februar 1975 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen Weiss. | Regeste
Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1, 94 Ziff. 2 SVG,
Art. 137, 140 StGB
.
Abgrenzung von Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch und Verwendung eines anvertrauten Motorfahrzeugs zu Fahrten bzw. von Diebstahl und Veruntreuung, insbesondere bei Mitgewahrsam von Täter und Geschädigtem. | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 101 IV 33 S. 33
A.-
Ernst Weiss wurde 1972 der Lernfahrausweis auf unbestimmte Dauer entzogen.
1973 verkaufte er seinen Personenwagen dem mit ihm lebenden Sohn Peter.
Dieser wurde im selben Jahr für unbestimmte Zeit in der psychiatrischen Klinik Hasenbühl interniert. Bei der Einlieferung übergaben die Ärzte der Notfallstation Ernst Weiss den Autoschlüssel. Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt zu Hause wurde Peter Weiss erneut hospitalisiert. Vor dem zweiten Eintritt in die Klinik warf er den Wagenschlüssel in den Briefkasten.
Bei der ersten Hospitalisierung des Peter Weiss stand der Wagen in Binningen auf einem Parkplatz. Ernst Weiss steuerte ihn nach Hause. In der Folge benützte er ihn am 8. Dezember 1973, am 29. und 30. Januar 1974 und möglicherweise ein weiteres Mal vor dem 8. Dezember 1973.
B.-
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft erklärte Ernst Weiss der wiederholten Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch (
Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
) und des wiederholten Autofahrens trotz Entzuges des Lernfahrausweises
BGE 101 IV 33 S. 34
(
Art. 95 Ziff. 2 SVG
) schuldig und verurteilte ihn zu einem Monat Gefängnis und Fr. 50.-- Busse.
Auf Appellation Weiss sprach das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft ihn am 29. Oktober 1974 frei vom Vorwurf der wiederholten Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch und auferlegte ihm wegen wiederholten Autofahrens trotz Entzugs des Lernfahrausweises eine Haftstrafe von 14 Tagen und eine Busse von Fr. 50.--.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Verurteilung Weiss' wegen wiederholter Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch.
Weiss beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Das Obergericht ist zum Schluss gelangt, dass Weiss den Tatbestand der Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch gemäss
Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
nicht erfüllt habe, hingegen jenen der Verwendung eines anvertrauten Motorfahrzeugs zu Fahrten (
Art. 94 Ziff. 2 SVG
), wofür er aber mangels Strafantrags nicht bestraft werden könne. Wegen seiner Hospitalisierung von längerer Dauer habe der Sohn Weiss, als ihm bei der ersten Einlieferung die Ärzte den Autoschlüssel abnahmen und als er ihn beim zweiten Klinikeintritt in den Briefkasten warf, die Verfügungsgewalt, die tatsächliche Sachherrschaft über sein Auto verloren und damit an ihm nicht mehr Gewahrsam gehabt. Der Angeklagte habe deshalb mit seinen Fahrten nicht einen Gewahrsamsbruch begangen, welcher Tatbestandserfordernis des
Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
sei. Die Übergabe des Schlüssels an den Angeklagten habe den Wagen zu einer anvertrauten Sache gemacht, eine Erlaubnis für Fahrten aber nicht eingeschlossen, sondern nur eine Aufbewahrungspflicht begründet. Da der Angeklagte das Fahrzeug trotzdem benützte, habe er seine Treuepflicht und damit
Art. 94 Ziff. 2 SVG
verletzt, welche Bestimmung aber mangels Strafantrags nicht anwendbar sei.
b) Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft bestreitet, dass der Sohn des Angeklagten durch die Hospitalisierung und die Übergabe des Schlüssels den Gewahrsam am Wagen
BGE 101 IV 33 S. 35
verloren habe. Anderseits schlössen die tatsächlichen Verhältnisse die Annahme aus, der Wagen sei dem Angeklagten anvertraut worden.
2.
a) Für die Unterscheidung von Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 und 94 Ziff. 2 SVG gilt das Kriterium für die Abgrenzung zwischen Diebstahl (
Art. 137 StGB
) und Veruntreuung (
Art. 140 StGB
). Der Begriff der Entwendung in
Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
entspricht demjenigen der Wegnahme in
Art. 137 StGB
, was deutlich der französische Text zeigt, der beide Male denselben Ausdruck verwendet (soustraction). Ebenso sprechen
Art. 94 Ziff. 2 SVG
und
Art. 140 StGB
übereinstimmend von Anvertrauen.
Entwendung (Wegnahme) setzt Bruch fremden und Begründung eigenen Gewahrsams voraus (SCHULTZ, Strafbestimmungen des SVG S. 239; STRATENWERTH, Bes. Teil I S. 179), wobei zum Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft über die Sache gehört, verbunden mit dem Willen, sie auszuüben (
BGE 71 IV 91
, 185).
Bei Mitgewahrsam von Täter und Geschädigtem ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 98 IV 22
,
BGE 92 IV 90
) dort, wo der Eigentümer der Sache bzw. der Halter des Fahrzeugs übergeordneten Gewahrsam hat (SCHULTZ, ZBJV 1973 S. 416), Diebstahl bzw. Entwendung zum Gebrauch gemäss
Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
anzunehmen, bei gleichgeordnetem Gewahrsam, wo das Vertrauenselement im Vordergrund steht, dagegen Veruntreuung bzw. Verwendung eines anvertrauten Fahrzeugs im Sinne von
Art. 94 Ziff. 2 SVG
.
b) Der Angeklagte hat den Gewahrsam seines Sohnes an dem Wagen nicht gebrochen. Er hat Gewahrsam dadurch erlangt, dass ihm der Schlüssel übergeben bzw. in den Briefkasten gelegt wurde. Somit hat er keine Entwendungshandlung begangen. Vergeblich versucht die Staatsanwaltschaft zu unterscheiden zwischen dem Gewahrsam am Schlüssel und dem Gewahrsam am Wagen. Die tatsächliche Herrschaft über den Schlüssel bringt die Herrschaft über den Wagen mit sich. Wieso es hier anders sein sollte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil folgert das Obergericht aus dem Umstand, dass dem Angeklagten der Schlüssel zur Aufbewahrung übergeben wurde, zu Recht, dass ihm damit die Pflicht zur Aufbewahrung des Wagens selber überbunden wurde, umso mehr, als nach
Art. 332 Abs. 3 ZGB
das Familienhaupt von Gesetzes
BGE 101 IV 33 S. 36
wegen zu sorgfältiger Verwahrung der sich in seiner Verfügungsgewalt befindlichen Sachen eines Hausgenossen verpflichtet ist. Ob der Angeklagte zusammen mit seinem Sohn Mitgewahrsam gehabt hat, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls wäre der Mitgewahrsam nach den Umständen ein gleichgeordneter gewesen und die Vertrauenskomponente überwiegend in Erscheinung getreten. In Betracht wäre daher in jedem Fall nur
Art. 94 Ziff. 2 SVG
gekommen, der mangels Strafantrags nicht anzuwenden ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1b79f29-d0b2-448e-94ee-4f8a3047cc84 | Urteilskopf
141 IV 220
28. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Y. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_459/2014 vom 18. Mai 2015 | Regeste
Recht auf Teilnahme des Beschuldigten an Einvernahmen von Mitbeschuldigten (
Art. 147 Abs. 1 StPO
).
Der Beschuldigte hat grundsätzlich das Recht, an Einvernahmen von Mitbeschuldigten in vereinigten Verfahren teilzunehmen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4). Bei Verletzung des Teilnahmerechts sind belastende Aussagen von Mitbeschuldigten nicht verwertbar (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 220
BGE 141 IV 220 S. 220
A.
Y. war im März 2010 und im Juni/Juli 2010 auf verschiedene Art und Weise für einen von A. geführten, von den Niederlanden aus in der Schweiz operierenden Drogenhändlerring tätig, welcher mit Heroin handelte. Sie verkaufte insgesamt mindestens 790 bis 1'060 Gramm Heroingemisch für ca. Fr. 23'100.- bis ca. Fr. 31'200.-. Sie war zudem an der Verteilung von weiteren 455 bis 560 Gramm Heroingemisch durch Dritte beteiligt. Sie nahm Erlöse, die andere Mitglieder des Drogenhändlerrings durch den Verkauf von Heroin erzielt hatten, entgegen und leitete diese an X. weiter. Sie händigte im Auftrag von X. mehrere Mobiltelefone an Drogenkuriere aus. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Y.A. beschaffte sie ein Navigationsgerät, das sie einem Drogenkurier übergab.
BGE 141 IV 220 S. 221
B.
Das Bezirksgericht Baden sprach Y. am 27. September 2012 der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 lit. a-c aBetmG (in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung), der mehrfachen Gehilfenschaft zu qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der gewerbs- und bandenmässigen Geldwäscherei im Sinne von Art. 305
bis
Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 lit. b und c StGB schuldig. Es bestrafte sie mit einer Freiheitsstrafe von 5 1⁄2 Jahren.
Y. erklärte Berufung. In der Berufungsverhandlung stellte sie die Anträge, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei sie wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen mehrfacher Gehilfenschaft dazu sowie wegen Geldwäscherei zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten zu verurteilen.
Das Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, sprach Y. mit Urteil (SST.2013.22) vom 20. März 2014 in teilweiser Gutheissung der Berufung in einzelnen Anklagepunkten frei. Es sprach sie in den übrigen Anklagepunkten der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 lit. a-c aBetmG (in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung) sowie der gewerbs- und bandenmässigen Geldwäscherei im Sinne von Art. 305
bis
Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 lit. b und c StGB schuldig. Es bestrafte sie mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren sowie mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 10.-, Letztere bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren.
C.
Y. führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 20. März 2014 sei aufzuheben und sie sei freizusprechen. Eventualiter sei sie zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu verurteilen und für die erlittene Überhaft praxisgemäss zu entschädigen. Subeventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subsubeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Anweisung, das Verfahren an die Staatsanwaltschaft zur Wiederholung des Strafverfahrens gegen sie zurückzuweisen. Zudem ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege. Y. stellt ausserdem den prozessualen Antrag, ihre Beschwerde und die Beschwerde des Beschuldigten X. gegen das diesen betreffende Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau
BGE 141 IV 220 S. 222
(SST.2013.28) vom 20. März 2014 seien gemeinsam zu beurteilen und die beiden Beschwerdeverfahren seien zu vereinigen.
D.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat auf eine Vernehmlassung verzichtet und beantragt unter Hinweis auf die vorinstanzlichen Erwägungen die Abweisung der Beschwerde.
Das Obergericht des Kantons Aargau hat in seiner Vernehmlassung zur Frage der Verletzung der Teilnahmerechte Stellung genommen. Die Beschwerdeführerin hat sich zu dieser Vernehmlassung geäussert. Ihre Stellungnahme ist dem Obergericht zur Kenntnis zugestellt worden.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
2.1.1
Die Staatsanwaltschaft Baden vertrat während des gesamten Strafverfahrens die Auffassung, dass den Beschuldigten über das Recht auf Konfrontation mit Mitbeschuldigten hinaus keine Informations- und Partizipationsrechte zustehen, also kein Recht auf Teilnahme an den Einvernahmen von Mitbeschuldigten beziehungsweise weiteren Beschuldigten. Der Verteidiger der Beschwerdeführerin stellte mit Schreiben vom 26. August 2011, also nach Vereinigung der Verfahren gegen sie und die Beschuldigten X. und Y.A. am 5. August 2011, unter Hinweis auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
das Gesuch, dass sie über alle weiteren Beweiserhebungen informiert und ihr das Recht auf Anwesenheit und Teilnahme daran eingeräumt werde. Die Staatsanwaltschaft Baden antwortete mit Schreiben vom 8. September 2011, dass den Beschuldigten oder ihren Verteidigern von einer einmaligen Konfrontationseinvernahme abgesehen bis zum Vorliegen eines Bundesgerichtsentscheids über den Anwendungsbereich von
Art. 147 Abs. 1 StPO
keine Teilnahmerechte an Einvernahmen von mitbeschuldigten Personen gewährt werden. Mit Schreiben vom 16. September 2011 ersuchte der Verteidiger der Beschwerdeführerin um Erlass einer anfechtbaren Verfügung. Am 19. September 2011 wies die Staatsanwaltschaft Baden den Antrag der Beschwerdeführerin auf Teilnahme an Befragungen von Mitbeschuldigten ab. Zur Begründung stellte sich die Staatsanwaltschaft grundsätzlich auf den Standpunkt, es reiche aus, dass einer beschuldigten Person im Verlauf des Verfahrens mindestens einmal die Gelegenheit gegeben werde, den sie belastenden Personen Fragen zu stellen oder stellen zu lassen. Diesem Gebot werde im vorliegenden Verfahren
BGE 141 IV 220 S. 223
im Rahmen vorgesehener Konfrontationseinvernahmen Rechnung getragen. Die Staatsanwaltschaft vertrat in der genannten Verfügung vom 19. September 2011 die Ansicht, dass die beschuldigte Person gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
ein Recht auf Konfrontation mit den mitbeschuldigten Personen besitzt, deren Aussagen sie belasten. Hingegen lasse sich aus
Art. 147 Abs. 1 StPO
kein Recht auf Anwesenheit bei vorherigen Einvernahmen von mitbeschuldigten Personen ableiten. Ein solches Anwesenheitsrecht würde im Widerspruch zu
Art. 146 Abs. 1 StPO
stehen, wonach die einzuvernehmenden Personen getrennt einvernommen werden.
2.1.2
Die Beschwerdeführerin erhob gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Baden Beschwerde. Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau wies mit Entscheid (SBK.2011.249) vom 24. Oktober 2011 die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintrat. Sie erwog, die Frage, ob Einvernahmen, an welchen die beschuldigte Person oder ihr Verteidiger nicht hätten teilnehmen können, verwertbar seien, sei vom Sachgericht im ordentlichen Strafverfahren zu entscheiden. Die Beschwerdekammer verwies zudem auf ihren Grundsatzentscheid (SBK.2011.91) vom 19. Mai 2011 (teilweise wiedergegeben in: Forum poenale [FP] 2011 S. 208 ff.), wonach
Art. 146 Abs. 1 StPO
für sämtliche Verfahrensabschnitte den Grundsatz der getrennten Einvernahmen von mehreren Personen statuiere, wodurch die Unbefangenheit der einzuvernehmenden Person gewährleistet und ein kollusives Aussageverhalten erschwert werden sollen. Die Beschwerdekammer erkannte, die Verfügung der Staatsanwaltschaft, wonach zunächst getrennte Einvernahmen und hernach Konfrontationseinvernahmen durchzuführen seien, sei daher nicht zu beanstanden.
Die Beschwerdeführerin focht diesen Entscheid der Beschwerdekammer nicht an. Sie erhob mithin keine Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.
2.2
2.2.1
Die Beschwerdeführerin machte an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Baden vom 20. September 2012 geltend, dass die sie belastenden Aussagen der Mitbeschuldigten zufolge Verletzung ihrer Teilnahmerechte unverwertbar seien und sie daher vollumfänglich freizusprechen sei. Die Staatsanwaltschaft vertrat an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung die gegenteilige Auffassung und verwies zur Begründung auf den unangefochten
BGE 141 IV 220 S. 224
gebliebenen Entscheid der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau vom 24. Oktober 2011.
Das Bezirksgericht Baden erwog in der schriftlichen Begründung seines Urteils vom 27. September 2012 in Sachen der Beschwerdeführerin, in Anbetracht des in der Zwischenzeit in einer anderen Strafsache ergangenen Bundesgerichtsentscheids 1B_264/2012 vom 10. Oktober 2012 (
BGE 139 IV 25
) stehe fest, dass die Staatsanwaltschaft Baden der Beschwerdeführerin zu Unrecht die Teilnahme an den einzelnen Einvernahmen der Mitbeschuldigten verweigert hat. Die Verletzung von
Art. 147 Abs. 1 StPO
mache aber das vorliegende Beweisergebnis nicht generell unverwertbar. Gemäss
Art. 147 Abs. 4 StPO
seien Beweise, die in Missachtung von
Art. 147 Abs. 1 StPO
erhoben worden seien, bloss gegenüber der nicht anwesenden Partei unverwertbar. Die Beschwerdeführerin habe auch nach Abweisung ihres Gesuchs um Teilnahme an den Einvernahmen sämtlicher Mitbeschuldigter durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 19. September 2011 weiter ausgesagt und sich selber belastet. So habe sie in ihrer Schlusseinvernahme vom 3. November 2011 die eigenen während des Verfahrens gemachten Aussagen grösstenteils bestätigt. Das Beweisergebnis stütze sich zum grössten Teil auf diese Aussagen der Beschwerdeführerin. In der Hauptverhandlung vom 20. September 2012 habe diese die Sachverhaltsdarstellung der Staatsanwaltschaft im Grossen und Ganzen nochmals bestätigt. In Bezug auf die Aussagen, durch welche die Beschwerdeführerin sich selbst belaste, sei
Art. 147 Abs. 4 StPO
logischerweise nicht anwendbar. Das Gericht stütze sich fast ausschliesslich auf die Aussagen der Beschwerdeführerin. Wo es doch auf Aussagen der Mitbeschuldigten X. und Y.A. abstelle, habe die Beschwerdeführerin anlässlich der jeweiligen Konfrontationseinvernahmen sowie an der Hauptverhandlung die Möglichkeit gehabt, zum Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die Verletzung von
Art. 147 Abs. 1 StPO
bleibe deshalb hier unbeachtlich.
2.2.2
Rund zwei Wochen nach Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils fällte das Bundesgericht in einer anderen Angelegenheit einen Grundsatzentscheid zur Frage des Rechts zur Teilnahme an Beweiserhebungen gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
(
BGE 139 IV 25
). Es erwog, dass die beschuldigte Person gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
grundsätzlich ein Recht auf Teilnahme an den Einvernahmen von mitbeschuldigten Personen hat und dass dieses Recht nicht durch
Art. 146 StPO
betreffend getrennte Einvernahmen und
BGE 141 IV 220 S. 225
Gegenüberstellung eingeschränkt wird. Einschränkungen des Teilnahmerechts können sich aber aus verschiedenen Bestimmungen der StPO ergeben, wobei das Bundesgericht insoweit unter anderem zwischen den Teilnahmerechten von noch nicht einvernommenen beschuldigten Personen einerseits und von bereits einvernommenen beschuldigten Personen andererseits differenziert (siehe im Besonderen
BGE 139 IV 25
E. 4 und 5).
2.2.3
Am 20. März 2014 fand die gemeinsame Berufungsverhandlung betreffend die Beschwerdeführerin und die Beschuldigten X. und Y.A. statt. Die Beschwerdeführerin machte auch im Berufungsverfahren geltend, die Staatsanwaltschaft habe es ihr verunmöglicht, ihr Recht auf Teilnahme an den Einvernahmen der mitbeschuldigten Personen sowie von Zeugen und Auskunftspersonen im Sinne von
Art. 147 Abs. 1 StPO
wahrzunehmen, indem es in der Untersuchung unterlassen worden sei, sie auf die jeweiligen Einvernahmetermine aufmerksam zu machen. Ausserdem sei ihr das Akteneinsichtsrecht in Bezug auf sämtliche Mitbeteiligte verweigert worden. Daher seien alle Einvernahmen unverwertbar und sei sie freizusprechen.
3.
3.1
Die Vorinstanz erwog in ihrem Urteil (SST.2013.22) vom 20. März 2014 in Sachen der Beschwerdeführerin, indem diese den Entscheid der Beschwerdekammer des Obergerichts vom 24. Oktober 2011 nicht angefochten habe, habe sie auf ihre Teilnahmerechte verzichtet. Dies ergehe auch daraus, dass sie sich trotz der Abweisung ihres Gesuchs um Teilnahme an den Einvernahmen der Mitbeschuldigten nicht etwa geweigert habe, weitere Aussagen zu machen, sondern weitere, sich selbst belastende Aussagen gemacht habe. Daher verbiete sich im Berufungsverfahren eine erneute Prüfung der Frage nach dem Umfang der Teilnahmerechte der beschuldigten Person gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
. Daran vermöge auch nichts zu ändern, dass in der Zwischenzeit das Bundesgericht in einem anderen Fall mit Urteil 1B_264/2012 vom 10. Oktober 2012 (
BGE 139 IV 25
) in Bezug auf den Umfang der Teilnahmerechte der beschuldigten Person gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
ganz anders entschieden habe als die Beschwerdekammer des Obergerichts im Entscheid vom 24. Oktober 2011 in Sachen der Beschwerdeführerin.
3.2
Dieser Auffassung der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin den Beschwerdeentscheid des Obergerichts nicht anfocht, kann nicht auf einen
BGE 141 IV 220 S. 226
Verzicht auf die Gewährung von Teilnahmerechten gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
geschlossen werden. Die Beschwerdeführerin konnte auf der Grundlage der damaligen bundesgerichtlichen Rechtsprechung und in Anbetracht der Erwägungen im Entscheid der Beschwerdekammer des Obergerichts von einer Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gegen den Entscheid der Beschwerdekammer des Obergerichts in guten Treuen in der Überlegung absehen, dass die Fragen, ob ihre Rechte auf Teilnahme an Einvernahmen von Mitbeschuldigten verletzt worden seien und welche Konsequenzen sich aus einer allfälligen Verletzung der Teilnahmerechte bezüglich der Verwertbarkeit von belastenden Aussagen ergeben, allein im Hauptverfahren vor dem Sachgericht zur Entscheidung gestellt werden konnten und dass das Bundesgericht auf eine Beschwerde gegen den Zwischenentscheid der Beschwerdekammer des Obergerichts mangels eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils (
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
) nicht eingetreten wäre (siehe Urteile 1B_61/2012 vom 9. Februar 2012 E. 2 und 1B_441/2011 vom 20. September 2011 E. 2; vgl. auch Urteile 1B_320/2011 vom 29. September 2011 und 1B_291/2011 vom 15. Juli 2011, dazu ANDRÉ VOGELSANG,
Art. 147 StPO
: Wirksamer Gegenpol zur Allmacht der Staatsanwaltschaft oder bloss toter Buchstabe?, Anwaltsrevue 2012 S. 230 ff., 232 f.). Mit diesem Argument begründete der Verteidiger der Beschwerdeführerin in seinem 2. Vortrag an der Berufungsverhandlung, weshalb von einer Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid der Beschwerdekammer des Obergerichts abgesehen worden war. Darauf geht die Vorinstanz nicht ein.
3.3
Auch wenn aber davon ausgegangen wird, dass ein Zwischenentscheid zu Fragen der Gewährung und Verweigerung von Teilnahmerechten einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
bewirken kann und daher, soweit letztinstanzlich, mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht anfechtbar ist (siehe nun
BGE 139 IV 25
E. 1; Urteil 1B_404/2012 vom 4. Dezember 2012 E. 2; ANDREAS NOLL, Das Recht des Beschuldigten zur Teilnahme an Einvernahmen, 2013, S. 91 ff., 106 f.), kann die Verletzung von Teilnahmerechten stattdessen auch mit der Beschwerde in Strafsachen gegen das Endurteil gerügt werden, falls die Voraussetzungen gemäss
Art. 93 Abs. 3 BGG
erfüllt sind. Ist die Beschwerde nach
Art. 93 Abs. 1 und Abs. 2 BGG
nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken.
BGE 141 IV 220 S. 227
4.
4.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, zentrales Thema und damit Gegenstand der sie gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten X. betreffenden Berufungsverhandlung seien die gesetzwidrige Verfahrensführung durch systematische Ausschaltung der Parteiöffentlichkeit und die dadurch geschaffene Situation eines "Gefangenendilemmas" gewesen. Sie wirft der Vorinstanz vor, diese setze sich in ihrem Urteil mit der beanstandeten Verletzung des Anspruchs auf ein gesetzmässiges und faires Verfahren (
Art. 2 Abs. 2 und
Art. 3 StPO
), insbesondere durch Verweigerung der Informations- und Partizipationsrechte (
Art. 101 Abs. 1,
Art. 107 Abs. 1 und
Art. 147 Abs. 1 StPO
), und den möglichen Rechtsfolgen nicht genügend auseinander. Dazu wäre sie aber aufgrund der Offizialmaxime und des Grundsatzes "iura novit curia" sowie ihrer richterlichen Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Teilnahmerechte im Sinne von
Art. 147 Abs. 1 StPO
seien systematisch missachtet worden. Die Beweise seien deshalb gemäss
Art. 147 Abs. 4 StPO
nicht verwertbar. Daher sei sie vollumfänglich freizusprechen.
4.2
Die Strafprozessordnung regelt in Art. 142-146 die Einvernahmen.
Art. 146 StPO
handelt von der Einvernahme mehrerer Personen und von den Gegenüberstellungen. Nach
Art. 146 Abs. 1 StPO
werden die einzuvernehmenden Personen getrennt einvernommen. Gemäss
Art. 146 Abs. 2 Satz 1 StPO
können die Strafbehörden Personen, einschliesslich solcher, die ein Aussageverweigerungsrecht haben, einander gegenüberstellen.
Art. 147 f. StPO regeln die Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen. Gemäss
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
haben die Parteien das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen.
Art. 147 Abs. 1 StPO
statuiert damit den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen.
4.3
4.3.1
Das Teilnahme- und Fragerecht gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
hat nichts zu tun mit der Gegenüberstellung im Sinne von
Art. 146 Abs. 2 StPO
als Ausnahme vom Grundsatz der getrennten Einvernahmen gemäss
Art. 146 Abs. 1 StPO
. Wer im Sinne von
Art. 147 Abs. 1 StPO
an der Einvernahme einer anderen Person teilnimmt, wird dadurch weder gemäss
Art. 146 Abs. 1 StPO
einvernommen
BGE 141 IV 220 S. 228
noch im Sinne von
Art. 146 Abs. 2 StPO
der einvernommenen Person gegenübergestellt (NOLL, a.a.O., S. 25 f., 99; FELIX BOMMER, Zur Einschränkung des Teilnahmerechts des Beschuldigten an der Einvernahme Mitbeschuldigter, recht 30/2012 S. 143 ff., 145 f.; ANDREAS DONATSCH, Erste Erfahrungen mit dem Beweisrecht, FP 2012 S. 235 f.). In
Art. 147 Abs. 1 StPO
ist allgemein von "Parteien", "Beweiserhebungen" und "einvernommenen Personen" die Rede. Die beschuldigte Person ist Partei in demjenigen Verfahren, in welchem sie beschuldigt wird, und sie kann daher gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
an den Beweiserhebungen, die in diesem Verfahren durchgeführt werden, teilnehmen, wozu auch die Einvernahmen von im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen gehören. Die beschuldigte Person hat somit gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
das Recht, bei Einvernahmen von im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und den einvernommenen mitbeschuldigten Personen Fragen zu stellen. Dieses Recht wird durch
Art. 146 Abs. 1 und Abs. 2 StPO
betreffend getrennte Einvernahmen und Gegenüberstellung in keiner Weise berührt.
In diesem Sinne hat das Bundesgericht in seinem Grundsatzentscheid (
BGE 139 IV 25
) entschieden. Danach gilt der Anspruch der beschuldigten Person auf Teilnahme an Beweiserhebungen grundsätzlich auch für die Einvernahmen von mitbeschuldigten Personen, was sich sowohl aus der Systematik der StPO und dem Wortlaut der massgebenden Bestimmungen als auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt (zitierter BGE E. 4, 5.1 und 5.2). Der Gesetzgeber will die Partei- und Teilnahmerechte der beschuldigten Person bei Beweiserhebungen stärken, weil die Stellung der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren ausgebaut und die nochmalige Abnahme von (im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobenen) Beweisen im Hauptverfahren eingeschränkt worden ist (zitierter BGE E. 5.3). Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung im Urteil 1B_404/2012 vom 4. Dezember 2012 (E. 2.1) bestätigt.
4.3.2
Auch die Lehre vertritt wohl überwiegend die Auffassung, dass die beschuldigte Person gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
das Recht hat, an den Einvernahmen der mitbeschuldigten Personen teilzunehmen und diesen Personen Fragen zu stellen, und dass dieses Recht durch
Art. 146 Abs. 1 und Abs. 2 StPO
betreffend getrennte Einvernahmen und Gegenüberstellungen nicht berührt wird (siehe die Literaturhinweise in
BGE 139 IV 25
E. 5.1). Auch die neueste Lehre
BGE 141 IV 220 S. 229
teilt wohl überwiegend diese Auffassung (vgl. DORRIT SCHLEIMINGER METTLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 7c zu
Art. 147 StPO
; WOLFGANG WOHLERS, Das Anwesenheits- und Fragerecht der Verfahrensparteien bei Einvernahmen im Vorverfahren, FP 2013 S. 160 ff., 163 f.; THOMAS SPRENGER, Teilnahmerechte der Parteien im Strafverfahren - Wird die Ausnahme zum Grundsatz?, FP 2013 S. 167 ff., 170, 172; NOLL, a.a.O., S. 25 ff., 35 ff.; anderer Auffassung FABIEN GASSER, Trois ans de pratique du nouveau CPP, Revue fribourgeoise de jurisprudence [FZR] 2014 S. 1 ff., 5 f.; zweifelnd NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 823 Fn. 107).
4.4
Der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit bei Einvernahmen von mitbeschuldigten Personen kann allerdings unter Umständen zu Effizienzverlusten und zu gewissen prozessualen Ungleichbehandlungen von Mitbeschuldigten führen. Die Strafprozessordnung enthält indessen mehrere Bestimmungen, durch deren Anwendung das Problem entschärft werden kann (siehe im Einzelnen
BGE 139 IV 25
E. 5.4). Das Bundesgericht hat ausserdem in einem "obiter dictum" die Frage aufgeworfen, aber nicht abschliessend beantwortet, ob in Anbetracht des Kontextes zwischen dem Teilnahmerecht bei Beweiserhebungen (
Art. 147 Abs. 1 StPO
) und dem Akteneinsichtsrecht (
Art. 101 Abs. 1 StPO
) quasi in analoger Anwendung von
Art. 101 Abs. 1 StPO
und in teleologischer Reduktion von
Art. 147 Abs. 1 StPO
eine beschuldigte Person an der Einvernahme einer mitbeschuldigten Person nur teilnehmen kann, wenn sie selber in einer Einvernahme bereits mit dem Sachverhalt konfrontiert wurde, welcher der mitbeschuldigten Person in der Einvernahme vorgehalten wird (
BGE 139 IV 25
E. 5.5.4; ablehnend ERNST REBER, Das Teilnahmerecht des Beschuldigten an Einvernahmen Mitbeschuldigter, Anwaltsrevue 2012 S. 293 ff., 299; NOLL, a.a.O., S. 46 ff., 100). Ausnahmen von der durch
Art. 147 Abs. 1 StPO
gewährleisteten Parteiöffentlichkeit von Beweiserhebungen können sich sodann aus verschiedenen Bestimmungen ergeben, im Besonderen aus
Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO
bei begründetem Verdacht des Rechtsmissbrauchs durch eine Partei, aus
Art. 146 Abs. 4 lit. a StPO
im Falle einer Interessenkollision sowie aus Art. 149 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 lit. b StPO zum Schutz der einzuvernehmenden Person (siehe zum Ganzen im Einzelnen
BGE 139 IV 25
E. 5.5.6-5.5.10).
4.5
Das Recht auf Teilnahme an Beweiserhebungen gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
gilt allerdings nur in demjenigen Verfahren, in
BGE 141 IV 220 S. 230
welchem die Person, die das Teilnahmerecht beansprucht, Partei ist. Die beschuldigte Person kann mithin an Einvernahmen von anderen beschuldigten Personen gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 StPO
nur teilnehmen, wenn diese anderen Personen im gleichen Verfahren wie sie selbst beschuldigt werden. Der Anspruch der beschuldigten Person auf Teilnahme an Beweiserhebungen gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
gilt hingegen nicht in getrennt geführten Verfahren gegen andere beschuldigte Personen. Dies hat das Bundesgericht in
BGE 140 IV 172
E. 1.2 klargestellt und in den Urteilen 6B_1021/2013 vom 29. September 2014 E. 3.2 und 6B_518/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 2 bestätigt. In getrennt geführten Verfahren kommt den beschuldigten Personen im jeweils anderen Verfahren keine Parteistellung zu. Die Einschränkung der Teilnahmerechte von beschuldigten Personen in getrennten Verfahren im Vergleich zu mitbeschuldigten Personen im gleichen Verfahren ist vom Gesetzgeber implizit vorgesehen und hinzunehmen (
BGE 140 IV 172
E. 1.2.3). Die beschuldigte Person hat gegenüber in anderen Verfahren beschuldigten Personen nur, aber immerhin das Recht, mindestens einmal Fragen zu stellen. Die Aussagen von in anderen Verfahren beschuldigten Personen können mithin nur dann zulasten einer beschuldigten Person verwertet werden, wenn diese wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, die sie belastenden Aussagen in Zweifel zu ziehen und Fragen an die Beschuldigten in den getrennten Verfahren zu stellen, wobei diese Personen gemäss
Art. 178 lit. f StPO
als Auskunftspersonen einzuvernehmen sind (
BGE 140 IV 172
E. 1.3 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zum früheren Recht).
5.
Die Vorinstanz hätte mithin im Berufungsverfahren prüfen müssen, ob und inwiefern Teilnahmerechte der Beschwerdeführerin gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
verletzt wurden. Diese Prüfung hätte ergeben, dass die Beschwerdeführerin gestützt auf
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
das Recht hatte, an den Einvernahmen der im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen teilzunehmen, es sei denn, dass eine Teilnahme aus den aus dem Gesetz resultierenden Gründen (vgl. E. 4 hievor; siehe dazu
BGE 139 IV 25
E. 5.4 und 5.5) ausser Betracht fiel. Soweit Teilnahmerechte der Beschwerdeführerin verletzt wurden, sind Aussagen, die sie belasten, nicht verwertbar.
Die Sache ist daher in Gutheissung der Beschwerde in diesem Punkt an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird prüfen, welche zulasten der Beschwerdeführerin berücksichtigten Aussagen zufolge
BGE 141 IV 220 S. 231
Verletzung der Teilnahmerechte nicht verwertet werden dürfen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1b9530d-af1d-4ecc-9a11-0f0db0e9cc88 | Urteilskopf
105 V 193
44. Arrêt du 13 août 1979 dans la cause Caisse-maladie Fraternelle de Prévoyance contre Pellaton et Tribunal des assurances du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 12bis und 26 KUVG
, Art. 16 Vo III.
- Die Bestimmungen betreffend die Überversicherung entziehen den Kassen nicht die Möglichkeit, die Gewährung des Taggeldes vom Bestehen eines Lohn- oder Gewinnausfalls abhängig zu machen.
- Voraussetzungen der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen betreffend die Überversicherung (Aufrechterhaltung der Globalrechnung in diesem Bereich).
- Kosten, die in die Berechnung einbezogen werden dürfen (Beweisanforderungen). | Sachverhalt
ab Seite 193
BGE 105 V 193 S. 193
A.-
Marie Pellaton, née en 1928, ménagère sans activité lucrative, est assurée auprès de la Caisse-maladie Fraternelle de Prévoyance (ci-après: la caisse) notamment pour les soins médicaux et pharmaceutiques et pour une indemnité journalière de 3 fr. en cas d'incapacité de travail.
L'intéressée, atteinte d'une affection pour laquelle elle a reçu les prestations dues au titre de l'assurance des soins médicaux et pharmaceutiques, a subi une incapacité de travail totale - attestée par le Dr R. - du 23 janvier au 22 juillet 1976. La caisse lui a versé pour cette période, au titre de l'assurance d'une indemnité journalière, un montant de 130 fr., couvrant en totalité la participation de l'assurée (de 127 fr. 75) aux frais médicaux et pharmaceutiques. L'assurée requérant le versement du montant assuré de 3 fr. par jour, et aucun accord n'étant intervenu au terme d'un long échange de correspondance,
BGE 105 V 193 S. 194
la caisse a pris le 10 mars 1977 une décision qui, vu l'interdiction de la surassurance, faisait dépendre le paiement des pleines indemnités journalières de la présentation d'une liste des frais causés par la maladie.
B.-
Marie Pellaton a recouru. Elle faisait valoir que l'indemnité journalière de 3 fr. pour laquelle elle avait régulièrement payé les primes était une indemnité "pour ménagère", due sans que l'assurée ait à prouver un dommage; que, si elle n'avait pu être soignée par des membres de la famille, elle aurait dû être hospitalisée, ce qui eût coûté beaucoup plus à la caisse; qu'ayant dû renvoyer un pensionnaire, elle avait subi de ce fait un manque à gagner; qu'elle avait eu des dépenses supplémentaires pour nourrir la famille de ses filles venues la soigner, ainsi que pour des travaux de blanchissage et de nettoyage qu'elle n'était pas en état d'effectuer.
Le Tribunal des assurances du canton de Neuchâtel a admis le recours, par jugement du 29 avril 1977. Il a considéré en bref que, selon l'expérience générale de la vie, une maladie rendant le patient incapable de travailler entraîne le plus souvent un dommage, sous forme parfois de manque à gagner, mais surtout de frais supplémentaires; que, pour réels qu'ils soient, ces frais sont souvent difficiles à chiffrer et à justifier jusque dans les détails; que l'on peut voir dans les indemnités journalières minima la compensation forfaitaire de ce préjudice; que le versement d'une indemnité statutaire minimum de 3 fr. sans preuve du dommage effectif ne porte pas atteinte au principe de l'interdiction de la surassurance.
C.-
La caisse interjette recours de droit administratif. Elle invoque le but de l'assurance d'une indemnité journalière, qui est de suppléer au salaire perdu; relève que l'assuré sans activité lucrative ne peut par définition subir une perte de gain, sauf à prouver que les frais médico-pharmaceutiques et les autres frais entraînés par la maladie ne sont pas couverts par ailleurs; conteste que, s'agissant d'indemnités minima, cette preuve ne doive pas être rapportée; note que les assurés sans activité lucrative ont été clairement informés de cette situation et de l'inutilité probable de l'assurance d'une indemnité journalière, même réduite au minimum; rappelle le principe de la mutualité, qui serait violé par l'octroi sans condition de l'indemnité journalière minimum; conclut à l'annulation du jugement cantonal.
BGE 105 V 193 S. 195
Dans sa réponse, l'intimée fait valoir que l'art. 12bis LAMA prévoit une indemnité minimum de 2 fr. sans parler de justificatif et que la caisse, ayant encaissé des primes pour une indemnité journalière de 3 fr., a l'obligation statutaire de verser cette indemnité "pour ménagère". Elle conclut à la confirmation du jugement cantonal.
L'Office fédéral des assurances sociales note dans son préavis que, si les dispositions légales et les règles internes de la caisse sont muettes sur le point de savoir si les frais entraînés par la maladie, non couverts par ailleurs, doivent être prouvés par l'assuré, il tient cependant pour justifiée la possibilité d'un tel contrôle par la caisse. Il estime que le versement inconditionnel de l'indemnité minimum légale ou statutaire, sans contrôle possible, est en contradiction avec le principe de l'interdiction de la surassurance. Aussi propose-t-il l'admission du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 12 al. 1 LAMA, les caisses doivent prendre en charge au moins les soins médicaux et pharmaceutiques ou une indemnité journalière. Elles sont libres de pratiquer soit l'assurance des soins médicaux et pharmaceutiques, soit l'assurance d'une indemnité journalière, soit les deux genres d'assurance à la fois. Dans ce dernier cas, le membre de la caisse a le droit d'être assuré aussi bien dans l'une que dans l'autre assurance pour les prestations minimales prévues par les statuts (art. 1 Ord. III). Si la caisse pratique l'assurance d'une indemnité journalière, l'art. 12bis al. 1 LAMA lui prescrit d'allouer au membre assuré à ce titre une indemnité d'au moins 2 fr. par jour en cas d'incapacité totale de travail.
L'assurance de base des soins médicaux et pharmaceutiques est destinée à couvrir les frais de traitement. L'assurance de base d'une indemnité journalière sert par nature avant tout à compenser une perte de salaire ou de gain consécutive à la maladie, même si ce genre d'assurance n'est pas toujours conçu uniquement comme assurance de la perte de gain (voir par exemple H. GIORGIO, Les assurances sociales en Suisse, dans "La Suisse économique et sociale", 1926, pp. 688-689; K. BONER/W. HOLZHERR, L'assurance-maladie selon la loi fédérale sur l'assurance en cas de maladie et d'accidents, 1969, pp. 51-53). Par conséquent, la Cour plénière a constaté qu'on ne saurait
BGE 105 V 193 S. 196
interdire à une caisse de limiter le versement des prestations de l'une ou l'autre de ces assurances à ce qui est nécessaire pour couvrir les frais de traitement, respectivement une perte de salaire ou de gain, ou encore de définir de façon précise et exhaustive les frais ou le préjudice économique justifiant l'octroi des prestations convenues. Le fait de s'être assuré pour une indemnité journalière d'un montant donné et d'avoir payé les cotisations correspondantes n'ouvre donc pas forcément droit au versement d'une "somme assurée"; il justifie seulement l'indemnisation du dommage subi du fait de la maladie aux conditions fixées par les statuts, qui seront interprétés selon les principes déjà posés en cette matière par le Tribunal fédéral des assurances, les circonstances dans lesquelles l'assurance a été souscrite pouvant jouer un rôle important à cet égard.
En l'espèce, rien dans les dispositions internes de la caisse ne permet d'admettre que l'indemnité journalière doit être versée uniquement lorsqu'une perte de salaire ou de gain est établie. Contiendraient-elles du reste une telle limitation, il serait pour le moins douteux que cette dernière puisse être opposée à une ménagère, dont l'assurance d'une indemnité journalière aurait été conclue ou maintenue par une caisse sachant l'intéressée sans activité lucrative.
Quand une caisse-maladie est en principe tenue de payer l'indemnité journalière souscrite et que les statuts ne limitent pas valablement le versement de cette prestation à ce qui est nécessaire pour couvrir une perte de salaire ou de gain, à l'exclusion de tout autre dommage, alors seulement se pose le problème de la surindemnisation, réglé à l'art. 26 LAMA. L'al. 1 de cette disposition précise que l'assurance ne doit pas être une source de gain pour les assurés. Et l'art. 16 Ord. III définit le gain d'assurance comme étant toute prestation dépassant le montant intégral de la perte de gain, des frais médico-pharmaceutiques et des autres frais entraînés par la maladie qui ne sont pas couverts par ailleurs. Quant à la preuve de l'existence des frais à porter en compte, la Cour plénière a décidé qu'il y a lieu de s'en tenir à la jurisprudence suivant laquelle les autres frais dus à la maladie qu'on ne peut exactement prouver doivent être pris en considération s'ils découlent du mode de vie courant et se tiennent dans les limites usuelles (RJAM 1977 No 296, p. 149). Il ne se justifie pas de fixer une limite au-delà de laquelle ces principes ne seraient plus valables. Il ne sied pas
BGE 105 V 193 S. 197
non plus de prévoir un montant fixe, payable systématiquement, alors même que l'expérience de la vie nierait la vraisemblance de frais que ce montant serait censé couvrir ou qu'il apparaîtrait que des frais présumés auraient déjà été remboursés par ailleurs.
2.
Appliqués au cas d'espèce, les principes exposés ci-dessus conduisent à rejeter le recours. En effet, on l'a vu, aucune norme interne de la caisse ne limite l'octroi de l'indemnité journalière assurée à l'existence d'une perte de salaire ou de gain. L'assurée fait valoir dans son recours de première instance et répète devant la Cour de céans que l'indemnité journalière de 3 fr., pour laquelle elle a régulièrement payé les cotisations, est une indemnité qui lui est due sans conditions en cas d'incapacité de travail due à la maladie. Or l'expérience apprend qu'une ménagère incapable de vaquer à ses occupations est généralement amenée à effectuer des dépenses aptes à lui causer un préjudice économique atteignant, sous réserve de circonstances spéciales dont rien ne permet de penser qu'elles existent en l'espèce, un montant journalier de 3 fr. Il n'est par ailleurs pas établi que ce dommage ait été indemnisé en l'occurrence par un tiers.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f1bbd29a-980b-4709-946f-0c78f31f97cf | Urteilskopf
86 I 155
24. Urteil vom 1. Juli 1960 i.S. Nussbaumer und Konsorten gegen Bundesamt für Sozialversicherung. | Regeste
Obligatorische Unfallversicherung: Unterliegen ihr Gartenbauunternehmungen? | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 86 I 155 S. 155
A.-
Die Firmen Hans Nussbaumer, Walter Leder, Hugo Richard und Gartenbau AG, alle in Zürich, betreiben Gartenbaugeschäfte. Sie erstellen und pflegen Gartenanlagen und unterhalten Pflanzenkulturen.
Im Jahre 1957 unterstellte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt in Luzern die Betriebe der vier Firmen der obligatorischen Unfallversicherung. Bei Nussbaumer und bei Leder wurde das Büro, bei der Gartenbau AG die Baumschule von der Unterstellung ausgenommen.
Die gegen die Unterstellungsverfügungen erhobenen Rekurse wurden vom Bundesamt für Sozialversicherung abgewiesen. Es führt aus, die vier Firmen befassten sich nicht nur mit eigentlichen gärtnerischen Arbeiten, sondern auch, und zwar zu einem wesentlichen Teil, mit ausgesprochenen Bauarbeiten (umfangreichen Erdbewegungen, Erstellung gewisser Weganlagen, von Mauern, Wasserbassins, Sportplatzanlagen usw.), wobei Baumaschinen (Traxcavatoren, Betonmischer usw.) verwendet würden. Diese baugewerbliche Tätigkeit begründe die Versicherungspflicht (
Art. 60 Abs. 1 Ziff. 3 KUVG
, Art. 13 Ziff. 1 der Verordnung I über die Unfallversicherung). Die Versicherung
BGE 86 I 155 S. 156
erstrecke sich auf alle Betriebsteile, welche ihr in den angefochtenen Verfügungen unterstellt worden seien.
B.-
Gegen die Entscheidung des Bundesamtes erheben die vier Firmen, jede für sich, Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Jeder Beschwerdeführer beantragt, es sei zu erkennen, dass sein Betrieb der obligatorischen Unfallversicherung nicht unterliege. Es wird geltend gemacht, Gegenstand der Unternehmungen der Beschwerdeführer sei nur die Gärtnerei, nicht auch irgendein Zweig des Hoch- oder Tiefbaues. Bei der Gestaltung von Gartenanlagen führten die Rekurrenten keine eigentlichen baugewerblichen Arbeiten aus, sondern nur solche Arbeiten, die von jeher von den Gärtnern besorgt würden. Die Gärtnerei falle aber nicht unter die obligatorische Unfallversicherung. Die Beschwerdeführer Nussbaumer und Richard beantragen eventuell, die Unterstellung sei auf die Abteilung "Neuanlagen" bew. "Erstellung von Gartenanlagen" zu beschränken.
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Abweisung der Beschwerden.
D.-
Im Verfahren vor Bundesgericht ist ein Augenschein vorgenommen und ein Gutachten eingeholt worden. Die Experten, alt Stadtbaumeister Fritz Hiller und Stadtgärtner Willy Liechti, beide in Bern, haben ihren Bericht am 3. November 1959 erstattet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Da die vier Beschwerden gleichartige Tatbestände betreffen und nach den gleichen rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sind, rechtfertigt es sich, sie zu vereinigen und nur ein Urteil zu fällen.
2.
Das von den eidg. Räten im Jahre 1899 verabschiedete Gesetz betreffend die Kranken- und Unfallversicherung mit Einschluss der Militärversicherung (BBl 1899 IV S. 853) erklärte die Unfallversicherung obligatorisch für alle unselbständig erwerbenden Personen in der Schweiz vom 14. Altersjahr an, sofern sie länger als eine Woche
BGE 86 I 155 S. 157
beschäftigt sind und ihr Jahresgehalt Fr. 5000.-- nicht übersteigt. Nachdem dieses Gesetz in der Volksabstimmung vom 20. Mai 1900 verworfen worden war, schlug der Bundesrat vor, der obligatorischen Unfallversicherung "nur die Angestellten und Arbeiter zu unterstellen, auf die das gegenwärtige System der Haftpflicht der Arbeitgeber Anwendung findet". Er führte aus: "Diese Lösung rechtfertigt sich aus dem Umstande, dass die Ersetzung der Haftpflicht die hauptsächliche Triebfeder der ganzen Bewegung zugunsten der Versicherung gebildet hat, und dass diese Ersetzung die dringendste Aufgabe ist... Wollte man das Obligatorium auch auf andere Personen ausdehnen, so würde man bezüglich der genauen Begrenzung des Anwendungsgebietes neuen Schwierigkeiten begegnen" (BBl 1906 VI S. 313 f., 369 f., 418). Dieser Vorschlag fand in den eidg. Räten einhellige Zustimmung. Demgemäss sind die laut
Art. 60 KUVG
der obligatorischen Unfallversicherung unterstellten Arten von Unternehmungen die gleichen, die nach den Haftpflichtgesetzen von 1881, 1887 und 1905 der Haftpflicht unterstanden. Die Aufzählung des
Art. 60 KUVG
verwendet dieselben Bezeichnungen, die sich in jenen Gesetzen finden. Durch das Gesetz vom 18. Juni 1915 betreffend Ergänzung des KUVG vom 13. Juni 1911 wurden sodann hinter
Art. 60 KUVG
die Art. 60 bis und 60 ter eingefügt. Art. 60 bis ermächtigt den Bundesrat, die obligatorische Unfallversicherung zu erstrecken auf bestimmte weitere Arten von Unternehmungen, auf Bestandteile gemischter Unternehmungen und auf Hilfs- oder Nebenbetriebe, auf Regiearbeiten öffentlicher Verwaltungen und ähnlicher Anstalten sowie auf gewisse Arbeiten, die von Personen auf eigene Rechnung ausgeführt werden, ohne dass die Merkmale einer Unternehmung vorliegen. Art. 60 ter bestimmt, dass der Bundesrat in den Ausführungsvorschriften zu Art. 60 und 60 bis die der obligatorischen Versicherung unterworfenen Arten von Unternehmungen und Betrieben näher bezeichnen wird.
Hieraus ergibt sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers
BGE 86 I 155 S. 158
das Obligatorium der Unfallversicherung nur einerseits die Arten von Unternehmungen erfasst, die früher bereits der Haftpflicht unterstanden, und anderseits die Arten von Unternehmungen und Arbeiten, auf welche der Bundesrat die Versicherungspflicht im Rahmen der ihm in
Art. 60 bis KUVG
erteilten Ermächtigung ausdehnt. Unternehmungen und Arbeiten, die nicht unter die in Gesetz und Ausführungsvorschriften enthaltene Aufzählung fallen, sind der obligatorischen Versicherung nicht unterworfen.
3.
Als versicherungspflichtige Unternehmungen sind Betriebe anzusehen, in denen als Gewerbe eine Betätigung ausgeübt wird, welche nach ihrer Art die Zugehörigkeit zur Versicherung begründet. Eine Betätigung als Gewerbe liegt vor, wenn sie fortwährend oder wiederkehrend einen Gegenstand der Unternehmung bildet (Art. 2 VO I über die Unfallversicherung). Die Versicherungspflicht kann sich je nach den Verhältnissen auf eine ganze Unternehmung oder auch nur auf einen oder mehrere Betriebsteile erstrecken (
Art. 60 bis Ziff. 1 lit. d KUVG
; Art. 4-8, 10 VO I).
Die Beschwerdeführer sind Inhaber von Unternehmungen. Sie verrichten alle von ihnen übernommenen Arbeiten gewerbsmässig im Rahmen dieser Unternehmungen; sie führen keinerlei Arbeiten aus, ohne dass die Merkmale einer Unternehmung gegeben sind. Es kann sich daher nur fragen, ob man es mit Unternehmungen (Betrieben oder Betriebsteilen) zu tun hat, die ihrem Gegenstand nach unter die Versicherungspflicht fallen. Eine Unterstellung unter einem anderen Gesichtspunkt (Regiearbeiten, Arbeiten ausserhalb einer Unternehmung) kommt nicht in Betracht.
Es handelt sich, wie nicht bestritten ist, auch nicht um eine der Arten von Unternehmungen, auf welche der Bundesrat die obligatorische Versicherung gestützt auf
Art. 60 bis KUVG
ausgedehnt hat (Art. 15-17 VO I).
In Frage kommt nur eine Unterstellung auf Grund des
Art. 60 KUVG
, und zwar der Vorschriften in Abs. 1 Ziff. 3,
BGE 86 I 155 S. 159
wonach versicherungspflichtig sind Unternehmungen, die zum Gegenstand haben a) "das Baugewerbe", d) "den Eisenbahn-, Tunnel-, Strassen-, Brücken-, Wasser- und Brunnenbau". In Ausführung dieser - dem Gesetz von 1887 betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht entnommenen - Umschreibung hat der Bundesrat gestützt auf
Art. 60 ter KUVG
bestimmt, dass unter sie die Unternehmungen fallen, die zum Gegenstand haben "irgendeinen Zweig des Hoch- oder Tiefbaues, also Erstellung, Abbruch, Veränderung, Ausbesserung oder Unterhalt von Bauten und Bauwerken jeder Art oder von Teilen solcher, die Herrichtung von Bestandteilen für Bauten, die technische Vorbereitung und Leitung solcher Arbeiten; die Reinigung von Gebäuden, Strassen, öffentlichen Plätzen und Anlagen" (Art. 13 Ziff. 1 VO I). Der Streit geht darum, ob die vier Beschwerdeführer Unternehmungen des Baugewerbes, insbesondere des Tiefbaues, im Sinne dieser Bestimmungen betreiben. Nur wenn dies zutrifft, ist die Unterstellung der Beschwerdeführer unter die obligatorische Unfallversicherung gerechtfertigt. Sie lässt sich nach dem geltenden Rechte nicht sonstwie begründen.
4.
Nun steht fest, dass Unternehmungen, welche die Gärtnerei zum Gegenstand haben, der Haftpflicht nicht unterstellt waren. Sie wurden insbesondere nicht als Unternehmungen des Baugewerbes im Sinne des Haftpflichtgesetzes von 1887 betrachtet. In der Tat bildet die Gärtnerei nach landläufiger Auffassung einen besonderen, sich vom Baugewerbe deutlich unterscheidenden Berufszweig. Sie befasst sich nicht mit der Herstellung von Bauwerken (Hoch- oder Tiefbauten). Nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus der in Erw. 2 hiervor dargelegten Entstehungsgeschichte des KUVG ergibt, sind daher Unternehmungen, welche die Gärtnerei (im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauches) zum Gegenstand haben, der obligatorischen Unfallversicherung nicht unterworfen; denn sie fallen nicht unter die einzig in Frage kommenden Bestimmungen von Art. 60 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a und d
BGE 86 I 155 S. 160
KUVG und Art. 13 Ziff. 1 VO I, die ihr Vorbild in den entsprechenden Vorschriften des Haftpflichtgesetzes von 1887 haben. Die Gärtnerei unterliegt dem Obligatorium der Versicherung so wenig wie die mit ihr verwandte Landwirtschaft, welche das Gesetz ausdrücklich dem Gebiete der freiwilligen Versicherung vorbehält (
Art. 116 KUVG
, Art. 9 VO I).
5.
Die Unternehmungen der Beschwerdeführer bestehen aus den drei Abteilungen Neuanlagen (Gestaltung oder Umgestaltung von Gärten usw.), Gartenpflege (Unterhalt bestehender Anlagen) und Pflanzenkulturen (Baumschulen usw.). Es ist klar und unbestritten, dass die Betätigung, die in den beiden letztgenannten Betriebsteilen ausgeübt wird, nicht als Herstellen von Bauwerken charakterisiert, also nicht zum Baugewerbe im Sinne des Gesetzes gerechnet werden kann, sondern eindeutig gärtnerischen Charakter hat und daher die Versicherungspflicht nicht zu begründen vermag. Streitig ist dagegen, wie es sich mit der Abteilung Neuanlagen verhält. Es ist zu prüfen, ob die dort ausgeführten Arbeiten gärtnerischen oder baugewerblichen Charakter haben. Sind sie teils der einen, teils der anderen Art, so kommt es darauf an, ob die baugewerbliche Betätigung eine Bedeutung hat, die es rechtfertigt, das Bestehen einer Unternehmung, welche einen Zweig des Baugewerbes zum Gegenstand hat, anzunehmen. Massgebend für die Charakterisierung eines Betriebsteils muss, was nicht bestritten ist, die hauptsächliche Tätigkeit sein, die dort verrichtet wird. Das Gesetz bestätigt dies durch die Anordnung, dass in Fällen, wo der Hauptbetrieb nicht versicherungspflichtig ist, die Versicherung auf Nebenbetriebe, die ihrer Art nach darunter fallen würden, in der Regel nicht Anwendung finden soll (Art. 60 bis Ziff. 1 lit. d; vgl. Art. 7 VO I).
6.
Die SUVAL und das Bundesamt für Sozialversicherung betrachten die Arbeiten, welche ein Gartenbaubetrieb bei der Erstellung von Neuanlagen ausführt, zum grössten Teil als ausgesprochen baugewerbliche Verrichtungen; zu
BGE 86 I 155 S. 161
den typischen Gärtnerarbeiten rechnen sie nur die von Hand vorgenommenen Planie- und Humusarbeiten, das Anlegen einfacher Gartenwege (ohne Betonunterlage) und von Prügeltreppen, das Verlegen von Gartenplatten und Einfassungen auf Sand (ohne Mörtel oder Beton), die Rasenansaat und die Anpflanzungen. Von dieser Auffassung ausgehend, nehmen sie an, dass im Falle der Beschwerdeführer die Abteilung Neuanlagen einen Zweig des Baugewerbes zum Gegenstand habe, weil dort zu einem wesentlichen Teil eigentliche Bauarbeiten ausgeführt würden. Dabei legen sie besonderes Gewicht darauf, dass in den Betrieben der Beschwerdeführer, wie überhaupt im Gartenbau, sei einiger Zeit für die Erdbewegungen und das Erstellen von Mauerwerk usw. mehr und mehr Maschinen (Traxcavatoren, Betonmischer usw.) eingesetzt worden sind, deren sich die Unternehmungen des Hoch- und Tiefbaues zu bedienen pflegen.
Dagegen ziehen die Beschwerdeführer den Kreis der gärtnerischen Arbeiten wesentlich weiter, ebenso die Experten Hiller und Liechti. Diese zählen dazu folgende Leistungen:
a) Bei der Gestaltung von Gärten: manuelle oder maschinelle Rohplanie, sofern sie nicht schon ganz oder teilweise vom Bauunternehmer ausgeführt wurde; Feinplanie; Humusab- und -auftrag, von Hand oder maschinell ausgeführt; Erstellen von Natursteinmauern ohne tragende oder stützende Funktion, nicht über 1-1,5 m hoch, mit oder ohne Mörtel oder Beton; Verlegen von Kunststein- oder Naturstein-Plattenbelägen für Wege und Plätze auf Sand oder Magerbeton; Wegeinfassungen mit Kunststein- oder Natursteinplatten, Stellriemen oder Bordsteinen; Erstellen von Treppen aus Naturstein oder Fertigelementen, mit oder ohne Betonfundament; Anlegen von Plätzen für Aufhängen der Wäsche und Reinigen der Teppiche, von Spielplätzen für Kinder; Erstellen von Zugangs- und Verbindungswegen mit Geröllkiesunterlage; Anlegen kleiner Leitungsgräben.
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b) Bei der Gestaltung von Turn- und Sportanlagen, öffentlichen Parkanlagen und Friedhöfen: zum Teil die gleichen Leistungen, ferner Erstellen von Trockenturnplätzen und Weichbodenanlagen mit Versetzen der Turngeräte.
Die Experten führen aus, dass alle diese Arbeiten "in der Fachwelt und gemäss der geltenden Praxis im Bauwesen nicht als Bauarbeiten, d.h. als Arbeiten des Baugewerbes, sondern als ausgesprochene Gärtnerarbeiten betrachtet werden". "Die Erstellung von Grünanlagen im erwähnten Sinne", so erklären sie, "ist ein Berufszweig für sich, der die Aufgabe hat, sich unter Heranziehung aller hiefür geeigneter Mittel ausschliesslich mit der Gestaltung der Erdoberfläche und der Landschaft zu befassen".
Es besteht kein Grund zur Annahme, dass das Gutachten die Auffassung der Fachwelt über die Abgrenzung des Bau- und des Gärtnergewerbes nicht zutreffend wiedergibt. Die von den Experten getroffenen Unterscheidungen stimmen im wesentlichen auch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch überein. Es darf angenommen werden, dass sie dem Begriff des Baugewerbes, wie er in
Art. 60 Abs. 1 Ziff. 3 KUVG
und Art. 13 Ziff. 1 VO I umschrieben ist, entsprechen. Die Verwaltung legt zu viel Gewicht darauf, dass in Gartenbaubetrieben zum Teil Arbeiten ausgeführt werden, die solchen des Baugewerbes ähnlich sind (gewisse Erdbewegungen, Stein- und Betonarbeiten usw., mit Verwendung von Baumaschinen). Entscheidend ist, ob eine Unternehmung die Herstellung von Bauwerken oder aber nur die Gestaltung der Erdoberfläche zum Gegenstand hat. Das Gutachten legt überzeugend dar, dass zur Gestaltung des Geländes, die ein Gartenbaugeschäft vorzunehmen hat, unter Umständen auch Arbeiten wie grössere Erdbewegungen, Erstellen von Mauerwerk, Betonunterlagen usw. gehören, jedenfalls dann, wenn sie ein gewisses Ausmass ("den üblichen Rahmen") nicht überschreiten.
7.
Die Experten erklären, dass die Arbeiten, die im untersuchten Zeitraum (1955-1957) von den vier Beschwerdeführern
BGE 86 I 155 S. 163
in der Abteilung Neuanlagen ausgeführt wurden, durchweg als gärtnerische Verrichtungen betrachtet werden müssen, über den Rahmen des in der Gärtnerei Üblichen nicht hinausgehen. Den tatsächlichen Feststellungen, auf welche diese Auffassung gestützt wird, ist zu entnehmen: Erdbewegungen mit dem Trax wurden in der Regel nur bis zu einer geringen Tiefe (ca. 50 cm bis 1 m) vorgenommen, sei es durch die Beschwerdeführer Richard und Gartenbau AG selber, welche im Unterschied zu den beiden anderen Beschwerdeführern über eigene Trax verfügen, sei es durch Dritte (Bauunternehmungen), denen diese Arbeiten vergeben wurden. Die erstellten Mauern sind in den meisten Fällen nicht höher als 1 m. Soweit bei der Errichtung von Mauern, Treppen, Wegeinfassungen usw. für die Befestigung (Fundamente, "Hinterbetonierung") Mörtel und Beton verwendet wurden, entfiel auf das einzelne Objekt immer nur eine kleine Menge. Steinmaterial, Mörtel und Beton verteilen sich auf viele, meist kleine, zum Teil unbedeutende Objekte. Arbeiten, welche das Gutachten zu den baugewerblichen Verrichtungen rechnet, wie der Bau von Stützmauern aus Beton, von grösseren Wasserbassins, ferner Pflästerungen, Erstellen von Teer- und Asphaltbelägen usw., wurden nicht von den Beschwerdeführern selbst, sondern von Dritten (Bauunternehmungen) ausgeführt.
Man könnte sich fragen, ob entgegen der Auffassung der Experten gewisse von den Beschwerdeführern besorgte Arbeiten, wie besonders umfangreiche Erdbewegungen mit dem (eigenen) Trax, grössere Stein- und Betonarbeiten usw., doch über den Rahmen blosser gärtnerischer Gestaltung der Erdoberfläche hinausgehen, als eigentliche baugewerbliche Verrichtungen anzusehen sind. Die Frage kann indessen offen gelassen werden. Auf jeden Fall haben die Arbeiten, welche die Verwaltung als ausgesprochene Bauarbeiten bezeichnet, weitaus zum grössten Teil eindeutig gärtnerischen Charakter. Nach den Schätzungen der Experten entfallen auf die Gesamtheit dieser umstrittenen
BGE 86 I 155 S. 164
Arbeiten vom durchschnittlichen Umsatz nur der Abteilung Neuanlagen in den Jahren 1955-1957 bei Nussbaumer 37,5% (davon Traxarbeiten - offenbar im Unterakkord vergeben - 5,5%), bei Leder 27%, bei Richard 42% (davon Traxarbeiten 9%) und bei der Gartenbau AG 41% (davon Traxarbeiten 11%). Für die wenigen Verrichtungen, die allenfalls als baugewerbliche Betätigung zu charakterisieren wären, kann nur ein geringer Teil dieser Prozentzahlen eingesetzt werden. Diese Arbeiten sind in ihrer Gesamtheit im Verhältnis zu der übrigen Betätigung, die zweifellos zum Bereich der Gärtnerei gehört, derart unbedeutend, dass sie für die Charakterisierung der Abteilung Neuanlagen - die als ein einheitlicher Betriebsteil im Sinne der Gesetzgebung über die obligatorische Unfallversicherung betrachtet werden muss - ausser Betracht fallen. Sie geben diesem Betriebsteil keineswegs das Gepräge.
Die Abteilung Neuanlagen hat somit bei allen vier Beschwerdeführern nicht irgendeinen Zweig des Baugewerbes (des Hoch- oder Tiefbaues) im Sinne von
Art. 60 Abs. 1 Ziff. 3 KUVG
und Art. 13 Ziff. 1 VO I zum Gegenstand, sondern - gleich wie die Abteilungen Gartenpflege und Pflanzenkulturen - die Gärtnerei, welche ein besonderer, selbständiger Berufszweig ist. Die Unternehmungen der Beschwerdeführer unterliegen daher nach dem geltenden Rechte der obligatorischen Unfallversicherung nicht, auch nicht bloss teilweise.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden gutgeheissen. Die angefochtenen Unterstellungsverfügungen werden aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer der obligatorischen Unfallversicherung nicht unterliegen. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f1be9835-895c-4e7d-96bd-4d12884d0164 | Urteilskopf
92 I 277
48. Extrait de l'arrêt du 28 septembre 1966 dans la cause Gross et consorts contre Conseil d'Etat du canton de Vand. | Regeste
Eigentumsgarantie. Gesetzliche Grundlage. Öffentliches Interesse.
1. Gesetzliche Grundlage für die Schaffung von Grünzonen; sie ist im waadtländischen Recht vorhanden (Art. 25 der Loi sur les constructions et l'aménagement du territoire) (Erw. 1).
2. Grundstücke, die in einem früheren, nicht angefochtenen Plan einer Grünzone zugewiesen worden sind; der heutige Eigentümer ist befugt, einen neuen Plan anzufechten, der die Grundstücke wiederum dieser Zone zuweist (Erw. 2).
3. Zone für öffentliche Bauten: Erfordernis einer klaren und eindeutigen gesetzlichen Grundlage; an einer solchen fehlt es im waadtländischen Recht (Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 278
BGE 92 I 277 S. 278
Résumé des faits:
A.-
L'art. 25 de la loi vaudoise du 5 février 1941 sur les constructions et l'aménagement du territoire (LCAT), dans la teneur que lui a donnée la novelle du 26 février 1964, dispose ce qui suit:
"Les règlements communaux peuvent fixer les règles et conditions relatives:
1. aux zones instituées sur le territoire communal, telles que zones d'habitation, zone industrielle, zone de verdure, zone agricole;
2. aux alignements le long, en retrait et en dehors des voies publiques et privées existantes et à créer;
3. à l'ordre des constructions (contigu ou non contigu);
4. au profil des voies nouvelles ou des voies à modifier;
5. à la création et à l'entretien d'espaces verts entre les bâtiments et les voies de communication;
6. à la création d'emplacements de jeux pour les enfants;
7. à la création de garages et de places de stationnement;
8. à la création de pistes de ski;
9. au mode de clôture des propriétés;
10. aux autres conditions relatives aux constructions, notamment l'implantation, les dimensions, le nombre d'étages, l'architecture, la couleur des façades, l'emploi des divers matériaux.
Les communes peuvent fixer ces règles et ces conditions par des plans ou par des règlements proprement dits concernant soit l'ensemble du territoire communal, soit des zones, des quartiers ou des rues déterminés."
La commune de Jouxtens-Mézery a adopté en 1965 un nouveau "Règlement sur le plan d'extension et la police des
BGE 92 I 277 S. 279
constructions" (RPE) ainsi qu'un nouveau plan de zones, destinés à remplacer ceux qui avaient été établis en 1951. Les nouveaux règlement et plan ont été approuvés par le Conseil d'Etat le 4 mars 1966. Ils divisent le territoire communal en trois zones: la zone du village, la zone des villas et la zone de verdure et forêts.
Le nouveau règlement contient les dispositions suivantes au sujet de la zone de verdure et forêts:
"Art. 33: La zone de verdure est destinée à sauvegarder les sites, à créer des îlots de verdure et à aménager des places de jeux et de sport. Elle est caractérisée par l'interdiction de bâtir.
Art. 34: Dans cette zone, la Municipalité peut autoriser l'édification de bâtiments d'utilité publique.
Art. 35: Toutes les parties boisées de cette zone (forêts, rideaux d'arbres, haies, etc.) sont soumises à la loi forestière. Elles sont caractérisées par l'interdiction de déboiser et de bâtir.
Art. 36: Aucun arbre ne peut être enlevé sans autorisation de la Municipalité. Les arbres doivent être remplacés au für et à mesure de leur abattage.
Art. 37: Les zones de verdure sur domaine privé doivent être maintenues en bon état, par leur propriétaire. Dans le cas où l'entretien d'une de ces zones est négligé à tel point que l'esthétique d'une rue, d'un quartier ou d'un site s'en trouve compromis, la Municipalité peut les faire remettre en état aux frais du propriétaire après mise en demeure préalable fixant un délai d'exécution pour les travaux nécessaires."
Le plan de 1951 avait classé en zone de verdure une partie des immeubles suivants qui appartiennent maintenant à Camille Gross: le parc du domaine de Beau-Cèdre (parcelle 145), les terrains situés au nord de la ferme de ce domaine (parcelles 187 et 191) et le Pré de l'Oche (parcelle 49). Le nouveau plan attribue ces fonds à la même zone; il fait entrer en plus dans la zone verte une fraction de la propriété "Les Marronniers" (parcelle 52), dont Jean Luzuy, Daphné Luzuy et Walter Lang sont copropriétaires, ainsi qu'une partie de champs situés à proximité (parcelle 187) et appartenant à Camille Gross.
B.-
Agissant par la voie du recours de droit public pour arbitraire, violation de la garantie de la propriété et inégalité de traitement, Camille Gross, Jean Luzuy, Daphné Luzuy et Walter Lang demandent au Tribunal fédéral d'annuler: 1) le plan de zones dans la mesure où il prévoit une zone de verdure sur la propriété "Les Marronniers" et sur les parties non cadastrées comme bois de la propriété "Beau-Cèdre"; 2) les art. 34,
BGE 92 I 277 S. 280
35, 36 et 37 du règlement. Les recourants développent les moyens suivants à l'appui de leurs conclusions:
La délimitation de la zone de verdure n'est pas justifiée. Le motif invoqué en 1951 pour placer en cette zone une partie du domaine de Beau-Cèdre (empêcher la construction d'une ferme modèle par la Confédération, qui en était propriétaire) n'existe plus actuellement, le domaine ayant changé de mains. La Commune n'a pas indiqué les raisons qu'elle a de maintenir malgré tout ces fonds en zone verte. Il est possible qu'elle l'ait fait dans l'idée d'y bâtir un jour des édifices d'intérêt public tels que collège ou église, ainsi qu'elle en avait exprimé l'intention dans une lettre adressée à Camille Gross le 29 avril 1961. Mais une mesure prise à de telles fins serait, faute de reposer sur une base légale et d'être motivée par un intérêt public, arbitraire et contraire à la garantie de la propriété. La Commune est d'ailleurs propriétaire d'autres terrains, sur lesquels il lui serait loisible d'exécuter les projets envisagés. Quant à la zone de verdure frappant la propriété des Marronniers, elle ne se fonde sur aucune raison objective: elle netient pascomptedes limites des terrains frappés ni ne s'intègre dans un plan d'aménagement général.
En ce qui concerne le règlement, plusieurs dispositions en sont critiquables, aux dires des recourants. L'art. 34, autorisant la construction de bâtiments d'utilité publique dans la zone de verdure, est incompatible avec la notion même d'une telle zone; favorisant le détournement de pouvoir, il est entaché d'arbitraire; avantageant indûment les autorités publiques par rapport aux propriétaires privés, il transgresse le principe d'égalité; enfin, dépourvu de base légale et dépassant le but d'intérêt public visé par la Commune, il ne respecte pas la garantie de la propriété. Dans la mesure où il soumet les haies à la loi forestière vaudoise du 12 mai 1959, l'art. 35 est contraire à cette dernière, qui exclut expressément les haies vives de son champ d'application. L'art. 36, relatif à l'abattage des arbres et à leur remplacement, sort du cadre des compétences communales, la loi forestière réglant ces mesures d'une manière exhaustive et efficace. Enfin, la base légale fait défaut pour l'art 37, qui contraint le propriétaire à entretenir les zones de verdure et autorise la Municipalité à les remettre en état aux frais de l'obligé en cas de négligence compromettant l'esthétique d'une rue, d'un quartier ou d'un site; le Tribunal fédéral doit se prononcer librement sur la restriction prévue, qui est grave et inhabituelle.
BGE 92 I 277 S. 281
C.-
Le Conseil d'Etat et la commune de Jouxtens-Mézery concluent au rejet du recours...
D.-
Une délégation du Tribunal fédéral a visité les lieux. Les membres de la Cour ont en outre pu prendre connaissance d'une maquette du territoire communal, déposée au Tribunal huit jours avant la séance.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) L'art. 34 RPE, en vertu duquel la Municipalité peut autoriser en zone de verdure l'édification de bâtiments d'utilité publique, échappe à la critique. Il ne serait arbitraire que s'il était dénué de toute justification, en particulier si l'autorisation prévue était absolument incompatible avec l'existence d'une zone de verdure. Tel n'est cependant pas le cas. La présence d'un bâtiment dans une zone de verdure ne la dénature pas nécessairement. Par exemple, la construction d'un musée, d'un temple ou même d'un hôtel judiciaire dans un vaste parc n'en modifie pas forcément l'aspect général ou la destination principale. Sans doute pourrait-il en être autrement si un collège ou un bâtiment administratif ouvert chaque jour à de nombreux visiteurs s'élevait dans une étroite zone de verdure. Mais une disposition réglementaire ne peut être annulée pour le seul motif qu'elle est susceptible d'être interprétée extensivement. Dès lors, il suffit que l'application de l'art. 34 puisse se concilier avec le but d'une zone verte pour que cette disposition soit à l'abri du grief d'arbitraire. Il appartient aux intéressés de se défendre, de cas en cas, contre les mesures abusives. Selon les circonstances, ils pourront recourir contre la création d'une zone de verdure qui ne répond pas à ses fins, ou bien s'opposer aux projets de construction qui altèrent une telle zone, ou encore, à l'occasion d'une expropriation, contester l'intérêt public de cette mesure.
L'art. 34 n'entraîne pas non plus une inégalité inadmissible entre les autorités publiques et les propriétaires privés. Il n'est pas contraire au principe d'égalité d'autoriser des bâtiments d'utilité publique là où des maisons particulières sont interdites. La différence de destination justifie celle de traitement. En outre, si certains édifices d'utilité publique sont compatibles avec l'existence d'une zone de verdure, on ne conçoit guère que des bätiments privés puissent s'élever sur une telle zone sans la détourner de son but.
BGE 92 I 277 S. 282
En lui-même, l'art. 34 ne porte pas atteinte à la propriété privée ni, partant, ne peut en violer la garantie. Les particuliers ne seront touchés que si la collectivité publique exproprie leurs fonds. C'est alors qu'il lui incombera d'établir l'existence d'une base légale et d'un intérêt public.
b) L'art. 35 RPE, qui soumet à la loi forestière les parties boisées de la zone de verdure (forêts, rideaux d'arbres, haies, etc.), n'est pas dépourvu de base légale. En prévoyant que les règlements communaux peuvent fixer les règles et conditions relatives aux zones instituées sur le territoire communal, l'art. 25 ch. 1 LCAT autorise les communes à déterminer les modalités d'affectation, d'utilisation et d'entretien de ces zones. Dès lors, l'art. 35 RPE n'est pas contraire à la législation cantonale ni au principe de la séparation des pouvoirs. Si l'art. 2 al. 2 de la loi forestière exclut de son champ d'application les haies vives, il n'empêche pas les communes d'user des compétences que leur attribue l'art. 25 LCAT pour assujettir les haies au régime forestier.
c) L'art. 36 RPE, qui subordonne l'enlèvement des arbres à l'autorisation de la Municipalité et ordonne le remplacement des arbres abattus, peut également s'appuyer sur l'art. 25 LCAT et ne viole pas davantage la loi forestière. Les recourants reprochent au règlement communal d'engendrer des complications et des frais inutiles, mais ils ne s'efforcent pas de démontrer l'exactitude de cette allégation, qui ne peut dès lors être prise en considération.
d) L'art. 37 RPE oblige les propriétaires intéressés à maintenir en état la zone verte et autorise la Municipalité à remédier à leur carence si l'esthétique d'une rue, d'un quartier ou d'un site s'en trouve compromise. Cette disposition repose elle aussi sur l'art. 25 LCAT, tel qu'il vient d'être interprété. Même si la gravité de l'atteinte causée requérait en l'espèce une base légaleclaire et nette, cette exigence serait respectée.
2.
a) La Commune de Jouxtens-Mézery soutient que Camille Gross est à tard pour recourir contre l'attribution de ses fonds à la zone de verdure: sous réserve d'une petite partie de la parcelle 187, les autres terrains du recourant y avaient été placés par le plan de 1951 déjà, contre lequel il n'y a pas eu de recours; le plan de 1965 n'a fait que les y maintenir, de sorte qu'il ne peut pas être attaqué sur ce point.
L'exception soulevée par la Commune est mal fondée.
BGE 92 I 277 S. 283
Selon l'art. 84 al. 1 lettre a OJ, le recours de droit public est recevable contre une décision ou un arrêté cantonal pour violation de droits constitutionnels. Même si un tel acte reprend le contenu d'un autre, il n'en est pas moins sujet à recours. C'est dire que la passivité des propriétaires à l'égard du plan de 1951 ne les empêche pas, eux ou leurs successeurs, de s'en prendre au plan de 1965.
b) La Commune dénie au surplus à Camille Gross un intérêt actuel au recours pour le parc de Beau-Cèdre. Une telle exception est également mal fondée: supposé que le recourant tienne à conserver ce parc et les arbres qui s'y trouvent, cela ne signifie pas qu'il ait renoncé à disposer de ses biens dans une mesure incompatible avec leur classement en zone de verdure. Son intérêt à recourir n'est au surplus pas douteux pour les autres parcelles attribuées à la zone de verdure.
3.
Il y a lieu maintenant de statuer sur le sort de chacun des fonds litigieux. Dans la mesure où les recourants prétendent que l'attribution de leurs parcelles à la zone de verdure n'est motivée par aucun intérêt public, ils soulèvent une question qui relève principalement du fait et que le Tribunal fédéral examinera sous le seul angle de l'arbitraire (RO 91 I 335 et les arrêts cités).
a) Le parc du domaine de Beau-Cèdre n'en est pas seulement l'ornement, mais il contribue à embellir la région environnante. Son attribution à la zone de verdure se justifie pour des raisons évidentes d'intérêt public. Lors de la visite des lieux, Camille Gross l'a admis en principe.
Le classement du parc en zone verte ne sera contestable que si la maison de maître vient un jour à disparaître et si, de ce fait, le domaine perd son caractère de grande propriété (cf. RO 90 I 355 s.). Il n'est cependant pas vraisemblable que cette hypothèse se réalisera prochainement. Au surplus. la législation cantonale donne à tout intéressé le droit de demander, après dix ans, la modification ou l'abandon d'un plan (art. 26 LCAT).
b) La Commune de Jouxtens-Mézery ne dissimule pas les motifs pour lesquels elle a attribué à la zone verte les terrains situés au nord de la ferme de Beau-Cèdre. Aux termes de sa réponse, "... il s'agit de terrains sur lesquels la Commune prévoit le développement du centre de la Commune. Jouxtens n'a pas encore d'église (une association s'est fondée en 1965 en vue de la construction d'une église à Jouxtens); il faudra construire une école plus grande. En classant la quasi-totalité de
BGE 92 I 277 S. 284
son territoire en zone constructible, la Commune s'expose à voir la population augmenter au cours des prochaines années. Elle doit donc prévoir l'extension du centre de la Commune et réserver des terrains à cet effet. Ces terrains sont tout naturellement ceux qui sont à proximité immédiate du centre civique actuel de la Commune... En classant ces terrains en zone de verdure dès 1951, la Commune a entendu interdire des constructions privées en vue de l'aménagement futur du centre de la localité (église, école, maison de commune). La zone de verdure emportant interdiction de bâtir, ce but est atteint par le classement dans cette zone, qui a sa base légale à l'art. 25 LCAT". Ainsi la Commune entend, par le classement de ces terrains en zone de verdure, y interdire toute construction privée avant que des bâtiments d'utilité publique n'y soient élevés. Loin de vouloir ménager de façon durable un espace de verdure, elle a cherché à réserver un emplacement propice à ses projets de construction. En somme, sous le couvert d'une zone de verdure, qu'elle a détournée de son but, elle a créé une zone d'édifices publics. Il importe dès lors d'examiner si la création d'une telle zone repose sur une base légale. Comme tout bâtiment privé est prohibé sur un territoire étendu, le Tribunal fédéral exigera, suivant sa jurisprudence traditionnelle, une base légale claire et nette (RO 74 I 156, 76 I 336, 77 I 218, 78 I 428, 81 I 29, 84 I 173, 85 I 231, 89 I 104, 191, 91 I 125). En effet, lorsqu'une grave atteinte est portée à la propriété, il convient de s'assurer qu'elle répond à la volonté du législateur.
Or, si l'art. 25 al. 1 LCAT prévoit l'institution de zones d'habitation, de zones industrielles, de zones de verdure et de zones agricoles (ch. 1), ainsi que la création d'emplacements de jeux (ch. 6), de places de stationnement (ch. 7) et de pistes de ski (ch. 8), il n'y est pas question d'une zone d'édifices publics.
Il s'ensuit que, dans la mesure où il frappe les terrains situés au nord de la ferme de Beau-Cèdre, le plan de zones de la Commune de Jouxtens-Mézery manque d'une base légale claire et nette. Violant la garantie de la propriété, il doit être annulé en ce qui concerne ces fonds...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Admet partiellement le recours et annule le plan de zones de la Commune de Jouxtens-Mézery dans la mesure où il place en zone de verdure:
BGE 92 I 277 S. 285
a) les parcelles 49, 187 et 191 appartenant au recourant Camille Gross;
b) la parcelle 52 appartenant en copropriété aux recourants Jean Luzuy, Daphné Luzuy et Walter Lang, à l'exception des deux parties boisées;
2. Rejette le recours pour le surplus. | public_law | nan | fr | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f1c6e6ef-424b-40de-90f4-40a0ef104116 | Urteilskopf
138 III 246
38. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. AG und Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_554/2011 vom 10. Februar 2012 | Regeste
Art. 697a f. OR; Verfahren für die Einleitung einer Sonderprüfung in einer Aktiengesellschaft.
Voraussetzungen und Schritte für die Einleitung einer Sonderprüfung im Allgemeinen; Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung in der Generalversammlung und Abstimmung darüber (E. 3). Rechtslage bei Weigerung des Verwaltungsrates, dem Begehren eines Aktionärs um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung zu entsprechen (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 246
BGE 138 III 246 S. 246
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Jeder Aktionär kann der Generalversammlung beantragen, bestimmte Sachverhalte durch eine Sonderprüfung abklären zu lassen, sofern dies zur Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und er das Recht auf Auskunft oder das Recht auf Einsicht bereits ausgeübt hat (
Art. 697a Abs. 1 OR
). Entspricht die Generalversammlung dem Antrag, so kann die Gesellschaft oder jeder
BGE 138 III 246 S. 247
Aktionär innert 30 Tagen den Richter um Einsetzung eines Sonderprüfers ersuchen (
Art. 697a Abs. 2 OR
). Entspricht die Generalversammlung dem Antrag nicht, so können Aktionäre, die zusammen mindestens 10 % des Aktienkapitals oder Aktien im Nennwert von 2 Mio. Franken vertreten, innert dreier Monate den Richter ersuchen, einen Sonderprüfer einzusetzen (
Art. 697b Abs. 1 OR
). Die Gesuchsteller haben Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers, wenn sie glaubhaft machen, dass Gründer oder Organe Gesetz oder Statuten verletzt und damit die Gesellschaft oder die Aktionäre geschädigt haben (
Art. 697b Abs. 2 OR
).
3.2
Die Sonderprüfung ist insoweit ein subsidiärer Rechtsbehelf, als vor dem Antrag in der Generalversammlung die anderen Kontrollrechte, gemeint ist das Auskunftsrecht oder das Einsichtsrecht nach
Art. 697 OR
, ausgeschöpft sein müssen (
Art. 697a Abs. 1 OR
). Dabei genügt die Ausübung in der Generalversammlung. Eine gerichtliche Durchsetzung des Auskunfts- oder Einsichtsanspruchs (
Art. 697 Abs. 4 OR
) wird nicht verlangt (
BGE 133 III 133
E. 3.2 S. 135).
3.3
Als weiterer Schritt ist sodann ein Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung in der Generalversammlung erforderlich, über den die Generalversammlung abzustimmen hat. Antrag und Abstimmung sind unverzichtbar, entscheidet doch die konkrete Beschlussfassung durch die Generalversammlung, welches Verfahren zur Anwendung gelangt: dasjenige nach
Art. 697a Abs. 2 OR
bei Gutheissung, dasjenige nach
Art. 697b OR
bei Ablehnung des Antrags. Einen direkten Weg zum Richter gibt es nicht. Vielmehr muss der Aktionär sein Anliegen zuerst der Generalversammlung unterbreiten (WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 30 in fine zu
Art. 697a OR
; BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 16 N. 29; PAULI, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 21 zu
Art. 697a OR
; PETER V. KUNZ, Der Minderheitenschutz im schweizerischen Aktienrecht, 2001, § 12 N. 67 f.).
Der Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung ist nicht traktandierungspflichtig (
Art. 700 Abs. 3 OR
). Er kann auch "überfallartig" erst an der Generalversammlung gestellt werden (WEBER, a.a.O., N. 29 zu
Art. 697a OR
; BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 31). Stets gilt indessen die thematische Begrenzung des Sonderprüfungsbegehrens durch den Gegenstand des Auskunftsbegehrens (
BGE 133 III 133
E. 3.2 S. 136; vgl. dazu
BGE 123 III 261
E. 3a S. 264 f.).
BGE 138 III 246 S. 248
Der Verwaltungsrat ist verpflichtet, den Antrag in der Generalversammlung zur Abstimmung zu bringen. Verweigert er die Abstimmung über den Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung, so wird dies einer Abstimmung mit ablehnendem Ergebnis gleichgesetzt und öffnet den Weg zum Richter nach
Art. 697b OR
(WEBER, a.a.O., N. 31 zu
Art. 697a OR
; BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 38; PAULI, a.a.O., N. 22 zu
Art. 697a OR
; KUNZ, a.a.O., § 12 N. 69).
Den Aktionär trifft insofern eine Abstimmungsverfolgungspflicht, als er an der Generalversammlung am Antrag festhalten und nötigenfalls auf einer Abstimmung beharren muss. Wenn die Abstimmung bloss faktisch unterbleibt, ohne dass eine Abstimmungsverweigerung vorliegt, gilt der Antrag nicht als abgelehnt, d.h. der Weg zum Richter steht mangels Abstimmung in der Generalversammlung nicht offen (KUNZ, a.a.O., § 12 N. 70; so wohl auch WEBER, a.a.O., N. 31 zu
Art. 697a OR
; ablehnend BIANCA PAULI, Le droit au contrôle spécial dans la société anonyme, 2004, S. 109).
4.
4.1
Die Vorinstanz lehnte das Gesuch um richterliche Einsetzung eines Sonderprüfers bei den Beschwerdegegnerinnen bereits deshalb ab, weil der Beschwerdeführer weder gegenüber dem jeweiligen Verwaltungsrat (zuhanden der Generalversammlung) noch in einer Generalversammlung Anträge auf Durchführung von Sonderprüfungen bei den Beschwerdegegnerinnen gestellt habe, welche die Generalversammlungen der Beschwerdegegnerinnen abgelehnt hätten.
Sie stellte fest, der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom 15. April 2011 von A., der bei beiden Beschwerdegegnerinnen einziger Verwaltungsrat sei, die Einberufung ausserordentlicher Generalversammlungen der beiden Gesellschaften verlangt. Nachdem er keine Reaktion auf dieses Schreiben erhalten habe, habe er sein Begehren in einem weiteren Schreiben vom 29. April 2011 wiederholt. In keinem der Schreiben habe er zuhanden der Generalversammlungen der Beschwerdegegnerinnen Anträge auf Sonderprüfung gestellt. Auch habe er darauf verzichtet, seine seitens des Verwaltungsrats unerfüllt gebliebenen Forderungen nach Einberufung ausserordentlicher Generalversammlungen gerichtlich durchzusetzen, obschon ihm dies in Anbetracht seiner behaupteten Beteiligungen von 10 % am jeweiligen Aktienkapital der Beschwerdegegnerinnen gestützt auf
Art. 699 Abs. 4 OR
möglich gewesen wäre.
Die Nichterfüllung des vom Beschwerdeführer mit seinen beiden Schreiben vom April 2011 geltend gemachten Anspruchs auf
BGE 138 III 246 S. 249
Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung durch den Verwaltungsrat der Beschwerdegegnerinnen könne nicht ernsthaft mit einer Weigerung des Verwaltungsrats oder der Generalversammlung selbst gleichgesetzt werden, eine Abstimmung über einen Antrag auf Sonderprüfung durchzuführen. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Beschwerdeführer gemäss seinen eigenen Angaben und Unterlagen bis anhin noch gar keinen entsprechenden Antrag gestellt habe. Die direkte Einsetzung eines Sonderprüfers durch den Richter würde der gesetzlichen Ordnung klar widersprechen.
4.2
Der Beschwerdeführer erblickt darin eine Verletzung von
Art. 697a und 697b OR
. Er ist der Auffassung, dass vom Aktionär nicht verlangt werden könne, die beantragte Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung gerichtlich zu erzwingen. Dies ergebe sich schon daraus, dass laut
Art. 697a Abs. 1 OR
jeder Aktionär - unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung am Aktienkapital der Gesellschaft - der Generalversammlung eine Sonderprüfung beantragen könne. Demgegenüber könne die Einberufung einer Generalversammlung nur von einem oder mehreren Aktionären verlangt werden, die zusammen mindestens 10 % des Aktienkapitals vertreten (
Art. 699 Abs. 3 OR
). Auch genüge es für die Legitimation zur Anrufung des Richters nach
Art. 697b OR
, dass die Aktionäre Aktien im Nennwert von 2 Mio. Franken vertreten. Wenn nun bei Weigerung der Einberufung einer Generalversammlung verlangt würde, dass der Aktionär dieselbe gerichtlich durchsetzen muss, um sein Recht auf Antrag einer Sonderprüfung auszuüben, würde eben dieses Recht der Aktionäre mit weniger als 10 %-Beteiligung untergraben, weil diese die Einberufung einer Generalversammlung gar nicht erzwingen könnten. Die Auffassung der Vorinstanz sei zudem systemwidrig. So müsse weder das Erfordernis der vorgängigen Wahrnehmung des Auskunfts- oder des Einsichtsrechts noch dasjenige der Abstimmung über einen Antrag auf Sonderprüfung gerichtlich durchgesetzt werden. Es stehe in einem offenkundigen Wertungswiderspruch, wenn demgegenüber beim zweiten Schritt, der Einberufung einer Generalversammlung, eine gerichtliche Durchsetzung verlangt würde. Ein wirksamer Schutz von Minderheitsaktionären würde in vielen Fällen illusorisch, wenn dem Verwaltungsrat durch die pflichtwidrige Weigerung, eine Generalversammlung durchzuführen, eine Möglichkeit in die Hand gegeben würde, das Institut der Sonderprüfung zu unterminieren.
BGE 138 III 246 S. 250
Ferner kritisiert der Beschwerdeführer den Vorwurf der Vorinstanz als haltlos, er habe in seinen Schreiben vom April 2011 keinen Antrag auf Sonderprüfung gestellt. Zum einen sei ein solcher Antrag nicht traktandierungspflichtig. Zum anderen würde es keinen Sinn machen, dem Verwaltungsrat einen solchen Antrag zu stellen, da es nicht in seiner Kompetenz liege, darüber zu entscheiden.
4.3
Es stellt sich demnach die Frage, ob am Erfordernis des Antrags auf Sonderprüfung in der Generalversammlung und der Abstimmung über den Antrag durch die Generalversammlung festzuhalten ist, wenn der Verwaltungsrat dem Begehren eines Aktionärs um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung nicht entspricht, bzw. ob ein solcher Fall der Ablehnung eines Antrags auf Sonderprüfung durch die Generalversammlung gleichzusetzen ist, so dass der Weg an den Richter nach
Art. 697b OR
ohne weiteres offensteht.
Die Frage ist mit der Vorinstanz zu verneinen. Das Gesetz verpflichtet den Verwaltungsrat nicht, dem Begehren um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung durch einen Aktionär, der das Beteiligungserfordernis nach
Art. 699 Abs. 3 OR
nicht erfüllt, zu entsprechen. Und trotzdem sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass auch ein solcher Aktionär zwar einen Antrag auf Sonderprüfung stellen kann, dass er dies aber in der Generalversammlung tun muss (
Art. 697a Abs. 1 OR
). Offensichtlich nimmt der Gesetzgeber mit dieser Regelung in Kauf, dass der Aktionär, der das Beteiligungserfordernis nach
Art. 699 Abs. 3 OR
nicht erfüllt, mit seinem Antrag auf Sonderprüfung bis zur ordentlichen Generalversammlung zuwarten oder sich mit anderen Aktionären zusammentun muss, mit denen er die 10 %-Hürde erreicht, und so die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung verlangen und nötigenfalls erzwingen kann. Diese Regelung indiziert demnach entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht, bei verweigerter Einberufung einer Generalversammlung auf das Erfordernis des Antrags auf Sonderprüfung in einer Generalversammlung zu verzichten. Demnach durfte die Vorinstanz vom Beschwerdeführer, der im Übrigen das Beteiligungserfordernis von 10 % erfüllt, verlangen, dass er die beantragte, aber nicht erfolgte Einberufung der ausserordentlichen Generalversammlungen gerichtlich durchsetze.
Diese Auffassung ist nicht "systemwidrig", wie der Beschwerdeführer meint. Im Gegenteil: Ein Verzicht auf den Antrag in der Generalversammlung widerspräche dem zentralen Gewicht, das dem
BGE 138 III 246 S. 251
Einbezug der Generalversammlung im Verfahren der Sonderprüfung zukommt (dazu BÖCKLI, a.a.O., § 16 Rz. 26 und 29a ff.). So ist die Generalversammlung das Forum, an dem das vorgängig wahrzunehmende Auskunftsrecht ausgeübt wird, das schliesslich den Gegenstand der Sonderprüfung determiniert (vgl. E. 3.2 und 3.3). Ferner ermöglicht die Diskussion des Antrags auf Sonderprüfung in der Generalversammlung dem Verwaltungsrat, seinen Standpunkt in offener Debatte der Gesamtheit der versammelten Aktionäre darzulegen. Sodann wird es der Antrag stellende Aktionär aufgrund der Diskussion leichter haben, die nötige Minderheit zusammenzubringen, die für einen allfälligen Antrag an den Richter erforderlich ist. Schliesslich besteht auch Gelegenheit für einvernehmliche Lösungen, in deren Folge die Gerichte entlastet werden. Da in jedem Fall alljährlich einmal eine Generalversammlung stattfinden muss (
Art. 699 Abs. 2 OR
), trifft auch nicht zu, dass es der Verwaltungsrat in den Händen hätte, das Antragsrecht auf Sonderprüfung zu unterlaufen, indem er es unterlässt, eine Generalversammlung abzuhalten.
Der Vorinstanz ist auch beizupflichten, dass die Weigerung des Verwaltungsrats, einem Begehren um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung stattzugeben, nicht der Ablehnung eines Antrags auf Sonderprüfung durch die Generalversammlung gleichgesetzt werden kann, zumal wenn - wie vorliegend - im entsprechenden Begehren nicht einmal zuhanden der Generalversammlung ein Antrag auf Sonderprüfung gestellt wurde. Mit letzterer Überlegung wird keineswegs verkannt, dass ein solcher Antrag nicht traktandierungspflichtig wäre. Jedoch kann nicht die Ablehnung eines Antrags unterstellt werden, wenn ein solcher nicht einmal geäussert wurde und deshalb bei der Weigerung zur Einberufung der beantragten ausserordentlichen Generalversammlung auch keine Rolle spielen konnte.
Würde der Meinung des Beschwerdeführers gefolgt, könnte selbst ein einzelner Aktionär, der das Quorum nach
Art. 699 Abs. 3 OR
nicht erreicht, mit einem blossen Begehren um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung bei Nichtbefolgen desselben durch den Verwaltungsrat erreichen, dass der direkte Weg an den Richter nach
Art. 697b OR
geöffnet wird. Dies obwohl der Verwaltungsrat nicht verpflichtet ist, dem Begehren eines solchen Aktionärs um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung zu entsprechen, und weder der Verwaltungsrat noch die Generalversammlung Kenntnis davon erhält, dass der Aktionär eine Sonderprüfung anstrebt. Eine solche Lösung würde offensichtlich die
BGE 138 III 246 S. 252
gesetzliche Regelung des für die Anordnung einer Sonderprüfung einzuhaltenden Verfahrens, konkret die Phase der Behandlung des Antrags in der Generalversammlung, unterlaufen und kann daher nicht unterstützt werden. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f1c8ae86-7e67-45ee-8283-001d09a61890 | Urteilskopf
107 Ia 93
16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung von 25. Februar 1981 i.S. Keller AG gegen Kanton Zürich und Kantonsrat des Standes Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
; Anfechtung eines kantonalen Richtplanes (Zürcher Gesamtplan).
Der Gesamtplan kann mit staatsrechtlicher Beschwerde auch nicht insoweit angefochten werden, als im Landschaftsplan die Gebiete für Materialgewinnung und -ablagerung bezeichnet werden. Im Rechtsschutzverfahren, das den betroffenen Grundeigentümern gegen Verfügungen über Gesuche um Materialgewinnung oder -ablagerung zur Verfügung steht, können auch die Anordnungen des Landschaftsplanes überprüft werden, falls geltend gemacht wird, diese verletzten verfassungsmässige Rechte der Betroffenen. | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 107 Ia 93 S. 93
Zu den weiteren Festlegungen, die der kantonale Gesamtplan gemäss § 28 Abs. 3 des zürcherischen Gesetzes vom 7. September 1975 über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht (PBG) enthält, zählt die Bezeichnung der Gebiete für Materialgewinnung und -ablagerung. Grössere solche Anlagen sind örtlich und zeitlich nur nach den Festlegungen im Landschaftsplan zulässig (
§ 308 Abs. 1 PBG
).
Die in Pfungen eine Ziegelei betreibende Firma Keller AG besitzt im Gebiet der Stadt Winterthur westlich der Strasse
BGE 107 Ia 93 S. 94
Dättnau-Neuburg Land, auf dem sie in einer bestehenden Grube Lehm ausbeutet. Dieser Grundbesitz liegt nach dem Landschaftsplan nur zum kleineren Teil im Gebiet, in welchem eine Materialgewinnung und -ablagerung zulässig ist. Mit staatsrechtlicher Beschwerde ficht die Firma Keller AG den Beschluss des Kantonsrates Zürich vom 10. Juli 1978 über die Festsetzung des Gesamtplanes u.a. an, soweit ihr Grundbesitz in Winterthur "mit einem Verbot für Materialgewinnung belegt wurde". Sie rügt, die Bezeichnung der Flächen für Materialgewinnung und -ablagerung im Landschaftsplan verstosse gegen
Art. 31 BV
; zudem sei die Grenzziehung im Bereich der bestehenden Grube willkürlich.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
(Im Anschluss an die E. 3a aa) und bb) des vorstehenden Urteils H. Bereuter AG vom 25. Februar 1981.)
