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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
b57c36b9-7d3a-430e-a693-fdf70fc8e7dd | Urteilskopf
104 Ia 31
9. Urteil vom 22. März 1978 i.S. H. gegen Obergericht des Kantons Solothurn. | Regeste
Art. 4 BV
; unentgeltliche Rechtspflege.
§ 106 Abs. 1 der Solothurner Zivilprozessordnung verstösst gegen
Art. 4 BV
, soweit nach dieser Bestimmung regelmässig, nicht nur bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten zu berücksichtigen ist, ob der Gesuchsteller seine Mittellosigkeit selbst verschuldet hat. Rechtsmissbrauch ist nur anzunehmen, wenn der Gesuchsteller gerade im Hinblick auf den zu führenden Prozess auf einen Erwerb verzichtet (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 31
BGE 104 Ia 31 S. 31
Die Eheleute H. stehen in Scheidung. H. ersuchte als Beklagter die Solothurner Gerichtsbehörden erfolglos um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Obergericht wies sein Begehren ab mit der Begründung, H. sei zwar
BGE 104 Ia 31 S. 32
offensichtlich vermögens- und einkommenslos, doch sei er nicht schuldlos in diese Lage geraten und scheine nicht gewillt zu sein, daran etwas ändern zu wollen; das Gesuch um Bewilligung der unentgeltliche Rechtspflege sei daher rechtsmissbräuchlich. Die gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde wird vom Bundesgericht gutgeheissen.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer stellt den Antrag, es sei ihm die vollständige unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von § 109 Abs. 1 der solothurnischen Zivilprozessordnung (ZPO) zu bewilligen.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde kann in der Regel lediglich die Aufhebung des angefochtenen Entscheides verlangt werden. Weitergehende Begehren sind nur ausnahmsweise zulässig, nämlich dann, wenn der verfassungsmässige Zustand nicht schon mit der Aufhebung des kantonalen Entscheides hergestellt würde, sondern hiefür eine positive Anordnung des Bundesgerichtes notwendig wäre (
BGE 100 Ia 395
E. 1d). Nach bisheriger Rechtsprechung sind staatsrechtliche Beschwerden, die sich gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege richten, nicht zu diesen Ausnahmefällen zu zählen (
BGE 99 Ia 327
E. 1b,
BGE 89 I 2
,
BGE 85 I 3
). Selbst wenn man von dieser Praxis abweichen und bei Gutheissung der Beschwerde den kantonalen Richter anweisen wollte, die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, so wäre dies nur möglich, wenn der Sachverhalt bereits nach allen Richtungen abgeklärt worden wäre. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu, da im kantonalen Verfahren offen geblieben ist, ob der Beschwerdeführer der Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt bedürfe. Auf den Antrag auf Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege kann daher nicht eingetreten werden. Indessen ist in diesem Antrag auch das Begehren um Aufhebung des angefochtenen Entscheides mitenthalten, so dass die Beschwerde in diesem Sinne zu behandeln ist.
2.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts hat eine bedürftige Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und damit auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen
BGE 104 Ia 31 S. 33
bedarf (
BGE 99 Ia 327
E. 2 mit Verweisungen). Das Bundesgericht untersucht in erster Linie, ob die Bestimmungen des kantonalen Prozessrechtes über die unentgeltliche Rechtspflege nicht in willkürlicher Weise angewendet worden seien. Es prüft im weiteren, und zwar in rechtlicher Hinsicht frei, ob der unmittelbar aus dem Grundsatz der Rechtsgleichheit im Sinne von
Art. 4 BV
fliessende Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verletzt worden sei (
BGE 99 Ia 440
E. 3, 327 E. 2 mit Verweisungen).
3.
§ 106 Abs. 1 der solothurnischen ZPO lautet:
"Wer durch ein von Gemeindeammann und Gemeindeschreiber seines Wohnortes ausgestelltes Zeugnis oder durch ein Zeugnis der ausserhalb des Kantons hiefür zuständigen Behörde nachweist, dass er vermögenslos ist und sein Einkommen ohne sein Verschulden nicht hinreicht, neben dem notwendigen Lebensunterhalt für sich und seine Familie die Kosten der Prozessführung aufzubringen, kann die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege verlangen."
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass das Obergericht angenommen hat, es treffe ihn an seiner schlechten finanziellen Situation ein massgebliches Verschulden und er sei nicht gewillt, diese zu ändern. Eine Verbesserung seiner Lage sei ihm, wie der Beschwerdeführer darlegt, auf Grund äusserer Umstände - Hospitalisierung, Haft und Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche - nicht möglich gewesen.
Das Obergericht hat seinem Entscheid die Erwägung zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer innert der ihm angesetzten Frist weder belegt habe, dass er beim Arbeitsamt gemeldet sei und nicht habe vermittelt werden können, noch dass er sich erfolglos um Arbeitsstellen bemüht habe, oder dass er zufolge Hospitalisierung arbeitsunfähig gewesen oder immer noch sei; belegt sei einzig, dass er im November 1977 wegen eines Suizidversuches für vier Tage hospitalisiert war. Es sei daher anzunehmen, dass der Rekurrent arbeitsfähig sei, sich aber nicht um eine Arbeit bemühe. Unter diesen Umständen sei sein Gesuch rechtsmissbräuchlich.
Zu dieser Beweiswürdigung durch das Obergericht ist zu bemerken, dass auf Grund der im Zeitpunkt des Entscheides vorhandenen Akten nicht ohne weiteres auf Rechtsmissbrauch hätte geschlossen werden dürfen. Nachträglich hat sich denn auch herausgestellt, dass der Beschwerdeführer der Auflage zur Einreichung weiterer Beweismittel nicht nachgekommen
BGE 104 Ia 31 S. 34
ist, weil er sich im Strafvollzug befand. Ob der Entscheid des Obergerichtes in dieser Hinsicht geradezu willkürlich sei, wie der Beschwerdeführer geltend zu machen scheint, kann allerdings offen bleiben, wenn sich ergibt, dass
§ 106 Abs. 1 ZPO
insoweit, als er verlangt, dass das Einkommen des Gesuchstellers ohne sein Verschulden für die Bezahlung der Prozesskosten nicht ausreiche, mit dem Bundesrecht unvereinbar ist.
4.
Das Bundesgericht hat in
BGE 99 Ia 438
ff. (und zuvor schon in
BGE 58 I 292
, oben) entschieden, dass einem Gesuchsteller die unentgeltliche Prozessführung nicht deshalb verweigert werden dürfe, weil er die Armut selbst verschuldet habe. Eine derartige Benachteiligung widerspräche der Rechtsgleichheit, wie sie im Zusammenhang mit dem sich aus
Art. 4 BV
ergebenden Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verstanden werde. Auch derjenige, der seine Mittellosigkeit verschuldet habe, müsse seine Rechte auf prozessualem Wege durchsetzen oder verteidigen können.
Das Solothurner Obergericht will die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege damit rechtfertigen, dass der Gesuchsteller nicht nur seine Armut verschuldet habe, sondern auch nicht gewillt sei, an seiner finanziellen Situation etwas zu ändern; in diesem Falle komme das Armenrechtsgesuch einem Rechtsmissbrauch gleich. Hiezu hat das Bundesgericht ebenfalls in
BGE 99 Ia 442
ausgeführt, dass es grundsätzlich auf die augenblicklichen Verhältnisse des Gesuchstellers ankomme und ihm nicht entgegengehalten werden dürfe, in seinem Berufsstande seien freie Stellen vorhanden und würden Löhne ausbezahlt, die die Begleichung der Prozesskosten gestatteten. Allerdings ist die Möglichkeit, die unentgeltliche Rechtspflege wegen Rechtsmissbrauchs zu verweigern, nicht völlig ausgeschlossen, sondern auf die Fälle beschränkt worden, wo der Gesuchsteller gerade im Hinblick auf den zu führenden Prozess eine Arbeitsstelle aufgegeben oder eine andere nicht angetreten hat. Dass sich der Beschwerdeführer so verhalten habe, erklärt das Obergericht jedoch nicht. Offenbleiben kann wie im zitierten Urteil auch im vorliegenden Fall die Frage, ob einem Gesuchsteller unter Umständen zugemutet werden könne, mit der Prozessführung so lange zuzuwarten, bis er die nötigen Mittel erspart habe: diese Möglichkeit kommt von vornherein nur für die klagende Partei in Betracht; der Beklagte - hier der Beschwerdeführer
BGE 104 Ia 31 S. 35
- kann auf den Zeitpunkt der Klageeinleitung keinen Einfluss nehmen.
Es ergibt sich somit, dass § 106 Abs. 1 der solothurnischen ZPO den bundesrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verletzt, soweit nach dieser Bestimmung bei der Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung das Verschulden auch in anderen Fällen als jenen des Rechtsmissbrauches im oben dargelegten Sinne zu berücksichtigen ist. Der angefochtene Entscheid verstösst daher gegen
Art. 4 BV
und ist aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b57d7f9d-eadd-4a1e-a68d-99789cdf2472 | Urteilskopf
140 IV 145
19. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause X. contre Ministère public de la République et canton de Genève et A. (recours en matière pénale)
6B_339/2014 du 27 novembre 2014 | Regeste
Art. 48 lit. e und
Art. 101 Abs. 2 StGB
; Strafmilderungsgrund infolge langen Zeitablaufs, unverjährbare Straftaten.
Der Strafmilderungsgrund infolge langen Zeitablaufs im Sinne von
Art. 48 lit. e StGB
ist in jedem Fall zu berücksichtigen, wenn zwei Drittel der Verjährungsfrist verstrichen sind (Zusammenfassung der Rechtsprechung; E. 3.1).
Für unverjährbare Straftaten bestimmt
Art. 101 Abs. 2 StGB
den Zeitpunkt, ab dem das Gericht die Strafe mildern kann.
Art. 48 lit. e StGB
ist folglich auf unverjährbare Verbrechen nicht anwendbar (E. 3.2). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 140 IV 145 S. 146
A.
Par jugement du 13 mars 2013, le Tribunal correctionnel de la République et Canton de Genève a condamné X. pour actes d'ordre sexuel avec des enfants et contrainte sexuelle à une peine privative de liberté de trente mois sous déduction de la détention avant jugement, avec sursis partiel, la partie ferme étant fixée à six mois et la durée du délai d'épreuve à trois ans, a subordonné le maintien du sursis à la règle de conduite consistant en un suivi psychothérapeutique en rapport avec le trouble du développement psychosexuel, la pédophilie et la personnalité dépendante de X., l'a condamné au paiement en faveur de A. d'un montant de 15'000 fr., avec intérêt à 5 % dès le 29 mars 2003 pour le tort moral et d'un montant de 24'000 fr. avec intérêt à 5 % dès le 13 mars 2013, à titre de remboursement des honoraires de son conseil et mis les frais de procédure à sa charge par 10'142 fr. 85.
B.
Par arrêt du 27 février 2014, la Chambre pénale d'appel et de révision de la Cour de justice genevoise a admis les appels de A. et du Ministère public et rejeté celui de X. Elle a condamné ce dernier pour actes d'ordre sexuel avec des enfants et contrainte sexuelle à une peine privative de liberté de trois ans, sous déduction de onze jours de détention avant jugement, peine prononcée sans sursis à raison de dix-huit mois et avec sursis pour le solde, le délai d'épreuve étant fixé à cinq ans et ordonné un traitement ambulatoire au sens de l'
art. 63 CP
, sous forme d'un suivi psychothérapeutique, pour une durée de cinq ans. Elle a en outre fixé le montant dû à A. à titre de
BGE 140 IV 145 S. 147
tort moral à 20'000 fr. et celui dû au titre du remboursement des honoraires de son conseil à 31'760 fr. plus TVA, sous déduction des montants déjà versés et mis les frais de deuxième instance par 4000 fr. à la charge de X.
En bref, il ressort les éléments suivants de cet arrêt.
Entre 1997 et 2001, X., profitant de l'ascendant physique et psychique qu'il avait sur sa nièce A. née le 29 mars 1989, a, lors de cours de soutien scolaire dispensés à celle-ci et de visites de courtoisie à sa famille, caressé les fesses, la poitrine et/ou le sexe de la fillette en la masturbant, ressentant à ces occasions de l'excitation sexuelle. Il a agi à une vingtaine de reprises entre 1997 et 1999 et à une dizaine de reprises entre 1999 et 2001. A cinq reprises, il a introduit son doigt dans le vagin de A.
Entre 2001 et 2003, X. a caressé les fesses de A. à cinq reprises. (...)
C.
X. forme un recours en matière pénale au Tribunal fédéral contre cet arrêt. Il conclut, avec suite de frais, principalement à son annulation et au prononcé d'une peine privative de liberté de deux ans, avec sursis et délai d'épreuve de trois ans. Subsidiairement, il conclut au prononcé d'une peine privative de liberté de trente mois, sous déduction de onze jours de détention avant jugement, la part ferme étant fixée à six mois, le solde prononcé avec sursis et délai d'épreuve de trois ans et la peine étant suspendue au profit d'un traitement ambulatoire.
Invités à déposer des observations sur le recours, la cour cantonale y a renoncé cependant que le Ministère public a conclu à son rejet. X. a renoncé à se déterminer sur ces écritures.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le recourant se plaint de ce que la cour cantonale n'a pas retenu la circonstance atténuante du long temps écoulé au sens de l'
art. 48 let
. e CP.
3.1
Aux termes de l'
art. 48 let
. e CP, le juge atténue la peine si l'intérêt à punir a sensiblement diminué en raison du temps écoulé depuis l'infraction et que l'auteur s'est bien comporté dans l'intervalle.
Cette disposition ne fixe pas de délai. Selon la jurisprudence, l'atténuation de la peine en raison du temps écoulé depuis l'infraction
BGE 140 IV 145 S. 148
procède de la même idée que la prescription. L'effet guérisseur du temps écoulé, qui rend moindre la nécessité de punir, doit aussi pouvoir être pris en considération lorsque la prescription n'est pas encore acquise, si l'infraction est ancienne et si le délinquant s'est bien comporté dans l'intervalle. Cela suppose qu'un temps relativement long se soit écoulé depuis l'infraction. Cette condition est en tout cas réalisée lorsque les deux tiers du délai de prescription de l'action pénale sont écoulés. Le juge peut toutefois réduire ce délai pour tenir compte de la nature et de la gravité de l'infraction (
ATF 132 IV 1
consid. 6.1 et 6.2 p. 2 ss). Pour déterminer si l'action pénale est proche de la prescription, le juge doit se référer à la date à laquelle les faits ont été souverainement établis, et non au jugement de première instance (moment où cesse de courir la prescription selon l'
art. 97 al. 3 CP
). Ainsi, lorsque le condamné a fait appel, il faut prendre en considération le moment où le jugement de seconde instance a été rendu dès lors que ce recours a un effet dévolutif (cf.
art. 398 al. 2 CPP
; cf.
ATF 132 IV 1
consid. 6.2.1 p. 30).
3.2
S'agissant d'infractions imprescriptibles au sens de l'
art. 101 CP
, l'alinéa 2 de cette disposition prévoit que le juge peut atténuer la peine dans le cas où l'action pénale est prescrite en vertu des
art. 97 et 98 CP
. Cette disposition précise l'
art. 48 let
. e CP en ce qui concerne les infractions imprescriptibles. Elle fixe ainsi le délai à partir duquel le juge peut atténuer la peine dans ce cadre. L'
art. 48 let
. e CP n'est par conséquent pas applicable aux crimes imprescriptibles.
3.3
Aux termes de l'
art. 101 al. 1 let
. e CP, sont imprescriptibles notamment les actes d'ordre sexuel avec des enfants (
art. 187 ch. 1 CP
) et la contrainte sexuelle (
art. 189 CP
), lorsqu'ils ont été commis sur des enfants de moins de 12 ans. Cette disposition est applicable si l'action pénale ou la peine n'était pas prescrite le 30 novembre 2008 en vertu du droit applicable à cette date (art. 101 al. 3, 3
e
phrase, CP).
3.4
Le 30 novembre 2008, l'
art. 97 CP
avait la même teneur qu'actuellement (RO 2006 5438). Son alinéa premier prévoit notamment que l'action pénale se prescrit par 15 ans si la peine maximale encourue est une peine privative de liberté de plus de trois ans, ce qui est le cas des infractions d'actes d'ordre sexuel avec des enfants (
art. 187 CP
) et de contrainte sexuelle (
art. 189 CP
) en cause en l'espèce. Selon l'
art. 97 al. 2 CP
en cas notamment d'actes d'ordre sexuel avec des enfants et de contrainte sexuelle dirigée contre un enfant de moins de 16 ans, la prescription de l'action pénale court en tout cas jusqu'au jour où la victime a 25 ans.
BGE 140 IV 145 S. 149
3.5
La cour cantonale a retenu que les infractions reprochées au recourant n'étaient pas prescrites le 30 novembre 2008, de sorte que les nouvelles dispositions trouvaient application et les actes commis par le recourant tombaient sous le coup de la règle de l'imprescriptibilité au sens de l'
art. 101 al. 1 let
. e CP. Cette imprescriptibilité avait pour effet que la circonstance atténuante du long temps écoulé ne devait être admise qu'avec une grande retenue, à supposer qu'elle soit encore envisageable. C'était en effet pour protéger les victimes d'abus, qui laissaient souvent des années s'écouler avant de déposer plainte, que le législateur avait nouvellement introduit l'imprescriptibilité de ces infractions. Admettre que ce long temps profite aux agresseurs, en les mettant au bénéfice de la circonstance atténuante de l'
art. 48 let
. e CP, mettrait à néant cette volonté de protection. Les faits dont le recourant s'était rendu coupable remontaient à 1997 et pour les derniers à 2003. La dizaine d'années qui s'était écoulée jusqu'au jour du jugement d'appel, au regard de l'imprescriptibilité, ne pouvait en aucun cas justifier l'application de la circonstance atténuante du long temps écoulé. Il pourrait être tenu compte du bon comportement du recourant depuis 2003 sous l'angle de l'appréciation de la faute.
3.6
L'intimée est née le 29 mars 1989. Elle a ainsi atteint l'âge de 12 ans le 29 mars 2001. Les actes commis par le recourant sur celle-ci entre 1997 et le 28 mars 2001 l'ont ainsi été avant ses 12 ans. Contrairement à ce qu'a retenu la cour cantonale, seuls ceux-ci peuvent entrer dans le champ d'application de l'
art. 101 al. 1 let
. e CP. Au regard du droit applicable au 30 novembre 2008 (cf. art. 101 al. 3, 3
e
phrase, CP), le délai de prescription selon l'
art. 97 al. 1 let. b et al. 2 CP
n'était pas atteint à cette dernière date car il courait jusqu'au 29 mars 2014 (soit jusqu'au 25 ans de l'intimée) pour ce qui est des actes commis entre 1997 et 1999, jusqu'en 2015 pour les actes commis en 2000 (délai de prescription de 15 ans) et jusqu'en 2016 pour ceux commis en 2001 (délai de prescription de 15 ans). Par conséquent, les actes commis entre 1997 et le 28 mars 2001 sont imprescriptibles en vertu de l'
art. 101 al. 1 let
. e et al. 3, 3
e
phrase, CP.
Il s'ensuit que la question de l'atténuation de la peine pour ces actes s'examine à l'aune de l'
art. 101 al. 2 CP
. Il convient d'appliquer par analogie la jurisprudence rendue au sujet de l'
art. 48 let
. e CP s'agissant de la date déterminante pour l'examen de la prescription (cf. supra consid. 3.1 i.f.). Ainsi, la date déterminante est celle où les faits ont été souverainement établis, c'est-à-dire la date du jugement sur
BGE 140 IV 145 S. 150
appel. En l'occurrence, il s'agit du 27 février 2014. A cette date, la prescription calculée selon l'
art. 97 CP
n'était atteinte pour aucun des actes commis entre 1997 et le 28 mars 2001. Le recourant ne peut ainsi pas bénéficier d'une atténuation de la peine en application de l'
art. 101 al. 2 CP
pour ceux-ci.
3.7
Les faits commis dès le 29 mars 2001 (soit après les 12 ans de l'intimée) ne peuvent entrer dans le champs d'application de l'
art. 101 al. 1 let
. e CP. Par conséquent, la question de l'atténuation de la peine pour le long temps écoulé s'examine à l'aune de l'
art. 48 let
. e CP et la prescription à celle des règles générales de l'
art. 97 CP
. Ainsi, les actes commis par le recourant se prescrivaient par 15 ans, en application de l'
art. 97 al. 1 let. b CP
. Lorsque la cour cantonale a statué le 27 février 2014, plus des deux tiers du délai de prescription étaient passés s'agissant de l'ensemble des faits commis entre le 29 mars 2001 et 2003. En application de la jurisprudence (cf. supra consid. 3.1), le recourant devait bénéficier d'une atténuation de la peine pour ces faits. La cour cantonale a ainsi violé le droit fédéral en refusant l'application de l'
art. 48 let
. e CP aux faits commis entre le 29 mars 2001 et 2003. L'arrêt attaqué sera donc annulé et la cause renvoyée à l'autorité précédente pour qu'elle fixe à nouveau la peine en tenant compte de cet élément. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5815cca-ded5-431d-b585-f23badb42ba0 | Urteilskopf
115 V 191
28. Urteil vom 28. Juni 1989 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen B. und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel | Regeste
Art. 21 IVG
, Ziff. 6 HVI-Anhang. Das Cochlea-Implantat, eine elektronische Hörhilfe, füllt nicht unter den Begriff des Hilfsmittels nach
Art. 21 IVG
(Erw. 2).
Art. 12 IVG
,
Art. 2 Abs. 1 IVV
. Voraussetzungen, unter denen die Invalidenversicherung das Cochlea-Implantat bei Erwachsenen als medizinische Eingliederungsmassnahme zu übernehmen hat (Erw. 4-6). | Sachverhalt
ab Seite 191
BGE 115 V 191 S. 191
A.-
Die 1928 geborene Ruth B. erlitt im Alter von 20 Jahren infolge der Behandlung einer Nierenkrankheit mit Streptomyzin eine Akustikusschädigung mit völliger Taubheit. Seither litt sie wiederholt an reaktiven Depressionen, die auf Ende Januar 1981 zur Aufgabe der Erwerbstätigkeit als medizinische Laborantin am Kantonsspital B. und zur vorzeitigen Pensionierung führten. Seit 1. Mai 1981 bezieht sie eine ganze Invalidenrente. Bereits früher hatte die Invalidenversicherung die Kosten für ein Tonbandgerät sowie für die Montage/Demontage von optischen Signalanlagen in der Wohnung übernommen und 1983 leihweise ein Schreibtelefon mit Lichtsignalanlage abgegeben.
Am 18. Juni 1986 ersuchte Prof. P., Vorsteher der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten,
BGE 115 V 191 S. 192
Kantonsspital B., die Invalidenversicherungs-Kommission, Ruth B. die Kosten für ein Cochlea-Implantat in der Höhe von rund 27'000 Franken zu vergüten. Beim Cochlea-Implantat (CI) handelt es sich um eine Verbindung zwischen Chirurgie und Hörprothetik. Dabei wird einerseits chirurgisch eine Stimulationselektrode bzw. ein Elektrodenbündel ans runde Fenster der Schnecke eingelegt und fixiert. Anderseits trägt der Patient einen computergesteuerten Prozessor bei sich, der Sprachsignale in geeignete Reizströme umwandelt, die transkutan induktiv auf das Implantat übertragen werden. Dies verhilft zur Erkennung einfacher prosodischer Sprachelemente (Rhythmus, Betonung, Melodie) und ermöglicht eine rudimentäre Diskrimination von Sätzen, Wörtern und Phonemen. Die Implantation wurde am 12. August 1986 vorgenommen. Gestützt auf eine Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) beschloss die Invalidenversicherungs-Kommission, das Gesuch abzuweisen; das Einsetzen der elektronischen Gehörprothese stelle im heutigen Zeitpunkt keine Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung dar, weil der therapeutische Erfolg in bezug auf die Kommunikationsfähigkeit noch nicht ausgewiesen sei. Mit dieser Begründung verfügte die Ausgleichskasse Basel-Stadt am 5. Januar 1987 die Ablehnung des Leistungsbegehrens.
B.-
Die Versicherte führte hiegegen Beschwerde mit dem Antrag, die Invalidenversicherung sei zur Übernahme der Kosten der Prothese zu verpflichten. In Gutheissung der Beschwerde hob die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel-Stadt die angefochtene Verfügung auf und verhielt die Invalidenversicherung, das CI als Hilfsmittel abzugeben (Entscheid vom 11. Juni 1987).
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das BSV, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
Ruth B. schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung und verweist auf die Stellungnahme der Invalidenversicherungs-Kommission, welche das Rechtsbegehren des BSV unterstützt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Im vorliegenden Fall ist streitig, ob die Invalidenversicherung für die Kosten des CI aufzukommen hat. Dabei fällt
BGE 115 V 191 S. 193
eine Übernahme als Hilfsmittel nach Massgabe von
Art. 21 IVG
oder als medizinische Massnahme gemäss
Art. 12 IVG
in Betracht.
2.
a) Gemäss
Art. 21 Abs. 1 IVG
hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich, für die Schulung die Ausbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Ferner bestimmt
Art. 21 Abs. 2 IVG
, dass der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel hat.
Die Befugnis zur Aufstellung der Hilfsmittelliste und zum Erlass ergänzender Vorschriften im Sinne von
Art. 21 Abs. 4 IVG
hat der Bundesrat in
Art. 14 IVV
an das Eidgenössische Departement des Innern übertragen, welches die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) mit anhangsweise aufgeführter Hilfsmittelliste erlassen hat. Laut
Art. 2 HVI
besteht im Rahmen der im Anhang aufgeführten Liste Anspruch auf Hilfsmittel, soweit diese für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig sind (Abs. 1); Anspruch auf die in dieser Liste mit * bezeichneten Hilfsmittel besteht, soweit diese für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung, die funktionelle Angewöhnung oder für die bei einzelnen Hilfsmitteln ausdrücklich genannte Tätigkeit notwendig sind (Abs. 2).
Nach Ziff. 6.01 HVI-Anhang gibt die Invalidenversicherung Hörapparate ab, sofern bei hochgradiger Schwerhörigkeit durch den Einsatz eines solchen Gerätes eine wesentliche Verbesserung des Hörvermögens erreicht werden kann. Laut Ziff. 6.02* besteht Anspruch auf Abgabe eines Hörapparates, sofern bei Schwerhörigkeit durch den Einsatz eines solchen Gerätes die Schulung, Ausbildung oder Berufsausübung erleichtert wird.
b) Die im Anhang zur Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) enthaltene Liste ist insofern abschliessend, als sie die in Frage kommenden Hilfsmittelkategorien aufzählt. Dagegen ist bei jeder Hilfsmittelkategorie zu prüfen, ob die Aufzählung der einzelnen Hilfsmittel (innerhalb
BGE 115 V 191 S. 194
der Kategorie) ebenfalls abschliessend oder bloss exemplifikatorisch ist (
BGE 108 V 5
Erw. 1b, 105 V 25 Erw. 1).
c) Praxisgemäss ist unter einem Hilfsmittel des IVG ein Gegenstand zu verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers zu ersetzen vermag (
BGE 112 V 15
Erw. 1b mit Hinweis). Daraus ist zu schliessen, dass der Gegenstand ohne strukturelle Änderung ablegbar und wieder verwendbar sein muss. Dieses Erfordernis bezieht sich jedoch nicht nur auf den Gegenstand selbst, sondern auch auf den menschlichen Körper und dessen Integrität. Ein Gegenstand, der seine Ersatzfunktionen nur erfüllen kann, wenn er zuerst durch einen eigentlichen chirurgischen Eingriff ins Körperinnere verbracht wird und nur auf gleiche Weise wieder zu ersetzen ist, stellt kein Hilfsmittel im Sinne des Gesetzes dar (
BGE 101 V 269
Erw. 1b; vgl. auch ZAK 1986 S. 527 Erw. 2b). Sowenig die Rechtsprechung künstlichen Herzklappen (EVGE 1965 S. 262), Schrittmachern für Herzfunktionen (ZAK 1966 S. 49) oder Rückenmarkstimulatoren (
BGE 101 V 267
) Hilfsmittelcharakter zuerkannt hat, sowenig weist das CI diese Eigenschaft auf. Daran ändert nichts, dass nur die Stimulationselektrode chirurgisch ins Ohr eingepflanzt und das zentrale Element, der elektronische Sprachprozessor, extrakorporell getragen wird. Denn der Prozessor ist nur ein Bestandteil der gesamten Anlage. Er wäre ohne die mittels eines chirurgischen Eingriffs ins Ohr eingepflanzte Stimulationselektrode nutzlos. Es kann ihm daher keine Ersatzfunktion für den Ausfall einer Sinneswahrnehmung zukommen. Zwar liesse sich die Ansicht vertreten, die gesamte Anlage stelle eine Kombination von medizinischer Eingliederungsmassnahme (Implantat) und Hilfsmittel (Prozessor) dar. Der Prozessor lässt sich jedoch nicht in eine Hilfsmittelkategorie der HVI einordnen. Wohl sind von der Zielsetzung her Ähnlichkeiten mit einem Hörapparat im Sinne von Ziff. 6 HVI-Anhang zu erkennen; doch ist der Prozessor von seinem technischen Aufbau her nicht mit einem herkömmlichen Hörapparat zu vergleichen.
d) Kommt dem CI somit entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein Hilfsmittelcharakter zu, ist zu entscheiden, ob die Invalidenversicherung Leistungen im Rahmen medizinischer Eingliederungsmassnahmen, zu welchen sowohl die operative Vorkehr wie auch das CI gehören, zu erbringen hat.
3.
Der Versicherte hat laut
Art. 12 Abs. 1 IVG
Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des
BGE 115 V 191 S. 195
Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Behandlung des Leidens an sich ist rechtlich jede medizinische Vorkehr, sei sie auf das Grundleiden oder auf dessen Folgeerscheinungen gerichtet, solange labiles pathologisches Geschehen vorhanden ist. Eine solche Vorkehr bezweckt nicht unmittelbar die Eingliederung. Durch den Ausdruck labiles pathologisches Geschehen wird der juristische Gegensatz zu wenigstens relativ stabilisierten Verhältnissen hervorgehoben. Erst wenn die Phase des labilen pathologischen Geschehens insgesamt abgeschlossen ist, kann sich - bei volljährigen Versicherten - die Frage stellen, ob eine medizinische Vorkehr Eingliederungsmassnahme sei. Die Invalidenversicherung übernimmt daher in der Regel nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren, sofern sie die Wesentlichkeit und Beständigkeit des angestrebten Erfolges im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 IVG
voraussehen lassen (
BGE 112 V 349
Erw. 2, 105 V 19 und 149, 104 V 82 Erw. 1).
4.
a) Die bei der Beschwerdegegnerin als Folge einer medikamentösen Therapie seit dem 20. Altersjahr bestehende Taubheit stellt einen stabilen Defektzustand dar und ist medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung daher grundsätzlich zugänglich. Diese Massnahmen müssen nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein und den Eingliederungserfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (
Art. 2 Abs. 1 IVV
).
b) Zu prüfen ist vorab, ob es sich beim CI um eine nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigte Massnahme handelt.
Im sozialen Krankenversicherungsrecht ist die gesetzliche Leistungspflicht der Krankenkassen für Krankenpflege auf die wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen beschränkt (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b und Ziff. 2 sowie Abs. 5 KUVG in Verbindung mit Art. 21 und 26 Vo III, Vo 8 und 9 zum KUVG;
BGE 108 V 254
Erw. 1a/b, vgl. auch
BGE 113 V 44
Erw. 4b,
BGE 112 V 305
Erw. 2b; RKUV 1987 Nr. K 707 S. 8 Erw. 2 mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung gilt eine Behandlungsart dann als bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechend, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen
BGE 115 V 191 S. 196
Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der Erfahrung und dem Erfolg im Bereich einer bestimmten Therapie (
BGE 114 V 260
Erw. 2,
BGE 105 V 185
Erw. 3; vgl. auch
BGE 113 V 45
Erw. 4d/aa mit Hinweisen; RKUV 1989 Nr. K 790 S. 4 Erw. 2b): Diese im Gebiet der Krankenpflege geltende Definition der Wissenschaftlichkeit findet grundsätzlich auch auf die medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung Anwendung (
BGE 114 V 22
Erw. 1a).
c) In seiner Stellungnahme zuhanden der Invalidenversicherungs-Kommission äusserte sich das BSV zum CI am 10. November 1986 wie folgt:
"Das Cochlea-Implant wurde weltweit bei über 500 Personen angewendet. Die Methode ist an sich geeignet, auf das Innenohr resp. den Hörnerv einzuwirken und insofern wohl wissenschaftlich anerkannt. Wie bei jeder Anwendung einer Neuheit dürfte, besonders am Anfang, ein gewisser Anteil aus Erprobung, Verbesserung und Fortentwicklung bestehen. Zweifellos liegt der Zeitpunkt der funktionellen Perfektionierung noch in weiter Ferne. Wichtigstes Element beim Cochlea-Implant ist unseres Erachtens im heutigen Zeitpunkt aber die Frage des genügenden therapeutischen Erfolges dieses Hörgerätes in bezug auf die Kommunikationsfähigkeit (Proportion des Kommunikationsgewinns: reines Lippenablesen/Cochlea-Implant mit anschliessendem intensivem Hörtraining). Das System erlaubt bis jetzt nur eine grobe akustische Diskrimination. Als Hauptgewinn ist der neue akustische Kontakt mit der Umwelt zu sehen. Das Lippenablesen wird unterstützt, wobei die Erfolge, trotz strenger Indikationsstellung, sehr unterschiedlich ausfallen können. Kommunikation ohne visuellen Kontakt (d.h. ohne Zuhilfenahme des Lippenablesens) ist bisher nur rudimentär (bekannter Gesprächspartner, einfache Mitteilungen) und bei weitem nicht in allen Füllen möglich. Auch wenn die Wiedererlangung eines auch nur minimalen Sinneseindrucks subjektiv von sehr grosser Bedeutung sein mag, ist nach unserem Erachten der Kommunikationsgewinn dieser Methode im Vergleich zum reinen Lippenablesen noch zuwenig ausgeprägt, um Leistungen der Invalidenversicherung erwirken zu können."
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hält das BSV im wesentlichen an seinem Standpunkt fest. Zwar anerkennt es die Wissenschaftlichkeit der Methode, vertritt aber die Auffassung, dass die sehr kostspielige Versorgung in keinem vertretbaren Verhältnis zum erreichbaren Nutzen stehe. Schliesslich verweist es auf die Ausführungen der Eidgenössischen Fachkommission für Fragen der medizinischen Eingliederung in der Invalidenversicherung, welche in einer Stellungnahme vom 8. Dezember 1988 die vorbehaltlose Übernahme des CI durch die Invalidenversicherung abgelehnt hatte.
BGE 115 V 191 S. 197
d) Aufgrund der medizinischen Unterlagen ist die vorgeschriebene Wissenschaftlichkeit des CI zu bejahen. Prof. A., Chefarzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik am Kantonsspital L., legte in einem anderen, vom Eidg. Versicherungsgericht gleichzeitig beurteilten Fall (vgl.
BGE 115 V 202
) diesbezüglich dar, dass bisher weltweit etwa 3000 taube Patienten implantiert worden sind. In der Schweiz seien bis Ende 1987 20 CI-Operationen an den Hals-Nasen-Ohrenkliniken Zürich, Genf, Basel und Luzern vorgenommen worden. Dies zeige, dass es sich nicht um ein Experimentierstadium, sondern um eine mittlerweile sehr differenzierte und ausgereifte Heilmassnahme zur Rehabilitation bestimmter tauber Patienten handle, die aufgrund einer ausführlichen Voruntersuchung für eine Implantation in Frage kommen. Die Methode sei in den USA anerkannt und zugelassen und werde in verschiedenen europäischen Staaten von den Krankenkassen übernommen (Stellungnahme vom 23. März 1988).
e) Zu prüfen ist des weiteren, ob die Massnahme den Eingliederungserfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstrebt, wie dies nach
Art. 2 Abs. 1 IVV
verlangt wird.
aa) In tatbeständlicher Hinsicht steht fest, dass die Beschwerdegegnerin eine normale Sprachentwicklung durchgemacht hat und die vollständige Ertaubung erst postlingual, im Alter von 20 Jahren, eingetreten ist. Die bei der Beschwerdegegnerin durchgeführte elektrische Stimulation ergab, dass durch Stromimpulse subjektive Töne und Geräusche verschiedener Frequenz und wechselnder Intensität ausgelöst werden können. Aufgrund der Voruntersuchungen von Prof. P. durfte angenommen werden, dass die auditive Rehabilitation der Versicherten durch ein CI möglich ist.
bb) Im Hinblick auf die geforderte Zweckmässigkeit der Versorgung mit einem CI als medizinische Eingliederungsmassnahme nach
Art. 12 IVG
in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 1 IVV
gilt folgendes (vgl. namentlich SPILLMANN und DILLIER, Cochlea-Implantate bei Gehörlosen: Indikation, Methode, Resultate, in: Schweizerische Rundschau für Medizin (Praxis), 74 (1985), Nr. 9, S. 211 f.; Bericht über den 3. Internationalen Kongress der Schwerhörigen vom 3. bis 8. Juli 1988 in Montreux, S. 51, 54, 60 und 66):
- Das CI kommt nur für Patienten in Frage, die so hochgradig schwerhörig bzw. gehörlos sind, dass eine konventionelle Versorgung erfolglos bleibt; Patienten, die noch über Hörreste verfügen, scheiden aus.
BGE 115 V 191 S. 198
- Die Gehörlosigkeit darf nicht durch einen sensoriellen, sondern muss durch einen neuralen oder einen cerebralen Ausfall bedingt sein. Voraussetzung für die Versorgung mit einem CI ist, dass der Hörnerv und das zentrale Hörsystem auf elektrische Reize reagieren und subjektive Hörempfindungen auslösen können.
- Die Auswirkungen der Gehörlosigkeit auf das Kommunikationsvermögen hängen entscheidend davon ab, ob die Ertaubung vor oder nach der Sprachentwicklung, die etwa mit 14 Jahren abgeschlossen ist, eingetreten ist (prälinguale, d.h. congenitale oder vor der Sprachentwicklung erworbene, oder postlinguale Taubheit). Das CI eignet sich vor allem für den postlingual Ertaubten mit guten Kenntnissen der Muttersprache.
- Schliesslich sind auch der Intelligenzgrad und die Motivation des Patienten massgebend.
cc)
Art. 2 Abs. 1 IVV
verlangt sodann, dass die medizinische Massnahme den therapeutischen Erfolg in einfacher Weise anstrebt. Dieser Verhältnismässigkeitsgrundsatz beschlägt die Relation zwischen den Kosten der medizinischen Massnahme einerseits und dem mit der Eingliederungsmassnahme verfolgten Zweck anderseits (
BGE 103 V 16
Erw. 1b,
BGE 101 V 53
Erw. 3d; vgl. auch
BGE 112 V 399
und
BGE 99 V 35
Erw. 1). Eine betragsmässige Begrenzung der notwendigen Massnahmen käme mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Bestimmung bloss in Frage, wenn zwischen der Massnahme und dem Eingliederungszweck ein derart krasses Missverhältnis bestände, dass sich die Übernahme der Eingliederungsmassnahme schlechthin nicht verantworten liesse (in diesem Sinne
BGE 107 V 87
Erw. 2 bezüglich des Anspruchs auf Vergütung der Transportkosten bei der Sonderschulung).
Schliesslich hat der Versicherte nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren. Denn die Eingliederungsmassnahmen sind lediglich insoweit zu gewähren, als dies im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist (
BGE 112 V 399
mit Hinweisen; ZAK 1985 S. 172 Erw. 3a).
5.
Ob die in Erw. 4e/bb und cc dargelegten Voraussetzungen hinsichtlich Zweckmässigkeit und Einfachheit der Vorkehr bei der Beschwerdegegnerin, die eine ganze Invalidenrente bezieht und im Zeitpunkt der Versorgung mit dem Gerät 58 Jahre alt war, erfüllt sind, kann offengelassen werden; denn wie aus den nachstehenden
BGE 115 V 191 S. 199
Darlegungen erhellt, muss die von
Art. 12 Abs. 1 IVG
geforderte Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges verneint werden.
a) Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung ist - im Gegensatz zu demjenigen auf eine Rente - an keinen bestimmten Invaliditätsgrad gebunden. Dieser Grundsatz gilt indessen u.a. nicht auf dem Gebiet der medizinischen Massnahmen. Denn der Versicherte kann laut
Art. 12 Abs. 1 IVG
nur medizinische Massnahmen beanspruchen, die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher - auch drohender (
Art. 8 Abs. 1 IVG
) - Beeinträchtigung zu bewahren (
BGE 101 V 58
Erw. 2a).
Wesentlich im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 IVG
ist der durch eine Behandlung erzielte Nutzeffekt nur dann, wenn er in einer bestimmten Zeiteinheit einen erheblichen absoluten Grad erreicht (
BGE 98 V 211
Erw. 4b). Durch die medizinischen Massnahmen soll in der Regel innerhalb einer gewissen Mindestdauer eine gewisse Mindesthöhe an erwerblichem Erfolg erwartet werden können. Inwieweit der voraussichtliche Eingliederungserfolg noch als wesentlich bezeichnet werden kann, lässt sich nicht generell sagen, sondern ist aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden. Dabei werden Massnahmen, die nur eine geringfügige Verbesserung der Erwerbsfähigkeit bewirken, von der Invalidenversicherung nicht übernommen. Es muss vorausgesetzt werden, dass eine noch bedeutende Erwerbsfähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung bewahrt wird. Die Frage nach der Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges hängt ferner ab von der Schwere des Gebrechens einerseits sowie von der Art der vom Versicherten ausgeübten bzw. im Sinne bestmöglicher Eingliederung in Frage kommenden Erwerbstätigkeit anderseits; persönliche Verhältnisse des Versicherten, die mit seiner Erwerbstätigkeit nicht zusammenhängen, sind dabei nicht zu berücksichtigen (
BGE 101 V 52
Erw. 3c und 58 Erw. 2a).
b) Der Begriff Erwerbsfähigkeit in Art. 8 Abs. 1, 12 Abs. 1 und auch 17 Abs. 1 IVG ist in einem weiten Sinne zu verstehen; er erfasst gegebenenfalls auch die Eingliederung in den bisherigen Aufgabenbereich gemäss
Art. 5 Abs. 1 IVG
(
BGE 108 V 212
Erw. 1c). Praxisgemäss steht die Tatsache, dass eine versicherte Frau für die Belange der Invaliditätsschätzung als Erwerbstätige behandelt worden ist, der Gewährung medizinischer Massnahmen nach
Art. 12 IVG
zur Eingliederung in den hausfraulichen Aufgabenbereich nicht entgegen. Überdies setzt die Zusprechung einer
BGE 115 V 191 S. 200
Eingliederungsmassnahme grundsätzlich nicht voraus, dass diese den für den Rentenanspruch massgebenden Invaliditätsgrad beeinflusst (
BGE 108 V 212
Erw. 1d mit Hinweisen).
c) Das Eidg. Versicherungsgericht hat denn auch wiederholt entschieden, dass die Ausrichtung einer halben oder sogar einer ganzen Rente die Gewährung von Eingliederungsmassnahmen nicht von vornherein ausschliesst, sofern wenigstens ein vernünftiges Verhältnis zwischen deren Kosten und Nutzen besteht (
BGE 108 V 212
Erw. 1d; EVGE 1964 S. 238; MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 84 und 126). Zu berücksichtigen ist allerdings - wie erwähnt -, dass
Art. 12 IVG
hinsichtlich der Eingliederungswirksamkeit Wesentlichkeit voraussetzt. Das heisst, dass medizinische Massnahmen nach
Art. 12 IVG
von der Invalidenversicherung nicht übernommen werden können, wenn sie die Erwerbsfähigkeit nur geringfügig zu verbessern vermögen. Namentlich sieht das Gesetz in diesem Bereich keine Massnahmen vor, um einen kleinen und unsicheren Rest von Erwerbsfähigkeit zu erhalten (
BGE 101 V 52
Erw. 3c; MEYER-BLASER, a.a.O., S. 126). Dies wird gerade bei Bezügern ganzer Renten, also Versicherten mit einem Invaliditätsgrad von mindestens zwei Dritteln, häufig der Fall sein.
d) Im Lichte dieser Erwägungen muss bei der 1928 geborenen Beschwerdegegnerin, die bei einem Invaliditätsgrad von 100% eine ganze Invalidenrente bezieht, 1981 vorzeitig pensioniert wurde und auch nach der Versorgung mit dem CI Rentenbezügerin bleibt, die Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges der Vorkehr verneint werden. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV aufzuheben.
6.
a) Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das CI das Resultat einer biotechnischen Entwicklung darstellt, welche die kommunikativen Fähigkeiten eines postlingual Ertaubten hinsichtlich Sprachverständnis und Sprachverständlichkeit in bisher nicht gekanntem Ausmass zu verbessern vermag. Laut Ausführungen von Prof. P., Vorsteher der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kantonsspital B. (Bericht über den 3. Internationalen Kongress der Schwerhörigen vom 3. bis 8. Juli 1988 in Montreux, S. 56), ist es unter der Voraussetzung, dass postoperativ ein intensives Hör- und Sprachtraining durchgeführt wird, möglich, dass der Gehörlose durch ein CI folgendes erreicht: Er kann Umgebungsgeräusche erkennen
BGE 115 V 191 S. 201
und voneinander unterscheiden; sein Sprachverständnis wird bei gleichzeitigem Lippenablesen ganz erheblich gebessert; auch ohne visuelle Hilfsmittel wird in vielen Fällen ein sozial ausreichendes, in manchen Fällen sogar vollständiges offenes Sprachverständnis wiedererlangt; der Patient erhält die Möglichkeit, seine eigene Sprache auditiv zu kontrollieren und dadurch die Verständlichkeit seiner Sprache zu verbessern und teilweise völlig zu normalisieren.
Daraus sind bezüglich der Übernahme des CI als medizinische Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung nach
Art. 12 IVG
folgende Schlüsse zu ziehen: Im Anwendungsbereich dieser Bestimmung, d.h. in der Regel bei spätertaubten Erwachsenen, bei welchen das CI bezüglich kommunikativer Rehabilitation, die hier als Erfolg nicht genügt, den grössten Nutzen bringen kann, müssen sowohl hinsichtlich der prognostischen Beurteilung des Eingliederungserfolges als auch der Eingliederungswirksamkeit die vom Gesetz aufgestellten und von der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen erfüllt sein.
b) Das BSV wird - unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Eidgenössischen Fachkommission für Fragen der medizinischen Eingliederung - die Weiterentwicklung der medizinischen Erfahrung und der Technologie zu verfolgen und aufgrund konkreter Fälle zu beurteilen haben, wie und wo das CI eingliederungswirksam eingesetzt werden kann. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das CI in die Hilfsmittelliste aufgenommen bzw. zwischen dem medizinischen Teil der Implantation und dem Sprachprozessor als Hilfsmittel unterschieden wird. Unter welchen Voraussetzungen dies zu geschehen hat, wird das BSV in enger Zusammenarbeit mit der medizinischen Wissenschaft und Praxis zu formulieren haben.
c) Wie das BSV mit Recht bemerkt, fehlen einerseits konkrete Kriterien zur prognostischen Beurteilung der Eingliederungswirksamkeit, und andererseits kann die Frage noch nicht generell beantwortet werden, ob die Methode bereits genügend entwickelt ist, dass im allgemeinen von einem hinreichenden therapeutischen Erfolg des Systems hinsichtlich der Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit gesprochen werden kann. Dabei ist prospektiv zu fragen, wie der Eingliederungserfolg ausfallen wird, d.h. in welchem Umfang der Versicherte nach der Versorgung mit dem CI wieder hören kann ("minimaler" Erfolg in Form von Wahrnehmung von Geräuschen und Tönen - "maximaler" Erfolg mit der Möglichkeit, mit oder ausnahmsweise ohne Lippenablesen
BGE 115 V 191 S. 202
Sprache zu verstehen). Entscheidend sind der Zeitpunkt der Ertaubung (vor oder nach dem Spracherwerb) sowie die Dauer der Gehörlosigkeit. Wie weit über Einzelfälle hinaus neben dem Erlangen von Höreindrücken und dem Erkennen von Stimmen und Geräuschen sowie der Identifikation isoliert gesprochener Worte ohne Lippenablesen ein offenes Sprachverständnis erreicht bzw. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, ist schwierig zu beurteilen. Im Hinblick auf die vom Gesetz (namentlich von
Art. 12 IVG
) geforderte Eingliederungswirksamkeit darf der Kommunikationsgewinn sich jedenfalls nicht bloss auf die Wiedererlangung eines geringen Sinneseindruckes beschränken, so bedeutsam ein solcher subjektiv für eine vollständig taube Person auch sein mag. Aufgrund der vor der Versorgung durchzuführenden Vorabklärungen wird in jedem Einzelfall versucht werden müssen, den voraussichtlichen therapeutischen Erfolg bezüglich Kommunikationsfähigkeit und damit die Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges zu ermitteln.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der Kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel-Stadt vom 11. Juni 1987 aufgehoben. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b582d4a2-20bc-44b3-96f4-07be7c6915f1 | Urteilskopf
117 IV 170
34. Urteil des Kassationshofes vom 28. Juni 1991 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1.
Art. 252 StGB
und Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG; Verhältnis.
Wer ausschliesslich aus fremdenpolizeilichen Motiven ein falsches fremdenpolizeiliches Ausweispapier herstellt oder wissentlich gebraucht, ist einzig nach Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG und nicht (auch) gemäss
Art. 252 StGB
zu bestrafen;
Art. 252 StGB
ist nur dann anwendbar, wenn der Täter eine Verwendung des Ausweispapiers im nicht-fremdenpolizeilichen Bereich zumindest in Kauf genommen hat (E. 1 und 2).
2. Aussergesetzlicher Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen.
Wahrung berechtigter Interessen bejaht in einem Fall, in dem ein Staatenloser ohne Schriften unter Vorweisung eines gefälschten ausländischen Passes in die Schweiz einreiste, um hier die Eheschliessung mit einer Schweizerin, der Mutter seiner im Zeitpunkt der Einreise anderthalbjährigen Tochter, vorzubereiten, nachdem verschiedene Anstrengungen, die Bewilligung für die Einreise bzw. die erforderlichen Papiere zu erhalten, erfolglos geblieben waren, bis zur Erreichung dieses Ziels jedenfalls noch einige Zeit verstrichen wäre und dem Täter die Lage hoffnungslos schien (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 171
BGE 117 IV 170 S. 171
A.-
Am 9. Februar 1989 reiste B., ein Schriftenloser südafrikanischer Herkunft, mit dem Zug von Österreich herkommend bei Buchs/SG in die Schweiz ein. Er wies sich gegenüber den schweizerischen Zollbeamten mangels gültiger Ausweisschriften und in Kenntnis des Umstandes, dass eine Einreise ohne entsprechende Dokumente erheblich erschwert oder verunmöglicht sein könnte, mit einem von ihm zuvor in Athen gekauften gefälschten, auf seinen Namen lautenden uruguayanischen Reisepass aus. Kurz nach dem Grenzübertritt warf er den Pass im Zug zwischen Buchs und Zürich in die Toilette. Mit Schreiben vom 21. Februar 1989 an die Fremdenpolizei des Kantons Zürich reichte die Rechtsanwältin von B. für diesen ein Gesuch um Aufenthaltsbewilligung für schriftenlose Ausländer bzw. um vorläufige Aufnahme in der Schweiz ein. Sie hatte sich schon zuvor mit verschiedenen Amtsstellen zwecks Klärung des Problems in Verbindung gesetzt. B. wollte die schweizerische Staatsangehörige H., die Mutter seiner am 25. August 1987 geborenen Tochter, heiraten.
B.-
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich sprach B. am 21. Juli 1989 von der Anschuldigung der
BGE 117 IV 170 S. 172
Fälschung von Ausweisen (
Art. 252 StGB
) und der Widerhandlung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG frei. Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach B. in Gutheissung der Berufung der Staatsanwaltschaft am 23. Februar 1990 der Fälschung von Ausweisen im Sinne von
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
und des Vergehens im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG schuldig und bestrafte ihn mit 7 Tagen Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren.
C.-
Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des Zürcher Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell sei die Sache zu seiner Schuldigsprechung wegen Widerhandlung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 1 und 4 ANAG und zu seiner Bestrafung mit einer Busse im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 6 letzter Halbsatz ANAG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer in der Absicht, sich oder einem andern das Fortkommen zu erleichtern, von einem Dritten gefälschte oder verfälschte Ausweisschriften usw. zur Täuschung gebraucht. Nach
Art. 23 Abs. 1 ANAG
wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft, wer falsche fremdenpolizeiliche Ausweispapiere herstellt oder echte verfälscht, und wer solche wissentlich gebraucht oder verschafft (al. 1), sowie wer rechtswidrig das Land betritt oder darin verweilt (al. 4).
Die Vorinstanz vertritt unter Berufung auf
BGE 99 IV 125
und auf einen Entscheid des Zürcher Obergerichts (ZR 63 Nr. 17) die Auffassung, dass
Art. 252 StGB
dem
Art. 23 ANAG
vorgehe, "sofern der Täter ausser fremdenpolizeilichen Motiven auch die Absicht hat, sich das Fortkommen zu erleichtern". Sie hält unter Hinweis auf bundesgerichtliche Entscheide fest, unter Erleichterung des Fortkommens im Sinne von
Art. 252 StGB
sei jede Verbesserung der persönlichen Lage zu verstehen (
BGE 98 IV 59
); dazu gehöre insbesondere auch die Ermöglichung oder Erleichterung des Grenzübertritts (
BGE 81 IV 34
). Sie führt weiter aus, dass das in
Art. 252 StGB
enthaltene Tatbestandselement der Erleichterung
BGE 117 IV 170 S. 173
des Fortkommens in
Art. 23 Abs. 1 ANAG
völlig fehle; daher könne sich die Frage, ob
Art. 23 Abs. 1 ANAG
gegenüber
Art. 252 StGB
"eine Spezialnorm mit Vorrang" sei, gar nicht stellen; denn von einer Spezialnorm könne nur dann die Rede sein, wenn sie auch sämtliche Elemente der Generalnorm enthalte.
Der Beschwerdeführer anerkennt, dass er den Tatbestand von Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG erfüllte, indem er ohne gültigen Ausweis die Schweiz betrat und darin verweilte. Er macht geltend, er könne wegen des Gebrauchs des in Athen gekauften gefälschten uruguayanischen Passes beim Grenzübertritt aber nicht gemäss
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
, sondern nur nach Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG verurteilt werden. Zur Begründung führt er aus, Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG habe als Spezialnorm Vorrang vor dem allgemeineren
Art. 252 StGB
, wenn der gefälschte Ausweis, wie dies vorliegend der Fall sei, einzig und allein aus fremdenpolizeilichen Motiven, nämlich zur Ermöglichung bzw. Erleichterung des Grenzübertritts verwendet worden sei. Wollte man den Täter, der zum rechtswidrigen Betreten der Schweiz gefälschte Ausweispapiere verwendet, nach
Art. 252 StGB
bestrafen, dann würde sich die Spezialnorm von Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG erübrigen. Der Gesetzgeber habe indessen auf eine Streichung der Tatbestandsvariante des Gebrauchs gefälschter fremdenpolizeilicher Ausweispapiere nach dem Inkrafttreten des StGB verzichtet, obschon er dazu anlässlich der zahlreichen Revisionen des ANAG oft genug Gelegenheit gehabt hätte. Nach den weiteren Ausführungen in der Beschwerde ist für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von
Art. 252 StGB
und von Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG, gleich wie für das Verhältnis etwa zwischen
Art. 251 StGB
und dem Fiskalstrafrecht, entscheidend, mit welcher Absicht der Beschwerdeführer gehandelt hat.
2.
a) Der Kassationshof hat sich schon verschiedentlich mit den Fragen des Verhältnisses zwischen den Strafbestimmungen des StGB einerseits und nebenstrafrechtlichen Spezialnormen anderseits befasst, so etwa in den Bereichen des Urkundenstrafrechts (
BGE 108 IV 31
/32, 180;
BGE 117 IV 182
E. 1 und des Betrugs (
BGE 110 IV 24
ff.,
BGE 112 IV 19
ff.;
BGE 117 IV 156
E. 5). Er hat in
BGE 108 IV 27
ff. in Änderung seiner früheren Rechtsprechung erkannt, dass derjenige, welcher mit einem Urkundenfälschungsdelikt ausschliesslich Steuervorschriften umgehen will und eine - objektiv mögliche - Verwendung des Dokuments im nicht-fiskalischen Bereich auch nicht in Kauf nimmt, nur nach dem Steuerstrafrecht
BGE 117 IV 170 S. 174
zu verurteilen sei. Weder die objektive Möglichkeit der Verwendung der zwecks Steuerhinterziehung gefälschten Urkunde im nicht-fiskalischen Bereich (vgl. dazu
BGE 103 IV 36
ff.), noch das Wissen des Täters um diese objektive Möglichkeit (so
BGE 106 IV 38
ff.) reichen nach dem zitierten Entscheid für die Anwendung von
Art. 251 StGB
aus;
Art. 251 StGB
ist nur dann neben den in Betracht fallenden Bestimmungen des Steuerstrafrechts anwendbar, wenn der Täter eine Verwendung der Urkunde im nicht-fiskalischen Bereich beabsichtigt oder zumindest in Kauf nimmt. Der Kassationshof hat im Urteil vom 7. Juni 1991 (BGE
BGE 117 IV 182
E. 1) entschieden, dass diese zu
Art. 251 StGB
entwickelten Kriterien grundsätzlich auch für die Erschleichung einer falschen Beurkundung in Sinne von
Art. 253 StGB
Gültigkeit haben.
b) Diese Grundsätze betreffend die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von
Art. 251 und 253 StGB
einerseits und nebenstrafrechtlichen Spezialnormen anderseits müssen entsprechend auch für das Verhältnis zwischen
Art. 252 StGB
und Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG gelten. Die Fälschung oder Verfälschung eines fremdenpolizeilichen Ausweispapiers ist demzufolge einzig gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG und nicht (auch) gemäss
Art. 252 Ziff. 1 StGB
zu bestrafen, wenn der Täter ausschliesslich aus fremdenpolizeilichen Motiven gehandelt und eine Verwendung des gefälschten Ausweises im nicht-fremdenpolizeilichen Bereich nicht zumindest in Kauf genommen hat. Ob der Fälscher oder Verfälscher, der eine anderweitige Verwendung des fremdenpolizeilichen Ausweispapiers in Kauf genommen hat, nach Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG und nach
Art. 252 Ziff. 1 StGB
(in Idealkonkurrenz) oder aber einzig nach
Art. 252 StGB
zu bestrafen sei, kann hier dahingestellt bleiben. Der Gebrauch eines gefälschten fremdenpolizeilichen Ausweispapiers ausschliesslich zu fremdenpolizeilichen Zwecken ist einzig nach Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG und nicht (auch) nach
Art. 252 StGB
strafbar. Die Frage, ob der Täter, der den Ausweis nicht selber auch gefälscht oder verfälscht hat, im Zeitpunkt des ausschliesslich fremdenpolizeilich motivierten Gebrauchs des Dokuments dessen anderweitige Verwendung in der Zukunft zumindest in Kauf genommen habe, stellt sich nicht, da ja nur der tatsächliche Gebrauch des Dokuments als solcher und nicht schon der Besitz des Ausweises zum späteren Gebrauch nach
Art. 23 Abs. 1 ANAG
bzw. nach
Art. 252 StGB
strafbar sein kann.
BGE 117 IV 170 S. 175
Wohl ist nach den insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil die Ermöglichung bzw. Erleichterung des rechtswidrigen Grenzübertritts unter Verwendung eines gefälschten fremdenpolizeilichen Ausweispapiers als Erleichterung des Fortkommens im Sinne von
Art. 252 StGB
zu qualifizieren (vgl. auch
BGE 81 IV 34
); das bedeutet aber nicht ohne weiteres, dass der Täter nach
Art. 252 StGB
zu bestrafen sei, sondern es bedeutet nur, dass sich eben die Konkurrenzfrage stellt. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG im Unterschied zu
Art. 252 StGB
nicht ausdrücklich eine bestimmte Absicht des Täters voraussetzt, und ist
Art. 252 StGB
nach seinem Wortlaut somit insoweit enger als Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG. Das ist indessen entgegen den Andeutungen im angefochtenen Urteil nicht entscheidend. Jedes vorsätzliche menschliche Verhalten ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung zweckgerichtet. Das gilt insbesondere auch für den vorsätzlichen Gebrauch eines falschen fremdenpolizeilichen Ausweispapiers; eine solche Tat kann gar nicht absichtslos verübt werden. Die in Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG implizite vorausgesetzte Absicht der Umgehung fremdenpolizeilicher Vorschriften ist enger als die in
Art. 252 StGB
vorausgesetzte Absicht der Erleichterung des Fortkommens. Wenn der Täter einen von einem Dritten gefälschten oder verfälschten ausländischen Pass, der unstreitig ein fremdenpolizeiliches Ausweispapier ist (vgl.
BGE 99 IV 125
E. 2), ausschliesslich aus fremdenpolizeilichen Motiven, also nicht zugleich auch zu andern Zwecken gebraucht, dann kann er nur gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG, der das ganze Unrecht dieser Tat erfasst, bestraft werden. Ob diese sich aus der gesetzlichen Regelung ergebende Privilegierung des ausschliesslich aus fremdenpolizeilichen Motiven handelnden Täters (Höchststrafe 6 Monate statt 3 Jahre Gefängnis) sachlich gerechtfertigt sei, hat der Richter nicht zu beurteilen. Vielmehr muss er Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG, der insoweit lex specialis gegenüber
Art. 252 StGB
ist, anwenden, solange diese Vorschrift besteht, zumal Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG für den Täter günstiger als
Art. 252 StGB
ist. Zwar ist das StGB und damit dessen Art. 252 nach dem ANAG in Kraft getreten (vgl. dazu
BGE 99 IV 126
). Dennoch kann Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG insoweit, als er sich mit
Art. 252 StGB
deckt, entgegen der Meinung einzelner Autoren (HAFTER, Strafrecht Besonderer Teil, S. 608, LOGOZ, Commentaire, art. 252 CP, note 2) nicht als aufgehoben gelten. Denn der Gesetzgeber hat anlässlich der Teilrevision des ANAG durch
BGE 117 IV 170 S. 176
Bundesgesetz vom 8. Oktober 1948, in Kraft seit 21. März 1949, die auch
Art. 23 ANAG
berührte, die schon im Gesetz vom 26. März 1931 enthaltene Tatbestandsvariante der Fälschung und Verfälschung fremdenpolizeilicher Ausweispapiere und des wissentlichen Gebrauchs solcher Papiere (vgl. AS 1933 279 ff., 286) unverändert belassen.
c) Der Beschwerdeführer brauchte den auf seinen Namen lautenden gefälschten uruguayanischen Pass, den er in Athen gekauft hatte, einzig zum Zweck des Grenzübertritts in die Schweiz. Er verfügte als Staatenloser über keine Ausweispapiere. Er hatte sich durch verschiedene Vorkehrungen während einiger Zeit um gültige Ausweispapiere, die ihm das Betreten der Schweiz erlaubten, bemüht. Als dies ohne Erfolg blieb, beschaffte er sich den fraglichen Pass, um mit diesem Dokument in die Schweiz einzureisen. Gemäss seinen eigenen Angaben, auf welche die erste Instanz in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" abstellte und welche im angefochtenen Entscheid nicht widerlegt werden, warf er den Pass unmittelbar nach dem Grenzübertritt im Zug in eine Toilette. Seine Rechtsanwältin kontaktierte verschiedene Behörden zwecks Regelung seiner Anwesenheit. Der Beschwerdeführer hat damit den gefälschten uruguayanischen Pass offensichtlich einzig aus fremdenpolizeilichen Motiven, nämlich zum Zweck der Umgehung der für den Grenzübertritt geltenden fremdenpolizeilichen Vorschriften, gebraucht. Die Vorinstanz legt mit keinem Wort dar und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der Gebrauch des fraglichen Ausweispapiers unter diesen Umständen nicht ausschliesslich aus fremdenpolizeilichen Gründen erfolgt sei; sie stellt auch nicht fest und nichts deutet darauf hin, dass der Beschwerdeführer das gefälschte Dokument in der Schweiz auch noch zu andern Zwecken gebraucht habe. Dass die Ermöglichung bzw. Erleichterung des Grenzübertritts mittels des gefälschten Passes unter Umgehung der relativ strengen fremdenpolizeilichen Vorschriften nach der insoweit zutreffenden Auffassung der Vorinstanz als Erleichterung des Fortkommens im Sinne von
Art. 252 StGB
qualifiziert werden kann, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer das fragliche Dokument in der Schweiz ausschliesslich aus fremdenpolizeilichen Motiven, nämlich zur Umgehung der fremdenpolizeilichen Vorschriften bei der Einreise in die Schweiz, verwendet hat.
Die Verurteilung des Beschwerdeführers gemäss
Art. 252 StGB
verletzt demnach Bundesrecht. Der Beschwerdeführer machte sich
BGE 117 IV 170 S. 177
dadurch, dass er beim Grenzübertritt von Österreich in die Schweiz den schweizerischen Zollbeamten einen gefälschten Pass vorwies, nicht des täuschenden Gebrauchs einer gefälschten Ausweisschrift im Sinne von
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
schuldig, sondern erfüllte den Tatbestand des Gebrauchs eines gefälschten fremdenpolizeilichen Ausweispapiers im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 1 ANAG. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher in diesem Punkt gutzuheissen.
3.
Der Beschwerdeführer beruft sich wie bereits im kantonalen Verfahren auf den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen. Die Vorinstanz hat im Unterschied zur ersten Instanz diesen Rechtfertigungsgrund vorliegend als nicht gegeben erachtet.
a) Der Beschwerdeführer ist am 1. Februar 1957 in Johannesburg (Südafrika) als Sohn einer ägyptischen Mutter und eines englischen Vaters geboren worden. Die Mutter starb bei seiner Geburt. Bis zu seinem 9. Lebensjahr wuchs er bei seinem Vater in Südafrika auf. Als dieser starb, wurde der Beschwerdeführer von einem Bekannten nach Kairo in eine Pflegefamilie gebracht, die für die Betreuung bis zu seinem 19. Lebensjahr Geld erhielt. Der Beschwerdeführer ist Staatenloser und verfügte im Zeitpunkt der inkriminierten Taten über keinerlei Ausweispapiere. Er lernte im September 1985 in Griechenland die Schweizer Staatsangehörige H. kennen und lebte dort mit ihr zusammen. H. wurde gegen Ende 1986 schwanger; im 6. Monat ihrer Schwangerschaft beschloss sie, für die Geburt des Kindes in die Schweiz zurückzukehren, mit der Überlegung, dass sie für den Fall, dass sie in eine Notlage geraten würde, nur hier Sozialhilfe erhielte. Am 25. August 1987 gebar sie eine Tochter. Der Beschwerdeführer ist der Vater dieses Kindes; seine Vaterschaft wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 23. Juni 1988 infolge Anerkennung festgestellt, und der Beschwerdeführer wurde zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 500.-- an das Kind verpflichtet. H. bemühte sich seit ihrer Rückkehr in die Schweiz darum, dem Beschwerdeführer, der sich weiterhin in Griechenland aufhielt und weder Ausweispapiere noch eine Arbeitsbewilligung besass, eine legale Einreise in die Schweiz zu ermöglichen und hier die Heirat vorzubereiten. Von den Behörden erhielt sie den Bescheid, dass eine Heirat in der Schweiz nur möglich sei, wenn sich der Bräutigam in der Schweiz aufhalte; eine Einreise für einen Mann ohne Papiere werde jedoch nicht bewilligt, selbst wenn er der Vater eines in der Schweiz
BGE 117 IV 170 S. 178
lebenden Kindes einer Schweizerin sei. Ein Gesuch des Beschwerdeführers um Bewilligung der Einreise zur Vorbereitung der Heirat mit H. wurde von der Fremdenpolizei des Kantons Zürich mit Verfügung vom 19. Oktober 1987 abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Gesuchsteller nicht über ein gültiges Ausweispapier verfüge; dass die Voraussetzungen zur Erteilung der gewünschten Einreisebewilligung zwecks Vorbereitung der Heirat nicht erfüllt seien; dass die kantonale Verkündbewilligung nicht vorliege und somit nicht feststehe, dass eine Heirat möglich sei; dass zudem der Nachweis über ausreichende finanzielle Mittel nicht erbracht sei. H. reichte im November 1988 bei der südafrikanischen Botschaft in Bern für den Beschwerdeführer ein Passgesuch ein; die Anwältin von H. erhielt im Frühling 1989 von einer Angestellten der Botschaft auf Anfrage hin die Auskunft, dass es bis zur Behandlung des Gesuchs noch mindestens ein Jahr dauern würde. Das englische Generalkonsulat in Zürich, welches um Hilfe bei der Suche nach Verwandten des Beschwerdeführers angegangen wurde, verwies diesen an die südafrikanische Botschaft in London. Der Beschwerdeführer hatte seinerseits schon zu Beginn der 80er Jahre auf verschiedenen Wegen versucht, Informationen über seine Herkunft zu erhalten.
b) Der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen ist gegeben, wenn die Tat ein zur Erreichung des berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, die der Täter zu wahren sucht (
BGE 113 IV 7
mit Hinweisen; STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil I,
§ 10 N 76
).
Wie dieser Rechtfertigungsgrund im Einzelfall zu konkretisieren ist, hängt unter anderem davon ab, wie weit man den Rechtfertigungsgrund des Notstandes, insbesondere das Erfordernis der unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr, versteht.
In
BGE 113 IV 7
wurde die Rechtfertigung für das Verhalten eines Motorradfahrers, der als offizieller Begleiter für die Sicherheit der Teilnehmer eines Radrennens zu sorgen hatte und dabei namentlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt, bejaht, soweit dies zur Erfüllung seines Auftrages geboten war.
In einem unveröffentlichten Urteil vom 22. August 1990 hat der Kassationshof angenommen, dass sich ein Mieter nicht unter Rückgriff auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen gegen seine Exmission wehren könne. Denn die Lösung
BGE 117 IV 170 S. 179
des Interessenkonflikts zwischen dem Mieter und dem Vermieter ergebe sich in erster Linie aus dem Mietrecht (
Art. 253 OR
). Hier fänden sich sowohl die materiellen Grundsätze als auch die verfahrensrechtlichen Prinzipien, nach denen der Konflikt zu lösen ist. Wenn es in Anwendung dieser Regeln in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu einem rechtskräftigen vollstreckbaren richterlichen Ausweisungsbefehl gekommen sei, der Interessenkonflikt also zu Gunsten des Vermieters entschieden und damit das vom Mieter behauptete Recht rechtskräftig verneint worden sei, könne sich der Mieter zur Durchsetzung bzw. Verteidigung seines behaupteten Rechts nicht auf die Wahrung berechtigter Interessen berufen. Ein Rechtfertigungsgrund könnte höchstens dann in Erwägung gezogen werden, wenn sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des Exmissionsverfahrens wesentliche Umstände verändert hätten. Die Leistung von Widerstand könne unter Umständen angesichts der Art und Weise und insbesondere des Zeitpunkts des Vollzugs der Ausweisungsverfügung gerechtfertigt sein, also etwa dann, wenn der Mieter zum Zeitpunkt des Vollzugs schwer erkrankt ist.
c) Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten - Gebrauch eines gefälschten uruguayanischen Passes einzig beim Grenzübertritt sowie kurzfristiger unberechtigter Aufenthalt in der Schweiz - erscheinen nicht als gravierend. Der Beschwerdeführer verfolgte das Ziel, die in der Schweiz lebende Mutter seiner Tochter, die Schweizerin ist, zu heiraten und dem im Zeitpunkt der inkriminierten Taten schon anderthalbjährigen Kind den Vater als Bezugsperson zu verschaffen. Dieses Ziel ist, wie sich aus den Wertentscheidungen der Rechtsordnung (
Art. 8 und 12 EMRK
) ergibt, offensichtlich wesentlich höherwertig als das staatliche Interesse an der Beachtung von fremdenpolizeilichen Verwaltungsvorschriften, deren Verletzung mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bestraft wird. Erste Voraussetzung zur Erreichung des angestrebten Ziels war die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Schweiz.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die inkriminierten Taten als notwendiges, angemessenes und einzig mögliches Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels betrachtet werden können. Der Beschwerdeführer und insbesondere seine Freundin H. hatten sich während längerer Zeit durch eine ganze Reihe von Vorkehrungen um Papiere bemüht, welche dem Beschwerdeführer die legale Einreise in die Schweiz ermöglichen sollten. Alle diese Bemühungen waren erfolglos. Sie wären vielleicht erfolgreich gewesen, wenn der
BGE 117 IV 170 S. 180
Beschwerdeführer bzw. seine Freundin, die lange Zeit nicht anwaltlich vertreten waren, die Gesuche unter rechtskundiger Beratung gestellt hätten. Auch kann nicht ohne weiteres gesagt werden, dass das Ziel der Einreise in die Schweiz auf legalem Wege unmöglich zu erreichen war (vgl. dazu auch
Art. 2 Abs. 9 ANAV
sowie die Verordnung über Reisepapiere für schriftenlose Ausländer, SR 143.5). Es ist indessen zu beachten, dass die Realisierung dieses Ziels auf legalem Wege einige Zeit in Anspruch genommen hätte. Der Zeitfaktor spielte aber gerade vorliegend eine wesentliche Rolle, wo es darum ging, endlich die Familie zu vereinigen. Der Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen kann in einem Fall der vorliegenden Art, in dem der Zeitfaktor eine grosse Rolle spielte, auch dann bejaht werden, wenn das angestrebte, hochwertige Ziel innert vernünftiger Frist auf legalem Wege nicht erreicht werden kann. Davon ist vorliegend auszugehen. Dafür spricht unter anderem, dass die Behörden nicht in der Lage waren, dem Beschwerdeführer während der vergleichsweise langen Zeit seit der Geburt der Tochter die Einreise in die Schweiz unter anderem zur Vorbereitung der Heirat mit H. zu ermöglichen.
Das Vorliegen des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der Wahrung berechtigter Interessen kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch nicht mit den - im übrigen weitgehend spekulativen - Erwägungen verneint werden, dass es H. notfalls möglich und zumutbar gewesen wäre, für die Dauer des gegebenenfalls langen Verfahrens betreffend die Beschaffung der für die Einreise des Beschwerdeführers in die Schweiz erforderlichen Papiere nach Griechenland zum Beschwerdeführer zurückzukehren und eventuell sogar zu versuchen, dort die Ehe zu schliessen. Denn wenn es um die Beurteilung des Beschwerdeführers geht, ist es unzulässig, auf die Möglichkeit abzustellen, dass eine andere Person sich anders hätte verhalten können.
Selbst wenn man aber annehmen wollte, dass objektiv die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Wahrung berechtigter Interessen nicht gegeben seien, wäre dem Beschwerdeführer zuzubilligen, dass er unter den gegebenen Umständen das von ihm gewählte Vorgehen als den einzig möglichen Weg angesehen hat und in guten Treuen ansehen durfte. Das schliesst aber zumindest einen subjektiven Unrechts- und Schuldvorwurf aus.
d) Die Verurteilung des Beschwerdeführers verletzt somit Bundesrecht. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher auch in diesem Punkt gutzuheissen. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5844785-4ed1-4c6d-aafe-db84aa943429 | Urteilskopf
99 Ib 505
71. Auszug. aus dem Urteil vom 21. Dezember 1973 i.S. Antognazza gegen Beauftragten für die Stabilisierung des Baumarktes. | Regeste
Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes; Ausführungssperre (BB vom 20. Dezember 1972 und Verordnung des Bundesrates vom 10. Januar 1973).
Voraussetzungen der Ausführungssperre für Terrassenhäuser. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung ist entgegen dem klar scheinenden Wortlaut auszulegen. | Sachverhalt
ab Seite 506
BGE 99 Ib 505 S. 506
Aus dem Tatbestand:
A.-
Am 20. März 1973 erteilte die Baukommission der Gemeinde Küsnacht/ZH dem Gesuchsteller Dr. Giampiero Antognazza die Baubewilligung für ein "4-Familienhaus (Eigentumswohnungen) mit 3 Doppelgaragen" und unterstellte gleichzeitig das Bauvorhaben der Ausführungssperre gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. 1 des Bundesbeschlusses über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes vom 20. Dezember 1972 (BauB) in Verbindung mit Art. 4 lit. b, c und f der Verordnung des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements über die Merkmale des preisgünstigen Wohnungsbaus sowie der Luxusbauten vom 23. August 1972.
B.-
Mit Beschwerde an den Beauftragten des Bundesrates für die Stabilisierung des Baumarktes beantragte Dr. Antognazza die Erteilung der Ausführungsbewilligung. Er machte geltend, es handle sich um ein Terrassenhaus mit Wohnungseinheiten, die nur einen sehr geringen Anteil gemeinschaftlicher Anlagen umfassten und daher nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung des Bundesrates über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes vom 10. Januar 1973 (BauV) als Einfamilienhäuser zu behandeln seien. Da die für Einfamilienhäuser geltende Kostengrenze nicht überschritten sei, unterliege das Vorhaben nicht der Ausführungssperre.
Der Beauftragte wies die Beschwerde am 31. Juli 1973 ab. Er führte aus, der Anteil der gemeinschaftlichen Anlagen sei zwar nicht überdurchschnittlich hoch; da das Bauvorhaben jedoch Luxusmerkmale gemäss Art. 4 der Verordnung vom 23. August 1972 aufweise, habe man es nicht mit Einfamilienhäusern im Sinne des Art. 7 Abs. 2 BauV zu tun, sondern mit einem Mehrfamilienhaus, das nach Art. 5 Abs. 1 lit. 1 BauB der Ausführungssperre unterstehe.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Dr. Antognazza, den Entscheid des Beauftragten aufzuheben und das Bauvorhaben zur sofortigen Ausführung freizugeben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Prozessuales.)
2.
Der Beschwerdeführer hat den beabsichtigten Bau auf sämtlichen Plänen als Mehrfamilienhaus bezeichnet, und dementsprechend hat die Gemeindebehörde die Baubewilligung für
BGE 99 Ib 505 S. 507
ein "4-Familienhaus (Eigentumswohnungen)" erteilt. Demgegenüber stellt der Beschwerdeführer sich in seiner Beschwerde an den Beauftragten auf den Standpunkt, es handle sich um Terrassenhäuser, die in der Baueingabe nur "mangels fachtechnischem Ausdruck" als Eigentumswohnungen bezeichnet worden seien. Indes zeigen die Pläne einen geschlossenen Baukubus, bei dem die oberen Geschosse nur auf der Südwestseite terrassenartig zurückspringen, so dass als zweifelhaft erscheint, ob von Terrasenhäusern gesprochen werden kann. Der Beauftragte hat diese Bezeichnung übernommen; ob zu Recht, kann offengelassen werden, da die Beschwerde auch dann abzuweisen ist, wenn angenommen wird, dass das Projekt Terrassenhäuser im Sinne der BauV zum Gegenstand hat.
3.
Gemäss Art. 7 Abs. 2 BauV werden Terrassenhäuser und ähnliche geschlossene Überbauungen als Einfamilienhäuser behandelt, "wenn der Anteil der gemeinschaftlichen Anlagen nicht überdurchschnittlich hoch ist oder wenn keine Luxusmerkmale vorhanden sind". Im vorliegenden Fall ist der Beauftragte zum Schluss gekommen, zwar sei der Anteil der Gemeinschaftsanlagen nicht überdurchschnittlich hoch, doch weise das Projekt Luxusmerkmale auf, weshalb nicht von Einfamilienhäusern im Sinne von Art. 7 Abs. 2 BauV die Rede sein könne.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Beauftragte habe die im Nebensatz dieser Bestimmung genannten Kriterien zu Unrecht kumulativ angewendet. Art. 7 Abs. 2 BauV stelle den Anteil der Gemeinschaftsanlagen alternativ den Luxusmerkmalen gegenüber, was zur Folge habe, dass Terrassenhäuser auch dann als Einfamilienhäuser zu behandeln seien, wenn zwar Luxusmerkmale beständen, der Anteil der Gemeinschaftsanlagen jedoch nicht überdurchschnittlich gross sei.
Für die Auffassung des Beschwerdeführers spricht der Wortlaut der Bestimmung ("oder"). Der Beauftragte bemerkt, das Wort "oder" werde "im deutschen Sprachgebrauch nicht nur alternativ verwendet, sondern auch als Verbindungswort einer Aufzählung von zusammenhängenden Merkmalen, Voraussetzungen usw.". Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden. Das Wort "oder" findet richtigerweise allein dort Verwendung, wo eine alternative Gegenüberstellung zweier Begriffe gemeint ist, während für eine kumulative Aufzählung das Wort "und" am Platz ist.
Indes ist daraus, dass der Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung
BGE 99 Ib 505 S. 508
an sich klar ist, nicht ohne weiteres zu schliessen, dass für eine sinngemässe Auslegung kein Raum bleibe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts darf von ihm abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Gesetzesbestimmungen ergeben (
BGE 80 II 316
;
BGE 87 I 16
;
BGE 90 I 214
f.;
BGE 95 I 326
, 509;
BGE 96 I 627
; 98 I/a 192, 200).
4.
Zweck des Bundesbeschlusses über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes und der Ausführungsbestimmungen ist es, die übergrosse Baunachfrage einzudämmen, wobei im Interesse der ertragsschwächeren Anlagen, insbesondere des preisgünstigen Wohnungsbaus, die sozial- und wirtschaftspolitisch erwünschten Prioritäten gesetzt werden sollen. Daher werden in Art. 5 BauB sämtliche nicht als dringlich erachteten Bauvorhaben der Ausführungssperre unterstellt.
Gesperrt sind gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. i BauB in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 lit. c BauV insbesondere Einfamilienhäuser mit mehr als 1200 m2 umbauten Raumes oder über Fr. 400 000 Erstellungskosten. Ferner sind nach Art. 5 Abs. 1 lit. 1 BauB kostspielige und luxuriöse Mehrfamilienhäuser der Ausführungssperre unterworfen. Somit sind sowohl Einfamilienhäuser als auch Mehrfamilienhäuser mit hohen Baukosten der Sperre unterstellt. Bei den Einfamilienhäusern gelten die Kriterien des umbauten Raumes und der Erstellungskosten alternativ, d.h. auch ein kleines Einfamilienhaus von weniger als 1200 m2 unterliegt der Sperre, wenn die Erstellungskosten mehr als Fr. 400 000 betragen. Für die Mehrfamilienhäuser sind die für die Unterstellung unter die Sperre entscheidenden Luxusmerkmale in Art. 4 der Verordnung vom 23. August 1972 enthalten, die gemäss Art. 39 der BauV vom 10. Januar 1973 auch unter der Herrschaft des neuen BauB vom 20. Dezember 1972 bis zu ihrer Ablösung weiterhin in Kraft bleibt. Gemäss Art. 4 der Verordnung vom 23. August 1972 genügt eines der in lit. a-f aufgezählten Luxusmerkmale, um ein Mehrfamilienhaus als luxuriös zu qualifizieren und damit der Sperre zu unterstellen.
Art. 7 Abs. 1 BauV definiert ein Einfamilienhaus als "ein freistehendes oder an andere Bauten angebautes Wohngebäude, welches eine Wohneinheit für eine Familie und allenfalls eine Kleinwohnung für Angehörige enthält". Da in den letzten Jahren
BGE 99 Ib 505 S. 509
häufig neue Siedlungen in Form an- und übereinandergebauter sogenannter Terrassenhäuser erstellt wurden, war es notwendig, auch deren Behandlung in der BauV zu regeln. Dort wurden Terrassenhäuser und andere geschlossene Überbauungen unter gewissen Voraussetzungen den Einfamilienhäusern gleichgestellt, während sie andernfalls den Mehrfamilienhäusern zugeordnet sind.
Würde nun Art. 7 Abs. 2 BauV nach dem Wortlaut ausgelegt, wie es der Beschwerdeführer will, so hätte dies zur Folge, dass Terrassenhäuser und ähnliche geschlossene Überbauungen, bei denen der Anteil der gemeinschaftlichen Anlagen nicht überdurchschnittlich hoch ist, gegenüber den herkömmlichen Einfamilienhäusern in dem Sinne privilegiert wären, dass sie zwar wegen der geschlossenen Bauweise weniger kosten würden, aber gleichwohl nur unter die für Einfamilienhäuser geltende Erstellungskostengrenze von maximal Fr. 400 000 fallen würden und daher entsprechend luxuriöser gebaut werden könnten. Andererseits hätte diese Auslegung zur Folge, dass Terrassenhäuser und ähnliche Überbauungen auch gegenüber den der Ausführungssperre unterstellten kostspieligen und luxuriösen Mehrfamilienhäusern insofern privilegiert wären, als bei einem das durchschnittliche Mass nicht übersteigenden Anteil der Gemeinschaftsanlagen ein allfälliger sonstiger Luxus in der Bauweise oder im Ausbau nicht zu berücksichtigen wäre, soweit er den Spielraum, den die für Einfamilienhäuser aufgestellten Raum- und Kostengrenzen lassen würden, nicht überschritte.
Eine solche Privilegierung der Terrassenhäuser sowohl gegenüber den Einfamilienhäusern als auch gegenüber den Mehrfamilienhäusern wäre sachlich nicht zu begründen und würde eine unerträgliche Verletzung der Rechtsgleichheit bedeuten. Eine alternative Anwendung der Kriterien von Art. 7 Abs. 2 BauV würde dem Sinn und Zweck des Baubeschlusses, des Art. 17 BauV und des Art. 4 der Verordnung vom 23. August 1972 zuwiderlaufen. Diese Bestimmungen zeigen die Absicht, sämtliche Bauten mit Luxusmerkmalen der Ausführungssperre zu unterstellen, eine Absicht, die auch in der Botschaft des Bundesrates vom 4. Dezember 1972 klar zum Ausdruck kommt (BBl 1972 II S. 1569). Bei den Einfamilienhäusern bietet die ungeachtet des Volumens des umbauten Raumes geltende Erstellungskostengrenze von Fr. 400 000 angesichts der heutigen Baukosten Gewähr dafür, dass kein als luxuriös zu bezeichnendes Projekt
BGE 99 Ib 505 S. 510
realisiert werden kann. Würde es für die Behandlung von Terrassenhäusern als Einfamilienhäuser genügen, dass der Anteil der Gemeinschaftsanlagen das durchschnittliche Mass nicht übersteigt, so würde Art. 7 Abs. 2 BauV aus dem Rahmen der übrigen Bestimmungen zur Stabilisierung des Baumarktes fallen, in deren Zusammenhang er richtigerweise gesehen werden muss. So ausgelegt würde Art. 7 Abs. 2 dem eindeutigen Zweck der Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes widersprechen. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 gibt somit offensichtlich nicht den wahren Sinn wieder, der dieser Bestimmung zukommen muss. Sie kann nur so verstanden werden, dass auch Terrassenhäuser bloss dann der Ausführungssperre nicht unterstellt sein sollen, wenn sie keinerlei Luxusmerkmale aufweisen.
5.
Die alternative Formulierung von Art. 7 Abs. 2 BauV beruht möglicherweise darauf, dass auch Art. 5 Abs. 1 lit. i BauB eine solche enthält. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch darin, dass Art. 5 Abs. 1 lit. i BauB positiv die Voraussetzungen umschreibt, unter denen Einfamilienhäuser der Ausführungssperre unterliegen. Es werden dabei alternativ zwei Kriterien genannt, bei deren Vorhandensein das Projekt unter die Sperre fällt. Dies bedeutet negativ ausgedrückt, dass keines der beiden Kriterien erfüllt sein darf, wenn das Vorhaben nicht der Sperre unterstellt sein soll. In Art. 7 Abs. 2 BauV wurde eine negative Formulierung gewählt; es werden die Kriterien genannt, bei deren Vorhandensein ein Terrassenhaus nicht der für Mehrfamilienhäuser geltenden Regelung unterliegen soll. Dementsprechend hätten jedoch diese Voraussetzungen kumulativ aufgezählt werden müssen, sollte die Bestimmung, wörtlich verstanden, nicht aus dem Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen herausfallen und der ratio legis widersprechen.
6.
Mit Grund wird für Terrassenhäuser nicht einfach die für Einfamilienhäuser massgebliche Erstellungskostengrenze übernommen, sondern auf das Vorhandensein von Luxusmerkmalen abgestellt. Diese Sonderregelung erklärt sich daraus, dass Terrassenhäuser infolge der geschlossenen Überbauung billiger gebaut werden können als Einfamilienhäuser im herkömmlichen Sinn, sodass mit Erstellungskosten von Fr. 400 000 eine entsprechend luxuriösere Bauweise möglich wäre. Eine solche Privilegierung der Terrassenhäuser sollte durch das Abstellen auf Luxusmerkmale vermieden werden.
Der Beschwerdeführer wendet ein, bei einer kumulativen Anwendung
BGE 99 Ib 505 S. 511
der Kriterien von Art. 7 Abs. 2 BauV habe die Bestimmung keinen Sinn, weil kostspielige oder luxuriöse Mehrfamilienhäuser ohnehin der Ausführungssperre unterstellt seien. Er verkennt, dass bei vielen Terrassensiedlungen der Einfamilienhauscharakter der einzelnen Wohneinheiten so ausgeprägt ist, dass schwerlich von einem Mehrfamilienhaus gesprochen werden könnte. Da unter der Herrschaft des Baubeschlusses vom 25. Juni 1971 in Ermangelung einer diesbezüglichen Regelung Schwierigkeiten bei der Behandlung von Terrassenhäusern entstanden sind, stellt nun Art. 7 Abs. 2 BauV Terrassenhäuser unter den genannten Voraussetzungen den Einfamilienhäusern gleich. Unterscheidet sich ein Terrassenhaus von einem gewöhnlichen Mehrfamilienhaus nur dadurch, dass die einzelnen übereinandergelagerten Wohnungen rückwärts gegen den Hang leicht verschoben sind, wie dies für das Bauvorhaben des Beschwerdeführers zutrifft, so wäre an sich eine Sonderregelung nicht notwendig. Die in Art. 7 Abs. 2 BauV aufgestellten, richtigerweise kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen für die Behandlung von Terrassenhäusern als Einfamilienhäuser sind in diesem Falle erst recht gerechtfertigt, da sich hier eine Andersbehandlung gegenüber den Mehrfamilienhäusern nicht begründen liesse.