3.
a) cc) Entsprechendes gilt für die über ein Gesuch um Bewilligung einer Materialgewinnung oder -ablagerung ergehende Verfügung. Bei deren Anfechtung könnte der Gesuchsteller auch geltend machen, der aus dem Landschaftsplan für sein Grundstück hervorgehende Ausschluss der Materialgewinnung bzw. -ablagerung sei verfassungswidrig. Der Regierungsrat bejaht in seiner Vernehmlassung nicht nur die Anfechtbarkeit dieser Verfügung mit den kantonalen Rechtsmitteln, sondern ausdrücklich auch die Zulässigkeit einer akzessorischen Überprüfung der Richtplanung dann, wenn sie nicht selbständig anfechtbar war. Obschon diese Auffassung für die Verwaltungsrekursinstanzen wegen deren Bindung an das Gesetz in Frage gestellt werden kann, vermöchte jedenfalls das Verwaltungsgericht zufolge des Vorranges des Bundesverfassungsrechtes die Richtplananordnung, auf die sich gegebenenfalls die Abweisung des Gesuchs stützt, zu überprüfen (ALFRED KÖLZ, Komm. zum zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetz, N. 121 zu § 50, S. 348). Übrigens hätte die Beschwerdeführerin die Frage, ob die fragliche Gebietsbezeichnung im Landschaftsplan eine den Kantonen untersagte gewerbepolitische Massnahme darstelle, zuvor in einem abstrakten Normenkontrollverfahren aufwerfen können.
Auch einer Überprüfung der Verfassungsmässigkeit der
BGE 107 Ia 93 S. 95
Festlegungen im Landschaftsplan für die Materialgewinnung und -ablagerung durch das Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren stünde nichts entgegen. Dies belegt die angeführte Praxis, wonach der Betroffene bei der Anfechtung eines Anwendungsaktes befugt ist, geltend zu machen, eine Planfestsetzung, aufgrund derer sein Begehren abgewiesen wurde, sei verfassungswidrig, sofern er keine Möglichkeit hatte, die Planfestsetzung selbst durch ein Rechtsmittel anzufechten (
BGE 90 I 345
; Urteil Amacher vom 7. Juli 1965, ZBl 66/1965 S. 432). Überdies entspricht die vorfrageweise Überprüfung der Verfassungsmässigkeit der Gebietsbezeichnung für Materialgewinnung und -ablagerung im Landschaftsplan dem gleichen Zweck, der für die Zulassung der vorfrageweisen Überprüfung der Verfassungsmässigkeit einer generell-abstrakten Norm gilt. Dieser Zweck "beruht vor allem auf der Überlegung, dass der Einzelne beim Erlass einer solchen Norm im allgemeinen noch nicht weiss, ob und wie sie ihn eines Tages treffen wird und für ihn insofern kein Anlass besteht, die generell-abstrakte Vorschrift sofort im Anschluss an ihren Erlass anzufechten" (
BGE 104 Ia 175
E. 2a mit Verweisungen).
Die gleiche Überlegung gilt nicht nur gegenüber der generell-abstrakten Norm des
§ 308 PBG
selbst, sondern auch gegenüber der für die Anwendung dieser Vorschrift nötigen Gebietsbezeichnung im Landschaftsplan. Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin kann sowohl zufolge der fehlenden Planschärfe als auch im Hinblick auf die bei der nachgeordneten Planung zu treffenden Abklärungen und Anordnungen noch nicht mit der nötigen Bestimmtheit erkannt werden, wie sich die Gebietsbezeichnung wirklich auswirkt. Die für die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit nötige Klarheit ergibt sich vielmehr erst aus der Verfügung über ein Gesuch für Materialgewinnung oder -ablagerung. Die Einreichung eines derartigen Gesuches ist keineswegs unzumutbar, kann doch die Beschwerdeführerin einen anfechtbaren Vorentscheid über die für die spätere Bewilligung grundlegende Frage der Zulässigkeit des Vorhabens gemäss dem Landschaftsplan einholen (§§ 323 f. PGB). Hiefür hat sie lediglich die Unterlagen einzureichen, die zur Beurteilung der gestellten Fragen nötig sind (
§ 323 Abs. 2 PBG
). | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f1c8ec5c-ead6-4e3b-b9d3-4c7ecaf76917 | Urteilskopf
84 II 13
3. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Februar 1958 i.S. Treuvag, Treuwerte- und Verwaltungs-AG und Brunner, Möbel- und Innenausbau AG gegen Staub. | Regeste
1.
Art. 19 Abs. 1, 22, 112 OR
. Natur eines "Aussteuer-Sparvertrages" (Erw. 1).
2. Bestimmbarkeit der vom Sparer zu kaufenden Sachen und ihres Preises; Wahlrecht des Sparers (
Art. 72 OR
) (Erw. 2).
3. Kann gültig vereinbart werden, Rechte und Pflichten aus einem Vorvertrag dürften auf einen erst später zu bezeichnenden Dritten übertragen werden? (Erw. 3).
4.
Art. 20 OR
. Ob ein Vertrag gegen die guten Sitten verstösst, ist nur anhand der Folgen zu bestimmen, die sich aus seinem Sinn ergeben, nicht auch anhand der Vorgänge, die zu seinem Abschluss geführt haben. Sittenwidrigkeit des Inhaltes im vorliegenden Falle verneint (Erw. 4, 5). | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 84 II 13 S. 13
A.-
Am 6. Oktober 1956 schloss die Treuvag, Treuwerte- und Verwaltungs-AG, mit dem am 20. September
BGE 84 II 13 S. 14
1936 geborenen (im Texte als "Sparer" bezeichneten) Gemeindeangestellten Karl Staub in Wil SG einen von der Brunner, Möbel- und Innenausbau AG in Diessenhofen mit gedruckter Unterschrift "bestätigten" "AussteuerSparvertrag" folgenden Inhaltes ab:
"1. Der Sparer verpflichtet sich hiermit, eine Summe von Fr. 5000.-- vorzusparen, damit er später in der Lage ist, die in Ziff. 3 genannten Aussteuer-Gegenstände zu den günstigen Bedingungen eines Barzahlungskaufes anzuschaffen. Die Sparsumme ist wie folgt einzuzahlen: Eine erste Zahlung von Fr. --- erfolgt bis ---. Sodann leistet der Sparer 30 monatliche aufeinander folgende Zahlungen von mindestens Fr. 50.- ab 1. Nov. 1956. Wenn diese Einzahlungen die Summe von Fr. 1500.-- erreicht haben, kann der Sparer die Höhe und Anzahl der übrigen Einzahlungen selber bestimmen. Der ganze Restbetrag muss jedoch spätestens innert weiteren fünf Jahren voll einbezahlt sein. Es wird dem Sparer deshalb empfohlen, mit steigendem Einkommen die monatlichen Einzahlungen regelmässig zu erhöhen.
2. Zahlstelle ist die Anlagebank AG, St. Gallen, auf deren Postcheckkonto No. IX 519 sämtliche Beträge einzuzahlen sind. Anspruchsberechtigt ist die TREUVAG. Sie verpflichtet sich, alle Einzahlungen des Sparers auf ein separates, auf seinen Namen lautendes Sparheft bei der Anlagebank anzulegen. Diese untersteht dem schweiz. Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen, so dass Guthaben bis Fr. 5000.-- privilegiert sind.
Das Sparheft bleibt bei der Anlagebank hinterlegt. Die Parteien können nur gemeinsam darüber verfügen. Die TREUVAG ist also nicht berechtigt, ohne ausdrückliche Zustimmung des Sparers Abhebungen zu machen.
Das Guthaben auf dem Sparheft wird von der Anlagebank AG zu dem bei ihr üblichen Ansatz verzinst, z.Zt. 2 1/4 %.
3. Der Sparer verpflichtet sich hiermit, für die gesamte in Ziff. 1 vereinbarte Sparsumme spätestens bei seiner Verheiratung nach freier Wahl bei der Firma Brunner, Möbel- und Innenausbau AG, Diessenhofen, Möbel, Teppiche, Wäsche, Vorhänge und dergleichen zu kaufen. Massgebend sind die dannzumal in den Ausstellungsräumen angeschriebenen oder in den Prospekten enthaltenen Barzahlungspreise, sowie die in den Detail-Preislisten des Schweiz. Engros-Möbelfabrikantenverbandes aufgeführten Barzahlungspreise. Der Abschluss des Kaufvertrages erfolgt bei der Auswahl der Kaufgegenstände, wodurch sämtliche Rechte und Pflichten der TREUVAG aus dem vorliegenden Aussteuer-Sparvertrag automatisch auf die Verkaufsfirma übergehen. Der Sparer ist berechtigt, den Kaufvertrag schon abzuschliessen, bevor die ganze Sparsumme einbezahlt ist. Er muss jedoch in diesem Falle den Restbetrag entweder spätestens bei Ablieferung der Kaufgegenstände bar bezahlen
BGE 84 II 13 S. 15
oder zu den branchenüblichen Teilzahlungsbedingungen tilgen.
4. Sofern der Sparer in der Ausstellung der Firma Brunner, Möbel- und Innenausbau AG, Diessenhofen, nicht das Gewünschte findet, oder wenn die Auswahl bei ihr aus einem von ihr zu vertretenden Grunde nicht möglich sein sollte, ist er berechtigt bzw. verpflichtet, zu den gleichen, in Ziff. 3 genannten Konditionen die Auswahl in einer der 76 dem Schweiz. Engros-Möbelfabrikantenverband angeschlossenen Firmen zu treffen oder und seine Aussteuer bei einer auf der Rückseite dieses Vertrages aufgeführten Möbelfirma zu kaufen. Die Gültigkeit des vorliegenden Vertrages wird durch Veränderung in der Zusammensetzung der Auswahl- und der Verkaufsfirmen nicht berührt.
5. Um eine sorgfältige Lieferung zu gewährleisten, muss die Auswahl mindestens drei Monate vor dem Liefertermin getroffen werden. Die Lieferung erfolgt in der ganzen Schweiz franko Talbahnstation des Käufers.
6. Da die Verkaufsfirma den Sparer auf Grund des vorliegenden Vertrages jetzt schon zu ihren künftigen Kunden zählen kann, ist sie in der Lage, vorzeitig und günstig zu disponieren und später Reklamekosten einzusparen. Um den Sparer von diesem Vorteil profitieren zu lassen, verpflichtet sich die Verkaufsfirma, beim Bezug der Möbel eine zusätzliche Leistung in der Höhe zu erbringen, dass auf sämtliche Einlagen des Sparers bis zum Kauf der Möbel, längstens jedoch während fünf Jahren der doppelte Bankzins, höchstens aber ein Betrag von 5% pro Jahr resultiert.
Die auf der Rückseite aufgeführten Firmen haben sich durch Erklärung an die TREUVAG zur gleichen Leistung verpflichtet, für den Fall, dass die Lieferung durch sie erfolgt.
7. Der Sparer ist berechtigt, bei schwerer Invalidität oder unheilbarer Krankheit, sofern diese für ihn ein Ehehindernis bilden, sowie bei Nichtverheiratung bis zum vollendeten vierzigsten Altersjahr, ohne Entschädigung vom vorliegenden Vertrag zurückzutreten. Beim Ableben des Sparers vor Abschluss des Kaufvertrages gilt der vorliegende Vertrag automatisch als aufgehoben. In diesen vier Fällen werden sämtliche Einzahlungen nebst dem einfachen Bankzins von der TREUVAG ohne jeden Abzug zurückvergütet. Dem Sparer steht sodann das Recht zu, aus andern, beliebigen Gründen gegen ein Reugeld vom vorliegenden Vertrag zurückzutreten. Der Rücktritt kann jederzeit erfolgen, frühestens jedoch ein Jahr nach Vertragsabschluss.
Das Reugeld wird nach der Dauer des Vertrages bemessen. Es beträgt monatlich ein Prozent der vereinbarten Sparsumme, maximal jedoch achtzehn Prozent.
8. Während Militärdienst, nachgewiesener Krankheit oder nachgewiesener Arbeitslosigkeit des Sparers kann er die Zahlungen vorübergehend einstellen, sofern er die bis dahin fälligen Verpflichtungen erfüllt hat. Die TREUVAG ist jedoch rechtzeitig schriftlich zu verständigen.
9. Es steht beiden Parteien jederzeit frei, ihre Rechte und
BGE 84 II 13 S. 16
Pflichten aus diesem Vertrag auf einen zahlungsfähigen Dritten, der schriftlich seine Zustimmung erteilt, zu übertragen.
10. Andere als die vorgedruckten Bestimmungen sind nur gültig, wenn sie von der TREUVAG schriftlich bestätigt werden.
11. Dieser Vertrag ist fünffach ausgefertigt, dem Sparer und der Anlagebank AG je in einem Exemplar und der TREU-VAG in drei Exemplaren ausgehändigt worden."
Auf der Rückseite des Vertragsformulars sind die Namen von zehn in Freiburg, Biel, Geuensee, Chur, Bern, Olten, La Chaux-de-Fonds, Muralto, Genf und Lausanne niedergelassenen Möbelhändlern abgedruckt.
Staub leistete am 15. November 1956 die erste im Vertrag vorgesehene Teilzahlung, lehnte dann aber weitere Zahlungen ab, indem er sich auf den Standpunkt stellte, der Vertrag sei gemäss
Art. 20 OR
nichtig. Die Firmen Treuvag und Brunner klagten daher im Juni 1957 gegen ihn mit dem Begehren, er sei pflichtig zu erklären, die in der Zeit vom 1. Dezember 1956 bis 1. Juni 1957 fällig gewordenen Raten von zusammen Fr. 350.-- einzuzahlen. Staub beantragte, die Klage sei abzuweisen. Er erhob Widerklage mit dem Begehren, der Vertrag sei nichtig zu erklären und die Klägerinnen seien zu verpflichten, ihm Fr. 50.- zurückzuzahlen.
B.-
Das Kantonsgericht von St. Gallen wies am 7. November 1957 die Klage ab, hiess die Widerklage gut und verurteilte die Klägerinnen, solidarisch die Gerichtskosten zu bezahlen und den Beklagten zu entschädigen.
C.-
Die Klägerinnen haben die Berufung erklärt. Sie beantragen, das Urteil sei aufzuheben, die Klage gutzuheissen und die Widerklage abzuweisen, unter Kostenfolge.
D - Der Beklagte beantragt, die Berufung sei unter Kostenfolge abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Parteien sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Vertrag vom 6. Oktober 1956 ein aus einem "Spareinlagevertrag" zwischen dem Beklagten und der
BGE 84 II 13 S. 17
Treuvag und einem Vorvertrag zu einem Kaufe zwischen dem Beklagten und der Firma Brunner gemischtes Geschäft sei.
Wenn man von einem "Spareinlagevertrag" zwischen dem Beklagten und der Treuvag sprechen will, ist jedoch zu bedenken, dass diese sich verpflichtet hat, die Einlagen des Beklagten zu verwenden, um zu seinen Gunsten ein Sparguthaben gegenüber einem Dritten, der Anlagebank AG, zu begründen, und dass der Beklagte über seine Forderung nur mit Zustimmung der Treuvag verfügen kann.
Das Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Firma Brunner sodann mag insofern als "Vorvertrag" bezeichnet werden, als jedenfalls die vom Kantonsgericht vertretene Auffassung, es liege schon ein fester, wenn auch aufgeschobener Kauf vor, nicht zutrifft. Der Beklagte hat noch nicht erklärt, er kaufe, sondern sich in Ziffer 3 des Vertrages lediglich verpflichtet, das später zu tun. Auch steht noch dahin, ob der Kauf zwischen dem Beklagten und der Firma Brunner oder vielmehr zwischen ihm und einem von den auf der Rückseite der Vertragsurrkunde bezeichneten zehn andern Möbelhändler abgeschlossen werden wird. Der Beklagte hat sich nicht bedingungslos verpflichtet, bei der Firma Brunner zu kaufen, sondern kann und muss sich an einen der zehn andern Händler wenden, wenn er die Kaufgegenstände, die er wünscht, bei ihr nicht findet oder die Auswahl bei ihr aus einem von ihr zu vertretenden Grunde nicht möglich ist. Dabei haben die bedingt zum Zuge kommenden andern Händler sich dem Beklagten gegenüber noch nicht verpflichtet, den Kaufvertrag mit ihm wirklich abzuschliessen. Sie befinden sich lediglich in der Stellung Dritter, zu deren Gunsten die Klägerinnen dem Beklagten im Sinne des
Art. 112 OR
das (bedingte) Kaufsversprechen abgenommen haben. Angesichts dieser Besonderheiten des Rechtsverhältnisses kann man sich fragen, ob es als Vorvertrag im eigentlichen Sinne (
Art. 22 OR
) zu bezeichnen ist.
Darauf kommt jedoch nichts an, wie die Verbindlichkeit
BGE 84 II 13 S. 18
des Vertrages überhaupt nicht davon abhängt, ob er sich in Typen zergliedern lässt, für die das Gesetz besondere Bestimmungen enthält. Der Inhalt des Vertrages kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden (
Art. 19 Abs. 1 OR
). Die Schranken, auf die der Beklagte sich beruft, sind aber die gleichen, mag die Zergliederung des vorliegenden Rechtsverhältnisses in einen "Spareinlagevertrag" und einen "Vorvertrag zu einem Kaufe" richtig sein oder nicht. Auch die Frage, ob überhaupt ein Vertrag zustande gekommen sei oder, wie vom Beklagten geltend gemacht, mangels Bestimmbarkeit der gegenseitigen Verpflichtungen fehle, stellt sich bei jeder Vertragsart, nicht nur beim Kaufe, wo das Gesetz sie in
Art. 184 Abs. 3 OR
besonders berührt. Denn wenn nicht alle geschuldeten und wesentlichen Leistungen der Parteien bestimmbar sind, fehlt es an den zum Abschluss des Vertrages erforderlichen übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserungen über die wesentlichen Punkte (
Art. 1, 2 Abs. 1 OR
).
2.
Der Beklagte ist der Auffassung, er sei nicht gebunden, weil die zu kaufenden Sachen und ihr Preis nicht bestimmbar seien.
Die Gegenstände des abzuschliessenden Kaufes sind einmal dadurch gekennzeichnet, dass der Beklagte sie bei der Firma Brunner oder, wenn er dort das Gewünschte nicht findet, bei einer der 76 dem Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverband angeschlossenen Firmen oder bei einem der subsidiär als Verkäufer vorgesehenen zehn Möbelhändler auszuwählen hat. In Frage kommen also nur Sachen von der Art, wie die erwähnten Firmen sie im Zeitpunkt des Kaufes in ihren Fabriken herzustellen bzw. in ihren Geschäften anzubieten pflegen. Der Vertrag enthält eine weitere Einschränkung, indem er die zu kaufenden Sachen als "Möbel, Teppiche, Wäsche, Vorhänge und dergleichen" bezeichnet (Ziffer 3), von "Aussteuer-Gegenständen" spricht (Ziffer 1) und den Zeitpunkt der Auswahl mit der Verheiratung des Beklagten in Zusammenhang
BGE 84 II 13 S. 19
bringt. Es ist also klar, dass nur Sachen zu kaufen sein werden, die man wie Möbel, Teppiche, Wäsche und Vorhänge zur Gründung eines eigenen Haushaltes, insbesondere zur Einrichtung einer Wohnung, üblicherweise bei der Verheiratung anschafft. Sollte eine der erwähnten Firmen im massgebenden Zeitpunkt noch andere Gegenstände herstellen oder anbieten, so wird der Beklagte nicht verpflichtet sein, sie zu kaufen. Unter den Sachen der umschriebenen Gattung, wie sie bei den genannten Fabrikanten und Händlern erhältlich sein werden, wird der Beklagte frei wählen können. Innerhalb der gezogenen Schranken wird also er bestimmen, welcher Art die zu liefernden Sachen seien. Die Kaufsachen sind somit gegenständlich bestimmbar. Es liegt eine Wahlobligation vor (
Art. 72 OR
), wobei die Wahl der Gattungssachen, auf die der abzuschliessende Kauf sich erstrecken soll, dem Käufer zusteht.
Diese Sachen sind auch mengenmässig bestimmbar, da die Parteien sich auf einen Preis von Fr. 5000.-- geeinigt haben und Ziffer 3 des Vertrages "die dannzumal in den Ausstellungsräumen angeschriebenen oder in den Prospekten enthaltenen Barzahlungspreise sowie die in den Detail-Preislisten des Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverbandes aufgeführten Barzahlungspreise" als massgebend erklärt, und zwar in Verbindung mit Ziffer 4 des Vertrages auch für den Fall, dass der Beklagte nicht bei der Firma Brunner, sondern bei einem der zehn anderen Möbelhändler kaufen wird. Ob das Marktpreise sein werden, ist für ihre Bestimmbarkeit unerheblich. Der Beklagte beruft sich auf den Kommentar OSER/SCHÖNENBERGER, Art. 184 N. 48, wonach der Preis für einen Gegenstand, der keinen Marktpreis hat, regelmässig nicht durch die Umstände bestimmbar sei. Die angerufenen Autoren verneinen jedoch die Bestimmbarkeit mangels Marktpreises nur, "falls der konkrete Fall nicht besondere Anhaltspunkte bietet". Das Gesetz verlangt in der Tat nicht, dass die Leistung anhand von Marktpreisen müsse bestimmt werden können; es genügt, wenn die Parteien sich ausdrücklich
BGE 84 II 13 S. 20
oder stillschweigend auf eine andere Art der Festsetzung geeinigt haben. Das ist im vorliegenden Falle durch die Verweisung auf die in den Ausstellungsräumen angeschriebenen oder in den Preislisten enthaltenen Barzahlungspreise geschehen. Inwiefern diese Art der Bestimmung nicht zulässig sein sollte, ist nicht zu ersehen. Die grosse Zahl der möglichen Lieferfirmen, die ja alle ausser dem Beklagten und andern durch gleiche Verträge verpflichteten "Sparern" auch sonstige Kunden gegen Barzahlung bedienen werden und dabei konkurrenzfähig sein müssen, bietet Gewähr dafür, dass der Beklagte nicht willkürlich festgesetzte Preise wird bezahlen müssen. Hievor wird ihn übrigens auch die Bestimmung bewahren, wonach jedermann in der Ausübung seiner Rechte nach Treu und Glauben zu handeln hat und der offenbare Missbrauch eines Rechtes keinen Rechtsschutz findet (
Art. 2 ZGB
). Ob die vom Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverband aufgestellten Detail-Preislisten an sich nur unverbindliche Richtlinien enthalten, wie der Beklagte behauptet, ist unerheblich. Im Verhältnis zwischen dem Beklagten und dem Verkäufer werden sie kraft des vorliegenden Vertrages nichtsdestoweniger verbindlich sein. Ebensowenig hilft der Einwand, diese Listen bezögen sich nur auf Möbel, nicht auch auf "Teppiche, Vorhänge und dergleichen". Sollte das zutreffen, so bleiben die Preise für diese Ware auf Grund der Anschriften in den Ausstellungsräumen dennoch bestimmbar.
3.
Der Beklagte macht geltend, der Vertrag sei widerrechtlich, weil er in Ziffer 9 bestimme, dass Rechte und Pflichten aus ihm jederzeit auf einen Dritten übertragen werden könnten.
Seine Auffassung, die Übertragbarkeit der Rechte und Pflichten aus einem Vorvertrag könne nicht vereinbart werden, hält jedoch nicht stand. Sie wird insbesondere auch nicht von BECKER, Art. 22 N. 11, vertreten, auf den der Beklagte sich im kantonalen Verfahren berufen hat. Die Äusserung dieses Autors, der Anspruch auf Abschluss
BGE 84 II 13 S. 21
des Hauptvertrages sei "regelmässig nicht abtretbar", betrifft nur den Fall, wo die Parteien die Abtretbarkeit nicht vereinbart haben. Es besteht kein Grund, ihnen die Übertragung auch zu verwehren, wenn die Gegenpartei sich zum vornherein damit einverstanden erklärt. Freilich kann diese dadurch in die Lage kommen, den Hauptvertrag mit jemandem abschliessen zu müssen, den sie bei der Eingehung des Vorvertrages noch nicht kennt. In einer ähnlichen Lage befindet sich aber auch, wer einen Vertrag mit einem Vertreter abschliesst, der den Vertretenen nicht nennen kann oder noch nicht nennen will. Lehre und Rechtsprechung lassen das "Handeln für denjenigen, den es angeht", grundsätzlich zu (BECKER Art. 32 N. 12; VON TUHR/SIEGWART 333 Anm. 10; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 32 N. 9;
BGE 60 II 497
ff.). Steht im Falle der Stellvertretung die vorläufige Unbestimmtheit des Vertragsgegners der Verbindlichkeit eines Vertrages nicht im Wege, so kann auch nicht verboten sein, dass jemand sich durch Vorvertrag verpflichte, den Hauptvertrag mit einem Dritten einzugehen, den die Gegenpartei durch Abtretung ihrer Rechte und Pflichten erst später bezeichnen wird. Wer der Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem Vorvertrag zum vornherein zustimmt, bekundet, dass es ihm gleichgültig ist, mit wem er den Hauptvertrag einzugehen hat. Daran nimmt das Gesetz nicht grundsätzlich Anstoss, geht es doch in
Art. 32 Abs. 2 OR
davon aus, dass es Fälle gibt, in denen einer Partei gleichgültig ist, mit wem sie den Vertrag abschliesse.
Im einzelnen Falle können freilich die guten Sitten die Übertragung der Rechte und Pflichten aus einem Vorvertrag verbieten (
Art. 20 OR
). Ob die Übertragung diesen Sitten widerspreche, kann jedoch erst beurteilt werden, wenn die Umstände, unter denen sie allenfalls vorgenommen werden will, insbesondere der Erwerber, bekannt sind. Im vorliegenden Falle steht hierüber noch nichts fest. Schon aus diesem Grunde kann der Beklagte die Nichtigkeit des Vertrages heute aus dessen Ziffer 9 nicht ableiten.
BGE 84 II 13 S. 22
Verstiesse die unter dieser Bestimmung verurkundete Vereinbarung allgemein gegen die guten Sitten, so wäre übrigens nicht der ganze Vertrag, sondern nur diese Vereinbarung nichtig (
Art. 20 Abs. 2 OR
), hätte es also dabei sein Bewenden, dass die Firma Brunner und der Beklagte sich des Rechtes und der Pflicht zum Abschluss des Kaufes nicht durch Übertragung entschlagen könnten. Der Einwand des Beklagten, es könne ihm nicht gleichgültig sein, den Hauptvertrag mit einem Dritten eingehen zu müssen, der weniger leistungsfähig sei als die Firma Brunner oder dessen Ausstellungsräume sich irgendwo im Tessin oder in der Westschweiz befänden, ist deshalb für heute müssig, ganz abgesehen davon, dass Ziffer 9 ja ausdrücklich nur die Übertragung an einen Zahlungsfähigen gestattet und die Notwendigkeit der Reise an einen dem Wohnsitz des Beklagten fernen, aber immerhin noch in der Schweiz liegenden Ort zwecks Auswahl einer Aussteuer im Werte von Fr. 5000.-- nicht zum vornherein den guten Sitten widerspricht.
4.
Der Beklagte hält den vorliegenden Vertrag für nichtig, weil er gegen die guten Sitten verstosse.
Über diese Einwendung ist nur anhand des Inhaltes des konkreten Vertrages zu entscheiden. Sie kann nicht schon deshalb begründet sein, weil es, wie der Beklagte geltend macht, volkswirtschaftlich bedenklich sei, wenn wenige Firmen sich auf Jahre hinaus durch solche Verträge Käufer sichern und dadurch die künftige Nachfrage zum Nachteil der Konkurrenten verringern. Auch kann nichts darauf ankommen, ob Vorauszahlungsverträge verteuernd wirken, weil der Händler zur Zeit der Lieferung ohne Rücksichtnahme auf Angebot und Nachfrage die Preise zu seinen Gunsten gestalten könne. Solche oder ähnliche Überlegungen der Volkswirtschaftspolitik mögen beim Erlass des Gesetzes getroffen werden, erlauben dagegen dem Richter nicht, den einzelnen inhaltlich den guten Sitten nicht zuwiderlaufenden Vertrag nichtig zu erklären.
a) Im kantonalen Verfahren hat der Beklagte unter
BGE 84 II 13 S. 23
Berufung auf FLATTET, Courrier du Comptable 1951 43 f., geltend gemacht, die persönliche Wirtschaftsfreiheit werde in einem die Sittlichkeit verletzenden Grade eingeschränkt, wenn sich jemand verpflichte, bei einem bestimmten Händler oder bei einer bestimmten Gattung von Händlern für einen Mindestbetrag und innert bestimmter Frist Waren zu kaufen. Wie das Kantonsgericht mit Recht annimmt, geht diese Auffassung zu weit. Wer einen Teil seiner wirtschaftlichen Freiheit vertraglich aufgibt, verstösst nur dann gegen die guten Sitten, wenn er dadurch seine wirtschaftliche Existenz gefährdet (
BGE 51 II 167
f.). Das hat der Beklagte durch das Versprechen, seine Aussteuer bei der Firma Brunner oder allenfalls bei einem der zehn anderen Händler zu kaufen, umsoweniger getan, als er berechtigt bleibt, die Auswahl bei 76 dem Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverband angehörenden Firmen zu treffen. Damit hat er sich so weitgehende Freiheit in der Auswahl der Kaufsachen und des Verkäufers vorbehalten, dass seine wirtschaftliche Existenz unmöglich auf dem Spiele stehen kann. Sie ist umsoweniger gefährdet, als das Kantonsgericht verbindlich feststellt, dass die Firma Brunner bedeutend und leistungsfähig ist.
b) Unhaltbar ist es auch, im Vertrag einen Verstoss gegen die guten Sitten zu sehen, weil die Kaufkraft des Geldes bis zum Abschluss des Kaufes abnehmen könne, der Beklagte also das Inflationsrisiko trage. Jeder, der Vermögen in Geld oder Forderungen anlegt, trägt diese Gefahr, insbesondere auch wer spart, um später eine Aussteuer kaufen zu können, die zu erwerben er sich nicht schon lange zum voraus verpflichtet. Würde man der Auffassung des Beklagten folgen, so wären z.B. alle Versicherungs- und alle Sparkassenverträge wegen Verstosses gegen die guten Sitten nichtig.
c) Eine andere Frage ist, ob die wirtschaftliche Existenz des Beklagten durch die Einlagen gefährdet werde, zu denen er sich verpflichtet hat. Auch davon kann jedoch keine Rede sein. Der Beklagte ist ein junger lediger Gemeindeangestellter,
BGE 84 II 13 S. 24
der nach verbindlicher Feststellung des Kantonsgerichts durchaus imstande ist, ohne allzugrosse Einschränkungen binnen siebeneinhalb Jahren Fr. 5000.-- zurückzulegen, wovon die ersten Fr. 1500.-- in dreissig aufeinanderfolgenden monatlichen Raten von Fr. 50.-. Dass die späteren Raten im Durchschnitt etwas über monatlich Fr. 50.- liegen müssen, ändert an dieser Feststellung nichts. Für den Fall des Militärdienstes, der Krankheit oder Arbeitslosigkeit räumt Ziffer 8 des Vertrages dem Beklagten das Recht ein, die Zahlungen vorübergehend einzustellen. Es ist also auch in dieser Hinsicht dafür gesorgt, dass der Vertrag ihn wirtschaftlich nicht zugrunde richten kann.
d) Der Beklagte hat seinen Standpunkt vor dem Kantonsgericht auch mit der Dauer des Vertrages zu begründen versucht. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass die Abwicklung eines Vertrages, durch den sich jemand zu ratenweisen Leistungen verpflichtet, sich über längere Zeit dahinzieht. Das trifft z.B. auch beim Kauf auf Abzahlung zu und ist an sich nicht sittenwidrig. Sogar Verträge, durch die eine Partei sich für die Dauer des eigenen Lebens oder des Lebens der Gegenpartei bindet, sind nicht grundsätzlich unzulässig (
BGE 56 II 189
ff.,
BGE 75 III 114
f.). Das Gesetz lässt eine solche Bindung z.B. für den Dienstherrn zu und gestattet auch dem Dienstpflichtigen erst nach Ablauf von zehn Jahren, einen für längere Zeit abgeschlossenen Dienstvertrag zu künden (
Art. 351 OR
). Im vorliegenden Falle ist zu berücksichtigen, dass der Vertrag auf Anschaffung einer Aussteuer im Werte von Fr. 5000.-- abzielt und die Aufbringung dieses Betrages naturgemäss mehrere Jahre beansprucht, wenn sie den Beklagten in der Befriedigung seiner übrigen Lebensbedürfnisse nicht zu stark einengen soll. Es ist durchaus normal, dass der Vertrag dafür einen Zeitraum von siebeneinhalb Jahren vorsieht. Zudem lässt er dem Beklagten alle Freiheit, die Dauer durch höhere Leistungen abzukürzen, ja die Aussteuer in jedem beliebigen Zeitpunkt gegen bar oder auf
BGE 84 II 13 S. 25
Abzahlung zu kaufen. Der Vertrag legt also dem Beklagten kein Hindernis in den Weg, wenn er schon vor Ablauf der siebeneinhalb Jahre einen eigenen Hausstand gründen will. Es ist auch keineswegs stossend, dass ein junger Mann im Hinblick auf die Möglichkeit der Verheiratung, die ja normalerweise im Alter von fünfundzwanzig bis dreissig Jahren erfolgt, schon vom zwanzigsten Altersjahr an einen Teil seines Verdienstes zurücklegt. Wer sich in diesem Sinne bindet, verstösst nicht nur nicht gegen die guten Sitten, sondern bekundet Verständnis für die Anforderungen, die das Leben an ihn stellt. Freilich hat der Beklagte sich nicht nur für siebeneinhalb Jahre gebunden, da er, abgesehen vom Falle schwerer Invalidität und unheilbarer Krankheit, erst dann ohne finanzielle Einbusse vom Vertrag zurücktreten kann, wenn er sich bis zur Vollendung des vierzigsten Lebensjahres nicht verheiratet. Von einer erdrückenden Bindung kann aber dennoch nicht gesprochen werden, da sie sich nach Aufbringung der Fr. 5000.--, die nach siebeneinhalb Jahren beendet sein wird, darin erschöpft, dass der Beklagte über das Sparguthaben nicht verfügen kann. Er wird sich also von da an nicht in wesentlich anderer Lage befinden als jeder Sparer, der sein Geld auflängere Zeit fest anlegt. Was daran anstössig sein sollte, ist nicht zu ersehen. Die Dauer des Vertrages lässt sich umsoweniger beanstanden, als Ziffer 7 den Beklagten schon nach Ablauf eines Jahres jederzeit berechtigt, gegen ein Reugeld von mindestens Fr. 600.-- und höchstens Fr. 900.-- vom Vertrage zurückzutreten. Dass seine wirtschaftliche Existenz vernichtet sei, wenn er einen solchen Betrag opfert, kann nicht im Ernste behauptet werden. Auch das Kantonsgericht sieht in der Dauer des Vertrages kein Hindernis für dessen Gültigkeit.
e) Der Beklagte hält daran fest, die Klägerinnen hätten dadurch gegen die guten Sitten verstossen, dass sie ihm das Versprechen der Anschaffung einer Aussteuer abgenommen hätten, bevor er wisse, ob er eine solche je nötig haben werde. Er hat sich indes zum Kaufe der Aussteuer
BGE 84 II 13 S. 26
nur für den Fall verpflichtet, dass er vor Vollendung des vierzigsten Altersjahres heirate. Tritt diese Bedingung ein, so wird er normalerweise auch einer Aussteuer bedürfen. Gewiss ist denkbar, dass auch seine künftige Braut mit einer solchen versehen sei oder dass ihm der Ankauf einer Aussteuer in der Schweiz lästig werde, weil er sich im fernen Ausland niederlassen möchte usw. In solche oder ähnliche Lage kann aber jeder kommen, der sich auf lange Sicht zum Erwerb einer Leistung verpflichtet, die er noch nicht nötig hat. Von einer die Sittlichkeit verletzenden Verpflichtung kann deswegen nicht gesprochen werden, da auch in diesem Falle nicht gesagt werden könnte, der Beklagte sei in seiner wirtschaftlichen Existenz vernichtet. Sollte er sich verpflichtet sehen, eine Aussteuer zu kaufen, die er nicht brauchen könnte, so bliebe ihm die Möglichkeit, sie weiterzuverkaufen oder seine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag auf einen zahlungsfähigen Dritten zu übertragen. Zudem könnte er sich der Verpflichtung durch Bezahlung des vertraglichen Reugeldes entschlagen.
5.
Das Kantonsgericht und mit ihm der Beklagte sind in Anlehnung an PICENONI, ZSchwR nF 75 506 ff., der Auffassung, ein Vertrag sei auch dann nichtig, wenn er auf Machenschaften beruhe, die gegen die guten Sitten verstiessen. Eine solche Machenschaft sieht das Kantonsgericht im vorliegenden Falle darin, dass der Vertrag als Sparvertrag aufgemacht sei, während sein Schwergewicht in Wirklichkeit in der Sicherung des Beklagten als Kunde der Firma Brunner liege. Ferner rechnet es mit eingehenden Erörterungen über den von der Anlagebank AG gewährten Zins und den von der Firma Brunner in Ziffer 6 des Vertrages versprochenen Zuschlag aus, dass der Vertrag dem Beklagten im Hinblick auf die Schaffung des notwendigen Kapitals durch Sparen keinerlei Vorteile biete. Ja es hält den Beklagten sogar für benachteiligt, weil er das Sparguthaben nicht in Beträgen von jeweils Fr. 1000.-- in kurzfristigen Kassenscheinen oder Obligationen zu höherem Zinsfuss anlegen könne, beim Kaufe
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keinen Barzahlungsrabatt herauszumarkten vermöge und die Auswahl mindestens drei Monate vor der Lieferung treffen müsse. Es kommt zum Schluss, der Beklagte mache "vom reinen Sparstandpunkt aus ein schlechtes Geschäft", weshalb der Vertrag "als täuschend, als sittenwidrig und deshalb gemäss
Art. 20 OR
als nichtig" erklärt werden müsse.
Ob ein Vertrag gegen die guten Sitten verstösst, ist nur anhand seines Inhaltes abzuwägen. Das ergibt sich deutlich aus dem französischen und dem italienischen Wortlaut des
Art. 20 Abs. 1 OR
: "Le contrat est nul s'il a pour objet une chose impossible, illicite ou contraire aux moeurs", bzw.: "Il contratto che ha per oggetto una cosa impossibile o contraria alle leggi od ai buoni costumi è nullo." Hiefür spricht auch der französische Text des
Art. 20 Abs. 2 OR
, der die Teilnichtigkeit dann eintreten lässt, wenn nur gewisse Bestimmungen (clauses) des Vertrages zu beanstanden sind. Dass
Art. 20 OR
sich nur mit dem Inhalte des Vertrages befasst, ist auch dem deutschen Wortlaut zu entnehmen, der von einem "unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt" spricht, also einen durch widerrechtliches Vorgehen zustande gebrachten, inhaltlich dagegen der Rechtsordnung nicht widersprechenden Vertrag nicht erfasst. Zum gleichen Schlusse führt der Randtitel "E. Inhalt des Vertrages", unter dem die Art. 19-22 sich befinden. Diesem Randtitel steht gegenüber der die Art. 23-31 betreffende Randtitel "F. Mängel des Vertragsabschlusses". Den letzteren Bestimmungen ist zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die zum Abschluss führenden äussern und innern Vorgänge (Irrtum, Täuschung, Furchterregung) die Parteien ihrer Verpflichtung zu entheben vermögen. Solche Vorgänge führen zudem nie zur Nichtigkeit des Vertrages, wie
Art. 20 OR
sie bei unmöglichem, widerrechtlichem oder den guten Sitten widersprechendem Inhalt eintreten lässt, sondern machen den Vertrag nur einseitig unverbindlich. Das Kantonsgericht verkennt also den Sinn des Gesetzes, wenn es den
BGE 84 II 13 S. 28
vorliegenden Vertrag nichtig erklärt, weil der Beklagte durch "Machenschaften" zur Unterzeichnung bewogen worden sei.
Der Beklagte wendet ein, diese "Machenschaften" hätten gar nicht in täuschenden Handlungen bestanden, die dem Vertragsabschluss vorausgegangen wären, sondern beträfen den Inhalt des Vertrages, denn einzelne Bestimmungen selbst seien täuschend. Auch damit geht er aber fehl. Wenn ein Vertragschliessender sich durch die übereinstimmenden Willensäusserungen der Parteien, insbesondere durch den beurkundeten Vertragstext "getäuscht" fühlt, hat er den Vertrag entweder so gelten zu lassen, wie er ihn verstanden hat und nach Treu und Glauben verstehen durfte, oder es liegt ein Irrtum oder eine absichtliche Täuschung vor, die den Vertrag für den Irrenden oder Getäuschten allenfalls nach Art. 24 bzw. 28 OR unverbindlich machen. Von einem sittenwidrigen Inhalt des Vertrages kann keine Rede sein, wenn lediglich die Formulierung der schriftlichen oder mündlichen Willensäusserungen zu beanstanden ist, die Folgen, die sich aus ihrem verbindlichen Sinn ergeben, dagegen vor den Anforderungen der guten Sitten standhalten. Nur diese Folgen, d.h. die eingegangenen Verpflichtungen, die getroffenen Verfügungen, die verabredeten Bedingungen usw., machen den Inhalt des Vertrages aus und sind im Sinne des
Art. 20 OR
daraufhin zu überprüfen, ob sie den guten Sitten nicht widersprechen.
Übrigens halten die Aussetzungen, die das Kantonsgericht am Vertrage macht, nicht stand. Die Bezeichnung als "Aussteuer-Sparvertrag" ist nicht irreführend, sondern deutet zutreffend an, dass der Beklagte sich verpflichtet, im Hinblick auf den Kauf einer Aussteuer zu sparen. Angesichts dieser Verpflichtung lässt sich auch die Bezeichnung des.Beklagten als "Sparer" nicht beanstanden. Freilich ist das (zweckgebundene) Sparen nicht der einzige Gegenstand des Vertrages, da dieser den Beklagten auch schon verpflichtet, die Aussteuer zu kaufen. Diese Verpflichtung ist aber im Vertrage deutlich festgelegt, und es ist undenkbar, dass sie dem Beklagten, einem urteilsfähigen
BGE 84 II 13 S. 29
Gemeindeangestellten, beim Lesen des Vertrages entgangen sei. Der Beklagte behauptet das auch gar nicht. Dass es den Klägerinnen, insbesondere der Firma Brunner, beim Abschluss des Vertrages um den Verkauf der Aussteuer zu tun war, liegt ebenfalls auf der Hand. Auch hatte der Beklagte selber zu bedenken, ob er sich der Möglichkeit begebe, beim Kaufe einen Barzahlungsrabatt herauszumarkten, und ob die Verzinsung der Spareinlagen durch die Anlagebank AG sowie der von der Firma Brunner versprochene Zuschuss für ihn vorteilhaft seien.
Art. 20 OR
will den Richter nicht zum Vormund über Handlungsfähige erheben. Unter welchen Voraussetzungen das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung einen Vertrag unverbindlich macht, bestimmt
Art. 21 OR
, und dass diese Voraussetzungen hier erfüllt seien, ist mit Recht nicht behauptet worden. Dass endlich die Nichtigkeit auch nicht aus der dreimonatigen Lieferfrist abgeleitet werden kann, ist klar. Diese Frist vermag umsoweniger Anstoss zu erregen, als in der Regel der Zeitpunkt der Heirat und der Anschaffung einer Aussteuer mehr als drei Monate zum voraus festgesetzt werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Berufung wird:
a) die Klage gutgeheissen und der Beklagte verpflichtet, die bis 1. Juni 1957 fällig gewordenen Einzahlungen laut Vertrag vom 6. Oktober 1956 im Betrage von Fr. 350.-- vorzunehmen;
b) die Widerklage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1cba4ab-caac-42f2-96c5-99945d00efe3 | Urteilskopf
120 III 97
32. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 12. September 1994 i.S. I. Treuhand AG (Rekurs) | Regeste
Gebühren für die ausseramtliche Konkursverwaltung in anspruchsvollen Verfahren (Art. 49a Abs. 2 GebVSchKG).
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 2).
Da auch in einem anspruchsvollen Verfahren nicht nur anspruchsvolle Arbeiten zu erledigen sind, rechtfertigt es sich, eine Mischrechnung vorzunehmen und nicht die in anderen Bereichen für entsprechende, anspruchsvolle Arbeiten marktüblichen Ansätze zu verrechnen. Die verrechneten Ansätze müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu den im Gebührentarif für die einfachen Verfahren festgesetzten Entschädigungen stehen (E. 2).
Es ist zulässig unter den Ansätzen der Treuhand-Kammer zu bleiben und mit Blick auf den sozialen Zweck des Gebührentarifs die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der ausserordentlichen Konkursverwaltung gleich zu entschädigen wie die amtliche Verteidigung (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 98
BGE 120 III 97 S. 98
A.-
Im Konkurs über Herbert K. als Inhaber der gleichlautenden, im Handelsregister eingetragenen Einzelfirma setzte die Gläubigerversammlung am 22. Januar 1993 die I. Treuhand AG, als ausseramtliche Konkursverwaltung ein.
B.-
Nachdem die X und die Y Bank als Gläubigerinnen in einer gegen die I. Treuhand AG eingereichten Beschwerde deren Absetzung als Konkursverwalterin beantragt hatten, verlangten sie mit Eingabe vom 7. Dezember 1993 von der Aufsichtsbehörde, "schon jetzt von Amtes wegen tätig zu werden, die ausseramtliche Konkursverwaltung zu einer Zwischenabrechnung betreffend Honorare aufzufordern ... und die Angemessenheit der bis heute aufgelaufenen Honorarforderungen zu überprüfen". Auf Grund einer entsprechenden Auflage der Aufsichtsbehörde
BGE 120 III 97 S. 99
stellte die I. Treuhand AG als Konkursverwalterin den Antrag, die bis zum 31. März 1994 aufgelaufenen Gebühren auf Fr. 162'855.75 festzusetzen und im Sinne von
Art. 270 Abs. 2 SchKG
die Frist zur Durchführung des Konkurses bis Ende 1994 zu verlängern.
Während die Fristverlängerung von der Aufsichtsbehörde des Kantons Schaffhausen über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen mit Entscheid vom 8. Juli 1994 gewährt wurde, wies diese den Antrag um Festsetzung der Gebühr in der genannten Höhe ab, setzte die einzelnen Stundenansätze fest und lud die I. Treuhand AG als Konkursverwalterin ein, nach den von der Aufsichtsbehörde festgesetzten Ansätzen und Weisungen eine neue Abrechnung zu erstellen und diese der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung zu unterbreiten.
C.-
Die I. Treuhand AG gelangt mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts und verlangt, neben der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Festsetzung der Gebühr nach den von ihr beantragten Stundenansätzen, allenfalls die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz.
Die Aufsichtsbehörde des Kantons Schaffhausen über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen verzichtet mit Hinweis auf den angefochtenen Entscheid auf Gegenbemerkungen. Weitere Vernehmlassungen sind nicht eingeholt worden.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Rekurrentin erachtet es als willkürlich, dass die Vorinstanz bei der Tarifierung der Arbeiten der ausserordentlichen Konkursverwaltung nicht von den von ihr beantragten Stundenansätzen ausgegangen ist. Es handle sich um einen rechtlich anspruchsvollen Fall und die sehr allgemein gehaltenen Ausführungen, mit denen die Vorinstanz eine Reduktion gegenüber den Ansätzen der Treuhand-Kammer rechtfertige, widerspreche einer pflichtgemässen Ausübung des Ermessens.
In den Art. 47 ff. GebVSchKG (SR 281.35) werden die Gebühren im Konkursverfahren geregelt. Dabei sehen die Art. 47 bis 49 GebVSchKG feste Ansätze für die einzelnen Verrichtungen vor. Diese Ansätze gelten sowohl für die amtliche wie auch für die ausseramtliche Konkursverwaltung (Art. 46a GebVSchKG). Bei umfangreichen Verfahren, die überdies
BGE 120 III 97 S. 100
aufwendige Abklärungen des Sachverhaltes oder von Rechtsfragen erfordern, kann die Aufsichtsbehörde höhere Gebühren bewilligen (Art. 49a GebVSchKG). Nach Art. 49a Abs. 2 GebVSchKG berücksichtigt die Aufsichtsbehörde in diesen Verfahren für die Entschädigung der ausseramtlichen Konkursverwaltung den Zeitaufwand, den Wert der Interessen und die ausgewiesenen Auslagen. Dabei kommt ihr ein grosses Ermessen zu (
BGE 108 III 69
;
BGE 114 III 44
). Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz ihr Ermessen überschritten hat, namentlich wenn sie sachwidrige Gesichtspunkte berücksichtigt oder sachgemässe unberücksichtigt gelassen hat. Dabei ist auch der soziale Charakter der Gebührenverordnung zu beachten (
BGE 108 III 69
).
Während mit Bezug auf das Entgelt des Kommissärs im Bankenstundungsverfahren die Ansätze des Tarifs der Eidgenössischen Bankenkommission für die Kosten der Revision von Banken und Anlagefonds ausdrücklich als Richtlinie dienen sollen (Art. 64 Abs. 2 GebVSchKG), hat der Tarif der Treuhand-Kammer keinerlei Erwähnung in der Gebührenverordnung von 1971 gefunden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann bei der Festsetzung der Entschädigung der Gebührentarif der Treuhand-Kammer zwar berücksichtigt werden, die Aufsichtsbehörde ist aber an diesen Gebührentarif keineswegs gebunden (
BGE 114 III 45
f.).
Ein Abweichen von den Ansätzen der Treuhand-Kammer rechtfertigt sich schon vom systematischen Zusammenhang her, in welchem Art. 49a Abs. 2 GebVSchKG steht. Er berechtigt die Aufsichtsbehörde nur, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Verfahren besonders anspruchsvoll ist und deshalb eine höhere als die übliche Entschädigung festzusetzen. Diese Entschädigung muss aber in einem vernünftigen Verhältnis zu den in der Gebührenverordnung für die einfacheren Verfahren festgesetzten Entschädigungen stehen. Zudem ist zu beachten, dass auch in einem anspruchsvollen Verfahren nicht alle Arbeiten anspruchsvoll sind. Mit dem Argument, es seien besondere Kenntnisse nötig, lassen sich nicht bei allen Verrichtungen, wie beispielsweise den Sekretariatsarbeiten, höhere Ansätze rechtfertigen. Hier lässt sich eine Erhöhung höchstens mit einer Mischrechnung vertreten. Dies setzt aber voraus, dass bei den anspruchsvollen Arbeiten nicht der in anderen Bereichen für die entsprechenden Arbeiten marktübliche Ansatz verrechnet wird.
3.
a) Die Aufsichtsbehörde hat für die Arbeit der Rechtsanwälte einen Stundenansatz von Fr. 200.-- zugelassen. Die Rekurrentin fordert Fr. 250.--. Letzteres ist - nach den Feststellungen der Vorinstanz - der höchste nach
BGE 120 III 97 S. 101
Honorarordnung der Schaffhauser Anwaltskammer zulässige Stundenansatz, wobei allerdings noch gewisse Streitwertzuschläge zulässig sind. Vom sozialen Zweck des Gebührentarifs her rechtfertigt es sich zweifellos, unter den maximal zulässigen Ansatz zu gehen. Die Vorinstanz verweist diesbezüglich auf die Ansätze die einem amtlichen Verteidiger im Kanton Schaffhausen zustehen (Fr. 140.-- pro Stunde). Mit Blick auf diese Überlegungen, die der Gebührenverordnung zu Grunde liegen, liesse es sich ohne weiteres rechtfertigen, die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der ausserordentlichen Konkursverwaltung gleich zu entschädigen wie die amtliche Verteidigung.
Wohl hält die Vorinstanz selber fest, dass die Auffassung der Gläubiger, es seien "mannigfach reine Routinearbeiten zum Volltarif verrechnet" worden, nicht zutreffe. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, es habe sich ausschliesslich um anspruchsvolle Anwaltstätigkeit gehandelt. Zwischen reiner Routine und anspruchsvoller Anwaltstätigkeit gibt es auch noch die gewöhnlichen anwaltlichen Aufgaben.
Ein Stundenansatz von Fr. 200.-- kann deshalb nicht als zu niedrig angesehen werden.
b) Von daher lässt sich auch der Ansatz für die juristischen Mitarbeiter von Fr. 160.-- pro Stunde nicht beanstanden.
c) Für die Funktion des Architekten und des Immobilientreuhänders liess die Vorinstanz einen Stundenansatz von Fr. 130.--, für die blosse Verwaltungstätigkeit von Fr. 110.-- zu. Die Rekurrentin will Fr. 170.-- bzw. Fr. 150.--. Art. 47 GebVSchKG ist zu entnehmen, dass bei nicht anspruchsvollen Verfahren der Stundenansatz für diese Tätigkeit zum Teil nur Fr. 60.-- beträgt. Die von der Vorinstanz zugestandene Erhöhung gegenüber diesem Tarif erscheint von daher als angemessen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte.
d) Die Sekretariatsarbeiten lässt die Vorinstanz schliesslich mit Fr. 50.-- pro Stunde verrechnen. Die Rekurrentin verlangt Fr. 80.--. Dass die Sekretariatsarbeiten im vorliegenden Verfahren besonders anspruchsvoll seien, z.B. Fremdsprachenkenntnisse verlange, ist in keiner Weise dargetan. Mit Blick auf den Tarif in nicht anspruchsvollen Verfahren, lässt sich somit auch dieser Ansatz ohne weiteres rechtfertigen. Er liegt wohl noch deutlich über den nach Art. 47 bis 49 GebVSchKG verrechenbaren Beträgen. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f1cfb02f-278c-440a-8a5e-3dd50c6707c9 | Urteilskopf
106 Ib 392
59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. November 1980 i.S. Helene Balmer gegen Staat Bern und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 19 lit. b EntG
, Teilenteignung wirtschaftlich zusammenhängender Parzellen.
Stehen benachbarte Grundstücke im Eigentum verschiedener Personen, so besteht zwischen ihnen, von Ausnahmefällen abgesehen, kein wirtschaftlicher und funktioneller Zusammenhang im Sinne von
Art. 19 lit. b EntG
. Ein Ausnahmefall ist nicht schon gegeben, wenn zwischen den Grundeigentümern eine enge familiäre Verbindung besteht. | Sachverhalt
ab Seite 392
BGE 106 Ib 392 S. 392
Frau Helene Balmer-Ballif ist Eigentümerin der mit einem Einfamilienhaus überbauten Parzelle Nr. 217 in Klein-Twann. Das bergwärts des SBB-Trasses liegende Grundstück stösst seitlich - nur durch einen Gemeindeweg getrennt - an die Wohnliegenschaft Nr. 212 von Dr. Hans Balmer, Sohn der Helene Balmer. Vor der Parzelle Nr. 217 und der Geleiseanlage erstreckt sich die bis zum See reichende Rebparzelle Nr. 214, die ebenfalls zum Grundbesitz Dr. Balmers gehört.
Im Rahmen des Ausbaus der linksufrigen Bielerseestrasse zur Nationalstrasse wurde das Bahngeleise in Richtung See verlegt und die N 5 auf dem ehemaligen Bahnstrasse erstellt. Für die Ausführung des Werkes ist das Grundstück Nr. 217 nicht beansprucht, dagegen ein Teil der Rebparzelle Nr. 214 enteignet worden. Mit Entscheid vom 9. Juni 1978 wies die Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6, die Entschädigungsbegehren, die Helene Balmer vor allem im Hinblick auf die zu erwartenden Immissionen angemeldet hatte, in vollem Umfange ab. Gegen diesen Entscheid hat Frau Balmer Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingelegt. Das Bundesgericht weist diese ab.
BGE 106 Ib 392 S. 393
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
b) Nach
Art. 19 lit. b EntG
sind die für die Teilenteignung geltenden Entschädigungsgrundsätze auch anzuwenden, wenn von mehreren wirtschaftlich zusammenhängenden Grundstücken ein Teil beansprucht wird. Fraglich ist, ob dies auch gelte, wenn zusammenhängende Parzellen im Eigentum verschiedener Personen stehen, insbesondere wenn der Eigentümer des Restteils mit dem Eigentümer des beanspruchten Teiles nicht identisch ist und selbst keine Rechte abzutreten hat. Der Wortlaut des Gesetzes spricht gegen diese Auslegung, handelt doch Art. 19 nur von der Entschädigung für Nachteile, "die dem Enteigneten aus der Entziehung oder Beschränkung seiner Rechte erwachsen" (vgl. auch den Gesetzestext von
Art. 12 Abs. 1 EntG
). Auch die Materialien deuten darauf hin, dass die Bestimmung nur im engen Sinne zu verstehen sei: Nach einlässlicher Diskussion sind die vorberatenden Kommissionen zum Schluss gelangt, die grundsätzliche Frage der Entschädigung der durch das Werk benachteiligten Nichtexpropriaten sei nicht im Rahmen des Enteignungsrechts zu lösen (Experten-Kommission, Protokoll der ersten Konferenz, S. 63 f., S. 67 ff., Protokoll der zweiten Konferenz, S. 7; Protokoll der Redaktionskommission, S. 29; vgl. auch die Verhandlungen der Kommission des Ständerates, I. Session, S. 12). Indessen bemerkt HESS in seinem Kommentar, dass die Abtrennung eines oder einzelner von wirtschaftlich zusammenhängenden Grundstücken unter Umständen auch dann als Teilenteignung gelten könne, wenn die eine Einheit bildenden Grundstücke "rechtlich verschiedenen Eigentümern, wie z.B. in Gütertrennung lebenden Ehegatten, gehören" (N. 2 zu
Art. 22 Abs. 2 EntG
). Ob dem so sei, braucht hier nicht endgültig entschieden zu werden. Selbst wenn grundsätzlich nicht auszuschliessen wäre,
Art. 19 lit. b EntG
auf solche Sachverhalte anzuwenden, so hätte sich dies - um Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu widersprechen - auf ganz bestimmte Sonderfälle zu beschränken: entweder müssten die Eigentümer rechtlich und tatsächlich eng verbunden sein und völlig übereinstimmende Interessen an den fraglichen Parzellen haben, so dass es sich bei Teilabtretung rechtfertigen würde, sie als eine einzige Person zu behandeln (vgl. mutatis mutandis
BGE 106 Ib 226
E. 2); oder es müssten die verschiedenen Parzellen aufgrund ihrer gemeinsamen Nutzung, ihrer Zugehörigkeit zum selben, nicht aufteilbaren Betrieb einem einzigen, im Miteigentum stehenden Grundstück gleichgestellt werden können.
BGE 106 Ib 392 S. 394
c) Die Ausrichtung einer Minderwertsentschädigung im Sinne von
Art. 19 lit. b und
Art. 22 Abs. 2 EntG
könnte demnach im vorliegenden Falle überhaupt nur in Betracht gezogen werden, wenn die Hausparzelle Nr. 217 und die Rebparzelle Nr. 214, die vor der Enteignung gegenüber der Hausliegenschaft zweifellos eine Schutzfunktion erfüllen konnte (vgl. zit. Entscheid i.S. Dr. Balmer E. 3b und 4a), eine untrennbare Einheit im dargelegten Sinne gebildet hätten oder es sich rechtfertigen würde, deren Eigentümer im Hinblick auf die identische Interessenlage als ein und dieselbe Person zu behandeln. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben. Wohl besteht zwischen den beiden Grundeigentümern - Mutter und Sohn - eine enge familiäre Verbindung, die eine gegenseitige Rücksichtnahme bei der Verfügung über die Grundstücke vermuten lässt; doch bedeutet das noch nicht, dass die Interessen an den fraglichen Parzellen vollkommen gleichgelagert sein müssten und der einen Seite auch das Grundeigentum der anderen zugerechnet werden dürfte. Es kann denn auch nicht gesagt werden, die Eigentümerin der Parzelle Nr. 217 habe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit rechnen dürfen, dass ihr die Rebparzelle Nr. 214 als "Schutzschild" erhalten bleibe. Über die Entschädigungsansprüche der Beschwerdeführerin ist daher allein nach den Regeln zu befinden, die für die Enteignung von Nachbarrechten gelten.
2.
(Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit des Schadens wird verneint.)
BGE 106 Ib 392 S. 395 | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f1d02a34-c2c6-426c-bacf-d118a6fc8649 | Urteilskopf
107 IV 155
44. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 20. August 1981 i.S. M. A.G. gegen Eidg. Steuerverwaltung | Regeste
Art. 99 Abs. 1 VStrR
; Anspruch auf Entschädigung für Nachteile aus materiell ungerechtfertigter Strafverfolgung.
1. Anspruch auf Entschädigung haben auch juristische Personen (Erw. 4).
2. Die Entschädigungspflicht setzt eine gewisse objektive Schwere der Untersuchungshandlung und einen dadurch bedingten erheblichen Nachteil voraus. Dieser ist vom Ansprecher zu substantiieren und zu begründen (Erw. 5). | Erwägungen
ab Seite 155
BGE 107 IV 155 S. 155
Aus den Erwägungen:
4.
Die EStV hat den Entschädigungsanspruch der Beschwerdeführerin abgewiesen. Aus dem Wortlaut des
Art. 99 Abs. 1 VStrR
wie auch aus dem Umstand, dass die Normadressaten des Verwaltungsstrafrechtes grundsätzlich natürliche Personen seien, sei zu schliessen, dass Entschädigungen für erlittene Nachteile nur an natürliche Personen ausgerichtet werden sollen.
BGE 107 IV 155 S. 156
Darauf deute auch die Erwähnung der Untersuchungshaft hin, die nur gegenüber natürlichen Personen angeordnet werden könne. Soweit die beantragte Entschädigung den wirtschaftlichen Schaden oder einen event. erlittenen tort moral abgelten solle, sei sie zu verweigern.
Die Argumentation der EStV überzeugt nicht. Zwar ist
Art. 99 Abs. 1 VStrR
der für das Bundesstrafverfahren geltenden Regelung nachgebildet (
Art. 122 Abs. 1 BStP
; Botschaft des BR zum Entwurf des BG über das Verwaltungsstrafrecht vom 21.4.1971, BBl 1971 I S. 1015) und insoweit primär zweifellos auf die Entschädigung von Nachteilen angelegt, die natürlichen Personen als Beschuldigten im Strafverfahren entstehen. Indessen ist nicht zu übersehen, dass im Verwaltungsstrafverfahren je nach der gesetzlichen Ordnung auch juristische Personen Beschuldigte sein können. Und tatsächlich wurde gerade im vorliegenden Fall nicht irgendeine natürliche Person als Beschuldigte ins Steuerstrafverfahren einbezogen, sondern die Beschwerdeführerin, nämlich eine juristische Person, die gemäss Art. 130 Abs. 4 WStB auch straffähig war (s. im übrigen
Art. 7 VStrR
). Dazu kommt, dass die Erwähnung der Untersuchungshaft in
Art. 99 Abs. 1 VStrR
, der nur natürliche Personen unterworfen werden können, bloss beispielsweisen Charakter hat, was ohne weiteres aus dem Einbezug "anderer Nachteile" in die Bestimmung erhellt. Solche aber können - und das ergibt sich zweifelsfrei aus Abs. 2 des
Art. 99 VStrR
- auch aus Zwangsmassnahmen wie der Beschlagnahme, der Durchsuchung usw. folgen. Zwangsmassnahmen der genannten Art können zudem Gegenstände betreffen, welche im Eigentum juristischer Personen stehen, die durch solche Eingriffe ebensosehr in ihren Interessen geschädigt werden können wie natürliche Personen. Warum aber in diesem Fall juristischen Personen ein Entschädigungsanspruch nur zustehen sollte, wenn sie nicht als Beschuldigte ins Verfahren einbezogen wurden (
Art. 99 Abs. 2 VStrR
), nicht aber dann, wenn sie selber Beschuldigte sind, ist schlechterdings nicht ersichtlich. Ihre Anspruchsberechtigung muss auch im letzteren Fall bejaht werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das Gesagte gilt, da die Entschädigung des
Art. 99 Abs. 1 VStrR
nicht nur in der Leistung von Schadenersatz, sondern auch in der Bezahlung einer Genugtuungssumme bestehen kann (s.
BGE 84 IV 47
E. 6), auch für die letztere, soweit die juristische Person der Persönlichkeitsrechte teilhaftig ist (s.
BGE 97 II 100
,
BGE 90 II 463
,
BGE 71 IV 36
u.a.m.).
BGE 107 IV 155 S. 157
5.
Die Beschwerdeführerin verlangt eine Entschädigung nach
Art. 99 Abs. 1 VStrR
, weil das gegen sie eingeleitete Verfahren für sie eine schwere geschäftliche Einbusse bewirkt und eine kreditschädigende Wirkung entfaltet habe. Sie schätzt den daraus entstandenen "Ausfall" auf mehrere zehntausend Franken. Ihr Begehren zielt also insoweit sinngemäss ausschliesslich auf Leistung von Schadenersatz.
Eine Entschädigungspflicht im Sinne von
Art. 99 Abs. 1 VStrR
besteht nicht schon für jeden geringfügigen Nachteil. Auch in einem Rechtsstaat hat der Bürger grundsätzlich das durch die Notwendigkeit der Verbrechensbekämpfung bedingte Risiko einer gegen ihn geführten materiell ungerechtfertigten Strafverfolgung bis zu einem gewissen Grad auf sich zu nehmen. Die Entschädigungspflicht im Sinne der genannten Bestimmung setzt daher wie diejenige nach
Art. 122 Abs. 1 BStP
eine gewisse objektive Schwere der Untersuchungshandlung und einen dadurch bedingten erheblichen Nachteil voraus (
BGE 84 IV 46
/47). Dieser ist vom Ansprecher zu substantiieren und zu beweisen (Entscheid der AK vom 14.4.1981 i.S. Sch. c. Bundesanwaltschaft). Daran gebricht es im vorliegenden Fall. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, erschöpft sich in allgemeinen Hinweisen, die jeder näheren Begründung entbehren. Es kann deshalb ihrem Begehren unter dem Titel des durch das Verfahren bewirkten "Ausfalls" nicht entsprochen werden. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1d38da0-7222-4b8f-81db-e9bc39ab4811 | Urteilskopf
119 IV 102
17. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 26. Januar 1993 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Staatsanwaltschaften der Kantone Basel-Stadt, Zürich und Basel-Landschaft | Regeste
Art. 263 Abs. 3 BStP
; konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes.
1. Nach Eingang der Strafanzeige haben die kantonalen Behörden summarisch und beschleunigt zu prüfen, ob der gesetzliche Gerichtsstand in ihrem Kanton liegt, und die dafür wesentlichen Abklärungen zu treffen (E. 4a).
2. Nimmt eine kantonale Behörde während verhältnismässig langer Zeit weitere Ermittlungen vor, kann darin eine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes liegen (E. 4b).
3. Die nachträgliche Änderung eines konkludent anerkannten Gerichtsstandes ist nur aus triftigen Gründen zulässig (E. 5).
4. Kostenauflage bei pflichtwidrigem Säumnis der Strafverfolgungsbehörden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 103
BGE 119 IV 102 S. 103
A.-
S. wird zur Last gelegt, in den Kantonen Schaffhausen, Zürich, Thurgau, Bern, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau, Tessin und Solothurn zahlreiche strafbare Handlungen (insb. Betrügereien) begangen zu haben. Da die Behörden des Kantons Schaffhausen bereits im Dezember 1988 eine Strafuntersuchung gegen S. angehoben haben, übernahmen sie die Durchführung des Sammelverfahrens, das sie bis heute führten.
B.-
Die Behörden des Kantons Schaffhausen unternahmen seit dem 29. März 1990 verschiedene erfolglose Versuche, das Verfahren an die Kantone Thurgau, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zürich abzutreten. Ein Meinungsaustausch führte zu keiner Einigung in der Frage des Gerichtsstandes.
C.-
Mit Gesuch vom 16./18. Dezember 1992 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen der Anklagekammer des Bundesgerichts im Hauptantrag, es seien die Behörden des Kantons Basel-Stadt zur Verfolgung und Beurteilung der S. zur Last gelegten strafbaren Handlungen berechtigt und verpflichtet zu erklären.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt sinngemäss, das Gesuch abzuweisen.
BGE 119 IV 102 S. 104
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Geht in einem Kanton eine Strafanzeige ein, so haben die Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen zu prüfen, ob nach den gesetzlichen Gerichtsstandsregeln ihre örtliche Zuständigkeit und damit die Gerichtsbarkeit ihres Kantons gegeben ist; diese Prüfung soll summarisch und beschleunigt erfolgen, um unnötige Verzögerungen des Untersuchungsverfahrens zu vermeiden. Damit diese Prüfung zuverlässig erfolgen kann, hat die mit der Sache befasste Behörde alle für die Festlegung des Gerichtsstandes wesentlichen Tatsachen zu erforschen und alle dazu notwendigen Erhebungen durchzuführen; insbesondere ist in diesem Zusammenhang der Ausführungsort zu ermitteln (vgl. SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N 496 f.). Hat ein Beschuldigter in mehreren Kantonen strafbare Handlungen verübt, so hat jeder Kanton vorerst die Ermittlungen voranzutreiben, soweit diese für die Bestimmung des Gerichtsstandes wesentlich sind; er hat dabei in erster Linie jene Abklärungen zu treffen, die auf seinem Kantonsgebiet vorzunehmen sind (vgl.
BGE 94 IV 47
; vgl. auch SCHWERI, a.a.O., N 301, und
BGE 107 IV 80
).
b) Beschränkt sich ein Kanton nicht darauf, sondern nimmt er während verhältnismässig langer Zeit weitere Ermittlungen vor, obschon längst Anlass bestanden hätte, die eigene Zuständigkeit abzuklären, so liegt darin eine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes; auch durch eine solche können die Kantone vom gesetzlichen Gerichtsstand abweichen (vgl. SCHWERI, a.a.O., N 413, und
BGE 88 IV 44
f.).
c) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Es ist zunächst festzuhalten, dass die Anzeige vom 12. Dezember 1988 nachträglich geändert wurde, indem einleitend die Worte "Verdacht des Pfändungsbetruges evtl. ..." durchgestrichen wurden; dies geschah offensichtlich nicht durch den Aussteller des Dokuments selber, fehlt doch am Rande ein entsprechendes Korrekturvisum. Ein solches Verändern von Originalakten muss indessen als in höchstem Masse unzulässig bezeichnet werden; dies auch dann, wenn eine andere Behörde zum Schluss gekommen ist, dass dem Beschuldigten dieser Tatbestand nicht mehr vorzuwerfen sei.
Offensichtlich kam das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen schon am 26. April 1989 zum Schluss, es liege bezüglich dieser Anzeige kein Betrug vor. Im Zusammenhang mit dem zweiten, am 6. Mai 1989 im Kanton Schaffhausen angezeigten Betrug (gegenüber K.) führte der Untersuchungsrichter erst am
BGE 119 IV 102 S. 105
24. Februar 1990 eine Befragung von K. durch, obwohl ihm die Anzeige bereits am 23. Juni 1989 übermittelt worden war. Gestützt auf diese Befragung erklärte er am 29. März 1990 gegenüber dem Bezirksamt Kreuzlingen, dieser Betrug sei jedenfalls nicht im Kanton Schaffhausen begangen worden. Als das Bezirksamt Kreuzlingen am 19. April 1990 dennoch eine Übernahme der Verfahren ablehnte, verwies es ausdrücklich auf die Anzeige wegen Pfändungsbetruges. Auch die Berner Behörden beriefen sich am 21. November 1989 auf den in den Führungsberichten erwähnten Betrug.
Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen mit den Abklärungen in bezug auf den Ausführungsort des Betruges gegenüber K. und insbesondere mit der Befragung derselben acht Monate zuwartete, obwohl ihrer Ansicht nach aus der Anzeige nicht klar ersichtlich war, wo die Straftat ausgeführt worden war. Nach dem oben dargelegten Sachverhalt stand für die Behörden des Kantons Schaffhausen immerhin spätestens am 29. März 1990 (mit dem erwähnten Schreiben an das Bezirksamt Kreuzlingen) fest, dass der Beschuldigte in ihrem Kanton keinen Betrug begangen habe. Dennoch liessen sie die zahlreichen Anfragen der Berner Behörden unbeantwortet; dasselbe geschah bezüglich der Anfragen der Zürcher Behörden und jener des Kantons Basel-Stadt. Auch auf die förmlichen Abtretungen der Verfahren durch die beiden letztgenannten Kantone vom 2. September 1991 (ZH) und 6. November 1991 (BS) reagierte die Gesuchstellerin nicht.
Ein solches Verhalten widerspricht nicht nur dem Sinn und Geist der Loyalität, von dem die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen geprägt und getragen sein sollte (vgl. SCHWERI, a.a.O., N 507), sondern sie missachtet auch die den Kantonen obliegende Pflicht, die für die Bestimmung des Gerichtsstandes wesentlichen Ermittlungen beschleunigt an die Hand zu nehmen und zügig zu beenden.
Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen hätte bereits im Juni 1989, als die zweite Anzeige wegen Betruges bei ihm einging, Anlass gehabt, die Gerichtsstandsfrage sofort abzuklären. Es ist unverständlich, weshalb es das Sammelverfahren dennoch weiterführte und insbesondere mit der Befragung der Anzeigerin zuwartete; diese hätte unverzüglich befragt werden müssen, um den für die Bestimmung des Gerichtsstandes wesentlichen Sachverhalt abzuklären.
Spätestens mit der Ablehnung durch das Bezirksamt Kreuzlingen am 19. April 1990 war den Schaffhauser Behörden bekannt, dass die
BGE 119 IV 102 S. 106
Kantone Bern und Thurgau eine Übernahme der Verfahren ablehnten, weil sie davon ausgingen, im Kanton Schaffhausen sei ein Betrug begangen worden. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Schaffhauser Behörden mit den für die Gerichtsstandsbestimmung zuständigen Stellen der übrigen Kantone unverzüglich einen Meinungsaustausch führen müssen. Es bestand kein vernünftiger Grund, damit bis zum 26. Juni 1992 zuzuwarten. Diesem Zuwarten ist es auch zuzuschreiben, dass 1990, 1991 und 1992 weitere Akten aus anderen Kantonen bei den Behörden des Kantons Schaffhausen eingingen.
Seit der ersten Anzeige im Dezember 1988 sind inzwischen über vier Jahre verstrichen, ohne dass zumindest die Frage des (gesetzlichen) Gerichtsstandes zuverlässig abgeklärt worden wäre. Diese war unter den beteiligten Kantonen seit 1990 erkennbar streitig. Bereits damals hätte die Gesuchstellerin daher an die Anklagekammer des Bundesgerichts gelangen können, denn interkantonale Gerichtsstandsstreitigkeiten sollen möglichst rasch erledigt werden. Indem sie dies nicht tat und weiterhin lediglich das Sammelverfahren führte, hat sie den Gerichtsstand im Kanton Schaffhausen bereits im Jahre 1990 konkludent anerkannt; dies gilt erst recht auf Grund des seitherigen weitgehend untätigen Zuwartens.
Unter diesen Umständen braucht nicht geprüft zu werden, in welchem Kanton allenfalls der gesetzliche Gerichtsstand liegt. Im Kanton Schaffhausen besteht jedenfalls ein örtlicher Anknüpfungspunkt, indem der Beschuldigte dort strafbare Handlungen beging.
Auch die am 5. April 1991 durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegenüber den Behörden des Kantons Zürich erfolgte Anerkennung des Gerichtsstandes ist somit unbeachtlich.
5.
a) Eine nachträgliche Änderung eines (auch konkludent) anerkannten Gerichtsstandes ist nur aus triftigen Gründen zulässig; eine solche Änderung muss die Ausnahme bilden und sich wegen veränderter Verhältnisse aufdrängen, sei es im Interesse der Prozessökonomie, sei es zur Wahrung anderer, neu ins Gewicht fallender Interessen (vgl.
BGE 107 IV 159
E. 1 mit Hinweis;
BGE 72 IV 41
E. 1).
b) Solche Gründe vermag die Gesuchstellerin weder anzuführen, noch ergeben sie sich aus den Akten. Es ist auch nicht so, dass die nach Anerkennung des Gerichtsstandes neu entdeckten Betrüge in einem der weiteren Kantone ein derart offensichtliches Schwergewicht hätten entstehen lassen, das eine Änderung des Gerichtsstandes aufdrängen würde: Nach dem Gesuch werden dem Beschuldigten in den Kantonen Zürich 9, Basel-Stadt 15 und Basel-Landschaft
BGE 119 IV 102 S. 107
5 Betrüge vorgeworfen; von einem eigentlichen Schwergewicht in einem Kanton (vgl. dazu
BGE 117 IV 90
) kann in einem solchen Fall nicht die Rede sein.
Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Gesuchstellerin mit ihrem unbegründeten Zuwarten eine Anhäufung von Akten im Sammelverfahren verursacht hat; auch dieser Umstand steht einer nachträglichen Änderung des Gerichtsstandes entgegen.
Die von der Gesuchstellerin vorgebrachten Argumente des angeblich in Basel liegenden Lebensmittelpunktes des Beschuldigten und der allfällig in Basel nötigen Zusatzabklärungen vermögen zu keiner anderen Beurteilung zu führen.
6.
Aus diesen Gründen ist die Gesuchstellerin auf ihrer konkludenten Anerkennung des Gerichtsstandes zu behaften. Da sie es mit ihrem unnötigen Zuwarten pflichtwidrig versäumt hat, rechtzeitig die für die Bestimmung des Gerichtsstandes erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, sind ihr die Kosten des vorliegenden Verfahrens aufzuerlegen (vgl. SCHWERI, a.a.O., N 575); im übrigen wurde die Anklagekammer auch verspätet angerufen. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1d43092-ca8d-4f64-aa42-4912625a8830 | Urteilskopf
92 I 369
64. Urteil vom 7. Dezember 1966 i.S. Gemeinde Celerina/Schlarigna gegen Sinimar AG und Mitbeteiligte sowie Grosser Rat des Kantons Graubünden. | Regeste
Gemeindeautonomie. Art. 40 Abs. 2 bünd. KV.
Legitimation der Gemeinde (als Trägerin öffentlicher Gewalt) zur staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 1). Gegenstand und Umfang der bundesgerichtlichen Prüfung (Erw. 3).
Eine Bestimmung, die dem Gemeinderat verbietet, ausserhalb des eigentlichen Bauzonengebietes Wasser- und Stromanschlüsse zu bewilligen, verletzt weder die Eigentumsgarantie noch Art. 4 des bünd. Bau- und Planungsgesetzes (Erw. 4 und 5a). | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 92 I 369 S. 369
A.-
Am 29. November 1963 nahm die Gemeindeversammlung von Celerina/Schlarigna ein Baugesetz (BauG) und einen als "Zonenplan" bezeichneten Bebauungs- und Nutzungsplan an. Das BauG enthält in seinem 2. Teil ("Richtlinien der Planung") u.a. Planungsvorschriften für das "Baugebiet" (Art. 26-28) und für das "übrige Gemeindegebiet" (Art. 29-33). Art. 32 BauG lautet:
BGE 92 I 369 S. 370
Vorschriften für übriges Gemeindegebiet "Für das ,übrige Gemeindegebiet', d.h. für jenen Teil des Gemeindeterritoriums, welches noch nicht rechtskräftig dem Baugebiet zugeschieden ist, gelangen die folgenden Bestimmungen zur Anwendung:
1. Für das ganze ,übrige Gemeindegebiet' gelten folgende Bauvorschriften: Es ist eine Ausnützungsziffer von 0. 1 zu beachten, es sind nur zwei Stockwerke zugelassen und zudem sind im Sinne der Art. 58 und 62 dieses Baugesetzes ein Grenzabstand und ein Gebäudeabstand einzuhalten, die indessen doppelt so gross sein müssen.
2. Da das Bauen in diesem ,übrigen Gemeindegebiet' in der Regel unerwünscht ist, darf der Gemeinderat für keinerlei Bauvorhaben Anschlüsse an die Trinkwasserversorgung der Gemeinde und an das öffentliche Stromnetz gewähren.
3. Will jemand trotzdem in diesem ,übrigen Gemeindegebiet' bauen, hat er sich im Sinne der bestehenden Gesetzgebung der Gemeinde an das Kanalisationsnetz der Gemeinde auf eigene Kosten anzuschliessen.
4. Wer im ,übrigen Gemeindegebiet' baut, darf mit einer Leitung keinerlei im Eigentum der Bürgergemeinde oder der politischen Gemeinde befindliche Strasse (im Sinne dieses Gesetzes Art. 38) bzw. Fluss, Bach oder sonstigen Boden unterirdisch oder überirdisch überqueren oder benützen. Als Leitungen in diesem Sinne sind Trinkwasserleitungen, Kanalisationsleitungen und elektrische Leitungen jeder Spannung zu verstehen. Die Rechte und Pflichten der Bürgergemeinde bleiben vorbehalten.
5. Ausnahmsweise dürfen solche gemäss vorstehender Ziffer 2 nicht zugelassene Anschlüsse oder gemäss Ziffer 4 nicht erlaubte Überquerungen mit Leitungen durch den Gemeinderat nur gewährt werden, wenn ein Härtefall gemäss Art. 6a oder wenn dringende Bedürfnisse vorliegen, die einem allgemeinen öffentlichen Interesse entsprechen. (Ein solches Bedürfnis im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt vor, wenn z.B. ein landwirtschaftlicher Betrieb mit zugehöriger Schweinemästerei aus dem Baugebiet in das ,übrige Gemeindegebiet' verlegt wird.)
6. Wer im ,übrigen Gemeindegebiet' baut, hat grundsätzlich die Errichtung und den Unterhalt der Strassen, Kanalisation und der Wasserleitungen (gemäss Ziffer 5) auf eigene Kosten zu übernehmen, wobei diese nach den Weisungen der Gemeinde zu erstellen sind.
7. Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften der Gemeinde betreffend das Skischutzgebiet oder hinsichtlich allfälliger anderer Zonen mit Bauverboten.
8. Sobald ein kantonales Gesetz die Schaffung einer Landwirtschaftszone bzw. einer Forstzone ausdrücklich gestattet, werden im übrigen Gemeindegebiet Bauten zu landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecken in der Höhe von 2 Stockwerken zulässig sein. Eine Scheune mit Stall darf höher sein, aber die Höhe von drei Stockwerken nicht überschreiten.
BGE 92 I 369 S. 371
Die Ausnahmebestimmungen der vorstehenden Ziffer 5 werden zwar auf solche Bauten anwendbar sein, aber nur solange, als diese Bauten ihrem landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecke erhalten bleiben.
Der Missbrauch der Ziffer 8 zu nicht landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecken ist verboten. Der Umbau solcher Bauten zu einem anderen Zweck ist nur dann erlaubt, wenn ein entsprechender Neubau erlaubt wäre."
Gegen eine Reihe von Vorschriften des BauG, insbesondere diejenigen betreffend die Planung im "übrigen Gemeindegebiet" und namentlich gegen Art. 32 sowie gegen den Zonenplan gingen beim Kleinen Rat des Kantons Graubünden zahlreiche Rekurse ein. In seinem Beschluss vom 20. April 1964 genehmigte der Kleine Rat das BauG mit verschiedenen Präzisierungen und Berichtigungen sowie "unter Vorbehalt der hängigen Rekursverfahren". Der Zonenplan wurde unter demselben Vorbehalt genehmigt. Der Kleine Rat verfügte u.a.: "Art. 32 Abs. 1 Ziffer 4-7, und Abs. 2 werden gestrichen". Dabei bezeichnete er als "Abs. 2" das zweite Alinea der Ziffer 8 von Art. 32 BauG.
In seinem Beschluss vom 30. Dezember 1964 befasste sich der Kleine Rat mit den gegen das BauG und den Zonenplan eingereichten Rekursen. In Ziffer 2 a seines Dispositivs ersetzte er den Wortlaut von Art. 32 Ziff. 2 durch folgenden Text:
"Solange die Gemeinde nicht über eine ausreichende Wasserversorgung für die Deckung aller Bedürfnisse im eingezonten Baugebiet verfügt, besteht hinsichtlich Bauten, die im ,übrigen Baugebiet' errichtet werden und die nicht der Land- und Forstwirtschaft dienen, kein Rechtsanspruch auf Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung."
B.-
Am 26. April 1964, also in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Beschluss des Kleinen Rates, nahmen die Bündner Stimmberechtigten ein Bau- und Planungsgesetz (BPG) an, welches am 1. Juli 1964 in Kraft trat. Dieser Erlass enthält u.a. die folgenden Bestimmungen:
Befugnisse der Gemeinden
"Art. 1. Die Gemeinden sind unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts befugt, im Interesse der geordneten baulichen Entwicklung, der zwcckmässigen Nutzung des Bodens, der Erhaltung des Kulturlandes, des Schutzes von Orts- und Landschaftsbildern, der Wahrung des Gemeinwohls und der Gesundheit der Einwohner Bau- und Nutzungsvorschriften zu erlassen.
BGE 92 I 369 S. 372
Bauordnungen
Art. 2. Die Gemeinde, die solche Vorschriften erlässt, hat eine Bauordnung aufzustellen, die durch Bebauungs- und Nutzungspläne ergänzt werden kann.
Die Bauordnungen und die Bebauungs- und Nutzungspläne bedürfen der Genehmigung des Kleinen Rates.
Bebauungs- und Nutzungspläne
Art. 3. Die Bebauungs- und Nutzungspläne bestimmen die Grundzüge der künftigen Entwicklung der Ortschaft. Sie können namentlich enthalten:
a) die wichtigsten bestehenden und geplanten öffentlichen Anlagen (wie Strassen, Gehwege, Plätze und Grünanlagen sowie Abstellplätze längs dieser Anlagen) und die Bau- und Niveaulinien;
b) die bestehenden und die geplanten Hauptstränge der öffentlichen Leitungen sowie die Abgrenzung des Bereiches, innerhalb dessen Bauten an diese Leitungen angeschlossen werden;
c) die wichtigsten bestehenden und geplanten öffentlichen Bauten und Werke (wie Schulhäuser, Verwaltungsbauten, Kirchen, Friedhöfe, Kanalisations-, Klär- und Kehrichtverwertungsanlagen, Park- und Sportanlagen, Kinderspielplätze, Aussichtspunkte, Parkierungsanlagen);
d) die Einteilung des Gemeindegebietes in verschiedene Zonen (wie Wohn-, Industrie-, Grün-, Übergangs-, Forst-, Weide-, Land- und Rebwirtschaftszonen, Zonen gemischter Bebauung, Gefahrenzonen sowie Skiabfahrtszonen);
e) die Bauabstände, das Mass der zulässigen Ausnützung, die Gebäudehöhe oder Geschosszahl in den einzelnen Zonen.
Landwirtschaftlich genutzes Gebiet
Art. 4. Die Gemeinden können bestimmen, dass im vorwiegend land- und forstwirtschaftlich genutzten Gebiet Bauten, die nicht im Zusammenhang mit der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung oder einer angemessenen Erweiterung eines bestehenden Gewerbebetriebes stehen, nur bewilligt werden müssen, wenn:
a) dem Gemeinwesen aus dem Bau keine eigenen Aufwendungen erwachsen;
b) keine erhebliche Störung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung des umliegenden Landes zu erwarten ist;
c) keine wesentlichen Nachteile für die spätere bauliche Entwicklung zu befürchten sind;
d) ein Quartierplanverfahren durchgeführt worden ist."
Unter Hinweis auf das BPG ersuchte der Gemeinderat von Celerina/Schlarigna den Kleinen Rat am 7. November 1964 um Wiedererwägung des Beschlusses vom 20. April 1964. Insbesondere stellte er auch das Begehren, es sei der ganze Text von Art. 32 BauG zu genehmigen. Ob der Kleine Rat
BGE 92 I 369 S. 373
dieses Gesuch behandelt hat, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Indessen ergibt sich aus dem Beschluss vom 30. Dezember 1964, dass dem Gesuch mit Bezug auf Art. 32 nicht nur nicht entsprochen wurde, sondern der Kleine Rat auch den Text von Art. 32 Ziffer 2 geändert hat.
C.-
Die Gemeinde Celerina/Schlarigna zog den Beschluss des Kleinen Rates vom 30. Dezember 1964 an den Grossen Rat des Kantons Graubünden weiter. Sie verlangte, die Ziffer 2 lit. a des Dispositivs des angefochtenen Entscheids sei in vollem Umfange aufzuheben, sodass Art. 32 Ziff. 2 BauG in der von der Gemeinde beschlossenen Fassung gültig bleibe. Zur Begründung machte die Gemeinde namentlich geltend, der Kleine Rat habe den Art. 32 BauG auf Grund des BPG zu beurteilen gehabt. Darin, dass die Ziffer 2 des Art. 32 abgeändert und zum Teil gestrichen worden sei, liege ein Eingriff in das freie Ermessen der Gemeinde und somit eine Verletzung der Autonomie. Nur durch eine scharfe Abgrenzung des "übrigen Gemeindegebietes" vom "Baugebiet" sei es möglich, Ordnung ins Bauen zu bringen, eine die Gemeinde überbelastende Streubauweise zu verhindern und eine wilde Spekulation zu vermeiden. Celerina müsse ein ländlicher, anziehender Kurort bleiben. Art. 32 Ziff. 2 BauG sei zum Schutze des Gebiets rechts des Inns und zur Verhinderung einer Streusiedlung nötig. Seine rechtliche Zulässigkeit ergebe sich aus
Art. 3 lit. d BPG
. Das Verbot der Trinkwasserversorgung im "übrigen Gemeindegebiet" sei weder schikanös, noch verstosse es gegen die Eigentumsgarantie.
D.-
Mit Entscheid vom 26. November 1965 hob der Grosse Rat des Kantons Graubünden sowohl den Art. 32 Ziff. 2 BauG als auch Ziff. 2 a des angefochtenen Beschlusses des Kleinen Rates auf. Die Kosten auferlegte er je zur Hälfte der Gemeinde und den Rekursgegnern.
Bezüglich der Tragweite und Zulässigkeit von Art. 32 Ziff. 2 BauG stimmt der Grosse Rat grundsätzlich dem Kleinen Rat zu. Er führt im wesentlichen aus, die genannte Bestimmung laufe in Verbindung mit Ziffer 3 des Art. 32 auf eine Verhinderung jeder Überbauung des übrigen Gemeindegebiets mit nichtlandwirtschaftlichen Gebäuden hinaus und stelle damit einen enteignungsähnlichen Tatbestand dar ("und zwar ohne Entschädigung"). Art. 32 Ziff. 2 BauG widerspreche auch dem Art. 4 des nunmehr in Kraft stehenden BPG. Die Bestimmung
BGE 92 I 369 S. 374
verletze die gemäss Art. 9 Abs. 4 KV geschützte Eigentumsgarantie, weshalb der Kleine Rat sie mit Recht aufgehoben habe.
Hingegen habe der Kleine Rat die Gemeindeautonomie dadurch verletzt, dass er den Art. 32 Ziff. 2 BauG neu formulierte. Er habe sich damit Befugnisse angemasst, die Art. 40 Abs. 1 KV der Gemeinde vorbehalte.
E.-
Gegen den Entscheid des Grossen Rates führt die Gemeinde Celerina/Schlarigna staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheides insoweit, als er Art. 32 Ziff. 2 BauG aufhebt. Die Beschwerdeführerin stellt überdies den Antrag, es seien sämtliche Kosten den Rekursgegnern aufzuerlegen.
F.-
Die Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Der Grosse Rat des Kantons Graubünden hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid, durch welchen Art. 32 Ziffer 2 BauG aufgehoben wird, trifft die Beschwerdeführerin nicht wie eine Privatperson, sondern als Gesetzgeberin, also in ihrer Eigenschaft als Trägerin öffentlicher Gewalt. In dieser Eigenschaft ist die Gemeinde nur dann zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert, wenn sie ihre Autonomie, ihren eigenen selbständigen Wirkungskreis gegenüber dem Staate als dem ihr übergeordneten Träger öffentlicher Gewalt verteidigen will (Urteil vom 28. April 1965 i.S. St. Moritz, wiedergegeben in ZBl 66/1965 S. 398 ff.,
BGE 91 I 42
,
BGE 89 I 11
l'mit Zitaten). Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Die Beschwerdeführerin macht nämlich geltend, der Grosse Rat habe sich eine Entscheidungsbefugnis angemasst, die ihm nicht zustehe; er habe dadurch seine eigene Zuständigkeit überschritten und sei in den Bereich eingebrochen, den das kantonale Recht der Gemeinde vorbehalte.
Auf die nur wegen Verletzung der Gemeindeautonomie geführte staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten. Ob die Gemeinde als Trägerin öffentlicher Gewalt mit der staatsrechtlichen Beschwerde auch andere verfassungsmässige Rechte anrufen dürfe, wie es das neueste Schrifttum verlangt (vgl. H. P. MATTER, Die Legitimation der Gemeinde zur staatsrechtlichen
BGE 92 I 369 S. 375
Beschwerde, Diss. Bern 1965), braucht unter diesen Umständen nicht entschieden zu werden.
2.
a) Die Gemeindeautonomie bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts die Zuständigkeit der Gemeinde zur selbständigen Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Eine Gemeinde ist insoweit autonom, als ihr durch Verfassung oder Gesetz freies Ermessen in Rechtsetzung und Verwaltung eingeräumt ist und sie dieses Ermessen frei von staatlicher Kontrolle betätigen darf (
BGE 91 I 42
Erw. 3,
BGE 89 I 111
/2 Erw. 2 mit Zitaten). Ob die Ermessenskontrolle ein geeignetes Kriterium zur Bestimmung des Umfangs der Autonomie sei, was in der Rechtslehre bestritten wird, kann (wie in
BGE 91 I 42
) dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall käme man nämlich zum gleichen Ergebnis, wenn man die Autonomie in dem namentlich von LIVER (ZBl 50/1949, S. 40 ff.) und HANS HUBER (ZbJV 100, S. 339 und 419) befürworteten Sinne als Recht zur Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung innerhalb des durch Herkommen und Sachzusammenhang als örtlich gekennzeichneten Wirkungskreises verstehen wollte.
b) Wie in
BGE 91 I 43
dargelegt wurde, fällt die Rechtsetzung auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechts auch seit dem Erlass des BPG in den Bereich der den Bündner Gemeinden in Art. 40 Abs. 2 KV gewährleisteten Autonomie. Im gleichen Urteil führte das Bundesgericht sodann aus, dass der Kleine Rat die Gemeindebauordnungen nur auf ihre Rechtmässigkeit hin zu prüfen habe und dass er ihnen die Genehmigung bloss verweigern dürfe, wenn sie gegen zwingende Bestimmungen des eidgenössischen oder kantonalen Rechts und insbesondere gegen die Eigentumsgarantie verstossen (
BGE 91 I 44
).
Da der Grosse Rat auf Rekurs hin die Richtigkeit der vom Kleinen Rat ausgeübten Rechtmässigkeitskontrolle zu überprüfen hat und er in gleicher Weise wie dieser die Gemeindeautonomie wahren muss, darf auch er nur über die Rechtmässigkeit der Gemeindebauordnungen befinden (Urteil vom 28. April 1965 i.S. Gemeinde St. Moritz, ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 2).
3.
Streit herrschte vor dem Grossen Rat einzig darüber, ob die Beschwerdeführerin durch den Erlass von Art. 32 Ziff. 2 BauG aus dem Bereich ihres Ermessens ausgebrochen sei und Rechtsätze verletzt habe, die dem Gemeinderecht vorgehen. Der Grosse Rat bejahte dies, die Beschwerdeführerin bestreitet
BGE 92 I 369 S. 376
es. Damit stellt sich die Frage nach Gegenstand und Umfang der bundesgerichtlichen Prüfung bei der Beurteilung einer Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie.
a) Bis vor kurzem prüfte das Bundesgericht die Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie stets nur darauf, ob die kantonale Behörde der Form nach im Bereich ihrer Zuständigkeit geblieben sei (
BGE 40 I 279
,
BGE 65 I 131
/2,
BGE 83 I 123
,
BGE 89 I 114
). Diese Praxis vermochte in jenen Fällen nicht zu befriedigen, in denen die kantonalen Instanzen die Beschränkung ihrer Prüfungsbefugnis auf rechtliche Gesichtspunkte dadurch zu umgehen suchten, dass sie unter dem Vorwand der Rechtskontrolle eine nicht bestehende Rechtsverletzung behaupteten und damit in Wirklichkeit ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Gemeinde setzten. Der Staatsgerichtshof rückte deshalb in seinem Urteil i.S. Gemeinde St. Moritz (ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 3) von der bisherigen Rechtsprechung insofern ab, als er es nicht bei der Feststellung bewenden liess, die kantonale Instanz habe sich formell in den Grenzen ihrer Zuständigkeit gehalten, sondern ausserdem auch die materielle Verfassungsmässigkeit des angefochtenen Entscheides prüfte. Dieser Betrachtungsweise (sie liegt dem Sinne nach schon dem Urteil vom 17. Februar 1965 i.S. Stadtgemeinde Ilanz,
BGE 91 I 39
ff., zugrunde) ist auch im vorliegenden Falle zu folgen.
b) In Bezug auf den Umfang der Kognition brachte das Urteil i.S. Gemeinde St. Moritz ebenfalls eine Erweiterung. Danach (ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 1) prüft das Bundesgericht das die Gemeindeautonomie betreffende kantonale Recht frei und nicht - wie bisher - nur auf Willkür hin. Ob hieran allgemein festgehalten werden kann, braucht indessen nicht entschieden zu werden. Richtig ist die freie Prüfung sicher dort, wo - wie in Graubünden - die Gemeindeautonomie in der kantonalen Verfassung selber umschrieben und die Tragweite einer solchen Verfassungsbestimmung abzuklären ist. Zwar weicht das Bundesgericht bei der Anwendung des kantonalen Verfassungsrechts nicht ohne Not von der Interpretation der obersten Kantonsbehörde ab (
BGE 88 I 153
,
BGE 89 I 44
). Doch bedeutet das, wie in
BGE 89 I 375
hervorgehoben wurde, keineswegs einen verkappten Rückzug auf eine blosse Willkürprüfung (vgl. auch
BGE 90 I 240
/41).
4.
Der Grosse Rat hat die Ziffer 2 des Art. 32 BauG vor allem deshalb aufgehoben, weil sie die Eigentumsgarantie
BGE 92 I 369 S. 377
verletze. Worin diese Verletzung liegen könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.
Freilich bestreitet auch die Beschwerdeführerin nicht, dass mit Art. 32 BauG das Bauen im "übrigen Gemeindegebiet" erschwert werden soll. Diesem Zweck dienen die minimale Ausnützungsziffer (Art. 32 Ziff.1), die Auferlegung der gesamten Kosten des Kanalisationsanschlusses an den Bauherrn (Art. 32 Ziff. 3) und diente vor allem die jetzt aufgehobene Ziffer 4, die dem Bauherrn die Durchquerung von Strassen, Bächen und sonstigem öffentlichem Gut mit ober- oder unterirdischen Leitungen verbot. Die streitige Ziffer 2 geht in die selbe Richtung. Sie soll die Grundeigentümer im "übrigen Gemeindegebiet" dadurch vom Bauen abhalten, dass ihnen weder Wasser noch Strom geliefert werden.