7.
Die vorstehenden Erwägungen führen zum Schluss, dass der Beauftragte die in Art. 7 Abs. 2 BauV genannten Kriterien zu Recht kumulativ angewendet hat. Seine Auslegung entspricht dem Sinn der Bestimmung, wie er sich aus dem Baubeschluss selbst in Verbindung mit den dazugehörigen Ausführungsverordnungen ergibt.
8.
(Das Bauvorhaben des Beschwerdeführers weist Luxusmerkmale auf und unterliegt daher der Ausführungssperre.) | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
b588e3b3-8a95-4ac8-b68f-b7324043a270 | Urteilskopf
118 Ia 144
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juli 1992 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde). | Regeste
Art. 4 BV
; Schlüssigkeit und Beweiskraft eines technischen Gutachtens (Brandprobenanalyse) im Strafprozess.
In Sachfragen weicht der Richter nur aus triftigen Gründen von einer gerichtlichen Expertise ab. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen ist Aufgabe des Richters. Dieser hat zu prüfen, ob sich auf Grund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Erscheint dem Richter die Schlüssigkeit einer Expertise in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat er nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann einen Verstoss gegen
Art. 4 BV
(Verbot willkürlicher Beweiswürdigung) nach sich ziehen. Im vorliegenden Fall wurde ein solcher Verstoss verneint. | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 118 Ia 144 S. 144
Mit Urteil vom 18. Oktober 1990 verurteilte das Bezirksgericht Münchwilen X. wegen fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst
BGE 118 Ia 144 S. 145
und Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz zu einer Busse von Fr. 5'000.--, bedingt löschbar nach einer Probezeit von einem Jahr. X. wurde im wesentlichen vorgeworfen, seine pflichtwidrige Unsorgfalt bei der Überwachung eines Heustockes habe am 18. Juni 1989 zu einem Heustockbrand infolge Selbstentzündung geführt. Als Folge des Brandes entstand grosser Sachschaden. Unter anderem gerieten benachbarte Gebäude in Flammen und es verendeten 25 Schweine. Für die Abklärung der Brandursache stützte sich das Bezirksgericht u.a. auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich vom 20. Juli 1989.
Gegen das Urteil des Bezirksgerichtes erhob X. Berufung an das Obergericht des Kantons Thurgau, während die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau Anschlussberufung erklärte. Das Obergericht ordnete darauf eine Expertiseergänzung mit mündlicher Expertenbefragung an. Mit Urteil vom 10. Dezember 1991 bestätigte das Obergericht - mit Ausnahme eines Anklagepunktes betreffend Vernachlässigung von Tieren - die Schuldsprüche und reduzierte die erstinstanzlich ausgesprochene Busse auf Fr. 4'500.--. Eine dagegen von X. erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid beruhe "auf einer willkürlichen Beweiswürdigung, indem auf eine offensichtlich unhaltbare Expertise abgestellt" worden sei und "indem Feststellungen ohne jede Beweisgrundlage getroffen" worden seien. Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich sei insbesondere deshalb nicht schlüssig, weil es den Ausführungen in einer wissenschaftlichen Publikation zum Problem der Selbstentzündung von Heu widerspreche. An der betreffenden Publikation hatte der Urheber der Expertise als Co-Autor mitgewirkt.
c) Der gerichtliche Experte teilt dem Richter auf Grund seiner Sachkunde entweder Erfahrungs- oder Wissenssätze seiner Disziplin mit, erforscht für das Gericht erhebliche Tatsachen oder zieht sachliche Schlussfolgerungen aus bereits bestehenden Tatsachen. Er ist Entscheidungsgehilfe des Richters, dessen Wissen er durch besondere Kenntnisse aus seinem Sachgebiet ergänzt (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 29. März 1990 i.S. A. A., E. 7c, S. 17; ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen
BGE 118 Ia 144 S. 146
Strafprozessrechts, 2. Aufl., Zürich 1984, S. 178; MARC HELFENSTEIN, Der Sachverständigenbeweis im schweizerischen Strafprozess, Diss. ZH 1978, S. 1 ff.; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, Zürich 1989, N 660 ff.). Angesichts der immer schneller fortschreitenden Entwicklungen auf sämtlichen Gebieten von Wissenschaft und Technik kommt dem gerichtlichen Gutachten eine hohe Bedeutung zu. Nicht zu übersehen sind aber auch Gefahren einer Überschätzung und Überbewertung von Expertenmeinungen (vgl. KLAUS LOUWEN, Die Abhängigkeit des Richters der Sozialgerichtsbarkeit von ärztlichen Sachverständigen, Deutsche Richterzeitung 1988, S. 241 ff.; HORST SENDLER, Richter und Sachverständiger, Neue Juristische Wochenschrift 1986, S. 297 ff.; OTTO RUDOLF KISSEL, Gerichtsverfassungsgesetz, München 1981,
§ 1 N 160
; SCHMID, a.a.O., N 664). Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen muss in jedem Fall Sache des Richters bleiben (
BGE 113 II 201
E. 1a;
BGE 111 II 75
;
107 IV 8
;
BGE 102 IV 226
f. E. 7b).
Nach der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu
Art. 6 EMRK
hat der Angeschuldigte grundsätzlich Anspruch auf Unparteilichkeit des bestellten Experten. So kann es problematisch erscheinen, wenn das Gericht einen Experten benennt, dessen Feststellungen zur Einleitung des Strafverfahrens geführt haben. Der Anspruch auf Waffengleichheit verlangt jedoch nicht, dass das Gericht auf Verlangen des Angeschuldigten eine Zusatzexpertise veranlasst, falls das erste Gutachten die Anklage bestätigt (Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 28. August 1991 i.S. Brandstetter c. A, EGMR Série A, vol. 211, Ziff. 46, 55 ff.).
Erscheint dem Richter die Schlüssigkeit einer Expertise in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat er nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Als zusätzliches Beweismittel bietet sich insbesondere die Ergänzung des Gutachtens oder die Anordnung einer Oberexpertise an. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann dagegen einen Verstoss gegen
Art. 4 BV
beinhalten (vgl. HELFENSTEIN, a.a.O., S. 251 ff.; MARK PIETH, Der Beweisantrag des Beschuldigten im Schweizer Strafprozessrecht, Diss. BS 1984, S. 240; SCHMID, a.a.O., N 671; ZR 85 (1986) Nr. 35). In technischen Fragen hält sich das Bundesgericht im Rahmen seiner Kognition an die Auffassung des Experten, sofern diese nicht offensichtlich widersprüchlich erscheint oder auf irrtümlichen tatsächlichen Feststellungen beruht (
BGE 110 Ib 56
E. 2;
101 Ib 408
).
BGE 118 Ia 144 S. 147
Grundsätzlich ist ein Abweichen von der Expertise nur aus triftigen Gründen zulässig (
BGE 107 IV 8
;
BGE 102 IV 226
f. E. 7b).
2.
a) Für die Frage, ob das Abstellen auf die Meinung des Experten einer willkürlichen Beweiswürdigung gleichkommt, ist in erster Linie auf die gerichtliche Expertise zum vorliegenden konkreten Fall und die diesbezüglichen ergänzenden Ausführungen des Experten an Schranken abzustellen und erst in zweiter Linie auf frühere Publikationen des gleichen Gutachters zu allgemeinen Fragen des Expertisethemas. Zu überprüfen ist allerdings, ob sich auf Grund der angeblichen Widersprüche zum wissenschaftlichen Schrifttum ernsthafte Zweifel an der Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen im konkreten Fall aufdrängen.
b) Der Beschwerdeführer hatte im Berufungsverfahren die Ansicht vertreten, bei der Heuprobenentnahme an der Brandstelle sei nicht sachgerecht vorgegangen worden. Mit Hinweis auf die entsprechenden Darlegungen des Experten wird diese Ansicht im angefochtenen Urteil verworfen. Insbesondere sei es wegen Fäulnisgefahr sachgerecht gewesen, die Proben zu trocknen und nicht in nassem Zustand zu belassen. Der Einwand des Beschwerdeführers, es könne nicht mehr festgestellt werden, ob die Proben aus der Heuernte 1988 oder 1989 stammten, wurde vom Obergericht als nicht erheblich eingestuft, da es nach den Ausführungen des Experten irrelevant sei, ob in der Heuprobe auch altes Heu gewesen sein könnte. Dass es sich um altes Heu gehandelt habe, sei zudem angesichts des Gärgeruches und des überwiegenden Anteils an sogenannt "termophilen" Keimen, die sich laut Expertise bei normalen Temperaturen nicht mehr vermehren können, unwahrscheinlich. Der Ansicht des Beschwerdeführers, der Nachweis einer Selbsterhitzung des Heues durch Übergärung sei mangels Glutkessels und Brandkanälen nicht erbracht, werden ebenfalls die Darlegungen des Experten entgegengestellt. Danach seien bei einem zusammengestürzten abgebrannten Heustock Glutkessel und Brandkanäle nicht in jedem Fall nachweisbar. Gestützt auf die Analyse der Proben und deren Bewertung durch den Experten hat das Obergericht den Schluss gezogen, dass vor dem Brand zumindest mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit eine Übergärung des Heustockes eingetreten sein muss. Berücksichtigt wurden dabei noch weitere Umstände, insbesondere das Fehlen einer funktionstüchtigen Heubelüftungsanlage, der von verschiedenen Zeugen vor dem Brand wahrgenommene starke Gärgeruch sowie die für Übergärung charakteristische Farbe und Konsistenz der vorgefundenen Heureste.
BGE 118 Ia 144 S. 148
Da das Obergericht andere Brandursachen als unwahrscheinlich erachtete, schloss es in seiner Beweiswürdigung daher auf Selbstentzündung des Heues nach Übergärung und es lastete dem Beschwerdeführer dafür eine pflichtwidrige Unvorsicht an.
c) Der Beschwerdeführer wendet dem gegenüber ein, die Beweiswürdigung des Obergerichtes sei unhaltbar. Es sei eine ungenügende Anzahl Proben genommen worden, das Probenergebnis sei für die gezogenen Schlüsse nicht ausreichend, sowie die Folgerung, dass die Selbsterhitzung des Heues in engeren Betracht zu ziehen ist und zur Selbstentzündung des Heustockes geführt hat, sei unhaltbar. Die entsprechenden Annahmen, auch soweit sie sich auf die Darlegungen des Experten stützten, stünden dabei teilweise in Widerspruch zu einer früheren wissenschaftlichen Publikation desselben Experten.
Die Einwendungen des Beschwerdeführers lassen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil indessen keineswegs als unhaltbar erscheinen.
aa) Der Beschwerdeführer behauptet unter anderem, gemäss der von ihm zitierten Abhandlung liege eine Selbstentzündung im Bereiche des Möglichen, falls "die mesophilen Keime in der Mehrzahl" sind. Diese Interpretation ist offensichtlich falsch. Vielmehr trifft genau das Gegenteil zu. Im zitierten Artikel wird dargelegt, dass "mesophile" Mikroorganismen Raumtemperaturen bevorzugen, während "thermophile" Keime Lebensbedingungen von ca. 40-70o C vorziehen bzw. tolerieren. Sodann heisst es wörtlich:
"Ist der Hauptteil des festgestellten Keimbesatzes mesophiler Art, scheidet eine Selbstentzündung des fraglichen Futtermittels aus, während bei einem starken Bewuchs mit thermophilen bzw. -toleranten Arten eine solche Brandursache im Bereich des Möglichen liegt (WALTER BRÜSCHWEILER/RUDOLF SCHÖNBÄCHLER, Erfahrungen bei der mikrobiologischen Untersuchung von Heu bei Verdacht auf Selbstentzündung, Archiv für Kriminologie 170 (1982) 106 ff., S. 107)."
bb) Weiter bezeichnet der Beschwerdeführer die untersuchten Proben als "unauswertbar", weil lediglich eine gutachtlich verwertbare Probe vorliege, deren Keimbesatz zu gering sei, als dass signifikante Rückschlüsse daraus abgeleitet werden könnten. Zur Begründung dieser Ausführungen stützt sich der Beschwerdeführer wiederum auf den zitierten Aufsatz.
Dazu ist vorweg zu bemerken, dass es entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht zwingend erscheinen muss, nur von einer einzigen verwertbaren Probe auszugehen. Nach Darstellung des
BGE 118 Ia 144 S. 149
Beschwerdeführers verblieben nach Ausscheidung von verkohlten und sterilen Proben zwei Keimbesätze (Proben 1 und 4) mit identischer Anzahl von Keimen. Weder ist der Schluss unausweichlich, dass bei gleichem Keimbesatz die Proben "aus demselben Ort" stammen mussten (die Proben können auch lediglich dem gleichen Brandradius entnommen worden sein), noch erscheint die Auslegung eindeutig, die der Beschwerdeführer dem fraglichen Aufsatz zukommen lässt. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass die massgebliche Probe eine mittlere bis starke Reduktion des Keimbesatzes aufweise. Bei einer solchen Reduktion sei laut Aufsatz eine bedingt positive Bewertung der Analyse noch möglich, falls der thermophile Keimanteil den mesophilen nicht unterschreitet. Es dürfe aber nicht bloss auf solche Grenzfälle abgestellt werden. Diese Ausführungen im Aufsatz beziehen sich ausdrücklich auf mittel bis stark reduzierte Keimbesätze. Die Autoren weisen indessen einleitend darauf hin, dass "unabhängig von der Stärke der Keimzahlreduktion" eine Selbsterhitzung in Betracht gezogen werden könne, sofern der thermophile Besatz grösser sei als der mesophile (a.a.O., S. 113 unten). Dies trifft vorliegend - auch nach den Darlegungen des Beschwerdeführers - eindeutig zu. Der Anteil thermophiler Keime war nämlich mehr als doppelt so hoch wie der mesophile Anteil (900: 400 Keime/g). Der Schluss liegt nahe, dass sich die Ausführungen der Autoren zu den mittel bis stark reduzierten Proben lediglich auf die Grenzfälle beziehen, bei denen kein deutliches Überwiegen des thermophilen Anteils nachzuweisen ist (S. 114 oben). Andernfalls ergäbe der ausdrückliche Hinweis, wonach es bei grösserem thermophilem Anteil auf die Stärke der Keimzahlreduktion zum vornherein nicht ankomme, keinen Sinn.
Wie es sich damit im einzelnen verhält, braucht hier indessen nicht entschieden zu werden. Der Experte ist im vorliegenden konkreten Fall jedenfalls ausdrücklich von einer genügenden Anzahl von Proben mit ausreichend signifikantem Keimbesatz ausgegangen. Er hatte anlässlich der Expertenbefragung Gelegenheit, seine Meinung ausführlich zu begründen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Experte als Mitautor der betreffenden Publikation in besonderem Masse fachlich legitimiert und befähigt erscheint, die allgemeinen Ausführungen in seiner Publikation zu erläutern und, wenn nötig, in Hinblick auf den vorliegenden konkreten Fall zu relativieren. Zudem soll der Richter grundsätzlich nur aus triftigen Gründen von den Schlussfolgerungen des Experten zum konkreten Fall abweichen (
BGE 107 IV 8
; vgl. auch § 110 Abs. 2 i.V.m. 161 StPO/TG). Es
BGE 118 Ia 144 S. 150
ist nicht willkürlich, dass das Obergericht angesichts der Erläuterungen des Experten bei der mündlichen Befragung keine zwingenden Gründe sah, wegen allgemein gehaltenen Ausführungen in einem früheren Aufsatz von der sachlich überzeugenden Meinung des Gutachters im konkret zu beurteilenden Fall abzuweichen. Der Beschwerdeführer übersieht dabei auch, dass sich die Beweiswürdigung des Obergerichtes über die Brandprobenanalyse hinaus auch noch auf weitere Indizien gestützt hat (s. oben, E. 2b). | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b592c09b-6f36-43d8-ba67-1bac3a645f8d | Urteilskopf
134 V 384
44. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen S. und Pensionskasse E. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_185/2008 vom 24. Juli 2008 | Regeste
Art. 122, 124 und 141 f. ZGB; Art. 22, 22a, 22b und 25a FZG; Kompetenzaufteilung zwischen Scheidungsgericht und Berufsvorsorgegericht in Bezug auf den Vorsorgeausgleich im Scheidungsfall.
Ordnet das Scheidungsgericht in Kenntnis des Eintritts eines Vorsorgefalles - in casu Invalidität - die (hälftige) Teilung der Austrittsleistung gestützt auf
Art. 122 ZGB
an, ist das zuständige Vorsorgegericht zum Vollzug verpflichtet, wenn das Scheidungsurteil in diesem Punkt in Rechtskraft erwachsen ist und die Voraussetzungen für die Übertragung eines Teils der Austrittsleistung auf Anrechnung an die angemessene Entschädigung nach
Art. 22b FZG
erfüllt sind (E. 1.3, 4.2 und 4.3). | Sachverhalt
ab Seite 385
BGE 134 V 384 S. 385
A.
H. und S. heirateten am 24. September 1976. S. war seit 1. Dezember 1981 bei der Pensionskasse E. berufsvorsorgeversichert. Ab 1. Oktober 2003 bezog er aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 20 % eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge. Mit Urteil des Bezirksgerichts Y. vom 17. Juli 2006 wurde die Ehe der H. und des S. geschieden (Dispositiv-Ziffer 1) und u.a. die hälftige Aufteilung der während der Ehedauer angesparten Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge angeordnet (Dispositiv-Ziffer 4). Nach Eintritt der Rechtskraft des Erkenntnisses am 6. September 2006 überwies das Bezirksgericht die Sache zu diesem Zwecke an das kantonale Versicherungsgericht.
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau klärte die berufsvorsorgerechtlichen Verhältnisse der geschiedenen Eheleute ab. Dabei bestätigte die Pensionskasse E. die Durchführbarkeit der hälftigen Teilung des Freizügigkeitsguthabens von S. im Zeitpunkt der Ehescheidung. Für H. ergab sich keine zu teilende Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge. Mit Entscheid vom 15. Januar 2008 wies das kantonale Versicherungsgericht die Klage mit der Begründung ab, zufolge Eintritts eines Vorsorgefalles vor der Ehescheidung könne die Teilung nicht vorgenommen werde. Das Scheidungsgericht habe eine Entschädigung nach
Art. 124 ZGB
festzusetzen. Die Parteien resp. die Klägerin habe die Revision des Scheidungsurteils zu beantragen.
C.
H. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 15. Januar 2008 sei aufzuheben und die Sache sei dem Gerichtspräsidium Y. zur Festsetzung einer angemessenen Entschädigung gemäss
Art. 124 ZGB
zu überweisen, eventualiter zur neuen Beurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen; subeventualiter sei die Pensionskasse E. anzuweisen, den Betrag von Fr. 276'770.70 auf ihr Freizügigkeitskonto bei der Stiftung R. zu überweisen.
S. lässt die Gutheissung des Eventualbegehrens oder allenfalls des Subeventualbegehrens in der Beschwerde oder dann die Abweisung des Rechtsmittels beantragen. Die Pensionskasse E. lässt sich in dem Sinne vernehmen, auf das Subeventualbegehren in der Beschwerde
BGE 134 V 384 S. 386
sei nicht einzutreten oder es sei abzuweisen. Die Stiftung R. äussert sich nicht materiell und stellt keinen Antrag zur Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Gehört ein Ehegatte oder gehören beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge an und ist bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten, so hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG; SR 831.42) für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten (
Art. 122 Abs. 1 ZGB
sowie
Art. 22 und 22a FZG
).
1.1.1
Haben sich die Ehegatten über die Teilung der Austrittsleistungen sowie die Art der Durchführung der Teilung geeinigt und legen sie eine Bestätigung der beteiligten Einrichtungen der beruflichen Vorsorge über die Durchführbarkeit der getroffenen Regelung und die Höhe der Guthaben vor, die für die Berechnung der zu teilenden Austrittsleistungen massgebend sind, so wird die Vereinbarung mit der Genehmigung durch das Gericht auch für die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (welche im Scheidungsverfahren keine Parteistellung haben;
BGE 128 V 41
E. 2c S. 47) verbindlich. Das Gericht eröffnet den Einrichtungen der beruflichen Vorsorge das rechtskräftige Urteil bezüglich der sie betreffenden Punkte unter Einschluss der nötigen Angaben für die Überweisung des vereinbarten Betrages (
Art. 141 Abs. 1 und 2 ZGB
).
Art. 141 ZGB
gilt ebenfalls, wenn der Vorsorgeausgleich im Rahmen von
Art. 124 ZGB
und
Art. 22b FZG
erfolgt (vgl. dazu E. 1.3; KATHARINA BAUMANN/MARGARETHA LAUTERBURG, in: Ingeborg Schwenzer [Hrsg.], FamKomm Scheidung, Bern 2005, S. 426 oben).
1.1.2
Kommt keine Vereinbarung zustande (oder kann die Bestätigung der Einrichtung der beruflichen Vorsorge über die Durchführbarkeit der getroffenen Regelung nicht beigebracht werden;
BGE 132 V 337
E. 1.1 S. 340), so entscheidet das Gericht über das Verhältnis, in welchem die Austrittsleistungen zu teilen sind. Sobald der Entscheid über das Teilungsverhältnis rechtskräftig ist, überweist das Gericht die Streitsache von Amtes wegen dem am Ort der Scheidung
BGE 134 V 384 S. 387
nach
Art. 73 Abs. 1 BVG
(SR 831.40) zuständigen Gericht (
Art. 142 Abs. 1 und 2 ZGB
sowie
Art. 25a Abs. 1 FZG
). Das Berufsvorsorgegericht ist an den im Scheidungsurteil festgelegten Teilungsschlüssel gebunden und hat die Teilung bloss zu vollziehen (
BGE 132 III 401
E. 2.2 S. 404;
BGE 132 V 337
E. 2.2 S. 341).
1.2
Der Vorsorgefall "Invalidität" im Sinne von
Art. 122 Abs. 1 ZGB
(und
Art. 124 Abs. 1 ZGB
) ist eingetreten, wenn ein Ehegatte - weiter gehende reglementarische Bestimmungen vorbehalten - mindestens zu 40 % dauernd erwerbsunfähig geworden ist oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch mindestens zu 40 % arbeitsunfähig war und von der Einrichtung der beruflichen Vorsorge eine Invalidenrente bezieht oder in Form einer Kapitalabfindung bezogen hat (
Art. 23 und 26 BVG
sowie
Art. 29 IVG
). Für die Annahme eines Vorsorgefalles genügt somit blosse Teilinvalidität (
BGE 129 III 481
E. 3.2.2 S. 484 mit Hinweisen auf die Lehre; SVR 2007 BVG Nr. 42 S. 151, E. 4.2, B 107/06). Der massgebende Zeitpunkt für den Entscheid darüber, ob bei einem oder bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist oder die Austrittsleistungen aus anderen Gründen nicht geteilt werden können, ist der Eintritt der Rechtskraft des Urteils über die Scheidung (
BGE 132 III 401
; SVR 2007 BVG Nr. 42 S. 151, E. 4.2.1, B 107/06).
1.3
Ist bei einem oder bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall (Alter oder Invalidität) bereits eingetreten oder können aus anderen Gründen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge, die während der Dauer der Ehe erworben worden sind, nicht geteilt werden, so ist eine angemessene Entschädigung geschuldet (
Art. 124 Abs. 1 ZGB
). Wird einem Ehegatten nach Artikel 124 des Zivilgesetzbuches eine angemessene Entschädigung zugesprochen, so kann im Scheidungsurteil bestimmt werden, dass ein Teil der Austrittsleistung auf Anrechnung an die angemessene Entschädigung übertragen wird (
Art. 22b Abs. 1 FZG
). Diese Zahlungsform setzt lediglich voraus, dass noch eine (teilbare) Austrittsleistung vorhanden ist und dass - nach Ermessen des Scheidungsgerichts - die Zusprechung einer Rente oder eines Kapitals wegen eingeschränkter finanzieller Verhältnisse des pflichtigen Ehegatten nicht in Betracht fällt. Wird bei einer Teilinvalidität nicht das ganze Altersguthaben in eine Rente "umgewandelt", sondern ist ein Teil davon dem Altersguthaben eines voll erwerbstätigen Versicherten gleichgestellt und damit grundsätzlich als Austrittsleistung teilbar, kann die angemessene Entschädigung nach
Art. 124 ZGB
in Anwendung von
Art. 22b FZG
bezahlt werden
BGE 134 V 384 S. 388
(
BGE 129 III 481
E. 3.5.1 und 3.5.2 S. 488 ff.). Dabei kann die Austrittsleistung auf ein Freizügigkeitskonto des berechtigten (früheren) Ehegatten überwiesen werden (
BGE 132 III 145
E. 4.4 S. 155).
2.
Die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner wurde am 17. Juli 2006 geschieden. In diesem Zeitpunkt bezog der (frühere) Ehemann eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 20 %. Das Scheidungsurteil erwuchs unangefochten am 6. September 2006 in Rechtskraft. In Dispositiv-Ziffer 4 ordnete das Scheidungsgericht die hälftige Aufteilung der während der Ehedauer angesparten Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge sowie die Überweisung der Streitsache nach "Rechtskraft des Scheidungspunktes und des Teilungsverhältnisses" an das zuständige Berufsvorsorgegericht zur Festlegung des genauen Betrages an. In E. 4 führte es dazu aus, die Parteien beantragten übereinstimmend die Teilung der Austrittsleistung gemäss
Art. 22 Abs. 2 FZG
aufgrund von
Art. 122 ZGB
und ersuchten den Richter, die Vorsorgeeinrichtung des Beklagten anzuweisen, von seinem Vorsorgekonto den hälftigen Differenzbetrag der Vorsorgekonti beider Parteien auf das Vorsorgekonto der Klägerin zu überweisen.
3.
Die Vorinstanz als zuständiges Berufsvorsorgegericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die vom Scheidungsgericht angeordnete hälftige Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge gestützt auf
Art. 122 ZGB
und
Art. 22 FZG
sei zufolge Eintritts des Vorsorgefalles "Teilinvalidität" beim Ehegatten vor der Ehescheidung nicht möglich. Der Vorsorgeausgleich sei gesamthaft nach
Art. 124 ZGB
durchzuführen, was in der alleinigen Kompetenz des Scheidungsgerichts liege. Das Berufsvorsorgegericht sei hierzu nicht befugt. Die Parteien (resp. eine der Parteien) hätten somit die Revision des Scheidungsurteils zu beantragen.
4.
4.1
Erachtete die Vorinstanz die Voraussetzungen zum Vollzug der vom Scheidungsgericht angeordneten hälftigen Teilung der Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge nicht als gegeben, hätte sie einen Nichteintretensentscheid fällen und die Sache an dieses zur Festsetzung einer angemessenen Entschädigung nach
Art. 124 ZGB
überweisen müssen, wie in der Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird (vgl. SVR 2007 BVG Nr. 42 S. 151, E. 4.2.2, B 107/06, und Nr. 32 S. 116, E. 6, B 104/05, sowie THOMAS GEISER, Übersicht über
BGE 134 V 384 S. 389
die Rechtsprechung zum Vorsorgeausgleich, in: AJP 2008 S. 431 ff., 435). Allerdings ist fraglich, ob das scheidungsgerichtliche Urteil vom 17. Juli 2006 mit Bezug auf den Vorsorgeausgleich nach Art. 122 ff. und Art. 141 f. ZGB in Revision gezogen werden könnte. Die Tatsache des Bezugs einer Invalidenrente der beruflichen Vorsorge durch den (früheren) Ehemann seit 1. Oktober 2003 war auch dem Scheidungsgericht bekannt. Sodann ist zweifelhaft, ob die Regelung des Vorsorgeausgleichs nach
Art. 124 ZGB
zum Gegenstand eines Nachverfahrens gemacht werden könnte. Die Pensionskasse E. bescheinigte im Rahmen des Scheidungsprozesses zweimal die Durchführbarkeit der maximal hälftigen Teilung der während der Ehedauer vom Ehemann erworbenen Freizügigkeitsleistung (vgl.
BGE 129 III 481
E. 3.6.3 S. 492). Unter diesen Umständen haben die Teilbarkeit der noch vorhandenen Austrittsleistung und die Durchführbarkeit der Teilung mit Rechtskraft des Scheidungsurteils auch gegenüber der Pensionskasse E. als verbindlich festgestellt zu gelten. Im vorinstanzlichen Verfahren hat die Vorsorgeeinrichtung das Freizügigkeitsguthaben des Beklagten auf Fr. 553'541.40 per 31. August 2006 beziffert und festgehalten, dass eine hälftige Teilung keine Auswirkungen auf die Rente habe.
4.2
Das Scheidungsurteil vom 17. Juli 2006 ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Es ist somit grundsätzlich auch für das Berufsvorsorgegericht verbindlich. Daran ändert nichts, dass das Scheidungsgericht den Vorsorgeausgleich zu Unrecht in Anwendung von
Art. 122 ZGB
und
Art. 22 FZG
und nicht gestützt auf
Art. 124 ZGB
geregelt hat. In diesem Zusammenhang trifft die Aussage in E. 4 des Urteils vom 17. Juli 2006 nicht zu, die Parteien beantragten übereinstimmend die Teilung der Austrittsleistung gemäss
Art. 22 Abs. 2 FZG
aufgrund von
Art. 122 ZGB
. In der Klage war der Anspruch auf die Hälfte des vom Ehemann während der Ehedauer angesparten Guthabens gemäss
Art. 122 ZGB
geltend gemacht worden. In der Klageantwort wurde dagegen ausgeführt, wegen der Teilinvalidität beim Ehemann finde grundsätzlich
Art. 124 Abs. 1 ZGB
Anwendung. Gemäss
BGE 129 III 481
ff. könne aber die angemessene Entschädigung durch Übertragung eines Teils der Austrittsleistung erbracht werden. In der Folge einigten sich die Parteien auf eine hälftige Teilung der während der Ehedauer angesparten Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge und erklärten sich damit ausdrücklich einverstanden. Dabei stand fest, dass lediglich der Beklagte - bei der Pensionskasse E. - über ein solches Guthaben verfügte. Das
BGE 134 V 384 S. 390
Scheidungsgericht holte durch den Beklagten die Bestätigung der Durchführbarkeit der maximal hälftigen Teilung der während der Ehedauer erworbenen Freizügigkeitsleistung ein und forderte die Klägerin auf, ein Freizügigkeitskonto und ein Konto der Säule 3a zu errichten und die entsprechenden Angaben mitzuteilen, was diese denn auch tat. Es ist unklar, weshalb das Scheidungsgericht den Vorsorgeausgleich nicht im Rahmen von
Art. 124 ZGB
regelte und die Pensionskasse E. verpflichtete, die Hälfte der Austrittsleistung auf Anrechnung an die vom beklagten Ehemann geschuldete angemessene Entschädigung auf das Freizügigkeitskonto der Klägerin zu überweisen, obschon alle (tatsächlichen und rechtlichen) Voraussetzungen hiefür erfüllt waren (E. 1.3). Dies ist aber ohne Belang, weil es am Ergebnis nichts ändert.
4.3
Abgesehen von der Rechtskraft des Scheidungsurteils fällt weiter ins Gewicht, dass die Überweisung der Hälfte der Austrittsleistung des Beschwerdegegners bei der Pensionskasse E. auf das Freizügigkeitskonto der Beschwerdeführerin dem übereinstimmenden klaren Willen der Parteien entspricht. Sodann ist zu beachten, dass das Scheidungsgericht bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung nach
Art. 124 ZGB
zwar den Vermögensverhältnissen nach der güterrechtlichen Auseinandersetzung sowie der sonstigen wirtschaftlichen Lage der Parteien nach der Scheidung gebührend Rechnung zu tragen hat. Dabei hat es aber immer die gesetzgeberische Grundentscheidung gemäss
Art. 122 ZGB
zu beachten, wonach Vorsorgeguthaben unter den Ehegatten hälftig zu teilen sind (
BGE 133 III 401
E. 3.2 S. 404;
BGE 129 III 481
E. 3.4.1 S. 488). Auf der anderen Seite hat das Scheidungsgericht bei einer Regelung des Vorsorgeausgleichs nach
Art. 122 ZGB
das Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung und der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung zu berücksichtigen (
BGE 129 III 7
E. 3.1.2 S. 10). Je nachdem kann es gestützt auf
Art. 123 Abs. 2 ZGB
(oder allenfalls
Art. 2 Abs. 2 ZGB
) die Teilung der Austrittsleistungen ganz oder teilweise verweigern (
BGE 133 III 497
E. 4 S. 498 ff.). Bei der Regelung des Vorsorgeausgleichs - ob nach
Art. 122 ZGB
oder im Rahmen von
Art. 124 ZGB
- sind somit die Vermögensverhältnisse nach der güterrechtlichen Auseinandersetzung sowie die sonstige wirtschaftliche Lage der Parteien nach der Scheidung zu berücksichtigen. Sind, wie hier, die Voraussetzungen für die Übertragung eines Teils der Austrittsleistung auf Anrechnung an die angemessene Entschädigung nach
Art. 22b FZG
erfüllt, spricht daher nichts gegen den Vollzug einer
BGE 134 V 384 S. 391
vom Scheidungsgericht an sich unrichtig gestützt auf
Art. 122 ZGB
angeordneten hälftigen Teilung der Austrittsleistung durch das zuständige Vorsorgegericht. Dadurch wird die gesetzliche Kompetenzaufteilung zwischen diesen beiden gerichtlichen Instanzen in Bezug auf den Vorsorgeausgleich im Scheidungsfall nicht verletzt.
4.4
Die Vorinstanz hat somit zu Unrecht die vom Scheidungsgericht angeordnete hälftige Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge der Parteien resp. des Beschwerdegegners und Beklagten nicht vollzogen. Eine Rückweisung der Sache zur Festlegung des auf das Freizügigkeitskonto der Beschwerdeführerin und Klägerin zu überweisenden Betrages erübrigt sich. Er beläuft sich unbestrittenermassen auf Fr. 276'770.70 (E. 4.1). In diesem Zusammenhang ist die Pensionskasse E. mit dem Einwand, diese Summe erscheine unter Berücksichtigung der im Rahmen von
Art. 124 ZGB
zu berücksichtigenden gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse übersetzt und zu wenig substantiiert, nicht zu hören. Der vom Scheidungsgericht festgelegte Teilungsschlüssel ist auch für die Vorsorgeeinrichtung verbindlich (E. 4.1), weshalb sie nicht legitimiert ist, die sich daraus ergebenden Fr. 276'770.70 anzufechten. Das Subeventualbegehren in der Beschwerde ist somit begründet. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b5969452-0759-4f4c-8139-78d449b3dc1d | Urteilskopf
121 V 229
35. Arrêt du 20 novembre 1995 dans la cause B. contre Caisse de compensation AVS commerce de gros et commerce de transit et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 3 und 9 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; Art. 3 und Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte;
Art. 21 Abs. 1 AHVG
: Gleichbehandlung der Geschlechter.
Geltungsbereich der Pakte betreffend Gleichbehandlung der Geschlechter in der Sozialversicherung (in casu: unterschiedliche Altersvoraussetzungen für den Anspruch auf eine Altersrente). | Sachverhalt
ab Seite 229
BGE 121 V 229 S. 229
A.-
L'assuré B., marié, est né le 14 février 1933. Ayant accompli sa 62ème année le 14 février 1995, il a présenté ce même jour une demande de rente de vieillesse. Il invoquait le principe de l'égalité des droits entre l'homme et la femme.
Par décision du 9 mars 1995, la Caisse de compensation AVS Commerce de gros et Commerce de transit a rejeté cette demande, au motif que le requérant n'avait pas accompli sa 65ème année.
BGE 121 V 229 S. 230
B.-
Par jugement du 19 avril 1995, le Tribunal des assurances du canton de Vaud a rejeté le recours formé contre cette décision par B. Il a considéré qu'il n'appartenait pas au juge de se prononcer sur la constitutionnalité des dispositions de la LAVS en matière d'âge d'ouverture du droit à une rente de vieillesse, différent pour les hommes et pour les femmes, et que, par ailleurs, le recourant ne pouvait se prévaloir avec succès des dispositions de la Convention européenne des droits de l'homme en matière d'égalité des droits.
C.-
B. interjette un recours de droit administratif contre ce jugement en concluant au versement par la caisse de compensation d'une rente de vieillesse simple à partir du 1er mars 1995.
La caisse de compensation renvoie à ses déterminations antérieures. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales propose de rejeter le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 21 al. 1 LAVS
, ont droit à une rente de vieillesse simple, autant que n'existe pas de droit à une rente de vieillesse pour couple:
a. Les hommes qui ont accompli leur 65ème année;
b. Les femmes qui ont accompli leur 62ème année.
Le droit à une rente de vieillesse simple prend naissance le premier jour du mois suivant celui où a été atteint l'âge prescrit (art. 21 al. 2, première phrase, LAVS).
Malgré le principe de l'égalité des sexes consacré par l'
art. 4 al. 2 Cst.
, qui n'autorise pas de discrimination entre les hommes et les femmes en matière d'âge d'ouverture du droit à la rente de vieillesse (
ATF 117 V 318
; arrêt W. du 18 juin 1993, partiellement publié dans la SZS 1995 p. 141; MEYER-BLASER, Die Bedeutung von Art. 4 Bundesverfassung für das Sozialversicherungsrecht, RDS 111 [1992] p. 406 ss; RIEMER-KAFKA, Die Gleichstellung von Mann und Frau in der schweizerischen Sozialversicherung, SZS 35/1991 p. 233 sv.), le législateur, à l'occasion de la dixième révision de l'AVS (dont l'entrée en vigueur est prévue pour le 1er janvier 1997), a maintenu dans la loi un âge différent pour les hommes et pour les femmes. Dans son message concernant la dixième révision de l'assurance-vieillesse et survivants du 5 mars 1990 (FF 1990 II 25), le Conseil fédéral relevait à ce propos qu'un abaissement de l'"âge de la retraite" (selon sa propre terminologie) des hommes au niveau de l'âge de la retraite des
BGE 121 V 229 S. 231
femmes n'était pas envisageable pour des raisons purement financières. Les travaux préparatoires en vue de la dixième révision de l'AVS avaient démontré que l'objectif d'un âge de la retraite identique pour les hommes et pour les femmes ne pouvait pas être dissocié de la réalisation du principe de l'égalité de traitement dans d'autres secteurs essentiels de la société. Or, poursuivait le Conseil fédéral, il était démontré que les inégalités recensées au détriment des femmes étaient encore nombreuses et de poids, notamment dans le secteur de l'emploi, de la formation et des rémunérations.
Finalement, le législateur a opté pour une élévation de l'âge d'ouverture du droit à la rente des femmes, qui passera, en deux étapes successives, de 62 à 64 ans (
art. 21 LAVS
modifié par la loi du 7 octobre 1994 et chiffre 1 let. d des dispositions transitoires de la dixième révision de l'AVS [FF 1994 III 1788 et 1806]).
2.
Il est évident que le recourant ne remplit pas les conditions légales pour être mis au bénéfice d'une rente de vieillesse.
En procédure cantonale, le recourant a invoqué le principe de l'égalité des sexes consacré par l'
art. 4 al. 2 Cst.
, mais, comme l'a relevé la juridiction cantonale, cette objection était vaine dès lors que le juge n'est pas habilité à contrôler la constitutionnalité d'une loi fédérale (art. 113 al. 3 et 114bis al. 3 Cst.;
ATF 120 V 3
consid. 1b,
ATF 118 V 4
consid. 3).
C'est également en vain que le recourant s'est prévalu de l'interdiction de toute discrimination formulée par l'
art. 14 CEDH
. Cette norme conventionnelle ne consacre pas un droit de portée générale et autonome à l'égalité de traitement; elle ne peut être invoquée que lorsqu'une discrimination touche à la jouissance des autres libertés reconnues dans la convention. Or, la CEDH ne confère aucun droit à des prestations sociales de l'Etat. C'est ainsi que le Tribunal fédéral des assurances a jugé que la perte de droits ou d'avantages découlant de lois d'assurance sociale en raison du mariage (in casu: remplacement de deux rentes simples de vieillesse par une rente pour couple) ne violait ni le droit au respect de la vie familiale consacré par l'
art. 8 par. 1 CEDH
ni le droit au mariage garanti par l'
art. 12 CEDH
(
ATF 120 V 4
consid. 2; voir aussi l'arrêt T. du 17 février 1994, publié dans SVR 1994 AHV no 12. p. 27; cf. toutefois les remarques critiques de KOLLER, portant sur l'interprétation de l'
art. 12 CEDH
par le Tribunal fédéral des assurances et par la Commission européenne des droits de l'homme, in: PJA 1994 p. 1193 ss).
BGE 121 V 229 S. 232
3.
Devant le Tribunal fédéral des assurances, le recourant invoque l'art. 3 du Pacte international relatif aux droits économiques, sociaux et culturels des Nations Unies du 16 décembre 1966, entré en vigueur pour la Suisse le 18 septembre 1992 (RO 1993 725; RS 0.103.1), disposition qui est ainsi libellée:
"Les Etats parties au présent Pacte s'engagent à assurer le droit égal qu'ont l'homme et la femme au bénéfice de tous les droits économiques, sociaux et culturels qui sont énumérés dans le présent Pacte."
a) Le Pacte contient à ses art. 6 à 15 un catalogue de droits économiques, sociaux et culturels que chacun des Etats parties s'engage à mettre en oeuvre progressivement, tant par son effort propre que par l'assistance et la coopération internationales, au maximum de ses ressources et par tous les moyens appropriés, y compris en particulier l'adoption de mesures législatives (art. 2 al. 1). L'art. 9 dispose que les Etats parties reconnaissent le droit de toute personne à la sécurité sociale, y compris les assurances sociales.
Les dispositions de ce Pacte se bornent à prescrire aux Etats, sous la forme d'idées directrices, des objectifs à atteindre dans les divers domaines considérés. Elles leur laissent la plus grande latitude quant aux moyens à mettre en oeuvre pour réaliser ces objectifs. Dès lors, conformément à la jurisprudence et à l'opinion de la doctrine, elles ne revêtent pas, sauf exception (par exemple l'art. 8 al. 1 let. a, relatif au droit de former des syndicats et de s'affilier au syndicat de son choix) le caractère de normes directement applicables (
ATF 120 Ia 12
consid. 5c; NOWAK, in: La Suisse et les Pactes des Nations Unies relatifs aux droits de l'homme, 1991, p. 8; MALINVERNI, même ouvrage, p. 54-56; BURGENTHAL/KISS, La protection internationale des droits de l'homme, Kehl-Strasbourg-Arlington, 1991, p. 30; cf. le Message du Conseil fédéral du 30 janvier 1991 sur l'adhésion de la Suisse aux deux Pactes internationaux de 1966 relatifs aux droits de l'homme et une modification de la loi fédérale d'organisation judiciaire: FF 1991 I 1141 sv.; voir aussi, à propos des droits sociaux et des buts sociaux dans les constitutions cantonales: URS BOLZ, in: Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Teil II, Materialen und Kommentare, p. 312 ss ad art. 29 et 30).
A propos de l'art. 2 al. 2 du Pacte, qui proclame l'interdiction de toute discrimination, notamment les inégalités fondées sur la race, la couleur et le sexe, le Tribunal fédéral des assurances a récemment constaté que cette disposition n'avait pas de portée autonome, mais formulait des garanties seulement en liaison avec les obligations programmatiques que les Etats
BGE 121 V 229 S. 233
s'engagent à réaliser progressivement, en particulier le droit de toute personne à la sécurité sociale et aux assurances sociales formulé par l'art. 9 du Pacte. Faute d'applicabilité directe du Pacte, notamment en matière d'assurances sociales, l'art. 2 al. 2 ne pouvait ainsi être invoqué par les particuliers devant les tribunaux (
ATF 121 V 246
).
Il n'en va pas différemment de l'art. 3, relatif à l'égalité des sexes. Cette norme ne fait que préciser la règle de l'interdiction de toute discrimination posée par l'art. 2 al. 2. Comme cela ressort de son texte ("de tous les droits économiques, sociaux et culturels qui sont énumérés dans le présent Pacte"), elle ne vaut, de même que l'art. 2 al. 2, qu'en relation avec les obligations programmatiques que les Etats s'engagent à réaliser.
b) On peut ajouter, par comparaison, que l'égalité des droits entre hommes et femmes est garantie, de la même manière qu'à l'art. 3 précité, par l'art. 3 du Pacte international relatif aux droits civils et politiques (RO 1993 750; RS 0.103.2), qui est aussi entré en vigueur pour la Suisse le 18 septembre 1992. Or, il est incontestable que ce droit, également, n'est applicable qu'en liaison avec les droits garantis par ledit Pacte (cf. TOMUSCHAT, Der Gleichheitssatz nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, EuGRZ 1989 p. 37).
En revanche, l'art. 26 du Pacte relatif aux droits civils et politiques érige le droit à l'égalité - en particulier l'égalité des sexes - en une garantie autonome, qui a une portée indépendante et dont l'application n'est donc pas limitée aux droits proclamés par le Pacte; il interdit toute discrimination dans chaque domaine réglementé et protégé par l'Etat (PETER MOCK, Quelques réflexions sur les réserves déposées par la Suisse lors de la ratification du Pacte international relatif aux droits civils et politiques, PJA 8/1994 p. 990; ROUILLER, Le Pacte international relatif aux droits civils et politiques, RDS 111 [1992] p. 115 sv.; NOWAK, remarques à propos du cas Pauger, EuGRZ 1992 p. 346; TOMUSCHAT, loc.cit., p. 37). C'est sur la base de cette disposition (et non de l'art. 3) que peut donc être invoquée une violation du principe de l'égalité des sexes en dehors des droits reconnus par le Pacte, par exemple en matière d'assurance sociale: dans ce cas, il ne s'agit pas de savoir s'il convient ou non de mettre en oeuvre progressivement un système de sécurité sociale, mais si une loi de sécurité sociale existante viole l'interdiction de discrimination formulée par l'art. 26 du Pacte, ainsi que les garanties de protection égale et efficace contre la discrimination que ce même
BGE 121 V 229 S. 234
article confère à tout un chacun (décision du Comité des droits de l'homme du 9 avril 1987, ZWAANN-DE-VRIES C./PAYS BAS, RUDH 1989 p. 95: relatif à la discrimination d'une femme mariée au chômage; décision de ce même Comité du 26 mars 1992, PAUGER C./AUTRICHE, EuGRZ 1992 p. 344: à propos d'une rente de veuf).
Mais l'art. 26 du Pacte n'est d'aucun secours au recourant, car la Suisse a émis une réserve à son sujet (RO 1993 797), précisément en vue de lui ôter toute portée autonome, réserve qui prévoit que l'égalité de toutes les personnes devant la loi et leur droit à une égale protection de la loi sans discrimination ne seront garantis qu'en liaison avec d'autres droits contenus dans le Pacte (cf. ROUILLER, loc.cit., p. 116; MOCK, loc.cit., p. 990 ss).
c) Il suit de là que le recours est mal fondé. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b59c484c-7a00-42e7-ae64-d4ca6336e5f3 | Urteilskopf
103 II 41
6. Arrêt de la Ire Cour civile du 3 mai 1977 dans la cause S.I. Constellation-Ouest contre Dubois et Muller | Regeste
Art. 47 Abs. 1 OG
.
Voraussetzungen für die Zusammenrechnung mehrerer Ansprüche, Begriff des Streitgenossen; Anwendung des
Art. 24 Abs. 2 BZP
(Verdeutlichung der Rechtsprechung; E. 1).
Art. 14 und
Art. 15 BMM
.
Begriff des missbräuchlichen Mietzinses, Verhältnis zwischen den beiden Bestimmungen (E. 3, E. 4b). Ratio legis und Anwendung des Art. 15 lit. a (E. 4a, E. 5a). Grenzen der Ermittlungsbefugnis des Richters im Rahmen von
Art. 14 Abs. 1 BMM
(E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 103 II 41 S. 42
La Société immobilière Constellation-Ouest loue à Jean-Pierre Dubois et à Armand Muller, selon contrats de bail des 6 avril et 23 mars 1966, deux appartements de quatre pièces sis dans l'immeuble 10, avenue du Devin-du-Village, à Genève, l'un au 3e étage (Dubois), l'autre au 6e étage (Muller). Le 24 mai 1974, elle a notifié à ses locataires un avis de majoration de loyer sur formule officielle, à partir du 1er octobre 1974. Le loyer annuel passait de 4'224 fr. à 4'400 fr., pour Dubois, et de 4'596 fr. à 4'824 fr., pour Muller. Elle exposait dans une lettre du même jour que cette adaptation s'imposait d'une part en raison de la progression constante des frais d'entretien, d'exploitation et d'administration, d'autre part pour maintenir le pouvoir d'achat du capital exposé aux risques; elle relevait en outre que "les loyers se tiennent entièrement dans les limites de ceux usuels dans la localité pour des logements comparables".
Agissant séparément, Dubois et Muller ont contesté cette majoration.
La bailleresse a adressé à la Chambre des baux et loyers une requête commune demandant que les majorations contestées fussent déclarées non abusives. Elle exposait notamment que tous les locataires de l'immeuble avaient reçu une majoration équivalente et que les loyers litigieux restaient inférieurs aux loyers usuels du quartier.
Après avoir ordonné la jonction des causes, la Chambre des baux et loyers a invité la demanderesse, le 29 avril 1975, à produire diverses pièces de nature à "déterminer le montant des fonds propres investis et le rendement de ces fonds".
La demanderesse a refusé de produire ces pièces en invoquant l'art. 15 litt. a de l'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, du 30 juin 1972 (AMSL).
Par jugement du 23 octobre 1975, la Chambre des baux et loyers a prononcé que les requêtes en majoration de loyer étaient "insuffisamment fondées" et qu'en conséquence, les loyers des défendeurs demeureraient de 4'224 fr. par an pour Dubois et de 4'596 fr. par an pour Muller.
BGE 103 II 41 S. 43
La Cour de justice du canton de Genève a déclaré "irrecevable", par arrêt du 13 mai 1976, l'appel formé par la demanderesse contre ce jugement. Elle a considéré, après avoir examiné l'affaire quant au fond, que le jugement attaqué ne violait pas la loi.
La demanderesse recourt en réforme au Tribunal fédéral en concluant à ce que les hausses de loyer notifiées aux défendeurs soient déclarées non abusives et confirmées, subsidiairement que l'affaire soit renvoyée à la Cour de justice pour que celle-ci complète le dossier.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Aux termes de l'
art. 47 al. 1 OJ
, pour le calcul de la valeur litigieuse, les divers chefs de conclusions formés dans une contestation pécuniaire par le demandeur ou par des consorts sont additionnés, même lorsqu'ils portent sur des objets distincts, pourvu qu'ils ne s'excluent pas. Cette disposition, dont la teneur est la même que celle de l'art. 60 al. 1 de la loi de 1893, s'applique aussi aux conclusions dirigées contre des consorts défendeurs (
ATF 63 II 20
consid. 1; arrêt du 26 mars 1946, dans JdT 1946 I 421s. consid. 1; cf. aussi
ATF 86 II 62
; BIRCHMEIER, p. 155). La consorité doit avoir existé déjà en instance cantonale (
ATF 40 II 76
); il ne suffit pas, pour que cette condition soit réalisée, que les causes aient été jointes en un seul procès et que la juridiction cantonale ait prononcé un seul jugement (
ATF 100 II 455
,
ATF 86 II 62
,
ATF 62 II 166
s.).
b) S'agissant de déterminer si plusieurs demandeurs ou défendeurs ont la qualité de consorts au sens de l'art. 60 al. 1 aOJ ou 47 al. 1 OJ, le Tribunal fédéral a jugé que "l'art. 60 doit recevoir son application dans tous les cas dans lesquels, devant les tribunaux cantonaux et à teneur de la législation cantonale, plusieurs prétentions juridiques ont été réunies dans un procès, soit par un, soit par plusieurs demandeurs" (
ATF 25 II 980
). La juridiction de réforme doit se borner à considérer si les instances cantonales, fondées sur leur droit de procédure, ont effectivement traité les diverses prétentions dans une seule procédure; à défaut, la jonction ne saurait intervenir en instance de réforme (
ATF 40 II 76
). L'application du droit cantonal à cet égard lie le Tribunal fédéral
BGE 103 II 41 S. 44
(
ATF 41 II 470
). La jonction de deux causes qui diffèrent complètement par leur objet et entre lesquelles il n'y a même pas identité des parties, dans le but manifeste de simplifier la procédure, ne crée pas de consorité; le fait que les demandeurs n'ont pas procédé par une seule demande, comme l'exige l'
art. 46 al. 2 CPC
tess., suffit d'ailleurs à exclure l'existence d'un tel lien (
ATF 62 II 166
s.). Pour juger s'il y a cumul d'actions au sens de l'
art. 47 al. 1 OJ
, il faut considérer la situation telle qu'elle se présentait en instance cantonale; il est ainsi décisif de constater si, devant les instances cantonales, un demandeur ou des consorts ont fait valoir plusieurs prétentions dans une seule et même demande (
ATF 78 II 182
).
Dans l'arrêt publié aux
ATF 86 II 61
s., la Ire Cour civile compare les
art. 47 al. 1 OJ
et 60 al. 1 aOJ, qui exigent tous deux qu'il n'y ait qu'une seule action et qu'il y ait consorité. Laissant ouverte la question de savoir si la jonction de deux causes introduites séparément entraîne l'addition des divers chefs de conclusions, elle déclare que cette jonction devrait en tout cas aboutir à une consorité active ou passive, avec les droits et obligations qui en dérivent pour les consorts, selon le droit de procédure cantonale. Le Tribunal fédéral se réfère à ce précédent dans deux arrêts postérieurs: Dans le premier, la Ire Cour civile considère une jonction de causes décidée par le tribunal de première instance comme dénuée d'effet au regard de l'
art. 47 al. 1 OJ
parce qu'elle n'a pas créé entre le demandeur ou le défendeur et les intervenants de consorité au sens du droit cantonal de procédure (
ATF 95 II 203
). Dans le second, la IIe Cour civile constate que l'unité de la demande que postule l'
art. 47 al. 1 OJ
et qui suppose que les diverses prétentions soient traitées en commun dans le même procès est réalisée en l'espèce; quant à savoir s'il y a également consorité au sens de l'
art. 47 al. 1 OJ
, la question relève du droit cantonal (
ATF 100 II 455
). Dans l'arrêt Conrad Zschokke S.A., du 2 mars 1976, la Ire Cour civile a examiné diverses dispositions du code de procédure civile vaudois pour admettre que les demanderesses avaient la qualité de consorts au sens de l'
art. 47 al. 1 OJ
(consid. 2, non publié).
c) La jurisprudence qui se dégage des derniers arrêts cités doit être précisée.
Les conditions de la recevabilité du recours en réforme sont définies par la loi fédérale d'organisation judiciaire, sous
BGE 103 II 41 S. 45
réserve d'exceptions expressément prévues par cette loi (cf. l'
art. 53 al. 1 OJ
). C'est ainsi que le Tribunal fédéral fixe la valeur litigieuse sans égard aux dispositions du droit cantonal en la matière (
ATF 94 II 54
, notamment en cas de cumul objectif d'actions selon l'
art. 47 al. 1 OJ
(cf.
ATF 99 II 126
s.,
ATF 89 II 384
s. consid. 6).
Certes, l'admission du cumul d'actions - objectif et subjectif - ou de la disjonction de causes en instance cantonale dépend du seul droit cantonal de procédure (
ATF 94 II 53
,
ATF 40 II 76
). C'est d'autre part la situation créée par le déroulement de la procédure cantonale qui détermine l'application de l'
art. 47 al. 1 OJ
(
ATF 78 II 182
). Mais lorsqu'il s'agit de juger si les chefs de conclusions formés par plusieurs demandeurs ou dirigés contre plusieurs défendeurs doivent être additionnés pour le calcul de la valeur litigieuse en instance de réforme, selon l'
art. 47 al. 1 OJ
, le Tribunal fédéral doit se fonder sur des critères tirés du droit fédéral. L'argument selon lequel l'organisation judiciaire fédérale ne connaît pas de notion propre de la consorité, parfois invoqué à l'appui de l'application du droit cantonal (arrêt non publié Promotex S.A., du 25 janvier 1966, consid. 2; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, thèse Lausanne 1964, p. 148), ne tient pas compte du renvoi de l'
art. 40 OJ
aux règles de la procédure civile fédérale. L'
art. 24 PCF
, applicable en vertu de ce renvoi, prévoit le cumul objectif (al. 1) et subjectif (al. 2) d'actions, cette dernière notion comprenant celle de consorts (cf. Message du Conseil fédéral, FF 1947 I, p. 1020). C'est donc selon cette disposition de droit fédéral qu'il faut déterminer si la réunion de diverses actions en instance cantonale remplit les conditions nécessaires pour l'addition des divers chefs de conclusions, en application de l'
art. 47 al. 1 OJ
.
La jurisprudence relative aux art. 60 al. 1 aOJ et 47 al. 1 OJ doit être confirmée dans la mesure où elle exige que les divers chefs de conclusions aient effectivement été réunis en instance cantonale et qu'ils aient fait l'objet d'une décision unique, issue d'une même procédure (
ATF 100 II 455
, 86 II 61 s.). Il n'est en revanche pas nécessaire que les actions aient été exercées d'emblée simultanément; la jonction par l'autorité cantonale de plusieurs procès introduits séparément suffit, ainsi que l'a admis le Tribunal fédéral dans les arrêts non
BGE 103 II 41 S. 46
publiés Promotex S.A., du 25 janvier 1966, consid. 2 et Conrad Zschokke S.A., du 2 mars 1976, consid. 2, après avoir laissé la question indécise (
ATF 95 II 203
, 86 II 62). C'est en effet l'état de la cause en dernière instance cantonale qui est déterminant (cf. WURZBURGER, op.cit., p. 152). Il convient seulement de réserver les cas où la jonction aurait été opérée à seule fin d'éluder des règles sur la compétence.
Les divers chefs de conclusions sont additionnés, conformément aux
art. 47 al. 1 OJ
et 24 al. 2 PCF, s'il existe entre les demandeurs ou les défendeurs, en raison de l'objet litigieux, une communauté de droit ou si leurs droits ou leurs obligations dérivent de la même cause matérielle et juridique (consorité matérielle; art. 24 al. 2 litt. a PCF), ou si des prétentions de même nature et reposant sur une cause matérielle et juridique essentiellement de même nature forment l'objet du litige (consorité formelle; art. 24 al. 2 litt. b). La condition que la compétence du Tribunal fédéral soit donnée à l'égard de chacune de ces prétentions ne vaut en revanche qu'en matière de procès directs; elle a été délibérément exclue pour le recours en réforme, déjà sous l'empire de l'organisation judiciaire de 1893, afin de faciliter l'accès à cette voie de droit (
ATF 31 II 197
). Il en va de même de l'exigence d'une "même demande": en procédure de réforme, on l'a vu, ce terme ne doit pas être compris dans le sens étroit d'acte introductif d'instance.
La IIe Cour civile s'est ralliée à cette précision de la jurisprudence (
art. 16 al. 1 OJ
).
d) En l'espèce, la contestation porte sur une hausse de loyer notifiée en même temps par la demanderesse aux deux défendeurs et fondée sur les mêmes motifs. Le jugement de la Chambre des baux et loyers constate que "la Chambre ordonna la jonction des causes 1574 L 257 et 1574 L 258, et ordonna l'ouverture d'une instruction écrite". C'est donc par inadvertance que la Cour de justice relève qu'"il ne résulte ni des feuilles d'audience ni du jugement que les deux procédures auraient été jointes". A l'issue d'une procédure commune, les deux causes ont fait l'objet d'un seul jugement en première instance et en appel. Bien qu'elle considère qu'"une jonction n'aurait pu être ordonnée", la Cour de justice s'accommode de cette "informalité", puisqu'elle rend elle aussi un jugement unique. Par ailleurs, quant à leur objet, les deux actions
BGE 103 II 41 S. 47
remplissent les conditions de l'art. 24 al. 2 litt. b PCF. Les défendeurs doivent dès lors être considérés comme des consorts au sens de l'
art. 47 al. 1 OJ
, ce qui entraîne l'addition des chefs de conclusions dirigés contre eux, pour le calcul de la valeur litigieuse.
L'augmentation de loyer contestée s'élève à 216 fr. par an pour le défendeur Dubois et à 228 fr. pour le défendeur Muller. La durée du bail étant indéterminée, cette augmentation sera multipliée par vingt (
art. 36 al. 5 OJ
;
ATF 101 II 334
s. consid. 1), ce qui représente 4'320 fr. pour le premier et 4'560 fr. pour le second. L'addition de ces deux montants dépasse 8'000 fr., de sorte que le recours en réforme est recevable au regard de l'
art. 46 OJ
.
2.
L'arrêt déféré constate que la Chambre des baux et loyers a ordonné à la demanderesse de produire les pièces nécessaires à l'examen de son rendement, au sens de l'
art. 14 AMSL
, et notamment ses comptes de pertes et profits et bilans. En refusant de fournir ces renseignements, la demanderesse a empêché les premiers juges d'examiner si le rendement de l'immeuble était équitable ou risquait de devenir inéquitable du fait des augmentations de loyer sollicitées. Or, selon la jurisprudence de la Cour de justice, l'
art. 14 AMSL
prime l'art. 15, dont se prévaut la demanderesse, et les conditions de cette dernière disposition ne doivent être examinées que si le rendement de l'immeuble n'est pas inéquitable.
La recourante conteste le bien-fondé de cette jurisprudence, qui équivaudrait à un refus d'appliquer l'
art. 15 AMSL
. Elle considère que les tribunaux doivent d'abord examiner si l'un des motifs d'"exculpation" est satisfait et étudier ensuite, si nécessaire, les conditions d'application de l'art. 14. Elle invoque à l'appui de son point de vue l'arrêt publié aux
ATF 102 Ia 19
ss. En l'espèce, dit-elle, il résulte du tableau comparatif produit en justice que les loyers litigieux se tiennent parfaitement dans les limites des loyers pratiqués dans le quartier. La condition de l'art. 15 litt. a AMSL serait ainsi remplie. Au surplus, la Chambre des baux et loyers aurait implicitement admis que, compte tenu des conditions particulières du cas, la réalisation de cette condition suffisait à l'"exculpation".
3.
a) La présente contestation porte sur les rapports entre les
art. 14 et 15 AMSL
. Examinant cette question dans
BGE 103 II 41 S. 48
un arrêt du 11 février 1976, le Tribunal fédéral déclare que l'art. 14 est la disposition générale, qui pose le principe et donne la définition du loyer abusif; comme il est très difficile d'exprimer de façon positive ce qui est abus en général ou dans un cas particulier (Message du Conseil fédéral, FF 1972 I 1224), l'art. 15 énumère les hypothèses où un loyer n'est pas abusif, "en règle générale"; ces termes signifient que les règles posées sont applicables, non pas dans tous les cas, mais dans la plupart d'entre eux; la réalisation de l'un des motifs d'"exculpation" n'exclut donc pas automatiquement l'existence d'un abus, elle constitue une présomption dans ce sens; il appartient au juge de dire si, compte tenu des conditions particulières, on doit néanmoins admettre, pour d'autres raisons, que le loyer vise à obtenir un rendement inéquitable; le juge doit dès lors être mis en mesure de connaître la situation exacte et d'obtenir du bailleur les éléments utiles à cette fin (
ATF 102 Ia 21
s. consid. 4b).
b) En l'espèce, la demanderesse a d'emblée invoqué la réalisation de l'une des conditions de l'
art. 15 AMSL
. Elle a fait valoir, avec justificatifs à l'appui, que les loyers contestés restaient inférieurs à la moyenne de ceux des appartements d'une situation analogue, dans le quartier (art. 15 litt. a). Bien qu'elle admît que cette argumentation avait "fait l'objet d'un travail sérieux et important de la part de la bailleresse", la Chambre des baux et loyers n'est pas entrée en matière à son sujet, étant donné le refus de la demanderesse de produire les pièces requises pour permettre au juge d'examiner préalablement le rendement des locaux loués. La jurisprudence des autorités genevoises qu'elle applique ainsi, selon laquelle on ne pourrait examiner les moyens tirés de l'art. 15 que s'il est préalablement établi que le rendement de l'immeuble n'est pas inéquitable au sens de l'art. 14, est inconciliable avec le système légal. La présomption établie par l'art. 15 et notamment par la lettre a qui fait abstraction du rendement du capital investi, n'aurait plus de sens raisonnable s'il fallait de toute façon rechercher si le loyer est abusif ou non au regard de l'art. 14. L'art. 15 indique, de manière non exhaustive d'ailleurs ("notamment"), les cas dans lesquels le loyer n'est en principe pas abusif. Si le bailleur fait valoir que l'une de ces conditions est remplie, le juge doit examiner le moyen invoqué, quitte à rechercher ensuite, au cas où ce moyen se
BGE 103 II 41 S. 49
révèle fondé, si le loyer contesté est néanmoins abusif au regard de l'art. 14.
c) Lorsqu'il est avéré que le loyer litigieux répond à l'une des conditions de l'
art. 15 AMSL
, notamment qu'il se tient dans les limites des loyers usuels dans la localité ou dans le quartier, le juge ne s'écartera toutefois pas sans raisons sérieuses de la présomption légale, pour examiner en outre si ce loyer ne vise pas à obtenir un rendement inéquitable du logement loué, au sens de l'art. 14. Il ne procédera à cet examen supplémentaire que si l'étude du cas sous l'angle de l'art. 15 ou les allégations du preneur révèlent des indices d'abus. Il ne suffit pas que le preneur affirme que le loyer contesté est abusif pour que le juge doive se livrer à des investigations concernant le rendement de l'objet loué, en dépit de la réalisation de l'un des motifs d'"exculpation". Fondée sur l'
art. 34septies al. 2 Cst.
, la législation actuelle n'a nullement réintroduit un contrôle des loyers ou une réglementation semblable; elle vise seulement à améliorer la position juridique du locataire dans les régions où règne la pénurie de logements ou de locaux commerciaux, en le protégeant contre les abus, conformément au principe général consacré par l'
art. 2 al. 2 CC
(cf. Message du Conseil fédéral, FF 1972 I p. 1222 s.).
4.
a) Contrairement aux conditions de l'art. 15 litt. b, c et d, le critère que prévoit la lettre a est sans rapport avec le rendement du capital investi. Le loyer licite est fonction de la valeur réelle sur le marché de l'objet loué, déterminée par comparaison avec les loyers de locaux comparables sur la place. Cette disposition vise à rétablir un certain équilibre en permettant aux propriétaires d'immeubles - anciens notamment -, dont les loyers sont restés inférieurs à la moyenne à la suite du contrôle des prix ou d'autres circonstances, de percevoir un loyer correspondant à la valeur locative actuelle de leur bien. Elle procède du souci de ne pas consacrer l'écart entre les loyers des logements anciens et nouveaux, propre à inspirer aux locataires des seconds un sentiment d'injustice (cf. Message du Conseil fédéral, FF 1972 p. 1224 s.; déclaration du Conseiller fédéral Brugger, Bull.stén. CN 1972 I, p. 945 in fine).
b) Le fait que le loyer contesté se tienne dans les limites des loyers usuels dans le quartier pour des logements comparables
BGE 103 II 41 S. 50
n'exclut pas, on l'a vu, l'existence d'un abus, et la présomption que pose l'art. 15 litt. a AMSL peut être renversée. Si le juge arrive à la conclusion qu'il doit également examiner le loyer au regard de l'art. 14, il peut requérir des parties, en particulier du bailleur, la production des pièces nécessaires à l'appréciation du rendement de l'objet loué. Le bailleur ne saurait refuser ces pièces en alléguant que la condition de l'art. 15 litt. a est remplie. S'il est en droit d'exiger que ce moyen soit examiné, il ne peut s'opposer à ce que le juge recherche encore si le rendement que vise à obtenir le loyer reconnu non abusif selon cette disposition est néanmoins inéquitable au sens de l'
art. 14 AMSL
.
5.
a) La Cour de justice fonde à tort sa décision sur le refus de la demanderesse de se conformer à l'ordonnance préparatoire du 29 avril 1975. Par cette ordonnance, la Chambre des baux et loyers considérait
"qu'il appartient à la demanderesse de déterminer le montant des fonds propres investis et le rendement de ces fonds, en joignant toutes pièces de nature à justifier et à permettre de vérifier le calcul, soit notamment:
- les bilans et les comptes de pertes et profits de 1963 à 1974,
- l'état détaillé des charges immobilières et l'état locatif par appartement (état "fiscal") ainsi que les bordereaux d'impôts pour cette même période (1963 à 1974)."
et impartissait à la demanderesse un délai au 30 mai 1975 pour faire ces calculs et produire ces pièces. Or celles-ci étaient sans pertinence, par rapport au moyen tiré par la bailleresse de l'art. 15 litt. a AMSL, qu'elle avait d'emblée invoqué à l'appui de sa requête et que l'autorité saisie de la contestation devait dès lors examiner.
On ne saurait non plus suivre la Cour de justice lorsqu'elle déclare qu'"à Genève en raison de la disparité des loyers dans un même quartier, l'on ne peut, en règle générale, se référer à des loyers "usuels"". Les différences existant entre les loyers, dans une même localité ou un même quartier, n'excluent nullement des comparaisons valables portant sur des logements comparables, compte tenu de la situation, de l'agencement, de l'état de la chose louée et de l'époque de la construction. Même si ces comparaisons exigent de l'autorité, outre ses connaissances locales, certaines investigations, celles-ci ne supposent pas le recensement de "tous les loyers pratiqués dans tout le quartier", comme l'admet à tort la Chambre des baux
BGE 103 II 41 S. 51
et loyers; il ne s'agit pas d'établir une moyenne arithmétique. Le juge dispose dans certaines grandes villes d'instruments utiles à son information tels que barèmes ou autres statistiques des loyers (cf. MÜLLER, Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972, thèse Zurich 1976, p. 184 ss). C'est ainsi qu'à Genève, le Service cantonal de statistique du Département de l'économie publique tient des statistiques portant notamment sur les "montants moyens et indices des loyers en ville de Genève", calculés à partir d'un échantillon de logements (statistiques publiées dans les bulletins trimestriels des "Informations statistiques Genève"). Le texte légal - "dans les limites" ("im Rahmen") des loyers usuels - confère au juge un large pouvoir d'appréciation.
b) En l'espèce, il y a dès lors lieu de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle statue sur le moyen tiré par la demanderesse de l'art. 15 litt. a AMSL, sur le vu des pièces déjà produites en justice et des autres preuves qu'elle pourra juger nécessaire de faire administrer, en tant que la procédure cantonale l'y autorise.
A supposer que les loyers contestés se tiennent effectivement dans les limites des loyers usuels dans le quartier, mais que la juridiction cantonale ait des raisons sérieuses de penser qu'ils pourraient néanmoins être abusifs, il lui appartiendra de rechercher, selon l'
art. 14 al. 1 AMSL
, s'ils visent à obtenir un rendement inéquitable des appartements loués.
Elle ne saurait toutefois exiger de la bailleresse la production des pièces mentionnées dans l'ordonnance préparatoire du 29 avril 1975 de la Chambre des baux et loyers. Seule l'administration des preuves nécessaires à l'appréciation du rendement des logements en cause peut être requise, à l'exclusion de celles qui concerneraient la société propriétaire elle-même - qui possède plusieurs immeubles -, ou encore les autres appartements de l'immeuble considéré. Or il en est ainsi des bilans et comptes de pertes et profits de 1963 à 1974, de l'état locatif par appartement - dans la mesure où il s'agit d'appartements dont les loyers ne sont pas contestés - et des bordereaux d'impôts pour la même période. On ne saurait exiger du bailleur, dans le cadre de l'application de l'
art. 14 al. 1 AMSL
, qu'il livre de telles données, qui concernent soit son entreprise, soit des objets loués à des tiers et ne sont pas
BGE 103 II 41 S. 52
nécessaires à la preuve des faits pertinents. L'autorité cantonale devra donc limiter ses investigations, dans l'hypothèse où elle appliquerait l'art. 14 al. 1, aux éléments propres à lui permettre d'apprécier le rendement des deux seuls logements concernés par le présent litige.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral,
Admet le recours, annule l'arrêt rendu le 13 mai 1976 par la Cour de justice du canton de Genève et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouveau jugement dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b59f00d7-55f0-43e4-9eaf-caae15acdae7 | Urteilskopf
96 I 752
113. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1970 i.S. Nordmark-Werke GmbH gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. | Regeste
Markenrecht; Internationale Marke deutschen Ursprungs; Voraussetzungen der Eintragung in der Schweiz. Madrider Abkommen (Fassung von Nizza), Art. 5 Abs. 1; Pariser Verbandsübereinkunft (Fassung von Lissabon), Art. 6 Abs. 1, 6 quinquies lit. b Ziff. 2 und 3;
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
(Erw 1)
Schutzverweigerung der Marke "Enterocura", weil sie Fachausdruck für Medikamente und Mittel zur Behandlung von Darmkrankheiten, also Gemeingut ist (Erw. 2).
Das Wort "Enterocura" gilt wegen der Verwechslungs- und Täuschungsgefahr nicht als schutzfähiges Phantasiezeichen für Medikamente und Mittel, die nicht der Darmbehandlung dienen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 753
BGE 96 I 752 S. 753
A.-
Die Nordmark-Werke GmbH ist Inhaberin der internationalen Wortmarke Nr. 356845 "Enterocura", mit deutscher Priorität hinterlegt am 3. April 1969 für "Produits pour conserver les aliments-Médicaments, produits chimiques pour la médecine et l'hygiène, drogues pharmaceutiques, emplâtres, étoffes pour pansements, produits pour la destruction d'animaux et de végétaux, désinfectants".
Am 24. März 1970 verweigerte das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum für diese Marke vorläufig den Schutz, weil die Bezeichnung "Enterocura" in italienischer und französischer Sprache unmittelbar auf "Darmbehandlung" hinweise, deshalb einerseits für Darmbehandlungs- und Darmheilmittel jeder Unterscheidungskraft ermangle, anderseits für die übrigen in der Warenliste vermerkten Erzeugnisse täuschend wirke oder defensiver Art sei.
Auf Einsprache hin verweigerte das Amt am 29. Mai 1970
BGE 96 I 752 S. 754
den Schutz endgültig und erläuterte seinen Entscheid in einem besonderen Schreiben vom gleichen Tage.
B.-
Die Nordmark-Werke GmbH begehrt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die Verfügung des Eidgenössischen Amtes für geistiges Eigentum aufzuheben und dieses anzuweisen, die streitige Marke in der Schweiz zu schützen.
Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Fabrik- und Handelsmarken, in der am 15. Juni 1957 in Nizza angenommenen revidierten Fassung (AS 1964 S. 1164), bestimmt in Art. 5 Abs. 1, dass in einem Verbandslande einer international registrierten Marke der Schutz nur unter den Bedingungen verweigert werden darf, die nach der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums auf eine zur nationalen Eintragung hinterlegte Marke anwendbar wären. Die am 31. Oktober 1958 in Lissabon revidierte Pariser Verbandsübereinkunft (AS 1963 S. 123) hinwiederum verweist in Art. 6 Abs. 1 hinsichtlich der Bedingungen für die Hinterlegung und die Eintragung auf die Landesgesetzgebung. Sie erklärt im weiteren unter Art. 6quinquies lit. B Ziff. 2 und 3 die Verweigerung der Eintragung von im Ursprungsland vorschriftsgemäss registrierten Marken für zulässig, wenn sie "jeder Unterscheidungskraft entbehren oder ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben zusammengesetzt sind, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit ... dienen können, oder die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten des Landes, in dem der Schutz beansprucht wird, üblich sind", ferner wenn sie "gegen die guten Sitten verstossen ..., insbesondere geeignet sind, das Publikum zu täuschen". Das Madrider Abkommen und die Pariser Verbandsübereinkunft wurden sowohl von der Bundesrepublik Deutschland wie von der Schweiz ratifiziert, sind hier also anzuwenden (vgl.
BGE 96 I 249
,
BGE 93 I 575
, 578,
BGE 91 I 357
).
Der Regelung der Pariser Übereinkunft entspricht die schweizerische Ordnung. Nach
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
ist die Eintragung einer Marke zu verweigern, wenn sie als wesentlichen Bestandteil ein als Gemeingut anzusehendes Zeichen enthält oder gegen die guten Sitten verstösst.
BGE 96 I 752 S. 755
Diese Rechtsgrundlagen werden in der Verfügung und der Vernehmlassung des Eidgenössischen Amtes für geistiges Eigentum zutreffend berücksichtigt.
2.
Als Gemeingut gelten Hinweise auf Art, Eigenschaften, Beschaffenheit, Bestimmung der Ware, zu deren Kennzeichnung die Marke dienen soll (
BGE 96 I 250
und dort erwähnte Entscheide).
a) Der Ausdruck "Enterocura", den die Beschwerdeführerin als Marke gewählt hat, ist gebildet aus den Teilen "entero" und "cura". "Entero" leitet sich ab aus dem griechischen "enteron", deutsch Darm (BENSELER, Griechisch-Deutsches Schulwörterbuch). "Cura" ist ein lateinisches Wort und heisst auf deutsch u.a. Sorge, Fürsorge, Pflege, Wartung (MENGE, Lateinisch-Deutsches Schulwörterbuch). Von ihm stammen auch das deutsche "Kur", das französische "cure", das italienische "cura".
Die griechisch/lateinische Wortverbindung "Enterocura" bedeutet also in sinngetreuer deutscher Übersetzung "Darmpflege" oder "Darmkur".
b) Die Beschwerdeführerin irrt in der Annahme, massgebend für die Wertung ihrer Marke sei das Verständnis des Durchschnittskäufers. Ein Wort ist schon dann nicht als Marke zu schützen, wenn nur ein bestimmter Kreis, z.B. die Fachleute, es allgemein zur Bezeichnung einer bestimmten Warenart verwendet (
BGE 96 II 261
Erw. 3a,
BGE 94 II 46
,
BGE 36 II 445
f.).
Fehl geht auch die Meinung, es komme nicht darauf an, dass die französische und die italienische Sprache wortstammässig gleiche Ausdrücke kennen. Das Französische wie das Italienische sind in der Schweiz dem Deutschen gleichgestellte Landessprachen. Erfüllt eine Marke nur für ein Sprachgebiet die gesetzlichen Bestimmungen nicht, so muss ihr der Schutz verweigert werden (
BGE 93 I 576
, 580,
BGE 82 I 51
,
BGE 56 I 472
,
BGE 56 II 232
).
c) Die für Medikamente, pharmazeutische Heilmittel, Verbandsartikel, Desinfektionsstoffe zuständigen Fachleute sind vorab Ärzte und Apotheker. Ob sie klassische Sprachen als solche studiert haben, ist unerheblich. Auch wenn sie es nicht taten, mussten sie sich die hier interessierenden Kenntnisse im Laufe ihrer Fachausbildung aneignen. Denn der Wortbestandteil "enter" oder "entero" gehört sowohl für die Benennung von Darmkrankheiten, Darmbehandlungsmethoden, operativen Eingriffen im Darmbereich, chirurgischen und Untersuchungsinstrumenten
BGE 96 I 752 S. 756
wie in Eigenschaftswörtern zur festen medizinischen Terminologie. Zu denken ist hier etwa an Enteralgie (Darmschmerz), Enteritis (Darmentzündung), Enterorrhagie (Darmblutung), Enteroskop (Darmuntersuchungsinstrument), Enterotomie (Darmschnitt), enterogen (im Darm entstanden oder vom Darm her verursacht) usw. Solche Fachausdrücke sind, gerade wegen ihres altsprachlichen Ursprungs, in Fachkreisen international gebräuchlich und verständlich. Zudem gibt es im Französischen und im Italienischen viele annähernd gleichlautende oder zumindest gleichstämmige Ausdrücke. "Cura" sodann ist als lateinisches Originalwort in Fachkreisen und in den deutschen, französischen, italienischen Ableitungen darüber hinaus gleicherweise geläufig für Pflege, Behandlung, Kur. Das alles kann weitgehend als gerichtsnotorisch gelten und wird, insofern es dessen noch bedarf, durch eine breite Dokumentation aus Sprach- und Fachwerken unwiderleglich nachgewiesen (z.B. DER GROSSE DUDEN, Fremdwörterbuch, 1960, S. 168; DER GROSSE BROCKHAUS, Bd. 3 1953, S. 581; PSCHYREMBEL, Klinisches Wörterbuch, 1969, S. 314/15; GUTTMANN, Medizinische Terminologie, 16.-20. Aufl. 1922, S. 347; GHIOTTI, Vocabolario scolastico italiano-francese, 1947, S. 323; PETSCHENIG, Der kleine Stowasser, lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, 1949, S. 149; WAHRIG, Deutsches Wörterbuch, 1968, S. 2194 f.; PETROCCHI, Nuovo Dizionario scolastico della lingua italiana, 1957, S. 317; VEILLON/NOBEL, Medizinisches Wörterbuch, englisch-deutsch-französisch, 1969, S. 282 f.; SACHS-VILLATTE, Französisch-Deutsch und Französisch-Deutsches Wörterbuch, Bd. I, 1911, S. 361/62; NOUVEAU LAROUSSE MEDICAL, 1952, S. 381).
Die aus "entero" und "cura" zusammengesetzte Marke "Enterocura" hat also sprachlich einen eindeutigen Sinn. Sie ist in Fachkreisen für spezifische Medikamente und Behandlungsmittel Sachbezeichnung, daher Gemeingut.
Im übrigen, was den Durchschnitts- oder letzten Abnehmer betrifft, pflegt auch er Medikamente nicht nach Phantasienamen, sondern zu Behandlungszwecken nach ärztlicher Verordnung oder fachkundiger Beratung zu kaufen, so dass sich unter diesem Gesichtspunkte ebenfalls rechtfertigt, auf das Wissen der Fachkreise entscheidend abzustellen.
d) Daraus, dass andere Marken mit Bestandteilen "Entero...", "Derma...", "Cor..." vielfach registriert sind, kann die Beschwerdeführerin
BGE 96 I 752 S. 757
nichts zu ihren Gunsten folgern. Das Amt hält zunächst entgegen, dass jene Marken häufig auch Bestandteile wie "...col", "...zima", "...dyl" aufweisen, die ihnen gesamthaft betrachtet einen gewissen Phantasiegehalt verleihen. Ob das die Eintragungen hinlänglich begründete, ist nicht zu untersuchen. Selbst wenn die Entgegennahme jener Marken falsch war, gibt das der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf Zulassung ihrer Marke. Denn es kann Verwaltungsbehörden und Gerichten nicht verwehrt sein, von einer als unrichtig erkannten Praxis abzugehen (
BGE 89 I 296
, 303,
BGE 92 I 306
,
BGE 93 I 565
). Eine solche Praxisänderung ist im Gange, kann sich indessen nur allmählich vollziehen.
3.
Wenn "Enterocura" als Pharma-Marke auf Mittel zur Behandlung von Darmkrankheiten hinweisen sollte, bringt die Beschwerde weiter vor, so könne der Ausdruck für die übrigen Produkte auf der Warenliste nicht dieselbe Bedeutung haben, sondern müsse auf sie bezogen als Phantasiebezeichnung angesehen werden. Auch der humanistisch Gebildete werde nie auf die Idee kommen, "ein unter der Marke ENTEROCURA vertriebenes Schädlingsbekämpfungsmittel habe etwas mit Darmkrankheiten zu tun". Der Marke noch für diese Waren den Schutz abzusprechen, wäre völlig willkürlich.
Allein, eine Wortverbindung, die für bestimmte Produkte so klare Sachbezeichnung ist, wie "Enterocura" für Medikamente und Mittel zur Behandlung von Darmkrankheiten, und die deshalb als Marke für solche Produkte nicht taugt, wird nicht schon durch blosse Verwendung für andere Waren zum schutzfähigen Phantasiezeichen, wenn und solange diese Waren nicht von jenen Produkten derart verschieden sind, dass durch ihre besagte Kennzeichnung keinerlei Täuschung und Irreführung bewirkt werden kann. Das trifft nun, wie das Amt mit Recht einwendet, für die von der Beschwerdeführerin unterstellten Erzeugnisse nicht zu. Für Medikamente und pharmazeutische Produkte, die nicht der Darmbehandlung dienen, ist eine Bezeichnung mit "Enterocura", eben wegen der in Fachkreisen unmissverständlichen Bedeutung, offenkundig falsch und täuschend. Anderseits liegen Medikamente und Erzeugnisse zur Konservierung von Nahrungsmitteln oder Schädlingsbekämpfung im Aussehen sowohl wie in den gebräuchlichen Handelsformen viel zu nahe beieinander, als dass bei Kennzeichnung von Waren der zweitgenannten Gruppe mit der Marke "Enterocura"
BGE 96 I 752 S. 758
die Möglichkeit von Verwechslung und Täuschung sich mit hinlänglicher Gewissheit ausschliessen liesse; insbesondere wiederum nicht in den französisch- und italienisch-schweizerischen Sprachgebieten. Nach ständiger Rechtsprechung genügt das objektive Vorhandensein solcher Gefahr zur Verweigerung des Markenschutzes wegen Sittenwidrigkeit; einer Täuschungsabsicht des Markeninhabers bedarf es nicht (
BGE 93 I 575
, 579,
BGE 78 I 280
, in Verbindung mit den vorstehend unter Ziff. 2b Abs. 2 angemerkten Verweisungen). Ob die Beschwerdeführerin auch Defensivtendenzen verfolge, braucht alsdann nicht geprüft zu werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b5a0dd2d-6bdc-4f5c-af92-8d4237545fbc | Urteilskopf
102 II 143
23. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. März 1976 i.S. Overterra Espanola SA gegen Kalt. | Regeste
Internationales Privatrecht: Vertrag über den Kauf eines Grundstückes im Ausland.
1. Allgemeine Voraussetzung der Rechtswahl. Auslegung einer Vereinbarung, den Vorvertrag über den Kauf eines Grundstückes in Spanien schweizerischem Recht zu unterstellen (Erw. 1).
2. Schranken der Rechtswahl bezüglich der Form des Vertrages. Der Lageort des Grundstückes als alternativer Anknüpfungsgrund (Erw. 2).
3. Anwendung der Formvorschriften des spanischen Rechts; Rechtsfolgen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 102 II 143 S. 143
A.-
Max Kalt ist Inhaber einer Strickwarenfabrik in Koblenz. Am 5. Februar 1974 schloss er in Zürich mit der Overterra Espanola SA, Barcelona, die sich damals noch Intercity Espanola SA nannte, einen "Kaufvorvertrag". Die Gesellschaft war Eigentümerin von Ferienhäusern der Siedlung "Stella Maris" in San Antonio Abad (Ibiza/Spanien),
BGE 102 II 143 S. 144
die sie u.a. durch die Intercity AG, Zürich, zu verkaufen suchte. Kalt verpflichtete sich, das Haus auf der Parzelle Nr. 11 zum Preise von Fr. 162'000.-- zu erwerben. Er leistete eine Anzahlung von Fr. 72'000.-- und versprach, weitere Fr. 55'000.-- bis 30. Juli 1975 und den Rest bis 30. Dezember 1976 zu zahlen; dann sollte der notarielle Kaufvertrag (Escritura Publica) von den Parteien unterzeichnet und der Kauf zur Eintragung im Grundbuch von San Antonio Abad angemeldet werden (Ziff. 2-4 des Vertrages). Die Parteien vereinbarten ferner insbesondere, dass für den Kaufvorvertrag schweizerisches Recht gelte und Zürich ihr Gerichtsstand sei (Ziff. 16).
Am 5. Februar 1974 schloss Kalt als Verpächter des Ferienhauses Nr. 11 zudem einen Pachtvertrag mit der Maris Stella SA in Palma, die sich durch die Overterra Espanola SA und die Intercity AG, Zürich, vertreten liess. Das Pachtverhältnis sollte am 1. März 1974 beginnen und einstweilen bis Ende Dezember 1977 dauern. Die Parteien setzten den Pachtzins auf Fr. 12'960.-- im Jahr fest und vereinbarten Zürich als Gerichtsstand.
Die Maris Stella SA geriet in finanzielle Schwierigkeiten und konnte den am 30. Juni 1974 fälligen Pachtzins nicht bezahlen. Kalt schrieb deshalb der Intercity AG am 5. Juli 1974, dass er vom Kaufvorvertrag und vom Pachtvertrag, die eng zusammenhingen, zurücktrete und die Anzahlung zurückfordere.
B.-
Da die Overterra Espanola SA die Rückerstattung verweigerte, klagte Kalt im Oktober 1974 gegen sie auf Zahlung von Fr. 72'000.-- nebst Zins. Er machte geltend, der Kaufvorvertrag sei wegen Formmangels nichtig, eventuell wegen Irrtums über die Erfüllung des Pachtvertrages für ihn unverbindlich.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 27. Oktober 1975 die eingeklagte Forderung nebst 5% Zins seit 5. Juli 1974. Es nahm an, die von den Parteien getroffene Rechtswahl beziehe sich auch auf die Form des Kaufvorvertrages und gelte für das Grundstück in San Antonio Abad jedenfalls soweit, als das spanische Recht nicht strengere Formvorschriften aufstelle. Auf den Kaufvorvertrag sei deshalb schweizerisches Recht anzuwenden, das in
Art. 216 Abs. 2 OR
für solche Verträge die öffentliche Beurkundung vorschreibe. Da die Parteien sich mit der einfachen Schriftlichkeit begnügten,
BGE 102 II 143 S. 145
sei der Vertrag nichtig, die Beklagte aber nach den Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung verpflichtet, die Anzahlung nebst Zins zurückzuzahlen.
C.-
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Sie beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte macht einleitend geltend, das angefochtene Urteil verletze
Art. 216 Abs. 2 OR
. In ihren weiteren Ausführungen stellt sie sich jedoch auf den Standpunkt, der Kaufvorvertrag unterstehe mit Bezug auf seine Form nicht schweizerischem Recht, sondern dem Recht am Ort des Grundstückes; ob der Vertrag formwidrig sei, beurteile sich daher nach dem spanischen Recht. Wie es sich damit verhält, hängt von den Kollisionsnormen des schweizerischen internationalen Privatrechtes ab, deren Verletzung mit der Berufung gerügt werden darf (
BGE 94 II 302
mit Hinweisen).
a) Die Parteien vereinbarten ausdrücklich, dass auf den Kaufvorvertrag schweizerisches Recht anzuwenden ist. Diese Vereinbarung ist ein sog. Verweisungsvertrag, der die massgebende Rechtsordnung für die Beurteilung des Schuldvertrages bestimmt, aber von diesem zu unterscheiden und für sich zu prüfen ist. Ob und in welchen Schranken die Parteien ihn abschliessen durften, ist nach dem Recht am Ort der Prozessführung, hier also nach schweizerischem Recht zu entscheiden (
BGE 79 II 300
,
BGE 91 II 249
; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, OR Allg. Einl. N. 199 und 202; VISCHER, Internationales Privatrecht, in Schweiz. Privatrecht Bd. I S. 666 und 669). Hievon geht auch das Handelsgericht aus, und die Parteien wenden dagegen nichts ein.
Das schweizerische Recht gestattet den Vertragsparteien nicht, die anzuwendende Rechtsordnung völlig frei zu wählen. Gemäss
BGE 78 II 86
war noch eine besondere Beziehung zwischen dem Schuldverhältnis und dem gewählten Recht erforderlich, was nach der Auffassung des Handelsgerichtes hier zutrifft, weil der Käufer in der Schweiz wohnt, die Vertreterin der Verkäuferin ihren Sitz in Zürich hat und diese Stadt nicht nur als Abschlussort, sondern auch als Gerichtsstand vereinbart worden ist.
BGE 102 II 143 S. 146
Nach der neueren Rechtsprechung (
BGE 91 II 51
) genügt jedoch, dass die Parteien an der Anwendung des gewählten Rechts vernünftigerweise interessiert sind. Das muss grundsätzlich auch für die Abrede ausreichen, einen Vertrag über den Erwerb eines ausländischen Grundstückes dem schweizerischen Recht zu unterstellen. Dabei kann im vorliegenden Fall aber nichts darauf ankommen, dass die Parteien den Kauf bloss als Vorvertrag ausgegeben haben. Ein Unterschied rechtfertigt sich umsoweniger, als der Käufer den vollen Preis vor der Unterzeichnung der "Escritura Publica" zu bezahlen hatte und bereits am Tage des Vertragsabschlusses wie ein Eigentümer über die Liegenschaft verfügte, indem er sie mit Wirkung ab 1. März 1974 an die Maris Stella SA verpachtete.
Die Möglichkeit einer solchen Rechtswahl hat das Bundesgericht bereits im Entscheid 82 II 553 sowie im nicht veröffentlichten Urteil vom 23. Februar 1972 i.S. Ring-Hotel AG gegen Beach Motels Ltd. dem Sinne nach bejaht. Diese Rechtsprechung entspricht zudem der im Schrifttum vorherrschenden Meinung (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 190; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 118; SCHNITZER, Internationales Privatrecht, II S. 690; für das deutsche Recht; REITHMANN, Internationales Vertragsrecht, N. 144 und 245; ferner SOERGEL-KEGEL, N. 260 und 342 vor Art. 7 EG BGB). Entgegen der Auffassung von VISCHER (a.a.O. S. 671) besteht kein zwingender Grund, einen Verweisungsvertrag der Parteien nach schweizerischem Recht zum vorneherein auszuschliessen, wenn es um die Übertragung eines ausländischen Grundstückes geht. Dazu besteht jedenfalls dann kein Anlass, wenn das Recht am Ort des Grundstückes die Rechtswahl ebenfalls zulässt.
b) Fragen kann sich bloss, ob die von den Parteien getroffene Rechtswahl sich auch auf die Formerfordernisse des Schuldvertrages beziehen sollte und konnte, was das Handelsgericht bejaht, die Beklagte dagegen bestreitet.
Welcher Sinn der in Ziff. 16 des Vorvertrages enthaltenen Willensäusserung über die Rechtswahl nach der Vertrauenstheorie zukommt, ist eine Rechtsfrage; sie beurteilt sich nicht bloss nach dem Wortlaut der Abrede, sondern namentlich auch nach den Umständen, unter denen die Äusserung abgegeben worden ist (
BGE 96 II 333
und 101 II 279/80 mit Zitaten).
BGE 102 II 143 S. 147
Hiezu gehört vor allem, dass der Vertrag einen Grundstückkauf betrifft, dessen Form in der Regel, wie der Durchschnittskäufer weiss, zwingend durch den Staat des Lageortes vorgeschrieben und selbst dann zu beachten ist, wenn eine oder beide Parteien in einem andern Staat wohnen und der Vertrag dort abgeschlossen wird (vgl.
BGE 82 II 553
Erw. 3). Entgegen der Auffassung des Handelsgerichtes kann daher nicht entscheidend sein, dass der Wortlaut der Abrede für sich allein klar ist, noch lässt sich sagen, dass der Kläger in guten Treuen annehmen durfte, die Rechtswahl umfasse auch die Form des Vorvertrages. Davon kann umsoweniger die Rede sein, als die Parteien sich mit der einfachen Schriftlichkeit begnügten, sich also nicht an
Art. 216 Abs. 2 OR
hielten, und für den "notariellen Kaufvertrag" mit der Wendung "Escritura Publica" auf die Form am Ort des Grundstückes verwiesen.
Wollte man die Abrede über die Rechtswahl auch auf die Form des Vorvertrages beziehen, so würde den Parteien unterstellt, dass sie die Nichtigkeit des Vertrages zum vorneherein in Kauf nahmen. Das widerspräche aber ihrem Vorgehen. Sie haben den Vertrag nicht bloss als verbindlich betrachtet, sondern Leistung und Gegenleistung schon am 5. Februar 1974 bis ins einzelne geregelt, den Inhalt des notariellen Kaufvertrages also weitgehend vorweggenommen und sich wie Käufer und Verkäufer verhalten. Dies gilt insbesondere für den Kläger, der Fr. 72'000.-- anzahlte und die Liegenschaft am gleichen Tage an die Maris Stella SA verpachtete. Es trifft deshalb auch nicht zu, dass der vorliegende Sachverhalt sich "in jeder Hinsicht" vom bereits erwähnten Falle Ring-Hotel AG unterscheide, wie das Handelsgericht annimmt. Dieser Fall betraf den Kauf eines Grundstückes in Israel. Die Parteien unterstellten den in einfacher Schriftform gehaltenen Vertrag dem schweizerischen Recht, soweit diesem keine zwingenden Vorschriften des israelischen Rechts entgegenstanden. Auch damals schloss das Bundesgericht aus den Umständen, dass die Parteien nicht die schweizerischen Formvorschriften für anwendbar halten, diese aber missachten und den Vertrag gleichwohl als verbindlich betrachten konnten, mögen sie im Unterschied zum vorliegenden Fall auch beide geschäftskundig gewesen sein.
Die Abrede über die Rechtswahl kann somit nach Treu und
BGE 102 II 143 S. 148
Glauben nur dahin ausgelegt werden, dass die Parteien den Vorvertrag bezüglich der Form nicht schweizerischem, sondern dem spanischen Recht unterstellt haben. Bei diesem Ergebnis lässt sich die Einrede der Beklagten, der Vertrag brauche bloss der Form am Ort des Grundstückes zu genügen, nicht als missbräuchlich bezeichnen. Auch kann der Kläger sich nicht auf
Art. 216 Abs. 2 OR
berufen, um den Vertrag wegen eines angeblichen Formmangels nicht einhalten zu müssen.
2.
Es fragt sich freilich, ob es zulässig war, die Form nicht dem gleichen Recht zu unterstellen wie den Vertrag im übrigen.
Für Schuldverträge über bewegliche Sachen hat die Rechtsprechung selbst seit Aufgabe der sogenannten grossen Vertragspaltung im Jahre 1952 wiederholt anerkannt, dass für die Form des Vertrages eine Sonderanknüpfung möglich ist (
BGE 78 II 86
,
BGE 88 II 199
). Das Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht (BBl 1971 II 1049ff.) nimmt die Vertragsform in Art. 5 Ziff. 2 denn auch ausdrücklich aus, obschon es die Rechtswahl durch die Parteien begünstigt. Die wahlweise zur Verfügung stehende Sonderanknüpfung besteht in der Regel darin, dass die für das Rechtsgeschäft als Ganzes massgebende Rechtsordnung, gleichgültig ob sie von den Parteien vereinbart oder nach einer Kollisionsnorm ermittelt wird, auch die Form bestimmt, dass aber die am Abschlussort geltende Form genügt, um den Vertrag aufrechtzuerhalten (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 1969/71; VISCHER, a.a.O. S. 683). Die Rechtswahl ist aber auch bezüglich der Form nur gültig, wenn die Parteien weder zwingende Vorschriften in unzulässiger Weise umgehen noch gegen den Ordre public verstossen (
BGE 78 II 86
,
BGE 79 II 299
; vgl. ferner
BGE 93 II 381
).
Wie es sich verhält, wenn es um Schuldverträge über Grundstücke geht, brauchte das Bundesgericht bisher nicht abschliessend zu prüfen. Im schweizerischen Schrifttum wird für solche Verträge eine die Form einbeziehende Rechtswahl teils überhaupt ausgeschlossen (VISCHER, a.a.O. S. 683; NIEDERER, Einführung in die allgemeinen Lehren des internationalen Privatrechts, S. 183), teils auf ausländische Grundstücke beschränkt (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 190; MEIER-HAYOZ,
BGE 102 II 143 S. 149
N. 157/58 zu
Art. 657 ZGB
; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 118). Die Beschränkung auf das Ausland lässt eine einheitliche Anknüpfung vermissen und vermag deshalb nicht zu überzeugen. Gewiss hat die Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Grundstücken einen Sinn, wenn man grundsätzlich vom Recht am Lageort ausgeht, für erstere aber den schweizerischen Ordre public vorbehält. Das öffentliche Interesse an einer zuverlässigen Grundlage für die Registerführung besteht indes auch in anderen Staaten, spricht deshalb auch bei ausländischen Grundstücken für das Recht am Lageort; das gilt vor allem dann, wenn die Ortsform vorbehalten und nachgeholt werden muss, um die Übertragung des Grundstückes zu ermöglichen (MEIER-HAYOZ, N. 158 zu
Art. 657 ZGB
; SCHNITZER, a.a.O. S. 590). Solche Schwierigkeiten sind zudem kein Grund, die Rechtswahl bezüglich der Form bei ausländischen Grundstücken schlechthin auszuschliessen. Es lässt sich aber auch nicht sagen, dass die Auffassung des Handelsgerichtes zu einer grossen Rechtsunsicherheit führen müsste, wie die Beklagte einwendet. Wenn durchwegs auf das von den Parteien gewählte Recht abgestellt wird, ergibt sich gegenteils eine einheitliche Anknüpfung für Form und Inhalt des Vertrages und es ist zum vorneherein klar, welche Rechtsordnung anwendbar ist. Das eine wie das andere liegt im Interesse der Rechtssicherheit.
Unter welchen Voraussetzungen die Parteien für die Form von Schuldverträgen über Grundstücke eine Rechtswahl treffen dürfen, braucht indes auch heute nicht weiter erörtert zu werden. Für Grundstücke hat der Lageort rechtlich jedenfalls erheblich grössere Bedeutung als für bewegliche Sachen, ist daher dem zufälligen Ort des Vertragsabschlusses vorzuziehen. Das heisst nicht, dass er ausschliesslich massgebend sein soll; es rechtfertigt sich vielmehr, den Lageort als alternativen Anknüpfungsgrund zuzulassen. Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, für die Form eine Auswahl von Anknüpfungen anzuerkennen, um den Vertrag womöglich zu retten, statt ihn, wie dies hier geschehen ist, kurzerhand für nichtig zu erklären, indem auf die strengste der in Betracht kommenden Rechtsordnungen abgestellt wird. Diese Lösung erweckt im vorliegenden Fall umsoweniger Bedenken, als das spanische Recht die Rechtswahl ebenfalls erlaubt und die am Ort des Grundstückes geltende Form des Vertrages im internationalen
BGE 102 II 143 S. 150
Geschäftsverkehr nicht zwingend vorschreibt, sondern auch alternativ genügen lässt (vgl. Art. 10 Ziff. 5 Abs. 2 und 11 Ziff. 1 Satz 2 des spanischen ZGB, wiedergegeben in Rabels Zeitschrift 1975 S. 729/31; siehe auch S. 673/74).
3.
Bei dieser Rechtslage hängt das Schicksal des Kaufvorvertrages so oder anders davon ab, welche Form das spanische Recht für Verträge über Grundstücke vorschreibt.
Die Beklagte behauptete im kantonalen Verfahren, das spanische Recht verlange für solche Verträge bloss einfache Schriftlichkeit. Der streitige Vorvertrag behielt indes die Unterzeichnung eines notariellen Kaufvertrages gemäss spanischem Recht ausdrücklich vor, was auf besondere Vorschriften schliessen lässt; dafür spricht auch die in Klammer beigefügte Wendung "Escritura Publica". Wie es sich damit genau verhält, ist dem angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen; er ist deshalb gestützt auf
Art. 65 OG
aufzuheben und die Sache zur Abklärung der Frage an das Handelsgericht zurückzuweisen.
Ergibt sich, dass der Vorvertrag den Formvorschriften des spanischen Rechts entspricht, so ist zu prüfen, ob deren Anwendung gegen den schweizerischen Ordre public verstosse. Das wäre nicht leichthin anzunehmen, da es schweizerischer Rechtsanschauung nicht widerspricht, dass ein Schweizer sich beim Kauf eines ausländischen Grundstückes in einfacher Schriftform binden kann. Er muss sich der Risiken eines solchen Kaufes bewusst sein und kann sich selbst unter dem Gesichtspunkt des Ordre public nicht auf die Schutzgedanken berufen, die den strengeren Formvorschriften des
Art. 216 OR
zugrunde liegen (vgl.
BGE 93 II 382
). Ist die Form des Vertrages nach spanischem Recht nicht zu beanstanden, so fragt sich ferner, ob der Kläger sich angeblich über die Vertragsgrundlage im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
geirrt habe und, falls ein Irrtum zu verneinen ist, ob er nach
Art. 82 und 107 ff. OR
wegen Zahlungsunfähigkeit der Maris Stella SA nicht nur vom Pacht-, sondern auch vom Kaufvorvertrag zurücktreten durfte. Beides beurteilt sich nach schweizerischem Recht.
Ergibt sich dagegen, dass der Vorvertrag auch nach den Formvorschriften des spanischen Rechts ungültig ist, so stellt sich erneut die Frage der ungerechtfertigten Bereicherung, die ebenfalls schweizerischem Recht unterliegt (
BGE 78 II 389
,
BGE 80 II 71
Nr. 9).
BGE 102 II 143 S. 151
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Oktober 1975 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5a283b0-db15-4043-9169-15bf2f099959 | Urteilskopf
114 II 376
71. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. November 1988 i.S. Mittel-Thurgaubahn-Gesellschaft gegen Waadt Versicherungen und X. (Berufung) | Regeste
Art. 58 Abs. 1 SVG
. Beschädigung von Eisenbahnanlagen durch den Betrieb einer Mähmaschine.
1. Ein landwirtschaftlicher Traktor mit einer fest angeschlossenen Mähmaschine, die mit dem Motor des Traktors angetrieben wird, ist auch ausserhalb öffentlicher Strassen als Motorfahrzeug anzusehen (E. 1a).
2. Wird dort während des Mähens ein Unfall verursacht, so hängt die Kausalhaftung des Halters davon ab, ob der Schaden einem Betriebsvorgang des Fahrzeugs im Sinne von
Art. 58 Abs. 1 SVG
zuzuschreiben ist (E. 1b-d). Umstände, unter denen dies zu verneinen ist (E. 1e). | Sachverhalt
ab Seite 376
BGE 114 II 376 S. 376
A.-
Der Landwirt X. mähte am 6. Juli 1984 in Weinfelden, neben der Eisenbahnlinie der Mittel-Thurgaubahn (MThB) eine Wiese. Er benutzte dazu einen Kreiselmäher der Marke "Zeegers", ein an einem landwirtschaftlichen Traktor fest angeschlossenes
BGE 114 II 376 S. 377
Schneidegerät mit zwei rotierenden Tellern, die durch den Motor des Fahrzeuges über eine Zapfwelle angetrieben wurden. Während der Fahrt lösten sich an einem Teller zwei Messer, die weggeschleudert wurden; das eine durchschlug an einem Nachbarhaus eine Fensterscheibe, das andere durchtrennte die Fahrleitung der MThB. Diese Leitung fiel herunter und löste einen Kurzschluss aus. Dabei wurden insbesondere auch Kabel- und Signalanlagen beschädigt, der Bahnverkehr zudem erheblich gestört.
In einem Teilvergleich vom 3. April 1985 einigte sich die Bahngesellschaft mit X. und der "Waadt" Versicherungsgesellschaft, bei welcher der Landwirt für seine Halterhaftpflicht versichert war, auf einen Schadensbetrag von Fr. 81'465.--. Die Frage der Haftung liessen die Parteien ausdrücklich offen.
B.-
Im August 1985 klagte die Bahngesellschaft gegen die "Waadt" und X. auf Zahlung dieses Betrages nebst Zins. Mit Urteil vom 27. Juli 1987 bejahte das Bezirksgericht Weinfelden die solidarische Haftung der Beklagten aus
Art. 58 Abs. 1 SVG
für den eingeklagten Schaden, welcher der Höhe nach anerkannt blieb.
Die Beklagten appellierten an das Obergericht des Kantons Thurgau, das am 16. Februar 1988 die Klage abwies. Das Obergericht fand, dass nicht nur ein Betriebsvorgang im Sinne von
Art. 58 Abs. 1 SVG
, sondern mangels Verschulden auch eine Haftung des Landwirts aus
Art. 41 OR
zu verneinen sei.
C.-
Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingereicht, mit der sie an ihrem Rechtsbegehren festhält.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Klägerin beruft sich in der Begründung ihres Anspruchs, wie schon im kantonalen Verfahren, vorweg auf die Kausalhaftung des Motorfahrzeughalters gemäss
Art. 58 Abs. 1 SVG
. Diese Haftung sei hier vorbehaltlos zu bejahen, da der Schaden durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges verursacht worden und einzig dessen mangelhaftem Zubehör zuzuschreiben sei.
a) Es ist unbestritten, dass der landwirtschaftliche Traktor des Beklagten samt dem angebauten Kreiselmäher als Motorfahrzeug im Sinne von Art. 58 in Verbindung mit
Art. 7 Abs. 1 SVG
anzusehen ist und daher an sich der Haftungsordnung dieses Gesetzes untersteht. Der Traktor ist insbesondere nicht den landwirtschaftlichen
BGE 114 II 376 S. 378
Arbeitsmaschinen zuzurechnen, die nicht für den Verkehr auf öffentlichen Strassen bestimmt sind und von der gesetzlichen Haftungsordnung nur erfasst werden, wenn sie auf einer solchen Strasse erscheinen. Die Kausalhaftung des Halters wird vorliegend auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Fahrzeug auf einer Wiese, d.h. ausserhalb des öffentlichen Verkehrs eingesetzt worden ist (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 3. Aufl. Bd. II/2 S. 464 und 467/68). Unbestritten ist ferner, dass
Art. 58 Abs. 2 SVG
zum vornherein ausscheidet, da es nicht um die Folgen eines Verkehrsunfalls im Sinne dieser Bestimmung geht. Davon ist zu Recht auch das Obergericht ausgegangen.
Streitig ist dagegen, ob ein Betriebsvorgang des Traktors als Ursache des Schadens anzusehen oder dieser bloss der besonderen Betriebsgefahr des Kreiselmähers zuzuschreiben und daher von der Kausalhaftung des Halters gemäss
Art. 58 Abs. 1 SVG
auszunehmen sei. Nach Auffassung der Klägerin ergibt sich diese Haftung nicht nur aus der betriebstechnischen Einheit von Fahrzeug und Zubehör, sondern auch daraus, dass der Betrieb des Schneidegerätes unmittelbar von der Motorkraft und der Fortbewegung des Traktors abhing; das geschossartige Wegfliegen der Messer gehe daher ebenfalls auf den Gebrauch und die Funktionsweise der maschinellen Einrichtung zurück. Das Obergericht hingegen ist zusammen mit den Beklagten der Meinung, dass bloss eine dem Zusatzgerät eigene Gefahr sich ausgewirkt habe, die unbekümmert um die Fortbewegung des Traktors nicht mit dessen Betriebsgefahr verwechselt werden dürfe.
b) Die Kausalhaftung des Halters gemäss
Art. 58 Abs. 1 SVG
setzt voraus, dass der Schaden "durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges" verursacht worden ist. Dieses aus Art. 37 MFG übernommene Erfordernis ist nicht im verkehrstechnischen Sinn zu verstehen; es heisst insbesondere nicht, dass ein auf öffentlicher Strasse verkehrendes Fahrzeug solange "in Betrieb" sei, als es sich auf einer solchen Strasse befindet. Auszugehen ist vielmehr vom maschinentechnischen Betriebsbegriff; das besondere Erfordernis der Kausalhaftung ist deshalb nur dann als erfüllt anzusehen, wenn das schädigende Ereignis in seiner Gesamtheit betrachtet als adäquate Folge der Gefahr erscheint, die durch den Gebrauch der maschinellen Einrichtungen (Motor, Scheinwerfer usw.) des Fahrzeuges geschaffen wird (
BGE 97 II 164
E. 3 mit Zitaten). Trifft dies zu, so kommt nichts darauf an, ob das Fahrzeug sich im Zeitpunkt des Unfalls in Bewegung befand oder stillstand und ob seine
BGE 114 II 376 S. 379
maschinellen Einrichtungen ordnungsgemäss funktionierten oder nicht. Das eine wie das andere erhellt insbesondere aus den Sachverhalten, die
BGE 113 II 325
ff. und
BGE 110 II 423
ff. zugrunde lagen (vgl. zu letzterem auch JdT 1985 I S. 411/12). Zu verneinen ist das besondere Erfordernis dagegen, wenn sich bloss anlässlich des Betriebes eines Motorfahrzeuges ein Unfall ereignet, dieser also schon in tatsächlicher Hinsicht nicht einem Betriebsvorgang des Fahrzeuges zuzuschreiben ist (
BGE 107 II 271
unten und 275 E. 2c).
Abgrenzungsschwierigkeiten können sich ergeben, wenn Motorfahrzeuge insbesondere ausserhalb öffentlicher Strassen als Arbeitsmaschinen eingesetzt werden, ihre motorische Kraft auch für die Arbeitsleistung verwendet wird und ein Unfall mit einer solchen Leistung zusammenhängt. In
BGE 106 II 75
ff. ging es um die Beschädigung eines Stromleitungskabels, das der Angestellte eines Landwirts gerissen hatte, als er mit einem Tieflockerungsgerät, das an einem Traktor befestigt war, den Boden einer Landparzelle bearbeitete. Das Bundesgericht unterstellte den Schaden, von dem es die Folgen des Stromausfalls ausnahm, ohne nähere Begründung der Haftungsordnung des
Art. 58 Abs. 1 SVG
. Das Kantonsgericht St. Gallen entschied am 11. März 1965, dass Motorfahrzeuge, die gleichzeitig als Baumaschinen verwendbar sind, sich nicht im Sinne dieser Bestimmung "im Betrieb" befinden, solange ihre motorische Kraft nicht zur Fortbewegung, sondern ausschliesslich zur Arbeitsleistung gebraucht wird (SJZ 65/1969 S. 12).
Die Meinungen im schweizerischen Schrifttum sind geteilt. Einen weiten Betriebsbegriff befürwortet namentlich KELLER (Haftpflicht im Privatrecht, 3. Aufl. S. 229 f.), der alle Schäden aus dem Betrieb einer selbstfahrenden Arbeitsmaschine, selbst wenn sie stehenden Arbeitsvorgängen entspringen, der Kausalhaftung des SVG unterstellen möchte. Gleicher Auffassung ist offenbar BUSSY, der ebenfalls für einen weiten Betriebsbegriff eintritt und dabei vor allem auf das Kriterium der Fortbewegung abstellt (SJK Nr. 909 S. 9 Ziff. 3 und S. 10 Ziff. 5). Auch BUSSY/RUSCONI (N. 4.1 zu
Art. 58 SVG
) und GREC (La situation juridique du détenteur de véhicule automobile en cas de collision de responsabilités, S. 39) halten das Merkmal der Fortbewegung für wesentlich, verneinen die Kausalhaftung aber für Schäden aus Betriebsvorgängen des stehenden Fahrzeuges. Nach OFTINGER (S. 463/64) und DESCHENAUX/TERCIER (La responsabilité civile, 2. Aufl. S. 146 Rz. 36) sind
BGE 114 II 376 S. 380
gewerbliche Arbeitsmaschinen, die nicht ortsgebunden sind, grundsätzlich wie Motorfahrzeuge zu behandeln, wobei OFTINGER, von einem eher verkehrstechnischen Betriebsbegriff ausgehend, reine Arbeitsvorgänge ausserhalb öffentlicher Strassen aber von der Gefährdungshaftung auszunehmen scheint (S. 468). Nach STREBEL sodann sind Motorfahrzeuge, deren Triebkraft auch zum Verrichten von Arbeiten eingesetzt werden kann, nicht in Betrieb, solange sie zu diesem Zweck gebraucht werden (N. 13 zu Art. 37 MFG). SCHAER (in Schweiz. Versicherungskurier 33/1979 S. 3) schliesslich möchte die Kausalhaftung offenbar allgemein verneinen, wenn das Fortbewegungsrisiko sich nicht ausgewirkt hat.
c) Nach der Rechtsprechung in Deutschland, wo der maschinentechnische Betriebsbegriff wie in Österreich durch eine verkehrstechnische Betrachtungsweise ergänzt wird (STARK, in SJZ 55/1959 S. 338 ff.), ist die Kausalhaftung nach dem Beförderungszweck der Betriebseinrichtung einzugrenzen. Massgebend ist, ob der durch den Betrieb des Motorfahrzeugs verursachte Schaden, für den Ersatz verlangt wird, vom Schutzbereich der Norm erfasst wird. Das lässt sich nach der Rechtsprechung nicht sagen, wenn das Fahrzeug als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, bei der Schadensverursachung folglich diese Funktion im Vordergrund steht und ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Fahrzeugs als Beförderungsmittel nicht mehr zu ersehen ist. Für Gefahren, die nicht mit der Eigenschaft des Motorfahrzeugs als Verkehrsmittel zusammenhängen, sich insbesondere nicht aus seiner Fortbewegung mittels Motorkraft oder aus seiner Teilnahme am Verkehr ergeben, wird deshalb die verkehrsrechtliche Kausalhaftung als sachlich nicht mehr gerechtfertigt verneint.
Von dieser Haftung ausgenommen werden z.B. Schäden, die entstehen, wenn ein Silo (VersR 1975 S. 945 f.) oder ein Heizöltank mit Hilfe des Fahrzeugmotors gefüllt (BGHZ 71 Nr. 31), ein Tanklastwagen damit entladen (BGHZ 75 Nr. 7), ein Entladeschlauch, der die Strasse quert, von einem Verkehrsteilnehmer übersehen wird (WUSSOW, Unfallhaftpflichtrecht, 13. Aufl. Rz. 691) oder ein Drachenflieger, der von einem Motorfahrzeug ausserhalb der Verkehrsfläche gezogen wird, abstürzt (VersR 1981 S. 989). Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass von adäquater Verursachung keine Rede sein kann, ein Schaden sich folglich nicht mehr dem Betrieb des Motorfahrzeugs zuordnen lässt, wenn sich weder dessen Fahrweise noch dessen Fahrbetrieb samt der ihm eigenen Gefahren auf ein Unfallgeschehen ausgewirkt
BGE 114 II 376 S. 381
hat (VersR 1982 S. 1200 f.). Diese Auffassung scheint nun auch in der deutschen Lehre vorzuherrschen (GREGER, N. 26 ff. zu
§ 7 StVG
; BECKER/BÖHME, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 16. Aufl. S. 8 f. Rz. 14; WUSSOW, Rz. 691).
d) Für die Auslegung des
Art. 58 Abs. 1 SVG
ist entscheidend, dass der Gesetzgeber den von der Rechtsprechung entwickelten maschinentechnischen Betriebsbegriff, wie aus den Revisionsarbeiten zum SVG erhellt, beibehalten hat. Das Bundesgericht hat die an diesem Begriff geübte Kritik, dass er zu eng sei, anhand der Gesetzesmaterialien denn auch abgelehnt (
BGE 97 II 165
E. 3b mit Zitaten). Neu ist dagegen, dass die Kausalhaftung des Motorfahrzeughalters in
Art. 58 Abs. 2 SVG
durch eine selbständige Regel ergänzt worden ist, die über die Haftung für Betriebsgefahren des Fahrzeuges hinausgeht (
BGE 107 II 272
). An die Wertungen, die sich aus dieser Regelung der Haftung ergeben, hat der Richter sich auch bei deren Abgrenzung zu halten (
BGE 112 II 170
E. 2b mit Hinweisen); es geht insbesondere nicht an, den maschinentechnischen Betriebsbegriff auf dem Umweg über
Art. 58 Abs. 2 SVG
weiter als bisher auszulegen.
Dieser Begriff besagt freilich weder, dass jedes Auftreten eines Motorfahrzeuges im Verkehr zu dessen Betrieb gehört, noch dass jeder Betriebsvorgang in einem Schadenfall genügt, die Kausalhaftung zu begründen. Die Abgrenzung ergibt sich aus der rechtspolitischen Grundlage des Gesetzes, das die Rechtsfolge der Schädigung wegen der Risiken des Fahrzeugbetriebes als Gefährdungshaftung kennzeichnet. Entscheidend ist die vom Gesetz als gefährlich vorausgesetzte Eigenart des Motorfahrzeugs, das latente Schädigungspotential, das im Fahrzeug zu erblicken ist, wenn dieses sich mit selbständig entwickelten und umgesetzten Kräften fortbewegt. Die Anwendung des
Art. 58 Abs. 1 SVG
rechtfertigt sich daher nur, wo einem technischen Vorgang des Fahrzeugs diese ihm eigene Betriebsgefahr anhaftet. Das trifft zu, wenn ein Unfall schlechthin auf die motorische Fortbewegung des Fahrzeugs oder mindestens auf Gefahren zurückgeht, die sich aus dem Zusammentreffen der verwendeten Kräfte mit der Fortbewegung ergeben (OFTINGER, S. 532 ff. und 540).
Daran ändert nichts, dass das Gesetz auch Arbeitsmaschinen der Kausalhaftung unterstellt. Es erfasst von vornherein nur Maschinen, die sich selbständig fortbewegen können, und auch sie nur wegen dieser Möglichkeit (
Art. 7 Abs. 1 SVG
,
Art. 3 Abs. 4 und 5 BAV
; SR 741.41). Reine Arbeitsvorgänge bei stillstehendem
BGE 114 II 376 S. 382
Fahrzeug sind daher selbst dann, wenn dazu die der Fortbewegung dienenden Kräfte eingesetzt werden, von der Gefährdungshaftung des SVG auszunehmen. Das muss auch gelten, wenn die Arbeitsmaschine sich zwar fortbewegt, der Schaden aber ausschliesslich auf den Arbeitsvorgang zurückzuführen ist, folglich nicht mehr als adäquate Folge der spezifischen Betriebsgefahr erscheint, auf der diese Haftung beruht. Ist ein Unfallgeschehen aber weder der besondern Betriebsgefahr des Fahrzeugs noch deren Folgewirkungen zuzuschreiben, so bleibt für die Annahme einer Gefährdungshaftung nach SVG kein Raum mehr, zumal wenn der Arbeitsvorgang sich ausserhalb des Verkehrsgeschehens abspielt, das von diesem Gesetz erfasst wird.
e) Im vorliegenden Fall wurde der Schaden der Klägerin durch ein weggeschleudertes Messer des Zusatzgerätes verursacht. Die mässige Geschwindigkeit des Traktors, dessen Fahrweise dem Arbeitsvorgang angepasst werden musste, wirkte sich weder auf die Entstehung noch auf die Grösse des Schadens aus; den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist dafür denn auch nichts zu entnehmen. Das Obergericht hält vielmehr für erwiesen, dass das streitige Messer sich wegen Materialabnützung aus der Halterung gelöst hat und fortgeschleudert worden ist. Daraus erhellt, dass der Schaden der Klägerin nach den hiervor umschriebenen Grundsätzen nicht einer spezifischen Betriebsgefahr des Motorfahrzeugs, sondern ausschliesslich einem blossen Arbeitsvorgang zuzuschreiben ist. Damit ist einer Haftung der Beklagten nach
Art. 58 Abs. 1 SVG
der Boden entzogen. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5b62c03-bcde-4026-a69f-8cd125e03f97 | Urteilskopf
140 II 141
15. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause A.X. et B.X. contre Administration fiscale cantonale genevoise (recours en matière de droit public)
2C_960/2012 / 2C_961/2012 du 23 janvier 2014 | Regeste a
Art. 30 Abs. 1 BV
; Unregelmässigkeit in der Zusammensetzung einer letzten kantonalen Instanz.
Das Bundesgericht prüft die Korrektheit der kantonalrechtlich geregelten Zusammensetzung der Vorinstanzen nur, wenn eine entsprechende Rüge erhoben worden ist; es unterlässt dies, wenn - wie hier - die Beschwerdeführer ausdrücklich darauf verzichtet haben (E. 1).
Regeste b
Art. 6 Abs. 1 und 3 DBG
,
Art. 2 FZA
; Überschüsse von Schuldzinsen in Zusammenhang mit einem im Ausland gelegenen Grundstück.
In der Schweiz unbeschränkt Steuerpflichtige, die in Frankreich einen zweiten Wohnsitz haben. Ein Schuldzinsenüberschuss von einem im Ausland gelegenen Grundstück bildet einen "Auslandsverlust" im Sinne von
Art. 6 Abs. 3 Satz 3 DBG
und kann demnach für die Bemessungsgrundlage in der Schweiz nicht berücksichtigt werden, sondern nur für die Satzbestimmung (E. 4 und 5). Die Steuerpflichtigen können nicht eine Diskriminierung im Sinne des europäischen Rechts geltend machen; die Normen in der Sache bilden auch nicht ein Hemmnis für Freizügigkeit, so dass die Frage, ob solche Beschränkungen generell durch das FZA verboten sind, in diesem Fall offenbleiben kann (E. 6 und 7). Was das kantonale und kommunale Recht betrifft, so ist die Lösung dieselbe wie für die direkten Bundessteuern; der Kanton Genf hat - angesichts des Stillschweigens des StHG - Bestimmungen erlassen, die den Gehalt von
Art. 6 DBG
übernehmen (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 140 II 141 S. 143
A.
Les époux A.X. et B.X. (ci-après: les contribuables ou les recourants), ressortissants français, sont domiciliés dans le canton de Genève. Ils sont propriétaires d'une villa à C., ainsi que d'une résidence secondaire en France, à D.
Dans leur déclaration fiscale pour la période 2008, les époux X. ont mentionné trois emprunts hypothécaires: le premier, d'un montant de 1'000'000 fr., grevait leur immeuble de C. (les intérêts passifs y afférents étant de 40'500 fr.); les deux autres, représentant 5'538'641 fr. au total, concernaient des travaux de rénovation de leur chalet de D. (les intérêts y relatifs ascendant à 159'360 fr.).
Par bordereaux de taxation du 4 octobre 2010, l'Administration fiscale genevoise a fixé les montants d'impôt dus par les contribuables pour la période 2008. Elle a procédé, au titre du revenu, à une reprise de 52'346 fr., montant correspondant à un excédent de charges en relation avec l'immeuble de D., les revenus de celui-ci ne suffisant pas à couvrir les intérêts passifs.
B.
Sur réclamation des contribuables, la reprise en question a été confirmée par décisions du 3 novembre 2010.
A l'encontre de ces décisions, les contribuables ont recouru à la Commission cantonale de recours en matière administrative, dont les compétences ont été reprises entre-temps par le Tribunal administratif de première instance du canton de Genève.
Le 3 octobre 2011, le Tribunal administratif de première instance a rejeté le recours.
Les contribuables ont déféré ce jugement à la Chambre administrative de la Cour de justice du canton de Genève, qui les a déboutés par arrêt du 21 août 2012.
C.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, les contribuables demandent au Tribunal fédéral, sous suite de frais et dépens, d'annuler l'arrêt attaqué et de renvoyer le dossier à l'Administration fiscale genevoise, afin qu'elle rende une nouvelle décision dans le sens des considérants.
L'autorité précédente s'en remet à justice quant à la recevabilité du recours et persiste au surplus dans les considérants et le dispositif de son arrêt. L'Administration fiscale genevoise et l'Administration
BGE 140 II 141 S. 144
fédérale des contributions, Division principale de l'impôt fédéral direct, de l'impôt anticipé, des droits de timbre, proposent de rejeter le recours.
Par courrier du 22 mars 2013, la Cour de justice a informé le Tribunal fédéral de ce qu'il était apparu que l'un des membres du Tribunal administratif de première instance ayant rendu l'arrêt du 3 octobre 2011 n'était alors plus domicilié dans le canton de Genève et ne remplissait plus l'une des conditions d'éligibilité. La Cour de justice avait, pour ce motif, annulé d'autres jugements du Tribunal administratif de première instance qui avaient fait l'objet de recours pendants auprès d'elle.
Invités par le Tribunal de céans à se déterminer sur le contenu de cette écriture, les recourants ont fait savoir, par courrier du 9 avril 2013, qu'ils renonçaient à se plaindre du vice affectant l'arrêt du Tribunal administratif de première instance du 3 octobre 2011. L'Administration fiscale genevoise a répondu que la teneur du courrier du 22 mars 2013 n'appelait aucune observation de sa part (écriture du 22 avril 2013).
Après avoir mené une procédure d'échange de vues selon l'
art. 23 al. 1 LTF
(voir consid. 1 ci-après), le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Il convient dans un premier temps d'examiner la portée du fait que, selon le courrier du 22 mars 2013, l'un des juges assesseurs ayant pris part au prononcé de l'arrêt du Tribunal administratif de première instance du 3 octobre 2011 n'était alors plus domicilié dans le canton de Genève.
1.1
Les juges assesseurs sont, selon le droit cantonal genevois, des magistrats de l'ordre judiciaire (
ATF 130 I 106
consid. 2 p. 108 s.) qui, pour être éligibles, doivent remplir les conditions de l'art. 5 al. 1 et 2 de la loi genevoise du 26 septembre 2010 sur l'organisation judiciaire (LOJ; RSG E 2 05), notamment avoir l'exercice des droits politiques dans le canton de Genève et y être domiciliés. Le fait qu'un magistrat n'était plus domicilié dans le canton lorsqu'il a pris part au prononcé d'une décision de justice est susceptible de porter atteinte à l'
art. 30 al. 1 Cst.
, dans la mesure où cette norme constitutionnelle exige qu'une autorité judiciaire statue dans une composition régulière (
ATF 129 V 335
consid. 1.3.1 p. 338 et les références).
BGE 140 II 141 S. 145
S'agissant de normes de droit cantonal et de droits constitutionnels, soit de dispositions dont le Tribunal de céans ne vérifie pas d'office le respect (
art. 106 al. 2 LTF
), il appartient au recourant de soulever le grief de leur violation et de motiver celui-ci d'une manière suffisante (cf. arrêts 2C_646/2011 du 18 septembre 2012 consid. 1.3; 4A_97/2011 du 22 mars 2011 consid. 4;
ATF 131 I 31
consid. 2.1 et 2.1.1 [rendu sous l'OJ; RS 3 521], où le grief de violation de l'
art. 30 Cst.
a été déclaré irrecevable faute d'épuisement des instances cantonales). En tout état de cause, le fait qu'un des magistrats ne remplissait plus la condition d'éligibilité du domicile dans le canton lors du prononcé de la décision en cause ne saurait entraîner la nullité de cette dernière (cf.
ATF 136 I 207
consid. 5.6, selon lequel les décisions auxquelles a participé un juge dont l'élection n'était pas valable en raison de l'absence de domicile dans le canton comme condition d'éligibilité, sont annulables et non pas nulles). La conséquence de la nullité s'impose d'autant moins que l'obligation de domicile dans le canton ne doit pas garantir notamment l'indépendance du tribunal, mais poursuit un autre but, à savoir assurer que les magistrats présentent un lien avec le canton (arrêt 4A_97/2011 précité, consid. 5.5).
1.2
Dans le cas particulier, s'agissant d'un vice révélé après le dépôt du recours devant le Tribunal fédéral, un échange d'écritures supplémentaire a été effectué, afin de donner aux parties l'occasion de se déterminer à ce propos. Or, les recourants ont expressément renoncé à se plaindre du vice en question, alors que l'Administration fiscale genevoise ne s'est pas exprimée. Compte tenu du fait que le Tribunal de céans ne vérifie pas d'office le respect des dispositions cantonales et des droits constitutionnels éventuellement violés en l'occurrence (cf. consid. 1.1 ci-dessus), il n'y a a priori pas lieu d'examiner les conséquences du vice en question. Dans l'arrêt 9C_836/2012 du 15 mai 2013, il a toutefois été jugé que l'autorité judiciaire cantonale, dont l'un des membres ne remplit plus la condition d'éligibilité prévue par le droit cantonal du domicile dans le canton, n'est pas composée conformément à la loi, ce qui constitue une violation de l'
art. 30 al. 1 Cst.
et entraîne l'annulation du jugement (voir aussi les arrêts 9C_683/2012 du 27 mai 2013; 8C_470/2012 du 29 mai 2013). Le vice en question a donc été relevé d'office, alors que les parties avaient renoncé à se déterminer à ce propos ou s'en étaient remises à justice. Ce précédent se réfère en particulier aux
ATF 129 V 335
et
ATF 135 V 124
. Or, le premier arrêt cité a été rendu sous l'OJ sur recours de droit administratif, voie de droit dans laquelle le Tribunal fédéral revoyait d'office l'application du droit fédéral, notion qui
BGE 140 II 141 S. 146
incluait les droits constitutionnels (cf.
ATF 130 I 312
consid. 1.2 p. 318). Le second a certes été rendu sous la LTF, mais il avait trait à la question de la compétence d'un tribunal arbitral au regard en particulier de l'art. 89 de la loi fédérale du 18 mars 1994 sur l'assurance-maladie (LAMal; RS 832.10), soit d'une disposition dont le Tribunal fédéral vérifie d'office le respect (cf.
art. 106 al. 1 LTF
). Il en va autrement en l'espèce, où les dispositions potentiellement violées relèvent du droit cantonal et du droit constitutionnel, dont le Tribunal de céans n'examine la violation qu'à la condition d'être saisi d'un grief dûment motivé (cf. consid. 1.1 ci-dessus).
Compte tenu des précédents mentionnés ci-dessus, la Cour de céans a procédé à un échange de vues au sens de l'
art. 23 al. 1 LTF
, en invitant les cours du Tribunal fédéral à se prononcer sur le point suivant:
"Est-il exact que le Tribunal fédéral examine la régularité de la composition des instances précédentes, dans la mesure où celle-ci est régie par le droit cantonal, seulement si un grief est soulevé à cet égard?".
L'ensemble des cours ont répondu à cette question par l'affirmative.
En l'espèce, les recourants ayant expressément renoncé à se plaindre du fait que l'un des membres du Tribunal administratif de première instance ayant rendu l'arrêt du 3 octobre 2011 ne remplissait plus l'une des conditions d'éligibilité prévues par le droit cantonal, il n'y a ainsi pas lieu d'examiner les conséquences de ce vice, étant encore réaffirmé que celui-ci n'entraîne en tout état de cause pas la nullité du jugement en question.
(...)
I. Impôt fédéral direct (IFD)
4.
L'
art. 6 LIFD
(RS 642.11) a la teneur suivante:
"
1
L'assujettissement fondé sur un rattachement personnel est illimité; il ne s'étend toutefois pas aux entreprises, aux établissements stables et aux immeubles situés à l'étranger.
2
(...)
3
L'étendue de l'assujettissement pour une entreprise, un établissement stable ou un immeuble est définie, dans les relations internationales, conformément aux règles du droit fédéral concernant l'interdiction de la double imposition intercantonale. Si une entreprise suisse compense, sur la base du droit interne, les pertes subies à l'étranger par un établissement stable avec des revenus obtenus en Suisse et que cet établissement stable enregistre des gains au cours des sept années qui suivent, il faut procéder à une révision de la taxation initiale, à concurrence du montant des
BGE 140 II 141 S. 147
gains compensés auprès de l'établissement stable; dans ce cas, la perte subie par l'établissement stable à l'étranger ne devra être prise en considération, a posteriori, que pour déterminer le taux de l'impôt en Suisse. Dans toutes les autres hypothèses, les pertes subies à l'étranger ne doivent être prises en considération en Suisse que lors de la détermination du taux de l'impôt. Les dispositions prévues dans les conventions visant à éviter la double imposition sont réservées.
4
(...)".
Selon la jurisprudence, l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD, qui exclut que des pertes subies à l'étranger soient prises en considération dans le calcul de l'assiette imposable en Suisse, vaut notamment en relation avec des immeubles sis à l'étranger (arrêts 2A.409/1997 du 12 novembre 1999 consid. 2b, in NStP 2000 p. 19, avec renvoi à PETER ATHANAS, in Das neue Bundesrecht über die direkten Steuern, 1993, ch. 3.24 p. 433; 2A.36/2007 du 21 août 2007 consid. 2.2, in StE 2009 B 11.3 n. 18). Il ne ressort toutefois pas explicitement de ces arrêts si cela vaut aussi pour un excédent d'intérêts passifs (le montant de ceux-ci dépassant le rendement net, après déduction des frais d'acquisition du revenu, notamment des frais d'entretien, de l'immeuble sis à l'étranger). La doctrine est partagée sur ce point.
Selon PETER LOCHER, la notion de "pertes subies à l'étranger" de l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD englobe tous les résultats négatifs réalisés à l'étranger autres que les pertes subies par un établissement stable d'une entreprise suisse, lesquelles sont envisagées par la 2
e
phrase de l'
art. 6 al. 3 LIFD
. Cette notion inclut ainsi notamment un excédent d'intérêts passifs (PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, vol. I, 2001, n
os
14 et 43 ad
art. 6 LIFD
; du même avis: JEAN-BLAISE PASCHOUD, in Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, n° 36 ad
art. 6 LIFD
; ROGER CADOSCH, DBG, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2008, n° 3 ad
art. 6 LIFD
). Un tel excédent n'est donc pris en considération que pour la détermination du taux d'imposition.
D'après ATHANAS/GIGLIO, en revanche, l'
art. 6 al. 3 LIFD
renvoie de manière générale aux règles concernant l'interdiction de la double imposition intercantonale. Il contient une réglementation particulière pour les pertes subies à l'étranger par un établissement stable d'une entreprise suisse, mais non pour un excédent d'intérêts passifs, situation qui doit donc selon ces auteurs être traitée conformément aux règles destinées à empêcher la double imposition intercantonale. D'après celles-ci, les intérêts passifs sont répartis proportionnellement à la valeur des actifs localisés entre les fors compétents pour imposer ceux-ci (méthode fractionnaire, alors que les frais
BGE 140 II 141 S. 148
d'acquisition du rendement immobilier, notamment les frais d'entretien, sont attribués au for du lieu de situation de l'immeuble, selon la méthode objective). Chaque quote-part d'intérêts passifs est déduite en priorité du rendement de fortune imposable au for considéré. Si ce rendement est insuffisant pour absorber la part d'intérêts attribuée à ce for, une deuxième répartition (proportionnelle) a lieu entre les fors où un rendement de fortune net subsiste et ainsi de suite. Transposé dans les relations internationales, cela signifie que si la part d'intérêts passifs attribuée au pays (étranger) du lieu de situation de l'immeuble est supérieure aux rendements de fortune imposables par celui-ci, l'excédent est déduit des revenus de même nature imposables par la Suisse comme pays du domicile fiscal principal. C'est seulement un éventuel excédent de frais d'acquisition du revenu - après la répartition des intérêts passifs effectuée comme indiqué ci-dessus - dans le pays du lieu de situation de l'immeuble qui constitue une perte subie à l'étranger, au sens de l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD, et qui ne peut être pris en considération dans le calcul de l'assiette imposable, mais seulement du taux d'imposition (ATHANAS/GIGLIO, in Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, vol. I/2a: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2
e
éd. 2008, n
os
58-60 en relation avec les n
os
83 et 95 ad
art. 6 LIFD
; du même avis:RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 2
e
éd. 2009, n° 64 ad
art. 6 LIFD
).
5.
5.1
En l'occurrence, l'autorité précédente a confirmé le procédé de l'Administration cantonale genevoise. Après avoir fixé les intérêts passifs (qui se montaient au total à 199'860 fr., soit 159'360 fr. pour l'immeuble de D. et 40'500 fr. pour celui de C.) déductibles en vertu de l'
art. 33 al. 1 let. a LIFD
à 156'684 fr., l'Administration cantonale genevoise a réparti ce montant en fonction de la valeur des actifs bruts localisés, à raison de 63,49 % pour le canton de Genève et de 36,51 % pour la France. Les parts respectives étaient ainsi de 99'480 fr. pour le canton de Genève et de 57'204 fr. pour la France. Compte tenu d'un rendement net de l'immeuble français de 4'858 fr. (= rendement brut de 5'888 fr. ./. frais d'entretien de 1'030 fr.), l'excédent d'intérêts passifs était de 52'346 fr. (= 57'204 fr. ./. 4'858 fr.), soit le montant de la reprise litigieuse. Si cette somme n'avait pas été admise en déduction lors de la détermination du revenu imposable en Suisse (lequel se montait à 228'589 fr.), elle avait en revanche été prise en considération pour le calcul du taux d'imposition (à savoir 176'243 fr. = 228'589 fr. ./. 52'346 fr.).
BGE 140 II 141 S. 149
5.2
En se référant au second courant doctrinal mentionné ci-dessus, les recourants soutiennent qu'un excédent d'intérêts passifs ne constitue pas une perte subie à l'étranger, au sens de l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD. Dans certaines configurations (immeuble en Suisse fortement hypothéqué, immeuble à l'étranger franc de toute hypothèque), un excédent d'intérêts passifs à l'étranger s'explique uniquement par l'application de la méthode de répartition proportionnelle à la valeur des actifs localisés, sans que les intérêts passifs présentent aucun lien avec l'immeuble à l'étranger. Cela démontrerait qu'un tel excédent ne peut être qualifié de "perte subie à l'étranger", au sens de l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD.
Selon les recourants, il convient d'appliquer les règles concernant l'interdiction de la double imposition intercantonale, auxquelles l'
art. 6 al. 1, 1
re
phrase, LIFD renvoie, en distinguant entre les frais d'acquisition du revenu immobilier (frais d'entretien notamment) et les intérêts passifs. Alors que les frais d'acquisition sont attribués de manière objective au for du lieu de situation de l'immeuble, les intérêts passifs sont répartis proportionnellement à la valeur des actifs localisés. Les recourants reprochent à l'autorité précédente d'avoir limité l'application des règles concernant l'interdiction de la double imposition intercantonale à la première répartition. En se référant à DANIEL DE VRIES REILINGH (Le droit fiscal international et le droit fiscal intercantonal de la Suisse, 2011, p. 295 s.), ils font valoir qu'il y a lieu d'appliquer le système prévu par ces règles jusqu'au bout et de déduire ainsi, dans le cadre d'une seconde répartition, l'excédent d'intérêts passifs de 52'346 fr. des rendements de fortune imposables en Suisse.
5.3
L'auteur dont se prévalent les recourants est certes de l'avis qu'un excédent d'intérêts passifs - comme d'ailleurs de frais d'acquisition - à l'étranger doit pouvoir être déduit des revenus suisses. Il invoque à cet égard les principes d'égalité de traitement (et de non-discrimination) et d'imposition selon la capacité contributive, dont découle le principe de l'imposition du revenu global net. Mais cet auteur admet lui-même que son point de vue se heurte "au texte clair de l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD, qui n'admet la prise en charge des pertes subies à l'étranger que de manière 'indirecte', c'est-à-dire pour fixer le taux d'imposition". Il se prononce ainsi de lege ferenda, en appelant de ses voeux une modification de l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD (DE VRIES REILINGH, op. cit., n. 706 ss [avec renvoi à ROBERT HANS SENN, Die Liegenschaft des Privatvermögens im interkantonalen und
BGE 140 II 141 S. 150
internationalen Steuerrecht, 1985, p. 109 s.], en particulier n. 708). De lege lata, les recourants ne peuvent donc rien tirer à leur profit de cette opinion doctrinale.
Quant à l'interprétation qu'ATHANAS/GIGLIO font de l'
art. 6 al. 3 LIFD
, elle perd de vue le texte et la systématique de cette disposition. Après un renvoi, s'agissant de l'étendue de l'assujettissement, aux règles du droit fédéral concernant l'interdiction de la double imposition intercantonale (1
re
phrase), la 2
e
phrase traite des pertes subies à l'étranger par un établissement stable d'une entreprise suisse, alors que la 3
e
phrase envisage "toutes les autres hypothèses". La 3
e
phrase doit être mise en relation avec la 2
e
, ce d'autant que toutes deux ne figuraient pas dans le projet du Conseil fédéral, mais ont été ajoutées lors des débats parlementaires. La 3
e
phrase limite la portée de la 2
e
, en faisant écho à l'art. 6 al. 1, 2
e
phrase, LIFD: du moment que l'assujettissement fondé sur un rattachement personnel en Suisse ne s'étend pas aux rendements (positifs) des entreprises, des établissements stables et des immeubles situés à l'étranger, il est cohérent que les résultats négatifs ne puissent - sous réserve des pertes des établissements stables (art. 6 al. 3, 2
e
phrase, LIFD) - être déduits lors de la détermination de l'assiette imposable en Suisse, même si cela déroge au principe de l'imposition du revenu global net. Compte tenu de sa formulation très générale "[d]ans
toutes
les autres hypothèses [...]", la 3
e
phrase doit s'appliquer aussi aux excédents d'intérêts passifs.
Au vu de ce qui précède, l'autorité précédente n'a pas violé l'
art. 6 LIFD
en refusant de déduire des revenus imposables en Suisse l'excédent des intérêts passifs attribués à la France. Le recours doit être rejeté sur ce point.
6.
Les recourants font valoir qu'en excluant la déduction des pertes étrangères de l'assiette imposable en Suisse, l'art. 6 al. 3, 3
e
phrase, LIFD viole le principe de la libre circulation des personnes et est contraire à la jurisprudence de la Cour de justice de l'Union européenne (ci-après: la Cour de justice). Ils invoquent à cet égard les arrêts du 14 février 1995 C-279/93
Schumacker
(Rec. 1995 I-225), du 21 février 2006 C-152/03
Ritter-Coulais
(Rec. 2006 I-1711), du 18 juillet 2007 C-182/06
Lakebrink
(Rec. 2007 I-6705), du 16 octobre 2008 C-527/06
Renneberg
(Rec. 2008 I-7735), ainsi que deux arrêts du 11 septembre 2007 C-76/05
Epoux Schwarz
(Rec. 2007 I-6849) et C-318/05
Commission contre Allemagne
(Rec. 2007 I-6957). De leur point de vue, la jurisprudence postérieure à la date de la
BGE 140 II 141 S. 151
signature de l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes (Accord sur la libre circulation des personnes, ALCP; RS 0.142.112.681) doit aussi être prise en considération, dans la mesure où elle précise la notion de discrimination indirecte déjà prohibée dans les arrêts antérieurs. Cette jurisprudence imposerait selon eux à la Suisse de prendre en considération les intérêts passifs excédentaires non seulement pour déterminer le taux d'imposition, mais aussi lors du calcul de la base imposable.
7.
Les arrêts dont se prévalent les recourants ont en commun de concerner des avantages fiscaux (cf. KADDOUS/GRISEL, Libre circulation des personnes et des services, 2012, p. 296 s., notes de bas de page 447, 450, 451 et 453). Alors que certains de ces arrêts ont trait à l'interdiction des discriminations entre contribuables résidents et non résidents en matière de fiscalité directe (ci-après consid. 7.1), d'autres se rapportent à des mesures fiscales indistinctement applicables, mais néanmoins susceptibles d'entraver la libre circulation (consid. 7.2).
7.1
7.1.1
Le Tribunal de céans a exposé, en lien avec le principe de non-discrimination de l'
art. 2 ALCP
, ainsi que des art. 9 al. 2 et 15 al. 2 annexe I ALCP, la jurisprudence communautaire en matière de fiscalité directe dans l'
ATF 136 II 241
.
Cette jurisprudence constitue un cas d'application des règles générales d'égalité de traitement qui prohibent non seulement les discriminations ostensibles fondées sur la nationalité (discriminations directes), mais encore toutes formes dissimulées de discrimination qui, par application d'autres critères de distinction, aboutissent en fait au même résultat (discriminations indirectes). Dans le domaine de la fiscalité directe, qui relève de leur compétence, les Etats membres doivent ainsi s'abstenir de toute discrimination ostensible ou déguisée fondée sur la nationalité (
ATF 136 II 241
consid. 13.1 p. 249 s. et les références, not. à l'arrêt
Schumacker
; cf. aussi KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 292 ss).
De manière générale, la situation des résidents et celle des non-résidents dans un Etat n'est pas comparable: le revenu perçu sur le territoire d'un Etat par un non-résident ne constitue le plus souvent qu'une partie de son revenu global, centralisé au lieu de sa résidence, et sa capacité contributive personnelle tenant compte de l'ensemble de ses
BGE 140 II 141 S. 152
revenus et de sa situation personnelle et familiale peut s'apprécier le plus aisément à l'endroit où il a le centre de ses intérêts personnels et patrimoniaux, qui correspond en général à sa résidence habituelle. Par conséquent, le fait pour un Etat membre de ne pas faire bénéficier un non-résident de certains avantages fiscaux qu'il accorde au résident n'est, en règle générale, pas discriminatoire, compte tenu des différences objectives entre la situation des résidents et celle des non-résidents. Il peut en revanche y avoir discrimination entre résidents et non-résidents si, nonobstant leur résidence dans des Etats membres différents, il est établi que, au regard de l'objet et du contenu des dispositions nationales en cause, les deux catégories de contribuables se trouvent dans une situation comparable (
ATF 136 II 241
consid. 13.2 et 13.3 p. 250 et les références, not. à l'arrêt
Schumacker
; cf. aussi KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 297 ss). Tel est le cas notamment lorsque, comme dans l'affaire
Schumacker
, le non-résident tire l'essentiel de ses ressources imposables d'une activité exercée dans l'Etat d'emploi (pour désigner cette configuration, la doctrine parle de "situations Schumacker": KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 430). Le fait que l'Etat d'emploi traitent ces contribuables non-résidents différemment de personnes résidentes constitue alors une discrimination contraire à la libre circulation des travailleurs et à la liberté d'établissement (cf. KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 297 ss, 429 ss).
Les arrêts
Ritter-Coulais
,
Lakebrink
et
Renneberg
, précités, concernent des contribuables qui résidaient dans un Etat membre, où ils étaient propriétaires immobiliers, et travaillaient dans un autre Etat membre. Dans ces affaires, les contribuables avaient été traités différemment par l'Etat d'emploi, s'agissant de la prise en compte de rendements immobiliers négatifs, que ne l'auraient été des personnes résidentes. La Cour de justice a vu dans ce traitement différencié des non-résidents par rapport aux résidents une discrimination contraire à la libre circulation des travailleurs. Les deux derniers arrêts cités se réfèrent d'ailleurs à l'affaire
Schumacker
(cf. arrêts
Lakebrink
, pts 30 s. et
Renneberg
, pts 61 ss; au sujet de ce dernier, cf. KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 300).
7.1.2
En l'occurrence, les recourants ne se trouvent pas dans la situation de contribuables qui, exerçant leur activité lucrative dans un autre Etat que celui de leur résidence, seraient traités différemment - et en cela discriminés - par ce dernier Etat. Ils ont en effet leur domicile fiscal en Suisse, pays dans lequel l'activité lucrative est aussi exercée. Ils ne sauraient par conséquent se prévaloir de la
BGE 140 II 141 S. 153
jurisprudence exposée ci-dessus, qui concerne le statut fiscal des non-résidents.
7.2
7.2.1
Quant aux deux arrêts du 11 septembre 2007, ils concernent une réglementation allemande permettant, à diverses conditions, aux contribuables résidents de déduire de l'assiette imposable certains frais d'écolage dans des établissements privés allemands, à l'exclusion de ceux encourus dans des écoles privées d'un autre Etat membre. Cette réglementation a été jugée contraire à la libre prestation des services (d'enseignement), ainsi qu'à la liberté de circuler sur le territoire des Etats membres - droit dont les enfants font usage en se rendant dans un autre Etat membre pour y suivre un enseignement scolaire -, telle que conférée à tout citoyen de l'Union européenne (cf. arrêts
Epoux Schwarz
, pts 67 et 90 ss;
Commission contre Allemagne
, pts 81 et 129 ss). Même si elle s'appliquait indépendamment de la nationalité des travailleurs, elle constituait une entrave à la libre circulation des personnes. Elle désavantageait en effet les travailleurs qui avaient transféré leur domicile en Allemagne ou qui y travaillaient et dont les enfants continuaient à fréquenter une école payante située dans un autre Etat membre. Elle était en outre susceptible de placer les ressortissants nationaux dans une position désavantageuse lorsque ceux-ci transféraient leur domicile dans un autre Etat membre (voir arrêt
Commission contre Allemagne
, pts 115 ss). La Cour de justice a ainsi considéré que le régime en question représentait une entrave à l'entrée (dans un Etat membre) et à la sortie, en limitant l'accès au marché du travail (KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 266 s.; cf. aussi VÉRONIQUE BOILLET, L'interdiction de discrimination en raison de la nationalité au sens de l'Accord sur la libre circulation des personnes, 2010, p. 83 note de bas de page 404).
7.2.2
La notion de discrimination au sens de la jurisprudence communautaire a en effet évolué et comprend, à côté des discriminations directes et indirectes, les restrictions indistinctement applicables de la libre circulation (ou entraves à la libre circulation). Ces dernières sont définies comme des mesures qui, applicables sans aucune distinction sur la base de la nationalité, sont susceptibles de gêner ou de rendre moins attrayant l'exercice, par les ressortissants des Etats membres, des libertés fondamentales garanties par le traité (KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 251; BOILLET, op. cit., p. 82 s.). Dans le domaine de la fiscalité, ces entraves consistent notamment en des restrictions à la sortie d'un Etat membre (voir KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 302 ss
BGE 140 II 141 S. 154
et la jurisprudence citée) ou, comme dans l'affaire
Commission contre Allemagne
, à l'entrée et à la sortie (KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 266 s.). Il n'est du reste pas toujours aisé de distinguer entre les restrictions indistinctement applicables - et, partant, non discriminatoires - de la libre circulation et les mesures indirectement discriminatoires (BOILLET, op. cit., p. 84), ce d'autant que la jurisprudence communautaire manque parfois de constance sur ce point (cf. BOILLET, loc. cit., note de bas de page 408 à propos de l'arrêt
Renneberg
). Au demeurant, la jurisprudence de la Cour de justice considère les restrictions indistinctement applicables comme compatibles avec le traité lorsqu'elles remplissent quatre conditions: elles doivent s'appliquer de manière non discriminatoire, se justifier par des raisons impérieuses d'intérêt général, être propres à garantir la réalisation de l'objectif qu'elles poursuivent et ne pas aller au-delà de ce qui est nécessaire pour l'atteindre (BOILLET, op. cit., p. 83; JULIAN MAIER, Die steuerlichen Implikationen der Mobilitätsgarantien des Freizügigkeitsabkommens Schweiz-EU, 2013, p. 189 et les références). En outre, de telles mesures ne constituent pas des entraves si elles n'ont pas pour objet de conditionner l'accès au marché du travail (BOILLET, op. cit., p. 83 note de bas de page 405 et la jurisprudence citée).
En relation avec l'ALCP, la question est de savoir si les restrictions indistinctement applicables de la libre circulation tombent sous le coup de l'interdiction des discriminations au sens de l'
art. 2 ALCP
et sont prohibées par cette disposition. Dans un arrêt du 27 mars 2006, le Tribunal de céans a soulevé ce point, sans le trancher (affaire K 163/03 consid. 6.3, non publié in
ATF 133 V 33
). La doctrine est partagée, mais considère plutôt que les restrictions indistinctement applicables sont prohibées dans le domaine couvert par l'interdiction des discriminations de l'ALCP (cf. les auteurs cités par KADDOUS/GRISEL, op. cit., p. 880 note de bas de page 123; BOILLET, op. cit., p. 91 et les références en note de bas de page 442; MAIER, op. cit., p. 166 ss).
7.2.3
En l'occurrence, il ne s'agit pas de la libre prestation de services (sans compter que la libéralisation partielle des prestations de services prévue par l'ALCP doit être distinguée de la situation prévalant dans le marché intérieur de l'Union européenne:
ATF 133 V 624
consid. 4.3 p. 631 ss). Quant à la liberté de circuler sur le territoire des Etats membres en tant qu'elle découle du statut de citoyen de l'Union, le Tribunal fédéral n'a en principe pas à prendre en compte les arrêts qui s'y rapportent (cf.
ATF 139 II 393
consid. 4.1.2
BGE 140 II 141 S. 155
et références). Sous l'angle de la libre circulation, finalement, l'
art. 6 al. 1 et 3 LIFD
n'a nullement pour objet de conditionner l'accès au marché du travail. Il s'agit d'une réglementation qui limite la compétence de la Suisse d'imposer, dans le cadre d'un assujettissement illimité, le rendement d'immeubles situés à l'étranger. Corrélativement, ces règles empêchent de déduire un excédent d'intérêts passifs de l'assiette de l'impôt dû en Suisse. On ne saurait voir là une entrave à la libre circulation des personnes, en ce sens que des contribuables établis dans un pays de l'Union européenne où ils possèdent une résidence secondaire seraient dissuadés de venir s'établir en Suisse du fait que cela les priverait de la possibilité de déduire de leurs revenus un éventuel rendement négatif de cet immeuble. La réglementation en cause est en effet à l'avantage des contribuables, lorsque le rendement immobilier est positif: dans ce cas, le revenu de l'immeuble sis à l'étranger n'est pas ajouté aux autres revenus imposables en Suisse, ce qui est plus favorable en raison de la progressivité de l'impôt. Le régime en question ne constitue donc pas une entrave à la libre circulation et il n'est ainsi pas nécessaire de trancher le point de savoir si de telles restrictions sont de manière générale prohibées par l'ALCP. Sous l'angle du droit européen, on pourrait tout au plus se demander si les règles en cause sont compatibles avec la libre circulation des capitaux (s'agissant de la location d'un immeuble, cf. de même MAIER, op. cit., p. 316), mais la question n'a pas à être examinée en relation avec l'ALCP, qui n'a pas pour objectif de garantir cette liberté (cf.
art. 1 ALCP
a contrario).
Les deux arrêts dont les recourants se prévalent ne leur sont ainsi d'aucune aide.
S'agissant de l'IFD, le recours doit donc être rejeté aussi en tant que les recourants se fondent sur l'ALCP et la jurisprudence de la Cour de justice.
II. Impôt cantonal et communal (ICC)
8.
La loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes (LHID; RS 642.14) traite de l'assujettissement à raison du rattachement personnel à son art. 3. A la différence de la LIFD (cf.
art. 6 LIFD
et ci-dessus consid. 4 et 5), elle ne contient pas de disposition relative à l'étendue de cet assujettissement. Elle ne règle pas, en particulier, la question de savoir si les pertes subies à l'étranger peuvent être déduites de l'assiette de l'impôt. Ce silence ne saurait certes, à lui seul, être compris comme conférant une marge d'autonomie aux cantons, en tout cas lorsqu'il
BGE 140 II 141 S. 156
porte sur un point relevant d'un aspect dont l'harmonisation est expressément prévue par la Constitution fédérale (cf.
ATF 130 II 65
consid. 4.1 p. 70 s.; arrêt 2C_620/2012 du 14 février 2013 consid. 3.3, in RDAF 2013 II p. 197). La question de savoir si les cantons ont une certaine autonomie à cet égard (dans ce sens apparemment: BAUER-BALMELLI/NYFFENEGGER, in Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, vol. I/1: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, 2
e
éd. 2002, n
os
21 et 33 ad
art. 3 LHID
) n'a pas à être tranchée définitivement en l'occurrence. En effet, à l'instar de la plupart des cantons suisses (cf. BAUER-BALMELLI/NYFFENEGGER, op. cit., n° 33 ad
art. 3 LHID
), le canton de Genève a repris les règles de l'
art. 6 LIFD
à l'art. 5 de son ancienne loi du 22 septembre 2000 sur l'imposition des personnes physiques - objet de l'impôt - assujettissement à l'impôt (LIPP-I; en vigueur jusqu'au 31 décembre 2009), encore applicable en l'espèce. Si cette reprise s'est faite dans le cadre de la marge d'autonomie laissée par la LHID et qu'il s'agit de droit cantonal autonome, dont le Tribunal de céans revoit l'application conformément à l'
art. 106 al. 2 LTF
(cf. consid. 3.3 non publié), il appartient au recourant d'exposer précisément en quoi la mauvaise application des dispositions cantonales constitue une violation du droit fédéral - y compris le droit international -, en particulier de l'interdiction de l'arbitraire au sens de l'
art. 9 Cst.
(cf.
ATF 138 V 67
consid. 2.2 p. 69). Or, les recourants se limitent en l'occurrence à faire valoir "que l'art. 5 al. 4 LIPP-I reprend les mêmes principes que ceux énoncés par l'
art. 6 al. 3 LIFD
de sorte qu'il n'y a pas lieu de traiter la question de manière différente pour l'impôt cantonal et communal". En tant qu'ils se réfèrent par là à l'ALCP et à la jurisprudence de la Cour de justice, il peut être renvoyé au consid. 7 ci-dessus, le recours étant mal fondé. Pour le reste, les recourants n'exposent pas en quoi l'art. 5 al. 4 LIPP-I aurait été appliqué de manière arbitraire, de sorte que le recours est dans cette mesure irrecevable.
Si, en revanche, l'art. 5 LIPP-I constitue du droit cantonal harmonisé, dont le Tribunal de céans revoit librement l'application (cf. consid. 3.3 non publié), il y a lieu, en vue d'une harmonisation verticale (voir à ce sujet
ATF 130 II 65
consid. 5.2 p. 71 ss; arrêt 2C_620/2012 précité, consid. 3.3), d'interpréter cette disposition de la même manière que l'
art. 6 LIFD
, dont elle reprend la teneur. Les recourants eux-mêmes semblent partir de cette idée, lorsqu'ils considèrent que la question doit être traitée de la même manière pour l'ICC que pour l'IFD. Dans cette hypothèse, il est possible de se référer
BGE 140 II 141 S. 157
entièrement à la motivation développée ci-dessus (consid. 4 et 5) en relation avec l'
art. 6 LIFD
et de rejeter le recours pour les mêmes motifs. | public_law | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5b8197e-21c5-4529-8e3f-9f791fa1b43a | Urteilskopf
125 III 231
39. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. April 1999 i.S. B.H. sowie A.G. und C.G. gegen X. AG (Berufung) | Regeste
Mietrecht; Kündigungsschutz für einen zusammen mit einer Wohnung vermieteten Autoabstellplatz; Untersuchungsmaxime bei mietrechtlichen Streitigkeiten (Art. 253a, 266l, 269d, 274d Abs. 3 OR).
Begriff der mitvermieteten Sache im Sinne von
Art. 253a Abs. 1 OR
(E. 2).
Bei der Kündigung von formell separat mitvermieteten Sachen durch den Vermieter genügt es, dass dieser die Formvorschriften von
Art. 266l OR
einhält; ein Vorgehen nach
Art. 269d OR
ist nicht erforderlich (E. 3 und 4b).
Bedeutung der vom Bundesrecht für mietrechtliche Streitigkeiten vorgeschriebenen Untersuchungsmaxime, insbesondere im kantonalen Rechtsmittelverfahren (E. 4a). | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 125 III 231 S. 232
B.H. und D.H. sowie C.G. und A.G. haben von der X. AG je eine Wohnung an der Y.strasse 6 in Basel sowie einen Parkplatz in der unter der betreffenden Überbauung liegenden Einstellhalle an der Y.strasse 10 gemietet. Mit amtlichen Formularen vom 22. Juni 1997 kündigte die Vermieterin die Mietverträge über diese Parkplätze auf den 30. September 1997. Die Mieter fochten die Kündigungen erfolgreich bei der staatlichen Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten an.
Mit Eingabe vom 14. November 1997 beantragte die Vermieterin dem Zivilgerichtspräsidium Basel-Stadt, es seien die ausgeprochenen Kündigungen in ihrer Gültigkeit zu bestätigen. Der a.o. Zivilgerichtspräsident als Einzelrichter in Mietsachen hiess die Klagen mit Urteil vom 14. April 1998 gut, wobei er im Fall der Ehegatten G. das Mietverhältnis einmalig bis zum 30. September 1998 erstreckte, ein entsprechendes Begehren der andern Beklagten jedoch abwies.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die Be- schwerden der Beklagten gegen den Entscheid des Zivilgerichtspräsidenten mit Urteil vom 28. September 1998 ab.
Das Bundesgericht weist die Berufung der Beklagten ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gesondert vermietete Einstellplätze können unter Einhaltung einer zweiwöchigen Frist jeweils auf Ende eines Monats gekündigt werden (
Art. 266e OR
), sofern die Parteien vertraglich nichts Abweichendes vereinbart haben (
Art. 266 OR
). Die Schutzbestimmungen sowohl der
Art. 271 ff. OR
betreffend die Kündigung wie auch der
Art. 269 ff. OR
betreffend missbräuchliche Mietzinse und andere missbräuchliche Forderungen des Vermieters gelten nur für Wohn-
BGE 125 III 231 S. 233
und Geschäftsräume. Ein Abstellplatz in einer Tiefgarage oder eine zum Abstellen von Autos separat vermietete Garage wird nach der Rechtsprechung nicht als Geschäftsraum betrachtet (
BGE 118 II 40
E. 4b S. 42;
BGE 110 II 51
). Auf Abstellplätze sind die Bestimmungen über die Miete von Wohn- und Geschäftsräumen nur unter der Voraussetzung anwendbar, dass sie der Vermieter zusammen mit diesen Räumen dem Mieter zum Gebrauch überlässt (
Art. 253a Abs. 1 OR
). Die Vorinstanz hat angenommen, die von den Beklagten gemieteten Einstellplätze seien unabhängig von den Wohnungen und nicht im Sinne von
Art. 253a Abs. 1 OR
zusammen mit den Wohnräumen gemietet worden. Die Beklagten rügen, diese Betrachtungsweise widerspreche
Art. 253a OR
.
a) Als Sachen, welche dem Mieter im Sinne von
Art. 253a Abs. 1 OR
zusammen mit Wohn- und Geschäftsräumen zum Gebrauch überlassen werden, kommen nicht nur bewegliche Sachen in Betracht, sondern auch Immobilien wie beispielsweise Garagen, Abstellplätze und Mansarden (
Art. 1 VMWG
[SR 221.213.11]; HIGI, Zürcher Kommentar, N. 51 zu
Art. 253a-253b OR
; WEBER/ZIHLMANN, Basler Kommentar, N. 15 zu
Art. 253a-253b OR
; LACHAT, Le bail à loyer, Lausanne 1997, S. 84; SVIT-Kommentar Mietrecht, 2. Auflage, N. 11 zu
Art. 253a OR
). Ein Zusammenhang derartiger Nebensachen mit der Hauptsache besteht, wenn sie der Hauptsache funktionell dienen und nur wegen des über diese geschlossenen Mietvertrags zum Gebrauch überlassen bzw. in Gebrauch genommen werden. Dabei ist erforderlich, dass die Parteien beider Mietverträge dieselben sind. Dagegen kommt dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder der Anzahl der abgeschlossenen Verträge in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu (Botschaft des Bundesrates zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBl 1985 I 1421; HIGI, a.a.O., N. 54 f. zu
Art. 253a-253b OR
; SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 12 und 13 zu
Art. 253a OR
; LACHAT, a.a.O., S. 84 f. Rz. 4.4.1).
b) Nach den Feststellungen der Vorinstanz befinden sich die Einstellplätze unterhalb der Liegenschaft, in welcher die Beklagten die Wohnungen gemietet haben und damit in unmittelbarer Nähe der Wohnräume. Sodann werden im angefochtenen Urteil keine umstände aufgeführt, die darauf hindeuten würden, dass die Beklagten die Plätze nicht zum Parken ihrer privaten Autos gebrauchen. Muss aber angenommen werden, dass die Parkplätze den Bewohnern der Mietwohnungen zum Abstellen ihrer Autos dienen, ist der erforderliche funktionelle Zusammenhang zwischen den Mietsachen
BGE 125 III 231 S. 234
gegeben. Unerheblich ist demgegenüber, ob die Verträge über die Einstellplätze später als jene über die Mietwohnungen abgeschlossen worden sind (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1985 I 1421; HIGI, a.a.O., N. 55 f. zu
Art. 253a-253b OR
). Sind somit alle Voraussetzungen erfüllt, ist davon auszugehen, dass die Autoabstellplätze den Beklagten im Sinne von
Art. 253a Abs. 1 OR
mitvermietet worden sind.
3.
Die Beklagten werfen dem Appellationsgericht eine Verletzung von
Art. 269d Abs. 3 OR
vor, weil es zu Unrecht angenommen habe, die Klägerin habe das für einseitige Vertragsänderungen zu Lasten des Mieters vorgeschriebene Vorgehen nicht einhalten müssen.
a) Nach
Art. 269d OR
kann der Vermieter den Mietzins jederzeit auf den nächstmöglichen Kündigungstermin erhöhen. Er muss dem Mieter die Erhöhung mindestens zehn Tage vor Beginn der Kündigungsfrist auf einem vom Kanton genehmigten Formular mitteilen und begründen (Abs. 1). Die Erhöhung ist nichtig, wenn sie nicht mit dem vorgeschriebenen Formular mitgeteilt, nicht begründet oder wenn mit der Mitteilung die Kündigung angedroht oder ausgesprochen wird (Abs. 2). Die Absätze 1 und 2 dieser Bestimmung gelten auch, wenn der Vermieter beabsichtigt, sonstwie den Mietvertrag einseitig zu Lasten des Mieters zu ändern, namentlich seine bisherigen Leistungen zu vermindern oder neue Nebenkosten einzuführen (Abs. 3). In der Literatur werden zu diesen Änderungen der Entzug der Benützungsrechte für allgemein zugängliche Räume wie waschküche oder Velokeller, aber auch der Entzug der Benützung von individuell gemieteten Nebenräumen wie Estrich- oder Kellerabteil und Garage gerechnet (SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 61 zu
Art. 269d OR
; LACHAT, a.a.O., S. 370 f. Rz. 3.1). Als unstatthaft wird dagegen der Entzug objektiv wesentlicher Teile des Mietobjekts ohne Kündigung des Vertrages betrachtet, weil die Vertragsänderung nicht zu einer unzumutbaren Teilkündigung führen darf und durch
Art. 269d Abs. 3 OR
eine Änderungskündigung gerade verhindert werden soll (WEBER/ZIHLMANN, a.a.O., N. 11 zu
Art. 269d OR
; SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 60 zu
Art. 269d OR
). Im Wesentlichen aus dem gleichen Grund wird weitergehend die Auffassung vertreten, die einseitige Vertragsänderung gemäss
Art. 269d OR
erlaube nicht den Entzug eines Teils des Mietgegenstandes, weil es sich dabei um eine Vertragsanpassung handle, die auf eine unzulässige Teilkündigung hinauslaufe (HIGI, a.a.O., N. 60 zu
Art. 269d OR
und N. 96 Vorbem. zu
Art. 266-266o OR
).
BGE 125 III 231 S. 235
b)
Art. 269d OR
gehört in systematischer Hinsicht zum Abschnitt über den «Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen und andern missbräuchlichen Forderungen des Vermieters bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen» (Art. 269 bis
Art. 270e OR
). Das dort für einseitige Vertragsänderungen durch den Vermieter vorgese-hene formelle Vorgehen eröffnet dem Mieter die Möglichkeit, im Anfechtungsverfahren prüfen zu lassen, ob der Mietzins infolge der Änderung missbräuchlich ist. Wie es sich damit verhält, ergibt sich jedoch erst nach erfolgter Überprüfung in diesem Verfahren. Der Geltungsbereich von
Art. 269d OR
kann deshalb entgegen einer in der Lehre geäusserten Meinung nicht von vornherein auf vertragliche Änderungen eingeschränkt werden, welche das bisherige Gleichgewicht der Leistungen zu Lasten des Mieters verändern (so HIGI, a.a.O., N. 49 ff. zu
Art. 269d OR
). sich die Änderung zu Lasten des Mieters auswirkt, ist vielmehr Ergebnis der Beurteilung im Anfechtungsverfahren und gehört zur materiellen Missbrauchsprüfung. Das Bundesgericht hat denn auch
Art. 269d OR
im Fall einer Vertragsänderung angewendet, welche das Austauschverhältnis nur indirekt zu beeinflussen vermag (
BGE 125 III 62
E. 2b S. 64: Rückzug der Zustimmung zur Untermiete). Der Anwendungsbereich von
Art. 269d und 270b Abs. 2 OR
ist demnach weit zu fassen. Es sind davon grundsätzlich sämtliche Änderungen des Mietvertrages erfasst, durch welche das bisherige Austauschverhältnis der Leistungen von Vermieter und Mieter verändert werden kann. Dafür spricht auch der sachliche Zusammenhang von
Art. 269d OR
mit
Art. 271a Abs. 1 lit. b OR
, der sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt. In der Lehre ist allgemein anerkannt, dass
Art. 271a Abs. 1 lit. b OR
die Änderungskündigung ebenso wie
Art. 269d Abs. 2 lit. c OR
die Kündigungsdrohung verbietet, damit der Mieter nicht vor die Alternative gestellt wird, entweder eine Vertragsänderung zu seinen Lasten zu akzeptieren oder die Kündigung zu riskieren (HIGI, a.a.O., N. 71 zu
Art. 271a OR
; LACHAT, a.a.O., S. 476; SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 15 zu
Art. 271a OR
, vgl. zum alten Recht
BGE 115 II 83
E. 4c S. 86). Ist aber davon auszugehen, dass das in
Art. 269d OR
vorgeschriebene Vorgehen die - im allgemeinen Vertragsrecht zulässige - Änderungskündigung durch den Vermieter nicht nur für unmittelbar, sondern ebenfalls für mittelbar mietzinsrelevante Änderungen des Vertrages ersetzt, so muss es für derartige Änderungen auch zur Verfügung stehen. Dem kann nicht mit dem Argument begegnet werden, dass
Art. 269d OR
dem Vermieter nicht mehr Rechte einräumen wolle, als ihm nach
BGE 125 III 231 S. 236
allgemeinem Vertragsrecht zustände, denn dies träfe auch für einseitige, direkt mietzinsbestimmende Änderungen zu.
c)
Art. 269d OR
dient aufgrund seines Wortlautes wie nach seiner systematischen Stellung allein der Überprüfung des Mietzinses auf Missbräuchlichkeit; er nennt die Kriterien nicht, welche eine Änderung des Vertrages seitens des Vermieters rechtfertigen oder ausschliessen, soweit es nicht unmittelbar um mietzinsbestimmende Bedingungen geht (LACHAT, a.a.O. S. 372 f. Rz. 3.6). Ersetzt aber die einseitige Vertragsänderung durch den Vermieter die Kündigung des bisherigen Vertrages und die Offerte zum Neuabschluss eines Vertrages mit geänderten Bedingungen, wie sie nach allgemeinen schuldvertraglichen Grundsätzen möglich wäre, so kommt eine Überprüfung der Änderung als solcher - abgesehen vom Mietzins - insoweit in Betracht, als für den bisherigen Vertrag Kündigungsschutz im Sinne der
Art. 271 ff. OR
besteht. Zwar dient die Anfechtung gemäss
Art. 270b OR
allein der Beurteilung, ob der Mietzins missbräuchlich ist; die Anfechtung nach dieser Bestimmung kann jedoch gleichzeitig die Funktion des
Art. 273 Abs. 1 OR
übernehmen, zumal die Fristen und Zuständigkeiten dieselben sind (a.M. HIGI, a.a.O., N. 108 Vorbem. zu
Art. 266-266o OR
). Das Vorgehen nach
Art. 269d OR
, das dem Vermieter anstelle der verpönten Änderungskündigung zur Verfügung steht, ermöglicht daher im Anfechtungsverfahren sowohl die Prüfung, ob ein missbräuchlicher Ertrag für die verbliebene Mietsache resultiert (
Art. 270b OR
) wie auch die Prüfung, ob die damit ausgesprochene Kündigung des bisherigen Mietvertrages gegen Treu und Glauben verstösst (
Art. 273 OR
). Erweist sie sich als treuwidrig im Sinne der
Art. 271 und 271a OR
, so ist die Änderung ungültig. Erweist sie sich dagegen als gültig, hat der Mieter im Übrigen wie bei einer ordentlichen Kündigung die Möglichkeit, die Erstreckung des bisherigen Mietvertrages zu beantragen.
d) Da die Einstellplätze funktionell Nebensachen der Mietwohnungen der Beklagten sind, finden gemäss
Art. 253a Abs. 1 OR
die mietrechtlichen Schutzbestimmungen auch auf die Mietverträge für die Einstellplätze Anwendung. In der Lehre wird aus
Art. 253a Abs. 1 OR
abgeleitet, dass ein einheitliches Mietverhältnis über Haupt- und Nebensache bestehe, was nicht nur bei der Missbrauchsprüfung gemäss
Art. 269 OR
zu berücksichtigen sei, sondern auch die einheitliche Behandlung der Verträge in Bezug auf die Gültigkeit der Kündigung und der Zulässigkeit der Mieterstreckung zur Folge haben müsse (HIGI, N. 22 Vorbem. zu
Art. 269-270e OR
und N. 49
BGE 125 III 231 S. 237
zu
Art. 253a-253b OR
; LACHAT, a.a.O., S. 85; WEBER/ZIHLMANN, a.a.O., N. 15 zu
Art. 253a-253b OR
; SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 14 zu
Art. 253a OR
). In formeller Hinsicht wird daraus vereinzelt geschlossen, der Entzug der Nebensache müsse auf den nächsten für die Hauptsache geltenden Kündigungstermin mit amtlichem Formular mindestens 10 Tage vor Beginn der Kündigungsfrist mitgeteilt und begründet werden (LACHAT, a.a.O., S. 85 Rz. 4.4.2 und S. 372 Rz. 3.5). Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, wo - wie im vorliegenden Fall - zwei formell selbständige Verträge für Haupt- und Nebensache abgeschlossen worden sind. Der formellen Selbständigkeit der Verträge ist vielmehr Rechnung zu tragen, soweit nur der eine Vertrag von der Änderung betroffen ist und dem Mieter die Anfechtung sowohl unter dem Gesichtspunkt des miss- bräuchlichen Entgelts (
Art. 269 ff. OR
) wie unter dem Gesichtspunkt des Kündigungsschutzes (
Art. 271 ff. OR
) eröffnet wird.
e) Die Kündigung durch den Vermieter muss bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einem amtlich genehmigten Formular angezeigt werden, das angibt, wie der Mieter vorzugehen hat, wenn er die Kündigung anfechten oder eine Erstreckung verlangen will (
Art. 266l Abs. 2 OR
). Der Mieter kann die Kündigung als im Sinne der
Art. 271 ff. OR
missbräuchlich anfechten (
Art. 273 OR
). Er kann im Rahmen dieses Verfahrens aber auch vorbringen, die Kündigung der Nebensache führe zu einem missbräuchlichen Ertrag für die verbleibende Hauptsache (
Art. 270b OR
). Da die Anfechtung nach dieser Bestimmung innerhalb derselben Fristen bei derselben Behörde erfolgt wie die Anfechtung der Kündigung gemäss
Art. 273 OR
, steht auch hier nichts entgegen, dem Verfahren nach
Art. 273 OR
gleichzeitig die Funktion des Verfahrens nach
Art. 270b OR
zu geben. Zwar werden an die Begründung von Mietzinserhöhungen strenge Anforderungen gestellt (vgl. folgende E. 4b). Die Informationen, welche im Verfahren gemäss
Art. 269d OR
nach Absatz 2 dieser Bestimmung vom Vermieter bekannt gegeben werden müssen, sind dem Mieter jedoch von vornherein bekannt, wenn formell zwei separate Verträge mit separaten Mietzinsen für die Hauptsache einerseits und die Nebensache anderseits abgeschlossen worden sind. Denn wenn die Vertragsänderung im Entzug einer Nebensache besteht, ist jedenfalls für den Regelfall nicht ersichtlich, welche Grundlagen der Neuberechnung der Vermieter über die Aufteilung des bisherigen Entgelts auf die verbleibende Mietsache einerseits und die Nebensache anderseits sollte detaillieren können. Diese Aufteilung ergibt sich bei formell separat vermieteten Sachen schon
BGE 125 III 231 S. 238
aus den Verträgen. Dem Mieter sind daher die Umstände bekannt, welche eine Missbrauchsanfechtung auch gemäss
Art. 270b OR
erlauben. Für separat mitvermietete Nebensachen ist die Kündigung mit amtlich genehmigtem Formular daher genügend. Es bedarf entgegen der Ansicht der Beklagten keiner Mietvertragsänderung gemäss
Art. 269d OR
.