Indessen enthält Art. 32 Ziff. 2 BauG keine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung. Die Bestimmung befiehlt den Grundeigentümern nicht, etwas zu tun oder zu unterlassen, schränkt ihre Verfügung über den Boden also nicht ein. Das ergibt sich schon aus dem Text der Vorschrift selber: Wohl ist das Bauen im übrigen Gemeindegebiet "in der Regel unerwünscht", aber nicht verboten. Es braucht deshalb auch nicht geprüft zu werden, ob die für die Zulässigkeit einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung erforderlichen Bedingungen - gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Entschädigung bei enteignungsähnlicher Wirkung - im vorliegenden Falle erfüllt seien. Adressat des Art. 32 Ziff. 2 BauG ist vielmehr allein der Gemeinderat, welchem untersagt wird, Wasser- und Stromanschlüsse zu bewilligen. Diese Anordnung betrifft ausschliesslich den Gebrauch der Gemeindewerke. So wenig jedoch die Handels- und Gewerbefreiheit dem Gewerbetreibenden ein Recht auf Sondernutzung öffentlicher Sachen verleiht (
BGE 81 I 18
/9 mit Zitaten), so wenig gibt die Eigentumsgarantie dem Bürger ein solches auf Benützung öffentlicher Werke. Ob diese zu gestatten oder zu verweigern sei, entscheidet sich zunächst nach den Vorschriften des verfügungsberechtigten Gemeinwesens, letztlich nach
Art. 4 BV
.
Verstösst aber die Verweigerung von Wasser- und Stromanschlüssen im "übrigen Gemeindegebiet" nicht gegen die Eigentumsgarantie, so hat der Grosse Rat diesen Vorwurf zu Unrecht als Grund für die Streichung der Ziffer 2 von Art. 32 BauG herangezogen.
BGE 92 I 369 S. 378
5.
Nach Ansicht des Grossen Rates widerspricht Art. 32 Ziff. 2 BauG sodann auch dem
Art. 4 BPG
. Gemäss dieser Vorschrift können, die Gemeinden bestimmen, dass Bauten im vorwiegend land- und forstwirtschaftlich genutzten Gebiet, die nicht im Zusammenhang mit einem Betrieb solcher Nutzung stehen, nur bewilligt werden müssen, sofern vier abschliessend aufgezählte Bedingungen erfüllt sind.
a) Art. 32 Ziffer 2 BauG enthält keine gegenteilige Anordnung, verbietet aber die Belieferung von Bauten im "übrigen Gemeindegebiet" mit Wasser und Strom. Seine Anwendung kann also bewirken, dass im "übrigen Gemeindegebiet" mitunter auch dann nicht gebaut werden kann, wenn die vier Bedingungen des
Art. 4 BPG
erfüllt sind. Ob der Grosse Rat - sein Entscheid enthält diesbezüglich überhaupt keine Begründung - deshalb eine Verletzung des kantonalen Rechtes angenommen hat, mag offen bleiben. Jedenfalls wäre ein Widerspruch zwischen den Art. 32 Ziff. 2 BauG und
Art. 4 BPG
nur denkbar, wenn man der kantonalen Bestimmung den über ihren Wortlaut hinausgehenden Sinn beilegte, wonach die Gemeinde bei Erfüllung der vier Bedingungen das Bauen nicht nur bewilligen, sondern geradezu ermöglichen müsse. Hiezu verpflichtet indessen das kantonale Recht die Gemeinde nicht. Es verlangt von ihr lediglich, dass sie die in
Art. 4 BPG
erwähnten Bauten unter gewissen Voraussetzungen dulde. In der Auslegung des Grossen Rates hätte
Art. 4 BPG
für Gemeinden mit eigenen Versorgungsbetrieben einen viel weitergehenden Sinn als für die übrigen Gemeinden: Während letztere nur verpflichtet wären, zonenplanwidrige Bauten zu dulden, müssten die Gemeinden, welche eigene Versorgungsbetriebe unterhalten, unerwünschte Bauten durch Lieferung von Wasser und Strom aktiv fördern. Dem wiederum stünde
Art. 3 lit. b BPG
entgegen, wonach alle Gemeinden den Bereich abgrenzen dürfen, innerhalb welchem Bauten an die öffentlichen Leitungen anzuschliessen sind.
Weil die Annahme des Grossen Rates, Art. 32 Ziff. 2 BauG widerspreche dem
Art. 4 BPG
, somit im kantonalen Gesetz keine Stütze findet, verletzt sie die Autonomie der Beschwerdeführerin.
b) Die Streichung der Ziffer 2 von Art. 32 BauG verstösst übrigens im Ergebnis auch gegen Art. 40 Abs. 2 KV selber. Diese Vorschrift gewährleistet den Gemeinden das "Recht
BGE 92 I 369 S. 379
der selbständigen Gemeindeverwaltung mit Einschluss der niederen Polizei" und ermächtigt sie, die "dahin einschlagenden Ordnungen" festzusetzen. Zur "selbständigen Gemeindeverwaltung" gehört aber zweifellos auch die Einrichtung gemeindeeigener Versorgungsbetriebe, und unter den Begriff der "dahin einschlagenden Ordnungen" fällt auch die Zuständigkeit zur Bestimmung des Aktionsbereichs solcher Betriebe. Dabei kann die Gemeinde, vorbehältlich der Verstösse gegen
Art. 4 BV
, alles anordnen, was sie zur Erreichung der von ihr selber bestimmten öffentlichen Zwecke als tauglich erachtet, unnötige Vorschriften nicht ausgenommen (
BGE 91 I 45
).
Die Gemeinde darf also zum Beispiel neben der Belieferung der vorhandenen Häuser mit Wasser und Strom auch planerische Resultate zu erreichen suchen; so darf sie die sog. Streubauweise erschweren sowie die bestmögliche Überbauung der als Baugebiet bezeichneten Bodenfläche fördern (REICHLIN, Rechtsfragen der Landesplanung, ZSR nF 66 S. 300 a). Im Urteil vom 11. Mai 1966 i.S. Hell c. Gemeinde Reinach und Regierungsrat des Kantons Baselland hat das Bundesgericht das Verfolgen solcher Zwecke jedenfalls dann als zulässig erachtet, wenn das vorhandene Leitungsnetz nicht unbeschränkt viele Anschlüsse erträgt. Zwar ging es im erwähnten Entscheid um einen Kanalisationsanschluss. Daraus kann aber nicht etwa abgeleitet werden, die Autonomie der Gemeinde Celerina/Schlarigna sei in Bezug auf die Wasserversorgung und die Stromlieferung von geringerem Umfang. Bei der Beschwerdeführerin liegen die Verhältnisse im Gegenteil günstiger. Während im Urteil vom 11. Mai 1966 trotz grundsätzlichen Anschlusszwangs als zulässig erklärt wurde, einen Anschluss ausserhalb des Siedlungsgebietes zu verweigern (und dadurch das Bauen zu verunmöglichen), sofern die Leistungsfähigkeit des Kanalisationsnetzes dies erfordert, setzt Art. 32 Ziff. 3 des Celeriner BauG als Gegenstück zum Anschlusszwang ein Recht des Einzelnen auf Anschluss an die Kanalisation voraus und überbindet dem Bauherrn lediglich die gesamten Kosten des Anschlusses. Für Wasser und Strom dagegen, deren Lieferung der Gemeinderat im "übrigen Gemeindegebiet" zu verweigern hat, besteht überhaupt kein Anschlusszwang. Dazu kommt, dass beim heutigen Ausbau der Gemeindewasserversorgung die vorhandene Wassermenge nicht ausreicht, um beliebig viele neue Anschlüsse zu bedienen. Es bestünde somit
BGE 92 I 369 S. 380
die Gefahr, dass die Versorgung des Baugebietes mit Wasser infolge von Anschlüssen im "übrigen Gemeindegebiet" mit der Zeit in Frage gestellt wäre. Wann nämlich der heute noch vorhandene Grundwasservorrat der Gemeinde einmal angezapft werden kann, vermochte auch der Grosse Rat nicht zu sagen. Dann musste er der Beschwerdeführerin aber erst recht die Entscheidungsfreiheit darüber belassen, für welche Teile des Gemeindegebietes sie das zur Zeit verfügbare Wasser verwenden wolle.
Wenn auch die Verhältnisse bezüglich der Stromversorgung befriedigender sein mögen, so hindert dies die Beschwerdeführerin doch nicht, hier ebenfalls nach eigenem Ermessen zu entscheiden, wohin sie Elektrizität liefern will. Gestützt auf
Art. 3 lit. b BPG
darf sie insbesondere auch anordnen, dass die Stromabgabe für nichtlandwirtschaftliche Bauten im Baugebiet zu bewilligen, im "übrigen Gemeindegebiet" dagegen zu verweigern sei.
c) Härtefälle bei der Anwendung des Art. 32 Ziff. 2 BauG sind allerdings nicht auszuschliessen. Verletzte deshalb die Verweigerung von Ausnahmen
Art. 4 BV
, so hätte der Gemeinderat die Ausnahmen zu bewilligen und zwar auch dann, wenn die im allgemeinen Erlaubnisvorbehalt des Art. 6 BauG aufgezählten Bedingungen nicht erfüllt sein sollten.
6.
Einen weiteren Grund für die Aufhebung von Art. 32 Ziff. 2 BauG erblickte der Grosse Rat schliesslich darin, dass diese Bestimmung auch das Grundeigentum verschiedener Beschwerdegegner treffe, welches sich am Hang der Ova da Saluver befindet. Die Erstellung einer eigenen Wasserversorgung sei hier beinahe unmöglich, die Wirkung von Art. 32 Ziff. 2 BauG aber umso stossender, als einzelne Parzellen der Beschwerdegegner von der Wasserleitung der Gemeinde "tangiert" oder sogar durchquert würden. Laut den Darlegungen der Gemeindevertreter am Augenschein der grossrätlichen Instruktionskommission sei übrigens in jenem Gebiet die Errichtung nichtlandwirtschaftlicher Bauten eher erwünscht als rechts des Inns.
Diese Begründung richtet sich nicht gegen den Text des Art. 32 Ziff. 2 BauG. Auch sie vermag deshalb die Aufhebung nicht zu rechtfertigen. Träfen nämlich die Ausführungen des Grossen Rates zu, dann wäre dies vielmehr ein Zeichen dafür, dass der Bauzonenplan ergänzt und der Hang der Ova da
BGE 92 I 369 S. 381
Saluver aus dem "übrigen Gemeindegebiet" herausgenommen werden sollte. Der Bauzonenplan ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht Streitgegenstand, er wurde dem Bundesgericht nicht einmal eingereicht.
Auch in diesem Punkte gilt im übrigen, dass Art. 32 Ziff. 2 BauG nur in den Grenzen des
Art. 4 BV
gehandhabt werden darf und - sollten diese Grenzen im Einzelfall überschritten sein - Ausnahmen zugestanden werden müssten.
7.
Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Grosse Rat den Art. 32 Ziff. 2 BauG der Gemeinde Celerina/Schlarigna zu Unrecht aufgehoben und dass er dadurch die Gemeindeautonomie verletzt hat, was zur Gutheissung der Beschwerde führt.
Da die Beschwerdeführerin nunmehr vollständig obsiegt, ist der Kostenanteil, welcher ihr im kantonalen Verfahren auferlegt wurde, gemäss
Art. 157 OG
aufzuheben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Beschluss des Grossen Rates insoweit aufgehoben, als durch ihn Art. 32 Ziffer 2 des Baugesetzes der Gemeinde Celerina/Schlarigna kassiert und der Gemeinde ein Kostenanteil auferlegt wurde. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f1d6f3ca-6eca-445a-b7e1-6fa2671d21a2 | Urteilskopf
101 Ia 154
27. Urteil vom 21. Mai 1975 i.S. Verband der Schlittschuh- und Rollschuh-Sporte Jugoslawiens gegen Gschwend und Kantonsgerichtspräsidium des Kantons Appenzell A.Rh. | Regeste
Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. Januar 1927. Schweizerisch jugoslawischer Handelsvertrag vom 27. September 1948. Vorbehalt des ordre public des Vollstreckungsstaates.
1. Darin, dass das zu vollstreckende ausländische Schiedsgerichtsurteil mit keiner oder nur mit einer unvollständigen, die ausserordentlichen Rechtsbehelfe nicht erwähnenden Rechtsmittelbelehrung versehen wurde, liegt kein Verstoss gegen den schweizerischen ordre public. Auch der Ausschluss jeder Rechtsmittelmöglichkeit im Urteilsstaat steht der Vollstreckung nicht entgegen (E. 3a).
2. Einrede der Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben sowie des rechtlichen Gehörs im ausländischen Schiedsverfahren (E. 3b).
3. Ausnahme von der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 101 Ia 154 S. 155
A.-
Am 29. September 1966 schloss Norbert Gschwend mit dem "Organisationskomitee der Europameisterschaften im Eiskunstlauf 1967 in Ljubljana/Jugoslawien" einen "Exclusiv-Mietvertrag" ab, durch den ihm gegen 85'000 US Dollar die Benützung und Untervermietung der Werbeflächen auf dem Platze der Veranstaltung gestattet wurde. Da diese entgegen den ursprünglichen Erwartungen nicht durch die Eurovision im Fernsehen übertragen wurde, verweigerte Gschwend die Bezahlung des noch ausstehenden Betrages von 42'500 Dollar. Aufgrund einer im Vertrag enthaltenen Schiedsklausel leitete daraufhin der "Verband der Schlittschuh- und Rollschuhsporte Jugoslawiens" als Träger des erwähnten Organisationskomitees gegen Gschwend bei der "Cour d'arbitrage du commerce extérieur auprès de la Chambre économique fédérale" in Belgrad ein Schiedsverfahren ein. Ein aus drei Mitgliedern zusammengesetztes Schiedsgericht verpflichtete Gschwend mit Urteil vom 22. Februar 1973 zur Bezahlung der Restsumme von 42'500 Dollar nebst Zinsen und Prozesskosten; eine Gegenforderung des Beklagten in Betrage von 22'500 Dollar wurde abgewiesen.
B.-
Gestützt auf das ergangene Schiedsurteil leitete der jugoslawische Gläubiger gegen Gschwend an dessen Wohnsitz in Herisau eine Betreibung ein, wogegen Rechtsvorschlag erhoben wurde. Mit Entscheid vom 15. November 1974 wies das
BGE 101 Ia 154 S. 156
Kantonsgerichtspräsidium (IV. Abteilung) des Kantons Appenzell A.Rh. das Begehren des Gläubigers um definitive Rechtsöffnung ab.
C.-
Der "Verband der Schlittschuh- und Rollschuhsporte Jugoslawiens" führt gegen die Verweigerung der definitiven Rechtsöffnung gestützt auf
Art. 84 lit. c OG
beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung staatsvertraglicher Verpflichtungen.
D.-
Der Beschwerdegegner Norbert Gschwend und das Kantonsgerichtspräsidium Appenzell A.Rh. beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid kann laut Rechtsmittelbelehrung an eine kantonale Appellationsinstanz weitergezogen werden. Gleichwohl ist auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde einzutreten, da es sich um eine solche nach
Art. 84 lit. c OG
handelt, für welche das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht gilt.
2.
Der Beschwerdeführer beruft sich einerseits auf das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927, dem sowohl die Schweiz als auch Jugoslawien beigetreten sind, und anderseits auf den schweizerisch-jugoslawischen Handelsvertrag vom 27. September 1948, der unter anderem in Art. 11 auch die Pflicht zur Vollstreckung von Schiedssprüchen vorsieht. Die Anwendbarkeit dieser beiden Abkommen ist zu Recht unbestritten. Die New Yorker Konvention vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ist hier nicht anwendbar, da Jugoslawien ihr nicht beigetreten ist.
3.
Nach dem Genfer Abkommen (Art. 1 Abs. 2 lit. e) wie auch nach dem Handelsvertrag von 1948 (Art. 11 Abs. 2 lit. a) kann die Vollstreckung des ausländischen Schiedsspruches u.a. dann verweigert werden, wenn er gegen den ordre public des Landes verstösst, in dem um die Vollstreckung nachgesucht wird. Dieser Vorbehalt erstreckt sich nicht nur auf den Inhalt des ausländischen Entscheides, sondern auch auf das Verfahren, in dem dieser ergangen ist (
BGE 98 Ia 533
,
BGE 97 I 256
, 156 f. mit Hinweisen).
a) Der Beschwerdegegner und mit ihm der kantonale Rechtsöffnungsrichter erblicken eine Verletzung des schweizerischen
BGE 101 Ia 154 S. 157
ordre public darin, dass der in Jugoslawien ergangene Schiedsspruch keinem Rechtsmittel unterworfen bzw. mit einer ungenügenden Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen sei.
Das in serbischer Sprache verfasste Urteil des Schiedsgerichtes vom 22. Februar 1973 wurde dem Schuldner am 5. September 1973 zugestellt, zusammen mit einem französischen Begleitschreiben des Generalsekretärs des Schiedsgerichtshofes vom 31. August 1973, welches den Inhalt des Schiedsspruches wiedergab und hinsichtlich der Rechtsmittelmöglichkeiten folgendes ausführte:
"Conformément à l'art. 41 du Règlement de la Cour d'Arbitrage, la sentence arbitrale est définitive et elle n'est point susceptible d'appel. Elle a la force d'un jugement passé en force de chose jugée des tribunaux de droit commun (art. 449 de la Loi sur la procédure civile)."
Der Anwalt des Beschwerdegegners erkundigte sich am 15. September 1973 sowohl brieflich als auch telegrafisch beim Schiedsgerichtshof in Belgrad, ob gegen den Schiedsspruch allenfalls ein ausserordentliches Rechtsmittel zulässig sei. Die Anfrage blieb gemäss unbestrittener Behauptung unbeantwortet. Der Beschwerdegegner bezeichnet die Haltung des Schiedsgerichtes als "merkwürdig" und den Gepflogenheiten schweizerischer Gerichte widersprechend. Wie er mittlerweile bei der Handelskammer Schweiz-Jugoslawien erfahren habe, sei auch in Jugoslawien gegen Schiedsgerichtsurteile zur Geltendmachung bestimmter Nichtigkeitsgründe eine Kassationsbeschwerde möglich. Dies dürfte zutreffen. Die Frage bedarf indessen keiner näheren Abklärung, da sie für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde nicht entscheidend ist.
Wie das Bundesgericht in
BGE 96 I 399
festgehalten hat, liegt darin, dass ein zu vollstreckendes ausländisches Urteil mit keiner Rechtsmittelbelehrung versehen worden ist, kein Verstoss gegen den schweizerischen ordre public. Gleich muss es sich verhalten, wenn - wie hier - eine Belehrung zwar erteilt wird, diese aber insoweit unvollständig ist, als sie nur den Ausschluss der Appellationsmöglichkeit feststellt und über die allenfalls zulässigen ausserordentlichen Rechtsmittel keine Auskunft gibt. Der Hinweis auf derartige Rechtsmittel ist auch in der Schweiz keineswegs allgemein üblich. Dass die nachträgliche Anfrage des Schuldners beim urteilenden
BGE 101 Ia 154 S. 158
Gericht - aus welchen Gründen auch immer - unbeantwortet geblieben ist, ändert nichts. Es war dem Schuldner bzw. dessen Anwalt nicht unmöglich oder unzumutbar, sich auf anderem Wege rechtzeitig über die bestehenden Rechtsmittelmöglichkeiten Kenntnis zu verschaffen.
Selbst wenn der in Jugoslawien ergangene Schiedsspruch überhaupt keinem Rechtsmittel unterworfen gewesen wäre, wäre dies noch kein Grund, seine Vollstreckung in der Schweiz zu verweigern. Das Genfer Abkommen behält in Art. 1 Abs. 2 lit. d die Möglichkeit, dass die Gesetzgebung eines Vertragsstaates gegen Schiedssprüche keine Rechtsmittel zulässt, ausdrücklich vor und betrachtet solche Urteile ebenfalls als vollstreckbar. Es wäre nicht angängig, diese aus dem Abkommen hervorgehende Verpflichtung unter Berufung auf den einheimischen ordre public zu umgehen und die Vollstreckung vom Bestehen bestimmter Rechtsmittelmöglichkeiten abhängig zu machen. Dies wäre auch rein sachlich nicht angebracht. Es genügt, dass der Schuldner im Vollstreckungsverfahren die staatsvertraglich vorgesehenen Einwände vorbringen kann.
b) Der kantonale Rechtsöffnungsrichter nahm an, dass die Vollstreckung des Schiedsspruches noch aus einem weiteren vom Schuldner geltend gemachten Grunde gegen den ordre public verstiesse. Am 20. April 1970 verfügte der Vorsitzende des Schiedsgerichtes, dass über die Frage des allfälligen Wertverlustes der Reklameflächen das Gutachten eines Experten einzuholen sei; beide Parteien wurden dafür zur Leistung eines Kostenvorschusses angehalten. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1972 teilte der Generalsekretär des Schiedsgerichtshofes mit, dass sich die Bemühungen um den Beizug eines Experten als erfolglos erwiesen hätten. Sodann wurden die Parteien davon in Kenntnis gesetzt, dass der bisherige Präsident des Schiedsgerichtes verstorben und an seiner Stelle ein neuer Vorsitzender ernannt worden sei. In Anbetracht dieser Gegebenheiten wurden die Parteien vom Gericht aufgefordert, binnen 15 Tagen zu erklären, ob sie ihren bisherigen Stellungnahmen und Anträgen noch etwas beizufügen hätten und ob die Ansetzung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung verlangt werde. Andernfalls werde das Gericht aufgrund des jetzigen Standes der Akten entscheiden ("Le Collège arbitral... portera sa décision d'après l'état actuel du dossier"). Der Anwalt des Beschwerdegegners teilte hierauf dem Schiedsgericht
BGE 101 Ia 154 S. 159
am 12. Januar 1973 mit, dass er auf eine weitere Eingabe sowie auf eine nochmalige mündliche Verhandlung verzichte, sofern auch die klagende Partei davon absehe, was der Fall war. Das Schiedsgericht hiess in der Folge die Klage in vollem Umfange gut und wies die Gegenforderung des Beklagten ab.
Der Beschwerdegegner machte im Verfahren vor dem Rechtsöffnungsrichter geltend, er habe nur deshalb auf eine Verhandlung und auf weitere Eingaben verzichtet, weil aufgrund des bisherigen Prozessganges, namentlich aufgrund der Beweisverfügung vom 20. April 1970, anzunehmen gewesen sei, das Schiedsgericht gehe davon aus, dass der Kläger für den Ausfall der Eurovisions-Übertragung einzustehen habe. Er habe daher damit rechnen dürfen, dass das Gericht die Klage entweder abweise oder selber (anstelle eines Experten) ex aequo e bono über den Wert der Minderleistung befinde. Indem das Gericht von seiner früher kundgegebenen Rechtsauffassung plötzlich abgewichen sei, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, auf die veränderte Situation zu reagieren, habe es den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt und auch gegen Treu und Glauben verstossen.
Der dargelegte, vom kantonalen Rechtsöffnungsrichter geschützte Einwand entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Dass das Schiedsgericht durch sein Vorgehen irgendwelche Vorschriften des massgebenden positiven Verfahrensrechtes missachtet hätte, wird nicht behauptet. Es ist aber auch nicht ersichtlich, inwiefern grundlegende Regeln des Prozessrechtes verletzt worden sein sollen. Die Abweichung von der früheren Beweisverfügung, die nach allgemeinen Prozessgrundsätzen ohnehin jederzeit abänderbar war, erfolgte im Einverständnis mit den Parteien. Wesentlich ist, dass die Parteien ausgiebig Gelegenheit gehabt hatten, zu allen Fragen, die für das Urteil des Gerichtes erheblich waren, Stellung zu nehmen. Das Schiedsgericht hatte nie ein Teilurteil gefällt, an das es gebunden gewesen wäre. Wenn der Beschwerdegegner annahm, bei einem Verzicht auf weitere Beweiserhebungen sei das Urteil in bestimmter Weise präjudiziert, und aus diesem Grunde auf weitere prozessuale Anträge verzichtete, so beruhte dies auf einer subjektiven Würdigung, über deren Risiko er sich bewusst sein musste. Von einer schwerwiegenden Gehörsverletzung oder einer gegen Treu und Glauben verstossenden Täuschung, welche die Anwendung der ordre public-Klausel zu
BGE 101 Ia 154 S. 160
rechtfertigen vermöchte, kann klarerweise nicht die Rede sein.
c) Was vom Beschwerdegegner materiell gegen die Entscheidung des Schiedsgerichtes vorgebracht wird, hat den Charakter blosser appellatorischer Kritik, die in einem Vollstreckungsverfahren unter dem Gesichtspunkt des ordre public zum vornherein unbeachtlich ist.
4.
Andere staatsvertraglich vorgesehene Einwendungen, welche der verlangten Vollstreckung im Wege stehen könnten, sind nicht erhoben worden und fallen auch nicht in Betracht. Der angefochtene Rechtsöffnungsentscheid ist daher in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. Der Beschwerdeführer verlangt darüber hinaus, dass das Bundesgericht selber die nachgesuchte definitive Rechtsöffnung erteile. Ein solches Begehren ist an sich zulässig (
BGE 98 Ia 537
,
BGE 72 I 96
), doch kann ihm im vorliegenden Fall nicht entsprochen werden, da der Schuldner in seiner Beschwerdeantwort an das Bundesgericht eventualiter nunmehr auch die Zinsberechnung und den Umrechnungskurs, zu dem die Forderungssumme in Betreibung gesetzt wurde, beanstandet und das Rechtsöffnungsbegehren insofern noch nicht spruchreif ist. Es ist vorerst Sache des kantonalen Richters, über die Zulässigkeit und Berechtigung dieses nachträglich erhobenen Einwandes zu befinden, weshalb es mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils sein Bewenden haben muss.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichtspräsidiums (IV. Abteilung) des Kantons Appenzell A.Rh. vom 15. November 1974 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f1d7c15a-e22a-472f-8481-9bd439de7ade | Urteilskopf
84 I 140
21. Urteil vom 4. Juli 1958 i.S. X. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement. | Regeste
Versicherungsaufsicht; Verbot der Vergünstigungen im Anwerbebetrieb der Lebensversicherungsgesellschaften (BRB vom 11. September 1931).
1. Gesetzmässigkeit des Verbotes.
2. Vermittlung einer Versicherung durch einen "neutralen Versicherungsberater". Übertritt er das Vergünstigungsverbot, wenn er dem Klienten für die Beratung keine Rechnung stellt? | Sachverhalt
ab Seite 140
BGE 84 I 140 S. 140
A.-
Der BRB über den Anwerbebetrieb der Lebensversicherungsgesellschaften in der Schweiz vom 11. September 1931 (BS 10, 325) bestimmt in Art. 2:
BGE 84 I 140 S. 141
"Den Lebensversicherungsgesellschaften und ihren Agenten und Vermittlern ist es untersagt, Versicherungsnehmern und Versicherten in irgendeiner Form auf Lebensversicherungen Vergünstigungen zu gewähren oder anzubieten.
Als Vergünstigung gelten insbesondere:
a) eine niedrigere als die von der Aufsichtsbehörde genehmigte Prämie;
b) die teilweise oder vollständige Überlassung der Abschluss- oder der Inkassoprovision."
Zuwiderhandlungen werden vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement mit Ordnungsbussen bis zum Betrage von 1000 Franken geahndet (Art. 10 Versicherungsaufsichtsgesetz, Art. 4 BRB).
B.-
Die X. AG, eine Familienunternehmung, befasst sich mit "Wirtschafts- und Versicherungsberatung". Der Beschwerdeführer ist zur Einzelunterschrift berechtigtes Mitglied des von seinem Vater präsidierten Verwaltungsrates. Er erklärt, den Herren X. sei klar geworden, dass der Abschluss einer gewöhnlichen (gemischten) Lebensversicherung in vielen Fällen nicht im Interesse des Klienten liege: Im Erlebensfalle bezahle der Versicherer nur die Summe der geleisteten Prämien mit wenig Zins, ohne dem Schwund der Kaufkraft des Geldes Rechnung zu tragen. Für den Klienten sei bei dieser Versicherungsart in der Regel nur die Deckung des Risikos vorzeitigen Todes oder vorzeitiger Invalidität interessant. Dieser Vorteil lasse sich aber auch durch eine reine Risikoversicherung erreichen, für welche wesentlich niedrigere Prämien zu entrichten seien. Wenn der Klient das Geld, das er durch Abschluss einer solchen Versicherung an Prämien erspare, vernünftig anlege, so werde im Erlebensfalle ein Kapital zur Verfügung stehen, welches die auf Grund einer gemischten Lebensversicherung erhältliche Summe übersteige. Aus diesen Gründen rieten die Herren X. ihrer Kundschaft vielfach, statt gemischte Lebensversicherungen reine Risikoversicherungen abzuschliessen und die an Prämien eingesparten Mittel selber nutzbringend auf einem Sparfonds anzulegen. Daher von der Vereinigung schweizerischer Lebensversicherungsgesellschaften
BGE 84 I 140 S. 142
boykottiert, könnten sie die von ihnen ausgearbeiteten Anträge praktisch nur noch bei den dieser Organisation nicht angeschlossenen Versicherern unterbringen. Zu diesen gehöre die Gesellschaft Z., welche sich auf die reine Risikoversicherung spezialisiert habe.
Der Berufsverband V. wollte für sein Personal, in erster Linie für den Sekretär Dr. W., ein Fürsorgewerk schaffen. Er wandte sich deshalb im Jahre 1956 an den Beschwerdeführer. Ferner holte er Offerten verschiedener Lebensversicherungsgesellschaften ein, unter denen sich auch die Z. befand. Während die übrigen Versicherer gemischte Lebensversicherungen vorschlugen, sah die Z. eine reine Risikoversicherung vor. Der Beschwerdeführer riet dem Verbande, eine solche abzuschliessen und zudem einen Sparfonds anzulegen. In diesem Sinne schrieb die X. AG dem Verbande am 17. Dezember 1956, wobei sie für die Risikoversicherung die Z. empfahl und sich bereit erklärte, "die Plazierung des Versicherungsschutzes zu übernehmen". Der Beschwerdeführer stellte Berechnungen an und hatte auch einen Entwurf für einen Vertrag zwischen der zu errichtenden Stiftung und Dr. W. betreffend den Sparfonds auszuarbeiten. Er besprach die Angelegenheit wiederholt mit den Vertretern des Verbandes. Dabei erklärte er auf Befragen, dass er, "wenn der Abschluss durch ihn bei der Z. erfolge", dem Verbande keine Rechnung stellen werde.
In der Folge schloss die Personalfürsorgestiftung des Verbandes mit der Z. eine Einzel-Risiko-Lebensversicherung für Dr. W. als Versicherten ab. Die Z. bezahlte hiefür der von einem Bruder des Verbandskassiers geleiteten Y. AG, welche die Offerte dieses Versicherers gestellt und ihm den Antrag eingereicht haben soll, eine Provision von Fr. 532.-- und der X. AG eine solche von Fr. 600.--.
Vom eidgenössischen Versicherungsamt durch Schreiben vom 10. Oktober 1957 ersucht, sich zum Verdacht der Übertretung des Vergünstigungsverbotes zu äussern, bestritt der Beschwerdeführer, die Versicherung des Dr. W.
BGE 84 I 140 S. 143
vermittelt zu haben. Am 15. Oktober 1957 stellte er dem Verbande V. eine Rechnung im Betrage von Fr. 120.-- zu, die er dann mit Schreiben vom 10. Dezember 1957 widerrief.
C.-
Durch Verfügung vom 13. November 1957 hat das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dem Beschwerdeführer wegen Widerhandlung gegen Art. 2 des BRB über den Anwerbebetrieb der Lebensversicherungsgesellschaften eine Ordnungsbusse von Fr. 600.-- auferlegt. Es nimmt an, der Beschwerdeführer habe zunächst als neutraler Versicherungsfachmann kraft Auftrages den Verband V. beraten, wofür ihm dieser eine Vergütung geschuldet habe. Sodann habe er die Versicherung bei der Z. vermittelt und dafür eine Provision erhalten. Im Hinblick darauf habe er auf jene Vergütung verzichtet oder mindestens den Verzicht in Aussicht gestellt. Damit habe er dem Verbot, Vergünstigungen zu gewähren oder anzubieten, zuwidergehandelt.
D.-
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, die Verfügung des Departements und die Busse aufzuheben. Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei fraglich, ob der BRB über den Anwerbebetrieb gesetzmässig sei. Auf jeden Fall liege hier keine Übertretung vor. Die Herren X. ständen in keinen vertraglichen Beziehungen zu einer Versicherungsgesellschaft, sondern seien selbständige, neutrale Berater. Der Beschwerdeführer sei hier nicht Agent oder Vermittler der Z., sondern Beauftragter des Verbandes V. gewesen. Der Abschluss der Versicherung sei von der Y. AG vermittelt worden. Der Beschwerdeführer habe daher keinen Provisionsanspruch gehabt. Die Z. habe ihm eines Tages unerwartet mitgeteilt, er erhalte Fr. 600.--, weil er gegenüber dem Verbande V. eine Lanze für die Todesfallversicherung eingelegt habe. Damit sei die Sache für ihn erledigt gewesen. Dem Verbande Rechnung zu stellen, sei ihm damals nicht in den Sinn gekommen. Tatsächlich habe er von diesem nichts zu fordern gehabt. Erst nachdem ihm von fachkundiger
BGE 84 I 140 S. 144
Seite erklärt worden sei, er verstosse möglicherweise gegen den BRB, falls er vom Verband nichts verlange, habe er ihm eine Rechnung gesandt.
E.-
Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Zuständigkeit.)
2.
Wie das Bundesgericht an die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze gebunden ist (
Art. 113 Abs. 3,
Art. 114 bis Abs. 3 BV
), so hat es sich auch an den BRB über den Anwerbebetrieb der Lebensversicherungsgesellschaften zu halten, soweit er im Rahmen des Gesetzes bleibt. Es kann ihn nur daraufhin überprüfen, ob er diesen Rahmen überschreite. Hier stellt sich die Frage in bezug auf Art. 2 BRB. Das Bundesgericht hat den Vorgänger dieser Bestimmung, den im wesentlichen mit ihr übereinstimmenden Art. 1 des BRB über das Verbot der Gewährung von Vergünstigungen auf Lebensversicherungen vom 23. Mai 1930, als gesetzmässig erklärt (
BGE 58 I 266
Erw. 3;
BGE 76 I 244
). Es besteht kein Grund, Art. 2 des geltenden BRB anders zu beurteilen.
a) Im Ingress der beiden BRB wird als gesetzliche Grundlage Art. 9 des Aufsichtsgesetzes genannt. Gemeint ist Abs. 1 dieses Artikels, wonach der Bundesrat "jederzeit die ihm durch das allgemeine Interesse und dasjenige der Versicherten geboten erscheinenden Verfügungen trifft". Der Beschwerdeführer bezweifelt, ob sich der BRB über den Anwerbebetrieb, als allgemein verbindliche Verordnung, auf diese Bestimmung stützen lasse. In der Tat versteht man im allgemeinen unter "Verfügungen" Verwaltungsakte, durch die das Gesetz auf den konkreten Fall angewendet wird. Es liegt nahe anzunehmen, dass auch das Aufsichtsgesetz den Ausdruck in diesem Sinne verwendet; unterscheidet es doch, insbesondere in Art. 10, "Verfügungen" und "Verordnungen". Wie es sich damit verhält, kann indessen dahingestellt bleiben. Auf jeden
BGE 84 I 140 S. 145
Fall gibt Art. 9 Abs. 1 des Aufsichtsgesetzes der Aufsichtsbehörde die Kompetenz, unmittelbar durch Einzelverfügungen all das zu verbieten, was in Art. 2 des BRB vom 11. September 1931 untersagt wird. Werden die hier erwähnten Vergünstigungen im Anwerbebetrieb geduldet, so entsteht die ernste Gefahr, dass sie infolge der Konkurrenz unter den Versicherungsgesellschaften überhandnehmen und daher die Anwerbekosten, zum Nachteil der Gesamtheit der Versicherten, ungebührlich in die Höhe treiben; diesem Übelstand kann nur durch ein staatliches Verbot wirksam begegnet werden (vgl. die amtliche Begründung zum BRB vom 23. Mai 1930, BBl 1930 I S. 601 ff., insbesondere 611;
BGE 58 I 267
). Der Schutz der Versicherten vor Übervorteilung, wie sie gerade durch solche Vergünstigungen bewirkt werden kann, ist aber einer der Zwecke, die das Aufsichtsgesetz verfolgt (
BGE 76 I 237
ff., insbesondere 244); er ist, im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieses Gesetzes, durch das allgemeine Interesse und dasjenige der Versicherten geboten. Wenn nun schon durch Einzelverfügungen, unmittelbar auf Grund dieser Bestimmung, gegen das Vergünstigungswesen eingeschritten werden kann, so kann es dem Bundesrat nicht verwehrt sein, auf dem Wege der Verordnung näher zu bestimmen, was auf diesem Gebiete verboten und daher mit Strafe bedroht ist; soll doch die das Gesetz anwendende Behörde nach Grundsätzen entscheiden. Art. 2 des BRB vom 11. September 1931 entwickelt lediglich einen bereits im Aufsichtsgesetz enthaltenen Rechtssatz, ist also eine Vollzugsbestimmung (Art. 16 leg. cit.; vgl.
BGE 64 I 315
,
BGE 58 I 282
). Er hält sich im Rahmen des Gesetzes.
b) Der Beschwerdeführer wirft auch die Frage auf, ob es mit Art. 10 des Aufsichtsgesetzes, wonach ausser den Unternehmungen "deren Vertreter" bestraft werden können, vereinbar sei, dass der BRB über den Anwerbebetrieb dem Vergünstigungsverbot neben den Lebensversicherungsgesellschaften "ihre Agenten und Vermittler" unterstellt. Die Frage ist zu bejahen. Der Bundesrat durfte in
BGE 84 I 140 S. 146
der Ausführungsverordnung den im Gesetz aufgestellten, aber nicht definierten Begriff des Vertreters - im Sinn und Geist des Gesetzes - näher umschreiben (
BGE 58 I 282
). Der vom Gesetz angestrebte Schutz der Gesamtheit der Versicherten gegen den Missstand der Vergünstigungen im Anwerbebetrieb der Lebensversicherungsbranche ist aber nur dann gewährleistet, wenn als Vertreter einer Versicherungsgesellschaft alle Personen betrachtet werden, die in die Lage kommen, solche Vergünstigungen zu gewähren, also nicht nur die Agenten, die auf Grund vertraglicher Abmachung ständig für eine Gesellschaft tätig sind, sondern auch die Leute, die ihr bloss gelegentlich Versicherungen vermitteln (BBl 1930 I S. 615; KÖNIG, Das Provisionsabgabeverbot in der Schweiz, Schweiz. Versicherungszeitschrift 1936 S. 102).
3.
Die Herren X. haben der Z., wie sie bescheinigt, in den Jahren 1956 und 1957 wiederholt Versicherungen vermittelt. Dass insbesondere der Beschwerdeführer mit ihr zusammenarbeitet, war dem Vorstand des Verbandes V. von vornherein bekannt. Die X. AG, die bei den Verhandlungen mit dem Verband durch den Beschwerdeführer vertreten war, hat die Zusammenarbeit alsbald bestätigt, indem sie im Schreiben vom 17. Dezember 1956 an den Verband für die Risikoversicherung die Z. empfohlen und sich zur "Plazierung des Versicherungsschutzes" bereit erklärt hat. Die Z. hat sodann, wie sie weiter ausführt, der X. AG nach dem Abschluss der in Frage stehenden Versicherung "für ihre Bemühungen um das Zustandekommen dieses Geschäftes" einen "Provisionsanteil" überwiesen. Dass auch die Y. AG einen (kleineren) Provisionsanteil erhalten hat, ist unerheblich. Offenbar hat sie formell die Offerte der Z. gestellt und dieser Gesellschaft den Antrag übermittelt, doch hat der Beschwerdeführer durch seine Aufklärungsarbeit auf jeden Fall wesentlich zum Abschluss der Versicherung des Dr. W. beigetragen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass er in dieser Angelegenheit als Vermittler der Z. gehandelt
BGE 84 I 140 S. 147
hat. Ob diese den Herren X. bzw. der X. AG Provisionen für vermittelte Geschäfte auf Grund einer voraus getroffenen vertraglichen Abmachung oder, wie behauptet wird, lediglich "usanzgemäss von Fall zu Fall" ausrichtet, ist gleichgültig.
4.
Das Departement erblickt die Widerhandlung gegen Art. 2 des BRB vom 11. September 1931 darin, dass der Beschwerdeführer auf die Vergütung, die ihm der Verband V. für die Ausführung eines auf Beratung gehenden Auftrages geschuldet habe, verzichtet oder wenigstens den Verzicht darauf angeboten habe, wobei es offenbar voraussetzt, die Vergünstigung sei oder wäre schliesslich dem Versicherungsnehmer (Personalfürsorgestiftung des Verbandes) oder dem Versicherten (Dr. W.) zugute gekommen. In der Tat besteht Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht nur Vermittler der Z., sondern auch Beauftragter des Verbandes war. Von einer unter das Verbot fallenden Vergünstigung könnte jedoch nur die Rede sein, wenn er Anspruch auf Entschädigung für die Auftragsbesorgung gehabt hätte. Das wäre nur dann der Fall, wenn eine Vergütung verabredet worden oder, unter den gegebenen Umständen, üblich wäre (
Art. 394 Abs. 3 OR
).
a) Der Beschwerdeführer hat im Laufe der Verhandlungen mit dem Verbande auf Befragen erklärt, er werde von diesem nichts fordern, "wenn der Abschluss durch ihn (Beschwerdeführer) bei der Z. erfolge". Daraus kann nicht gefolgert werden, dass für diesen Fall, der tatsächlich eingetreten ist, ursprünglich eine Entschädigung verabredet worden sei, auf die der Beschwerdeführer dann verzichtet habe. Es liegt auch sonst nichts vor, was auf eine solche Abmachung schliessen liesse. Der Beschwerdeführer hat denn auch dem Verband nach Abschluss der Versicherung bei der Z. nicht Rechnung gestellt, bevor er die Aufforderung des Versicherungsamtes von 10. Oktober 1957, sich zu rechtfertigen, erhalten hat. Dass er auf diese Mitteilung hin dem Verbande doch eine Rechnung
BGE 84 I 140 S. 148
gesandt hat, rechtfertigt die Annahme nicht, dass eine Vergütung verabredet worden sei, auch wenn davon abgesehen wird, dass er die Rechnung schliesslich zurückverlangt hat. Die nachträgliche Rechnungstellung steht im Widerspruch zu der Haltung, die der Beschwerdeführer vor jener Aufforderung eingenommen hat; sie dürfte sich daraus erklären, dass er meinte, mit ihr seine Aussichten im Prozess zu verbessern. Abzustellen ist auf die Sachlage, die vor der erwähnten amtlichen Mitteilung bestanden hat.
b) Es ist auch nicht üblich, dass jemand, der eine Versicherung abzuschliessen gedenkt und daher den Vertreter einer Versicherungsgesellschaft zu Rate zieht, diesem für seine Bemühungen eine Vergütung leistet, gleichgültig ob eine Versicherung bei der betreffenden Gesellschaft zustandekommt oder nicht. Es gehört zu den Aufgaben eines Versicherungsvertreters, die Versicherungsinteressenten zu beraten; dass diese ihm eine Gegenleistung dafür erbringen, wird nicht erwartet. Der Beschwerdeführer ist bei der Beratung des Verbandes V. im Rahmen dessen geblieben, was ein umsichtiger Versicherungsvertreter vorzukehren pflegt. Er ist darauf ausgegangen, den Abschluss einer reinen Risikoversicherung bei der auf diese Versicherungsart spezialisierten Z. zu vermitteln, was dem Verbande von Anfang an bekannt war. Um diesen Zweck zu erreichen, hat der Beschwerdeführer dem Verband die Vorteile einer solchen Versicherung und ihrer Verbindung mit einem Sparvertrag dargelegt; deshalb hat er Berechnungen angestellt und auch den Entwurf eines Vertrages betreffend den Sparfonds ausgearbeitet. Diese Tätigkeit bildete ein Ganzes mit dem einheitlichen Ziel, den Abschluss einer Versicherung bei der Z. herbeizuführen. Unter diesen Umständen hätte es der Übung widersprochen, wenn der Verband dem Beschwerdeführer eine Vergütung entrichtet hätte.
c) Das Departement macht geltend, man könne nicht, wie dies der Beschwerdeführer getan habe, sich zunächst als neutralen Fachmann ausgeben, um im Falle des
BGE 84 I 140 S. 149
Nichtzustandekommens der Versicherung ein Honorar vom Versicherungsinteressenten zu beziehen, und sodann, nach dem Abschluss der Versicherung, sich als Vermittler des Versicherers von diesem entschädigen lassen und dabei auf das Expertenhonorar verzichten. In Wirklichkeit ist aber der Beschwerdeführer von Anfang an, mit Wissen des Vorstandes des Verbandes V., als Vermittler der Z. aufgetreten, und er hatte dementsprechend vom Verbande nichts zu fordern. Wie es sich verhielte, wenn die Versicherung bei der Z. überhaupt nicht oder nicht durch Vermittlung des Beschwerdeführers zustandegekommen wäre, ist nicht zu prüfen.
Hatte aber der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf Vergütung seitens des Verbandes, so konnte er auch nicht auf einen solchen Anspruch verzichten. Er ist zu Unrecht gebüsst worden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die angefochtene Verfügung und die Busse werden aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f1e0e43a-163d-48dc-94d4-2a6c26dbd953 | Urteilskopf
110 II 264
53. Sentenza 20 giugno 1984 della I Corte civile nella causa Depos City Discount S.A. contro Elio e Silvana Palmerini (ricorso per riforma) | Regeste
Ausschluss eines Lohnzuschlags für Überzeitarbeit (
Art. 321c Abs. 3 OR
,
Art. 13 ArG
).
Der Ausschluss eines Lohnzuschlags für Überzeitarbeit kann einem schriftlichen Vertrag auch durch Interpretation entnommen werden. Ein Verzicht im voraus auf einen solchen Zuschlag muss indes zu der im Vertrag vorgesehenen Tätigkeit in Beziehung stehen und kann nicht eine zusätzliche, andersartige Beschäftigung betreffen, umso weniger wenn diese beträchtliche Mehrarbeit mit sich bringt. | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 110 II 264 S. 265
A.-
Nel dicembre del 1978 Depos City Discount S.A. ha affidato ai coniugi Elio e Silvana Palmerini la gerenza di uno snack-bar situato al culmine della strada cantonale del Monte Ceneri, in territorio di Rivera. Da marzo a giugno 1979 i coniugi Palmerini hanno gestito anche, per la stessa società, un chiosco all'interno dell'esercizio pubblico. Dopo aver disdetto per il 31 agosto 1979 ogni rapporto contrattuale, i coniugi Palmerini hanno sollecitato invano il versamento di provvigioni sulla cifra d'affari e indennità per ore straordinarie e congedi. Con giudizio del 29 luglio 1983 il Pretore di Lugano-Campagna ha respinto un'azione degli assuntori chiedente a Depos City Discount S.A. il pagamento di Fr. 15'952.35 più interessi.
B.-
Statuendo il 17 novembre 1983, la II Camera civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha accolto invece la domanda dei coniugi Palmerini e condannato Depos City Discount S.A. a corrispondere Fr. 15'952.35 più interessi al 5% dal 31 agosto 1979. L'importo è così suddiviso:
721 ore supplementari a Fr. 16.- Fr. 11'536.--
33,5 giorni di libero non goduti a Fr. 117.- 3'919.50
saldo (non contestato) delle provvigioni sulla
cifra d'affari 496.85
-------------
Fr. 15'952.35
La corte ha osservato, in sintesi, che il contratto di gerenza stipulato nel dicembre 1978 soggiaceva al diritto del lavoro, non alle norme sul mandato. Agli attori, quindi, le predette indennità spettavano per legge.
BGE 110 II 264 S. 266
C.-
Il 23 gennaio 1984 Depos City Discount S.A. ha introdotto al Tribunale federale un ricorso per riforma nel quale riconosce a Elio e Silvana Palmerini un credito di Fr. 11'408.35 con interessi al 5% dal 31 agosto 1979; per il resto conclude al rigetto dell'azione. Il debito ammesso risulta dal seguente calcolo:
437 ore supplementari a Fr. 16.- Fr. 6'992.--
33,5 giorni di libero non goduti a Fr. 117.- 3'919.50
saldo (non contestato) delle provvigioni sulla
cifra d'affari 496.85
--------------
Fr. 11'408.35
Gli attori non hanno risposto al gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il ricorso per riforma è esperibile, il valore litigioso avendo raggiunto - davanti all'ultima giurisdizione cantonale - il limite dell'
art. 46 OG
. Quanto all'oggetto della causa, sola questione è l'aumento salariale dovuto dalla ricorrente per ore supplementari; la natura del contratto di gerenza e l'indennità per giorni di libero non concessi sono, in questa sede, fuori discussione.
a) La corte cantonale ha stabilito che l'esercizio dello snack-bar richiedeva la presenza alterna degli attori nove ore al giorno. L'assunzione del chiosco ha comportato un maggior lavoro di sette ore giornaliere lungo tutto il periodo dell'apertura (103 giorni), con l'impossibilità per gli stessi gerenti di avvicendarsi nella conduzione dell'esercizio pubblico. Questa attività suppletiva doveva essere retribuita conformemente all'
art. 321c cpv. 3 CO
e 13 cpv. 1 LL: se è vero, infatti, che le parti possono escludere - in forma scritta - ogni indennità per lavoro straordinario, è altrettanto vero che ciò vale solo nella misura in cui il lavoro complessivo non ecceda il massimo settimanale di 50 ore (
art. 9 cpv. 1 lett. b LL
). Nella specie il contratto di gerenza stipulato nel dicembre 1978 contravveniva al diritto imperativo federale sulla durata del lavoro: la clausola secondo cui "le ore straordinarie, giorni di congedo e vacanze sono già considerati nella retribuzione globale" non poteva così essere applicata.
b) La ricorrente eccepisce, prevalendosi degli
art. 27 LL
e 25 dell'ordinanza II per l'esecuzione della LL (RS 822.112), che la durata massima del lavoro settimanale nelle piccole aziende è di 63 ore, non di 50. L'attività supplementare prestata dagli attori sarebbe pertanto di 437 ore, non di 721. La maggiorazione dello stipendio deve attenersi a simile computo.
BGE 110 II 264 S. 267
2.
L'
art. 321c cpv. 3 CO
autorizza le parti a sopprimere, segnatamente con accordo scritto, l'obbligo che incombe al datore di lavoro di rimunerare le ore straordinarie oltre al salario pattuito. La disposizione è, giusta l'
art. 361 CO
, inderogabile. Per di più, l'
art. 342 CO
riserva il diritto pubblico della Confederazione e dei Cantoni. A sua volta l'
art. 13 LL
prevede che il datore di lavoro deve corrispondere un supplemento salariale per il lavoro straordinario. Le relazioni fra le norme predette non sono chiare. La dottrina, del resto, non è unanime sulla possibilità di escludere una retribuzione particolare per lavoro straordinario, né sulla portata dell'
art. 13 LL
e sul suo carattere imperativo anche dopo l'entrata in vigore della novella 25 giugno 1971 riguardante il contratto di lavoro (si confrontino BERENSTEIN, La nouvelle réglementation du contrat de travail, objectif de la revision et expériences, pag. 3; BRÜHWILER, Handkommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2a edizione, note 11 segg. ad
art. 321c CO
; MATHIAS MÜLLER, Überstunden, in: Kuhn, Aktuelles Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis, vol. 2, n. 6/4.1; REHBINDER, Arbeitsgesetz, 3a edizione, pag. 59 seg. e Schweizerisches Arbeitsrecht, 7a edizione, pag. 40 seg.; SCHWEINGRUBER, Commentaire du contrat de travail selon le code fédéral des obligations, Berna 1975, nota 4 ad
art. 321c CO
; STAEHELIN in: Zürcher Kommentar, 3a edizione, note 20 segg. ad
art. 321c CO
; STREIFF, Leitfaden zum neuen Arbeitsvertrags-Recht, 3a edizione, note 4 segg. ad
art. 321c CO
; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht, vol. VII/1, pag. 279 segg., soprattutto pag. 344 seg.). Comunque sia, il problema non dev'essere risolto, e nemmeno è necessario esaminare se la corte cantonale si sia espressa rettamente in proposito. La clausola contrattuale che esonera la ricorrente dal pagamento del lavoro straordinario è, invero, senza rilievo per la fattispecie.
3.
Il contratto di gerenza firmato dalle parti nel dicembre 1978 concerne esclusivamente lo snack-bar "sito al culmine della strada del Monte Ceneri"; non contiene richiami al chiosco, affidato agli attori solo in seguito, nel marzo 1979. I fatti accertati dai giudici di secondo grado (
art. 63 OG
) non alludono a un'eventuale appendice scritta, conforme all'
art. 321c CO
, stipulata successivamente per la conduzione del chiosco, né assumono che la volontà interna delle parti fosse quella di includere il chiosco nell'ambito della gestione originaria e di estendere così la menzionata clausola - che nega ogni compenso per lavoro straordinario - alla gestione di entità diverse dall'esercizio pubblico (
art. 18 CO
).
BGE 110 II 264 S. 268
Premesso che non sussiste il minimo indizio in tal senso, rimane da chiedersi se la conduzione del chiosco non soggiaccia alla ricordata clausola interpretando in buona fede il negozio giuridico del dicembre 1978 (sull'esegesi dei contratti in genere si veda
DTF 107 II 163
consid. 6b con rinvii). Ora, i fatti rilevabili dalla sentenza impugnata non permettono di desumere che la citata clausola dovesse essere compresa in questo modo. Oltre a ciò, la rinuncia anticipata alla rimunerazione per lavoro straordinario va posta in rapporto con l'attività prospettata nel contratto, le parti potendo ritenere a priori che ipotetiche prestazioni supplementari abbiano a rientrare nel normale lavoro, retribuito con lo stipendio convenuto (REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, loc.cit.). Ma una rinuncia anticipata non può essere presunta per un'occupazione completamente dissimile, tanto meno ove essa implichi un aumento di lavoro considerevole. Appurato come, per la gestione del chiosco, gli attori non abbiano inteso rinunciare alla tutela dell'
art. 321c CO
, è superfluo verificare se simile rinuncia non sia soggetta ugualmente alla forma scritta.
Se ne conclude che il credito vantato dagli attori sgorga da un contratto di lavoro autonomo a norma degli art. 320 cpv. 2 e 322 cpv. 2 CO, non da una pretesa per lavoro straordinario giusta l'
art. 321c CO
. L'esito cui sono pervenuti i giudici d'appello, secondo i quali le ore profuse dagli attori nella conduzione del chiosco dovevano essere retribuite, resta nondimeno corretto. Sulla circostanza che gli attori abbiano lavorato, al chiosco, 7 ore giornaliere per 103 giorni, non v'è divergenza.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto e la sentenza impugnata è confermata. | public_law | nan | it | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1e16f30-0fc3-444b-99bf-590864089279 | Urteilskopf
84 II 85
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Februar 1958 i.S. Lutz gegen Höhener. | Regeste
Nachbarrecht.
Verbot der Errichtung eines Schlachthauses wegen übermässiger Einwirkung auf die Nachbarliegenschaft (
Art. 684 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 84 II 85 S. 85
A.-
Die Schwestern Lutz sind Eigentümerinnen des an der St. Gallerstrasse in Teufen liegenden Grundstücks Parzelle Nr. 208 mit dem an der Strasse stehenden Hause Nr. 242, wo sie wohnen und einen Stoffladen betreiben. Höhener ist Eigentümer der von diesem Grundstück durch die Parzelle Nr. 209 (mit dem Haus zum "Adler") getrennten
BGE 84 II 85 S. 86
Parzelle Nr. 214 mit dem Haus zum "Anker", wo er eine Wirtschaft und Metzgerei führt. Auch die Parzelle Nr. 209 gehört heute unbestrittenermassen ihm. Anstelle der Remise Nr. 245, die auf dem hintern (von der Strasse abgewendeten) Teil dieser Liegenschaft steht und von der Hinterfront des Hauses Lutz ca. 5-8 m entfernt ist, gedenkt er ein Schlachthaus zu bauen, das den veralteten Schlachtraum im Hause zum "Anker" ersetzen soll.
B.-
Gegen dieses am 18. Oktober 1955 ausgeschriebene Bauvorhaben erhoben die Schwestern Lutz am 23. Oktober 1953 Einsprache. Am 17. November 1955 leiteten sie gegen Höhener gerichtliche Klage ein mit dem Hauptbegehren, dem Beklagten sei die Ausführung der geplanten Baute zu untersagen. Dieses Begehren stützen sie vor allem darauf, dass vom Schlachthausbetrieb übermässige Einwirkungen auf ihr Grundstück zu erwarten seien.
Das Bezirksgericht Mittelland nahm einen Augenschein vor, holte bei Dr. med. vet. R. Sturzenegger, Tierarzt und Fleischschauer der Gemeinden Trogen und Speicher, ein Gutachten ein und wies die Klage am 5. Juli 1956 ab. Das Obergericht von Appenzell A.-Rh., an das die Klägerinnen appellierten, besichtigte die Örtlichkeiten ebenfalls und befragte den Sachverständigen. Am 7. Januar 1957 hat es das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
C.-
Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht erneuern die Klägerinnen das Begehren, der geplante Bau sei zu verbieten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Streitwert).
2.
Wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat, kann die Errichtung einer Baute auf Grund von
Art. 684 und 679 ZGB
verboten werden, wenn ihr bestimmungsgemässer Gebrauch nach der Lebenserfahrung mit Sicherheit oder (was dem gleichzuachten ist) mit höchster Wahrscheinlichkeit übermässige, nach den örtlichen Verhältnissen nicht zumutbare Einwirkungen auf das Eigentum
BGE 84 II 85 S. 87
des Nachbarn erwarten lässt (vgl.
BGE 58 II 117
und 336 und dort angeführte Entscheidungen).
Dass diese Voraussetzung im vorliegenden Falle verwirklicht sei, verneint die Vorinstanz mit der Begründung, nach dem Gutachten und den verbindlichen Bauplänen sei mit Rauch- und Russeinwirkungen nicht zu rechnen. Die aller Wahrscheinlichkeit nach zu erwartenden Immissionen durch lästige Gerüche, die nur bei der zweimal im Jahr erfolgenden Entleerung der Abwasserfaulgrube zu erwarten seien, seien zeitlich und hinsichtlich ihrer Intensität geringfügig. Lärm werde vom Betrieb im Schlachthaus nicht nach aussen dringen, und das Geräusch beim Zuschlagen von Türen und Fenstern falle dank geeigneten Vorkehren weg. Hingegen werde der Antransport der Schlachttiere einen gewissen Lärm mit sich bringen. Das Quietschen widersetzlicher Schweine und das Rufen des Metzgereipersonals beim Zutreiben widersetzlicher Tiere werde von der Liegenschaft der Klägerinnen aus zeitweise hörbar sein. Etwas Lärm werde voraussichtlich auch durch das Zu- und Wegfahren von Motorfahrzeugen verursacht werden. Es sei auch begreiflich, dass allein schon die Existenz eines Schlachthauses, besonders aber der mit seinem Betrieb verbundene Antransport der zu schlachtenden Tiere und der Abtransport von Fleisch wie überhaupt "die ganze Schlachthausatmosphäre" auf die Klägerinnen als Nachbarn abstossend wirke. Ob diese mit höchster Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Einwirkungen materieller und ideeller Art übermässig seien, entscheide sich nach objektiven Kriterien. Der Entscheid verlange eine Abwägung der Interessen, die Berücksichtigung der nach Ort und Zeit verschiedenen Bedürfnisse.
Art. 684 ZGB
verbiete Einwirkungen, welche die Grenzen der unter Nachbarn geschuldeten und durch die Lage und Beschaffenheit der Grundstücke sowie durch den Ortsgebrauch gerechtfertigten Rücksichtnahme überschreiten (
BGE 79 I 205
/6). Die hier sicher zu erwartenden Einwirkungen seien nicht so intensiv, dass die Klägerinnen sie ohne Rücksicht
BGE 84 II 85 S. 88
auf Lage und Beschaffenheit der Grundstücke unter keinen Umständen dulden müssten. Entscheidend sei daher, ob Schlachtlokale vom geplanten Ausmass mit den damit verbundenen Einwirkungen auf die Nachbargrundstücke in einem Dorfteil wie dem in Frage stehenden ortsüblich seien oder nicht. Die beteiligten Liegenschaften befänden sich sozusagen im Dorfkern, soweit von einem solchen die Rede sein könne. Im Dorfinnern von Teufen herrsche ein ziemlich regelloses Nebeneinander von öffentlichen Gebäuden, Wohnhäusern, Verkaufsgeschäften, Kleingewerbebetrieben und Wirtschaften. In der Umgebung der Liegenschaften der Parteien wögen zwar die Ladengeschäfte vor, doch fänden sich daneben auch einige - wenn auch ruhige - Kleingewerbebetriebe sowie eine Garage für Lastwagen. Im Hause zum "Anker", rund 20 m vom Hause der Klägerinnen und vom geplanten Schlachthaus entfernt, habe sich von jeher ein Schlachtlokal befunden, das nicht mit den für den Neubau vorgesehenen Einrichtungen zur Verhinderung übermässigen Lärms und Geruchs ausgestattet sei. Nach Ansicht des Experten werde im neuen Lokal kaum viel mehr geschlachtet werden können als im alten. Im übrigen sei ortsüblich, dass sich die Schlachtlokale in nächster Nähe der Metzgereien befinden (so bei den Metzgereien zur "Ilge", zum "Schützengarten" und zum "Ochsen"). Im Vergleich zu diesen Lokalen liege der geplante Neubau nur deshalb etwas ungünstiger, weil sich der Eingang dazu in einem ziemlich engen Hinterhof direkt gegenüber dem nördlichen Hauseingang der Klägerinnen und gegenüber ihrer Wohnküche befinde. Die von den Klägerinnen am meisten benützten Räume (Laden, Wohn- und Schlafräume) befänden sich jedoch auf der Südseite ihres Hauses. Ihr angeblicher Sitzplatz sei schon jetzt räumlich sehr beschränkt und in dem engen Hinterhof auf der Nordseite des Hauses ohnehin ungeeignet. Unter diesen Umständen seien die zu erwartenden materiellen Immissionen zumutbar, zumal da sie geringfügig und in der Regel auf je einen Wochentag (soweit von der Grubenentleerung
BGE 84 II 85 S. 89
ausgehend sogar auf kurze Zeit an zwei Tagen im Jahr) beschränkt seien. Aber auch die ideellen Einwirkungen seien nicht übermässig. Der zeitweise Anblick des Antransports von Schlachttieren und des Abtransports von Fleisch bedeute für einen normalen Durchschnittsmenschen keine übermässige seelische Belastung. Ob schon der blosse Gedanke, in nächster Nähe eines Schlachthauses zu wohnen, geeignet sei, das seelische Wohlbefinden der Klägerinnen erheblich zu beeinträchtigen, brauche nicht untersucht zu werden. Wenn auch der Schlachthausbetrieb von diesem Gesichtspunkt aus auf die Bewohner des Hauses der Klägerinnen unangenehm, lästig oder sogar nachteilig wirken könne, so handle es sich doch nicht um übermässige Einwirkungen. Es könne nicht angenommen werden, dass die blosse Nähe der Anlage in der Vorstellung der Nachbarn aus objektiven Gründen ein derartiges Unbehagen hervorrufen werde, dass deshalb die Untersagung der Neubaute gemäss
Art. 684 ZGB
gerechtfertigt wäre (
BGE 42 II 453
/4).
Der Vorinstanz ist zuzugeben, dass sie die Umstände des vorliegenden Falles sorgfältig geprüft und bei Beurteilung der Frage, ob man es mit einer übermässigen Einwirkung im Sinne von
Art. 684 ZGB
zu tun habe, von einer im ganzen richtigen Auslegung des Gesetzes ausgegangen ist. Bei ihrer Schlussfolgerung, dass die Einwirkungen durch vom Schlachthausbetrieb ausgehenden Geruch und Lärm unbedeutend sein würden, hat sie sich jedoch allzusehr von der Vorstellung eines Idealbetriebes beeinflussen lassen. Schon geringe Abweichungen von den nach dem Gutachten zur Vermeidung von Geruchs- und Lärmbelästigungen bei der Einrichtung und beim Betrieb des Schlachthauses zu beobachtenden Regeln, wie sie nach der Lebenserfahrung in Rechnung gestellt werden müssen, sind geeignet, in Verbindung mit den von der Vorinstanz selber als unvermeidlich betrachteten Nachteilen eine empfindliche, der Nachbarschaft nicht mehr zuzumutende Belästigung herbeizuführen. Hievon abgesehen hat die Vorinstanz die
BGE 84 II 85 S. 90
immateriellen, in der Erweckung unangenehmer psychischer Eindrücke bestehenden Einwirkungen des geplanten Betriebs, die nach ihrer zutreffenden Rechtsauffassung so gut wie die materiellen Einwirkungen zu berücksichtigen sind (vgl.
BGE 61 II 329
), zu milde beurteilt. Die unmittelbare Nachbarschaft eines Schlachthauses mit dem zugehörigen Betrieb ist geeignet, nicht nur bei überempfindlichen Leuten, sondern auch bei Personen mit einer normalen, durchschnittlichen Empfindlichkeit (
BGE 79 II 54
) ein erhebliches, ständig (also nicht nur während der Betriebszeit) fühlbares Unbehagen zu wecken, was die Vorinstanz denn auch nicht im Ernste zu bestreiten wagt. Den Klägerinnen lässt sich nicht entgegenhalten, dass der geplante Neubau ihnen keine grössere Belästigung bringe als das bereits bestehende Schlachthaus des Beklagten, mit dem sie sich bisher abgefunden haben. Das Haus zum "Adler" trennt sie von diesem Lokal, wogegen das neue Schlachthaus wenige Meter hinter ihrem Haus unmittelbar vor dem Fenster ihrer Wohnküche läge. Der Hinweis auf das bisherige Lokal des Beklagten und einige weitere Schlachtlokale bei Metzgereien in Teufen genügt auch nicht, um das Bestehen eines den Betrieb von Schlachthäusern im Dorfinnern erlaubenden Ortsgebrauchs im Sinne von
Art. 684 Abs. 2 ZGB
darzutun, ganz abgesehen davon, dass die Verhältnisse beim geplanten Neubau nach den eigenen Feststellungen der Vorinstanz wegen der räumlichen Enge ungünstiger wären als bei den im angefochtenen Urteil angeführten andern Betrieben. Schlachtlokale stellen nach heutiger Auffassung im Innern von Ortschaften ohne Zweifel Fremdkörper dar. Kann deswegen auch nicht ohne weiteres die Verlegung der bestehenden Lokale verlangt werden, so muss dieser Gesichtspunkt doch bei der Beurteilung neuer Bauvorhaben eine wesentliche Rolle spielen. Neue Bauten dieser Art nicht mehr im Innern, sondern an der Peripherie der Ortschaften zu errichten, kann den Betriebsinhabern um so eher zugemutet werden, als die Nachteile, die sich daraus für den Betrieb ergeben, im
BGE 84 II 85 S. 91
Zeitalter der Motorisierung nicht erheblich ins Gewicht fallen. Zum vorliegenden Projekt ist im übrigen zu sagen, dass es nicht notwendig ist, Schlachthaus und Kühlanlage wie hier vorgesehen zusammenzulegen. Eine Trennung der Anlagen, welche die Aufbewahrung des Fleisches in der Metzgerei erlaubt, wäre, vom praktischen und hygienischen Standpunkt aus betrachtet, gewiss ebenso zweckmässig. Bei dieser Sachlage ist den Klägerinnen vernünftigerweise nicht zuzumuten, die mit dem geplanten Neubau verbundenen Einwirkungen zu dulden. Vielmehr ist dieser gemäss
Art. 684 ZGB
zu verbieten, weil die unvermeidlichen Einwirkungen als übermässig erscheinen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und dem Beklagten in Gutheissung der Klage untersagt, auf seiner Liegenschaft Parzelle Nr. 209 das geplante Schlachthaus zu bauen. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1e98619-5a93-4443-a318-8d9b690e65f8 | Urteilskopf
88 IV 49
15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1962 i.S. Schwendimann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau | Regeste
Art. 13 StGB
.
Die Frage, ob ein psychiatrisches Gutachten im Sinne dieser Bestimmung noch schlüssig sei, stellt sich regelmässig, wenn seit der Begutachtung längere Zeit verstrichen ist.
Eine neue Begutachtung ist indessen nur nötig, wenn seit der früheren Umstände eingetreten oder offenbar geworden sind, die den Richter daran zweifeln lassen, ob auf das frühere Gutachten noch abgestellt werden dürfe, oder wenn sich Zweifel darüber so gebieterisch aufdrängen, dass sie schlechterdings nicht unterdrückt werden können. | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 88 IV 49 S. 49
Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte am 13. Oktober 1961 den nach
Art. 369 ZGB
bevormundeten Schwendimann wegen wiederholten Diebstahls, begangen im Zustand hochgradig verminderter Zurechnungsfähigkeit, zu zehn Monaten Gefängnis und liess an die Stelle der Freiheitsstrafe die Verwahrung nach
Art. 42 StGB
treten.
Schwendimann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein neues psychiatrisches Gutachten über seine Zurechnungsfähigkeit und über die zu treffenden Massnahmen
BGE 88 IV 49 S. 50
nach
Art. 14, 15 oder 42 StGB
einhole und den Straffall neu beurteile.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Das Obergericht stützte sich bei der Strafzumessung und der Anordnung der Verwahrung auf das von Dr. Janner ausgearbeitete und von Prof. Dukor genehmigte Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt vom 28. August 1953 Dieser Begutachtung sind verschiedene andere, auf welche der Expertenbericht der Friedmatt verweist, vorausgegangen, so 1945 in der Anstalt Waldau, 1946 in Königsfelden, 1948 in St. Urban. Das Gutachten der Friedmatt bezeichnet in seinen Schlussfolgerungen den Beschwerdeführer als schizoid-verschrobenen, hyperthymen und geltungssüchtigen Psychopathen mit Neigung zu Arbeitsscheu, hochstaplerischer Lebensführung und Lüge in jeder Form, sowie Querulanz, wobei sich bei allen diesen Abartigkeiten mit der Zeit eine gewisse Automatisierung (Gewohnheitsmässigkeit), insbesondere mit Bezug auf die Delinquenz ausgebildet habe und die Delinquenz darüber hinaus auch gewisse Züge des Rausch- und Suchthaften aufweise, indem sich der Explorand in sie hineinsteigere, sich an ihr berausche, sodass er, einmal angefangen, schliesslich um des Stehlens willen stehle. Sein Geisteszustand habe sich, abgesehen vom Auftreten der Querulanz und der Automatisierung, gegenüber dem Zustand bei früheren Begutachtungen nicht geändert, jedoch sei in den bisherigen Gutachten das Abnorme im Wesen des Exploranden zu gering veranschlagt worden. Die pathologischen Wurzeln seiner Kriminalität überwögen die normalen ganz erheblich, und er müsse deshalb für seine Delikte als hochgradig vermindert zurechnungsfähig beurteilt werden. Was die Prognose betreffe, so sei eine Besserung für absehbare Zeit nicht zu erwarten. Der Explorand könne seiner Tendenz zu sozialen Entgleisungen keine Hemmungen entgegenstellen und wolle es infolge seiner ausgesprochenen Geltungssucht auch gar nicht. Als gewohnheitsmässiger Dieb und Betrüger
BGE 88 IV 49 S. 51
müsse er auf unbestimmte Zeit verwahrt werden. Da er in einer psychiatrischen Anstalt nur schwer zu halten sein würde und eine erzieherische Beeinflussung, soweit eine solche überhaupt möglich sei, erfahrungsgemäss besser in einer Verwahrungsanstalt durchgeführt werden könne, die keinen Krankenhauscharakter trage, erscheine es gegeben, ihn wie bisher nach
Art. 42 StGB
zu verwahren, am zweckmässigsten durch Rückversetzung in eine Verwahrung, andernfalls durch erneute Anordnung einer solchen.
Stützt sich somit das Obergericht sowohl in der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers wie in der angeordneten Massnahme auf das Gutachten der Anstalt Friedmatt, so ist die Vorschrift des Art. 13 insoweit erfüllt. Auch bleibt das Strafmass von zehn Monaten Gefängnis, wenn es auch bei einer hochgradigen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit eher hoch erscheint, mit Rücksicht auf das Zusammentreffen mehrerer Diebstahlstatbestände (
Art. 68 Ziff. 1 StGB
) und den Rückfall (Art. 67) im Rahmen des sachlichen Ermessens. Fragen kann sich nur, ob das Gutachten der Anstalt Friedmatt von 1953 im Jahre 1961, als die Vorinstanz zu urteilen hatte, im Sinne von Art. 13 noch schlüssig war oder ob nicht, wie der Beschwerdeführer geltend macht, ein neues Gutachten hätte eingeholt werden sollen.
Diese Frage stellt sich regelmässig, wenn seit einer frühern Begutachtung längere Zeit verstrichen ist. Sie ist nach der Vorschrift des Art. 13 selber zu entscheiden. Eine neue Begutachtung ist darnach nur nötig, wenn seit der früheren Umstände eingetreten oder offenbar geworden sind, die den Richter, sei es mit Bezug auf die Zurechnungsfähigkeit, sei es mit Bezug auf die allenfalls zu treffende Massnahme, daran zweifeln lassen, ob auf das frühere Gutachten noch abgestellt werden dürfe, oder wenn sich Zweifel darüber so gebieterisch aufdrängen, dass sie schlechterdings nicht unterdrückt werden können (s.
BGE 78 IV 55
und weitere Rechtsprechung).
BGE 88 IV 49 S. 52
(Es folgen Ausführungen darüber, dass die älteren Gutachten durch dasjenige der Anstalt Friedmatt überholt sind, dass sich aus dem Vorstrafenverzeichnis eindeutig die Unfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt, durch Strafen gebessert zu werden, dass seine Beurteilung als eines Gewohnheitsdelinquenten mit ungehemmter Tendenz zu sozialen Entgleisungen heute noch zu Recht besteht, dass sein Bestreben, für die begangenen Taten Dritte verantwortlich zu machen und die Handlungen als zwangsmässig auszugeben, schon im genannten Gutachten festgestellt und eingehend gewürdigt worden ist und dass die Bereitschaft desjenigen, der auf Diebstahl, und vor allem desjenigen, der auf Gelddiebstahl ausgeht, möglichst viel an Beute an sich zu nehmen, eine durchaus normale Erscheinung ist, die in keiner Weise auf völlige Unzurechnungsfähigkeit hinweist.)
Was sich seit 1953 bis zum vorinstanzlichen Urteil ereignet hat, lässt somit nicht darauf schliessen, der Zustand des Beschwerdeführers habe sich inzwischen in einer Weise verändert, dass sich eine neue sachverständige Untersuchung aufdrängen würde. Das trifft umsoweniger zu, als die im Jahre 1953 in der Friedmatt sehr gründlich und sorgfältig geführte Untersuchung ergab, dass der Beschwerdeführer von jeher der gewesen sei, der er jetzt sei, oder dass er zum mindesten anlagemässig alle Voraussetzungen zu seiner künftigen Entwicklung in sich getragen und, abgesehen vom Auftreten der Querulanz und einer gewissen Automatisierung, auch seit den früheren Begutachtungen sich nicht geändert habe. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer sich wieder, wie schon früher, durch Vermögensdelikte vergangen hat, und zwar durch Diebstähle, also durch diejenige Art von Strafhandlungen, die bereits 1953 hauptsächlichen Anlass zur Begutachtung gegeben hatte.
Aus diesen Gründen verstösst das angefochtene Urteil nicht gegen
Art. 13 StGB
, wenn das Obergericht eine neue Begutachtung nicht für erforderlich erachtet hat. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1ee77dd-caae-4cb4-9048-8c53ab46806d | Urteilskopf
135 IV 130
17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen X. und Y. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_772/2008 vom 6. März 2009 | Regeste
Art. 52 StGB
; Absehen von einer Bestrafung.
Voraussetzung für die Strafbefreiung ist ein vom Verschulden wie von den Tatfolgen her unerhebliches Verhalten des Täters. Dieses ist aufgrund eines Quervergleichs zu typischen unter dieselbe Gesetzesbestimmung fallenden strafbaren Handlungen zu beurteilen. Bei der Würdigung des Verschuldens sind sämtliche relevanten Strafzumessungskomponenten mit Einschluss der Täterkomponenten zu berücksichtigen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 135 IV 130 S. 131
A.
Das Obergericht des Kantons Solothurn erklärte X. (Beschwerdegegner 1) mit Urteil vom 8. Juli 2008 in zweiter Instanz der mehrfachen Urkundenfälschung im Amt, begangen am 30. Oktober 1996 und im Herbst 1996, sowie der Anstiftung zur Urkundenfälschung, begangen am 15. November 1996, schuldig. Von einer Bestrafung sah es ab. Vom Vorwurf der Erschleichung einer falschen Beurkundung sprach es X. frei. Ferner erklärte es Y. (Beschwerdegegner 2) der Urkundenfälschung, begangen zwischen dem 20. November 1996 und dem 29. November 1996, schuldig und sah auch in Bezug auf diesen von einer Bestrafung ab. Von der Anklage der Urkundenfälschung, der Gehilfenschaft zur Erschleichung einer falschen Beurkundung, der Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung sowie der mehrfachen Urkundenfälschung sprach es Y. frei. Im Weiteren sprach es ihm eine durch die Gerichtskasse auszahlbare Entschädigung für erlittene Nachteile (Genugtuung) von pauschal Fr. 2'000.- zu. Schliesslich entschied es über die Nebenpunkte und die geltend gemachte Zivilforderung.
B.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt Beschwerde beim Bundesgericht, mit der sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Strafsache sei zur Verurteilung von Y. wegen Urkundenfälschung sowie zur Ausfällung einer schuldangemessenen Strafe für X. und Y. an die Vorinstanz zurückzuweisen.
C.
Das Obergericht des Kantons Solothurn, X. und Y. beantragen in ihren Vernehmlassungen je die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin rügt im Weiteren eine unrichtige Anwendung von
Art. 52 StGB
. Die Vorinstanz habe bei beiden Beschwerdegegnern zu Unrecht von einer Bestrafung abgesehen.
BGE 135 IV 130 S. 132
5.1.1
In Bezug auf den Beschwerdegegner 1 macht sie geltend, die Tatbestände der Urkundenfälschung im Amt und der Anstiftung zur Urkundenfälschung, begangen durch einen öffentlichen Notar und Anwalt, stellten von vornherein keine Bagatelldelikte dar, auf welche die Bestimmung von
Art. 52 StGB
Anwendung finden könnte. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz seien im zu beurteilenden Fall auch die Tatfolgen nicht geringfügig. Durch eine Urkundenfälschung im Amt im Sinne von
Art. 317 StGB
würden nicht Rechte Dritter tangiert, sondern Treu und Glauben im Rechtsverkehr sowie das besondere Vertrauen, welches die Öffentlichkeit den Amtshandlungen des Staates entgegenbringe. Allein schon die Tatsache, dass ein öffentlicher Notar bei Ausübung seiner Funktion Urkunden fälsche, schädige das Vertrauen in die Verlässlichkeit dieser Berufsgruppe und somit auch das Vertrauen des Bürgers in den Staat in einer Weise, dass der Erfolgsunwert keinesfalls als geringfügig angesehen werden könne. Zudem sei auch das Verschulden des Beschwerdegegners 1 nicht geringfügig. Dies ergebe sich daraus, dass er einen Treuhänder zu einer Urkundenfälschung angestiftet habe, um seine eigene Fälschungshandlung zu vertuschen. Es liege auf der Hand, dass er dabei aus egoistischen Beweggründen gehandelt habe. Selbst die Vorinstanz nehme an, es sei unbegreiflich, weshalb der Beschwerdegegner 1 nicht mit den beiden Generalversammlungen zugewartet habe. Schliesslich komme dem Strafmilderungsgrund von
Art. 48 lit. e StGB
keine Bedeutung zu. Dass sich das Strafbedürfnis infolge der seit der Tat verstrichenen Zeit verringere, führe lediglich zu einer Milderung der Strafe. Das Mass des Verschuldens werde davon nicht berührt. Dasselbe gelte für allfällige Auswirkungen der Strafe auf das Leben des Beschwerdegegners 1.
5.1.2
Auch in Bezug auf den Beschwerdegegner 2 macht die Beschwerdeführerin geltend, die einzelnen Tathandlungen liessen kein leichtes Verschulden erkennen. Die Vorinstanz habe die Rückdatierung der Prüfungsbestätigung nicht als besonders leichten Fall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
qualifiziert. In denjenigen Fällen, in denen das Gesetz bei einem bestimmten Tatbestand auch eine Tatbestandsvariante im Sinne eines leichten oder besonders leichten Falles vorsehe, bleibe beim Grundtatbestand kein Raum für die Anwendung von
Art. 52 StGB
. Soweit das Gesetz besonders leichte Fälle bezüglich der Strafzumessung privilegiere, aber dennoch unter Strafe stelle, bringe es zum Ausdruck, dass die normalen Fälle nie
BGE 135 IV 130 S. 133
als Bagatelldelikt im Sinne von
Art. 52 StGB
gelten könnten und daher immer zu bestrafen seien. Im Übrigen sprächen im zu beurteilenden Fall auch die Täterkomponenten nicht in besonderem Masse für den Beschwerdegegner 2.
5.2
5.2.1
Die Vorinstanz beurteilt im Rahmen der Strafzumessung das Verschulden des Beschwerdegegners 1 als eher leicht. Er habe zwar mehrere, teilweise öffentliche Urkunden gefälscht und damit Treu und Glauben im Rechtsverkehr nicht unerheblich verletzt. Doch sei dies mit der Subsumtion des Verhaltens unter den entsprechenden Tatbestand abgegolten. Nachteilige Folgen der Taten für Dritte seien nicht erkennbar, und es habe auch keinerlei entsprechende Gefährdung bestanden. Zudem hätten die Unterlagen im Zeitpunkt der Anmeldung an das Handelsregisteramt vollständig vorgelegen und die Beteiligten seien mit der nachträglichen Änderung der Firmenbezeichnung in F. AG einverstanden gewesen. Dies ändere zwar nichts an der Strafbarkeit des Verhaltens, mindere aber das Verschulden. Die Vorinstanz attestiert dem Beschwerdegegner 1 ferner einen ungetrübten Leumund und mildert die Strafe in Anwendung von
Art. 48 lit. e StGB
aufgrund der seit den strafbaren Handlungen verstrichenen langen Zeitdauer deutlich.
Weiter nimmt die Vorinstanz an, im Quervergleich zu anderen denkbaren Fällen von Urkundenfälschungen im Amt erschienen die zu beurteilenden Delikte vom Verschulden wie von den Tatfolgen her als leicht und unerheblich. Es handle sich geradezu um einen Idealfall einer unter
Art. 52 StGB
fallenden Delinquenz. Wenn weiter berücksichtigt werde, dass der Beschwerdegegner 1 unter dem seit fünf Jahren dauernden Strafverfahren besonders gelitten habe, da er seine Klienten darüber habe aufklären müssen, sei nebst dem Schuldspruch als Unwerturteil, das beim Beschwerdegegner 1 als Rechtsanwalt und Notar bereits erheblich sanktionierende Auswirkungen habe, kein Strafbedürfnis mehr erkennbar. Dies gelte umso mehr, wenn man die besonderen Folgen für den Beschwerdegegner 1 als Rechtsanwalt bedenke. Denn aufgrund der Bestimmung von
Art. 8 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935. 61)
hätte ein Eintrag ins Strafregister die Löschung im Anwaltsregister zur Folge, was für den Beschwerdegegner 1 für die Dauer der 2 Jahre dauernden Probezeit faktisch ein weitgehendes Berufsverbot bedeuten würde. Dies erscheine aufgrund der
BGE 135 IV 130 S. 134
Geringfügigkeit der Verfehlung in jeder Hinsicht als untragbare Folge der Strafe. Aus diesen Gründen sei auf die Ausfällung einer Strafe zu verzichten, womit auch ein Eintrag des Urteils im Strafregister entfalle (
Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB
).
5.2.2
In Bezug auf den Beschwerdegegner 2 nimmt die Vorinstanz im Rahmen der rechtlichen Würdigung zunächst an, die strafbaren Handlungen des Beschwerdegegners 2 erfüllten den privilegierten Tatbestand des besonders leichten Falles gemäss
Art. 251 Ziff. 2 StGB
nicht. Zwar hätten der Falschbeurkundung keine finanziellen Beweggründe zugrunde gelegen. Angesichts der Bedeutung der Prüfungsbestätigung im Rechtsverkehr und des Ausmasses der Abweichung der Fälschung von der wahren Sachlage könne ein besonders leichter Fall indes nicht bejaht werden.
Im Rahmen der Strafzumessung wertet die Vorinstanz das Verschulden des Beschwerdegegners 2 als leicht. Er habe auf Wunsch des Beschwerdegegners 1 gehandelt, ohne eigene Vorteile anzustreben. Ausserdem wiege die Rückdatierung der Prüfungsbestätigung als Straftat im Vergleich mit dem Regelfall als eher leicht. Auch beim Beschwerdegegner 2 berücksichtigt die Vorinstanz den unbelasteten Leumund als strafmindernd und mildert die Strafe aufgrund des Zeitablaufs im Sinne von
Art. 48 lit. e StGB
seit der Tat erheblich. Aufgrund seines leichten Verschuldens, der fehlenden Nachteile für Dritte und der seit der Tat verstrichenen Zeit sieht sie auch beim Beschwerdegegner 2 von der Ausfällung einer Strafe ab. Auch er sei durch den Schuldspruch als Unwerturteil stark belastet, habe doch aufgrund der Beschreibung in den Medien leicht auf seine Person geschlossen werden können. Schliesslich sei er auch erhöht strafempfindlich, da seine Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer durch einen Eintrag im Strafregister wegen Urkundenfälschung erheblich beeinträchtigt würde.
5.3
5.3.1
Im Rahmen der Strafzumessung steht dem urteilenden Gericht bei der Gewichtung der einzelnen Komponenten gemäss
Art. 47 StGB
ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts greift in diesen auf Beschwerde in Strafsachen u.a. nur ein, wenn das vorinstanzliche Gericht von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn es wesentliche Komponenten ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet
BGE 135 IV 130 S. 135
hat (
BGE 134 IV 17
E. 2.1; zum alten Recht:
BGE 129 IV 6
E. 6.1;
BGE 127 IV 101
E. 2; je mit Hinweisen).
5.3.2
Gemäss
Art. 52 StGB
sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig ("de peu d'importance"; "di lieve entità") sind. Die Bestimmung erfasst nach der Botschaft relativ unbedeutende Verhaltensweisen, welche die Schwere und Härte einer Strafe nicht verdienen (Botschaft vom 23. März 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...], BBl 1999 2063 Ziff. 213.31). Die Regelung von
Art. 52 StGB
ist zwingender Natur. Sind die Voraussetzungen erfüllt, muss die Behörde das Strafverfahren einstellen bzw. von einer Überweisung absehen. Stellt erst das Gericht die Voraussetzungen für das fehlende Strafbedürfnis fest, erfolgt nicht ein Freispruch, sondern ein Schuldspruch bei gleichzeitigem Strafverzicht (Botschaft, a.a.O., 2064 Ziff. 213.31; FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 20 zu
Art. 52 StGB
;
ders
., a.a.O., N. 26 vor
Art. 56 ff. StGB
; vgl. ferner
BGE 135 IV 27
E. 2 zu
Art. 53 StGB
).
Voraussetzung für die Strafbefreiung und Einstellung des Verfahrens gemäss
Art. 52 StGB
ist die Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (RIKLIN, a.a.O., N. 14 zu
Art. 52 StGB
). Die Würdigung des Verschuldens des Täters richtet sich nach den in
Art. 47 StGB
aufgeführten Strafzumessungskriterien (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
; DUPUIS UND ANDERE, Code pénal, Bd. I, 2008, N. 4 zu
Art. 52 StGB
; DANIEL JOSITSCH, Strafbefreiung gemäss
Art. 52 StGB
neu
und prozessrechtliche Umsetzung, SJZ 100/2004 S. 4). Der Begriff der Tatfolgen umfasst nicht nur den tatbestandsmässigen Erfolg, sondern sämtliche vom Täter verschuldete Auswirkungen der Tat (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
). Diese müssen stets gering sein. Schwerwiegendere Folgen können nicht durch andere, zu Gunsten des Betroffenen wirkende Komponenten ausgeglichen werden (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
).
5.3.3
Mit der Regelung von
Art. 52 StGB
hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, dass in allen Bagatellstraftaten generell auf eine strafrechtliche Sanktion verzichtet wird. Eine Strafbefreiung ("exemption de peine"; "impunità") kommt nur bei Delikten in Frage, bei denen keinerlei Strafbedürfnis besteht. Auch bei einem Bagatelldelikt kann daher wegen Geringfügigkeit von Schuld und
BGE 135 IV 130 S. 136
Tatfolgen eine Strafbefreiung nur angeordnet werden, wenn es sich von anderen Fällen mit geringem Verschulden und geringen Tatfolgen qualitativ unterscheidet. Das Verhalten des Täters muss im Quervergleich zu typischen unter dieselbe Gesetzesbestimmung fallenden Taten insgesamt - vom Verschulden wie von den Tatfolgen her - als unerheblich erscheinen, so dass die Strafbedürftigkeit offensichtlich fehlt. Die Behörde hat sich mithin am Regelfall der Straftat zu orientieren (RIKLIN, a.a.O., N. 15 f. zu
Art. 52 StGB
; GÜNTER STRATENWERTH, Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 7 N. 5; SCHWARZENEGGER UND ANDERE, Strafrecht II, 8. Aufl. 2007, S. 63; STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2007, N. 1 zu
Art. 52 StGB
; TRECHSEL/PAUEN BORER, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 2 zu
Art. 52 StGB
; DUPUIS UND ANDERE, a.a.O., N. 3 zu
Art. 52 StGB
; vgl. auch Botschaft, a.a.O., 2064 Ziff. 231.31; ferner für das österreichische Recht HANS VALENTIN SCHROLL, in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Wien 2000, N. 26 zu § 42 österr. StGB). Für die Anwendung der Bestimmung bleibt somit nur ein relativ eng begrenztes Feld (RIKLIN, a.a.O., N. 19 zu
Art. 52 StGB
).
5.3.4
Der Gesetzgeber hat schon vor Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches bei einzelnen Straftaten leichte oder besonders leichte Fälle privilegiert behandelt. So kann das Gericht etwa gemäss
Art. 251 Ziff. 2 StGB
bei besonders leichten Fällen von Urkundenfälschung die Strafe mildern und gemäss
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
in besonders leichten Fällen von Fahrlässigkeit bzw. gemäss
Art. 19a BetMG
(SR 812.121) in leichten Fällen des Konsums von Betäubungsmitteln von einer Strafe absehen (vgl. auch aArt. 322
octies
Ziff. 1 StGB). Die Rechtsprechung hat an die Bejahung des leichten Falles stets hohe Anforderungen gestellt und von einer Bestrafung nur Umgang genommen, wenn eine noch so geringe Strafe, weil dem Verschulden des Täters nicht angemessen, als stossend erschien (
BGE 114 IV 126
E. 2c [ad aArt. 251 Ziff. 3 StGB];
BGE 117 IV 302
E. 3b/cc; Urteil 6S.123/2007 vom 23.07.2007 E. 4.3 [ad
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
]; ferner
BGE 124 IV 184
E. 3,
BGE 124 IV 44
E. 2a;
BGE 106 IV 75
E. 2 [ad
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
]). Diese Rechtsprechung kann für die Anwendung von
Art. 52 StGB
als Leitlinie herangezogen werden (CÉDRIC PIGNAT, La fixation de la peine avant et après la révision de 2002, in: Droit des sanctions, André Kuhn und andere [Hrsg.], 2004, S. 41).
BGE 135 IV 130 S. 137
Der Umstand, dass das Gesetz bei einzelnen Tatbeständen leichte Fälle ausscheidet, bedeutet entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin indes nicht, dass
Art. 52 StGB
bei diesen Deliktsgruppen nicht zur Anwendung gelangen kann. Denn die Ausdifferenzierung leichter Fälle wirkt sich, worauf in der Lehre zutreffend hingewiesen wird, zugunsten der Täter aus, so dass es als widersprüchlich erschiene, wenn gerade in diesen Fällen die Möglichkeit einer Strafbefreiung im Sinne von
Art. 52 StGB
entfallen würde. In solchen Fällen ist eine Strafbefreiung gerechtfertigt, wenn die bei der Strafzumessung mit zu berücksichtigenden Täterkomponenten in besonderem Masse zugunsten des Beschuldigten sprechen (RIKLIN, a.a.O., N. 18 zu
Art. 52 StGB
).
5.4
Die Bestimmung von
Art. 52 StGB
trägt dem Umstand Rechnung, dass, auch wenn die Voraussetzungen der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens an sich erfüllt sind, ein Strafbedürfnis aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen entweder von vornherein fehlen oder nachträglich entfallen kann (STRATENWERTH, a.a.O., § 7 N. 1). Sie erfasst somit auch Fälle, bei denen im Zeitpunkt der Untersuchung oder der gerichtlichen Beurteilung ein Strafbedürfnis nicht mehr besteht. Dies ergibt sich daraus, dass für die Würdigung des Verschuldens nicht ausschliesslich auf die in
Art. 47 Abs. 2 StGB
aufgeführten konkretisierenden Umstände zu berücksichtigen sind. In die Entscheidung über die Geringfügigkeit der Schuld fliessen vielmehr sämtliche relevanten Strafzumessungskomponenten, mithin auch die Täterkomponenten wie das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse oder das Nachtatverhalten, mit ein (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
; vgl. für das österreichische Recht SCHROLL, a.a.O., N. 10 zu § 42 österr. StGB; für das deutsche Recht EDDA WESSLAU, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, N. 16 zu § 153 dt. StGB; WERNER BEULKE, in: Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Grosskommentar, 26. Aufl., Berlin 2008, N. 24, 27 zu § 153 dt. StGB). Berücksichtigt werden können darüber hinaus etwa auch eine durch überlange Verfahrensdauer bewirkte Verletzung des Beschleunigungsgebots (vgl. schon
BGE 117 IV 124
E. 4) und schuldunabhängige Strafmilderungsgründe, wie das Verstreichen verhältnismässig langer Zeit seit der Tat (RIKLIN, a.a.O., N.13 zu
Art. 52 StGB
; BEULKE, a.a.O., N. 34 zu § 153 dt. StGB).
5.5
Die Vorinstanz hat das Tatverschulden der Beschwerdegegner als leicht bzw. eher leicht gewertet. Dies ist nicht zu beanstanden.
BGE 135 IV 130 S. 138
So wiegen die vom Beschwerdegegner 1 zu verantwortenden Falschbeurkundungen im Zusammenhang mit der Neugründung der A. AG objektiv nicht schwer, zumal er weder einen materiellen Schaden bewirkt noch einen persönlichen Vorteil erlangt oder auch nur angestrebt hat. Dies gilt auch für den Beschwerdegegner 2, der die Falschdatierung des Prüfungsberichts lediglich auf Wunsch des Beschwerdegegners 1 vorgenommen hat. Zwar wendet die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zu Recht ein, dass die Tatbestände des Urkundenstrafrechts in erster Linie das Vertrauen schützen, welches im Rechtsverkehr einer Urkunde als einem Beweismittel entgegengebracht wird (vgl.
BGE 132 IV 12
E. 8.1;
BGE 131 IV 125
E. 4.1) und dass dieses Vertrauen beeinträchtigt wird, wenn ein öffentlicher Notar im Zusammenhang mit einer Gesellschaftsgründung in der öffentlichen Urkunde eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet bzw. ein Treuhänder zur Deckung der unzulässigen Gründung eine Prüfungsbestätigung falsch datiert. Auch ist der Vorinstanz beizupflichten, wenn sie feststellt, die beiden Beschwerdegegner hätten aufgrund ihrer Fachkompetenz und ihres beruflichen Hintergrundes ohne weiteres regelkonform handeln können. Die Vorinstanz hat denn auch hinsichtlich des Beschwerdegegners 2 zutreffend einen Bagatellfall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
verneint. Doch erweist sich das Verschulden der Beschwerdegegner im zu beurteilenden Fall im Quervergleich mit Taten gleicher Art immer noch als gering.
Zu Recht weist die Vorinstanz auch auf die erhöhte Strafempfindlichkeit der Beschwerdegegner hin, welche bei einer Verurteilung mit disziplinarischen Massnahmen rechnen müssen. Das gilt namentlich für den Beschwerdegegner 1, dem bei einem Eintrag einer Strafe im Strafregister die Löschung aus dem Anwaltsregister drohen würde (
Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB
; Art. 9 i.V.m.
Art. 8 Abs. 1 lit. b BGFA
; hinsichtlich des Beschwerdegegners 2 vgl. Art. 17 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a RGA; generell zur Folgenberücksichtigung in der Strafzumessung vgl. HANS WIPRÄCHTIGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 120, 123 f. zu
Art. 47 StGB
). Zwar führt auch dieser Gesichtspunkt für sich allein nicht zur Annahme eines fehlenden Strafbedürfnisses, da diese Folgen zwangsläufig mit einem Strafverfahren, das mit einer Verurteilung zu einer Strafe endet, verbunden sind. Doch kommt ihm in Verbindung mit den anderen Faktoren Bedeutung zu.
BGE 135 IV 130 S. 139
Schliesslich berücksichtigt die Vorinstanz zu Recht, dass die Strafe aufgrund des Umstands, dass seit den Straftaten nunmehr gut 12 Jahre verstrichen sind und die Beschwerdegegner sich in dieser Zeit wohl verhalten haben, in Anwendung von
Art. 48 lit. e StGB
erheblich gemildert werden müsste. Dieser Umstand vermindert schon für sich allein das Strafbedürfnis in erheblichem Ausmass. Die Verbindung dieses Strafmilderungsgrundes mit den geringen Tatfolgen, dem geringfügigen Verschulden der Beschwerdegegner und ihrer erhöhten Strafempfindlichkeit führt dazu, dass ein Strafbedürfnis bei beiden Beschwerdegegnern vollends verneint werden muss. Die Vorinstanz hat daher bei beiden Beschwerdegegnern zu Recht von der Aussprechung einer Strafe abgesehen. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass sie sich dabei von rechtlich nicht massgeblichen Gesichtspunkten hätte leiten lassen oder wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte. Sie hat daher ihr Ermessen nicht verletzt.
Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1f12e9e-e91d-4b11-9a72-130073f701cf | Urteilskopf
105 III 48
11. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 6. September 1979 i.S. W. B. (Rekurs) | Regeste
Lohnpfändung für Unterhaltsansprüche.
Der für Unterhaltsbeiträge betriebene Schuldner, dessen Verdienst den Notbedarf einschliesslich der für den Unterhalt des Gläubigers notwendigen Alimente nicht deckt, muss sich einen Eingriff in sein Existenzminimum gefallen lassen, der so zu bemessen ist, dass sich Gläubiger und Schuldner im gleichen Verhältnis einschränken müssen (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 48
BGE 105 III 48 S. 48
A.-
In der Betreibung Nr. 10351, die P. B. gegen ihren Ehemann W. B. für Unterhaltsansprüche im Betrag von Fr. 4'730.- angehoben hatte, pfändete das Betreibungsamt Luzern am 22. Januar 1979 vom Erwerbseinkommen des Schuldners für die Dauer eines Jahres Fr. 412.- pro Monat. Bei der Berechnung der pfändbaren Quote ging das Betreibungsamt davon aus, dass das Einkommen des Schuldners Fr. 1'000.- und sein Existenzminimum Fr. 1'140.- pro Monat betrage, während sich die Alimentenforderung der Gläubigerin für sich und das Kind des Schuldners auf monatlich Fr. 800.- belaufe.
B.-
Gegen die Pfändung beschwerte sich der Schuldner am 22. Juni 1979 beim Amtsgerichtspräsidenten III von Luzern-Stadt als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs. Dieser wies die Beschwerde am 29. Juni 1979 ab. Hierauf gelangte der Schuldner an das Obergericht des Kantons Luzern als obere kantonale Aufsichtsbehörde, wurde jedoch mit Entscheid vom 9. August 1979 ebenfalls abgewiesen.