4.
Die Beklagten haben im gesamten Verfahren nie behauptet, dass für ihre Wohnungen ohne die Einstellplätze ein missbräuchlicher Mietzins erzielt werde. Sie rügen dagegen, die Begründung der Kündigung seitens der Klägerin sei offensichtlich unwahr, denn einerseits lasse sich die Weitervermietung an Dritte auch bei weiter Interpretation nicht als Eigenbedarf bezeichnen und anderseits stimme auch der Hinweis auf die Umgestaltung des Hinterhofs einer benachbarten Liegenschaft nicht, da es der Klägerin in Wirklichkeit darum gegangen sei, Gewerberäume mit Parkplätzen vermieten zu können. Im gleichen Zusammenhang bringen die Beklagten zudem vor, sie hätten in einer Noveneingabe vom 17. Juni 1998 geltend gemacht, dass die Klägerin weitere Parkplätze an Geschäftsmieter vermietet habe, zu denen sie keine näheren wirtschaftlichen Beziehungen pflege; diese Noveneingabe sei vom Appellationsgericht in Verletzung von
Art. 274d Abs. 3 OR
nicht berücksichtigt worden.
a)
Art. 274d Abs. 3 OR
schreibt den Schlichtungsbehörden und Gerichten vor, dass sie den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen und die Beweise nach freiem Ermessen zu würdigen haben, wobei ihnen die Parteien alle für die Beurteilung des Streitfalls notwendigen Unterlagen vorzulegen haben. Diese Anweisung an die Behörden wird in der Literatur als soziale Untersuchungsmaxime oder gemilderte Verhandlungsmaxime bezeichnet (Jürgen Brönnimann, Gedanken zur Untersuchungsmaxime, ZBJV 126/1990, S. 329 ff., S. 345; Fabienne Hohl, La réalisation du droit et les procédures rapides, S. 46 und 55 f.; vgl. auch Rapp, Autorités et procédure en matière de bail à loyer, 8e Séminaire sur le droit du bail 1994, S. 13). Bei der sozialpolitisch begründeten Untersuchungsmaxime geht es darum, die wirtschaftlich schwächere Partei zu schützen, die Gleichheit zwischen den Parteien herzustellen sowie das Verfahren zu beschleunigen. Die Parteien sind jedoch nicht davon befreit, bei der Feststellung des entscheidwesentlichen Sachverhalts aktiv mitzuwirken und die allenfalls zu erhebenden Beweise zu bezeichnen. Sie tragen auch im Bereich der Untersuchungsmaxime die Verantwortung für die Sachverhaltsermittlung (BRÖNNIMANN, a.a.O., S. 347).
Art. 274d Abs. 3 OR
schreibt somit keine umfassende
BGE 125 III 231 S. 239
Untersuchungsmaxime vor. Dies ergibt sich schon aus dem ausdrücklichen Vorbehalt, wonach die Parteien die entscheidwesentlichen Unterlagen vorzulegen haben. Das Gericht hat lediglich seine Fragepflicht auszuüben, die Parteien auf ihre Mitwirkungspflicht sowie das Beibringen von Beweisen hinzuweisen. Zudem hat es sich über die Vollständigkeit der Behauptungen und Beweise zu versichern, wenn diesbezüglich ernsthafte Zweifel bestehen (vgl.
BGE 107 II 233
E. 2c S. 236). Die richterliche Initiative geht insoweit nicht über eine Aufforderung an die Parteien hinaus, Beweismittel zu nennen und beizubringen. Im Fall der Verweigerung zumutbarer Mitwirkung einer Partei kann die Beweisabnahme unterbleiben (BRÖNNIMANN, a.a.O., S. 357). Die für Mietstreitigkeiten in
Art. 274d Abs. 3 OR
vorgeschriebene Untersuchungsmaxime zwingt das Gericht nicht dazu, das Beweisverfahren beliebig auszudehnen und alle möglichen Beweise abzunehmen (vgl. HOHL, a.a.O., S. 51 f.). Ferner gilt, dass die Untersuchungsmaxime im Rechtsmittelverfahren durch kantonales Prozessrecht eingeschränkt werden kann. Sie führt nicht dazu, dass jede vom kantonalen Recht festgesetzte Beschränkung der Überprüfungsbefugnis unbeachtlich wird. Die Kantone sind insbesondere frei, die Kognition der zweiten Instanz durch ein Novenverbot zu beschränken (
BGE 118 II 50
E. 2a S. 52; HOHL, a.a.O., S. 48 Rz. 146; RAPP, a.a.O., S. 14). Die Beklagten machen nicht geltend, sie hätten ihre Behauptung, wonach die Klägerin Parkplätze an beliebige Dritte vermietet habe, schon vor erster Instanz vorgebracht. Ihre Rüge, dass die vor zweiter Instanz vorgebrachten Noven zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien, bricht sich daher am zulässigen Novenverbot des kantonalen Prozessrechts und ist nicht zu hören.
b) Die Begründung einer Mietzinserhöhung oder einer anderen unmittelbar mietzinsrelevanten Forderung des Vermieters hat strengen Anforderungen zu genügen. Der Mieter muss daraus insbesondere den Umfang, die Art der Berechnung und die entsprechende Begründung klar ersehen können (
BGE 121 III 6
E. 3b und c;
BGE 121 III 460
E. 4a/aa S. 464). Die Begründung der Kündigung ist in
Art. 266l OR
dagegen nicht vorgesehen; sie muss gemäss
Art. 271 Abs. 2 OR
nur auf Verlangen abgegeben werden. Eine nicht begründete Kündigung ist nicht an sich notwendigerweise missbräuchlich. Diese Rechtsfolge ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht sinngemäss aus dem Gesetz (vgl. LACHAT, a.a.O., S. 408 und S. 468 Rz. 3.1; SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 49 ff. zu
Art. 71 OR
; HIGI, a.a.O., N. 139 ff. und N. 160 zu
Art. 271 OR
). Allerdings
BGE 125 III 231 S. 240
kann eine mangelnde oder fehlerhafte Begründung ein Indiz dafür sein, dass ein objektiv erkennbares, ernstgemeintes und schützenswertes Interesse an der Kündigung nicht besteht (SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 53 zu
Art. 271 OR
).
Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Klägerin die Kündigungen in ihrem Formular-Schreiben mit «Eigenbedarf, Umgestaltung des Hinterhofes in der Q.strasse 13, Verlegung der Parkplätze unserer Geschäftskundschaft an die Y.strasse 10» begründet hat und dass es ihr konkret um die Realisierung eines Bauvorhabens auf der Einstellhalle Y.strasse 10 geht, die der Q.strasse 13 benachbart ist. Dieses Umbauvorhaben macht nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil die Verlegung von Parkplätzen notwendig, welche die Klägerin der dort domizilierten Z. AG aufgrund einer ausdrücklichen mietvertraglichen Verpflichtung zur Verfügung stellen muss. Die Vorinstanz hat aus diesen Umständen geschlossen, dass die Begründung zwar der Klarheit und Vollständigkeit ermangle, jedoch nicht unwahr sei. Sie hat dazu festgestellt, dass es der Klägerin mit der Kündigung der Parkplätze um berechtigte wirtschaftliche Interessen gehe, da die Vermietung von Gewerberäumen ohne zugehörige Parkplätze kaum möglich sei. Die Vorinstanz hat mit dieser Begründung eine missbräuchliche Kündigung der Parkplätze verneint, wogegen die Beklagten materiell nichts einwenden, insbesondere auch nicht behaupten, ihr eigenes Interesse an den Parkplätzen sei derart, dass ein offensichtliches Missverhältnis der Interessen bestehe (vgl. dazu LACHAT, a.a.O., S. 472). Ihr Vorbringen, dass die auf amtlich genehmigtem Formular mitgeteilten Kündigungen der Mietverträge über die Einstellplätze nicht hinreichend begründet seien, betrifft rein formelle Gesichtspunkte. Da sich die Begründungspflicht wie erwähnt für Kündigungen im Unterschied zu mietzinsbestimmenden Angaben nicht auf das amtlich genehmigte Formular bezieht, sind die entsprechenden Rügen der Beklagten unbegründet. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b5bb7d19-0a63-4432-8b2b-894fd1d69027 | Urteilskopf
97 III 113
24. Entscheid vom 19. November 1971 i.S. M. | Regeste
Art. 74 SchKG
. Erhebung des Rechtsvorschlags durch einen nicht zur Vertretung befugten Angestellten einer AG.
Der von einem (gemäss Handelsregistereintrag) nicht zur Vertretung befugten Angestellten einer juristischen Person erhobene Rechtsvorschlag ist nicht zum vornherein ungültig. Auf Ersuchen des Betreibungsgläubigers hat jedoch das Betreibungsamt bzw. die Aufsichtsbehörde zu prüfen, ob der Angestellte mit Ermächtigung der Organe handelte oder diese zumindest nachträglich den Rechtsvorschlag genehmigt haben. | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 97 III 113 S. 114
Der auf Begehren des M. gegen die X. AG ausgestellte Zahlungsbefehl wurde am 30. September 1971 der Schuldnerin zugestellt. Am gleichen Tag erhob K., einer ihrer Angestellten, namens der X. AG Rechtsvorschlag. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1971 ersuchte M. das Betreibungsamt, diesen Rechtsvorschlag als ungültig zu erklären und das Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls entsprechend zu berichtigen, da K. nach dem Handelsregistereintrag nicht vertretungsberechtigt und demnach nicht zur Erhebung eines Rechtsvorschlags legitimiert sei.
Das Betreibungsamt lehnte das Begehren ab. Die von M. dagegen erhobene Beschwerde an die kantonale Aufsichtsbehörde wurde ebenfalls abgewiesen.
Mit Rekurs ans Bundesgericht hat der Gläubiger erneut Nichtigerklärung des Rechtsvorschlags verlangt. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Erwägungen:
Die hier zur Beurteilung stehende Frage, ob ein gewöhnlicher Angestellter einer Aktiengesellschaft ohne besondere Vertretungsbefugnisse legitimiert sei, in einer gegen die Gesellschaft gerichteten Betreibung für diese Rechtsvorschlag zu erheben, wurde bisher vom Bundesgericht noch nie entschieden. InBGE 65 III 73f. erklärte das Gericht lediglich, dass im Falle kollektiver Zeichnungsberechtigung (es handelte sich um eine GmbH) jeder der Zeichnungsberechtigten einzeln, d.h. ohne Mitwirkung des andern, gültig Recht vorschlagen könne. Das Luzerner Obergericht ging später mit Hinweis auf diesen Entscheid etwas weiter und anerkannte auch den von einem nicht zeichnungsberechtigten Mitglied des Stiftungsrates namens
BGE 97 III 113 S. 115
der Stiftung erhobenen Rechtsvorschlag als gültig (Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs, 1948 S. 177 Nr. 47, 1950 S. 111 Nr. 41). Die Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Graubünden erklärte ihrerseits, bei einer juristischen Person müsse die Befugnis, Recht vorzuschlagen, jeder Person zustehen, die gemäss Art. 65 Abs. 1 Ziffer 2 SchKG berechtigt sei, den Zahlungsbefehl entgegenzunehmen (BlSchK 1961, S. 82 f.). In der Literatur schliesslich herrscht die Meinung vor, bei einer juristischen Person oder einer Gesellschaft sei überhaupt jeder Angestellte zur Erhebung des Rechtsvorschlags legitimiert, gleichgültig, wie die Verwaltung und Vertretung sonst geregelt sei (so JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, N. 3 zu
Art. 74 SchKG
; VOEGELI, Der Rechtsvorschlag, Diss. Bern 1931, S. 36; FAVRE, Cours de droit des poursuites, 2. Aufl., S. 137 oben; ebenso wohl JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten der Schweiz, S. 104, und BRAND, SJK Nr. 979, S. 5).
Die Befugnis des einfachen Angestellten, Recht vorzuschlagen, wird von den genannten Autoren im allgemeinen aus
Art. 65 Abs. 2 SchKG
abgeleitet. Diese Ableitung ist aber nicht über jeden Zweifel erhaben. Während nämlich die (übrigens bedingte) Zulässigkeit der Zustellung von Betreibungsurkunden an Angestellte einer juristischen Person oder Gesellschaft ihre Rechtfertigung schon darin findet, dass angenommen werden darf, diese Hilfspersonen würden solche Urkunden "an die zum Handeln berufenen Personen" weiterleiten (
BGE 88 III 17
), und während der Angestellte mit der blossen Entgegennahme eines Zahlungsbefehls einem Entscheid der zur Vertretung befugten Organe in keiner Weise vorgreift, übt er, wenn er namens seiner Arbeitgeberin Recht vorschlägt, ein dieser zustehendes Recht aus, wobei jedoch nicht gesagt ist, dass er damit auch im Sinne der Geschäftsleitung handle.
Nun hat aber das Bundesgericht schon wiederholt erklärt, dass selbst ein von einem nicht bevollmächtigten Vertreter des Betriebenen erhobener Rechtsvorschlag gültig sei, sofern ihn der Betreibungsschuldner nachträglich genehmige (vgl.
BGE 54 III 279
,
BGE 78 III 157
; ferner BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 271, und die dort zitierten ältern Entscheide, sowie die bereits früher angeführten Autoren). Das muss natürlich auch dann gelten, wenn ein nicht zur Vertretung befugter Angestellter einer juristischen Person in deren Namen Recht vorschlägt. Zwar
BGE 97 III 113 S. 116
darf in solchen Fällen in aller Regel angenommen werden, dass der Angestellte mit Wissen und Willen der vertretungsberechtigten Personen handle und somit zur Erhebung des Rechtsvorschlags ermächtigt sei. Macht jedoch der Betreibungsgläubiger geltend, dass dies nicht zutreffe, so hat das Betreibungsamt oder die Aufsichtsbehörde zu prüfen, wie es mit der Vertretungsbefugnis des betreffenden Angestellten bzw. mit der nachträglichen Genehmigung des Rechtsvorschlags durch die Organe der Gesellschaft bestellt ist (ähnlich schonBGE 29 I 625f.; JAEGER, N. 3 zu
Art. 74 SchKG
).
Im vorliegenden Falle wird nicht behauptet, die Betreibungsschuldnerin sei mit dem Rechtsvorschlag nicht einverstanden. Der Rekurrent sieht dessen Ungültigkeit lediglich darin, dass er von einem gemäss Handelsregistereintrag nicht zur Vertretung der AG befugten Angestellten erhoben worden ist. Dass dies die Gültigkeit des Rechtsvorschlags jedoch nicht ausschliesst, wurde soeben dargetan. Unter diesen Umständen kann davon abgesehen werden, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Frage der Vollmacht bzw. der Genehmigung des Rechtsvorschlags durch die betriebene AG näher abkläre. | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b5bc818b-1c79-4b96-a5b4-924d26330680 | Urteilskopf
122 III 36
7. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 22. Januar 1996 i.S. S. SA (Rekurs) | Regeste
Provisorische Pfändung (
Art. 83 Abs. 1 SchKG
).
Die provisorische Pfändung kann nicht verlangt werden, bevor über ein Rechtsmittel, womit die Bewilligung der provisorische Rechtsöffnung weitergezogen worden ist und dem rechtskrafthemmende Wirkung zukommt, in zweiter Instanz rechtskräftig entschieden worden ist (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 122 III 36 S. 36
A.-
Das Betreibungsamt Binningen erliess am 16. November 1995 auf Begehren der S. AG, Birsfelden, in der Betreibung Nr. ... eine Pfändungsankündigung gegen V., womit die Pfändung auf den 23. November 1995 angesetzt wurde.
Über diese Pfändungsankündigung beschwerte sich der Schuldner bei der Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft. Er machte insbesondere geltend, dass er gegen den Rechtsöffnungsentscheid des Bezirksgerichtspräsidenten von Arlesheim vom 2. November 1995, womit in der erwähnten Betreibung die provisorische Rechtsöffnung bewilligt worden war, Appellation erklärt habe. Im Jahr 1982 (BJM 1982, S. 86 ff.) habe die kantonale Aufsichtsbehörde festgehalten, dass
Art. 83 Abs. 1 SchKG
keine ausdrückliche Grundlage für eine provisorische Pfändung vor Eintritt der Rechtskraft des Rechtsöffnungsentscheides enthalte und dass die Zulassung einer provisorischen Pfändung vor Eintritt der Rechtskraft eines Rechtsöffnungsurteils einem unzulässigen Eingriff in das kantonale Prozessrecht gleichkomme.
B.-
Mit Entscheid vom 12. Dezember 1995 hiess die Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft die Beschwerde des Schuldners gut und hob die Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Binningen in der Betreibung Nr. ... auf.
BGE 122 III 36 S. 37
C.-
Die Gläubigerin S. AG zog den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde mit Rekurs gemäss
Art. 19 SchKG
an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weiter. Diese wies den Rekurs ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 83 Abs. 1 SchKG
kann der Gläubiger, welchem die provisorische Rechtsöffnung erteilt worden ist, nach Ablauf der Zahlungsfrist die provisorische Pfändung verlangen, wenn der Schuldner der Betreibung auf Pfändung unterliegt.
a) Die gesetzliche Regelung gibt keine Antwort auf die sich im vorliegenden Fall stellende Frage, ob die provisorische Pfändung auch schon verlangt werden kann, wenn ein Kanton, wie zum Beispiel Basel-Landschaft, gegen den erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid ein Rechtsmittel zur Verfügung stellt, dem - wie dies bei ordentlichen Rechtsmitteln die Regel ist - von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt und das Rechtsmittel vom Schuldner ergriffen worden ist.
b) Die Lehre gibt zumeist nur die gesetzliche Regelung wieder, wonach die provisorische Rechtsöffnung dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnet, die provisorische Pfändung zu verlangen (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Auflage Bern 1993, § 19 N. 58; ferner FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, Zürich 1984, § 20 Rz. 17; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Auflage Lausanne 1993, S. 153, Ziff. 2 lit. a; BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, Bern 1911, S. 307). Sie nimmt jedoch nicht zu der hier aufgeworfenen Frage Stellung, wie es sich beim Weiterzug des erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheides verhält. Nur JAEGER (N. 2 zu
Art. 83 SchKG
) gibt der Meinung Ausdruck, der Gläubiger sei da, wo das kantonale Recht eine Appellation für Rechtsöffnungsentscheide vorsieht, zur Stellung des Begehrens um provisorische Pfändung (oder um Aufnahme eines Güterverzeichnisses bei der Fortsetzung der Betreibung auf dem Wege des Konkurses) schon aufgrund des erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheides berechtigt.
c) Das Bundesgericht hat in einer weit zurückliegenden Rechtsprechung erkannt, dass die provisorische Pfändung - als eine rein vorsorgliche Massnahme - selbst dann verlangt werden könne,
BGE 122 III 36 S. 38
wenn der Schuldner gegen den die provisorische Rechtsöffnung erteilenden erstinstanzlichen Entscheid ein ordentliches Rechtsmittel ergriffen hat (
BGE 55 III 173
E. 2;
47 III 67
, S. 68
;
23 I 947
, S. 955f.). Die Begründungen zu dieser Auffassung sind aber knapp gehalten, werden eher obiter dictum ausgesprochen und erscheinen bei näherer Betrachtung nicht zwingend.
d) Der Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft ist die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichts bekannt. Sie hält jedoch im angefochtenen Entscheid an ihrer eigenen Rechtsprechung fest, wonach die provisorische Pfändung erst nach Eintritt der Rechtskraft des provisorischen Rechtsöffnungsentscheides - und somit gegebenenfalls erst in dem Augenblick, wo über den Weiterzug des erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheides durch ein ordentliches Rechtsmittel rechtskräftig entschieden worden ist - vorgenommen werden darf (BJM 1982, S. 86 ff.).
2.
Der Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde ist beizupflichten.
Die Bewilligung der Rechtsöffnung ist Voraussetzung dafür, dass der Gläubiger gegenüber dem der Betreibung auf Pfandverwertung unterliegenden Schuldner die provisorische Pfändung oder gegenüber dem der Betreibung auf Konkurs unterliegenden Schuldner die Aufnahme eines Güterverzeichnisses verlangen kann (
Art. 83 Abs. 1 SchKG
), und sie ist auch Voraussetzung für die Aberkennungsklage des Schuldners beim Gericht des Betreibungsortes (
Art. 83 Abs. 2 SchKG
). Bewilligt aber ist die provisorische Rechtsöffnung nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen erst, wenn ein formell rechtskräftiges Urteil vorliegt.
Was nach dem Wortlaut von
Art. 83 SchKG
und den prozessualen Grundsätzen Regel bildet, deckt sich mit Sinn und Zweck der provisorischen Pfändung und der Systematik des Gesetzes: Da die provisorische Rechtsöffnung den Rechtsvorschlag nur bedingt beseitigt, soll dem Gläubiger für die Dauer des Schwebezustandes, das heisst, während des Fristenlaufs für die Aberkennungsklage und bis zur - auch hier rechtskräftigen - Erledigung des Aberkennungsprozesses, ein Mittel in die Hand gegeben werden, womit er seinen Vollstreckungsanspruch sichern kann (JAEGER, N. 6 zu
Art. 82 SchKG
; GILLIÉRON, JdT 1984 II, Note S. 14). Aus diesem Grund gibt es keine provisorische Pfändung, nachdem definitive Rechtsöffnung erteilt worden ist, welche die hemmende Wirkung des Rechtsvorschlages ein für allemal beseitigt und, im Falle der Betreibung auf Pfändung, den Weg für die
BGE 122 III 36 S. 39
Verwertung freigibt. Wollte man bei der provisorischen Rechtsöffnung die provisorische Pfändung bereits für die Dauer eines Rechtsmittelverfahrens mit aufschiebender Wirkung zulassen, so wäre nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch in jenen Fällen möglich sein sollte, wo der Rechtsöffnungsrichter definitive Rechtsöffnung bewilligt hat, sein Entscheid aber mit einem Rechtsmittel, dem rechtskrafthemmende Wirkung zukommt, weitergezogen worden ist. Die Auffassung, dass provisorische Pfändung nicht verlangt werden kann, bevor über ein Rechtsmittel, womit die Bewilligung der provisorischen Rechtsöffnung weitergezogen worden ist und dem rechtskrafthemmende Wirkung zukommt, in zweiter Instanz rechtskräftig entschieden worden ist, entspricht dem Wortlaut von
Art. 83 Abs. 1 und 2 SchKG
wie auch Sinn, Zweck und Systematik des Gesetzes.
3.
Die Appellation des Prozessrechtes von Basel-Landschaft ist ein ordentliches Rechtsmittel, welchem rechtskrafthemmende Wirkung zukommt (STAEHELIN/SUTTER, Zivilprozessrecht nach den Gesetzen der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft unter Einbezug des Bundesrechts, Zürich 1992, § 21 Rz. 1 und 37; WEIBEL/RUTZ, Gerichtspraxis zur basellandschaftlichen Zivilprozessordnung, 4. Auflage 1986, S. 255). Es ist nach dem Gesagten daher bundesrechtskonform, wenn die Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft im Hinblick darauf, dass der Schuldner gegen den Rechtsöffnungsentscheid des erstinstanzlichen Richters Appellation erklärt hat und diese - wie auch aus den Ausführungen der Rekurrentin hervorgeht - noch hängig ist, die provisorische Pfändung als unzulässig bezeichnet hat.
Der Rekurs erweist sich als unbegründet. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b5bd8c39-af06-4b9a-9b01-9901b3d911e2 | Urteilskopf
93 II 272
38. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juli 1967 i.S. Widmer gegen Rymann AG. | Regeste
Art. 1 Abs. 1 UWG
.
Pflicht des Unternehmers zur Geheimhaltung der ihm vom Besteller anvertrauten Konstruktionsidee. Grundsatz von Treu und Glauben (Erw. 2 bis 4).
Gemeinfreiheit des Erzeugnisses als grundsätzlicher Beendigungsgrund des Nachahmungsverbots (Erw. 5).
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
.
Beschränkung dieser Vorschrift auf den Ausstattungsschutz eines Erzeugnisses. (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 272
BGE 93 II 272 S. 272
A.-
Viktor Widmer, früherer Metzgermeister, handelt mit metzgereitechnischen Maschinen und Apparaten. Er entschloss sich im Jahre 1956, eine eigene Kuttelreinigungsmaschine auf den Markt zu bringen. Auf der Suche nach einem Fabrikanten, der die Maschine technisch richtig fertigentwickeln und für ihn herstellen sollte, kam er mit der Rymann AG. in Verbindung, die eine Maschinenfabrik betreibt und sich insbesondere mit der Herstellung von Zentrifugen befasst. Der erste auf den Markt gebrachte Typ der Maschine hatte äusserlich weitgehend
BGE 93 II 272 S. 273
das Aussehen einer Wäschezentrifuge; die oben offene, die rotierende Scheibe enthaltende Wandung war auf einem niedrigen Fuss aufgesetzt. In einer ersten Serie wurde der mechanische Teil nach der üblichen Art hergestellt; diese hatte den Nachteil, dass sich das Reinigungsgut im Spalt zwischen rotierendem Boden und fester Bottichwand verfing und dabei riss. Bei einer spätern Ausführung wurde dieser Mangel dadurch behoben, dass einerseits der Durchmesser des rotierenden Bodens etwas verkleinert, anderseits die Bottichwand im untern Teil horizontal abgewinkelt und nach innen fast fugenlos bis an den Boden herangezogen wurde, wobei dieser horizontale Teil der Wand mit Löchern versehen wurde, durch die das Schmutzwasser abfloss. Widmer erblickt den Vorteil dieser Konstruktion in erster Linie darin, dass sich das Reinigungsgut nicht mehr verfangen und reissen kann.
Die Rymann AG. stellte in den Jahren 1957 bis 1962 für Widmer etwas über siebzig solcher Kuttelreinigungsmaschinen her und lieferte sie ihm. Im Laufe dieser Jahre wurde auch die Ausstattung dieser Maschine umgestaltet. Der Bottich wurde durch einen Deckel, eine seitliche Türe und einen Ablaufstutzen ergänzt; ausserdem wurde der niedrige Fuss durch einen mit Rippen versehenen Ständer ersetzt.
In den Jahren 1961/62 stellte die Rymann AG. für Widmer den Prototyp einer Darmreinigungsmaschine her, der jedoch nicht voll befriedigte.
Die Parteien brachen im Oktober 1962 ihre geschäftlichen Beziehungen ab, nachdem die Rymann AG. eine Erhöhung ihres Werklohnes für die Kuttelreinigungsmaschine verlangt hatte. Ab November 1962 belieferte sie A. Maichle in St. Gallen mit Kuttelreinigungsmaschinen.
Eine von der Rymann AG. auf den 31. Oktober 1961 erstellte Abrechnung schloss mit einem Saldo von Fr. 14'607.15 zu ihren Gunsten. Sie übertrug diesen Saldo auf ihren Rechnungsauszug vom 18. Juni 1963, der die fällige Schuld des Beklagten auf Fr. 9'216.30 bezifferte.
B.-
Die Rymann AG. klagte am 30. Januar 1964 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen Widmer auf Zahlung von Fr. 9'216.30 zuzüglich 5% Zins seit 12. September 1963 und Fr. 12.30 Zahlungsbefehlskosten.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen und stellte dem von ihm grundsätzlich anerkannten Teilbetrag von Fr.
BGE 93 II 272 S. 274
2'476.95 eine Gegenforderung im gleichen Betrag zur Verrechnung gegenüber. Widerklageweise verlangte er, der Klägerin sei die Herstellung und der Verkauf von Kuttelreinigungsmaschinen zu verbieten und sie sei zu verpflichten, ihm Fr. 52'523.05 nebst Zins zu bezahlen.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess am 12. Dezember 1966 die Hauptklage im Betrage von Fr. 8'463.75 nebst 5% Zins seit 12. September 1963 und Betreibungskosten von Fr. 12.30 gut und wies die Widerklage ab.
Das Handelsgericht stellt fest, der Beklagte habe den Beweis für seine Behauptung, die Klägerin habe sich verpflichtet, für Dritte keine Kuttelreinigungsmaschinen herzustellen und ihm ein ausschliessliches Bezugsrecht einzuräumen, nicht erbracht. Dagegen sei anzunehmen, dass zwischen den Parteien eine stillschweigende Abmachung des Inhalts bestanden habe, dass dem Beklagten solange ein ausschliessliches Bezugsrecht zustehe, als er von der Klägerin regelmässig Maschinen kaufe. Daraus könne aber nicht ohne weiteres geschlossen werden, es sei der Klägerin auch nach Abbruch der Geschäftsbeziehungen verwehrt gewesen, die Maschine an Dritte zu verkaufen.
Unbegründet ist nach Auffassung der Vorinstanz der Vorwurf des Beklagten, die Klägerin verletze durch den Verkauf der Kuttelreinigungsmaschine an Dritte eine Treuepflicht und verstosse gegen Treu und Glauben im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 UWG
, indem sie Kenntnisse, die sie auf Grund des Vertragsverhältnisses mit dem Beklagten erworben habe, für ihre eigenen Zwecke verwende.
Die Vorinstanz stellt mit Bezug auf die Treuepflicht fest, die Kuttelreinigungsmaschine beruhe auf dem Prinzip der Schleuderwirkung, welches die Klägerin bei der Herstellung von Zentrifugen seit jeher angewendet habe. Die dem Beklagten zuzuschreibende Verbesserung habe darin bestanden, dass der Spalt zwischen Bottichwand und Laufplatte vom Rand weg gegen das Innere des Behälters verlegt wurde, was die Schädigung des Reinigungsgutes durch Klemmen verhinderte. Diese Konstruktionsidee habe von der Klägerin auf Grund der vertraglichen Treuepflicht auf jeden Fall während der Dauer der Geschäftsbeziehungen nicht ausgewertet werden dürfen. In der Folge sei jedoch die Klägerin wie jedermann befugt gewesen, die weder patent- noch modellrechtlich geschützte Maschine nachzuahmen und auf den Markt zu bringen.
BGE 93 II 272 S. 275
Die Vorinstanz erblickt auch darin keinen unlautern Wettbewerb, dass die Klägerin ein Erzeugnis herstellt, das mit dem des Beklagten verwechselt werden kann. Sie stellt mit Bezug auf die äussere Gestalt der Maschinen fest, dass das Modell "Juni 1965" der Klägerin eine für den Kaufsinteressenten leicht erkennbare Weiterentwicklung der Maschine des Beklagten sei. Der Beklagte sei im Sinne von § 99 zürch. ZPO darauf hingewiesen worden, dass sein Modell nachgeahmt werden dürfe, soweit dem nicht der Ausstattungsschutz entgegenstehe. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Gestalt der Maschine nicht technisch oder durch den Gebrauchszweck bedingt sei. Der Beklagte habe jedoch weder behauptet noch dargetan, dass die Formgebung und Ausgestaltung der nachgeahmten Maschine sich nicht ausschliesslich oder zur Hauptsache aus Herstellungsweise oder Gebrauchszweck ergeben, sondern auf Überlegungen ästhetischer Natur zurückzuführen seien, und dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, die Gestalt ihres Erzeugnisses zu den bisherigen oder doch nur mit unerheblich höheren Kosten abzuändern.
C.-
Der Beklagte hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er ficht das vorinstanzliche Urteil in dem Umfang, als es die Hauptklage gutheisst, nicht an, lässt das mit der Widerklage gestellte Unterlassungsbegehren fallen und beantragt, die Klägerin zur Zahlung von Fr. 55'000.-- als Schadenersatz zu verpflichten, abzüglich die von der Vorinstanz im Betrage von Fr. 8'463.75 nebst Zins geschützte Klageforderung.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, hat der Beklagte den Beweis dafür nicht erbracht, dass beim Abschluss des Werkvertrages die Klägerin sich verpflichtete, Dritte nicht zu beliefern. Der Beklagte greift mit der Berufung diesen Punkt wieder auf und hält dafür, das Gericht habe sich darüber schlüssig zu werden, wie die vertragliche Treuepflicht gelautet hätte, wenn die Parteien bei Vertragsschluss daran gedacht hätten, dass die Klägerin den Beklagten nach Beendigung der Geschäftsbeziehungen konkurrenzieren werde.
Entscheidend ist, dass die Parteien für den vom Beklagten in Betracht gezogenen Fall nichts vorgesehen haben. Es ist nicht Sache des Richters, den Vertrag durch ein zufälliges
BGE 93 II 272 S. 276
Element zu ergänzen, das er nicht enthält, sondern er hat ihn so auszulegen, wie er ist, unter Berücksichtigung der im Gesetz vorgesehenen Regeln über die Vertragsergänzung und des Grundsatzes von Treu und Glauben.
3.
Es steht fest, dass die in Frage stehende Maschine nach Beschaffenheit den Zentrifugen gleichzusetzen ist und in dieser Beziehung keine Besonderheiten aufweist. Mit der zweiten Fabrikationsserie wurde, wie erwähnt, der Spalt zwischen Bottichwand und Laufplatte vom Rand weg gegen das Innere des Behälters verlegt, was die Schädigung des Reinigungsgutes durch Klemmen verhinderte. Die Vorinstanz stellt fest, dass die von der Klägerin nach Beendigung der Geschäftsbeziehungen mit dem Beklagten hergestellten und verkauften Maschinen sich nur unwesentlich vom Modell 1962/63 des Beklagten unterscheiden und vom Käufer als ein und dasselbe, jedoch leicht verbesserte Erzeugnis angesehen werden.
Indem die Klägerin nach Abbruch der Geschäftsbeziehungen ähnliche Maschinen wie der Beklagte herstellte und verkaufte, machte sie sich Gedankengut des Beklagten und damit eine Erfindung desselben zunutze.
Ob die Erfindung des patentrechtlichen Schutzes fähig war, ist nicht entscheidend. Massgebend ist bloss, dass sie nicht geschützt war. Durch den jahrelangen Verkauf der Maschinen in der Schweiz wurde die Erfindung gemeinfrei und durfte daher von jedermann nachgeahmt werden. Demnach hätte sich auch Maichle - ein ehemaliger Kunde und späterer Konkurrent des Beklagten - dem die Klägerin die neuen Maschinen zur Hauptsache verkauft, an irgend einen Hersteller wenden und von diesem die gleichen Maschinen beziehen dürfen.
Die Frage des Schadenersatzes stellt sich daher nur unter dem Gesichtspunkt einer vertraglichen Pflicht.
4.
Wie das angefochtene Urteil mit Recht hervorhebt, haben sich die Rechtsbeziehungen der Parteien nicht in Werkverträgen über einzelne oder mehrere Maschinen erschöpft. Die sich über mehrere Jahre (1957-1962) erstreckenden Geschäftsbeziehungen der Parteien, ihre enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Herstellung und Verbesserung der Maschine hatten die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses und damit eine entsprechende Treuepflicht zur Folge. Diese bestand vor allem darin, dass während der Dauer der Geschäftsbeziehungen dem Beklagten ein ausschliessliches Bezugsrecht
BGE 93 II 272 S. 277
zustand und dass die Klägerin ihre Tätigkeit ausschliesslich in den Dienst des Beklagten stellte. Zwar konnte der Beklagte den Nachweis dafür, dass eine solche Treuepflicht vereinbart wurde, nicht erbringen. Sie ergibt sich aber aus dem von den Vertragspartnern zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben.
Es fragt sich anderseits, ob die Klägerin auch nach Abbruch der Geschäftsbeziehungen mit dem Beklagten an eine solche Treuepflicht gebunden war.
Die Vorinstanz stellt in Übereinstimmung mit den Parteien fest, dass die Parteien im Oktober 1962 ihre Geschäftsbeziehungen deshalb abgebrochen haben, weil die Klägerin für die Herstellung der Maschine einen höhern Preis gefordert hatte. Der Beklagte behauptet nicht, die Vorinstanz habe zu diesem Punkt Beweisanträge zurückgewiesen und damit
Art. 8 ZGB
verletzt. Seine Aktenwidrigkeitsrüge bezieht sich auf Behauptungen im Prozess, womit er das Verhalten der Klägerin beanstandet, und nicht auf Beweisurkunden, die von der Vorinstanz nicht berücksichtigt worden seien.
Die Parteien waren demnach ab Oktober 1962 in der Gestaltung ihrer Geschäftsbeziehungen grundsätzlich frei.
5.
Der Beklagte beruft sich zur Begründung seiner Schadenersatzforderung aufBGE 77 II 263. In diesem Entscheid ging es darum, dass ein Handwerker mit der Herstellung eines Prototyps für einen in verschiedener Hinsicht verbesserten Strassenhobel beauftragt wurde. Der Bedarf an solchen Strassenhobeln soll in der Schweiz nicht gross sein. Der Erfinder hatte nie die Absicht, das Gerät patentieren zu lassen. Während er den Prototyp Interessenten vorführte, bediente sich der Unternehmer der ihm anvertrauten Konstruktionsidee, stellte ähnliche Maschinen für den Verkauf her und kam dem Besteller bei der Auswertung der Erfindung zuvor. Das Bundesgericht schützte die vom Besteller angehobene Klage auf Untersagung der weitern Herstellung und des Verkaufs des Strassenhobels; es stellte sich auf den Standpunkt, die Geheimhaltungspflicht des Handwerkers sei stillschweigend vereinbart gewesen.
Das Bundesgericht liess sich im zitierten Entscheid insbesondere von der Überlegung leiten, dass der Besteller die dem Unternehmer bekannte Absicht hatte, die Erfindung geheim zu halten und später ohne patentrechtlichen Schutz wirtschaftlich auszuwerten. Das Geheimnis sei nicht schon durch die
BGE 93 II 272 S. 278
Vorführung des Prototyps bei Strassenfachmännern gelüftet worden. Auch sei unerheblich, ob diese Vorführungen im Sinne von
Art. 4 PatG
neuheitszerstörend gewesen seien. Der Unternehmer hat sich nach diesem Entscheid die praktisch noch nicht verbreitete Erfindungsidee des Bestellers angeeignet, um diesem bei der Auswertung derselben zeitlich zuvorzukommen. Indem der Unternehmer in Verletzung einer vertraglichen Treuepflicht Gedankengut eines andern verwendete, machte er sich des unlautern Wettbewerbs schuldig.
Diesem Entscheid ist zunächst zu entnehmen, dass beim Werkvertrag unter Umständen der Unternehmer nach Treu und Glauben verpflichtet ist, ein ihm geoffenbartes Fabrikationsgeheimnis weder Dritten gegenüber zu enthüllen noch für sich selber zum Nachteil des Bestellers auszuwerten. Daraus folgt also eine Pflicht des Unternehmers, ein ihm anvertrautes Fabrikationsgeheimnis zu bewahren. Diese Pflicht zur Geheimhaltung ergibt sich ihrerseits aus der werkvertraglichen Treuepflicht.
Der zitierte Entscheid besagt auch, dass die Pflicht zur Geheimhaltung des Fabrikationsgeheimnisses des Bestellers nach Beendigung des Werkvertrages weiter besteht. Damit wird der Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass die vertraglich begründete Schweigepflicht auch nach Aufhebung des Vertragsverhältnisses andauert. Die Pflicht zur Geheimhaltung wäre sonst sinnlos, da sich der Vertragspartner ihrer durch Kündigung des Vertrages entschlagen könnte. Das gilt auch mit Bezug auf die dem Unternehmer nach Treu und Glauben obliegende Pflicht, die geheim gebliebene Konstruktionsidee des Bestellers nicht zum eigenen Vorteil auszunutzen.
Die Geheimhaltungspflicht besteht nach dem in Frage stehenden Entscheid nach Beendigung des Vertragsverhältnisses solange, als die Konstruktionsidee nicht verbreitet und den Konkurrenten zugänglich gemacht worden ist. Der Entscheid legt besonderes Gewicht auf den Willen des Bestellers zur Geheimhaltung des Geheimnisses sowie auf den Umstand, dass das Geheimnis gegenüber möglichen Konkurrenten trotz der Vorführung des Prototyps bei Strassenfachmännern gewahrt blieb. Der Unternehmer habe dadurch gegen Treu und Glauben verstossen, dass er Gedankengut des Bestellers verwendet und damit diesen in der Auswertung der Erfindung überflügelt habe. Der Entscheid wirft in einem unveröffentlichten Teil auch die Frage auf, ob der Unternehmer berechtigt sei, das allgemein
BGE 93 II 272 S. 279
bekanntgewordene Erzeugnis frei nachzuahmen und auf eigene Rechnung herzustellen. Dieses Recht stehe dem Unternehmer von dem Augenblick an zu, da ohne sein Zutun ein anderer Fabrikant einen gleichen Apparat auf den Markt bringe (vgl. JdT 1952 S. 208).
Dass die Pflicht zur Geheimhaltung eines Geheimnisses mit der Preisgabe desselben gegenstandslos wird, versteht sich von selber. Die vertragliche Pflicht, die Erfindungsidee als persönliches Gut des Bestellers geheimzuhalten, besteht nicht mehr, wenn die Idee gemeinfrei geworden ist. Sie kann daher von jedermann nachgeahmt werden und gehört sowohl dem Besteller als auch dem Unternehmer. Eine Treuepflicht des Unternehmers ist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nur dann anzunehmen, wenn der Besteller hiefür ein rechtliches Interesse nachzuweisen imstande ist. Das ist dann der Fall, wenn der Unternehmer die noch dem Besteller gehörende Idee zu eigenem Nutzen verwendet. Fehlt es aber an einer solchen Voraussetzung, so ist fraglich, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt der Besteller seinem früheren Vertragspartner ein Verhalten untersagen lassen kann, das er von jedermann dulden muss. Sicherlich hat er ein Interesse daran, von seinem frühern Konstrukteur nicht konkurrenziert zu werden. Dieses Interesse ist aber, weil tatsächlicher Art, unbeachtlich.
Die auf dem Grundsatz von Treu und Glauben aufgebaute Treuepflicht des Unternehmers führt zu einer weitherzigen Fassung der gesetzlichen Pflichten des Unternehmers. Sie rechtfertigt sich einerseits zur Hauptsache aus der Pflicht, eine dem Besteller gehörende Konstruktionsidee nicht auszunutzen und anderseits, wenn die Idee gemeinsames Gut geworden ist, aus den fortgesetzten Rechtsbeziehungen der Parteien, die durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gekennzeichnet sind, bei der die beiden Partner die Anstrengungen zur Verbesserung des Erzeugnisses vereinen. Wenn aber keines dieser beiden Momente bestehen bleibt, die Idee gemeinfrei geworden ist und die Zusammenarbeit aufgehört hat, ist der Treuepflicht der Boden entzogen. Sie zu bejahen, hiesse ihren Inhalt entsprechend den Umständen, die zum Vertragsbruch geführt haben, abstufen. Sie wäre beispielsweise in einem Fall zu verneinen, da der Besteller einen jahrelang von ihm vollbeschäftigten bescheidenen Handwerker im Stiche lässt, die Fabrikation einer besser eingerichteten Firma überträgt und damit seinen frühern Vertragspartner
BGE 93 II 272 S. 280
in Schwierigkeiten bringt. Demnach hängt die Tragweite der Treuepflicht ausschliesslich von den einzelnen Bestimmungen des Werkvertrages ab, sowie vom Verhalten, das die Grundsätze von Treu und Glauben bei der Erfüllung des Vertrages verlangen. Sie kann nicht von Umständen, die dem Werkvertrag fremd und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses eingetreten sind, abhängig gemacht werden.
Die Rechtsprechung hat sich Zurückhaltung aufzuerlegen, wenn es eine Partei unterlassen hat, die vom Gesetz vorgesehenen Schutzvorkehren in Anspruch zu nehmen. Der Beklagte hätte die Konkurrenz der Klägerin entweder durch Vereinbarung eines Konkurrenzverbotes oder bei einer schutzfähigen Erfindung durch Einreichung eines Patentgesuches vermeiden können. Wenn der Beklagte unterliess, die ihm zur Verfügung stehenden Schutzmassnahmen zu treffen, oder darauf verzichtete, weil er ein Patentgesuch als wenig aussichtsreich erachtete, so steht es ihm schlecht an, ein Recht gegen die Klägerin anzurufen und auf dem Wege der Vertragsauslegung Befugnisse zu beanspruchen, von denen nicht feststeht, dass die Parteien bei Vertragsabschluss daran gedacht haben.
Der Beklagte beruft sich schliesslich auf
BGE 90 II 51
. Diesem umstrittenen Entscheid liegt ein ganz anderer als der hier zu beurteilende Sachverhalt zugrunde. Dort hatte die Beklagte das Vertrauen einer Firma missbraucht, indem sie die im Hinblick auf einen Kauf bestellten Stoffmuster nachahmte.
Der Beklagte kann sich, wie dargetan, nicht auf eine vertragliche Pflicht der Klägerin berufen, die es ihr verbietet, die streitige Maschine nach Beendigung des Vertragsverhältnisses herzustellen.
6.
Der Beklagte stützt seine Klage auch auf
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
. Er macht geltend, die Klägerin stelle ein Erzeugnis her, das nach der äussern Gestalt mit dem seinen verwechselt werden könne.
Nach der angerufenen Bestimmung verstösst gegen Treu und Glauben und begeht somit unlautern Wettbewerb, wer Massnahmen trifft, die bestimmt oder geeignet sind, Verwechslungen mit den Waren, Werken, Leistungen oder dem Geschäftsbetrieb eines andern herbeizuführen. Diese Vorschrift bezieht sich nach der Rechtsprechung nur auf die Ausstattung einer Ware, also auf die äussere Form, die Aufmachung, wie Farbe und dergleichen,
BGE 93 II 272 S. 281
nicht dagegen auch auf die technische Konstruktion eines Erzeugnisses. Ist die technische Konstruktion nicht geschützt - sei es weil mangels Erfindungscharakter ein Patentschutz überhaupt nicht in Betracht kam, sei es weil der Erfinder sich um den Schutz nicht beworben hat - oder ist sie wegen Ablaufs der vom Gesetz festgelegten Schutzdauer nicht mehr geschützt, so darf sie von jedem Dritten ausgeführt und selbst sklavisch nachgebaut werden, ohne dass darin ein unlauterer Wettbewerb zu erblicken wäre; denn die Konstruktion ist gemeinfrei, steht jedermann zur Verfügung und darf von jedermann benützt werden. Die Übernahme einer Ausstattung kann nur dann als unlauter angesehen werden, wenn ohne Änderung der technischen Konstruktion und ohne Beeinträchtigung des Gebrauchszweckes die Wahl einer andern Gestaltung möglich und auch zumutbar gewesen wäre, aber vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen worden ist. Von einem Konkurrenten kann nicht verlangt werden, dass er auf eine nach Herstellungsweise und Gebrauchszweck naheliegende und zweckmässige Ausstattung verzichte und an ihrer Stelle eine weniger praktische, weniger solide oder mit grössern Herstellungskosten verbundene Ausführung wähle und damit die Konkurrenzfähigkeit seines Erzeugnisses herabmindere (vgl.
BGE 79 II 319
,
BGE 83 II 157
,
BGE 84 II 581
).
Das Handelsgericht ist der Auffassung, es bestehe eine Verwechslungsgefahr, weil die von der Klägerin vertriebene Maschine von der aus Metzgern und nicht aus Technikern bestehenden Kundschaft als verbessertes Modell 1962 des Beklagten betrachtet werden könne. Entscheidend ist aber nach verbindlicher Feststellung des Handelsgerichts die Tatsache, dass die von der Klägerin gewählte Ausgestaltung der Maschine technisch bedingt war. Der Beklagte hat zu diesem Problem, obwohl in der Referentenaudienz im Sinne von § 94 zürch. ZPO daraufaufmerksam gemacht, nicht Stellung genommen, sondern sich mit dem Hinweis auf die Verwechslungsgefahr und auf angebliche Machenschaften der Klägerin begnügt. Er hat in keiner Weise darzulegen versucht, inwiefern die Maschine der Klägerin eine freie, nicht technisch bedingte Nachahmung darstellt. Ebensowenig behauptet er, die Klägerin hätte eine Maschine herstellen können, die sich von der seinen genügend unterschieden hätte. Da der Beklagte den Beweis dafür, dass die
BGE 93 II 272 S. 282
Voraussetzungen nach
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
erfüllt sind, nicht erbracht hat, ist die Klage auch unter diesem Gesichtspunkt abzuweisen.
Der Beklagte wendet schliesslich ein, den von der Vorinstanz angeführten Entscheiden lägen Wettbewerbsverhältnisse zwischen Konkurrenten ohne vertragliche Bindung zugrunde, während im vorliegenden Fall die Klägerin durch ein "nach Treu und Glauben gebundenes Vertragsverhältnis" die Erfindungsidee des Beklagten wahrgenommen und ausgenutzt habe. Damit verkennt der Beklagte, dass er sich wieder auf den Boden der vertraglichen Haftung stellt, die aus den angeführten Gründen zu verneinen ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Dezember 1966 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5c08fdc-3bf1-49f6-b35b-a74ea7b94b6f | Urteilskopf
110 Ib 93
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. Januar 1984 i.S. Sonja Weber gegen Stadt Diessenhofen und Regierungsrat des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 103 lit. a OG
.
Ein Grundeigentümer verliert die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung einer Ausnahmebewilligung (
Art. 34 Abs. 1 RPG
) nicht, wenn er sein Land während des bundesgerichtlichen Verfahrens verkauft. | Erwägungen
ab Seite 93
BGE 110 Ib 93 S. 93
Aus den Erwägungen:
1.
b) Als Eigentümerin der beiden Grundstücke GB Nrn. 328 und 1139 war Sonja Weber zur Beschwerdeführung legitimiert. Der Stadtrat Diessenhofen macht geltend, dass diese Legitimation mit dem Verkauf der beiden Parzellen am 4. Juli 1983, also während des bundesgerichtlichen Verfahrens, dahingefallen sei.
Mangels einer Vorschrift des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) ist nach
Art. 40 OG
auf den vorliegenden Fall Art. 21 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Bundeszivilprozess vom 4. Dezember 1947 sinngemäss anwendbar. Danach beeinflusst unter anderem die Veräusserung des Streitgegenstands die Legitimation zur Sache nicht. Im weitern hat
BGE 110 Ib 93 S. 94
die Beschwerdeführerin trotz des Verkaufs der beiden Grundstücke ein eigenes, schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (
Art. 103 lit. a OG
). Wird dieser vollstreckbar, so hat sie einerseits Gewährleistungsansprüche der Käufer und andererseits eine Kostenpflicht für die allfällige Ersatzvornahme durch die Behörden zu gewärtigen (vgl.
BGE 107 Ia 23
ff. E. 2). Sie ist somit zur Beschwerdeführung legitimiert. Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
b5c25b0e-3f60-4bd9-8c2b-eaf216a75c84 | Urteilskopf
125 V 106
15. Arrêt du 24 février 1999 dans la cause M. contre Mutuelle Valaisanne, Caisse-maladie et Tribunal cantonal des assurances, Sion | Regeste
Art. 72 Abs. 3 und 5,
Art. 78 Abs. 2 KVG
;
Art. 122 KVV
: Taggeldanspruch.
- Der Taggeldanspruch setzt die Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses voraus.
- Grundsätzlich endet das Versicherungsverhältnis mit der endgültigen Erschöpfung des Taggeldanspruchs automatisch. Im konkreten Fall war der Taggeldanspruch indessen nicht erloschen, weil die Taggelder wegen Überentschädigung gekürzt worden waren, was auf Grund von
Art. 72 Abs. 5 KVG
eine Verlängerung der Entschädigungsdauer zur Folge hatte. | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 125 V 106 S. 107
A.-
M. était assurée auprès de la Mutuelle Valaisanne, Caisse-maladie (ci-après: la caisse) pour une indemnité journalière de 100 francs, à partir du onzième jour d'incapacité de travail en cas de maladie ou d'accident. Les primes à sa charge s'élevaient à 175 francs par mois pour l'année 1997. Dès le 14 décembre 1993, elle a subi des périodes d'incapacité de travail, totale ou partielle, et elle a de ce fait bénéficié de l'indemnité assurée.
Par lettre du 25 février 1997, la caisse a établi à l'intention de l'assurée un décompte final d'où il résultait que le droit à l'indemnité serait épuisé le 4 mars 1997 (720 jours x 100 francs). Pour cette raison, la caisse déclarait résilier l'assurance d'une indemnité journalière pour le 31 mars 1997.
B.-
Par décision du 14 mai 1997, l'assurée a été mise au bénéfice d'une rente entière de l'assurance-invalidité avec effet au 1er février 1995. Selon cette décision, un montant de 19'644 francs, prélevé sur les arrérages échus, devait être versé à la Mutuelle Valaisanne, pour cause de surindemnisation.
Auparavant, par lettre du 7 mai 1997, la caisse avait écrit à l'assurée pour lui fournir le décompte exact de la surindemnisation et pour l'informer qu'elle avait droit au remboursement du montant précité de 19'644 francs, sous la forme d'indemnités journalières de 56 fr. 35, jusqu'à épuisement du capital. Le versement de cette indemnité était subordonné à des conditions fixées en ces termes par la caisse:
"Vous avez la possibilité de bénéficier de ce montant journalier jusqu'à
épuisement du capital restant précité en continuant votre affiliation
auprès de notre caisse à titre individuel pour l'assurance "Perte de gain"
aux conditions suivantes:
Proposition pour une assurance "perte de gain" (BC):
En vigueur: dès le 1er avril 1997
Indemnité journalière assurée: fr. 100.--, délai d'attente 10 jours
Risque: maladie-accident
Cotisation mensuelle 1997: fr. 175.--
BGE 125 V 106 S. 108
En cas d'intérêt de votre part, nous vous serions reconnaissants de bien
vouloir nous retourner, à l'aide de l'enveloppe-réponse ci-jointe par
courrier recommandé dans les trente jours, la déclaration d'adhésion
annexée dûment datée et signée.
Passé ce délai et sans réponse de votre part, nous considérerons que vous
renoncez à faire usage de ce droit et maintiendrons la fin de votre
assurance (BC) au 31 mars 1997".
L'assurée n'a pas retourné à la caisse la déclaration d'adhésion requise dans le délai de trente jours qui lui était imparti à cet effet. Le 16 mai 1997, elle a demandé à la caisse, par téléphone, des renseignements au sujet du décompte de surindemnisation. Par lettre du 28 juillet 1997 elle a expliqué à la caisse qu'elle avait tardé à retourner les documents demandés, parce qu'elle désirait auparavant obtenir des renseignements complémentaires.
Nonobstant ces explications, la caisse a signifié à l'assurée, par décision du 6 août 1997, qu'elle maintenait l'"annulation" de l'assurance d'une indemnité journalière pour le 31 mars 1997 et qu'en conséquence elle ne verserait pas l'indemnité journalière de 56 fr. 35.
Saisie d'une opposition de l'assurée, elle l'a rejetée par une nouvelle décision, du 27 novembre 1997.
C.-
Par jugement du 9 mars 1998, le Tribunal des assurances du canton du Valais a rejeté le recours formé contre cette décision par l'assurée. En bref, il a retenu que celle-ci avait eu un délai de réflexion suffisamment long pour remplir une nouvelle demande d'affiliation. La caisse était donc en droit de mettre fin à l'assurance d'une indemnité journalière pour le 31 mars 1997, ce qui entraînait automatiquement la cessation du versement de l'indemnité, étant donné le lien qui existe entre l'affiliation à une caisse et le paiement des prestations assurées.
D.-
M. interjette un recours de droit administratif en concluant, avec suite de dépens, à l'annulation de ce jugement et en demandant au tribunal d'inviter la caisse à établir un nouveau décompte du droit aux indemnités journalières en sa faveur, compte tenu de la surindemnisation résultant du versement d'une rente d'invalidité.
La caisse conclut au rejet du recours. L'Office fédéral des assurances sociales ne s'est pas déterminé à son sujet.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 102 al. 1 LAMal
, si des caisses reconnues continuent de pratiquer, d'après le nouveau droit, des assurances de soins et d'indemnités
BGE 125 V 106 S. 109
journalières qu'elles avaient pratiquées selon l'ancien droit, le nouveau droit s'applique à ces assurances dès l'entrée en vigueur de la LAMal (soit le 1er janvier 1996). Demeure cependant réservée la protection d'une situation acquise selon l'ancien droit en ce qui concerne la durée du versement d'indemnités journalières en cours lors de l'entrée en vigueur de la LAMal, conformément à l'
art. 103 al. 2 LAMal
(voir à ce sujet le message du Conseil fédéral concernant la révision de l'assurance-maladie du 6 novembre 1991, FF 1992 I 196; arrêt C. du 7 août 1998, consid. 1 non publié dans la RAMA 1998 no KV 45 p. 430). Cette éventualité n'est pas en discussion ici. Ainsi donc, dans la mesure où sont litigieuses des indemnités journalières à partir du mois de mars 1997, il convient d'appliquer au cas d'espèce les dispositions de la LAMal, comme l'ont d'ailleurs fait à juste titre les premiers juges.
2.
a) Selon la jurisprudence, un assuré qui bénéficie d'une rente de l'assurance-invalidité continue d'avoir droit aux indemnités journalières d'assurance-maladie. Autrement dit, l'assureur-maladie ne peut supprimer ni réduire ses prestations du seul fait que, de malade, l'assuré est devenu invalide. En effet, la seule limite au droit de l'assuré de toucher les indemnités journalières durant la période légale d'indemnisation est l'interdiction de la surindemnisation (
ATF 120 V 60
consid. 1 et les références citées; voir aussi l'
art. 122 al. 2 let
. c OAMal, ainsi que Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, p. 124 ad bb).
b) Aux termes de l'
art. 72 al. 3 LAMal
, les indemnités journalières doivent être versées, pour une ou plusieurs maladies, durant au moins 720 jours dans une période de 900 jours. Lorsque l'indemnité journalière est réduite par suite de surindemnisation (
art. 78 al. 2 LAMal
;
art. 122 OAMal
), notamment quand elle se trouve en concours avec une rente de l'assurance-invalidité, la personne atteinte d'une incapacité de travail a droit à l'équivalent de 720 indemnités journalières complètes; les délais relatifs à l'octroi des indemnités journalières sont prolongés en fonction de la réduction (
art. 72 al. 5 LAMal
).
Cette réglementation reprend la pratique jurisprudentielle développée sous l'empire de l'ancien droit à propos de l'
art. 12bis al. 4 LAMA
(
ATF 120 V 64
consid. 3e,
ATF 98 V 75
, 81; RAMA 1989 no K 823 p. 391). Ainsi, à une réduction de 50 pour cent de l'indemnité doit correspondre une durée de versement de 1440 jours compris dans une période de 1800 jours consécutifs, le calcul étant effectué rétrospectivement, à partir du jour où l'indemnité à été accordée pour la dernière fois (BORELLA, L'affiliation à l'assurance-maladie
BGE 125 V 106 S. 110
sociale suisse, thèse Genève 1993, p. 330 sv.; Duc, Quelques réflexions relatives à l'assurance d'une indemnité journalière selon la LAMal, in: RSAS 1998 p. 261).
c) En l'espèce, l'assurée avait, dans un premier temps, épuisé entièrement son droit à l'indemnité (720 jours x 100 francs). Le versement ultérieur d'une rente de l'assurance-invalidité a entraîné (dès le 1er février 1995) une surindemnisation, qui a justifié le remboursement par l'assurance-invalidité à la caisse d'une somme de 19'644 francs. De ce fait, l'assurée avait le droit, en principe, de recevoir encore de la caisse l'équivalent des prestations auxquelles elle aurait pu prétendre à défaut de surindemnisation, soit des indemnités journalières jusqu'à épuisement du capital remboursé par l'assurance-invalidité. Il s'agit donc de savoir si, comme l'ont retenu les premiers juges, la caisse était fondée à refuser le versement de ces indemnités au motif que l'assurée n'avait pas conclu en temps utile une nouvelle assurance d'indemnités journalières.
3.
Selon une jurisprudence rendue sous l'empire de la LAMA, le droit aux prestations d'un assureur-maladie est lié à l'affiliation; à l'extinction du rapport d'assurance, le droit aux prestations n'est plus donné et il est mis fin à celles éventuellement en cours (
ATF 102 V 68
consid. 2; ATFA 1967 p. 8 consid. 1; RAMA 1984 no K 576 p. 99 consid. 4c; voir aussi BORELLA, op.cit., pp. 289 et 335). Cette jurisprudence est aussi applicable sous le régime du nouveau droit de l'assurance-maladie, le législateur n'ayant pas apporté de changement sur ce point (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], ch. 42; Duc, loc.cit., p. 254; contra: Maurer, op.cit., p. 42).
Sous l'angle du droit aux prestations, il importe donc, le cas échéant, de déterminer à quel moment le rapport d'assurance a pris fin. Pour l'assurance facultative d'indemnités journalières selon les
art. 67 ss LAMal
, celui-ci s'éteint, notamment, en cas de résiliation par l'assuré de l'assurance ou par son exclusion, qui peut être prononcée par l'assureur sous certaines conditions (Maurer, op.cit., p. 108 ss.; EUGSTER, loc.cit., ch. 360). L'assurance prend également fin - du moins en l'absence de disposition statutaire contraire - avec l'épuisement définitif du droit aux indemnités journalières, sous réserve de l'
art. 74 al. 2 LAMal
(EUGSTER, loc.cit., ch. 360; Duc, loc.cit., p. 267; cf. aussi BORELLA, op.cit., p. 328). Dans un tel cas, le rapport d'assurance cesse automatiquement, c'est-à-dire sans qu'une déclaration de volonté formatrice de l'une ou l'autre des parties soit nécessaire (EUGSTER, loc.cit., ch. 22).
BGE 125 V 106 S. 111
4.
Les conditions d'assurance de l'intimée ne dérogent pas aux principes ci-dessus exposés. En particulier, selon l'art. 17 des conditions particulières de l'assurance collective d'une indemnité journalière, la couverture d'assurance et le droit aux prestations prennent fin lorsque le droit aux indemnités est épuisé.
En l'espèce, il y a cependant lieu de constater que le droit aux indemnités journalières n'était pas épuisé au 31 mars 1997, puisque, précisément, la période d'indemnisation se trouvait prolongée pour cause de surindemnisation, conformément à l'
art. 72 al. 5 LAMal
. En l'absence d'une résiliation de la part de la recourante, celle-ci restait de plein droit assurée pour l'assurance d'indemnités journalières. Elle n'avait donc pas à conclure une nouvelle assurance et n'était pas tenue de donner suite - que ce soit dans un délai de trente jours ou après - à l'avis comminatoire de la caisse du 7 mai 1997.
La communication, contenue dans la lettre 25 février 1997, par laquelle la caisse a informé l'assurée qu'elle résiliait l'assurance pour le 31 mars suivant, avait uniquement une valeur déclarative; cette résiliation n'a acquis aucune force de chose décidée au sens matériel. Du reste, la lettre en question n'était pas une décision formelle susceptible d'entrer en force à défaut de faire l'objet d'une opposition de l'assurée (
art. 80 et 85 LAMal
). Sans doute la caisse ne savait-elle pas, à ce moment-là, que l'assurée allait être mise au bénéfice d'une rente d'invalidité (encore qu'elle savait que l'intéressée avait présenté une demande de rente à cette assurance). Mais elle avait en mains tous les éléments nécessaires lorsque qu'elle a rendu sa décision du 6 août 1997: à cette époque, elle ne pouvait que constater que le droit de l'assurée à l'indemnité journalière n'était pas épuisé, en raison de la surindemnisation, ce qui impliquait le maintien du rapport d'assurance. En conséquence, elle ne pouvait se libérer prématurément de ses obligations à l'égard de l'assurée. Celle-ci, pour sa part, restait tenue au paiement des primes fixées par l'assureur.
Il s'ensuit que le recours est bien fondé. La cause doit ainsi être renvoyée à la caisse pour qu'elle rende une nouvelle décision sur le montant de l'indemnité à laquelle la recourante peut prétendre.
5.
(Frais et dépens) | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b5c2f60c-313b-4a72-936a-6e191d1647c7 | Urteilskopf
89 II 437
58. Arrêt de la IIe Cour civile du 5 décembre 1963 dans la cause de Sandol-Roy contre de Chambrier et Borel. | Regeste
1. Kann eine testamentarisch angeordnete Familienstiftung, die als sog. Unterhaltsstiftung ungültig ist, in eine Nacherbeneinsetzung umgedeutet werden (Erw. 1 und 2)?
2. Die privatorische Klausel, wonach ein das Testament anfechtender Erbe von der Erbschaft ausgeschlossen wird, hindert nicht die gerichtliche Anfechtung einer rechtswidrigen Verfügung von Todes wegen: Der obsiegende Kläger erlangt seinen gesetzlichen Erbanspruch (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 437
BGE 89 II 437 S. 437
A.-
Second fils d'une famille de six enfants, HenriGolval de Sandol-Roy vécut célibataire dans son domaine du Marais, à Couvet, et décéda à Nice, où il séjournait
BGE 89 II 437 S. 438
le 15 janvier 1961. Il laissa comme héritiers légaux les descendants d'une soeur, à savoir dame Simone de Chambrier, née Mercier, ainsi que Claude, Yves et Dominique Borel, d'une part, et son frère Jean de Sandol-Roy, d'autre part.
Désireux de maintenir aussi longtemps que possible le nom de sa famille et de lui conserver un certain lustre, le défunt avait créé par testament du 29 septembre 1933 une "Caisse de famille de Sandol-Roy" qu'il institua héritière de tous ses biens. Il désigna comme exécuteurs testamentaires "Messieurs Wavre, notaires à Neuchâtel, ensemble ou séparément". Il compléta et modifia ses dispositions de dernière volonté par sept codicilles rédigés entre le 4 décembre 1943 et le 9 octobre 1959. Il ordonna notamment quelques legs. Il inséra dans son testament une clause punitive frappant d'exhérédation quiconque attaquerait la disposition pour cause de mort. A son décès, sa fortune fut estimée à 2 750 000 fr. environ, les immeubles étant comptés à leur valeur cadastrale.
Les statuts de la caisse de famille mentionnent comme but de "subvenir aux dépenses d'éducation, d'assistance et d'entretien des membres de la famille et leur procurer un lieu de villégiature ou de convalescence". Les organes de la fondation devaient vouer un soin particulier aux orphelins mineurs. Les revenus nets de la fortune devaient être affectés chaque année, dans une proportion fixée, aux tâches suivantes: augmenter le capital, verser des fonds à des oeuvres de bienfaisance, acquérir des livres destinés à la bibliothèque et faire exécuter les portraits des représentants mâles de la famille de Sandol-Roy, payer des subventions servant à l'éducation et à l'assistance des membres de la famille. Les bénéficiaires, énumérés limitativement, étaient:
1o les mâles majeurs, orphelins de père, descendants légitimes d'Alfred de Sandol-Roy et de sa femme Ida née van den Bosch et les mâles mineurs, orphelins de père et de mère;
BGE 89 II 437 S. 439
2o les veuves qui portent le nom de Sandol-Roy pendant leur veuvage;
3o Madame Arthur Mercier née Elisabeth de Sandol-Roy et, à sa mort, ses filles, pour une part d'un cinquième, portée à un tiers par le second codicille, du 6 décembre 1947.
Les bénéficiaires devaient jouir des prestations de la fondation en suivant l'ordre de primogéniture.
La fondation avait une durée illimitée. Elle devait être dissoute à défaut de descendants mâles d'Alfred de Sandol-Roy et si aucun descendant par la ligne féminine n'obtenait le droit de relever le nom et les armes de la famille éteinte quant aux mâles. Le domaine du Marais serait alors acquis à l'Etat de Neuchâtel ou une commune, de préférence celle de Couvet, et la fortune mobilière répartie selon les instructions du testateur.
Dans son troisième codicille, du 22 septembre 1951, Henri-Golval de Sandol-Roy a soumis sa succession au droit de son canton d'origine, Neuchâtel, qui a supprimé la réserve des frères et soeurs (art. 472 CC et 48 de la loi neuchâteloise d'introduction au CC).
B.-
Par demande du 30 décembre 1961, dame Simone de Chambrier, née Mercier, ainsi qu'Yves, Claude et Dominique Borel, intentèrent à la Caisse de famille de Sandol-Roy, à Jean de Sandol-Roy, de même qu'à Frédéric, Jacques et Denis Wavre, notaires à Neuchâtel, en leur qualité d'exécuteurs testamentaires de feu Henri-Golval de Sandol-Roy, une action tendant à l'annulation du testament et des codicilles du défunt dans la mesure où ils concernent la fondation. Les demandeurs requirent en outre que la succession du défunt fût partagée selon les règles applicables aux successions ab intestat.
Les défendeurs conclurent au rejet de la demande et, reconventionnellement, à la conversion de la fondation critiquée en une substitution fidéicommissaire universelle dont Jean de Sandol-Roy serait le grevé et son fils Roland l'appelé, avec substitution vulgaire en faveur des autres
BGE 89 II 437 S. 440
bénéficiaires désignés subsidiairement par le défunt. Ils requirent également que les demandeurs fussent déclarés déchus de tous leurs droits successoraux et que les biens laissés par le défunt fussent délivrés à Jean de Sandol-Roy.
Statuant le 1er juillet 1963, le Tribunal cantonal neuchâtelois a annulé la fondation dite "Caisse de famille de Sandol-Roy", le testament olographe d'Henri-Golval de Sandol-Roy du 23 septembre 1933 dans la mesure où il concerne ladite fondation, ainsi que les codicilles no 1 du 4 décembre 1943 et no 2 du 6 décembre 1947 qui s'y rapportaient également. Le tribunal a prononcé en outre que la succession du défunt serait partagée selon les règles de la succession ab intestat.
C.-
Le défendeur Jean de Sandol-Roy recourt en réforme au Tribunal fédéral en reprenant la demande de conversion en substitution fidéicommissaire. Il requiert derechef la délivrance des biens laissés par le défunt.
Les demandeurs, intimés dans l'instance de réforme, concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recours ne tend pas à critiquer le jugement cantonal dans la mesure où il déclare nulle, parce qu'illicite au regard de l'art. 335 CC, la fondation de famille créée par feu Henri-Golval de Sandol-Roy. Le but fixé par le défunt, à savoir procurer des subsides d'entretien aux membres désignés de sa famille, sans que les prestations soient subordonnées à l'existence d'un besoin chez les bénéficiaires, est en effet inconciliable avec la disposition légale citée (RO 73 II 86, 75 II 24 et 90). Le recourant ne demande pas non plus la conversion en une fondation ordinaire, à laquelle manquerait le but spécial exigé par la loi. En revanche, il persiste à soutenir que la fondation instituée par le testateur, nulle comme telle, devrait être convertie en une substitution fidéicommissaire.
2.
Selon la doctrine et la jurisprudence, lorsqu'un acte nul remplit les conditions d'un autre acte juridique,
BGE 89 II 437 S. 441
ce dernier est valable s'il a un but et produit un résultat semblables à ceux du premier et s'il faut admettre que telle aurait été la volonté des parties dans le cas où elles auraient eu connaissance de cette nullité; toutefois, l'acte substitué ne saurait évidemment aller au-delà de celui qui était voulu par les parties et imposer à l'une ou l'autre d'entre elles des obligations plus strictes (RO 80 II 86 et références citées, notamment RO 76 II 13 consid. 5; VON TUHR/SIEGWART, Allgemeiner Teil des schweiz. OR, I, p. 217; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 35 ad art. 11 CO). La conversion des actes juridiques se justifie d'autant plus en matière successorale que la règle du favor testamenti commande de choisir, entre deux interprétations possibles d'une disposition pour cause de mort, celle qui permet de maintenir la disposition (RO 75 II 92 in fine).
En l'espèce, le testament du 29 septembre 1933 satisfait à la forme requise pour ordonner une substitution fidéicommissaire. La capacité du testateur obéit aux mêmes règles, que la disposition pour cause de mort institue une fondation de famille ou une substitution fidéicommissaire. Il reste à examiner si les deux modes de disposer tendent au même but, d'une part, et s'il était conforme à la volonté du défunt d'atteindre ce but par le second mode, dans le cas où le premier se révélerait impraticable, d'autre part.
a) La Caisse de famille de Sandol-Roy avait pour but de "subvenir aux dépenses d'éducation, d'assistance et d'entretien des membres de la famille et leur procurer un lieu de villégiature ou de convalescence". La désignation des bénéficiaires révèle que le disposant était animé par le souci de maintenir le plus longtemps possible le nom de la famille de Sandol-Roy, en lui procurant un certain éclat grâce à la fortune considérable qu'il laissait à sa mort. Les prestations de la fondation étaient en effet destinées aux descendants mâles légitimes d'Alfred de Sandol-Roy, aux veuves portant ce nom pendant leur veuvage, à une soeur du testateur, puis ses filles et leurs enfants, mais seulement pour un tiers; à défaut de descendants
BGE 89 II 437 S. 442
mâles de la famille de Sandol-Roy, les bénéficiaires devaient être les descendants mâles par la ligne féminine, à la condition toutefois qu'ils obtiennent le droit de relever le nom et les armes de la famille; l'ordre dans lequel ils profiteraient des prestations était soigneusement fixé; si les descendants en question ne voulaient ou ne pouvaient relever le nom de Sandol-Roy dans les deux ans suivant le décès du dernier mâle qui l'avait porté, la caisse de famille devait être dissoute et la fortune répartie, selon des règles précises énoncées dans le testament, entre le dernier descendant mâle (ou le descendant en ligne féminine qui aurait relevé le nom et n'aurait pas de descendant ou son dernier descendant mâle) et l'Etat de Neuchâtel ou une commune de ce canton, de préférence la commune de Couvet. Le défunt n'a donc pas voulu gratifier ses frères comme tels (lors de la rédaction du testament, il n'avait pas encore de neveux mâles) ni par opposition à ses soeurs, mais bien comme porteurs du nom de famille de Sandol-Roy. La mention des veuves portant le même nom confirme cette interprétation.
Une substitution fidéicommissaire dont le recourant Jean de Sandol-Roy, frère du testateur, serait le grevé, et son fils Roland, neveu du disposant, l'appelé, ne conduirait pas au résultat envisagé par le défunt lorsqu'il a créé la fondation de famille. Celle-ci eût été une personne morale, propriétaire des biens qu'elle eût reçus comme héritière instituée. La fortune laissée par le testateur eût ainsi été séparée de celle des membres de la famille. En revanche, si l'on admettait la conversion de la disposition pour cause de mort en une substitution fidéicommissaire, les biens dévolus au grevé ne seraient plus distincts de son propre patrimoine et ils deviendraient finalement la propriété de l'appelé. La faculté donnée à titre subsidiaire par le défunt aux descendants par la ligne féminine de bénéficier de la fortune laissée à la fondation en relevant le nom de la famille serait exclue. Pratiquement, le respect de la volonté du disposant ne serait assuré que pour la durée d'une génération.
BGE 89 II 437 S. 443
En outre, les droits des demandeurs et intimés au recours seraient en partie compromis. Les héritiers de l'appelé pourraient en effet demander l'annulation ou faire constater la nullité des libéralités faites par le testateur à sa soeur et aux descendants de celle-ci, transformées en legs, dans la mesure où elles lieraient une troisième génération (cf. art. 488 al. 2 et 3 CC; TUOR, 2e éd., n. 9 ad art. 488 CC et ESCHER, 3e éd., n. 4 ibid., admettent l'annulation; EGGER, 2e éd., n. 23 in fine ad art. 335 CC, se prononce en faveur de la nullité absolue du fidéicommis de famille). En outre, l'acquisition par des descendants d'Alfred de Sandol-Roy de la part des biens successoraux qui n'irait pas à l'Etat ou à la commune en cas de dissolution de la fondation serait exclue à jamais.
b) Ni le contenu du testament, ni l'attitude générale de son auteur ne permettent de dire que celui-ci aurait attribué ainsi toute sa fortune à son frère et à son neveu, s'il avait connu la nullité de la fondation de famille et l'impossibilité légale de transmettre ses biens à des personnes choisies par lui au-delà de deux générations. Il résulte au contraire des faits établis que l'intérêt du testateur allait aux porteurs du nom de Sandol-Roy et non à des personnes déterminées. De plus, il paraît invraisemblable que, placé devant l'échec total ou partiel de ses projets tendant à assurer le maintien et l'éclat du nom de sa famille, feu Henri-Golval de Sandol-Roy aurait exclu de sa succession sa soeur dame de Chambrier, dont il avait augmenté la part initiale d'un quart indiquée dans son testament à un tiers, selon le second codicille, la mettant ainsi sur un pied d'égalité avec ses deux frères. On ignore comment le défunt aurait disposé pour cause de mort, s'il avait connu la nullité de la fondation. La conversion proposée par le recourant n'est dès lors pas admissible.
3.
L'annulation du testament et des codicilles dans la mesure où ils concernent la fondation de famille prohibée par la loi n'invalide pas entièrement la clause punitive frappant d'exhérédation quiconque attaquera le testament
BGE 89 II 437 S. 444
du défunt. Cette clause protège encore la désignation des exécuteurs testamentaires, qui assureront le respect de la volonté exprimée par le testateur dans les codicilles maintenus en vigueur. Elle ne saurait toutefois priver les demandeurs et intimés au recours de leur droit de succession ab intestat. Leur action était fondée en tant qu'elle visait l'annulation de la fondation de famille illicite. S'ils ont pris également des conclusions en annulation de la désignation des exécuteurs testamentaires et de la clause punitive, c'est qu'ils les tenaient pour des dispositions accessoires, dont le sort suivrait celui de la fondation. Aussi bien n'ontils attaqué que les codicilles 1 et 2, tandis qu'ils ont admis expressément la validité des codicilles 3 à 7. Ayant obtenu gain de cause dans leur action en annulation du testament créant la fondation et des codicilles se rapportant à celle-ci, ils recouvrent leur droit de succession légal. La clause punitive ne peut en effet mettre obstacle à l'introduction d'une action tendant à l'annulation d'une disposition pour cause de mort dont l'objet est illicite, et que le juge reconnaît fondée (RO 85 II 380). Le jugement entrepris échappe donc à la critique sur ce point également.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Rejette le recours et confirme le jugement rendu le 1er juillet 1963 par le Tribunal cantonal neuchâtelois. | public_law | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5c4c515-a452-4480-929c-962627af805c | Urteilskopf
138 III 204
31. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Z. und Z. gegen X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_288/2011 / 4A_290/2011 vom 13. Februar 2012 | Regeste
Kapitalschnitt auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung des Aktienkapitals zum Zwecke der Sanierung ("Harmonika";
Art. 732a Abs. 1 OR
).
Eine "Harmonika" muss dem Zwecke der Sanierung dienen (E. 3.2); Voraussetzungen, unter denen ein Sanierungszweck vorliegt (E. 3.3); Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit bei einem Verstoss gegen
Art. 732a Abs. 1 OR
(E. 4)? | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 138 III 204 S. 204
A.
A.a
Am 5. November 2004 wurde die X. Holding AG (nunmehr X. AG, Beklagte) als Auffanggesellschaft eines konkursiten Unternehmens gegründet. Das Aktienkapital der X. Holding AG von Fr. 500'000.- wurde bei der Gründung von Z. (Kläger) und zwei weiteren Aktionären im Umfang von jeweils 10 % und von Y. in der Höhe von 70 % aufgebracht. Seit der Gründung bildeten diese vier Aktionäre den Verwaltungsrat der Beklagten. Y. amtete als Verwaltungsratspräsident.
Ende 2006 drohte der Beklagten wegen Überschuldung die Benachrichtigung des Richters gemäss
Art. 725 Abs. 2 OR
. Dies konnte dank eines von Y. erklärten Rangrücktritts für ein Aktionärsdarlehen in der Höhe von Fr. 4'900'000.- vermieden werden.
BGE 138 III 204 S. 205
A.b
Mit Schreiben vom 9. Januar 2008 erhielten die Aktionäre die Einladung zur ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. Februar 2008. Als Traktanden genannt waren die Kapitalherabsetzung auf Fr. 0.- mit unmittelbarer Wiedererhöhung auf Fr. 500'000.- sowie die Abberufung des Klägers aus dem Verwaltungsrat.
A.c
Mit Schreiben vom 1. Februar 2008 verlangte der Kläger vom Verwaltungsratspräsidenten die Beantwortung diverser Fragen betreffend den Bestand, die Ursachen und den Umfang des Sanierungsbedarfs sowie Einsicht in Geschäftsdokumente der Beklagten. Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 antwortete der Verwaltungsratspräsident auf die Fragen des Beschwerdeführers, indem er mehrfach auf den Geschäftsbericht 2007 verwies und die Rechtmässigkeit des Rangrücktritts, die Funktion des Klägers als Controller und dessen damit einhergehende Kenntnisse über die Finanzlage der Holding betonte.
A.d
Am 18. Februar 2008 fand die ausserordentliche Generalversammlung der Beklagten statt. Gemäss Protokoll waren alle Aktienstimmen anwesend oder vertreten. Der Generalversammlung lag der erst am 7. Januar 2008 erstellte provisorische Abschluss des Geschäftsjahres 2007 vor. Gemäss den Ausführungen der Beklagten ergab sich für das Geschäftsjahr 2007 vor Wertberichtigungen ein negatives Ergebnis von rund Fr. 184'000.- sowie ein Kapitalverlust von Fr. 4'509'352.-. Ein Antrag des Klägers auf Beantwortung seiner im Schreiben vom 1. Februar 2008 an den Verwaltungsrat gestellten Fragen wurde unter Hinweis auf seine Position als Verantwortlicher für das Rechnungswesen und Controlling mit 450 gegen 50 Stimmen abgelehnt. Informationen über weitere beabsichtigte Massnahmen, mit denen die Gesellschaft zusammen mit dem traktandierten Kapitalschnitt saniert werden könnte, wurden der Generalversammlung nicht präsentiert.
Gemäss dem vom 18. Februar 2008 datierenden notariellen Protokoll fasste die ausserordentliche Generalversammlung schliesslich folgende Beschlüsse mit je 450 zu 50 Stimmen:
1. Herabsetzung des Aktienkapitals von bisher Fr. 500'000.-, eingeteilt in 500 Namenaktien zu nominal Fr. 1'000.-, um Fr. 500'000.- auf Fr. 0.- durch Abschreibung und Vernichtung sämtlicher Aktien;
2. Wiedererhöhung des Aktienkapitals auf 500 neue Namenaktien zu nominal je Fr. 1'000.-, zu liberieren durch Verrechnung mit einem Aktionärsdarlehen im Betrag von Fr. 500'000.-, wobei die neuen Aktien den bisherigen Aktionären im Verhältnis ihres bisherigen
BGE 138 III 204 S. 206
Aktienbesitzes zur Zeichnung anzubieten sind und nicht ausgeübte Bezugsrechte durch den Verwaltungsrat bisherigen Aktionären oder Dritten zugewiesen werden können;
3. Ersatz des herabgesetzten Kapitals bis auf die bisherige Höhe durch voll einbezahltes Aktienkapital;
4. Beauftragung des Verwaltungsrats mit der Durchführung der Kapitalerhöhung und der entsprechenden Anmeldung beim Handelsregister innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten;
5. Abwahl des Klägers aus dem Verwaltungsrat.
Der Kapitalerhöhungsbericht des Verwaltungsrates vom 18. Februar 2008 hielt die Kapitalherabsetzung mit anschliessender Wiedererhöhung im vorerwähnten Umfang fest, erwähnte das Bezugsrecht zugunsten der bisherigen Aktionäre und stellte fest, dass ein Aktionär von seinem Bezugsrecht Gebrauch gemacht habe und die übrigen Aktionäre darauf verzichtet hätten. Gemäss notariellem Protokoll vom 18. Februar 2008 beschloss der Verwaltungsrat im Anschluss an die ausserordentliche Generalversammlung die Durchführung der Kapitalerhöhung. In der Folge verzichtete der Verwaltungsratspräsident auf eine Forderung gegenüber der Gesellschaft im Umfang von Fr. 3'750'000.-.
B.
B.a
Mit Klage vom 17. April 2008 stellte der Kläger dem Bezirksgericht A. folgende Anträge: Es sei festzustellen, dass alle an der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gefassten Beschlüsse gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) des notariellen Protokolls vom 18. Februar 2008 nichtig sind. Eventualiter seien die genannten Beschlüsse kraft Anfechtung im Sinne von
Art. 706 OR
für ungültig zu erklären und rückwirkend per 18. Februar 2008 aufzuheben. Schliesslich sei festzustellen, dass alle an der Verwaltungsratssitzung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gefassten Beschlüsse gemäss öffentlicher Urkunde vom gleichen Tag nichtig sind.
Mit Urteil vom 3. März 2010 wies das Bezirksgericht A. die Klage vollumfänglich ab, soweit es darauf eintrat.
B.b
Gegen das Urteil des Bezirksgerichts legte der Kläger am 3. März 2010 beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Appellation ein. In der Appellationsbegründung vom 27. August 2010 beantragte er, es sei das Urteil des Bezirksgerichts A. vom 3. März 2010 aufzuheben und die Klage gemäss Rechtsbegehren der Klagebegründung vom
BGE 138 III 204 S. 207
12. Dezember 2008 gutzuheissen. Weiter seien sämtliche ordentlichen und ausserordentlichen Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.
Mit Urteil vom 18. Januar 2011 hiess das Kantonsgericht die Appellation im Kostenpunkt teilweise gut und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil.
C.
C.a
Beide Parteien haben gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft Beschwerde in Zivilsachen erhoben.
Der Kläger (Verfahren 4A_290/2011) beantragt dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2011 aufzuheben und die Klage gutzuheissen, d.h. es sei festzustellen, dass die Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) des notariellen Protokolls vom 18. Februar 2008 sowie alle vom Verwaltungsrat der Beklagten gefassten Beschlüsse gemäss notariellem Protokoll vom 18. Februar 2008 nichtig sind. Eventualiter seien die erwähnten Beschlüsse der Generalversammlung im Sinne von
Art. 706 OR
für ungültig zu erklären und rückwirkend per 18. Februar 2008 aufzuheben.
Die Beklagte (Verfahren 4A_288/2011) beantragt dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2011 aufzuheben, das Urteil des Bezirksgerichts A. vom 3. März 2010 zu bestätigen und dem Kläger die Gerichtskosten des kantonsgerichtlichen Verfahrens von Fr. 25'230.- sowie eine Parteientschädigung zugunsten der Beklagten von Fr. 36'863.65 aufzuerlegen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
C.b
Die Beklagte beantragt in ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde des Klägers deren Abweisung. Der Kläger beantragt die Vereinigung der Beschwerden sowie die Abschreibung der Beschwerde der Beklagten wegen Gegenstandslosigkeit zufolge Gutheissung der klägerischen Beschwerde. Eventualiter sei die Beschwerde der Beklagten abzuweisen.
Die Vorinstanz beantragt die Abweisung beider Beschwerden. Die Parteien haben im Verfahren 4A_290/2011 repliziert und dupliziert.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Klägers gut.
(Zusammenfassung)
BGE 138 III 204 S. 208
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Kläger rügt in seiner Beschwerde (4A_290/2011), die Vorinstanz habe zu Unrecht die Voraussetzungen eines Kapitalschnitts auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung gemäss
Art. 732a Abs. 1 OR
("Harmonika") als erfüllt erachtet. Die beschlossene "Harmonika" stelle eine "unnütze Bilanzkosmetik" dar und habe als solche keinen Sanierungszweck aufgewiesen.
3.1
Gemäss
Art. 621 OR
beträgt das Aktienkapital mindestens Fr. 100'000.-. Es darf im Rahmen einer Kapitalherabsetzung nur unter Fr. 100'000.- herabgesetzt werden, sofern es gleichzeitig durch neues, voll einzubezahlendes Kapital in der Höhe von mindestens Fr. 100'000.- ersetzt wird (
Art. 732 Abs. 5 OR
).
Wird das Aktienkapital im Rahmen einer Kapitalherabsetzung bis auf Null herabgesetzt und anschliessend wieder um den gleichen Betrag erhöht, spricht man von einem "Kapitalschnitt auf Null" (vgl. PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 2 N. 381a, 385). Mit dem auf 1. Januar 2008 in Kraft getretenen
Art. 732a OR
hat der Gesetzgeber die Zulässigkeit eines solchen Kapitalschnitts auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung zum Zwecke der Sanierung ausdrücklich anerkannt. Dabei gehen gemäss
Art. 732a Abs. 1 OR
die bisherigen Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre unter und ausgegebene Aktien müssen vernichtet werden. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Gesellschafterstellung in der Kapitalgesellschaft zwingend mit einer Beteiligung am Risikokapital verbunden ist. Geht dieses Risikokapital verloren, muss auch die damit verbundene Beteiligung ein Ende finden (Botschaft vom 23. April 2002 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3148, 3233; anders noch für das frühere Recht
BGE 121 III 420
E. 4 S. 427 ff.). Der grundsätzlich nicht entziehbaren Mitgliedschaftsstellung des Aktionärs im Falle eines gänzlichen Kapitalverlusts trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass dem Aktionär ein unbedingtes und unentziehbares Recht zugestanden wird, sich im Ausmass seines bisherigen Aktienbesitzes am wieder erhöhten Aktienkapital zu beteiligen (
Art. 732a Abs. 2 OR
; Botschaft, a.a.O., 3234).
3.2
Die Möglichkeit eines Kapitalschnitts auf Null ist gemäss
Art. 732a Abs. 1 OR
auf Fälle beschränkt, in denen die Kombination einer Kapitalherabsetzung mit einer Kapitalerhöhung dem
Zwecke der
BGE 138 III 204 S. 209
Sanierung
dient (vgl. Botschaft, a.a.O., 3233 f.; LUKAS GLANZMANN, Fallstricke bei Gründung und Kapitalerhöhung, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, Bd. VI, Kunz und andere [Hrsg.], Bern 2011, S. 30; für die Lage nach altem Recht vgl.
BGE 86 II 78
E. 3 und 4 S. 80-86;
BGE 121 III 420
E. 4 S. 427). Saniert werden kann nur eine sanierungsbedürftige Gesellschaft. Gemäss der Botschaft darf ein Kapitalschnitt auf Null denn auch nur dann beschlossen werden, wenn das Aktienkapital der Gesellschaft bei objektiver Beurteilung vollständig verloren ist (Botschaft, a.a.O., 3233 f.). Vorausgesetzt ist mithin eine Sanierungsbedürftigkeit, wie sie bei einer Überschuldung i.S. von
Art. 725 Abs. 2 OR
vorliegt.
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wies die Jahresrechnung 2006 der Beklagten einen Bilanzverlust von Fr. 4'899'177.- und ein negatives Eigenkapital von Fr. 4'399'177.- aus. Im Jahr 2007 erzielte die Beklagte zwar einen Gewinn von Fr. 390'000.-, was aber nichts daran änderte, dass sie im Februar 2008 nach wie vor eine Überschuldung i.S. von
Art. 725 Abs. 2 OR
aufwies. Die Sanierungsbedürftigkeit der Beklagten war im Zeitpunkt der ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. Februar 2008 damit ausgewiesen.
3.3
Das Vorliegen einer Sanierungsbedürftigkeit allein macht einen Kapitalschnitt auf Null indessen noch nicht
per se
zu einer Massnahme mit Sanierungszweck. Der im vorliegenden Fall beschlossene Kapitalschnitt mit anschliessender Wiedererhöhung auf das ursprüngliche Aktienkapital von Fr. 500'000.-vermochte die Überschuldung der Beklagten im Umfang von rund 4 Mio. Fr. denn auch lediglich zu mildern, keineswegs aber zu beseitigen. Fraglich ist, ob dennoch von einer Massnahme zum Zwecke der Sanierung die Rede sein kann.
3.3.1
Der Begriff des Sanierungszwecks i.S. von
Art. 732a Abs. 1 OR
wird im Gesetz nicht näher definiert. Die Lehre knüpft an den Sanierungsbegriff des
Art. 725 OR
an und verlangt, dass eine "Harmonika" im Zuge einer
echten Sanierung
im Sinne des
Art. 725 OR
durchgeführt wird (BÖCKLI, a.a.O., § 2 N. 388). Unter Sanierung werden sämtliche Massnahmen verstanden, die auf die finanzielle Gesundung der Gesellschaft (
BGE 121 III 420
E. 2b S. 424), d.h. auf den Fortbestand der Gesellschaft und die Verhinderung der Liquidation abzielen (CHRISTOPH B. BÜHLER, Sanierung der Aktiengesellschaft, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, a.a.O., S. 39 f.). Im Falle einer Überschuldung ist das kurzfristige Ziel von Sanierungsmassnahmen, die Gesellschaft mindestens in einen Zustand zu versetzen, dass die
BGE 138 III 204 S. 210
Anrufung des Richters nach
Art. 725 Abs. 2 OR
unabhängig von allfälligen Rangrücktrittserklärungen vermieden werden kann. Auf dieses Mindestziel muss die "Harmonika" ausgerichtet sein, um einen Sanierungszweck aufzuweisen.
3.3.2
Führt die im Rahmen der "Harmonika" beschlossene Kapitalerhöhung dazu, dass die Überschuldung gänzlich beseitigt wird, ist dieses Ziel ohne weiteres erreicht. Die tatsächliche Beseitigung der Überschuldung ist aber nicht zwingende Voraussetzung dafür, um von der Anrufung des Richters nach
Art. 725 Abs. 2 OR
absehen zu können. Gemäss der Rechtsprechung braucht der Richter auch dann nicht angerufen zu werden, wenn die Leitungsorgane der Gesellschaft unverzüglich Massnahmen ergreifen, welche vernünftige
Aussichten
auf eine
nachhaltige Sanierung
begründen (
BGE 132 III 564
E. 5.1 S. 573 mit Hinweisen). Reicht die Kapitalerhöhung allein noch nicht aus, um die Überschuldung zu beseitigen, kann eine "Harmonika" damit dennoch einen Sanierungszweck aufweisen, falls sie zusammen mit weiteren Massnahmen die Überschuldung beseitigt und zur Sanierung führt (vgl. auch FORSTMOSER/VOGT, Liberierung durch Verrechnung mit einer nicht werthaltigen Forderung: eine zulässige Form der Sanierung einer überschuldeten Gesellschaft?, in: ZSR 122/2003 S. 551). Der Sanierungszweck der "Harmonika" entfaltet sich diesfalls im Verbund eines Massnahmenpakets, das auf eine nachhaltige Sanierung ausgerichtet ist.
3.3.3
Will der Verwaltungsrat, dem die Vorbereitung erforderlicher Sanierungsmassnahmen obliegt (WÜSTINER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 28 zu
Art. 725 OR
), eine "Harmonika" zum Zwecke der Sanierung durchführen, muss diese folglich entweder die Überschuldung direkt beseitigen oder es müssen gleichzeitig weitere Sanierungsmassnahmen in Angriff genommen werden. Diese müssen zusammen mit der Kapitalerhöhung vernünftige Aussichten auf eine nachhaltige Sanierung der Gesellschaft geben. Der Verwaltungsrat muss über ein Sanierungskonzept verfügen, das ihn unabhängig von allfälligen Rangrücktrittserklärungen von der Pflicht zur Benachrichtigung des Richters gemäss
Art. 725 Abs. 2 OR
entbindet.
Für die Beschlussfassung über einen Kapitalschnitt auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung des Aktienkapitals ist die Generalversammlung zuständig (
Art. 732 Abs. 1 OR
). Soll eine "Harmonika" zum Zwecke der Sanierung durchgeführt werden, die als isolierte Massnahme die Überschuldung nicht beseitigt, muss der
BGE 138 III 204 S. 211
Verwaltungsrat die Generalversammlung über die weiteren Massnahmen informieren, mit denen zusammen der Sanierungszweck erreicht werden soll. Das entsprechende Sanierungskonzept hat der Verwaltungsrat der Generalversammlung als dem für die Beschlussfassung zuständigen Organ vorzulegen. Ohne Kenntnis dieses Konzepts kann die Generalversammlung nicht beurteilen, ob die traktandierte "Harmonika" einen Sanierungszweck aufweist. Zudem können auch die Aktionäre ohne Aufklärung über das Sanierungskonzept keinen informierten Entscheid darüber fällen, ob sie durch Ausübung ihres Bezugsrechts weiterhin an der Gesellschaft partizipieren wollen. Darin läge eine unzulässige Beschränkung des Bezugsrechts nach
Art. 732a Abs. 2 OR
.
3.4
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wurden der ausserordentlichen Generalversammlung keine Informationen über weitere Massnahmen präsentiert, mit denen die Gesellschaft saniert werden sollte. Es wurde namentlich auch kein Verzicht auf die Rückzahlung eines Aktionärsdarlehens in Aussicht gestellt, geschweige denn ein eigentliches Sanierungskonzept vorgelegt. Die Einwände der Beklagten gegen diese Feststellungen sind mangels hinreichend substanziierter Sachverhaltsrügen unbeachtlich (vgl. nicht publ. E. 2.2).
Mangels Bekanntgabe von weiteren Massnahmen, welche zusammen mit der Kapitalerhöhung vernünftige Aussichten auf eine nachhaltige Sanierung gaben, konnte die ausserordentliche Generalversammlung vom 18. Februar 2008 nicht beurteilen, ob die beantragte "Harmonika" einen Sanierungszweck aufweisen sollte. Ohne Kenntnis eines Sanierungskonzepts konnten die Aktionäre schliesslich auch keinen informierten Entscheid darüber fällen, ob sie durch Ausübung des Bezugsrechts nach
Art. 732a Abs. 2 OR
weiterhin an der Gesellschaft partizipieren wollten. Die Voraussetzungen eines Kapitalschnitts auf Null gemäss
Art. 732a Abs. 1 OR
waren nicht gegeben, womit sich die beschlossene "Harmonika" als rechtswidrig erweist.
4.
4.1
Gemäss
Art. 706 OR
können der Verwaltungsrat und jeder Aktionär Beschlüsse der Generalversammlung, die gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen, beim Richter mit Klage gegen die Gesellschaft anfechten (Abs. 1). Anfechtbar sind insbesondere Beschlüsse, die unter Verletzung von Gesetz oder Statuten oder in unsachlicher Weise Rechte von Aktionären entziehen oder beschränken (Abs. 2 Ziff. 1 und 2). Das Urteil, das einen Beschluss der
BGE 138 III 204 S. 212
Generalversammlung aufhebt, wirkt für und gegen alle Aktionäre (Abs. 5). Es handelt sich um ein auflösendes Gestaltungsurteil, das zu einer rückwirkenden Aufhebung des angefochtenen Generalversammlungsbeschlusses führt (
BGE 110 II 387
E. 2c S. 390). Das Anfechtungsrecht erlischt, wenn die Klage nicht spätestens zwei Monate nach der Generalversammlung erhoben wird (
Art. 706a Abs. 1 OR
). Gemäss
Art. 706b OR
können sich Beschlüsse der Generalversammlung auch als nichtig erweisen. Nichtig sind insbesondere Beschlüsse, die vom Gesetz zwingend gewährte Rechte des Aktionärs entziehen oder beschränken, Kontrollrechte von Aktionären über das gesetzlich zulässige Mass hinaus beschränken oder die Grundstrukturen der Aktiengesellschaft missachten bzw. die Bestimmungen zum Kapitalschutz verletzen (
Art. 706b Ziff. 1-3 OR
).
Die vorliegend angefochtene "Harmonika" erweist sich aufgrund des Verstosses gegen
Art. 732a Abs. 1 OR
zwar nicht als nichtig i.S. von
Art. 706b OR
, wohl aber als gesetzeswidrig i.S. von
Art. 706 Abs. 1 OR
. Die angefochtenen Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) sind damit in Gutheissung der fristgerecht innert zwei Monaten nach der Generalversammlung angehobenen Anfechtungsklage rückwirkend aufzuheben.
4.2
Mit den Feststellungsbeschlüssen gemäss notariellem Protokoll vom 18. Februar 2008 beschloss der Verwaltungsrat der Beklagten, die Wiedererhöhung des Aktienkapitals gemäss
Art. 650 Abs. 1 Satz 2 OR
durchzuführen. Ein solcher Durchführungsbeschluss muss sich auf einen entsprechenden Kapitalerhöhungsbeschluss der Generalversammlung stützen; er darf davon nicht abweichen (
Art. 650 Abs. 1 Satz 1 OR
; BÖCKLI, a.a.O., § 2 N. 164, 166a; vgl. auch
BGE 132 III 668
E. 3.3.1 S. 675 f.).
Gemäss
Art. 714 OR
gelten für Beschlüsse des Verwaltungsrats sinngemäss die gleichen Nichtigkeitsgründe wie für Generalversammlungsbeschlüsse. Nichtig sind namentlich Verwaltungsratsbeschlüsse, die in schwerwiegender Weise gegen zwingende und grundlegende Normen des Aktienrechts verstossen (
BGE 133 III 77
E. 5 S. 79;
BGE 115 II 468
E. 3b S. 473 f.). Gegen einen nichtigen Beschluss kann eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit erhoben werden. Das Feststellungsurteil, das die Nichtigkeit feststellt, wirkt gegenüber jedermann (WERNLI, in: Basler Kommentar,
BGE 138 III 204 S. 213
Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 7 zu
Art. 714 OR
; PETER/CAVADINI, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 9 zu
Art. 714 OR
).
Nachdem sich die von der Generalversammlung getroffenen Beschlüsse über die "Harmonika" vorliegend als ungültig erweisen, ist dem Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats vom 18. Februar 2008 die Grundlage entzogen. Mangels einer entsprechenden Ermächtigung durch einen gültigen Erhöhungsbeschluss der GV leidet der vorliegend angefochtene Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats der Beklagten an einem schwerwiegenden Mangel und erweist sich als nichtig gemäss
Art. 714 OR
. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b5c5d2ac-dcc4-4457-a8ba-f403e5a50126 | Urteilskopf
89 IV 204
41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Oktober 1963 i.S. Kalisch gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
1.
Art. 303 StGB
. Die Behörde, bei der die Falschbeschuldigung erfolgt, kann auch eine ausländische sein.
2.
Art. 301 Ziff. 1 StGB
. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der militärische Nachrichtendienst dem fremden Staat, für den er betrieben wird, nützlich oder dem andern fremden Staat, gegen den er gerichtet ist, nachteilig sei. | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 89 IV 204 S. 204
Aus dem Tatbestand:
A.-
Kalisch, der in Westberlin für den ostdeutschen Nachrichtendienst tätig gewesen war, übersiedelte anfangs
BGE 89 IV 204 S. 205
1961 nach Zürich. Zwei Monate später richtete er von dort aus einen Brief an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Halle (DDR), worin er den in Leipzig wohnhaften Fritz Müller fälschlicherweise als Agenten des amerikanischen Nachrichtendienstes bezeichnete, dessen angebliche militärische Spionagetätigkeit im einzelnen schilderte und weitere Personen nannte, die mit Müller zusammengearbeitet haben sollen. Ähnliche unwahre Beschuldigungen enthielt ein zweiter in Zürich aufgegebener Brief, den Kalisch in der Erwartung, er werde in die Hände der ostdeutschen Strafbehörden gelangen, im Mai 1961 an Müller persönlich sandte. In der Folge knüpfte Kalisch mit verschiedenen in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Personen, die westlichen Streitkräften nahe standen, enge Beziehungen an, um sie dem ostdeutschen Nachrichtendienst dienstbar zu machen.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte Kalisch wegen dieses Sachverhalts am 27. November 1962 des wiederholten vollendeten Versuchs der falschen Anschuldigung (
Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB
) und des wiederholten Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten (
Art. 301 Ziff. 1 StGB
) schuldig und verurteilte ihn auf Grund dieser und eines weiteren Straftatbestandes zu drei Jahren Zuchthaus, zu fünf Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit und zu zehn Jahren Landesverweisung.
C.-
Kalisch bestreitet mit der Nichtigkeitsbeschwerde, dass er sich durch die beiden Briefe der falschen Anschuldigung im Sinne des
Art. 303 StGB
und des Nachrichtendienstes nach
Art. 301 StGB
schuldig gemacht habe.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
macht sich wegen falscher Anschuldigung strafbar, wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen.
BGE 89 IV 204 S. 206
Die Bestimmung schreibt nicht vor, dass die Behörde, bei der die Falschbeschuldigung erfolgt, nur eine inländische, nicht auch eine solche des Auslandes sein könne. Insbesondere schliesst die Einreihung des Tatbestandes der falschen Anschuldigung unter die im 17. Titel zusammengefassten Verbrechen und Vergehen gegen die Rechtspflege nicht aus, dass Art. 303 auch die Anzeige bei einer ausländischen Behörde erfasst. Das Interesse am zuverlässigen Gang der Strafrechtspflege beschränkt sich nicht nur auf die innerstaatliche, sondern gilt auch der Rechtspflege des ausländischen Staates. Das schweizerische Recht lässt denn auch die Auslieferung für Delikte gegen die Rechtspflege, insbesondere wegen falscher Anschuldigung, ausdrücklich zu (Art. 3 Ziff. VII des Auslieferungsgesetzes). Es kann deshalb schon unter diesem Gesichtspunkt nicht gesagt werden, Art. 303 schütze bloss die Rechtspflege des Bundes und der Kantone, und es fehle ein Angriff gegen die Rechtspflege, wenn die Strafanzeige bei einer ausländischen Strafbehörde erstattet wird. Dazu kommt, dass Art. 303 auch dem Schutze des einzelnen dient, der durch die falsche Anschuldigung und ungerechtfertigte Strafverfolgung in seiner Ehre (vgl. die französische Bezeichnung "dénonciation calomnieuse") und in seiner Freiheit gefährdet wird. Dieser weitere Zweck ergibt sich daraus, dass das Strafgesetz es nicht beim allgemeinen Tatbestand der Irreführung der Rechtspflege durch eine falsche Strafanzeige (
Art. 304 StGB
) bewenden lässt, sondern den Fall, in dem der Täter eine bestimmte Drittperson falsch beschuldigt, in einer selbständigen Strafbestimmung mit schwererer Strafdrohung besonders regelt. Dem fälschlich Beschuldigten diesen Schutz immer dann zu versagen und den in der Schweiz handelnden Täter straflos zu lassen, wenn die Anzeige bei einer ausländischen Behörde eingereicht wird, kann nicht der Sinn des Gesetzes sein.
Das Obergericht hat daher auf den Versuch des Beschwerdeführers, bestimmte Personen Ostdeutschlands vermittelst zweier in Zürich abgefasster und aufgegebener
BGE 89 IV 204 S. 207
Briefe bei den Strafbehörden der DDR wider besseres Wissen der Spionage zugunsten westlicher Staaten zu beschuldigen, zu Recht
Art. 303 StGB
angewendet.
2.
...
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er könne wegen der beiden Briefe, auf die sich seine Verurteilung wegen falscher Anschuldigung (
Art. 303 StGB
) stütze, nicht zugleich des Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten im Sinne von
Art. 301 StGB
schuldig erklärt werden. Der erste Vorsatz schliesse den zweiten aus. Denn es sei unmöglich, dass er mit den falschen Anzeigen, die gegen Ostdeutschland gerichtet gewesen seien, gleichzeitig für die DDR und gegen den Westen habe Nachrichtendienst treiben wollen, wie Art. 301 voraussetze.
Art. 301 StGB
dient dem Schutze der Beziehungen der Schweiz zum Ausland. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es nicht darauf an, ob die militärische Nachricht, die vom Gebiet der Schweiz aus dem fremden Staat übermittelt wird, richtig oder falsch ist und wie sie sich für den anderen fremden Staat, gegen den sie gerichtet ist, ausgewirkt hat. Auch eine Falschmeldung, die für den betroffenen fremden Staat ohne Nachteil geblieben ist, kann die Beziehungen der Schweiz zu diesem Staate beeinträchtigen. "Zum Nachteil eines andern fremden Staates" im Sinne des Art. 301 heisst denn auch bloss, dass sich der Nachrichtendienst gegen einen fremden Staat gerichtet haben müsse (Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 2. November 1953 i.S. Roessler und Schnieper). Ebenso legt die Rechtsprechung
Art. 274 StGB
aus. Der Ausdruck "zum Nachteile der Schweiz" deutet lediglich den Gegensatz zu der vorausgegangenen Wendung "für einen fremden Staat" an. Wie der Nachrichtendienst für einen fremden Staat betrieben wird, so muss er sich auch bloss gegen die Schweiz richten, d.h. sich auf schweizerische Verhältnisse beziehen; dass daraus der Eidgenossenschaft ein Schaden erwachse oder drohe, ist nicht nötig (Urteile des Bundesstrafgerichtes vom 20. Dezember 1947 i.S.
BGE 89 IV 204 S. 208
Riedweg und des Kassationshofes vom 2. Juli 1954 i.S. Kupferschmid). Diese Rechtsprechung führt, folgerichtig angewendet, zu einem weiteren Schluss. Genügt nach
Art. 274 StGB
, dass der Nachrichtendienst gegen die Schweiz gerichtet ist, ohne dass er ihr nachteilig sein muss, so ist auch nicht notwendig, dass er dem fremden Staat, für den er betrieben wird, von Nutzen sei. Das Wort "für" sagt so wenig wie das Wort "gegen" über die Auswirkungen der nachrichtendienstlichen Tätigkeit etwas aus; auch könnte der Nutzen, den der fremde Staat daraus ziehen kann, nicht festgestellt werden. so wenig es möglich wäre, den nach
Art. 301 StGB
betroffenen fremden Staat nach einem Schaden zu fragen. "Für einen fremden Staat" bedeutet demnach nur, dass der Empfänger der Nachrichten ein fremder Staat sein müsse, nicht auch, dass ihm der Nachrichtendienst nützlich zu sein brauche. In gleicher Weise ist auch
Art. 301 StGB
, der in Anlehnung an Art. 274 dieselbe Wendung gebraucht, auszulegen.
Der Einwand des Beschwerdeführers, seine Angaben über die militärische Spionagetätigkeit westlicher Agenten hätten, weil sie falsch gewesen seien, der DDR nichts genützt, ist daher unerheblich. Es genügt, dass er über Tatsachen berichtet hat, die andere Staaten als die DDR und die Schweiz betroffen haben. Der auf falsche Anschuldigung gerichtete Vorsatz des Beschwerdeführers schloss übrigens nicht aus, dass er mit den Anzeigen zugleich der DDR nützen wollte. Er konnte die Anzeigen in der Meinung erstatten, dass sich die Angeschuldigten unter dem Drucke der falschen Anschuldigung dem ostdeutschen Nachrichtendienst zur Verfügung stellen würden, also den Willen gehabt haben, einer solchen Tätigkeit zum Nachteil anderer fremder Staaten Vorschub zu leisten (Art. 301 Ziff. 1 Abs. 2). | null | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5c88d7e-682a-4b71-8870-208985dd883a | Urteilskopf
93 II 48
10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1967 i.S. John Harvey & Sons Ltd gegen Garvey SA Jerez de la Frontera. | Regeste
Fabrik- und Handelsmarken.
a)
Art. 2 MSchG
. Geltung der Geschäftsfirma als Marke (Erw. 3).
b)
Art. 3 Abs. 1 MSchG
. Die in das schweizerische Handelsregister eingetragene und als Marke gebrauchte Firma untersteht den gleichen materiellen Bestimmungen des Gesetzes wie andere Marken (Erw. 3).
c) Tragweite von
Art. 9 Abs. 1 MSchG
. Analoge Anwendung dieser Bestimmung auf nicht eingetragene Marken (Erw. 4). | Erwägungen
ab Seite 48
BGE 93 II 48 S. 48
3.
Der Bestandteil "Harvey's" in den Marken der Beklagten gleicht den Bestandteilen "Garvey" und "Garvey's" in den Marken der Klägerin hinsichtlich Schreibweise und Wortklang so sehr, dass die Käufer der Erzeugnisse über deren Herkunft irregeführt werden können. Die Beklagte räumt denn auch ein, dass die beiden Familiennamen ähnlich sind.
Sie stellt sich aber auf den Standpunkt, jedermann dürfe seinen Namen in beliebiger Weise zu Geschäftszwecken verwenden, weshalb der immerhin bestehende geringfügige Unterschied sie berechtigte, das Wort Harvey in ihren Marken zu führen.
BGE 93 II 48 S. 49
Diese Auffassung läuft darauf hinaus, dass derjenige, der seinen Namen als Marke verwenden will, nicht darauf Rücksicht nehmen müsse, ob ihm ein anderer im Gebrauch einer ähnlichen Marke zuvorgekommen sei. Damit verkennt die Beklagte, dass die Geschäftsfirma nicht ohne weiteres als Marke gilt, sondern entsprechende Rechte erst verleiht, wenn sie tatsächlich als Marke gebraucht wird; das ergibt sich aus
Art. 2 MSchG
und ist in der Rechtsprechung anerkannt (
BGE 44 II 85
Erw. 2,
BGE 88 II 33
). Ferner übersieht die Beklagte, dass die in das schweizerische Handelsregister eingetragene und als Marke gebrauchte Firma den gleichen materiellen Bestimmungen des Gesetzes untersteht wie andere Marken; durch
Art. 2 und 3 Abs. 1 MSchG
wollte der Gesetzgeber den Inhaber einer Firmenmarke nur der Pflicht entheben, sie in das Markenregister eintragen zu lassen (
BGE 43 II 97
,
BGE 78 II 460
,
BGE 88 II 33
,
BGE 89 I 303
Erw. 7). Für die Firmenmarken gelten daher namentlich auch die Regeln über die Priorität, wobei immerhin, wie in
BGE 88 II 33
anerkannt wurde, die Vermutung aus
Art. 5 MSchG
mit der blossen Eintragung in das Handelsregister verbunden ist. Auch der Inhaber einer Firmenmarke muss sich somit gegebenenfalls entgegenhalten lassen, dass ein anderer eine gleich lautende oder ähnliche Marke schon vor ihm gebraucht habe und daher besser berechtigt sei. In dieser Rechtslage befindet sich umso mehr auch derjenige, dessen Firma - wie jene der Beklagten - nicht im schweizerischen Handelsregister eingetragen ist und dem daher
Art. 2 MSchG
nicht zugute kommt. Es wäre unerträglich, die Regeln über die Priorität ihm gegenüber nur deshalb nicht anzuwenden, weil seine Marke ganz oder teilweise mit seiner Firma übereinstimmt. Die Unhaltbarkeit der Auffassung der Beklagten springt umso mehr in die Augen, als auch die Klägerin einen Bestandteil ihrer Firma in ihre Marken aufgenommen hat. Auch sie könnte sich somit auf diese Auffassung berufen. Die Marken der Parteien ständen also unbekümmert um die Priorität als gleichberechtigt nebeneinander. Das vertrüge sich nicht damit, dass das Markenschutzgesetz das Publikum vor Irreführung schützen will (
Art. 6 Abs. 1,
Art. 24 lit. a,
Art. 27 Ziff. 1 MSchG
.)
4.
Aus
Art. 5 MSchG
, wonach bis zum Beweis des Gegenteils angenommen wird, der erste Hinterleger einer Marke sei auch der wahre Berechtigte, folgt, dass die Hinterlegung und die Eintragung nicht konstitutiv wirken. Das Recht an der
BGE 93 II 48 S. 50
Marke wird schon durch den der Hinterlegung vorausgehenden befugten markenmässigen Gebrauch des Zeichens erworben; die Hinterlegung und die Eintragung sind nur Voraussetzung des gerichtlichen Schutzes der Marke (
Art. 4 MSchG
) und schaffen ausserdem die bereits erwähnte Vermutung zugunsten des ersten Hinterlegers (
BGE 26 II 649
,
BGE 28 II 557
,
BGE 30 II 295
,
BGE 43 II 248
Erw. 2,
BGE 47 II 362
Erw. 2,
BGE 56 II 412
,
BGE 57 II 610
,
BGE 59 II 214
,
BGE 63 II 124
,
BGE 65 II 205
,
BGE 70 II 249
,
BGE 72 II 425
).
Wenn der Inhaber einer Marke sie während drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht gebraucht und die Unterlassung nicht hinreichend zu rechtfertigen vermag, hat das Gericht auf Klage einer interessierten Partei die Löschung der Marke anzuordnen (
Art. 9 Abs. 1 MSchG
). Diese Bestimmung ist nicht wörtlich auszulegen. Sie hat nicht den Sinn, das Recht an der Marke bestehe trotz des Nichtgebrauchs bis zur richterlichen Anordnung der Löschung fort. Nach dreijährigem Nichtgebrauch geht das Markenrecht von selbst unter, wenn der Inhaber ihn nicht zu rechtfertigen vermag. Der Untergang kann deshalb auch durch blosse Einrede geltend gemacht werden (
BGE 62 II 62
f.).
Auf nicht eingetragene Marken ist
Art. 9 Abs. 1 MSchG
in dem Sinne analog anzuwenden, dass ein dreijähriger Nichtgebrauch, den der Markeninhaber nicht zu rechtfertigen vermag, den Untergang seines Rechtes zur Folge hat. Der Betroffene befindet sich von da an in der gleichen Lage, wie wenn er das Zeichen noch nie verwendet hätte; durch erneuten Gebrauch oder durch Eintragung kann er das Recht an der Marke nur für die Zukunft wieder erwerben und nur dann, wenn ihm nicht inzwischen ein anderer zuvorgekommen ist. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5c9e4db-f39f-4936-b6eb-f2aaa1081da7 | Urteilskopf
123 II 56
9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. März 1997 i.S. X. AG und A. gegen Stadt und Kanton St. Gallen (verwaltungsrechtliche Klage) | Regeste
Art. 41ter Abs. 2 BV
;
Art. 2 MWSTV
;
Art. 116 OG
; Befreiung von kantonalen Abgaben wegen Gleichartigkeit mit der Mehrwertsteuer; zulässiges Rechtsmittel.
Streitigkeiten über die Belastung mit angeblich "gleichgearteten" kantonalen Abgaben können dem Bundesgericht nicht mit verwaltungsrechtlicher Klage unterbreitet werden (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 1-3).
Gegen kantonale Entscheide über die Belastung mit solchen Abgaben steht auch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht offen. Zulässig ist allein die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 123 II 56 S. 57
Die Stadt St. Gallen erhebt auf den Eintrittspreisen für Kinoveranstaltungen die Vergnügungssteuer (Reglement der Stadt St. Gallen über die Vergnügungssteuer vom 15. Mai 1990). Sodann erhebt auch der Kanton St. Gallen auf den Billetteinnahmen eine Taxe für "regelmässige öffentliche Filmvorführungen" und die Stadt St. Gallen einen Zuschlag von 50% auf dieser Taxe (Art. 18 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 des kantonalen Gesetzes über Filmvorführungen vom 21. Mai 1976).
Die Kinounternehmung X. AG und Frau A. - diese als "gelegentliche Kinobesucherin" - führen verwaltungsrechtliche Klage gegen Stadt und Kanton St. Gallen. Die Klägerinnen beantragen festzustellen, dass die von der Stadt erhobene Vergnügungssteuer und die von Kanton und Stadt erhobene Taxe für Filmvorführungen bzw. der Zuschlag darauf zufolge Gleichartigkeit mit der Mehrwertsteuer gegen
Art. 41ter Abs. 2 BV
verstossen. Stadt und Kanton seien zu verpflichten, diese Abgaben nicht mehr zu erheben und bereits bezogene Steuerbetreffnisse zurückzuerstatten.
Das Bundesgericht tritt auf die verwaltungsrechtliche Klage nicht ein und nimmt sie auch nicht als Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder staatsrechtliche Beschwerde entgegen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 41ter Abs. 1 lit. a und b der Bundesverfassung (BV) kann der Bund ausser den ihm nach Art. 41bis zustehenden Steuern eine Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) sowie besondere Verbrauchssteuern auf Waren erheben. Umsätze, die der Bund nach diesen Vorschriften mit einer Steuer belastet oder steuerfrei erklärt, dürfen von den Kantonen und Gemeinden keiner gleichgearteten Steuer unterstellt werden (
Art. 41ter Abs. 2 BV
). Art. 2 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV, SR 641.201) konkretisiert diesen Grundsatz wie folgt:
"Was diese Verordnung als Gegenstand der Mehrwertsteuer oder als steuerbefreit erklärt, ist der Belastung durch gleichgeartete Kantons- und Gemeindesteuern entzogen; Anstände, die sich aufgrund dieser Bestimmung ergeben, beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz (Art. 116 des Bundesrechtspflegegesetzes [OG])."
BGE 123 II 56 S. 58
2.
Gemäss Art. 116 lit. f des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, in der Fassung gemäss Gesetz vom 20. Dezember 1968 (AS 1969 767), konnten Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über die Befreiung von kantonalen Abgaben mit verwaltungsrechtlicher Klage dem Bundesgericht als einziger Instanz unterbreitet werden. Mit Änderung der Bundesrechtspflege vom 4. Oktober 1991 (AS 1992 288) wurde indessen lit. f von
Art. 116 OG
mit Wirkung auf den 1. Januar 1994 aufgehoben, so dass die verwaltungsrechtliche Klage für solche Streitigkeiten nicht mehr offensteht. Das Bundesgericht hat in
BGE 122 II 241
E. 2c daraus abgeleitet, dass die verwaltungsrechtliche Klage auch dann nicht mehr zulässig sei, wenn sich ein Privater über die Verletzung von
Art. 41ter Abs. 2 BV
und
Art. 2 MWSTV
(Verbot gleichgearteter kantonaler und kommunaler Steuern) beschwere; der Verweis in
Art. 2 MWSTV
auf die verwaltungsrechtliche Klage betreffe - sofern er nicht auf einem Versehen beruhe - seitdem nur Streitigkeiten zwischen Behörden (vgl.
Art. 116 lit. a und b OG
).
Nach dieser Rechtsprechung ist es aber ausgeschlossen, Entscheide über die Belastung mit angeblich gleichgearteten kantonalen Steuern mit verwaltungsrechtlicher Klage anzufechten. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen handelt es sich bei diesen Ausführungen des Bundesgerichts nicht um ein obiter dictum: Über die Frage, ob die damalige Eingabe als verwaltungsrechtliche Klage entgegenzunehmen war, musste das Bundesgericht entscheiden. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Prozessvoraussetzungen - und damit die Frage des zulässigen Rechtsmittels - von Amtes wegen und frei zu prüfen sind (vgl.
BGE 122 II 241
E. 1).
Was die Klägerinnen des weitern vorbringen, kann nicht zu einer Änderung dieser Rechtsprechung führen.
3.
Die Klägerinnen machen geltend, bei der Mehrwertsteuerverordnung handle es sich um kompetenzgerecht erlassenes Übergangsrecht, das seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 8 ÜbBest. BV finde. Insofern besitze die Mehrwertsteuerverordnung gesetzesvertretenden Charakter. Das gelte auch für die Bestimmung über den Rechtsschutz (
Art. 2 MWSTV
). Diese Vorschrift gehe als lex specialis und lex posterior dem neuen
Art. 116 OG
vor.
Art. 116 OG
in der revidierten Fassung schliesse nach seinem Wortlaut die verwaltungsrechtliche Klage für Private nicht aus.
a) Das Schwergewicht der Revision der Bundesrechtspflege von 1991 lag erklärtermassen auf Entlastungsmassnahmen zugunsten des Bundesgerichts. Eine dieser Massnahmen bestand darin, die
BGE 123 II 56 S. 59
verwaltungsrechtliche Klage künftig auf jene Fälle zu beschränken, die sich für das Verfügungsverfahren nicht eignen. Das sind vor allem Verfahren über das bundesstaatliche Verhältnis, also zwischen Bund und Kantonen oder zwischen den Kantonen, für die aus Gründen der föderalistischen Rücksichtnahme der Klageweg noch beibehalten wurde (vgl.
Art. 116 lit. a und b OG
). In allen anderen Fällen aus dem Bereich des Bundesverwaltungsrechts sollte zunächst auf eine Verfügung der dafür zuständigen Bundesverwaltungsbehörde hin eine Eidgenössische Rekurskommission entscheiden. Dass dies der Sinn der neuen Vorschrift in
Art. 116 OG
ist, ergibt sich eindeutig aus der Botschaft des Bundesrates vom 18. März 1991 (BBl 1991 II 497 Ziff. 241.3; siehe daselbst auch den Hinweis auf MARKUS METZ, Der direkte Verwaltungsprozess in der Bundesrechtspflege, Basel und Stuttgart 1980, S. 181). Diese Neuerung war bereits in der - vom Volk am 1. April 1990 verworfenen - Teilrevision der Bundesrechtspflege enthalten (Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 1985, BBl 1985 II 947) und gab auch damals, mit einer kleinen Ausnahme betreffend lit. b, zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass (vgl. Amtl.Bull. N 1987 376, S 1988 259).
Die dem Bundesrat gemäss Art. 8 ÜbBest. BV in Sachen Mehrwertsteuer zum Erlass der Ausführungsbestimmungen eingeräumte Kompetenz kann daher nicht dahingehend verstanden werden, sie umfasse auch die Befugnis, von der vom Parlament erst kürzlich in die Bundesrechtspflege eingeführten Regelung abzuweichen.
Art. 2 MWSTV
selbst lässt nicht darauf schliessen, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Wenn daher
Art. 2 MWSTV
für Anstände, die sich aus der Anwendung dieser Bestimmung ergeben, auf den Weg der verwaltungsrechtlichen Klage verweist, so kann diese Vorschrift - insofern sie nicht auf einem Versehen beruht, was offenbleiben kann - nur dahingehend ausgelegt werden, dass es sich um Streitigkeiten zwischen Behörden handeln muss (vgl.
Art. 116 lit. a und b OG
;
BGE 122 II 241
E. 2c; ähnlich KUHN/SPINNLER, Mehrwertsteuer, Ergänzungsband, Bern 1994, S. 17).
b) Die Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Klage lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch nicht aus den Schlussbestimmungen zur OG-Revision 1991 oder aus der Verordnung des Bundesrates vom 3. Februar 1993 über Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (SR 173.51) ableiten.
Gemäss Ziff. 1 Abs. 3 lit. b der Schlussbestimmungen zur OG-Revision 1991 erlässt der Bundesrat Ausführungsbestimmungen u.a.
BGE 123 II 56 S. 60
über "die Zuständigkeit für den Entscheid in den Fällen, in denen bisher das Bundesgericht oder das Eidgenössische Versicherungsgericht als einzige Instanz auf verwaltungsrechtliche Klage zu entscheiden hatte und diese Klage nach den Artikeln 116 und 130 dieses Gesetzes nicht mehr zulässig ist". In der zitierten Verordnung über die Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist der Bundesrat diesem Auftrag nachgekommen: In jenen Fällen, wo die verwaltungsrechtliche Klage nicht mehr zulässig ist, hat er diejenige Bundesverwaltungsbehörde als zuständig erklärt, die mit dem Vollzug des in der Sache anwendbaren Erlasses betraut ist (unter Vorbehalt der Bestimmungen von Bundesgesetzen, die den Entscheid einer kantonalen Behörde übertragen, vgl. Art. 2 Abs. 1). Gegen Verfügungen solcher Bundesverwaltungsbehörden ist grundsätzlich die Beschwerde an eine eidgenössische Rekurskommission vorgesehen (vgl. Art. 3). Gemäss Art. 1 lit. g der Verordnung gilt diese Zuständigkeit namentlich auch für Fälle, wo "ein Bundesgesetz die verwaltungsrechtliche Klage in Abweichung von
Art. 116 OG
vorsieht". Aus dieser Regelung ist ersichtlich, dass der Bundesrat den Klageweg auf die in
Art. 116 OG
erwähnten Fälle beschränken wollte. Die von den Klägerinnen gezogene Schlussfolgerung, dass gerade die Verordnung über Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts die massgebliche Grundlage für die in
Art. 2 MWSTV
getroffene Zuständigkeitsordnung enthalte, trifft daher nicht zu. Die Verordnung ist im vorliegenden Fall, wo es um die Erhebung kantonaler bzw. kommunaler Abgaben geht, auch nicht anwendbar. Dieser Erlass regelt die Zuständigkeit für jene Fälle, wo eine Bundesverwaltungsbehörde "mit dem Vollzug des in der Sache anwendbaren Erlasses betraut" ist (vgl. Art. 2 Abs. 1). Es gibt keine Bundesbehörde, welcher der Vollzug der hier in Frage stehenden kantonalen Erlasse obliegt.
c) Unbegründet sind auch die weiteren Argumente der Klägerinnen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Grundsatz der Prozessökonomie in Frage gestellt sein soll, wenn keine Bundesbehörde erstinstanzlich über die Zulässigkeit der hier in Frage stehenden kommunalen und kantonalen Abgaben befindet. Es erscheint vielmehr sinnvoll, dass zuerst die kantonalen Instanzen sich zur Zulässigkeit der in Frage stehenden Steuern unter dem Gesichtswinkel von
Art. 41ter Abs. 2 BV
und
Art. 2 MWSTV
äussern. Auf diese Weise können unnötige Prozesse vor Bundesgericht vermieden werden, was einer Zielsetzung bei der Revision der Bundesrechtspflege
BGE 123 II 56 S. 61
von 1991 entspricht. Wenn zuerst die kantonalen Instanzen entscheiden, ist auch die einheitliche Rechtsprechung für das Gebiet der Schweiz nicht in Frage gestellt. Es geht vorliegend um die Frage, ob die Abgaben, welche die Stadt und der Kanton St. Gallen hier erheben, "gleichgeartete" Steuern darstellen. Für Steuern anderer Kantone stellt sich die Frage neu.
4.
Es bleibt zu prüfen, ob die Eingabe der Klägerinnen die Voraussetzungen eines anderen Rechtsmittels erfüllt.
a) Die Klägerinnen machen zu Recht nicht geltend, dass ihre Eingabe eventuell als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen sei. Gemäss
Art. 97 OG
und 5 VwVG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, von einer der in
Art. 98 OG
genannten Vorinstanz ausgehen und keinem Ausschlussgrund nach
Art. 99-102 OG
unterliegen. Wie das Bundesgericht in
BGE 122 II 241
ausführlich begründet hat, beruhen Verfügungen betreffend die Veranlagung kantonaler Steuern - in der Regel ausschliesslich - auf öffentlichem Recht der Kantone. Im vorliegenden Fall ergeben sich die streitigen Abgaben aus kantonalem und kommunalem Recht (kantonales Gesetz über Filmvorführungen vom 21. Mai 1976; Reglement der Stadt St. Gallen über die Vergnügungssteuer vom 15. Mai 1990). Auch wenn sich die Klägerinnen auf die Vorschriften der
Art. 41ter Abs. 2 BV
und
Art. 2 MWSTV
berufen, um die Unvereinbarkeit der in Frage stehenden Besteuerung mit Bundesrecht darzutun, so beruht die Besteuerung nicht auf Bundesrecht. Der Vorschrift in
Art. 2 MWSTV
kommt nur der Rang einer Grundsatz- oder Rahmenbestimmung zu. Sie bildet aber nicht unmittelbar anwendbares Bundesverwaltungsrecht in dem Sinne, dass eine letztinstanzliche kantonale Verfügung über die Besteuerung sich in dieser Hinsicht auf öffentliches Recht des Bundes stützt oder stützten müsste (
Art. 5 VwVG
).
b) Eine Verletzung der
Art. 41ter Abs. 2 BV
und
Art. 2 MWSTV
kann folglich nur mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes des Vorrangs des Bundesrechts, der in Art. 2 ÜbBest. BV verankert ist und dem Bürger ein direkt mit staatsrechtlicher Beschwerde durchsetzbares verfassungsmässiges Recht einräumt, geltend gemacht werden (
BGE 122 II 241
E. 2a und b). Diese ist gegenüber den anderen Rechtsmitteln an das Bundesgericht subsidiär, das heisst sie kommt dann zum Zug, wenn kein anderes Rechtsmittel gegeben ist. Sie setzt jedoch voraus, dass von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist (
Art. 86 Abs. 1
BGE 123 II 56 S. 62
OG
). An dieser Voraussetzung fehlt es hier, weshalb die Eingabe der Klägerinnen auch nicht als staatsrechtliche Beschwerde entgegengenommen werden kann.
c) Geht es nicht um unmittelbar anwendbares Verwaltungsrecht des Bundes, so kommt entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch eine Rückweisung der Sache an eine "geeignete erstinstanzliche Bundesstelle" nicht in Frage; das drängt sich schon deshalb nicht auf, weil gegen die Verfügung der letzten kantonalen Instanz das subsidiäre Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde offensteht. Ebenso erübrigt sich der Meinungsaustausch mit dem Bundesrat über die Schaffung einer solchen "Bundesstelle". | public_law | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5cbc5f2-4e53-4fb4-bc8d-0da1506df92d | Urteilskopf
136 III 345
52. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Club Atlético de Madrid SAD gegen Sport Lisboa E Benfica - Futebol SAD (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_490/2009 vom 13. April 2010 | Regeste
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
(Ordre public); res iudicata.
Das Schiedsgericht verletzt den verfahrensrechtlichen Ordre public, wenn es bei seinem Entscheid die materielle Rechtskraft eines früheren Urteils unbeachtet lässt (E. 2.1). Im konkreten Fall hat das Tribunal Arbitral du Sport den Einwand der
res iudicata
zu Unrecht verworfen (E. 2.2). | Sachverhalt
ab Seite 346
BGE 136 III 345 S. 346
A.
Anfang September 2000 schloss der Fussballclub Sport Lisboa E Benfica - Futebol SAD (Beschwerdegegnerin) mit dem Fussballspieler X. einen Arbeitsvertrag ab, der eine Vertragsdauer von vier Sportsaisons vorsah. Die Vertragsparteien zerstritten sich bereits kurz darauf und der Fussballspieler kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos.
Am 19. Dezember 2000 schloss X. einen neuen Arbeitsvertrag mit dem Club Atlético de Madrid SAD (Beschwerdeführerin) ab.
B.
B.a
Am 1. Juni 2001 machte die Beschwerdegegnerin bei der Fédération Internationale de Football Association (FIFA; Verfahrensbeteiligte) eine Ausbildungs- und Förderungsentschädigung im Sinne von Art. 14.1 des zu jenem Zeitpunkt einschlägigen FIFA-Reglements bezüglich Status und Transfer von Spielern ("Regulations for the Status and Transfer of Players", Ausgabe Oktober 1997; nachfolgend: FIFA-Transferreglement 1997) gegen die Beschwerdeführerin geltend.
Am 26. April 2002 sprach das Special Committee der FIFA der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung von USD 2,5 Mio. für die Ausbildung sowie die Förderung des Spielers X. zu.
Im Juni 2002 focht die Beschwerdeführerin den Entscheid des FIFA-Special Committee vom 26. April 2002 beim Handelsgericht des Kantons Zürich an. Dieses erklärte den Entscheid des FIFA-Special Committee mit Urteil vom 21. Juni 2004 für nichtig. Es erwog, dass das FIFA-Transferreglement 1997 unter anderem gegen das europäische sowie das schweizerische Wettbewerbsrecht verstosse und daher nichtig sei, weshalb auch der darauf gestützte Entscheid des FIFA-Special Committee nichtig sei. Gegen den Entscheid des Handelsgerichts wurde kein Rechtsmittel ergriffen. Die Beschwerdegegnerin war am Anfechtungsprozess nicht beteiligt.
Im Nachgang zum Entscheid des Handelsgerichts schloss die Beschwerdeführerin am 25. August 2004 mit der FIFA eine Vereinbarung ab, mit der sich die FIFA verpflichtete, den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni 2004 zu berücksichtigen, falls die Beschwerdegegnerin bei der FIFA erneut Ansprüche in derselben Angelegenheit gegen die Beschwerdeführerin geltend machen sollte.
B.b
Am 21. Oktober 2004 ersuchte die Beschwerdegegnerin bei der FIFA erneut um einen Entscheid über die Entschädigung für die
BGE 136 III 345 S. 347
Ausbildung und/oder Förderung des Spielers X. mit dem Antrag, die Beschwerdeführerin sei zur Zahlung von EUR 3'165'928.- zu verpflichten.
Das Special Committee der FIFA wies das Begehren der Beschwerdegegnerin mit Entscheid vom 14. Februar 2008 (mitgeteilt am 23. Dezember 2008) ab.
B.c
Am 13. Januar 2009 appellierte die Beschwerdegegnerin beim Tribunal Arbitral du Sport (TAS) gegen den Entscheid des FIFA-Special Committee vom 14. Februar 2008 und verlangte dessen Aufhebung sowie die Zusprechung von EUR 3'165'928.93 plus Zins oder eines höheren vom Schiedsgericht zu bestimmenden Betrags, eventualiter die Rückweisung an das FIFA-Special Committee zur Neubeurteilung.
Die Beschwerdeführerin widersetzte sich der Berufung und berief sich unter anderem auf die
res iudicata
-Wirkung des Urteils des Handelsgerichts Zürich vom 21. Juni 2004.
Mit Schiedsentscheid vom 31. August 2009 hiess das TAS die Berufung der Beschwerdegegnerin teilweise gut und verpflichtete die Beschwerdeführerin gestützt auf das FIFA-Transferreglement 1997, der Beschwerdegegnerin den Betrag von EUR 400'000.- zu bezahlen.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht in erster Linie die Aufhebung des Schiedsentscheids des TAS vom 31. August 2009.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine Verletzung des Ordre public (
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
[SR 291]) vor, da sie die materielle Rechtskraft des Urteils des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni 2004 in der gleichen Sache nicht beachtet habe.
2.1
Der Ordre public (
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
) hat sowohl einen materiellen als auch einen verfahrensrechtlichen Gehalt.
Ein Verstoss gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public liegt vor bei einer Verletzung von fundamentalen und allgemein anerkannten Verfahrensgrundsätzen, deren Nichtbeachtung zum
BGE 136 III 345 S. 348
Rechtsempfinden in einem unerträglichen Widerspruch steht, so dass die Entscheidung als mit der in einem Rechtsstaat geltenden Rechts- und Wertordnung schlechterdings unvereinbar erscheint (
BGE 132 III 389
E. 2.2.1 S. 392;
BGE 128 III 191
E. 4a S. 194;
BGE 126 III 249
E. 3b S. 253 mit Hinweisen).
Das Schiedsgericht verletzt den verfahrensrechtlichen Ordre public, wenn es bei seinem Entscheid die materielle Rechtskraft eines früheren Entscheids unbeachtet lässt oder wenn es in seinem Endentscheid von der Auffassung abweicht, die es in einem Vorentscheid hinsichtlich einer materiellen Vorfrage geäussert hat (
BGE 128 III 191
E. 4a S. 194 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 127 III 279
E. 2b S. 283).
Die Rechtskraftwirkung beschränkt sich auf das Urteilsdispositiv. Die Urteilsbegründung wird davon nicht erfasst. Die Urteilserwägungen haben in einer anderen Streitsache keine bindende Wirkung, sind aber gegebenenfalls zur Klärung der Tragweite des Urteilsdispositivs beizuziehen (
BGE 128 III 191
E. 4a S. 195;
BGE 125 III 8
E. 3b S. 13;
BGE 123 III 16
E. 2a S. 18 f.). Die Tragweite des konkreten Urteilsdispositivs ist demnach im Einzelfall anhand der gesamten Urteilserwägungen zu beurteilen.
2.2
Das TAS hat den Einwand der
res iudicata
im schiedsgerichtlichen Verfahren zu Unrecht verworfen.
2.2.1
Das TAS hat zu Unrecht darauf abgestellt, dass es sich beim Verfahren vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich nicht um eine Berufung gegen einen Entscheid der FIFA gehandelt habe, wie diejenige an das TAS, sondern um eine Anfechtung eines vereinsrechtlichen Beschlusses nach
Art. 75 ZGB
. Entgegen dem angefochtenen Schiedsentscheid ist es für die Beurteilung der Rechtskraftwirkung des Urteils des Handelsgerichts vom 21. Juni 2004 unerheblich, dass es sich beim entsprechenden Verfahren nicht um ein Schiedsverfahren handelte, sondern um ein "unabhängiges innerstaatliches Anfechtungsverfahren" ("an independent Swiss domestic procedure aiming to contest a decision rendered by a Swiss law association") nach
Art. 75 ZGB
(vgl.
BGE 127 III 279
E. 2c/bb S. 284). Wie die Beschwerdeführerin zu Recht vorbringt und von der Beschwerdegegnerin nicht in Abrede gestellt wird, war es ihr nach Erhalt der ursprünglichen Entscheidung des FIFA-Special Committee vom 26. April 2002 nicht etwa mangels Schiedsfähigkeit verwehrt, ein Schiedsgericht zur Anfechtung des Entscheids anzurufen, sondern weil damals eine Überprüfung von Vereinsbeschlüssen durch das TAS nach den
BGE 136 III 345 S. 349
FIFA-Statuten noch nicht vorgesehen war. Entsprechend war der FIFA-Entscheid bei einem staatlichen Gericht nach
Art. 75 ZGB
anzufechten.
Der Umstand, dass die zweite Entscheidung des FIFA-Special Committee vom 14. Februar 2008 aufgrund einer Schiedsklausel in den FIFA-Statuten beim TAS angefochten werden konnte, ändert entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin nichts daran, dass es in diesem Verfahren einmal mehr um den Vereinsbeschluss über den von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Anspruch gegen die Beschwerdeführerin auf Zusprechung einer Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den Spieler X. ging. Beim Verfahren vor dem TAS, in dem sich die Beschwerdegegnerin gegen die von der FIFA verweigerte Zusprechung der verlangten Entschädigungszahlung wehrt, handelt es sich letztlich um nichts anderes als eine schiedsgerichtliche Beurteilung der Anfechtung eines von einem schweizerischen Verein gefassten Beschlusses (vgl. etwa URS SCHERRER, Aktuelle Rechtsfragen bei Sportvereinen, in: Aktuelle Fragen aus dem Vereinsrecht, Riemer [Hrsg.], 2005, S. 60 f.; HEINI/PORTMANN, Das Schweizerische Vereinsrecht, in: SPR, Bd. II/5, 3. Aufl. 2005, Rz. 285). Das TAS verweist hinsichtlich der Zuständigkeit denn auch auf Art. R47 des TAS-Code, der die Berufung ("Appeal") unter anderem gegen Entscheide eines Verbands regelt (vgl. die Überschrift "Special Provisions Applicable to the Appeal Arbitration Procedure"), und nicht auf Art. R38 ff. TAS-Code über das ordentliche Schiedsverfahren ("Ordinary Arbitration Procedure", vgl. Art. R38 ff. TAS-Code), das einen Rechtsstreit unabhängig von einem Entscheid eines Verbands zum Gegenstand hat (vgl. Art. R27 TAS-Code).
2.2.2
In den beiden Verfahren vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich sowie dem TAS war jeweils die Rechtmässigkeit der Entscheidung des FIFA-Special Committee über die von der Beschwerdegegnerin gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemachte Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den Spieler X. zu beurteilen. Das Handelsgericht erklärte den auf das FIFA-Transferreglement 1997 gestützten ersten Entscheid des FIFA-Special Committee mit Urteil vom 21. Juni 2004 für nichtig, da er auf einem Transferreglement beruhe, das unter anderem wegen Verletzung des europäischen sowie des schweizerischen Wettbewerbsrechts nichtig sei. Trotz grundsätzlich kassatorischer Natur der in
Art. 75 ZGB
vorgesehenen Anfechtungsklage ist das zuständige Vereinsorgan an die
BGE 136 III 345 S. 350
Erwägungen des Urteils, mit dem der angefochtene Vereinsbeschluss aufgehoben wird, gebunden (
BGE 118 II 12
E. 1c S. 14 mit Verweis auf RIEMER
,
Berner Kommentar, 3. Aufl. 1990, N. 82 zu
Art. 75 ZGB
). Umso mehr hatte das FIFA-Special Committee das handelsgerichtliche Urteil zu beachten, mit dem sein Entscheid wegen nichtiger Rechtsgrundlage nicht bloss aufgehoben, sondern für nichtig erklärt wurde (vgl. RIEMER, a.a.O., N. 129 f. zu
Art. 75 ZGB
), und es konnte nicht angehen, der Beschwerdegegnerin in einem neuerlichen Entscheid gestützt auf dasselbe FIFA-Transferreglement 1997 dennoch eine Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den Spieler X. zuzusprechen.
Entsprechend wies das FIFA-Special Committee das erneute Begehren der Beschwerdegegnerin, es sei ihr zu Lasten der Beschwerdeführerin eine Entschädigung für die Ausbildung und/oder Förderung des Spielers X. zuzusprechen, mit Entscheid vom 14. Februar 2008 im Ergebnis folgerichtig ab. Das daraufhin angerufene TAS auferlegte der Beschwerdeführerin demgegenüber gestützt auf Art. 14 des FIFA-Transferreglements 1997 eine Entschädigung von EUR 400'000.-, wobei es deren Höhe in hilfsweiser Anwendung von
Art. 42 Abs. 2 OR
festsetzte. Damit setzte es sich über das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni 2004 hinweg, das die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Zahlung einer Ausbildungs- und Förderungsentschädigung gestützt auf das FIFA-Transferreglement 1997 durch das FIFA-Special Committee für nichtig erklärte.
Daran vermag auch der unter Berufung auf den Gehörsanspruch erhobene Einwand der Beschwerdegegnerin nichts zu ändern, sie sei im Verfahren vor Handelsgericht nicht Partei gewesen und habe daran auch sonst in keiner Weise teilgenommen. Die Parteirollen vor Handelsgericht ergaben sich folgerichtig aus
Art. 75 ZGB
, da bei der Anfechtungsklage immer nur der Verein, und nicht etwa ein anderes am Beschluss interessiertes Mitglied passivlegitimiert ist (RIEMER, a.a.O., N. 60 zu
Art. 75 ZGB
; vgl.
BGE 132 III 503
E. 3.1 S. 507). Abgesehen davon wirkt die Gutheissung der Klage auf Nichtigerklärung eines Vereinsbeschlusses wie auch der Anfechtungsklage - im Gegensatz zu deren Abweisung - nicht bloss zwischen den Verfahrensparteien, sondern
erga omnes
(RIEMER, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im schweizerischen Gesellschaftsrecht [AG, GmbH, Genossenschaft, Verein, Stockwerkeigentümergemeinschaft], 1998, Rz. 218 und 304;
derselbe
, Berner Kommentar, a.a.O., N. 81 zu
Art. 75
BGE 136 III 345 S. 351
ZGB
; HEINI/SCHERRER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 31 und 38 zu
Art. 75 ZGB
; vgl. auch HENK FENNERS, Der Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit im organisierten Sport, 2006, S. 75 Rz. 253;
BGE 122 III 279
E. 3c/bb S. 284 f. sowie
Art. 706 Abs. 5 OR
).
Dass die FIFA nachträglich ein Schiedsverfahren zur Anfechtung ihrer Beschlüsse einführte, an dem die Beschwerdegegnerin nunmehr als Partei teilnimmt und das es dem TAS erlaubt, den Fall von Grund auf neu zu entscheiden (Art. R57 TAS-Code), ändert nichts an der Tatsache, dass die vom TAS zu beurteilende Frage der Rechtmässigkeit der vom FIFA-Special Committee festgesetzten bzw. verweigerten Entschädigung zwischen der Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin für die Ausbildung und/oder Förderung des Spielers X. bereits mit handelsgerichtlichem Urteil vom 21. Juni 2004 entschieden worden war, das in Rechtskraft erwachsen ist. Die nachträgliche Einführung einer schiedsgerichtlichen Anfechtung vereinsrechtlicher Beschlüsse blieb ohne Einfluss auf die materielle Rechtskraft bereits ergangener Anfechtungsentscheide staatlicher Gerichte. Auch im Verhältnis zur neuen Anfechtungsmöglichkeit galt es, widersprechende Urteile über dieselbe Sache in verschiedenen Prozessen zu verhindern (vgl. MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 364). Wie das Handelsgericht des Kantons Zürich bei einer zweiten Anfechtungsklage gegen einen weiteren FIFA-Entscheid über die Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den Spieler X. an sein früheres Urteil gebunden gewesen wäre, mit dem es die von der FIFA zugesprochene Entschädigung aufgrund der Nichtigkeit des FIFA-Transferreglements 1997 für nichtig erklärte, durfte auch das später für zuständig erklärte Schiedsgericht die bereits entschiedene Frage nicht erneut prüfen.
2.2.3
Dem Schiedsgericht kann im Übrigen nicht gefolgt werden, wenn es der Beschwerdeführerin sowie der FIFA im Zusammenhang mit der Frage der Rechtskraftwirkung vorhält, sie hätten mit ihrer Vereinbarung vom 25. August 2004 im Nachgang zum Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vorausgesehen, dass bei der FIFA ein neues Begehren in derselben Angelegenheit eingereicht werden könnte. Wenn sich die FIFA gegenüber der Beschwerdeführerin verpflichtete, den Entscheid des Handelsgerichts zu berücksichtigen, falls die Beschwerdegegnerin erneut Ansprüche in derselben Angelegenheit gegen die Beschwerdeführerin geltend machen sollte, so
BGE 136 III 345 S. 352
wurde damit entgegen der Ansicht des TAS gerade dessen Geltung für spätere Verfahren bekräftigt. Dass sie mit der Einreichung weiterer Begehren rechneten, bedeutet keineswegs, dass sie sich mit einer erneuten Beurteilung derselben Ansprüche einverstanden erklärten.
2.2.4
Dem Entscheid des TAS über die Ausbildungs- und Förderungsentschädigung für den Spieler X. stand die
res iudicata
entgegen. Der Schiedsentscheid, mit dem das TAS der Beschwerdeführerin gestützt auf das FIFA-Transferreglement 1997, in Missachtung der materiellen Rechtskraft des Urteils des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Juni 2004, eine Ausbildungs- und Förderungsentschädigung von EUR 400'000.- für den Spieler X. auferlegte, verstösst daher gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b5cbf63c-fb75-4c99-925d-a91f657fef6e | Urteilskopf
100 Ia 1
1. Auszug aus dem Urteil vom 23. Januar 1974 i.S. Lauper gegen Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 87 OG
, Letztinstanzlicher Endentscheid.
Der Entscheid des Grossen Rats über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität ist ein letztinstanzlicher Endentscheid (Erw. 1).
Bedingte parlamentarische Immunität.
Die Ermächtigung zur Strafverfolgung ist Prozessvoraussetzung (Erw. 2). In ihrer Erteilung liegt keine (unzulässige) Rückwirkung (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 100 Ia 1 S. 1
Aus dem Sachverhalt:
A.-
Alfred Lauper ist Mitglied des Grossen Rats des Kantons Basel-Stadt. Er reichte am 4. Oktober 1973 eine Interpellation ein, die sich auf die Psychiatrische Universitätsklinik Friedmatt bezog, und in der er schwere Anschuldigungen gegen Angestellte erhob.
Der Regierungsrat nahm am 2. November 1973 in einer schriftlichen Antwort zu den vom Interpellanten aufgeworfenen
BGE 100 Ia 1 S. 2
Fragen einlässlich Stellung. Er wies die Anschuldigungen in aller Form zuruck, wobei er erklärte: "Der Vorwurf eines Machtmissbrauchs unter Zuhilfenahme von Medikamenten empört die Mitarbeiter einer Klinik, die sich seit Jahren intensiv und gewissenhaft mit der medikamentösen Behandlung seelisch Kranker befasst haben, in höchstem Masse. Er sagt nichts anderes aus, als dass die moderne, offene und freiheitlich geführte Psychiatrie eine reine Fassade sei ... Wir bedauern ausserordentlich, dass bestqualifizierte Mitarbeiter durch derartige Behauptungen beschuldigt und vorsätzlich in ein schlechtes Licht gestellt werden. Der Interpellant weiss ganz genau, dass auf diese Weise angeschuldigten Mitarbeitern keine Gelegenheit zu einer öffentlichen Stellungnahme geboten wird. Derartige Anklagen sind für alle Mitarbeiter ehrbeleidigend und wirken zudem schädigend auf das mit den Kranken einzugehende Vertrauensverhältnis ein. Wir weisen die unhaltbaren, offensichtlich auf Ressentiments beruhenden Vorwürfe energisch zurück." Zu Punkt 7 der Interpellation führte der Regierungsrat aus, es seien keinerlei gravierende Vorkommnisse abzuklären, weshalb es sich erübrige, eine Untersuchungskommission einzusetzen.
In der Sitzung des Grossen Rats vom 8. November 1973 hatte Alfred Lauper Gelegenheit, sich zur Antwort des Regierungsrats zu äussern. Der Ratspräsident kündigte ihm an, er werde die Aufhebung der parlamentarischen Immunität beantragen, falls er Anschuldigungen erheben sollte, die nach dem Rechtssinn des Volkes als üble Nachrede oder Verleumdung zu qualifizieren seien. Lauper erklärte sich von der Antwort der Regierung nicht befriedigt und behielt sich eine Strafklage gegen Angestellte der Klinik Friedmatt vor. Auf Grund seiner weiteren Äusserungen entzog ihm auf Antrag des Ratspräsidenten der Grosse Rat mit 89 gegen 4 Stimmen bei 21 Enthaltungen die parlamentarische Immunität mit Bezug auf die Äusserungen im Zusammenhang mit der Interpellation betreffend Psychiatrische Universitätsklinik.
B.-
Gegen diesen Beschluss des Grossen Rats vom 8. November 1973 hat Alfred Lauper gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag auf Aufhebung. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den folgenden Erwägungen.
C.-
Der Grosse Rat lässt Abweisung der Beschwerde beantragen.
BGE 100 Ia 1 S. 3
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
ist gemäss
Art. 87 OG
erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Der Beschluss des Grossen Rats kann mit keinem kantonalen Rechtsmittel angefochten werden. Er ist letztinstanzlich. Es handelt sich um einen Endentscheid. Es ist zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass sich Lauper noch in einem allfälligen künftigen Strafverfahren darauf berufen könnte, wegen der parlamentarischen Immunität dürfe er strafrechtlich nicht verfolgt werden (vgl.
BGE 53 I 79
/80). Ob ein solcher Einwand im Strafprozess zu hören wäre, kann dahingestellt bleiben. Das Verfahren vor dem Grossen Rat über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität ist ein in sich geschlossenes, selbständiges Verfahren, nicht bloss ein Vorstadium eines Strafverfahrens. Das Verfahren vor dem Grossen Rat und der Strafprozess sind ihrem Gegenstand nach derart verschieden, dass es nicht angeht, sie als eine Einheit zu betrachten, innerhalb welcher der Entscheid des Grossen Rats über die Aufhebung der Immunität einen blossen Zwischenentscheid bilden würde (
BGE 94 I 369
/70). Der angefochtene Beschluss ist demnach letztinstanzlicher Endentscheid, und Lauper ist nach
Art. 88 OG
legitimiert, ihn anzufechten, da damit die Möglichkeit geschaffen wird, gegen ihn ein Strafverfahren durchzuführen, wodurch er in rechtlich geschützten Interessen betroffen wird. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
2.
Die parlamentarische Immunität, welche die meisten schweizerischen Kantone kennen, kann bedeuten, dass ein Parlamentarier für seine Äusserungen strafrechtlich, zivilrechtlich oder disziplinarisch nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Lauper beschwert sich nur darüber, dass durch den Beschluss des Grossen Rats die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung eröffnet wurde. Nach
Art. 366 Abs. 2 lit. a StGB
bleiben die Kantone berechtigt, Bestimmungen zu erlassen, wonach die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder ihrer gesetzgebenden Behörden wegen Äusserungen in den Verhandlungen dieser Behörden aufgehoben oder beschränkt wird. Die Kantone haben von dieser Befugnis in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Zum Teil ist die parlamentarische
BGE 100 Ia 1 S. 4
Immunität in der Kantonsverfassung verankert, zum Teil in blossen Gesetzen (z.B. Gesetz über die Verantwortlichkeit der Behörden und Beamten, Strafprozessordnung, Geschäftsordnung des kantonalen Parlaments). Auch der Umfang der Immunität ist in den Kantonen verschieden (vgl. GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 318 ff.; REGULA BAUR, Die parlamentarische Immunität in Bund und Kantonen der schweizerischen Eidgenossenschaft, Diss. Zürich 1963, S. XII ff., S. 35 ff.). Nach einzelnen Vorschriften können die Mitglieder der gesetzgebenden Behörde für ihre Äusserungen im Parlament strafrechtlich überhaupt nicht verantwortlich gemacht werden (absolute und unbedingte Immunität). Nach andern Regeln kann das Parlament im Einzelfall durch Beschluss die Immunität eines Mitglieds aufheben (bedingte Immunität). Vereinzelt sind Ehrverletzungen von der Immunität ausgenommen (relative Immunität). Die Immunität ist ein Institut des Staatsrechts, das eine möglichst ungehinderte Ausübung der parlamentarischen Tätigkeit gewährleisten soll (GIACOMETTI, a.a.O. S. 318). Bestimmt das kantonale Recht, dass ein Mitglied des Parlaments für seine Änsserungen in den Ratsverhandlungen strafrechtlich überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, wird damit nach herrschender Lehre ein persönlicher Strafausschliessungsgrund geschaffen. Das Ratsmitglied bleibt seiner besondern Stellung wegen straflos, auch wenn seine Tat die Merkmale eines Delikts aufweist. Ist die Immunität dagegen in dem Sinn eine bedingte, dass sie das Parlament im Einzelfall aufheben und damit die Ermächtigung zur Strafverfolgung geben kann, so ist die Tat des Abgeordneten nicht straflos. Wird die Immunität nicht aufgehoben, liegt nur eine prozessuale Schranke für die Strafverfolgung vor, es fehlt an einer Prozessvoraussetzung (HAFTER, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil 2.A. S. 191 ff.; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2.A. S. 111 und 231; SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, S. 92). Im Kanton Basel-Stadt ist die parlamentarische Immunität im Gesetz betreffend die Geschäftsordnung des Grossen Rats vom 28. April 1938 (GGR) verankert. Der § 10, der sich darauf bezieht, wurde durch Gesetz vom 28. März 1968 revidiert und hat nun folgenden Wortlaut:
"Verantwortlichkeit für Äusserungen. Die Mitglieder des Grossen Rates und des Regierungsrates sind für ihre mündlichen und schriftlichen
BGE 100 Ia 1 S. 5
Äusserungen bei den Beratungen sowohl im Ratsplenum als auch in den Ratskommissionen nur dem Grossen Rat verantwortlich."
Die Wendung, die Parlamentarier seien "nur dem Grossen Rat verantwortlich" findet sich in gleicher oder ähnlicher Form in Erlassen anderer Kantone (Bern, Art. 30 Abs. 3 KV; Luzern, § 58 Abs. 1 Geschäftsordnung für den Grossen Rat; Uri, § 45 Reglement für den Landrat; Nidwalden, § 6 Landratsverordnung; St. Gallen, Art. 56 Abs. 2 KV; Aargau, § 5 Grossratsreglement; Wallis, Art. 48 Abs. 2 KV; Neuenburg, Art. 28 KV). Welche praktischen Auswirkungen die Verantwortlichkeit dem Grossen Rat gegenüber hat, braucht nicht näher geprüft zu werden; offenbar ist an Ordnungsruf und Ausweisung aus dem Sitzungssaal zu denken (§ 20 GGR).
Für den Entscheid über die staatsrechtliche Beschwerde ist wesentlich, welche Tragweite § 10 für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder des Grossen Rats hat. Bestünde die Vorschrift für sich allein, so würde sie bedeuten, dass die Ratsmitglieder strafrechtlich überhaupt nicht verantwortlich gemacht werden können. Wenn sie nur dem Grossen Rat gegenüber verantwortlich sind, ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausgeschlossen.
3.
a) Der § 10 findet sich in Abschnitt I des GGR. § 16 des Gesetzes lautet:
"Abweichungen von der Geschäftsordnung. Abweichungen von dieser Geschäftsordnung mit Ausnahme der in der Verfassung und der in Abschnitt VI und VII enthaltenen Vorschriften können vom Grossen Rate für einzelne Fälle mit zwei Dritteln der Stimmen beschlossen werden."
Der Grosse Rat stützte sich auf diese Vorschrift. Er beschloss mit der erforderlichen Zweidrittelsmehrheit, von § 10 des Gesetzes abzuweichen und dem Beschwerdeführer die parlamentarische Immunität zu entziehen. Die Regel des § 16 GGR mag etwas ungewöhnlich scheinen. Sie gibt dem Grossen Rat die Kompetenz, im Einzelfall von einer ganzen Reihe von Bestimmungen eines Gesetzes abzuweichen, das dem Referendum unterstand. Auf die damit zusammenhängenden Fragen braucht indes nicht eingegangen zu werden, da der Beschwerdeführer nach dieser Richtung hin keine Rüge erhebt. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob dem Grossen Rat mit § 16 GGR gesetzgeberische Befugnisse delegiert werden und wieweit das bejahendenfalls
BGE 100 Ia 1 S. 6
zulässig wäre (vgl.
BGE 99 Ia 541
E. 4
;
74 I 114
, 88 I 154).
b) Es ist einzig zu prüfen, ob der Grosse Rat das GGR willkürlich angewendet hat. Das trifft nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu, wenn der angefochtene Beschluss eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (
BGE 97 I 24
, 352 mit Hinweis auf frühere Urteile). Es lässt sich mit sachlichen Gründen die Ansicht vertreten, § 16 GGR ermächtige den Grossen Rat, im Einzelfall von der Vorschrift des § 10 abzuweichen, denn die letztgenannte Regel gehört zu jenen Normen des Gesetzes, von denen der Grosse Rat nach dem klaren Wortlaut des § 16 abweichen darf. Dass der Wortlaut nicht dem Sinn entspreche. behauptet der Beschwerdeführer nicht.
Wird der § 10 GGR nicht nur für sich allein, sondern im Zusammenhang mit § 16 betrachtet, so lässt sich ohne Willkür die Ansicht vertreten, nach baselstädtischem Recht sei die parlamentarische Immunität nur eine bedingte. In den Kantonen welche die bedingte Immunität kennen, besteht regelmässig eine - unterschiedlich formulierte - Vorschrift, wonach Mitglieder des Grossen Rats nur mit Ermächtigung des Rats strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Es lässt sich füglich erwägen, es komme praktisch auf das Gleiche hinaus, wenn das GGR in § 10 bestimmt, die Mitglieder des Grossen Rats könnten strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, und in § 16 den Grossen Rat ermächtigt, von § 10 abzuweichen und damit die Immunität aufzuheben. Die in § 10 statuierte Immunität besteht, wie mit Grund angenommen werden kann, nur unter der Bedingung, dass sie der Grosse Rat nicht gemäss § 16 aufhebt. Diese Auslegung des Gesetzes, die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegt, hält vor
Art. 4 BV
stand.
Der Beschwerdeführer bringt als einzige Verfassungsrüge vor, als er sich schriftlich und mündlich über die Zustände in der Klinik Friedmatt geäussert habe, seien seine Handlungen gar nicht strafbar gewesen, da für ihn damals das Immunitätsprivileg des § 10 GGR bestanden habe. Es sei willkürlich, durch einen Verwaltungsakt die Strafbarkeit rückwirkend herbeizuführen. Lauper geht dabei davon aus, das baselstädtische Recht gewährleiste die unbedingte Immunität, weshalb seine Äusserungen
BGE 100 Ia 1 S. 7
im Zeitpunkt der Tat straflos gewesen seien und es nicht bloss an einer Prozessvoraussetzung für das Strafverfahren gefehlt habe. Bei dieser Argumentation wird der § 10 GGR für sich allein betrachtet und § 16 ausser acht gelassen. Wie ausgeführt, lässt sich aber ohne Verstoss gegen
Art. 4 BV
die Ansicht vertreten, im Kanton Basel-Stadt sei die parlamentarische Immunität auf Grund der §§ 10 und 16 GGR nur eine bedingte, so dass die Tat vor der Aufhebung der Immunität durch den Grossen Rat nicht straflos ist, sondern einstweilen nur eine Prozessvoraussetzung fehlt. Ist diese Auffassung vor
Art. 4 BV
haltbar, so ist der Rüge des Beschwerdeführers der Boden entzogen. Wenn die Immunität nach baselstädtischem Recht nur eine bedingte ist, so sind die unter die Immunität fallenden Äusserungen nicht straflos, vielmehr fehlt es bis zur Aufhebung der Immunität bloss an einer Prozessvoraussetzung. Die Auslegung des Gesetzes, wie sie der Beschwerdeführer für richtig hält, wäre übrigens nicht sinnvoll. Nach seiner Argumentation wäre es wirkunslos, wenn der Grosse Rat die Immunität eines Ratsmitglieds aufheben würde, nachdem es sich geäussert hat. Die Immunität könnte nur für künftige Äusserungen wirksam aufgehoben werden. Das stünde mit der schweizerischen Rechtsauffassung, wie sie in verschiedenen kantonalen Erlassen zum Ausdruck kommt, nicht im Einklang und hätte kaum einen vernünftigen Sinn. Wenn dem Parlament die Möglichkeit zusteht, die Immunität aufzuheben, so kann es vernünftigerweise erst darüber entscheiden, ob sich die Aufhebung rechtfertigt, wenn es die Äusserungen bereits kennt, die Anlass zu strafrechtlicher Verfolgung geben könnten. Sozusagen ins Blaue hinaus die Immunität aufzuheben, bevor der Rat weiss, was ein Abgeordneter sagen wird, wäre sachlich nicht zu begründen. Dass in seinem Fall der Sache nach kein triftiger Grund bestanden hätte, um von der Regel des § 10 abzuweichen, behauptet der Beschwerdeführer nicht (vgl. dazu IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 3. A. Band I Nr 222).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b5cdbdc7-a9c6-434a-bf0b-0ed1c17f2609 | Urteilskopf
120 IV 136
23. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 10 mai 1994 en la cause S. c. Procureur général du canton du Jura (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 286 StGB
; Hinderung einer Amtshandlung.
Die Hinderung einer Amtshandlung ist ein Erfolgsdelikt und setzt voraus, dass der Täter ohne Gewaltanwendung oder Drohung einer Behörde oder einem Beamten die Vornahme einer Amtshandlung erschwert (E. 2a).
Mittäterschaft.
Wer die Tat eines andern bloss will, sie billigt, ist nicht Mittäter; zusätzlich muss er bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung des Delikts tatsächlich mitwirken (E. 2b).
Unterlassung.
Durch Unterlassen kann ein Erfolgsdelikt nur begangen werden, wenn der Täter schuldhaft eine Handlung unterlässt, zu der er rechtlich verpflichtet ist; es gibt keine allgemeine Pflicht, jemanden am Delinquieren zu hindern (E. 2b).
Art. 63 StGB
; Strafzumessung; Begründungspflicht; übermässig harte Strafe.
Die Urteilsbegründung muss die ausgefällte Strafe rechtfertigen. Wenn bei der Lektüre des angefochtenen Entscheids die Strafe übertrieben hart erscheint, ist entweder die Begründung mangelhaft oder die Strafe übermässig hart, welche Frage der Kassationshof nicht notwendigerweise entscheiden muss (E. 3a).
Der Richter hat der Wertskala der geschützten Rechtsgüter Rechnung zu tragen. Einen grossen Unterschied in der Strafhöhe zweier Mittäter, denen im wesentlichen die gleichen Delikte vorgeworfen werden, muss er begründen (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 137
BGE 120 IV 136 S. 137
A.-
Par jugement du 30 novembre 1992, la Cour criminelle du Tribunal cantonal jurassien a reconnu S. coupable de brigandages en bande, de vol par métier et en bande, de tentative de vol par métier et en bande, de
BGE 120 IV 136 S. 138
dommages à la propriété, de violation de domicile, de vols d'usage de véhicules automobiles et d'opposition aux actes de l'autorité. Elle l'a condamné à la peine de douze ans de réclusion, ordonnant par ailleurs diverses confiscations et statuant sur les frais.
Se fondant sur les aveux du coaccusé, R., corroborés par divers indices, elle a retenu pour l'essentiel que les deux comparses avaient commis trois hold-up au préjudice d'établissements bancaires, soit le 30 janvier 1989 à l'encontre de la Caisse Raiffeisen à Boécourt, le 7 février 1989 à l'encontre de la Banque de l'Etat de Fribourg à Chiètres et le 6 juin 1989 à l'encontre de la Banque cantonale de Lucerne à Reiden. Dans chaque cas, l'opération avait été minutieusement préparée; R. a pénétré dans les lieux et a fait usage de la menace au moyen de son pistolet chargé, désassuré, mais dont le chien était relâché, tandis que S. l'attendait à l'extérieur dans une voiture. Le butin, dépassant largement un million de francs suisses, a été par la suite en grande partie récupéré. Par ailleurs, il a été retenu que les deux comparses avaient commis une longue série de cambriolages, s'emparant notamment de plusieurs voitures de valeur.
B.-
S'agissant plus précisément de la condamnation pour opposition aux actes de l'autorité, il fut retenu que, le 19 janvier 1989 à 8h.30, alors que la police cantonale neuchâteloise avait mis en place un barrage sommaire à Rochefort dans le but d'intercepter une voiture volée, R. qui se trouvait au volant de cette voiture, accompagné de S., a forcé le passage en roulant en direction d'un agent de la police cantonale qui, en sautant de côté, a pu éviter de justesse de se faire happer par le véhicule; malgré sommations et coups de feu, la voiture a continué sa route. Pour ces faits, R., qui conduisait la voiture, a été reconnu coupable d'opposition aux actes de l'autorité et de mise en danger de la vie d'autrui, tandis que S., qui était passager, a été libéré de cette dernière prévention, mais reconnu coupable d'opposition aux actes de l'autorité au sens de l'
art. 286 CP
.
C.-
En ce qui concerne la fixation de la peine, la Cour criminelle a relevé que S. avait un casier judiciaire chargé, qu'il avait choisi de mener sa vie dans la délinquance et qu'il était un récidiviste au sens de l'
art. 67 CP
; elle a tenu compte du concours d'infractions (
art. 68 CP
), observant qu'il avait préparé minutieusement ses forfaits, qu'il était le cerveau de l'affaire et qu'il devait être tenu pour un individu dangereux et sans scrupules.
D.-
S. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral contre cette décision. Soutenant que les faits retenus, en ce qui concerne les événements qui se sont produits à Rochefort le 19 janvier 1989, ne
BGE 120 IV 136 S. 139
permettaient pas de le reconnaître coupable d'opposition aux actes de l'autorité (
art. 286 CP
) et que la peine infligée est insuffisamment motivée et exagérément sévère, il conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée dans la mesure où elle le reconnaît coupable d'opposition aux actes de l'autorité et le condamne à une peine de douze ans de réclusion; il sollicite par ailleurs l'assistance judiciaire.
Dans ses observations, la cour cantonale conclut au rejet du pourvoi. Invité à se déterminer, le Ministère public n'a pas déposé d'observations.
S. a déposé parallèlement un pourvoi en nullité cantonal, portant exclusivement sur des questions de procédure au sens large, qui a été rejeté par arrêt rendu le 21 février 1994 par la Cour de cassation extraordinaire du canton du Jura.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Le recourant soutient que les faits retenus à son encontre ne réalisent pas les conditions d'une opposition aux actes de l'autorité au sens de l'
art. 286 CP
.
Selon cette disposition, "celui qui aura empêché une autorité, un membre d'une autorité ou un fonctionnaire de faire un acte entrant dans ses fonctions sera puni de l'emprisonnement pour un mois au plus ou de l'amende".
Il s'agit d'une infraction de résultat (TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, art. 286 no 1). Il n'est pas nécessaire que l'auteur empêche l'accomplissement de l'acte officiel, il suffit qu'il le rende plus difficile, l'entrave ou le diffère (
ATF 103 IV 186
consid. 4,
ATF 90 IV 137
ss,
ATF 85 IV 142
consid. 2,
ATF 74 IV 57
consid. 4,
ATF 71 IV 101
ss; HAUSER/REHBERG, Strafrecht IV p. 265; STRATENWERTH, Bes. Teil II p. 282 no 9). L'infraction se distingue de celle prévue par l'
art. 285 CP
en ce que l'auteur ne recourt ni à la violence, ni à la menace; elle se distingue également de celle prévue par l'
art. 292 CP
, parce qu'une simple désobéissance ne suffit pas; pour qu'il y ait opposition aux actes de l'autorité au sens de l'
art. 286 CP
, il faut que l'auteur, par son comportement, entrave l'autorité ou le fonctionnaire dans l'accomplissement d'un acte officiel; il ne suffirait pas qu'il se borne à ne pas obtempérer à un ordre qui lui est donné, par exemple de souffler dans l'éthylomètre, de parler moins fort ou de ne pas conduire (
ATF 110 IV 92
consid. b,
ATF 81 IV 163
consid. 2,
ATF 69 IV 1
consid. 2; TRECHSEL, op.cit., art. 286 note 3; HAUSER/REHBERG, op.cit., p. 265; STRATENWERTH, op.cit.,
BGE 120 IV 136 S. 140
p. 282 no 9). Exprimer son désaccord à l'endroit d'un acte entrepris par un fonctionnaire, mais sans l'entraver, ne suffit pas (
ATF 105 IV 48
consid. 3). L'
art. 286 CP
n'est pas applicable si l'acte officiel n'est pas entravé, mais que l'auteur empêche qu'il atteigne le résultat escompté, par exemple en prévenant les automobilistes d'un contrôle radar (
ATF 104 IV 288
consid. 3b,
ATF 103 IV 186
consid. 4 et 5).
L'
art. 286 CP
vise une résistance sans violence ni menace, qui implique cependant une certaine activité (HAUSER/REHBERG, op.cit., p. 264). Il a été jugé que le fait de prendre la fuite, par exemple pour empêcher un fonctionnaire compétent de fouiller un coffre, constituait un comportement actif réalisant l'infraction (
ATF 103 IV 247
consid. 6b,
ATF 85 IV 142
consid. 2; TRECHSEL, op.cit., art. 286 no 6; STRATENWERTH, op.cit., p. 282 no 9).
La jurisprudence a laissé ouverte la question de savoir si l'infraction pourrait être réalisée par un comportement purement passif, c'est-à-dire une abstention (
ATF 103 IV 247
consid. 6b); dans un arrêt plus récent, elle ne l'a pas exclu (
ATF 107 IV 113
consid. 4d). La doctrine estime qu'une omission ne pourrait suffire que si l'auteur était juridiquement obligé, indépendamment de l'acte officiel, d'écarter une entrave qu'il a créée et qu'il s'abstient de le faire (STRATENWERTH, op.cit., p. 283 no 10); la répression d'une simple omission implique une position de garant fondant un devoir juridique d'agir (TRECHSEL, op.cit., art. 286 no 4 et les références). Selon la jurisprudence, imposer sa présence dans une salle à l'effet d'empêcher une autorité d'y tenir séance constitue une opposition aux actes de l'autorité (
ATF 107 IV 113
consid. 4).
Dans l'
ATF 85 IV 142
consid. 2, il a été affirmé que l'interdiction de réprimer les actes d'autofavorisation ne s'appliquait qu'à l'hypothèse de l'
art. 305 CP
, et non pas à celle de l'
art. 286 CP
; cette opinion est critiquée par la doctrine (STRATENWERTH, op.cit., p. 283 no 12; TRECHSEL, op.cit., art. 286 no 6 et les références citées).
Il a été jugé que celui qui, pour empêcher l'arrestation de sa femme, ne dit pas où elle se trouve et prend la fuite ne commet pas l'infraction prévue par l'
art. 286 CP
parce qu'il n'a pas l'obligation juridique de collaborer à l'arrestation de son épouse (
ATF 103 IV 247
consid. 6c).
b) En l'espèce, la cour cantonale a constaté - ce qui lie la Cour de cassation (
art. 277bis PPF
) - que le recourant était passager de la voiture lorsque le conducteur a décidé de forcer le passage, empêchant les policiers de procéder au contrôle qu'ils étaient en droit d'opérer. La cour
BGE 120 IV 136 S. 141
cantonale n'a pas établi que le recourant aurait poussé le conducteur à agir ainsi ou qu'il l'aurait, par des actes ou des paroles, favorisé dans son action. Il est donc reproché au recourant un comportement purement passif, en tant que passager d'un véhicule qu'il ne pilotait pas.
La première question que l'on peut se poser, dans ce contexte, est de savoir si le recourant ne devrait pas être considéré comme coauteur de l'infraction commise par le conducteur. Le coauteur est celui qui collabore intentionnellement et de manière déterminante avec d'autres personnes dans la décision de commettre une infraction, dans son organisation ou son exécution, au point d'apparaître comme l'un des participants principaux (
ATF 118 IV 397
consid. 2b, 227 consid. 5c/aa,
ATF 115 IV 161
consid. 2 et les arrêts cités). Cependant, la seule volonté ne suffit pas pour admettre la coactivité, il faut encore que le coauteur participe effectivement à la prise de la décision, à l'organisation ou à la réalisation de l'infraction; la jurisprudence la plus récente, se référant à la doctrine, exige même que le coauteur ait une certaine maîtrise des opérations et que son rôle soit plus ou moins indispensable (ATF
ATF 118 IV 397
consid. 2b, 227 consid. 5c/aa et les références citées). Or, en l'espèce, il ne ressort nullement de l'état de fait retenu que le recourant aurait, par des actes ou des paroles, participé à la prise de décision ou à la réalisation de l'acte lui-même. Ainsi, la coactivité est d'emblée exclue et il importe peu que le recourant ait ou non, en son for intérieur, approuvé le comportement du conducteur, puisque la coactivité ne peut pas être fondée sur la seule volonté, en l'absence de toute participation à la prise de décision, à l'organisation ou à l'exécution de l'infraction.
Comme il n'est pas retenu non plus que le recourant aurait poussé le conducteur à agir ainsi, qu'il l'aurait encouragé ou favorisé d'une quelconque manière dans son action, l'instigation (
art. 24 CP
) ou la complicité (
art. 25 CP
) sont également exclues. D'ailleurs, la cour cantonale ne paraît pas avoir admis que le recourant était un participant principal ou accessoire à l'infraction commise par le conducteur.
Dès lors qu'il est exclu de retenir que le recourant a participé à l'infraction commise par le conducteur, on ne voit pas comment il aurait lui-même commis une opposition aux actes de l'autorité au sens de l'
art. 286 CP
. En effet, en tant que passager de la voiture, il n'avait aucune maîtrise des événements et ce n'est pas son comportement personnel qui a empêché ou entravé le contrôle de police. Il importe peu qu'il ait eu ou non l'obligation juridique de s'y soumettre ou qu'il s'agisse ou non d'un
BGE 120 IV 136 S. 142
acte d'autofavorisation non punissable; en effet, dès lors qu'il n'était que passager, le recourant n'avait aucune maîtrise des événements et ce n'est pas lui qui a empêché le contrôle de police.
Le seul reproche qui pourrait lui être adressé est de ne pas avoir empêché le conducteur de commettre l'infraction. Il s'agirait alors de réprimer une omission. Or, une infraction de résultat ne peut être réalisée par omission que lorsque l'auteur omet par sa faute l'accomplissement d'un acte qu'il était juridiquement tenu d'accomplir (
ATF 117 IV 130
consid. 2a; cf. pour le cas voisin de l'
art. 305 CP
:
ATF 117 IV 467
consid. 3). Or, il n'existe aucun devoir général obligeant les citoyens à dénoncer une infraction ou un fugitif, à renseigner la police ou à collaborer à une arrestation (
ATF 117 IV 467
consid. 3,
ATF 103 IV 247
consid. 6c). Faute d'un devoir juridique d'agir, le comportement du passager d'une voiture qui n'empêche pas la commission d'une infraction par le conducteur ne constitue pas une omission punissable. Au demeurant, encore faudrait-il qu'en cas d'accomplissement de l'acte omis il eût été hautement vraisemblable que le résultat ne se serait pas produit (
ATF 118 IV 130
consid. 6a,
ATF 115 IV 189
consid. 2) et on ne voit pas ce qu'aurait pu faire le recourant pour empêcher la réalisation du résultat.