BGE 105 III 48 S. 49
C.-
Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt der Schuldner, die am 22. Januar 1979 vorgenommene Verdienstpfändung sei als nichtig, eventuell als ungültig zu erklären.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Der Rekurrent hat seine Beschwerde an die Aufsichtsbehörde erst nach Ablauf der zehntägigen Beschwerdefrist des
Art. 17 Abs. 2 SchKG
eingereicht. Bei dieser Sachlage könnte die Pfündung nur aufgehoben werden, wenn sie nichtig wäre. Nichtig ist eine Verdienstpfändung dann, wenn sie offensichtlich krass in das Existenzminimum des Schuldners eingreift und diesen dadurch in eine absolut unhaltbare Lage zu versetzen droht (
BGE 97 III 11
mit Hinweisen). Diese Voraussetzung wäre im vorliegenden Fall an sich erfüllt, da dem Rekurrenten bei einem Notbedarf von Fr. 1'140.- nach Ablieferung der gepfändeten Verdienstquote monatlich nur Fr. 588.- verbleiben.
Der Rekurrent übersieht aber, dass besondere Regeln gelten, wenn wie im vorliegenden Fall Unterhaltsansprüche in Betreibung gesetzt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, auf die sich das Betreibungsamt und die kantonalen Aufsichtsbehörden stützen, muss sich der für Unterhaltsbeiträge betriebene Schuldner, dessen Verdienst den Notbedarf einschliesslich der für den Unterhalt des Gläubigers notwendigen Alimente nicht deckt, einen Eingriff in sein Existenzminimum gefallen lassen, der so zu bemessen ist, dass sich der Schuldner und der Gläubiger im gleichen Verhältnis einschränken müssen (
BGE 87 III 9
,
BGE 86 III 14
,
BGE 78 III 66
,
BGE 71 III 177
/178,
BGE 68 III 28
, 106,
BGE 67 III 138
). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Rekurrent nicht auseinander. Weder macht er geltend, die in Betreibung gesetzte Unterhaltsforderung stamme nicht aus dem letzten Jahr vor Zustellung des Zahlungsbefehls (vgl.
BGE 87 III 7
), noch behauptet er, die Gläubigerin und das bei ihr wohnende Kind seien zur Deckung ihres Notbedarfs nicht auf die Alimente angewiesen (vgl.
BGE 68 III 28
, 106). Er beanstandet auch die Berechnung nicht, die das Betreibungsamt bei der Ermittlung der pfändbaren Quote unter Verwendung der üblichen Formel vorgenommen hat. Dass er mit Fr. 588.-
BGE 105 III 48 S. 50
pro Monat nicht menschenwürdig leben kann, trifft zwar zu. Einen verhältnismässig gleich schweren Eingriff in das Existenzminimum müssen sich aber auch seine Frau und sein Kind gefallen lassen, die sich mit Fr. 412.- anstelle der ihnen zugesprochenen Fr. 800.- monatlich begnügen müssen. Der für Unterhaltsbeiträge betriebene Schuldner hat keinen Anspruch darauf, davor bewahrt zu werden, die öffentliche Fürsorge eher als der Alimentengläubiger in Anspruch nehmen zu müssen (BGE 78 lII 67).
Der Rekurs erweist sich somit als unbegründet. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
f1f14eaf-ff93-4fca-b410-53b4e7f0109a | Urteilskopf
84 II 174
26. Arrêt de la Ire Cour civile du 3 mars 1958 dans la cause Institut central des sociétés financières contre Union des usines et des exploitations forestières de Nasic SA | Regeste
Kraftloserklärung von Inhaberaktien, Ausstellung neuer Titel, Art. 971/2, 981 ff. OR.
Wirkungen der Kraftloserklärung vermisster Titel; Rechtsnatur des Begehrens um Ausstellung von Ersatztiteln (Erw. 1).
Unzulässigkeit der Berufung gegen den Entscheid des kantonalen Richters, zur Beurteilung eines solchen Begehrens sei eine andere kantonale Behörde zuständig (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 174
BGE 84 II 174 S. 174
A.-
L'Union des usines et des exploitations forestières de Nasic SA (en abrégé: Nasic) est une société anonyme qui a son siège à Genève. Ses actions sont au porteur.
L'Institut central des sociétés financières, à Budapest (en abrégé: Institut central), est un établissement de l'Etat hongrois. De février à avril 1952, des citoyens hongrois ou leurs curateurs lui ont cédé un grand nombre d'actions de Nasic, sans pouvoir cependant représenter ces titres, qui avaient été perdus pendant la guerre.
L'Institut central a demandé au Président du Tribunal de première instance de Genève d'annuler 13874 actions de Nasic. Après avoir procédé selon les art. 983 et suiv. CO, ce magistrat a annulé 11884 actions de Nasic et ordonné
BGE 84 II 174 S. 175
à celle-ci de remettre à l'Institut central les titres de remplacement correspondants.
Nasic a formé opposition, en alléguant que les cessions invoquées par le requérant étaient en réalité des actes de spoliation contraires à l'ordre public suisse.
Statuant sur appel, la Cour de justice civile du canton de Genève a déclaré l'opposition de Nasic recevable, annulé les décisions du Président du Tribunal et renvoyé la cause à ce magistrat pour qu'il statue sur le fond après avoir procédé à une information complémentaire. Elle a considéré notamment que la procédure d'annulation des titres était une procédure contentieuse, où le débiteur intervenait comme défendeur, et que la délivrance de nouveaux titres pouvait être requise en même temps que l'annulation des anciens.
L'Institut central a recouru en réforme au Tribunal fédéral, en demandant que l'opposition de Nasic soit déclarée irrecevable et que les titres en cause soient annulés. Il déclarait en outre qu'il était prêt à présenter une seconde requête pour obtenir de nouveaux titres ou le paiement de la dette.
Le Tribunal fédéral a statué par arrêt du 27 mars 1956 (RO 82 II 224). La procédure d'annulation - a-t-il exposé en substance - ressortit à la procédure gracieuse, de sorte que personne ne peut intervenir en qualité de défendeur; un droit d'opposition appartient toutefois à ceux qui font valoir sur le titre lui-même des droits qu'ils perdraient s'il était annulé; enfin, ce n'est qu'une fois l'annulation prononcée que le requérant peut demander qu'un nouveau titre lui soit remis ou que la dette lui soit payée; or, en l'espèce, Nasic ne fait valoir aucun droit sur les actions en cause, de sorte que son opposition n'était pas recevable. Par conséquent, tout en donnant acte à l'Institut central de son offre de présenter une seconde requête, le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé l'arrêt attaqué et prononcé l'annulation des 11884 actions.
B.-
Le 11 avril 1957, l'Institut central a présenté au
BGE 84 II 174 S. 176
Président du Tribunal de première instance de Genève une demande de mesure provisionnelle dans laquelle il concluait à ce que Nasic se vît ordonner de lui délivrer 11072 titres de remplacement. Il déclarait en effet renoncer provisoirement à obtenir de tels titres pour 812 des actions qui avaient été annulées.
Nasic a conclu à l'irrecevabilité de la requête, en déclarant qu'elle contestait les droits de l'Institut central et que le litige devait être tranché par les tribunaux ordi.
naires.
Par décision du 23 mai 1957, le Président du Tribunal s'est déclaré incompétent pour connaître des questions litigieuses et il a renvoyé les parties à mieux agir. Il a considéré, en bref, que la délivrance de nouveaux titres ne suivait pas automatiquement l'annulation des anciens; que cette mesure touchait au fond du droit et qu'en la prenant le juge statuait définitivement sur les droits du requérant; que, dans cette procédure, il devait donc pouvoir examiner tous les moyens libératoires du débiteur et ordonner au besoin une administration de preuve complète; qu'il s'agissait dès lors d'une procédure contentieuse ressortissant aux tribunaux ordinaires.
C.-
Contre cette décision, l'Institut central recourt en réforme au Tribunal fédéral en reprenant les conclusions qu'il a formulées dans l'instance cantonale.
Nasic propose que le recours soit déclaré irrecevable et, subsidiairement, qu'il soit rejeté.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Comme le Tribunal fédéral l'a déjà exposé dans son arrêt du 27 mars 1956, l'annulation prononcée selon les art. 971 et 986 al. 1 CO prive le titre de la légitimation formelle qu'il donne à son possesseur. Elle replace le requérant dans la situation où il se trouverait s'il détenait encore le papier-valeur, mais elle ne lui confère pas de nouveau droit envers le débiteur. Celui-ci ne subit aucune atteinte dans sa situation juridique et conserve toutes les
BGE 84 II 174 S. 177
exceptions qu'il pouvait opposer à la partie requérante lorsqu'elle possédait encore le titre. Il peut donc contester l'existence même du droit qui était incorporé dans le papier-valeur ou nier que le requérant en soit le titulaire. En particulier, si l'annulation n'est pas demandée par celui qui a perdu le titre mais par un ayant cause, le débiteur peut exciper du fait que le droit n'a pas été transféré valablement.
Après l'annulation, il est évident que le débiteur doit être admis à soulever toutes ses exceptions lorsque celui qui a obtenu cette mesure fait directement valoir ses droits envers lui, par exemple en demandant le paiement de la dette exigible. Mais il en est de même si c'est la création d'un nouveau titre qui est requise. En effet, ni l'art. 972 ni l'art. 986 CO ne font de différence entre la faculté pour le requérant d'exercer ses droits et celle de demander la délivrance d'un titre de remplacement. En outre, cette dernière mesure constitue une reconnaissance de dette; or on ne saurait y obliger le débiteur sans qu'il ait pu soulever les exceptions dont il dispose. Bien plus, en transférant le nouveau papier-valeur à un acquéreur de bonne foi, le requérant aurait la possibilité, s'il s'agit d'un titre à ordre ou au porteur, de priver le débiteur des exceptions que celui-ci a contre lui personnellement (art. 979 al. 2 et 1007 CO). Dès lors, il ne suffit pas que le débiteur puisse soulever ses exceptions au moment où la personne qui a obtenu l'annulation ou son ayant cause fait valoir des droits en se fondant sur le titre de remplacement. Il doit pouvoir le faire dès que la délivrance d'un nouveau papier-valeur est demandée.
Ainsi, cette dernière mesure ne fait plus partie de la procédure d'annulation, qui est une procédure gracieuse, dans laquelle le débiteur ne peut intervenir en qualité de défendeur ou d'opposant. Si le débiteur refuse de créer un titre de remplacement, celui qui a obtenu l'annulation doit l'actionner en justice, dans une procédure contentieuse qui permette aux deux parties de faire valoir tous leurs
BGE 84 II 174 S. 178
droits. C'est du reste ce qu'a dit le Tribunal fédéral en exposant, dans son arrêt du 27 mars 1956, que la délivrance des nouveaux titres ne pouvait être ordonnée dans la même procédure que l'annulation, mais exigeait la présentation d'une seconde requête.
2.
En l'espèce, cependant, le Président du Tribunal n'a pas statué sur le fond du droit. Il a, il est vrai, considéré dans ses motifs que la demande de l'Institut central posait des questions de fond qui relevaient du droit fédéral. Mais les considérants ne participent pas, en règle générale, à l'autorité de la chose jugée et, si ce principe souffre des exceptions, aucune d'elles n'est donnée en l'occurrence. Ainsi, le juge genevois s'est en définitive prononcé seulement sur sa compétence; il l'a niée et a renvoyé l'Institut central à mieux agir. Celui-ci conserve donc tous ses droits et la faculté de les faire valoir devant le juge. Dans ces conditions, le jugement attaqué n'est pas une décision finale donnant ouverture au recours en réforme selon l'art. 48 OJ.
L'art. 49 OJ permet, il est vrai, de recourir en réforme contre certaines décisions préjudicielles ou incidentes pour violation des prescriptions de droit fédéral au sujet de la compétence à raison de la matière ou du lieu. Toutefois, la question de savoir quelle juridiction genevoise est compétente pour connaître de la demande de l'Institut central ressortit exclusivement à la procédure cantonale. En niant sa compétence, le Président du Tribunal n'a donc pu violer aucune prescription de droit fédéral.
Dès lors, le recours est irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f1f36a2c-1e2d-45aa-819c-bd6bab75b58a | Urteilskopf
123 V 53
11. Auszug aus dem Urteil vom 20. Februar 1997 i.S. Bundesamt für Militärversicherung gegen B. und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau | Regeste
Art. 16 Abs. 2 MVG
.
Hat die Militärversicherung bei einem bei ihr versicherten Festungswächter, bei dem nach der Methode der Aurikulomedizin eine Amalgamunverträglichkeit diagnostiziert wurde, für die Kosten von Diagnose und Behandlung (Amalgamentfernung, Quecksilberausscheidung) aufzukommen? - Ausführungen zu Entstehung und Tragweite des Wirkungsnachweises gemäss
Art. 16 Abs. 2 MVG
unter Hinweis auf andere Sozialversicherungszweige (insbesondere
Art. 32 KVG
). | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 123 V 53 S. 54
A.-
Der 1948 geborene B. steht seit April 1983 im Dienste des Festungswachtkorps. Aufgrund verschiedener Beschwerden (Sprunggelenksarthrose; Innenohrschwerhörigkeit; chronisches Lumbovertebralsyndrom; Zervikalbrachialsyndrom; chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen) lässt er sich seit längerer Zeit ärztlich behandeln, so unter anderem auch wegen mehrjähriger dumpfer Schmerzen im rechten Oberkiefer. Der deswegen aufgesuchte Zahnarzt (Dr. med. dent. G.) verwies B. zur Abklärung einer allfälligen Amalgamunverträglichkeit an Dr. med. S. Nach durchgeführter aurikulomedizinischer Untersuchung erkannte diese Ärztin auf "Quecksilberunverträglichkeit mit Amalgam - Störfeld Typ I am Zahn 16", weshalb sie die zahnärztliche Amalgamsanierung mit anschliessender medikamentöser Quecksilberentfernung empfahl. Nachdem dem Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) hierüber mit Anmeldung vom 31. August 1992 Bericht erstattet worden war und der behandelnde Zahnarzt im Dezember 1992 mit der Entfernung des Amalgams begonnen hatte, teilte das BAMV dem Versicherten mit Schreiben vom 26. Januar 1993 mit, dass es die Kostenübernahme als fraglich erachte, weil der Erfolg der Amalgamentfernung nicht wissenschaftlich belegt sei. Nach Erhalt eines vom behandelnden Zahnarzt gestellten Gesuchs um Kostenübernahme, worin auf die mit der Behandlung eingetretene spontane Besserung des Gesundheitszustandes verwiesen wurde, wandte sich das BAMV durch die Kreisärztin (Dr. med. F.) mit der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der durchgeführten Unverträglichkeitsmessung und der Indikation der Amalgamentfernung an Dr. med. dent. R. Dieser hielt in seinem Bericht vom 15. Juli 1993 fest, dass er die Amalgamentfernung mit anschliessender Schwermetallausleitung - aufgrund eigener Untersuchung - eindeutig als indiziert erachte, weil bei B. eine Amalgamunverträglichkeit bestehe, dies "aber nicht im Sinne einer Allergie, sondern in Form einer Mikrointoxikation". Im weiteren räumte er ein, dass die Methode der Aurikulomedizin "immer noch als wissenschaftlich nicht belegt" gelte.
Mit Erledigungsvorschlag vom 11. Oktober 1993 lehnte das BAMV die Übernahme der Kosten der Amalgamentfernung und Quecksilberausscheidung ab. Hieran hielt das Amt nach Beizug einer Stellungnahme seines Chefarztes (Dr. med. M.) vom 29. November 1993 mit Einspracheentscheid vom 19. Januar 1994 fest.
B.-
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit der B. im wesentlichen die Übernahme der durch die Diagnose der Unverträglichkeit (Fr. 766.70) und die
BGE 123 V 53 S. 55
Entfernung des Amalgams (Fr. 7'490.20) angefallenen Kosten beantragen liess, hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 7. Dezember 1994 gut. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass die Entfernung der Amalgamfüllungen und die Quecksilberausscheidung aufgrund der Behandlungsergebnisse medizinisch indiziert gewesen seien. Damit könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass die Krankheitssymptome auf die Amalgamfüllungen zurückgingen, wobei unerheblich bleibe, ob eine Allergie oder eine Mikrointoxikation vorgelegen habe. Im weiteren liess das Verwaltungsgericht den vom BAMV erhobenen Einwand der fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung nicht gelten. Zum einen räume das MVG dem zugelassenen Therapeuten eine gewisse Methodenfreiheit ein, zumal damit - gemäss gesetzgeberischer Absicht - auch künftigen neuen Erkenntnissen über diagnostische und therapeutische Mittel und Methoden Rechnung getragen werden könne. Daraus folge, dass Amalgamentfernung und Quecksilberausscheidung nicht von vornherein als ungeeignet für therapeutische Zwecke und somit als unwissenschaftlich qualifiziert werden könnten. Zum andern sei sich die Lehre darin einig, dass bei Unverträglichkeitserscheinungen zufolge Amalgams die entsprechenden Zahnfüllungen entfernt werden müssten.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das BAMV die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides im wesentlichen mit der Begründung, eine Amalgamunverträglichkeit sei nicht erstellt und die erfolgte Entfernung des Amalgams könne nicht als wissenschaftlich gesicherte Therapie gelten.
B. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. (...).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 16 Abs. 1 MVG
in der seit dem 1. Januar 1994 geltenden totalrevidierten Fassung hat der Versicherte Anspruch auf eine zweckmässige und wirtschaftliche Heilbehandlung, die geeignet ist, seinen Zustand oder seine Erwerbsfähigkeit zu verbessern oder vor weiterer Beeinträchtigung zu bewahren. Die Heilbehandlung umfasst nach
Art. 16 Abs. 2 MVG
namentlich die medizinische Untersuchung und Behandlung sowie die Pflege, (...), mit Einschluss der Analysen, der Arzneimittel und der weitern zur Therapie
BGE 123 V 53 S. 56
erforderlichen Mittel und Gegenstände (Satz 1). Untersuchung und Behandlung haben mit Mitteln und nach Methoden zu erfolgen, für die der Wirkungsnachweis erbracht ist (Satz 2).
b) Mit welchen Mitteln der Wirkungsnachweis gemäss
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG
im einzelnen zu erbringen ist, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Ebensowenig vermag in dieser Frage die in den Materialien dokumentierte Entstehungsgeschichte Aufschluss zu vermitteln. Zu Art. 15 Abs. 1 des Entwurfs, der vollumfänglich dem Gesetz gewordenen
Art. 16 Abs. 1 MVG
entspricht, findet sich in der bundesrätlichen Botschaft vom 27. Juni 1990 der Hinweis, dass damit ein in der Sozialversicherung allgemein anerkannter Grundsatz verankert werde, wonach der Versicherte auf eine angemessene ("zweckmässige und wirtschaftliche"), nicht aber auf eine maximale Behandlung Anspruch habe. Was sodann die einzelnen Mittel und Methoden einer wirksamen Heilbehandlung anbelange, werde der Rahmen in Absatz 2 (von
Art. 16 MVG
) bewusst weit gefasst, um auch in Zukunft neuen Erkenntnissen über diagnostische und therapeutische Mittel und Methoden rechtzeitig Rechnung tragen zu können (BBl 1990 III 230; vgl. LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, Bern 1994, § 29 Rz. 14). In diesem Zusammenhang gelangte denn auch an der Sitzung der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit vom 31. Januar 1991 unwidersprochen zum Ausdruck, dass
Art. 16 Abs. 2 MVG
die Übernahme sinnvoller komplementärmedizinischer Heilmassnahmen ermögliche, wobei mit dem - nicht für jede Behandlung, sondern vor allem bei neuen Methoden zu erbringenden - Wirkungsnachweis denkbaren Missbräuchen vorgebeugt werden könne (vgl. Voten Schwegler und Schoch, S. 3 f. des Protokollauszugs).
c) Nach der Weisung des BAMV Nr. 10 über die Heilbehandlung vom 30. Juni 1993, in Kraft seit 1. Januar 1994, gilt der Wirkungsnachweis im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG
als erbracht, wenn die betreffende Untersuchungs- und Behandlungsmethode von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Entscheidend sind dabei das Ergebnis der Erfahrungen und der Erfolg einer bestimmten Therapie (Rz. 14). Im Interesse des Versicherten kann ausnahms- und versuchsweise eine komplementäre Heilmethode (Akupunktur, Homöopathie etc.), deren Wirkungsnachweis nicht erbracht ist, von der Militärversicherung bewilligt und übernommen werden (Rz. 15).
d) Im Schrifttum zum früheren MVG in der Fassung vom 20. September 1949 wird zu
Art. 16 aMVG
("Der Versicherte hat Anspruch auf ärztliche
BGE 123 V 53 S. 57
Behandlung, Arznei und andere zur Heilung und zur Verbesserung seiner Arbeitsfähigkeit dienende Mittel und Gegenstände...") im wesentlichen übereinstimmend ausgeführt, dass der Anspruch auf Heilbehandlung bzw. Krankenpflege im Gesetz nicht erschöpfend umschrieben sei. Grundsätzlich würden alle Behandlungen erfasst, die geeignet seien, die Heilung der Gesundheitsschädigung herbeizuführen, den Zustand eines Patienten zu verbessern, eine Verschlimmerung zu verhüten oder zu verzögern oder sonst das Los des Patienten zu mildern. Der Versicherte könne daher nur die angezeigt erscheinenden Leistungen verlangen, was im konkreten Fall eine rein medizinische Frage sei. Was sodann die in
Art. 16 Abs. 1 aMVG
nebst der ärztlichen Behandlung und Arznei erwähnten Mittel und Gegenstände anbelange, fielen darunter alle Stoffe und Massnahmen zur Besserung oder Linderung von Gesundheitsschädigungen und Gebrechen wie etwa natürliche Heilmittel (Luft, Klima, Sonne), diätetische Massnahmen, physikalische Therapie, Psychotherapie usw. (vgl. zum Ganzen SCHATZ, Kommentar zur Eidg. Militärversicherung, Zürich 1952, S. 109 ff.; VIKTOR LENDI, Der Anspruch des Versicherten aus dem Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 20. September 1949, Zürcher Diss. 1970, S. 33 f.).
2.
a) Das in
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG
verankerte Erfordernis des Wirkungsnachweises findet sich in gleicher Form auch in Art. 15 Abs. 2 der vom Ständerat am 25. September 1991 verabschiedeten (Amtl.Bull. 1991 S 779) Vorlage zu einem Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 27. September 1990 (BBl 1991 II 185 ff.). Im Unterschied zur militärversicherungsrechtlichen Regelung sieht indes
Art. 15 Abs. 2 Satz 2 ATSG
zusätzlich ausdrücklich vor, dass der Bundesrat nach Anhören der von ihm bestellten Fachkommissionen für alle Sozialversicherungszweige Vorschriften über die Zulassung neuer oder umstrittener Mittel und Methoden der Untersuchung und Behandlung erlassen kann (BBl 1991 II 189 und 251). Dieser auf die Ermöglichung weitgehender Übereinstimmung in der Beurteilung neuer oder umstrittener diagnostischer und therapeutischer Mittel abzielende Vorschlag ist im Rahmen der vertieften bundesrätlichen Stellungnahme vom 17. August 1994 nicht näher erörtert worden. Er hat nur insofern eine Ergänzung erfahren, als der Bundesrat gemäss einem 3. Satz von
Art. 15 Abs. 2 ATSG
dafür sorgt, dass die Anbieter medizinischer Spitzenleistungen Evaluationsregister über
BGE 123 V 53 S. 58
Anwendungsform und Wirksamkeit ihrer Technologien führen (BBl 1994 V 921 ff., 933).
b) Der Wirkungsnachweis gemäss
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG
und
Art. 15 Abs. 2 ATSG
beruht auf einem an sich unbestrittenen Prinzip, dessen Anwendung jedoch in den einzelnen Zweigen des Sozialversicherungsrechts bislang recht unterschiedlich erfolgte (BBl 1991 II 251).
aa) Unter der bis Ende 1995 geltenden Ordnung des KUVG vom 13. Juni 1911 war die gesetzliche Leistungspflicht der Krankenkassen für Krankenpflege auf die vom Arzt vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten diagnostischen und therapeutischen Massnahmen und die wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen beschränkt (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a und b und Ziff. 2 KUVG; Art. 21 Abs. 1 Vo III über die Krankenversicherung vom 15. Januar 1965). Nach der hiezu ergangenen Rechtsprechung erfüllte eine Behandlungsmethode dann das Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung, wenn ihr diese von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis zuteil wurde. Entscheidend waren dabei das Ergebnis der Erfahrungen und der Erfolg einer bestimmten Therapie (
BGE 120 V 122
Erw. 1a, 211 Erw. 7a und 476 f. Erw. 4a,
BGE 119 V 28
f. Erw. 3a und RKUV 1996 Nr. K 975 S. 70 Erw. 7a und Nr. K 976 S. 81 Erw. 7a, je mit Hinweisen; JEAN-LOUIS DUC, Les assurances sociales en Suisse, Lausanne 1995, S. 210 Rz. 230, inkl. FN 309 und 310). War umstritten, ob eine diagnostische oder therapeutische Massnahme wissenschaftlich, zweckmässig und wirtschaftlich ist, so entschied das Eidg. Departement des Innern (EDI) nach Anhören der Eidg. Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung, ob die Massnahme als Pflichtleistung von den Krankenkassen übernommen werden musste (
Art. 12 Abs. 5 KUVG
in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 Vo III; vgl. Anhang zur Vo 9 des EDI vom 18. Dezember 1990). Desgleichen bezeichnete das EDI nach Anhören der Fachkommission die von den Kassen gemäss Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b und Ziff. 2 KUVG zu übernehmenden wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen (Art. 21a Vo III; vgl. Vo 7 des EDI vom 13. Dezember 1965).
Nach der unter dem KUVG ergangenen Rechtsprechung waren die Meinungsäusserungen der Eidg. Fachkommission für den Richter grundsätzlich nicht verbindlich. Wenn es allerdings darum ging, einen Sachverhalt zu würdigen, der ausschliesslich medizinische Überlegungen beschlug, so wurde der Richter im allgemeinen als nicht in der Lage erachtet zu beurteilen, ob
BGE 123 V 53 S. 59
die Schlussfolgerungen der Fachleute stichhaltig seien; er musste sich deshalb der Kommissionsmeinung anschliessen, sofern diese nicht unhaltbar schien (
BGE 120 V 123
Erw. 1a, 119 V 31 Erw. 4b mit Hinweisen; vgl. ferner DUC, a.a.O., S. 208 f. Rz. 228). Das Eidg. Versicherungsgericht hat sodann entschieden, dass in Fällen, in denen eine medizinische oder therapeutische Massnahme nicht im Anhang zur Vo 9 des EDI vom 18. Dezember 1990 (oder nunmehr im Anhang 1 zur KLV [vgl. hernach Erw. 2c/aa]) aufgeführt und ein entsprechendes Aufnahmeverfahren auch nicht im Gange ist, der Richter die zur Beurteilung der Wissenschaftlichkeit erforderlichen Abklärungen nach den Regeln des Untersuchungsgrundsatzes zu treffen hat (unveröffentlichtes Urteil G. vom 23. Mai 1996).
bb) Während für das KUVG der Grundsatz galt, dass die ärztliche Behandlung in diagnostischer wie in therapeutischer Hinsicht wissenschaftlich sein muss, und im übrigen auch bestimmt war, wer über die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung entscheidet, enthalten UVG und UVV keine entsprechende Regelung. Dennoch wird das Erfordernis der Wissenschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit auch im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung als selbstverständlich vorausgesetzt (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 289 f.; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 241 Ziff. II). Gemäss
Art. 10 Abs. 3 Satz 1 UVG
könnte der Bundesrat die Leistungspflicht der Versicherung näher umschreiben und damit unter anderem auch festlegen, welche Vorkehren als wissenschaftlich anerkannt gelten und wer im Zweifelsfall hierüber zu entscheiden hätte. Von dieser Befugnis hat er bis heute jedoch keinen Gebrauch gemacht, dies weil den betreffenden Fragen in der Unfallversicherung aufgrund von
Art. 48 Abs. 1 UVG
nicht dieselbe Bedeutung zuzukommen scheint wie in der Krankenversicherung. Denn nach dieser Bestimmung kann der Versicherer (...) die nötigen Anordnungen zur zweckmässigen Behandlung des Versicherten treffen. Er darf daher - aufgrund des in der obligatorischen Unfallversicherung geltenden Naturalleistungsprinzips (vgl. RKUV 1995 Nr. U 227 S. 190 mit Hinweis auf FRANÇOIS-X. DESCHENAUX, Le précepte de l'économie du traitement dans l'assurance maladie sociale..., in: Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 529 f.) - die diagnostischen und therapeutischen Massnahmen im Einzelfall festlegen und damit insbesondere auch über deren wissenschaftliche Anerkennung entscheiden. Dabei wird er sich freilich regelmässig an die Praxis der Krankenversicherung halten und
BGE 123 V 53 S. 60
gerade mit Blick auf die bei ihm liegende Verantwortlichkeit für allfällige Schädigungen durch die Heilbehandlung (
Art. 6 Abs. 3 UVG
) kaum Vorkehren zulassen, die dort als unwissenschaftlich oder als wissenschaftlich umstritten gelten (MAURER, a.a.O., S. 290 f.; GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], Lausanne 1992, S. 192; LOCHER, a.a.O., § 29 Rz. 13; vgl. ferner RKUV 1995 Nr. U 227 S. 190 Erw. 2a und zu
Art. 23 KUVG
das in SUVA-Rechtsprechungsbeilage 1983 Nr. 4 S. 7 auszugsweise veröffentlichte Urteil Sch. des Eidg. Versicherungsgerichts vom 3. August 1983).
cc) Auch in der Invalidenversicherung besteht eine Leistungspflicht bei medizinischen Massnahmen im allgemeinen (
Art. 12 IVG
) und bei Geburtsgebrechen (
Art. 13 IVG
) im besonderen unter anderem nur, wenn die Massnahmen nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind (Art. 2 Abs. 1 in fine IVV und
Art. 2 Abs. 3 GgV
). Rechtsprechungsgemäss findet dabei die auf dem Gebiet der Krankenpflege geltende Definition der Wissenschaftlichkeit grundsätzlich auch auf die medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung Anwendung. Ist mithin eine Vorkehr mangels Wissenschaftlichkeit nicht als Pflichtleistung der Krankenkassen nach KUVG anerkannt, so kann sie auch nicht als medizinische Massnahme nach
Art. 12 IVG
zu Lasten der Invalidenversicherung gehen (
BGE 115 V 195
f. Erw. 4b,
BGE 114 V 22
f. Erw. 1a). Diese Einschränkung erscheint um so gebotener, als die Invalidenversicherung die medizinischen Massnahmen als Naturalleistungen erbringt und aufgrund des dieser Leistungsart innewohnenden Eingliederungsrisikos nach
Art. 11 IVG
bzw.
Art. 23 IVV
im Falle eines Behandlungsmisserfolges unter Umständen haftbar werden könnte (
BGE 114 V 26
Erw. 2d).
Abgesehen von den medizinischen Massnahmen gilt das Erfordernis der Wissenschaftlichkeit ebenso in bezug auf die Sonderschulmassnahmen gemäss
Art. 19 IVG
, insbesondere diejenigen pädagogisch-therapeutischer Art (
Art. 19 Abs. 2 lit. c IVG
,
Art. 8 Abs. 1 lit. c und
Art. 10bis IVV
). Massgebend ist dabei jedoch nicht der Begriff der medizinischen, sondern der pädagogischen Wissenschaft (
BGE 114 V 26
Erw. 2c und d; unveröffentlichtes Urteil H. vom 12. September 1994). Dementsprechend kann insofern bei Zweifeln hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit - im Unterschied zu den medizinischen Massnahmen - nicht in Anlehnung an die Erkenntnisse der Eidg. Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung
BGE 123 V 53 S. 61
entschieden werden. Stattdessen bilden sich Verwaltung und - im Anfechtungsfall - der Sozialversicherungsrichter ihr Urteil in aller Regel auf der Grundlage entsprechender Gutachten (unveröffentlichte Urteile B. vom 29. August 1994 und B. vom 21. Mai 1990) oder allenfalls sogar unmittelbar gestützt auf die einschlägige Fachliteratur (
BGE 114 V 28
Erw. 3b; unveröffentlichtes Urteil M. vom 29. April 1994).
dd) Für den Bereich der Ergänzungsleistungen hat die Rechtsprechung klargestellt, dass
Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG
im Hinblick auf die zu verhindernde Unterschreitung eines angemessenen Existenzbedarfs die Ausgaben für sämtliche Arten von Vorkehren erfassen soll, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft zur Heilung, Linderung oder Stabilisierung eines Leidens erforderlich sind (
BGE 108 V 241
Erw. 4c, EVGE 1968 S. 69 Erw. 2d). Das Erfordernis der Wissenschaftlichkeit gemäss
Art. 5 lit. a ELKV
(in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung) bezieht sich dabei über den Verordnungswortlaut hinaus nicht nur auf die gemäss Anordnung des Arztes durch medizinische Hilfspersonen durchgeführten, sondern gleichermassen auf die vom Arzt selbst vorgenommenen Massnahmen sowie auf medikamentöse Behandlungen. Was letztere anbelangt, bedeutet dies nicht, dass nur die in der Arzneimittel- und in der Spezialitätenliste enthaltenen Präparate zu vergüten sind; der Vergütungsanspruch erstreckt sich vielmehr auf alle ärztlich verordneten Heilmittel, denen im konkreten Fall die Eigenschaft eines Medikaments nicht abgesprochen werden kann, worunter auch ärztlich verordnete homöopathische Heilmittel fallen können (unveröffentlichtes Urteil H. vom 21. Juni 1993; vgl. ferner Rz. 5040 der vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL] in der ab 1. Januar 1994 gültig gewesenen Fassung).
c) Nach dem Gesagten kann festgehalten werden, dass den im Bereich des Krankenversicherungsrechts geltenden Regeln im hier interessierenden Zusammenhang auch für die anderen Zweige der Sozialversicherung grosse Bedeutung zukommt. Es rechtfertigt sich daher, im folgenden auch die mit dem KVG vom 18. März 1994 auf den 1. Januar 1996 in Kraft getretene neue Ordnung darzustellen.
aa)
Art. 32 Abs. 1 KVG
setzt für eine Übernahme der Kosten bei sämtlichen der im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erbringenden Leistungen (Art. 25 bis 31 KVG) voraus, dass diese wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen (Satz 1). Die Wirksamkeit muss nach
BGE 123 V 53 S. 62
wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden (Satz 2), wobei sie - ebenso wie die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen - periodisch überprüft wird (
Art. 32 Abs. 2 KVG
). Nach
Art. 33 Abs. 1 KVG
kann der Bundesrat die von Ärzten und Ärztinnen (...) erbrachten Leistungen bezeichnen, deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen übernommen werden. Gemäss
Art. 33 Abs. 3 KVG
bestimmt der Bundesrat, in welchem Umfang die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten einer neuen oder umstrittenen Leistung übernimmt, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit sich noch in Abklärung befindet. Er setzt Kommissionen ein, die ihn bei der Bezeichnung der Leistungen beraten (
Art. 33 Abs. 4 Satz 1 KVG
), wobei er die Aufgaben nach den Abs. 1-3 von
Art. 33 KVG
dem Departement oder dem Bundesamt übertragen kann (
Art. 33 Abs. 5 KVG
). Nach Ausübung dieser Subdelegationskompetenz durch den Bundesrat (vgl. Art. 33 der Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 [KVV]) hat das EDI im Rahmen der Verordnung über die Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom 29. September 1995 (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV) unter anderem die in
Art. 33 Abs. 1 und 3 KVG
(bzw.
Art. 33 lit. a und c KVV
) angesprochenen Leistungen bezeichnet und die Voraussetzungen sowie den Umfang der Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung bestimmt (
Art. 1 KLV
in Verbindung mit Anhang 1).
bb) Besonderes Augenmerk verdient die Entstehung von
Art. 32 KVG
. Denn der bundesrätliche Gesetzesentwurf enthielt hinsichtlich der Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch die Krankenversicherung insofern eine wichtige Neuerung, als er das Kriterium der wissenschaftlichen Anerkennung ausdrücklich aufgab und nur noch verlangte, dass die Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich zu sein hätten (vgl. Art. 26 Abs. 1 E-KVG). Die Botschaft des Bundesrates zur Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991 führt hiezu aus, dass das Kriterium der Wissenschaftlichkeit in den letzten Jahren und vor allem auch in der Vernehmlassung stark in Zweifel gezogen worden sei. Der Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung werde heute als ungeeignet und zu ungenau erachtet, weshalb er durch denjenigen der Wirksamkeit ersetzt werde. Die Befürchtung, dass damit die Leistungspflicht über die klassische Medizin hinaus auf Massnahmen ausgedehnt werde, die nicht auf einem seriösen medizinischen Ansatz beruhen
BGE 123 V 53 S. 63
würden, sei unbegründet. Denn indem nicht nur Wirksamkeit (allgemeine Eignung), sondern zugleich auch Zweckmässigkeit (angemessene Eignung im Einzelfall) und Wirtschaftlichkeit (angemessenes Kosten-/Nutzenverhältnis) verlangt würden, könnten "unvernünftige" oder zumindest "zweifelhafte" Leistungen ausgeschlossen werden (BBl 1992 I 158 f., 265).
Der Gesetzesentwurf hat in den Räten ausführliche Diskussionen ausgelöst, nachdem die vorberatende ständerätliche Kommission den nach der Differenzbereinigung schliesslich in das Gesetz aufgenommenen Zusatz vorgeschlagen hatte, dass die Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein müsse (vgl. MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel 1996, S. 51 f., FN 129). Auf seiten der Befürworter dieses Zusatzes gelangte einhellig zum Ausdruck, dass wissenschaftlich nicht im Sinne von naturwissenschaftlich zu verstehen sei, der Wirkungsnachweis auch etwa mittels Statistik erbracht werden könne und es vor allem nicht darum gehe, damit den Bereich der Komplementärmedizin von der Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung auszuschliessen (Amtl.Bull. 1992 S 1303 ff., 1993 N 1845 ff., 1056 ff., 1994 N 17 ff.; Protokoll der ständerätlichen Kommissionssitzungen vom 29./30. Juni 1992 S. 39 f. und vom 12./13. Oktober 1992 S. 43 ff.).
3.
Aus diesem vergleichenden Überblick verschiedener Leistungssysteme kann gefolgert werden, dass die Regelung gemäss
Art. 16 MVG
im Sozialversicherungsrecht des Bundes in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt:
a) Zum einen umschreibt
Art. 16 MVG
die Leistungspflicht der Militärversicherung generalklauselartig (Abs. 1 und 2). Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zur Krankenversicherung, die unter dem neuen Recht dem Listenprinzip (
Art. 34 KVG
) folgt (vgl. MAURER, Krankenversicherungsrecht, a.a.O., S. 45). Diese Differenz erscheint als um so ausgeprägter, als die Krankenversicherung - wie früher (Art. 21 Abs. 2 Vo III und Anhang zur Vo 9) - eine zusätzliche Konkretisierung ihrer Leistungspflicht gemäss Empfehlung fachlich berufener Kommissionen auf Verordnungsstufe kennt, und zwar in bezug auf ärztliche Leistungen nunmehr in Form von Negativlisten (
Art. 33 Abs. 1 und 3 KVG
;
Art. 33 lit. a und c KVV
;
Art. 1 KLV
; vgl. MARKUS MOSER, Erläuterungen durch den Vizedirektor, in: CHSS 1996 H. 2 S. 89). Derselbe Unterschied besteht sodann gegenüber dem Entwurf zu einem Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (
Art. 15 Abs. 2 Satz 2 ATSG
) und - an sich - auch gegenüber der obligatorischen
BGE 123 V 53 S. 64
Unfallversicherung, wo die entsprechende Verordnungsbefugnis des Bundesrates (
Art. 10 Abs. 3 UVG
) allerdings bislang nicht ausgeschöpft wurde. Der Grund dafür mag darin liegen, dass das UVG dem Naturalleistungsprinzip verpflichtet ist (vgl. Erw. 2b/bb), anders als das Krankenversicherungsrecht, welches dem System der Kostenvergütung folgt (MAURER, Krankenversicherungsrecht, a.a.O., S. 44). Jenes Prinzip und die damit regelmässig verknüpfte Verantwortung des Versicherers für die Heilbehandlung (vgl. RKUV 1995 Nr. U 227 S. 190) findet sich - genauso wie in der Invalidenversicherung - auch in der Militärversicherung (Art. 16 Abs. 4 und
Art. 18 Abs. 1 und 6 MVG
) verwirklicht (LOCHER, a.a.O., § 29 Rz. 16 und Vorbemerkungen zum 1. Kap. des 5. Teils, S. 175 Rz. 3; FRANZ SCHWEGLER, Nach 141 Jahren: Beginn der fünften Epoche in der Militärversicherung, in: CHSS 1993 H. 5 S. 6). Dieser Umstand dürfte mitbestimmend dafür gewesen sein, dass von einer eigentlichen Konkretisierung ihrer Leistungspflicht im tieferrangigen Recht abgesehen wurde.
b) Zum andern verlangt
Art. 16 Abs. 2 MVG
für Untersuchung und Behandlung wohl einen Wirkungsnachweis, doch ist - und dies in Anlehnung an
Art. 15 Abs. 2 ATSG
- das für andere Leistungszweige typische qualitative Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung nicht mehr ausdrücklich aufgenommen worden. Damit unterscheidet sich
Art. 16 Abs. 2 MVG
nicht nur von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a und b und Ziff. 2 KUVG sowie den zuvor dargestellten Leistungsbereichen der Invalidenversicherung (vgl. Erw. 2b/cc). Ein Unterschied besteht vielmehr ebenso gegenüber
Art. 32 Abs. 1 KVG
, welche Bestimmung ausdrücklich einen Wirkungsnachweis nach wissenschaftlichen Methoden verlangt. Bis auf diesen Kompromiss (vgl. Erw. 2c) vermochte sich die Abkehr vom Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung gemäss
Art. 16 Abs. 2 MVG
indes auch im Rahmen der parlamentarischen Beratung der Totalrevision des Krankenversicherungsrechts zu behaupten. Ihr liegt gewachsenes Unbehagen gegenüber einem überlieferten Verständnis von Wissenschaftlichkeit zugrunde. Vor allem aber geht sie zurück auf das - bei beiden Reformwerken gleichermassen präsente - Bestreben, bei der Leistungserbringung den Errungenschaften der Komplementärmedizin Rechnung zu tragen (vgl. Erw. 1b und 2c/bb).
c) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Militärversicherung im Zusammenhang mit dem Wirkungsnachweis gemäss
Art. 16 Abs. 2 MVG
nicht nur vom Erfordernis der Wissenschaftlichkeit gelöst hat.
BGE 123 V 53 S. 65
Sie kennt überdies - im wesentlichen Unterschied zur Krankenversicherung sowie zum Allgemeinen Teil Sozialversicherung - auch kein Verfahren, das im Falle streitiger Wirksamkeit eingeschlagen werden und unter Einsatz von Fachkommissionen in die Konkretisierung der Leistungspflicht auf Verordnungsstufe ausmünden könnte.
Von diesen Unterschieden abgesehen, stimmen
Art. 16 MVG
und
Art. 32 KVG
jedoch insofern überein, als die zu übernehmenden Leistungen nicht nur wirksam, sondern auch zweckmässig und wirtschaftlich zu sein haben (vgl. dazu MAURER, Krankenversicherungsrecht, a.a.O., S. 52).
4.
a) Geht es - wie im vorliegenden Fall - um die Beurteilung der Wirksamkeit einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme nach
Art. 16 Abs. 2 MVG
, bieten sich von vornherein dann keine Probleme, wenn deren Übernahme durch die Krankenversicherung ausser Frage steht. Zufolge fehlender Positivlisten im Bereich der ärztlichen Leistungen (
Art. 33 Abs. 1 KVG
; MOSER, a.a.O., S. 89) vermag indes die Praxis der Krankenversicherung gerade in zweifelhaften Fällen kaum verlässliche Hilfe zu bieten (vgl. die Kritik des Ombudsmannes in KSK-Aktuell 1996 Nr. 5 S. 73), wogegen die Militärversicherung in klaren Fällen ohnehin kaum je versucht sein wird, sich ihrer Leistungspflicht zu entziehen. Bestreitet sie hingegen bei neueren oder noch nicht allgemein anerkannten Vorkehren deren Wirksamkeit, stellt sich die Frage, was aus dem Verzicht auf das Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b KUVG) sowie daraus zu schliessen ist, dass
Art. 16 Abs. 2 MVG
in bezug auf den nunmehr verlangten Wirkungsnachweis - im Unterschied zum später erlassenen
Art. 32 KVG
- die Verwendung wissenschaftlicher Methoden nicht eigens erwähnt.
In dieser Hinsicht kann zweierlei festgehalten werden: Einerseits folgt aus den Vorarbeiten des Gesetzes (vgl. Erw. 1b) und mit Blick auf die Entwicklung in der Krankenversicherung (vgl. Erw. 2c/bb), dass sich aufgrund der beabsichtigten Ausdehnung der Leistungspflicht auf komplementärmedizinische Methoden eine Beurteilung der Wirksamkeit nicht auf eine naturwissenschaftliche oder gar schulmedizinische Optik beschränken darf. Denn diese Kriterien vermögen jenen Leistungen häufig nicht oder nur unzureichend gerecht zu werden. Insofern erscheint es durchaus als folgerichtig, wenn die Prüfung auf die Frage der Wirksamkeit beschränkt und kein abschliessender Aufschluss über den kausalen Verlauf
BGE 123 V 53 S. 66
und das Verständnis der Wirkungsweise verlangt wird. Zum andern lässt sich aus dem zuvor umschriebenen Verzicht der Schluss nicht ziehen, die Beurteilung der Wirksamkeit habe einzelfallbezogen und retrospektiv aufgrund der konkreten Behandlungsergebnisse zu erfolgen. Vielmehr geht es auch im Rahmen von
Art. 16 Abs. 2 MVG
um eine vom einzelnen Anwendungsfall gelöste allgemeine Bewertung (vgl. Erw. 1b in fine). Eine Aufgabe dieses Grundsatzes würde bei erfolglosen ärztlichen Bemühungen zu geradezu widersinnigen Ergebnissen führen. Dass dies nicht die Absicht des Gesetzgebers sein konnte, folgt indirekt auch aus dem Konzept des bundesrätlichen Entwurfs zum KVG, der den nach wissenschaftlichen Methoden zu erbringenden Wirkungsnachweis nicht verlangte, jedoch bereits eine regelmässige Überprüfung der Wirksamkeit (Art. 26 Abs. 2 E-KVG) und eine verordnungsmässige Umschreibung der nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu übernehmenden Leistungen vorsah (Art. 27 Abs. 1 E-KVG).
b) Dass der Verzicht auf das Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung und der unterbliebene Hinweis auf die beim Wirkungsnachweis zu verwendenden wissenschaftlichen Methoden im Bereich der Militärversicherung über das Gesagte hinaus noch eine weitere Bedeutung haben könnte, ist selbst nach Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich. Dies erstaunt insofern nicht, als bereits das frühere Recht jedenfalls nach seinem Wortlaut (
Art. 16 aMVG
) den Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung nicht enthalten hatte (vgl. Erw. 1d). Zum andern darf der in dieser Hinsicht bestehende Unterschied zu
Art. 32 Abs. 1 KVG
aber auch nicht überbewertet werden. Denn für die in der parlamentarischen Diskussion erfolgte Ergänzung des bundesrätlichen Entwurfs zum KVG mit dem Zusatz des Wirkungsnachweises nach wissenschaftlichen Methoden war wohl letztlich allein die - auch
Art. 16 Abs. 2 MVG
keineswegs fremde (vgl. Erw. 1b) - Absicht entscheidend gewesen, der gerade im Bereich komplementärmedizinischer Leistungen vermuteten Gefahr des Missbrauchs entgegenzuwirken.
c) Die Beurteilung der Wirksamkeit einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme obliegt aufgrund der Ausgestaltung des MVG nicht einer Fachkommission, sondern in erster Linie der Verwaltung und - im Streitfall - dem angerufenen Richter. Für beide gilt, dass sie sich nach Massgabe des Untersuchungsgrundsatzes - mithin von Amtes wegen, aber unter Mitwirkung der Parteien (
BGE 122 V 158
Erw. 1a,
BGE 121 V 210
Erw. 6c, je mit Hinweisen) - die entscheidwesentlichen Informationen zu beschaffen haben.
BGE 123 V 53 S. 67
Dabei werden sie mangels eigener Sachkenntnis vor allem bei komplexeren Fragestellungen in aller Regel nicht darauf verzichten können, die Meinungen unabhängiger Experten beizuziehen. An diesen liegt es, über die Wirksamkeit der in Frage stehenden Vorkehr zu berichten. Eine solche Beurteilung kann sich nach dem Gesagten indes nicht an der Anerkennung durch herkömmliche naturwissenschaftliche oder schulmedizinische Forscher und Praktiker ausrichten und hat keinen abschliessenden Aufschluss über die Mechanismen der zu überprüfenden Wirkung zu vermitteln. In diesem Sinne lässt sich die eingangs zitierte Rz. 14 der Verwaltungsweisung (Erw. 1c), die für den Richter nicht verbindlich ist (
BGE 122 V 253
Erw. 3d mit Hinweisen), nicht halten. Vorbehältlich der erwähnten Einschränkung werden sich wissenschaftliche Methoden aber auch im Rahmen der Wirksamkeitsbeurteilung nach
Art. 16 Abs. 2 MVG
als unerlässlich erweisen. Denn der erforderliche Nachweis, dem eine objektivierbare Sicht zugrunde zu liegen hat, lässt sich am ehesten mit Hilfe von statistischen Vergleichswerten erbringen. Davon abgesehen darf bei der Beurteilung der Wirksamkeit im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 MVG
ohne weiteres auf Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die sich aus der vermehrten wissenschaftlichen Durchdringung der Komplementärmedizin im Gefolge ihrer allmählichen Integration in den universitären Lehrbetrieb ergeben.
5.
Was die hier zu beurteilende Streitfrage anbelangt, musste sich das Eidg. Versicherungsgericht schon mehrfach mit Fällen befassen, in denen die Übernahme der durch die Entfernung und den Ersatz von Amalgamfüllungen zufolge Quecksilberunverträglichkeit verursachten Kosten in Frage stand. So hat es für den Bereich der Krankenversicherung unter der Geltung des KUVG - ausgehend von der Rechtsprechung zur Frage der Leistungspflicht bei zahnärztlicher Behandlung (vgl.
BGE 120 V 195
Erw. 2b) - entschieden, dass die fragliche Behandlung keine Pflichtleistung der Krankenkasse darstellt (RKUV 1995 Nr. K 968 S. 144 Erw. 2a mit Hinweisen). Hingegen hat es die Vergütung dieser Kosten im Rahmen von
Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG
und
Art. 6 ELKV
(in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung) anerkannt, dies aufgrund des aus verschiedenen Gründen als gegeben erachteten Zusammenhangs zwischen dem Amalgam und den Leiden des betroffenen Versicherten, ohne sich jedoch mit der Frage der Diagnosenstellung eingehender zu befassen (unveröffentlichtes Urteil S. vom 25. August 1992, seinerseits erwähnt in RKUV 1995 Nr. K 968 S. 145 Erw. 2b).
BGE 123 V 53 S. 68
Für den hier zu beurteilenden Fall lässt sich daraus nichts Zwingendes ableiten, da sich diese Urteile mit der Wirksamkeit der streitigen diagnostischen und therapeutischen Methoden nicht auseinandersetzen. Abgesehen davon besteht im vorliegenden Fall mit
Art. 16 MVG
eine Anspruchsgrundlage, die sich von
Art. 12 KUVG
und
Art. 3 Abs. 4 ELG
(vgl.
BGE 108 V 241
Erw. 4c u. d; RKUV 1995 Nr. K 968 S. 145 Erw. 2b) in verschiedener Hinsicht unterscheidet.
6.
a) Im vorliegenden Fall wird nicht nur die Wirksamkeit der gewählten Behandlungsform, sondern auch diejenige des verwendeten Diagnoseverfahrens bestritten. Die von Dr. med. S. bescheinigte "Quecksilberunverträglichkeit mit Amalgam-Störfeld Typ I am Zahn 16" wurde nach der Methode der sogenannten Aurikulomedizin erhoben. Dabei handelt es sich um ein Akupunkturverfahren ("Ohrakupunktur"), bei dem die Ohrmuschel als Reflexzone des ganzen Körpers herangezogen wird; die Akupunktur-Punkte für die einzelnen Organe oder Körperabschnitte werden dabei auf das Ohr als Modell eines auf dem Kopf stehenden Feten projiziert (ROCHE LEXIKON MEDIZIN, 3. Aufl. 1993, S. 1219; vgl. ferner GODEAU/PIETTE/HERSON, Traité de Médicine, 2. Aufl. 1987, Bd. 2, S. 2894). Die Tauglichkeit dieses Verfahrens wird in der Schulmedizin in Frage gestellt (vgl. exemplarisch: DUDEN, Das Wörterbuch der medizinischen Fachausdrücke, 5. Aufl. 1992, S. 131). Diese Haltung gelangt in den Akten des hier zu beurteilenden Falles deutlich zum Ausdruck, und zwar nicht nur in den Stellungnahmen des beschwerdeführenden Bundesamtes, sondern desgleichen in den Berichten des Dr. med. dent. R. vom 15. Juli 1993 und Dr. med. O. vom 1. Oktober 1993. Allerdings wurde das fragliche Verfahren beim Beschwerdegegner offenbar auch von Dr. R. selbst angewandt, wobei er gegenüber Dr. S. zu einem leicht modifizierten Ergebnis gelangte (Amalgamunverträglichkeit nicht im Sinne einer Allergie, sondern in Form einer Mikrointoxikation). Der zweitgenannte Arzt hielt sodann fest, dass die Amalgamallergie schulmedizinisch umstritten, aufgrund seiner Beobachtungen während der Zahnsanierung (Auftreten von objektivierbaren, indes nicht anders erklärbaren Ödemen) "jedoch nicht ganz von der Hand zu weisen" sei.
Aufgrund dieser fallbezogenen Arztberichte lässt sich die Wirksamkeit des streitigen Diagnoseverfahrens nicht beurteilen. Immerhin fällt deren Annahme - nach den vorherigen Ausführungen (vgl. Erw. 4a) - jedenfalls nicht bereits deshalb ausser Betracht, weil sie schulmedizinisch umstritten zu sein scheint.
BGE 123 V 53 S. 69
b) Namentlich der soeben erwähnte Bericht des Dr. R. vom 1. Oktober 1993 macht deutlich, dass sich die vorliegende Streitfrage nicht auf Diagnose und Therapie beschränkt, sondern gleichsam auf die Ursache des Leidens selbst erstreckt. Um die offenbar seit je in Frage gestellte Verwendung quecksilberhaltigen Amalgams als Zahnfüllmaterial und um seine Auswirkungen auf den menschlichen Körper ist unter dem Einfluss der Massenmedien in den letzten Jahren im In- und Ausland eine eigentliche Kontroverse entbrannt (vgl. etwa LÜBBE/WÜTHRICH, Amalgamallergie und Amalgamkontroverse, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift, 126/1996 H. 16 S. 661 ff.). Hier im einzelnen darauf einzugehen, erscheint um so entbehrlicher, als sich bereits das kantonale Gericht damit auseinandergesetzt hat. Dieses ist nach Einsicht in das von den Parteien aufgelegte Schrifttum zur Feststellung gelangt, dass die Meinungen über die Gefährlichkeit des Amalgams in der medizinischen Fachwelt auseinandergingen; immerhin könne als wissenschaftlich gesichert gelten, dass die Konzentration von Quecksilberdepots im menschlichen Körper wesentlich von der Menge des in den Zähnen enthaltenen Amalgams abhänge und dieses allergene Reaktionen mit Krankheitswert auszulösen vermöge. Darüber hinaus hat sich das kantonale Gericht zu Recht nicht weiter auf die Kontroverse eingelassen. Ebenso zu Recht wird ihm nunmehr in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde indes vorgeworfen, sich bei seiner nachfolgenden Beurteilung schwergewichtig auf den beim Beschwerdegegner erzielten Therapieerfolg abgestützt zu haben. Damit hat das kantonale Gericht verkannt, dass die Wirksamkeit einer ärztlichen Behandlungsmethode nicht einzelfallbezogen, sondern allgemein zu erfolgen hat (vgl. Erw. 4a).
c) Im vorliegenden Fall scheidet angesichts von Tragweite und Vielschichtigkeit der angesprochenen Thematik die Möglichkeit aus, dass sich der Richter ein abschliessendes Urteil allein nach Einsicht in die Fachliteratur verschaffen könnte (vgl. Erw. 2b/cc in fine). Nach dem Gesagten besteht vielmehr Anlass, zur Frage der Wirksamkeit der hier streitigen diagnostischen und therapeutischen Vorkehren ein Gutachten einzuholen. Bei der Fragestellung und vor allem auch bei der Auswahl des oder der Experten wird in ganz besonderem Masse auf die hievor erarbeiteten Grundsätze zu achten sein. (...).
d) Demnach erfordert die Beurteilung des vorliegenden Falles zusätzliche Abklärungen, insbesondere die Einholung gutachtlicher Stellungnahmen (...). Hiefür ist die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f1f52426-53f3-4022-b403-1ff830c8aa2a | Urteilskopf
107 Ib 81
19. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Juli 1981 i.S. Bundesamt für Justiz gegen Sommer und Staatsrat des Kantons Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Bewilligungssperre über Fremdenverkehrsorte gemäss BewVF in der seit 1. Juli 1979 geltenden Fassung; intertemporales Recht.
1.
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
. Eine Bewilligung ist ohne Rücksicht auf ein berechtigtes Interesse des Erwerbers zu verweigern, wenn der Ort der Sperre unterliegt (E. 2).
2.
Art. 3 Abs. 5 und 6 BewVF
. Die Sperre tritt frühestens mit ihrer Veröffentlichung in Kraft (E. 3).
3. Das gilt auch für Orte, die erst nach dem 1. Juli 1979 die Toleranzgrenze erreichten. Die Sperre ist diesfalls selbst auf Bewilligungsbegehren anwendbar, über welche die Bewilligungsbehörde, selbst auf Rekurs hin, noch nicht endgültig entschieden hat (E. 4).
4. Wie die Kantone über ihre Kontingente verfügen dürfen, ist ausschliesslich ihre Sache (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 107 Ib 81 S. 82
A.-
Der Deutsche Lothar Sommer, der in seiner Heimat wohnt, kaufte mit Vertrag vom 3. Oktober 1980 in Ried-Mörel eine Eigentumswohnung. Der Grundbuchinspektor des Kantons Wallis erteilte ihm am 17. Oktober 1980 die dafür gemäss
Art. 1 BewB
notwendige Bewilligung, die insbesondere davon abhängig gemacht wurde, dass Sommer eine andere Wohnung in der gleichen Gegend verkaufe.
Die Zahl solcher Bewilligungen für Ried-Mörel stieg bereits am 14. Oktober 1980 auf 50. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement fand daraufhin, dass der Umfang des ausländischen Grundbesitzes in dieser Gemeinde die in
Art. 3 Abs. 2 BewVF
(SR 211.412.413) vorgesehene Grenze erreicht habe, Ried-Mörel folglich der Bewilligungssperre unterliege, im Anhang 2 zu dieser Verordnung aufzuführen und mit drei Sternchen zu bezeichnen sei. Seine Verfügung vom 18. November 1980 wurde am 2. Dezember 1980 in der Amtlichen Sammlung veröffentlicht (AS 1980 S. 1748).
B.-
Das Bundesamt für Justiz fand, mit der 50. Bewilligung vom 14. Oktober 1980 habe der Grundbuchinspektor für Ried-Mörel die Bewilligungssperre ausgelöst, die sofort und unabhängig von der formellen Aufnahme der Gemeinde in den Anhang und ihrer Veröffentlichung wirksam geworden sei; eine Bewilligung an Sommer könne daher nicht mehr oder nur unter den Voraussetzungen für Ausnahmen gemäss
Art. 4 BewVF
erteilt werden. Es beschwerte sich in diesem Sinne beim Staatsrat des Kantons Wallis, der am 17. Dezember 1980 den Entscheid des Grundbuchinspektors bestätigte.
Das Bundesamt führt gegen dieses Urteil Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, es aufzuheben und Sommer die Bewilligung zum Erwerb einer Eigentumswohnung in Ried-Mörel zu verweigern, eventuell nur auf Anrechnung an das kantonale Kontingent zu erteilen.
Der Staatsrat und Sommer beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
BGE 107 Ib 81 S. 83
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Es ist unbestritten, dass die Gemeinde Ried-Mörel zu den Fremdenverkehrsorten im Sinne von
Art. 2 BewVF
zu rechnen und bereits seit 21. Dezember 1973 im Anhang 1 zu dieser Verordnung aufgeführt ist. Die Bewilligung setzt auch in solchen Orten ein berechtigtes Interesse des Erwerbers voraus, das dem Beschwerdegegner gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. a Ziff. 3 BewB nicht abgesprochen werden darf, da er in Ried-Mörel einen Zweitaufenthalt begründen will und gleichzeitig die Eigentumswohnung in Betten verkaufen soll. Nach
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
ist die Bewilligung indes ohne Rücksicht auf ein solches Interesse zu verweigern, wenn das zu erwerbende Grundstück an einem Orte liegt, der zwar der Fremdenverkehrsförderung bedarf, an dem das ausländische Grundeigentum aber bereits einen erheblichen Umfang erreicht; denn diesfalls unterliegt der Ort der Bewilligungssperre.
Auch darüber sind sich die Parteien einig. Streitig ist bloss, von welchem Zeitpunkt an die Sperre für einen bestimmten Ort gilt, neue Bewilligungen unter Vorbehalt von Ausnahmen gemäss
Art. 4 BewVF
also nicht mehr erteilt werden dürfen. Das hängt insbesondere davon ab, mit welcher Tatsache oder Handlung der Behörde die Sperre in Kraft tritt und ob sie auch auf Grundstücke zu beziehen ist, die bereits Gegenstand eines Bewilligungsverfahrens sind.
3.
Nach Auffassung des Bundesamtes tritt die Sperre automatisch ein, sobald die letzte der einer Gemeinde nach
Art. 3 Abs. 2 BewVF
zustehenden Bewilligungen erteilt worden ist. Der Staatsrat ist dagegen der Meinung, dass die Sperre erst mit ihrer Veröffentlichung in Kraft tritt.
a)
Art. 3 BewVF
gibt auf die Streitfrage keine klare Antwort. Er sagt zwar, dass die im Anhang 1 aufgeführten Orte, in denen das ausländische Grundeigentum einen erheblichen Umfang erreicht, der Bewilligungssperre unterliegen (Abs. 1), ferner unter welchen Voraussetzungen ein solcher Umfang in einem bestimmten Ort zu bejahen ist (Abs. 2-4). Es heisst darin aber auch, dass die von der Sperre erfassten Orte im Anhang 2 aufgeführt und mit drei Sternchen bezeichnet werden (Abs. 5), dass das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement einen darin nicht aufgeführten Ort nach Anhören der Kantonsregierung der Sperre unterstellt und zu diesem Zweck den Anhang 2 ergänzt, wenn der Ort mit der Erteilung
BGE 107 Ib 81 S. 84
einer Bewilligung die Voraussetzungen für die Sperre erfüllen würde (Abs. 6).
Mit diesen Bestimmungen, die weitgehend aus der Fassung vom 21. Dezember 1973 (AS 1974 S. 109) übernommen worden sind, hat der Bundesrat lediglich den in
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
enthaltenen Grundsatz wiederholt und die Voraussetzungen umschrieben, unter denen ein Fremdenverkehrsort zu sperren ist. Dass die Sperre einen bestimmten Ort schon erfasse, wenn die Voraussetzungen objektiv gegeben sind, ist dem
Art. 3 BewVF
nicht zu entnehmen; aus dessen Abs. 5 und 6 muss vielmehr trotz widersprüchlicher Formulierungen geschlossen werden, dass das Justiz- und Polizeidepartement die Voraussetzungen im Einzelfall zu prüfen und den Ort durch Aufnahme in den Anhang 2 der Sperre zu unterstellen hat, wenn er sie erfüllt. Entscheidend ist daher nicht, dass die Voraussetzungen vorliegen, sondern dass das Departement den Ort deswegen in die Sperrliste aufnimmt und die Ergänzung durch Veröffentlichung in der Gesetzessammlung bekanntgibt. Daraus folgt, dass auf das Datum dieser Veröffentlichung abzustellen ist. Art. 9 Abs. 1 des Rechtskraftgesetzes (SR 170.513.1) stimmt damit überein; danach sind neue, in die Sammlung aufzunehmende Erlasse für den Bürger nur verbindlich, wenn sie darin veröffentlicht sind (
BGE 100 Ib 343
E. 1b,
BGE 92 I 231
E. 4).
b) Diese Auslegung der in
Art. 3 BewVF
enthaltenen Vorschriften entspricht auch der Rechtsprechung und der Entstehungsgeschichte des
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
. Für eine Absicht des Bundesrates, über die der Bewilligungssperre unterliegenden Fremdenverkehrsorte eine Liste aufzustellen, ist weder seiner Botschaft vom 25. Oktober 1972 noch seinen Ausführungen vor den Räten etwas zu entnehmen. Die Absicht geht vielmehr auf einen Vorschlag der nationalrätlichen Kommission zurück, die den Bundesrat durch einen Zusatz beauftragt wissen wollte, jährlich nach Anhören der Kantonsregierung die von der Bewilligungssperre gemäss
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
erfassten Orte festzustellen. Die Klärung der Frage, wann die Wirtschaft eines Ortes vom Fremdenverkehr abhängt, sollte dagegen der Rechtsprechung überlassen werden (Sten.Bull. Nr. 1970 S. 90 am Ende;
BGE 102 Ib 29
E. 3a).
Nach diesem klaren Willen des Gesetzgebers ist es Sache des vom Bundesrat beauftragten Justiz- und Polizeidepartements, die unter die Sperre fallenden Fremdenverkehrsorte zu ermitteln. Dass untere kantonale Behörden darüber zu befinden hätten, stand zum vorneherein ausser Frage; sie dürfen ohne Genehmigung der
BGE 107 Ib 81 S. 85
Bundesbehörde das Gebiet auch nicht auf Zonen mit touristischer Bedeutung beschränken, wie dies im Anhang 2 namentlich bei einigen Walliser Gemeinden geschehen ist (
BGE 104 Ib 330
oben). Entgegen der Auffassung des Bundesamtes hat der Entscheid des Departements über die Aufnahme einer Gemeinde in den Anhang 2 daher nicht bloss deklaratorische, sondern konstitutive Wirkung. Davon ist das Bundesgericht bereits 1975 ausgegangen, als es entschied, dass Ergänzungen der Sperrliste publiziert werden müssen und erst mit der Veröffentlichung in Kraft treten (Urteil vom 2. Mai 1975 i.S. Hartmann, publ. in ZBGR 56/1975 S. 299 E. 5). Ebensowenig lässt sich sagen, es genüge, dass die einer Gemeinde gemäss
Art. 3 Abs. 2 BewVF
zustehende Bewilligungsquote ausgeschöpft sei, da ein Ort nach
Art. 3 Abs. 6 BewVF
der Sperre zu unterstellen sei, sobald er mit der Erteilung einer Bewilligung die Voraussetzungen dafür erfüllen würde. Aus dieser Bestimmung erhellt vielmehr, dass das Justiz- und Polizeidepartement Fremdenverkehrsorte erst sperren darf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Daran ändert auch der Einwand nichts, der Vollzug des BewB obliege in erster Linie den Kantonen, weshalb sie ihre Bewilligungspraxis zu kontrollieren hätten, um eine Überschreitung der Quote in Fremdenverkehrsorten gemäss
Art. 3 Abs. 2 BewVF
zu vermeiden. Gewiss haben die Kantone die Bundesbehörde über die Entwicklung der Lage in Fremdenverkehrsorten, in denen das ausländische Grundeigentum einen erheblichen Umfang anzunehmen droht, zu unterrichten. Das heisst indes nicht, die kantonalen Behörden hätten neue Bewilligungen zu verweigern, sobald die Voraussetzungen der Sperre vorzuliegen scheinen. Das Justiz- und Polizeidepartement hat zuerst festzustellen, dass die Voraussetzungen erfüllt sind; es hat zudem die Kantonsregierung anzuhören, bevor es die Sperre verhängen und in der Amtlichen Sammlung veröffentlichen darf. Die Sperre wird deswegen für einen bestimmten Ort erst zu einem Zeitpunkt wirksam, in dem das ausländische Grundeigentum dort bereits einen erheblichen Umfang erreicht oder die zulässige Grenze sogar überschritten hat. Das befriedigt freilich nicht und entspricht auch nicht dem Zweck des Gesetzes, ist aber eine unvermeidliche Folge des Verfahrens, nach dem die Bundesbehörde gemäss
Art. 7 Abs. 2 BewB
und
Art. 3 Abs. 6 BewVF
vorzugehen hat.
c) Im vorliegenden Fall ist somit die Sperre entgegen der Meinung des Bundesamtes am 14. Oktober 1980, als der Grundbuchinspektor die 50. Bewilligung für Ried-Mörel erteilte, nicht automatisch
BGE 107 Ib 81 S. 86
ausgelöst worden; sie wurde vielmehr erst mit ihrer Veröffentlichung vom 2. Dezember 1980 verbindlich, was das Departement übrigens ausdrücklich beigefügt hat (AS 1980 S. 1748).
4.
Eine andere Frage ist, ob der Staatsrat des Kantons Wallis am 17. Dezember 1980, also nach Inkrafttreten der Sperre für Ried-Mörel, den Entscheid des Grundbuchinspektors im Falle Sommer noch bestätigen durfte.
a) Zur Frage, ob das neue Recht auch auf Grundstücke anwendbar ist, die zur Zeit seines Inkrafttretens bereits Gegenstand eines Bewilligungsverfahrens sind, hat sich das Bundesgericht schon im Falle Hartmann geäussert (ZBGR 56/1975 S. 294 E. 3). Dort ging es um die Anwendung der BewVF in der Fassung vom 21. Dezember 1973, die bis Ende 1976 galt, aber keine Übergangsbestimmung enthielt (AS 1974 S. 109 ff. und S. 2393).
Das Bundesgericht führte damals u.a. aus, in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre sei neues Recht, das um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt worden ist, auf alle Tatsachen anzuwenden, soweit nicht das Gesetz selber eine Ausnahme vorsieht, insbesondere auch auf Verfahren, die bei Inkrafttreten des neuen Erlasses bereits hängig, aber noch nicht abgeschlossen sind (
BGE 99 Ia 124
E. 9,
BGE 99 Ib 153
E. 1,
BGE 87 I 510
; E. ZIMMERLIN, Zum Problem der zeitlichen Geltung im Baupolizei- und Bauplanungsrecht, ZSR 88 S. 432 ff.; A. GRISEL, L'application du droit public dans le temps, ZBl 75 S. 251 ff.). Dieser Grundsatz müsse auch für Grundstückverkäufe an Personen mit Wohnsitz im Ausland gelten, weil die zu regelnden Fragen und öffentliche Interesse eine wirksame Überwachung der Verkäufe gebieten würden; eine neu angeordnete Bewilligungssperre sei daher auf alle noch nicht rechtskräftig entschiedenen Bewilligungsverfahren anzuwenden. Das Interesse eines Gesuchstellers an der Bestätigung einer erstinstanzlich erteilten Bewilligung dürfe nicht von der Kognitionsbefugnis der zweiten Instanz abhängig gemacht werden, da das öffentliche Interesse an einer sofortigen und lückenlosen Anwendung der Sperre so oder anders überwiege. Es werde zudem nicht neues Recht rückwirkend auf eine vor seinem Erlass eingetretene Tatsache angewendet oder eine rechtskräftig erteilte Bewilligung widerrufen, sondern ein Gesuch um Bewilligung eines beabsichtigten Rechtsgeschäftes nach der im Laufe des Verfahrens geänderten Rechtslage beurteilt.
b) Die geltende Fassung der BewVF ist im Gegensatz zur vorausgehenden durch Übergangsbestimmungen ergänzt worden,
BGE 107 Ib 81 S. 87
letztmals anlässlich ihrer Änderung vom 18. Juni 1979 unter Ziff. II, die am 1. Juli 1979 in Kraft getreten ist (AS 1979 S. 806). Nach diesen Bestimmungen ist die Änderung auf die nach ihrem Inkrafttreten eingereichten Gesuche anwendbar (Abs. 1); vorher eingereichte, gehörig begründete und vorschriftsgemäss belegte Gesuche sind hingegen nach der damals geltenden Verordnung zu erledigen (Abs. 2). Wie das Departement in seiner Vernehmlassung vom 29. Mai 1979 zur (geplanten) Änderung ausführte, sollte mit den neuen Vorschriften die Möglichkeit der Kantone, Personen im Ausland den Erwerb von Zweitwohnungen in Fremdenverkehrsorten zu bewilligen, beschränkt und die Sperre verschärft werden. Die strengeren Vorschriften beziehen sich einerseits auf die materiellen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Fremdenverkehrsortes in die Sperrliste (
Art. 3 BewVF
), anderseits auf die noch zulässigen Ausnahmen vom Grundsatz, der in
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
enthalten ist und die Bewilligungssperre betrifft (
Art. 4 BewVF
). Ihre Rückwirkung auf Gesuche, die vor dem 1. Juli 1979 vorschriftsgemäss eingereicht worden waren, wurde durch Ziff. II/2 der Übergangsbestimmungen ausgeschlossen.
Anders verhält es sich mit den Verfahrensvorschriften, welche das Departement gemäss
Art. 3 Abs. 5 und 6 BewVF
zu beachten hat, wenn das ausländische Grundeigentum in einem Fremdenverkehrsort einen erheblichen Umfang erreicht oder überschritten hat. Daran hat die geltende Fassung im Juni 1979 nichts geändert; es bleibt dabei, dass die Sperre für einen bestimmten Ort erst verbindlich oder wirksam wird, wenn das Departement ihn in den Anhang 2 aufnimmt, mit drei Sternchen versieht und die Ergänzung in der Amtlichen Sammlung veröffentlicht. Eine der Ziff. II/2 entsprechende Übergangsbestimmung erübrigte sich folglich für Orte, die erst nach dem 1. Juli 1979 die Toleranzgrenze erreichten und der Sperre zu unterstellen waren. Es geht daher entgegen der Meinung des Grundbuchinspektors und des Staatsrates zum vorneherein nicht an, Ziff. II/2 auf solche Orte analog anwenden zu wollen.
c) Dagegen ist auch mit dem Einwand nicht aufzukommen, ein Verweigern der Bewilligung in Fällen wie hier würde rechtsstaatliche Grundsätze, wie Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit, Treu und Glauben, illusorisch machen und Missbräuchen Vorschub leisten. Ein volkswirtschaftlich unerwünschtes Ausmass ausländischen Grundeigentums ist nur zu verhindern, wenn ein Fremdenverkehrsort, der die Toleranzgrenze erreicht, unverzüglich gesperrt
BGE 107 Ib 81 S. 88
werden kann. Dies setzt voraus, dass die Kantone bei der alljährlichen Überprüfung der Verhältnisse mitmachen, hängige Bewilligungsverfahren nötigenfalls sistieren und die Bundesbehörde unterrichten. Stellt sich dabei heraus, dass ein Fremdenverkehrsort die Grenze erreicht oder sogar überschritten hat, so ist das Departement verpflichtet, den Ort zu sperren, gleichviel ob noch Bewilligungsgesuche aus dem Ortsgebiet hängig sind. Das muss auch für den Fall gelten, dass die Unzulässigkeit weiterer Bewilligungen erst in einem Beschwerdeverfahren offenbar wird. Selbst diesfalls handelt das Departement rechtmässig, wenn es die Sperre kurzfristig vorbereitet und verhängt. Müsste es hängige Verfahren ausnehmen oder ihre rechtskräftige Erledigung abwarten, so würden Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit von Zufälligkeiten abhängig gemacht, folglich eher weniger gewährleistet. Dies gilt umsomehr, als nicht nur die unteren kantonalen Behörden, sondern auch die Parteien die örtliche Entwicklung besser mitverfolgen können, als die Aufsichtsbehörden.
Rechtsstaatliche Grundsätze gebieten daher auch im vorliegenden Fall nicht, dem Beschwerdegegner die Bewilligung zum Erwerb eines Grundstückes in Ried-Mörel unbekümmert um die Sperre, die am 2. Dezember 1980 zu Recht über diesen Ort verhängt worden ist, zu erteilen. Das öffentliche Interesse an einer korrekten Anwendung von
Art. 7 Abs. 1 lit. b BewB
liefe dem vielmehr stracks zuwider. Dass das Bundesamt in anderen Fällen sich angeblich mit der liberalen Bewilligungspraxis der Walliser Behörden abgefunden hat, ist kein Grund, weitere Gesuche abweichend vom Gesetz zu behandeln (
BGE 104 Ib 372
E. 5, 103 Ia 244 E. 3 mit Hinweisen). Der vorliegende Fall hätte im Gegenteil schon den Staatsrat veranlassen sollen, die Praxis nach den geltenden Vorschriften und deren Auslegung durch das Bundesgericht auszurichten.
5.
Das Bundesamt wiederholt mit der Beschwerde auch sein Begehren, eventuell habe die erstinstanzliche Behörde dem Beschwerdegegner eine Bewilligung zulasten des kantonalen Kontingentes für 1981 zu erteilen, weshalb sie vorsorglich anzuweisen sei, dafür eine Einheit aus dem neuen Kontingent vorzubehalten.
Auf dieses Begehren kann das Bundesgericht nicht eintreten, da es nicht darüber zu befinden hat, wie und zugunsten welcher Fremdenverkehrsorte oder Gegenden die Kantone vom Kontingent Gebrauch machen dürfen, das ihnen jährlich zugeteilt wird; das ist ausschliesslich Sache der kantonalen Behörden.
BGE 107 Ib 81 S. 89
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Staatsrates des Kantons Wallis vom 17. Dezember 1980 aufgehoben und Lothar Sommer die Bewilligung verweigert, eine Eigentumswohnung in Ried bei Mörel zu erwerben. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f1fafd79-c775-46a2-80e4-d2374bc90b4c | Urteilskopf
135 V 141
19. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. L. gegen IV-Stelle Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_728/2008 vom 6. April 2009 | Regeste
Art. 91 lit. a und
Art. 93 Abs. 1 BGG
;
Art. 28 Abs. 2 IVG
;
Art. 17 Abs. 1 ATSG
; Zusprechung einer abgestuften und/oder befristeten Rente; Teil- und Zwischenentscheid.
Ein Entscheid, mit welchem eine Vorinstanz des Bundesgerichts eine bestimmte, vorangehende Teil-Periode des Rentenanspruchs materiell abschliessend beurteilt und für eine darauf folgende Teil-Periode die Sache zu neuer Beurteilung an die Verwaltung zurückweist, ist in Bezug auf die materiell abschliessend beurteilte Phase ein Teilentscheid, der selbständig anfechtbar ist, bei Nichtanfechtung selbständig rechtskräftig wird und später nicht mehr angefochten werden kann (E. 1.4.4-1.4.6). | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 135 V 141 S. 142
A.
L. meldete sich am 29. Oktober 2001 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Bern sprach ihr mit Verfügung vom 2. Juni 2005 eine ganze Rente ab 1. April 2003, eine halbe Rente ab 1. August 2003 und eine Viertelsrente ab 1. März 2004 zu. Auf Einsprache der Versicherten hin setzte sie den Beginn der ganzen Rente auf 1. November 2001 fest und bejahte den Anspruch auf eine Zusatzrente für den Ehegatten (Entscheid vom 1. November 2005).
B.
Dagegen liess L. Beschwerde erheben mit dem Antrag, der Einspracheentscheid sei insoweit aufzuheben, als darin die ganze Rente mit Wirkung ab 1. August 2003 herabgesetzt werde, und die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihr auch nach dem 31. Juli 2003 eine Rente bei einem 66 2/3 % übersteigenden Invaliditätsgrad auszurichten. Mit Entscheid vom 7. August 2008 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde insoweit gut, als es feststellte, dass L. für Januar und Februar 2004 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente habe, und als es die per 1. März 2004 angeordnete Herabsetzung auf eine Viertelsrente aufhob und die Akten zur weiteren
BGE 135 V 141 S. 143
Abklärung im Sinne der Erwägungen und anschliessendem Erlass einer neuen Verfügung an die IV-Stelle zurückwies; weitergehend wies es die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erneuert L. das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen Endentscheide, das heisst gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (
Art. 90 BGG
), und gegen Teilentscheide, die nur einen Teil der gestellten Begehren behandeln, wenn diese unabhängig von den anderen beurteilt werden können, oder die das Verfahren nur für einen Teil der Streitgenossen und Streitgenossinnen abschliessen (
Art. 91 BGG
). Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist hingegen die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (
Art. 92 BGG
), einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (
Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG
). Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind Zwischenentscheide, die nur unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (
BGE 133 V 477
E. 4.2 S. 481 f.). Anders verhält es sich nur dann, wenn der unteren Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E. 1.1).
1.2
Die IV-Stelle hat die bis 31. Juli 2003 zugesprochene ganze Rente auf den 1. August 2003 bei einem Invaliditätsgrad von 64 % auf eine halbe und auf den 1. März 2004 bei einem Invaliditätsgrad von 47 % auf eine Viertelsrente herabgesetzt. Die Vorinstanz hat im Ergebnis (bei einem etwas anders ermittelten Invaliditätsgrad von 60 %) die Reduktion auf eine halbe Rente für die Zeit von August bis Dezember 2003 bestätigt und der Versicherten für Januar und Februar 2004 infolge der 4. IV-Revision bei unverändertem
BGE 135 V 141 S. 144
Invaliditätsgrad eine Dreiviertelsrente zuerkannt. Sie begründet dies damit, dass bei der Versicherten gemäss dem beweiskräftigen Gutachten des Zentrums S. vom 4. Dezember 2003/5. August 2004 ab Mai 2003 eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit eingetreten und ihr seither eine Tätigkeit von vier Stunden pro Tag zumutbar gewesen sei. In Bezug auf die Zeit ab 1. März 2004 hat sie die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen. In den Erwägungen führt sie aus, die von der IV-Stelle angenommene weitere Verbesserung der Arbeitsfähigkeit ab Dezember 2003 sei nicht rechtsgenüglich ausgewiesen; es sei eine umfassende interdisziplinäre Abklärung angebracht, welche Aufschluss über die Entwicklung des Gesundheitszustands in somatischer und psychischer Hinsicht und damit über die Restarbeitsfähigkeit ab Januar 2004 gebe.
1.3
In Bezug auf den Rentenanspruch ab März 2004 ist der angefochtene Akt ein Zwischenentscheid, da er die Sache an die Verwaltung zurückweist.
1.4
In Bezug auf den Rentenanspruch für die Monate August 2003 bis Februar 2004 hat die Vorinstanz einen materiellen Entscheid getroffen und den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine halbe bzw. eine Dreiviertelsrente festgesetzt. Es stellt sich die Frage, ob der angefochtene Akt diesbezüglich ein selbständig anfechtbarer Teilentscheid ist.
1.4.1
Die Abgrenzung zwischen Teil- und Zwischenentscheid erfolgt auf der Ebene des Streitgegenstandes: Massgebend ist, ob der Entscheid ein Begehren behandelt, das unabhängig von anderen beurteilt werden kann (
Art. 91 lit. a BGG
), d.h. auch Gegenstand eines selbständigen Verfahrens hätte bilden können (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4332 Ziff. 4.1.4.1); solche Entscheide sind (anders als die Zwischenentscheide) der materiellen Rechtskraft selbständig zugänglich (
BGE 128 III 191
E. 4a S. 194 f.; SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 6 zu Art. 91 und N. 2 zu
Art. 93 BGG
).
Wird von mehreren an sich denkbaren, derart unabhängigen Begehren nur eines überhaupt prozessual thematisiert, so bildet einzig dieser Punkt Prozessgegenstand; der darüber ergehende Entscheid ist ein Endentscheid im Sinne von
Art. 90 BGG
. Das zuständige Gericht kann aber auch zur Vereinfachung des Verfahrens von mehreren gleichzeitig gestellten Rechtsbegehren nur einen Teil beurteilen
BGE 135 V 141 S. 145
(vgl. Art. 123 lit. a des bundesrätlichen Entwurfs vom 28. Juni 2006 zu einer Schweizerischen Zivilprozessordnung [E-ZPO; BBl 2006 7413]); in diesem Fall handelt es sich um Teilentscheide im Sinne von
Art. 91 BGG
, welche selbständig anfechtbar sind und später nicht mehr angefochten werden können (HANS PETER WALTER, Neue Zivilrechtspflege, in: Neue Bundesrechtspflege, Berner Tage für die juristische Praxis [BTJP], 2007, S. 113 ff., 132 f.; vgl. Urteile 5A_512/2007 vom 17. April 2008 E. 1.4, nicht publ. in:
BGE 134 III 433
; 4A_85/2007 vom 11. Juni 2007 E. 3.3). Unzulässig ist dies gemäss
Art. 91 lit. a BGG
dann, wenn solche Teil-Rechtsansprüche nicht unabhängig von den anderen Begehren beurteilt werden können. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach materiellrechtlichen Gesichtspunkten. Ist nach dem materiellen Recht eine unabhängige Beurteilung einzelner Punkte nicht möglich, so ist ein Entscheid, mit dem über diese Punkte befunden wird, ein Zwischenentscheid (
BGE 134 III 426
E. 1.2 S. 428 f.).
1.4.2
Das Rentenverhältnis ist ein Dauerrechtsverhältnis, welches naturgemäss eine längere Zeitspanne beschlägt. Im Rahmen von Dauerrechtsverhältnissen ist es unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs grundsätzlich möglich, Rechtsansprüche, welche bestimmte Teile der gesamten Dauer betreffen, je zum Gegenstand selbständiger Verfahren zu machen, die zu einem rechtskräftigen Entscheid nur in Bezug auf die betreffende Teilperiode führen. Im Zivilprozess spricht man dabei von einer (individualisierten oder unechten) Teilklage (vgl. Art. 84 E-ZPO; SUTTER-SOMM, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2007, S. 108 Rz. 526; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2008, S. 199 f. Rz. 40; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 1e zu Art. 138 und N. 12c/bb zu
Art. 192 ZPO
/BE; vgl. Urteil 4C.204/1995 vom 22. Februar 1996 E. 2). Das ist auch im öffentlichen Recht, namentlich in der Sozialversicherung, der Fall: Im Klageverfahren wird der Streitgegenstand durch das klägerische Begehren bestimmt; beschränkt sich dieses beispielsweise im Rahmen einer Klage (
Art. 73 BVG
) auf Rentenleistungen der beruflichen Vorsorge auf einen bestimmten Teil-Zeitraum, so kann nur dieser beurteilt werden. Im Bereich der nachträglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit bestimmt die angefochtene Verfügung den möglichen Streitgegenstand: Unter dem Vorbehalt einer ausnahmsweisen Ausdehnung des Streitgegenstands (
BGE 130 V 138
E. 2.1 S. 140 f.) kann die Beschwerdeinstanz nur beurteilen, was
BGE 135 V 141 S. 146
verfügt worden ist; ist nur über einen Teil-Zeitraum verfügt worden, so kann auch nur dieser beurteilt werden (vgl. z.B. Urteil 9C_603/2007 vom 8. Januar 2008 E. 2).
1.4.3
Steht eine Dauerleistung während einer längeren Zeitperiode zur Diskussion und hat die Vorinstanz nur für einen Teil dieses Zeitraums in der Sache entschieden, so liegt nach dem Gesagten grundsätzlich ein Teilentscheid vor, der selbständig anfechtbar ist.
1.4.4
In der hier vorliegenden Konstellation einer rückwirkenden Zusprechung einer abgestuften und/oder befristeten Rente hat das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 131 V 164
E. 2.3.3 S. 166 erkannt, dass ein zeitlich gestaffelter Verfügungserlass aus materiellrechtlichen Gründen unzulässig ist; die befristete und/oder abgestufte Rentenzusprechung hat aus einem einheitlichen Beschluss der IV-Stelle heraus zu erfolgen und ist zeitgleich zu eröffnen. Daran ist auf Verwaltungsstufe und im kantonalen Prozess mit Blick auf
Art. 61 lit. d ATSG
(SR 830.1; reformatio in peius vel melius) festzuhalten.
Aus dieser Rechtsprechung könnte sich für das bundesgerichtliche Verfahren ergeben, dass der vom Beschwerdeführer angefochtene Entscheid gesamthaft als Zwischenentscheid zu betrachten wäre, also auch soweit er (für die Zeit vom 1. August 2003 bis 29. Februar 2004) über die Rentenberechtigung abschliessend befindet, was zur Folge hätte, dass auf die Beschwerde nur unter den Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG eingetreten werden könnte. Diese Konsequenz steht allerdings im Widerspruch zu den bei anderen Dauerrechtsverhältnissen geltenden Grundsätzen (vgl. vorne E. 1.4.2). Zwar können nicht einzelne Teilfragen der Rentenbestimmung (z.B. der Grad der Arbeitsunfähigkeit, die Höhe der Vergleichseinkommen und dergleichen) zum Gegenstand gesonderter (Teil-)Endentscheide gemacht werden; solches sind Zwischenschritte auf dem Weg zu einem Endentscheid. Wird darüber in selbständig eröffneten Entscheiden befunden, so handelt es sich um materielle Zwischenentscheide im Sinne von Art. 92 oder 93 BGG. Wird darüber im Rahmen eines einheitlichen Endentscheids befunden und wird dieser angefochten, so gehören diese Teilfragen zwangsläufig zum Streitgegenstand und können im Rechtsmittelverfahren überprüft werden, auch wenn sie in der Beschwerde nicht in Frage gestellt worden sind (
BGE 125 V 413
). Davon ist aber der Fall zu unterscheiden, dass eine Dauerleistung während einer längeren
BGE 135 V 141 S. 147
Zeitperiode zur Diskussion steht und für einen bestimmten Teil-Zeitraum dieses Dauersachverhalts (hier: für die Zeit vom 1. August 2003 bis 29. Februar 2004) entschieden wird. Ein solcher Teil-Zeitraum kann grundsätzlich unabhängig von einem anderen Teil-Zeitraum (hier: von der Zeit ab 1. März 2004) beurteilt werden und somit Gegenstand eines Teilentscheids im Sinne von
Art. 91 lit. a BGG
bilden. Insofern steht einem Eintreten auf die Beschwerde nichts entgegen.
1.4.5
Freilich besteht in der Regel ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Verhältnissen in den verschiedenen Teil-Zeiträumen eines Rentenverhältnisses, weshalb eine rückwirkende Rentenzusprechung in der Regel in ein und derselben Verfügung, jedenfalls aus einem einheitlichen Beschluss der IV-Stelle heraus zu erfolgen hat (
BGE 131 V 164
E. 2.3.1 S. 166). Indessen schliesst ein solcher Sachzusammenhang die Zulässigkeit von Teilentscheiden im Sinne von
Art. 91 BGG
nicht aus. Die Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (BBl 2001 4332 Ziff. 4.1.3.3 ad Art. 86 E-BGG) nennt als Beispiel für solche Entscheide die Klage auf Beseitigung einer bestehenden oder das Verbot einer zukünftigen Störung einerseits, Schadenersatz oder Genugtuung andererseits, also Klagen, die zwangsläufig einen notwendigen Sachzusammenhang in der zugrundeliegenden Störung haben. Auch bei Dauerrechtsverhältnissen liegt es in der Natur der Sache, dass ein Sachzusammenhang zwischen den verschiedenen Perioden besteht. Eine gerichtliche Beurteilung derselben wird mit der Zulassung von Teilentscheiden nicht verunmöglicht, da ja auch diese anfechtbar sind, wobei die gerichtliche Überprüfung zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfindet. Das ist aber bei Dauersachverhalten ohnehin nicht vermeidbar und auch im Bereich der Rentenrevision in der Regel der Fall: Die Rechtsprechung zur gesetzlichen Rentenrevision gemäss
Art. 17 ATSG
beruht darauf, dass die Rente für den vorangehenden Zeitraum rechtskräftig festgelegt worden ist und im Revisionsverfahren nicht mehr (gegebenenfalls nur unter den erschwerten Voraussetzungen einer Wiedererwägung) überprüft werden kann (vgl. statt vieler
BGE 125 V 368
E. 2 S. 369).
1.4.6
Nach dem Gesagten schliesst
BGE 131 V 164
auf der Ebene der Bundesrechtspflege nicht aus, dass ein Entscheid, mit welchem eine Vorinstanz des Bundesgerichts eine bestimmte, vorangehende Teil-Periode des Rentenanspruchs materiell abschliessend beurteilt und für eine darauf folgende Teilperiode die Sache zu neuer
BGE 135 V 141 S. 148
Beurteilung an die Verwaltung zurückweist, in Bezug auf die materiell abschliessend beurteilte Phase als Teilentscheid im Sinne von
Art. 91 lit. a BGG
zu qualifizieren ist, der selbständig angefochten werden kann. Der Teilentscheid muss innert der Frist des
Art. 100 BGG
angefochten werden, wenn der Eintritt der Rechtskraft verhindert werden soll (Urteile 1B_206/2007 vom 7. Januar 2008 E. 3.3; 1C_82/2007 vom 19. November 2007 E. 1.2).
1.4.7
In Bezug auf den Rentenanspruch für die Zeit vom 1. August 2003 bis 29. Februar 2004, über welchen die Vorinstanz materiell entschieden hat, ist der angefochtene Entscheid somit ein Teilentscheid; insoweit ist auf die Beschwerde einzutreten. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f1fd6336-8be9-4803-98ff-e4726e3395b4 | Urteilskopf
137 I 135
14. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. X. et B. X. contre Y. (recours en matière civile)
4A_546/2010 du 17 mars 2011 | Regeste
Art. 257a Abs. 1 und
Art. 257b Abs. 1 OR
,
Art. 49 Abs. 1 BV
,
Art. 5 und 6 ZGB
; Mietvertrag; Nebenkosten; derogatorische Kraft des Bundesrechts.
Zwingende Natur von
Art. 257a und 257b OR
, welche die Nebenkosten definieren. Der Mietvertrag kann dem Mieter nicht rechtsgültig als Nebenkosten Auslagen auferlegen, die keinen Zusammenhang mit der Benutzung der Mietlokalitäten haben (E. 2.4).
Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts. Ein kantonales Gesetz bezüglich der Erstellung von Sozialwohnungen, das Gebäude erfasst, die keine Bundeshilfe im Sinne des WEG erhalten, darf nicht von
Art. 257a Abs. 1 und
Art. 257b Abs. 1 OR
abweichen und dem Vermieter erlauben, als Nebenkosten Auslagen in Rechnung zu stellen, die mit dem Bestehen der Mietsache selber verbunden sind (E. 2.5-2.8). | Erwägungen
ab Seite 136
BGE 137 I 135 S. 136
Extrait des considérants:
2.
2.1
Les recourants soutiennent que le législateur fédéral a réglementé de manière exhaustive le régime des frais accessoires aux
art. 257a et 257b CO
(mis à part pour les immeubles ayant bénéficié d'un subventionnement en vertu de la loi fédérale du 4 octobre 1974 encourageant la construction et l'accession à la propriété de logements [LCAP; RS 843]) et que les cantons ne peuvent plus, par des règles de droit public, intervenir dans les relations entre bailleurs et locataires. Ils font grief à la loi fribourgeoise d'élargir la notion de "frais accessoires", l'art. 25 al. 3 de cette loi y incluant, pour des immeubles ne bénéficiant pas de l'aide de la LCAP, des dépenses relatives à l'existence de la chose louée (primes d'assurance et impôt réels); en mettant ces frais à la charge des locataires, la cour précédente aurait, selon les recourants, transgressé le principe de la force dérogatoire du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
) et violé les
art. 257a, 257b CO
, ainsi que les
art. 38 al. 2 LCAP
et 25 de l'ordonnance du 30 novembre 1981 relative à la LCAP (OLCAP; RS 843.1). Enfin, ils reprochent à l'autorité précédente d'avoir fait preuve d'arbitraire dans l'application de l'
art. 4 CC
.
2.2
En l'occurrence, il ne s'agit pas de savoir si la cour cantonale a correctement appliqué le droit cantonal (cette question ne pouvant être revue librement par le Tribunal fédéral), mais uniquement de se demander si l'application qui a été faite par la cour précédente des règles cantonales aboutit à un résultat conforme au principe de la force dérogatoire du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
).
Le recourant a désigné de façon précise les normes de droit fédéral qui sont, d'après lui, touchées par la disposition cantonale contestée (sur l'exigence: arrêt 1P.705/2000 du 24 septembre 2001 consid. 2a et les références citées). Cela étant, le Tribunal fédéral peut vérifier librement, sous l'angle de l'
art. 49 al. 1 Cst.
, la conformité de la règle de droit cantonal avec le droit fédéral (
ATF 126 I 76
consid. 1 p. 78 et les arrêts cités; arrêt 1P.705/2000 déjà cité consid. 2a).
BGE 137 I 135 S. 137
2.3
L'art. 25 al. 3 de la loi fribourgeoise du 26 septembre 1985 encourageant la construction de logements à caractère social (RSF 87.2) se présente comme suit:
"Les frais accessoires sont fixés conformément à l'art. 38 al. 2 de la loi fédérale du 4 octobre 1974 encourageant la construction et l'accession à la propriété de logements."
Il convient de rechercher, à titre préalable, si cette règle constitue du droit cantonal autonome ou, au contraire, fait partie intégrante de simples mesures d'exécution d'une loi fédérale (notamment de la LCAP à laquelle la disposition cantonale renvoie) (sur ces notions, cf.
ATF 128 I 46
consid. 1b/aa p. 58 et les arrêts cités; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, vol. II, 1984, p. 857 s.). Dans le premier cas, la Cour de céans pourra effectuer son examen sous l'angle de l'
art. 49 al. 1 Cst.
; dans le deuxième, il s'agira avant tout de confronter deux lois fédérales (le Code des obligations et la loi fédérale à l'origine des mesures d'exécution cantonales).
La disposition litigieuse s'inscrit dans une loi cantonale poursuivant deux objectifs principaux, à savoir de compléter l'aide fédérale octroyée en vertu de la LCAP (art. 1 let. a) et de faciliter la construction et l'acquisition de logements sociaux par des personnes de l'étranger (art. 1 let. b). Les deux objectifs - et donc les règles permettant de poursuivre ceux-ci - sont clairement séparés. Le premier est concrétisé au Chapitre deuxième ("Aide complémentaire destinée à abaisser les loyers"; art. 5-21). Le Chapitre troisième ("Construction de logements sociaux par des personnes à l'étranger"; art. 22-29) de la loi cantonale, applicable en l'espèce, vise le deuxième objectif; il fait référence à l'art. 9 al. 1 let. a de la loi fédérale du 16 décembre 1983 sur l'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger (LFAIE; RS 211.412.41).
L'
art. 9 al. 1 let. a LFAIE
donne la faculté aux cantons d'autoriser l'acquisition d'immeuble par des personnes à l'étranger lorsque celui-ci est destiné à la construction, sans aide fédérale, de logements à caractère social au sens de la législation cantonale dans les lieux où sévit la pénurie de logements, ou comprend de tels logements s'ils sont de construction récente.
Le législateur fribourgeois a fait usage de cette faculté, reprenant, à l'art. 22 al. 1 de la loi cantonale, l'essentiel des termes de la disposition fédérale. Il a ensuite fixé les conditions de l'autorisation, notamment en définissant la notion de "pénurie de logements" (art. 23), en
BGE 137 I 135 S. 138
désignant le service compétent pour examiner les projets et contrôler les loyers (art. 24 et 26) et en déterminant la base de calcul des loyers et des frais accessoires (art. 25).