Ainsi, le comportement du recourant, tel qu'il a été retenu par la cour cantonale, ne réalise pas l'infraction prévue par l'
art. 286 CP
, de sorte que la condamnation prononcée de ce chef viole le droit fédéral. Le jugement attaqué doit donc être annulé sur ce point, mais les autres points du verdict, qui n'ont pas été remis en cause dans le pourvoi en nullité, restent acquis.
3.
a) L'une des infractions retenues devant être écartée, cela suffit pour annuler également la décision sur la peine; la question de la peine devra en effet faire l'objet d'une nouvelle décision de l'autorité cantonale, à laquelle il appartiendra d'exercer à nouveau son pouvoir d'appréciation en fonction du verdict modifié. Il faut cependant observer que l'infraction prévue par l'
art. 286 CP
n'est passible que d'un mois d'emprisonnement au maximum, de sorte que la modification du verdict ne peut logiquement avoir qu'une influence minime sur la quotité de la peine. Il se justifie donc, notamment pour des motifs d'économie de procédure, d'examiner brièvement les griefs du recourant concernant la peine (
ATF 119 IV 28
consid. 1,
ATF 117 IV 401
consid. 2), sans toutefois trancher définitivement la question, dès lors que la cour cantonale est libre d'adopter une nouvelle motivation et de revoir dans son ensemble la peine infligée.
BGE 120 IV 136 S. 143
Le recourant soutient que la peine est insuffisamment motivée et qu'elle est exagérément sévère. Les deux griefs sont étroitement liés. En effet, la motivation doit justifier la peine prononcée. Si, à la lecture de l'arrêt, la peine apparaît excessive, il faut en déduire soit que la cour cantonale n'a pas présenté l'argumentation qui puisse expliquer cette sévérité, soit que la peine est exagérée pour le cas d'espèce. Il n'appartient généralement pas à la Cour de cassation de trancher entre ces alternatives, puisqu'elle doit se borner à examiner la compatibilité de la décision attaquée avec le droit fédéral, sans avoir à rechercher elle-même dans le dossier si d'autres éléments auraient pu être invoqués pour justifier la décision rendue.
En ce qui concerne plus précisément la motivation de la peine, nécessaire pour contrôler de quelle manière le droit fédéral a été appliqué (
art. 277 PPF
; RS 312.0), il faut rappeler que l'autorité n'est pas obligée de prendre position sur les moindres détails qui ont été plaidés et qu'elle peut passer sous silence les faits qui, sans arbitraire, lui paraissent à l'évidence non établis ou sans pertinence (
ATF 112 Ia 107
consid. 2b et la jurisprudence citée); le juge n'est nullement tenu d'exprimer en chiffres ou en pourcentages l'importance qu'il accorde à chacun des éléments qu'il cite; un pourvoi ne saurait d'ailleurs être admis simplement pour améliorer ou compléter un considérant lorsque la décision rendue apparaît conforme au droit (
ATF 118 IV 14
consid. 2 et la jurisprudence citée). Le juge doit cependant exposer, dans sa décision, les éléments essentiels relatifs à l'acte ou à l'auteur qu'il prend en compte, de manière à ce que l'on puisse constater que tous les aspects pertinents ont été pris en considération et comment ils ont été appréciés, que ce soit dans un sens aggravant ou atténuant; la motivation doit justifier la peine prononcée, en permettant de suivre le raisonnement adopté, à savoir les éléments pris en compte et l'importance qui leur est accordée; plus la peine est élevée, plus la motivation doit être complète; cela vaut surtout lorsque la peine, dans le cadre légal, apparaît comparativement très élevée (cf.
ATF 118 IV 14
consid. 2, 119 consid. 2b et la jurisprudence citée).
Pour ce qui est de la fixation de la peine proprement dite, l'
art. 63 CP
, tout en exigeant que la peine soit fondée sur la faute, n'énonce pas de manière détaillée et exhaustive les éléments qui doivent être pris en considération, ni les conséquences exactes qu'il faut en tirer quant à la fixation de la peine; cette disposition confère donc au juge un large pouvoir d'appréciation; même s'il est vrai que la cour de cassation examine librement s'il y a eu violation du droit fédéral, elle ne peut admettre un
BGE 120 IV 136 S. 144
pourvoi en nullité portant sur la quotité de la peine, compte tenu du pouvoir d'appréciation reconnu en cette matière à l'autorité cantonale, que si la sanction a été fixée en dehors du cadre légal, si elle est fondée sur des critères étrangers à l'
art. 63 CP
, si les éléments d'appréciation prévus par cette disposition n'ont pas été pris en compte ou enfin si la peine apparaît exagérément sévère ou clémente au point que l'on doive parler d'un abus du pouvoir d'appréciation (
ATF 118 IV 14
consid. 2, 21 consid. 2a et les arrêts cités). Les éléments pertinents pour la fixation de la peine ont été exposés de manière détaillée dans les
ATF 117 IV 112
consid. 1 et
ATF 116 IV 288
consid. 2a, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'y revenir. Dans le contexte de la fixation de la peine, le recourant peut également faire valoir une inégalité de traitement (
ATF 116 IV 292
consid. 2; cf. également:
ATF 117 IV 112
consid. 2b/cc, 401 consid. 4b). Compte tenu toutefois des nombreux paramètres qui interviennent dans la fixation de la peine, une comparaison avec des affaires concernant d'autres accusés et des faits différents est d'emblée délicate (
ATF 116 IV 292
); il ne suffirait d'ailleurs pas que le recourant puisse citer un ou deux cas où une peine particulièrement clémente a été fixée pour prétendre à un droit à l'égalité de traitement (cf.
ATF 114 Ib 238
consid. 4c,
ATF 113 Ib 307
consid. 3,
ATF 112 Ib 381
consid. 6 et les références).
b) Dans une affaire concernant trois viols, le Tribunal fédéral n'a pas admis une peine de quinze ans de réclusion, considérant qu'elle correspondait à ce que l'on rencontre ordinairement en cas de meurtre ou d'assassinat et qu'elle devait être qualifiée d'extrêmement sévère, de sorte que seules des circonstances extraordinaires pouvaient la justifier (
ATF 117 IV 401
consid. 4).
Cette jurisprudence est transposable, mutatis mutandis, au cas d'une peine de douze ans de réclusion pour des infractions contre le patrimoine. Certes, la peine encourue selon la loi n'exclut pas le prononcé d'une peine supérieure, mais il appartient au juge de tenir compte, dans le cadre de l'
art. 63 CP
, de l'ensemble des circonstances et notamment de la hiérarchie des intérêts juridiquement protégés. Une peine de douze ans de réclusion correspond à ce que l'on rencontre habituellement pour des homicides intentionnels, éventuellement de graves trafics de stupéfiants mettant en danger la santé de nombreuses personnes ou des viols répétés. Il apparaît d'emblée en l'espèce que le recourant n'a ni tué, ni blessé, ni violé, ni mis des personnes en danger de mort imminent. Il n'est pas rare de se trouver en présence d'un voleur par métier, au passé judiciaire chargé, qui
BGE 120 IV 136 S. 145
se voit reprocher une longue série de cambriolages; trois hold-up pour un butin supérieur à un million de francs ne constituent pas un cas extraordinaire dans les annales judiciaires suisses; or, des affaires de ce genre donnent lieu généralement à des peines ne dépassant pas dix ans de réclusion. Pour prononcer une peine sortant ainsi de l'ordinaire, la cour cantonale devait démontrer l'existence de circonstances exceptionnelles.
La motivation adoptée par la cour cantonale est succincte et tient, pour les circonstances concrètes, sur une demi-page environ. Il a été relevé que le recourant avait "choisi de mener sa vie dans la délinquance". Il ne semble pas que cette affirmation repose sur une déclaration de l'intéressé, mais bien plutôt sur un examen de son casier judiciaire, qui n'est d'ailleurs jamais exposé de manière précise dans l'arrêt; on ne peut cependant pas imaginer que des antécédents puissent conduire à une augmentation si massive de la peine, parce que cela reviendrait à condamner une deuxième fois pour des actes déjà jugés. La cour cantonale relève aussi qu'il est "le cerveau de l'affaire". Cette affirmation ne repose cependant pas sur les faits constatés, qui lient la cour de cassation (
art. 277bis PPF
), puisqu'il lui est attribué un rôle plutôt effacé de chauffeur, sans expliquer en quoi il serait le moteur de l'ensemble des actes, son comparse semblant au contraire avoir fait preuve de beaucoup de détermination.
Surtout, l'arrêt attaqué ne permet pas de comprendre l'écart important entre la peine infligée au recourant et celle infligée à son comparse, fixée à neuf ans de réclusion. En effet, le comparse a été reconnu coupable, outre les infractions reprochées au recourant, d'autres infractions, dont la mise en danger de la vie d'autrui commise à Rochefort; par ailleurs, lors des brigandages, c'est le comparse qui n'a pas hésité à menacer les victimes à l'aide d'une arme chargée. On aurait donc pu s'attendre à ce qu'il soit condamné à une peine plus sévère que le recourant. Certes, le fait qu'il a passé aux aveux et que ses antécédents sont moins chargés pouvait, dans l'appréciation, compenser ces éléments. On ne saisit cependant pas comment l'écart a pu être inversé à ce point en défaveur du recourant. La cour cantonale évoque certes le fait qu'il était "le cerveau", mais sans fournir beaucoup d'explications à ce sujet; si l'on songe à la détermination qu'implique les actes accomplis par le comparse seul dans les établissements bancaires, on conçoit mal qu'il n'ait été qu'un jouet dans les mains du recourant; l'importance de la peine qui lui a été infligée confirme la gravité de sa faute, qui ne s'accommode pas de l'idée d'un être manipulé.
BGE 120 IV 136 S. 146
En conséquence, la motivation adoptée par la cour cantonale ne suffit pas pour justifier la peine particulièrement lourde prononcée à l'encontre du recourant; il est d'ailleurs probable que cela ne tienne pas à la motivation choisie, mais bien au fait que la peine est exagérément sévère.
Le pourvoi doit dès lors être admis et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour nouvelle décision. | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5cf5d9f-453f-408b-8227-56bb1945bd8c | Urteilskopf
112 V 74
13. Urteil vom 21. Februar 1986 i.S. Merian-Iselin-Spital gegen Perrin und Krankenkassen-Schiedsgericht des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 55 VwVG
.
Zeitliche Auswirkungen des Suspensiveffekts einer Beschwerde, wenn diese abgewiesen wird. | Sachverhalt
ab Seite 74
BGE 112 V 74 S. 74
A.-
Im Kanton Basel-Stadt bestand zwischen den Basler Privatspitälern, zu denen auch das Merian-Iselin-Spital gehört, und den Basler Krankenkassen hinsichtlich des Tarifs für ambulante Behandlung ein vertragsloser Zustand. In Anwendung von
Art. 22quater Abs. 3 KUVG
setzte daher der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt mit Beschluss vom 12. Mai 1981 diesen Tarif in der Weise fest, dass vom 1. Juli 1981 hinweg auf den allgemeinen Basler Spitaltarifen eine Reduktion von 20% vorzunehmen sei.
Gegen diesen Beschluss liessen das Merian-Iselin-Spital, die Basler Privatspitäler-Vereinigung und weitere drei Institutionen gestützt auf
Art. 22quinquies KUVG
am 22. Juni 1981 beim Bundesrat Verwaltungsbeschwerde führen, der das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am 17. März 1982 die aufschiebende Wirkung entzog. Mit Entscheid vom 12. Januar 1983 trat der Bundesrat auf die Verwaltungsbeschwerde nicht ein (VPB 1982 Nr. 72 S. 465).
B.-
Am 3. Februar 1982 wurde die bei der Schweizerischen Krankenkasse Helvetia versicherte Johanna Perrin im Merian-Iselin-Spital ambulant untersucht, wofür ihr das Spital am 2. März 1982 in der Höhe von Fr. 306.-- Rechnung stellte, ohne die 20%ige Reduktion gemäss Regierungsratsbeschluss vorzunehmen. Die Versicherte beglich die Rechnung, erhielt aber von der
BGE 112 V 74 S. 75
Krankenkasse nur einen um den Selbstbehalt und um die 20% reduzierten Betrag (Fr. 221.80) rückvergütet.
C.-
Nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesrat verlangte Johanna Perrin vom Merian-Iselin-Spital die Rückerstattung von 20% des Rechnungsbetrages (Fr. 59.50). Nachdem hierüber keine Einigung erzielt werden konnte, erhob die Krankenkasse für Johanna Perrin gemäss
Art. 25 Abs. 3 KUVG
Klage beim Krankenkassen-Schiedsgericht des Kantons Basel-Stadt. Sie verlangte vom Merian-Iselin-Spital die Rückerstattung von Fr. 59.50 mit der Begründung, der Beschluss des Regierungsrates vom 12. Mai 1981 sei rückwirkend auf den 1. Juli 1981 in Kraft getreten; daran ändere nichts, dass die Verwaltungsbeschwerde vom 1. Juli 1981 bis 17. März 1982 aufschiebende Wirkung gehabt habe, denn durch den Entscheid des Bundesrates sei der Suspensiveffekt dahingefallen.
Das Schiedsgericht hiess die Klage mit Entscheid vom 27. März 1984 gut und verhielt das Merian-Iselin-Spital zur Bezahlung von Fr. 59.50 an die Versicherte.
D.-
Das Merian-Iselin-Spital lässt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung dieses Entscheides und die Abweisung der Klage beantragen.
Die Krankenkasse Helvetia trägt für Johanna Perrin auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Auch das Bundesamt für Sozialversicherung stellt den Antrag, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Verwaltungsbeschwerde, welche das Merian-Iselin-Spital beim Bundesrat einreichte, hatte gemäss Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 77 VwVG
aufschiebende Wirkung. Bis zum 17. März 1982, als das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in Anwendung von
Art. 55 Abs. 2 VwVG
der Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzog, war somit der angefochtene Regierungsratsbeschluss vom 12. Mai 1981, der am 1. Juli 1981 hätte "in Wirksamkeit" treten sollen, nicht vollstreckbar. In diese Zeit der fehlenden Vollstreckbarkeit fiel die ambulante Untersuchung der Beschwerdegegnerin im Merian-Iselin-Spital, weshalb dieses in seiner Rechnung vom 2. März 1982 die im Regierungsratsbeschluss vorgesehene 20%ige Reduktion zunächst zu Recht nicht vornahm.
BGE 112 V 74 S. 76
Es fragt sich aber, ob es dabei auch nach Erlass des bundesrätlichen Beschwerdeentscheides sein Bewenden oder ob dieser einen Einfluss auf die Geltung des Suspensiveffekts habe. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Bundesrat die Verwaltungsbeschwerde nicht materiell abwies, sondern auf Nichteintreten aus prozessualen Gründen erkannte; denn in beiden Fällen bewirkte der Entscheid, dass der Regierungsratsbeschluss in Rechtskraft trat.
2.
a) Die Frage, ob der angefochtene Regierungsratsbeschluss während der Dauer des Suspensiveffekts der gegen ihn erhobenen Verwaltungsbeschwerde auch dann nicht vollstreckt werden kann, wenn er im Beschwerdeverfahren bestätigt wird, oder ob der den Beschluss bestätigende Beschwerdeentscheid die rückwirkende Aufhebung des Suspensiveffekts bewirkt, lässt sich nicht einheitlich ein für allemal beantworten. Es kommt auf die Besonderheiten des Einzelfalles und auf die jeweilige Interessenlage an (
BGE 106 Ia 159
Erw. 5).
b) Es gibt Fälle, in denen es gar nicht möglich ist, die Vergangenheit rückgängig zu machen. So wäre es sinnlos, jemanden rückwirkend dazu zu verpflichten, Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen (KNAPP, Grundlagen des Verwaltungsrechts, S. 132). Gleiches gilt bezüglich des rückwirkenden Entzugs eines Führerscheins, den der Betroffene dank dem Suspensiveffekt bis zum Datum des Endentscheides besass; abgesehen davon würde sich der Motorfahrzeugführer im nachhinein einer Strafverfolgung aussetzen, wenn er während des seinerzeit geltenden, nun aber rückwirkend aufgehobenen Suspensiveffekts ein Motorfahrzeug geführt hätte (GRISEL, Traité de droit administratif, S. 923;
BGE 106 Ia 158
f.), eine Folge, die unhaltbar wäre.
Sodann gibt es Fälle, in denen sich die nachträgliche Vollstreckung für die Dauer des geltenden Suspensiveffekts aus praktischen Gründen gar nicht realisieren liesse. So verhielt es sich bei der Beschwerde einiger Erdölgesellschaften gegen eine Verfügung des Preisüberwachers, mit welcher ihnen unter Entzug des Suspensiveffekts eine Preiserhöhung untersagt worden war (
BGE 99 Ib 215
); eine nachträgliche Aufhebung des Suspensiveffekts hätte jenen Firmen nichts genützt, weil es praktisch unmöglich gewesen wäre, von allen in der Zwischenzeit belieferten Kunden die Preisdifferenz nachzufordern (
BGE 106 Ia 159
).
Anders verhält es sich diesbezüglich bei einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend die Erhöhung der Prämien der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung. Einerseits lässt sich die Prämienerhöhung
BGE 112 V 74 S. 77
ohne weiteres nachfordern. Anderseits durfte die der Beschwerde zuteil gewordene aufschiebende Wirkung nicht zur Folge haben, dass die Versicherungsgesellschaften die erhöhten Prämien erst für die Zeit nach dem bundesgerichtlichen Urteil über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hätten einfordern können. Denn es gilt der Grundsatz, dass die aufschiebende Wirkung nicht dem unterliegenden Beschwerdeführer zum Schaden des obsiegenden Beschwerdegegners einen materiell-rechtlichen Vorteil bringen darf (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 245, und GYGI, Aufschiebende Wirkung und vorsorgliche Massnahmen in der Verwaltungsrechtspflege, in: ZBl 77/1976, S. 11 f.;
BGE 106 Ia 158
ff.).
c) Somit muss in jedem einzelnen Fall geprüft werden, welche Tragweite vernünftigerweise dem Suspensiveffekt zuzumessen ist bzw. welchen Zwecken er vernünftigerweise und legitimerweise dienen soll (
BGE 106 Ia 159
Erw. 5). Diese Auffassung vertritt auch GRISEL (S. 922 f.). GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege (S. 245), und KNAPP (S. 132 f.) neigen dazu, in den meisten Fällen eine rückwirkende Aufhebung des Suspensiveffekts anzunehmen. Dieselbe Betrachtungsweise lässt sich indirekt auch dem Urteil
BGE 105 V 266
entnehmen.
3.
Demnach fragt es sich also auch im vorliegenden Fall, welche Gründe für und welche gegen eine rückwirkende Aufhebung des Suspensiveffekts sprechen.
a) Der Beschwerdeführer weist zunächst darauf hin, dass eine rückwirkende Aufhebung des Suspensiveffekts eine nachträgliche Änderung einer Unzahl von Rechtsverhältnissen zur Folge hätte, die zwischen dem 1. Juli 1981 und dem 17. März 1982 vollendet worden sind. Selbst wenn dem so wäre, würde dies die nachträgliche Vollstreckung des Regierungsratsbeschlusses für die fragliche Zeit faktisch nicht verunmöglichen. Die Rechnungsunterlagen betreffend die ambulanten Behandlungen zwischen dem 1. Juli 1981 und 17. März 1982 müssen beim Beschwerdeführer vorhanden sein, was erlauben würde, ohne unzumutbaren administrativen Aufwand die 20%ige Reduktion gemäss Regierungsratsbeschluss vorzunehmen und die entsprechenden Beträge den Berechtigten zurückzuerstatten. Der nachträgliche Vollzug des Regierungsratsbeschlusses erweist sich also weder als unmöglich, noch zeitigt er unerwünschte oder unzumutbare Folgen.
b) Der Beschwerdeführer meint ferner, es müsse unterschieden werden zwischen den ordentlichen Rechtsmitteln einerseits, die
BGE 112 V 74 S. 78
sich gegen einen noch nicht rechtskräftigen Entscheid richten, und den ausserordentlichen Rechtsmitteln anderseits, die gegen einen rechtskräftigen Entscheid gerichtet sind. Nur beim ausserordentlichen Rechtsmittel - das sich gegen einen rechtskräftigen Entscheid richtet und wo die aufschiebende Wirkung durch eine prozessleitende Verfügung angeordnet werden muss - sei es denkbar, dass der Suspensiveffekt im Falle der späteren Abweisung des Rechtsmittels rückwirkend auf den Zeitpunkt der bereits eingetretenen Rechtskraft des angefochtenen Entscheides wieder dahinfalle. Im Gegensatz dazu bestehe beim ordentlichen Rechtsmittel bis zum Endentscheid noch keine Rechtskraft. Da es sich bei der Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat um ein ordentliches Rechtsmittel handle, könne der Regierungsratsbeschluss nicht vollstreckt werden, bevor er in Kraft getreten sei.
Soweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht) auf zivilprozessuale Grundsätze beruft, sind seine Darlegungen nicht stichhaltig. Es trifft zwar zu, dass die Unterscheidung zwischen ordentlichen und ausserordentlichen Rechtsmitteln nicht nur dem Zivilprozess, sondern auch dem öffentlichrechtlichen Prozess eigen ist. Aber es müssen sich nicht notwendigerweise dieselben Folgerungen wie im Zivilprozess ergeben. Bezüglich der aufschiebenden Wirkung im öffentlichrechtlichen Prozess unterscheidet weder die Rechtsprechung noch die Lehre zwischen ordentlichen Rechtsmitteln (Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsgerichtsbeschwerde) und ausserordentlichen Rechtsmitteln (z.B. staatsrechtliche Beschwerde). Der mehrfach zitierte
BGE 106 Ia 155
betraf eine staatsrechtliche Beschwerde. Die Präjudizien, welche das Bundesgericht in diesem Urteil anruft (
BGE 99 Ib 51
und 215), hatten aber gerade ordentliche Rechtsmittel zum Gegenstand. Und schliesslich beziehen sich die Ausführungen in der Literatur ganz generell auf alle Arten von Rechtsmitteln, wenn nicht gar vorwiegend auf die ordentlichen (vgl. auch KNAPP, L'effectivité des décisions de justice, in: ZBl 86/1985, S. 465 ff.).
c) Einer der wesentlichsten Gesichtspunkte für die Beurteilung der Streitfrage besteht darin, dass "der durch die aufschiebende Wirkung ausgelöste Schwebezustand dem unterliegenden Beschwerdeführer nicht zum Schaden des Beschwerdegegners einen Vorteil einbringen darf" (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 245;
BGE 106 Ia 160
). Das aber wäre der Fall, wenn man der Auffassung des Beschwerdeführers folgen würde. Daran vermag
BGE 112 V 74 S. 79
nichts zu ändern, was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird.
Demnach hat es bei der auf den 1. Juli 1981 rückwirkenden Aufhebung des Suspensiveffekts sein Bewenden. Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer verpflichtet ist, der Beschwerdegegnerin den Betrag von Fr. 59.50 zurückzuerstatten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b5d3cca6-701f-494b-a4c3-2793e01fefce | Urteilskopf
106 Ib 336
51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Oktober 1980 i.S. Einwohnergemeinde Aarberg und Staat Bern gegen Hurni und Mitbeteiligte sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 30 GSchG
und
Art. 22ter BV
; Entschädigung für Nutzungsbeschränkungen infolge Grundwasserschutzzone.
Aufgrund von
Art. 30 GSchG
mit Schutzzonenplan angeordnetes Bauverbot für Häuser mit Abwasseranlagen in einer Bauzone W 4. Fälle der Auszonung als Ausnahmen vom Grundsatz, dass im engeren Sinne polizeilich bedingte Eigentumsbeschränkungen entschädigungslos zu dulden sind: Wenn solche Beschränkungen unmittelbar dem Schutz des Grundeigentümers selbst dienen, liegt keine materielle Enteignung vor; dienen sie hingegen dem Schutz eines öffentlichen Werkes, so sind sie wie Auszonungen zu entschädigen. | Sachverhalt
ab Seite 336
BGE 106 Ib 336 S. 336
Die Einwohnergemeinde Aarberg ist Eigentümerin einer seit 1948 bestehenden Grundwasserfassung in der "Walperswilmatte". Am 8. Oktober 1948 bewilligte der Regierungsrat der
BGE 106 Ib 336 S. 337
Gemeinde die Errichtung einer Schutzzone im Bereich der Grundstücke Nr. 207, 299 und 601 mit einem Versickerungsverbot für Abwässer. Die landwirtschaftliche Nutzung wurde hinsichtlich der Düngung eingeschränkt. Der Bau von Abwasserleitungen wurde verboten, sofern nicht eine einwandfreie Ableitung der Abwässer garantiert sei. Diese Nutzungsbeschränkungen wurden in Dienstbarkeitsverträgen aus den Jahren 1948 bzw. 1953 festgelegt. Im Jahre 1974 erarbeitete die Gemeinde im Sinne von
Art. 30 GSchG
einen Schutzzonenplan für diese Grundwasserfassung, den der Regierungsrat des Kantons Bern am 12. September 1974 genehmigte. Dieser Plan weist Teile der genannten Parzellen der engern Schutzzone zu. Für diese gelten die im Nutzungsbeschränkungskatalog aufgeführten Verbote und Einschränkungen. Es handelt sich namentlich um ein Bauverbot für alle Abwasser- und Tankanlagen und um ein Verbot von Terrainveränderungen grösseren Massstabes. Die Parzellen Nr. 207 und 601 liegen vollumfänglich, die Parzelle Nr. 299 zu rund einem Drittel in der Bauzone W 4 gemäss Baureglement und Zonenplan 1966 der Einwohnergemeinde Aarberg.
Die von der engeren Schutzzone erfassten Grundeigentümer verlangten von der Gemeinde Enteignungsentschädigungen. Die Enteignungs-Schätzungskommission (Kreis 4) des Kantons Bern wies diese mit Urteil vom 3. Juni 1977 ab. Das daraufhin angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess hingegen mit Urteil vom 22. Oktober 1979 die Entschädigungsbegehren grundsätzlich gut, soweit das betroffene Land in der Bauzone W 4 liegt, und wies die Sache zur Festsetzung der Entschädigungssummen an die Vorinstanz zurück. Hiegegen führen die Einwohnergemeinde Aarberg und der Staat Bern Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes entfällt beim Vorliegen eines enteignungsähnlichen Eingriffes eine Entschädigungspflicht dann, wenn der streitige Eingriff als Polizeimassnahme im engeren Sinne zu betrachten ist. Polizeiliche Eigentumsbeschränkungen sind danach ohne Rücksicht auf ihre Schwere grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen,
BGE 106 Ib 336 S. 338
wenn mit der gegen den Störer gerichteten Massnahme eine als Folge der beabsichtigten Grundstücksbenutzung zu erwartende konkrete, d.h. ernsthafte und unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit abgewendet werden soll und wenn die zuständige Behörde zu diesem Zweck ein von Gesetzes wegen bestehendes Verbot konkretisiert und in bezug auf die in Frage stehende Grundstücksnutzung bloss die stets zu beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit festsetzt (
BGE 96 I 359
sowie
BGE 105 Ia 335
E. 3b und
BGE 103 Ib 214
E. 1c; Urteil Stalder vom 14. Februar 1979 in BVR 77/1979 S. 381 E. 4b und c).
a) Das Verwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung in Frage gestellt. Es will die Pflicht des Grundeigentümers zur entschädigungslosen Hinnahme nur dort anerkennen, wo die Eigentumsbeschränkung nach ihrer Schutzrichtung den Interessen des Grundeigentümers selber dient oder wo sie auf einer latenten, wegen einer beabsichtigten Eigentumsnutzung aktualisierten Gefahrensituation beruht. Dient jedoch die Eigentumsbeschränkung in erster Linie der Allgemeinheit und hängt sie mit einem Gefahrenherd zusammen, den das Gemeinwesen geschaffen bzw. aktualisiert hat, so ist nach der Meinung des Verwaltungsgerichtes der Eingriff nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen zu entschädigen, da andernfalls der von der Schutzmassnahme in seinen Befugnissen eingeschränkte Grundeigentümer im Vergleich zu den Nichtbetroffenen ein Sonderopfer auf sich zu nehmen hätte. Ein solcher Fall liege hier hinsichtlich des Baulandes vor, weshalb der Eingriff zu entschädigen sei (E. 9).
Die Beschwerdeführer wenden sich einzig gegen diese abweichende Argumentation. Nach ihrer Auffassung stellen die fraglichen Nutzungsbeschränkungen einen im engern Sinn polizeilich bedingten und daher nicht entschädigungspflichtigen Eingriff ins Privateigentum dar.
b) In der vorstehend veröffentlichten E. 4 des Urteils Thomann (
BGE 106 Ib 332
ff.) hat das Bundesgericht die an seiner Rechtsprechung geübte Kritik geprüft und ist zum Schluss gelangt, dass diese eine Änderung seiner Praxis nicht gebiete. Es hat dabei allerdings hervorgehoben, dass nur die im Sinne des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes notwendigen polizeilichen Beschränkungen entschädigungslos zu dulden sind - nicht dagegen Anordnungen, die weiter gehen, als zur Abwendung
BGE 106 Ib 336 S. 339
der ernsthaften und unmittelbaren Gefahr erforderlich ist. Überdies hat das Bundesgericht drei mögliche Ausnahmen vom Grundsatz der Entschädigungslosigkeit von Eigentumsbeschränkungen polizeilicher Natur im engeren Sinne vorbehalten, nämlich die Fälle eines nicht nur polizeilich, sondern auch raumplanerisch bedingten Bauverbotes und des Verbotes einer bereits bestehenden Nutzung (vgl.
BGE 96 I 359
unten) sowie den Fall, in welchem die Schaffung einer Schutzzone eine Auszonung baureifen oder grob erschlossenen Landes bewirkt (vgl.
BGE 105 Ia 338
E. 3d) oder einer solchen Auszonung gleichkommt. Die beiden erstgenannten Fälle fallen hier ausser Betracht. Hingegen ist nach dem in den E. 2 und 4 Ausgeführten zu prüfen, ob der Vorbehalt der Auszonung zum Zuge kommt. Dieser Ausnahmefall ist hier näher zu erläutern.
c) Zunächst ist klarzustellen, dass sich die Frage der Auszonung nur stellt, wo sich die Schutzzone mit der Zone der Grundnutzung nicht verträgt. Das trifft hier zu, denn ein Bauverbot für Häuser mit Abwasseranlagen ist mit einer Bauzone für eine Wohnüberbauung nicht vereinbar. Schutzzone und Landwirtschaftszone schlössen sich dagegen nicht von vornherein aus; so entfiel eine Entschädigungspflicht im Fall des
BGE 96 I 350
ff. (Verbot der Kiesausbeutung im Landwirtschaftsgebiet) und im genannten Fall Thomann (Verbot der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung, ohne dass die im Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs ausgeübte Nutzung untersagt worden wäre). Gleiches gilt für polizeilich bedingte Eigentumsbeschränkungen in der Bauzone, die mit der baulichen Nutzung noch vereinbar sind. Hat jedoch die Schutzzone wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der Zone der Grundnutzung eine Auszonung zur Folge oder kommt sie im Ergebnis einer solchen gleich, so sind folgende Fälle zu unterscheiden:
aa) Wenn die aus polizeilichen Gründen angeordnete Beschränkung unmittelbar dem Schutz des Grundeigentümers selbst dient, liegt keine materielle Enteignung vor, so etwa bei einem Bauverbot in einem lawinengefährdeten Gebiet oder bei einer Waldabstandszone (vgl.
BGE 96 I 128
ff.). Dass in einem solchen Fall die Beschränkungen auch weitere Interessen schützen (z.B. den Wald), schliesst die Entschädigungslosigkeit nicht aus. Dass möglicherweise ein Planungsfehler vorliegt, der durch Auszonung und Einweisung des Grundstückes in eine Lawinengefahrzone korrigiert wird, vermag höchstens eine
BGE 106 Ib 336 S. 340
Entschädigungspflicht des Gemeinwesens unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung zu begründen, nicht jedoch unter dem Titel der materiellen Enteignung, da sich die Nichtüberbaubarkeit, die zum Schutze des Eigentümers selbst angeordnet wird, aus der Gefahrenlage des Grundstückes ergibt.
bb) Wenn die aus polizeilichen Gründen angeordnete Beschränkung dem Schutz eines öffentlichen Werkes - etwa der Wasserversorgung einer Gemeinde - dient, führt das Bauverbot zur Korrektur eines Planungsfehlers mit der Wirkung, dass den betroffenen Grundstücken die von der Gemeinde in ihrer Bau- und Zonenordnung selbst anerkannte Baulandqualität entzogen wird. Es rechtfertigt sich in diesem Falle, die zugunsten des öffentlichen Werkes vorgenommene Korrektur einer Zonenplanung, auch wenn sie aus polizeilichen Gründen im engeren Sinne erfolgt und sich gegen den Störer richtet, gleich zu behandeln wie eine Auszonung, die aus sonstigen allgemeinen raumplanerischen Gründen erfolgt. Ein innerer, sachlicher Grund, den betroffenen Eigentümer anders zu behandeln als jenen, dessen Grundstück etwa mit Rücksicht auf den Landschafts- oder Denkmalschutz einer Bauverbotszone zugewiesen wird, ist nicht zu erkennen; in beiden Fällen wird die durch die Zonenordnung anerkannte Baulandqualität aufgehoben, ohne dass es zum Schutze des Eigentümers selbst nötig ist.
d) Im vorliegenden Fall hatte der Gemeindegesetzgeber mit Zustimmung des Regierungsrates bei der Ortsplanung von 1966 die fraglichen Parzellen bzw. Parzellenteile ungeachtet der seit 1948 in der Nähe erstellten Grundwasserfassungen der Wohnzone W 4 zugewiesen, also ausdrücklich einem Baugebiet intensiver Überbauung. Das durch die Schutzzonenordnung bewirkte, vom gleichen Gemeindegesetzgeber erlassene Bauverbot kommt somit einer Auszonung gleich, die als Ausnahme vom Grundsatz der entschädigungslos hinzunehmenden polizeilichen Eigentumsbeschränkung anzuerkennen ist. Eine Auszonung aus dem Baugebiet bedeutet eine entschädigungspflichtige materielle Enteignung, wenn die betroffenen Grundstücke sehr wahrscheinlich in naher Zukunft überbaubar gewesen wären und die Eigentümer die Überbauung auch hätten verwirklichen wollen und können; das ist in der Regel bei grob oder gar schon fein erschlossenen Grundstücken zu bejahen, sofern aufgrund der baulichen Entwicklung auch eine entsprechende Nachfrage vorliegt (
BGE 105 Ia 339
E. 4a und 5,
BGE 106 Ib 336 S. 341
103 Ib 222 E. 5b und 101 Ia 227, mit Verweisungen). Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, wurde in E. 4 dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht - wenn auch mit abweichender Begründung - das Vorliegen einer zu entschädigenden materiellen Enteignung bejaht. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
b5de94a8-8935-4d71-8e6f-083cbf1d660a | Urteilskopf
106 II 177
36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1980 i.S. K. gegen Waisenamtliche Aufsichtsbehörde von Westlich-Raron (Berufung) | Regeste
Einwilligung des Vormundes zur Eheschliessung (
Art. 99 ZGB
).
Die Einwilligung zur Eheschliessung darf nur aus Gründen der vormundschaftlichen Fürsorge verweigert werden, nicht jedoch aus Rücksicht auf allfällige wirtschaftliche Interessen der Heimatgemeinde oder wegen des bisherigen Lebenswandels des Entmündigten. | Sachverhalt
ab Seite 177
BGE 106 II 177 S. 177
A.-
Der im Jahre 1945 geborene K. steht unter Vormundschaft. Er hat für vier Kinder aus einer ersten Ehe, die geschieden worden ist, aufzukommen. Seit fünf Jahren lebt er im Konkubinat mit Frl. V., einer jugoslawischen Staatsangehörigen, die ihm bereits zwei Kinder geboren hat.
B.-
Der Vormund von K. widersetzt sich einer Heirat seines Mündels mit Frl. V.
Mit Beschluss vom 18. Juni 1980 verweigerte das Waisenamt Niedergesteln die Einwilligung zur Eheschliessung mit der Begründung, die Gemeinde Niedergesteln müsse für die geschiedene Frau sowie für die Kinder aus erster Ehe des Mündels Unterstützungsbeiträge leisten; komme es zu einer neuen Heirat, würden die beiden ausserehelichen Kinder Bürger von
BGE 106 II 177 S. 178
Niedergesteln; es sei zu befürchten, dass sie früher oder später ebenfalls der Gemeinde zur Last fallen würden.
Auf Beschwerde von K. hin machte die Waisenamtliche Aufsichtsbehörde von Westlich-Raron mit Entscheid vom 6. August 1980 die Einwilligung zur Eheschliessung von der Bedingung abhängig, dass der Beschwerdeführer ein Jahr lang, d.h. bis zum 6. August 1981, seine Beziehung zu Frl. V. aufrechterhalte und in geordneten Arbeitsverhältnissen bleibe.
C.-
Gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde führte K. Beschwerde an den Staatsrat des Kantons Wallis. Die Beschwerde wurde von Amtes wegen als zivilrechtliche Berufung an das Bundesgericht weitergeleitet.
Das Bundesgesicht heisst die Berufung gut und weist den Vormund an, K. die Erwilligung zur Eheschliessung zu erteilen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 44 lit. b OG
ist gegen die Verweigerung der Einwilligung des Vormundes zur Eheschliessung die Berufung zulässig.
Der angefochtene Entscheid ist ein Entscheid der letzten kantonalen Instanz im Sinne von
Art. 48 Abs. 2 lit. a OG
, da im Kanton Wallis keine obere kantonale Aufsichtsbehörde in Vormundschaftssachen besteht.
Auf die Berufung ist demnach einzutreten.
2.
Nach
Art. 99 Abs. 1 ZGB
können entmündigte Personen eine Ehe nur mit Einwilligung des Vormundes eingehen. Diese darf nicht unter Berufung auf allfällige wirtschaftliche Interessen der Heimatgemeinde verweigert werden, wie es das Waisenamt getan hat. Ökonomische Interessen Dritter, namentlich der Heimatgemeinde, dürfen bei der Erteilung der Einwilligung zur Eheschliessung keine Rolle spielen. Das ergibt sich unmittelbar aus
Art. 54 Abs. 2 BV
, der durch
Art. 99 Abs. 1 ZGB
nicht eingeschränkt worden ist. Zu berücksichtigen sind lediglich ökonomische Interessen des Mündels selbst bzw. gesundheitliche, geistige oder sittliche Gefahren, die ihm aus der beabsichtigten Ehe erwachsen könnten (
BGE 50 II 214
/215,
BGE 46 II 206
E. 2,
BGE 42 II 83
/84). Vorstrafen, Anstaltsversorgung, aussereheliche Vaterschaft, Nichtbezahlung von Alimenten und dergleichen reichen für die Verweigerung der Einwilligung nicht aus (WOLFER, Die Eheschliessung Entmündigter,
BGE 106 II 177 S. 179
ZVW 1/1946 S. 82 oben). Nur Gründe der vormundschaftlichen Fürsorge sind massgebend, etwa eine schwere Gefährdung der persönlichen Verhältnisse des Mündels oder eine schlechte Prognose mit Bezug auf die Ehe selbst, wenn überdies anzunehmen ist, der Mündel würde bei verständiger Würdigung der Verhältnisse von seinem Vorhaben absehen (
BGE 67 II 1
,
BGE 50 II 215
,
BGE 46 II 206
E. 2,
BGE 42 II 83
/84, 425: GÖTZ, N. 16-19 und N. 22 zu
Art. 99 ZGB
).
Solche Gründe macht die Vorinstanz nicht geltend. Die Begründung, mit der sie die Einwilligung zur Eheschliessung verweigert hat, ist im übrigen insofern widersprüchlich, als sie feststellt, dass das Verhältnis des Berufungsklägers zu Frl. V. nun fünf Jahre gedauert hat und sie die Hoffnung ausdrückt, dass sich diese Beziehung weiter festige und Frl. V. einen positiven Einfluss auf den Berufungskläger ausübe, gleichzeitig aber die Eingehung der neuen Ehe um ein Jahr hinausschiebt, namentlich um einer bevorstehenden Strafverbüssung Rechnung zu tragen. Dabei scheint es sich entgegen der Feststellung im angefochtenen Entscheid nicht um eine "längere" Freiheitsstrafe zu handeln, sondern um eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis, wobei noch die Möglichkeit einer vorzeitigen bedingten Entlassung zu berücksichtigen ist. Auch kann es unter Umständen für einen Strafgefangenen eine grosse moralische Hilfe bedeuten, wenn ein Ehepartner zu ihm steht (vgl. GÖTZ, Die Einwilligung des Vormundes zur Eheschliessung des Mündels, ZVW 21/1966 S. 46). Völlig sachfremd ist es sodann, wenn die Vorinstanz aus der Auferlegung eines nunmehr abgelaufenen Eheverbots im Scheidungsurteil die Rechtfertigung für eine "Erstreckung der Verlobungszeit" ableiten will. Abgesehen davon darf die Einwilligung zur Eheschliessung nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden, wie es die Vorinstanz tut (GÖTZ, N. 10 zu
Art. 99 ZGB
; WOLFER, a.a.O. S. 83).
Dass das Vorhaben des Berufungsklägers unüberlegt sei, behauptet die Vorinstanz nicht. Es steht auch keineswegs fest, dass die neue Ehe unzweckmässig sei. Die Vorinstanz anerkennt im Gegenteil den positiven Einfluss von Frl. V. auf den Berufungskläger; für diesen scheint die Beziehung zu Frl. V. und zu den beiden Kindern tatsächlich der einzige Halt zu sein. Unter diesen Umständen darf die Einwilligung zur Eheschliessung nicht verweigert werden. Die Berufung ist daher gutzuheissen. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5e5e845-54c5-4a57-8bf4-2fb8ea435526 | Urteilskopf
137 III 47
8. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. Versicherungen AG gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_194/2010 vom 17. November 2010 | Regeste
Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BGG
; Streitwerterfordernis bei einer Beschwerde gegen die vorinstanzliche Festsetzung der Parteientschädigung.
Die Beschwerde ist zulässig, wenn die vor der Vorinstanz streitig gebliebenen Begehren den erforderlichen Streitwert erreichen würden, die einzig angefochtene Parteientschädigung jedoch unter der Streitwertgrenze bleibt (E. 1.2). | Erwägungen
ab Seite 47
BGE 137 III 47 S. 47
Aus den Erwägungen:
1.
1.2.1
Bei der vorliegenden Streitsache handelt es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Demnach ist die Beschwerde in Zivilsachen zulässig, sofern der Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt (
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
). Im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht zu beurteilen ist nicht die vor der Vorinstanz in der Hauptsache streitig gebliebene Ausrichtung von Taggeldleistungen, sondern nur noch die vorinstanzliche Festsetzung der als Nebenrecht
BGE 137 III 47 S. 48
geltend gemachten Parteientschädigung. Zur Frage, wie der Streitwert zu berechnen ist, wenn nur der Kostenentscheid der Vorinstanz angefochten wird, besteht keine einheitliche Rechtsprechung (vgl. etwa die Urteile 8C_60/2010 vom 4. Mai 2010 E. 1.2; 5A_52/2009 vom 27. Februar 2009 E. 1; 5D_175/2008 vom 6. Februar 2009 E. 1.1; 1C_406/2008 vom 5. Februar 2009 E. 1.1).
1.2.2
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Endentscheid. Der Streitwert bestimmt sich nach den Begehren, die vor der Vorinstanz streitig geblieben sind (
Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG
). Nicht entscheidend für die Streitwertberechnung ist nach der gesetzlichen Regelung das konkrete Interesse der beschwerdeführenden Partei vor Bundesgericht, mithin der vor Bundesgericht noch streitige Betrag (JEAN-MAURICE FRÉSARD, in: Commentaire de la LTF, 2009, Corboz und andere [Hrsg.], N. 1 und 18 zu
Art. 51 BGG
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, N. 1382 ff.; BEAT RUDIN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 22 f. zu
Art. 51 BGG
; vgl. auch JEAN-FRANÇOIS POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. I, 1990, N. 3.6 zu
Art. 36 OG
S. 267). Zu beachten ist zudem, dass - wie hier - als Nebenrecht geltend gemachte Parteientschädigungen bei der Berechnung ausser Betracht fallen (
Art. 51 Abs. 3 BGG
).
Die vom Beschwerdegegner bei der Vorinstanz eingeklagten Taggeldleistungen übersteigen die nach
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
vorgesehene Streitwertgrenze von Fr. 30'000.-. Entsprechend ist das Streitwerterfordernis erfüllt, auch wenn mit der Beschwerde einzig die Verweigerung einer Parteientschädigung angefochten und die Zusprechung eines Gesamtbetrags von Fr. 12'784.20 beantragt wird.
1.2.3
Zur Frage der Streitwertberechnung fand zwischen allen betroffenen Abteilungen ein Meinungsaustausch statt (
Art. 23 Abs. 2 BGG
). Die vorgelegte Rechtsfrage, ob die Beschwerde zulässig ist, wenn die vor der Vorinstanz streitig gebliebenen Begehren den erforderlichen Streitwert erreichen würden, die einzig angefochtene Parteientschädigung jedoch unter diesem Streitwert bleibt, wurde von der Vereinigung der Abteilungen bejaht. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b5e7528c-2797-483d-8a96-6ade8bb79767 | Urteilskopf
116 IV 312
60. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. September 1990 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 139 Ziff. 2 StGB
; besonders gefährlicher Raub.
1. Den unbestimmten Rechtsbegriff der besonderen Gefährlichkeit überprüft das Bundesgericht grundsätzlich frei (E. 2c; Präzisierung der Rechtsprechung).
2. Bei der Auslegung des Begriffs der besonderen Gefährlichkeit ist der erhöhten Mindeststrafe und der Stellung dieses Qualifikationsgrundes zwischen jenen gemäss Ziffer 1bis sowie Ziffer 3 von
Art. 139 StGB
Rechnung zu tragen. Voraussetzung für die Bejahung der besonderen Gefährlichkeit bildet eine gegenüber dem Grundtatbestand erhebliche Erhöhung des Unrechtsgehalts der Tat (E. 2d).
3. Erfüllt das Verabreichen von nicht ganz harmlosen Schlafmitteln an ein Opfer, das sich dann selber überlassen wird, die Qualifikation? (E. 2f). | Sachverhalt
ab Seite 313
BGE 116 IV 312 S. 313
A.-
Der ägyptische Staatsangehörige F. sprach in Bern, Zürich, Lausanne und Genf jeweils alleinreisende japanische Touristen an und offerierte ihnen ein Getränk, in welches er zuvor ein Schlafmittel (Rohypnol) gemischt hatte; als sie davon betäubt waren, nahm er ihnen Bargeld, Checks, Fotokamera etc. ab.
Den Tip für dieses Vorgehen hatte F. von zwei Afrikanern erhalten, von denen er auch die ersten Tabletten kaufte; die weiteren Tabletten erhielt er durch ärztliche Verschreibung. Um leichter Zugang zu den japanischen Opfern zu haben, eignete er sich einige japanische Sprachkenntnisse und Gewohnheiten an. Für die Wirkung des eingesetzten Schlafmittels interessierte er sich nicht, weshalb er auch die Gebrauchsanweisung nicht las; entscheidend war für ihn die einschläfernde Wirkung. Über mögliche Nebenwirkungen sowie mögliche Folgen bei der gleichzeitigen Einnahme von anderen Medikamenten machte er sich keine Gedanken. Er verliess sich für die Dosierung auf die Angaben der beiden Afrikaner, die ihm sagten, er müsse zwei bis drei Tabletten verabreichen, wobei man einem gesunden Menschen etwas mehr geben könne, sonst etwas weniger.
B.-
Die Kriminalkammer des Kantons Bern sprach F. gestützt auf diesen Sachverhalt unter anderem des wiederholt und fortgesetzt unter Offenbarung besonderer Gefährlichkeit begangenen Raubes schuldig und verurteilte ihn zu viereinhalb Jahren Zuchthaus sowie 15 Jahren Landesverweisung.
C.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt F. die Aufhebung des Urteils der Kriminalkammer bezüglich der Verurteilung wegen qualifizierten Raubes.
Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer räumt ausdrücklich ein, dass er durch sein Verhalten den Tatbestand des Raubes gemäss
Art. 139 Ziff. 1 StGB
erfüllt hat. Die Vorinstanz habe aber den qualifizierten Tatbestand von
Art. 139 Ziff. 2 StGB
zu Unrecht angewandt; denn er habe durch die Art seiner Tatbegehung keine besondere Gefährlichkeit offenbart.
a) Dass im vorliegenden Fall der Grundtatbestand des Raubes (
Art. 139 Ziff. 1 StGB
) erfüllt ist, unterliegt keinem Zweifel; denn durch das heimliche Beibringen eines Schlafmittels wurden die
BGE 116 IV 312 S. 314
Opfer "in anderer Weise zum Widerstand unfähig" gemacht (vgl. zur Narkose und Betäubung etwa
BGE 81 IV 226
; STRATENWERTH, Bes. Teil I, § 8 N. 145 mit Hinweisen). Zu prüfen ist deshalb, ob die Voraussetzungen des Qualifikationsgrundes von
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
gegeben sind. Danach wird der Räuber mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft, "wenn er sonstwie durch die Art, wie er den Raub begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart".
b) Die Auslegung dieses Qualifikationsmerkmals bereitet Schwierigkeiten, weil das Gesetz im Unterschied zum bandenmässigen Raub (Ziff. 2 Abs. 2) und jedenfalls zu einem Teil der anderen Qualifikationsgründe (bewaffneter Raub, Ziff. 1bis; Zufügung einer schweren Körperverletzung, Ziff. 3) die Voraussetzungen der Qualifikation nicht konkret umschreibt.
c) In
BGE 106 IV 112
E. 2 wurde zur Auslegung des "gefährlichen" Raubes gemäss Art. 139 Ziff. 2 Abs. 1 der damaligen Fassung des StGB (vgl. zur Revision gemäss BG vom 9.10.1981, in Kraft seit 1.10.1982, SCHUBARTH, Kommentar StGB, Bes. Teil II, Art. 139 N. 77) ausgeführt, die weitgefasste Generalklausel lasse dem Sachrichter ein weites Ermessen, in das der Kassationshof nur mit Zurückhaltung eingreife. Dies bedarf der Präzisierung.
Der Begriff der besonderen Gefährlichkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Interpretation durch die kantonale Instanz als Frage des Bundesrechts vom Bundesgericht grundsätzlich in freier Kognition überprüft wird. Ist die kantonale Instanz bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes von falschen rechtlichen Kriterien ausgegangen, so hat das Bundesgericht einzugreifen. Ein falsches rechtliches Kriterium liegt dann vor, wenn die kantonale Instanz die Qualifikation mit sachlich unzutreffenden Argumenten begründet oder sich etwa auf Umstände stützt, die, so wie sie richtigerweise zu gewichten sind, die Erhöhung der Mindeststrafe auf zwei Jahre nicht rechtfertigen. Einzig für Grenzfälle hat das Bundesgericht angenommen, dass es bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes nur mit einer gewissen Zurückhaltung von der Auffassung der Vorinstanz abweiche (
BGE 115 IV 20
E. 2b zum Begriff der schweren Körperverletzung gemäss
Art. 122 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
). Diese Rechtsprechung stützt sich auf die Überlegung, dass in diesem Grenzbereich das rechtliche Ermessen in einem gewissen Umfang in das tatrichterliche Sachverhaltsermessen übergeht, nämlich insofern, als die Umschreibung des unbestimmten Rechtsbegriffes in diesem Grenzbereich
BGE 116 IV 312 S. 315
häufig mit der Umschreibung des Sachverhaltes zusammenfällt. In der zitierten Entscheidung ging es denn auch um die Frage, ob eine lange, wenn auch gut verheilte Narbe auf der linken Gesichtshälfte in Verbindung mit einer geringfügigen mimischen Beeinträchtigung, die namentlich beim Lachen auffalle, eine schwere Körperverletzung darstelle. Auch bei der Diskussion der Frage, ob in einem konkreten Fall die besondere Gefährlichkeit im Sinne von
Art. 139 Ziff. 2 StGB
gegeben sei, sind im Grenzbereich Fälle denkbar, wo es sinnvollerweise nicht mehr möglich ist, die tatsächlichen Feststellungen von der rechtlichen Wertung völlig zu trennen. Ebenso ist denkbar, dass bei der Gewichtung und Summierung verschiedener Tatumstände, die in ihrer Gesamtheit für die Erfüllung eines qualifizierten Tatbestandes ausreichen könnten, eine gewisse Grauzone bestehen kann, wo Sachverhaltsermessen und rechtliches Ermessen in einem Ausmass ineinander übergehen, dass jedenfalls in Grenzfällen das Bundesgericht von der kantonalen Entscheidung ohne Not nicht abweichen soll.
Wenn das Gesetz einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet, so ist damit ein Konkretisierungsauftrag an den Richter verbunden (TRECHSEL, Die "Umstände des besonderen Falles" in der Strafrechtspraxis, in: Beiträge zur Methode des Rechts, St. Galler Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1981, S. 191). Dabei hat der Kassationshof bei der Konkretisierung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe die Kriterien anzugeben, die für den Entscheid wesentlich sind, wobei es auch wertvoll sein kann, Merkmale hervorzuheben, die nicht berücksichtigt werden sollen. Soweit möglich, sollten auch Anhaltspunkte für die Bewertung der Konkretisierungskriterien gegeben werden (vgl. TRECHSEL, a.a.O., S. 204).
d) Bei der Auslegung des Begriffes der besonderen Gefährlichkeit im Sinne von
Art. 139 Ziff. 2 StGB
ist insbesondere den folgenden Gesichtspunkten Rechnung zu tragen: der Erhöhung der Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis auf zwei Jahre Zuchthaus sowie der Stellung der Qualifikationsgründe gemäss Ziffer 2 zwischen jenen gemäss Ziffer 1bis sowie Ziffer 3.
aa) Die strafrechtliche Auslegung bedient sich mit Erfolg der "Interpretation gemäss der angedrohten Strafe" (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, Einleitungsband Art. 1 N. 50 unter Hinweis auf GERMANN, ZStrR 1940, S. 345, sowie Kommentar zu
Art. 1 StGB
B 9/2;
BGE 106 IV 25
;
BGE 112 IV 124
;
BGE 116 IV 329
E. 3b;
BGE 116 IV 312 S. 316
SCHUBARTH, a.a.O., Art. 139 N. 88 und Art. 148 N. 15). Die Erhöhung der Mindeststrafe hat im vorliegenden Fall vor allem zur Folge, dass bei einer Bejahung der Qualifikation der bedingte Strafvollzug von vornherein ausgeschlossen ist, und zwar auch bei einem Ersttäter mit günstiger Prognose. Dies spricht dafür, Ziffer 2 restriktiv auszulegen und die Voraussetzungen der Qualifikation nur dann zu bejahen, wenn gegenüber dem Grundtatbestand des Raubes eine erhebliche Erhöhung des Unrechtsgehaltes vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass bereits der Grundtatbestand einen Angriff auf die Person des Opfers und damit begriffsnotwendig eine mehr oder weniger grosse Gefährdung des Opfers voraussetzt. Erforderlich ist deshalb für die Bejahung der besonderen Gefährlichkeit, dass weitere ins Gewicht fallende Umstände hinzutreten, die den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat wesentlich erhöhen (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 8, N. 155, S. 218).
bb) Ein Indiz für die Auslegung des Qualifikationsgrundes der besonderen Gefährlichkeit gemäss
Art. 139 Ziff. 2 StGB
ergibt sich auch aus Ziffer 1bis dieser Bestimmung. Danach wird der Räuber mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn er zum Zweck des Raubes eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt. Wenn das erhöhte Gefährdungspotential, das im Mitführen einer Schusswaffe liegt, nur mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht ist, dann braucht es eine im Ausmass erheblich grössere Gefährdung, wenn die Verdoppelung der Mindeststrafe auf zwei Jahre gerechtfertigt werden soll. Umgekehrt ergibt sich aus Ziffer 3, dass zum Begriff der besonderen Gefährlichkeit gemäss Ziffer 2 nicht eine Lebensgefährdung des Opfers notwendig ist, die zu einer Mindeststrafe von fünf Jahren führt.
cc) Zu beachten ist auch folgendes: Der Qualifikationsgrund der besonderen Gefährlichkeit aufgrund der Tatbegehung findet sich ebenfalls beim Diebstahl (
Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB
). Es würde deshalb naheliegen, Kriterien, die für die Auslegung des besonders gefährlichen Diebstahls entwickelt worden sind, auch auf die Auslegung des besonders gefährlichen Raubes zu übertragen. Dies darf jedoch nicht schematisch geschehen. Denn zum einen ist die Erhöhung der Mindeststrafe auf sechs Monate beim gefährlichen Diebstahl etwa im Hinblick auf die Gewährung des bedingten Strafvollzuges weit weniger problematisch als die Erhöhung der Mindeststrafe auf zwei Jahre Zuchthaus beim gefährlichen Raub. Zum anderen geht es bei der Qualifikation um den Vergleich mit dem jeweiligen Grundtatbestand. Beim Diebstahl ist
BGE 116 IV 312 S. 317
eine Gefährdung der Person des Opfers nicht begriffsnotwendig. Von daher gesehen wird man die Qualifikationen beim Diebstahl eher bejahen können als beim Raub, wo, wie bereits dargelegt, bereits zum Grundtatbestand eine gewisse Gefährdung des Opfers gehört.
dd) Zu beachten ist auch, dass das generelle und unbestimmte Kriterium der besonderen Gefährlichkeit nicht dazu verleiten darf, alle Tatumstände, die den Täter belasten, zu addieren und einzig damit die besondere Gefährlichkeit zu begründen (vgl. NOLL, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil I, S. 142 i.V.m. S. 163). In solchen Fällen im besonderen und auch allgemein bei Qualifizierungsgründen darf nicht übersehen werden, dass der Richter auch im Rahmen des Grundtatbestandes allenfalls eine Strafe von über zwei Jahren aussprechen kann, wenn Unrechts- und Schuldgehalt der Tat dies erfordern.
e) Aufgrund der in
Art. 139 Ziff. 2 StGB
gewählten Formulierung hängt die Qualifikation allein davon ab, ob die konkrete Tat nach ihrem Unrechts- und Schuldgehalt besonders schwer wiegt (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Gewaltverbrechen), BBl 1980 I 1257); die Gefährlichkeit des Täters soll mit den Tatumständen, etwa der besonders kühnen, verwegenen, heimtückischen oder skrupellosen Art, wie er die Tat begeht, begründet werden (SCHUBARTH, a.a.O., Art. 139 N. 83 f.); Umstände der Persönlichkeit des Täters fallen dabei ausser Betracht (
BGE 109 IV 162
E. 2 mit Hinweisen). Die Höhe der erhofften Beute, der planerische und technische Aufwand, das Überwinden moralischer und technischer Hindernisse sind massgebliche Kriterien (TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, Art. 139 N. 15 mit Hinweis auf Art. 137 N. 23); zur Annahme besonderer Gefährlichkeit können insbesondere professionelle Vorbereitung der Tat sowie hartnäckiges und hinterlistiges Vorgehen führen; brutales Vorgehen bildet dabei nicht unerlässliche Voraussetzung (unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 22. Oktober 1986 i.S. K., E. 3).
f) Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz suchte sich der Beschwerdeführer, der seine Taten sehr gut plante, immer alleinreisende japanische Touristen aus, die nach seinen Informationen in der Regel mehr Geld auf sich tragen als andere Leute; um leichter mit ihnen in Kontakt zu kommen, eignete er sich deren Sprache und Gewohnheiten teilweise an; es gelang ihm zusammen mit seinem Auftreten denn sehr schnell, das
BGE 116 IV 312 S. 318
Vertrauen und die Sympathie seiner Opfer zu gewinnen, da diese froh waren, als Alleinreisende jemanden gefunden zu haben, mit dem sie sprechen konnten; nachdem der erste Kontakt geknüpft und eine Art Vertrauensverhältnis geschaffen war, manövrierte der Beschwerdeführer seine ahnungslosen Opfer in eine etwas abseits gelegene Parkanlage und betäubte sie dort mit dem präparierten Getränk; nachdem sie eingeschlafen waren und er sie ausgeraubt hatte, liess er sie dort bewusstlos und damit schutzlos zurück; einige der Opfer wurden wegen dieser Schutzlosigkeit denn auch ein zweites Mal bestohlen, andere irrten in betäubtem Zustand umher und verletzten sich.
Allein aufgrund dieser Tatsachen ist das Bundesgericht nicht in der Lage zu prüfen, ob das Vorgehen im konkreten Fall - wie die Vorinstanz ausführt - als hinterhältig und skrupellos und die Handlungen des Beschwerdeführers nach ihrem Unrechts- und Schuldgehalt als besonders schwerwiegend und somit besonders gefährlich im Sinne von
Art. 139 Ziff. 2 StGB
zu qualifizieren sind.
Die Gewaltanwendung durch heimliche Verabreichung von nicht ganz harmlosen Schlafmitteln ohne jegliche medizinische Indikation stellt als Herbeiführung eines Betäubungszustandes eine einfache Körperverletzung dar (
BGE 103 IV 70
E. 2c; STRATENWERTH, a.a.O., § 3 N. 8; TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, Art. 123 N. 2 und 5). Verabreicht der Täter solche Mittel, ohne sich um deren Wirkungen und Folgen zu kümmern, kann er dadurch unter Umständen eine ernstliche Gefahr für die Gesundheit des Opfers schaffen. Die Ausführungen im angefochtenen Entscheid erlauben indessen nicht, die Gefährlichkeit des im vorliegenden Fall verabreichten Medikamentes in bezug auf mögliche Folgen für die Gesundheit der Opfer zu beurteilen.
Als qualifizierendes Element führt die Vorinstanz weiter an, dass der Beschwerdeführer seine Opfer in bewusstlosem Zustand und damit hilf- und schutzlos im Freien an abgelegenen Orten zurückliess. Diese als weiterer Umstand zur Gewaltanwendung hinzutretende und durch das Im-Stich-Lassen der solchermassen "Verletzten" bewirkte Gefährdung verwirklichte sich nach den Feststellungen der Vorinstanz denn auch in einigen Fällen, in welchen es tatsächlich "zu Verletzungen der Opfer kam, weil sie in betäubtem Zustand herumirrten und nicht mehr Herr ihrer selbst waren". Die "verletzten" Opfer einfach schutzlos ihrem Schicksal zu überlassen, kann unter Umständen dann als skrupelloses Vorgehen bezeichnet werden, wenn dies an einem besonders gefährlichen Ort
BGE 116 IV 312 S. 319
geschieht, so dass dieser Umstand allein eine grosse Gefahr für die Gesundheit des Opfers darstellen kann. Die Gefährlichkeit des Ortes, an welchem die Opfer zurückgelassen wurden, lässt sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz indessen nicht beurteilen.
Inwieweit der Beschwerdeführer "aufs schwerste die ihm entgegengebrachte Hilfsbereitschaft" seiner Opfer missbrauchte, ergibt sich nicht aus den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz. Dass er die Taten gut plante und die Opfer, meist alleinreisende japanische Touristen, in abgelegene Parkanlagen lockte, kann jedenfalls für sich allein nicht als in einem Mass rücksichtslos bezeichnet werden, das die Anwendung des qualifizierten Tatbestandes von
Art. 139 Ziff. 2 StGB
erlauben würde.
4.
In subjektiver Hinsicht ist die Qualifikation nur gegeben, wenn der Täter Vorsatz in bezug auf die qualifizierenden Tatumstände hatte. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Qualifikation nur bejaht werden kann, wenn der Beschwerdeführer mindestens in Kauf genommen hat, dass die Opfer aufgrund der Raubmittel weiteren schwerwiegenden Gefährdungen ausgesetzt waren. Auch in dieser Hinsicht wird die Vorinstanz die notwendigen Feststellungen zu treffen haben. Eine Gefährdungsabsicht ist allerdings entgegen dem Beschwerdeführer nicht erforderlich.
5.
Der angefochtene Entscheid ist demnach aufzuheben und zur Neuentscheidung im Sinne der vorstehenden Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5ea66f7-100d-48d2-b238-48f1f845c424 | Urteilskopf
98 II 262
37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1972 i.S. A. gegen H. | Regeste
Vaterschaftsklage.
Der positive Nachweis der Vaterschaft ist mit Hilfe naturwissenschaftlicher Gutachten, namentlich auch einem serostatistischen Gutachten nach ESSEN-MöLLER möglich. Übersteigt die nach ESSEN-MÖLLER bestimmte Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten 97%, so liegt es im Ermessen des Richters, die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung, mit welcher der Beklagte seine Nichtvaterschaft beweisen möchte, anzuordnen oder abzulehnen. | Sachverhalt
ab Seite 262
BGE 98 II 262 S. 262
A.-
Von H. mit der Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen belangt, gab A. zu, der Mutter in der vom 4. Oktober
BGE 98 II 262 S. 263
1962 bis zum 1. Februar 1963 dauernden kritischen Zeit beigewohnt zu haben. Erwiesenermassen unterhielt die Kindsmutter im Oktober und November 1962 jedoch noch zu andern Männern geschlechtliche Beziehungen. Die Vaterschaft von A. konnte durch eine Blutuntersuchung nicht ausgeschlossen werden. Nach dem biostatistischen Ergänzungsgutachten des Gerichtlich Medizinischen Instituts der Universität Zürich ergab sich nach Essen-Möller eine Wahrscheinlichkeit von 97-98% für die Vaterschaft von A. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern und das Obergericht des Kantons Solothurn nahmen gestützt auf das bundesgerichtliche Urteil 97 II 200 an, die Vaterschaft des Beklagten sei mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Sie hiessen deshalb die Klage gut, ohne das vom Beklagten beantragte anthropologisch-erbbiologische Gutachten (AEG) einzuholen.
B.-
Gegen das Urteil des Obergerichtes hat der Beklagte Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er nicht der Vater der Klägerin sei. Zur Begründung führt er an, im Falle von
Art. 314 Abs. 2 ZGB
habe die Kindsmutter den Beweis zu erbringen, dass keiner der Männer, mit denen sie ausser dem Vaterschaftsbeklagten auch noch Verkehr gehabt habe, der Vater des Kindes sein könne, wobei an den Ausschluss Dritter die gleich strengen Anforderungen zu stellen seien wie für den Ausschluss des Vaterschaftsbeklagten, dessen Vaterschaft nach
Art. 314 Abs. 1 ZGB
zu vermuten sei. Dieser Beweis sei in keiner Weise erbracht worden. Die Klage hätte aber nicht bloss deshalb, sondern auch gestützt auf
Art. 315 ZGB
abgewiesen werden müssen, da die Kindsmutter zur Zeit der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel geführt habe.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes (
BGE 70 II 74
;
BGE 87 II 69
/70;
BGE 89 II 276
Erw. 2;
BGE 90 II 272
Erw. 2 und
BGE 91 II 162
ff.) kann die Klägerschaft in einem Vaterschaftsprozess versuchen, den positiven Nachweis der Vaterschaft des Beklagten mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden zu erbringen, wenn sie eine Beiwohnung nicht gemäss
Art. 314 Abs. 1 ZGB
nachzuweisen vermag, oder wenn die aus einer solchen Beiwohnung sich ergebende Rechtsvermutung durch den Nachweis
BGE 98 II 262 S. 264
von Mehrverkehr (
Art. 314 Abs. 2 ZGB
) oder unzüchtigen Lebenswandels (
Art. 315 ZGB
) entkräftet wird.
2.
Das Bundesgericht hat bereits anerkannt, dass der positive Nachweis der Vaterschaft durch eine biostatistische Untersuchung nach Essen-Möller möglich ist (vgl.
BGE 96 II 314
ff, insb. Erw. 5). Zur Abklärung der Frage, ob ein derart erfolgter Nachweis durch das Beweismittel des AEG entkräftet werden könne, hat das Bundesgericht in dem in
BGE 97 II 193
wiedergegebenen Falle ein Grundsatzgutachten bei Prof. Ritter, Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität Tübingen, eingeholt. Gestützt auf dieses Gutachten hat es in
BGE 97 II 200
ausgeführt:
"Die Fehlermöglichkeiten, die nach dem Gutachten verbleiben, wenn der Essen-Möller-Wert 97% übersteigt, liegen im Bereich der Fehlermöglichkeiten, die das Bundesgericht bei der naturwissenschaftlichen Abklärung von Abstammungsfragen in Kauf zu nehmen pflegt. ... Daher lässt sich die Auffassung vertreten, bei einem solchen Essen-Möller-Wert sei die Vaterschaft des Beklagten als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen zu betrachten. ..."
Das Bundesgericht hat sich seither in mehreren Entscheiden an diese grundsätzlichen Ausführungen gehalten. Im zitierten Urteil (
BGE 97 II 193
ff) hat es bei einem Essen-Möller-Wert von 94-95% und im nicht publizierten Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. November 1971 i.S. Sch. c. W. bei einem Essen-Möller-Wert von 80-90% die Einholung eines AEG angeordnet; in den nicht publizierten Urteilen der II. Zivilabteilung vom 12. November 1971 i.S. F. c. G. und vom 13. Dezember 1971 i.S. M. c. M. hat es bei Essen-Möller-Werten von 99,6-99,7 bzw. von 99-99,1% den Beklagten zur Beweisführung durch ein AEG nicht zugelassen. Ob der Beklagte Anspruch auf Einholung eines AEG habe, falls der Essen-Möller-Wert 97-98% beträgt, hatte das Bundesgericht bisher nicht zu entscheiden. Wie dem Zitat zu entnehmen ist, erachtet es das Bundesgericht jedoch als zulässig, die Vaterschaft des Beklagten bei einem Essen-Möller-Wert, der 97% übersteigt, als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen zu betrachten.
3.
Im vorliegenden Fall beträgt die nach der Essen-Möller'schen Methode bestimmte Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten gemäss dem biostatistischen Ergänzungsgutachten 97-98%. Umstände, die Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens begründen könnten, liegen nicht vor. Mehrverkehr
BGE 98 II 262 S. 265
und allfälliger unzüchtiger Lebenswandel der Kindsmutter während der Empfängniszeit vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Es lag demnach im Ermessen der Vorinstanz, die Durchführung eines AEG anzuordnen oder abzulehnen. Die Vorinstanz hat die Vaterschaft des Beklagten gestützt auf die Ausführungen des Bundesgerichtes in
BGE 97 II 200
als erwiesen erachtet und von der Einholung eines AEG abgesehen. Sie hat dadurch das Bundesrecht nicht verletzt. Infolgedessen erweist sich die Berufung des Beklagten als offensichtlich unbegründet. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5ed2342-e53d-4d6c-8236-efd97e70c001 | Urteilskopf
84 IV 163
47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Dezember 1958 i.S. Frank und Konsorten gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
1.
Art. 253 StGB
. Der Kaufvertrag über ein Grundstück ist falsch beurkundet, wenn nach Vereinbarung eines höheren Kaufpreises und Anzahlung eines Teilbetrages in der öffentlichen Urkunde nur noch die Restsumme als Kaufpreis genannt wird.
2. Art. 335 Ziff 2 StGB. Die Erschleichung der Falschbeurkundung eines Grundstückkaufes fällt auch dann unter
Art. 253 StGB
, wenn sie einzig zum Zwecke der Hinterziehung kantonaler Steuern begangen wird und zugleich ein Straftatbestand des kantonalen Steuerstrafrechts erfüllt ist. | Sachverhalt
ab Seite 163
BGE 84 IV 163 S. 163
Aus dem Tatbestand:
Frank kaufte am 22. Februar 1956 von Gemperle die Liegenschaft Weinbergstrasse 107 in Zürich 6. Vereinbart war ein Kaufpreis von Fr. 475'000.--, an den Frank vor der öffentlichen Beurkundung des Kaufvertrages eine Vorauszahlung von Fr. 35'000.-- leistete. Die Parteien veranlassten daraufhin den Notar, als Kaufpreis den Betrag von Fr. 440'000.-- zu verurkunden. Ihre Absicht war, durch dieses Vorgehen steuerrechtliche Vorteile zu erlangen.
BGE 84 IV 163 S. 164
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Frank und Gemperle wegen Erschleichung einer Falschbeurkundung. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Verurteilten wurde vom Bundesgericht abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 253 Abs. 1 StGB
ist strafbar, wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet.
a) Die öffentliche Beurkundung, welche das Gesetz als Gültigkeitserfordernis bestimmter Rechtsgeschäfte, so u.a. für Kaufverträge über Grundstücke, vorschreibt, ist zum Schutze der Parteien wie zur Erhöhung der allgemeinen Rechtssicherheit bestimmt und mit der Wirkung ausgestattet, dass die Urkunde für die darin bezeugten Tatsachen vollen Beweis erbringt, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist (
Art. 9 ZGB
). Daraus hat die Rechtsprechung gefolgert, dass der verurkundete Vertrag vollständig und richtig sein muss, d.h. dass alle objektiv und subjektiv wesentlichen Vertragspunkte, namentlich auch der Kaufpreis, der Beurkundung bedürfen und dass sie dem wirklichen Willen der Parteien entsprechen müssen (
BGE 68 II 233
,
BGE 78 II 224
). Die Beurkundung ist demnach unrichtig, wenn der vereinbarte Kaufpreis mit dem verurkundeten Betrag nicht übereinstimmt, denn die Urkunde täuscht dann einen Vertragsinhalt vor, der dem wirklichen Parteiwillen nicht entspricht. Dabei ist kein Unterschied zu machen, ob in der Urkunde ein höherer oder ein niedrigerer Kaufpreis als der gewollte angegeben und ob im letztern Fall der unterdrückte Teilbetrag vor oder erst nach der Beurkundung bezahlt wird. In diesem Sinne hat der Kassationshof schon bisher entschieden (
BGE 78 IV 105
, unveröffentlichte Urteile vom 12. Februar 1954 i.S. Gerber und vom 24. Januar 1955 i.S. Kägi). Davon abzugehen, besteht kein Anlass.
BGE 84 IV 163 S. 165
b) Die II. Zivilabteilung hat freilich in drei Entscheidungen (
BGE 49 II 466
,
BGE 50 II 142
,
BGE 52 II 61
) ausgeführt, ein wegen Simulation ungültiger Kaufvertrag liege dann nicht vor, wenn formlos ein höherer Kaufpreis vereinbart, vor der öffentlichen Beurkundung eine Anzahlung geleistet und in der öffentlichen Urkunde nur noch der niedrigere Kaufpreisrest angegeben werde; in diesem Falle sei im Zeitpunkt der Beurkundung nur noch der Restbetrag des ursprünglich vorgesehenen Preises geschuldet, und die Angabe dieser Restsumme in der Urkunde entspreche daher dem in diesem Augenblick von den Parteien wirklich gewollten Kaufpreis.
Allein die Formvorschrift erstreckt sich auf den Vertrag als Ganzes, und der Kaufpreis als wesentliches Element muss darum in der öffentlichen Urkunde in seiner wahren Höhe angegeben werden. Er setzt sich aus der Gesamtheit aller Leistungen zusammen, welche der Käufer dem Verkäufer als Entgelt für die Übertragung des Eigentums am Grundstück zu erbringen hat. Was im Zeitpunkt der Beurkundung bereits bezahlt ist, hat daher nicht weniger Kaufpreischarakter, als was noch aussteht, und die Höhe des wirklich gewollten Kaufpreises bleibt sich genau gleich, ob der in der Urkunde verheimlichte Überpreis zum voraus oder erst nach der Beurkundung bezahlt wird. Das Argument, es genüge die Bestimmbarkeit des Kaufpreises und diese sei auf Grund des öffentlich beurkundeten Vertrages in Verbindung mit anderen Dokumenten möglich (
BGE 50 II 146
), ist nicht überzeugend. Um dem Erfordernis der Angabe des wahren Kaufpreises in der öffentlichen Urkunde zu genügen, kann von Bestimmbarkeit nur die Rede sein, wenn alle zur Bestimmung des Kaufpreises notwendigen Faktoren aus der Urkunde selbst ermittelt werden können und es dazu des Beizuges anderer Beweismittel nicht bedarf. Auch die von der Formvorschrift verfolgten Zwecke würden nur ungenügend erreicht, wenn Anzahlungen an den Kaufpreis in der öffentlichen Urkunde unerwähnt blieben. Denn im
BGE 84 IV 163 S. 166
Umfange der vorausbezahlten Leistungen ginge der Käufer des Schutzes verlustig, der ihm durch die öffentliche Beurkundung gewährt werden soll, und die Rechtssicherheit litte darunter, dass Dritte sich nicht darauf verlassen könnten, ob der verurkundete Betrag mit dem wahren Kaufpreis übereinstimme.
Die I. Zivilabteilung, die nach einer vorübergehenden Änderung der Geschäftsverteilung heute wie ursprünglich für die Beurteilung von Streitigkeiten aus Grundstückkäufen zuständig ist, hat denn auch in einem Meinungsaustausch mit dem Kassationshof am 12. Dezember 1958 erklärt, dass sie an der Auffassung der II. Zivilabteilung nicht festhalte.
c) Gemperle und Frank haben als Kaufpreis bloss den Betrag von Fr. 440'000.-- in die öffentliche Urkunde aufnehmen lassen, den wirrklich vereinbarten von Fr.475'000.-- wie die erfolgte Vorauszahlung von Fr. 35'000.-- dagegen verschwiegen. Sie bewirkten somit durch täuschende Angaben, dass der Notar eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundete.
Art. 253 Abs. 1 StGB
ist damit objektiv erfüllt.
2.
Die Beschwerdeführer wollten mit der Erschleichung der Falschbeurkundung einzig die Hinterziehung kantonaler Steuern erreichen. Sie leiten aus dieser Absicht zu Unrecht ab, die Tat sei ein Steuerdelikt und sie könnten darum nur nach kantonalem Steuerstrafrecht bestraft werden.
Art. 335 Ziff. 2 StGB
ermächtigt die Kantone, Strafbestimmungen zum Schutze des kantonalen Steuerrechts aufzustellen. Dieses kantonale Sonderstrafrecht geht dem gemeinen Strafrecht vor, dergestalt, dass die ganze vom kantonalen Steuerstrafrecht geregelte Materie, z.B. die Urkundenfälschung, ausschliesslich den Bestimmungen des Steuerstrafrechts untersteht und auch für eine subsidiäre Anwendung des gemeinen Strafrechts kein Raum bleibt (
BGE 81 IV 168
). Das heisst aber nicht, dass immer nur kantonales Steuerstrafrecht anwendbar sei, wenn eine vom
BGE 84 IV 163 S. 167
eidgenössischen Recht mit Strafe bedrohte Handlung in der Absicht begangen wird, kantonale Steuervorschriften zu umgehen. So fällt die Fälschung einer Urkunde, mittels der eine Steuerhinterziehung begangen oder zu begehen beabsichtigt wird, bloss dann nicht unter
Art. 251 StGB
, wenn die gefälschte Urkunde nur dazu bestimmt ist, steuerrechtlichen Zwecken zu dienen, wie es der Fall ist, wenn die Ausstellung eines inhaltlich falschen Lohnausweises nur zum Zwecke erfolgt, ihn den Steuerbehörden vorzulegen (
BGE 81 IV 168
).
An dieser Voraussetzung fehlt es. Die öffentliche Beurkundung ist als Gültigkeitserfordernis des Grundstückkaufes notwendig Teil dieses zivilrechtlichen Geschäfts, die Urkunde selbst vor allem Grundbuchbeleg und für die Parteien unter sich und gegenüber Dritten Ausweis für den Abschluss des Vertrages. Dass die Urkunde infolge ihrer Eignung als Beweismittel zugleich steuerrechtlichen Zwecken dient, ändert an ihrer vorwiegend zivilrechtlichen Zweckbestimmung nichts. Die Erschleichung der Falschbeurkundung eines Grundstückkaufes fällt deshalb ungeachtet der Absicht des Täters, die Urkunde als Mittel zur Hinterziehung von Steuern oder Abgaben zu verwenden, auf jeden Fall unter die bundesrechtliche Bestimmung des
Art. 253 StGB
. Ob daneben das kantonale Recht anwendbar wäre, wenn die Handlung gleichzeitig einen Tatbestand des kantonalen Steuerstrafrechts erfüllt hätte, braucht nicht entschieden zu werden, da die Vorinstanz nur die eidgenössische Strafbestimmung angewendet hat. | null | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5f191ce-4917-4d2e-a5be-0e28e6912971 | Urteilskopf
121 V 382
56. Arrêt du 27 septembre 1995 dans la cause F. contre Office cantonal du travail, Fribourg, et Tribunal administratif du canton de Fribourg | Regeste
Art. 65 AVIG
: Einarbeitungszuschüsse "für Selbständigerwerbende".
Beim gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die Zusprechung solcher Zuschüsse durch die Arbeitslosenversicherung.
Nichtigkeit einer Verfügung, mit welcher Zuschüsse solcher Art einer Versicherten im Rahmen eines vom BIGA durchgeführten "Pilotversuchs" ausgerichtet wurden. | Sachverhalt
ab Seite 382
BGE 121 V 382 S. 382
A.-
F. a perdu son emploi pour des motifs économiques; elle a perçu des indemnités journalières de l'assurance-chômage à partir du 1er février 1993. L'assurée a tenté d'exercer une activité lucrative indépendante en qualité de conseillère en diététique; le revenu qu'elle en a tiré, du 1er avril au 30 octobre 1993, a été considéré comme un gain intermédiaire, selon une décision de l'Office du travail du canton de Fribourg (l'office du travail) du 28 octobre 1993, entrée en force.
BGE 121 V 382 S. 383
Au cours du mois de novembre 1993, l'office du travail a informé F. qu'elle n'avait plus droit à des indemnités de chômage, eu égard à sa qualité de personne de condition indépendante; en conséquence, seules des allocations d'initiation au travail pourraient désormais lui être accordées à l'exclusion de toute autre indemnité, pour une période de six mois. L'assurée s'est inclinée devant ce point de vue et elle a dès lors bénéficié d'allocations d'initiation au travail "pour indépendants" durant la période s'étendant du 1er novembre 1993 au 30 avril 1994, selon une décision - entrée en force - du 19 novembre 1993. Ces indemnités représentaient 60% du salaire pendant les deux premiers mois (novembre et décembre 1993), puis 40% (janvier et février 1994) et finalement 20% (mars et avril 1994).
Par décision du 5 août 1994, l'office du travail a nié le droit de l'assurée à des indemnités journalières postérieurement au 30 avril 1994, attendu qu'elle avait bénéficié d'allocations d'initiation au travail "pour indépendants" jusqu'à cette date.
B.-
F. a recouru contre cette décision devant le Tribunal administratif du canton de Fribourg, Cour des assurances sociales, en demandant son annulation. Elle a notamment conclu à ce que son aptitude au placement soit reconnue et que des indemnités de chômage lui soient versées, en tenant compte des gains intermédiaires réalisés et sous déduction des allocations d'initiation au travail "pour indépendants" dont elle avait bénéficié précédemment.
Par jugement du 23 mars 1995, la Cour cantonale a rejeté le pourvoi.
C.-
F. interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande l'annulation, avec suite de dépens. Elle conclut - à titre principal - à la reconnaissance de son aptitude au placement à partir du 1er novembre 1993 et jusqu'à la fin du délai-cadre, ainsi qu'à l'allocation d'indemnités de chômage pour cette période, sous déduction des gains intermédiaires et des allocations d'initiation au travail déjà perçues.
L'office du travail intimé conclut au rejet du recours. S'agissant de la légalité des allocations d'initiation au travail "pour indépendants", contestée par les premiers juges et par la recourante, l'administration se réfère à une lettre de l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (OFIAMT) du 5 mai 1995. L'OFIAMT ne s'est pas déterminé sur le recours.
Les moyens des parties seront exposés ci-après en tant que de besoin.
BGE 121 V 382 S. 384
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Sous le titre "Instruction en vue d'un nouveau travail. Droit aux allocations", l'
art. 65 LACI
dispose que de telles allocations peuvent être versées aux assurés dont le placement est difficile, qui sont mis au courant dans une entreprise et reçoivent, de ce fait, un salaire réduit lorsque:
a. Ils remplissent la condition fixée à l'
art. 60 al. 1 let. b LACI
(relative à la période de cotisation pendant le délai-cadre);
b. Le salaire réduit durant la mise au courant correspond au moins au travail fourni et
c. Qu'au terme de cette période, l'assuré peut escompter un engagement aux conditions usuelles dans la branche et la région, compte tenu, le cas échéant, d'une capacité de travail durablement restreinte.
Selon l'
art. 66 LACI
, les allocations d'initiation au travail couvrent la différence entre le salaire effectif et le salaire normal que l'assuré peut prétendre au terme de sa mise au courant, compte tenu de sa capacité de travail, mais tout au plus 60 pour cent du salaire normal (al. 1). Pendant le délai-cadre, elles sont versées pour six mois au plus, dans des cas exceptionnels, notamment pour des chômeurs âgés, pour douze mois au plus (al. 2).
S'agissant de l'interprétation des dispositions légales précitées, il convient de renvoyer à la jurisprudence (
ATF 112 V 248
; arrêt non publié R. du 9 mars 1995), aux travaux préparatoires (Message du Conseil fédéral, FF 1980 III 622) et à la doctrine (GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, vol. II et III, ad art. 65-67; CATTANEO, Les mesures préventives et de réadaptation de l'assurance-chômage, pp. 467 et ss).
b) Selon les indications qui figurent dans une lettre adressée le 5 mai 1995 par l'OFIAMT au Département cantonal fribourgeois de l'industrie, du commerce et de l'artisanat, produite par l'intimé à l'appui de ses conclusions, l'octroi d'allocations d'initiation au travail aux chômeurs désirant devenir indépendants serait une mesure expérimentale ayant "un caractère pilote" et s'inscrivant dans le cadre de la révision de la LACI qui prévoit une mesure autonome analogue. L'office fédéral manifeste l'intention de poursuivre cette expérience jusqu'au moment où la nouvelle loi entrera en vigueur, c'est-à-dire très vraisemblablement le 1er janvier 1996.
2.
Tout en considérant les allocations "pour indépendants" versées à la recourante comme illégales, les premiers juges ont estimé que la décision du 19 novembre 1993 par laquelle l'office du travail les avait accordées ne
BGE 121 V 382 S. 385
pouvait être annulée, sous peine de porter gravement atteinte aux intérêts de l'assurée. D'après les juges cantonaux, le versement des allocations ne fait pas obstacle à l'octroi subséquent d'indemnités journalières, pour autant qu'un délai-cadre soit toujours ouvert en faveur de l'assurée et que cette dernière remplisse les conditions posées par l'
art. 8 LACI
. Ils ont enfin considéré que la recourante avait accepté le versement de ces allocations en pleine connaissance de cause, du moment qu'elle n'avait pas attaqué la décision du 19 novembre 1993, laquelle précisait du reste quels montants lui seraient versés.
Les juges cantonaux ont ensuite examiné la question de l'aptitude au placement de la recourante à partir du 1er mai 1994, après avoir rappelé que cette question n'était pas litigieuse, s'agissant de la période s'étendant jusqu'au 30 octobre 1993. Sur ce point, ils ont considéré que l'assurée n'avait pas entrepris toutes les démarches que l'on pouvait raisonnablement attendre d'elle pour réduire son chômage et qu'elle avait persisté à croire au succès de son entreprise. Aussi ont-ils nié son aptitude au placement, malgré le contrôle régulier de son chômage auquel elle s'est soumise.
Finalement, la Cour cantonale s'est demandé si la recourante était apte au placement pendant les six mois au cours desquels elle a perçu des allocations d'initiation au travail et si le revenu qu'elle a tiré de son activité lucrative indépendante pouvait être qualifié de gain intermédiaire au sens de l'
art. 24 LACI
. Les juges cantonaux ont répondu négativement à ces deux questions, considérant, en bref, que le cumul d'allocations d'initiation au travail avec un gain intermédiaire n'était pas possible, en raison de la différence fondamentale qui existe entre les objectifs visés par ces deux instruments de l'assurance-chômage.
3.
a) Selon l'opinion concordante des premiers juges et de la recourante, de lege lata l'allocation d'initiation au travail au sens de l'
art. 65 LACI
ne peut être servie qu'à un travailleur salarié, ce qui est parfaitement exact. En conséquence, l'octroi par l'assurance-chômage de telles prestations à un assuré dans le but de favoriser l'exercice d'une activité lucrative indépendante n'a pas de fondement légal, ainsi que la Cour de céans l'a déjà jugé à propos de pratiques cantonales similaires (DTA 1993/1994 no 15 p. 114 consid. 4c et les références, confirmé ultérieurement dans plusieurs arrêts non publiés).
Il est à peine besoin d'ajouter que toute instruction contraire émanant de l'OFIAMT - fût-ce dans le cadre d'une "expérience" ayant un "caractère
BGE 121 V 382 S. 386
pilote" - est illégale et ne lie pas l'autorité judiciaire (
ATF 120 V 86
consid. 4b). Certes, cette pratique anticipe l'une des innovations introduites dans la LACI par la novelle du 23 juin 1995 (FF 1994 I 363-364 ad art. 71a à 71d, 1995 III 531), mais en l'état actuel du droit elle ne fait que compliquer la situation des prétendus "bénéficiaires" de cette mesure, comme le démontre le cas d'espèce.
Dans ces conditions, il y a lieu de constater d'office la nullité de la décision d'octroi d'allocations "pour indépendants" du 19 novembre 1993.
b) Il convient en conséquence d'annuler le jugement attaqué et de renvoyer la cause à la Cour cantonale afin qu'elle se prononce à nouveau sur le droit de la recourante aux prestations de l'assurance-chômage, en rétablissant la situation de droit qui aurait dû être la sienne si l'administration avait correctement appliqué la loi et ne lui avait donc pas versé des allocations d'initiation au travail "pour indépendants" auxquelles elle n'avait pas droit. Les sommes touchées par la recourante à ce titre seront imputées sur le montant des prestations auxquelles elle peut prétendre.