La LFAIE se limite à accorder une faculté aux cantons, laissant ceux-ci libres d'adopter la réglementation adéquate. En particulier, la loi fédérale ne contient aucune règle fixant les frais accessoires. Cette question a été tranchée par le législateur fribourgeois à l'art. 25 al. 3; il a choisi de renvoyer à l'
art. 38 al. 2 LCAP
, disposition qui, contrairement au Code des obligations, intègre dans la notion de frais accessoires aussi des coûts liés à l'existence de la chose elle-même. Le législateur fribourgeois a donc fait le choix d'appliquer l'
art. 38 al. 2 LCAP
à titre de droit cantonal supplétif. Il en résulte que l'art. 25 al. 3 de la loi fribourgeoise - comme d'ailleurs l'ensemble du Chapitre 3 - constitue du droit cantonal autonome, et non une simple mesure d'exécution de la LFAIE.
Dans l'examen du principe de la force dérogatoire du droit fédéral, il s'agit de rappeler la façon dont les frais accessoires sont réglementés aux art. 257a s. CO (cf. infra consid. 2.4), avant d'examiner si le législateur fribourgeois pouvait également se saisir de cette question à l'art. 25 al. 3 de la loi cantonale (cf. infra consid. 2.5 et 2.6).
2.4
Selon l'
art. 257a CO
, les frais accessoires sont dus pour les prestations fournies par le bailleur ou un tiers en rapport avec l'usage de la chose (al. 1); ils ne sont à la charge du locataire que si cela a été convenu spécialement (al. 2). Les prestations en rapport avec l'usage de la chose sont énumérées, de façon non exhaustive, à l'
art. 257b al. 1 CO
. Il s'agit notamment des dépenses effectives du bailleur pour les frais de chauffage, d'eau chaude, d'autres frais d'exploitation, ainsi que des contributions publiques résultant de l'utilisation de la chose.
Il résulte de l'
art. 257a al. 1 CO
(a contrario) que les prestations du bailleur sans lien avec l'usage de la chose louée ne peuvent être facturées comme frais accessoires. C'est le cas des dépenses en rapport avec la propriété ou l'existence même de la chose, soit des frais dus indépendamment de l'occupation de l'immeuble ou de la conclusion d'un contrat de bail (ISABELLE BIERI, in Droit du bail à loyer, 2010, n° 5 ad
art. 256b CO
, PETER HIGI, Zürcher Kommentar, 1994, n° 40 ad
art. 256a-256b CO
). Entrent dans cette catégorie de frais les impôts fonciers et les primes d'assurance du bâtiment (entre autres auteurs: DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2008, p. 332 s.; BIERI, op. cit.,
BGE 137 I 135 S. 139
n° 10 ad
art. 257a-257b CO
). Sont également visées les dépenses consacrées par le bailleur à l'entretien de la chose louée ou à la rénovation des locaux (
ATF 105 II 35
consid. 4 p. 37 ss; LACHAT, op. cit., p. 332 s. et les références; BIERI, op. cit., n° 13 ad
art. 257a-257b CO
).
Les
art. 257a et 257b CO
qui définissent les frais accessoires sont impératifs. Le contrat ne peut donc valablement mettre à la charge du locataire, sous la forme de frais accessoires, des dépenses sans relation avec l'usage des locaux (arrêt 4C.82/2000 du 24 mai 2000 consid. 3a;
ATF 105 II 35
consid. 4 p. 37 ss; LACHAT, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, n° 3 ad
art. 256b CO
; BIERI, op. cit., n° 18 ad
art. 256b CO
et n° 10 ad
art. 257a-257b CO
; ROGER WEBER, in Basler Kommentar, Obligationenrecht, vol. I, 4
e
éd. 2007, n° 6 ad
art. 257a CO
; THOMAS OBERLE, Nebenkosten, Heizkosten, 2
e
éd. 2001, p. 33 s.; PHILIPPE RICHARD, Les frais accessoires au loyer dans les baux d'habitations et de locaux commerciaux, in 12
e
Séminaire sur le droit du bail, 2002, n° 21 p. 6; RICHARD PERMANN, Mietrecht, 2
e
éd. 2007, n° 1 ad
art. 257a CO
; HIGI, op. cit., n° 3 ad
art. 257a-257b CO
; GIACOMO RONCORONI, Zwingende und dispositive Bestimmungen im revidierten Mietrecht, Mietrechtspraxis [mp] 1990, p. 80 et 93 [selon cet auteur, l'
art. 257b al. 2 CO
est toutefois de droit semi-impératif]). Si le bailleur entend mettre ces frais à la charge du locataire, il doit alors les prendre en compte dans le calcul du loyer (cf. OBERLE, op. cit., p. 18 et 34; LACHAT, op. cit., ch. 6.4 p. 442 s., et en particulier note de pied 112).
2.5
Le problème de la force dérogatoire du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
;
art. 2 Disp. trans. aCst.
) se pose différemment selon qu'il s'agit de droit privé ou de droit public cantonal (
ATF 117 Ia 328
consid. 2a p. 330;
ATF 113 Ia 309
consid. 3b p. 311 s.).
2.5.1
En principe, la réglementation de droit civil est exclusive et les cantons ne peuvent adopter des règles de droit privé dans les domaines régis par le droit fédéral que si ce dernier leur en réserve la possibilité (
art. 5 al. 1 CC
;
ATF 117 Ia 328
consid. 2b p. 331;
ATF 113 Ia 309
consid. 3b p. 311 et l'arrêt cité; sur l'ensemble de la question: STEINAUER, op. cit., n° 169 ss p. 57 ss). En matière de bail, la réglementation fédérale est exhaustive, sous réserve de la compétence laissée aux cantons d'édicter certaines règles de droit privé complémentaires (
art. 257e al. 4,
art. 270 al. 2 CO
) (
ATF 117 Ia 328
consid. 2b p. 331). A défaut d'une telle réserve, il est interdit aux
BGE 137 I 135 S. 140
cantons d'intervenir dans les rapports directs entre les parties au contrat de bail (cf.
ATF 117 Ia 328
consid. 2a et 2b p. 330 s.;
ATF 116 Ia 401
consid. 4b/aa p. 408 et les arrêts cités).
2.5.2
Une seule et même matière peut toutefois être saisie à la fois par des règles de droit privé fédéral et par des règles de droit public cantonal.
Dans les domaines régis par le droit civil fédéral, les cantons conservent en effet la compétence d'édicter des règles de droit public en vertu de l'
art. 6 CC
à condition toutefois que le législateur fédéral n'ait pas entendu régler une matière de façon exhaustive (en ce sens qu'il n'entendait laisser aucune place pour du droit public cantonal sur la même matière), que les règles cantonales soient motivées par un intérêt public pertinent et qu'elles n'éludent pas le droit civil, ni n'en contredisent le sens ou l'esprit (
ATF 135 I 106
consid. 2.1 p. 108;
ATF 131 I 333
consid. 2.1 p. 336;
ATF 130 I 169
consid. 2.1 p. 170;
ATF 129 I 330
consid. 3.1 p. 334,
ATF 129 I 402
consid. 2 p. 404 et les arrêts cités).
Les cantons demeurent par exemple libres d'édicter des mesures destinées à combattre la pénurie dans le secteur locatif dans la mesure où leur finalité n'est pas d'intervenir dans les rapports entre bailleur et preneur (
ATF 89 I 178
consid. 3d p. 184). Le Tribunal fédéral n'a ainsi pas jugé contraire au droit fédéral le fait d'assortir l'octroi de l'autorisation de rénover des appartements soumis au régime de la loi vaudoise du 4 mars 1985 concernant la démolition, la transformation et la rénovation de maisons d'habitation (...) (LDTR; RSV 840.15) à un contrôle des loyers durant une période maximale de dix ans au regard du but d'intérêt public poursuivi par la loi (
ATF 101 Ia 502
consid. 2d p. 510).
2.6
2.6.1
La cour cantonale retient que "les règles cantonales en matière d'encouragement de la construction de logements à caractère social, motivées par un intérêt public pertinent, n'éludent pas les règles fédérales protectrices en matière de bail, ni n'en contredisent le sens ou l'esprit". Elle sous-entend par là que les dispositions formant le Chapitre 3 de la loi fribourgeoise constituent du droit public cantonal (cf. supra consid. 2.5.2). La thèse défendue par les recourants est basée sur le même constat (cf. supra consid. 2.1).
Certes, l'objectif général du Chapitre 3 de la loi fribourgeoise vise à encourager la construction de logements à caractère social (cf. supra
BGE 137 I 135 S. 141
consid. 2.3); il ne consiste donc pas en soi à réglementer les relations entre bailleur et locataire. La question présentement litigieuse n'est toutefois pas de savoir si l'objectif général de la loi cantonale fait obstacle aux dispositions du droit du bail. Il s'agit de déterminer si un point précis des règles édictées par le législateur fribourgeois (soit la façon de définir les frais accessoires à l'art. 25 al. 3 de la loi cantonale) fait obstacle à la mise en oeuvre des art. 257a s. CO.
Cela étant, plusieurs éléments poussent à conclure que la norme cantonale relèverait plutôt du droit privé, en particulier le fait que le renvoi à la LCAP procède d'un choix du législateur fribourgeois tendant à définir les frais à la charge des locataires qui ne sont pas couverts par le loyer. Or, la question du paiement du loyer et celle des frais accessoires ne vise pas à réaliser un intérêt général, mais touche la relation entre bailleur et locataire (sur la théorie des intérêts:
ATF 132 I 270
consid. 4.3 p. 273;
ATF 128 III 250
consid. 2 p. 253 et les références; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6
e
éd. 2010, n° 255 ss p. 56 s.). La norme cantonale intervient directement dans cette relation et constituerait dès lors du droit privé cantonal (cf.
ATF 117 Ia 328
consid. 2a p. 331; s'agissant de la fixation du loyer:
ATF 113 Ia 126
consid. 9d p. 142).
2.6.2
En l'occurrence, il n'est toutefois pas utile d'approfondir la question et d'apprécier, parmi les différentes théories développées pour délimiter les affaires ressortissant au droit public de celles relevant du droit privé, celle qui est la mieux appropriée pour résoudre la question concrète qui se pose (à ce sujet, cf. récemment: arrêt 4A_503/2010 du 20 décembre 2010 consid. 3.2 et les références).
Dans l'hypothèse où l'on retient que la norme cantonale litigieuse est de droit privé, il suffit de constater que les
art. 257a et 257b CO
ne contiennent aucune réserve maintenant la compétence législative des cantons pour arriver à la conclusion que le législateur fribourgeois ne pouvait légiférer sur cette question (cf. supra consid. 2.5.1).
Dans l'hypothèse énoncée par la juridiction précédente (la règle cantonale litigieuse est de droit public), même à considérer que les
art. 257a et 257b CO
ne règleraient pas la question des frais accessoires de façon exhaustive, il est indéniable que la norme cantonale, qui qualifie de frais accessoires certains coûts liés à l'existence de la chose louée, élude purement et simplement les art. 257a s. CO (cf. supra consid. 2.4). En outre, on ne voit pas quel intérêt public pertinent pourrait poursuivre le canton en militant pour introduire
BGE 137 I 135 S. 142
certaines charges du bailleur dans les frais accessoires plutôt que dans le loyer. A cet égard, on relèvera que le législateur fribourgeois ne saurait se prévaloir des considérations à la base de l'adoption de l'
art. 38 al. 2 LCAP
, norme à laquelle renvoie le droit cantonal. La LCAP a prévu un système dérogeant à celui prévu aux art. 257a s. CO pour les immeubles bénéficiant de l'aide de la Confédération. Le Conseil fédéral a expliqué qu'en intégrant les montants des redevances publiques (notamment impôts réels, taxes d'éclairage et primes d'assurance immobilières) dans le loyer (comme cela est exigé par les art. 257a s. CO), cela pourrait donner l'impression que l'aide des pouvoirs publics "n'est pas toujours la même" puisque les montants des redevances publiques et la façon de les porter en compte varient selon les cas. Il a alors été décidé, pour "rendre plus clair le calcul du loyer", de considérer les redevances publiques comme des frais accessoires que le locataire doit payer séparément, en sus du loyer (Message du 17 septembre 1973 relatif à la loi fédérale encourageant la construction et l'accession à la propriété de logements, FF 1973 II 711 ch. 453.34). En l'espèce, l'intimé n'a bénéficié d'aucune aide financière des pouvoirs publics (cf. art. 22 al. 1 de la loi cantonale) et les situations ne sont donc nullement comparables.
Dans les deux hypothèses, la mise à la charge des locataires des postes litigieux mentionnés dans les frais accessoires se heurte au principe de la force dérogatoire du droit fédéral. Il importe donc peu que l'arrêt cantonal rendu par la II
e
Cour d'appel civil du Tribunal cantonal fribourgeois l'ait été en application correcte du droit cantonal (cf.
ATF 120 II 28
consid. 3 p. 29).
2.7
L'argumentation alternative de la cour cantonale - également attaquée par les recourants (sur l'exigence de recevabilité posée par la jurisprudence, cf.
ATF 133 IV 119
consid. 6.3 p. 120 s.) - tend à rendre une décision en équité obligeant les locataires à prendre en charge des frais accessoires que l'autorité précédente qualifie elle-même d'"inhabituels".
La juridiction cantonale ne désigne pas expressément le fondement juridique de son raisonnement. Il apparaît toutefois qu'elle n'entendait pas indiquer que la décision de première instance heurterait le sentiment de justice et d'équité, soit qu'elle serait arbitraire (
art. 9 Cst.
). On ne voit en effet pas que la décision de première instance, qui vise à régler un litige entre les parties au contrat de bail, serait choquante pour la seule raison que le bailleur a été "trompé" par une
BGE 137 I 135 S. 143
disposition cantonale qui se révèle contraire au droit fédéral. Il faut souligner que, de leur côté, les locataires n'en peuvent rien et qu'il n'est pas choquant qu'ils demandent l'application d'une norme impérative de droit fédéral. Par ailleurs, tirer argument de l'
art. 9 Cst.
reviendrait en l'espèce à empêcher, de façon inadmissible, l'application du principe constitutionnel de la force dérogatoire du droit fédéral (sur lequel repose la décision de première instance).
La cour cantonale semble plutôt placer son raisonnement dans la perspective de la conséquence pour les cocontractants de l'application des art. 257a s. CO. Elle souligne que la décision de première instance léserait le bailleur et que la pratique dont se plaignent les locataires n'est pas contraire à leurs intérêts. Elle laisse ainsi entendre que la première instance n'a pas entrepris correctement la pesée des intérêts dans le litige qu'elle a dû trancher, ce qui conduit à se poser la question de l'application de l'
art. 4 CC
(cf. STEINAUER, op. cit., n° 410 p. 143). C'est donc à bon droit que les recourants invoquent une violation de l'
art. 4 CC
.
Selon l'
art. 4 CC
, le juge applique les règles du droit et de l'équité, lorsque la loi réserve son pouvoir d'appréciation ou qu'elle le charge de prononcer en tenant compte soit des circonstances, soit de justes motifs.
En mentionnant - de façon non exhaustive - trois cas de renvoi au juge, l'
art. 4 CC
vise à donner à celui-ci une certaine liberté d'action lorsqu'il doit rechercher le sens d'une norme déterminée (cf. STEINAUER, op. cit., n° 409 s. p. 143; HAUSHEER/JAUN, op. cit., n° 1 ad
art. 4 CC
).
Certes, l'application en l'espèce du principe de la force dérogatoire du droit fédéral a pour conséquence qu'un bailleur est soumis à des règles différentes selon que son immeuble a bénéficié ou non d'un subventionnement public; dans le premier cas, il peut mettre à la charge du locataire, sous la forme de frais accessoires, les dépenses indépendantes de l'usage de la chose; dans le deuxième, cette faculté lui est retirée, alors même que l'on a affaire dans les deux situations à des constructions à caractère social. En ce sens, la remarque de la cour cantonale, qui tend à mettre en évidence que la solution n'est pas satisfaisante, est compréhensible. L'
art. 4 CC
ne permet cependant pas à la juridiction précédente d'y remédier. En effet, les
art. 257a et 257b CO
, de nature impérative, prévoient que les frais accessoires doivent être en rapport avec l'usage de la chose. On ne
BGE 137 I 135 S. 144
voit donc pas que ces dispositions fassent référence aux règles de l'équité. Ayant retenu que les frais litigieux sont totalement indépendants de l'usage de la chose, la juridiction précédente, en passant à la subsomption, n'avait pas d'autre choix que de conclure que ces dépenses ne constituaient pas des frais accessoires. En tirant la conclusion inverse, la cour cantonale a clairement transgressé les art. 257a s. CO et son raisonnement, basé sur l'
art. 4 CC
, ne permet pas de justifier la pratique cantonale ancrée à l'art. 25 al. 3 de la loi fribourgeoise.
2.8
A l'issue de cette analyse, le Tribunal fédéral parvient à la conclusion qu'une loi cantonale relative à la construction de logements à caractère social et régissant des immeubles ne bénéficiant pas de l'aide fédérale au sens de la LCAP ne peut déroger aux
art. 257a et 257b CO
et permettre au bailleur de facturer comme frais accessoires des coûts liés à l'existence de la chose elle-même.
C'est donc en violation des art. 257a al. 1 et 257b al. 1 CO que les parties ont mis ces frais à la charge des locataires. Ceux-ci sont en droit de réclamer le montant payé à tort pendant la durée de leur bail (cf.
art. 62 ss CO
). Ce montant a été constaté d'une manière qui lie le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
).
Il s'ensuit qu'en considérant que le bailleur pouvait facturer de tels coûts aux locataires, la cour cantonale a violé le droit fédéral. Par conséquent, le recours doit être admis, l'arrêt entrepris annulé et la demande en remboursement des locataires accueillie. | public_law | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
f1fe4111-07be-4c31-abab-c72602d93941 | Urteilskopf
93 IV 74
19. Urteil des Kassationshofes vom 19. September 1967 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Oberli. | Regeste
Wenn der Bundesanwalt gestützt auf
Art. 266 BStP
ein kantonales Rechtsmittel ergreift, hat er sich einzig an
Art. 267 BStP
zu halten; Formvorschriften des kantonalen Rechts, die weiter gehen als diese Bestimmung oder gar von ihr abweichen, braucht er nicht zu beachten. | Sachverhalt
ab Seite 74
BGE 93 IV 74 S. 74
A.-
Rudolf Oberli wurde im Dezember 1966 wegen fahrlässiger Störung des Eisenbahnverkehrs dem Einzelrichter von Interlaken überwiesen, der ihn am 3. März 1967 freisprach.
BGE 93 IV 74 S. 75
Mit schriftlicher Eingabe vom 3. April 1967 appellierte die Bundesanwaltschaft gegen den Freispruch und beantragte, Oberli sei im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen.
B.-
Am 18. Mai 1967 erklärte das Obergericht des Kantons Bern die Appellation der Bundesanwaltschaft als dahingefallen, weil diese sich nicht an Art. 318 Abs. 3 und 5 des Gesetzes über das kantonale Strafverfahren gehalten habe. Die Appellantin habe an der mündlichen Verhandlung weder teilgenommen noch sich vertreten lassen, obschon sie form- und fristgerecht vorgeladen worden sei. Auch habe sie nach Erhalt der Vorladung keinen schriftlichen Parteivortrag eingereicht. Dass sie ihrer Appellationserklärung eine einlässliche Begründung beigefügt habe, ändere nichts. Eine solche Begründung sei nach bernischem Verfahrensrecht nicht zulässig, könne folglich auch nicht als schriftlicher Parteivortrag berücksichtigt werden; die Partei müsse nach Einreichung der Appellation noch irgendwie kundtun, dass sie am oberinstanzlichen Verfahren interessiert sei. Das gelte selbst für die Bundesanwaltschaft, die nicht besser gestellt werden dürfe als eine andere Partei.
C.-
Die Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts wegen Verletzung von
Art. 266 und 267 BStP
aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Der Angeschuldigte hält die Beschwerde für unbegründet.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach dem Bundesratsbeschluss vom 29. Dezember 1964 über die Mitteilung kantonaler Strafentscheide gemäss StGB und anderen Bundesvorschriften (AS 1965 S. 1 ff.) haben die kantonalen Behörden der Bundesanwaltschaft zuhanden des Bundesrates insbesondere alle Urteile mitzuteilen, die sie gestützt auf
Art. 238 StGB
ausfällen (Art. 2 Ziff. 14 und Art. 7 Abs. 2). Auch stehen dem Bundesanwalt gegen solche Entscheide alle Rechtsmittel zu, die das kantonale Recht vorsieht (
Art. 266 BStP
).
Seine Befugnis, von diesen Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, wäre indes oft illusorisch, wenn er innert der von den kantonalen Strafprozessordnungen vorgeschriebenen Fristen
BGE 93 IV 74 S. 76
handeln müsste, denn diese Fristen beginnen für die Parteien teils schon mit der mündlichen Eröffnung des Urteils zu laufen (vgl. z.B. Genf Art. 408 Abs. 2, Luzern § 232 Abs. 1, Neuenburg Art. 244 Abs. 1, Schwyz § 214 Abs. 1, Zug § 71 Abs. 1, Zürich § 412 Abs. 2). Der Bundesanwalt, der am erstinstanzlichen Verfahren nicht teilnimmt und der, ausser in Fiskalstrafsachen des Bundes, sich auch nicht an den mündlichen Verhandlungen vertreten lassen darf (
Art. 15, 16 Abs. 1 und 282 BStP
), wäre daher oftmals gar nicht in der Lage, die kantonalen Rechtsmittelfristen einzuhalten. Aus diesem Grunde bestimmt
Art. 267 BStP
nicht nur, dass für den Bundesanwalt eine einheitliche Frist von zehn Tagen gilt, sondern auch, dass ihm die Frist erst mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung zu laufen beginnt. Art. 267 schreibt dem Bundesanwalt zudem vor, das Rechtsmittel bei der nach dem kantonalen Recht zuständigen Behörde schriftlich geltend zu machen.
2.
Fragen kann sich nur, ob diese Regelung abschliessend sei oder ob der Bundesanwalt die Formvorschriften des kantonalen Rechtsmittelverfahrens ebenfalls zu beachten habe.
a) Der Wortlaut des
Art. 267 BStP
gibt darüber keine Auskunft. Er schlösse an sich nicht aus, dass der Bundesanwalt oder sein Vertreter vor der Rechtsmittelinstanz zu erscheinen hat, wenn nach kantonalem Recht z.B. die Appellation einer Partei, die gehörig vorgeladen worden ist, aber der Verhandlung fernbleibt, als zurückgezogen oder dahingefallen zu betrachten ist (Solothurn § 415 Abs. 2, Luzern § 242 Abs. 1, Appenzell-I.Rh. Art. 63). Die Bundesanwaltschaft hat freilich in einem Bericht vom 23. März 1939 ausgeführt, dass sie, ausser in Fiskalstrafsachen (
Art. 15 BStP
), vor den kantonalen Strafbehörden eine Appellation nicht mündlich vertreten könne (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1939 Nr. 61). Da in mehreren Kantonen gerade die Appellation mündlich begründet werden muss (Nidwalden § 75, Uri § 116, Schaffhausen Art. 240, Solothurn § 415, Luzern § 242 Abs. 1 u.a.m.), gälte
Art. 267 BStP
also ausschliesslich und für die Anwendung kantonaler Vorschriften bliebe kein Raum mehr.
Art. 15 BStP
hat jedoch nicht die Tragweite, die ihm die Bundesanwaltschaft im Jahre 1939 beimass. Er bestimmt, dass der Bundesanwalt die Anklage vor den Strafgerichten des Bundes vertritt und dass er in Fiskalstrafsachen auch vor den Strafgerichten der Kantone auftreten
BGE 93 IV 74 S. 77
kann, eine Befugnis, die in
Art. 282 BStP
nochmals hervorgehoben wird. Ob daraus zu folgern ist, der Bundesanwalt sei in den andern Strafsachen nicht nur von den mündlichen Verhandlungen ausgeschlossen, sondern dürfe sich auch sonst in keiner Weise am kantonalen Verfahren beteiligen, wie die Beschwerdeführerin anzunehmen scheint, kann dahingestellt bleiben. Eine solche Regelung würde jedenfalls durchbrochen von
Art. 266 BStP
, der den Bundesanwalt ausdrücklich ermächtigt, in den von dieser Bestimmung erwähnten Fällen alle Rechtsmittel zu ergreifen, welche das kantonale Recht vorsieht. Aus dem Vergleich von Art. 15 und 282 einerseits mit Art. 266 anderseits ergibt sich somit nur, dass der Bundesanwalt in Strafsachen, wie hier, einzig im erstinstanzlichen Verfahren der Kantone nicht auftreten kann. Die Frage, ob er im Rechtsmittelverfahren auch die kantonalen Formvorschriften beachten und gegebenenfalls zur mündlichen Verhandlung erscheinen müsse oder ob er sich bloss an
Art. 267 BStP
zu halten brauche, wird von diesen Bestimmungen nicht berührt.
b) Den Gesetzesmaterialien ist über die Tragweite des
Art. 267 BStP
wenig zu entnehmen. Bei der Beratung des Vorentwurfes vom April 1926 durch die Expertenkommission begnügte man sich mit der Bemerkung, dass Art. 291, der dann Art. 267 geworden ist, das Verfahren regle (Prot. III S. 20, Votum Stämpfli). Das liegt jedoch auf der Hand; unklar ist nur, ob die Bestimmung das Verfahren für den Bundesanwalt abschliessend regle. Darüber aber schweigen sich nicht nur die Protokolle der Expertenkommission, sondern auch diejenigen der parlamentarischen Kommissionen aus; sie bieten weder Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesanwalt im Rechtsmittelverfahren den kantonalen Formvorschriften unterstellt werden sollte, noch lassen sie erkennen, dass man ihn von der Einhaltung dieser Vorschriften habe befreien wollen. Die Frage, ob er nach kantonalem Recht gezwungen werden könne, eine innert der Frist von zehn Tagen eingereichte Appellation vor der Rechtsmittelinstanz noch mündlich zu begründen, wurde offenbar überhaupt nicht aufgeworfen.
Unter der Herrschaft des Organisationsgesetzes von 1893 war der Bundesrat berechtigt, gegen Urteile in Strafsachen, die er den Kantonen zur Beurteilung überwiesen hatte, bei den oberen kantonalen Instanzen Berufung einzulegen (Art. 158 und 159). Diese Befugnis ist mit Beschluss vom 17. November 1914 dem
BGE 93 IV 74 S. 78
Justiz- und Polizeidepartement übertragen worden. Sowohl der Bundesrat wie das Departement begnügten sich damit, die Berufung schriftlich zu begründen; sie wurden offensichtlich nie dazu verhalten, vor der kantonalen Rechtsmittelinstanz zu erscheinen oder sich an den mündlichen Verhandlungen vertreten zu lassen. In diesem Punkte hat aber der Bundesrat, wie aus seiner Botschaft zum Entwurf des BStP erhellt, keine Neuerungen vorgeschlagen (vgl. BBl 1929 II 635 f.). Die eidgenössischen Räte wendeten gegen die bisherige Übung der Bundesbehörden, es bei der schriftlichen Begründung des Rechtsmittels bewenden zu lassen, ebenfalls nichts ein; die
Art. 266 und 267 BStP
wurden denn auch fast wörtlich aus dem Entwurf des Bundesrates übernommen.
Dass es nach seiner Auffassung bei der früheren Übung blieb, brachte der Bundesrat noch im Geschäftsbericht für das Jahr 1946 (S. 231) zum Ausdruck. Er führte darin aus, dass die Bundesanwaltschaft sich einzig an Art. 267 zu halten habe, wenn sie gestützt auf Art. 266 ein kantonales Rechtsmittel ergreife; an die kantonalen Formvorschriften sei sie nicht gebunden, weshalb sie namentlich zur Begründung ihrer Anträge auch nicht vor der kantonalen Rechtsmittelinstanz aufzutreten brauche.
c) Zu prüfen bleibt, ob diese Auffassung dem Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Regelung entspricht.
Art. 267 BStP
ist offensichtlich erlassen worden, um der besondern Stellung der Bundesanwaltschaft Rechnung zu tragen, der im Unterschied zu den kantonalen Staatsanwaltschaften aufgetragen ist, in allen Kantonen Rechtsmittel einzulegen. Ihr Auftrag erstreckt sich zudem Jahr für Jahr auf sehr viele Strafurteile; er bezieht sich insbesondere auf Entscheide, die nach einem Bundesgesetz oder nach einem Beschluss des Bundesrates gemäss
Art. 265 Abs. 1 BStP
dem Bundesrat mitzuteilen sind. Nach den Geschäftsberichten des Bundesrates waren dies in den letzten zehn Jahren jährlich zwischen 3450 und 5780 Entscheide. Dazu kommen Urteile in Bundesstrafsachen, die gestützt auf
Art. 18 und 254 BStP
zur Verfolgung und Beurteilung den kantonalen Behörden überwiesen werden; auch solche Urteile sind von der Bundesanwaltschaft zu überprüfen und nötigenfalls gestützt auf
Art. 266 BStP
mit kantonalen Rechtsmitteln weiterzuziehen.
Dieser Arbeitsanfall war namentlich nach dem BRB vom 17.
BGE 93 IV 74 S. 79
Dezember 1935 über die Einsendung kantonaler Strafentscheide (AS 51, 793), der seit 1941 immer wieder erneuert und ergänzt wurde, vorauszusehen. Es konnte daher von vorneherein nicht die Meinung sein, die Bundesanwaltschaft, ausser dem
Art. 267 BStP
, auch noch den kantonalen Formvorschriften zu unterwerfen, gleichviel ob sie von ihrer Befugnis, kantonale Rechtsmittel zu ergreifen, selten oder häufig Gebrauch mache. Es drängte sich nicht nur eine einheitliche Frist und eine besondere Regelung des Fristenlaufes auf; sollte ihr die Aufgabe nicht übermässig erschwert werden, so war die Bundesanwaltschaft auch davon zu befreien, Rechtsmittel in zahlreichen Kantonen mündlich begründen zu müssen. Ihr solche Pflichten auferlegen zu wollen, geht umsoweniger an, als der Bundesanwalt sich in Strafsachen, wie hier, nur durch seine Adjunkte vertreten lassen dürfte; besondere Bevollmächtigte darf er einzig in Fiskalstrafsachen beiziehen, und seine ständigen Vertreter sind bloss für Bundesstrafverfahren vorgesehen (
Art. 16 Abs. 1 und 2 BStP
).
d) Aus all diesen Gründen muss angenommen werden, dass die Bundesanwaltschaft sich einzig an
Art. 267 BStP
zu halten hat, folglich von der Beobachtung weitergehender oder gar davon abweichender Formvorschriften der Kantone befreit ist, wenn sie ein kantonales Rechtsmittel ergreift. Die Gültigkeit ihrer Appellation durfte daher im vorliegenden Fall nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie zu den mündlichen Verhandlungen erschien oder nach Erhalt der Vorladung einen schriftlichen Parteivortrag einreichte.
Dass diese Lösung im Kanton Bern auf eine Besserstellung der Bundesanwaltschaft hinauslaufe, lässt sich nur insofern sagen, als andere Parteien zu den mündlichen Verhandlungen erscheinen müssen. Diese Besserstellung ist jedoch gewollt und in der besonderen Lage der Bundesanwaltschaft begründet. Im übrigen bedeutet aber der Umstand, dass die Bundesbehörde das Rechtsmittel nach Bundesrecht schriftlich zu begründen hat, einen Vorteil für den Angeklagten, der von den Einwänden der Bundesanwaltschaft schon vor der mündlichen Verhandlung Kenntnis nehmen kann, wenn eine solche vorgesehen ist. Schliesslich lässt sich auch nicht mit sachlichen Gründen behaupten, eine einlässlich begründete Appellation dürfe nicht als schriftlicher Parteivortrag berücksichtigt werden, weil eine Partei auch nach Einreichung des Rechtsmittels noch bekunden
BGE 93 IV 74 S. 80
müsse, dass sie am oberinstanzlichen Verfahren interessiert sei. Wenn ein Rechtsmittel von Gesetzes wegen schriftlich zu begründen ist, so schliesst dies in sich, dass es solange als aufrechterhalten anzusehen ist, als es nicht ausdrücklich zurückgezogen wird.
3.
Das angefochtene Urteil, das auf einer Verkennung von
Art. 266 und 267 BStP
beruht, ist somit aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die Appellation der Bundesanwaltschaft materiell behandle.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 18. Mai 1967 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f1fe5436-44e5-4eb0-b783-cd43fa37d311 | Urteilskopf
105 Ia 157
32. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Juli 1979 i.S. Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke gegen Kernkraftwerk Kaiseraugst AG, Bezirksgericht Rheinfelden und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und 58 BV
; Ausstand eines Gerichts in seiner Gesamtheit.
1. Tragweite von
Art. 58 Abs. 1 BV
im allgemeinen; Verhältnis zum kantonalen Prozessrecht; Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 3-5).
2. Aus
Art. 58 Abs. 1 BV
ergibt sich, dass der Ausstand eines Gerichts in seiner Gesamtheit nur aus erheblichen Gründen bewilligt werden soll (E. 6a und b).
3. Abwägung im konkreten Fall (E. 6c). | Sachverhalt
ab Seite 157
BGE 105 Ia 157 S. 157
Die §§ 17 ff. der aargauischen Zivilprozessordnung (ZPO) regeln "Ausstand und Ablehnung des Richters und des Protokollführers".
§ 17 ZPO
zählt in den lit. a-h die Gründe auf, in welchen Gerichtspersonen von Amtes wegen zum Austritt verhalten sind. Lit. g dieser Bestimmung nennt namentlich den Fall, in welchem der Richter in derselben Streitsache schon früher als Richter oder Schiedsrichter beim Erlass eines Urteils mitgewirkt hat. Die
§
§ 18 ff. ZPO
befassen sich mit den Ablehnungsgründen. Gemäss
§ 18 Abs. 2 ZPO
kann ein Richter wegen
BGE 105 Ia 157 S. 158
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Nach Abs. 4 derselben Vorschrift kann sich ein Richter ohne Ablehnungsgesuch einer Partei wegen Besorgnis der Befangenheit nur dann in den Austritt begeben, wenn das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuches zuständige Gericht den Austritt gemäss § 18 Abs. 2 als gerechtfertigt erachtet. Die Ablehnung eines Mitgliedes oder des Protokollführers des Bezirksgerichtes geschieht laut
§ 21 Abs. 1 ZPO
beim Bezirksgericht, die des Bezirksgerichtspräsidenten oder eines Bezirksgerichtes in seiner Gesamtheit oder in der Mehrzahl seiner Mitglieder beim Obergericht.
Am 5. Juni 1975 reichte das Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke beim Bezirksgericht Rheinfelden Klage gegen die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG ein mit dem Antrag, es sei der Beklagten der Bau des Kernkraftwerkes Kaiseraugst zu verbieten; eventualiter sei der Bau nur mit solchen Auflagen zu gestatten, die Leben und Gesundheit der Bevölkerung und deren Nachkommen hinreichend sicherstellen. Die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG beantragte, die Klage abzuweisen.
Das Bezirksgericht führte den Schriftenwechsel durch und beschloss schliesslich am 15. November 1978, in allen mit dem Kernkraftwerk Kaiseraugst zusammenhängenden Straf- und Zivilprozessen in seiner Gesamtheit in den Ausstand zu treten. Es begründete diesen Beschluss mit dem Austrittsgrund des früheren Handelns in derselben Streitsache (
§ 17 lit. g ZPO
und
§ 41 Ziff. 3 StPO
).
Das Obergericht des Kantons Aargau (I. Zivilabteilung) behandelte Disp. 2 dieses Beschlusses als den erwähnten Zivilprozess betreffendes Ausstandsbegehren und stellte es den Parteien zur Vernehmlassung zu. Das Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke beantragte, das Gesuch abzulehnen; die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG erklärte, sie habe gegen das Begehren nichts einzuwenden.
Mit Beschluss vom 23. Februar 1979 bewilligte die I. Zivilabteilung des Obergerichtes das Ausstandsbegehren des Bezirksgerichts Rheinfelden und beauftragte das Bezirksgericht Bremgarten mit der Behandlung und Beurteilung des Zivilprozesses. Zur Begründung wurde ausgeführt, zwar sei der vom Bezirksgericht Rheinfelden genannte Ausstandsgrund von
§ 17
BGE 105 Ia 157 S. 159
lit. g ZPO
nicht gegeben, doch liege der Sinn des Ausstandsbegehrens offenbar darin, dass Besorgnis der Befangenheit im Sinne von
§ 18 Abs. 4 ZPO
geltend gemacht werden sollte. Unter diesem Gesichtswinkel hielt das Obergericht das Gesuch für begründet. Es erschien ihm als glaubhaft, dass das Bezirksgericht Rheinfelden sich in seiner Gesamtheit befangen fühle, d.h. ernsthaft befürchte, den vorliegenden Zivilprozess nicht mehr unbeeinflusst von den im Zusammenhang mit dem geplanten Kernkraftwerkbau eingetretenen und allenfalls noch eintretenden politischen Ereignissen beurteilen zu können.
Das Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, diesen Entscheid aufzuheben. Es stützt sich auf die
Art. 4 und 58 BV
, ferner auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und auf Art. 55 der aargauischen Kantonsverfassung. Auf die Begründung der Beschwerde wird im übrigen im Zusammenhang mit den rechtlichen Erwägungen einzutreten sein, soweit dies erforderlich ist. Die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die I. Zivilabteilung des Obergerichtes hat eine kurze Vernehmlassung eingereicht, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
(Das Obergericht konnte das Ausstandsgesuch ohne Verletzung von
Art. 4 BV
auch unter dem Gesichtswinkel der Besorgnis der Befangenheit prüfen.)
3.
Die Organisation der Rechtspflege und des gerichtlichen Verfahrens ist grundsätzlich Sache des kantonalen Prozessrechts (Art. 64 Abs. 3 und 64bis Abs. 2 BV). Dazu gehört auch die Umschreibung der Ausstands- und Ablehnungsgründe. Indessen ergeben sich aus der bundesrechtlichen Garantie des verfassungsmässigen Richters (
Art. 58 Abs. 1 BV
) und aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewisse Minimalanforderungen an das kantonale Verfahrensrecht, insbesondere ein Anspruch auf Beurteilung durch einen unabhängigen und unparteiischen Richter (
BGE 104 Ia 273
E. 3 mit Verweisungen).
Die Handhabung kantonaler Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen prüft das Bundesgericht, sofern nicht ein besonders schwerer Eingriff in ein verfassungsmässiges Recht vorliegt, nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Frei prüft es dagegen, ob die als willkürfrei erkannte Auslegung des kantonalen
BGE 105 Ia 157 S. 160
Gesetzes- und Verordnungsrechts vor den angerufenen verfassungsmässigen Rechten des Bundes und des Kantons sowie vor den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention standhält (
BGE 103 Ia 431
E. 4a mit Verweisungen).
4.
a) Soweit der Beschwerdeführer geltend machen will, es sei willkürlich, den Ausstand dem Bezirksgericht Rheinfelden in seiner Gesamtheit und nicht bloss einzelnen Richtern zu bewilligen, erweist sich die Beschwerde als unbegründet.
§ 21 Abs. 1 ZPO
sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor, ohne für diesen Fall andere Voraussetzungen anzuführen als diejenigen, welche für Ausstand und Ablehnung einzelner Gerichtspersonen gelten.
b) Weiter ist zu untersuchen, ob das Obergericht die
Art. 17 ff. ZPO
willkürlich ausgelegt hat, indem es den Ausstandsgrund der "Besorgnis der Befangenheit" (
§ 18 Abs. 2 und 4 ZPO
) als gegeben erachtet hat.
Nach
§ 18 Abs. 2 ZPO
besteht Besorgnis der Befangenheit, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das Gesetz verlangt also nicht, das bereits eine konkrete Befangenheit vorliegt, sondern legt Gewicht darauf, jedes Handeln eines auch nur nach den Umständen als befangen erscheinenden Richters im vorneherein auszuschliessen.
Wann Besorgnis der Befangenheit vorliegt, lässt sich nach der Natur dieses Begriffs nicht in allgemeiner Form ausdrücken. Zwar kann die blosse Behauptung der Befangenheit für sich allein nicht genügen, sondern sie muss durch objektive Umstände gestützt sein. Da es sich bei der Befangenheit um einen inneren Zustand handelt, können an ihren Nachweis aber keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden (GEISER, Über den Ausstand des Richters im schweizerischen Zivilprozessrecht, Winterthur 1957, S. 66).
Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Kampf um das Kernkraftwerk Kaiseraugst im Bezirk Rheinfelden mit besonderer Intensität geführt wird. Es ist daher durchaus denkbar, dass sich die im Bezirk wohnhaften Richter in einer dieses Kernkraftwerk betreffenden Streitsache nicht mehr völlig frei fühlen. Das Obergericht ist unter diesen Umständen nicht in Willkür verfallen, wenn es der im Ausstandsbegehren sinngemäss zum Ausdruck kommenden Erklärung sämtlicher Mitglieder des Bezirksgerichts Rheinfelden, sie fühlten sich ausserstande, den
BGE 105 Ia 157 S. 161
hängigen Rechtsstreit unvoreingenommen zu entscheiden, Glauben geschenkt und angenommen hat, die Besorgnis der Befangenheit sei begründet. Weitere Abklärungsmöglichkeiten bestanden bei dieser Sachlage für das Obergericht nicht. Es war daher vertretbar, das Interesse des Beschwerdeführers, den Prozess am Ort der gelegenen Sache auszutragen, aufgrund der
§
§ 18 und 21 ZPO
zurücktreten zu lassen.
5.
Im folgenden ist zu prüfen, ob diese Auslegung der Zivilprozessordnung vor
Art. 58 Abs. 1 BV
standhält. Diese Bestimmung gilt entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht nur im interkantonalen Verhältnis, sondern auch und vor allem im innerkantonalen Bereich (der angeführte
BGE 102 II 393
bezieht sich nicht auf Art. 58, sondern auf
Art. 59 BV
, für welchen die Feststellung des Obergerichts zutrifft).
Lehre und Praxis haben den
Art. 58 Abs. 1 BV
vor allem nach zwei Richtungen hin entwickelt, was im folgenden näher zu betrachten ist:
a) Einerseits will
Art. 58 Abs. 1 BV
eine durch Rechtssatz bestimmte Gerichtsordnung garantieren. Es soll nicht durch die Auswahl von ad hoc und ad personam berufenen Richtern die Entscheidung selbst beeinflusst werden (MÜLLER, Die Garantie des verfassungsmässigen Richters in der Bundesverfassung, ZBJV 1970, 249 ff., 253; BEYELER, Das Recht auf den verfassungsmässigen Richter als Problem der Gesetzgebung, Zürich 1978, S. 24 ff.; ähnlich: GRAVEN, La garantie du juge naturel et l'exclusion des tribunaux d'exception, in: Die Freiheit des Bürgers im schweizerischen Recht, Zürich 1948, S. 209 ff., 219 f.). Dieser Grundsatz war historisch vor allem gegen Einwirkungen von aussen, namentlich gegen jede Form von Kabinettsjustiz gerichtet. In der Lehre wird heute indessen die Auffassung vertreten, die Garantie erfasse auch den Anspruch, dass niemand zufolge von Entscheiden innerhalb der Gerichtsorganisation vor einem willkürlich berufenen Richter Recht nehmen müsse (MÜLLER, a.a.O., S. 253; BEYELER, a.a.O., S. 24 ff., 48 f., 104 ff. und die dort angeführten Verweisungen auf die ausländische Literatur).
b) Allerdings verbürgt die regelhafte Umschreibung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Gerichtsbehörden für sich allein noch nicht die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Zur formellen Zuständigkeitsordnung treten vielmehr Bestimmungen hinzu, die verhindern sollen,
BGE 105 Ia 157 S. 162
dass Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zuungunsten einer Partei auf das Urteil einwirken. Die kantonalen Bestimmungen über den Ausstand und der aus
Art. 58 Abs. 1 BV
folgende, durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung entwickelte Anspruch auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter (
BGE 104 Ia 273
E. 3 mit Verweisungen) wollen daher verhindern, dass jemand als Richter tätig ist, der unter solchen Einflüssen steht und deshalb kein "rechter Mittler" (
BGE 33 I 146
) mehr sein kann.
c) Zwar gehören auch die Bestimmungen über den Ausstand zu den Zuständigkeitsvorschriften. Wird aber zufolge Ausstandes oder Ablehnung ein Richter oder ein ganzes Gericht in einem bestimmten Fall von seiner Amtspflicht entbunden, so hat dies zur Folge, dass nicht der primär für diesen Streit vorgesehene, sondern ein gesetzlich nur subsidiär zuständiger oder sogar ein durch Einzelverfügung bestellter Richter in dieser Sache entscheiden muss. Der Anspruch auf einen unparteiischen Richter steht daher mit dem Anspruch auf den (primär) gesetzlich vorgesehenen Richter in einem gewissen Spannungsverhältnis, dem bei der Konkretisierung des
Art. 58 Abs. 1 BV
Rechnung zu tragen ist.
6.
a) Umstände, die auf die Unparteilichkeit eines Richters einwirken, können zunächst in äusseren Tatbeständen wie früherem Mitwirken am Rechtsstreit, Abhängigkeits- oder Verwandschaftsverhältnissen oder in einem sonstwie gearteten Interesse am Prozessausgang liegen. Abgesehen von solchen Gegebenheiten, denen die gesetzlichen Ausstandsgründe im allgemeinen Rechnung tragen, können aber auch andere Einflüsse, wie etwa gesellschaftliche Sitten, Gewohnheiten, Werturteile, die öffentliche Meinung oder bestimmte politische Ereignisse, auf die Unabhängigkeit des richterlichen Urteils einwirken und die innere Freiheit des Richters beeinträchtigen (EICHENBERGER, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, Bern 1960, S. 49 ff.; BEYELER, a.a.O., S. 63 ff.). Kein Richter wird jemals restlos frei von solchen Einflüssen sein (vgl. MÜLLER, a.a.O., S. 255). Dies wäre nicht einmal wünschbar, denn vom Richter werden mit Recht Lebensnähe, Erfahrung und menschliches Verständnis erwartet. Insbesondere ist auch der Richter Staatsbürger; er darf und soll eine politische Meinung haben, und er darf diese, soweit er es mit seinem Amte vereinbaren kann, auch vertreten.
BGE 105 Ia 157 S. 163
Gerade weil der Richter nicht losgelöst von der sozialen Wirklichkeit urteilen kann, muss von ihm andererseits eine gewisse Festigkeit gegenüber solchen Einflüssen verlangt werden (GEISER, a.a.O., S. 26; HAUSER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts auf dem Gebiete des Gerichtsverfassungsrechts, in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, Basel 1975, S. 540 ff.; EICHENBERGER, a.a.O., S. 52; BEYELER, a.a.O., S. 66 ff.). "Vom Richter kann und muss erwartet werden, dass er seine Unvoreingenommenheit wahrt" (
BGE 104 Ia 274
). Nicht jeder beliebige Einfluss dieser Art, dem der Richter im täglichen Leben ausgesetzt ist, vermag eine Befangenheit zu begründen, welche ihn unfähig macht, in einer Streitsache als Richter zu amten. Das Postulat der richterlichen Unparteilichkeit verlangt insbesondere nicht, dass er wegen des blossen Umstandes, dass er sich in einer bestimmten Sachfrage eine Meinung gebildet hat, in einem Prozess, der mit dieser Frage zusammenhängt, in den Ausstand treten muss. Aus dem Wortlaut des
Art. 58 Abs. 1 BV
ist im Gegenteil zu folgern, dass der Ausstand nicht leichthin, sondern nur aus erheblichen Gründen bewilligt werden soll. Insbesondere darf sich ein Richter nicht ihm unbequemer Prozesse entschlagen. Der Ausstand muss Ausnahme bleiben (vgl. GEISER, a.a.O., S. 65, 96; HAUSER/HAUSER, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, Zürich 1978, S. 382), denn sonst bestünde die Gefahr, dass die regelhafte Zuständigkeitsordnung für die Gerichte bis zu einem gewissen Grade illusorisch und die Garantie des verfassungsmässigen Richters von dieser Seite her ausgehölt werden könnte. In diesem Sinne muss zwischen den in
Art. 58 Abs. 1 BV
angelegten gegenläufigen Prinzipien ein vernünftiger Ausgleich gefunden werden.
b) Im Gegensatz zur Mehrheit der schweizerischen Kantone sieht § 21 der aargauischen ZPO vor, dass der Ausstand nicht bloss einzelnen Gerichtspersonen, sondern auch einem Gericht in seiner Gesamtheit bewilligt werden kann. Ähnliche Regeln finden sich beispielsweise in Art. 42 Abs. 3 der waadtländischen und in § 69 Abs. 1 der thurgauischen Zivilprozessordnung. Ausserdem wird dieses Vorgehen in einzelnen weiteren Kantonen (z.B. Wallis) praktiziert, ohne dass eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage dafür bestünde. Andere Kantone treffen Vorsorge für den Fall, dass wegen Ablehnung einer Mehrzahl der Richter eines Gerichts dieses nicht mehr vollzählig amten
BGE 105 Ia 157 S. 164
kann, und sehen unter dieser Voraussetzung die Ernennung ausserordentlicher Stellvertreter oder die Überweisung der Sache an ein anderes Gericht vor (z.B. Art. 13 Abs. 2 des St. Galler Zivilrechtspflegegesetzes; § 103 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes). Der Kanton Zug endlich sieht die Möglichkeit der Zuteilung einer Streitsache an ein anderes Gericht vor, wenn das zuständige Gericht beharrlich Recht verweigert (§ 43 des Gerichtsverfassungsgesetzes; ähnlich früher Zürich, § 114 aGVG; heute etwas veränderte Fassung in § 108 Abs. 1 rev. GVG). Das historische Vorbild für diese Regelungen dürfte im französischen Zivilprozessrecht liegen, welches im Zuge der Revolution neu geordnet wurde (sog. "renvoi [d'un tribunal à un autre] pour cause de suspicion légitime ou de sûreté publique"; vgl. Art. 65 der Verfassung der französischen Republik vom 22. Frimaire des Jahres VIII und Art. 27 des Gesetzes vom 27. Ventôse des Jahres VIII; heute ersetzt durch Art. 356 ff. der neuen Zivilprozessordnung vom 5. Dezember 1975; vgl. Vincent, Procédure civile, 18. Auflage, Paris 1976, S. 202 f.).
Die Kantone sind kraft ihrer verfassungsmässigen Zuständigkeit für das Gerichtswesen befugt, solche Regeln zu erlassen. Diese verstossen als solche nicht gegen
Art. 58 Abs. 1 BV
. Ihre Anwendung im Einzelfall kann jedoch diese Bestimmung verletzen, wenn sie ohne triftige Gründe erfolgt. Insbesondere wird sie in der Regel strenger sein müssen, als dies bei der Bewilligung des Ausstandes einzelner Gerichtspersonen der Fall ist, da eine solche Zuteilung einer Streitsache an ein anderes als das primär zuständige Gericht die Garantie des
Art. 58 Abs. 1 BV
stärker tangiert als der Ausstand eines einzelnen Gerichtsmitgliedes. Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, wird im folgenden zu untersuchen sein. Das Bundesgericht ist - wie erwähnt - bei der Prüfung dieser Fragen grundsätzlich frei, übt aber bei der Würdigung der besonderen örtlichen, sachlichen und persönlichen Verhältnisse des Einzelfalles Zurückhaltung (
BGE 101 Ia 256
f. E. 3c, 481 E. 5c).
c) Dem Bezirksgericht Rheinfelden wurde der Ausstand bewilligt, weil der geplante Bau eines Kernkraftwerks in Kaiseraugst zu grossen Spannungen und heftigen Streitigkeiten zwischen Kernkraftgegnern und der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG geführt hatte, welche nach den Feststellungen des Obergerichts einen erheblichen Teil der Bevölkerung in ihren Bann gezogen haben. Das Obergericht hält es unter diesen Umständen
BGE 105 Ia 157 S. 165
für verständlich, dass das Bezirksgericht Rheinfelden in seiner Gesamtheit befürchtet, den vorliegenden Zivilstreit nicht mehr unbeeinflusst von diesen politischen Ereignissen beurteilen zu können. Diese Argumentation ist nicht unproblematisch.
Art. 58 Abs. 1 BV
sollte historisch gerade in politisch bewegten Zeiten den Bürgern die ordentliche Gerichtsbarkeit gewährleisten (vgl. MÜLLER, a.a.O., S. 255 ff.). Es ist nun aber glaubhaft, dass der Streit um das Kernkraftwerk Kaiseraugst im Standortbezirk zu einer besonders emotionsgeladenen Atmosphäre und zu politischen Auseinandersetzungen geführt hat, an denen - im Gegensatz zu anderen kurzfristig aktuell gewordenen Sachfragen - weite Kreise der Bevölkerung mehr oder weniger dauernd beteiligt sind. Eine derartige Situation hebt sich von den in den letzten Jahrzehnten sonst mehrheitlich ruhigen politischen Verhältnissen in der Schweiz deutlich ab und ist daher durch die Betroffenen auch entsprechend schwerer zu bewältigen. Dass Richter, welche - wie die Mehrzahl der Mitglieder des Bezirksgerichts Rheinfelden - nicht juristisch ausgebildet sind und das Richteramt neben ihrer eigentlichen Erwerbstätigkeit ausüben, solchen Spannungen noch stärker ausgesetzt sind als dies in der Regel bei Berufsrichtern der Fall sein dürfte, erscheint ebenfalls als verständlich. Ferner lässt sich - wie dies im vorliegenden Fall geschehen ist - für ein erstinstanzliches Gericht in einem Kanton mit mehreren Gerichtsbezirken leichter eine Stellvertretung durch ein ordentliches Gericht der gleichen Stufe finden als für ein Gericht, welches als einzige Instanz für einen ganzen Kanton tätig ist. Hinzu kommt schliesslich, dass das Bezirksgericht Rheinfelden aus freien Stücken um die Bewilligung des Ausstandes nachgesucht hat. Wie bereits früher dargelegt wurde, ist Befangenheit zunächst ein innerer Zustand, an dessen Nachweis der Natur der Sache nach keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. GEISER, a.a.O., S. 66). Ein Beweisverfahren über diese Frage ist praktisch ausgeschlossen. Der Richter, der nach bestem Wissen und Gewissen erkennt, dass er eine Streitsache nicht mehr unvoreingenommen beurteilen kann, begeht keine Pflichtverletzung, wenn er unter diesen Umständen den Ausstand beantragt (vgl. die Regelung in § 100 Abs. 2 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes: "Verlangt der Justizbeamte selbst den Ausstand, so darf er ihm auf die gewissenhafte Erklärung hin, dass ein Ausstandsgrund vorliege, nicht
BGE 105 Ia 157 S. 166
verweigert werden"). Das Obergericht hält die Befürchtung des Bezirksgerichts Rheinfelden, es könne den streitigen Zivilprozess nicht mehr unvoreingenommen beurteilen, angesichts der konkreten Umstände für ernstlich begründet. Diesem Schluss kommt für das Bundesgericht grosse Bedeutung zu, da das Obergericht die Verhältnisse im Kanton und seinen Bezirken und ihre Auswirkungen besser beurteilen kann als das Bundesgericht. Werden alle Umstände des vorliegenden Falles gesamthaft betrachtet, so erscheint daher der angefochtene Entscheid des Obergerichts als vor
Art. 58 Abs. 1 BV
haltbar.
Das Obergericht hat aber zu Recht den Ausstand nur für den vorliegenden Zivilprozess bewilligt. Sollten später weitere mit dem Kernkraftwerk zusammenhängende Verfahren anhängig werden, so muss die Frage des Ausstandes, falls sie aufgeworfen wird, erneut und für jeden Fall gesondert geprüft werden. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich dannzumal die Situation beruhigt hat oder dass die Mitglieder des Gerichts in der Zwischenzeit eine gewisse Distanz zu den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit gewonnen haben. Von Richtern muss verlangt werden, dass sie sich nach Kräften bemühen, ihre solchen Anfechtungen ausgesetzte innere Freiheit wieder zu erlangen.
7.
Die Beschwerdeführer berufen sich ausserdem auf Art. 55 KV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Sie tun aber nicht dar, dass Art. 55 KV eine grössere Tragweite zukommt als
Art. 58 Abs. 1 BV
. Ebensowenig ist ersichtlich, inwieweit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
weitergehende Garantien innewohnen sollten als diejenigen, welche aus
Art. 58 Abs. 1 BV
folgen. Soweit die Beschwerdeführer endlich die Unparteilichkeit des Bezirksgerichts Bremgarten in Zweifel ziehen, fehlt es an einer konkreten Begründung, so dass hierauf nicht näher einzugehen ist (
Art. 90 Abs. 1 OG
). | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f1ffc3c4-8252-4dec-9d40-6eb64821e189 | Urteilskopf
85 II 580
80. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. November 1959 i.S. Blanche Neige SA gegen Melchtry. | Regeste
Eine neben der Berufung eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wegen willkürlicher Beweiswürdigung ist grundsätzlich zuerst zu beurteilen. Erheben sich aber Zweifel darüber, ob die mit der Beschwerde angefochtene tatsächliche Feststellung wesentlichsei, so kann darüber vorweg im Berufungsverfahren entschieden werden.
Art. 57 Abs. 5 OG
(Erw. 2 und 5).
Unter welchen Voraussetzungen wird der Garagist, der den Wagen im Vertrauen auf betrügerische Angaben dem Kunden ohne Bezahlung seiner Reparaturrechnung herausgab, wieder retentionsberechtigt, wenn der Kunde ihm den Wagen zurückbringt?
Art. 895 ff. ZGB
(Erw. 3).
Gehen die Rechte des Dritten, der den Wagen dem Kunden unter Eigentumsvorbehalt verkauft hatte, dem Retentionsrecht des Garagisten vor, wenn dieser beim Empfang des Wagens den Eigentumsvorbehalt kannte? Art. 895 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 714 und 933 ff. ZGB
(Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 581
BGE 85 II 580 S. 581
A.-
Die Firma Blanche Neige (jetzt SA) in Lausanne verkaufte dem bei ihr als Reisevertreter angestellten, in Biel wohnhaften Hermann Schütz am 22. Juni 1956 ein Auto Opel-Rekord zum Preise von Fr. 4'300.--, zahlbar in wöchentlichen Raten von Fr. 100.--, unter Eigentumsvorbehalt
BGE 85 II 580 S. 582
bis zur vollständigen Bezahlung des Preises. Der Eigentumsvorbehalt wurde am 27. des gleichen Monats im Register des Betreibungsamtes Biel eingetragen.
B.-
Im Juli 1956 hatte Schütz auf einer Geschäftsreise im Wallis bei Turtmann einen Unfall, wobei der Wagen beträchtlich beschädigt wurde. Man verbrachte den Wagen in die dortige Garage des Hans Meichtry, der die Schäden zum Teil selber behob und die Instandstellung im übrigen der Firma Métalléger SA in Siders übertrug. Daraus ergaben sich zwei Rechnungen von Fr. 578.50 und Fr. 2'669.85.
C.-
Am 4. August 1956 wollte Schütz den wieder instand gestellten Wagen bei Meichtry abholen. Er erklärte diesem, die Firma Blanche Neige, seine Arbeitgeberin, werde die Reparaturen bezahlen, und gab Meichtry als Ausweis das Formular eines Bestellscheins aus seinem Bestellungsbuch mit dem Firmenaufdruck. Meichtry sah deshalb von der Geltendmachung seines Retentionsrechtes ab und gab Schütz den Wagen heraus. Die Reparaturrechnung, die er der Firma Blanche Neige zustellte, kam jedoch zurück mit dem Bemerken, Schütz habe für diese Kosten selber aufzukommen. Ebenso schickte die Firma Blanche Neige am 12. September 1956 die ihr von der Métalléger S.-A. zugesandte Rechnung zurück mit folgendem Begleitbrief:
"... Nous vous retournons ce document en précisant que la voiture en question ne nous appartient plus, mais a été vendue au mois de juin à M. Hermann Schütz. ..
M. Schütz, en sa qualité de propriétaire du véhicule, est responsable de son entretien et notre maison n'a pas à intervenir dans le règlement de ses factures.
Vous voudrez bien liquider cette affaire directement avec l'intéressé."
D.-
Da Schütz die Rechnung nicht beglich, fühlte Meichtry sich um sein Retentionsrecht betrogen und erstattete Strafanzeige gegen ihn. Schütz brachte auf Anraten seines Anwaltes am 11. Februar 1957 den Wagen in die Garage von Meichtry zurück, um dessen Retentionsrecht
BGE 85 II 580 S. 583
wiederherzustellen. Er wurde aber gleichwohl durch Urteil des Kreisgerichts Leuk vom 12. November 1957 wegen Betruges zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten unter Gewährung des bedingten Vollzuges verurteilt.
E.-
In einer gegen Schütz in Biel angehobenen ordentlichen Betreibung wurde Meichtry an eine Lohnpfändung angeschlossen. In der Pfändungsurkunde vom 25. Januar 1957 ist vermerkt: "Der Wagen gehört dem Arbeitgeber".
Mit Berufung auf das Retentionsrecht leitete Meichtry anfangs Mai 1957 gegen Schütz in Leuk eine Betreibung auf Pfandverwertung ein.
F.-
Am 7. Juni 1957 erwirkte indessen die Firma Blanche Neige eine Verfügung des Instruktionsrichters des Bezirkes Leuk, wonach Meichtry angewiesen wurde, ihr den Wagen gegen Hinterlegung von Fr. 4'000.-- bei Gericht herauszugeben "mit der Auflage an die Firma Blanche Neige, dass der Wagen bis zum Endurteil des Haupthandels nicht weiterveräussert werden darf".
G.-
Die am 15. Juni 1957 von der Firma Blanche Neige beim nämlichen Richter angehobene Klage gegen Meichtry ging auf Feststellung, dass dem Beklagten kein Retentionsrecht an ihrem Wagen zustehe, ferner auf Herausgabe des Wagens und auf Schadenersatz im Betrag von Fr. 30.- pro Tag seit 15. Januar 1957 bis zur Auslieferung. Der Beklagte widersetzte sich diesen Begehren und verlangte durch Widerklage die Feststellung seines Retentionsrechtes und die Verurteilung der Klägerin zur Bezahlung der Reparaturkosten sowie der Einzugs- und Betreibungskosten und einer Vergütung für die Garagierung des Wagens, zusammen Fr. 3'430.75, nebst Zinsen.
In ihren Schlusseingaben an das mit Rücksicht auf den Streitwert von mehr als Fr. 4'000.-- mit der Angelegenheit befasste Kantonsgericht passten die Parteien ihre Rechtsbegehren dem durch die Herausgabe des Wagens an die Klägerin und die von dieser geleistete Barhinterlage veränderten Sachstand an.
H.-
Mit Urteil vom 20. Februar 1959 hat das Kantonsgericht
BGE 85 II 580 S. 584
Wallis die Begehren der Klägerin abgewiesen, dagegen die Widerklage gutgeheissen und festgestellt, dass Hans Meichtry am Wagen bezw. an der Barhinterlage von Fr. 4'000.-- ein Retentionsrecht habe und sich aus dieser Summe bezahlt machen könne für die Reparaturkosten von Fr. 3'248.35, die Einzugs- und Betreibungskosten von Fr. 47.40 und die Garagevergütung von Fr. 135.--, zusammen Fr. 3'430.75, nebst Zinsen.
Das Kantonsgericht geht davon aus, Meichtry habe Schütz beim Empfang des Wagens zur Reparatur als Eigentümer betrachtet und daher gutgläubig ein Retentionsrecht erworben. Infolge der Herausgabe des instand gestellten Wagens an Schütz sei das Retentionsrecht freilich untergegangen. Es habe dann aber neu begründet werden können durch die am 11. Februar 1957 erfolgte Rückgabe des Wagens an den Beklagten, sofern dieser damals noch gutgläubig gewesen sei. Das treffe zu, denn verschiedene Umstände sprächen dafür, dass Schütz, als er den Wagen Meichtry zurückbrachte, den zu Gunsten der Klägerin bestehenden Eigentumsvorbehalt verschwiegen habe. Es sei auch nicht erwiesen, dass Meichtry damals bereits durch die Klägerin selbst über den Eigentumsvorbehalt orientiert gewesen sei. - Die Klägerin habe im Herbst 1956 gegenüber der Firma Métalléger SA Schütz als Eigentümer des Wagens bezeichnet. Sie habe anscheinend nicht als Eigentümerin hervortreten wollen, als es um die Bezahlung der Reparaturkosten ging; dagegen habe sie sich später auf ihr Eigentum berufen, um den Wagen behändigen zu können. Dieses Verhalten verstosse gegen Treu und Glauben und rechtfertige ebenfalls die Abweisung der Klage. - Selbst wenn übrigens das von der Klägerin vorbehaltene Eigentum gegenüber dem Retentionsrecht des Beklagten zur Geltung kommen müsste, wäre es nur auf das nach dem Unfall vorhanden gewesene Wrack des Wagens zu beziehen, nicht auf den von Meichtry in Verbindung mit der Métalléger SA wiederhergestellten Wagen. In der vorliegenden Fassung
BGE 85 II 580 S. 585
könnten also die Klagebegehren keinesfalls geschützt werden.
I.-
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin neben einer staatsrechtlichen Beschwerde die vorliegende Berufung eingelegt mit dem Antrag, es sei zu erkennen:
a) der Beklagte habe an ihrem Wagen kein Retentionsrecht;
b) der Wagen sei ihr zur freien Verfügung zu überlassen und der bei Gericht hinterlegte Betrag von Fr. 4'000.-- ihr auszuzahlen;
c) der Beklagte habe ihr als Schadenersatz Fr. 4'000.-- zu zahlen;
d) die Widerklagebegehren seien abzuweisen.
Der Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung (wie auch der staatsrechtlichen Beschwerde) an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Streitwert).
2.
Das kantonsgerichtliche Urteil beruht unter anderem auf der tatbeständlichen Annahme, der Beklagte habe beim Rückempfang des Wagens am 11. Februar 1957 den zu Gunsten der Klägerin bestehenden Eigentumsvorbehalt noch nicht gekannt. Gegen diese Festellung richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde mit der Rüge einer willkürlichen Beweiswürdigung. Grundsätzlich wäre die staatsrechtliche Beschwerde zuerst zu beurteilen. Bei ihrer Prüfung erhob sich jedoch vorweg die Frage, ob jene Feststellung für die Entscheidung des Rechtsstreites von wesentlicher Bedeutung sei, oder ob nicht selbst bei gegenteiliger Feststellung ein dem Eigentumsvorbehalt der Klägerin vorgehendes Retentionsrecht des Beklagten anerkannt werden müsse. Da das angefochtene Urteil der Berufung unterliegt und dieses Rechtsmittel denn auch in gültiger Weise eingelegt worden ist, erschien es als angezeigt, die soeben formulierte, vom materiellen Recht beherrschte Frage vorweg im Berufungsverfahren abzuklären. Sollte sie dahin zu beantworten sein, dass es auf die
BGE 85 II 580 S. 586
Kenntnis des Eigentumsvorbehalts beim Rückempfang des Wagens entscheidend ankomme, so wäre dem staatsrechtlichen Verfahren wiederum der Vortritt einzuräumen. Sollte sich dagegen als unerheblich erweisen, ob der Beklagte, als Schütz ihm den Wagen zurückbrachte, um den zu Gunsten der Klägerin bestehenden Eigentumsvorbehalt wusste, so würde die staatsrechtliche Beschwerde des rechtlichen Interesses ermangeln und wäre aus diesem Grund ohne weiteres abzuweisen, gleichgültig ob die mit ihr erhobenen Rügen an und für sich begründet gewesen wären; damit würde der Weg zur abschliessenden materiellen Beurteilung der Berufung frei.
3.
Mit der Herausgabe des Wagens an Schütz verlor der Beklagte das ihm nach Art. 895 ff. zugestandene Retentionsrecht. Dieses ist eben an den Besitz gebunden und geht daher mit dem Verlust des Besitzes unter. So verhält es sich nach überwiegender Lehrmeinung selbst bei unfreiwilligem Besitzesvelust, allerdings mit Vorbehalt der Besitzesschutzklage auf Wiedereinräumung des Besitzes. Zu dieser Frage (worüber vgl. OFTINGER, N. 177 zu
Art. 895 ZGB
) ist hier nicht Stellung zu nehmen. Hat doch der Beklagte den Wagen freiwillig, wenn auch verleitet durch betrügerische Angaben, an Schütz herausgegeben, womit der Verlust des Retentionsrechtes unvermeidlich verbunden war. Dem Kantonsgericht ist aber darin beizustimmen, dass dieses Recht durch Wiedereinräumung des Gewahrsams neu begründet werden konnte (vgl. LEEMANN, N. 6 und 7, und OFTINGER, N. 176 ff., zu
Art. 895 ZGB
; O. BRANDER, Das Retentionsrecht nach schweizerischen Zivilrecht, S. 8 und 49/50). Hiefür war allerdings notwendig, dass die Voraussetzungen von
Art. 895 ZGB
noch oder neuerdings erfüllt waren (vgl. OFTINGER, a.a.O. N. 179). Ferner durfte nicht etwa nunmehr ein Ausschlussgrund nach
Art. 896 ZGB
vorliegen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn der Beklagte den Wagen am 11. Februar 1957 zu einem die Retention für die alte Verbindlichkeit nicht zulassenden besondern
BGE 85 II 580 S. 587
Zweck erhalten hätte. Indessen übergab ihm Schütz damals den Wagen gerade, um ihm den Retentionsbesitz für die Forderung aus der Instandstellung des Wagens wieder zu verschaffen, was sein Anwalt auch der Klägerin kundgetan hatte. Der Beklagte kann es nicht anders verstanden haben, obwohl er dem Überbringer Schütz den Empfang des Wagens "an Zahlungsstatt" bescheinigte. Gemeint war: zur Sicherstellung der ausstehenden Zahlung. Demgemäss hat der Beklagte ja dann auf Grund des Retentionsrechtes Betreibung auf Pfandverwertung angehoben und niemals das Eigentum am Wagen für sich beansprucht. Fraglich ist unter diesen Umständen nur noch, welche Bedeutung dem zu Gunsten der Klägerin bestehenden Eigentumsvorbehalt zukomme: ob dieses Drittmannsrecht, das pfandrechtsähnliche Sicherheit gibt, dem Retentionsrecht des Beklagten vorgehe, oder ob das Retentionsrecht gemäss
Art. 895 Abs. 3 ZGB
ungeachtet des Eigentumsvorbehaltes, also den Rechten der Klägerin vorgehend, zur Geltung zu kommen habe.
4.
Dem Retentionsrecht des Beklagten gebührt jedenfalls dann ohne Zweifel der Vorrang, wenn er, als der Wagen am 11. Februar 1957 wieder in seinen Gewahrsam gelangte, Schütz immer noch, und zwar in guten Treuen (
Art. 3 ZGB
), für den Eigentümer hielt, wie es das Kantonsgericht annimmt, eine Feststellung, die jedoch, wie erwähnt, mit staatsrechtlicher Beschwerde als auf willkürlicher Beweiswürdigung beruhend angefochten ist. Eben deshalb ist noch die weitere Frage zu prüfen, ob Schütz nicht überhaupt, trotz dem von der Klägerin vorbehaltenen Eigentum, befugt gewesen war, den Wagen dem Beklagten zur Instandstellung zu übergeben, und ob er nicht ebenfalls befugterweise den durch Betrug gebrochenen Gewahrsam ungeachtet des Eigentumsvorbehaltes wiederherstellen durfte; eventuell, falls dies zu verneinen wäre, ob nicht der Beklagte dennoch selbst bei Kenntnis des Eigentumsvorbehaltes der Klägerin den Überbringer Schütz am 11. Februar 1957 als zur Wiederherstellung
BGE 85 II 580 S. 588
des Gewahrsams befugt ansehen durfte und somit kraft guten Glaubens gemäss
Art. 895 Abs. 3 ZGB
das Retentionsrecht auf alle Fälle wieder erwarb.
a) Die Sache, an der sich der Veräusserer das Eigentum vorbehalten hat, ist dem Erwerber einstweilen (solange der Vorbehalt zu Recht besteht) nur anvertraut. Es ist ihm nicht erlaubt, wie ein Eigentümer darüber zu verfügen, insbesondere sie zu veräussern oder für eine beliebige Forderung zu verpfänden. Durch unerlaubte Verfügung über die Sache macht er sich der (nach
Art. 140 StGB
strafbaren) Veruntreuung schuldig (vgl.
BGE 75 IV 105
,
BGE 82 IV 182
; SIMONIUS/SCHERRER, N. 93 zu Art. 715/16 ZGB). Dagegen stehen ihm Gebrauch und Nutzung der Sache zu, und da Nutzen und Gefahr wie bei einem ohne Eigentumsvorbehalt abgeschlossenen Kauf ordentlicherweise gemäss
Art. 185 Abs. 1 OR
mit dem Vertragsabschluss auf ihn übergehen (vgl. LEEMANN, N. 56 zu
Art. 715 ZGB
), hat er auch für den Unterhalt der Sache zu sorgen und sie bei Beschädigung wieder instand zu stellen oder auf eigene Kosten instand stellen zu lassen. Davon geht auch die Klägerin aus, die dem Käufer Fr. 500.-- zum Abschluss einer Kaskoversicherung übergab (was er unterliess) und die Bezahlung der Rechnung der vom Beklagten mit einem Teil der Instandstellungsarbeiten betrauten Métalléger SA ablehnte, weil diese Verpflichtung sie nicht berühre, sondern den Käufer allein angehe. Sie erklärte dabei sogar, der Wagen gehöre ihr nicht mehr; Schütz, der ihn gekauft habe, sei nun der Eigentümer (oben lit. C der Tatsachen). Darin lag freilich kein Verzicht auf den Eigentumsvorbehalt. Es ist aber für die eigene Auffassung der Klägerin bezeichnend, dass sie gar nicht daran dachte, gegenüber den mit der Reparatur befassten Firmen etwas aus dem Eigentumsvorbehalt herzuleiten, diesen vielmehr verschwieg und die dem Käufer (gleichwie beim Fehlen eines Eigentumsvorbehalts) zukommende selbständige Stellung hinsichtlich der ordentlichen Bewirtschaftung des Wagens unterstrich. Im übrigen ist auch
BGE 85 II 580 S. 589
nicht etwa die Rede davon, die in Frage stehende Instandstellung habe sich nicht gelohnt und wäre besser unterblieben. Nach alldem war Schütz befugt, wenn nicht sogar im Interesse der Klägerin verpflichtet, den Wagen, wie es geschehen ist, instand stellen zu lassen und zu diesem Zwecke dem Beklagten zu übergeben.
War die Klägerin zwar nicht mitverpflichtet, und erwuchs dem Beklagten daher gegen sie keine Forderung, so erhielt er doch das mit dem Gewahrsam verbundene Retentionsrecht. Schütz war eben auch zu Massnahmen befugt, die ein gesetzliches Retentionsrecht seines Gläubigers am Wagen enstehen liessen. Indem er diesen dem Beklagten zur Reparatur übergab, hat er ihn keineswegs veruntreut.
b) Ebenso lag es im Rahmen seiner Befugnisse, den durch Betrug gebrochenen Gewahrsam des Beklagten wiederherzustellen. Die Abwicklung des Schuldverhältnisses zwischen ihm und dem Beklagten blieb seine Sache. Dazu gehörte auch die Wiederherstellung des Retentionsbesitzes, den der Beklagte verleitet durch seine betrügerischen Angaben aufgegeben hatte. Er war am 11. Februar 1957 in der Lage, den Wagen dem Beklagten zurückzubringen, da die Klägerin ihn ihm belassen und den Kauf nicht etwa im Sinne von
Art. 716 ZGB
rückgängig gemacht hatte. Der Klägerin stand nicht zu, dieser Wiederherstellung des Besitzstandes - einer rechtmässigen Handlung des Schuldners, wozu er gegenüber dem Beklagten mindestens moralisch verpflichtet war - zu widersprechen, um den durch die Instandstellung des Wagens geschaffenen Mehrwert ohne Rücksicht auf das normalerweise dem mit der Reparatur betrauten Gläubiger zustehende Vorzugsrecht für sich in Anspruch zu nehmen. Sie hinderte denn auch die vom Käufer getroffene Wiederherstellungsmassnahme nicht, sondern verneint nur deren Rechtswirksamkeit; wie dargetan, zu Unrecht. Allerdings unterliegt dem Eigentumsvorbehalt nicht, wie die Vorinstanz annimmt, nur das "Wrack" des Wagens in dessen
BGE 85 II 580 S. 590
Zustand nach dem Verkehrsunfall. Der Eigentumsvorbehalt ergreift den Wagen samt seinen Bestandteilen, wie er heute nach der Instandstellung vorhanden ist. Allein das Retentionsrecht des Beklagten geht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nach
Art. 895 ff. ZGB
auch am 11. Februar 1957 vorlagen und der Schuldner zur Rückverbringung des Wagens in die Garage des Beklagten berechtigt war, den Rechten der Klägerin vor.
c) Bei dieser Sachlage braucht sich der Beklagte nicht auf gutgläubige Annahme einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Berechtigung des Schuldners zur Übergabe des Wagens zu berufen. Falls es an einer solchen Berechtigung gefehlt hätte, wäre aber der gute Glaube des Beklagten in der Tat zu bejahen, auch wenn ihm der zu Gunsten der Klägerin bestehende Eigentumsvorbehalt beim Wiederempfang des Wagens am 11. Februar 1957 bekannt gewesen sein sollte. Der Wortlaut von
Art. 895 Abs. 3 ZGB
könnte zwar, für sich allein betrachtet, zur Annahme verleiten, der gute Glaube habe sich auf das Eigentumsrecht des Schuldners zu beziehen; er sei also nicht gegeben, wenn dem Gläubiger das Eigentum eines Dritten bekannt ist. Indessen spricht
Art. 895 Abs. 3 ZGB
einfach von gutgläubigem Empfang der Sache. Diese Vorschrift ist nach zutreffender und denn auch allgemein anerkannter Auffassung im Zusammenhang mit den
Art. 714 und 933 ff. ZGB
dahin zu verstehen, der Gläubiger müsse beim Empfang der einem Dritten gehörenden Sache den Schuldner in gutem Glauben als berechtigt betrachtet haben, sie ihm zu dem vereinbarten Zweck auszuhändigen. Das kann nun, wie sich gerade aus dem oben (Erw. 4, a und b) Ausgeführten ergibt, mitunter auch dann zutreffen, wenn der Schuldner nicht Eigentümer der Sache ist. Was insbesondere Sachen betrifft, die der Eigentümer einem andern anvertraut hatte, so ist nach
Art. 933 ZGB
derjenige, der eine solche Sache vom Besitzer "in gutem Glauben" zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält,
BGE 85 II 580 S. 591
in seinem Erwerb auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer "ohne jede Ermächtigung zur Übertragung" anvertraut worden waren. Daraus folgt, dass als gutgläubig auch ein Erwerber zu gelten hat, der den veräussernden Besitzer zwar nicht als Eigentümer, aber als aus andern Gründen zur Verfügung berechtigt ansieht und ansehen darf (vgl. HAAB/SIMONIUS, N. 55 zu
Art. 714 ZGB
; so denn auch die ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler
BGE 65 II 64
). Auch der Besitz unter Eigentumsvorbehalt ist anvertrauter Besitz im Sinne von
Art. 933 ZGB
(vgl. OSTERTAG, N. 6 zu
Art. 933 ZGB
; J. O. RAUCH, Der Eigentumsvorbehalt, S. 98). Für die Entstehung des Retentionsrechtes nach
Art. 895 ZGB
wird gleichwie für die Begründung dinglicher Rechte kraft Rechtsgeschäftes zutreffenderweise angenommen, Kenntnis vom Eigentumsrecht eines Dritten schliesse den guten Glauben des die Sache empfangenden Gläubigers nicht aus. "Bösgläubig ist er erst, wenn er weiss oder wissen muss, dass ihm der Schuldner die Sache nicht hätte übergeben dürfen" (vgl. HOMBERGER/MARTI, Schweiz. jur. Kartothek Nr. 673, III, 2; so denn auch
BGE 38 II 202
Erw. 4 betreffend Art. 227 aoR, jedoch bereits mit Hinweis auf
Art. 895 Abs. 3 ZGB
, vgl. ferner ein Urteil des bernischen Appellationshofes in ZbJV 70 S. 433 ff.; WIELAND, N. 5, c, LEEMANN, N. 14, und OFTINGER, N. 134 und 134 a zu
Art. 895 ZGB
; F. A. STAEHELIN, Probleme aus dem Gebiete des Eigentumsvorbehalts, S. 85 und 90, mit Fussnoten 5 und 17). In der Übergabe eines Wagens zur Instandstellung liegt keine eigentliche Verfügung über die Sache. Es handelt sich um eine Massnahme der Vermögensverwaltung, die freilich ein gesetzliches Retentionsrecht des mit der Instandstellung betrauten Gläubigers nach sich zieht. Zu einer solchen Massnahme darf ein Garagist den Wagenbesitzer für berechtigt halten, jedenfalls wenn dieser den Wagen gekauft und nicht etwa bloss für eine einzelne Fahrt entlehnt hat, ganz gleichgültig ob der Kaufpreis völlig oder nur zum Teil
BGE 85 II 580 S. 592
bezahlt ist und ob noch ein Eigentumsvorbehalt des Verkäufers besteht, wie es bei einer grossen Anzahl der im Verkehr befindlichen Motorfahrzeuge zutrifft.
5.
Ist somit das Retentionsrecht des Beklagten zu schützen, auch wenn ihm beim Rückempfang des Wagens das von der Klägerin beim Verkauf an Schütz vorbehaltene Eigentum bekannt gewesen sein sollte, so fällt die staatsrechtliche Beschwerde - die bei diesem Ergebnis der materiellrechtlichen Prüfung mangels Interesses ohne weiteres abzuweisen ist, gemäss Erw. 2 - nicht weiter in Betracht. Die Berufung ist auch ihrerseits abzuweisen. Die Höhe der nach dem vorinstanzlichen Urteil durch das Retentionsrecht gesicherten Forderungen des Beklagten und Widerklägers ist vor Bundesgericht nicht beanstandet worden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Wallis vom 20. Februar 1959 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f200ea49-2285-4fb0-a27a-e1b7e923c4d3 | Urteilskopf
104 IV 222
51. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 15 décembre 1978 dans la cause A. contre Ministère public du canton de Vaud | Regeste
Art. 55 Abs. 1 StGB
, Landesverweisung.
Die Landesverweisung schützt einerseits die öffentliche Sicherheit und ist anderseits Strafe, die gemäss
Art. 63 StGB
zu bemessen ist. Auf Nichtigkeitsbeschwerde greift der Kassationshof nur ein, wenn der kantonale Richter sein Ermessen überschritten hat (Erw. 1b).
Während der zwiefache Charakter der Landesverweisung bei ihrer Anordnung und Bemessung zu berücksichtigen ist, gilt für den Entscheid über den bedingten Vollzug einzig die Regel von
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
(Erw. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 222
BGE 104 IV 222 S. 222
A.-
A., de nationalité espagnole, a commis des attentats à la pudeur des enfants, au sens de l'
art. 191 ch. 1 CP
sur un garçon de 8 ans, et au sens de l'
art. 191 ch. 1 et 2 CP
sur un garçon de 13 ans.
Il a été condamné, de ce chef, par le Tribunal correctionnel du district de Cossonay le 17 mai 1978, à 18 mois d'emprisonnement, avec sursis pendant 5 ans. Il a en outre été condamné à 10 ans d'expulsion du territoire suisse, sans sursis.
BGE 104 IV 222 S. 223
Un sursis à une peine de 10 jours d'arrêts, prononcée en 1976, pour ivresse au guidon, a été révoqué.
Né en 1934, troisième de cinq enfants, A. a été élevé dans le Maroc espagnol. Il a dû abandonner l'école à l'âge de 13 ans pour gagner sa vie. En janvier 1962 et sans avoir fait l'objet d'aucune remarque défavorable de la part des autorités de police, il a quitté le Maroc pour se rendre en Suisse. Il a d'abord travaillé durant sept ans dans la région lausannoise, puis à partir d'août 1969 il a trouvé un emploi aux Câbleries de Cossonay, où il donne entière satisfaction. Célibataire, il occupe avec un collègue de travail un petit appartement à Penthalaz. Sur son salaire de 1800 fr. environ, il verse chaque mois 570 fr. à sa mère et à sa soeur qui vivent en Espagne. Mis à part le fait qu'il s'enivre régulièrement et qu'il a été condamné en 1976 à 10 jours d'arrêts avec sursis, pour ivresse au guidon, A. n'a pas occupé défavorablement l'autorité de police en Suisse.
B.-
A. a recouru contre la peine d'expulsion prononcée et contre le refus du sursis à cette peine. La Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté son recours le 26 juillet 1978.
C.-
A. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à la suppression de la peine d'expulsion, subsidiairement, à ce qu'elle soit assortie du sursis.
Se référant à l'arrêt attaqué, le Ministère public a renoncé à se déterminer sur le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le recourant, invoquant ses relations personnelles avec la Suisse, où il vit depuis longtemps, s'en prend en premier lieu au principe de la peine d'expulsion qui a été prononcée contre lui. Il fait valoir que la cour cantonale, en maintenant l'expulsion, n'a pas tenu suffisamment compte de ces circonstances personnelles.
b) L'
art. 55 al. 1 CP
laisse au juge le pouvoir d'apprécier si un étranger condamné à la réclusion ou à l'emprisonnement doit être expulsé de Suisse. L'expulsion sert d'une part à la protection de la sécurité publique et d'autre part elle constitue une véritable peine. Cette qualité de peine accessoire, qui lui est conférée par la loi, exige qu'elle soit fixée en application de l'
art. 63 CP
, c'est-à-dire d'après la culpabilité du délinquant, en
BGE 104 IV 222 S. 224
tenant compte des mobiles, des antécédents et de la situation personnelle de celui-ci (
ATF 94 IV 103
consid. 2). S'agissant dès lors d'une question de mesure de la peine, la Cour de cassation du Tribunal fédéral n'intervient dans cette question que si le juge du fait outrepasse son pouvoir d'appréciation en prenant une décision manifestement insoutenable, arbitrairement sévère ou clémente (
ATF 78 IV 72
). C'est au juge aussi qu'il incombe, dans chaque cas particulier, de faire la part du but répressif et du but de sécurité publique que remplit l'expulsion (
ATF 94 IV 104
).
Il convient encore de préciser que, tant au regard de la jurisprudence que de certains auteurs, le juge doit faire montre de retenue avant de prononcer l'expulsion d'un étranger qui vit depuis longtemps en Suisse, qui y est enraciné, qui n'a plus guère de rapports avec l'étranger et qui serait dès lors lourdement frappé par une expulsion (
ATF 74 IV 5
; SCHWANDER, Strafgesetzbuch, p. 210, n. 396; SCHULTZ, Allg. Teil, II, 3e éd., p. 115).
Même au regard de cette dernière règle, on ne saurait véritablement dire que, sur le principe du prononcé d'une peine d'expulsion, l'autorité cantonale a excédé son pouvoir d'appréciation.
Certes, au vu des liens qui unissent le recourant à la Suisse, la peine apparaît-elle comme lourde; mais, avant de la prononcer, l'autorité cantonale n'a nullement perdu de vue la situation personnelle du condamné et elle en a fait amplement état dans sa décision. Elle a en outre tenu également compte de la gravité du cas et du fait que les actes commis par le recourant étaient de nature à perturber gravement l'avenir des victimes, ce dernier aspect justifiant à ses yeux l'expulsion en tant que mesure de sûreté. De telles considérations ne sont ni excessives ni insoutenables, si bien que la peine d'expulsion, ajoutée à la peine principale de 18 mois d'emprisonnement, ne peut être qualifiée d'exagérément sévère au vu de l'ensemble des circonstances.
Le pourvoi doit donc être rejeté sur ce premier point.
2.
a) Le recourant fait valoir en second lieu que le refus du sursis en ce qui concerne la mesure d'expulsion viole les exigences de l'
art. 41 ch. 1 CP
, fondées sur les perspectives d'amendement du condamné, et qu'il est en contradiction avec les motifs qui ont entraîné l'octroi du sursis pour la peine principale.
BGE 104 IV 222 S. 225
b) On relève d'emblée que l'
art. 41 ch. 1 al. 4 CP
autorise expressément le juge, en cas de concours de peines, à limiter le sursis à certaines d'entre elles. Selon le cas, en effet, le sursis peut ne se justifier que pour la peine principale et non pour la peine accessoire, ou vice versa (
ATF 95 IV 15
consid. 3), notamment lorsque les deux genres de peine diffèrent quant à leur but et quant à leurs modalités d'exécution. Ainsi le juge peut-il accorder le sursis pour la peine principale, mais le refuser pour la peine accessoire, si le pronostic est défavorable dans le domaine particulier de la peine accessoire, alors qu'il est au contraire favorable en ce qui concerne la manière dont par ailleurs vit le condamné (
ATF 86 IV 215
consid. 6). Ainsi un traitement différencié se justifie-t-il tout particulièrement lorsque le pronostic favorable dépend de l'exécution de la peine accessoire, soit - dans le cas de l'expulsion - du fait que le condamné doive quitter la Suisse.
Du point de vue subjectif, l'octroi du sursis dépend uniquement des perspectives d'amendement, aux termes de l'
art. 41 ch. 1 al. 1 CP
; il ne peut dès lors être refusé que si les antécédents et le caractère du condamné voire les circonstances particulières du cas ne permettent pas de prévoir que cette mesure, appliquée à la peine accessoire, le détournerait de commettre de nouvelles infractions (
ATF 86 IV 216
). Savoir si un tel pronostic peut ou non être posé relève de l'appréciation. La Cour de cassation pénale saisie d'un pourvoi en nullité ne saurait donc intervenir que si l'autorité cantonale a excédé son pouvoir d'appréciation, c'est-à-dire lorsqu'elle a fondé son pronostic sur des considérations manifestement insoutenables (
ATF 100 IV 194
).
c) En l'espèce, la cour cantonale, considérant que l'expulsion avait à la fois le caractère d'une peine et celle d'une mesure de sûreté, a examiné d'une part si les conditions du sursis étaient réunies pour l'expulsion vue sous son aspect répressif et, d'autre part, si la sécurité publique exigeait que le recourant soit mis par l'éloignement - vu comme une mesure de sûreté - dans l'incapacité physique de récidiver. Admettant sans autre que l'octroi du sursis à la peine tant principale qu'accessoire détournerait le recourant de la délinquance, elle a réfuté même certains arguments des premiers juges, en considérant, à juste titre, que la réinsertion sociale paraissait devoir se faire beaucoup plus aisément à l'endroit où le recourant travaille
BGE 104 IV 222 S. 226
régulièrement et à la satisfaction de ses employeurs depuis 16 ans que dans un pays où il n'a jamais vécu et avec lequel il n'a que des liens lointains. En revanche, se référant à l'expertise à laquelle avait été soumis le recourant, elle a estimé que même si l'on pouvait espérer que le condamné serait détourné par le sursis de récidiver, il continuerait néanmoins à présenter pour la sécurité publique un danger potentiel considérable qu'une simple menace d'expulsion ne suffirait pas à écarter, vu les conclusions de l'expert et la nature perverse de l'accusé (élément constant).
Cette manière de voir et le critère qu'elle implique doivent être taxés d'insoutenables. En effet, si l'on doit bien tenir compte du double caractère de l'expulsion - mesure de sécurité et peine - avant de décider de son application in concreto, cette distinction n'est plus de mise quand il s'agit d'octroyer le sursis. A ce stade du jugement, la seule règle applicable est celle de l'
art. 41 ch. 1 al. 1 CP
. Il ne reste alors qu'à déterminer si les antécédents, le caractère du condamné ou les circonstances particulières du cas font prévoir que cette mesure, appliquée à la peine accessoire, détournera le condamné de commettre d'autres infractions. Ce pronostic, duquel dépend l'exécution ou la suspension de la peine accessoire, porte exclusivement sur le risque de commission de nouvelles infractions par le condamné, tout comme dans le cas de l'examen du sursis à la peine principale, sans quoi il n'est pas possible d'éviter contradictions insoutenables ou insurmontables, ainsi que le démontre amplement l'arrêt attaqué. Il est difficile d'admettre en effet que le recourant puisse présenter encore un danger pour la sécurité publique, même s'il s'abstient de recommencer. Cela revient à dire que si le juge doit se préoccuper de la sécurité publique lorsqu'il prononce la peine ou la mesure qui sanctionnera l'infraction ou encore lorsqu'il impose les règles de conduite prévues à l'
art. 41 ch. 2 CP
, il ne doit pas la prendre en considération autrement que par le biais du risque de récidive lorsqu'il décide du principe même du sursis en application de l'
art.41 ch. 1 al. 1 CP
.
En examinant le problème de l'octroi du sursis à la peine principale, l'autorité cantonale a tranché favorablement la question de savoir si le recourant aurait une bonne conduite à l'avenir. Elle a également estimé que ce pronostic favorable devait être retenu également dans le domaine de la peine accessoire,
BGE 104 IV 222 S. 227
l'octroi du sursis étant selon elle de nature à amender le condamné. Elle a encore précisé que la réinsertion sociale paraissait devoir se faire beaucoup plus aisément à l'endroit où le recourant travaille à la satisfaction de ses employeurs depuis 16 ans (c'est-à-dire en Suisse) que dans son pays d'origine, où il n'a jamais vécu et avec lequel il n'a que des liens lointains. Cette manière de voir est irréprochable au regard de l'
art. 41 ch. 1 al. 1 CP
. Il convenait de s'y tenir et d'accorder le sursis aux deux peines tant principale que secondaire.
Le pourvoi doit dès lors être admis sur ce point et la cause renvoyée à la cour cantonale pour qu'elle assortisse la peine d'expulsion du sursis. | null | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f204b03c-6da1-4535-baf7-e93506aab6c6 | Urteilskopf
94 II 355
52. Arrêt de la Ire Cour civile du 1er octobre 1968 dans la cause Stipa contre Dixi SA | Regeste
Internationales Privatrecht.
1. Zulässigkeit der Berufung wegen Verletzung der Kollisionsnormen des schweizerischen Rechts (Erw. 1).
2. Kann das Bundesgericht von einer Rückweisung der Sache an die kantonale Instanz gemäss
Art. 60 Abs. 1 lit. c OG
absehen, wenn der kantonale Richter zu Unrecht schweizerisches statt des ausländischen Rechts angewendet hat, das Prozessergebnis aber auf Grund des letzteren das gleiche wäre? (Erw. 2).
3. Anwendbares Recht in Bezug auf ein Vertragswerk, das aus mehreren Verträgen besteht (in casu aus einem Kaufvertrag, einer Lizenzabtretung und einem Mäklervertrag oder Auftrag), welche nach der Parteimeinung ein einheitliches Ganzes bilden sollten (Erw. 3 und 4).
4. Tragweite einer Gerichtsstandsklausel für die Bestimmung des auf den Vertrag anwendbaren Rechts (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 356
BGE 94 II 355 S. 356
A.-
En 1941, Mario Verdoia et Luigi Stipa ont formé à Rome une société simple en vue d'exploiter en commun des affaires de représentation commerciale. Ils sont convenus de partager les bénéfices par moitié.
Verdoia représentait en Italie l'industriel Georges Perrenoud, administrateur et seul actionnaire de la société anonyme Dixi, au Locle, et Carlo Aragone, ingénieur à La Spezia. Perrenoud et Aragone avaient mis au point et fait breveter un modèle de fusée pour obus d'artillerie, dit GPA. Verdoia obtint du Ministère de la guerre italien la commande de fusées GPA. Une première commande de 500 000 fusées devait être passée à Perrenoud, qui les ferait fabriquer par Dixi SA L'administration italienne exigeant que la fabrication fût introduite graduellement en Italie, les commandes ultérieures devaient être passées à Verdoia.
Par convention du 17 septembre 1941, Perrenoud et Aragone concédèrent à une société Verdoia et Cie, à Rome, une licence d'exploitation de leurs brevets en Italie, moyennant le paiement d'une somme de 250 000 fr. et la remise à Perrenoud d'une commande de 500 000 fusées GPA, dont le prix ferait l'objet d'une entente ultérieure. Le contrat renferme une clause de prorogation de for en faveur du Locle.
Le 15 septembre 1941, Perrenoud avait écrit une lettre confirmant à Verdoia et Cie un accord verbal concernant la rétribution de cette société pour son activité d'intermédiaire.
Le 1er décembre 1941, Verdoia et Cie, représentée par Verdoia, et Dixi SA, représentée par son administrateurdélégué Perrenoud, signèrent un accord arrêtant le prix de la fusée à 22 fr. franco frontière suisse et précisant que Verdoia bénéficierait de la différence de prix qu'il pourrait obtenir.
A la suite de longues négociations, au cours desquelles Stipa intervint pour Verdoia ou Verdoia et Cie, le Ministère de la guerre italien confirma à Verdoia, le 20 janvier 1943, la commande de 500 000 fusées qui seraient livrées par Dixi SA au prix de 28 fr. la pièce.
La cessation des hostilités empêcha l'exécution intégrale du
BGE 94 II 355 S. 357
contrat. Dixi SA avait reçu un acompte de 5 600 000 fr. Le 10 mai 1948, elle conclut une transaction avec l'Etat italien.
B.-
A la suite de difficultés qui avaient surgi entre eux, Verdoia et Stipa soutinrent un procès devant les tribunaux italiens. Par jugement du 6 juillet 1943, la Cour d'appel de Rome reconnut à Stipa la moitié des droits de représentation pour la fourniture des fusées. La Cour de cassation rejeta le 15 février 1946 les recours exercés contre ce jugement.
Par acte du 29 août 1955, Stipa fit assigner devant le Tribunal de Rome Dixi SA, les héritiers de Perrenoud, Aragone, Verdoia et Cie et les héritiers de Verdoia. Son action tendait au paiement de la moitié des provisions de 6 fr. par fusée sur la livraison de Dixi SA Les défendeurs suisses déclinèrent la compétence des tribunaux italiens. Mais ceux-ci rejetèrent le déclinatoire. Par jugement au fond du 5 janvier 1961, confirmé par la Cour d'appel le 8 mars 1963, le Tribunal de Rome condamna notamment Dixi SA à payer 159 670 fr. à Stipa. Le 8 janvier 1964, Stipa requit une poursuite contre Dixi SA en paiement de cette somme. La poursuivie forma opposition au commandement de payer, notifié le 10 janvier. Le poursuivant requit la mainlevée définitive, mais il fut débouté le 4 février 1964 par le Président du Tribunal du district du Locle. Ce magistrat estima que le requérant ne pouvait pas se prévaloir de la convention italo-suisse sur la reconnaissance et l'exécution des jugements et que les tribunaux italiens, devant lesquels Dixi SA avait soulevé le déclinatoire, n'étaient pas compétents, au regard du droit suisse.
C.-
Par demande du 31 août 1964, Stipa intenta une action à Dixi SA devant le Tribunal cantonal neuchâtelois. Se prétendant subrogé, à concurrence de la moitié, dans les droits de Verdoia et de Verdoia et Cie, il conclut au paiement d'une commission de 696 130 fr.
Dixi SA conclut au rejet de la demande. Elle invoqua notamment la prescription.
Par jugement du 1er avril 1968, le Tribunal cantonal neuchâtelois débouta le demandeur de ses conclusions.
La cour cantonale expose dans les motifs de son jugement qu'en vertu des règles du droit international privé suisse, les relations juridiques entre les parties seraient en principe régies par la législation du domicile du courtier, c'est-à-dire le droit italien, mais qu'elles sont soumises en l'espèce au droit suisse,
BGE 94 II 355 S. 358
en raison de leur étroite connexité avec le contrat de cession de licence. Faisant application des règles du code des obligations, la juridiction neuchâteloise a déclaré prescrite la créance invoquée par le demandeur. A titre subsidiaire, elle démontre que le sort du procès serait le même s'il était jugé selon la loi italienne, attendu que les conditions requises par cette loi pour une interruption de la prescription n'ont pas été établies à satisfaction de droit.
D.-
Contre ce jugement, Stipa recourt en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de la décision attaquée et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale, pour qu'elle statue à nouveau, parce que le litige qu'elle a jugé en vertu du droit fédéral aurait dû l'être exclusivement en vertu du droit italien (art. 60 al. 1 lettre c OJ).
L'intimée Dixi SA conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'art. 43 al. 1 OJ, le recours en réforme n'est recevable que pour violation du droit fédéral. Celui-ci comprend les règles de conflit écrites et non écrites du droit international privé suisse (RO 77 II 274, 79 II 297, consid. 1 a; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, n. 3 a ad art. 43 OJ, p. 77). La jurisprudence récente déclare le recours en réforme recevable même lorsque l'autorité cantonale a appliqué le droit suisse à titre subsidiaire, en lieu et place du droit étranger inconnu du juge et non établi par les parties (RO 92 II 111 ss.). En revanche, le Tribunal fédéral, saisi d'un recours en réforme, ne saurait revoir l'application du droit étranger par l'autorité cantonale, ni appliquer lui-même le droit étranger, sous réserve de l'art. 65 OJ. Aussi bien, lorsque le litige a été jugé en vertu du droit fédéral, alors qu'il aurait dû l'être exclusivement en vertu du droit étranger, la juridiction fédérale de réforme annule la décision attaquée et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle statue à nouveau (art. 60 al. 1 lettre c OJ).
En l'espèce, le recours ne porte que sur le droit applicable au contrat litigieux. Le recourant ne soutient pas qu'ayant opté pour la loi suisse, la cour cantonale ait fait une fausse application, quant au fond, des règles du code des obligations. Il n'a conclu ni à titre principal, ni même subsidiairement, à la réforme du jugement attaqué. Il requiert uniquement l'annulation de ce prononcé et le renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour
BGE 94 II 355 S. 359
qu'elle statue à nouveau. Ses conclusions sont néanmoins recevables. En effet, si le Tribunal fédéral jugeait erronée la solution adoptée par les juges neuchâtelois, il ne pourrait qu'annuler le jugement attaqué et inviter la cour cantonale à statuer à nouveau en appliquant la loi italienne (cf. RO 84 II 604, consd. 1).
2.
Selon la jurisprudence instaurée sous l'empire de l'art. 79 al. 2 de la loi sur l'organisation judiciaire fédérale du 22 mars 1893, qui demeure valable au regard de l'art. 60 al. 1 lettre c OJ actuellement en vigueur, quand bien même le Tribunal fédéral juge que la cour cantonale a appliqué à tort le droit suisse en lieu et place du droit étranger, il se dispense de lui renvoyer la cause s'il appert que le sort du litige serait identique en vertu de la loi étrangère. Peu importe que cette déduction procède de la connaissance directe du droit étranger par le Tribunal fédéral (RO 49 II 236) ou, comme en l"espèce, de constatations faites à titre subsidiaire par la juridiction cantonale (RO 63 II 45, dernier alinéa; cf. RO 60 II 324). Admettant par une fiction que la décision attaquée repose sur le droit étranger, qu'il substitue aux motifs tirés du droit suisse, le Tribunal fédéral déclare irrecevables les conclusions en réforme du recourant.
La solution jurisprudentielle repose essentiellement sur des considérations d'ordre pratique (cf. RO 63 II 45). Elle pourrait aussi être motivée par le défaut d'intérêt à l'admission du recours. Il a été jugé en effet que le recours en réforme est recevable dans la mesure seulement où le recourant est lésé par le dispositif de la décision attaquée (RO 86 II 383, 91 II 62, consid. 4). On peut toutefois se demander si, en substituant à une argumentation fondée sur le droit suisse des motifs tirés du droit étranger et en s'abstenant de renvoyer la cause à la juridiction cantonale pour qu'elle statue à nouveau en vertu de la loi étrangère, le Tribunal fédéral ne prive pas le recourant de la faculté de recourir contre un jugement rendu en application du droit étranger. En pareil cas, la législation cantonale ouvre parfois un recours ordinaire (cf. par exemple art. 55 et 56 de la loi vaudoise d'organisation judiciaire). Et la partie qui a succombé pourrait exercer un recours de droit public pour application arbitraire, soit des règles de procédure cantonale, soit du droit étranger. Le recourant entend précisément se réserver la possibilité de former contre le nouveau jugement du
BGE 94 II 355 S. 360
Tribunal cantonal neuchâtelois, qui serait rendu conformément à l'arrêt de renvoi en vertu du droit italien, un recours de droit public qu'il estime prématuré en l'état. On pourrait penser, il est vrai, que la Chambre de droit public déclare le recours irrecevable, en considérant que le point de savoir si le droit suisse était applicable ou non ressortit à la compétence de la juridiction de réforme (cf. art. 84 al. 2 OJ). Il n'est cependant pas nécessaire de résoudre ces questions. En effet, même si le Tribunal fédéral entrait en matière, le recours devrait être rejeté comme mal fondé.
3.
A défaut d'une élection conventionnelle de droit, la loi applicable aux relations juridiques entre les parties est déterminée par la loi du for. S'agissant des obligations contractuelles, le droit international privé suisse n'est pas codifié, mais repose sur les principes généraux dégagés par la jurisprudence.
Selon une pratique aujourd'hui bien établie, le contrat est régi par la loi du pays avec lequel le rapport juridique considéré a les liens territoriaux les plus étroits (RO 78 II 83). En règle générale, le juge déclare applicable la loi du pays dans lequel est domicilié le débiteur de l'obligation caractéristique. Si l'on suivait ce principe, le droit italien serait applicable aux relations contractuelles des parties, qu'il s'agisse d'un mandat, d'un courtage ou d'un contrat d'agence (RO 65 II 168, 76 II 45, 67 II 181, 87 II 273, 91 II 446; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Das Obligationenrecht, Allgemeine Einleitung, Zurich 1961, N. 291, 295 ss.).
La doctrine et la jurisprudence admettent cependant que les règles dégagées pour les contrats spéciaux ne sont que des cas particuliers du principe général en vertu duquel la loi applicable est celle du pays avec lequel le contrat a les liens territoriaux les plus étroits. Des circonstances exceptionnelles feront apparaître parfois le rapport juridique en question comme en relation territoriale plus étroite avec un autre pays que celui où le débiteur de l'obligation caractéristique a son domicile (RO 78 II 191; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, op.cit., N. 240; STAUFFER, Wandlungen der bundesgerichtlichen Praxis auf dem Gebiete des internationalen Schuldrechts, RJB 1953 p. 377 ss., 393). C'est alors la loi de cet autre pays qui régira le contrat.
Les auteurs relèvent en outre que l'objet d'un contrat peut le lier si étroitement à d'autres conventions que ce lien justifie
BGE 94 II 355 S. 361
une localisation commune. Il en est ainsi lorsque les divers contrats apparaissent à toutes les parties comme un ensemble d'accords formant un tout, au point qu'ils ne sauraient être dissociés. Tel sera le cas de contrats qui constituent l'auxiliaire ou le complément nécessaire d'un autre contrat qu'ils servent à préparer, à exécuter ou à modifier (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, op.cit., N. 241; VISCHER, Internationales Vertragsrecht, Berne 1962, p. 138, qui se réfère à l'arrêt non publié du 9 octobre 1951 dans la cause Forst c. Reichenbach). La sécurité juridique commande cependant d'appliquer cette doctrine avec réserve, à savoir seulement lorsque l'unité des divers contrats est évidente.
4.
En l'espèce, les parties n'ont pas conclu un contrat de courtage, d'agence ou de mandat pur et simple, qui aurait eu pour résultat la conclusion d'une vente entre le mandant et le client indiqué par le mandataire. La convention du 17 septembre 1941 s'inscrit dans les relations qui existaient depuis plusieurs années entre Verdoia et Perrenoud. Ce contrat est générateur d'obligations complexes: il constitue à la fois le résultat de l'activité d'intermédiaire de Verdoia et la cause juridique des prétentions déduites en justice par le recourant, qui se prétend subrogé dans les droits de Verdoia, à concurrence de la moitié. L'objet essentiel du contrat est en effet une licence concédée par Perrenoud à Verdoia. La contrepartie de cette licence consiste dans le paiement d'une somme de 250 000 fr. et la remise à Perrenoud d'une commande de 500 000 fusées. Les parties ont précisé que "les prix" feront l'objet d'une entente ultérieure entre Verdoia et Perrenoud. Il ressort d'une lettre du 15 septembre 1941 de Perrenoud à Verdoia que ce dernier devait recevoir une "bonification", primitivement fixée à 2 fr. par fusée, sur la commande de 500 000 pièces. Le contrat du 1er décembre 1941 exprime un accord sur le prix des fusées payé à Dixi SA, soit 22 fr.; le surplus, soit 6 fr. la pièce, devait revenir à Verdoia. C'est sur cette différence de 6 fr. que le recourant calcule sa prétention. Interprétées à la lumière des documents du 15 septembre et du 1er décembre 1941, les déclarations des parties consignées dans le contrat du 17 septembre 1941 manifestent leur volonté d'accorder à Verdoia une rémunération - en sus de la licence - pour l'apport du marché de 500 000 fusées. L'accord du 1er décembre 1941 constitue l'entente ultérieure réservée par le contrat du 17 septembre.
BGE 94 II 355 S. 362
Il fixe non seulement le prix des fusées, mais aussi la rémunération de Verdoia, modifiant sur ce point l'accord verbal confirmé par la lettre du 15 septembre 1941. La cour cantonale admet avec raison que "le principe de l'indemnisation du représentant pour l'apport de la commande" est contenu dans le contrat du 17 septembre 1941. La procuration conférée le 3 février 1942 par Perrenoud à Verdoia et Cie n'est qu'une mesure d'exécution d'un contrat de mandat déjà parfait.
Sans doute l'analyse juridique distingue-t-elle dans la convention du 17 septembre 1941 plusieurs contrats. L'un d'eux, la vente de 500 000 fusées, n'est devenu parfait qu'après la conclusion de l'accord du 1er décembre 1941 sur les prix. Néanmoins, la convention se caractérise comme un contrat complexe. Les parties entendaient en effet se lier par un accord unique, qui dans leur idée formait un tout et dont les éléments ne pouvaient pas être dissociés. L'économie de l'accord montre qu'il existe un lien de dépendance nécessaire entre le salaire du mandataire, contrepartie des démarches qui ont permis la conclusion du contrat de vente, ce contrat et la cession de licence, dont il est à son tour la contrepartie. Ces liens de dépendance sont tels qu'il se justifie de soumettre l'ensemble des contrats à un seul et même droit.
Il est vrai que Perrenoud a signé le contrat du 17 septembre 1941 en son nom propre et l'accord ultérieur du 1er décembre 1941 en sa qualité d'administrateur de Dixi SA Mais, comme le relève la cour cantonale, il n'a pu prendre les engagements du 17 septembre que parce qu'il dominait Dixi SA, au su de Verdoia, lequel a considéré que Dixi SA et Perrenoud ne formaient, économiquement et en fait, qu'une seule personne. Il faut donc admettre, avec les juges cantonaux, que les signataires des conventions "n'ont pas fait clairement le départ entre la situation de Perrenoud comme personne physique et comme administrateur et actionnaire unique de Dixi SA".
Dans l'accord complexe que les parties ont conclu, l'élément prépondérant est sans conteste la licence. La vente des 500 000 fusées est le second élément par ordre d'importance. L'activité d'intermédiaire déployée par le recourant ne vient qu'en troisième lieu. Selon les règles de conflit suisses, l'accord est soumis au droit en vigueur au domicile de Perrenoud et au siège de Dixi SA, débiteurs des obligations caractéristiques. Il est donc régi par le droit suisse.
BGE 94 II 355 S. 363
5.
Au surplus, le contrat du 17 septembre 1941 contient une clause d'élection de for attributif de juridiction en faveur du Tribunal du Locle. La jurisprudence déduit d'une pareille clause la présomption que les parties ont voulu soumettre leurs relations contractuelles au droit en vigueur dans le pays où siège la juridiction choisie pour trancher leurs différends (RO 88 II 192). Dès lors, les parties ont implicitement soumis leurs rapports conventionnels au droit suisse, sans qu'il soit nécessaire de rechercher si cette conclusion pourrait être tirée également de la volonté hypothétique des contractants.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme le jugement rendu le 1er avril 1968 par le Tribunal cantonal neuchâtelois. | public_law | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f2066a41-3b6f-4d15-becd-2c1f352cbce4 | Urteilskopf
115 Ib 358
47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. Juni 1989 i.S. A. gegen Schweizerische Genossenschaft für Getreide und Futtermittel (GGF) und Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verordnung über Preiszuschläge auf Futtermitteln (Preiszuschlagsverordnung; SR 916.112.231); BG über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0): Nachentrichtung von zu Unrecht nicht erhobenen Abgaben (Preiszuschläge auf Futtermitteln); Verjährung.
1. Preiszuschläge auf Futtermitteln sind Abgaben im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 lit. a VStrR
. Für deren Nachentrichtung und für die Verjährung ist deshalb von Art. 12 in Verbindung mit
Art. 11 VStrR
auszugehen (E. 3).
2. Sind Strafverfolgung und Strafvollstreckung bezüglich der Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes (hier: gegen das Zollgesetz) nicht verjährt, so ist es kraft Gesetzesvorschrift (
Art. 12 Abs. 4 VStrR
) auch die Leistungspflicht nicht (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 359
BGE 115 Ib 358 S. 359
Der Landwirt A. führte in den Jahren 1978 bis 1980 (die genauen Einfuhrdaten lassen sich mit Ausnahme der letzten Einfuhr am 2. November 1980 im nachhinein nicht mehr feststellen) insgesamt 28 785 kg Körnermais und 158 000 kg Silomais zu Unrecht zoll- und bewilligungsfrei aus dem deutschen Grenzgebiet in die Schweiz ein. Im Zuge des Zollstrafverfahrens wurden ihm am 15. August 1983 von der Zolldirektion Schaffhausen die Verfügung über die Zoll-Leistungspflicht und am 29. August 1985 der Strafbescheid vom 23. August 1985 der Eidgenössischen Oberzolldirektion wegen Bannbruchs und Zollübertretung eröffnet. Am 16. September 1985 erklärte A. seinen Verzicht auf eine Einsprache gegen den Strafbescheid. Am 8. Januar 1986 teilte ihm die Zollkreisdirektion II mit, dass die Angelegenheit zollseits erledigt sei.
Mit Schreiben vom 12. Februar 1986 brachte die Eidgenössische Oberzolldirektion der Schweizerischen Genossenschaft für Getreide und Futtermittel (GGF) das von der Eidgenössischen Zollverwaltung, Untersuchungsdienst Schaffhausen, am 15. August 1983 in Sachen A. erstellte Schlussprotokoll und die am 4. August 1983 ausgestellte und am 6. Januar 1986 von der Zolldirektion Schaffhausen gestempelte Einfuhrdeklaration Nr. 64955 zur Kenntnis. In der Folge teilte die Genossenschaft für Getreide und Futtermittel A. am 7. März 1986 unter anderem mit, dass sie die nicht bewilligten Einfuhren mit Futtermittelpreiszuschlägen belasten werde. In seiner Vernehmlassung vom 6. Mai 1986 machte A. für die von ihm geforderten Preiszuschläge aus den Jahren 1978 bis 1980 Verjährung geltend. Am 9. Juni 1986 verfügte die Genossenschaft für Getreide und Futtermittel wider A. Preiszuschläge und Kanzleigebühren von insgesamt Fr. 48'533.30.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ab. In Anwendung von Art. 105 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Förderung der Landwirtschaft und die Erhaltung des Bauernstandes (Landwirtschaftsgesetz, LwG; SR 910.1) befand es, dass die (Nach-)Forderung der Genossenschaft für Getreide und Futtermittel nicht verjährt sei.
Gegen den Beschwerdeentscheid des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes erhebt A. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er bestreitet die analoge Anwendbarkeit von
Art. 105 LwG
, der für Rückerstattungsansprüche des Bundes eine absolute
BGE 115 Ib 358 S. 360
Verjährungsfrist von zehn Jahren vorsieht. Auszugehen sei von der allgemeinen fünfjährigen Verjährungsfrist, die im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs zu laufen beginne. Die letzte "Tathandlung" sei im Jahre 1980 und die erste "Einforderungshandlung" der Genossenschaft für Getreide und Futtermittel am 7. März 1986 erfolgt. Somit hätten die vorliegenden Ansprüche als verjährt zu gelten.
Die Schweizerische Genossenschaft für Getreide und Futtermittel sowie das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement beantragen, die Beschwerde sei kostenpflichtig abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Vor Bundesgericht ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer zu Unrecht Futtermittel zoll- und abgabenfrei eingeführt hat und deshalb - ebenfalls zu Unrecht - die aufgrund von Art. 1 und 2 der Preiszuschlagsverordnung geschuldeten Preiszuschläge nicht erhoben worden sind. Fest steht auch, dass der Beschwerdeführer dadurch die Tatbestände einer Zollübertretung und eines Bannbruchs erfüllt hat und durch Strafbescheid vom 23. August 1985 im ordentlichen Verfahren nach Art. 64 des BG über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; 313.0) in Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925 (ZG; SR 631.0) gebüsst worden ist.
Umstritten ist die Frage, ob die nachträgliche Forderung der Genossenschaft für Getreide und Futtermittel zu Recht bestehe, oder ob sie zufolge Ablaufs einer absoluten Verjährungsfrist untergegangen sei. Streitig ist weiter, welche Verjährungsbestimmung vorliegend anwendbar sei. Zum Entscheid darüber ist von Bedeutung, auf welche Rechtsgrundlage sich der nachträgliche Leistungsanspruch der Genossenschaft stützt.
3.
Nach Art. 12 Abs. 1 (lit. a) VStrR ist eine Abgabe, die infolge einer Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes zu Unrecht nicht erhoben wurde, ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person, nachzuentrichten.
a) Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer durch die zoll- und abgabenfreie Einfuhr von Futtermitteln objektiv eine Widerhandlung gegen mehrere Bestimmungen des Zollgesetzes begangen und damit die eine Voraussetzung von
Art. 12 Abs. 1 lit. a VStrR
erfüllt (vgl.
BGE 110 Ib 309
E. 2a, mit Hinweis).
BGE 115 Ib 358 S. 361
b) Weiter setzt
Art. 12 Abs. 1 lit. a VStrR
eine zu Unrecht nicht erhobene Abgabe voraus. Es ist deshalb zu prüfen, ob die (nicht erhobenen) Preiszuschläge auf die importierten Futtermittel Abgaben im Sinne dieser Bestimmung darstellen.
Die Preiszuschläge belasten konkurrierende Importgüter zusätzlich zum Zoll; es handelt sich um öffentlichrechtliche, auf der rein formellen Zentralisierung der Einfuhr beruhende Beiträge (O.K. KAUFMANN, SJK Nr. 553). Die Entstehungsgeschichte der Preiszuschlagsverordnung legt den engen sachlichen Zusammenhang der Preiszuschläge mit den Zollzuschlägen auf ausländischen Kraftfuttermitteln und damit den Abgabecharakter dieser Preiszuschläge deutlich offen (vgl. BBl 1933 I 358 ff.). Damit steht fest, dass es sich vorliegend um eine Forderung gemäss
Art. 12 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 VStrR
handelt. Der Abgabecharakter der Preiszuschläge schliesst gleichzeitig die Anwendung der auf agrarrechtliche Beiträge zugeschnittenen Bestimmung von
Art. 105 LwG
über die Rückerstattung und Verjährung aus. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen ist deshalb für die Nachentrichtung und für die Verjährung der fraglichen Preiszuschläge von Art. 12 in Verbindung mit
Art. 11 VStrR
auszugehen.
4.
Nach
Art. 12 Abs. 4 VStrR
verjähren Leistungs- und Rückleistungspflicht nicht, solange die Strafverfolgung und Strafvollstreckung nicht verjährt sind. Es braucht somit lediglich untersucht zu werden, ob die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung bezüglich der Widerhandlungen gegen das Zollgesetz verjährt sind. Trifft dies nicht zu, ist kraft Gesetzesvorschrift auch die Leistungspflicht nicht verjährt.
Art. 87 ZG
verweist für die Strafverfolgung auf das Verwaltungsstrafrecht; damit richtet sich die Verjährung nach
Art. 11 VStrR
: Eine Übertretung verjährt in zwei Jahren (Abs. 1). Besteht sie jedoch in einer Hinterziehung oder Gefährdung von Abgaben oder im unrechtmässigen Erlangen einer Rückerstattung, Ermässigung oder eines Erlasses von Abgaben, so beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre (Abs. 2). Die Strafe einer Übertretung verjährt in fünf Jahren (Abs. 4).
Die letzte Einfuhr durch den Beschwerdeführer erfolgte am 2. November 1980. Das Zollstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer wurde am 16. Mai 1983 (Datum des untersuchungsdienstlichen Einvernahmeprotokolls), also innerhalb der fünfjährigen Strafverfolgungsfrist eingeleitet. Als abgeschlossen gelten kann das Zollstrafverfahren mit dem rechtskräftigen Verzicht vom
BGE 115 Ib 358 S. 362
16. September 1985 des Beschwerdeführers auf eine Einsprache gegen den Strafbescheid, spätestens aber mit der Erledigungsmitteilung der Zollkreisdirektion II vom 8. Januar 1986. Mit Datum der Verzichtserklärung oder spätestens der Zollmitteilung begann die fünfjährige Vollstreckungsfrist gemäss
Art. 11 Abs. 4 VStrR
zu laufen. Die erste Einforderungshandlung der Genossenschaft für Getreide und Futtermittel datiert unbestrittenermassen vom 7. März 1986, also innerhalb der laufenden Verjährungsfrist für die Strafvollstreckung. Seither ist die Verjährung nicht eingetreten.
Unter diesen Umständen braucht über die Modalitäten der Verjährung der fraglichen Forderung (Beginn, Unterbrechung, relative und absolute Dauer, Ablauf) für den Fall, dass kein Strafverfahren durchgeführt worden wäre, nicht entschieden zu werden. (Vgl.
BGE 110 Ib 311
E. 3, mit Hinweisen.) | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f207a00c-e965-49b8-970f-13555251607d | Urteilskopf
117 Ib 353
43. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. November 1991 i.S. Anton Greber u. Mitb. gegen Schweiz. Eidgenossenschaft (verwaltungsrechtliche Klage) | Regeste
Art. 60 Abs. 1 Beamtengesetz (BtG),
Art. 116 lit. a und
Art. 117 lit. c OG
; Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Klage bei vermögensrechtlichen Ansprüchen gegen den Bund aus dem Dienstverhältnis.
Eine falsche Berechnung des in Art. 57 der Beamtenordnung (3) vom 29. Dezember 1964 geregelten Kaufkraftausgleichs ist auf dem Weg der verwaltungsrechtlichen Klage beim Bundesgericht geltend zu machen (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 353
BGE 117 Ib 353 S. 353
Anton Greber und verschiedene andere Beamte arbeiteten während unterschiedlichen Zeitabschnitten zwischen 1985 und 1990 für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten in der nigerianischen Hauptstadt Lagos. Wegen eines Zerfalls der lokalen Währung passte das Departement im Herbst 1986 den Zessionskurs, d.h. den von der Botschaft in Lagos
BGE 117 Ib 353 S. 354
anzuwendenden Wechselkurs, von 1 Naira = SFr. 1.50 auf 1 Naira = SFr. 0.30 an, was zu einer Senkung des an das Botschaftspersonal ausgerichteten Kaufkraftausgleichs (KKA) von + 40% auf 0% führte.
Das Bundesgericht tritt auf eine von Anton Greber und anderen Botschaftsangehörigen eingereichte verwaltungsrechtliche Klage ein aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Nach Art. 60 Abs. 1 des Beamtengesetzes vom 30. Juni 1927 (BtG; SR 172.221.10) urteilt das Bundesgericht als "Gericht einziger Instanz" über streitige vermögensrechtliche Ansprüche des Bundes oder gegen den Bund aus dem Dienstverhältnis, inbegriffen Ansprüche auf Leistungen einer Versicherungskasse des Bundes an Anspruchsberechtigte.
Art. 116 lit. a OG
wiederholt diesen Grundsatz: Das Bundesgericht beurteilt als einzige Instanz Klagen in Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über vermögensrechtliche Leistungen aus dem Dienstverhältnis von Bundespersonal einschliesslich der Personalversicherung. Diese Regelung steht aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalt von
Art. 117 OG
, nach dessen lit. c die verwaltungsrechtliche Klage unzulässig ist, wenn die Erledigung des Streites einer Behörde im Sinne von
Art. 98 lit. b-h OG
zusteht; gegen deren Verfügung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (
BGE 101 Ib 106
E. 1a mit Hinweisen).
b) Ein solcher Fall liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes unter anderem bei Ansprüchen auf Vergütungen für ausserordentliche Dienstleistungen gemäss
Art. 44 Abs. 1 lit. f BtG
und Art. 52 der Beamtenordnung (1) vom 10. November 1959 (BO [1]; SR 172.221.101) vor (
BGE 102 Ib 241
;
BGE 101 Ib 107
f. E. 1a; vgl. auch BLAISE KNAPP, Le système de rémunération des agents publics en Suisse, in: RDAF 40/1984 S. 97 ff.). Im Urteil vom 30. Mai 1980 i.S. Meier gegen Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (
BGE 106 Ib 281
E. 1) hat das Bundesgericht entschieden, dass auch für Ansprüche auf einen Beitrag an die Unterrichtskosten gemäss Art. 64 der Beamtenordnung (3) vom 29. Dezember 1964 (BO [3]; SR 172.221.103) die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und nicht die verwaltungsrechtliche Klage zur Verfügung stehe. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung
BGE 117 Ib 353 S. 355
erhalte der Beamte im Aussendienst für das Kind unter 25 Jahren einen Beitrag an die Unterrichtskosten am Dienstort, wobei das Departement die Beiträge festsetze (Abs. 7). Analog den Vergütungen für ausserordentliche Dienstleistungen (
Art. 44 Abs. 1 lit. f BtG
) entscheide somit auch hier die Verwaltungsstelle bzw. das ihr übergeordnete Departement über den entsprechenden Zuschuss.
Im Entscheid Brunner gegen Schweizerische Eidgenossenschaft vom 11. Juli 1975 (nicht veröffentlichte E. 1 von
BGE 101 Ib 348
ff.), wo es um die Höhe der Abzüge für Wohnungskosten gemäss Art. 20 BO (3) ging und der Kläger nachträglich, d.h. nach Abschluss des Auslandaufenthaltes, die Differenz zwischen den von seinem Gehalt abgezogenen Beiträgen und der vom Bund effektiv bezahlten (niedrigeren) Miete herausverlangte, erklärte das Bundesgericht dagegen die verwaltungsrechtliche Klage als zulässig. Die Frage, ob der Kläger in seinem subjektiven Vermögensrecht auf eine gesetzmässige Besoldung durch zu hohe Abzüge verletzt worden sei, könne die Verwaltung nach der allgemeinen Regel des
Art. 116 lit. a OG
nicht in einem streitigen Verfahren selbst entscheiden.
Art. 117 lit. c OG
stelle mit Bezug auf das zur Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche des Bundespersonals einzuhaltende Verfahren eine Ausnahmeregel dar, die nur dort zur Anwendung gelangen könne, wo eine entsprechende Norm eine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Erledigung der vermögensrechtlichen Streitigkeit schaffe. Wohl liege die Kompetenz zur Festsetzung der Entschädigung beim zuständigen Departement, das seinen Entscheid im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartement fälle, doch könne daraus nicht geschlossen werden, dass die gleichen Verwaltungsinstanzen auch zuständig seien, um über einen vermögensrechtlichen Anspruch zu entscheiden, den ein Beamter nachträglich anbringt, weil ihm angeblich während Jahren in gesetzwidriger Weise als Entschädigung ein zu hoher Betrag von seiner Besoldung abgezogen worden ist. Eine solche Verletzung in subjektiven Vermögensrechten sei nach der allgemeinen Regel des
Art. 116 lit. a OG
klageweise anhängig zu machen, wobei die Frage nach der Richtigkeit der früheren verwaltungsbehördlichen Festsetzung des Besoldungsabzuges und nach der allfälligen Rechtskraft dieser Verfügung Vorfragen darstellten.
c) aa) Art. 57 BO (3), der gestützt auf
Art. 42 BtG
den Kaufkraftausgleich näher regelt, lautet heute wie folgt:
1 Sind die Preise der Güter und Dienstleistungen am Dienstort höher oder
geringer als in der Schweiz, so unterliegen die Besoldung und die in
BGE 117 Ib 353 S. 356
den Artikeln 55 und 56 vorgesehenen Zulagen einem Kaufkraftausgleich. Bei
dessen Bemessung wird von den Bezügen des Beamten an der Zentrale
ausgegangen. Besondere Verhältnisse, die sich auf die Zusammensetzung des
Lebensbedarfes am Dienstort und die Höhe der Auslagen auswirken, sowie der
Wechselkurs werden berücksichtigt.
2 Der Kaufkraftausgleich wird aufgrund periodischer Erhebungen über den
allgemeinen Stand der Preise bemessen. Zwischen zwei Erhebungen wird er
geändert, soweit die massgebenden Verhältnisse eine Erhöhung oder
Verminderung rechtfertigen.
3 Das Eidgenössische Finanzdepartement setzt den Kaufkraftausgleich im
Einvernehmen mit dem Departement fest.
Wie der Beitrag an die Unterrichtskosten nach Art. 64 BO (3) oder die Vergütung für ausserordentliche Dienstleistungen (Art. 52 BO [1]) wird dem Wortlaut nach somit auch der Kaufkraftausgleich durch die Verwaltung festgesetzt (Art. 57 Abs. 3 BO [3]). Trotzdem kann die Bestimmung des Kaufkraftausgleichs den Fällen, die Gegenstand von
BGE 106 Ib 279
und der dort angeführten Entscheide bildeten, nicht gleichgestellt werden.
bb) Die Berechnung des Kaufkraftausgleichs an sich stellt keine Streiterledigung dar. Ihr liegt gestützt auf Art. 8 des Vollzugsreglementes IV vom 22. Dezember 1965 des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten zur Beamtenordnung (3) und der Vergleichsindex-Verordnung vom 29. August 1983 bzw. vom 29. Mai 1989 des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartementes (heute: Finanzdepartement) eine komplexe Mischrechnung zugrunde. Der Kaufkraftausgleich wird ermittelt, indem - unter Einbezug des Wechselkurses - regelmässig die Teuerung auf den Ausgaben in der Schweiz sowie jenen am Dienstort in lokaler und anderer Währung (Importanteil) festgestellt wird. Die getrennt ermittelten Teuerungsraten werden gewichtet, und zwar grundsätzlich gleich, nämlich die Ausgaben in der Schweiz in der im vorliegenden Fall relevanten Zeitperiode mit 33% und jene am Dienstort, unter Einschluss des Importanteils, mit 67%. Diese zweite Gruppe variiert je nach Grösse des ausgewiesenen Importanteils; bei der Festlegung des Verhältnisses wirken die schweizerischen Vertretungen im Ausland mit, indem sie - heute mindestens alle 30 Monate - eine Preiserhebung am Dienstort durchführen. Der so bestimmte Index wird quartalsweise aufgrund der Preiserhebungen und Wechselkursveränderungen fortgerechnet. Die am Dienstort und in den Importländern aufgelaufene Teuerung wird in der Fortrechnung des Kaufkraftausgleichs halbjährlich einzeln berücksichtigt.
BGE 117 Ib 353 S. 357
cc) Die Berechnung des Kaufkraftausgleichs hat somit keinen direkten Einfluss auf das Verhältnis zwischen dem einzelnen Mitarbeiter und der Eidgenossenschaft, sondern stellt schematisiert für einen bestimmten Dienstort den zu leistenden Kaufkraftausgleich fest, damit generell das Einkommen der schweizerischen Beamten in einem bestimmten Land - trotz Preisunterschieden von Gütern und Dienstleistungen - dem hiesigen Lohnwert entspricht. Es besteht keine Norm, die für Streitfälle im Anschluss an die Festsetzung oder Fortrechnung des Kaufkraftausgleichs eine Behörde zur Streiterledigung zuständig erklären würde.
Art. 117 lit. c OG
stellt mit Bezug auf das zur Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche des Bundespersonals einzuhaltende Verfahren aber - wie dargelegt - eine Ausnahmeregelung dar, die nur dort zur Anwendung gelangen kann, wo eine entsprechende Norm eine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Erledigung der vermögensrechtlichen Streitigkeit schafft (in
BGE 101 Ib 348
ff. nicht publizierte E. 1). Im vorliegenden Fall räumt Art. 57 Abs. 3 BO (3) lediglich eine Zuständigkeit ein, die Berechnung des Kaufkraftausgleichs zu regeln und den Ausgleich für jeden Dienstort zu bestimmen, nicht aber auch eine solche, damit verbundene Streitigkeiten im Einzelfall zu erledigen. Die ursprüngliche Regelung von Absatz 3 lautete denn dementsprechend auch (AS 1965 178):
3 Das Departement bestimmt, je im Einvernehmen mit dem Finanz- und
Zolldepartement, wie die Preiserhebungen vorzunehmen sind und setzt den
Ausgleichsansatz für jedes Land oder jeden Dienstort fest.
Die verwaltungsrechtliche Klage erweist sich somit im vorliegenden Fall als das zulässige Rechtsmittel. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f20bda26-1431-4213-ab33-f2402f924129 | Urteilskopf
104 Ia 191
33. Auszug aus dem Urteil vom 22. November 1978 i.S. A. gegen Kanton M. und Steuerrekurskommission des Kantons M. | Regeste
Art. 4 BV
. Steuerrechtlich zulässige Abzüge vom Einkommen.
Willkür der kantonalen Behörden verneint, die es ablehnten, Prozesskosten, die der Zurückführung eines Wertes in das Vermögen des Steuerpflichtigen dienten, unter dem Titel von für die Verwaltung des Vermögens notwendigen Auslagen oder unter demjenigen der für die Erzielung des steuerbaren Einkommens notwendigen Aufwendungen als abzugsfähig anzuerkennen. | Sachverhalt
ab Seite 192
BGE 104 Ia 191 S. 192
Beim Verkauf der Grundstücke von A. in Z. wurden 80% des Kaufpreises, d.h. Fr. 648'000.-, in der Form von zwei zu 4% verzinslichen Schuldbriefen entrichtet. Es wurde vereinbart, dass die Verzinsung eingestellt werden könne, wenn die Parzellen nach Ablauf von zwei Jahren nicht erschlossen und überbaubar seien. Auf ein Kündigungsrecht verzichtete A. Zwei Jahre nach dem Verkauf stellte der Käufer die Verzinsung der Schuldbriefe ein, da eine Überbauung der fraglichen Grundstücke noch nicht möglich war. A. focht hierauf den Kaufvertrag wegen Sittenwidrigkeit an, drang aber mit seiner Klage nicht durch. Immerhin wies die zweite Instanz darauf hin, dass einer erneuten Klage auf Änderung oder Aufhebung des Kaufvertrages nach Ablauf einer angemessenen Frist nichts im Wege stünde. In der Folge verständigte sich A. mit dem Käufer in dem Sinne, dass A. das Land zurückkaufte.
In seiner Steuererklärung für die Jahre 1975/6 zog A. den in den Jahren 1973 und 1974 bezahlten Teil seiner im Zusammenhang mit dem erwähnten Grundstückgeschäft aufgelaufenen, sehr erheblichen Gerichts- und Anwaltskosten vom steuerbaren Einkommen ab. Darüber entstand ein Streit, der bis vor die Steuerrekurskommission getragen wurde. Diese verwehrt A. den Abzug und zwar nicht nur in der geltend gemachten Höhe, sondern als solcher überhaupt. Sie vertrat die Ansicht, die betreffenden Kosten hätten weder der Vermögensverwaltung noch der Erzielung von Einkommen gedient. Gegen den Entscheid der kantonalen Steuerrekurskommission führt A. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Das Bundesgericht weist sie ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Die Steuerrekurskommission hat einleitend untersucht, wie hoch die Kosten seien, die dem Beschwerdeführer in den hier massgebenden Bemessungsjahren 1973/74 im Zusammenhang mit der Prozessführung über den Grundstückverkauf in
BGE 104 Ia 191 S. 193
Z. erwachsen sind. Sie gelangte zum Schlusse, es handle sich dabei um einen Betrag von Fr. 3300.-. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, er habe in den fraglichen beiden Jahren Fr. 13'300.- an Anwaltskosten bezahlt. Indessen unterlässt er es, darzulegen, weshalb die Feststellung der Steuerrekurskommission geradezu willkürlich sei, so dass auf diesen Punkt nicht eingetreten werden kann. Er ist im übrigen bedeutungslos, falls sich ergeben sollte, dass der Abzug von Prozesskosten überhaupt ohne Willkür verweigert werden durfte.
3.
a) Das einschlägige Steuergesetz sieht keine ausdrückliche Regelung der Frage vor, unter welchen Umständen Privatpersonen berechtigt sind, Prozesskosten vom steuerpflichtigen Einkommen in Abzug zu bringen. Auch im Wehrsteuerbeschluss und in den Steuergesetzen anderer schweizerischer Kantone ist hierüber nichts zu finden. Es müssen somit die allgemeinen Regeln über die zulässigen Abzüge wegleitend sein. Allenfalls in Betracht fallen könnten solche Kosten nach kantonalem Recht unter dem Titel von für die Verwaltung des Vermögens notwendigen Auslagen oder unter demjenigen der für die Erzielung des steuerbaren Einkommens notwendigen Aufwendungen.
b) In Literatur und Rechtsprechung finden sich nur wenige Anhaltspunkte für die steuerliche Behandlung von Prozesskosten. So erwähnt KÄNZIG in seinen Kommentar zur Eidg. Wehrsteuer, zu den ausserordentlichen Gewinnungskosten seien die Gerichts- und Anwaltskosten zu rechnen, die mit der Sicherung oder Einforderung von Zinsen und Gewinnanteilen in Zusammenhang stünden; auch die Aufwendungen, die der Sicherung oder Einforderung von Guthaben und Beteiligungen und damit mittelbar der Einkommenserzielung dienten, würden im Bundesrecht regelmässig zum Abzug zugelassen (N. 52 zu Art. 22 WStB). Im zürcherischen Steuerrecht gehören Gerichts- und Anwaltskosten grundsätzlich zu den nicht abzugsberechtigten Kosten der Lebenshaltung. Nur ausnahmsweise werden sie zu den Kosten der Vermögensverwaltung gerechnet, z.B. dann, wenn sie für einen Hauseigentümer notwendig sind, um die Einnahmen aus Mietzinsen zu sichern (so Kommentar REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Bd. II, N. 27, 53, 60 und 73 zu § 25 des zürcherischen Steuergesetzes). GRÜNINGER/STUDER führen in ihrem Kommentar zum Basler Steuergesetz aus, Anwaltskosten, um einen Kaufpreis erhältlich zu machen, seien
BGE 104 Ia 191 S. 194
nicht Gewinnungs-, sondern Veräusserungskosten (S. 253). GYGAX (Die Gewinnungskosten im schweizerischen Steuerrecht Diss. Bern, S. 163) unterscheidet zwischen Prozesskosten, die der Sicherung und Erhaltung einer Einkommensquelle dienten, und anderen Prozesskosten; denselben Standpunkt vertritt PETER MEYER (Die steuerfreien Abzüge vom Erwerbseinkommen unselbständig Erwerbender, Diss. Zürich, S. 188). Das Bundesgericht hat in einem unveröffentlichten Urteil vom 21. März 1951 entschieden, es sei nicht willkürlich, die Kosten des Rechtsstreites eines entlassenen Beamten um seine Pensionsansprüche nicht als abzugsberechtigte Gewinnungskosten zu betrachten. Schliesslich hat auch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich in einem mit dem vorliegenden vergleichbaren Fall Anwaltskosten, die im Zusammenhang mit Verhandlungen über die Wandelung eines Grundstück-Kaufvertrages oder die Herabsetzung des Kaufpreises entstanden waren, nicht zum Abzug zugelassen (ZBl 66/1965, S. 307 f.).
c) Geht man von der dargestellten Lehre und Rechtsprechung aus, so kann der angefochtene Entscheid der Steuerrekurskommission nicht als unhaltbar betrachtet werden. Mit dem Erwerbseinkommen, das der Beschwerdeführer im wesentlichen als Bankangestellter erzielt, stehen die fraglichen Gerichts- und Anwaltskosten in keinem Zusammenhang. Auch ging es nicht um die Sicherung des - übrigens ganz geringfügigen - Nebeneinkommens aus landwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit, stand doch das veräusserte Land auf Grund einer besonderen Klausel des Kaufvertrages dem Beschwerdeführer auch nach dem Verkauf bis zu einer allfälligen Überbauung zur Nutzung zur Verfügung. Schliesslich dienten der mit dem Ziel der Aufhebung des Kaufvertrages angehobene Prozess und die anschliessenden Verhandlungen auch nicht der Sicherung eines Zinseinkommens; denn der Kapitalertrag auf dem gestundeten Teil des Kaufpreises war seit dem 1. Januar 1973 gleich Null, und auch nach der Rückgängigmachung des Vertrages erzielt der Beschwerdeführer aus den vorläufig unüberbauten Grundstücken keine wesentliche Rendite. Dass das vom Beschwerdeführer ohne Beizug eines Anwaltes erst vor Obergericht gestellte und von diesem Gericht als verspätet nicht mehr behandelte Eventualbegehren auf Verpflichtung der Käufer zur weiteren Verzinsung der Schuldbriefe im Steuer-Beschwerdeverfahren
BGE 104 Ia 191 S. 195
hätte berücksichtigt werden müssen, macht der Beschwerdeführer mit Recht selbst nicht geltend.
Auch die Anerkennung der Prozess- und Anwaltskosten als Kosten der Vermögensverwaltung durfte die Steuerrekurskommission mit Grund verweigern. Wohl mag es zutreffen, dass der Prozess und die anschliessenden Vergleichsverhandlungen der Erhaltung der Vermögenssubstanz des Beschwerdeführers dienten; doch wird der Begriff der Vermögensverwaltung, wie dargelegt, allgemein nicht derart weit ausgelegt, dass derartige Aufwendungen darunter fielen. Wollte man sich der Argumentation des Beschwerdeführers anschliessen, so müsste praktisch jeder Rechtsstreit um finanzielle Ansprüche als Akt der Vermögensverwaltung betrachtet werden und wären die damit verbundenen Aufwendungen als abzugsberechtigt anzuerkennen. Wenn die Steuerrekurskommission es ablehnt, diesen Weg zu beschreiten, so hält sie sich im Rahmen bewährter Lehre und Praxis. Ihr Entscheid entgeht damit der Willkürrüge. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f20dd297-231b-401a-a5f0-4674e8305745 | Urteilskopf
107 V 190
42. Auszug aus dem Urteil vom 10. Juli 1981 i.S. Macchioni gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 84 Abs. 1 AHVG
,
Art. 22 Abs. 1 und
Art. 24 VwVG
.
- Der Empfänger einer behördlichen Eröffnung, der die Beschwerdefrist zufolge Abwesenheit vom Zustellort versäumt hat, kann seine Abwesenheit als Fristwiederherstellungsgrund geltend machen, wenn er mit der Zustellung nicht rechnen musste und deshalb keine Vorkehren zu treffen hatte.
- Wiederherstellungsgrund der Abwesenheit vorliegendenfalls an sich gegeben, zufolge Fristversäumnis indessen verwirkt. | Erwägungen
ab Seite 190
BGE 107 V 190 S. 190
Aus den Erwägungen:
2.
Die Rekurskommission hat zutreffend und unwidersprochen festgestellt, dass die am 20. November 1980 der Post übergebene
BGE 107 V 190 S. 191
Beschwerdeeingabe gegen die Beitragsverfügungen vom 12. September 1980 verspätet eingereicht worden ist. Das Eidg. Versicherungsgericht hat diesen Ausführungen nichts beizufügen.
Indes kann der Empfänger einer behördlichen Eröffnung, der die Beschwerdefrist zufolge Abwesenheit vom Zustellort versäumt hat, seine Abwesenheit als Fristwiederherstellungsgrund geltend machen, wenn er, weil mit der Zustellung nicht zu rechnen war, hinsichtlich der Inempfangnahme keine besonderen Vorkehren zu treffen hatte. Daher ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer während seines Auslandaufenthaltes vom 12. September bis zum 3. November 1980 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Zustellung der Beitragsverfügungen erwarten musste. Das ist nicht der Fall. Denn die Festsetzung der Beiträge für die Jahre 1978 bis 1980 hatte schon längere Zeit auf sich warten lassen und nichts deutete darauf hin, dass die fraglichen Verfügungen gerade in den Tagen der Landesabwesenheit eintreffen würden. Demnach ist ein Wiederherstellungsgrund an sich gegeben.
Gleichwohl kann die Frist im vorliegenden Fall nicht wiederhergestellt werden, weil die 10tägige Frist für die Einreichung des Gesuchs und das Nachholen der versäumten Rechtshandlung nicht eingehalten ist (
Art. 24 Abs. 1 VwVG
in Verbindung mit
Art. 96 AHVG
). In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nämlich ausgeführt, dass sich der Versicherte vom 12. September bis zum 3. November 1980 im Ausland aufgehalten hat. Somit begann die Frist zur Stellung des Wiederherstellungsgesuchs am 4., evtl. am 5. November 1980 zu laufen und endete Mitte November 1980. Aus dem Poststempel auf dem Briefumschlag der Beschwerde ist ersichtlich, dass diese vom Vertreter des Beschwerdeführers erst am 20. November 1980 der Post übergeben worden ist. Somit erweist sich das Wiederherstellungsbegehren als verspätet. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f214073c-39d4-4170-b91d-b5b36f0a8aa2 | Urteilskopf
108 Ib 231
44. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. August 1982 i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen X. und Y. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Einsichtsrecht der Wehrsteuerbehörden in die Akten einer Strafuntersuchung (Art. 90 WStB,
Art. 47 BankG
).
1. Haben die Wehrsteuerbehörden aufgrund von konkreten Anhaltspunkten einen begründeten Verdacht auf das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände, so dürfen sie gestützt auf Art. 90 Abs. 1 WStB Einsicht in die Akten einer laufenden Strafuntersuchung nehmen; unter diesen Voraussetzungen verstossen sie nicht gegen das Verbot der Veranstaltung allgemeiner Suchaktionen in behördlichen Akten (E. 2).
2. Rechtslage bei Fällen, in welchen die Wehrsteuerbehörde auch die in der Strafuntersuchung beschlagnahmten Bankakten einsehen will. Darf die Steuerbehörde in Anwendung von Art. 90 Abs. 1 WStB auch Bankakten einsehen, die sich auf Dritte beziehen, die nicht in die Strafuntersuchung mit einbezogen sind? (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 108 Ib 231 S. 232
Die Nidwaldner Wehrsteuerbehörden erfuhren über Zeitungsmeldungen von einem Strafverfahren gegen X. und Y. wegen verschiedenen Unredlichkeiten, die die Beiden im Zusammenhang mit dem von ihnen betriebenen Heizölhandel begangen haben sollen; im Laufe der Untersuchung hat das Verhöramt Nidwalden verschiedene Bankkontoauszüge beschlagnahmt.
Aufgrund von Zeitungsmeldungen entstand bei den
BGE 108 Ib 231 S. 233
Wehrsteuerbehörden der Verdacht, dass die beiden Angeschuldigten eventuell auch Steuerwiderhandlungen begangen haben könnten. Die Wehrsteuerverwaltung wandte sich deshalb an die Untersuchungsbehörden und ersuchte diese, ihr im Zusammenhang mit der Veranlagung der beiden Angeschuldigten Einsicht in die Untersuchungsakten, insbesondere aber in die sichergestellten Bankkontoauszüge zu gewähren.
Mit Verfügung vom 12. März 1981 wies das Verhöramt Nidwalden das Gesuch der kantonalen Wehrsteuerverwaltung ab. Auch die Kassationsabteilung des Nidwaldner Obergerichtes, bei welcher die kantonale Wehrsteuerverwaltung das erstinstanzliche Erkenntnis anfocht, verweigerte der Steuerbehörde mit Entscheid vom 4. Februar 1982 die anbegehrte Einsichtnahme.
Mit fristgemässer Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Eidgenössische Steuerverwaltung dem Bundesgericht:
"Der angefochtene Entscheid des Obergerichtes des Kantons Nidwalden (Kassationsabteilung) sei aufzuheben und es sei den Wehrsteuerbehörden des Kantons Nidwalden und der Beschwerdeführerin zu gestatten, die Akten der Strafuntersuchung gegen X. und Y. einzusehen.
Insbesondere seien den Wehrsteuerbehörden des Kantons Nidwalden und des Bundes die beschlagnahmten Auszüge und sonstigen Akten über Bankkonten mit ihrem detaillierten Inhalt zur Kenntnis zu bringen; alles unter Kostenfolge."
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Bundesrecht. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Das kantonale Steueramt Nidwalden beantragt die Gutheissung der Beschwerde. Dagegen beantragen X. und Y. sowie das Obergericht des Kantons Nidwalden die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
a) Das Verhöramt Nidwalden hat das Akteneinsichtsgesuch der kantonalen Wehrsteuerverwaltung vollumfänglich abgewiesen. Es hat der Wehrsteuerverwaltung somit nicht nur die Einsicht in die beschlagnahmten Bankakten, sondern auch in die übrigen Untersuchungsakten verweigert. Das Dispositiv der zweiten kantonalen Instanz, des Obergerichtes, lautet sodann: "Die Beschwerde wird abgewiesen." Daraus müsste an sich der Schluss gezogen werden, auch das Obergericht habe der Wehrsteuerbehörde die Akteneinsicht vollständig verweigern wollen. Andererseits
BGE 108 Ib 231 S. 234
hat das Obergericht in Erwägung 3 seines Entscheides erklärt, die Steuerbehörde könne sich direkt auf Art. 90 Abs. 1 WStB über die Akteneditionspflicht der Gerichts- und Verwaltungsbehörden stützen, ohne vorgängig die "übrigen Möglichkeiten gegenüber den Steuerpflichtigen und Dritten" auszuschöpfen. In der Folge prüfte dann das Obergericht nur noch, welche Gründe der Herausgabe der Bankakten entgegenstehen könnten. Mit keinem Wort erläuterte es jedoch, aus welchen Gründen es auch die Einsicht in die übrigen Untersuchungsakten verweigern wolle. Es muss daraus der Schluss gezogen werden, dass das Dispositiv entweder auf einem Irrtum beruht oder dass das Obergericht davon ausging, das Akteneinsichtsgesuch in die übrigen Akten könne ohne Begründung abgewiesen werden; in beiden Fällen ist der angefochtene Entscheid zu beanstanden.
b) Art. 90 Abs. 1 WStB bestimmt:
"Die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Bundes, der Kantone und Gemeinden haben, ungeachtet einer allfälligen Geheimhaltungspflicht, der Veranlagungsbehörde auf deren Verlangen aus den amtlichen Registern sowie aus sonstigen Akten, die für die Veranlagung eines Wehrsteuerpflichtigen von Bedeutung sein können, kostenlos Auskunft zu erteilen.
Das Post- und Telegraphengeheimnis bleibt gewährleistet."
Nach der Rechtsprechung verleiht Art. 90 Abs. 1 WStB den Steuerbehörden keinen allgemeinen Konsultations- und Editionsanspruch von Akten anderer Behörden. Den Wehrsteuerbehörden sind somit "allgemeine Suchaktionen" verboten (vgl. den Entscheid des Bundesgerichtes vom 29. September 1978 E. 3b/cc i.S. Amministrazione cantonale dell'imposta per la difesa nazionale del cantone Ticino, publiziert in ASA 48, S. 483, deutsche Übersetzung in Steuer-Revue 1980, S. 373 ff.). Von einer solchermassen verpönten Suchaktion in behördlichen Akten kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein, stellten doch die Steuerbehörden ihr Akteneinsichtsgesuch aufgrund eines konkreten Verdachtes: In Zeitungsmeldungen war im Zusammenhang mit den, den Beschwerdegegnern vorgeworfenen Straftaten unter anderem von einem "Schwarzkonto" die Rede, auf welches die Angeschuldigten "in den Jahren 1976 und 1977 etwa 1,8 Mio. Franken einbezahlt" haben sollen. Weder das Verhöramt Nidwalden noch die Vorinstanz machen geltend, dass diese Zeitungsberichte haltlos seien; nur die Beschwerdegegner behaupten, die Zeitungsmeldung habe "sich punkto Höhe der Einzahlungen an die Bank (als) nicht exakt" erwiesen - sie unterlassen jedoch jede Substantiierung
BGE 108 Ib 231 S. 235
dieser Behauptung, weshalb auf sie nicht eingegangen zu werden braucht. Aufgrund dieser Meldungen mussten die Steuerbehörden aber einen massiven Verdacht auf das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände haben. Dass schliesslich das in Art. 90 Abs. 1 WStB vorbehaltene Post- und Telegraphengeheimnis durch das Akteneinsichtsgesuch verletzt würde, wird zu Recht von keiner Seite geltend gemacht. Es war daher nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht der Steuerbehörden, die Sache näher zu untersuchen. Unter diesen Umständen ist es unverständlich, weshalb der Steuerbehörde die Akteneinsicht verweigert wurde. Gesonderte Betrachtungen sind allerdings noch mit Bezug auf die beschlagnahmten Bankakten anzustellen. Hier kann aber festgehalten werden, dass die Steuerbehörden jedenfalls berechtigt sind, alle übrigen Untersuchungsakten einzusehen.
3.
a) Wollen die Steuerbehörden in einem Veranlagungsverfahren Bankakten eines Wehrsteuerpflichtigen einsehen, so haben sie sich nach Art. 90 Abs. 5 WStB an den Pflichtigen selbst zu wenden; diesem gegenüber hat die Bank zuhanden der Steuerbehörden "auf Verlangen eine Bescheinigung über das gemeinsame Vertragsverhältnis und die beidseitigen Ansprüche und Leistungen auszustellen." Unterlässt es der Steuerpflichtige, die Bescheinigung nach Art. 90 Abs. 5 WStB beizubringen, so stehe der Veranlagungsbehörde kein Zwangsmittel gegenüber dem Steuerpflichtigen zur Verfügung, um ihn zur Herausgabe der anbegehrten Bankakten zu veranlassen. Der Steuerbehörde bleibt jedoch in solchen Fällen die Ermessenstaxation vorbehalten (Art. 92 WStB). Aufgrund des Bankgeheimnisses kann die Steuerbehörde die strittigen Bankakten auch nicht direkt von der Bank einfordern. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerbehörden ein Steuerstrafverfahren wegen einfachen Steuerwiderhandlungen gegen den Pflichtigen durchführen; solche Widerhandlungen sind gegeben, wenn der Steuerpflichtige Verfahrensvorschriften nicht einhält (Art. 129 Abs. 2 lit. a WStB) oder wenn er dem Staate einen Wehrsteuerbetrag im Sinne von Art. 129 Abs. 1 lit. b WStB dadurch vorenthält, dass er Tatsachen, die für den Bestand oder den Umfang der Wehrsteuerpflicht wesentlich sind, verschweigt oder über sie vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Angaben macht (BODMER/KLEINER/LUTZ, Kommentar zum Schweizerischen Bankgesetz, 2. Nachlieferung 1982, N. 49 zu
Art. 47 BankG
; AUBERT/KERNEN/SCHÖNLE, Le secret bancaire suisse, 2. A., Bern 1982, S. 147 ff., insbesondere S. 154 lit. cc).
BGE 108 Ib 231 S. 236
b) Der Schutz des Bankgeheimnisses versagt jedoch nach Lehre und Praxis dann, wenn ein nach strafprozessualen Grundsätzen von den in Art. 133bis WStB genannten Behörden zu verfolgender Steuer- oder Inventarbetrug im Sinne von Art. 130bis WStB vorliegt. In solchen Fällen ist die Bank zeugnis- und editionspflichtig, womit das in Art. 89 Abs. 2 und 90 Abs. 6 WStB vorbehaltene Berufsgeheimnis entfällt (BODMER/KLEINER/LUTZ, a.a.O., N. 49 zu
Art. 47 BankG
; AUBERT/KERNEN/SCHÖNLE, a.a.O., S. 161). Das Bankgeheimnis entfällt auch in gemeinrechtlichen Strafverfahren, wenn nicht die anwendbare kantonale Strafprozessordnung wie etwa Art. 196 Abs. 1 des Code de procédure pénale vaudois vom 12. September 1967 das Gegenteil anordnet: Falls eine Strafprozessordnung für Personen, welche das Bankgeheimnis zu wahren haben, keine besonderen Regeln schafft, haben sie als Zeugen auch über solche Tatsachen Aussagen zu machen, die unter das Bankgeheimnis fallen und es können entsprechende Bankdokumente mit Beschlag belegt werden. Das Bankgeheimnis entbindet demnach in solchen Fällen weder von der Aussagepflicht, noch steht es prozessualen Zwangsmassnahmen entgegen (
BGE 95 I 444
E. 2b mit zahlreichen Hinweisen).
In seinem bereits zitierten Entscheid vom 29. September 1978, neuerdings bestätigt im Entscheid vom 15. Juli 1982 in Sachen Nadia Andrino, hat das Bundesgericht ausserdem entschieden, dass die zuständige Steuerbehörde gestützt auf Art. 90 Abs. 1 WStB unter Umständen sogar in Bankakten Einsicht nehmen kann, die sich nicht nur auf den Angeschuldigten, sondern auf Dritte beziehen. Findet nämlich die Steuerbehörde beim Studium der Bankakten des Angeschuldigten belastende Indizien dafür, dass auch Dritte, am Strafverfahren nicht beteiligte Personen Steuerwiderhandlungen begangen haben, so kann die Steuerbehörde gestützt auf Art. 90 Abs. 1 WStB die herausgegebenen Akten auch im Hinblick auf die Steuerbelange dieser Dritten verwenden. Schliesslich kann die Steuerbehörde in Anwendung von Art. 90 Abs. 1 WStB und unter der Voraussetzung, dass sie einen konkreten Verdacht auf das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände hat, Akten einer laufenden Strafuntersuchung auch dann einsehen, wenn dies nicht für die Steuerbelange des Angeschuldigten geschehen soll, sondern ausschliesslich im Hinblick auf die Steuerverhältnisse Dritter, nicht direkt in das Strafverfahren verwickelter Personen: Akten, die rechtmässig in den Besitz von Verwaltungs- und Gerichtsbehörden im Sinne von Art. 90 Abs. 1
BGE 108 Ib 231 S. 237
WStB gelangt sind, stehen dem Fiskus unter dem Vorbehalt des Post- und Telegraphengeheimnisses sowie dem Verbot der Veranstaltung "allgemeiner Suchaktionen" (daher das Erfordernis eines konkreten Verdachts auf das Vorliegen steuerrechtswidriger Tatbestände) generell zur Einsichtnahme zur Verfügung. Deshalb muss ein unredlicher Steuerpflichtiger stets damit rechnen, dass ihn betreffende Tatsachen, die Dritte, namentlich Banken, geheim halten müssten, ohne Fahrlässigkeit seinerseits eines Tages zur Kenntnis der Steuerbehörden gelangen. Dieser Umstand vermag jedoch an der klaren Rechtslage nichts zu ändern.
Dieser Rechtslage stehen auch die in
BGE 104 IV 125
ff. gemachten Erwägungen nicht entgegen: Bei jenem Fall ging es um ein Akteneinsichtsersuchen gegenüber einer Bank und nicht gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde; diese Akten fielen daher unter das Bankgeheimnis (Art. 90 Abs. 6 WStB i.V.m.
Art. 47 BankG
). Zu prüfen war damals, inwieweit und gegenüber welchen Personen die zur Diskussion stehenden strafbaren Handlungen die Durchbrechung des Bankgeheimnisses rechtfertigten: Bei einem direkten Vorgehen gegen den Geheimnisträger, die Bank, muss der Geheimnisschutz Dritter, nicht in das Strafverfahren verwickelter Personen, gewahrt bleiben, würde sonst doch das Bankgeheimnis überhaupt illusorisch. Sind die Akten aber rechtmässig in den Besitz einer Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde gelangt, so braucht überhaupt nicht mehr auf das Bankgeheimnis Rücksicht genommen zu werden, ist es doch auf dieser Stufe auch gar nicht mehr geschützt (Art. 90 Abs. 1 WStB). | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
f215a463-99e1-4840-9086-c054cb2fbbb5 | Urteilskopf
103 IV 101
29. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 6 juin 1977 dans la cause Ferreira da Silva contre Ministère public du canton de Vaud | Regeste
Art. 31 Abs. 1 SVG
, 3 Abs. 1 VRV.
Der vom Führer zu verlangende Grad an Aufmerksamkeit beurteilt sich anhand sämtlicher Umstände. Wenn er sein Augenmerk im wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden (Erw. 2 b und c). | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 103 IV 101 S. 101
A.-
Le 21 juillet 1974, vers minuit, Vasco Ferreira da Silva circulait au volant de sa voiture VW à l'avenue du Léman, à Lausanne, en direction du centre de la ville. Roulant à 60 km/h environ, feux de croisement enclenchés, sur la piste montante de droite, il aperçut soudain à quelques mètres devant lui un cyclomotoriste qui traversait la chaussée de gauche à droite par rapport à son sens de marche. Ce cyclomotoriste, Simon Lecoultre, âgé de 18 ans, n'avait pas mis en marche le moteur de son véhicule, qui de ce fait n'était pas
BGE 103 IV 101 S. 102
éclairé. L'automobiliste ne put empêcher la collision; il n'eut même aucune réaction avant celle-ci. Plaqué sur le capot et la partie antérieure droite du toit de la voiture, dont il avait fait éclater le pare-brise, Lecoultre tomba sur la route à 50 m au-delà du point de choc. C'est alors seulement que l'automobiliste réagit en freinant et qu'il immobilisa son véhicule, 17 m plus loin. Lecoultre décéda à 2 h. 30 des suites de ses blessures.
Avant l'accident, Lecoultre venait en sens inverse, à l'extrême droite de l'avenue du Léman selon sa propre direction. Il circulait moteur arrêté, discutant avec un ami et deux personnes qui marchaient sur le trottoir dans la même direction que lui. A la hauteur environ du débouché du chemin de Bonne-Espérance, il traversa subitement la chaussée en oblique dans le sens descendant.
A l'endroit de l'accident, la route décrit une courbe à grand rayon, à droite dans le sens emprunté par l'automobile, et elle accuse une rampe régulière de 5% en direction du centre de la ville. Elle est large de 10 m 50 en moyenne et comprend trois voies de circulation, soit une descendante et deux montantes. Un passage pour piétons traverse cette avenue immédiatement au-dessus du débouché du chemin de Bonne-Espérance, à 15 m environ du point de choc. Ce passage est protégé par des feux à commande manuelle, qui étaient au vert pour le trafic routier au moment de l'accident, et par conséquent au rouge pour les piétons. La chaussée était propre et sèche, l'éclairage public fonctionnait normalement.
Une reconstitution sur place, lors de l'instruction de la cause, a permis de déterminer que, depuis son point de départ du bord du trottoir jusqu'au point de choc, le cyclomotoriste a parcouru en biais 16 m et qu'il a dû mettre environ 6 secondes pour franchir cette distance.
B.-
Le 29 octobre 1976, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné Ferreira da Silva à une amende de 200 fr. avec délai d'épreuve de 2 ans, pour homicide par négligence.
Statuant le 31 janvier 1977, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours du condamné et maintenu le jugement de première instance.
C.-
Ferreira da Silva se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à libération.
BGE 103 IV 101 S. 103
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Il ressort des constatations du tribunal de première instance, reprises par la Cour cantonale, que le cyclomotoriste était visible à la condition que l'on portât une extrême attention dans la direction d'où il venait. Ces constatations ont été faites lors d'une reconstitution nocturne, à propos de laquelle il est relevé que, lors de l'expérience, le tribunal savait que le cyclomotoriste arrivait et qu'il le cherchait des yeux, sans se soucier ni de ce qui se passait sur la droite de la route, ni des feux.
Bien que la victime fût difficilement visible, les instances précédentes ont retenu à la charge du recourant une inattention fautive, constitutive de la négligence entraînant l'application de l'
art. 117 CP
.
La Cour cantonale a considéré que la distance totale d'arrêt nécessaire à l'automobiliste était de 40 m environ, qui avaient dû être parcourus en 2 secondes et demie. Comme, 2 secondes et demie avant le choc, la victime avait quitté la voie descendante et se trouvait déjà sur la voie montante de gauche et comme elle avait d'autant plus de chances d'être aperçue qu'elle se rapprochait à la fois du milieu de la route et de l'automobile, l'autorité cantonale a estimé que, dès le moment où le cyclomotoriste avait franchi la ligne séparant la voie descendante des deux voies montantes, le recourant aurait dû le voir, prendre conscience du caractère aberrant de sa manoeuvre et réagir promptement. Constatant alors que l'automobiliste n'avait eu aucune réaction quelconque, elle a considéré que la seule explication de cette passivité était une inattention fautive. Elle a estimé de surcroît que, sur une route éclairée, le cyclomotoriste était certainement visible alors qu'il traversait la piste montante, une cinquantaine de mètres en avant de la voiture (en oblique, il est vrai), et que même si le recourant ne l'avait aperçu qu'à 30 m, il aurait pu ralentir suffisamment pour réduire sensiblement les conséquences de la collision. Cela étant, compte tenu du temps dont il disposait et de son absence de réaction non seulement avant, mais encore après le choc, elle a retenu que l'automobiliste n'avait pas fait preuve de l'attention requise.
b) Le recourant conteste toute faute. Pour lui, son devoir d'attention portait en premier lieu sur les feux qui étaient au
BGE 103 IV 101 S. 104
vert pour lui et qui pouvaient devenir orange, puis sur la voie ascendante droite de la chaussée qu'il empruntait, sur le trottoir situé à sa droite d'où pouvait surgir un piéton et enfin, évidemment, sur le passage pour piétons. Il invoque aussi le principe de la confiance et fait valoir qu'il n'avait aucune raison de s'attendre à un comportement aussi aberrant que celui du cyclomotoriste.
2.
a) Un conducteur prioritaire, comme l'était indiscutablement le recourant en l'espèce, doit, en vertu de la règle fondamentale prescrite à l'
art. 26 LCR
et, plus précisément, en vertu de l'al. 2 de cette disposition, faire montre d'une prudence particulière s'il lui apparaît qu'un usager de la route va se comporter de manière incorrecte. Pour être en mesure de satisfaire à cette obligation, il doit être constamment maître de son véhicule et vouer à la route ainsi qu'à la circulation toute l'attention nécessaire (cf.
art. 3 al. 1 OCR
, 31 al. 1 LCR). Comme, en l'espèce, le recourant n'a vu le cyclomotoriste qu'au dernier moment, c'est-à-dire trop tard pour éviter l'accident, la seule question qui doit être résolue est celle de savoir si, pour ne pas l'avoir vu plus tôt, il s'est rendu coupable d'une inattention fautive.
b) En principe, l'obligation imposée au conducteur de vouer son attention à la route et à la circulation implique qu'il embrasse du regard toute la chaussée et non pas seulement ce qui se passe directement devant lui sur l'espace de route correspondant à la largeur de sa voiture (cf. BUSSY ET RUSCONI, CSCR, n. 2.5 a ad
art. 31 LCR
). La jurisprudence a cependant atténué ce principe dans certaines hypothèses, en particulier dans le cas d'îlots divisant la chaussée en deux voies distinctes. Ainsi a-t-elle posé qu'à tout le moins lorsque ces îlots sont larges, on ne saurait raisonnablement exiger des automobilistes qu'ils portent leur attention sur l'autre voie que celle qu'ils vont emprunter (
ATF 101 IV 220
); elle a également réservé la possibilité d'appliquer la même exception dans l'éventualité de voies particulièrement larges (arrêt non publié Ricciardella, du 1er juin 1976). De toute manière, le conducteur doit vouer à la route et au trafic toute l'attention possible, et le degré de cette attention doit être apprécié en regard de toutes les circonstances, telles que la densité du trafic, la configuration des lieux, l'heure, la visibilité, les sources de danger prévisibles, pour n'en citer que quelques-unes.
BGE 103 IV 101 S. 105
c) En l'espèce, le Tribunal correctionnel a relevé que l'attention du recourant était avant tout attirée par les feux qui étaient au vert pour lui, et il a considéré très justement que le recourant devait en outre surveiller non seulement la partie montante de la chaussée qu'il occupait et ce qui pouvait se passer sur le trottoir situé à sa droite, mais aussi le passage pour piétons. C'est en effet sur ces éléments que le recourant devait porter l'essentiel de son attention. Sans négliger la voie de circulation montante parallèle à celle qu'il occupait, il pouvait cependant lui vouer une attention moins grande.
Cette attention moins grande doit permettre de percevoir les obstacles ou les événements normalement visibles, mais on ne saurait aller jusqu'à exiger qu'elle atteigne un degré tel qu'elle permette de déceler ce qui n'est visible que difficilement. En l'espèce, même si les chances d'apercevoir le cyclomotoriste étaient de plus en plus grandes à mesure que celui-ci se rapprochait, il reste que, selon les constatations de l'autorité cantonale, ce cyclomotoriste était difficilement visible, c'est-à-dire visible pour autant qu'on portât une extrême attention dans la direction d'où il venait. Or, compte tenu de l'attention qu'il fallait consacrer à la voie de circulation parcourue, aux feux, au trottoir de droite et au passage pour piétons, on ne saurait raisonnablement fonder sur la loi l'obligation de surveiller en outre avec une extrême attention le reste de la chaussée. Ce n'est qu'à partir du moment où le cyclomotoriste a pénétré sur la voie de circulation empruntée par le recourant que l'on pouvait exiger de ce dernier l'extrême attention lui permettant de voir l'obstacle. Il ne disposait plus alors du temps nécessaire pour être en état de réagir efficacement. L'absence de réaction à ce moment ne se trouve dès lors pas en relation de causalité adéquate avec l'accident.
Quant à la passivité du recourant après le choc, à supposer - ce dont on peut douter - qu'elle présente un telle relation avec le décès de la victime, elle n'est pas fautive. On peut à cet égard adopter le point de vue du Tribunal correctionnel selon lequel l'éclatement du pare-brise et la présence du corps de la victime qui se trouvait en partie sur le toit étaient de nature à provoquer quelques secondes de stupeur.
En conclusion, comme on doit constater qu'en déployant l'attention commandée par les circonstances de l'espèce, le recourant ne pouvait remarquer ni le cyclomotoriste ni sa manoeuvre aberrante à une distance lui permettant d'entreprendre
BGE 103 IV 101 S. 106
une manoeuvre efficace, aucune faute ne peut être retenue à sa charge. Le pourvoi doit donc être admis et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle libère le recourant de l'accusation d'homicide par négligence.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle acquitte le recourant. | null | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f21aa8b7-d3f7-42ab-94e5-a100cb143f91 | Urteilskopf
88 II 172
28. Extrait de i'arrêt de la Ie Cour civile du 12 juin 1962 dans la cause Spinedi contre Bornand et Cavazza. | Regeste
Aktionärbindungsvertrag.
1. Gültigkeit in den Schranken des
Art. 19 OR
einer mit einer Sperrevereinbarung verbundenen Abstimmungsvereinbarung (Erw. 1).
2. Rechtswidrigkeit und Unsittlichkeit (
Art. 27 Abs. 2 ZGB
) der vorliegenden Vereinbarung verneint (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 172
BGE 88 II 172 S. 172
Résumé des faits:
Le capital de la société anonyme Jean Spinedi (la société) s'élève à 500 000 fr. Il est divisé en 500 actions au porteur de 1000 fr. chacune. En 1957, les actions étaient réparties entre 5 actionnaires. Georges Spinedi en avait 192, Gérard Spinedi 192, Bloch 50, Bornand 33 et
BGE 88 II 172 S. 173
Cavazza 33. Gérard Spinedi, Bornand et Cavazza étaient membres du conseil d'administration de la société.
Le 1er décembre 1957, Gérard Spinedi, Bornand et Cavazza signèrent une convention constituant un syndicat d'actionnaires dénommé "le groupe", qui, avec ses 258 actions, détenait plus de la moitié du capital social.
L'art. 2 de la convention dispose:
"Les membres de ce groupe conservent la pleine propriété de leurs actions ainsi que leur qualité d'actionnaire. Ils s'engagent seulement à exercer leurs droits d'actionnaires dans le sens indiqué et adopté par le groupe."
Selon l'art. 5, le groupe prend ses décisions à la majorité absolue, chaque membre possédant une voix, quel que soit le nombre de ses actions.
L'art. 18, modifié par un avenant du 28 mai 1959, prescrit:
"Les présents signataires déclarent n'avoir pas conclu auparavant d'accords contraires à l'esprit et aux intentions de la présente convention. Ils s'engagent en outre à n'en pas signer d'autres. La violation de cette clause entraînera une pénalité de 1000 fr. (mille francs) par titres détenus par celui qui viole ladite clause, indemnité à verser au ou aux lésés..."
Les membres s'engageaient à déposer leurs actions soit dans une banque soit chez un notaire, où elles resteraient bloquées en garantie de l'exécution intégrale de la convention (art. 20).
Selon l'art. 23, la convention était conclue pour une durée de 6 ans à compter du 1er décembre 1957.
Les parties avaient conclu auparavant une première convention, sous l'empire de laquelle elles se sont interdit de vendre, louer ou céder leurs actions, considérées comme bloquées, bien que n'étant pas encore déposées dans une banque, dès la signature de la convention provisoire du 10 décembre 1956, rendue définitive par l'avenant du 1er juin 1957.
D'un commun accord, les membres du groupe ont prolongé au 30 juin 1959 le délai fixé à l'art. 20 pour déposer leurs actions.
BGE 88 II 172 S. 174
Le 15 juin 1959, Gérard Spinedi vendit ses 192 actions à Georges Spinedi.
Le 19 octobre 1959, Bornand et Cavazza assignèrent Gérard Spinedi en paiement de 192 000 fr. représentant la peine conventionnelle de 1000 fr. par action prévue à l'art. 18 de la convention. Déboutés en première instance, ils obtinrent gain de cause devant la Cour de justice civile du canton de Genève, qui statua le 9 mars 1962. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en réforme de Gérard Spinedi.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La convention litigieuse est un accord sur l'exercice des droits de l'actionnaire et plus précisément une convention de vote combinée avec une convention de blocage. De tels accords sont valables dans les limites fixées par l'art. 19 CO (PATRY, Les accords sur l'exercice des droits de l'actionnaire, RDS 1959, II, p. 63 a et 137 a ch. 4; GLATTFELDER, Die Aktionärbindungs-Verträge, RDS 1959, II, p. 243 a ss.). En l'absence d'un acte contraire à la loi ou aux statuts, tout actionnaire est en effet libre de voter suivant les désirs d'un tiers (RO 81 II 542, consid. 4 in fine). Le recourant ne conteste pas, avec raison, que les accords sur l'exercice des droits de l'actionnaire soient valables en principe. Il soutient, en revanche, que la convention conclue en l'espèce est nulle, parce que son objet serait illicite et contraire aux moeurs (art. 20 CO).
2.
a) Le recourant invoque plus précisément l'art. 27 al. 2 CC, aux termes duquel "nul ne peut aliéner sa liberté, ni s'en interdire l'usage dans une mesure contraire aux lois ou aux moeurs". Selon la jurisprudence, les engagements de nature pécuniaire ne sont contraires aux moeurs que s'ils mettent en péril l'existence économique du débiteur (RO 40 II 240, 51 II 167 s., 84 II 23, 277, 635). En s'obligeant à voter selon les décisions du groupe et à déposer ses actions en main tierce, pendant une durée de six ans, le recourant ne s'est pas exposé à un tel risque.
BGE 88 II 172 S. 175
Administrateur de la société, il était d'ailleurs à même de mesurer exactement la portée de ses engagements.
En fait, le recourant n'a jamais été lésé par une décision du groupe. C'est grâce à celui-ci, au contraire, qu'il a présidé le conseil d'administration de la société. Aussi son argumentation repose-t-elle uniquement sur des hypothèses. A ses dires, le groupe aurait pu, par exemple, décider de faire révoquer par l'assemblée générale son mandat d'administrateur. Pareille décision serait toutefois contraire aux règles de la bonne foi. Le recourant n'eût dès lors pas été tenu d'émettre un vote dans ce sens. Il eût été fondé à opposer le moyen pris de l'abus de droit (art. 2 CC), si les autres membres du groupe lui avaient réclamé le paiement de la peine conventionnelle.
b) Selon le recourant, la convention serait contraire aux moeurs parce qu'elle annulerait la puissance de vote attachée à ses actions. Certes, il aurait pu se voir obligé par une décision du groupe de voter à l'assemblée générale, avec ses 192 actions, dans le sens désiré par les intimés, qui n'ont ensemble que 66 actions. A l'intérieur du groupe, chaque membre dispose en effet d'une voix, quel que soit le nombre de ses actions. Une règle semblable serait exclue pour le droit de vote à l'assemblée générale de la société anonyme (cf. art. 692 et 693 CO). Mais le groupe est une société simple (art. 530 ss. CO). Or, selon l'art. 534 al 2 CO, lorsque le contrat remet les décisions de la société à la majorité, celle-ci se compte par tête. Peu importe que les apports des membres soient inégaux (cf. art. 531 al. 2 CO), comme en l'espèce.
c) Le recourant soutient encore que la convention viole l'art. 693 CO, en créant par un moyen détourné des actions à droit de vote privilégié. S'il est vrai qu'à l'intérieur du groupe, le droit de vote n'est pas proportionnel au nombre des actions détenues par chaque membre, le droit de vote à l'assemblée générale attaché à chaque action n'est pas diminué ni augmenté pour autant. L'accord restreint seulement la liberté des parties dans
BGE 88 II 172 S. 176
l'exercice de leurs droits d'actionnaires. Pareille limitation est licite, comme on l'a vu.
d) Il ne résulte pas des faits constatés par la juridiction cantonale que la convention soit contraire aux statuts de la société. Le recourant ne le prétend d'ailleurs pas. | public_law | nan | fr | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f21d7b02-39e4-4eff-8588-08e1156d1ecf | Urteilskopf
103 II 69
10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. April 1977 i.S. Permedia AG gegen Lokal-Telefon-Verzeichnis AG | Regeste
Vorsorgliche Massnahmen nach UWG.
1. Sieht der kantonale Richter bei vorsorglichen Massnahmen nach UWG gestützt auf kantonales Zivilprozessrecht davon ab, eine Klagefrist gemäss
Art. 12 Abs. 1 UWG
anzusetzen, so kann dies mit der Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden (
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
). Eine gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid eingereichte staatsrechtliche Beschwerde kann als Nichtigkeitsbeschwerde entgegengenommen werden (E. 2).
2. Bei vorsorglichen Massnahmen nach UWG muss eine Klagefrist im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 UWG
angesetzt werden (E. 3 und E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 103 II 69 S. 70
A.-
Auf Klage der Lokal-Telefon-Verzeichnis AG traf die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Luzern als Instanz nach
§ 355bis ZPO
am 3. Dezember 1976 eine vorsorgliche Massnahme im Sinne der
Art. 9 ff. UWG
des Inhalts, es werde der Beklagten Permedia AG untersagt, weiterhin folgende Behauptungen aufzustellen und zu verbreiten: a) das Lokal-Telefon-Verzeichnis Region Hochdorf der Klägerin erscheine nicht mehr; b) die Klägerin stehe vor dem Konkurs oder sei bereits in Konkurs gefallen; c) die Klägerin erhalte von der PTT keine Unterlagen über Telefonabonnenten mehr zur Verfügung gestellt. Die Justizkommission drohte der Beklagten für den Fall der Übertretung dieses Verbots gemäss
Art. 292 StGB
Bestrafung mit Haft oder Busse an. Von der Ansetzung einer Klagefrist an die Klägerin sah sie mit der Begründung ab, eine solche sei gemäss
§ 357 Abs. 2 ZPO
nicht zwingend vorgeschrieben; die Verbreitung unwahrer Behauptungen im wirtschaftlichen Wettbewerb, die dem Konkurrenten schaden könne, bleibe immer unerlaubt; auch habe die Beklagte kaum ein rechtlich schützenswertes Interesse, dass die Klägerin noch den Weg des ordentlichen Prozesses beschreite.
Auf eine Kassationsbeschwerde der Permedia AG ist das Obergericht des Kantons Luzern am 9. Februar 1977 mit der Begründung nicht eingetreten, dieses Rechtsmittel sei nur gegen Zivilurteile der beiden obergerichtlichen Kammern, nicht auch gegen Entscheidungen der obergerichtlichen Kommissionen zulässig und zudem habe die Justizkommission nicht über einen materiellen Anspruch endgültig entschieden.
B.-
Die Permedia AG hat gegen den Entscheid der Justizkommission rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.
BGE 103 II 69 S. 71
Sie beantragt, ihn aufzuheben. Sie macht geltend, die Justizkommission habe
Art. 4 BV
verletzt, weil die Nichtansetzung einer Frist zur Klage beim Erlass vorsorglicher Massnahmen dem klaren Wortlaut des
Art. 12 UWG
widerspreche, also willkürlich sei. Auch sei ihr durch die Nichtansetzung der Klagefrist das rechtliche Gehör verweigert worden, denn damit sei ihr die Möglichkeit genommen, in einem ordentlichen Prozess mit vorgeschriebenem Schriftenwechsel und Beweisverfahren ihre Verteidigungsrechte auszuschöpfen, was sie im summarischen Verfahren auf Anordnung vorsorglicher Massnahmen nicht habe tun können.
C.-
Die Lokal-Telefon-Verzeichnis AG beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden könne.
Nach der Auffassung der Justizkommission ist die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger ist nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde gerügt werden kann (
Art. 84 Abs. 2 OG
).
Massnahmen nach
Art. 9 UWG
sind vorsorglicher Natur. Über den Anspruch, den sie schützen, wird erst in einem allfälligen Hauptprozess endgültig entschieden. Die Beschwerdeführerin geht denn auch darauf aus, dass der Beschwerdegegnerin zur Anhebung eines solchen gemäss
Art. 12 UWG
Frist gesetzt werde. Der angefochtene Entscheid ist somit nicht Endentscheid im Sinne des
Art. 48 OG
(
BGE 101 II 362
E. 1 mit Hinweisen auf weitere Urteile). Er kann nicht mit der Berufung angefochten werden.
Die Justizkommission hat der Beschwerdegegnerin nicht Frist zur Anhebung des Hauptprozesses gesetzt, weil
§ 357 Abs. 2 ZPO
die Ansetzung nicht zwingend vorschreibe. In der Vernehmlassung zur Beschwerde gibt sie diese Bestimmung als irrtümlich zitiert aus und erachtet
§ 354 ZPO
als anwendbar. Ob statt der einen oder anderen dieser Normen, die beide dem kantonalen Recht angehören, die eidgenössische Bestimmung des
Art. 12 UWG
anzuwenden sei, wie die Beschwerdeführerin
BGE 103 II 69 S. 72
geltend macht, ist eine Frage, die dem Bundesgericht gemäss
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
mit der Nichtigkeitsbeschwerde unterbreitet werden kann, da eine Zivilsache vorliegt und die Justizkommission als letzte kantonale Instanz entschieden hat. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht zulässig.
Dass die Beschwerdeführerin auch noch den Vorwurf der Verweigerung des rechtlichen Gehörs erhebt, ändert nichts. Sie begründet ihn nicht mit der Behauptung, sie habe im summarischen Befehlsverfahren, in dem die Justizkommission urteilte, die ihr zustehenden Verteidigungsrechte nicht ausüben können. Sie sieht die angeblich formelle Rechtsverweigerung darin, dass der Gegenpartei nicht Frist zur Anhebung des Hauptprozesses angesetzt wurde und damit der Beschwerdeführerin von vornherein verunmöglicht worden sei, sich in einem ordentlichen Prozesse mit dem in den
§ 95 ff. und 132 ff. ZPO
vorgesehenen Schriftenwechsel und Beweisverfahren zu verteidigen. Diese Rüge deckt sich also mit dem Anbringen, die Justizkommission hätte
Art. 12 UWG
anwenden sollen. Es bleibt daher für eine staatsrechtliche Beschwerde kein Raum.
Das eingelegte Rechtsmittel ist deshalb als Nichtigkeitsbeschwerde zu behandeln (
BGE 56 II 2
E. 1).
3.
Art. 12 UWG
bestimmt, wenn die Behörde eine vorsorgliche Massnahme verfüge, setze sie dem Antragsteller zur Anhebung der Klage Frist bis zu dreissig Tagen (Abs. 1 Satz 1). Im Säumnisfalle fällt die Massnahme dahin; in der Verfügung ist darauf hinzuweisen (Abs. 1 Satz 2). Wird die Klage nicht rechtzeitig angehoben, so kann der Richter den Antragsteller ausserdem zum Ersatz des durch die vorsorgliche Massnahme verursachten Schadens verhalten (Abs. 2 Satz 1).
Diese Bestimmungen sind zum Schutze dessen erlassen worden, der in Anwendung des
Art. 9 UWG
von vorsorglichen Massnahmen betroffen wird (Botschaft des Bundesrates, BBl 1942 708; vgl. VON BÜREN, Kommentar zum UWG, N. 1 zu Art. 9-12). Sie gehen dem kantonalen Prozessrecht vor (Art. 2 ÜbBest. BV). Dieses kann den Schutz des Betroffenen nicht aufheben oder einschränken. Da die Justizkommission unter Berufung auf kantonales Recht von der Ansetzung einer Klagefrist abgesehen hat, muss die Beschwerde gutgeheissen
BGE 103 II 69 S. 73
und die Sache zur Anwendung des eidgenössischen Rechts an die Justizkommission zurückgewiesen werden.
4.
Die Justizkommission macht in der Vernehmlassung zur Beschwerde geltend,
Art. 12 UWG
beziehe sich offensichtlich nur auf Fälle, in denen der Gesuchsgegner ein Interesse an der Fristansetzung habe. Im angefochtenen Entscheid sagt sie, die Beschwerdeführerin habe kaum ein rechtlich schützenswertes Interesse, dass die Beschwerdegegnerin noch den Weg des ordentlichen Prozesses beschreite.
Damit verkennt sie den Sinn des
Art. 12 UWG
. Diese Bestimmung will nicht einem angeblichen Interesse des Gesuchsgegners an der Durchführung des Hauptprozesses dienen. Der Betroffene ist in der Regel an einem Hauptprozess überhaupt nicht interessiert, sondern nur daran, dass die vorsorgliche Massnahme nicht unbestimmte Zeit fortbestehe, ohne dass der Gesuchsteller gehalten sei, im ordentlichen Prozess ein endgültiges Urteil zu erstreiten. Nur diesem Interesse will
Art. 12 UWG
dienen. Inwiefern es im vorliegenden Falle nicht bestehen sollte, ist nicht zu ersehen. Der Einwand der Beschwerdegegnerin, die Beschwerdeführerin könne ja dem Obergerichte ohne weiteres die Aufhebung der vorsorglichen Massnahme beantragen, wenn sie nachweise, dass sie während angemessener Zeit keinerlei unwahre Behauptungen über die Beschwerdegegnerin mehr verbreitet habe und diese im wirtschaftlichen Wettbewerb nicht mehr gefährde, taugt nicht. Es ist nicht Sache des Betroffenen, die vorsorgliche Massnahme vorerst hinzunehmen und später auf deren Aufhebung zu klagen. Nach dem klaren Wortlaut und Sinn des
Art. 12 UWG
hat vielmehr der Gesuchsteller binnen einer ihm zu setzenden Frist von höchstens dreissig Tagen den ordentlichen Prozess einzuleiten, wenn er vermeiden will, dass die vorsorgliche Massnahme dahinfalle. Die Auffassung der Justizkommission, unwahre Behauptungen im wirtschaftlichen Wettbewerb, die dem Mitbewerber schaden könnten, blieben immer unerlaubt, vermag hieran nichts zu ändern.
Art. 12 UWG
verlangt die Fristansetzung zur Anhebung des Hauptprozesses, weil das Gesetz das Ergebnis des Verfahrens um vorsorgliche Massnahmen nicht endgültig als massgebend erachtet. Daher darf nicht unterstellt werden, die Äusserungen der Beschwerdeführerin, die vor der Justizkommission glaubhaft gemacht wurden, versetzten die Beschwerdeführerin ein
BGE 103 II 69 S. 74
für allemal ins Unrecht. Erst der Hauptprozess wird die Rechtslage endgültig abklären. Die Fristansetzung darf auch nicht mit der in der Vernehmlassung der Justizkommission gegebenen Begründung unterbleiben, die Beschwerdeführerin selber habe ja die Ausgabe ihres Lokal-Telefonbuches als abgeschlossen bezeichnet und den Fortbestand eines Wettbewerbsverhältnisses zur Beschwerdegegnerin bestritten. Die Justizkommission widerspricht damit ihrem eigenen Entscheide. Sie hat der Beschwerdeführerin in diesem entgegengehalten, der Umstand, dass die Inseratenwerbung für ihr TELU-Telefonbuch II abgeschlossen sei, besage keineswegs, dass sie solche nicht für ein neues Verzeichnis betreiben könne. Die Justizkommission hat also die Möglichkeit des Fortbestandes eines Wettbewerbsverhältnisses bejaht und gerade deshalb die vorsorgliche Massnahme getroffen. Im Hinblick auf diese Möglichkeit hat die Beschwerdeführerin ein Interesse an der Fristansetzung, die allenfalls zum Hinfall des gegen sie ausgesprochenen Verbotes und der damit verbundenen Strafandrohung führen kann.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird als Nichtigkeitsbeschwerde entgegengenommen.
2. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Luzern vom 3. Dezember 1976 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an diese Behörde zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f21f7cf3-f8ac-456e-8936-4421398d5715 | Urteilskopf
83 II 169
26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Juni 1957 i.S. Keller gegen Keller. | Regeste
Ehescheidung.
Wenn eine Partei auf Scheidung, die andere nur auf Trennung klagt und beide Klagen an sich begründet sind, ist in Gutheissung der erstern Klage allein die Scheidung auszusprechen und die Trennungsklage gegenstandslos zu erklären. | Sachverhalt
ab Seite 169
BGE 83 II 169 S. 169
Wegen tiefer Zerrüttung der Ehe klagte die Frau auf Trennung, der Mann auf Scheidung der Ehe. Das Kantonsgericht sprach die Scheidung "in Gutheissung der Klage und der Widerklage" gemäss
Art. 142 ZGB
aus. Vor Bundesgericht beantragt die Klägerin Abweisung der Scheidungsklage des Mannes und Trennung der Ehe auf ihr Begehren, der Widerkläger mit Anschlussberufung Abweisung der Klage der Frau und Scheidung der Ehe auf sein alleiniges Begehren.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Wenn beim Vorhandensein des Scheidungsgrundes der tiefen Zerrüttung eine Partei auf Scheidung, die andere nur auf Trennung klagt, so muss die Scheidung ausgesprochen werden, es sei denn, die auf Scheidung klagende Partei treffe ein vorwiegendes Verschulden an der Zerrüttung (
Art. 142 Abs. 2 ZGB
) oder es bestehe Aussicht auf Wiedervereinigung (Art. 146 Abs. 3). Steht dem Scheidungskläger Art. 142 Abs. 2 entgegen, so ist seine Klage nicht begründet;
BGE 83 II 169 S. 170
sie ist daher abzuweisen und in Gutheissung der allein begründeten Klage der Gegenpartei die blosse Trennung auszusprechen. Trifft keine Partei ein vorwiegendes Verschulden an der Zerrüttung, sind also grundsätzlich beide Klagen begründet, so ist die Scheidung auszusprechen und zwar auf Begehren der auf Scheidung klagenden Partei allein, nicht etwa beider Parteien; denn die bloss auf Trennung klagende Partei hat ein Scheidungsbegehren gar nicht gestellt, der Richter kann daher auch kein solches gutheissen, ohne ultra petita partis zu gehen. Die Trennungsklage ist aber bei dieser Sachlage nicht abzuweisen; denn sie ist nicht unbegründet, sondern kann einfach deshalb nicht geschützt werden, weil man eine Ehe nicht zugleich scheiden und trennen kann und die Scheidung die weitergehende Massnahme ist. Vielmehr wird durch die Gutheissung der Klage auf Scheidung diejenige auf Trennung ipso jure gegenstandslos. Disp. 1 der Vorinstanz ist demnach insofern gesetzwidrig, als es die Scheidung auf Begehren beider Parteien ausspricht - offenbar um zu betonen, dass die Trennungsklage materiell auch begründet ist. Welche Klage, die auf Scheidung oder die auf Trennung gehende, gutzuheissen ist, hängt davon ab, ob den Scheidungskläger ein vorwiegendes Verschulden an der Zerrüttung trifft oder nicht.
2.
- 4.- (Prüfung der Verschuldensfrage). ....
Es ist mithin der Vorinstanz dahin beizupflichten, dass keine Partei ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung trifft.
Für eine Wiedervereinigungsaussicht bieten die Akten keinerlei Anhaltspunkte, weshalb auch nicht unter dem Gesichtspunkt des
Art. 146 Abs. 3 ZGB
auf blosse Trennung statt auf Scheidung erkannt werden kann.
Entsprechend dem in Erwägung 1 Ausgeführten ist daher die Scheidungsklage des Mannes gutzuheissen. Dass die Trennungsklage der Frau sachlich ebenfalls begründet ist und nur zufolge der Scheidung nicht geschützt werden kann, kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie nicht
BGE 83 II 169 S. 171
abgewiesen, sondern gegenstandslos erklärt wird, wozu die Anschlussberufung des Beklagten die Möglichkeit bietet.
.....
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Hauptberufung wird abgewiesen, die Anschlussberufung teilweise dahin gutgeheissen, dass auf Klage des Mannes die Scheidung ausgesprochen wird, wodurch die Trennungsklage der Frau gegenstandslos wird. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f22059f6-b8d5-411d-927b-9cdc237ed0f6 | Urteilskopf
135 V 309
39. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause homes X., Y., W. et V. contre Conseil d'Etat de la République et canton de Neuchâtel (recours en matière de droit public)
9C_100/2009 du 28 août 2009 | Regeste
Art. 82 lit. b,
Art. 87 Abs. 1 und
Art. 106 Abs. 2 BGG
;
Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG
; Beschlüsse des Regierungsrates des Kantons Neuenburg vom 22. Dezember 2008 und vom 16. Februar 2009 über die maximalen Tagestaxen für Bewohner privater Heime mit Anspruch auf Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (EL); abstrakte Normenkontrolle.
Als Teil der vom Regierungsrat des Kantons Neuenburg verabschiedeten "63 Beschlüsse betreffend die für jedes Heim individuelle Festsetzung der auf die EL-bezugsberechtigten Bewohner anwendbaren maximalen Tagestaxen" gehören die strittigen Beschlüsse zu einer für den gesamten Kanton gültigen Regelung der auf EL-beziehende Heimbewohner anwendbaren Taxen; sie sind daher als kantonale Erlasse im Sinne von
Art. 82 lit. b BGG
zu betrachten, gegen welche unmittelbar die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht zulässig ist (
Art. 87 Abs. 1 BGG
; E. 1).
Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG
bildet keine genügende gesetzliche Grundlage für die in Art. 2 der Regierungsratsbeschlüsse vom 22. Dezember 2008 und 16. Februar 2009 vorgesehene Begrenzung der von Privatheimen gegenüber ihren EL-bezugsberechtigten Insassen angewandten Tarife (E. 7 und 8). Gleichwohl hebt das Bundesgericht die angefochtenen Beschlüsse nicht auf, da sie sich auch auf kantonalrechtliche Bestimmungen stützen, deren Verletzung von den beschwerdeführenden Heimen nicht gemäss
Art. 106 Abs. 2 BGG
vorgebracht und begründet wurde (E. 10). | Sachverhalt
ab Seite 310
BGE 135 V 309 S. 310
A.
Par trois arrêtés du 22 décembre 2008 et un arrêté du 16 février 2009, le Conseil d'Etat de la République et canton de Neuchâtel a fixé les taxes journalières maximales de la Résidence X., de la Résidence Y., et du home W., respectivement de la Résidence V., applicables aux pensionnaires bénéficiant de prestations complémentaires à l'AVS et à l'AI (PC). Aux termes de ces quatre arrêtés, le Conseil d'Etat a pris les dispositions suivantes:
BGE 135 V 309 S. 311
Reconnaissance
Article premier. - En application de l'article 4, alinéa 4 LCPC, la Résidence (concernée) est reconnue pour l'année 2009 comme home au sens de la législation en matière de prestations complémentaires à l'AVS et à l'AI (PC).
Taxes journalières
Art. 2. - En application de l'article premier, alinéa 1 RLCPC et de l'article premier de l'arrêté relatif aux taxes journalières maximales applicables aux pensionnaires bénéficiant de prestations complémentaires à l'AVS et à l'AI (PC) et séjournant en établissement spécialisé pour personnes âgées autorisé au sens de la loi de santé, du 26 mai 2008, le Conseil d'Etat fixe les taxes journalières maximales de la Résidence (concernée) pour ses pensionnaires au bénéfice de PC, valables dès le 1
er
janvier 2009, de la façon suivante:
Chambres à 1 lit Fr...
Chambres à 2 lits Fr...
Entrée en vigueur et publication
Art. 3. - Le présent arrêté qui entre en vigueur au 1
er
janvier 2009, est valable jusqu'au 31 décembre 2009.
Il sera publié dans la feuille officielle.
Les montants ainsi fixés s'élèvent, pour une chambre à 1 lit / 2 lits, respectivement à 182 fr. / 172 fr. pour la Résidence X. (9C_100/2009); 200 fr. (avec lavabo) et 210 fr. (avec salle de bains) / 195 fr. pour la Résidence Y. (9C_101/2009); 191 fr. comme "prix unique" pour le Home W. (9C_102/2009) et 195 fr. / 165 fr. pour la Résidence V. (9C_266/2009).
B.
Chacun des quatre homes, tous représentés par Maître Nicolas Pointet, à Neuchâtel, interjette un recours en matière de droit public contre ces arrêtés publiés dans la Feuille officielle du canton de Neuchâtel le 31 décembre 2008, respectivement le 20 février 2009 (dans le cas 9C_266/2009), en prenant les conclusions suivantes:
"1. Déclarer recevable et bien fondé le présent recours;
2. Annuler l'article 2 de l'arrêté du Conseil d'Etat de la République et canton de Neuchâtel du 22 décembre 2008 (respectivement 16 février 2009) fixant les taxes journalières maximales du home (concerné) applicables aux pensionnaires bénéficiant de prestations complémentaires à l'AVS et à l'AI (PC).
3. Sous suite de frais et dépens."
Le Conseil d'Etat conclut au rejet des recours.
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) se détermine sous l'angle de la base légale de droit fédéral, sans prendre des conclusions.
BGE 135 V 309 S. 312
C.
Par actes du 30 janvier 2009, la Résidence X. (9C_100/2009), la Résidence Y. (9C_101/2009) et le Home W. (9C_102/2009) ont demandé que leur recours soit doté de l'effet suspensif. Ces requêtes ont été rejetées par ordonnances présidentielles du 23 février 2005.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence (
art. 29 al. 1 LTF
). Il contrôle librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 134 III 379
consid. 1 p. 381 et la jurisprudence citée).
1.1
D'après l'
art. 82 LTF
, le Tribunal fédéral connaît des recours contre les décisions rendues dans des causes de droit public (let. a) et contre les actes normatifs cantonaux (let. b). La qualification des arrêtés attaqués comme décisions ou comme actes normatifs est d'importance pour l'ordre de juridiction car dans le premier cas, le recours n'est recevable devant le Tribunal fédéral que s'il existe une voie de droit cantonal devant une autorité judiciaire précédente (
art. 86 al. 1 let
. d et al. 2 LTF) alors que dans le deuxième cas, le recours est directement recevable contre les actes normatifs cantonaux qui ne peuvent faire l'objet d'un recours cantonal (
art. 87 al. 1 LTF
).