La recourante, qui a été manifestement induite en erreur par l'administration, doit bénéficier de la protection de sa bonne foi (
ATF 119 V 307
consid. 3a et les références). Dès lors, il convient d'admettre son aptitude au placement (
art. 15 al. 1 LACI
) durant la période au cours de laquelle elle a touché les allocations "pour indépendants" (de novembre 1993 à avril 1994).
En revanche, il n'y a pas lieu, à ce stade, de se prononcer sur les autres conclusions du recours, en particulier d'examiner la question de l'aptitude au placement de la recourante à partir du 1er mai 1994, ni les autres conditions du droit de celle-ci à des indemnités journalières pour cette période. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b5f23738-0fbf-4d43-9e6b-1f99a77c1f52 | Urteilskopf
109 IV 18
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Januar 1983 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 122 Ziff. 1 Abs. 1 und
Art. 125 Abs. 2 StGB
.
Ein Milzriss, der ohne sofortigen operativen Eingriff mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führt, ist eine lebensgefährliche Verletzung. Ob im konkreten Fall rasche medizinische Hilfe zur Stelle sei oder nicht, ist unerheblich. | Erwägungen
ab Seite 18
BGE 109 IV 18 S. 18
Aus den Erwägungen:
2.
a) Schwer im Sinne von
Art. 125 Abs. 2 StGB
ist eine Schädigung dann, wenn sie den Anforderungen des
Art. 122 StGB
BGE 109 IV 18 S. 19
entspricht (
BGE 105 IV 180
;
BGE 93 IV 12
mit Verweisungen). Nach dieser Bestimmung liegt eine schwere Körperverletzung u.a. vor, wenn entweder eine lebensgefährliche Verletzung gegeben war oder ein Körperteil, ein wichtiges Organ oder Glied des Geschädigten verstümmelt oder unbrauchbar gemacht wurde.
b) Nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen (Art. 277bis Abs. 1 und 273 Abs. 1 lit. b BStP) erlitten die beiden Geschädigten durch den Zusammenstoss folgende Verletzungen:
- G.P.: einen Milzriss und Rippenserienfrakturen auf der linken Seite.
- A.P.: einen zweiseitigen Milzriss, beidseitige Unterschenkelfrakturen, eine Beckenringfraktur, eine Rissquetschwunde am linken Ellenbogen, eine Fingerfraktur rechts sowie eine Mehrfragmentfraktur der rechten Kniescheibe. Als Folge der Rippenfrakturen kam es zu einem Milzriss mit Kreislaufzusammenbruch wegen Blutschocks. Die Milz musste drei Tage nach dem Unfall entfernt werden. Als Folge der Verletzungen trat während der Hospitalisierung in Chur eine linksseitige Lungenembolie auf. Der Geschädigte befand sich etwa zwei Wochen im Kantonsspital in Chur und anschliessend etwa zwei Monate im Krankenhaus in Lugano. Nach seiner Entlassung musste er an Krücken gehen und war während zwei bis drei Monaten in Behandlung. Ende Oktober 1980 musste er nochmals operiert werden und sich die Metallplatten in den Beinen entfernen lassen.
c) Im Vordergrund steht mit Bezug auf beide Geschädigte zunächst die Frage, ob der Milzriss eine schwere Körperverletzung im Sinne von Art. 122 bzw. 125 Abs. 2 StGB darstelle. Die Milz ist unbestreitbar ein Organ des Menschen. Ob sie ein wichtiges Organ im Sinne von
Art. 122 StGB
sei, wurde vom Bundesgericht bisher nicht entschieden. Kantonale Gerichte verneinten die Frage mit der Begründung, die Funktion der Milz im menschlichen Organismus sei nicht restlos abgeklärt, doch stehe jedenfalls fest, dass ihre Entfernung in der Regel für die Betroffenen keine grösseren Nachteile bringe (z.B. Urteile der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 3. Juli 1973 und des Polizeigerichts Glarus vom 7. September 1965, publiziert in SJZ 69/1973, S. 323/24 und 62/1966, S. 377/78). Ob die Milz ein wichtiges Organ im Sinne der genannten Bestimmung sei, kann indessen offen gelassen werden. Die Vorinstanz bejahte eine schwere Körperverletzung nicht mit der Begründung, es sei ein wichtiges Organ
BGE 109 IV 18 S. 20
unbrauchbar gemacht worden (Ziff. 1 Abs. 2 von
Art. 122 StGB
), sondern damit, dass die Geschädigten lebensgefährlich verletzt worden seien (Ziff. 1 Abs. 1 der genannten Bestimmung).
Aus der Tatsache, dass der Mensch ohne Milz leben kann, darf allenfalls geschlossen werden, sie sei kein wichtiges Organ im Sinne von
Art. 122 StGB
. Das bedeutet aber noch nicht, dass bei Verletzung dieses Organs eine schwere Körperverletzung begrifflich ausgeschlossen wäre. Eine lebensgefährliche Verletzung im Sinne von
Art. 122 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
kann sowohl durch die Verletzung eines lebensnotwendigen wie eines nicht-lebenswichtigen Organs verursacht werden. Die Vorinstanz nahm eine lebensgefährliche Verletzung an, indem sie festhielt, dass die Verletzungen der Geschädigten objektiv geeignet gewesen seien, ihren Tod zu bewirken. Diese Annahme ist nicht zu beanstanden.
Wie in der Beschwerdeschrift selbst ausgeführt wird, entstehen bei Milzrupturen Blutungen, welche nicht besonders stark sein müssen, aber nicht mehr von selbst aufhören. Im zitierten Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich hatte der damalige Sachverständige bemerkt, bei Zerreissungen der Milz bestehe insofern eine unmittelbare Lebensgefahr, als ohne ärztlichen Eingriff der Tod durch innere Blutung früher oder später eintrete. Im vorliegenden Fall führte die Vorinstanz gestützt auf einen Bericht der chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Chur aus, das G.P. beim Spitaleintritt eine Verletzung an der Milz aufgewiesen habe, welche, wenn nicht sofort operativ vorgegangen worden wäre, zum Verbluten und damit zum Tod hätte führen können. Gleiches gilt mit Bezug auf den noch schwerer verletzten A.P.
Die vom Gesetz geforderte Lebensgefahr muss eine unmittelbare sein. Es genügt nicht, dass die Verletzung einigermassen gefährlich ist und die Möglichkeit des Todes in etwelche Nähe rückt, wie dies z.B. bei einem Beinbruch der Fall sein kann. Von lebensgefährlicher Körperverletzung im Sinne von
Art. 122 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
darf nur gesprochen werden, wenn die Verletzung zu einem Zustand geführt hat, in dem sich die Möglichkeit des Todes dermassen verdichtete, dass sie zur ernstlichen und dringlichen Wahrscheinlichkeit wurde (vgl. die Ausführungen im zitierten Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich mit Verweisungen). Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall erfüllt, weil nach den vorinstanzlichen Feststellungen die Milzrisse ohne sofortigen operativen Eingriff zum Tode hätten führen können. Der vorinstanzliche Schluss, es habe eine lebensgefährliche Verletzung im
BGE 109 IV 18 S. 21
Sinne von
Art. 122 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
vorgelegen, ist demnach nicht zu beanstanden.
d) Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, dringt nicht durch. Er macht unter Hinweis auf den wiederholt zitierten Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich geltend, von einer unmittelbaren und schweren Verletzung dürfe dann nicht gesprochen werden, wenn der Verletzte rechtzeitig wirksamer ärztlicher Hilfe zugeführt werden könne. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden, weil sie die vom Täter geschaffene unmittelbare Lebensgefahr einerseits und die vom Täter unabhängige, oft von Zufälligkeiten beeinflusste Möglichkeit sofortiger ärztlicher Behandlung andererseits in unzulässiger Weise miteinander vermengt. Wohl kann eine drohende und ernsthafte Lebensgefahr unter Umständen durch einen sofortigen medizinischen Eingriff herabgesetzt oder aufgehoben werden. Das schafft aber die Tatsache nicht aus der Welt, dass der Täter zuerst eine ernsthafte Lebensgefahr geschaffen hat. Nach der Rechtsprechung genügt es, dass der Geschädigte durch die ihm zugefügte Schädigung der Lebensgefahr ausgesetzt war; wie lange dieser Zustand dauerte, ist unerheblich (
BGE 91 IV 194
E. 2). Unerheblich ist also auch, ob die Lebensgefahr rasch behoben werden konnte oder nicht. Die gleiche Verletzung kann nicht das eine Mal eine schwere und das andere Mal eine leichte sein, je nachdem ob sie in der Nähe eines Spitals, wo in der Regel rasche Hilfe zur Stelle ist, oder in einer abgelegenen Gegend erfolge, ob die zufälligen Witterungseinflüsse zur Unfallzeit einen raschen Helikoptereinsatz oder die (oft ebenfalls witterungsbedingten) Strassenverhältnisse einen schnellen Autotransport zum Spital ermöglichen oder nicht.
Stellen Milzrisse für sich allein schon eine schwere Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Ziff. 1 Abs. 1 bzw. 125 Abs. 2 StGB dar, muss auf die vom Beschwerdeführer gemachten weiteren Ausführungen über den Einfluss der übrigen Verletzungen nicht näher eingetreten werden. Die Beschwerde erweist sich mithin in diesem Punkt als unbegründet. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5f30453-d3d9-45c5-a52e-62457fa37eb3 | Urteilskopf
105 Ia 149
30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. März 1979 i.S. Reinhardt gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; behördlicher Abstimmungsbericht, Anfechtung.
Pflicht zur sofortigen Anfechtung von Mängeln bei der Vorbereitung einer Volksabstimmung. Ist eine Vorbereitungshandlung mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten worden, so muss gegen das Abstimmungsergebnis keine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht werden. Vorgehen für den Fall, dass eine zweite Beschwerde dennoch erhoben wird. | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 105 Ia 149 S. 149
Der Kantonsrat von Solothurn verabschiedete am 3. Juli 1978 ein neues Baugesetz. Der Regierungsrat setzte die Volksabstimmung auf den 3. Dezember 1978 an und liess jedem Stimmberechtigten eine "Abstimmungszeitung" zustellen. Mit Eingabe vom 24. November 1978 erhoben Dr. Fritz Reinhardt und Dr. Peter Reinhart Stimmrechtsbeschwerde, mit der sie rügten, dass die Abstimmungsbotschaft den Inhalt der Vorlage
BGE 105 Ia 149 S. 150
unvollständig und unrichtig wiedergebe. Da der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung erteilt wurde, fand die Abstimmung am vorgesehenen Datum statt. Das neue Baugesetz wurde von den Stimmberechtigten angenommen.
Mit Eingabe vom 14. Dezember 1978 reichten Dr. Fritz Reinhardt und Dr. Peter Reinhart eine zweite staatsrechtliche Beschwerde ein, mit dem Antrag, das Ergebnis der Volksabstimmung sei aufzuheben. Sie erhoben im wesentlichen die gleichen Rügen wie in der ersten Beschwerde und machten geltend, die beanstandete Erläuterung habe das Abstimmungsergebnis in unzulässiger Weise beeinflusst.
Ein kantonales Rechtsmittel, von dem die Beschwerdeführer Gebrauch zu machen haben, ist nicht gegeben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen Mängel bei der Vorbereitung eines Urnenganges sofort und vor der Abstimmung gerügt werden. Unterlässt der Stimmberechtigte das, obwohl nach den Verhältnissen ein sofortiges Handeln geboten und zumutbar war, so verwirkt er das Recht zur Anfechtung des Abstimmungsergebnisses (
BGE 101 Ia 240
ff. mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführer die Abstimmungsbotschaft noch vor dem Abstimmungstermin angefochten. Sie sind der erwähnten Verpflichtung daher nachgekommen. Da der Urnengang wegen der Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung wie vorgesehen stattfand, haben sie gegen das Abstimmungsergebnis eine zweite Beschwerde eingereicht. Das wäre nicht erforderlich gewesen. Wird der gegen die Vorbereitungshandlungen gerichteten Beschwerde die aufschiebende Wirkung verweigert und findet die Abstimmung aufgrund der beanstandeten Vorbereitungen statt, so ist die Beschwerde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts so zu verstehen, dass sinngemäss auch der Antrag auf Aufhebung der Abstimmung selber gestellt wird. Zur Frage der Erheblichkeit des gerügten Mangels können die Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdeergänzung Stellung nehmen, die in diesem Fall gestützt auf
Art. 93 Abs. 2 OG
angeordnet wird.
Wird nach der Durchführung der Abstimmung dennoch eine zweite Beschwerde erhoben, welche dieselben Einwände enthält,
BGE 105 Ia 149 S. 151
mit denen schon die Vorbereitungshandlungen angefochten worden sind, so tritt das Bundesgericht lediglich auf letztere ein. Es schreibt die vor der Abstimmung erhobene Beschwerde als gegenstandslos geworden vom Geschäftsregister ab und entscheidet nur noch über die allfällige Zusprechung einer Parteientschädigung, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie vor Eintritt des Erledigungsgrundes bestand (
Art. 40 OG
i.V. mit
Art. 72 BZP
; nicht veröffentlichtes Urteil vom 4. Oktober 1978 i.S. Progressive Organisationen der Schweiz, Sektion Solothurn, E. 1a). Hier ist in diesem Sinne vorzugehen. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b5f75001-455d-4dfd-928c-cb416dcf1882 | Urteilskopf
123 IV 211
33. Urteil des Kassationshofes vom 7. November 1997 i.S. B. gegen X. und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 2 UWG
,
Art. 3 lit. a UWG
und
Art. 23 UWG
; wettbewerbsrelevante Äusserungen in Flugblättern. Meinungsäusserungsfreiheit.
Bei Äusserungen Dritter in Flugblättern zur Gefährlichkeit einer Ware für die menschliche Gesundheit ist bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des UWG unter Berücksichtigung insbesondere des Grundrechts der Meinungsäusserungsfreiheit eine strafbare unlautere Anschwärzung nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Ein Hinweis auf einen allfälligen Meinungsstreit in der Wissenschaft ist nicht erforderlich (E. 3). Doch darf durch die Auswahl des Verteilungsortes der Flugblätter nicht der unrichtige Eindruck geschaffen werden, dass nur die Waren einzelner bestimmter Anbieter gesundheitsgefährdend seien (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 123 IV 211 S. 212
A.-
B. verteilte am 23. Juli, am 6. August und am 15. Oktober 1994 vor dem Eingang der Metzgerei X. in Winterthur an Kunden Flugblätter zum Thema Rinderwahnsinn. Das Flugblatt war als "eine Konsumenteninformation des VgT Verein gegen Tierfabriken 9546 Tuttwil" gekennzeichnet. Unter der Überschrift "Rinderwahnsinn - die tödliche Gefahr auf dem Teller" wurde im Flugblatt folgendes ausgeführt:
"Kochen tötet den Erreger nicht.
Lauert er in Ihrer Wurst? Im Steak, im Hamburger? Die Inkubationszeit
beträgt 10 bis 15 Jahre. Sind Sie schon infiziert?
Es besteht der dringende Verdacht, dass der Rinderwahnsinn (Bovine
Spongiforme Enzephalopathie BSE) durch Verzehr von Fleisch auf den Menschen
übertragen werden kann und identisch ist mit der heimtückischen, tödlichen
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.
Essen Sie weniger Fleisch, zum Vorteil der Tiere, der Umwelt und Ihrer
Gesundheit!"
Am 6. August 1994 gab B. ausser diesem Flugblatt den Kunden, welche dies wünschten, ein zweites, ebenfalls erkennbar vom Verein gegen Tierfabriken herausgegebenes Flugblatt ab, welches die Überschrift trug "Gefahr für die Konsumenten: Halbherzige Massnahmen gegen den Rinderwahnsinn" und die im anderen Flugblatt enthaltenen Angaben erläuterte.
X. sowie der Verband Schweizer Metzgermeister-Fachverband der Schweizer Fleischwirtschaft (VSM-FSF) erstatteten mit gemeinsamen Eingaben vom 26. August und vom 21. Oktober 1994 Strafanzeige und Strafantrag gegen B. und gegen Unbekannt wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte B. am 25. Januar 1996 in Bestätigung des Entscheides des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirkes Winterthur vom 28. Juli 1995 wegen Widerhandlung gegen Art. 23 i.V.m.
Art. 2 und 3 lit. a des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241)
zu einer Busse von 2'000 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
C.-
B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung, eventuell zur angemessenen Herabsetzung der Busse, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die von B. gegen das Urteil des Obergerichts eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 8. März 1997 ab, soweit es darauf eintrat.
BGE 123 IV 211 S. 213
Mit einer gegen den Entscheid des Kassationsgerichts eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde beantragt B., das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und er sei freizusprechen.
E.-
Die Staatsanwaltschaft hat auf Gegenbemerkungen zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verzichtet. X. hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bezweckt nach seinem Art. 1, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. Unlauter und widerrechtlich ist gemäss
Art. 2 UWG
jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst. Unlauter handelt nach
Art. 3 lit. a UWG
insbesondere, wer andere, ihre Waren, Werke, Leistungen durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt. Nach
Art. 23 UWG
wird auf Antrag mit Gefängnis oder Busse bis zu 100'000 Franken bestraft, wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb nach den Artikeln 3, 4, 5 oder 6 begeht.
a) Das dem Beschwerdeführer in der Anklage einzig zur Last gelegte Verteilen des fraglichen Flugblatts direkt vor einer Metzgerei ist gemäss den Ausführungen im angefochtenen Entscheid objektiv geeignet, den Wettbewerb zu beeinflussen, und demnach im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 120 II 76
E. 3a S. 78, mit Hinweisen) marktrelevant; damit falle es unter den Anwendungsbereich des UWG. Wie ein Verteilen des fraglichen Flugblatts an anderen Orten zu beurteilen wäre, wird im angefochtenen Entscheid ausdrücklich offengelassen. Gemäss den weiteren Ausführungen der Vorinstanz ist die im Flugblatt behauptete grosse Gefahr der Übertragung des Rinderwahnsinns auf den Menschen wissenschaftlich keineswegs gesichert, sondern im Gegenteil stark umstritten. Daher hätte nach der Rechtsprechung (
BGE 120 II 76
E. 5b S. 81) auf diesen Meinungsstreit deutlich hingewiesen werden müssen. Da im Flugblatt ein solcher Hinweis fehle, sei die Äusserung jedenfalls im Sinne von
Art. 3 lit. a UWG
irreführend. Durch die irreführende Äusserung sei das von den Beschwerdegegnern 1 angebotene Fleisch herabgesetzt worden. Das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit vermöge nach der Rechtsprechung (BGE
BGE 123 IV 211 S. 214
120 II 76 E. 5c S. 82) unlautere und somit widerrechtliche Äusserungen nicht zu rechtfertigen. Die Vorinstanz hält sodann fest, dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass das Verteilen des fraglichen Flugblatts objektiv zur Beeinflussung des Wettbewerbs geeignet und dass die Frage betreffend die Risiken der Übertragbarkeit des Rinderwahnsinns auf den Menschen in Fachkreisen umstritten sei. Er habe somit jedenfalls mit Eventualvorsatz gehandelt. Damit sei der Straftatbestand von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
objektiv und subjektiv erfüllt.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe das fragliche Flugblatt in seiner Freizeit als Privatperson und Mitglied des Vereins gegen Tierfabriken aus ideellen Beweggründen ohne Entgelt verteilt. Dieses rein private Handeln mit ideeller Zielsetzung ohne jeglichen Bezug zu einer wirtschaftlichen Betätigung falle nach der herrschenden Lehre nicht unter den Anwendungsbereich des UWG. Der Beschwerdeführer macht im weiteren sinngemäss geltend, die im Flugblatt enthaltenen Aussagen stellten blosse Meinungsäusserungen ohne wissenschaftlichen Rang dar, die ihrer Natur nach einseitig seien; ein Hinweis auf einen bestehenden Meinungsstreit sei daher nicht erforderlich. Selbst wenn aber die Äusserungen im zivilrechtlichen Sinne unlauter sein sollten, habe er sich nicht strafbar gemacht. Die insbesondere zur Erfassung zivilrechtlicher Tatbestände geschaffenen, sehr unbestimmten Rechtsbegriffe im UWG seien nach der herrschenden Lehre im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung eng auszulegen. Ausserdem sei gerade bei Äusserungen von aus idealistischen Beweggründen handelnden Privatpersonen dem Grundrecht der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit sowie dem Konsumentenschutz gebührend Rechnung zu tragen. Bei der somit gebotenen restriktiven und verfassungskonformen Auslegung erfülle sein Verhalten, selbst wenn es allenfalls zivilrechtlich unlauter sein sollte, nicht den Straftatbestand von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
.
2.
Das Verteilen des fraglichen Flugblattes ist nach der insoweit zutreffenden Auffassung der Vorinstanz objektiv zur Beeinflussung des Wettbewerbs geeignet, somit wettbewerbsrelevant und fällt daher unter den Anwendungsbereich des UWG. Dass der Beschwerdeführer und der Verein gegen Tierfabriken, welcher das Flugblatt herausgab, weder zum Unternehmen der Beschwerdegegner 1 in einem Wettbewerbsverhältnis stehen noch selbst überhaupt einen Gewinn anstreben, sondern aus idealistischen Beweggründen handelten, ist insoweit unerheblich.
BGE 123 IV 211 S. 215
3.
a) Der vorliegende Fall ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit dem in
BGE 120 II 76
ff. beurteilten vergleichbar. Dort ging es um die (auszugsweise) Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Forschungsrapports in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Hier wurde dagegen weder ein wissenschaftliches Gutachten (auszugsweise) wiedergegeben noch überhaupt auf ein solches Bezug genommen. Zwar sind die Fragen, ob und gegebenenfalls auf welchen Wegen der sogenannte "Rinderwahnsinn" (BSE) auf den Menschen übertragen werden kann und wie gross allfällige Risiken sind, Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das bedeutet aber nicht, dass jede Stellungnahme zu diesen Fragen eine wissenschaftliche Äusserung im Sinne des von der Vorinstanz zitierten
BGE 120 II 76
und daher bei Fehlen eines Hinweises auf den wissenschaftlichen Meinungsstreit gemäss
Art. 3 lit. a UWG
irreführend und somit unlauter ist. Wollte man der Auffassung der Vorinstanz folgen, dann müsste letztlich jede wettbewerbsrelevante Äusserung in den Medien zu einer wissenschaftlich umstrittenen Frage stets mit dem Hinweis auf den in der Wissenschaft herrschenden Meinungsstreit versehen werden. Die Verpflichtung zu einem solchen Hinweis zur Vermeidung einer Irreführung (
Art. 3 lit. a UWG
) mag nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (
Art. 2 UWG
) für die wettbewerbsrelevante (auszugsweise) Publikation von wissenschaftlichen Forschungsrapporten bestehen, in denen als wissenschaftlich gesichert hingestellt wird, was in Tat und Wahrheit umstritten ist. Im vorliegenden Fall fehlt aber jegliche Bezugnahme auf ein wissenschaftliches Gutachten und ist zudem bloss von einem dringenden Verdacht der Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen die Rede, wird diese mithin nicht als wissenschaftlich gesichert hingestellt. Dass der Verdacht eines Zusammenhangs zwischen BSE und speziellen Varianten der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen besteht, dürfte im übrigen heute unbestritten sein.
b) Hinzu kommt, dass die inkriminierten Äusserungen in einem Flugblatt enthalten waren. In Flugblättern werden die Leser auf etwas aufmerksam gemacht oder zu etwas aufgerufen, werden Stellungnahmen und Meinungsäusserungen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen verbreitet etc.. Flugblätter beschränken sich in knappen, auch schlagwortartigen Formulierungen auf das Wesentliche, da vom Adressaten auf der Strasse erfahrungsgemäss nur kurze und geringe Aufmerksamkeit zu erwarten ist. An Äusserungen in Flugblättern zu einer in der Wissenschaft umstrittenen Frage können nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an
BGE 123 IV 211 S. 216
wettbewerbsrelevante Aussagen in einem wissenschaftlichen Forschungsbericht. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung insbesondere des Grundrechts der Meinungsäusserungsfreiheit ist gerade auch bei Äusserungen in Flugblättern Unlauterkeit im Sinne von
Art. 3 lit. a UWG
nur mit Zurückhaltung anzunehmen (zur verfassungskonformen Auslegung des UWG siehe statt vieler URS SAXER, Die Anwendung des UWG auf ideelle Grundrechtsbetätigungen: eine Problemskizze, AJP 5/93 S. 604 ff.). Die Meinungsäusserungsfreiheit fällt namentlich dann ins Gewicht, wenn die Äusserung ein in der Gesellschaft wichtiges Thema, wie etwa die öffentliche Gesundheit, betrifft und die Urheber der Äusserung bzw. die an deren Weiterverbreitung Beteiligten, ohne Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen, im Sinne einer subjektiven Stellungnahme eine Gegenposition zu anderen Stellungnahmen, auch etwa der Behörden, vertreten wollen. Bei der überdies ohnehin gebotenen restriktiven Auslegung der Strafbestimmungen des UWG sind zudem nur Herabsetzungen von einer gewissen Schwere (Anschwärzungen) im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
tatbestandsmässig (siehe dazu
BGE 122 IV 33
E. 2b S. 35, mit Hinweisen).
c) Im Lichte dieser Erwägungen kann die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Widerhandlung gemäss Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht damit begründet werden, dass die im Flugblatt enthaltenen Äusserungen wegen Fehlens eines Hinweises auf den in der Wissenschaft herrschenden Meinungsstreit im Sinne von
Art. 3 lit. a UWG
irreführend seien.
d) Dies bedeutet aber aus nachfolgenden Gründen nicht notwendigerweise, dass der Beschwerdeführer vom Vorwurf der Widerhandlung im Sinne von Art. 23 i.V.m.
Art. 3 lit. a UWG
freizusprechen ist.
4.
a) Aus dem angefochtenen Entscheid geht hervor, dass der Beschwerdeführer das Flugblatt am 23. Juli, am 6. August und am 15. Oktober 1994 direkt vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 in Winterthur verteilt hatte. Aus dem Urteil geht nicht hervor, ob das Flugblatt auch vor anderen Metzgereien der Stadt Winterthur verteilt worden sei. Dies ist aber für die rechtliche Beurteilung des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verhaltens wesentlich. Sollte das Flugblatt stets einzig vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 verteilt worden sein, so wäre dadurch der unrichtige Eindruck geschaffen worden, dass gerade und allein das von dieser
BGE 123 IV 211 S. 217
Metzgerei angebotene Fleisch mit dem BSE-Erreger infiziert sei bzw. dass in bezug auf dieses Fleisch der im Flugblatt geäusserte Verdacht wahrscheinlicher sei als in bezug auf das Fleisch anderer Metzgereien, etwa weil die Beschwerdegegner 1 ihre Waren von zweifelhaften Stellen beziehen. Durch den damit geschaffenen unrichtigen Eindruck wäre die Stellung der Beschwerdegegner 1 im Wettbewerb gegenüber den Konkurrenten in schwerwiegendem Masse beeinträchtigt worden. Eine in dieser Weise bewirkte Diskriminierung eines einzelnen Wettbewerbers ist zur Warnung vor möglichen Gefahren des Fleischkonsums offensichtlich nicht erforderlich. Sie ist unlauter im Sinne von
Art. 3 lit. a UWG
und auch bei der gebotenen einschränkenden Auslegung der Strafbestimmungen tatbestandsmässig im Sinne von Art. 3 lit. a i.V.m.
Art. 23 UWG
. Wer sich in wettbewerbsrelevanter Form negativ über eine Ware äussert, muss nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sicherstellen, dass nicht der unrichtige Eindruck entsteht, die Äusserung betreffe nur die Ware einzelner bestimmter Anbieter.
b) Die Sache ist daher gemäss
Art. 277 BStP
zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat abzuklären, ob das Flugblatt stets einzig direkt vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 oder ob es, sei es vom Beschwerdeführer selbst, sei es von anderen Personen, auch vor anderen Metzgereien der Stadt Winterthur verteilt worden sei, und zwar dergestalt, dass nicht der unrichtige Eindruck entstehen konnte, nur das Fleisch bestimmter einzelner Anbieter stehe im geäusserten Verdacht. Davon hängt es ab, ob das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten im Sinne von
Art. 3 lit. a UWG
unlauter ist oder nicht. Dass allein die Verteilung von Flugblättern durch den Beschwerdeführer vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 Gegenstand der Strafanträge und der Anklage bildet, hindert ergänzende Abklärungen im genannten Sinne nicht, wenn von deren Ergebnis die strafrechtliche Beurteilung des eingeklagten Verhaltens abhängt.
5.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird somit gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts vom 25. Januar 1996 aufgehoben und die Sache gemäss
Art. 277 BStP
zur Ergänzung des Sachverhalts und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen... (Kostenfolgen) | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b5f7ebba-8358-4cc2-bc59-a6c075ae5fe9 | Urteilskopf
117 Ia 107
19. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. März 1991 i.S. Monika Coste-Brandenberg gegen Korporation Zug und Verwaltungsgericht des Kantons Zug (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Wiederaufnahme in das Korporationsbürgerrecht (
Art. 8b SchlT ZGB
;
Art. 4 BV
).
1. Der Entscheid über die Wiederaufnahme in eine Korporation richtet sich nicht nach
Art. 8b SchlT ZGB
, wenn damit weder über das Bürgerrecht einer Gemeinde entschieden wird, noch die Korporation Aufgaben erfüllt, die nach Gesetz einer Heimatgemeinde zukommen (E. 2).
2. Voraussetzungen, unter denen eine Korporation dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist und hoheitlich handelt (E. 5).
3. Darf die Mitgliedschaft in einer öffentlichrechtlichen Korporation vom Führen eines bestimmten Namens abhängig gemacht werden? (E. 6).
4. Eine öffentlichrechtliche Körperschaft verletzt
Art. 4 BV
, wenn sie die Wiederaufnahme in ihre Mitgliedschaft von einer Namensänderung abhängig macht (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 117 Ia 107 S. 108
A.-
Die Korporation Zug hat auf den 1. Januar 1988 neue Statuten erlassen. § 2 dieser Statuten lautet folgendermassen:
"Korporationsgenossen sind Bürgerinnen und Bürger der Stadtgemeinde Zug, die zufolge Abstammung, Adoption oder Erklärung bei Ehescheidung im Sinne von
Art. 149 Abs. 2 ZGB
, den Familiennamen eines der nachgenannten 36 Zuger Korporationsgenossen-Geschlechter tragen:
(Es folgen die Namen)
Bei ihrer Heirat behält eine Korporationsgenossin ihre Mitgliedschaft, wenn sie ihren bisherigen Namen dem Familiennamen im Sinne von
Art. 160 Abs. 2 ZGB
voranstellt und das Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug besitzt."
Die Übergangsbestimmungen zu den revidierten Statuten bestimmen in Ziffer 1 und 2:
BGE 117 Ia 107 S. 109
"1. Eine Frau, die vor ihrer Heirat Korporationsgenossin war und in Anwendung der Übergangsbestimmungen zum neuen Eherecht von
Art. 8a und
Art. 8b SchlT ZGB
in der Zeit vom 1.1. bis zum 31.12.1988 den Namen, den sie vor der Heirat trug, dem Familiennamen voranstellt und das Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug wieder annimmt, erwirbt das Genossenrecht, sofern sie bis spätestens 30.6.1989 eine entsprechende schriftliche Erklärung gegenüber dem Verwaltungsrat abgibt."
"2. Die Ehefrau eines Korporationsgenossen, die in Anwendung der Übergangsbestimmung zum neuen Eherecht vom
Art. 8a SchlT ZGB
den Namen, den sie vor der Heirat trug, dem Familiennamen voranstellt, verliert das Genossenrecht."
B.-
Monika Coste-Brandenberg war vor ihrer Heirat Mitglied der Korporation Zug. Mit der unter altem Eherecht erfolgten Trauung verlor sie das Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug und ihren bisherigen Familiennamen. Im Jahre 1988 hat sie gemäss
Art. 8b SchlT ZGB
das Bürgerrecht der Gemeinde Zug wieder angenommen. Sie hat aber nicht von
Art. 8a SchlT ZGB
Gebrauch gemacht und den Namen, den sie vor der Heirat führte, dem Familiennamen vorangestellt.
Mit Schreiben vom 14. Juni 1989 ersuchte Monika Coste-Brandenberg den Verwaltungsrat der Korporation Zug, sie wieder in die Korporation Zug aufzunehmen. Mit Beschluss vom 23. Oktober 1989 wies der Verwaltungsrat dieses Gesuch ab.
Auf Beschwerde von Monika Coste-Brandenberg wurde dieser Entscheid mit Urteil vom 21. Juni 1990 vom Verwaltungsgericht des Kantons Zug bestätigt.
C.-
Monika Coste-Brandenberg gelangt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht. Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass sie das Genossenrecht der Korporation Zug besitze. Allenfalls sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen.
Die Korporation Zug beantragt, auf die Beschwerde weder als verwaltungsgerichtliche noch als staatsrechtliche einzutreten, allenfalls sie abzuweisen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Das Bundesgericht nimmt die Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde entgegen und heisst sie gut aus folgenden
BGE 117 Ia 107 S. 110
Erwägungen
Erwägungen:
2.
a) Das Bundesgericht beurteilt letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (
Art. 97 Abs. 1 OG
). Um Verfügungen im Sinne dieser Bestimmung handelt es sich bei den angefochtenen Urteilen nur, falls sie sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und über einen sich aus diesem ergebenden Anspruch verbindlich entscheiden. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Zugehörigkeit zur Korporation Zug richte sich in erster Linie nach den Bürgerrechtsbestimmungen des Bundesrechts, namentlich nach
Art. 8b SchlT ZGB
; der vorliegende Rechtsstreit habe somit einen im öffentlichen Recht des Bundes geregelten Anspruch zum Gegenstand.
b) Bei den Bürgerrechtsbestimmungen handelt es sich um öffentliches Recht, selbst wenn sich die entsprechenden Normen im ZGB befinden (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, N. 35 zu
Art. 8b SchlT ZGB
; HEGNAUER, Das Kantons- und Gemeindebürgerrecht der Ehefrau im neuen Eherecht, ZBl 88/1987, S. 251). Gemäss
Art. 22 Abs. 2 ZGB
wird das Bürgerrecht durch das öffentliche Recht bestimmt. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass Bürgerrechtsnormen, auch wenn sie sich in einem privatrechtlichen Erlass finden, zum öffentlichen Recht gehören (Urteil des Bundesgerichts vom 15. November 1990 i.S. B.).
Fraglich ist demgegenüber, ob es vorliegend überhaupt um ein Bürgerrecht geht. Wohl bildet das Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug eine der Voraussetzungen, um Mitglied der Korporation Zug sein zu können. Es ist ohne weiteres zulässig, dass eine öffentlichrechtliche oder auch eine privatrechtliche Körperschaft die Mitgliedschaft von der Voraussetzung abhängig macht, dass jemand Bürger einer bestimmten Gemeinde ist. Dadurch wird der Entscheid über die Mitgliedschaft in dieser Korporation aber nicht zu einem solchen über Bestand oder Nicht-Bestand des Bürgerrechts. Dieses wird von der Zugehörigkeit zur fraglichen Korporation vielmehr nicht berührt. Ein von der Korporation gefasster Beschluss kann daher am Bürgerrecht nichts ändern. Dies gilt, solange die Mitgliedschaft selber nicht als eine Art von Bürgerrecht erscheint, d.h. der Korporation nicht Aufgaben übertragen sind, die nach Gesetz einer Heimatgemeinde zukommen.
BGE 117 Ia 107 S. 111
Gemäss den Statuten der Korporation Zug ist diese nicht zuständig, Entscheide über den Bestand des Bürgerrechts der Stadtgemeinde Zug zu treffen. Dieses wird nur als Voraussetzung für die Aufnahme in die Korporation und dessen Verlust als Grund für das Ausscheiden aus der Korporation aufgeführt. Die Korporation Zug hat zudem keine Aufgaben, die einer Heimatgemeinde zukommen. Sie bezweckt nur das Verwalten des Korporationsgutes und das Ausrichten der entsprechenden Anteile. Sie hat in diesem Sinn eine rein wirtschaftliche Zwecksetzung (
BGE 29 I 400
). Der angefochtene Entscheid hat damit nicht den Bestand oder Nicht-Bestand eines Bürgerrechts zum Gegenstand. Er betrifft nur die Korporationszugehörigkeit, und diese wird vom kantonalen Recht bestimmt. Die Korporationsgemeinden des Kantons Zug bestehen neben den Einwohnergemeinden, den Kirchgemeinden und den Bürgergemeinden als selbständige, vierte Gemeindeart. Die Mitgliedschaft bestimmt sich nach eigenen, ausschliesslich vom kantonalen und kommunalen Recht geregelten Voraussetzungen (vgl. MARKUS FRIGO, Die Bürger- und Korporationsgemeinden im Kanton Zug, Diss. Zürich 1971, S. 31 f.). Entsprechend hat das Bundesgericht schon 1903 entschieden, dass die damals geltende Bundesgesetzgebung im Bereich des Kantons- und des Gemeindebürgerrechts, nämlich das "Bundesgesetz vom 3. Dezember 1850 betreffend Heimatlosigkeit", für die Frage der Mitgliedschaft in der Korporationsgemeinde Zug nicht anwendbar sei (
BGE 29 I 400
E. 2).
Damit liegt aber kein Entscheid im Sinne von
Art. 5 VwVG
vor, der über im öffentlichen Recht des Bundes verankerte Rechte befindet. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb nicht gegeben, und die Eingabe ist als staatsrechtliche Beschwerde zu behandeln.
5.
a) Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss geltend, die Korporation Zug habe sich als öffentlichrechtliche Körperschaft an das Gebot der Rechtsgleichheit zu halten. Der angefochtene Entscheid verletze dieses aber. Der seit vielen Jahren verheirateten Beschwerdeführerin sei nicht zuzumuten, ihren vor der Ehe geführten Namen wieder anzunehmen. Ein erneuter Namenswechsel wäre ein schwerer Eingriff in ihre Persönlichkeit. Die Führung eines bestimmten Namens sei überdies keine sachgerechte Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Korporation. Massgeblich sei von alters her nicht das Führen eines besonderen Namens, sondern die Abstammung aus einem der in den Statuten bezeichneten
BGE 117 Ia 107 S. 112
Geschlechter. Das zeige sich schon daran, dass es zahlreiche Personen mit dem Namen "Müller" gebe, die zwar Bürger der Stadtgemeinde Zug, nicht aber Mitglieder der Korporation seien, obgleich sie mit Bezug auf Bürgerrecht und Namen die Voraussetzung der Statuten erfüllten. Die Verpflichtung, den früheren Namen wieder annehmen zu müssen, treffe zudem nur die Frauen, da bei den Männern keine gleichartige Situation vorstellbar sei. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze somit nicht nur
Art. 4 Abs. 1 BV
, sondern auch Absatz 2 der gleichen Bestimmung.
b) Die Korporation ist an das Rechtsgleichheitsgebot nur gebunden, wenn es sich um eine öffentlichrechtliche Körperschaft handelt. Die Beschwerdegegnerin macht in ihrer Vernehmlassung geltend, es handle sich bei ihr um eine Rechtspersönlichkeit des (kantonalen) Privatrechts. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug äussert sich in seinem Entscheid nicht ausdrücklich dazu, ob die Korporation Zug öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist. Es hat aber geprüft, ob die Korporationsstatuten vor
Art. 4 Abs. 2 BV
Bestand haben können. Eine solche Prüfung hätte sich erübrigt, wenn es sich um die Mitgliedschaft in einer privatrechtlichen Organisation handelte.
Das Bundesgericht hatte sich schon 1903 mit dieser Frage zu befassen und gelangte zum Schluss, die Korporation Zug sei ein "Gebilde des öffentlichen Rechts" (
BGE 29 I 400
E. 2). Angesichts der langen Zeitspanne seit diesem Entscheid und der teilweise veränderten Rechtsgrundlagen rechtfertigt es sich, neu zu prüfen, ob es sich bei der Beschwerdegegnerin um eine Personengemeinschaft des öffentlichen oder privaten Rechts handelt.
c)
Art. 59 ZGB
behält im Rahmen der Regeln über die juristischen Personen ausdrücklich die öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten des Bundes und der Kantone vor. Öffentlichrechtliche Körperschaften sind Personenverbindungen, die an der staatlichen Hoheitssphäre teilhaben (GUTZWILLER, Verbandspersonen, Grundsätzliches, SPR Bd. II, Basel 1967, S. 451). Die Korporation Zug hat aber zweifellos an dieser Hoheitssphäre teil. Die Korporationsgemeinden stellen gemäss Verfassung des Kantons Zug eine der vier Gemeindearten dar. Die nähere Ausgestaltung erfolgt durch das Gemeindegesetz. Sie leiten damit ihren Bestand aus dem öffentlichen Recht ab. Auch die gegen ihre Entscheide gegebenen kantonalen Rechtsbehelfe sind - wie der vorliegende Fall zeigt - diejenigen des öffentlichen Rechts. Die Korporation Zug ist damit durch das kantonale Recht öffentlichrechtlich
BGE 117 Ia 107 S. 113
ausgestaltet. Dies allein reicht grundsätzlich für eine Bindung an die Grundrechte der Verfassung bereits aus.
Es kann sich allerdings fragen, ob ein Kanton eine juristische Person öffentlichrechtlich ausgestalten kann, wenn sie ausschliesslich private Aufgaben erfüllt. Es ist deshalb zu prüfen, ob die Korporation Zug öffentliche oder ausschliesslich private Aufgaben hat. Wohl beschränkt sich ihre Tätigkeit auf das Erhalten und Verwalten des Korporationsgutes. Indessen kann allein daraus noch nicht geschlossen werden, dass dies nicht im öffentlichen Interesse erfolge. Was eine öffentliche und was eine private Tätigkeit ist, lässt sich nicht in allen Fällen mit einer abstrakten Umschreibung unterscheiden. Neben ausschliesslich öffentlichen und ausschliesslich privaten Tätigkeiten gibt es solche, die sowohl dem einen als auch dem anderen Bereich zugerechnet werden können. So kann beispielsweise das Spitalwesen von seinem Zweck her privat- oder öffentlichrechtlich organisiert werden (vgl.
BGE 101 II 182
ff.). Auch bei den kirchlichen Körperschaften kann es sich unabhängig von ihrer Zweckbestimmung je nach kantonalem Recht um Rechtspersönlichkeiten des öffentlichen oder privaten Rechts handeln.
§ 73 Abs. 2 der Zuger Kantonsverfassung hält ausdrücklich fest, dass das Korporationsgut unter Vorbehalt von gemeinnützigen Zuwendungen in seinem Bestand als unteilbares Gut zu erhalten ist. Es darf somit nicht für private Zwecke verwendet werden. Geschichtlich handelt es sich beim Korporationsgut um Gemeindevermögen, das im Laufe des 19. Jahrhunderts verselbständigt und vom politischen Gemeindehaushalt abgetrennt wurde (FRIGO, S. 1 ff.). Die Korporation Zug stellt somit eine Art verselbständigtes Gemeindevermögen dar. Die Verwaltung eines Vermögens kann aber, wenn dieses öffentlichen Interessen zu dienen hat, zu den öffentlichen Aufgaben gerechnet werden. Auch vom Zweck her lässt sich die Zuordnung zum öffentlichen Recht somit ohne weiteres rechtfertigen.
d) Eine Grundrechtsverletzung ist grundsätzlich nur dort möglich, wo die Körperschaft dem einzelnen Bürger gegenüber hoheitlich auftritt. Eine Körperschaft handelt hoheitlich, wenn sie mit ihrem Akt in irgendeiner Weise die Rechtsstellung des einzelnen Bürgers berührt, indem sie ihn verbindlich und erzwingbar zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden verpflichtet oder sonstwie seine Rechtsbeziehung zum Staat autoritativ festlegt (
BGE 107 Ia 80
E. 1). Mit ihrem Entscheid, die Beschwerdeführerin nicht in
BGE 117 Ia 107 S. 114
die Korporation aufzunehmen, hat die Korporation Zug deren Verhältnis zu ihr autoritativ festgelegt. Da es sich bei der Korporation um eine öffentlichrechtliche Körperschaft und damit um einen Teil des Staates handelt, liegt ein Entscheid vor, mit dem die Rechtsbeziehung zwischen der Beschwerdeführerin und dem Staat festgelegt wird. Hält sich die Korporation dabei nicht an die Grundrechte, kann der Betroffene eine Grundrechtsverletzung geltend machen.
6.
a) Mit dem Vorwurf,
Art. 4 Abs. 1 BV
sei verletzt, bringt die Beschwerdeführerin nicht vor, es werde ein vorgegebener Rechtssatz in unhaltbarer Weise auf sie angewendet, sondern die von der Korporation aufgrund des kantonalen Rechts erlassenen Normen behandelten bestimmte Gruppen von Personen ohne hinreichenden sachlichen Grund ungleich. Sie wirft dem Verwaltungsgericht, welches diesen Normen gemäss entschieden hat, somit nicht bloss eine willkürliche, sondern eine rechtsungleiche Behandlung im engeren Sinne vor (vgl. HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 62). Das Korporationsstatut behandle jene Personen, die das Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug besitzen und aus einer der 36 Korporationsfamilien abstammten, unterschiedlich je nachdem, ob sie den Namen einer dieser Familien führten oder ihn durch eine Zivilstandsänderung verloren hätten. Eine solche Unterscheidung entbehre jeglicher sachlichen Rechtfertigung.
b) Es ist unter dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Korporation Zug die Aufnahme in die Korporation auf die Nachkommen (und allenfalls die Ehegatten) von Korporationsmitgliedern beschränken will. Vom Zweck der Korporation her, nämlich das Stammgut zu verwalten und aus dessen Ertrag das Nutzentreffnis an die Berechtigten auszurichten, stellt die Mitgliedschaft weitgehend ein Vermögensrecht dar. Für die Nachfolge in ein vermögensrechtliches Verhältnis kann ohne weiteres auf die verwandtschaftliche Beziehung bzw. die Ehe abgestellt werden. Dies zeigt das Erbrecht, das für die Nachfolge ebenfalls bei der Verwandtschaft bzw. der Ehe anknüpft.
Auch gegen die Verknüpfung mit dem Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug ist nichts einzuwenden, obgleich das Bürgerrecht für die Weitergabe von Vermögensrechten in aller Regel ohne Bedeutung ist. Die enge Verbindung der Korporation mit dieser Gemeinde kann es rechtfertigen, den Kreis der Mitglieder auf
BGE 117 Ia 107 S. 115
Personen zu beschränken, die mit der Stadtgemeinde Zug durch das Bürgerrecht verbunden sind.
Demgegenüber wird weder im angefochtenen Entscheid noch in der Beschwerdeantwort dargetan, aus welchen sachlichen Gründen die Mitgliedschaft von einer bestimmten Namensführung abhängen soll. Die Korporation Zug dürfte überdies wohl kaum ohne Ausnahme auf den Namen als solchen abstellen. Andernfalls müsste sie alle Bürger der Stadtgemeinde Zug, die den Namen "Müller" führen und (väterlicher- oder mütterlicherseits) von einem Korporationsgenossen (bzw. einer Korporationsgenossin) abstammen, in die Korporation aufnehmen. Wie zufällig die Namensführung sein kann, zeigt sich insbesondere auch, wenn daran gedacht wird, dass die Heirat einer Korporationsgenossin mit einem Nicht-Korporationsgenossen, der aber zufällig den Namen eines Korporationsgeschlechts führt, bewirkt, dass die Ehefrau gemäss
Art. 160 Abs. 1 ZGB
diesen Namen annimmt und damit das Namenserfordernis erfüllte.
Dass die Namensführung nicht ohne weiteres als ein für die Korporationszugehörigkeit sachgemässes Kriterium angesehen werden kann, zeigt sich ganz besonders im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das Bundesrecht behandelt mit Bezug auf die Namensführung im Zusammenhang mit der Heirat die Geschlechter nicht gleich. Diese Ungleichbehandlung hat ihre Rechtfertigung im öffentlichen Interesse an einem (teilweise) einheitlichen Namen in der Familie und dessen Ordnungsfunktion. Es ist aber nicht ganz zu sehen, welche Bedeutung dieses Interesse im Zusammenhang mit der Korporationszugehörigkeit haben soll. Ob das Abstellen auf die Namensführung bei der Korporationsmitgliedschaft grundsätzlich mit
Art. 4 BV
vereinbar sei, braucht indessen vorliegend nicht beurteilt zu werden, weil die Beschwerde, wie sich aus dem folgenden ergibt, aus einem andern Grund gutzuheissen ist.
7.
Hier geht es nämlich nicht um die Frage, ob von der Frau eine Erklärung nach
Art. 160 Abs. 2 ZGB
verlangt werden darf. Die Beschwerdeführerin hat sich noch unter dem alten Recht verheiratet und führt damit seit Jahren einen andern als ihren angestammten Namen; um als Mitglied wieder aufgenommen zu werden, verlangt die Korporation von ihr eine Namenserklärung nach
Art. 8a SchlT ZGB
und damit eine Namensänderung. Die Beschwerdeführerin und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement legen aber zu Recht dar, dass eine solche Namensänderung
BGE 117 Ia 107 S. 116
einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt. Dies entspricht offensichtlich auch der Meinung des Gesetzgebers. Er verzichtete beim Erlass des neuen Eherechts nämlich auf eine formal geschlechtsneutrale und damit formal rechtsgleiche Regelung der Namensführung zugunsten der Namenskontinuität. Im Nationalrat wurde der Antrag auf ein Namenswahlrecht der Ehegatten abgelehnt, weil damit doch immer ein Ehegatte seinen bisherigen Namen hätte aufgeben müssen (vgl. Amtl.Bull. 1983 N., S. 624 ff. insb. S. 638). Es sind aber keine öffentlichen Interessen zu sehen, die einen derart schweren Eingriff in die Persönlichkeit der Beschwerdeführerin rechtfertigen könnten. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b5fa5b56-4afd-4397-ac38-b98f4dbeacb4 | Urteilskopf
112 Ia 281
44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Dezember 1986 i.S. Politische Gemeinde Hombrechtikon gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Gemeindeautonomie. Abgrenzung der kommunalen von der kantonalen Pflicht zur Nutzungsplanung im Zürcher Recht.
1. Grundsätze (E. 3).
2. Bedeutung des Richtplans (kantonaler Gesamtplan) für die Abgrenzung der kommunalen von der kantonalen Nutzungsplanungspflicht (E. 6). Anwendungsfall, in dem weder die Gemeinde noch der Kanton der Planungspflicht nachkommen und für ein bestimmtes Gebiet die Nutzungsplanung festsetzen wollen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 282
BGE 112 Ia 281 S. 282
Am 22. Juni 1984 beschloss die Gemeindeversammlung Hombrechtikon eine neue Nutzungsplanung. Der Regierungsrat des Kantons Zürich genehmigte diese Planung mit Beschluss vom 6. März 1985. Unter anderem schloss er jedoch die Einteilung von drei Parzellen im Gebiet Langenriet in die Reservezone bzw. in keine kommunale Zone von der Genehmigung aus. Er lud die Gemeinde ein, das nicht von der kantonalen Landwirtschaftszone erfasste Gebiet Langenriet einer kommunalen Zone zuzuweisen.
Die Gemeinde Hombrechtikon führt mit Eingabe vom 13. Mai 1985 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Sie rügt eine Verletzung der Gemeindeautonomie sowie des
Art. 4 BV
und beantragt nebst weitern Punkten, den Genehmigungsausschluss sowie die Planungsanweisung hinsichtlich des Gebiets Langenriet aufzuheben. Ihres Erachtens ist es Sache des Kantons, dort eine kantonale Landwirtschaftszone auszuscheiden. Das Bundesgericht weist die Beschwerde in diesem Punkt ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 110 Ia 199
E. 2 mit Hinweis). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann sich die Gemeinde mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Rechtsmittel- oder Genehmigungsverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder dass sie bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen und bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot verstösst oder, soweit kantonales Verfassungsrecht in Frage steht, dieses unrichtig auslegt oder anwendet (
BGE 111 Ia 132
E. 4a;
BGE 110 Ia 200
E. 2b, je mit Hinweisen).
b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht den Zürcher Gemeinden beim Erlass einer Bau- und Zonenordnung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie sind insoweit grundsätzlich autonom. Das ergibt sich namentlich aus den §§ 2 lit. c, 31, 32 und 45 ff. PBG (
BGE 111 Ia 132
/133 E. 4b mit Hinweis; Urteil vom 27. Oktober 1982 i.S. Gemeinde Wetzikon, E. 3a, in: ZBl 84/1983, S. 317).
BGE 112 Ia 281 S. 283
c) Das Zürcher Planungs- und Baugesetz umschreibt die auch in Art. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) angeordnete Planungspflicht näher (
§
§ 8 ff. PBG
). Es verpflichtet unter anderem ausdrücklich den Staat und die Gemeinden zur Planung im Sinne des Gesetzes (
§ 8 PBG
) und bestimmt, dass die Planungen eines jeden Planungsträgers räumlich und sachlich so weit reichen, als die Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben und die Wahrung seiner Interessen es erfordern (
§ 9 PBG
). Aus dieser Vorschrift ergibt sich auch für das Zürcher Recht, das die Planhierarchie betont (
§ 16 PBG
), das Gebot der Planabstimmung, wie es dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz zugrunde liegt (
Art. 2 RPG
; MARTIN LENDI/HANS ELSASSER, Raumplanung in der Schweiz, 2. A., Zürich 1986, S. 227/228). Eine Planung, welche die räumlichen und sachlichen Grenzen beachtet und demgemäss kompetenzgerecht ist, bindet auch die Planungsträger übergeordneter Stufe, es sei denn, sie widerspreche einer ebenfalls kompetenzgerecht festgesetzten Planung der oberen Stufe (
§ 16 PBG
).
Demzufolge kann der Auffassung des Kantons, wonach allein er zu bestimmen habe, wie weit seine Planungspflicht reiche, nicht vorbehaltlos gefolgt werden. Wohl steht den Gemeinden zufolge ihrer Bindung an die Planungen der oberen Stufe insoweit keine Autonomie zu, als der übergeordnete Planungsträger zur Planung verpflichtet ist, hievon Gebrauch gemacht hat und Abweichungen von seiner Planung unzulässig sind. Soweit jedoch die Rechtsordnung dem Kanton und den Gemeinden bei der Abgrenzung ihrer Planungsaufgaben Ermessen einräumt, haben beide Planungsträger davon pflichtgemäss nach sachgerechten Erwägungen und in Beachtung der Planungsgrundsätze Gebrauch zu machen. Das ist bei der Aufstellung der Nutzungspläne in Übereinstimmung mit den Richtplänen der Fall. Die Richtpläne haben die Grundzüge der räumlichen Entwicklung darzustellen und namentlich zu zeigen, wie die raumwirksamen Tätigkeiten räumlich und zeitlich aufeinander abgestimmt werden (
Art. 6 und 8 RPG
). Auch wenn das Zürcher Planungs- und Baugesetz die Richtplanung weiter gehend als bundesrechtlich erforderlich dafür einsetzt, die Nutzungsplanung vorzubestimmen (
BGE 107 Ia 85
E. 2c), belässt es den Planungsträgern den nötigen Ermessensspielraum für den Erlass der Nutzungspläne. Der Zürcher Gesamtplan bringt das mit dem sogenannten Anordnungsspielraum zum Ausdruck, der die genaue Abgrenzung der Nutzungszonen der Nutzungsplanung
BGE 112 Ia 281 S. 284
überlässt. Der Anordnungsspielraum kann sowohl von den Gemeinden für die kommunale Nutzungsplanung als auch vom Kanton für die Festsetzung der kantonalen Nutzungszonen beansprucht werden, wobei die Nutzungsplanungen aufeinander abzustimmen sind (
Art. 2 Abs. 1 RPG
;
§ 9 PBG
). Insoweit regelt das kantonale Recht einen Sachbereich nicht abschliessend, weshalb den Gemeinden in diesem Umfang Autonomie zusteht.
d) Wann eine Gemeinde durch den Entscheid einer kantonalen Rechtsmittel- oder Genehmigungsinstanz in ihrer Autonomie verletzt ist, hängt vom Umfang der Prüfungsbefugnis der kantonalen Behörde ab. Der Zonenplan unterliegt der regierungsrätlichen Genehmigung (§ 2 lit. a i.V.m.
§ 89 PBG
). Dem Regierungsrat steht dabei die Prüfung des Plans auf Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Angemessenheit zu (
§ 5 Abs. 1 PBG
). Bei dieser umfassenden Prüfungsbefugnis kann die Gemeinde Hombrechtikon nur dann mit Erfolg eine Verletzung ihrer Autonomie geltend machen, wenn die teilweise Nichtgenehmigung des Zonenplans sich nicht mit vernünftigen, sachlichen Gründen vertreten lässt. Auch darf der Regierungsrat nicht einfach das Ermessen der Gemeinde durch sein eigenes Ermessen ersetzen. Er hat es in Übereinstimmung mit der Regel von
Art. 2 Abs. 3 RPG
der Gemeinde zu überlassen, unter mehreren verfügbaren und zweckmässigen Lösungen zu wählen. Der Regierungsrat kann jedoch bei seiner Zweckmässigkeitskontrolle nicht erst einschreiten, wenn die Lösung der Gemeinde ohne sachliche Gründe getroffen wurde und schlechthin unhaltbar ist. Die kantonalen Behörden dürfen sie vielmehr korrigieren, wenn sie sich auf Grund überkommunaler öffentlicher Interessen als unzweckmässig erweist oder wenn sie den wegleitenden Grundsätzen und Zielen der Raumplanung nicht entspricht oder unzureichend Rechnung trägt. Verlangt die kantonale Behörde von der Gemeinde mit vernünftiger, sachlicher Begründung eine Änderung des Zonenplans, um ihn mit den gesetzlichen Anforderungen in Übereinstimmung zu bringen, so kann sich die Gemeinde nicht mit Erfolg über eine Verletzung ihrer Autonomie beklagen (
BGE 110 Ia 52
/53 E. 3 mit Hinweisen).
6.
Die Planungspflicht betrifft unbestrittenermassen alle Planungsträger, also auch den Kanton (
Art. 2 RPG
;
§ 8 PBG
), und jeder Planungsträger hat den Grundsatz der Verbindlichkeit der Planungen zu beachten (
Art. 9 RPG
;
§ 16 PBG
). Desgleichen ist unbestritten, dass die Festsetzung der Landwirtschaftszone nach Zürcher Recht in erster Linie dem Kanton obliegt (
§ 38 Satz 1
BGE 112 Ia 281 S. 285
PBG
) und dass als Landwirtschaftszone Flächen auszuscheiden sind, die nach der Richtplanung vorwiegend landwirtschaftlich genutzt werden sollen (
§ 36 PBG
). Unstreitig ist schliesslich, dass der kantonale Gesamtplan als Richtplan (
BGE 107 Ia 80
/81 E. 1) die Nutzung des Bodens und die Besiedlung im Kanton in den Grundzügen ordnet (
Art. 6 Abs. 1 RPG
;
§ 28 Abs. 1 PBG
). Er scheidet das Siedlungs- und Bauentwicklungsgebiet sowie das nicht zu besiedelnde Gebiet aus; in diesem bezeichnet er jene Flächen, die dem Land- und Forstwirtschaftsgebiet zugewiesen werden (
Art. 6 Abs. 2 lit. a RPG
;
§ 28 Abs. 2 PBG
).
Für den Ausgang der Sache ist somit entscheidend, ob der kantonale Gesamtplan den Kanton verpflichtet, im Gebiet Langenriet eine Landwirtschaftszone auszuscheiden, wie die Beschwerdeführerin es verlangt. Trifft das mit genügender Deutlichkeit zu, so ist die Anordnung auch für den Kanton verbindlich. Die Gemeinde dürfte keine entgegenstehende Nutzungszone ausscheiden (
BGE 111 Ia 133
/134 E. 5b). Abweichungen wären nur zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt sowie untergeordneter Natur wären und es nach den Umständen als unzumutbar erschiene, vorher den Gesamtplan förmlich zu ändern (
§ 16 Abs. 2 PBG
).
Es fragt sich somit in erster Linie, ob aus dem Gesamtplan eindeutig hervorgeht, dass das Gebiet Langenriet zum Landwirtschaftsgebiet zu rechnen ist. Sollte seine Zugehörigkeit jedoch offen sein, so wäre nach sachgerechten planerischen Erwägungen zu ermitteln, wie die Planungspflichten von Kanton und Gemeinde abzugrenzen und aufeinander abzustimmen sind.
7.
Nach der kartografischen Darstellung des Gesamtplans befindet sich das von der Gemeinde nicht eingezonte Gebiet Langenriet zum überwiegenden Teil im sogenannten Anordnungsspielraum. Die Beschwerdeführerin stellt das denn auch nicht in Abrede; doch leitet sie aus den Beratungen der Gesamtplanvorlage im Kantonsrat ab, dass dieser das Siedlungsgebiet in Langenriet abweichend von der regierungsrätlichen Vorlage zu Gunsten des Landwirtschaftsgebiets enger begrenzt habe. Daraus folge, dass der Kanton im umstrittenen Bereich eine Landwirtschaftszone auszuscheiden habe.
a) Aus der kartografischen Darstellung des Gesamtplans lässt sich keine Verpflichtung des Kantons herleiten, im Gebiet Langenriet eine kantonale Landwirtschaftszone festlegen zu müssen. Auch wenn die räumliche Ausdehnung des Siedlungs- und des Landwirtschaftsgebiets in den Grundzügen aus dem Plan hervorgeht,
BGE 112 Ia 281 S. 286
belässt er im Grenzgebiet bewusst einen relativ grossen undefinierten Bereich (Bericht des Zürcher Kantonsrates zu den Einwendungen gegen den kantonalen Gesamtplan von 10. Juli 1978, S. 5/6). Es ist Sache der nachgeordneten Planung, in diesem Grenzbereich - dem sogenannten Anordnungsspielraum - die Nutzungszonen auf die Parzellen genau festzulegen. Eine Zuweisung der in diesem Bereich gelegenen Grundstücke zu einer kommunalen Nutzungszone würde somit dem Grundsatz der Verbindlichkeit der Planungen gemäss
§ 16 PBG
nicht widersprechen (
BGE 107 Ib 337
E. 3a).
Freilich darf auch der Kanton den an das Landwirtschaftsgebiet anstossenden Anordnungsspielraum für die kantonale Landwirtschaftszone beanspruchen, sofern sich das auf Grund der Ziele und Grundsätze der Raumplanung aufdrängt (
BGE 110 Ia 53
E. 3). Kommt jedoch der Kanton mit sachgerechten Erwägungen, die sich durch vernünftige planerische Gründe rechtfertigen lassen, zum Schluss, es dränge sich nicht auf, für die Begrenzung der kantonalen Nutzungszone den Anordnungsspielraum zu beanspruchen, so kann die Gemeinde nicht mit Erfolg geltend machen, ihre Planungspflicht erstrecke sich nicht auf den Anordnungsspielraum.
b) Aus dem Verlauf der Gesamtplanung und dem erwähnten Bericht des Kantonsrates zu den Einwendungen kann entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht geschlossen werden, dass in Langenriet im Bereich des Anordnungsspielraums eine kantonale Landwirtschaftszone festgelegt werden müsse. Der Bericht spricht vielmehr für die Auffassung des Regierungsrates, lautet doch der massgebende Text wie folgt (erwähnter Bericht vom 10. Juli 1978, S. 52):
"Verschiedenen Einwendungen, welche die Zuweisung des Siedlungsgebietes Langenriet zum Landwirtschaftsgebiet verlangen, kann nur soweit entsprochen werden, als ihnen nicht offensichtlich schützenswerte Interessen einer weiteren Einwendung entgegenstehen. Die im Gesamtplan getroffene Lösung ermöglicht es, im Rahmen der kommunalen Nutzungsplanung den entgegenstehenden Interessen weitestgehend gerecht zu werden."
Die im Bericht genannten "schützenswerten Interessen" beziehen sich auf das Industrieunternehmen, dem die Parzellen GB Nrn. 180, 182 und 4582 gehören. Die Beschwerdeführerin ist indessen der Auffassung, es handle sich um einen Irrtum, wenn nur von der kommunalen Nutzungsplanung gesprochen werde. Doch stellt diese Äusserung lediglich eine Vermutung dar, wofür ein stichhaltiger
BGE 112 Ia 281 S. 287
Beweis fehlt. Die im Verlauf der Beratungen über die Regierungsvorlage vorgenommenen Änderungen des Gesamtplans und die Voten des Kommissionsreferenten sagen nichts darüber aus, welches Gemeinwesen die Nutzungszonen in jenem Bereich festzulegen hat.
c) Im vorliegenden Fall begründet der Regierungsrat die Nichtfestsetzung einer kantonalen Landwirtschaftszone im Gebiet Langenriet im angefochtenen Genehmigungsbeschluss vom 6. März 1985 einzig damit, dass gemäss ständiger Praxis der Baudirektion eine kantonale Landwirtschaftszone anstelle einer früheren Bauzone nur dann angeordnet werde, wenn Erklärungen der Grundeigentümer über den Verzicht von Forderungen gegenüber dem Staat vorgelegt würden.
Diese Begründung ist unhaltbar. Gebieten die bundesrechtlichen Ziele und Grundsätze der Raumplanung (
Art. 1 und 3 RPG
), die für alle Planungsträger verbindlich sind, ein Gebiet einer bestimmten Nutzungszone zuzuweisen, so verletzt der Verzicht auf die entsprechende Zuteilung Bundesrecht (vgl.
BGE 110 Ia 52
/53 E. 3 mit Hinweisen). Finanzielle Erwägungen allein vermögen den Verzicht auf eine bundesrechtlich gebotene Nutzungsplanung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (
BGE 110 Ia 55
E. 4d mit Hinweis auf
BGE 107 Ia 240
ff.). Eine Ausnahme könnte sich nur dann aufdrängen, wenn die Leistung der Entschädigungssumme das zahlungspflichtige Gemeinwesen in seinem finanziellen Gleichgewicht so stark träfe, dass eine notstandsähnliche Situation eintreten würde (
BGE 107 Ia 245
E. 4). Davon kann beim Kanton Zürich nicht ernsthaft die Rede sein.
d) Erst in seiner Vernehmlassung bringt der Regierungsrat vor, dass es sachgerecht sei, die Entflechtung der verschiedenen Interessen im Gebiet Langenriet der kommunalen Nutzungsplanung zu überlassen. Der Verlauf der bestehenden Parzellengrenzen zeige, dass eine Landumlegung unumgänglich sei, in welcher nach Möglichkeit allen Eigentümern gemäss ihren Wünschen Land in einer sachgerecht abgegrenzten Bau- oder Landwirtschaftszone zugeteilt werden könne. Das geschehe zweckmässigerweise bei der kommunalen Nutzungsplanung und entspreche der vom Kantonsrat bei der Verabschiedung des Gesamtplans befolgten Praxis. Ein Sonderfall, der eine Anweisung an den Kanton zur Festsetzung einer Landwirtschaftszone begründen würde, liege nicht vor. Demnach gelte der im Bericht des Zürcher Kantonsrates vom 10. Juli 1978 zum kantonalen Gesamtplan genannte Grundsatz, wonach
BGE 112 Ia 281 S. 288
das bisherige Bauzonengebiet auf der Stufe der Nutzungsplanung durch die Gemeinden als Reservezone bezeichnet werden müsse, sofern die nachgeordneten Planungsträger keine andere definitive Zuteilung bestimmten (S. 12).
Sodann verweist der Regierungsrat auf die Revision des Planungs- und Baugesetzes vom 20. Mai 1984, mit der unter anderem die Gemeinden ermächtigt wurden, neben dem Kanton Landwirtschaftszonen festzulegen (
§ 38 Satz 2 PBG
). Die Gemeinden könnten die entgegenstehenden Interessen weit besser berücksichtigen, als dies bei der pauschalen Bezeichnung von Landwirtschaftszonen durch den Kanton möglich sei.
Im übrigen verlange der Kanton die umstrittene Erklärung von den Grundeigentümern nicht nur, um Entschädigungsrisiken zu vermeiden. Vielmehr gehe es auch darum, der Bedeutung Rechnung zu tragen, die eine Auszonung für die bäuerliche Erbfolge haben könne. Zudem stelle sie die Zweckmässigkeit der Zonenabgrenzung sicher.
e) Diese Erwägungen halten der dem Bundesgericht zustehenden Willkürprüfung stand.
Es liegt auf der Hand, dass die Gemeindebehörden ihr Gebiet am besten kennen. Ihnen sind auch die tatsächlichen, rechtlichen und persönlichen Verhältnisse jener Eigentümer bekannt, deren Grundstücke ausgezont werden sollen. Diese Kenntnisse sind nicht nur für die Beurteilung allfälliger Entschädigungsforderungen wesentlich; sie erlauben namentlich auch differenziertere Zonenzuteilungen, als dies dem Kanton möglich ist; für diesen kommt vorliegendenfalls einzig die Landwirtschaftszone in Betracht. So kann die Gemeinde ohne Verstoss gegen den übergeordneten Richtplan Teile des Gebiets, das möglicherweise bereits grob erschlossen ist und mit dessen Überbauung in naher Zukunft die betroffenen Grundeigentümer gerechnet haben, einer definitiven Bauzone zuweisen, um allfällige Härten der Auszonung zu mildern. Sie kann auch eine Reservezone anordnen und damit im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 RPG
eine bauliche Nutzung erst später vorsehen. Schliesslich kann sie seit der Revision des Planungs- und Baugesetzes vom 20. Mai 1984 eine kommunale Landwirtschaftszone ausscheiden (
§ 38 Satz 2 PBG
). Freilich ging es bei dieser Revision in erster Linie darum, die Weiterexistenz baugebietsinterner Bauernhöfe zu sichern (vgl.
§ 16 Abs. 2 PBG
). Doch schliesst das die Festsetzung kommunaler Landwirtschaftszonen in weitern Fällen nicht aus. Für die Gemeinde kann sich das wie hier als
BGE 112 Ia 281 S. 289
vorteilhaft erweisen, wo das ausgezonte Areal an die Bau- oder Reservezone grenzt, hat sie es doch eher in der Hand, zu gegebener Zeit veränderten Verhältnissen Rechnung zu tragen.
Der Augenschein hat bestätigt, dass die heutige Begrenzung der Bauzone im Gebiet Langenriet als sachgerecht bezeichnet werden kann. Indessen kann nicht gesagt werden, dass abweichende Zonenzuteilungen im Randgebiet der Kernzone, der Reservezone und des von der Gemeinde nicht eingezonten, umstrittenen Gebiets nicht in Frage kämen. Die vom Kanton genannten Möglichkeiten, die der Gemeinde zur Verfügung stehen, sind tatsächlich gegeben.
Der Augenschein hat ferner die aus den Plänen hervorgehende Tatsache bestätigt, dass die Parzellenverhältnisse im streitigen Bereich einer Bereinigung bedürfen. Sollen die Parzellen GB Nrn. 180, 182 und 4582 einer Überbauung zugeführt werden, so ist mit einer Quartierplanung die einwandfreie Erschliessung und Parzellenbildung zu sichern. Auch wenn das geltende Zürcher Recht eine sogenannte Entflechtungsumlegung mit Trennung des zu überbauenden Bodens und des Landwirtschaftsareals nicht ausdrücklich vorsieht, schliesst das eine entsprechende Lösung auf dem Weg der Verständigung nicht aus. Die Zuweisung jenes Gebiets zu einer kantonalen Landwirtschaftszone würde eine solche Lösung zwar nicht verunmöglichen, jedoch erschweren. Den Gemeindebehörden ist es eher möglich, zusammen mit den betroffenen Grundeigentümern eine ortsplanerisch einwandfreie Abgrenzung der Nutzungszonen sowie in Übereinstimmung damit die nötige Parzellarordnung und Erschliessung sicherzustellen (
Art. 19 und 20 RPG
).
Unter diesen Umständen erweist sich die Anweisung des Regierungsrates an die Gemeinde, das umstrittene Gebiet einer kommunalen Nutzungszone zuzuweisen, jedenfalls im Ergebnis als sachlich vertretbar. Sie ist somit nicht willkürlich und verletzt demzufolge die Autonomie der Gemeinde Hombrechtikon nicht. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b5fa92b9-5a04-490f-9a2b-322ad1895790 | Urteilskopf
126 II 522
53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Dezember 2000 i.S. Politische Gemeinde Bachs und weitere Beschwerdeführer gegen Kanton Zürich und Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Verwaltungsgerichtsbeschwerden) | Regeste
Baukonzessionen für den Ausbau des Flughafens Zürich.
MASSGEBENDE SACH- UND RECHTSLAGE, ZEITPUNKT DES ENTSCHEIDES
Berücksichtigung neuen Rechts und neuer Tatsachen beim Entscheid im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren (E. 3b). Anspruch des Baukonzessionsgesuchstellers auf einen Entscheid (E. 10b). Zeitpunkt des Entscheides, Koordination von Baukonzessions- und Betriebskonzessionsverfahren (E. 11).
ERGÄNZENDE UMWELTVERTRÄGLICHKEITSBERICHTE UND UMWELT-VERTRÄGLICHKEITSPRÜFUNG
Neue Flugverkehrsprognose (E. 13). Unbegründete Kritik an der Prognose (E. 14).
LUFTHYGIENE/FLUGBETRIEB UND ABFERTIGUNG
Schadstoffemissionsprognose gemäss Umweltverträglichkeitsbericht (E. 18). Stellungnahmen von AWEL und BUWAL, Erwägungen des UVEK; Festsetzung eines Emissionsplafonds (E. 19).
Unbegründete Kritik an der Ausgestaltung und an der Höhe des Emissionsplafonds (E. 22 und 23). Der Emissionsplafond ist weder aus wirtschaftlichen Gründen unzulässig, noch verstösst er gegen den sog. Zulassungszwang oder das Recht auf freie Verkehrsmittelwahl (E. 22b und 22d).
FLUGLÄRM
Fachberichte Fluglärm und Stellungnahme des BUWAL (E. 34). Erwägungen des UVEK zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen (E. 35a), zum Schallschutzkonzept (E. 35b) und zum Lärmbelastungskataster (E. 35c). Lärmbedingte betriebliche Regelung gemäss Baukonzession und Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt (E. 36). Einwendungen gegen den Fachbericht Fluglärm betreffend - Flottenmix (E. 37a) - Lärmmass (E. 37b) - Lärm rollender Flugzeuge (E. 37c) - fehlende Abklärungen über gesundheitliche Auswirkungen (E. 37d) - mangelnde Gesamtbeurteilung gemäss
Art. 8 USG
(E. 37e)
Zusammenfassung der Einwendungen gegen die vom UVEK gewährten Erleichterungen und gegen die fluglärmbedingten Auflagen der Baukonzession (E. 38). Rechtsgrundlagen der verfügten betrieblichen Beschränkungen (E. 39). Sind zusätzliche Einschränkungen des Flugbetriebs erforderlich? Frage offen gelassen (E. 40).
AKZESSORISCHE ÜBERPRÜFUNG DER BELASTUNGSGRENZWERTE FÜR DEN LÄRM DER LANDESFLUGHÄFEN
Grundsätze der akzessorischen Überprüfung von Verordnungen des Bundesrates (E. 41).
Verfassungs- und Gesetzesgrundlagen für die Festlegung der Immissionsgrenzwerte (E. 42). Werdegang der Immissionsgrenzwerte bzw. der Belastungsgrenzwerte für den Lärm der Landesflughäfen (E. 43).
Überprüfung der vom Bundesrat festgelegten Immissionsgrenzwerte auf Gesetz- und Verfassungsmässigkeit, insbesondere auf die Vereinbarkeit mit
Art. 15 und
Art. 13 Abs. 2 USG
(E. 44-46). Berücksichtigung des neuesten Standes der Wissenschaft (E. 45). Da die Belastungsgrenzwerte für den Lärm der Landesflughäfen gemäss Anhang 5 der Lärmschutz-Verordnung aus dem gesetzlichen Rahmen fallen, bleiben die von der Eidg. Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten im 6. Teilbericht vom September 1997 festgelegten Belastungsgrenzwerte anwendbar (E. 46).
SCHALLSCHUTZKONZEPT
Mangelhafte Eröffnung und Notwendigkeit der Überarbeitung des Schallschutzkonzepts (E. 47). Behandlung der materiellen Einwendungen betreffend - die Frage "messen oder berechnen?" (E. 48a) - die massgebliche Grenzwertkurve (E. 48b) - die Art der Schallschutzmassnahmen (E. 48c) - die Rückerstattung der Kosten für Schallschutzmassnahmen (E. 48d) - die Mitberücksichtigung des Militärfluglärms (E. 48e)
LÄRMBELASTUNGSKATASTER
Der Lärmbelastungskataster kann ohne gesetzliche Grundlage und ohne Durchführung eines Auflage- und Rechtsschutzverfahrens nicht eigentumsbeschränkend und eigentümerverbindlich sein (E. 49).
WEITERE RAUMPLANUNGS- UND ENTSCHÄDIGUNGSFRAGEN
Da das luftfahrtrechtliche Baukonzessionsverfahren kein sog. kombiniertes Verfahren ist, sind die enteignungsrechtlichen Ansprüche nicht in diesem zu behandeln; sie müssen auch nicht vorweg beurteilt werden (E. 50).
Zur Bereinigung der durch den Ausbau und die Sanierung des Flughafens entstehenden Nutzungskonflikte bieten sich neben dem Bau- und Betriebskonzessionsverfahren in erster Linie das Sachplan- und das Richtplanverfahren an (E. 51). | Sachverhalt
ab Seite 527
BGE 126 II 522 S. 527
A.-
Der Sachverhalt bis zur Verleihung der Rahmenkonzession für den Ausbau des Flughafens Zürich (5. Bauetappe) lässt sich dem
BGE 126 II 522 S. 528
bundesgerichtlichen Urteil vom 24. Juni 1998 (
BGE 124 II 293
) entnehmen.
B.-
Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED, heute: Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, UVEK) erteilte dem Kanton Zürich als Halter des Flughafens Zürich-Kloten mit der Rahmenkonzession vom 5. Februar 1997 die grundsätzliche Bewilligung für die 5. Bauetappe. Zentraler Bestandteil des Ausbauvorhabens bildet ein neues Abfertigungsgebäude, das sog. Dock Midfield, das vom bisherigen Baukomplex losgelöst innerhalb des Pisten-Dreiecks des Flughafens erstellt werden soll. Dieses künftige Dock wird durch zwei Tunnels mit dem Flughafenkopf sowie durch zusätzliche Rollwege mit dem heutigen Pistensystem verbunden werden. Weiter soll als Drehscheibe für die Flugpassagiere ein neues Airside Center zwischen den bestehenden Terminals A und B eingerichtet werden. Zur 5. Bauetappe gehören auch verschiedene Projekte für den landseitigen Verkehr. Geplant sind insbesondere ein Bahnhofterminal, ein Bushof und ein zusätzliches Parkhaus sowie die Aufstockung der Parkhäuser B und F. Die Strassenverkehrsanlagen werden ebenfalls neu an den Flughafenkopf angeschlossen werden. Zudem sollen die Anlagen für die Frachtabfertigung sowie der Werkhof ausgebaut und neu erschlossen werden.
Die vom EVED erteilte Rahmenkonzession wurde von verschiedenen Privaten, Organisationen sowie von schweizerischen und deutschen Gemeinwesen mit eidgenössischer Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten. Das Bundesgericht hiess diese Beschwerden mit Urteil vom 24. Juni 1998 teilweise gut, soweit auf sie eingetreten werden konnte. Das Bundesgericht stellte im Wesentlichen fest, dass die dem Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) zu Grunde gelegte Prognose über den künftigen Flugverkehr angesichts der inzwischen eingetretenen Entwicklung als eindeutig und in erheblichem Ausmass unzutreffend bezeichnet werden müsse. Dieser Mangel bei der Feststellung des Sachverhalts müsse im nachfolgenden Verfahrensschritt - also in den Baukonzessionsverfahren - behoben werden. Das bedeute, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung in den folgenden Verfahren in all jenen Bereichen, in denen sie direkt oder indirekt auf der Flugverkehrs-Prognose beruhe, zu wiederholen bzw. zu ergänzen sei und allenfalls neue Bedingungen und Auflagen für den geplanten Ausbau zu formulieren seien (vgl.
BGE 124 II 293
E. 13-15 S. 322 ff.).
BGE 126 II 522 S. 529
Für die Erlangung der Baukonzessionen teilte der Kanton Zürich sein Ausbauvorhaben in verschiedene Teilprojekte auf. Die Baukonzessionsgesuche, die bereits vor dem bundesgerichtlichen Entscheid über die Rahmenkonzession eingereicht worden waren, wurden im Nachgang an diesen überarbeitet und ergänzt. Zudem liess der Kanton Zürich verschiedene Ergänzungsberichte zum Umweltverträglichkeitsbericht (erster Stufe) erstellen, denen die vom Bundesgericht verlangte neue Flugverkehrsprognose zu Grunde gelegt wurde (Fachbericht Luft, Fachbericht Landseitiger Verkehr, Fachbericht Fluglärm, Kartensatz Fluglärm, Technischer Anhang Fluglärm, Synthesebericht). In der Ausschreibung des Baukonzessionsgesuchs für das Dock Midfield wurde auf die Aufteilung des Gesamtprojektes in Teilprojekte aufmerksam gemacht und bekanntgegeben, dass mit dem Baukonzessionsgesuch auch die vom Bundesgericht geforderten Ergänzungsberichte zum Umweltverträglichkeitsbericht erster Stufe (Rahmenkonzession) sowie die Unterlagen zu allen projektübergreifenden Umweltbelangen aufgelegt würden.
Im Anschluss an die Publikation des Baukonzessionsgesuches für das Dock Midfield gingen bei der Flughafendirektion Zürich rund 2000 Stellungnahmen von Gemeinwesen, Organisationen und Privatpersonen ein. Vereinzelt beteiligten sich Drittpersonen auch an den übrigen Anhörungsverfahren.
C.-
Mit Verfügung vom 5. November 1999 erteilte das UVEK dem Kanton Zürich die Baukonzession für das Dock Midfield unter zahlreichen Auflagen.
Das Dispositiv der Verfügung ist in sechs Ziffern bzw. Abschnitte unterteilt (1. Bauprojekt, 2. Auflagen, 3. Frist, 4. Parteientschädigung, 5. Gebühr und 6. Rechtsmittelbelehrung). In Ziffer 1 wird neben der Aufzählung der massgebenden Pläne und Unterlagen unter anderem entschieden, dass den Erleichterungsanträgen stattgegeben werde (Ziffer "1.6 Lärm"). In Ziffer "1.7 Raumplanung" genehmigt das Departement den Lärmbelastungskataster. Die in Ziffer 2 umschriebenen Auflagen lauten - soweit hier interessierend - wie folgt:
"2.1 Massnahmen gemäss UVB
Die in den Umweltverträglichkeitsberichten und übergeordneten Konzepten aufgeführten Massnahmen sind zu erfüllen. In Ergänzung dazu werden folgende Auflagen verfügt:
2.2 Lärm
2.2.1 Die im Umweltverträglichkeitsbericht erwähnten Massnahmen zur präziseren Führung des Flugbetriebs - wie das Flight Management System - sind konsequent weiterzuführen.
BGE 126 II 522 S. 530
2.2.2 Mit der nächsten Erneuerung der Betriebskonzession bzw. des Betriebsreglementes, spätestens jedoch im Jahr 2001, sind folgende Änderungen vorzunehmen:
- Die Nachtflugsperre ist von 5.00 Uhr auf 5.30 Uhr auszudehnen.
- Der Start von geplanten Charterflügen ist bereits ab 22.00 Uhr zu verbieten.
2.2.3 Mit der Umsetzung des Schallschutzkonzepts ist nach Eintritt der Rechtskraft dieses Entscheides zu beginnen und es ist ohne Verzug auszuführen. Dem UVEK ist jährlich ein Bericht über den Stand der Umsetzung vorzulegen. Im übrigen ist der Vollzug Aufgabe des Kantons Zürich.
Das Schallschutzkonzept ist nach der definitiven Festsetzung der Lärmbelastungsgrenzwerte anzupassen.
2.2.4 Der Flughafenhalter hat im Zusammenhang mit dem Schallschutzkonzept die technische Machbarkeit und die finanziellen Auswirkungen des Einbaus von selbstschliessenden bzw. zwangsbelüfteten Fenstern zu prüfen und dem UVEK innert sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft dieses Entscheides hierzu einen Bericht vorzulegen. Das UVEK entscheidet über die Realisierung der Massnahme.
2.3 Luft
2.3.1 Der Flughafenhalter hat die am 4. Oktober 1999 dem Regierungsrat des Kantons Zürich eingereichten Massnahmen 1-4 umzusetzen.
2.3.2 Der Kanton Zürich hat den kantonalen Massnahmenplan zur Verbesserung der Luftqualität konsequent umzusetzen und gegebenenfalls zu verschärfen.
2.3.3 In der Umgebung des Flughafens ist ein verfeinertes Immissionsmessnetz zur Messung der NO2-Werte aufzubauen, um die Entwicklung der Belastung der Bevölkerung zu verfolgen.
2.3.4 Der Flughafenhalter hat jährlich zu berechnen, welche NOx-Emissionen sich aus Luftverkehr und Abfertigung ergeben. Die Resultate sind dem AWEL und dem BAZL jährlich einzureichen.
2.3.5 Der Flughafenhalter hat ab sofort sämtliche technisch und betrieblich möglichen sowie wirtschaftlich tragbaren Massnahmen, die den Ausstoss von NOx in den Bereichen Flugbetrieb und Abfertigung reduzieren, zu ergreifen. Ergeben die Berechnungen jährliche Emissionen von 2'400 t NOx aus Luftverkehr und Abfertigung, so hat der Flughafenhalter dem UVEK innert 3 Monaten eine Situationsanalyse über die NO2-Belastung der Umgebung des Flughafens und ein Massnahmenpaket vorzulegen. Darin ist darzulegen, wie ein weiteres Ansteigen der Stickoxidbelastung verhindert werden kann. Das UVEK entscheidet über die zu ergreifenden Massnahmen.
2.3.6 Die Verpflichtungen gemäss Ziffer 2.3.4 und 2.3.5 sind in die nächste Änderung des Betriebsreglementes, die spätestens im Jahr 2001 zu erfolgen hat, aufzunehmen.
BGE 126 II 522 S. 531
2.4 Raumplanung
Der Lärmbelastungskataster ist nach der definitiven Festsetzung der Lärmbelastungsgrenzwerte anzupassen.
2.5 Landseitiger Verkehr
2.5.1 Das Modalsplit-Konzept vom Juli 1998 ist umzusetzen. Zusätzlich zu den bis 2004 vorgesehenen Massnahmen sind
- benützungsabhängige Parkplatzgebühren für Flughafenangestellte und
- Frühbusse für Schichtangestellte aus dem nördlichen Einzugsgebiet des Flughafen einzuführen.
2.5.2 Wird das Modalsplit-Ziel bis 2004 nicht erreicht, sind dem UVEK Massnahmen
- zur Einführung einer Maut und
- zur Beschränkung des Vorabend-Check-Invorzulegen.
2.5.3 Innert eines Jahres ab Rechtskraft dieses Entscheides ist dem UVEK ein Controlling-Konzept zur Genehmigung vorzulegen."
Die Erteilung der Baukonzession für das Dock Midfield wurde im Bundesblatt vom 9. November 1999 angezeigt (BBl 1999 S. 8992). Gleichzeitig machte das UVEK bekannt, dass am 9. November 1999 auch die Baukonzession für das Projekt Rollwege, Bereitstellungsflächen und Vorfeld Midfield sowie - in zwei separaten Verfügungen - die Konzessionen für den Bau des Bahnhofterminals und des Parkhauses C gewährt worden seien (BBl 1999 S. 8991, 8993 f.). Schliesslich erteilte das Departement dem Kanton Zürich mit Verfügungen vom 16. November 1999 die Baukonzessionen für die Aufstockung der Parkhäuser B und F sowie für den landseitigen Verkehrsanschluss (BBl 1999 S. 9080 f.) und mit Verfügungen vom 14. Dezember 1999 die Konzessionen für den Bau des Airside Centers und des Personen-Transport-Systems mit Tunnel (BBl 1999 S. 9669, 9672). Damit waren - mit Ausnahme der geplanten Anlagen für die Reinigung der Enteiserabwässer, die erst am 7. Februar 2000 bewilligt worden sind - alle Projekte der 5. Bauetappe zur Ausführung freigegeben.
D.-
Gegen die genannten Baukonzessionen, gegen die Baukonzession für das Dock Midfield allein oder gegen das im Rahmen dieser Konzession erstellte Schallschutzkonzept haben zahlreiche Private, Organisationen und öffentliche Gemeinwesen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Neben den materiellen Anträgen sind auch verschiedene Gesuche um aufschiebende Wirkung der Beschwerden und um Sistierung der Verfahren gestellt worden.
BGE 126 II 522 S. 532
Mit Präsidialverfügung vom 26. Januar 2000 ist den Verwaltungsgerichtsbeschwerden insoweit aufschiebende Wirkung beigelegt worden, als sie sich gegen die Baukonzession für das Projekt "Flughafenkopf landside/Parkhaus C" richten. Im Übrigen sind die Gesuche um Suspensiveffekt zur Zeit abgewiesen worden. Ebenfalls zur Zeit abgewiesen worden sind die Gesuche um Sistierung der Verfahren.