1.2
Les arrêtés litigieux pourraient être considérés comme des décisions générales; toutefois leur qualification comme actes généraux et abstraits doit l'emporter. En effet, les arrêtés imposent aux quatre recourants, en tant que homes reconnus selon la législation sur les prestations complémentaires, une taxe journalière maximale pouvant être facturée à leurs pensionnaires bénéficiant de prestations complémentaires (PC). Bien que cette injonction soit limitée dans le temps (à savoir pour l'année 2009) et n'oblige qu'un nombre restreint de destinataires (chaque arrêté concerne un home, voir un nombre restreint de pensionnaires bénéficiant de PC), sa portée dépasse celle d'une décision. Si l'on considère les trois arrêtés du 22 décembre 2008 et celui du 16 février 2009 dans leur ensemble, et que l'on tienne compte du fait que le Conseil d'Etat a adopté "63 arrêtés fixant de manière individuelle pour chaque home les taxes journalières maximales applicables aux pensionnaires bénéficiant de PC à l'AVS et à l'AI" (cf. prise de position de l'OFAS), il y a lieu d'admettre que les arrêtés litigieux constituent des composants d'une réglementation sur les taxes applicables aux pensionnaires d'un
BGE 135 V 309 S. 313
home bénéficiant de PC et valable pour l'ensemble du canton, laquelle doit être assimilée à un acte normatif de droit cantonal au sens de l'
art. 82 let. b LTF
.
1.3
Il est constant que les actes attaqués ne peuvent faire l'objet, au plan cantonal, d'un moyen de droit, de sorte que le recours en matière de droit public est directement ouvert (
art. 87 al. 1 LTF
).
1.4
Dans la mesure où les autres conditions de recevabilité des présents recours sont également données en l'espèce, en particulier celle de la qualité pour recourir (art. 89 al. 1 let. b et c LTF), il y a lieu d'entrer en matière sur le recours. Les présentes causes, étroitement liées à la législation fédérale sur les prestations complémentaires, relèvent de la compétence de la II
e
Cour de droit social du Tribunal fédéral (
art. 35 let
. f du règlement du Tribunal fédéral du 20 novembre 2006 [RTF; RS 173.110.131], dans sa version en vigueur depuis le 1
er
janvier 2009).
(...)
7.
7.1
Les recourants invoquent une violation du droit public fédéral, en particulier de l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
(RS 831.30). Selon eux, le texte de cette disposition légale est clair: l'expression "(...) à prendre en considération (...)" autorise seulement les cantons à déterminer la mesure de la prise en considération du prix de pension dans le calcul des prestations complémentaires établi par la caisse. On ne saurait en revanche nullement inférer du texte légal que ledit montant oblige les homes, à savoir que ceux-ci n'auraient pas le droit de facturer le prix de pension contractuel aux pensionnaires ou à toute personne qui serait d'accord de payer le prix intégral (p. ex. la famille).
7.2
Se fondant sur certains passages du Message du Conseil fédéral du 7 septembre 2005 sur la législation d'exécution concernant la réforme de la péréquation financière et de la répartition des tâches entre la Confédération et les cantons (RPT; FF 2005 5641), le Conseil d'Etat estime que l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
permet sans équivoque aux cantons de fixer les taxes journalières prélevées par les homes pour les personnes au bénéfice de PC et non seulement de fixer le montant des taxes déterminant pour le calcul des PC. Selon le Conseil d'Etat, cette interprétation a été confirmée par le Tribunal fédéral dans un arrêt 2P.99/1999 / 2P.162/1999 / 2P.315/1999 du 19 décembre 2002 à propos de la législation vaudoise d'application
BGE 135 V 309 S. 314
des PC. Dans cette affaire, divers homes privés avaient recouru contre des arrêtés cantonaux fixant les tarifs socio-hôteliers applicables aux pensionnaires de homes et bénéficiant des régimes sociaux vaudois. Le Tribunal fédéral avait admis que non seulement la fixation de tels tarifs était admissible à l'égard des pensionnaires bénéficiant de l'aide de l'Etat, mais également, dans une certaine mesure, à l'égard des pensionnaires financièrement indépendants.
(...)
7.4
7.4.1
Ainsi que le relève l'OFAS, il ressort de l'interprétation littérale et systématique de l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
que l'autorisation donnée aux cantons de fixer une limite maximale des frais à prendre en considération en raison du séjour dans un home ou dans un hôpital a trait exclusivement à une norme de calcul de la prestation complémentaire, mais non au financement des homes ou aux rapports de droit privé entre les homes et leurs pensionnaires. Cela ressort explicitement des Messages du Conseil fédéral concernant la Réforme de la péréquation financière et de la répartition des tâches entre la Confédération et les cantons (RPT). Dans le premier message, du 14 novembre 2001, le Conseil fédéral explique que malgré le désenchevêtrement partiel, le caractère des PC ne change pas par rapport à la situation actuelle: "Concrètement, le changement signifie ce qui suit: tandis que les personnes qui demeurent chez elles touchent les mêmes PC que celles qui sont versées actuellement, les cantons pourront désormais fixer l'étendue et le montant des frais de maladie et d'infirmité qui sont pris en charge. Pour les personnes habitant dans un home, les cantons fixent, comme ils le font déjà, la taxe
imputable
pour le séjour et le montant pour les dépenses personnelles." (FF 2002 2297 in fine ch. 6.1.5.3.3). Dans la version allemande du message, la phrase mise en exergue est traduite ainsi: "legen die Kantone (...) die
berücksichtigbare
Heimtaxe und den Betrag für persönliche Auslagen fest" (BBl 2002 2436). Plus loin, le Conseil fédéral poursuit ainsi: "Les cantons et les communes exercent une influence considérable sur les frais de séjour dans les homes puisqu'ils sont responsables de leur construction et de leur exploitation. Par conséquent, il est logique que les cantons prennent en charge les PC découlant d'un séjour dans un home. Ils ne doivent cependant fournir des prestations que si les frais de séjour dans un home dépassent le montant des besoins vitaux. Pour calculer ce montant, on ajoute le montant des besoins vitaux
BGE 135 V 309 S. 315
(16'880 fr.) au loyer maximal possible (13'200 fr.), par souci de simplification, ce qui donne une somme arrondie à 80 fr. par jour (cf.
art. 3b et
art. 5, al. 1, let. b LPC
). Si le pensionnaire d'un home ne peut pas payer seul 80 fr. par jour, la Confédération (à raison de 5/8) et le canton (à raison de 3/8) versent la différence. On garantit ainsi que les personnes vivant à la maison et celles qui résident dans un home bénéficient du même traitement quant à la couverture des besoins vitaux. Lorsque le montant de la couverture des besoins vitaux et celui des frais du home dépassent ensemble 80 fr., le canton doit financer le surplus. Comme par le passé, ce sont les cantons qui fixent la taxe maximale des homes, si bien qu'ils définissent également la part des PC qu'ils supportent. Les taxes des homes sont définies en fonction des coûts de construction et d'exploitation. Pour calculer les PC des pensionnaires de homes, le revenu est déterminé de la même manière que pour les personnes vivant chez elles. Les cantons ne peuvent exercer une influence que sur la part prise sur la fortune, qui peut être plus ou moins importante. Grâce au nouveau système, un canton peut choisir entre une aide en faveur des personnes (aide individuelle apportée aux personnes) ou en faveur des objets (subvention versée aux institutions). S'il subventionne un home en tant qu'objet, il peut fixer à un niveau inférieur
la taxe du home prise en considération lors du calcul de la PC
. S'il ne le fait pas, il doit verser des PC plus élevées aux bénéficiaires." (FF 2002 2298 s. ch. 6.1.5.3.3.2). La phrase mise en exergue ci-dessus a la teneur suivante en allemand: "Subventioniert er das Heim als Objekt, kann er die bei der EL-Berechnung berücksichtigbare Heimtaxe tiefer ansetzen." (BBl 2002 2437)
Dans son Message du 7 septembre 2005 sur la législation d'exécution concernant la réforme de la péréquation financière et de la répartition des tâches entre la Confédération et les cantons (RPT), le Conseil fédéral a précisé ce qui suit:
"Le désenchevêtrement des tâches entre la Confédération et les cantons et la transformation de la loi sur les subventions en une loi sur les prestations requièrent une refonte complète de la loi fédérale du 19 mars 1965 sur les prestations complémentaires à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité (LPC). Le projet accorde aux cantons une marge de manoeuvre minime concernant les tarifs relatifs à la prestation complémentaire annuelle (qui relève de la Confédération), du fait que le calcul des prestations complémentaires pour les pensionnaires de homes est basé sur le même principe que pour les personnes vivant à domicile - bien que le versement des PC reste l'affaire des cantons. Il convient de
BGE 135 V 309 S. 316
souligner que le nouveau modèle de PC annuelles ne fixe pas de plafond à ces prestations. Actuellement ce plafond n'a guère de sens pour les personnes qui ne vivent pas dans un home, du fait qu'il est très rarement atteint (cas d'invalidité dans des familles nombreuses). L'abandon du plafond évite par ailleurs tout mélange avec l'aide sociale.
Les choses se présentent un peu autrement pour les pensionnaires de homes. La contribution financière de la Confédération se limite au montant destiné à couvrir les besoins vitaux. Si ce montant est dépassé, les PC annuelles sont entièrement à la charge des cantons. Ceux-ci fixent eux-mêmes les taxes
prélevées
par les homes et exercent ainsi une influence sur la part des PC qu'ils assument. La LPC n'offre cependant de marge de manoeuvre que pour le montant des dépenses personnelles et la prise en compte de la fortune (imputation de la fortune) pour les pensionnaires de homes. D'autres dispositions ne sont admissibles dans le domaine des PC annuelles que dans la mesure où elles sont nécessaires à l'application de la loi. Même pour les pensionnaires, il n'est donc pas utile de fixer un plafond pour les PC annuelles. Il en va autrement pour les frais de maladie et d'invalidité, lesquels sont entièrement pris en charge par les cantons. Il appartient donc aux cantons de déterminer les frais à rembourser aux bénéficiaires de PC." (FF 2005 5831 ch. 2.9.8.2.2)
Dans sa réponse aux recours, le Conseil d'Etat se fonde essentiellement sur la phrase mise en exergue ci-dessus pour défendre son point de vue. Or, la version allemande du passage en question est la suivante: "Die Kantone bestimmen selbständig die Höhe der
anrechenbaren
Heimtaxen und beeinflussen damit auch den von ihnen zu tragenden EL-Teil." (BBl 2005 6224)
7.4.2
Le texte de l'art. 10 al. 2 let. a, 2
e
phrase LPC est libellé ainsi en allemand: "die Kantone können die Kosten begrenzen, die wegen des Aufenthaltes in einem Heim oder Spital berücksichtigt werden". En italien, il a la teneur suivante: "i Cantoni possono limitare le spese prese in considerazione a causa del soggiorno in un istituto o in un ospedale". Dans les messages précités, le verbe "berücksichtigen" est traduit en français une fois par le verbe "imputer" et une fois par l'expression "prendre en considération" (expression retenue pour l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
). Quant à l'expression "taxes prélevées par les homes" (cf. FF 2005 5831), elle est traduite par "anrechenbaren Heimtaxen", à savoir "taxes imputées". La sémantique choisie par le Conseil fédéral implique que l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
autorise seulement les cantons à déterminer le montant de la taxe devant être imputée dans le calcul des prestations complémentaires. S'il entendait autoriser les cantons à fixer les taxes que les homes sont en droit de facturer directement à leurs pensionnaires et
BGE 135 V 309 S. 317
intervenir ainsi dans les rapports contractuels de droit privé entre les homes non subventionnés et leurs pensionnaires au bénéfice de PC, le législateur fédéral aurait dû être plus précis. En l'absence d'une volonté claire du législateur ressortant des travaux préparatoires, il n'y a pas lieu de suivre l'interprétation de l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
donnée par le Conseil d'Etat.
Le canton de Neuchâtel a décidé de ne pas reconnaître la qualité d'"établissements (...) d'utilité publique" aux homes recourant notamment, et de ne plus leur accorder désormais les subsides spéciaux selon l'
art. 19a de la loi cantonale du 21 mars 1972 sur les établissements spécialisés pour personnes âgées (LESPA; RSN 832. 30)
. La différence essentielle du présent cas avec l'arrêt 2P.99/ 1999 / 2P.162/1999 / 2P.315/1999 du 19 décembre 2002, sur lequel se fonde le Conseil d'Etat, réside dans l'absence d'autorisation des homes recourants à obtenir des subventions. Dans les cas précités, il s'agissait de homes ayant reçu un mandat de prestations dans le cadre de la planification des homes du canton de Vaud, lequel leur ouvrait droit à des subventions, pour autant que l'institution en question respectât les tarifs fixés par l'Etat à l'égard des pensionnaires au bénéfice de PC ou de l'aide sociale ainsi qu'à l'égard de ceux ne bénéficiant d'aucune aide publique.
7.5
Le fait que l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
n'autorise pas les cantons à limiter les taxes journalières facturées par des homes privés sans mandat de prestations ni subventions étatiques, est confirmé par l'aspect suivant: selon la loi fédérale du 13 juin 2008 sur le nouveau régime de financement des soins, laquelle n'est pas encore entrée en vigueur (FF 2008 5247), il est prévu de compléter la teneur actuelle de l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
par l'ajout de la phrase suivante: "(...); les cantons veillent à ce que le séjour dans un établissement médico-social reconnu ne mène pas, en règle générale, à une dépendance de l'aide sociale;". On doit en déduire que si les cantons étaient autorisés en vertu du seul droit fédéral à limiter le montant des taxes journalières facturées par les homes, cet ajout eût été superflu.
8.
Il résulte de ce qui précède que l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
n'est pas, contrairement à l'avis erroné du Conseil d'Etat, une base légale suffisante pour imposer une limite aux tarifs pratiqués par des homes privés à l'égard de leurs pensionnaires au bénéfice de PC.
(...)
BGE 135 V 309 S. 318
10.
Le fait que l'
art. 10 al. 2 let. a LPC
ne constitue pas une base légale suffisante pour limiter les frais facturés par les homes à leurs pensionnaires ne saurait toutefois conduire à l'admission des recours. En l'espèce, les arrêtés reposent non seulement sur la LPC, mais également, selon leurs préambules, sur diverses autres lois cantonales. La question de savoir s'il existe, parmi celles-ci, une disposition suffisante sous l'angle de l'
art. 36 al. 1 Cst.
ne doit pas être examinée par le Tribunal fédéral dès lors que les recourants ne discutent pas l'éventualité d'une base juridique indépendante, ancrée dans le droit cantonal. Les recourants ne se plaignent que du fait que la LPC ne constitue pas une base légale suffisante pour restreindre leur liberté économique mais ne font pas valoir que les dispositions de droit cantonal sur lesquelles se fondent également les arrêtés du Conseil d'Etat seraient contraires à la Constitution. Ils ne prétendent pas non plus qu'en adoptant les arrêtés litigieux, le Conseil d'Etat aurait violé le droit cantonal supérieur ou le principe de la séparation des pouvoirs en outrepassant ses compétences (cf.
ATF 134 I 322
consid. 2.2 p. 326). Il n'appartient pas au Tribunal fédéral d'examiner d'office une éventuelle violation du droit cantonal si celle-ci n'a pas été alléguée et motivée par les recourants (
art. 106 al. 2 LTF
), de sorte que tous les autres griefs d'ordre constitutionnel sont irrecevables. Dans la mesure où le Tribunal fédéral n'annule les dispositions attaquées que si elles ne se prêtent à aucune interprétation conforme au droit supérieur et qu'il n'est pas exclu, en l'espèce, que la réglementation contestée se fonde sur une base légale suffisante en droit cantonal ou qu'elle puisse être interprétée conformément au droit constitutionnel cantonal, il n'y a pas lieu d'annuler les arrêtés litigieux, dont la portée est limitée jusqu'à la fin de l'année 2009.
Succombant, les recourants doivent supporter les frais judiciaires, solidairement entre eux (cf. art. 65 al. 1-3 et
art. 66 al. 1 et 5 LTF
), et n'ont pas droit à des dépens (cf.
art. 68 al. 1 LTF
). | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f2271be5-2495-4759-9169-0c35679fe662 | Urteilskopf
125 V 421
69. Auszug aus dem Urteil vom 24. August 1999 i.S. Aargauische Beamtenpensionskasse gegen Gemeinden B., S. und U. und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 11 BVG
; Art. 2 Abs. 1,
Art. 19 und 23 Abs. 4 lit. c FZG
: Wechsel der Vorsorgeeinrichtung.
Zur Stellung der eine Rente der beruflichen Vorsorge beziehenden Personen, wenn das Anschlussverhältnis zwischen der Vorsorgeeinrichtung und dem Arbeitgeber, dem sie zuzuordnen sind, aufgelöst wird. | Sachverhalt
ab Seite 421
BGE 125 V 421 S. 421
A.-
Die drei Gemeinden B., S. und U. waren für die Durchführung der beruflichen Vorsorge ihres Personals der Aargauischen Beamtenpensionskasse angeschlossen. Im Hinblick auf die am 1. Januar 1995 in Kraft getretene neue bundesrechtliche Freizügigkeitsordnung änderte die Kasse am 28. November 1994 ihre Statuten und Versicherungsbedingungen. Im Rahmen dieser Partialrevision schloss sie mit den Gemeinden B., S. und U. mit Wirkung auf den 1. Januar 1995 neue Anschlussvereinbarungen ab. Darin verpflichtete sich die Kasse, im Falle eines Kollektivaustritts des Arbeitgebers die nach dem Freizügigkeitsgesetz geschuldeten Austrittsleistungen für den gesamten Personalbestand zu erbringen (Ziff. 5), die
BGE 125 V 421 S. 422
Gemeinden ihrerseits, den darin enthaltenen versicherungstechnischen Fehlbetrag der Kasse rückzuerstatten (Ziff. 6). Die übrigen Modalitäten bei einem Kollektivaustritt - ausgenommen die in Ziff. 7 geregelte Auszahlung der Austrittsleistung an die neue Vorsorgeeinrichtung - sollte der Vorstand der Kasse festlegen (Ziff. 8).
Auf Ende Dezember 1995 traten die Gemeinden B., S. und U. aus der kantonalen Beamtenpensionskasse aus. Mit Schreiben vom 22. November 1995 teilte die Kasse die Austrittsmodalitäten mit. Dabei wies sie darauf hin, dass auf Grund der neuen Anschlussvereinbarungen die Gemeinden verpflichtet seien, den der Austrittsleistung entsprechenden anteilsmässigen versicherungstechnischen Fehlbetrag von rund 25% rückzuerstatten. Am 6. Dezember 1995 erliess der Vorstand der Kasse ein Reglement über den Austritt angeschlossener Arbeitgeber. Darin wurde u.a. festgehalten, dass sich die Wirkung des Austritts auf das aktive Personal und die Rentenbezüger beziehe (§ 2 Abs. 1), der Austritt gemäss Freizügigkeitsgesetz nach den Bestimmungen einer Teilliquidation vollzogen werde (§ 4) und der Arbeitgeber verpflichtet sei, den der Austrittsleistung entsprechenden anteilsmässigen versicherungstechnischen Fehlbetrag der Kasse rückzuerstatten (§ 8 Abs. 1). Mit Schreiben vom 19. und 28. Dezember 1995 teilte die kantonale Beamtenpensionskasse den drei Gemeinden mit, dass sie die Austrittsleistung bestehend aus dem Deckungskapital der Aktiven und Rentner zuzüglich 2% dieser Summe als technische Rückstellung zur Berücksichtigung der höheren Lebenserwartung mit Valuta vom 3. Januar 1996 der neuen Vorsorgeeinrichtung überweisen werde. Das provisorische anteilsmässig rückzuerstattende versicherungstechnische Defizit bezifferte sie auf Fr. 310'330.10 (Gemeinde B.), Fr. 1'063'621.30 (Gemeinde S.) und Fr. 221'216.10 (Gemeinde U.). Im Weitern hielt die Kasse fest, dass die Renten an die bisherigen Bezüger noch bis zum 31. Dezember 1995 ausgerichtet würden. Danach hätten die Zahlungen durch die neuen Vorsorgeeinrichtungen zu erfolgen.
B.-
Am 16. Februar 1996 reichten die Gemeinden B., S. und U. gemeinsam Klage beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau ein mit den Rechtsbegehren:
"1. Die Beklagte sei zu verpflichten, die am 31. Dezember 1995 bereits laufenden Renten weiterhin auf eigene Rechnung an die Berechtigten auszuzahlen. (...)
2. (...)
BGE 125 V 421 S. 423
3. (...)."
Mit Entscheid vom 9. September 1997 hiess das kantonale Versicherungsgericht die Klage in Bezug auf das Begehren 1 gut mit der Feststellung, "dass die Rentner, welche am 31. Dezember 1995 von der Beklagten bereits eine Rente bezogen, von der Auflösung der Anschlussverträge zwischen den Klägerinnen und der Beklagten nicht betroffen sind und die Beklagte auch ab dem 1. Januar 1996 zur Ausrichtung der entsprechenden Rentenleistungen verpflichtet bleibt". (...)
C.-
Die Aargauische Beamtenpensionskasse lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Während die Gemeinden B., S. und U. auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lassen, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung im Sinne seiner Ausführungen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin verpflichtet ist, den den drei Beschwerdegegnerinnen zuzuordnenden Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenrentnern auch nach Beendigung des Anschlussverhältnisses am 31. Dezember 1995 die Leistungen gemäss Gesetz, Statuten und Versicherungsbedingungen auszurichten, ob diese Personen mithin vom Anschlusswechsel (mit-)betroffen sind. (...).
4.
a) Das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) regelt den Wechsel der Vorsorgeeinrichtung durch den Arbeitgeber und damit insbesondere die Frage, ob die im Zeitpunkt der Auflösung des Anschlussverhältnisses eine Rente beziehenden ehemaligen (oder teilinvaliden) Arbeitnehmer (oder deren Hinterlassene) ebenfalls auszutreten haben, und bejahendenfalls, wie sich ihre "Austrittsleistung" berechnet, nicht.
Art. 11 BVG
bestimmt einzig, dass der Arbeitgeber, der obligatorisch zu versichernde Arbeitnehmer beschäftigt, eine in das Register für die berufliche Vorsorge eingetragene Vorsorgeeinrichtung errichten oder sich einer solchen anschliessen muss (Abs. 1), und dass die Wahl der Vorsorgeeinrichtung im Einverständnis mit seinem Personal zu erfolgen hat (Abs. 2 Satz 1). Diese an sich den erstmaligen Anschluss - im Rahmen der Einführung des BVG - betreffende Regelung (Botschaft zum Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge
BGE 125 V 421 S. 424
vom 19. Dezember 1975, BBl 1976 I 149 ff., 223 f., und Amtl.Bull. 1980 S 266 f.) ist sinngemäss auch bei einem Wechsel der Vorsorgeeinrichtung anwendbar. Damit ist indessen noch nichts Entscheidendes gewonnen, zumal
Art. 11 BVG
lediglich den Obligatoriumsbereich betrifft (
Art. 6 und
Art. 49 Abs. 2 BVG
); überdies ist unklar, ob namentlich auch die eine Rente beziehenden ehemaligen Arbeitnehmer zum Personal im Sinne von Abs. 2 dieser Bestimmung zu zählen sind.
b) aa) Das am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 17. Dezember 1993 (FZG) sagt ebenfalls nicht, ob die dem Arbeitgeber zuzuordnenden Rentenbezüger vom Anschlusswechsel (mit-)betroffen sind und demzufolge die Vorsorgeeinrichtung zu verlassen haben. Gemäss
Art. 1 Abs. 1 FZG
regelt dieses Gesetz im Rahmen der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge die Ansprüche der Versicherten im Freizügigkeitsfall. Es erfasst sowohl den obligatorischen als auch den überobligatorischen Bereich (Botschaft des Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 26. Februar 1992, BBl 1992 III 533 ff., 570; Amtl.Bull. 1993 N 1698). Ein Freizügigkeitsfall liegt vor, wenn Versicherte die Vorsorgeeinrichtung verlassen, bevor ein Vorsorgefall (Erreichen der Altersgrenze, Tod oder Invalidität) eintritt (
Art. 2 Abs. 1 und
Art. 1 Abs. 2 FZG
). Nach dieser Legaldefinition setzt der Freizügigkeitsfall im Unterschied zur früheren Regelung (Art. 27 Abs. 2 aBVG und Art. 331a und 331b Abs. 1 aOR) grundsätzlich nicht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses voraus (BBl 1992 III 571 f.). Diese Neuerung kommt auch darin zum Ausdruck, dass nicht mehr von Freizügigkeitsleistung, sondern von Austrittsleistung die Rede ist (vgl. die Marginalie zu
Art. 2 FZG
und die Überschrift zum 4. Abschnitt [
Art. 15 ff. FZG
]). Wechselt ein Arbeitgeber die Vorsorgeeinrichtung, stellt dies an sich für jeden seiner Arbeitnehmer einen individuellen Freizügigkeitsfall im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 FZG
dar. Die gemäss
Art. 3 FZG
von der früheren der neuen Vorsorgeeinrichtung zu überweisende Leistung hat daher der Summe der nach den
Art. 15 ff. FZG
berechneten Austrittsleistungen der einzelnen Arbeitnehmer zu entsprechen. Dabei ist es den mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde vom Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse abweichenden Vorsorgeeinrichtungen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, zu denen auch die
BGE 125 V 421 S. 425
Beschwerde führende kantonale Beamtenpensionskasse gehört, verwehrt, bei der Berechnung versicherungstechnische Fehlbeträge zu berücksichtigen (
Art. 19 Satz 1 FZG
sowie
Art. 69 Abs. 2 BVG
und
Art. 45 BVV 2
).
bb) Der Wechsel der Vorsorgeeinrichtung durch den Arbeitgeber stellt nun aber insofern keinen typischen Freizügigkeitsfall dar, als die neue Freizügigkeitsordnung in erster Linie die Förderung der Mobilität der Arbeitnehmer bezweckt. Ein Stellenwechsel soll nicht eine Lücke im Vorsorgeschutz zur Folge haben (BBl 1992 III 564f., Amtl.Bull. 1992 N 2423 f. und 1993 S 548 ff. [Berichterstatter Schoch] sowie 558 [Bundesrat Koller]; vgl. auch
BGE 120 V 454
Erw. 5b/dd). Löst ein Arbeitgeber das Anschlussverhältnis auf, wechseln die Arbeitnehmer in der Regel nicht gleichzeitig auch die Stelle. Der Gesetzgeber hat diese "Systemwidrigkeit" durchaus erkannt und in
Art. 23 Abs. 4 lit. c FZG
den Tatbestand der Auflösung des Anschlussvertrages durch den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin bei Weiterbestehen der Vorsorgeeinrichtung "vermutungsweise" als Teilliquidationsfall bezeichnet.
cc) Die Entstehungsgeschichte von
Art. 23 Abs. 4 lit. c FZG
zeigt Folgendes: Der bundesrätliche Entwurf sah in Art. 23 lediglich vor, dass bei einer Teil- oder Gesamtliquidation der Vorsorgenehmer neben dem Anspruch auf die Austrittsleistung auch Anspruch auf einen Teil der freien Mittel hat (Abs. 1) und dass diese Mittel nach einem von der Aufsichtsbehörde genehmigten Verteilplan unter den Vorsorgenehmern aufzuteilen sind (Abs. 2; BBl 1992 III 643). Gemäss den Erläuterungen sollte mit dieser Regelung den Auswirkungen von Personalfluktuationen, insbesondere infolge wirtschaftlich bedingter Entlassung eines Teils oder der ganzen Belegschaft, auf den Versichertenbestand und damit der Änderung der erwarteten künftigen Beitragsleistungen und Verpflichtungen Rechnung getragen werden. Freie Mittel sollten ebenso wie allfällige technische Fehlbeträge unter den Anspruchsberechtigten (wegziehende und verbleibende Vorsorgenehmer sowie Rentner) aufgeteilt werden (BBl 1992 III 600; vgl. auch Amtl.Bull. 1993 N 1703 [Votum Spoerry]). Art. 23 des bundesrätlichen Entwurfs erwuchs in der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N) Opposition. Es wurde im Wesentlichen geltend gemacht, die Liquidation einer Vorsorgeeinrichtung gehöre als etwas "Systemfremdes" nicht ins Freizügigkeitsgesetz. Dieser Begriff sei auch zu unbestimmt und es bestehe überdies die Gefahr von Kompetenzkonflikten zwischen Aufsichtsbehörde und Richter
BGE 125 V 421 S. 426
(Protokolle SGK-N vom 6. Juli 1992, S. 90 ff., und vom 12. November 1992, S. 33 ff.). Die Verwaltung brachte in der Folge einen Vorschlag für einen neuen Absatz 4 ein, welcher in drei ausdrücklich genannten Fällen, unter anderem bei Auflösung des Anschlussvertrages durch den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin und Weiterbestehen der Vorsorgeeinrichtung (lit. c), die Voraussetzungen für eine Teilliquidation als "vermutungsweise erfüllt" erklärte. Diese Änderung wurde einstimmig angenommen (Protokoll SGK-N vom 30. November 1992, S. 8 ff.) und passierte diskussionslos auch die parlamentarischen Beratungen (Amtl.Bull. 1992 N 2457 f. und 1993 S 570 f.).
Zu erwähnen ist schliesslich, dass im Nationalrat als Erstrat der Antrag gestellt (und später zurückgezogen) wurde, in
Art. 19 FZG
einen Abs. 2 einzufügen des Inhalts, dass im Falle des Austritts einer ganzen Organisation aus der Vorsorgeeinrichtung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die sich nicht an die Grundsätze der Bilanzierung in geschlossener Kasse zu halten hat, ein allfälliger (versicherungs-)technischer Fehlbetrag zu Lasten der neuen Vorsorgeeinrichtung gehe (Amtl.Bull. 1992 N 2448 f. [Votum David]). Dieser Punkt wurde in den weiteren Beratungen in beiden Räten zwar nicht mehr aufgegriffen (vgl. Amtl.Bull. 1993 S 570 und 877, 1993 N 1703 f.), gab indessen in der vorberatenden Kommission des Nationalrates noch einmal zu Diskussionen Anlass. Dabei stiess die von der Verwaltung vertretene Auffassung, dass der wegziehende Arbeitgeber grundsätzlich das anteilsmässige versicherungstechnische Defizit zu tragen habe, auf heftigen Widerstand, sodass schliesslich darauf nicht eingetreten wurde (Protokoll SGK-N vom 10. September 1993 S. 18 ff.).
5.
Die Materialien zum Freizügigkeitsgesetz zeigen, dass das rechtliche Schicksal der Rentenbezüger, welche dem die Vorsorgeeinrichtung wechselnden Arbeitgeber zuzuordnen sind, im Gesetzgebungsverfahren nicht diskutiert wurde. Einzig in der bundesrätlichen Botschaft werden die "Rentner" im Zusammenhang mit der Frage der Verteilung der freien Mittel und der Tragung eines allfälligen versicherungstechnischen Defizits im Falle einer Gesamt- oder Teilliquidation (
Art. 23 FZG
) ausdrücklich erwähnt (BBl 1992 III 600). Anderseits bestehen keine Hinweise, dass der Gesetzgeber diese Frage in einem ganz bestimmten Sinne nicht geregelt haben wollte oder dass der Entscheid darüber (im Liquidationsfall) Sache der Aufsichtsbehörde ist (vgl.
Art. 23 Abs. 1 FZG
). Soweit sich aus
Art. 2 Abs. 1 FZG
e contrario ergibt, dass Personen, bei denen der
BGE 125 V 421 S. 427
Vorsorgefall bereits eingetreten ist und die Rentenleistungen beziehen, (mangels eines Anspruchs auf eine Austrittsleistung) die Vorsorgeeinrichtung grundsätzlich nicht (mehr) verlassen können, lässt sich dieser Umkehrschluss nicht ohne weiteres auf den (freizügigkeitsrechtlichen) Sonderfall der Auflösung des Anschlussvertrages durch den Arbeitgeber in Bezug auf die diesem zuzuordnenden Rentenbezüger übertragen. Eine solche nur auf den Wortlaut dieser Bestimmung abstellende Betrachtungsweise liesse für die Durchführung der beruflichen Vorsorge zentrale Gesichtspunkte, wie die Finanzierung der Vorsorgeeinrichtung (
Art. 65 ff. BVG
und
Art. 49 Abs. 2 BVG
) und das Gebot der Gleichbehandlung der Versicherten (vgl.
BGE 115 V 109
Erw. 4b mit Hinweisen), ausser Acht. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen des Gesetzes in der Gestaltung ihrer Leistungen, in deren Finanzierung und in ihrer Organisation frei sind (
Art. 49 Abs. 1 BVG
;
BGE 121 V 106
Erw. 4a), "woraus sich", wie das Bundesamt vernehmlassungsweise festhält, "ohne weiteres (...) die besonderen Regelungsbedürfnisse für die Auflösung von Anschlussverträgen einzelner Arbeitgeber und für die Loslösung ihres Versichertenbestandes aus der Vorsorgeeinrichtung ergeben". Schliesslich lässt sich weder aus dem auch nach Eintritt des Vorsorgefalles massgebenden Ziel der Erhaltung des Vorsorgeschutzes noch aus dem in
Art. 37 BVG
(für den Obligatoriumsbereich) statuierten und auf Grund Fehlens einer entsprechenden Vorschrift im kasseninternen Recht vorliegend auch im überobligatorischen Bereich geltenden Verbot der Barauszahlung von Rentenleistungen zwingend ableiten, dass die dem Arbeitgeber zuzuordnenden Rentenbezüger vom Anschlusswechsel nicht berührt werden und bei der bisherigen Vorsorgeeinrichtung verbleiben können.
6.
a) Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass von Bundesrechts wegen nicht eine unbedingte Verpflichtung der Vorsorgeeinrichtungen besteht, bei Auflösung eines Anschlussvertrages die dem wegziehenden Arbeitgeber zuzuordnenden Rentenbezüger zu behalten und ihnen weiterhin die gesetzlichen und reglementarischen Leistungen auszurichten. Im Sinne einer Mindestanforderung ist indes zu verlangen, dass das kasseninterne Recht eine entsprechende Regelung enthält. Es muss klar sein, was bei einem Anschlusswechsel für die Rentenbezüger gilt (vgl. Art. 68 Abs. 2 der Verordnung vom 24. August 1994 über die Pensionskasse des Bundes [PKB-Statuten] sowie Art. 21 Abs. 3 lit. d des bundesrätlichen Entwurfs vom 1. März 1999 zum Bundesgesetz über die
BGE 125 V 421 S. 428
Pensionskasse des Bundes, BBl 1999 5303). Fehlt es an einer solchen Regelung, ist davon auszugehen, dass die betreffenden Rentenbezüger vom Anschlusswechsel nicht berührt werden und Anspruch darauf haben, dass die bisherige Vorsorgeeinrichtung weiterhin die gesetzlichen und reglementarischen Leistungen erbringt. Ob es zulässig ist, diese Frage lediglich in der Anschlussvereinbarung zu regeln, kann vorliegend offen bleiben.
b) Gemäss § 3 Abs. 3 der Statuten vom 25. Oktober 1958 in der Fassung vom 28. November 1994 legt der Vorstand der Beschwerdeführerin (im Übrigen) die Bedingungen für (den Anschluss und) den Austritt fest. Was alles unter diese weit gefasste Regelungsbefugnis fällt, braucht hier nicht näher geprüft zu werden.
Der Vorstand hat am 6. Dezember 1995 das Reglement über den Austritt angeschlossener Arbeitgeber erlassen. Danach erstrecken sich die Wirkungen des Austritts auf das aktive Personal und die Rentenbezüger (§ 2 Abs. 1). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist diese Bestimmung vorliegend nicht anwendbar. In den 1994 mit Wirkung auf den 1. Januar 1995 abgeschlossenen Anschlussvereinbarungen wird als versicherter Personenkreis das gesamte Personal resp. der gesamte Personalbestand bezeichnet. Darunter sind nach allgemeinem Sprachgebrauch die in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem betreffenden Arbeitgeber stehenden Dienst- oder Arbeitnehmer zu verstehen. Dass dem Begriff Personal im juristischen, spezifisch berufsvorsorgerechtlichen Kontext eine grundsätzlich andere Bedeutung zukäme und dieser auch Rentenbezüger umfasste, kann zumindest für die vorliegenden Belange verneint werden (vgl. auch Erw. 4a am Ende; zur Auslegung von Anschlussverträgen nach dem Vertrauensgrundsatz vgl.
BGE 120 V 452
f. Erw. 5b/aa). Zu keinem anderen Ergebnis führt Ziff. 9 der Anschlussvereinbarungen, wonach die "übrigen Modalitäten" bei einem Kollektivaustritt des Arbeitgebers durch den Vorstand der Kasse festgelegt werden. Die Konkretisierung des Begriffs des (versicherten) Personals kann nicht als eine (blosse) Modalität für den Fall der Kündigung der Anschlussvereinbarung verstanden werden. Eine solche Bedeutung der fraglichen Klausel müssen sich die Beschwerdegegnerinnen in guten Treuen nicht entgegenhalten lassen, zumal die Beschwerdeführerin nicht geltend macht, im Rahmen der Vertragsverhandlungen sei die Rede davon gewesen, dass bei einem allfälligen Wechsel zu einer anderen Vorsorgeeinrichtung auch die Rentenbezüger die Kasse zu verlassen hätten.
BGE 125 V 421 S. 429
Bei dieser Rechtslage kann offen bleiben, ob das erst nach Kündigung der Anschlussvereinbarungen erlassene Reglement vom 6. Dezember 1995 überhaupt Wirkung entfalten kann, was in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerinnen unter Hinweis auf
BGE 118 V 243
ff. Erw. 3b verneint wird.
c) Nach dem Gesagten ist mit der Vorinstanz festzustellen, dass die den drei Beschwerdegegnerinnen zuzuordnenden Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenrentner vom Anschlusswechsel nicht betroffen sind und demzufolge die Beschwerdeführerin verpflichtet ist, ihnen weiterhin die nach Gesetz, Statuten und Versicherungsbedingungen geschuldeten Leistungen auszurichten. Da sich gemäss Ziff. 6 der Anschlussvereinbarungen die Verpflichtung zur Tragung des in der geschuldeten Austrittsleistung enthaltenen versicherungstechnischen Fehlbetrages lediglich auf den versicherten Personenkreis, somit das (aktive) Personal erstreckt, haben die drei austretenden Gemeinden den dem Anteil der ihnen zuzuordnenden Rentenbezüger entsprechenden versicherungstechnischen Fehlbetrag der Beschwerdeführerin nicht zu erstatten. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f22c51fa-90ee-4035-9888-e9c963593f52 | Urteilskopf
87 IV 120
28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. September 1961 i.S. Eheleute Koch gegen Frau Übelhart und Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. | Regeste
Art. 186,
Art. 28 Abs. 1 StGB
.
Beim Hausfriedensbruch in Mietwohnungen steht das Strafantragsrecht einzig dem Mieter zu, nicht auch Personen, die bloss zur Ausübung des Hausrechtes befugt sind (Erw. 1).
Hausfriedensbruch kann schon dadurch begangen werden, dass der Täter durch Einklemmen seines Schuhs zwischen Türe und Schwelle den Berechtigten am Schliessen der Türe verhindert (Erw. 2). | Erwägungen
ab Seite 121
BGE 87 IV 120 S. 121
Aus den Erwägungen:
1.
Hausfriedensbruch wird gemäss
Art. 186 StGB
nur auf Antrag verfolgt, und antragsberechtigt ist nach
Art. 28 Abs. 1 StGB
der durch die Tat Verletzte. Verletzt im Sinne dieser Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung nur, wer Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes ist (
BGE 86 IV 82
mit Verweis auf frühere Urteile).
Art. 186 StGB
schützt das Hausrecht, nämlich die Befugnis, über einen bestimmten Raum ungestört zu herrschen und in ihm seinen eigenen Willen frei zu betätigen. Träger dieses Rechts ist derjenige, dem die Verfügungsgewalt über den Raum zusteht, im Falle einer Mietwohnung der Wohnungsmieter (
BGE 83 IV 156
). Er allein ist daher durch den Hausfriedensbruch, der in den gemieteten Räumen begangen wird, unmittelbar verletzt. Seine mit ihm in der Wohnung zusammenlebenden Angehörigen oder Familiengenossen und dergleichen sind zwar befugt, für den Mieter das Hausrecht auszuüben, d.h. dem Eindringling das Betreten der geschützten Räume zu verbieten und ihn zur Entfernung aufzufordern; sie handeln aber in Vertretung des Berechtigten und sind als nicht direkt Verletzte nicht selbständig zum Strafantrag berechtigt (HAFTER, Bes. T. S. 110, 114; THORMANN/OVERBECK, Bd. II S. 188 N. 21). Sie sind demzufolge nicht Antragsteller im Sinne von
Art. 270 Abs. 1 BStP
und damit auch nicht zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert.. ....
2.
In der Sache selber erklärt die Anklagekammer, es sei nicht bewiesen, dass Frau Übelhart den Gang der Wohnung betreten und sich darin aufgehalten habe. Diese Feststellung beruht entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer nicht auf einem offensichtlichen Versehen, sondern ist von der Vorinstanz bewusst auf Grund der Beweiswürdigung getroffen worden. Sie bindet daher den Kassationshof und kann mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden (
Art. 273 Abs. 1 lit. b und
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
).
BGE 87 IV 120 S. 122
Die Anklagekammer stellt aber im weitern fest, Frau Übelhart sei unter der geöffneten Wohnungstüre stehen geblieben und habe "verschiedentlich das Schliessen der Wohnungstüre durch die Strafklägerin verhindert". Daraus ergibt sich, dass Frau Koch, wenn nicht ausdrücklich, so doch deutlich erkennbar Frau Übelhart aufgefordert hat, den Eingang zur Wohnung zu verlassen, und dass Frau Übelhart diesen Willen rechtswidrig missachtete, indem sie der Aufforderung nicht sofort Folge leistete, sondern das Schliessen der Türe, ohne dazu befugt zu sein, wiederholt und somit während einer gewissen längeren Dauer verhinderte. Der Tatbestand des Hausfriedensbruches, begangen durch unrechtmässiges Verweilen, ist daher objektiv erfüllt (vgl.
BGE 83 IV 70
). Dass Frau Übelhart nicht mit ihrem ganzen Körper in den Gang der Wohnung getreten, sondern unter der Türe stehen geblieben ist und, wie sie in der Beschwerdeantwort geltend macht, nur mit ihrem zwischen Türe und Schwelle eingeklemmten Schuh sich dem Willen des Berechtigten widersetzt hat, ist unerheblich. Sie hat dadurch nichtsdestoweniger den Anspruch des Wohnungsinhabers auf Freiheit von fremder Störung verletzt (HAFTER, Bes. T. S. 112; LOGoz, N. 4 a zu
Art. 186 StGB
; Leipziger Kommentar, 8. Aufl. Anm. III Ziff. 1 zu § 123 DStGB; SCHÖNKE-SCHRÖDER, 8. Aufl. S. 527). | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f22ec505-3132-4ee3-b32b-fcf1e60841f0 | Urteilskopf
116 V 246
38. Arrêt du 5 juillet 1990 dans la cause M. contre Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 19 Abs. 3 UVG
und
Art. 30 UVV
: Übergangsrenten.
Eine Rente gemäss
Art. 30 UVV
ist nach der Einkommensvergleichsmethode festzusetzen. Die Bestimmung des Invaliditätsgrades erfolgt in diesem Fall vor der Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen.
Dabei ist allein jene Tätigkeit zu berücksichtigen, welche in diesem Zeitpunkt von einem noch nicht eingegliederten Versicherten bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage zumutbarerweise erwartet werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 246
BGE 116 V 246 S. 246
A.-
a) Né en 1944, chef d'équipe dans l'entreprise de constructions métalliques B. SA, Mario M. était à ce titre assuré auprès de la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA). Le 9 juin 1986, il a été victime d'un accident sur un chantier, ayant perdu l'équilibre à une hauteur de 1 m 50 environ et étant tombé sur les talons. Cette chute a entraîné une fracture comminutive fermée des deux calcanéums. Mario M. a été incapable de travailler jusqu'au 16 février 1987. A cette date, il a repris le travail à 25%, puis à 50% à partir du 2 avril 1987.
Le docteur S., médecin d'arrondissement de la CNA, a procédé à un "examen médical final" le 3 décembre 1987. Son rapport fait
BGE 116 V 246 S. 247
état d'"une gêne fonctionnelle douloureuse de l'articulation tibio-tarsienne et sous-astragalienne gauche avec affaissement de l'angle de Böhler et avec arthrose débutante de l'articulation sous-astragalienne". Affirmant qu'on ne pouvait plus attendre une amélioration sensible de la continuation du traitement médical, ce médecin préconisait une reprise du travail "dans la plus forte proportion possible" à partir du 1er janvier 1988 et la liquidation du cas. Par ailleurs, le docteur S. estimait l'atteinte à l'intégrité à 25%. Dans un rapport daté du 5 février 1988, établi à la suite d'une enquête dans l'entreprise, l'inspecteur de la CNA a noté que Mario M. accomplissait le même genre d'activité professionnelle qu'avant la survenance de l'accident, consacrant environ la moitié de son temps au travail sur les chantiers de montage et l'autre moitié au travail en atelier. Cependant, en raison des séquelles de l'accident, son rendement avait nettement diminué.
b) En date du 14 août 1987, Mario M. avait présenté une demande de prestations à l'assurance-invalidité, tendant à l'octroi d'une rente. Se fondant d'une part sur un questionnaire auquel avait répondu l'employeur de l'assuré le 16 septembre 1987 et d'après lequel l'intéressé travaillait 9 heures par jour mais à 50% de ses possibilités et, d'autre part, sur un rapport de novembre 1987 établi par le médecin traitant, le docteur R., chirurgien-chef de l'Hôpital d'A., qui confirmait le taux d'incapacité de travail de 50% pour une durée indéterminée, à partir du 2 avril 1987, la Commission de l'assurance-invalidité du canton de Vaud a rendu le 18 novembre 1987 un prononcé par lequel elle fixait le degré d'invalidité de Mario M. à 50% et le début de son droit à la rente au 1er juin 1987. La Caisse cantonale genevoise de compensation a rendu la décision de rente correspondante le 8 juillet 1988. Entre-temps, soit le 21 décembre 1987, Mario M. avait été entendu par l'Office régional de réadaptation professionnelle du canton de Vaud (ci-après: l'office régional), lequel avait adressé son rapport à la commission de l'assurance-invalidité le 23 décembre 1987, soit postérieurement au prononcé de cette commission mais avant la décision de rente. Ce rapport faisait état d'un taux d'activité et de salaire de 50% depuis le 2 avril 1987 et soulignait le vif désir de l'assuré de poursuivre son activité professionnelle au sein de la même entreprise, ainsi que l'espoir de ce dernier d'améliorer fortement sa capacité de travail. En conclusion, cet office indiquait que ce serait en juin (1988), après un examen complet par le docteur R., qu'une décision pourrait être prise à ce sujet.
BGE 116 V 246 S. 248
c) Par décision du 26 février 1988, la CNA a alloué à son assuré une rente d'invalidité fondée sur une incapacité de gain de 33,33% à dater du 1er janvier 1988 et une indemnité pour atteinte à l'intégrité de 25%. Mario M. a fait opposition à cette décision en alléguant que sa capacité de gain ne dépassait pas 50%.
Par prononcé du 30 mai 1988, la CNA a rejeté l'opposition de son assuré, déclarant que ce dernier était entravé dans sa capacité de travail à raison de 35 à 40% sur les chantiers de montage et de 20 à 25% au maximum pour le travail en atelier, de sorte que la réduction moyenne de sa capacité de gain ne dépassait pas 30%.
B.-
Par jugement du 16 mars 1989, le Tribunal des assurances du canton de Vaud a rejeté le recours formé par Mario M. contre cette décision sur opposition, confirmant le taux d'invalidité fixé par la CNA et laissant ouverte la possibilité d'une révision du droit à la rente selon l'issue des mesures de réadaptation envisagées par l'assurance-invalidité.
C.-
Mario M. interjette recours de droit administratif contre ce jugement. Il demande au Tribunal fédéral des assurances d'annuler la décision attaquée et de le mettre au bénéfice d'une rente d'invalidité de 50% dès le 1er janvier 1988. Pour l'essentiel, il fait valoir que selon les constatations concordantes de l'employeur, de l'office régional et de la commission de l'assurance-invalidité, son invalidité est de 50%.
La CNA conclut au rejet du recours, tandis que l'Office fédéral des assurances sociales renonce à présenter un préavis.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon une jurisprudence constante, le juge des assurances sociales apprécie la légalité des décisions attaquées, en règle générale, d'après l'état de fait existant au moment où la décision litigieuse a été rendue (
ATF 112 V 70
consid. 4,
ATF 109 V 179
consid. 1,
ATF 107 V 5
consid. 4a,
ATF 105 V 141
consid. 1b et 154 consid. 2,
ATF 104 V 61
consid. 1b et 143 consid. 1).
Est litigieux en l'espèce le taux d'invalidité confirmé par la CNA dans la décision sur opposition du 30 mai 1988. C'est donc l'état de fait existant à cette date qui doit être pris en considération.
b) Selon l'
art. 18 LAA
, si l'assuré devient invalide à la suite d'un accident, il a droit à une rente d'invalidité (al. 1). Est réputé invalide celui dont la capacité de gain subit vraisemblablement une atteinte permanente ou de longue durée. Pour l'évaluation de
BGE 116 V 246 S. 249
l'invalidité, le revenu du travail que l'assuré devenu invalide par suite d'un accident pourrait obtenir en exerçant l'activité qu'on peut raisonnablement attendre de lui, après exécution éventuelle de mesures de réadaptation et compte tenu d'une situation équilibrée du marché du travail, est comparé au revenu qu'il aurait pu obtenir s'il n'était pas invalide (al. 2).
Ainsi que le Tribunal fédéral des assurances l'a déclaré à maintes reprises, la notion d'invalidité est, en principe, identique en matière d'assurance-accidents, d'assurance militaire et d'assurance-invalidité. Dans ces trois domaines, elle représente la diminution permanente ou de longue durée, résultant d'une atteinte à la santé assurée, des possibilités de gain sur le marché du travail équilibré qui entre en ligne de compte pour l'assuré (
ATF 109 V 23
,
ATF 106 V 88
consid. 2b,
ATF 105 V 207
consid. 2,
ATF 98 V 169
consid. 2; cf. aussi
ATF 113 V 144
). Il s'ensuit que, pour une même atteinte à la santé, le degré d'invalidité sera en principe le même dans ces trois domaines de l'assurance sociale, en fonction d'un état de fait semblable et d'une même méthode d'évaluation de l'invalidité (RAMA 1988 No U 62 p. 458 consid. 1b). En ce qui concerne cette dernière, la méthode générale de comparaison des revenus usitée dans l'assurance-invalidité et qui a fait l'objet d'une jurisprudence abondante s'applique également dans l'assurance-accidents, lorsqu'il s'agit d'évaluer le taux d'invalidité donnant droit à une rente au sens de l'
art. 18 al. 2 LAA
(
ATF 114 V 313
; RAMA 1989 No U 69 p. 176 et 1988 No U 62 p. 459).
Enfin, selon l'
art. 19 al. 1 LAA
, le droit à la rente prend naissance dès qu'il n'y a plus lieu d'attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de l'assuré et que les éventuelles mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité ont été menées à terme. Le droit au traitement médical et aux indemnités journalières cesse dès la naissance du droit à la rente. Celle-ci est allouée pour tout le mois au cours duquel le droit à la rente est né.
2.
a) Dans le cas d'espèce, ainsi que cela ressort en particulier des motifs de la décision sur opposition du 30 mai 1988, le taux d'invalidité présenté par l'assuré a été fixé par la CNA de manière empirique, sur la base des constatations faites dans l'entreprise qui emploie le recourant et des estimations médicales de l'incapacité de travail qui figuraient alors au dossier. A aucun moment la caisse intimée n'a procédé à une comparaison des revenus conformément aux principes d'estimation prescrits par l'
art. 18 al. 2 LAA
, alors
BGE 116 V 246 S. 250
même qu'elle paraît s'être fondée sur cette disposition pour fixer les droits de l'assuré.
Cette disposition légale ne pouvait cependant être appliquée telle quelle à la date à laquelle la CNA a statué car, à ce moment-là, les mesures de réadaptation envisagées par l'assurance-invalidité n'étaient ni décidées, ni exécutées, de sorte qu'il manquait un élément capital pour l'évaluation de l'invalidité selon les règles légales.
b) Le projet de loi du Conseil fédéral, du 18 août 1976, ne contenait aucune disposition particulière destinée à régler ce genre de situation. "La rente d'invalidité selon la LAA, écrivait le gouvernement dans son message aux Chambres, ne sera allouée, comme la rente de l'AI, qu'après l'achèvement d'éventuelles mesures de réadaptation" (FF 1976 III 170).
C'est pourquoi la commission du Conseil national proposa d'ajouter à l'art. 19 un troisième alinéa donnant au Conseil fédéral la compétence d'édicter des prescriptions détaillées sur la naissance du droit aux rentes lorsque l'on ne peut plus attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de l'assuré, mais que la décision de l'assurance-invalidité quant à la réadaptation professionnelle intervient plus tard.
S'exprimant à ce propos devant le plénum, M. Jelmini, rapporteur de langue française, déclara ce qui suit: "Selon l'
art. 29 al. 1 LAI
, le droit à la rente naît lorsque l'assuré a subi, sans interruption notable, une incapacité de travail de la moitié au moins en moyenne pendant 360 jours et qu'il présente encore une incapacité de gain de la moitié au moins. La commission a remarqué que les al. 1 et 2 de l'art. 19 du projet que nous examinons n'étaient pas en harmonie avec cette disposition de la LAI. En effet, les rentes de l'assurance-accidents ne peuvent pas être allouées aussi longtemps que les éventuelles mesures de réadaptation de l'AI n'ont pas été menées à terme. On sait d'ailleurs qu'il faut souvent attendre quelques mois avant que la commission AI fixe le montant des rentes ou décide les mesures de réadaptation. Il paraît donc nécessaire de donner mandat au Conseil fédéral d'édicter des prescriptions afin que l'assureur puisse verser les rentes entre le moment où l'on constate qu'on ne peut plus attendre de la poursuite du traitement médical une sensible amélioration de l'état de santé de l'assuré et le moment où la décision est prise par l'AI. Une réglementation de ce genre au
BGE 116 V 246 S. 251
niveau de l'ordonnance ne pourrait être édictée à défaut de base légale" (BO 1979 CN 180 s.).
Aux termes de l'
art. 30 OLAA
, édicté par le Conseil fédéral en application de cette disposition, lorsqu'on ne peut plus attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de santé de l'assuré, mais que la décision de l'AI concernant la réadaptation professionnelle n'interviendra que plus tard, une rente sera allouée dès la fin du traitement médical. Cette rente est allouée sur la base de l'incapacité de gain existant à ce moment. Elle n'est pas versée tant que l'assuré a droit à une indemnité journalière de l'AI.
Commentant cette disposition, MAURER parle à juste titre de "rente transitoire" ("Übergangsrente"), destinée à permettre à l'assureur-accidents qui ne peut encore fixer définitivement le degré d'invalidité de l'assuré, faute de connaître le résultat des mesures de réadaptation entreprises par l'assurance-invalidité, de verser néanmoins une rente d'invalidité à l'assuré sans attendre ce résultat (Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, p. 371). Cette rente allouée à titre transitoire et jusqu'au moment où, à l'issue des mesures de réadaptation, il sera possible de fixer de façon certaine le degré d'invalidité de l'assuré, ne doit pas être confondue avec la rente allouée à titre temporaire, sur la base d'une appréciation anticipée de l'invalidité en fonction de l'accoutumance prévisible de l'assuré aux séquelles de l'accident (cf. RAMA 1987 No U 18 p. 309 consid. 2b).
c) Bien qu'en l'occurrence la caisse intimée n'ait vraisemblablement pas entendu faire application de l'
art. 30 OLAA
lorsqu'elle a rendu la décision de rente du 26 février 1988, à laquelle s'est substituée par la suite la décision sur opposition du 30 mai 1988 qui est l'objet du présent procès, on doit admettre que toutes les conditions d'application de cette disposition réglementaire étaient remplies au moment déterminant.
En effet, la décision par laquelle la Caisse de compensation du canton de Genève a alloué à Mario M. une demi-rente d'invalidité, fondée sur un degré d'invalidité de 50%, n'a été rendue que le 8 juillet 1988 et sur la base d'un prononcé de la commission de l'assurance-invalidité dont la date (18 novembre 1987) souligne le caractère provisoire, compte tenu des incertitudes qui régnaient alors sur les possibilités de réadapter l'assuré dans son ancien emploi. Par ailleurs, il ressort du rapport médical établi le 2 novembre 1987, à l'intention de l'assurance-invalidité, par le
BGE 116 V 246 S. 252
docteur R., médecin traitant, que ce n'est qu'après l'écoulement d'une période de deux ans au moins depuis l'accident - lequel s'est produit le 9 juin 1986 - qu'un jugement définitif pourrait être émis "quant à la récupération maximale possible", des séquelles sérieuses étant de toute façon prévisibles. De son côté, l'office régional, dans son rapport du 23 décembre 1987, déclarait vouloir attendre jusqu'au mois de juin suivant pour envisager l'éventualité d'une réadaptation professionnelle, ceci après avoir pris l'avis du docteur R. qui devait examiner l'assuré en mai.
Dès lors, la CNA, même si elle pouvait, en se fondant sur le rapport de son médecin d'arrondissement du 3 décembre 1987, considérer qu'à cette date la continuation du traitement médical n'était plus en mesure d'apporter une sensible amélioration à l'état de l'assuré, ne disposait manifestement pas, à ce moment-là, d'éléments suffisants pour lui permettre de fixer définitivement le taux de l'incapacité de gain de Mario M. après l'exécution éventuelle de mesures de réadaptation.
C'est pourquoi, lorsqu'elle a rendu sa décision de rente, en février 1988, seule une rente "transitoire" au sens de l'
art. 30 OLAA
pouvait entrer en considération.
3.
Il reste à décider si en fixant à 33,33% l'incapacité de gain du recourant à partir du 1er janvier 1988, la caisse intimée s'est conformée à l'
art. 30 OLAA
. Cela doit être jugé en fonction des éléments dont l'intimée disposait lorsqu'elle a rendu la décision sur opposition du 30 mai 1988 (consid. 1a).
a) En édictant l'
art. 19 al. 3 LAA
, le législateur - les travaux préparatoires le confirment - n'a pas voulu créer un nouveau mode d'évaluation de l'invalidité. Une rente fondée sur l'
art. 30 OLAA
doit donc aussi être fixée d'après la méthode de comparaison des revenus. Toutefois, l'évaluation intervient dans ce cas avant l'exécution éventuelle de mesures de réadaptation. Par conséquent, seule entre en considération, à cette date, l'activité qui peut raisonnablement être exigée de la part d'un assuré non encore réadapté, compte tenu d'une situation équilibrée du marché du travail.
b/aa) Dans le cas particulier, au moment de la décision sur opposition, des mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité étaient envisagées. Dans l'attente d'une solution définitive pour son employé, B. SA lui versait le même salaire que celui qu'il aurait touché s'il n'avait pas subi d'accident. Grâce à la formation pouvant éventuellement être acquise dans le cadre d'un
BGE 116 V 246 S. 253
reclassement professionnel, Mario M. souhaitait conserver un emploi dans la même entreprise. Il ressort du dossier que le recourant était très motivé et qu'il utilisait au maximum sa capacité de travail résiduelle, compte tenu de son handicap.
Dans ces conditions, on ne pouvait raisonnablement exiger de l'assuré qu'il changeât d'emploi avant l'achèvement des mesures de réadaptation et c'est donc en fonction de sa capacité de travail chez B. SA qu'il y avait lieu de fixer, provisoirement, le taux de son invalidité.
bb) Dans son rapport sur l'examen médical final du 3 décembre 1987, le médecin d'arrondissement de la caisse intimée écrivait: "il (l'assuré) travaille au taux de 50%, la demi-journée, dans l'atelier. Il a de la difficulté à rester debout toute la journée et à se déplacer sur un terrain irrégulier." Sans se prononcer sur le degré d'incapacité de travail, ce médecin proposait une "reprise du travail dans la plus forte proportion possible dès le 1er janvier 1988".
Le rapport de l'inspecteur de la CNA du 5 février 1988 constatait une bonne amélioration de l'état des deux membres inférieurs de l'assuré, au dire de ce dernier, depuis l'entretien du mois d'octobre précédent. Mario M. alléguait toutefois une nette diminution de son rendement professionnel. Le chef direct de l'intéressé indiquait ce jour-là que celui-ci souffrait encore visiblement des suites de l'accident, qu'il ne pouvait porter des charges lourdes, ni travailler sur des échelles et qu'il devait être ménagé. Fréquemment, il fallait lui fournir un aide pour l'accomplissement de tâches qu'il effectuerait seul sans difficulté s'il ne souffrait pas des suites de l'accident. Pour sa part, l'employeur a constamment allégué un taux d'incapacité de travail de 50%. En outre, le docteur R., dans son rapport du 2 novembre 1987 à l'intention de la commission de l'assurance-invalidité, faisait état d'un degré d'incapacité de travail de 50%. Par ailleurs, le rapport de l'Office régional de réadaptation professionnelle du canton de Vaud, du 23 décembre 1987, précisait notamment ce qui suit: "Actuellement, il (l'assuré) travaille à 50% tout le jour et peut se faire aider substantiellement par ses collègues." Enfin, dans son prononcé du 26 novembre 1987, la Commission de l'assurance-invalidité du canton de Vaud fixait le taux de l'invalidité de l'assuré à 50%.
Pour évaluer la capacité de gain du recourant, on ne peut se fonder uniquement sur le montant du salaire effectivement versé
BGE 116 V 246 S. 254
par son employeur. Ce dernier, ainsi que cela ressort d'un rapport de l'office régional du 14 février 1989, est d'avis que son employé ne doit pas subir de perte de salaire à la suite d'un accident professionnel, raison pour laquelle il lui a toujours versé son salaire intégral, sans tenir compte du taux de la rente allouée par la CNA. Cette attitude louable de l'employeur du recourant ne doit pas se retourner contre ce dernier. Les déclarations faites par l'employeur au sujet de la capacité de travail et du rendement effectif de Mario M. doivent être appréciées dans leur ensemble et notamment en tenant compte de la description des empêchements rencontrés sur la place de travail par l'assuré dont l'importance ne doit pas être minimisée (cf. RAMA 1989 No U 69 p. 178 consid. 2b).
Quant aux éléments recueillis au cours de l'instruction du recours cantonal, ils ne permettent pas de conclure, contrairement à l'opinion des premiers juges, qu'au moment déterminant au sens de l'art. 30 deuxième phrase OLAA, l'incapacité de gain du recourant n'était pas supérieure à un tiers.
4.
Dans ces conditions, le jugement attaqué et la décision sur opposition du 30 mai 1988 ne sont pas conformes au droit fédéral et doivent être annulés. Le dossier de la cause sera renvoyé à la caisse intimée pour que, se fondant sur les éléments dont elle disposait le 30 mai 1988, celle-ci fixe le taux d'invalidité du recourant au 1er janvier 1988 dans le cadre d'une rente "transitoire" au sens de l'
art. 30 OLAA
, avec effet rétroactif à cette dernière date.
Par ailleurs, les pièces du dossier font apparaître que, sur proposition de l'office régional qui a constaté une aggravation de l'état de l'assuré, la Caisse cantonale genevoise de compensation a accordé à celui-ci, par décision du 8 mars 1989, un reclassement professionnel (
art. 17 LAI
) consistant dans une formation de base de dessinateur d'une durée de six mois au Centre ORIPH de Morges, devant débuter "dès que possible". Le résultat de cette mesure de réadaptation professionnelle devrait donc aujourd'hui être connu, de sorte que la CNA devrait pouvoir fixer également, dans un deuxième temps, le degré d'invalidité du recourant, en se conformant cette fois à l'
art. 18 al. 2 LAA
. | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f232d164-6c11-4425-a0b3-e704102ae15c | Urteilskopf
110 Ia 123
26. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. März 1984 i.S. Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft und Energie-Versorgung Schwaben Aktiengesellschaft gegen Vorarlberger Illwerke Aktiengesellschaft und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit; Frage der Zulässigkeit eines Erläuterungsgesuchs.
1. Auslegung von Konkordaten (E. 1).
2. Art. 36 und 39 des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit enthalten eine abschliessende Ordnung der Erläuterung unklarer Schiedssprüche; ein nach Ablauf der Rechtsmittelfrist des Art. 37 Abs. 1 beim Schiedsgericht eingereichtes Erläuterungsgesuch ist unzulässig (E. 2-6). | Sachverhalt
ab Seite 123
BGE 110 Ia 123 S. 123
Zwischen der Vorarlberger Illwerke AG und der Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG sowie der Energie-Versorgung Schwaben AG entstand ein Rechtsstreit darüber, wie ihr Stromlieferungsvertrag von 1952 den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen sei. Das Schiedsgericht mit Sitz in Basel fällte am 23. März 1979 ein Urteil, in welchem es unter anderem bestimmte:
"3. In teilweiser Gutheissung im Sinne der Erwägungen zu Klagantrag 4
verfügt das Schiedsgericht was folgt:
a) die Beträge (abzüglich der jeweiligen Abschreibungen), die die
Beklagten der Klägerin ab 1. April 1976 aus den Bauprogrammen
BGE 110 Ia 123 S. 124
1960 und 1970 verzinsen bzw. künftig zu verzinsen haben, werden ab 1. April
1976 mit 6,25% verzinst.
b) Diese Verzinsung gilt auch für das Bauprogramm Lünersee-Werk."
In der Folge ergaben sich Meinungsverschiedenheiten darüber, welches die Kapitalbasis für die Verzinsung ab 1. April 1976 sei, und namentlich, ob auch die vor dem 1. April 1976 vorgenommenen oder nur die späteren Abschreibungen zu berücksichtigen seien. Die Klägerin ersuchte am 28. Mai 1982 das Schiedsgericht diesbezüglich um Erläuterung seines Urteils.
Das Schiedsgericht wies das Erläuterungsbegehren am 17. Dezember 1982 als unzulässig zurück, im wesentlichen mit der Begründung, im Schiedsgerichtsverfahren sei eine Erläuterung nur nach Art. 36 lit. h des Konkordats möglich; die Frist dafür sei verpasst und das Mandat der Schiedsrichter damit erloschen.
In Gutheissung einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde hob das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 4. August 1983 den Entscheid des Schiedsgerichts auf und wies dieses an, auf das Erläuterungsgesuch einzutreten. Das Appellationsgericht ging davon aus, dass nach herrschender Lehre die Erläuterung eines Schiedsgerichtsurteils zulässig sei, was auch neben den in Art. 36 lit. h des Konkordats geregelten Fällen möglich sein müsse, allenfalls aufgrund des subsidiär geltenden
Art. 145 OG
. Sei aber ein Erläuterungsverfahren gegeben, so falle dieses auch noch unter das Mandat der Schiedsrichter.
Die Beklagten beantragen mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde, es sei der Entscheid des Appellationsgerichts wegen Verletzung des Konkordats aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten sei; die Vorinstanz beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Zu beurteilen ist die Auslegung von Art. 36 lit. h des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit (SR 279), welches unstreitig anwendbar ist. Aufgrund von
Art. 84 Abs. 1 lit. b OG
prüft das Bundesgericht die Auslegung von Konkordatsrecht frei (
BGE 109 Ia 83
mit Hinweisen).
Bei der Auslegung von Konkordaten kommen, soweit nicht nach Bundesrecht, Gewohnheitsrecht oder Vereinbarung etwas anderes gilt, die Grundsätze des Völkerrechts zur Anwendung. Danach sind bei unklarem oder sinnwidrigem Wortlaut die
BGE 110 Ia 123 S. 125
Verhandlungen, die zum Abschluss des Konkordats führten, heranzuziehen, soweit sie den Willen der vertragsschliessenden Kantone klar erkennen lassen. Konkordatsbestimmungen sind sodann so auszulegen, dass der angestrebte Vertragszweck erreicht wird. Eine über den Wortlaut hinausgehende, ausdehnende Auslegung kommt dabei nur ausnahmsweise in Betracht (BGE 100 Ia E. 5a mit Hinweisen).
Diese Rechtsprechung ist allerdings für rechtsetzende Konkordate zu differenzieren. Diese sind wie Gesetzesrecht auszulegen (WALTER BURCKHARDT, Kommentar der Schweizerischen Bundesverfassung, 3. A., Bern 1931, S. 78 f.; HANSPETER KEHRLI, Interkantonales Konkordatsrecht, Diss. Zürich 1968, S. 55; URS VETSCH, Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Konkordaten, Diss. Bern 1970, S. 41 f.). Das gilt insbesondere für das Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit, bei welchem sich die vertragliche Bindung der Kantone darin erschöpft, die einheitliche Regelung einer Materie zu erreichen, für welche an sich die kantonalen Gesetzgeber zuständig wären.
Die Frage braucht indes nicht abschliessend entschieden zu werden, weil vorliegend beide Auslegungsmethoden zum gleichen Ergebnis führen. Damit erübrigt sich auch das Verfahren gemäss
Art. 16 OG
.
2.
Das Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit sieht gegen den Schiedsspruch eine Nichtigkeitsbeschwerde vor, mit der unter anderem gerügt werden kann, "die Spruchformel sei unverständlich oder widersprüchlich" (Art. 36 lit. h). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist innert dreissig Tagen nach Zustellung des Schiedsspruchs (Art. 37 Abs. 1) beim oberen ordentlichen Zivilgericht des Sitzkantons einzureichen (Art. 3 lit. f). Die Kassationsinstanz kann, wenn sie es als sachdienlich erachtet, den Schiedsspruch zur Berichtigung oder Ergänzung an das Schiedsgericht zurückweisen (Art. 39). Dass eine Partei direkt beim Schiedsgericht die Erläuterung eines unklaren Schiedsspruchs begehren könnte, sieht das Konkordat dagegen nicht vor. Eine solche Möglichkeit wird auch in der nach Schiedsvertrag und Konstituierungsbeschluss des Schiedsgerichts vorliegend geltenden Verfahrensordnung nicht in Betracht gezogen, welche einfach auf das Konkordat sowie in Anwendung von dessen Art. 24 Abs. 2 auf die Bundeszivilprozessordnung verweist.
3.
Das Appellationsgericht nimmt an, eine Gerichtspraxis zur Auslegung von Art. 36 lit. h des Konkordats bestehe nicht.
BGE 110 Ia 123 S. 126
Aufgrund spärlicher Hinweise in der Literatur schliesst es sodann, dass nach überwiegender Meinung ein Erläuterungsverfahren vor einem Schiedsgericht nicht ausgeschlossen sei.
Soweit die Lehre die Erläuterung eines Schiedsspruchs als zulässig betrachtet, wird das damit begründet, dass nur ein klarer Schiedsspruch das Verfahren beende (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. A., S. 535/6 und 615), bzw. dass die Möglichkeit, Unklarheiten und Widersprüche zu beheben, sich aus der Natur der Sache ergebe (STRÄULI/MESSMER/WIGET, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. A., N. 3 zu § 255; WENGER, in Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 1979, S. 72). Diesem allgemeinen Postulat kann indes auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die Behebung vorhandener Unklarheiten und Widersprüche auf anderem Weg möglich ist. In der Literatur ist denn auch anerkannt, dass die Nichtigkeitsbeschwerde des Art. 36 lit. h die Funktion der Erläuterung erfüllen kann (LANZ, Das Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit vom 27. März 1969, Diss. Zürich 1971, S. 118 Anm. 1; WENGER, a.a.O., S. 72; DERS. in Die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit und die Schweiz, 1976, S. 17; FRÜH, Der Billigkeitsschiedsrichter in der Zürcher Zivilprozessordnung und im Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit, Diss. Zürich 1979, S. 142/3). Nach Auffassung des Appellationsgerichts werden jedoch die Erläuterungsmöglichkeiten mit Art. 36 lit. h nicht abschliessend geregelt. Es beruft sich auf eine Äusserung von PANCHAUD, wonach die Berichtigung und Ergänzung nach Art. 39 des Konkordats in gewissen Fällen das Gesuch um Erläuterung ersetzen könne, das im allgemeinen die staatlichen Gerichte kennen (in Concordat Suisse sur l'arbitrage, S. 52). Dieses Zitat erlaubt indes nicht ohne weiteres den Schluss, für andere Fälle sei es zulässig, nicht nur bei den staatlichen Gerichten, sondern auch bei Schiedsgerichten ein Erläuterungsbegehren zu stellen. Das Appellationsgericht anerkennt denn auch, dass PANCHAUD die Aufzählung der Nichtigkeitsgründe in Art. 36 für abschliessend hält und eine einschränkende Auslegung dieser Bestimmung verlangt, weil die Parteien und der Gesetzgeber den Schiedsrichtern eine grössere Selbständigkeit gewährten als dem staatlichen Richter (a.a.O., S. 50 f.; ebenso BRATSCHI/BRINER in SJZ 72/1976 S. 106).
Im Gegensatz zu diesen eher unklaren, interpretationsbedürftigen Literaturstellen ist die Stellungnahme von RÜEDE/HADENFELDT (Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, S. 305) eindeutig; sie
BGE 110 Ia 123 S. 127
betrachten die Regelung von Art. 36 lit. h und 39 des Konkordats als abschliessend und verneinen die Möglichkeit, daneben das Schiedsgericht um Erläuterung zu ersuchen (ebenso HAGGER, Die Erläuterung im schweizerischen Zivilprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung des Kantons Zürich, Diss. Zürich 1982, S. 65 f.). Die Parteien haben im kantonalen Verfahren drei Rechtsgutachten eingelegt, von denen zwei ein besonderes Erläuterungsverfahren neben der Nichtigkeitsbeschwerde für zulässig halten, während eines das ablehnt. Das angefochtene Urteil geht nicht ausdrücklich auf die Gutachten ein; das erübrigt sich auch für das Bundesgericht, weil alle damit verfochtenen Argumente auch in den Rechtsschriften enthalten sind.
4.
Aus der Entstehungsgeschichte des Konkordats ist zur streitigen Frage lediglich eine Erklärung von PANCHAUD in der Justizdirektoren-Konferenz vom 5. März 1969 bekannt. Er äusserte, die von Nidwalden aufgeworfene Frage einer Erläuterung beantworte sich nach dem heutigen Art. 39. Auf den Einwand, das Problem könne sich aber auch ausserhalb einer Nichtigkeitsbeschwerde stellen, entgegnete er, Art. 39 schliesse keineswegs aus, dass die Schiedsrichter "s'ils en sont requis, complètent ou corrigent à l'amiable la sentence". Die Beschwerdeführerinnen fassen dies so auf, dass die Parteien in gegenseitigem Einverständnis dem Schiedsgericht einen solchen Auftrag geben könnten; die Beschwerdegegnerin versteht darunter gegenteils, dass das Schiedsgericht nach Billigkeit über das Gesuch einer Partei zu entscheiden habe. Die sprachliche Bedeutung des Ausdrucks "à l'amiable" und der Zusammenhang, in dem er verwendet wurde, sprechen indes für die Auffassung der Beschwerdeführerinnen. Davon abgesehen kann es bei der Erläuterung eines unklaren Schiedsspruchs nicht um einen Billigkeitsentscheid, sondern nur darum gehen, klarzustellen, was das Schiedsgericht damit gemeint hat. Eine eindeutige Willensäusserung des historischen Gesetzgebers liegt jedenfalls nicht vor.
5.
Das Appellationsgericht führt zur Begründung seiner Auslegung insbesondere aus, ein unverständliches oder widersprüchliches Urteil im Sinn von Art. 36 lit. h müsse nicht mit einem unklaren Urteil gleichbedeutend sein. Die in Art. 36 aufgeführten Nichtigkeitsgründe seien gravierende, offenkundige und leicht erkennbare Mängel, was die kurze Beschwerdefrist von dreissig Tagen rechtfertige. Springe dagegen die Unklarheit nicht in die Augen, so sei aus Zweckmässigkeitsgründen die Erläuterung zu
BGE 110 Ia 123 S. 128
gewähren, die naturgemäss das Schiedsgericht vorzunehmen habe. Weil jedes Urteil vollstreckbar sein müsse, müssten auch kleinere Unklarheiten, welche die Vollstreckung hinderten, ohne den Entscheid geradezu unverständlich zu machen, behoben werden können.
a) Die Beschwerdeführerinnen halten die unterschiedliche Behandlung von offenkundigen und nicht ins Auge springenden Mängeln für nicht gerechtfertigt. Sie machen geltend, die Umschreibung der erläuterungsbedürftigen Schiedssprüche in Art. 36 lit. h als unverständlich und widersprüchlich stimme durchaus mit den Erläuterungstatbeständen der kantonalen Prozessrechte überein. Es sei nicht anzunehmen, dass der Konkordatsgesetzgeber einen weiteren Erläuterungsgrund habe zulassen wollen, der sich sonst nirgends finde.
Soweit die kantonalen Prozessgesetze eine Erläuterung von unvollständigen Urteilen vorsehen, enthält das Konkordat mit dem Nichtigkeitsgrund von Art. 36 lit. c eine entsprechende Regelung. Widersprüchliche Schiedssprüche fallen schon nach dem Wortlaut unter Art. 36 lit. h. Raum bliebe deshalb - wie das Appellationsgericht an sich zutreffend festhält - nur für Entscheide, die zwar nicht unverständlich, aber doch unklar sind. Vom Wortlaut des Art. 36 lit. h her lässt sich diese Unterscheidung nicht von vornherein ausschliessen. Das Bundesgericht hat jedenfalls entschieden, ein Schiedsspruch könne ohne Willkür als nicht missverständlich oder widersprüchlich gemäss Art. 36 lit. h erklärt werden, auch wenn er so allgemein gefasst sei, dass er die Möglichkeit zukünftiger Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien nicht verhindere (Urteil vom 17. März 1976 i.S. B. AG gegen M. Co. Ltd. E. 7b).
Selbst wenn aber mit dem angefochtenen Urteil und entgegen der Meinung der Beschwerdeführerinnen anzunehmen wäre, Art. 36 lit. h erfasse nicht jede Unklarheit des Schiedsspruchs, bedeutet das keineswegs, dass für solche Fälle ein Erläuterungsverfahren gegeben sein muss. Wenn wie dargelegt das Konkordat mit Art. 36 lit. c und h einen grossen Teil der üblichen Erläuterungstatbestände abdeckt, liegt vielmehr der Schluss nahe, diese hätten damit abschliessend geordnet werden sollen. Es widerspräche der restriktiven Tendenz von Art. 36, die Anfechtung von Schiedssprüchen wegen Unklarheit in lit. h auf gravierende Fälle zu beschränken, für geringfügige Mängel dagegen stillschweigend eine unbefristete Erläuterung zuzulassen.
BGE 110 Ia 123 S. 129
b) Die Beschwerdeführerinnen beanstanden auch die Argumentation des Appellationsgerichts, die kurze Beschwerdefrist sei zwar für offenkundige Mängel berechtigt, während kleinere Unklarheiten auch nachträglich noch behoben werden müssten. Die Beschwerdegegnerin unterstützt dagegen die Vorinstanz mit dem Hinweis, die Unklarheit zeige sich häufig erst im Vollzugsstadium nach Fristablauf.
Das angefochtene Urteil vermag auch in diesem Punkt nicht zu überzeugen. Die Beschwerdeführerinnen weisen zutreffend darauf hin, dass zahlreiche kantonale Prozessordnungen Erläuterungsbegehren nur innert Fristen von zehn bis dreissig Tagen zulassen. Schon deshalb ist die im Konkordat festgesetzte Befristung durchaus nicht ungewöhnlich. Dass nach Fristablauf eine Erläuterung nicht mehr herbeigeführt werden kann, ist für die betroffene Partei nicht stossender, als wenn sie erst nach Ablauf der Frist von einem andern Nichtigkeitsgrund erfährt. Wie die Beschwerdeführerinnen zu Recht feststellen, ist überdies nicht erklärbar, weshalb eine Partei kleinere Unklarheiten jederzeit, gravierende Unverständlichkeiten dagegen nur innert Frist geltend machen kann; zudem würde das Nebeneinander von fristgebundener Nichtigkeitsbeschwerde und unbefristetem Erläuterungsgesuch zu einer bedenklichen Rechtsunsicherheit führen.
c) Die Beschwerdeführerinnen wenden sich sodann mit Recht gegen die Überlegung des Appellationsgerichts, jedes Urteil müsse vollstreckbar sein und Unklarheiten müssten deshalb jederzeit behoben werden können. Wo kantonale Prozessordnungen die Erläuterungsmöglichkeit befristen, lassen sich nachträglich Unklarheiten auch nicht mehr beheben. Nicht anders verhält es sich nach der Konzeption des Appellationsgerichts im Fall, dass die Anfechtung eines im Sinn von Art. 36 lit. h unverständlichen oder widersprüchlichen Urteils unterbleibt. Erst recht gilt gleiches dort, wo eine eigentliche Erläuterung überhaupt ausgeschlossen ist (so Bern: LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. A., N. 4 zu Art. 402; Appellationshof in ZBJV 116/1980 S. 165). Davon abgesehen hält die Beschwerdegegnerin die Vollstreckung des vorliegenden Schiedsspruchs ausdrücklich deshalb für gefährdet, weil die Nennung eines bestimmten Betrags Voraussetzung der definitiven Rechtsöffnung sei. Das Fehlen einer Bezifferung hätte sie aber ohne weiteres und schon innerhalb der Beschwerdefrist von dreissig Tagen erkennen und geltend machen können.
BGE 110 Ia 123 S. 130
d) Schliesslich ist zu bedenken, dass eines der Ziele der Schiedsgerichtsbarkeit die rasche Erledigung des Rechtsstreits ist (
BGE 109 Ia 83
E. 2a mit Hinweisen) und dass dazu auch die Beschränkung der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gehört (
BGE 103 Ia 359
f.). Diesem Zweck dient ebenfalls, dass nach dem Konkordat nicht nur Nichtigkeitsbeschwerden, sondern auch Revisionsgesuche beim oberen kantonalen Zivilgericht einzureichen sind, das Schiedsgericht also selbst beim Vorliegen von Revisionsgründen nicht ohne entsprechenden Rückweisungsentscheid tätig werden darf (Art. 3 lit. f, Art. 39/40 und Art. 43). Es wäre nicht mit diesen Grundsätzen zu vereinbaren, dem Schiedsgericht auf Erläuterungsgesuch hin jederzeit die Neufassung seines Urteilsspruchs zu erlauben und damit - nach Jahr und Tag - eine neue Nichtigkeitsbeschwerde zu ermöglichen.
6.
Aus dem Wortlaut und vor allem dem Zweck sowie dem Zusammenhang der Bestimmungen ergibt sich somit, dass die Art. 36 lit. h und 39 die Erläuterung unklarer Schiedssprüche abschliessend ordnen. Das Konkordat enthält insoweit keine Lücke, die mit der Verweisung auf die Bundeszivilprozessordnung zu schliessen wäre. Es kann deshalb offenbleiben, ob die Verweisung in Art. 24 Abs. 2 des Konkordats, welche in die Verfahrensordnung des Schiedsgerichts übernommen wurde, sich nur auf die Verfahrensvorschriften der BZP oder - dank Weiterverweisung in deren Art. 1 Abs. 2 - auch auf
Art. 145 OG
erstreckt. Dass mit dem Appellationsgericht und entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen dem Erlöschen des Mandats der Schiedsrichter keine selbständige Bedeutung beizumessen ist, vermag den Prozessausgang nicht zu beeinflussen. Wäre ein Erläuterungsverfahren gegeben, so müssten die Schiedsrichter sich damit aufgrund ihres ursprünglichen Mandats zweifellos auch noch nachträglich befassen, wie das bei Gutheissung einer Nichtigkeitsbeschwerde oder einer Revision vorgesehen ist (Art. 39/40 und 43).
Damit braucht die Beschwerde insoweit nicht behandelt zu werden, als sie eine Verwirkung des Erläuterungsrechts wegen missbräuchlich langem Zuwarten der Beschwerdegegnerin behauptet und geltend macht, es fehle überhaupt an einem Erläuterungsbedürfnis, weil der Schiedsspruch klar sei. Zugleich wird der diese Vorbringen betreffende Nichteintretensantrag der Beschwerdegegnerin hinfällig.
BGE 110 Ia 123 S. 131
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Appellationsgerichts (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt vom 4. August 1983 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
f2343205-1f33-4069-96d3-45feaad77b2a | Urteilskopf
120 V 481
67. Arrêt du 13 octobre 1994 dans la cause F. contre ASSURA, Caisse-maladie et accidents et Tribunal arbitral des assurances, Genève | Regeste
Art. 24 KUVG
: Ausschluss eines Arztes von der Kassenpraxis.
- Wichtige Gründe im Sinne dieser Bestimmung (Erw. 2b).
- Das administrative Ausschlussverfahren ist unabhängig vom Strafverfahren und setzt nicht notwendigerweise ein qualifiziertes Verschulden voraus (Erw. 2c).
- Verschreibung eines Medikamentes, ausgestellt auf den Namen einer Person, die nicht untersucht worden ist: Wenn der Arzt wie im vorliegenden Fall wusste, dass diese Person von ihren Partnerinnen vorgeschoben war, nimmt er in Kauf, dass dem Apotheker und/oder der Krankenkasse ein Nachteil entsteht, und er beweist damit eine Leichtfertigkeit und Unvorsichtigkeit, die mit den Pflichten eines Arztes unvereinbar sind (Erw. 3).
- Die Sanktion des
Art. 24 KUVG
bezweckt den Schutz der Krankenkassen und - ausser in indirekter Weise - nicht denjenigen der Versicherten gegen Fehler und Missbräuche der Erbringer von Pflegeleistungen. Es obliegt nicht den Durchführungsorganen des KUVG, einschliesslich das Schiedsgericht gemäss Art. 25, Verstösse gegen die ärztliche Standesordnung zu ahnden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 482
BGE 120 V 481 S. 482
A.-
Alors qu'elle bénéficiait d'un congé de maternité, le docteur F., médecin-assistante à la Permanence X, rédigea le 21 juin 1988, à l'intention de Dame P., sur une feuille à l'en-tête de la Permanence, une ordonnance par laquelle elle prescrivait à Véronique P., née en 1984, fille de la prénommée, une cure de Somatonorm - médicament favorisant la croissance des enfants - pour une durée de six mois, à raison de trois flacons de 2 mg par semaine, soit 72 flacons au total.
En réalité, ainsi qu'elle le déclara à un inspecteur de police le 3 septembre 1990, le docteur F., qui est d'origine polonaise, savait que le médicament n'était pas destiné à Véronique P., qu'elle n'avait jamais examinée, mais à un enfant polonais en bas âge souffrant de troubles de la croissance et auquel ce médicament avait été prescrit par son médecin
BGE 120 V 481 S. 483
traitant. Cette démarche résultait du fait qu'à cette époque, aux dires de Dame P. et d'une autre compatriote, Dame K., tante de l'enfant malade, il n'était pas possible de se procurer le médicament en question en Pologne.
Le 5 octobre 1988, les Pharmacies Populaires, à Genève, adressèrent une facture de 11'635 fr. 20 à la caisse-maladie et accidents ASSURA (ci-après: la caisse) auprès de laquelle était assurée Véronique P. Ayant découvert le pot aux roses, la caisse refusa d'acquitter cette facture, laquelle a, semble-t-il, été payée par Dame K. sous forme de versements mensuels, effectués dès novembre 1990.
En juillet 1990, la caisse dénonça Dame P. et le docteur F. au Procureur général de la République et Canton de Genève. Au terme de l'instruction, ce magistrat, par ordonnances du 23 janvier 1991, condamna Dame K. et Dame P. à sept jours d'arrêts avec sursis pendant deux ans, respectivement pour instigation à escroquerie et pour escroquerie. Les deux condamnées ont bénéficié de la circonstance atténuante du mobile honorable. Aucune peine n'a été prononcée à l'encontre du docteur F.
B.-
Par acte daté du 30 mai 1991, ASSURA requit la constitution du Tribunal arbitral des assurances de la République et Canton de Genève. Reprochant notamment au docteur F. - qui, selon elle, avait été informée par Dame P. du véritable destinataire des médicaments prescrits - de n'avoir pas hésité à établir un faux dans les titres en indiquant sciemment un faux bénéficiaire sur son ordonnance, et de ne s'être nullement souciée de savoir si le véritable destinataire était suivi médicalement, la caisse prenait les conclusions suivantes:
- dire que le docteur F. s'est rendue coupable en la circonstance d'établissement de faux dans les titres;
- confirmer que l'attitude du docteur F., contraire en tout point à la déontologie médicale, doit faire l'objet d'un prononcé d'exclusion au sens de l'
art. 24 LAMA
, et en fixer la durée;
- se prononcer sur la responsabilité éventuelle encourue par la Permanence X et par son responsable, le docteur B.
Une tentative de conciliation, du 9 septembre 1991, échoua. Sur requête du tribunal arbitral des assurances, le Procureur général autorisa la production du dossier pénal.
ASSURA, dans une communication du 8 avril 1993, informa le tribunal arbitral qu'elle abandonnait ses conclusions contre la Permanence X et son responsable, le docteur B. Par décision du 28 mai 1993, ladite juridiction
BGE 120 V 481 S. 484
mit hors de cause ce médecin et la Permanence.
Le docteur F., se fondant sur le fait qu'elle n'avait fait l'objet d'aucune ordonnance de condamnation de la part du Procureur général, conclut au déboutement pur et simple de la caisse en toutes ses conclusions. Elle comparut personnellement devant le tribunal arbitral au cours d'une audience du 14 juin 1993, au cours de laquelle elle déclara:
"Le Tribunal me relit les deux dépositions qui figurent dans la procédure pénale apportées dans la présente procédure. Je les confirme. Je mentionne également ceci: quand j'ai rédigé l'ordonnance, qui fut finalement présentée aux Pharmacies Populaires, j'ai indiqué le nom de Véronique P. qui, pour moi, était un enfant habitant la Pologne. J'ai quitté la Pologne en 1984 où j'avais déjà fait toutes mes études de médecine. En 1988, les premières élections démocratiques pour remplacer la moitié du parlement n'avaient pas encore eu lieu. Je savais également, par ma propre expérience, qu'il n'était pas facile d'obtenir en Pologne des médicaments étrangers et qu'il était fréquent qu'une famille d'un patient se fasse remettre une ordonnance établie par un médecin polonais à destination d'un médecin étranger, à l'étranger, en vue d'obtenir l'envoi dudit médicament de l'étranger vers la Pologne.
J'affirme que j'ai eu en mains l'ordonnance de mon confrère polonais. Je regrette encore de ne pas l'avoir photocopiée et annexée à mon dossier; si je n'ai pas pensé à le faire c'est vraisemblablement parce que j'étais en congé de maternité et que j'ai établi ladite ordonnance dans un café."
Le 22 novembre 1993, le Tribunal arbitral des assurances rendit son jugement, dont le dispositif est le suivant:
"Interdit au Dr F. le droit de traiter les assurés d'Assura, caisse-maladie et accidents, à Y, de leur prescrire ou de leur fournir des médicaments, de leur prescrire ou d'appliquer des traitements scientifiquement reconnus ou de faire des analyses.
Dit que cette mesure déploiera ses effets pendant neuf mois, lesquels courront dès que le présent jugement deviendra définitif..."
Le tribunal arbitral a considéré, en bref, qu'il était établi que le docteur F. avait rédigé une ordonnance au nom de Véronique P., fille de Dame P., dont elle savait qu'elle vivait à Genève, avec sa mère; qu'il était également établi que ce médecin savait que le médicament prescrit était destiné à une tierce personne, un enfant domicilié en Pologne, prétendument la nièce de Dame K., soit Paulina, fille de sa soeur W.; que ces faits étaient constitutifs de l'infraction de faux dans les titres au
BGE 120 V 481 S. 485
sens de l'
art. 251 CP
; que si le délit pénal de faux dans les titres constituait une base suffisante pour prendre une sanction disciplinaire à l'encontre du docteur F., il était évident que, dans le contexte médical du cas, la culpabilité de cette dernière était bien plus engagée par la violation manifeste et grave de son devoir de diligence; qu'il était en effet parfaitement inadmissible qu'un médecin prescrive un médicament qu'il savait être dangereux et qui devait obligatoirement faire l'objet d'une surveillance médicale, qu'il prescrive non pas seulement une dose de ce produit thérapeutique, mais la quantité nécessaire à un traitement complet et, surtout, qu'il le prescrive sans avoir examiné le réel destinataire de son ordonnance, donc sans avoir posé de diagnostic.
C.-
Le docteur F. interjette recours de droit administratif contre ce jugement, en concluant, sous suite de frais et dépens, à l'annulation du jugement attaqué. Elle invite la Cour de céans à débouter la caisse des fins de sa requête et de toutes autres ou contraires conclusions. Elle a produit en cours de procédure un document signé par W., daté du 6 janvier 1994, ainsi qu'une traduction de celui-ci.
ASSURA conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Est litigieuse l'exclusion de la recourante du droit de traiter les assurés de l'intimée, de leur prescrire ou de leur fournir des médicaments, de leur prescrire ou d'appliquer des traitements scientifiquement reconnus ou de faire des analyses. La présente contestation n'a donc pas pour objet l'octroi ou le refus de prestations d'assurance. Le Tribunal fédéral des assurances doit dès lors se borner à examiner si les premiers juges ont violé le droit fédéral, y compris par l'excès ou par l'abus de leur pouvoir d'appréciation, ou si les faits pertinents ont été constatés d'une manière manifestement inexacte ou incomplète, ou s'ils ont été établis au mépris de règles essentielles de procédure (art. 132 en corrélation avec les
art. 104 let. a et b et 105 al. 2 OJ
).
b) Lorsque le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral des assurances est limité par l'
art. 105 al. 2 OJ
, la possibilité d'alléguer des faits nouveaux ou de faire valoir de nouveaux moyens de preuve est très restreinte. Selon la jurisprudence, seules sont admissibles dans ce cas les preuves que l'instance inférieure aurait dû réunir d'office, et dont le défaut d'administration constitue une violation de règles essentielles de
BGE 120 V 481 S. 486
procédure (
ATF 107 Ib 169
consid. 1b,
ATF 106 Ib 79
consid. 2a,
ATF 105 Ib 383
, 102 Ib 127,
ATF 98 V 224
,
ATF 97 V 136
consid. 1; RCC 1991 p. 478 consid. 3c, 1990 p. 421 consid. 1 et les références; RJAM 1982 no 496 p. 168 consid. 3b, no 484 p. 96 consid. 3).
La recourante a produit en procédure fédérale un document signé par W. à Poznan (Pologne), daté du 6 janvier 1994, ainsi qu'une traduction de celui-ci. Il s'agit là d'un moyen de preuve nouveau, irrecevable parce que tardif au sens de la jurisprudence précitée.
2.
a) En vertu de l'
art. 24 LAMA
, si, pour des motifs graves tirés soit de sa personne, soit de son activité professionnelle, une caisse conteste à un médecin, un pharmacien, un chiropraticien, une sage-femme, un membre du personnel paramédical ou un laboratoire le droit de traiter ses assurés, de leur prescrire ou de leur fournir des médicaments, de leur prescrire ou d'appliquer des traitements scientifiquement reconnus ou de faire des analyses, il appartient au tribunal arbitral institué conformément à l'
art. 25 LAMA
de prononcer l'exclusion et d'en fixer la durée.
b) L'
art. 24 LAMA
tend à garantir qu'un traitement médical ne puisse être administré que par des personnes qui non seulement sont au bénéfice des connaissances professionnelles suffisantes, mais qui possèdent également les qualités morales voulues. La loi ne définit pas les "motifs graves" au sens de cette disposition légale. C'est donc à la jurisprudence et à la doctrine qu'il revient de poser les règles y relatives (
ATF 106 V 40
consid. 5a).
D'après MAURER, par "motifs graves" au sens de l'
art. 24 LAMA
, il faut entendre des motifs qui ébranlent profondément le rapport de confiance entre la caisse-maladie et l'intéressé (Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, vol. II, p. 376). Par exemple, en cas de certificats médicaux destinés à l'assureur ou de notes d'honoraires non conformes à la vérité, en particulier lorsque le médecin ment à l'assureur, voire commet une escroquerie à son détriment (
ATF 106 V 41
ad consid. 5a/aa).
L'
art. 55 LAA
est le pendant dans l'assurance-accidents de l'
art. 24 LAMA
. Selon GHELEW, RAMELET ET RITTER, sont réputés graves les motifs qui ne permettent raisonnablement plus d'attendre de l'assureur la prise en charge du traitement prodigué par le dispensateur de soins incriminé (Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents, p. 194). Et ces auteurs de mentionner, comme motifs justifiant l'exclusion, la violation de la législation ou de l'éthique professionnelle, les manquements répétés et intentionnels dans l'établissement des certificats et dans l'application des tarifs, et d'autres actes pénalement punissables réprimés par les
art. 112 ss LAA
.
BGE 120 V 481 S. 487
Quant à MAURER, il range parmi les motifs graves au sens de l'
art. 55 LAA
les négligences répétées ou la négligence grave lors du traitement des patients, la polypragmasie, voire la faute intentionnelle lors de l'établissement de rapports médicaux ou de factures (Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, p. 521).
c) L'exclusion de la pratique des caisses revêt largement le caractère d'une mesure disciplinaire (
ATF 106 V 41
ss consid. 5a/cc). La procédure administrative disciplinaire de l'exclusion est indépendante de la procédure pénale, et elle ne suppose pas nécessairement l'existence d'une faute qualifiée (BÜHLMANN, Die rechtliche Stellung der Medizinalpersonen im UVG, thèse Berne 1985, p. 119 et les références; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, vol. I, p. 316 ss; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, supplément, spéc. p. 158).
3.
En l'espèce, la question de la qualification en droit pénal du comportement de la recourante peut dès lors rester indécise.
Contrairement à ce qu'a laissé entendre la recourante lors de l'audience du 14 juin 1993 devant le tribunal arbitral, celle-ci savait, lorsqu'elle a établi l'ordonnance litigieuse du 21 juin 1988, que Véronique P. était la fille de Dame P. A cet égard, ses premières déclarations à la police sont parfaitement claires. Au demeurant, il est invraisemblable qu'elle n'ait pas remarqué la concordance des noms de famille de Dame P. et de l'enfant auquel la cure de Somatonorm était apparemment prescrite.
La recourante sachant que Véronique P. était le nom de la fille de Dame P., elle savait donc aussi que l'indication de ce nom sur l'ordonnance n'était qu'un stratagème suggéré par ses deux interlocutrices, sous le prétexte d'éviter des difficultés avec le pharmacien.
Or, sur le vu de la quantité prescrite, la recourante devait se demander si les deux femmes qui s'adressaient à elle étaient en mesure de payer directement au pharmacien le prix élevé du médicament. Elle ne pouvait non plus ignorer qu'en établissant une ordonnance au nom de l'enfant Véronique P., domiciliée chez sa mère, à Genève, elle courait le risque qu'on abuse de sa bonne foi pour tenter d'obtenir des prestations indues de la caisse. Pourtant, elle n'a pris aucune précaution et a fait preuve d'une légèreté et d'une imprudence incompatibles avec ses devoirs de médecin.
En d'autres termes, en tant que médecin praticien, connaissant ou devant connaître le fonctionnement de l'assurance-maladie en Suisse et notamment le système du tiers payant qui est appliqué à la prise en charge des
BGE 120 V 481 S. 488
médicaments par les caisses-maladie à Genève, la recourante a pris le risque - qui s'est en partie réalisé - qu'un préjudice soit causé au pharmacien et/ou à la caisse. Dans cette mesure, c'est à juste titre qu'une sanction disciplinaire a été prononcée contre elle en application de l'
art. 24 LAMA
, car elle a pour le moins fait preuve de négligence grave.
4.
S'agissant de la mesure de la sanction, il convient d'appliquer le principe de proportionnalité (
ATF 106 V 43
consid. 5c). En faveur de la recourante, on doit retenir qu'elle a agi par commisération et dans un but désintéressé, sans se douter, apparemment, que son ordonnance serait utilisée de manière abusive par Dame P., pour tenter de faire payer le médicament à l'intimée. Par ailleurs, la caisse n'a, grâce à la diligence dont a fait preuve l'une de ses employées, subi aucun dommage puisqu'elle n'a pas eu à payer le prix élevé du médicament fourni par le pharmacien.
Le jugement attaqué est erroné dans la mesure où il paraît se fonder essentiellement sur la violation des devoirs de la recourante à l'égard du malade qui a finalement bénéficié du traitement médicamenteux. Or, cela relève, le cas échéant, d'une autre procédure disciplinaire. La sanction de l'
art. 24 LAMA
est destinée à protéger les caisses-maladie et non pas les assurés - si ce n'est de manière indirecte - contre les fautes et les abus des fournisseurs de soins. En outre, il n'appartient pas aux organes d'exécution de la LAMA, y compris le tribunal arbitral de l'
art. 25 LAMA
, de réprimer d'éventuels manquements à la déontologie médicale.
Il faut enfin tenir compte du fait que l'exclusion n'est prononcée que pour les assurés d'ASSURA et que les patients soignés par la recourante qui sont assurés auprès d'autres caisses ne sont pas concernés.
Une exclusion de six mois paraît dès lors appropriée à l'ensemble des circonstances.
5.
(Frais et dépens) | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f2382012-b7af-4486-b8e3-f1999257989f | Urteilskopf
94 IV 97
26. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 27 septembre 1968 dans la cause Brusadelli et Dony contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 50 StGB
.
1. Aus Gewinnsucht handelt der Täter, wenn er besonders intensiv auf geldwerte Vorteile bedacht ist, namentlich wenn er sich um des Geldes willen gewohnheitsmässig oder ohne Bedenken über die durch Gesetz, Anstand oder gute Sitte gezogenen Schranken hinwegsetzt, also auch vor verpöntem Gewinn nicht Halt macht (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Der Beweggrund der Gewinnsucht kann sich auch aus einer Einzelhandlung ergeben.
3. Anwendung dieser Begriffsumschreibung auf Personen, die am Verbrechen der Erschleichung einer falschen Beurkundung teilnehmen (
Art. 253 StGB
). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 94 IV 97 S. 97
Résumé des faits:
A.-
Gravement atteint dans sa santé, André Conne, propriétaire de divers immeubles à Puidoux-Chexbres, se vit obligé
BGE 94 IV 97 S. 98
de vendre ses terrains qu'il ne pouvait plus cultiver. Pierre Marcel Dony en fit part à Antoine Brusadelli, lui signalant qu'il s'agissait d'une "affaire intéressante".
En collaboration avec un nommé Bordet, Brusadelli avait déjà servi de démarcheur rémunéré à Eugène Schneuwly, administrateur de sociétés, qui s'occupait activement d'affaires immobilières.
Le 5 mars 1962, Brusadelli et Bordet ont signé une convention écrite par laquelle ils s'engageaient à payer à Dony 10 000 fr. le jour où l'acte de vente avec Conne serait conclu. Le même jour, ils adressèrent à Conne une lettre l'informant qu'ils étaient d'accord de lui acheter 43 580 m2 au prix de 7 fr. 50 le m2; ils lui proposèrent en outre "pour nous faciliter cet achat" de passer les actes notariés au prix de 8 fr. 50 le m2, la différence devant "nous revenir".
Le lendemain, ils signèrent avec Conne, devant le notaire X., une promesse d'achat et de vente portant sur une surface d'environ 43 000 m2 au prix de 8 fr. 50 le m2; conformément à cet acte, ils versèrent à Conne la somme de 18 500 fr., qui devait lui rester acquise si la vente ne se réalisait pas dans un certain délai.
Schneuwly exprima sa crainte de ne recevoir - lors de l'expropriation escomptée d'une partie des terrains à acquérir, en raison de la construction de la future autoroute - qu'une indemnité insuffisante; il chargea Brusadelli d'intervenir auprès de Conne afin que celui-ci consente à faire figurer dans l'acte de vente définitif le prix fictif de 17 fr. le m2, le prix réel restant fixé à 8 fr. 50.
Brusadelli demanda à Dony, qui connaissait mieux Conne que lui-même, d'obtenir l'accord de celui-ci, moyennant rémunération. Dony remplit la mission qui lui avait été confiée. Conne exigea 40 000 fr., montant qui fut discuté lors de pourparlers menés par Brusadelli et Dony, puis arrêté en présence de Schneuwly.
Le notaire X. reçut le mandat de préparer l'acte de vente. Il fut chargé également d'annuler la promesse de vente. L'on ignore l'auteur des instructions qui lui furent données à ce sujet. Brusadelli avait reconnu dans l'enquête que c'était lui, mais il revint ensuite sur ses aveux et prétendit que Schneuwly s'était adressé directement au notaire.
Le 31 juillet 1962, Conne, d'une part, Brusadelli et Bordet,
BGE 94 IV 97 S. 99
d'autre part, se présentèrent chez le notaire X. Schneuwly et Conne signèrent un acte de vente portant sur 43 081 m2 au prix de 732 377 fr. (soit 17 fr. le m2). La promesse de vente fut annulée. Conne conserva le montant de 18 500 fr. qu'il avait reçu.
Conformément au contrat, Schneuwly remit à Conne, en présence du notaire, 366 188 fr. 50 en espèces et un chèque du même montant, tiré sur l'Union de banques suisses, à Bulle. Conne empocha le chèque et prit une partie de l'argent liquide, laissant 300 000 fr. en dépôt chez le notaire. Tous se réunirent ensuite pour le repas de midi dans un restaurant de Chexbres. Là, Conne restitua le chèque à Brusadelli, qui lui délivra un reçu. Schneuwly établit et remit à Brusadelli, à titre de commission, un autre chèque de 90 000 fr., que Brusadelli encaissa le jour même.
Après le repas, les participants se retrouvèrent chez Conne pour régler compte avec lui. Pour une raison non élucidée, Conne accepta finalement de réduire à 20 000 fr. sa rémunération pour avoir consenti à indiquer dans l'acte de vente un prix inexact; il restitua en revanche à Brusadelli et Bordet les 18 500 fr. reçus lors de la signature de la promesse de vente et leur versa, en outre, 43 000 fr. à titre de commission (ce qui représente environ un franc par mètre carré vendu).
De leur côté, Brusadelli et Bordet payèrent à Dony les 10 000 fr. qu'ils lui avaient promis et se partagèrent le solde des commissions reçues de Conne et Schneuwly, chacun d'eux réalisant ainsi, sous réserve de certains débours, un gain d'environ 43 000 à 45 000 fr.
Quant à Schneuwly, il revendit, en décembre 1964, à l'Etat de Vaud, pour la construction de l'autoroute, environ un quart (soit 11 297 m2) des terrains acquis de Conne, ce pour le prix de 32 fr. le m2, recevant ainsi 361 504 fr.
Conne et Bordet sont décédés, l'un en décembre 1962 et l'autre en mars 1963.
B.-
Par jugement du 5 avril 1967, le Tribunal de police correctionnelle du district de Lavaux a condamné Brusadelli, pour obtention frauduleuse d'une constatation fausse et instigation à ce crime (art. 24 et 253 CP), à six mois d'emprisonnement avec sursis pendant trois ans. Il a condamné Dony, pour instigation à l'obtention frauduleuse d'une constatation fausse, à deux mois d'emprisonnement avec sursis pendant
BGE 94 IV 97 S. 100
deux ans. Estimant que les deux accusés avaient agi par cupidité au sens de l'art. 50 CP, il leur a infligé en outre une amende fixée à 10 000 fr. pour Brusadelli et à 2000 fr. pour Dony.
C.-
Le 22 mai 1967, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté les recours des deux condamnés et confirmé le jugement de première instance.
D.-
Contre cet arrêt, Brusadelli et Dony se sont pourvus en nullité au Tribunal fédéral. Ils invoquaient notamment une fausse application de l'art. 50 CP.
La Cour de cassation pénale a rejeté le pourvoi de Brusadelli et admis partiellement le pourvoi de Dony, annulant l'arrêt attaqué dans la mesure ou il le condamnait à une amende.
Erwägungen
Extrait des considérants:
5.
a) Les recourants s'élèvent contre l'application à leur égard de l'art. 50 CP, qui permet au juge de prononcer une amende, outre la peine privative de liberté, lorsque le délinquant a agi par cupidité. Selon la jurisprudence, il faut entendre par cupidité la recherche du lucre si intense qu'elle est devenue une passion. La cupidité va au-delà du dessein d'enrichissement ou du dessein de se procurer un avantage; elle ne saurait non plus être confondue avec le souci de l'intérêt personnel. Est cupide l'auteur qui se montre particulièrement avide d'avantages financiers; par exemple, celui qui, pour se procurer de l'argent, outrepasse habituellement ou sans scrupule les limites tracées par la loi, la bienséance ou les bonnes moeurs et n'hésite donc même pas à se procurer un gain illicite (RO 74 IV 142, consid. 3;
75 IV 45
, consid. 7;
79 IV 118
in fine;
86 IV 234
;
89 IV 17
et 19 al. 1 in fine). La doctrine se prononce en général dans le même sens, en relevant que l'art. 50 CP est applicable si la cupidité était le mobile essentiel de l'auteur, qui manifeste par son acte le désir immodéré de percevoir un gain, méprisant complètement le bien d'autrui; certains relèvent que la réalisation effective du gain escompté n'est pas une condition nécessaire de l'application de cette disposition légale (HAFTER, Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2e éd., p. 294; THORMANN/VON OVERBECK, Das schweizerische Strafgesetzbuch, tome I, Allgemeiner Teil, n. 1 ad art. 50 CP, p. 191; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, Partie générale, n. 1 ad art. 50 CP, p. 220 s.; SCHWANDER, Das Schweiz. Strafgesetzbuch, 2e éd., no 370, p. 193; GERMANN, Das Verbrechen
BGE 94 IV 97 S. 101
im neuen Strafrecht, p. 256, lequel souhaite une application plus fréquente de l'amende comme peine accessoire en matière de délits contre le patrimoine). F. CLERC (A propos de la cupidité, JdT 1962 IV 103 al. 2) souligne que "la cupidité n'est pas une circonstance de l'acte, mais un trait de caractère du délinquant, un élément de sa personnalité dangereuse"; pour l'admettre, il faut, écrit-il, que la recherche du profit "apparaisse dans la personne de l'agent comme une véritable maladie".
Il appartient aujuge d'apprécier les circonstances particulières de chaque espèce pour dire si l'accusé a agi par cupidité. Bien que les arrêts précités l'aient déduit de la répétition d'actes répréhensibles durant une période prolongée, le mobile de la cupidité peut résulter d'un acte isolé (SCHWANDER, loc.cit.).
b) La juridiction cantonale a admis la cupidité des recourants parce qu'ils s'étaient livrés "à un acte de spéculation aussi caractérisé", commis par le moyen d'une infraction. Ce considérant procède d'une conception erronée de la cupidité. En effet, la spéculation est une opération financière ou commerciale qui consiste à profiter des fluctuations naturelles du marché (cours des valeurs et des marchandises, prix des biens immeubles) pour réaliser un bénéfice. Bien que, dans le langage courant, ce terme ait souvent un sens péjoratif, la spéculation n'implique pas encore la recherche du lucre, assimilable à une passion.
Pour le Tribunal de district, la cupidité des recourants résulterait de leur comportement caractérisé par leur désir de gagner de l'argent au mépris de la loi et de la plus élémentaire honnêteté. Les premiers juges en ont tiré la conclusion que leur recherche d'un gain était devenue une passion. Fondée en outre sur l'ampleur du profit escompté, cette appréciation procède d'une conception correcte de la notion de cupidité. Il reste à examiner si elle repose sur des éléments suffisants à l'égard de chacun des recourants.
c) En ce qui concerne Brusadelli, le Tribunal de district retient que celui-ci considérait comme normal d'obtenir d'un officier public une constatation fausse. Il avait d'ailleurs déjà indiqué au notaire, lors de la passation de la promesse de vente, un prix inexact. Il a déployé toute une activité pour que Conne, puis le notaire inscrivent un prix erroné dans l'acte de vente. Il a agi de la sorte pour se procurer de substantielles
BGE 94 IV 97 S. 102
commissions, soit environ 43 à 45 000 fr. Ainsi, Brusadelli n'a pas seulement fait preuve d'un dessein d'enrichissement patent, mais encore d'une malhonnêteté et d'une absence de scrupules évidentes, profitant des intentions illicites de Schneuwly pour s'octroyer une partie des avantages financiers que l'opération devait rapporter à ce dernier. Bien qu'il ait manifesté cette mentalité à l'occasion d'une seule affaire, on peut en déduire une recherche du lucre si intense qu'elle atteint la passion. C'est donc à bon droit que les juridictions vaudoises ont infligé à Brusadelli une amende en considérant qu'il avait agi par cupidité.
d) Quant à Dony, il n'a touché que la commission de courtier, qui lui avait déjà été promise le 5 mars 1962, alors qu'il n'était nullement question d'une opération qui tombe sous le coup de la loi pénale. Le montant promis était raisonnable par rapport au prix de vente réel. Certes, Dony a accepté par la suite d'inciter Conne à stipuler un prix de vente surfait, afin de rendre possible la vente à la conclusion de laquelle son droit à ladite commission était subordonné. Cette circonstance démontre une certaine absence de scrupules; toutefois Dony n'a pas cherché à profiter des services supplémentaires, réprimés par la loi pénale, auxquels il avait consenti, pour se procurer un gain plus élevé. L'avidité particulière d'avantages financiers, qui est l'une des caractéristiques de la cupidité au sens de l'art. 50 CP, fait donc défaut en ce qui le concerne. Dès lors, l'arrêt attaqué viole le droit fédéral dans la mesure où Dony a été condamné à une amende. | null | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f23a00e7-8492-47ba-8619-2402397a69bd | Urteilskopf
105 IV 55
14. Urteil des Kassationshofes vom 26. März 1979 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 34 Abs. 1, 43 Abs. 3, 57 Abs. 1 SVG; Art. 8 Abs. 1, 36 Abs. 6 VRV.
Das Gebot, möglichst weit rechts zu fahren, gilt auf allen Strassen. Auf Autobahnen ist demnach unabhängig von der Geschwindigkeit und der Anzahl der zur Verfügung stehenden Fahrstreifen möglichst die äusserste rechte Spur zu benützen. Gesetzliche Grundlage dieses Gebots (E. 2-4).
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
.
Vorliegen eines besonders leichten Falles verneint (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 105 IV 55 S. 56
A.-
Frau S. fuhr am 28. März 1978, um ca. 19.35 Uhr, mit ihrem Personenwagen auf der Nationalstrasse N 1 in Richtung Bern von der Auffahrt Ötwil a.d.L. über eine Strecke von ca. 2 km auf der mittleren der drei Fahrspuren, obwohl die rechte Spur frei war und ein ihr folgender Fahrer mehrmals die Lichthupe betätigte.
B.-
Das Bezirksamt Baden büsste sie mit Strafbefehl vom 2. Mai 1978 wegen Verstosses gegen
Art. 34 Abs. 1 SVG
,
Art. 8 Abs. 1 VRV
gemäss
Art. 90 Ziff. 1 SVG
mit Fr. 80.-. Auf Einsprache von Frau S. setzte das Bezirksgericht Baden am 22. Juni 1978 die Busse auf Fr. 40.- herab. Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte am 25. Januar 1979 diesen Entscheid.
C.-
Frau S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu erneuter Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz stellt in tatsächlicher Hinsicht für den Kassationshof verbindlich fest (
Art. 277bis BStP
), dass zur Tatzeit auf dem betreffenden Autobahnabschnitt wenig Verkehr herrschte, die Beschwerdeführerin beinahe mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h fuhr und dabei über eine Strecke von ca. 2 km die mittlere Fahrspur benützte, obschon sich auf der rechten etwas holperigen Spur kein Fahrzeug befand.
2.
Wie der Kassationshof wiederholt festgehalten hat, gilt nach schweizerischem Recht auf allen Strassen das Gebot, möglichst weit rechts (
BGE 99 IV 24
,
BGE 94 IV 121
f; nicht publiziertes Urteil des Kassationshofes vom 22.1.1965 i.S. Sch. c. Kt. BE), auf mehrspurigen Strassen und Autobahnen auf der äussersten rechten Spur (
BGE 93 IV 121
E. 2) zu fahren. Die gleiche Ordnung gilt in der Bundesrepublik Deutschland gemäss § 2 Abs. 1 der deutschen Strassenverkehrsordnung vom 16. November 1970. Das im Strassenverkehr der USA primär geltende Gebot, die einmal gewählte Spur beizubehalten, findet im SVG keine Grundlage. Ebensowenig wird auf unseren mehrspurigen Autobahnen die äusserste rechte Spur dem langsamen Verkehr (Schwerverkehr, Kleinwagen) vorbehalten und der schnellere Personenwagenverkehr auf die zweite und dritte Spur verwiesen, wie das auf italienischen Autobahnen signalisiert ist
BGE 105 IV 55 S. 57
(vgl. Art. 104 Abs. 4 des italienischen Codice Stradale). Nur ausnahmsweise, namentlich an steilen Stellen, werden langsame Fahrzeuge im Sinne von
Art. 8 Abs. 5 VRV
/
Art. 34 Abs. 7 SSV
durch das Signal Nr. 317 auf die rechts verlaufende Kriechspur, die auch zum Überholen nicht verlassen werden darf, verwiesen.
Die Vorinstanz hat somit zu Recht
Art. 34 Abs. 1 SVG
und
Art. 8 Abs. 1 VRV
angewendet, wo ausdrücklich bestimmt wird, dass auf Strassen mit mehreren Fahrstreifen der äusserste Streifen rechts zu benützen ist, ausser beim Überholen, Einspuren und beim Fahren in parallelen Kolonnen.
3.
a) Die Beschwerdeführerin ist indessen der Auffassung,
Art. 34 Abs. 1 SVG
und
Art. 8 Abs. 1 VRV
könnten auf den Verkehr auf Autobahnen nur modifiziert angewendet werden. Sie beruft sich auf Art. 36 Abs. 5 in fine VRV (Randtitel: "Sonderregeln für Autobahnen und Autostrassen"), wonach bei langsamer Fahrt der rechte Fahrstreifen zu benützen ist und zieht daraus den Umkehrschluss, dass bei hohen Geschwindigkeiten nicht die rechte Spur benützt werden müsse, sondern auf der mittleren Spur gefahren werden dürfe. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass durch Verordnung vom 22. Dezember 1976 betreffend Änderung der Verordnung über die Strassenverkehrsregeln, in Kraft seit 1. Januar 1977 (AS 1976 2810)
Art. 36 VRV
teilweise revidiert und insbesondere die Bestimmung "Bei langsamer Fahrt ist der rechte Fahrstreifen zu benützen" (Art. 36 Abs. 5 i.f. VRV) ersatzlos gestrichen wurde. Damit ist eindeutig klargestellt, dass das Gebot, rechts bzw. auf der äussersten rechten Spur zu fahren, auf Autobahnen in gleicher Weise gilt wie auf den übrigen Strassen, und zwar unabhängig von der Zahl der zur Verfügung stehenden Fahrspuren; denn gemäss
Art. 36 Abs. 6 VRV
(Art. 36 Abs. 5 Satz 1 aVRV), auf welchen sich die Vorinstanz zu Recht stützt, gelten im übrigen auf Autobahnen und Autostrassen die allgemeinen Fahrregeln. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die ersatzlos gestrichene Bestimmung von Art. 36 Abs. 5 i.f. aVRV beruft, entbehren ihre Ausführungen somit jeder Grundlage. Übrigens war der von der Beschwerdeführerin aus dieser Bestimmung gezogene Umkehrschluss stets als unzulässig angesehen worden (
BGE 93 IV 121
E. 2a, mit Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte).
b) Es ist richtig, dass jeder Spurwechsel, namentlich bei hohen Geschwindigkeiten, mit einem etwas grösseren Risiko verbunden ist als die normale Geradeausfahrt. Man wird denn auch das
BGE 105 IV 55 S. 58
Gebot der Benutzung der äussersten rechten Fahrspur nicht so kleinlich handhaben, dass beim Überholen mehrerer Fahrzeuge mit Abständen von 80-100 m jedesmal dazwischen nach rechts eingebogen werden müsste, auch wenn von hinten kein noch schnelleres Fahrzeug naht, dem Platz gemacht werden muss. Sind die Abstände jedoch grösser oder findet sich auf 200-300 m voraus überhaupt kein Verkehrsteilnehmer auf der äussersten rechten Spur, so ist entsprechend der klaren gesetzlichen Regel auf diese Spur auszubiegen und darauf weiterzufahren. Dabei ist gleichgültig, mit welcher Geschwindigkeit gefahren wird und wieviele Spuren in Fahrtrichtung vorhanden sind.
Auch wo auf gewissen Autobahnen die äusserste rechte Fahrspur wegen der Abnützung durch überschwere Lastwagen usw. holperig ist, muss im Interesse der Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs an der Regel des Rechtsfahrens festgehalten werden. Es ist verdienstlich, wenn die Polizeiorgane auf deren Einhaltung achten, insbesondere auf Autobahnen mit nur einer Überholspur, wo die chronischen Linksfahrer die Gefahr von Auffahrkollisionen schaffen und zu verbotenem Rechtsüberholen verleiten könnten.
4.
Die Beschwerdeführerin macht im weiteren geltend, eine Verordnungsbestimmung, die ein absolutes Gebot zum Rechtsfahren auf einer sechsspurigen Autobahn enthalte, entbehre der gesetzlichen Grundlage und sei mit Bezug auf Autobahnen keine angemessene Ausführung von
Art. 34 Abs. 1 SVG
. Der Einwand geht offensichtlich fehl. Art. 43 Abs. 3 i.f. SVG ermächtigt den Bundesrat, für die den Motorfahrzeugen vorbehaltenen Strassen Benützungsvorschriften und besondere Verkehrsregeln zu erlassen. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Bundesrat in Art. 35 f. VRV einige besondere Bestimmungen für Autobahnen und Autostrassen aufgestellt. Bezüglich der Frage, welche von mehreren zur Verfügung stehenden Fahrspuren zu benützen sei, fehlt eine Sonderregelung, so dass gemäss
Art. 36 Abs. 6 VRV
die allgemeinen Fahrregeln anwendbar sind. Zu diesen gehört das Gebot, möglichst weit rechts zu fahren (
Art. 34 Abs. 1 SVG
) bzw. auf Strassen mit mehreren Fahrstreifen den äussersten Streifen rechts zu benützen, ausser beim Überholen, Einspuren und Fahren in parallelen Kolonnen (
Art. 8 Abs. 1 VRV
). Inwiefern
Art. 8 Abs. 1 VRV
in unzulässiger Weise über
Art. 34 Abs. 1 SVG
hinausgehen soll, legt die Beschwerdeführerin nicht dar.
Art. 8 Abs. 1 VRV
wiederholt für den Sonderfall der
BGE 105 IV 55 S. 59
Strassen mit mehreren Fahrstreifen das gemäss
Art. 34 Abs. 1 SVG
auf allen Strassen im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 VRV
geltende Gebot des Rechtsfahrens. Ausserdem kann der Bundesrat gestützt auf
Art. 57 Abs. 1 SVG
weitere Verkehrsvorschriften erlassen.
5.
Indem die Beschwerdeführerin auf völlig freier Strasse sofort nach dem Einbiegen auf die Mittelspur fuhr und diese trotz den ihr von der Polizei gegebenen Signalen mit der Lichthupe über eine Strecke von rund 2 km nicht verliess, hat sie gegen das Gebot des Rechtsfahrens verstossen. Erst nach 2 km kam nach einer Biegung ein langsam auf der rechten Spur fahrendes Auto mit Anhänger in Sicht, was die Beschwerdeführerin berechtigte, nunmehr im Hinblick auf ein bevorstehendes Überholmanöver die Mittelspur zu benutzen.
Frau S. macht geltend, es laufe auf überspitzten Formalismus hinaus, sie wegen dieses Verhaltens zu bestrafen. Damit beruft sie sich sinngemäss auf
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
, wonach "in besonders leichten Fällen" von der Strafe Umgang genommen werden kann. Mit Recht hebt die Vorinstanz hervor, das Verschulden der Beschwerdeführerin sei gering, weil auf der mehrspurigen Autobahn immer noch genügend Raum zum Überholen blieb und weil die Spur aussen rechts einen schlechten Belag aufwies. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des besonders leichten Falles hat sich der Richter in erster Linie von den Wertungen, die dem Gesetz zugrundeliegen, leiten zu lassen (
BGE 95 IV 26
E. 1c). Das Gebot des Rechtsfahrens gehört zu den grundlegenden Bestimmungen des Strassenverkehrsrechts nicht nur der Schweiz, sondern auch zahlreicher anderer Länder. Diese klare und einfache Regel ist streng zu handhaben, und ein "besonders leichter Fall" im Sinne von
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
darf nur mit Zurückhaltung angenommen werden. Zudem stellt es das Gesetz in das Ermessen des Richters, ob er bei Vorliegen eines solchen Falles von der Strafe Umgang nehmen wolle oder nicht; er kann die Strafe auch bloss mildern (
BGE 95 IV 26
E. 1b). Mit der Festsetzung der Busse auf Fr. 40.- hat die Vorinstanz den gesamten Umständen angemessen Rechnung getragen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f23b1e0e-c619-4d19-830a-e9b830fbfdb3 | Urteilskopf
128 IV 25
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
6S.558/2001 vom 20. Dezember 2001 | Regeste
Art. 197 Ziff. 1 und 3 StGB
; Herstellung harter Pornographie zum eigenen Konsum.
Wer kinderpornographische Originalbilder, die sich bereits in seinem Besitz befinden, zum eigenen Gebrauch abfotografiert, zum Teil vergrössert aufnimmt und die Filme mit Hilfe eines Fotolabors entwickelt, macht sich der Herstellung von harter Pornographie strafbar (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 25
BGE 128 IV 25 S. 25
A.-
M. stellte im Juni 2000 an seinem Wohnort ab bestehenden Fotos von Mädchen unter 16 Jahren, auf denen die primären Geschlechtsteile sichtbar waren, mit einer Fotokamera Vergrösserungen der primären Geschlechtsteile im Ausmass von 100% bis 400% her, welche er in der Folge in einem Fotolabor entwickeln liess.
BGE 128 IV 25 S. 26
B.-
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Horgen erklärte M. mit Urteil und Verfügung vom 24. November 2000 der Herstellung von Pornographie im Sinne von Art. 197 Ziff. 3 in Verbindung mit
Art. 197 Ziff. 1 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 600.-, bedingt löschbar nach Ablauf einer Probezeit von einem Jahr. Ferner entschied er über die Einziehung der Fotos und der entwickelten Filme sowie die weiteren Nebenpunkte. Eine hiegegen vom Verurteilten erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 22. Mai 2001 ab.
C.-
M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, er sei vom Vorwurf der Herstellung von Pornographie vollumfänglich freizusprechen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Vorinstanz nimmt für den Kassationshof verbindlich an (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
[SR 312.0]), der Beschwerdeführer habe die Originalfotos nicht selber aufgenommen und habe die von ihm angefertigten Vergrösserungen ausschliesslich zum Eigengebrauch erstellt. Sie geht ferner davon aus, die fraglichen Fotos hätten einen ersichtlichen Nutzen - bei entsprechenden Neigungen des Betrachters - einzig zur sexuellen Stimulation. Es sei daher nicht ernstlich zu bezweifeln, dass der Beschwerdeführer die Vergrösserungen zu diesem Zweck, und nicht etwa aus fotografisch-technischem bzw. anatomischem Interesse, wie er selber vorbringe, hergestellt habe. In rechtlicher Hinsicht gelangt die Vorinstanz zum Schluss, Nacktfotos seien pornographisch, wenn sie durch eine übermässige Betonung des Genitalbereichs darauf angelegt seien, den Betrachter sexuell aufzureizen. Dies sei jedenfalls bei den Fotos in Urk. 4/1-3 und 4/5 klarerweise der Fall. Bei den erstgenannten Bildern handle es sich um Nahaufnahmen des weiblichen Genitalbereichs, wobei der Bezug zur Sexualität noch dadurch verstärkt werde, dass das Mädchen seine Scheide mit den Händen spreize. Bei dem Foto in Urk. 4/5 befänden sich die Genitalien des Kindes zwar eher am Rand des Bildes, würden aber dadurch in den Mittelpunkt gerückt, dass das Mädchen den Slip zur Seite ziehe, um den Blick auf die entblösste Scheide zu ermöglichen. Die Vorinstanz nimmt weiter an, das abgebildete Kind vollziehe auf den fraglichen Fotos an sich selbst eine Handlung, die zumindest aus der Sicht eines objektiven Betrachters unzweifelhaft der sexuellen Aufreizung diene. Ob das Kind selbst den Bezug zur Sexualität erkannt habe, sei ohne Bedeutung.
BGE 128 IV 25 S. 27
Die Bilder seien daher der verbotenen Kinderpornographie zuzuordnen. Die Vorinstanz führt im Weiteren aus, Kopien kinderpornographischer Bilder eigneten sich zur Befriedigung der Nachfrage nach pornographischen Erzeugnissen mit Darstellungen von Kindern nicht weniger als Originalprodukte. Dass es im zu beurteilenden Fall nicht um die originäre Herstellung des pornographischen Materials gehe, sei nicht massgeblich. Hersteller von Kinderpornographie sei nicht nur, wer selber Kinder bei sexuellen Handlungen fotografiere, sondern auch wer solche Bilder auf irgendeine Art reproduziere. Dabei sei belanglos, ob die Kopien genau dem Original entsprächen oder durch ausschnittweise Vergrösserung neue, andersartige Bilder entstünden. Die Herstellung von Kopien ab den Originalfotos erfüllten daher den objektiven Tatbestand von
Art. 197 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
.
b) Der Beschwerdeführer macht unter Hinweis auf eine abweichende Minderheitsmeinung der Vorinstanz geltend, die Herstellung harter Pornographie zum Eigenkonsum sei straflos, soweit es sich nicht um die originäre Herstellung des pornographischen Materials handle, die zwingend den persönlichen Einbezug von Kindern voraussetze und deshalb geeignet sei, deren ungestörte sexuelle Entwicklung zu beeinträchtigen. Beim blossen Kopieren bereits bestehender pornographischer Fotos bestehe diesbezüglich keine Gefahr. Solange dies ausschliesslich zum eigenen Gebrauch geschehe, entstehe auch kein zusätzliches Angebot auf dem Markt für Kinderpornographie, den der Gesetzgeber bekämpfen wolle. Ferner rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz begründe nicht, inwieweit ein Kopieren von Fotos etwas mit dem Markt für pädophile Pornographie zu tun habe. Wenn die abstrakte Gefährdung derart weit ausgedehnt werden sollte, so müsste der Erwerb und Besitz von solchen Produkten zum Eigengebrauch ebenfalls strafbar sein, da auch in diesem Falle eine abstrakte Gefährdung vorliegen würde. Eine derartige Ausweitung der Strafbarkeit habe der Gesetzgeber aber ausgeschlossen.
3.
a) Gemäss
Art. 197 Ziff. 3 StGB
wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer pornographische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornographische Vorführungen, die u.a. sexuelle Handlungen mit Kindern zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht.
Die in
Art. 197 Ziff. 3 StGB
enthaltene Aufzählung strafbarer Verhaltensweisen gilt als abschliessend. Sowohl der Erwerb als auch der Besitz harter Pornographie zum eigenen Konsum sind nach
BGE 128 IV 25 S. 28
geltendem Recht daher straflos (
BGE 124 IV 106
E. 3b mit Hinweisen; vgl. nunmehr die von den Eidgenössischen Räten verabschiedete Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität; Verbot des Besitzes harter Pornographie] vom 5.10.2001, BBl 2001 S. 5741). Als zentrales Rechtsgut von
Art. 197 Ziff. 3 StGB
erscheint die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Insofern handelt es sich bei dieser Vorschrift um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Daneben dient die Bestimmung auch dem Schutz der Erwachsenen. Dem liegt - ähnlich wie beim Tatbestand der Gewaltdarstellungen gemäss
Art. 135 StGB
- der Gedanke zugrunde, dass sich die im Gesetz genannten Darstellungen und Vorführungen auf den Verbraucher korrumpierend auswirken können, mithin an sich geeignet sind, beim Betrachter u.a. die Bereitschaft zu erhöhen, das Geschehen selbst nachzuahmen. In diesem Sinne weckt der Konsum kinderpornographischer Erzeugnisse die Nachfrage für die Herstellung solcher Produkte und schafft den finanziellen Anreiz zur Begehung schwerer Straftaten. Insofern trägt er mittelbar zum sexuellen Missbrauch von in solchen Machwerken zur Schau gestellten Kindern bei. Die Bestimmung von
Art. 197 Ziff. 3 StGB
will daher insbesondere auch die potentiellen "Darsteller" harter Pornographie vor sexueller Ausbeutung, Gewalt und erniedrigender bzw. menschenunwürdiger Behandlung bewahren. Auch insoweit geht es letzten Endes in jedem Fall um eine aus dem Konsum harter Pornographie resultierende abstrakte Rechtsgutsgefährdung (
BGE 124 IV 106
E. 3c/aa mit zahlreichen Hinweisen; vgl. auch die Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes [Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität/Verjährung bei Sexualdelikten an Kindern und Verbot des Besitzes harter Pornographie] vom 10.5.2000, BBl 2000 S. 2943, 2977]).
Nach der Rechtsprechung stellt
Art. 197 Ziff. 3 StGB
Tathandlungen unter Strafe, von denen die Gefahr der Weiterverbreitung ausgehen kann ("herstellt, einführt"), oder die auf eine Verbreitung harter Pornographie ausgerichtet sind ("lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht"). Dabei erfasst die Bestimmung auch blosse Vorbereitungshandlungen. Verbreitungsabsicht ist als subjektives Tatbestandsmerkmal aber nicht erforderlich. Die Tathandlungen des Herstellens und des Einführens sind nicht ausschliesslich deshalb strafbar, weil sie Vorbereitungshandlungen zur Verbreitung der Erzeugnisse sein können. Vielmehr begründet nach
BGE 128 IV 25 S. 29
der Rechtsprechung auch derjenige, der ausschliesslich im Hinblick auf seinen eigenen Konsum harte Pornographie herstellt oder einführt, jedenfalls eine abstrakte Rechtsgutsgefährdung im oben umschriebenen Sinne. Insbesondere der vom Gesetzgeber hervorgehobene Gedanke der potentiell korrumpierenden Wirkung solcher Erzeugnisse auf den Verbraucher steht dem Ansinnen entgegen, die Strafbarkeit der fraglichen Tathandlungen generell auf die Fälle einzuschränken, in denen der Täter mit Verbreitungsabsicht gehandelt hat (so
BGE 124 IV 106
E. 3c/bb). Aus diesem Grund hat das Bundesgericht angenommen, aus der Straflosigkeit des Erwerbs und des Besitzes harter Pornographie zum eigenen Konsum könne nicht geschlossen werden, dass auch das Herstellen und Einführen solcher Erzeugnisse zu diesem Zweck straflos bleiben müssten (
BGE 124 IV 106
E. 3c). Dementsprechend hat es die Einfuhr harter Pornographie auf dem Postweg im Hinblick auf den eigenen Konsum sowie die Herstellung derartiger Erzeugnisse zum eigenen Gebrauch als strafbar erachtet (
BGE 124 IV 106
Regest, E. 3c/bb und dd).
b) Der Schuldspruch der Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht. Der Beschwerdeführer hat bestehende Originalfotos, die sich bereits in seinem Besitz befanden, mit einer Bildkamera abfotografiert und dabei insbesondere die Geschlechtsteile der abgebildeten Mädchen vergrössert aufgenommen. Dass die Vorlagen und damit auch die vom Beschwerdeführer neu hergestellten Fotos im Sinne von
Art. 197 StGB
pornographisch sind, steht ausser Frage und ist auch nicht bestritten. Nicht zu beanstanden ist auch der Schluss, die Handlungsweise des Beschwerdeführers falle unter die Tathandlung des Herstellens im Sinne von
Art. 197 Ziff. 3 StGB
. Das Fotografieren sowie das Entwickeln und Vergrössern der bereits vorhandenen Bilder mit Hilfe des Fotolabors, an welches die Filme eingeschickt wurden, erfüllt ebenso wie das blosse Vervielfältigen, d.h. das Anfertigen weiterer Stücke eines bereits vorfabrizierten Exemplars, die Tathandlung des Herstellens im Sinne des Tatbestands. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Beschwerdeführer hier die Fotos ausschliesslich zum eigenen Gebrauch hergestellt hat. Denn wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, stellt sich bei dieser Konstellation die korrumpierende Wirkung nicht anders dar als bei der Einfuhr solcher Erzeugnisse zum Eigengebrauch. Eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt sich daher nicht. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. | null | nan | de | 2,001 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f240d857-97af-4812-a8a6-7d959ee32730 | Urteilskopf
91 II 412
58. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1965 i.S. der Eheleute P. | Regeste
Eheschutz,
Art. 169 ff. ZGB
. Ist die Sperrung eines Grundbuchblattes als Sicherungsmassnahme zulässig?
1. Eheschutzmassnahmen nach
Art. 169 ff. ZGB
unterliegen nicht der Berufung an das Bundesgericht, wohl aber der Nichtigkeitsbeschwerde aus einem der in
Art. 68 OG
vorgesehenen Gründe. (Erw. 1).
2. Welche Massnahmen kann der Richter im Verfahren nach
Art. 169 ff. ZGB
treffen? (Erw. 2).
3. Kann der Richter die Sperrung eines Grundbuchblattes verfügen:
a) als vorsorgliche Massnahme im Scheidungsprozess, gemäss
Art. 145 ZGB
? Frage offen gelassen;
b) als Eheschutzmassnahme nach
Art. 169 ff. ZGB
, um einem Ehegatten die Benutzung einer ihm zugewiesenen Wohnung im Hause des andern Ehegatten zu sichern? Frage verneint. (Erw. 3).
4. Kann der Richter das einem Ehegatten im Verfahren nach
Art. 169 ff. ZGB
zuerkannte Recht auf Benutzung einer solchen Wohnungals persönliches Recht nach
Art. 959 ZGB
im Grundbuch vormerken lassen? (Erw. 4).
5. Kassatorische Wirkung der Nichtigkeitsbeschwerde nach
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
. (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 414
BGE 91 II 412 S. 414
A.-
In dem im Mai 1963 von der Ehefrau eingeleiteten Eheschutzverfahren bewilligte ihr der Einzelrichter des Bezirks Bülach am 23. Oktober 1963 das Getrenntleben, wies ihr die eheliche Wohnung samt Hausrat in dem im Eigentum des Ehemannes stehenden Hause zur Benützung zu, setzte dem Ehemann eine Frist zum Verlassen des Hauses und stellte die Kinder unter die Obhut der Ehefrau; dem Ehemann räumte er ein Besuchsrecht ein und verpflichtete ihn zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 900.--. Die Ehefrau hatte in ihrem Gesuch auch eine über die Wohnliegenschaft zu verhängende Kanzleisperre verlangt. Der Richter traf diese Massnahme vorsorglich, hob sie aber wieder auf, da das dahingehende Begehren im Laufe des Verfahrens zurückgezogen wurde.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das der Ehemann rekurrierte, bestätigte am 20. Januar 1964 in der Hauptsache den erstinstanzlichen Entscheid. Es verlegte den vom Ehemann einzuhaltenden Auszugstermin und ermässigte die von ihm in bar zu leistenden Unterhaltsbeiträge auf monatlich Fr. 450.--. Das Haus blieb der Ehefrau zugeteilt, jedoch mit der Massgabe, dass sie die Mietzinseinnahmen aus einer ihr zugemuteten Vermietung eines Teils des Hauses selber einziehen könne, was ihr bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrages des Mannes angerechnet wurde.
C.-
Am 16. März 1964 ersuchte die Ehefrau den Richter neuerdings um Anordnung einer Grundbuchsperre. Sie wies darauf hin, dass der Ehemann das Haus zum Verkauf ausgeschrieben habe. Der Einzelrichter des Bezirks Bülach verfügte die Sperre sogleich vorsorglich und bestätigte sie am 11. Mai 1964 als Kanzleisperre im Sinne von § 29 der kantonalen Grundbuchverordnung.
D.-
Den gegen diese Verfügung gerichteten Rekurs des Ehemannes wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 19. März 1965 ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Allerdings wurde es bisher als unzulässig bezeichnet, im Eheschutzverfahren Massnahmen zur Sicherstellung eines Vorschlagsanteils zu treffen; die Grundbuchsperre wurde "teilweise" überhaupt verpönt. Im vorliegenden Falle geht es jedoch um die Sicherung eines in einem vorausgegangenen Eheschutzverfahren bereits rechtskräftig anerkannten Anspruchs der Ehefrau und des darauf beruhenden Besitzes. Die Zuweisung der Wohnung an sie ist zwar an und für sich bereits vollzogen; der Ehemann
BGE 91 II 412 S. 415
hat das Haus verlassen. Nachher ist aber die Ehefrau in ihrem Wohnungsbesitz durch das Vorhaben des Ehemannes, über die Liegenschaft zu verfügen, gestört worden. Gegen eine solche Gefährdung sind richterliche Schutzmassnahmen zulässig, insbesondere kann eine Grundbuchsperre verhängt werden. Voraussetzung hiefür ist die Glaubhaftmachung einer Gefährdung oder eines widerrechtlichen Eingriffes. Die Gefahr eines Hausverkaufes ist im vorliegenden Falle hinreichend glaubhaft gemacht. - Die Ehefrau hat einen ihr rechtskräftig zuerkannten Anspruch auf die heutige eheliche Wohnung. Dieser Anspruch wird nicht grundlos gemacht durch das Angebot des Ehemannes, ihr und den Kindern, falls sie ausziehen müssten, eine andere Wohnung zu beschaffen. Die bestehende Regelung könnte nur durch einen neuen Eheschutzentscheid geändert werden. - Auch die auf Einschränkung der Sperre gehenden Eventualanträge des Ehemannes sind einstweilen nicht zu schützen. Würde ihm auch nur die Aufnahme weiterer Grundpfanddarlehen gestattet, so wäre das Wohnrecht der Ehefrau bereits gefährdet. Und ob ein Verkauf des Hauses dann zu bewilligen wäre, wenn der Käufer die Verpflichtung einginge, das Wohnrecht der Ehefrau des Verkäufers zu respektieren, könnte der Richter nur auf Grund eines ihm vorgelegten bestimmten Vertrages prüfen. - Unbegründet ist endlich die Einrede des Ehemannes, der Anordnung einer Grundbuchsperre stehe die rechtskräftige Erledigung des im frühern Verfahren von der Ehefrau gestellten dahingehenden Begehrens durch Rückzug entgegen. Seither haben sich die Verhältnisse geändert. Das neue Begehren stützt sich auf einen andern Sachverhalt.
E. - Gegen diesen Entscheid hat der Ehemann folgende Rechtsmittel ergriffen: eine Nichtigkeitsbeschwerde des kantonalen Rechtes, die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht und eine staatsrechtliche Beschwerde.
a) Das kantonale Kassationsgericht hat die bei ihm eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde am 27. September 1965, soweit darauf einzutreten war, abgewiesen. Die Begründung geht im wesentlichen dahin: Ob der Ehefrau durch die Zuweisung der ehelichen Wohnung an sie, laut Verfügung im vorausgegangenen Eheschutzverfahren, Ansprüche erwachsen seien, die den Rechten des eingetragenen Grundeigentümers vorgehen, ist eine Frage des eidgenössischen Zivilrechts, auf welche das Kassationsgericht nicht eintreten kann. Sollte sie zu bejahen sein
BGE 91 II 412 S. 416
(worüber das Bundesgericht im Verfahren der bei ihm erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde wird befinden können), so verletzt der angefochtene Entscheid das kantonale Prozessrecht nicht. Dieses sieht zum Schutz des Besitzes Anordnungen vor, welche die Verfügung über bestimmte Vermögensstücke verhindern; dazu gehört auch die Grundbuchsperre. Dem tatsächlichen Besitzer steht der Besitzesschutz auch gegen den im Grundbuch Eingetragenen zu (Homberger, N 17 zu
Art. 937 ZGB
).
b) Das staatsrechtliche Verfahren ist eingestellt worden.
c) Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde nach
Art. 68 OG
stellt der Ehemann die Anträge: 1. der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Angelegenheit an das Obergericht zurückzuweisen; 2. das Grundbuchamt Bassersdorf sei anzuweisen, die bestehende Kanzleisperre, lastend auf der Liegenschaft..., sofort zu löschen und aufzuheben.
Die Ehefrau trägt auf Abweisung der Beschwerde an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht lässt offen, ob sich die nach formell rechtskräftigem Abschluss eines Eheschutzverfahrens verfügte Grundbuchsperre ebenfalls noch als (zusätzliche) Eheschutzmassnahme oder aber als Vollstreckungsmassnahme (des kantonalen Prozessrechts) kennzeichne. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine Zivilrechtsstreitigkeit, und daher ist der angefochtene Entscheid kein der Berufung an das Bundesgericht unterliegender Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
. In der Tat ist das Eheschutzverfahren nach
Art. 169 ff. ZGB
, wie mehrmals entschieden wurde, keine Streitigkeit solcher Art; wohl aber ist es eine nach Massgabe von
Art. 68 OG
der Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegende Zivilsache (
BGE 72 II 56
,
BGE 80 I 308
Erw. 2,
BGE 85 II 288
Erw. 1; nicht veröffentlichtes Urteil vom 6. Juli 1965 i.S. Joseph). Auch die vom Obergericht bewilligte Grundbuchsperre ist richtigerweise als Eheschutzmassnahme zu betrachten, gleichgültig ob sie in einem eigentlichen (zweiten) Eheschutz- oder in einem sog. Befehlsverfahren angeordnet wurde. Denn sie bedeutet einen zusätzlichen Eingriff in das Vermögen des Ehemannes zur Sicherung der als Eheschutzmassnahme beschlossenen Zuweisung der ehelichen Wohnung an die Ehefrau. Somit hat man es mit einer neuen (ergänzenden) Eheschutzmassnahme zu tun.
2.
Als Grund zur vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde
BGE 91 II 412 S. 417
wird
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
angerufen (Anwendung kantonalen statt des massgebenden eidgenössischen Rechtes): Das Obergericht habe statt der bundesrechtlichen Normen der
Art. 169 ff. ZGB
(Eheschutz) kantonales Prozessrecht angewendet, nämlich § 372 (betreffend Vollstreckung eines gerichtlich festgestellten Anspruchs) in Verbindung mit § 292 Ziff. 3 der Zürcher ZPO (betreffend Schutz des Besitzes). Diese Rüge ist begründet, wenn die vom angefochtenen Entscheid bewilligte Grundbuchsperre sich nicht unter die nach
Art. 169 ff. ZGB
zulässigen Massnahmen einreihen lässt.
Im Unterschied zu Art. 192 Abs. 2 des Vorentwurfs des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes stellt das ZGB es in der Tat nicht in das Ermessen des Richters, im Eheschutzverfahren nach fruchtloser Mahnung des pflichtvergessenen Ehegatten schlechthin "die zum Schutze der Gemeinschaft erforderlichen Massregeln" zu treffen. Vielmehr lässt
Art. 169 Abs. 2 ZGB
nur die "vom Gesetz vorgesehenen Massregeln" zu. Dadurch wird das richterliche Ermessen, entsprechend dem Beschluss des Nationalrates (Sten.Bull. 15 S. 652), bewusst eingeschränkt (vgl. EGGER, 2.A., N 7, GMÜR, 2.A., N 29, und LEMP, N 17
Art. 169 ZGB
). Wenn und solange keine auf Ehescheidung oder -trennung gehende Klage hängig und daher
Art. 145 ZGB
nicht anwendbar ist, soll danach der Richter möglichst wenig in das persönliche Eherecht eingreifen. Es ist ihm untersagt, einfach alles vorzukehren, was ihm zum Schutz irgendwelcher Ansprüche eines Ehegatten gegenüber dem andern als geeignet und angemessen erscheinen möchte. Der Eheschutz ist grundsätzlich vom Gesetz in abschliessender Weise geordnet (vgl. auch
BGE 91 II 76
mit Literaturhinweis).
Immerhin sind die in
Art. 170 und 171 ZGB
aufgestellten Normen nicht erschöpfend. Es kann nicht Wille des Gesetzes sein, dass der Richter bei Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes nach
Art. 170 Abs. 1 ZGB
sich darauf beschränke, die Beiträge des einen Ehegatten an den Unterhalt des andern nach Abs. 3 daselbst festzusetzen. Er muss auch die weitern Anordnungen treffen, welche die neue Lage gebieterisch erfordert; Zuweisung der Kinder, Festsetzung der Unterhaltsbeiträge für sie, Zuteilung von Mobiliar, und dergleichen mehr (vgl. EGGER, a.a.O.; GMUR, a.a.O. N 29 a; LEMP a.a.O., der mit Recht bemerkt, solche Massnahmen seien durch Auslegung der
Art. 169 ff. ZGB
nach
Art. 1 Abs. 1 ZGB
gedeckt).
BGE 91 II 412 S. 418
Im übrigen kann das Eheschutzverfahren Anlass zu Massnahmen bieten, die zwar ausserhalb des Rahmens dieser Normen selbst stehen, jedoch in andern Bestimmungen des ZGB vorgesehen sind. So etwa die Entziehung der Vertretungsbefugnis der Ehefrau (
Art. 164 ZGB
), die ihr zu erteilende Bewilligung, einen Beruf oder ein Gewerbe auszuüben (Art. 167), die Sicherstellung des Frauengutes (Art. 205 Abs. 2). Der Richter darf solche Massnahmen mit den eigentlichen Eheschutzmassnahmen verbinden, sofern die für jene geltenden besonderen Voraussetzungen erfüllt sind und er hiezu nach kantonalem Recht, sei es ohnehin oder eben in Verbindung mit Eheschutzmassnahmen, ebenfalls zuständig ist (vgl. LEMP, N 18 zu
Art. 169 ZGB
mit Hinweisen).
3.
Die vorliegende Grundbuchsperre wird im angefochtenen Entscheide ausschliesslich auf kantonales Prozessrecht gestützt. Der Entscheid erklärt, das von der Ehefrau eingeleitete Verfahren betreffe "einen Besitzesschutz im Rahmen von Vollstreckungsmassnahmen, bzw. eine ergänzende Massnahme zur Sicherung des schon festgestellten Rechtes." Als solche Massnahme falle - bei Glaubhaftmachung einer Gefährdung oder eines widerrechtlichen Eingriffes, was hier zutreffe - auch die Grundbuchsperre in Betracht. Diese Ansicht erweckt Bedenken.
a) Daraus, dass der Ehefrau die eheliche Wohnung im Haus des Ehemannes im frühern Eheschutzverfahren bereits (formell) rechtskräftig zugewiesen wurde (mit dem solchen Schutzmassnahmen anhaftenden Vorbehalt der Aufhebung oder Änderung beim Eintritt neuer Verhältnisse;
Art. 172 ZGB
), lässt sich nichts für die Rechtsbeständigkeit der verfügten Grundbuchsperre herleiten. Die Frage geht dahin, ob diese zusätzliche Massnahme zulässig sei, wobei es keinen Unterschied ausmacht, ob sie gleichzeitig oder in einem neuen Verfahren getroffen wird. Die Zuweisung der bisher von den Eheleuten und den Kindern gemeinsam benutzten Wohnung an die Ehefrau war im neuen Verfahren nicht mehr streitig. Ob die Ehefrau aber zur Sicherung dieses ihr im Rahmen des Eheschutzes zuerkannten Wohnungsbesitzes und -genusses eine Grundbuchsperre verlangen dürfe, ist eine Frage für sich.
b) Als Grundbuchsperre wird im allgemeinen, und so auch im angefochtenen Entscheid, eine unmittelbar an das Grundbuchamt gehende richterliche Anweisung verstanden, auf einem bestimmten Hauptbuchblatt bis auf weiteres oder während bestimmter
BGE 91 II 412 S. 419
Zeit oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses überhaupt keine Eintragung vorzunehmen (sog. Kanzleisperre) oder eine einzelne Anmeldung oder Anmeldungen bestimmter Art nicht durch Eintragung in das Hauptbuch zu vollziehen. Eine vollständige Kanzleisperre ist dem eidgenössischen Zivilrecht unbekannt; dagegen sieht es eine teilweise Grundbuchsperre in besondern Fällen vor (vgl. HOMBERGER, N 2 ff. zu
Art. 960 ZGB
mit Hinweis auf die Spezialbestimmungen von
Art. 841 ZGB
, Art. 42/43 des eidg. Enteignungsgesetzes, Art. 7 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1930 über die Sicherstellung von Ansprüchen aus Lebensversicherung inländischer Gesellschaften und
Art. 137 SchKG
). Von solchen gesetzlichen Ausnahmefällen abgesehen, gewährt das ZGB einem Dritten Schutz vor grundbuchlichen Verfügungen lediglich durch das Mittel der Vormerkung gemäss Art. 959-961. Die Vormerkung sperrt das Grundbuch nicht, verleiht aber den betreffenden persönlichen Rechten und den in solcher Weise gesicherten Verfügungsbeschränkungen "Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Rechte" (
Art. 959 Abs. 2 und
Art. 960 Abs. 2 ZGB
), und bei vorläufiger Eintragung wird "das Recht für den Fall seiner spätern Feststellung vom Zeitpunkte der Vormerkung an dinglich wirksam" (
Art. 961 Abs. 2 ZGB
). Ob das kantonale Recht befugt sei, als weitergehende Sicherung vormerkbarer Rechte, oder sogar darüber hinaus als Sicherung anderer Rechte, eine bundesrechtlich nicht vorgesehene Kanzleisperre einzuführen, ist umstritten. Die Zürcher Grundbuchverordnung vom 26. März 1958 anerkennt die Einrichtung der "Kanzleisperre" in § 29, lautend:
"Von Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden erlassene Kanzleisperren nach kantonalem Prozessrecht sind im Grundbuch anzumerken und im Eigentümerverzeichnis zu erwähnen. Sie schliessen im Umfange der Anordnung jede Verfügung über das Grundstück aus."
Die Zürcher ZPO ihrerseits bestimmt in § 293, dass im Befehlsverfahren Anordnungen getroffen werden können, "durch welche der Beklagte in der Verfügung über bestimmte Vermögensobjekte gehindert wird", und als Mittel hiezu kann nach der Gerichtspraxis auch die Sperrung des Grundbuches dienen (STRÄULI/HAUSER, Kommentar, 2.A., N 7 zu § 293 mit Hinweis auf BlZR 18 Nr. 29). Namentlich wenden die Zürcher Gerichte (und ihnen folgend das Thurgauer Obergericht, ZBGR Bd. 28 S. 210) die Grundbuchsperre als vorsorgliche Massregel nach
BGE 91 II 412 S. 420
Art. 145 ZGB
im Ehescheidungsprozess an, um auf solche Weise die güterrechtlichen Ansprüche desjenigen Ehegatten zu sichern, der das eheliche Vermögen nicht in Händen hat. Dieser Betrachtungsweise stehtBGE 78 II 89ff. gegenüber, wonach es nicht zulässig ist, auf Grund von
Art. 145 ZGB
zur Sicherung einer Forderung der Ehefrau aus ehelichem Güterrecht eine Verfügungsbeschränkung nach
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
auf einem Grundstück des Ehemannes vormerken zu lassen; denn darin liege ein verschleierter Arrest, der beim Fehlen der Voraussetzungen des
Art. 271 SchKG
zu verpönen sei. Wenn es sich so verhält, darf vollends die weitergehende Sicherungsmassnahme einer Grundbuchsperre nicht zugelassen werden. Dies hebt auch die redaktionelle Bemerkung zum soeben erwähnten Entscheid in ZBGR 35 S. 112 hervor. Sie nimmt im übrigen kritisch zum Entscheide Stellung und wirft die Frage auf, ob es nicht doch im Sinne von
Art. 145 ZGB
liege, zur Sicherung von Güterrechtsansprüchen eine Verfügungsbeschränkung und darüber hinausgehend, wo es als angemessen erscheint, eine Grundbuchsperre anzuordnen. So betrachtet, würde nach der erwähnten Bemerkung
Art. 145 ZGB
eine, nicht an die Voraussetzungen der Arrestnahme nach
Art. 271 SchKG
gebundene bundesrechtliche Sondernorm darstellen. Auf diesem Gedanken beruht auch die aargauische Gerichtspraxis zu
Art. 145 ZGB
(Aarg. Gerichts- und Verwaltungsentscheide 1957 S. 39/40 mit Hinweis auf SJZ 1950 S. 110). HINDERLING (Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 2.A., S. 110) hält eine richterliche Verfügungsbeschränkung als Massnahme nach
Art. 145 ZGB
ebenfalls für zulässig; dagegen verwirft er die Kanzleisperre als eine dem Grundbuch fremde Einrichtung (Fussnote 79 daselbst). Gegen die Einführung einer Kanzleisperre durch das kantonale Prozessrecht haben sich auch die Behörden verschiedener Kantone ausgesprochen (angeführt bei H.E. MÜLLER, Zur Frage der Grundbuchsperre im geltenden schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1942, S. 56; im gleichen Sinn der neuere Entscheid des Luzerner Obergerichts, der die frühere Praxis bestätigt, in ZBGR Bd. 28 S. 242, sowie u.a. WIELAND, N 2 zu
Art. 960 ZGB
und LEUCH, N 4 zu Art. 326 der Berner ZPO). Die gegenteilige Zürcher Praxis entspricht in ihrem Grundgedanken der Auffassung von LEEMANN (SJZ 23/1927, S. 209 ff., Grundbuchsperren nach kantonalem Prozessrecht), der erklärt, die richterlich verfügte Grundbuchsperre habe als prozessuale Massnahme den gleichen Zweck wie die nach
Art. 960 ZGB
im Grundbuch
BGE 91 II 412 S. 421
vorzumerkende Verfügungsbeschränkung. Sie bilde daher keine Abänderung, sondern eine Verstärkung des bundesrechtlichen Instituts der Vormerkung; sie diene einfach in noch wirkungsvollerer Weise zur Erhaltung des bestehenden Zustandes hinsichtlich des Streitgegenstandes. Unzulässig sei es nur, sie zur Sicherung einer Geldforderung zu verwenden (weshalb dieser Autor die Anordnung einer Grundbuchsperre als Massregel nach
Art. 145 ZGB
zur Sicherung güterrechtlicher Ansprüche nicht billigt). Die zürcherische Praxis zu
Art. 145 ZGB
geht, wie gesagt, weiter. Dagegen hat sie bisher die Zulässigkeit einer Grundbuchsperre zur Sicherung von Eheschutzmassnahmen als ausserhalb der Schranken des
Art. 169 Abs. 2 ZGB
liegend abgelehnt (vgl. BlZR 49 Nr. 192, 51 Nr. 170, 55 Nr. 86, 57 Nr. 101 und 102). Im vorliegenden Fall erklärt nun aber das Obergericht, diese im Eheschutzverfahren geübte Zurückhaltung gegenüber der Grundbuchsperre sei "je und je als unbefriedigend empfunden worden."
c) Das Bundesgericht hat die Frage, ob eine Grundbuchsperre ausserhalb der besonderen bundesrechtlich vorgesehenen Fälle zulässig sei, in
BGE 87 I 479
ff. nicht umfassend geprüft. Damals wurde (speziell S. 488 ff.) ausgesprochen, das Grundbuchamt habe eine vom Richter verfügte teilweise Grundbuchsperre (nämlich das Verbot der Eintragung eines bestimmten vom Grundeigentümer angemeldeten Kaufvertrages bis zur rechtskräftigen Austragung eines Prätendentenstreites) zu beachten; eine solche Sperre gehe weniger weit als ein - ebenfalls möglicher - richterlicher Befehl an den Eigentümer, die betreffende Meldung einstweilen überhaupt zurückzuziehen. (Grundsätzlich zustimmend H. HUBER, Redaktor der ZBGR, in Bd. 44 S. 119; ablehnend die kritische Besprechung von LIVER, ZbJV 98 S. 429 ff.: die Regelung des
Art. 960 ZGB
sei abschliessend; "irgendwelche kantonalrechtlichen Ergänzungen oder Verstärkungen sind dadurch ausgeschlossen"). HOMBERGER, N 2 und 7-9 zu
Art. 960 ZGB
, nimmt eine vermittelnde Stellung ein. Er unterscheidet von der eigentlichen Grundbuchsperre (völlige oder teilweise Schliessung des Hauptbuchblattes) die materiellrechtliche Beschränkung, welche eine sonst verfügungsberechtigte Person hindert, eine grundbuchliche Verfügung zu treffen. Eine solche "materielle Hinderung" wegen beschränkter Verfügungsbefugnis des Berechtigten verpflichte den Grundbuchführer, eine dennoch erfolgte Anmeldung abzuweisen, und wirke sich daher wie eine Grundbuchsperre aus. Unter diesem
BGE 91 II 412 S. 422
Gesichtspunkt sei zu beachten, dass eine Verfügungsbeschränkung nach
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
auch zur Sicherung von Ansprüchen auf ein Unterlassen angeordnet werden könne. Der genannte Autor nennt als Hauptanwendungsfall den durch die meisten Prozessgesetze eingeräumten Anspruch auf Entzug der freien Verfügung über den Streitgegenstand nach Klageanhebung. In solchen Fällen lasse sich ein Verfügungsverbot vormerken, das auch der Grundbuchführer selbst zu beachten habe. "In diesem Sinne" sei der zürcherischen Praxis und den Ausführungen von H. LEEMANN, a.a.O., zuzustimmen.
d) Zu diesen Literaturmeinungen braucht hier nicht Stellung genommen zu werden. Es kann offen bleiben, ob es dem kantonalen Prozessrecht zustehe, neben der richterlichen Verfügungsbeschränkung im Sinne von
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
ein stärkeres Sicherungsmittel in Gestalt einer richterlich anzuordnenden Grundbuchsperre vorzusehen (besonders zur Verhinderung der Veräusserung oder Veränderung des Streitgegenstandes), und es ist hier auch nicht zu entscheiden, ob auf Grund von
Art. 145 ZGB
ohne Rücksicht auf die der Arrestnahme durch
Art. 271 SchKG
gezogenen Schranken eine Verfügungsbeschränkung oder sogar eine Grundbuchsperre zur Sicherung fälliger oder erst in Zukunft fällig werdender Geldforderungen verfügt werden dürfe. Der auf der Anwendung kantonalen Prozessrechts beruhende angefochtene Entscheid hält jedenfalls aus folgenden Gründen nicht vor dem Bundesrechte stand:
Vom besondern Falle der im Scheidungsprozesse zu treffenden Massregeln nach
Art. 145 ZGB
abgesehen, besteht auch bei den Befürwortern der kantonalen Grundbuchsperre Einigkeit darüber, dass ihr nur die Aufgabe einer verstärkten Verfügungsbeschränkung zukommt; sie soll die betreffenden Verfügungen wirklich hindern, nicht nur die in
Art. 960 Abs. 2 ZGB
vorgesehene Rangfolge eintreten lassen. Die Sperre ist also ebenso wie die nach
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
vormerkbare Verfügungsbeschränkung, wenn überhaupt, so doch nur "zur Sicherung streitiger oder vollziehbarer Ansprüche" zulässig. Sie ist an die Voraussetzungen der nach dieser bundesrechtlichen Norm vormerkbaren Verfügungsbeschränkung gebunden (vgl. namentlich LEEMANN, a.a.O., und H. HUBER in ZBGR 35 S. 112, der ausdrücklich erklärt, eine solche Kanzleisperre könne nur in jenen Fällen angeordnet werden, wo auch eine Verfügungsbeschränkung vormerkbar ist; vgl. auch Obergericht Aargau, Gerichtsentscheide 1963 S. 54 ff., insbesondere S. 61 oben).
BGE 91 II 412 S. 423
Nun hat aber
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
persönliche Ansprüche im Auge, die das betreffende Grundstück zum Gegenstand haben: so namentlich Ansprüche auf Eigentumsübertragung, auf Dienstbarkeits- oder Grundlasterrichtung, auf Vormerkung persönlicher Rechte gemäss
Art. 959 ZGB
; Ansprüche also, die sich, wenn endgültig anerkannt, grundbuchlich auswirken müssen. Blosse obligatorische Nutzungs- und Benutzungsrechte, insbesondere Miete und Pacht, für welche die Vormerkung gemäss
Art. 959 ZGB
nicht vereinbart ist, können sich auch bei endgültiger Durchsetzung nicht grundbuchlich auswirken und fallen deshalb ausser Betracht (HOMBERGER, N 11 zu
Art. 960 ZGB
). Um nichts anderes aber handelt es sich im vorliegenden Falle. Der Ehefrau ist lediglich ein persönliches Recht auf Nutzung und Benutzung der dem Ehemann gehörenden Wohnliegenschaft eingeräumt worden. Ein Anspruch auf Unterlassung jeglicher Verfügung des Eigentümers, wie Verkauf, Dienstbarkeitseinräumung oder Grundpfandbelastung, steht ihr nicht zu. (Ein solcher Anspruch wäre übrigens nicht einmal mit einem dinglichen Wohnrecht verbunden). Die vom Obergericht angeordnete vollständige Kanzleisperre liegt somit ausserhalb des Rahmens einer Verfügungsbeschränkung nach
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
, und es hat daher die Anwendung der ihr zu Grunde liegenden Bestimmungen des kantonalen Prozessrechts vor der derogatorischen Kraft des Bundesrechts zu weichen.
Die umstrittene Frage sodann, ob sich aus
Art. 145 ZGB
für die Dauer eines Scheidungsprozesses Sicherungsansprüche besonderer Art herleiten lassen, ist hier nicht zu erörtern (vgl. die Teile III und IV der Sammlung Praxis zum schweizerischen Ehescheidungsrecht, bearbeitet von R. KEHL, S. 57 ff.). Wie bereits dargelegt, gilt das dem Ehescheidungsrichter nach
Art. 145 ZGB
zustehende freie Ermessen nicht im Bereich des Eheschutzes. Dieser soll gerade auch dazu dienen, einen endgültigen Bruch zwischen den Ehegatten zu vermeiden, und es ist das richterliche Eingreifen eben deshalb durch
Art. 169 Abs. 2 ZGB
auf "die zum Schutz der Gemeinschaft erforderlichen, im Gesetz vorgesehenen Massregeln" beschränkt. Darin ist kein Raum für die Sicherung eines persönlichen Nutzungs- und Benutzungsrechtes an einem Grundstück durch Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung oder durch eine Grundbuchsperre.
4.
Eine Frage für sich bildet es, ob der Richter im Eheschutzverfahren befugt sei, das einem Ehegatten zuerkannte Recht zur Benutzung der ehelichen Wohnung (und unter besondern
BGE 91 II 412 S. 424
Umständen, wie sie hier vorliegen, zur darüber hinausgehenden Nutzung der dem andern Ehegatten gehörenden Wohnliegenschaft mit Anrechnung der Erträgnisse auf den Unterhaltsanspruch) im Sinne von
Art. 959 ZGB
als vormerkbar zu erklären, und ob der Grundbuchführer verpflichtet wäre, eine dahingehende Verfügung zu befolgen. Eine solche richterliche Anordnung müsste sich als analoge Anwendung der Bestimmungen über den Mietvertrag rechtfertigen lassen, in dem Sinne, dass das dem einen Ehegatten zuerkannte Recht auf Benutzung der ehelichen Wohnung einem Mietverhältnis besonderer Art gleichgeachtet und ausserdem angenommen würde, der Richter könne die in Wirklichkeit fehlende Vereinbarung der Vormerkung durch eine dahingehende amtliche Verfügung ersetzen. Im vorliegenden Falle wurde nicht so vorgegangen, so dass es sich erübrigt, die Möglichkeit einer solchen Regelung zu erörtern. Sollte in einem Eheschutzverfahren eine richterliche Anordnung solchen Inhalts getroffen werden, der Grundbuchführer die Vormerkung aber als ausserhalb des
Art. 959 ZGB
stehend ablehnen, so könnte darüber auf dem Beschwerdeweg eine Entscheidung herbeigeführt werden. Selbst wenn eine solche Vormerkung als zulässig befunden würde, könnte aber eine Verfügungsbeschränkung nach
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
nur eben zur Sicherung des in Frage stehenden Nutzungs- und Benutzungsrechtes selbst, solange dessen Vormerkung noch nicht rechtskräftig bewilligt wäre, Platz greifen, und zwar ebenfalls in Gestalt einer Vormerkung. Diese hätte den Gegenstand des zu sichernden Rechtes anzugeben und ihm Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Rechte zu verschaffen (vgl.
Art. 74 Abs. 1 GBV
; HOMBERGER, N 7 a.E. zu
Art. 959 ZGB
), jedoch nicht etwa anderweitige Verfügungen über das Grundstück, welche sehr wohl mit Vorbehalt jenes vorgemerkten Rechtes erfolgen können, zu verhindern.
5.
Die auf
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
gestützte Nichtigkeitsbeschwerde hat, wenn sie gutgeheissen wird, kassatorische Wirkung. Das Bundesgericht kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden (
BGE 83 II 200
Erw. 3).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 10. März 1965 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f2469452-a94a-4125-ac47-182d22609a06 | Urteilskopf
141 IV 203
25. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Departement Volkswirtschaft und Inneres, Amt für Justizvollzug und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_798/2014 vom 20. Mai 2015 | Regeste
Art. 56 Abs. 6 und Art. 65 Abs. 1 i.V.m.
Art. 59 StGB
.
Damit eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 65 Abs. 1 i.V.m.
Art. 59 StGB
nachträglich (überhaupt) angeordnet und - a fortiori - weitergeführt werden kann, setzt
Art. 65 Abs. 1 StGB
voraus, dass der Täter zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde (E. 3.2). | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 141 IV 203 S. 203
A.
X. wurde mit zwei Strafbefehlen vom 9. September 2010 und 17. März 2011 zu Geldstrafen von 30 bzw. 150 Tagessätzen verurteilt. Die beiden Geldstrafen wurden am 3. Januar 2012 in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Während ihres Vollzugs ordnete das Bezirksgericht Bremgarten am 5. Juli 2012 auf Antrag des Amts für Justizvollzug eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 65 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 59 StGB
an. Das bezirksgerichtliche Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Die stationäre therapeutische Massnahme wurde in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg und im Therapiezentrum Im Schache
BGE 141 IV 203 S. 204
vollzogen. Am 15. Juli 2013 verweigerte das Amt für Justizvollzug des Kantons Aargau (AJV) die bedingte Entlassung von X. Am 23. Dezember 2013 ordnete es dessen vorübergehende Unterbringung im Zentralgefängnis Lenzburg an. Am 3. März 2014 wurde X. zum Massnahmenvollzug in die psychiatrische Klinik Königsfelden eingewiesen.
B.
Am 16. Dezember 2013 ersuchte X. um Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme. Das AJV lehnte das Gesuch am 25. Februar 2014 ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 4. Juni 2014 ab.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 18. August 2014 beantragt X., das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 4. Juni 2014 und die angeordnete stationäre therapeutische Massnahme seien aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X. ersucht überdies um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. (...)
In Gutheissung der Beschwerde weist das Bundesgericht die Angelegenheit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.2.1
Grundlage der nachträglichen Massnahmenanordnung bzw. der Massnahmenfortführung und der damit einhergehenden Freiheitsentziehung bilden zwei in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelte Geldstrafen.
3.2.2
Art. 65 Abs. 1 StGB
regelt die nachträgliche stationäre therapeutische Massnahme. Diese bildet eine sehr eingriffsintensive Intervention zu Lasten des Verurteilten. Damit eine solche Massnahme (überhaupt) angeordnet und - a fortiori - weitergeführt werden kann, setzt die genannte Gesetzesbestimmung in formeller Hinsicht voraus, dass der Täter zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde (vgl. SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafen und Massnahmen, 8. Aufl. 2007, S. 224 f.). Gemeint ist damit eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe im Sinne von
Art. 40 StGB
.
3.2.3
Eine im Strafbefehlsverfahren ergangene Verurteilung zu einer Geldstrafe gemäss
Art. 34 StGB
erfüllt diese Voraussetzung offenkundig nicht, auch wenn sie ersatzweise als Freiheitsstrafe vollzogen wird (
Art. 36 StGB
). Denn die Geldstrafe wird in Ersatzfreiheitsstrafe nur umgewandelt, wenn der Verurteilte sie nicht bezahlt und
BGE 141 IV 203 S. 205
diese auch auf dem Betreibungsweg uneinbringlich ist. Trotz Umwandlung kann der Verurteilte durch nachträgliche vollständige oder teilweise Bezahlung der Geldstrafe den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in entsprechendem Umfang vermeiden. Darin zeigt sich, dass die Ersatzfreiheitsstrafe ihrer Natur nach lediglich Geldstrafenvollzug ist. Sie ist mit andern Worten nur Behelf zur Durchsetzung des primär auf Geldleistung gerichteten Strafanspruchs des Staates (siehe
BGE 129 IV 212
E. 2.3;
BGE 124 IV 205
E 8b;
BGE 105 IV 14
E. 2 zur Umwandlungsstrafe bei Nichtbezahlung der Busse unter altem Recht; vgl. ANNETTE DOLGE, Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 5 und 16 zu
Art. 36 StGB
; SANDRO CIMICHELLA, Die Geldstrafe im Schweizer Strafrecht, 2006, S. 250; YVAN JEANNERET, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 1 zu
Art. 36 StGB
).
3.2.4
Eine Ersatzfreiheitsstrafe bildet demnach nicht Freiheitsstrafe im Sinne von
Art. 40 StGB
. Auf ihrer Grundlage kann eine nachträgliche stationäre therapeutische Massnahme gemäss
Art. 65 Abs. 1 StGB
damit von vornherein offensichtlich weder angeordnet noch weitergeführt werden. Der hier zu beurteilenden Massnahme fehlt(e) es damit von Anfang an einer Grundvoraussetzung. Sie ist daher im Sinne von
Art. 56 Abs. 6 StGB
aufzuheben. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
f248f93a-abca-40b0-973f-3a2f8d527a8b | Urteilskopf
140 V 241
33. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_897/2013 vom 27. Juni 2014 | Regeste
Art. 4 Abs. 1 und
Art. 9 Abs. 1 AHVG
;
Art. 17 und 23 AHVV
;
Art. 18 Abs. 2 DBG
; Beitragspflicht auf Mieterträgen von sich im Geschäftsvermögen befindenden Liegenschaften.
Mieterträge aus Liegenschaften, die zum Geschäftsvermögen gehören, unterliegen kraft dieses Umstandes als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit der AHV-Beitragspflicht, sofern bei Geschäftsaufgabe keine Überführung ins Privatvermögen stattfindet. Der Betroffene gilt in der Folge AHV-rechtlich als Selbstständigerwerbender, selbst wenn er die Geschäftstätigkeit nicht selber fortsetzt (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4.2). | Sachverhalt
ab Seite 242
BGE 140 V 241 S. 242
A.
Der 1935 geborene A. vermietet seinem Sohn B. seit 1998 die Bäckerei-Konditorei in der Liegenschaft C., welches Geschäft er bis zum 31. März 1998 in dritter Generation betrieben hatte und das durch den Sohn weitergeführt wird. Mit Verfügungen vom 21. Mai 2010 setzte die Ausgleichskasse der SVA Zürich (nachfolgend: Ausgleichskasse) erstmals für die Jahre 2005-2008 AHV/IV/EO-Beiträge für selbstständige Erwerbstätigkeit von A. fest. Die von diesem erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 25. April 2012 ab.
B.
Mit Entscheid vom 14. Oktober 2013 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die von A. eingereichte Beschwerde gut. Es stellte fest, dass dieser vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 für die Erträge aus der Liegenschaft C. nicht beitragspflichtig sei.
C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheides und die Wiederherstellung des Einspracheentscheides vom 25. April 2012.
BGE 140 V 241 S. 243
A. lässt beantragen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt die Gutheissung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Vorinstanz stellte in für das Bundesgericht verbindlicher Weise (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) fest, dass der Beschwerdegegner mit Jahrgang 1935 Eigentümer der Liegenschaft ist und darin bis zur Geschäftsaufgabe am 31. März 1998 eine Bäckerei betrieben hatte. Diese vermietet er seither seinem Sohn als alleinigem Mieter und hat daraus den aus den Meldungen des Steueramtes des Kantons Zürich der Jahre 2004-2008 ersichtlichen Ertrag erzielt. Er hat sich auf die Verwaltung beschränkt, um daraus ein regelmässiges Einkommen zur Deckung des Lebensunterhaltes zu erzielen. Die Vermietertätigkeit übersteigt die blosse Gebäudeverwaltung nicht. Hinweise darauf, dass der Beschwerdegegner grössere Investitionen getätigt hätte, um das Objekt zu einem gesteigerten Wert verkaufen zu können, bestehen nicht. Unbestrittenermassen dient die Bäckerei-Liegenschaft der Geschäftstätigkeit bereits der vierten Generation der Familie.
Die Vorinstanz schloss daraus, all diese Umstände legten nahe, dass es sich bei der Liegenschaft nicht um ein Spekulationsobjekt handle, was ein Indiz dafür sei, dass der Beschwerdegegner keine auf Erwerb gerichtete Liegenschaftsverwaltung betrieben habe. Daran vermöge auch die am 25. April 2000 unterzeichnete Erklärung des Beschwerdegegners gegenüber der kantonalen Steuerverwaltung zur steuerlichen Zuordnung von Geschäftsliegenschaften nichts zu ändern, wonach die Liegenschaft nur vorübergehend vorwiegend privat genutzt sei und weiterhin als Geschäftsvermögen nach Art. 18 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) gelte. Daraus sei zu schliessen, dass der Beschwerdegegner die Liegenschaft lediglich für Steuerbelange als Geschäftsvermögen deklariert habe. Dies stehe einer anderweitigen sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung nicht entgegen. Dass sie damit gestützt auf
Art. 18 Abs. 2 DBG
aus steuerrechtlicher Sicht aufgrund des Aufschubtatbestands als Geschäftsvermögen gelte, führe nicht ohne Weiteres auch aus beitragsrechtlicher Sicht zum gleichen Schluss. Der Grundgedanke des Revers sei der
BGE 140 V 241 S. 244
Wille zur Aufschiebung des steuerrechtlichen Überführungstatbestandes gewesen. Inwiefern er unter den gegebenen Umständen verpflichtet gewesen wäre, bereits eine Meldung gemäss
Art. 125 Abs. 2 DBG
zu erstatten, könne im vorliegenden Zusammenhang offenbleiben. Die Liegenschaft stelle Privatvermögen dar und deren Mietertrag hinsichtlich der im Streit liegenden Beitragsjahre 2005-2008 stamme aus privater Vermögensverwaltung. So sei der Beschwerdegegner diesbezüglich nicht als selbstständig Erwerbender AHV-beitragspflichtig.
3.2
Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, gemäss Rz. 4013 f. der Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (WSN) in der AHV, IV und EO (
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/index/category:22/lang:deu
) gehöre zum Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit namentlich auch der Ertrag der zum Geschäftsvermögen gehörenden Grundstücke und Kapitalanlagen, mit Ausnahme der Einkünfte aus gewillkürtem Geschäftsvermögen. Die Steuerbehörde habe die Liegenschaft als Teil des Geschäftsvermögens gemeldet, was nachvollziehbar sei, da der Beschwerdegegner früher als selbstständigerwerbender Bäcker gearbeitet habe. Seit fünfzehn Jahren vermiete er die Bäckerei seinem Sohn. Die Vermietung einer Bäckerei sei vergleichbar mit der Vermietung einer möblierten Wohnung oder einem möblierten Restaurant, weil neben den bestimmten Räumlichkeiten auch das Inventar, vorliegend namentlich die ausgerüstete Backstube vermietet werde. Dadurch erhalte die Vermietertätigkeit den Charakter einer wirtschaftlichen Unternehmung. Die dem Grundeigentümer zufliessenden Mietzinse stellten den Gegenwert für die Gesamtleistung dar, die auch verschiedene Arbeitsaufwendungen im Interesse der Mieter umfasse. Sie seien deshalb als Erwerbseinkommen zu qualifizieren und unterlägen der AHV-Beitragspflicht.
3.3
Der Beschwerdegegner lässt erklären, sein Sohn habe bei der Betriebsübergabe die gesamten damals vorhandenen Betriebseinrichtungen gekauft. Es gehe allein um die Vermietung der Liegenschaft zur Erzielung eines Einkommens. Kapitalerträge aus dem Privatvermögen seien jedoch AHV-beitragsfrei.
3.4
Das BSV weist darauf hin, dass wenn der Beschwerdegegner sich steuerrechtlich für die Möglichkeit der Aufschiebung der Überführung entschieden habe, gelte diese Wahl mit Blick auf den
BGE 140 V 241 S. 245
Grundsatz der steuer- und AHV-rechtlichen Parallelität sowie aus veranlagungspraktischen Gründen auch mit Bezug auf die Belange des AHV-Rechts. Es verweist in diesem Zusammenhang auf
BGE 134 V 250
E. 5.2 S. 256. Daraus folgert es, der Beschwerdegegner müsse sich "eine selbstständige Erwerbstätigkeit entgegenhalten lassen", selbst wenn er die ursprüngliche Geschäftstätigkeit als solche nicht mehr weiterführe. Die Erträge aus den sich im Geschäftsvermögen befindenden Liegenschaften unterlägen der AHV-Beitragspflicht.
4.
4.1
Der Beschwerdegegner belegt, dass er bei der Betriebsübergabe die gesamten Betriebseinrichtungen (inkl. der Backöfen) verkauft hat. Die beschwerdeführerische Argumentation zielt deshalb daneben, durch die Vermietung einer Bäckerei mitsamt Backöfen und Mobiliar erhalte die Vermietertätigkeit den Charakter einer wirtschaftlichen Unternehmung. Diese Kontroverse trifft indes nicht den entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt.
4.2
Fragen der beitragsrechtlichen Qualifikation entscheiden sich nach den konkreten wirtschaftlichen Gegebenheiten (
BGE 123 V 161
E. 1 S. 162; SVR 2009 AHV Nr. 9 S. 33 E. 2, 9C_219/2009). Liegenschaften bilden Alternativgüter, das heisst sie können sowohl zum Geschäfts- wie zum Privatvermögen gehören (Urteil 2A.52/2003 vom 23. Januar 2004 E. 2.3). Im zitierten
BGE 134 V 250
war die Beitragspflicht von Erben zu beurteilen, welche ererbte Liegenschaften im Geschäftsvermögen beliessen. Sinngemäss gleich zu behandeln ist die Sachlage, in welcher ein Unternehmer ein Geschäft aufgibt, vorerst ohne allfällige Kapitalgewinne aus dem Geschäftsvermögen zu versteuern. Wenn ein Steuerpflichtiger anlässlich der Geschäftsaufgabe mit den Steuerbehörden nicht über die stillen Reserven auf seinen zum Geschäftsvermögen gehörenden Liegenschaften abrechnet, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Liegenschaften im Geschäftsvermögen verbleiben; durch blossen Zeitablauf kann die fragliche Liegenschaft nicht in das Privatvermögen übergehen (
BGE 125 II 113
E. 6c/bb S. 126; DUSS/GRETER/VON AH, Die Besteuerung Selbstständigerwerbender, 2004, S. 41).
Mit Blick auf die steuer- und AHV-rechtliche Parallelität sowie aus veranlagungspraktischen Gründen hat vorliegend für den Beitragsbereich der AHV das Gleiche zu gelten. Am Recht steht zwar ein aus dem Erwerbsleben ausgeschiedener Alterspensionär, der sich mit der Vermietung seiner Liegenschaft einen Teil seines
BGE 140 V 241 S. 246
Lebensunterhalts verdient. Wenn der Beschwerdegegner sich aber steuerrechtlich für die Möglichkeit der Aufschiebung der Überführung entschieden hat, gilt diese Wahl mit Blick auf den Grundsatz der steuer- und AHV-rechtlichen Parallelität sowie aus durchführungstechnischen Gründen auch mit Bezug auf die Belange des AHV-Rechts. In concreto besteht daher kein Raum für ein Abgehen von der erfolgten Eigendeklaration, solange eine Überführung ins Privatvermögen rechtlich nicht stattgefunden hat. Eine Privatentnahme, d.h. die Umwandlung von Geschäftsvermögen in Privatvermögen, ist jedoch grundsätzlich nicht von den dargelegten abgaberechtlichen Folgen zu trennen. Gleich wie die Steuer auf dem Kapitalgewinn kann auch die AHV-Beitragserhebung auf dem Kapitalgewinn aufgeschoben werden. Hingegen bleiben die laufenden Erträge aus den sich nach wie vor rechtlich im Geschäftsvermögen befindlichen Liegenschaften AHV-beitragspflichtig (
BGE 134 V 250
E. 5.2 S. 256). | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
f24c58d7-f4c0-40b6-8f09-270a669c18bd | Urteilskopf
126 II 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. November 1999 i.S. A. gegen Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt und Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 128 BdBSt
;
Art. 120 u. 121 DBG
; Veranlagungsverjährung; verjährungsunterbrechende Einforderungshandlung; absolute Verjährung?
Der Begriff der Einforderungshandlung kann selbst amtliche Mitteilungen umfassen, die lediglich eine spätere Veranlagung in Aussicht stellen und deren Zweck sich in der Unterbrechung des Verjährungsablaufs erschöpft (E. 2).
Das Bundesgesetz sieht im Gegensatz zum Bundesratsbeschluss die absolute Verjährung vor. Es ist jedoch in übergangsrechtlicher Hinsicht lückenhaft. Die Frist für die Verjährung altrechtlicher Steueransprüche könnte nämlich auch dann noch weiterlaufen, wenn Abgabeforderungen, die unter dem neuen Recht entstanden und demnach jünger sind, bereits absolut verjährt sind. Frage offen gelassen, wie diese Lücke gefüllt werden könnte (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 126 II 1 S. 2
Am 18. März 1982 verstarb E. Seine Tochter A. war gesetzliche Erbin und erhielt die Hälfte der Erbschaft. Am 1. Juni 1994 nahm die Steuerverwaltung ihr gegenüber auf den Todestag eine Zwischenveranlagung wegen Erbanfalls vor. Am gleichen Tag wurden ihr die definitiven Veranlagungen zur direkten Bundessteuer 1983/84, 1985/86 und 1987/88 zugestellt. Dabei wurden die von der Steuerpflichtigen geltend gemachten Schuldzinsenabzüge auf Darlehen der K. AG und der C. AG nicht berücksichtigt. Die Einsprachen gegen diese Veranlagungen wurden mit Entscheid vom 18. Oktober 1995 abgewiesen.
Gegen die Einspracheverfügung beschwerte sich A. bei der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt, wobei sie am Schuldzinsenabzug festhielt und sich überdies auf Verjährung berief. Mit Entscheid vom 28. Mai 1998 wies die Steuerrekurskommission die Beschwerde ab.
Gegen diesen Entscheid hat A. Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus den folgenden Erwägungen:
2.
Streitig ist sodann die Frage der Verjährung.
a) Mit dem am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Gesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) wird der Bundesratsbeschluss vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt) aufgehoben (
Art. 201 DBG
). Für die am 1. Januar 1995 noch nicht oder nicht rechtskräftig
BGE 126 II 1 S. 3
veranlagten Steuern früherer Jahre gelten indessen die materiell-rechtlichen Bestimmungen des (alten) Bundesratsbeschlusses weiter (AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zürich 1995, N. 3 zu Art. 201). Die in Art. 120 f. DBG enthaltenen Verjährungsbestimmungen sind zwar in systematischer Hinsicht dem Fünften Titel des Gesetzes, dem Verfahrensrecht, zugeordnet. Indessen handelt es sich bei der Verjährung um ein materiell-rechtliches Institut, das unmittelbar den Bestand der Steuerforderung betrifft. Es rechtfertigt sich daher, die Frage der Verjährung vorliegend nach den Bestimmungen des (alten) Bundesratsbeschlusses zu beurteilen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht - freilich ohne nähere Begründung - schon wiederholt entschieden (so z.B. die Urteile vom 24. November 1998 i.S. AFC, E. 3-7, vom 27. Februar 1998 i.S. H., E. 3, und vom 26. September 1997 i.S. B., E. 3).
b) Nach
Art. 98 BdBSt
erlischt das Recht, die Veranlagung einzuleiten, drei Jahre nach Ablauf der Veranlagungsperiode. Eine Zwischenveranlagung muss nach
Art. 96 Abs. 2 Satz 2 BdBSt
innert drei Jahren nach Ablauf der Veranlagungsperiode eingeleitet werden, auf die sie sich bezieht. Im vorliegenden Fall wurden diese Fristen unbestrittenermassen eingehalten.
c) Nach
Art. 128 BdBSt
verjähren die Steuerforderungen in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit der Fälligkeit der Forderung. Ihr Lauf wird durch jede Einforderungshandlung unterbrochen; er ruht, solange der Steuerpflichtige in der Schweiz nicht betrieben werden kann.
Unter den Begriff der Einforderungshandlung im Sinne dieser Bestimmung fallen nicht nur die eigentlichen Steuerbezugshandlungen, sondern auch alle auf Feststellung des Steueranspruchs gerichteten Amtshandlungen, die dem Steuerpflichtigen zur Kenntnis gebracht werden (
BGE 112 Ib 88
E. 2b S. 93;
BGE 97 I 167
E. 5 S. 176; vgl. nunmehr auch die Umschreibung in
Art. 120 Abs. 3 lit. a DBG
). Dazu gehören beispielsweise die Zustellung des Steuererklärungsformulars, die Mahnung zur Einreichung einer Steuererklärung, die Ankündigung und Vornahme von Bücheruntersuchungen, die Eröffnung einer definitiven oder provisorischen Steuerveranlagung, die Aufforderung oder Mahnung zur Zahlung usw. (vgl. die Beispiele aus der Rechtsprechung bei KÄNZIG/BEHNISCH, Die direkte Bundessteuer, 2. Aufl., N. 10 zu
Art. 128 BdBSt
). Auch die Zustellung einer vorläufigen Steuerrechnung auf Grund der Steuererklärung stellt eine solche Einforderungshandlung dar (
BGE 75 I 174
E. 3 S. 178).
BGE 126 II 1 S. 4
d) Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Steuerverwaltung der Beschwerdeführerin am 19. Dezember 1985 mitgeteilt, dass infolge des Todes ihres Vaters die Voraussetzungen für die Vornahme einer Zwischenveranlagung gegeben seien. Für die 22. und 23. Periode hat sie am 4. September 1986 und für die 24. Periode am 28. Juni 1989 provisorische Veranlagungen eröffnet. Dadurch wurde die Verjährung ein erstes Mal unterbrochen und begann eine neue Fünfjahresfrist zu laufen.
e) Am 17. Dezember 1990 stellte die Steuerverwaltung der Beschwerdeführerin folgendes Schreiben zu:
"Sehr geehrte Frau Dr. A.
Dürfen wir Sie daran erinnern, dass die Voraussetzungen für die Vornahme einer Zwischenveranlagung gemäss Art. 96 des Wehrsteuerbeschlusses infolge Vermögensanfalles von Todes wegen gegeben sind.
Im weiteren sind alle folgenden Veranlagungen inkl. die der 22. Periode aus demselben Grunde provisorisch erfolgt. Die Zwischenveranlagung sowie die definitiven Veranlagungen werden zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen.
Diese Mitteilung gilt als Verjährungsunterbruch".
f) Es liegt somit eine amtliche Mitteilung vor, die lediglich eine spätere Veranlagung in Aussicht stellt und deren Zweck sich in der Unterbrechung des Verjährungsablaufs erschöpft. Es fragt sich, ob einer solchen Mitteilung verjährungsunterbrechende Wirkung zugestanden werden kann.
In
BGE 79 I 248
hat das Bundesgericht die Auffassung vertreten, einer Mitteilung, die sich darauf beschränke, eine spätere Veranlagung erst in Aussicht zu stellen, könne keine verjährungsunterbrechende Wirkung zuerkannt werden. In jenem Fall hatte es die Steuerverwaltung aber schlicht versäumt, eine Veranlagung vorzunehmen; hier hingegen sahen sich die Behörden aus mehreren Gründen ausserstande, das Verfahren weiterzuführen: Erstens hing die Veranlagung der Beschwerdeführerin als Erbin von der Einschätzung ihres Vaters und dessen Gesellschaften ab. Zweitens ist die lange Verfahrensdauer in nicht unerheblichem Masse darauf zurückzuführen, dass der Erblasser seine steuerlichen Mitwirkungspflichten nur ungenügend wahrgenommen hatte und die Beschwerdeführerin ihrerseits zumindest nichts zur Beschleunigung ihres Veranlagungsverfahrens beigetragen hat.
Für eine Einstufung von Mitteilungen wie der hier streitigen als Einforderungshandlungen sprechen zudem mehrere allgemeine Gründe: Erstens ergäben sich andernfalls Abgrenzungsschwierigkeiten
BGE 126 II 1 S. 5
hinsichtlich der Frage, welche Amtshandlungen noch auf die Feststellung des Steueranspruchs gerichtet sind, und welche nicht. Zweitens wären Abstimmungsprobleme gegenüber dem Bereich der Befristung des Rechts, das Verfahren einzuleiten, zu befürchten, da
Art. 98 BdBSt
keine vergleichbaren Einschränkungen kennt und sich mit rein formellen Mitteilungen begnügt. Drittens könnte sich eine engere Begriffsfassung insofern kontraproduktiv für die Steuerpflichtigen auswirken, als die Behörden in komplexen Verfahren fortan gezwungen sein könnten, auf andere verjährungsunterbrechende Massnahmen zurückzugreifen, die zwar zweifellos Einforderungshandlungen darstellen würden, aber für den Pflichtigen mit bedeutend mehr Aufwand oder Risiken verbunden sein könnten: Zu denken wäre an nur auf die Verjährungsunterbrechung ausgerichtete Auskunftsanfragen, insbesondere aber an die Möglichkeit, dem Pflichtigen trotz ungenügenden Entscheidgrundlagen eine Einschätzungsverfügung zukommen zu lassen, was unter anderem zur Folge hätte, dass der Betroffene gezwungen würde, dagegen Einsprache bzw. Beschwerde zu erheben. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Transparenz erscheint es somit als gerechtfertigt, den Begriff der Einforderungshandlung so weit zu fassen, dass er auch Mitteilungen wie die hier streitige mit einschliessen kann, die zwar das Veranlagungsverfahren nicht konkret weiterführen, aber dem Bürger den Willen der Behörden kundtun, weiterhin auf die Realisierung der Steuerforderung hinzuarbeiten.
Der hier zu beurteilenden Mitteilung ist daher die Wirkung einer verjährungsunterbrechenden Einforderungshandlung zuzuerkennen. Daraus ergibt sich, dass für alle streitigen Veranlagungen, inklusive derjenigen der Perioden 1983/84 und 1985/86 sowie der Zwischenveranlagung 1982, der Lauf der Verjährung rechtzeitig unterbrochen worden ist. Da danach eine unbestrittenermassen gültige Unterbrechungshandlung erfolgt ist, nämlich die Zustellung der definitiven Veranlagungen am 1. Juni 1994, ist keiner der hier zu beurteilenden Steueransprüche verjährt.
3.
Eine absolute Verjährungsfrist für die Veranlagung sieht der Bundesratsbeschluss nicht vor. Es fragt sich, ob er insofern eine Lücke aufweist. Eine solche hat das Bundesgericht tatsächlich in Betracht gezogen, aber ausschliesslich in Entscheiden, die das Steuerstrafrecht betrafen (vgl.
BGE 119 Ib 311
E. 4b S. 321; ASA 67, 470 E. 5 mit weiteren Hinweisen). Im vorliegenden Fall handelt es sich indessen nicht um eine Strafsteuer, auch nicht um eine Nachsteuer. Im Bereich der einfachen Steuerforderungen geht das Bundesgericht
BGE 126 II 1 S. 6
aber in ständiger Praxis davon aus, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung zur absoluten Verjährung im Bundesratsbeschluss nicht als Lücke, sondern als qualifiziertes Schweigen aufzufassen ist (vgl. ASA 59, 250 E. 4c). An dieser Praxis ist grundsätzlich festzuhalten. Dass das neue Recht nunmehr die absolute Verjährung vorsieht (vgl. Art. 120 Abs. 4 und 121 Abs. 3 DBG), vermag daran nichts zu ändern. Die neuen Verjährungsbestimmungen sind hier, wie bereits dargelegt (vgl. E. 2a hievor), nicht anwendbar; sie lassen das alte Recht insoweit auch nicht als lückenhaft erscheinen. Allerdings wäre es stossend und mit dem Rechtsgleichheitsgebot kaum vereinbar, wenn die Frist für die Verjährung altrechtlicher Steuerforderungen auch dann noch weiterlaufen könnte, wenn Steuerforderungen, die unter dem neuen Recht entstanden und demnach jünger sind, bereits absolut verjährt sind. Dieses übergangsrechtliche Problem ist beim Erlass des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer offensichtlich übersehen worden. Die Übergangsbestimmungen des neuen Rechts erscheinen insoweit als lückenhaft. Es liesse sich erwägen, diese Lücke durch Übernahme der allgemeinen Regel zu schliessen, wonach eine neu vorgesehene Verjährungsfrist (erst) vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts an zu laufen beginnt (vgl.
BGE 111 II 186
E. 7 S. 192; RDAT 1995 I 46114 E. 3; RDAF 1998 2 179 E. 7 mit weiteren Hinweisen). Bei der direkten Bundessteuer ist dies der 1. Januar 1995. Da das Recht, die Steuer zu veranlagen, gemäss
Art. 120 Abs. 4 DBG
in maximal 15 Jahren, der Steuerbezug in gemäss
Art. 121 Abs. 3 DBG
in maximal 10 Jahren verjährt, träte die Veranlagungsverjährung für altrechtliche Steuerforderungen somit spätestens im Jahre 2010, die Bezugsverjährung spätestens im Jahre 2020 ein. Wie es sich damit verhält, braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht abschliessend entschieden zu werden, da diese Termine noch in weiter Ferne liegen. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
f24cde7d-ee03-4814-9e2c-1d3f992ff943 | Urteilskopf
98 IV 204
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. Juni 1972 i.S. Schindler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 234 StGB
, Verunreinigung von Trinkwasser.
Begriff des Trinkwassers. | Erwägungen
ab Seite 204
BGE 98 IV 204 S. 204
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 234 Abs. 2 StGB
wird bestraft, wer fahrlässig Trinkwasser für Menschen oder Haustiere mit gesundheitsschädlichen Stoffen verunreinigt.
a) Der Beschwerdeführer bestreitet, dass Trinkwasser verschmutzt worden sei. Das Obergericht dehne den Begriff des Trinkwassers in unzulässiger Weise aus, indem es alles Grundwasser dazu rechne. Es müsse ein direkter Zusammenhang mit einer Trinkwasserfassung bestehen, damit Grundwasser als Trinkwasser gelten könne. An einem solchen Zusammenhang fehle es hier.
Da indessen Art. 234 Mensch und Haustier vor dem Einnehmen von gesundheitsschädliche Stoffe enthaltendem Trinkwasser
BGE 98 IV 204 S. 205
bewahren will, kann keine Rede davon sein, dass als Trinkwasser nur das bereits als solches gefasste Wasser zu gelten hätte. Schutzobjekt des Art. 234 ist vielmehr auch alles Wasser, das mit einer Trinkwasser-Fassung in Verbindung steht, und darüber hinaus jedes (Grund-)Wasser, von dem vorausgesehen werden kann, dass es in absehbarer Zeit als Trinkwasser verwendet werden könnte.
Im vorliegenden Fall ist der Zusammenhang zwischen dem verschmutzten Grundwasser und dem Trinkwasser ohne weiteres gegeben. Nach den Feststellungen der Vorinstanz sickerte das aus dem Tank des Beschwerdeführers ausgelaufene Heizöl durch das umliegende Sandbett auf den Grundwasserspiegel und wurde vom Grundwasserstrom in Richtung des nur rund 110 m weiter östlich liegenden Brunnens der Wasserversorgung Kriens getragen, was zur Folge hatte, dass dort das Pumpwerk für mehr als einen Monat ausser Betrieb gesetzt werden musste. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
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