Am 25. Mai 2000 hat das Bundesgericht eine öffentliche Verhandlung durchgeführt, an welcher jene Beschwerdeführer Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme erhalten haben, denen gemäss
Art. 6 EMRK
Anspruch hierauf zusteht. Die Beschwerden, die sich lediglich gegen das Schallschutzkonzept richteten, sind allerdings nicht in das Instruktionsverfahren einbezogen worden.
E.-
Im Laufe des bundesgerichtlichen Verfahrens ist am 1. Januar 2000 das Bundesgesetz über die Koordination und Vereinfachung von Entscheidverfahren vom 18. Juni 1999 in Kraft getreten. Durch dieses Gesetz sind unter anderem die Art. 36, 37, 37a und 37b des Bundesgesetzes über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 (LFG; SR 748.0) aufgehoben und durch zahlreiche neue Normen ersetzt worden (vgl. AS 1999 S. 3112 ff.). Die neuen Bestimmungen führen anstelle des Baukonzessionsverfahrens ein Plangenehmigungsverfahren für Flugplatzanlagen ein und umschreiben den Inhalt der Betriebskonzession und des Betriebsreglementes nunmehr auf Gesetzesstufe. Ein Rahmenkonzessionsverfahren wird nicht mehr vorgesehen.
Am 1. März 2000 hat die Verordnung zum Bundesgesetz über die Koordination und Vereinfachung von Entscheidverfahren vom 2. Februar 2000 Geltung erlangt (AS 2000 S. 703 ff.). Sie bringt auf dem Gebiete der Luftfahrt neue Ausführungsvorschriften zum Plangenehmigungsverfahren, zum Betriebskonzessionsverfahren und zur Genehmigung des Betriebsreglementes, die in die Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt vom 23. November 1994 (VIL; SR 748.131.1) eingefügt worden sind. Zudem werden die Anhänge 14.1, 14.2 und 14.3 der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung insofern geändert, als die Umweltverträglichkeitsprüfung in das Plangenehmigungsverfahren und in das Genehmigungsverfahren für das Betriebsreglement verwiesen wird.
Im Zusammenhang mit der Festlegung der Belastungsgrenzwerte für die Landesflughäfen sind am 12. April 2000 die Lärmschutz-Verordnung sowie erneut auch die Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt geändert worden (vgl. AS 2000 S. 1388 ff.). Letztere
BGE 126 II 522 S. 533
enthält nun in den Artikeln 39 bis 39c ein im Einzelnen umschriebenes Nachtflugverbot. Die Teilrevision der Lärmschutz-Verordnung dient einerseits dem Wechsel vom System der luftfahrtrechtlichen Lärmzone zum umweltschutzrechtlichen Institut des Lärmbelastungskatasters. Andererseits sind in Anhang 5 der Verordnung neu die Belastungsgrenzwerte für den Lärm aller ziviler Flugplätze festgesetzt worden, und zwar getrennt für den Lärm des Verkehrs von Kleinluftfahrzeugen sowie für den Lärm des Gesamtverkehrs von Kleinluftfahrzeugen und Grossflugzeugen. Dabei gelten für die Landesflughäfen teils höhere Werte und ist zudem für die Bestimmung des Beurteilungspegels für den Tag eine (negative) Korrektur vorzunehmen.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2000 hat das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die "Regelung für An- und Abflüge zum/vom Flughafen Zürich über deutsches Hoheitsgebiet" vom 17. September 1984 (SR 0.748.131.913.6) auf den 31. Mai 2001 gekündigt. Dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ist gleichzeitig eine neue Regelung für die Nutzung des deutschen Luftraums unterbreitet worden, die das Bundesministerium auf den 1. Juni 2000 in Kraft setzen wolle. Das Bundesministerium hat sich zu Gesprächen über die neue Regelung bereit erklärt, doch müssten diese vor Erneuerung der Betriebskonzession für den Flughafen Zürich am 31. Mai 2001 abgeschlossen sein.
F.-
Mit Präsidialverfügung vom 31. Mai 2000 ist den Parteien und dem UVEK die Möglichkeit gegeben worden, zur Änderung der Lärmschutz-Verordnung und der Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt vom 12. April 2000 sowie zur Kündigung der Regelung zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland über die An- und Abflüge zum/vom Flughafen Zürich Stellung zu nehmen.
Alle Beteiligten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Verschiedene haben um aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde und um Sistierung des Verfahrens ersucht oder ihre bereits gestellten Begehren erneuert.
Mit Präsidialverfügung vom 6. Juli 2000 sind die erneuerten Gesuche um aufschiebende Wirkung und um einstweilige Einstellung der Verfahren abgewiesen worden, im Wesentlichen aus den bereits in der Präsidialverfügung vom 26. Januar 2000 genannten Gründen.
G.-
Am 18. Oktober 2000 hat der Bundesrat die Teile I, II, IIIA und IIIB des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) verabschiedet.
BGE 126 II 522 S. 534
Das Bundesgericht hat am 8. Dezember 2000 in den Hauptverfahren ein gemeinsames Urteil gefällt. Es hat in teilweiser Gutheissung der Beschwerden der Anwohner und der Gemeinden die Auflagen der Baukonzession für das Projekt Dock Midfield in einigen Punkten geändert. Unter anderem sind die Ziffern 1.7 und 2.4 des Dispositives der Baukonzession aufgehoben worden. Dispositiv Ziffer 2.2.3 ist in dem Sinne abgeändert worden, als die Festsetzung des Schallschutzkonzeptes in ein nachlaufendes gesondertes Bewilligungsverfahren verwiesen worden ist. Zudem sind die von der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten festgelegten Belastungsgrenzwerte für den Lärm der Landesflughäfen als anwendbar bezeichnet worden und müssen die Lärmimmissionen, die vom Betrieb des Militärflugplatzes Dübendorf ausgehen, mitberücksichtigt werden. Im Übrigen sind die Beschwerden abgewiesen worden, soweit auf sie eingetreten werden konnte. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der SAir Group und der mitbeteiligten Fluggesellschaften ist vollständig abgewiesen worden, soweit auf sie einzutreten war.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
b) Wie in der Sachverhaltsdarstellung (vgl. lit. E) erwähnt, sind im Laufe der vorliegenden Verfahren verschiedene neue Normen in Kraft getreten und hat sich auch die tatsächliche Situation weiterentwickelt. Damit stellt sich - zunächst in allgemeiner Weise - die Frage, auf welche Sach- und Rechtslage beim Entscheid im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren abzustellen sei.
aa) Die Rechtmässigkeit eines Verwaltungsakts ist grundsätzlich nach der Rechtslage zur Zeit seines Erlasses zu beurteilen. Bei der Prüfung der Frage, ob die für eine Baute oder Anlage erteilte Bewilligung oder Konzession bundesrechtmässig sei, ist daher vom Rechtszustand auszugehen, der im Zeitpunkt der Bewilligung galt (
BGE 106 Ib 325
;
BGE 112 Ib 39
E. 1c;
BGE 120 Ib 317
E. 2b). Im Laufe des Beschwerdeverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind an sich unbeachtlich, es sei denn, zwingende Gründe sprächen für die Berücksichtigung des neuen Rechts. Das trifft nach bundesgerichtlicher Praxis vor allem dann zu, wenn Vorschriften um der öffentlichen Ordnung willen oder zur Durchsetzung erheblicher öffentlicher Interessen erlassen worden und daher auch in hängigen Verfahren sofort anwendbar sind (vgl. zit. Entscheide und BGE 123 II
BGE 126 II 522 S. 535
359 E. 3 S. 362 f. mit Hinweisen). Im Weiteren hätte es wenig Sinn, eine Bewilligung oder Konzession aufzuheben, weil sie dem alten Recht widerspricht, während sie nach neuem Recht auf erneutes Gesuch hin zu erteilen wäre (so
BGE 102 Ib 64
E. 4). Die Berücksichtigung neuen Rechts muss allerdings ausgeschlossen bleiben, wenn sie sich zu Lasten Dritter auswirken und deren Rechtsschutz beeinträchtigen könnte.
bb) Ähnliche Überlegungen gelten für den Einbezug von Tatsachen, die sich erst im Laufe des bundesgerichtlichen Verfahrens ereignet haben. Wohl ist grundsätzlich auf den Sachverhalt abzustellen, wie er sich der Vorinstanz dargeboten hat. Ist das Bundesgericht jedoch nicht an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden (vgl.
Art. 105 Abs. 2 OG
), so kann es im Rahmen seiner freien Überprüfung auch Änderungen des Sachverhalts Rechnung tragen, die erst nach Erlass der angefochtenen Verfügung eingetreten sind (vgl.
BGE 100 Ib 351
E. 3 S. 355;
BGE 105 Ib 165
E. 6b;
BGE 121 II 97
E. 1c, je mit Hinweisen). Hierbei dürfen auch prozess-ökonomische Überlegungen eine Rolle spielen. Die Berücksichtigung neuer Tatsachen ist allerdings nur insoweit am Platz, als ihr das materielle Recht oder Rechtsschutzvorschriften nicht entgegenstehen.
cc) Es wird demnach im Zusammenhang mit den erhobenen Rügen im Einzelnen zu prüfen sein, ob die nachträglichen tatsächlichen Änderungen zu beachten seien und ob und inwieweit die während des bundesgerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen neuen Normen zur Beurteilung herangezogen werden können.
10.
b) Die Gemeinde Bachs und die Mitbeteiligten berufen sich auf den bundesgerichtlichen Entscheid über die Rahmenkonzession und machen geltend, solange die dort festgestellten Mängel in der luftfahrtrechtlichen Planung und Gesetzgebung nicht geheilt seien, hätten keine Baukonzessionen erteilt werden dürfen. Ausserdem hätten - was auch andere Beschwerdeführer meinen - die Festlegung der Lärmgrenzwerte für die Landesflughäfen und der Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) abgewartet werden müssen.
In
BGE 124 II 293
E. 10 ist auf die lückenhafte gesetzliche Regelung über die Infrastruktur der Luftfahrt und die noch ausstehende planerische und normative Einbindung der Landesflughäfen in das System der Raumplanung und des Umweltschutzrechts hingewiesen worden. Es trifft zu, dass diese Mängel, die heute grösstenteils behoben sind, im Zeitpunkt der Erteilung der Baukonzessionen noch bestanden haben. Dass heisst jedoch nicht, dass die Baukonzessionsverfahren hätten sistiert werden müssen und dürfen, bis der
BGE 126 II 522 S. 536
Gesetz- und der Verordnungsgeber ihren Normsetzungsaufgaben nachgekommen wären. Der Baugesuchsteller hat auch auf dem Gebiet des Luftfahrtwesens einen Anspruch darauf, dass sein Gesuch innert angemessener Frist aufgrund des geltenden Rechts behandelt wird, unabhängig davon, ob dieses Recht in Zukunft zu ändern oder zu ergänzen sei. Etwas anderes gälte nur, wenn ein Instrument zur Sicherung künftiger Planungen oder späteren Rechts zur Verfügung stünde, das den Aufschub der Beurteilung von Baukonzessionsgesuchen erlaubt. Ein solches rechtliches Instrument - wie etwa die in den kantonalen Baugesetzgebungen vorgesehene Planungszone oder Bausperre - kennt das die Infrastruktur der Luftfahrt regelnde Bundesrecht jedoch nicht.
11.
Bereits vor der Kündigung der mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Regelung über die An- und Abflüge zum und vom Flughafen Zürich über deutsches Hoheitsgebiet haben einige Beschwerdeführer beanstandet, dass Baukonzessionen für den Ausbau des Flughafens erteilt worden seien, bevor die Verhandlungen über einen neuen Staatsvertrag zu einem Resultat geführt hätten. Nach der Kündigung der bestehenden bilateralen Vereinbarung wird von zahlreichen Beschwerdeführern verlangt, dass mit dem bundesgerichtlichen Entscheid bis zum Abschluss eines allfälligen Staatsvertrags zugewartet werde. Durch die Kündigung, die eine Änderung des Flugbetriebs bedinge, sei ein völlig neuer Sachverhalt geschaffen worden. Erst wenn das neue An- und Abflugregime bekannt sei, könne über die Umweltverträglichkeit und die Bundesrechtmässigkeit des Flughafenausbaus entschieden werden.
Im gleichen Sinne bringen einige Beschwerdeführer - so auch die Gemeinde Wettingen - vor, die Baukonzessionsgesuche könnten erst nach Vorliegen der neuen Betriebskonzession und des Betriebsreglementes beurteilt werden. Die erteilten Baukonzessionen seien schon aus diesem Grunde aufzuheben und die Verfahren an das Departement zurückzuweisen, um auf jener Stufe weitergeführt zu werden.
a) Im Zeitpunkt der Erteilung der angefochtenen Baukonzessionen war die genannte bilaterale Regelung über den An- und Abflug zum und vom Flughafen Zürich ungekündigt. Das UVEK ist daher bei seinem Entscheid von der Annahme ausgegangen, dass das bisherige An- und Abflugregime - abgesehen von einigen Abflugvarianten ab Piste 16 - grundsätzlich unverändert bleibe. Das Regime dürfe im Vergleich zu anderen Betriebskonzepten als
BGE 126 II 522 S. 537
leistungsfähig und zugleich umweltverträglich gelten (vgl. Baukonzession Dock Midfield Ziff. 4.1.5.4 S. 38). Allerdings hat das Departement präzisiert, es habe einzig zu prüfen, ob das Bauvorhaben unter den heute gegebenen Rahmenbedingungen so wie geplant oder allenfalls mit zusätzlichen Auflagen umweltverträglich realisiert werden könne. Dies schliesse aber nicht aus, dass Änderungen der Rahmenbedingungen denkbar seien und mittel- oder längerfristig neue Betriebsszenarien in Aussicht genommen werden könnten. Träten solche Änderungen ein, müssten dannzumal ihre möglichen Auswirkungen geprüft werden (Baukonzession Dock Midfield Ziff. 4.1.5.1 S. 34 und Ziff. 4.1.5.10 S. 45).
b) Das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat die "Regelung für An- und Abflüge zum/vom Flughafen Zürich über deutsches Hoheitsgebiet" vom 17. September 1984 auf den 31. Mai 2001, also auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Betriebskonzession, gekündigt. Das Ministerium hat gleichzeitig eine Ersatzordnung dekretiert, die unter anderem eine Beschränkung der Anflüge über deutsches Hoheitsgebiet auf jährlich 80'000, ein Nachtflugverbot von 21 Uhr bis 7 Uhr sowie Wochenend- und Feiertagsbeschränkungen vorsieht. Diese Regelung soll ab 1. Juni 2002 wirksam werden, während ab 1. Juni 2001 eine Übergangsordnung mit geringeren Einschränkungen des Flugbetriebs über Deutschland gelten soll. Das deutsche Bundesministerium hat dem BAZL Gespräche über die neuen Regelungen angeboten, die jedoch rechtzeitig vor Erneuerung der Betriebskonzession abgeschlossen sein müssten.
c) Somit ergibt sich, dass das bisherige An- und Abflugregime bis zur Erneuerung der Betriebskonzession bzw. bis Ende Mai 2001 grundsätzlich - von der baubedingten Schliessung der Westpiste abgesehen - unverändert bleibt.
Ob und inwiefern das Betriebsszenario danach geändert wird, ist zur Zeit noch ungewiss. Wohl ist zu vermuten, dass inskünftig weniger Flüge in und aus Richtung Nord abgewickelt werden können, doch hängt dies vom Ausgang der Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland ab. Wann eine definitive neue Regelung getroffen werden wird, kann ebenfalls nicht vorausgesagt werden. Zwar hat die Bundesrepublik Deutschland einen Abschluss der Verhandlungen vor dem 31. Mai 2001 verlangt; eine Fortsetzung der bilateralen Gespräche über dieses Datum hinaus kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Es kann demnach nicht gesagt werden, dass sich der Sachverhalt durch die Kündigung der zwischenstaatlichen
BGE 126 II 522 S. 538
Regelung völlig verändert hätte. Zur Zeit liegen lediglich neue Sachverhaltselemente vor, und es ist - wohl noch auf einige Zeit hinaus - offen, welche Folgen sich hieraus ergeben werden.
d) Die Frage, ob die vorliegenden Baukonzessionsverfahren bis zur Festlegung des künftigen An- und Abflugbetriebs offen zu halten seien, erscheint angesichts der bestehenden Unsicherheiten in einem besonderen Licht. Sie ist wie dargelegt vor allem nach prozessualen und prozessökonomischen Kriterien zu prüfen (vgl. E. 3b), und zwar unter Rücksichtnahme auf die hier vorliegenden speziellen Verhältnisse:
Für ein Offenhalten der Verfahren bis zur Klärung der Frage des künftigen Betriebssystems spricht das Interesse der Beschwerdeführer daran, dass das umstrittene Ausbauprojekt und seine Auswirkungen ganzheitlich und umfassend beurteilt würden. Diesem Interesse steht der bereits erwähnte Anspruch des Baukonzessionsgesuchstellers auf eine Entscheidung innert angemessener Frist gegenüber (vgl. E. 10b). Auch aus Gründen der Rechtssicherheit sollte das Bewilligungsverfahren für ein umstrittenes Grossprojekt nicht über Jahre hinweg in der Schwebe bleiben. Zudem fällt in Betracht, dass mit dem Betriebskonzessionsverfahren bzw. heute mit dem Verfahren zum Erlass und zur Änderung des Betriebsreglementes ein Verfahren zur Verfügung steht, das eigens der Überprüfung des An- und Abflugsregimes und dessen Auswirkungen dient (vgl.
Art. 36c und 36d LFG
,
Art. 24-26 VIL
; Art. 11 Abs. 4-6 und Art. 20 Abs. 1 aVIL). Zwar schreibt
Art. 27c VIL
in der am 2. Februar 2000 geänderten Fassung richtigerweise für künftige Bauvorhaben vor, dass ausbaubedingte betriebliche Änderungen ebenfalls im Plangenehmigungsverfahren zu prüfen seien und das Betriebsreglements- mit dem Plangenehmigungsverfahren koordiniert werden müsse. Dagegen enthielt das frühere Recht zur Frage, wie den betrieblichen Verhältnissen im Baukonzessionsverfahren Rechnung zu tragen sei, praktisch nichts (vgl.
BGE 124 II 293
E. 10d S. 319). Insofern ist für Baukonzessionsverfahren, die wie die hier im Streite liegenden noch unter altem Recht geführt worden sind, der Übergangsregelung der VIL besondere Bedeutung beizumessen. Nach
Art. 74a Abs. 2 VIL
sind bei der erstmaligen Erneuerung der Betriebskonzession der Landesflughäfen (Genf und Zürich) im Jahr 2001 sämtliche Regelungen des Betriebsreglements zu überprüfen und muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung angestellt werden. Diese Bestimmung bietet Gewähr dafür, dass im Verfahren zur Erneuerung der Betriebskonzession unabhängig davon, ob das bisherige
BGE 126 II 522 S. 539
Betriebskonzept geändert werde, die betrieblichen Auswirkungen umfassend untersucht werden. Sie eröffnet auch die Möglichkeit, die Prüfung allfälliger künftiger Betriebsszenarien in das speziell hiefür vorgesehene Verfahren zu verweisen.
In die Überlegungen einzubeziehen ist im Weiteren, dass die hängigen Baukonzessionsverfahren - würden sie vor Bundesgericht oder nach Rückweisung der Sache erneut vor dem UVEK fortgesetzt - nicht den alleinigen Rahmen für die Beurteilung künftiger Änderungen des Betriebssystems bilden können. Wird vom bisherigen An- und Abflugkonzept abgewichen werden, so wird sich der Kreis der vom Flugbetrieb Betroffenen wandeln und den heute noch nicht Beschwerdelegitimierten Gelegenheit eingeräumt werden müssen, ihre Interessen im Rechtsschutzverfahren zu verteidigen. Das Nebeneinander der verschiedenen Verfahren würde aber, ganz abgesehen von den übergangsrechtlichen Problemen, die Beurteilung erheblich komplizieren.
Schliesslich darf auch das prozessökonomische Interesse daran berücksichtigt werden, dass sich einige der hier aufgeworfenen Probleme gleichfalls im Verfahren zur Erneuerung der Betriebskonzession und des Betriebsreglementes stellen werden. Sollten sich gewisse Beschwerden ganz oder teilweise als berechtigt erweisen, könnte dem bundesgerichtlichen Urteil schon bei der Ausarbeitung der neuen Betriebskonzession und des neuen Betriebsreglementes Rechnung getragen werden.
Es erscheint daher als unangebracht, die bundesgerichtliche Entscheidung bis zum Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen mit Deutschland bzw. bis zum Abschluss des Betriebskonzessions- und Betriebsreglementsverfahrens, das vermutlich ebenfalls über mehrere Instanzen laufen wird, zu sistieren. Vielmehr darf für die Entscheidung - im Sinne der Argumentation des UVEK - von der heute vorliegenden Situation ausgegangen werden und bleibt die Beurteilung zukünftiger Betriebsänderungen den dannzumal durchzuführenden Verfahren vorbehalten.
e) Der Vollständigkeit halber ist beizufügen, dass der Entscheid, die künftig möglichen Änderungen des Betriebssystems nicht abzuwarten, unter dem Gesichtswinkel der Verfahrenskoordination zwar nicht als ideal erscheinen mag, diesem Gebot jedoch unter den vorliegenden Umständen auch nicht widerspricht.
Das Bundesgericht hat im Urteil betreffend die Rahmenkonzession festgestellt, dass Bau- und Betriebskonzession keineswegs "uno actu" erteilt werden müssten (
BGE 124 II 293
E. 10c S. 318 f.).
BGE 126 II 522 S. 540
Allerdings seien der Bau- und der Betriebskonzession die gleichen Annahmen über den künftigen Verkehr und den Betrieb der Anlage zu Grunde zu legen, um so in einer Gesamtbetrachtung die nötigen Umweltschutzmassnahmen festzulegen und aufeinander abstimmen zu können. Im Verfahren zur baulichen Erweiterung der Anlagen dürfe nicht von der Annahme ausgegangen werden, die betrieblichen Bedingungen blieben bestehen, während die Änderung dieser Bedingungen bereits vorbereitet werde (E. 14 in fine S. 326, E. 16a S. 327).
Diesen Überlegungen, die damals mangels spezialrechtlicher Bestimmungen über die Verfahrenskoordination angestellt worden sind, ist insofern Rechnung getragen worden, als in den ergänzenden Umweltverträglichkeitsberichten eine neue Prognose über die Verkehrsentwicklung erarbeitet worden ist, die auch für das Betriebskonzessionsverfahren Geltung haben soll. Weiter sind alternative Betriebsszenarien aufgezeigt, unter den gegebenen Rahmenbedingungen aber als weniger umweltverträglich abgelehnt worden. Von diesen Prognosen darf, soweit sie die gesamte künftige Verkehrsmenge betreffen, auch noch unter den heutigen Umständen ausgegangen werden. Fraglich ist einzig, ob auch das An- und Abflugverfahren beibehalten oder geändert und dadurch die Fluglärmbelastung neu verteilt werden wird. Die Beantwortung dieser Frage hängt wie dargelegt vom Ausgang der Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland in einem noch unbekannten Zeitpunkt ab. Im Lichte des Koordinationsgebotes kann jedoch nicht verlangt werden, dass bei der Beurteilung eines Ausbauprojektes durchwegs auch zukünftige, noch ungewisse Betriebsänderungen einbezogen würden, ebenso wenig wie gefordert werden kann, dass bei der Umweltverträglichkeitsprüfung für ein konkretes Projekt auch Ausbauschritte mit in Betracht gezogen würden, die zur Zeit noch rein hypothetisch sind (vgl.
BGE 124 II 293
E. 26 b S. 347 mit Hinweis). ERGÄNZENDE UMWELTVERTRÄGLICHKEITSBERICHTE UND UMWELT-VERTRÄGLICHKEITSPRÜFUNG
13.
Im Anschluss an den Rahmenkonzessionsentscheid des Bundesgerichts hat der Kanton Zürich gestützt auf ein von den Fachstellen genehmigtes Pflichtenheft die verlangten Ergänzungen zum Umweltverträglichkeitsbericht Rahmenkonzession erstellen
BGE 126 II 522 S. 541
lassen. Im Vordergrund stand dabei eine neue, aktualisierte Flugverkehrsprognose.
Wie sich dem Synthesebericht (S. 5 ff.) entnehmen lässt, hat als Rahmen der Prognose die auf die Standplätze bezogene Angebotskapazität des Flughafens gedient. Dabei ist unter Berücksichtigung der je nach Flugzeuggrösse unterschiedlichen Abfertigungszeiten von einer hohen Auslastung der Infrastruktur über den Tag und während des ganzen Jahres ausgegangen worden. Für die Nacht ist mit der Aufrechterhaltung der Nachtflugsperre von 24 Uhr bzw. 0.30 Uhr bis 6 Uhr für Starts und von 24 Uhr bzw. 0.30 Uhr bis 5 Uhr für Landungen gerechnet worden. Die Prognose stützt sich auf den Ist-Zustand im Jahr 1997 und bezieht sich auf einen Zeithorizont von etwas mehr als zehn Jahren. Für den Ausgangszustand im Jahre 2010 - das heisst für den dannzumaligen Flugverkehr ohne Ausbau des Flughafens - sind gewisse betriebliche Änderungen vorausgesetzt worden, die für eine Verdichtung des Flugplans erforderlich sind (gleichwertige Benutzung der Pisten 16 und 28). Für den Betriebszustand - Flugverkehr im Jahr 2010 mit Ausbau - ist von weiteren betrieblichen Anpassungen ausgegangen worden (zusätzliches Abflugverfahren "16 straight" sowie mehr Landungen auf Piste 18). Unter diesen Annahmen sind von der Flughafendirektion in Zusammenarbeit mit der Swissair folgende Verkehrszahlen vorausgesagt worden (in Klammern die früheren Zahlen aus dem Umweltverträglichkeitsbericht Rahmenkonzession):
Ist-Zustand
Ausgangszustand
Betriebszustand
1997
2010
2010
Passagiere
18 Mio.
25 Mio.
36 Mio.
(15 Mio.)
(20 Mio.)
Luftfracht (t/a)
472'000
722'000
1'071'000
(500'000)
(650'000)
Flugbewegungen total
268'300
316'000
421'000
(245'000)
(275'000)
Flugbewegungen nachts
4'952
13'424
17'885
Ausgehend vom Ist-Zustand (1997) ergibt sich somit bis zum Betriebszustand im Jahr 2010 ein voraussichtliches Luftverkehrswachstum von 100% für die Zahl der Passagiere, von 127% für die transportierte Luftfracht und von 57% für die Zahl der Flugbewegungen. Die ausbaubedingte Mehrkapazität beträgt rund 44% bezogen auf die Passagierzahl, rund 48% bezogen auf die Luftfracht und rund 33% bezogen auf die Flugbewegungen.
Als Ergänzung zu dieser Prognose ist vom Institut du Transport Aérien (ITA) eine Nachfragestudie eingeholt worden. Diese weist für das Jahr 2010 für den Linien- und Charterverkehr 380'000 Flugbewegungen aus. Wird die sog. General Aviation hinzugerechnet, auf die gemäss Prognose der Flughafendirektion im Betriebszustand 20'000 Bewegungen entfallen werden, werden ähnliche Zahlen wie die oben genannten erreicht.
14.
In einzelnen Beschwerden wird vorgebracht, die Flugverkehrsprognose sei erneut falsch bzw. zu tief angesetzt, da einerseits im Betriebszustand von 421'000 Bewegungen ausgegangen werde, andererseits von einer jährlichen Wachstumsrate von 5% gesprochen werde. Bei einer solchen Zuwachsrate ergäben sich für das Jahr 2010 rund 550'000 Flugbewegungen. Jedenfalls stelle der für das Jahr 2010 prognostizierte Flugverkehr nicht den "worst case" dar. Weiter wird gerügt, dass für den Ist-Zustand auf die Verhältnisse von 1997 abgestellt worden sei und die in der Zwischenzeit eingetretene Verkehrszunahme "unter den Tisch gewischt" werde. Im Umweltverträglichkeitsbericht werde der Ist-Zustand fälschlicherweise mit dem Betriebszustand verglichen, statt dem Ausgangszustand gegenübergestellt. Bei der Umschreibung des Ausgangszustandes werde zudem von Betriebsänderungen ausgegangen, die mit dem geltenden Betriebsreglement unvereinbar seien. Für die Parameter Flottenmix und Triebwerktechnologie seien einfach die Angaben der Swissair übernommen worden, welche aber selbst interessierte Partei sei. Das Datenmaterial hätte daher von einem unabhängigen Dritten überprüft werden müssen. Schliesslich mangle es an der Kongruenz zwischen den im Rahmenkonzessionsverfahren erstellten und den Ergänzungsberichten und seien bei der Umweltverträglichkeitsprüfung zweiter Stufe keine Varianten mehr aufgezeigt worden. Ebenso wenig seien die Auswirkungen der Verlängerung der Piste 16 mit in Betracht gezogen worden.
Wie das Bundesgericht verschiedentlich - vor allem im Zusammenhang mit dem Nationalstrassenbau - erklärt hat, sind die im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen getroffenen Annahmen
BGE 126 II 522 S. 543
über künftige Verkehrsaufkommen erfahrungsgemäss mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet. Die Verkehrsentwicklung hängt stark von wirtschaftlichen, demographischen sowie von verkehrs- und umweltpolitischen Voraussetzungen ab. Je nach der Wahl der Vorgaben unterscheiden sich die der Prognose zugrunde zu legenden Szenarien beträchtlich. Auch beim Flugverkehr wird man sich, ähnlich wie beim Strassenverkehr, letztlich mit Aussagen über Entwicklungstendenzen zufrieden geben müssen. Zusätzliche Untersuchungen und weitere Gutachten können in der Regel keine Klärung bringen. Insofern entziehen sich die Prognosen weitgehend der Kritik, soweit sie sich nicht schon im Laufe des Bewilligungsverfahrens als offensichtlich und erheblich unrichtig herausstellen. Diese Unzulänglichkeiten sind hinzunehmen, solange sich die getroffenen Annahmen nicht als unbrauchbar erweisen und es daher an der vom Gesetz geforderten vollständigen Sachverhaltsabklärung fehlt (
BGE 124 II 293
E. 12 S. 322; zu den Nationalstrassenprojekten vgl.
BGE 122 II 165
nicht publ. E. 11 und E. 15b S. 173 f.;
BGE 119 Ib 458
E. 8d S. 460).
Unter diesem Gesichtswinkel erweisen sich die erhobenen Rügen als unberechtigt. Die ergänzten Umweltverträglichkeitsberichte enthalten brauchbare Angaben, die eine Beurteilung der mutmasslichen Verkehrsentwicklung und ihrer Auswirkungen mit und ohne Flughafenausbau erlauben. Weitere Berichte oder Gutachten könnten den Grad der Ungewissheit nur unwesentlich herabsetzen. Auch das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) ist davon ausgegangen, dass auf die in den Ergänzungsberichten enthaltenen Zahlen für den Ist-, den Ausgangs- und den Betriebszustand abgestellt werden könne. Mit der vorliegenden Prognose würden die hauptsächlich kritisierten Punkte des ursprünglichen Umweltverträglichkeitsberichts korrigiert. Da die Nachfrageprognose der ITA nur wenig tiefer liege, könnten die neuen Prognosezahlen als vertretbar angesehen werden (Stellungnahme des BUWAL vom 23. Juli 1999 S. 12). Dass im Übrigen für den Ausgangs- und den Betriebszustand Annahmen getroffen worden sind, die gewisse betriebliche Änderungen voraussetzen, ist nicht zu beanstanden, solange diese Annahmen plausibel bleiben. Daran ändert auch nichts, dass diese Änderungen selbstverständlich nur vorgenommen werden können, wenn sie im massgeblichen Verfahren genehmigt werden. Weiter ergibt sich schon aus der Natur der mehrstufigen Umweltverträglichkeitsprüfung, dass nicht verlangt werden kann, es seien bei jedem Verfahrensschritt noch Varianten zu präsentieren (vgl.
Art. 6 der
BGE 126 II 522 S. 544
Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988 [UVPV; SR 814.01]
). Schliesslich ist die Verlängerung der Piste 16 weder Gegenstand einer Baukonzession noch eines Baugesuchs und damit auch nicht in die Prüfung der hier umstrittenen Projekte miteinzubeziehen.
Auf die Kritik an den Immissionsprognosen, die gestützt auf die neuen Verkehrszahlen angestellt worden sind, wird - soweit sie durch diese Erwägungen noch nicht behandelt ist - unter den Titeln Lärm und Luftreinhaltung einzugehen sein. LUFTHYGIENE/FLUGBETRIEB UND ABFERTIGUNG
18.
Im ergänzenden "Fachbericht Luft", der aufgrund der neuen Verkehrsprognose erarbeitet worden ist, werden die lufthygienischen Auswirkungen des künftigen Betriebs, unterteilt in Flugbetrieb, Abfertigung und landseitigen Verkehr, dargestellt. Die Untersuchungen erstrecken sich einerseits auf einen "Regionalperimeter", der unter anderem alle Flugbewegungen bis 200 m über Grund erfasst, andererseits auf einen "erweiterten Perimeter". Dieser bezieht sich für den Flugverkehr auf den sog. LTO-Zyklus (Landing and Take-off), der einem Gebiet von etwa 18 km aus der Landerichtung und 7,5 km in Startrichtung entspricht. Für den erweiterten Perimeter sind folgende Schadstoff-Emissionen ermittelt worden (in Klammern die früheren Zahlen aus dem Umweltverträglichkeitsbericht Rahmenkonzession):
Ist-Zustand
Ausgangszustand
Betriebszustand
1997
2010
2010
t/a
t/a
t/a
NOx
1'808
2'617
3'443
(1'927)
(1'708)
(1'933)
VOC
571
554
670
(674)
(530)
(580)
CO2
460'830
618'178
801'655
Ausgehend vom Ist-Zustand ergibt sich demnach für den Betriebszustand eine Zunahme der NOx-Emissionen von 90%, der VOC-Emissionen von 17% und der CO2-Emissionen von 74%. Die ausbaubedingte Mehrbelastung erreicht 32% für die NOx-Emissionen,
BGE 126 II 522 S. 545
21% für die VOC-Emissionen und 30% für die CO2-Emissionen. Der Hauptanteil der Mehrbelastung durch NOx- und CO2-Emissionen ist auf den Flugbetrieb zurückzuführen. Allein für diesen beträgt der voraussichtliche Zuwachs (Ist-/Betriebszustand) an NOx-Emissionen 134% und an CO2-Emissionen 95%. Der Fachbericht Luft erklärt hierzu, dieser Anstieg sei unter anderem eine Folge der technologischen Entwicklung bei den Grosstriebwerken. Bei diesen Triebwerken, die für die neuen oder in Kürze im Einsatz stehenden Flugzeuge (z.B. A340, B777) verwendet würden, seien die NOx-Emissionen im LTO-Zyklus höher als bei Triebwerken älterer Generation. Hinzu komme, dass die technologischen Verbesserungen bei den kleinen und mittleren Flugzeugen durch die Zunahme des Verkehrsvolumens (über-)kompensiert würden (Fachbericht Luft, Zusammenfassung S. I).
Weiter wird im Fachbericht zu den Emissionen ausgeführt, dass die genannten Mehrbelastungen in Beziehung zum Luft-Programm des Kantons Zürich gesetzt werden müssten. Das Luft-Programm 1996 sehe bis 2010 eine schrittweise Reduktion der NOx-Emissionen bis zur Erreichung des Sanierungsziels von 12'000 t/a vor. Dieses Ziel werde aufgrund des prognostizierten Luftverkehrswachstums klar verfehlt, indem das Reduktionspotential der angeordneten Massnahmen aufgehoben werde. Der NOx-Gesamtausstoss im Kanton Zürich werde sich im Jahr 2010 auf 14'550 t bis 16'840 t belaufen, an welchen der Flughafen mit 20% bis 25% beteiligt sei (Fachbericht Luft, Zusammenfassung S. II f.).
Zu den Schadstoff-Immissionen stellt der Fachbericht Luft zusammenfassend fest, im Ist-Zustand betrügen die maximalen NOx-Gesamtbelastungen im Regionalperimeter typischerweise zwischen 30 mg/m3 und 66 mg/m3. Der Flughafen trage dazu in den Nachbargemeinden 2 mg/m3 bis 14 mg/m3, also rund 5% bis 20% bei. Im Ausgangs- und Betriebszustand betrügen die maximalen NO2-Gesamtbelastungen in den benachbarten Ortschaften 24 mg/m3 bis 70 mg/m3. Die Zusatzbelastungen durch den Flughafen erhöhten sich im Ausgangszustand auf 4 mg/m3 bis 22 mg/m3, die Anteile der Immissionen aus dem Flugbetrieb an der Gesamtbelastung auf rund 10% bis 25%. Im Betriebszustand betrage die Zusatzbelastung in den benachbarten Ortschaften zwischen 6 mg/m3 bis 24 mg/m3, also 13% bis 30% der Gesamtbelastung (Fachbericht Luft, Zusammenfassung S. III).
Weiter wird ausgeführt, dass seit Mai 1998 am Flughafen auch die Belastung mit lungengängigen Feinstäuben (PM10) gemessen
BGE 126 II 522 S. 546
werde. Die erwarteten Jahresmittelwerte lägen, wie in weiten Teilen des Siedlungsgebiets im Kanton Zürich, über dem Grenzwert von 20 mg/m3. Dabei lasse sich kein klarer direkter Beitrag des Flugverkehrs erkennen.
Der Fachbericht Luft gelangt zum Ergebnis, die Massnahmenplanung des Kantons vermöge im Lichte der neuen Abklärungen und Erkenntnisse nicht mehr zu genügen. Das Sanierungsziel für die NOx-Emissionen könne mit dem zugrunde gelegten Luftverkehrswachstum in den nächsten 15 Jahren nicht erreicht werden. Damit sei auch die flächendeckende Einhaltung des NOx-Immissionsgrenzwertes mittelfristig nicht gewährleistet. Neben den bereits getroffenen oder weiterzuführenden Massnahmen seien keine neuen Massnahmen in Sicht, die einen substantiellen Beitrag zur Zielerreichung leisten könnten. Die einzig wirksame Möglichkeit zur Reduktion der Emissionen bestünde in betrieblichen Einschränkungen, die jedoch in grundlegendem Widerspruch zum Ausbauvorhaben stünden. Der Tatsache, dass die gesetzlichen Ziele der Luftreinhaltung nicht erreicht werden könnten, müsse das unbestrittene öffentliche Interesse am Flughafen Zürich gegenübergestellt und eine umfassende Güterabwägung vorgenommen werden (Fachbericht Luft S. 92 und Zusammenfassung S. IV).
19.
Das zürcherische Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) hat in seiner Stellungnahme zum Fachbericht Luft erklärt, dass das Ausbauprojekt - ohne emissionsreduzierende Massnahmen - als nicht umweltverträglich zu beurteilen sei. Zwar schliesse das Bundesgericht die Rechtmässigkeit von geplanten Bauten trotz Überschreitung der in der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 (LRV; SR 814.318.142.1) festgesetzten Immissionsgrenzwerte nicht aus. Die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte dürfe aber nicht ohne Begrenzung nach oben stattfinden und müsse längerfristig ausgemerzt werden können. Nun seien bereits im Ist-Zustand (1997) ca. 25% der Wohnbevölkerung der acht Gemeinden um den Flughafen übermässigen, 35 mg/m3 übersteigenden NO2-Immissionen ausgesetzt, für etwa 40% liege die Belastung zwischen 25 mg/m3 und 35 mg/m3, also im Bereich des NO2-Immissionsgrenzwerts der Luftreinhalte-Verordnung (30 mg/m3). Mittelfristig - bis 2010 - müssten diese Belastungen derart herabgesetzt werden können, dass der Anteil der mit mehr als 35 mg/m3 belasteten Bevölkerung auf 5% sinke und mindestens die Hälfte der Bevölkerung nur Immissionen von unter 25 mg/m3 ausgesetzt sei. Dies entspräche etwa der Luftqualität, wie sie an anderen
BGE 126 II 522 S. 547
exponierten Standorten, beispielsweise in Innenstädten oder in der Umgebung von Autobahnen zu erwarten seien. Die mittelfristige Zielsetzung für 2010 könne jedoch nur erreicht werden, wenn die NOx-Emissionen aus Flugbetrieb und Abfertigung im Betriebszustand im erweiterten Perimeter um ca. 800 t/a oder 27% gegenüber den prognostizierten Emissionen vermindert würden. Die NOx-Emissionen aus Flugbetrieb und Abfertigung dürften also im Betriebszustand (2010) 2'200 t/a im erweiterten Perimeter nicht überschreiten. Die Immissionssituation sei dementsprechend mit Messungen zu überwachen und die Erreichung des gesetzten Ziels durch regelmässige Emissionsbilanzierung zu kontrollieren (Stellungnahme des AWEL vom 4. März 1999).
Das BUWAL hat den Antrag des AWEL auf Festsetzung einer Höchstgrenze der Stickoxidemissionen aus Flugbetrieb und Abfertigung auf 2'200 t/a ab 2010 in seiner Stellungnahme vom 23. Juli 1999 übernommen. Es weist darauf hin, dass der Flughafen Zürich gemäss der Prognose für etwa 10% der gesamten verkehrsbedingten Stickoxidemissionen in der ganzen Schweiz verantwortlich sein werde. Selbst mit der vorgeschlagenen Emissionsplafonierung werde nur eine leichte Verbesserung der lufthygienischen Situation erreicht und die Beseitigung der für die Bevölkerung schädlichen Luftbelastung weiter hinausgeschoben. Der Plafond von 2'200 t/a sei bei Vorliegen neuer Schadstoff-Prognosen anzupassen. Im Betriebsreglement sei festzulegen, wie viele Flugbewegungen maximal zulässig seien.
Das UVEK hat sich im Baukonzessionsentscheid Dock Midfield zunächst zu allfälligen Massnahmen zur Schadstoffreduktion an der Quelle geäussert. Es hat festgestellt, dass die Möglichkeiten zur Verbesserung der Triebwerke zur Zeit ausgeschöpft seien. Dagegen habe die Flughafendirektion dem Regierungsrat am 4. Oktober 1999 den überarbeiteten Teilplan Flughafen des Luftprogramms eingereicht, der weitere schadstoffvermindernde Massnahmen - so etwa die Erweiterung der emissionsabhängigen Landegebühr (L 1) und die Installation von stationären Flugzeug-Energiesystemen für 400 Hz auf offenen Standplätzen (L 3) - vorsehe. Mit diesen Massnahmen, die als Auflagen in das Entscheiddispositiv aufzunehmen seien, lasse sich ein Einsparungspotential von schätzungsweise 130 t NOx erzielen (Entscheid Dock Midfield S. 60 f.). Im Weiteren hat sich das UVEK eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die voraussichtliche NO2-Belastung der Flughafenregion im Lichte der Umweltschutzgesetzgebung und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
BGE 126 II 522 S. 548
noch oder nicht mehr als umweltverträglich gelten könne. Es ist zum Schluss gelangt, dass zwar für Flughäfen gleich wie für andere Verkehrsanlagen Grenzwertüberschreitungen während einer gewissen Zeit in Kauf genommen werden müssten. Das heisse jedoch nicht, dass nicht ernsthafte Anstrengungen unternommen werden müssten, um durch geeignete Massnahmen längerfristig eine Abnahme der Belastungen zu erreichen. Als solche Massnahme fiele eine Plafonierung der Verkehrsentwicklung in Betracht. Diese liefe jedoch der vom Parlament unterstützten Entwicklung des Flughafens Zürich zuwider, da die Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit und damit die Funktion des Flughafens als "hub" (Drehscheibe) beeinträchtigt würden. Anstelle der Einführung eines starren Plafonierungssystems seien in flexibler Weise die verschiedensten Massnahmen zur Verbesserung der lufthygienischen Situation zu ergreifen. Das bedeute, dass der Kanton Zürich in erster Linie zu verpflichten sei, seinen Massnahmenplan zur Verbesserung der Luft konsequent umzusetzen und allenfalls zu verschärfen. Damit werde aber dem Umstand, dass die Stickoxid-Belastung inskünftig in ausserordentlichem Masse zunehmen werde, nicht genügend Rechnung getragen. Auch in dieser Hinsicht sei der Kanton Zürich als Flughafenhalter gefordert, jede nur erdenkliche Massnahme zur Verminderung der NOx-Emissionen zu ergreifen. Darunter fielen unter anderem Vorkehren, die - wie die ganze oder teilweise Verlagerung der General Aviation oder des Charterverkehrs - nicht von einem auf den anderen Tag realisiert werden könnten. Um zu gewährleisten, dass solche Massnahmen tatsächlich ergriffen würden, sei eine Limitierung der Stickoxid-Belastung vorzusehen, welche zwar nicht auf eine Bewegungsplafonierung, aber auf eine neue Lageanalyse hinauslaufe. Diese Limite für den jährlichen Stickoxid-Ausstoss von Flugbetrieb und Abfertigung sei - ausgehend von den Anträgen der Fachstellen und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Flughafens - auf 2'400 t festzulegen. Werde diese Limite erreicht - was ohne zusätzliche Massnahmen etwa im Jahre 2005 der Fall sein werde -, so habe der Flughafenhalter dem UVEK innert drei Monaten ein zusätzliches Massnahmenpaket zur Verhinderung des weiteren Ansteigens der Stickstoffbelastung vorzulegen. Gestützt auf dieses werde das UVEK innert nützlicher Frist über das weitere Vorgehen und die allenfalls zu ergreifenden Massnahmen entscheiden, die unter anderem auch in einer wie auch immer ausgestalteten Plafonierung bestehen könnten. Weil die Höhe des Schadstoff-Ausstosses nur rechnerisch
BGE 126 II 522 S. 549
ermittelt werden könne, erscheine zudem als angezeigt, die tatsächliche Belastung der Bevölkerung mit Stickstoffoxid auch durch Messungen zu kontrollieren. Den Anträgen der Fachstellen auf Installation eines verfeinerten Messnetzes und auf obligatorische jährliche Meldungen der Resultate sei daher ebenfalls zu entsprechen (Entscheid Dock Midfield S. 61-67).
22.
Gegen die Art der vom UVEK angeordneten Emissions-Begrenzung wird von Seiten der Anwohner eingewendet, der "unechte Plafond" sei nicht das geeignete Mittel, um das Sanierungsziel - selbst längerfristig - zu erreichen. Da das Überschreiten der Limite lediglich zu einer zusätzlichen Massnahmenplanung führe, welche am Fehlen griffiger Massnahmen und letztlich am sog. Zulassungszwang scheitern müsse, sei der vom UVEK vorgezeichnete Weg nicht gangbar. Das einzig taugliche Mittel zur Reduktion der Emissionen sei eine Beschränkung der Flugbewegungen, wie sie vom BUWAL beantragt worden sei. Teils wird auch verlangt, dass die im angefochtenen Entscheid beispielhaft aufgezählten Vorkehren, die - wie etwa die Verlegung des Charterverkehrs - bei Erreichen der Limite ins Auge zu fassen seien, schon in der Baukonzession angeordnet würden.
Die SAir Group und die Mitbeteiligten machen ihrerseits geltend, die Plafonierung des NOx-Ausstosses stelle ein schweizerisches Novum dar. Die Richtlinien der ICAO (International Civil Aviation Organization) sähen keine entsprechende Limite vor. Auch in der Luftreinhalte-Verordnung fehle eine NOx-Emissionsbegrenzung. Eine solche sei daher nur soweit zulässig, als sie im Sinne von
Art. 11 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz [USG; SR 814.0]
technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sei. Im Übrigen sei es nicht sachgerecht, die Luftqualität allein am NOx-Ausstoss zu bemessen; zur Beurteilung der Lufthygiene bedürfe es einer Gesamtbetrachtung. In einer solchen würden sich die modernen Triebwerke, die im Reiseflug sehr ökologisch seien, als weitaus umweltverträglicher erweisen als die früheren, wenn es auch nach dem heutigen Stand der Technik nicht möglich sei, gleichzeitig die CO2- und die NOx-Emissionen zu vermindern. Die NOx-Belastung in Bodennähe dürfe daher nicht das einzige Kriterium für die Umweltverträglichkeit sein. Die vom Flughafen ausgehende NOx-Belastung lasse sich im heutigen Zeitpunkt auch nicht zuverlässig messen. Sie werde heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegenüber den anderen Emittenten als zu hoch eingeschätzt. Weiter begrenze die vorgesehene NOx-Limite indirekt die Anzahl der erlaubten Flugbewegungen. Es
BGE 126 II 522 S. 550
bestehe die Gefahr, dass bereits in wenigen Jahren eine Bewegungslimite zur Diskussion stehen könnte. Eine solche wäre aber mit der notwendigen wirtschaftlichen Entwicklung des Flughafens unvereinbar und würde den Flughafenhalter und die Beschwerdeführer in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen behindern. Sie stünde zudem im Widerspruch zum Zulassungszwang. Unzulässig sei schliesslich auch der vorgeschriebene Mechanismus beim Überschreiten des Schadstoffplafonds. Die Auflage, dass innert drei Monaten ein zusätzliches Massnahmenpaket vorzulegen sei, sei unhaltbar, weil weitere wirtschaftlich tragbare Massnahmen nicht existierten und daher Unmögliches verlangt werde. Der Flugverkehr werde gegenüber der Strasse und Schiene diskriminiert und es werde in unzulässiger Weise in das Recht der freien Verkehrsmittelwahl eingegriffen. Damit werde der Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt. Diese Einwendungen von beiden Seiten vermögen nicht zu überzeugen.
a) Wie im angefochtenen Entscheid Dock Midfield in Wiedergabe bundesgerichtlicher Erwägungen ausgeführt wird, sind Flughafenbauten den Verkehrsanlagen zuzurechnen und bestimmt sich deren Umweltverträglichkeit hinsichtlich der Luftreinhaltung grundsätzlich nach denselben Regeln, die für die übrigen Verkehrsanlagen gelten. Danach sind bei der Bewilligung des Baus solcher Anlagen alle technisch und betrieblich möglichen und wirtschaftlich tragbaren Massnahmen anzuordnen, mit denen die verkehrsbedingten Emissionen begrenzt werden können (
Art. 11 Abs. 2 USG
und
Art. 18 LRV
). Reichen diese vorsorglichen Emissionsbegrenzungen nicht aus, um übermässige Immissionen zu verhindern oder zu beseitigen, ist die Flughafenanlage in eine Massnahmenplanung einzubeziehen. In dieser sind die zur Emissionsreduktion erforderlichen zusätzlichen baulichen, betrieblichen, verkehrslenkenden oder -beschränkenden Massnahmen vorzuschreiben, wobei sich Zuständigkeit und Verfahren nach den einschlägigen Vorschriften richten (
Art. 19 LRV
in Verbindung mit
Art. 44a USG
und Art. 31 bis 34 LRV). Erweisen sich die in den Massnahmenplänen vorgesehenen Massnahmen ihrerseits als zu wenig wirksam, sind sie regelmässig anzupassen (
Art. 33 Abs. 3 LRV
). Demgemäss sind die vorsorglichen emissionsbeschränkenden Anordnungen bereits bei der Genehmigung des Projekts zu erlassen. Dagegen verlangen - wie das Bundesgericht verschiedentlich festgehalten hat - die gesetzlichen Bestimmungen nicht, dass im
BGE 126 II 522 S. 551
Baubewilligungsverfahren selbst verfügt werde, welche zusätzlichen, insbesondere verkehrslenkenden und -beschränkenden Vorkehren im Rahmen der Massnahmenplanung ergriffen werden müssen (
BGE 124 II 293
E. 24b S. 343;
122 II 97
E. 6a S. 100 mit Hinweisen). Allerdings verbietet das Gesetz solche Anordnungen auch nicht, sofern nicht gegen Zuständigkeits- oder Verfahrensregeln verstossen wird.
In dieses vom Gesetz- und Verordnungsgeber geschaffene System zur Bekämpfung übermässiger Immissionen um Verkehrsanlagen fügt sich die umstrittene Emissionsbegrenzung ohne weiteres ein. Da gemäss neuer Prognose trotz vorsorglicher Vorkehren und des Einbezugs des Flughafens in die Massnahmenplanung mit einem Ansteigen der übermässigen Immissionsbelastung gerechnet werden muss, hat das UVEK den Ausbau der Anlage zu Recht nur unter dem Vorbehalt künftiger ergänzender emissionsvermindernder Massnahmen bewilligt. Dass das zusätzliche Massnahmenpaket nicht sofort vorzulegen ist, ist nicht zu beanstanden. Wie dargelegt ist das UVEK nicht gehalten, bereits im Baukonzessionsverfahren Flugbewegungslimiten oder andere Betriebsbeschränkungen zu erlassen. Immerhin muss der Flughafenhalter dann handeln, wenn der Schadstoffausstoss den kritischen Wert zu überschreiten und die bis anhin bestehende Sanierungsmöglichkeit zunichte zu machen droht. Eine solche Lösung erscheint sachgerecht und verhältnismässig. Die Festlegung von Emissionsgrenzen, die vertiefte Analysen auslösen sollen und zu weiteren Massnahmen führen können, wird denn auch im mittlerweile genehmigten Sachplan Infrastruktur für Luftfahrt (SIL) für Landesflughäfen mit Ausbauwünschen ausdrücklich vorgesehen (Teil III B S. 41).
Schliesslich ist im Lichte der luftfahrtrechtlichen Verfahrensbestimmungen und von
Art. 44a Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG, SR 814.01)
vertretbar, dass das zusätzliche Massnahmenpaket vom Flughafenhalter vorzulegen und vom UVEK zu beurteilen ist: Einerseits ist der Kanton Zürich als (zur Zeit noch) Antragsteller zugleich für die Massnahmenplanung verantwortlich. Andererseits liegt die Zuständigkeit zur Genehmigung des Betriebsreglements, das die Betriebsmassnahmen umschreibt, zwar nicht beim UVEK, sondern beim BAZL, doch bereitet das Bundesamt die Geschäfte des Departements als Konzessions- und (neu) Plangenehmigungsbehörde vor (vgl. Art. 1 lit. b der Verordnung über die Aufgaben der Departemente, Gruppen und Ämter vom 9. Mai 1979 [SR 172.010.15] und
Art. 36a Abs. 1,
Art. 36c Abs. 3,
Art. 37 Abs. 2 LFG
). Der Rechtsschutz des Flughafenhalters
BGE 126 II 522 S. 552
ist durch die seit 1. Januar 2000 gegebene Beschwerde an die Rekurskommission UVEK auf jeden Fall gewährleistet (
Art. 6 Abs. 1 LFG
).
Ob übrigens die zusätzlichen Vorkehren zur Luftreinhaltung im Rahmen des kantonalen Massnahmenplanes Lufthygiene - im Kanton Zürich also im kantonalen "Luftprogramm" - oder ergänzend in einer separaten Planung unter einem anderen Titel festgelegt werden, spielt unter dem Gesichtswinkel von
Art. 31 ff. LRV
keine Rolle (vgl.
BGE 122 II 165
E. 15a in fine S. 172/173).
b) Was die Rüge betrifft, der Emissionsplafond könnte zu einer - als wirtschaftlich untragbar erachteten - Bewegungslimitierung führen, ist einzuräumen, dass eine künftige Begrenzung der Flugbewegungszahl nicht ausgeschlossen werden kann, falls tatsächlich keine anderen emissionsreduzierenden Massnahmen mehr zur Verfügung stehen. Dass eine solche Einschränkung den wirtschaftlichen Interessen zuwiderliefe, trifft zweifellos zu, ändert aber nichts daran, dass auch die Landesflughäfen dem Umweltschutzrecht des Bundes unterstehen. Der Flughafen Zürich könnte nur dann weitere Privilegien für sich beanspruchen, als sie die Verkehrsanlagen schon heute geniessen, wenn ihm der Bundesgesetzgeber solche ausdrücklich zugestanden hätte oder noch zugestehen würde. Nach heute geltendem Recht sind aber verschärfte Emissionsbegrenzungen, die unter anderem in Verkehrs- und Betriebsvorschriften bestehen können, unabhängig von der wirtschaftlichen Zumutbarkeit anzuordnen (Art. 11 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
). Vorausgesetzt wird nur, dass ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Nutzen der Massnahmen und der Schwere der damit verbundenen Nachteile bestehe (vgl.
BGE 125 II 129
E. 9d S. 148 mit Hinweisen).
Im Weiteren schlösse auch der Zulassungszwang eine Bewegungszahl-Beschränkung aus ökologischen Gründen nicht aus. Aus Sicht des internationalen Rechts hindert der Zulassungszwang die einzelnen Staaten nicht, die Benützung der Flughäfen einzuschränken oder an gewisse Bedingungen zu knüpfen. Verlangt wird lediglich, dass die zur Verfügung stehenden sog. slots (Zeitnischen für die Landung und den Start) dem Grundsatze nach allen Luftfahrtunternehmen offen gehalten werden und deren Zuteilung nicht nach diskriminierenden Kriterien erfolgt (vgl.
BGE 117 Ib 387
E. 5b/aa mit Literaturhinweisen; REGULA DETTLING-OTT, Zulassungszwang auf schweizerischen Flughäfen, in: Bulletin 2/1992 der Schweiz. Vereinigung für Luft- und Raumrecht S. 24 ff.; TOBIAS JAAG, Der Flughafen Zürich im Spannungsfeld von lokalem, nationalem und internationalem Recht, in: Das Recht in Raum und Zeit, Festschrift
BGE 126 II 522 S. 553
für Martin Lendi, Zürich 1998, S. 203 ff., 217 f.; vgl. für das Luftverkehrsrecht der Europäischen Gemeinschaft CHRISTIAN JUNG, Die Marktordnung des Luftverkehrs - Zeit für neue Strukturen in einem liberalisierten Umfeld, Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht [ZLW] 1998 S. 308, 319 ff., s.a. Beschluss des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juni 1998, publ. in ZLW 1999 S. 271 Ziff. 6 S. 278 mit Hinweis auf Art. 8 Abs. 2 der Verordnung [EWG] Nr. 2408/92]). Auch das schweizerische Recht sieht keinen absoluten Zulassungszwang vor. Nach
Art. 36 Abs. 2 LFG
wird der Konzessionär mit der Erteilung der Betriebskonzession verpflichtet, den Flughafen "unter Vorbehalt der im Betriebsreglement festgelegten Einschränkungen" für alle Luftfahrzeuge im nationalen und internationalen Verkehr zur Verfügung zu stellen. Ein Zulassungszwang besteht demnach für den Flughafenhalter nur im Rahmen der in der Betriebskonzession und im Betriebsreglement umschriebenen Bedingungen, die sich unter anderem nach den schweizerischen Umweltschutzbestimmungen zu richten haben.
c) Soweit die SAir Group und die Mitbeteiligten geltend machen, die Umweltverträglichkeitsprüfung müsse anhand einer Gesamtbetrachtung des Flugverkehrs - inklusive Reiseflug - und nicht bloss unter Berücksichtigung der NOx-B-elastung in Bodennähe vorgenommen werden, wäre ihnen zuzustimmen, sofern es um die Beurteilung der Umweltverträglichkeit des Luftverkehrs an sich ginge. Hier liegt jedoch die Erweiterung eines Flughafens im Streite und ist zu untersuchen, wie sich die Änderung dieser terrestrischen Anlage auf die Umwelt auswirken wird (
Art. 9 Abs. 1 USG
). Um den ebenfalls gerügten Unzulänglichkeiten bei der Erfassung der Immissionsbelastung begegnen zu können, hat das UVEK den Flughafenhalter gerade verpflichtet, ein verfeinertes Immissionsmessnetz aufzubauen. Dass nicht nur die NOx-Emissionen, sondern auch weitere Schadstoffe in die Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen worden sind, ist bereits geschildert worden (E. 18).
d) Die Berufung auf das "Recht auf freie Verkehrsmittelwahl" geht im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb fehl, weil sich aus der schweizerischen Rechtsordnung kein Anspruch darauf herleiten lässt, dass bestimmte Verkehrsanlagen bereitgestellt würden und ohne Einschränkung betrieben werden könnten. Das Prinzip der freien Wahl der Verkehrsmittel, das weder in der Verfassung noch in der Gesetzgebung verankert ist, besagt lediglich, dass kein Benutzungszwang für bestimmte Verkehrsmittel besteht und grundsätzlich freie Konkurrenz zwischen den Verkehrsträgern herrschen soll
BGE 126 II 522 S. 554
(vgl. MARTIN LENDI, Kommentar zu
Art. 36sexies aBV
N. 44; derselbe, Verkehrsfreiheit, in: De la Constitution, Festschrift Jean-François Aubert, Basel 1996, S. 371 ff. S. 377; s.a. Botschaft des Bundesrates über die Grundlagen einer koordinierten Verkehrspolitik vom 20. Dezember 1982, BBl 1983 I 941 ff., 1007, 1055).
Dass die freie Konkurrenz zwischen den Verkehrsträgern durch den umstrittenen Emissionsplafond gestört und der Luftverkehr gegenüber dem Schienen- und Strassenverkehr diskriminiert würde, trifft nicht zu:
Seit der weitgehenden Elektrifizierung der Eisenbahnen erübrigen sich lufthygienische Massnahmen gegenüber dem Schienenverkehr. Dagegen wird der Strassenverkehr von zahlreichen, wirtschaftlich einschneidenden Beschränkungen betroffen. Zunächst ist daran zu erinnern, dass mit den Abgasvorschriften für Motorfahrzeuge, vor allem mit der Einführung des Katalysator-Obligatoriums, ein wichtiger Schritt in Richtung Luftreinhaltung getan worden ist. Das Gleiche gilt für die allgemeine Tempobeschränkung auf 80 km/h bzw. 120 km/h. Zudem wird der motorisierte Strassenverkehr durch zahlreiche Abgaben belastet (vgl. Art. 85 f. BV mit den Ausführungsvorschriften), die teilweise verkehrsbeschränkende Ziele verfolgen. Abgesehen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot erfährt der Güterverkehr durch die Verfassungsbestimmung von
Art. 84 BV
über den alpenquerenden Transitverkehr eine zusätzliche räumliche Einschränkung, die ausschliesslich dem Umweltschutz dient. Weiter wird heute der Ausbau des Nationalstrassennetzes regelmässig mit der Bedingung verknüpft, dass zusätzliche, "flankierende" Massnahmen zur Reduktion der durch den Strassenverkehr verursachten Luftverunreinigung ergriffen werden. Diese Vorkehren im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 USG
umfassen neben den verkehrslenkenden und -beschränkenden Anordnungen auf dem projektierten Strassenstück häufig auch verkehrsberuhigende und -vermindernde Massnahmen auf dem übrigen Strassennetz. Sie müssen nicht erst bei Erreichen eines bestimmten lufthygienischen Schwellenwerts, sondern spätestens bei Inbetriebnahme des Strassenstücks getroffen werden (vgl.
BGE 122 II 165
E. 15). Ausserdem ist nicht ausgeschlossen, dass auch der allgemeine Strassenverkehr noch stärker eingeschränkt werden könnte, wenn gewisse kritische Luftbelastungen erreicht würden (vgl. zu dieser Problematik
BGE 121 I 334
). Es ist daher nicht einzusehen, inwiefern der Flugverkehr gegenüber dem Strassenverkehr benachteiligt würde. Dass gegenüber den verschiedenen Verkehrsträgern nicht in jedem Fall dieselben, sondern in differenzierter
BGE 126 II 522 S. 555
Weise jene schadstoffvermindernden Massnahmen angeordnet werden, die auf die jeweiligen Eigenarten des Verkehrs zugeschnitten sind, steht mit dem Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, durchaus im Einklang.
23.
Der Verkehrs-Club der Schweiz bezeichnet den im Konzessionsentscheid auf 2'400 t/a angesetzten Emissionsplafond als zu hoch. Die vom BUWAL beantragte Limite von 2'200 t/a, die bereits als Kompromiss zu gelten habe, hätte nicht unterschritten werden dürfen. Das Departement sei ohne triftige Gründe von der amtlichen Expertise der Umweltschutzfachstellen abgewichen und habe eine Interessenabwägung vorgenommen, wo es keine solche geben könne.
Nach Auffassung der SAir Group und der Mitbeteiligten ist dagegen der Schwellenwert von 2'400 t NOx pro Jahr viel zu tief angesetzt worden. Dieser Wert werde bei normaler Entwicklung nur etwa 337'000 Bewegungen zulassen, die bereits in den Jahren 2006 oder 2007 erreicht würden. Die "Zielgrösse" verhindere somit, dass der Flughafen Zürich und die Beschwerdeführer am Wachstum, das für das Jahr 2010 vorausgesagt werde, teilnehmen könnten. Sofern ein Plafond überhaupt festzulegen sei, müsste er aus Gründen der Rentabilität des Flughafens auf mindestens 3'011 t/a NOx erhöht werden, was die für den Betriebszustand prognostizierten 421'000 Flugbewegungen gestatten würde.
Weder die eine noch die andere Rüge vermag durchzudringen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat die Plangenehmigungs- oder Konzessionsbehörde ihren Entscheid darüber, ob beim Ausbau einer Verkehrsanlage eine vorübergehende Überschreitung der Immissionsgrenzwerte in Kauf genommen werden könne und welche Vorkehren im Einzelnen zu ergreifen seien, in Abwägung der auf dem Spiel stehenden öffentlichen Interessen zu treffen; dabei sind den Anliegen des öffentlichen Verkehrs einerseits und den Zielen des Umweltschutzrechts andererseits angemessen Rechnung zu tragen (
BGE 117 Ib 285
E. 8c S. 306;
BGE 118 Ib 206
E. 8a in fine und E. 11e;
BGE 122 II 165
E. 13 S. 168). Eine solche Interessenabwägung ist grundsätzlich rechtlicher Natur. Die Genehmigungsbehörde ist daher, auch wenn sie sich von den tatsächlichen Feststellungen der Umweltschutzfachstellen leiten lassen muss, bei der abschliessenden Würdigung und Entscheidfindung nicht an deren Anträge gebunden (vgl.
BGE 118 Ib 599
E. 6). Weiter gilt wie gesagt, dass die Interessen am öffentlichen Verkehr nicht für sich allein betrachtet werden dürfen und die Wirtschaftlichkeit des Verkehrs zudem nur
BGE 126 II 522 S. 556
einen Teilaspekt dieser Interessen bildet; die Rentabilität des Flughafens kann deshalb nicht jene Vorrangstellung einnehmen, die ihr die Fluggesellschaften einräumen wollen. Inwiefern die Abwägung der verschiedenen massgeblichen Elemente durch das UVEK bundesrechtswidrig vorgenommen worden wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Ergänzend darf auch an dieser Stelle nochmals daran erinnert werden, dass der Kanton Zürich im Zusammenhang mit der Volksabstimmung über den Kredit für die 5. Bauetappe und im Baukonzessionsverfahren wiederholt erklärt hat, der Ausbau sei - auch unter der seinerzeitigen Annahme von 240'000 Flugbewegungen im Betriebszustand - wirtschaftlich tragbar. FLUGLÄRM
34.
Der ergänzende "Fachbericht Fluglärm" geht für die Ermittlung des künftigen Fluglärms von den bereits in E. 13 umschriebenen betrieblichen Daten sowie von der Annahme aus, dass die Startpisten 16 ("Blindlandepiste" Richtung Süd) und 28 ("Westpiste" Richtung West) gleichwertig seien und auch Landungen auf den Pisten 10 und 28 ("Westpiste" aus beiden Richtungen) erfolgen könnten. Weiter werden vier Varianten für das Abflugverfahren ab Piste 16 in Betracht gezogen. Für die Nacht wird das heute geltende An- und Abflugverfahren (in und aus Richtung Nord) übernommen.
Wie im Bericht zusammenfassend festgestellt wird, ergibt sich aus dem Vergleich von Ausgangs- und Betriebszustand, dass die Lärmbelastung infolge des Flughafenausbaus am Tag und in der Nacht gesamthaft um etwas mehr als 1 dB zunehmen wird. Es träten jedoch lokale Unterschiede auf. Im Süden müsse man aufgrund des Geradeausflugs beim Start auf Piste 16 tagsüber mit einer Zunahme der Belastung von 1.5 bis 2 dB rechnen. Im Westen werde das Wachstum nur 0.5 bis 1 dB betragen. Gegenüber dem Ist-Zustand nehme die Belastung im Betriebszustand im Westen und Südwesten ab, im Süden leicht zu. Im Norden nehme sie vor allem in der Nacht erheblich zu, so dass die Grenzkurven mit der Fluglärmbelastung tief in den süddeutschen Raum hineinreichten. Die Zahl der Personen, deren Lärmbelastung den Immissionsgrenzwert übersteige, erhöhe sich infolge des Flughafenausbaus um 35% bis 40% (von bisher 23'000 auf neu 32'400). Im Betriebszustand würden voraussichtlich rund 7'500 Menschen über den Alarmwerten leben, was einem Zuwachs von 35% gegenüber dem Ausgangszustand entspreche. In Opfikon seien während des Tages 45%, in Höri während
BGE 126 II 522 S. 557
der Nacht rund 2/3 der Wohnbevölkerung von Alarmwertüberschreitungen betroffen. Dabei werde nicht auf die von der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten vorgeschlagenen Werte abgestellt, sondern würden die von BUWAL und BAZL in innerdepartementalen Gesprächen modifizierten Belastungsgrenzwerte für die Landesflughäfen angewendet (Fachbericht Fluglärm vom Dezember 1998, Zusammenfassung S. 2 f.).
Zusätzlich zum Fachbericht Fluglärm ist auf Verlangen des UVEK nachträglich der Bericht "Vergleich alternativer Betriebsszenarien" erarbeitet worden. In ihm werden verschiedene An- und Abflugverfahren geprüft und deren betriebliche und lärmmässige Auswirkungen miteinander verglichen. Die Berichtverfasser kommen zum Schluss, dass bei Weiterführung des heute praktizierten Systems mehr Personen von einem bestimmten Dauerschallpegel betroffen werden als beim Umkehrsystem (Landen von Süden und Osten, Starten nach Norden und Westen). Die Umkehr des Systems hänge jedoch von gewissen Bedingungen ab, die der Flughafenhalter nicht aus eigener Kraft erfüllen könne. Unter den gegebenen - durch den Flughafenhalter nicht beeinflussbaren - Voraussetzungen sei das dem Umweltverträglichkeitsbericht zugrunde gelegte heutige Betriebssystem dasjenige, welches die Lärmimmissionen des künftigen Flugverkehrs am geringsten halte (Bericht vom Februar 1999 S. 9).
In seiner Stellungnahme zu diesen Berichten hält das BUWAL fest, dass die Realisierung der 5. Bauetappe zur erheblichen Mehrbelastung eines heute schon stark durch Fluglärm beeinträchtigten Gebietes führen werde. Zwar halte sich die Zunahme der Tageslärmbelastung insgesamt in Grenzen, doch werde sich mit der vorgesehenen Steigerung der Tagesbewegungen um 53% die Struktur des Lärms spürbar verändern. Die ruhigeren Phasen des heutigen Betriebs würden in Zukunft verschwinden. Drastisch sei die Zunahme der Lärmbelastung in der Nacht, da der Nachtverkehr gemäss Voraussage um 260% anwachsen solle. Diese Lärmzunahme bewirke, dass die Zahl der von starken Lärmimmissionen betroffenen Personen beträchtlich ansteigen werde und gewisse Gemeinden mit einer wesentlichen Begrenzung ihrer weiteren räumlichen Entwicklung rechnen müssten. Was die vorgesehenen Massnahmen betreffe, so sei die Überwachung und Lenkung der Lärmentwicklung durch Lärmgebühren, Flugwegüberwachung und optimierte Flugverfahren zweckmässig und sinnvoll. Diese Methoden, die dem Standard
BGE 126 II 522 S. 558
auf verschiedenen ausländischen Flughäfen entsprächen, seien ein effektives Mittel zur Fluglärmbeschränkung. Weiter müssten wirkungsvolle Massnahmen zum Schutze der betroffenen Bevölkerung während der Nacht getroffen werden. Den grössten Effekt hätte die Ausdehnung der Nachtruhe auf die Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr. Eine ähnliche Wirkung habe aber auch die Begrenzung der Flugbewegungen nachts. Die Nachtflugbewegungen seien so festzulegen, dass keine Überschreitungen der Alarmwerte aufträten, was bei Beibehaltung des Betriebsregimes auf eine Plafonierung der Nachtflugbewegungen in Höhe des Ist-Zustandes (ca. 5'000) hinauslaufe (Stellungnahme vom 23. Juli 1999, S. 2, 5 ff.).
35.
a) Das UVEK hat im Baukonzessionsentscheid Dock Midfield erwogen, dass allgemein in der Zivilluftfahrt und im Besonderen auf dem Flughafen Zürich der vorsorglichen Lärmbegrenzung grosse Beachtung geschenkt werde. Für verschärfte Emissionsbegrenzungen bleibe daher nur wenig Raum:
Gemäss dem Umweltverträglichkeitsbericht werde sich die Zunahme der Lärmbelastung während des Tages im Bereich von 1 dB bewegen. Für diese Betriebszeiten dränge sich daher auch nach Ansicht des BUWAL keine Bewegungszahlbegrenzung auf. Bei den An- und Abflugverfahren werde permanent an der Optimierung gearbeitet. Diese Bemühungen seien selbstverständlich weiterzuführen. Was die von verschiedenen Gemeinden verlangten grundlegenden Änderungen des Pistenbenützungssystems betreffe, so würden diese eine Revision des Betriebssystems bedingen. Andere forderten aber gerade die Beibehaltung des aktuellen Konzepts. Gegensätzlich seien auch die Forderungen nach einer möglichst guten Verteilung des Fluglärms einerseits und nach einer Konzentration der Flüge andererseits. Ähnliches gelte für Begehren, die nur einzelne Aspekte des An- und Abflugverfahrens beträfen. Der Flughafenhalter habe neue Verfahren untersucht und sei dabei zum Schluss gelangt, dass die gültigen Betriebskonzepte optimiert seien und lediglich die bereits im "Fachbericht Lärm" berücksichtigten Änderungen in Betracht fielen. Mit ihm dürfe davon ausgegangen werden, dass unter den geltenden Rahmenbedingungen Verbesserungen durch grössere Änderungen am Pistenbenützungskonzept nicht möglich seien. Erfolglos bleiben müssten weiter die Begehren um fluglärmfreie Zeiten tagsüber, da solche einschneidende Konsequenzen für den Flugbetrieb hätten, die letztlich wirtschaftlich untragbar wären. Abzulehnen sei auch die Forderung, dass bei einem einzelnen Überflug der Wert von 92 dB nicht überschritten werden
BGE 126 II 522 S. 559
dürfe. Es sei heute unvermeidlich, die einen grösseren Lärm verursachenden Starts von Langstreckenflugzeugen über bewohntes Gebiet zu führen. Die Forderung wäre daher nur durch ein Verbot von Langstreckenflügen zu erfüllen, was jedoch mit dem öffentlichen Interesse am Betrieb des Flughafens Zürich unvereinbar sei.
Zum Schutz der Nachtruhe bestünden, wie das UVEK fortfährt, Regelungen sowohl in
Art. 39 VIL
als auch in der Betriebskonzession und im Betriebsreglement. Über die bestehenden Beschränkungen hinaus würde die Plafonierung der Anzahl Nachtflüge, die Zulassung lediglich leiser Flugzeuge oder auch die Einführung einer speziellen Nachtflugtaxe verlangt, während sich der Kanton Zürich und die Swissair solchen Massnahmen widersetzten. In diesem Zusammenhang sei zunächst klarzustellen, dass die Zunahme des Lärms während der Nachtrandstunden nur zum geringen Teil ausbaubedingt sei; ein wesentlicher Teil der prognostizierten Flüge könnte auch ohne bauliche Änderungen in den Nachtrandstunden abgewickelt werden. Indessen gebe das eingereichte Baukonzessionsgesuch den Anwohnern Gelegenheit, die Nachtflugregelung grundsätzlich überprüfen zu lassen. Die Prüfung ergebe, dass zumindest Flüge in den Nachtrandstunden insbesondere mit Blick auf die Langstreckendestinationen eine betriebliche und wirtschaftliche Notwendigkeit darstellten. Würde die Zahl der Nachtflüge wie vom BUWAL verlangt beschränkt, so hätte dies zur Folge, dass zwei Drittel der für die Nachtrandstunden erwarteten Flüge nicht angeboten werden könnten. Es sei naheliegend, dass damit der Flughafen Zürich seine Konkurrenzfähigkeit für Langstreckenflüge verlieren würde, was nicht im öffentlichen Interesse läge. Eine solche Massnahme - wie übrigens auch die Erhebung eines zusätzlichen Lärmzuschlages - sei deshalb abzulehnen. Dagegen erachte das UVEK eine massvolle Ausdehnung der Sperrzeit, verbunden mit einer einschränkenderen Regelung für den Nichtlinienverkehr, als vertretbar. Am wirkungsvollsten erscheine eine Verlängerung der Nachtflugsperre am Morgen um eine halbe Stunde auf 5.30 Uhr. Damit werde dem Bedürfnis nach einer möglichst langen, ungestörten Phase der absoluten Ruhe Rechnung getragen. Auf der anderen Seite könne die Ausdehnung der Sperrzeit zwar dazu führen, dass auf gewissen Strecken die Reisezeit etwas verlängert werden müsste und vielleicht etwas mehr Treibstoff verbraucht würde. Dies sei jedoch angesichts der möglichen Entlastung der Anwohner in Kauf zu nehmen. Im Weiteren sei eine im Vergleich zu heute etwas einschränkendere Regelung der Nachtflüge für den Charterverkehr zu verfügen.
BGE 126 II 522 S. 560
Für diese Flüge bestehe eine grössere betriebliche Flexibilität, weil sie nicht in die Hub-Funktion des Flugplatzes eingebunden sein müssten. Die Nachtsperre für den Start solcher Flüge könne daher von 23.00 Uhr auf 22.00 Uhr vorverlegt werden. Für die - leiseren - Landungen bleibe die heutige Regelung unverändert. Die genannten Erweiterungen der Nachtflugsperre seien - wie im Dispositiv festzuhalten sei - im Rahmen der nächsten Änderung der Betriebskonzession bzw. des Betriebsreglementes, spätestens aber im Jahr 2001, in diese Dokumente aufzunehmen (Baukonzessionsentscheid Dock Midfield S. 34-43).
b) Zur Tatsache, dass in grösseren Gebieten die Belastungsgrenzwerte und teils auch die Alarmwerte nicht eingehalten werden können, bemerkt das UVEK weiter, dass in solchen Fällen nach Art. 10 in Verbindung mit
Art. 11 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41)
die betroffenen Gebäude gegen Schall zu isolieren seien. Der Flughafenhalter sei denn auch bereits mit der Rahmenkonzession zur Erstellung eines Schallschutzkonzepts verpflichtet worden. Dieses Konzept liege nun vor und sei von den Umweltschutzfachstellen grundsätzlich gutgeheissen worden; es könne daher realisiert werden, sobald die Lärm-Belastungsgrenzwerte für die Landesflughäfen definitiv festgelegt seien. Das Schallschutzkonzept lege verbindlich fest, in welchem Perimeter welche Massnahmen in welchem Zeitpunkt zu treffen seien. Sei ein Betroffener mit der Festlegung für seine Liegenschaft nicht einverstanden, müsse er die Baukonzession anfechten. Vorbehalten bleibe, wie erwähnt, eine Änderung des Konzepts im Hinblick auf die vom Bundesrat noch zu erlassenden Belastungsgrenzwerte als Anhang zur Lärmschutz-Verordnung. Sollten sich nach der Beschlussfassung Änderungen ergeben, müsste das Schallschutzkonzept in den von den Änderungen betroffenen Perimetern neu aufgelegt und den Betroffenen Gelegenheit gegeben werden, ihre Rechte wahrzunehmen.
Das Begehren, dass für alle Gebäude im Schallschutzperimeter Schallschutzmassnahmen auf Kosten des Flughafenhalters ergriffen werden müssten, also auch für die nach 1978 in der Lärmzone C erstellten Bauten, weist das Departement zurück. Der Grundsatz, wonach der Anlageinhaber für die Kosten der Schallschutzmassnahmen aufzukommen habe, komme in jenen Fällen nicht zum Tragen, in denen im Zeitpunkt der Erstellung einer Baute bereits eine Verpflichtung zu Schallschutzmassnahmen bestanden habe. Dies treffe bei Häusern zu, die nach 1978 und damit nach dem Inkrafttreten
BGE 126 II 522 S. 561
der Gesetzgebung über die Lärmzonen (
Art. 42 ff. LFG
und
Art. 40 FF. VIL
) in der Lärmzone C gebaut worden seien. Für diese Bauten bestehe keine Verpflichtung zur Kostenrückerstattung.
Schliesslich weist das UVEK auf die mit dem Einbau von Schallschutzfenstern verbundenen Probleme der Lüftung hin. Abhilfe schaffen könnten Schallschutzfenster mit Zwangsbelüftung oder Fenster mit Mechanismen, die bei Erreichen eines bestimmten, einstellbaren Lärmpegels automatisch schlössen. Der Flughafenhalter habe daher zu prüfen, ob solche Massnahmen technisch möglich und aufwandmässig realisierbar seien. Die Ergebnisse seien dem UVEK zur Prüfung und gegebenenfalls zum Entscheid einzureichen (Entscheid Dock Midfield S. 45-47).
c) Unter dem Titel "Raumplanung" führt das UVEK aus, anhand der aufgelegten Gesuchsakten habe für alle mit Fluglärm belasteten Gebiete ohne weiteres festgestellt werden können, ob die Planungswerte, Immissionsgrenzwerte oder Alarmwerte überschritten seien. Aus diesem Lärmbelastungskataster liessen sich die Konsequenzen für jede einzelne Ortsplanung ablesen. Nach Ansicht des Departementes sei es wichtig, dass die raumplanerischen Konsequenzen aus der Existenz des Flughafens und seiner Entwicklung nun mit aller Deutlichkeit gezogen und weitere Konfliktsituationen vermieden würden. Der in den Gesuchsakten vorhandene Lärmbelastungskataster werde deshalb für die künftigen raumplanerischen Entscheide verbindlich sein. Die im Umweltschutzgesetz vorgesehenen raumplanerischen Folgen bei Überschreiten der Planungs- bzw. der Immissionsgrenzwerte hätten nun einzutreten. Darauf könne nachträglich nicht mehr zurückgekommen werden. Mit dem jetzigen Entscheid würden die raumplanerischen Auswirkungen eindeutig festgelegt. Wenn jemand damit nicht einverstanden sei, müsse dieser Entscheid angefochten werden. Im Dispositiv sei deshalb ausdrücklich festzuhalten, dass mit dem Bauvorhaben auch der damit verbundene Lärmbelastungskataster genehmigt werde. Daran ändere nichts, dass der Kataster nach der Festsetzung der Lärmbelastungsgrenzwerte durch den Bundesrat allenfalls noch angepasst werden müsse. Im Zusammenhang mit dieser Anpassung seien zusätzlich auch die Auswirkungen auf die Gemeinden der benachbarten Kantone darzustellen (Entscheid Dock Midfield, S. 87-90).
36.
Die lärmschutzbedingte betriebliche Regelung, wie sie aufgrund der Baukonzession Dock Midfield und den neuen Bestimmungen der VIL für den Flughafen Zürich ab Erneuerung der Betriebskonzession gelten soll, gestaltet sich wie folgt:
BGE 126 II 522 S. 562
Während der Tagesstunden von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr kann der Flughafen Zürich ohne Einschränkungen betrieben werden.
In den Nachtstunden von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr sind Starts und Landungen nicht gewerbsmässiger Flüge untersagt.
Starts von gewerbsmässigen Flügen sind - mit Ausnahme von Charterflügen - zwischen 22.00 Uhr und 24.00 Uhr erlaubt, sofern die Emissionen einen bestimmten Lärmindex nicht übersteigen: für Flüge mit einer Nonstop-Flugdistanz von über 5000 km muss ab 31. März 2002 der Lärmindex 98 eingehalten werden, für alle anderen Flüge ab sofort der Lärmindex 96. Von 24.00 Uhr bis 06.00 Uhr sind Starts auch für Linienflüge verboten. Gegenüber dem Flugplan verspätete Starts sind allerdings bis 00.30 Uhr erlaubt (
Art. 39a Abs. 1 und 3 VIL
und Übergangsbestimmung in Verbindung mit Auflage 2.2.2 der Baukonzession Dock Midfield).
Landungen gewerbsmässiger Flüge sind von 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr und ab 05.30 Uhr erlaubt, zwischen 24.00 Uhr und 05.30 Uhr verboten. Verspätete Landungen sind bis spätestens 00.30 Uhr erlaubt (Art. 39a Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Auflage 2.2.2 Baukonzession Dock Midfield).
Keiner Beschränkung unterliegen Notlandungen sowie Starts und Landungen zu Such- und Rettungsflügen, Ambulanzflügen, Polizeiflügen, zur Katastrophenhilfe, zu Flügen mit schweizerischen Militärflugzeugen und zu vom Bundesamt bewilligten Flügen von Staatsluftfahrzeugen (
Art. 39 Abs. 4 VIL
). Ausserdem kann der Flugplatzhalter bei unvorhergesehenen ausserordentlichen Ereignissen Ausnahmen von den in der VIL festgelegten Betriebsvorschriften gewähren (
Art. 39 Abs. 3 VIL
).
Die Anzahl der Starts und Landungen zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr sowie die eingesetzten Flugzeugtypen sind in der Flugplatzstatistik auszuweisen (
Art. 39 Abs. 5 VIL
).
37.
Verschiedene Beschwerdeführer bringen ihre bereits im Anhörungsverfahren gegen den "Fachbericht Fluglärm" erhobenen Einwendungen im bundesgerichtlichen Verfahren erneut vor:
a) Dem Vorwurf, der Ermittlung der Lärmbelastung sei ein unrealistischer Flottenmix zugrunde gelegt worden, kann mit den in E. 14 angestellten Überlegungen begegnet werden. Es ist indes klar, dass die den Flottenmix und die Triebwerktechnologie betreffenden Annahmen bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, die für die Erneuerung der Betriebskonzession anzustellen ist (
Art. 74a Abs. 2 VIL
), überprüft und allenfalls auf den neusten Stand gebracht werden müssen.
BGE 126 II 522 S. 563
b) Nach Auffassung Einzelner vermag das Lärmmass "Leq" - das heisst der energieäquivalente Dauerschall- oder Mittelungspegel Leq - die Störwirkung des Fluglärms nicht richtig wiederzugeben, da er insbesondere der Häufigkeit von störenden Schallereignissen nicht genügend Rechnung trage. Diesem Aspekt müsse durch Einführung eines Korrekturfaktors vermehrt Beachtung geschenkt werden. Vorbehalte werden auch gegenüber der Messgrösse "Anzahl stark gestörter Personen" (AsgP) geäussert, die im Fachbericht Fluglärm zur Abschätzung der durch den Fluglärm betroffenen Bevölkerungsteile beigezogen worden ist.
Zur Wahl des geeigneten Fluglärmmasses ist mit dem UVEK festzuhalten, dass sowohl im Umweltverträglichkeitsbericht als auch im Baukonzessionsentscheid auf die Vorschläge der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten abgestellt werden durfte, welche die Einführung des Leq anstelle des bisher als Belastungsmass für Fluglärm verwendeten NNI empfohlen hat (vgl. auch
BGE 121 II 317
E. 8c S. 339 ff.). Ob zur besseren Erfassung der Störwirkung ein Korrekturfaktor einzuführen sei, ist nicht im Einzelfall im luftfahrtrechtlichen Baubewilligungsverfahren, sondern von der rechtsetzenden Behörde generell zu prüfen (vgl. hinten E. 43). Was die Messgrösse "AsgP" betrifft, wird im Fachbericht Fluglärm ausdrücklich auf ihre Eigenheiten hingewiesen und klargestellt, dass sie nur beschränkt aussagekräftig sein könne. Sie bildet denn auch für den Entscheid kein ausschlaggebendes Kriterium.
c) Ein Ungenügen des Umweltverträglichkeitsberichts wird weiter darin erblickt, dass der Lärm der rollenden Flugzeuge unberücksichtigt geblieben sei. Auf Nachfrage des Flughafenhalters hin haben die für den Fachbericht Verantwortlichen der EMPA eingeräumt, dass terrestrische Lärmquellen, wie im Leerlauf rollende und manövrierende Flugzeuge, in den Lärmkarten und Katastern nicht ausgewiesen seien. Man gehe von der Annahme aus, dass rollende Flugzeuge gegenüber den startenden oder landenden Maschinen akustisch von untergeordneter Bedeutung seien. Allerdings sei nicht auszuschliessen, dass manövrierende Flugzeuge bei geringem Flugbetrieb in flughafennahen Gebieten wahrgenommen werden könnten (Schreiben der EMPA vom 8. Februar 2000). Dass der Lärm rollender Flugzeuge in aller Regel im Grundgeräusch untergeht, ist bei einem Versuch auf dem Flughafen Zürich im Zusammenhang mit dem Bau der Standplätze Rorzelg bestätigt worden. Obschon dieses Experiment mit einem erfahrungsgemäss lauten Flugzeugtyp abends
BGE 126 II 522 S. 564
um 22 Uhr bei einem Grundgeräusch von 35 bis 45 dB(A) durchgeführt wurde, erwies sich das Geräusch des rollenden Flugzeugs als unmessbar und kaum hörbar (Schreiben der EMPA an Flughafendirektion vom 3. September 1997). Aufgrund dieser Feststellungen darf angenommen werden, dass im Verzicht auf Mitberücksichtigung des Lärms rollender Flugzeuge jedenfalls kein erheblicher Mangel des Umweltverträglichkeitsberichts liegt.
d) Verschiedentlich wird gerügt, dass keine Untersuchungen darüber angestellt worden seien, wie sich die prognostizierte Lärmbelastung auf die Gesundheit der Anwohner auswirken werde. Gefordert werden unter anderem Langzeit-Beobachtungsprogramme und Reihenuntersuchungen, die Aufschluss über schleichende Gesundheitsschädigungen geben könnten.
Auch in dieser Hinsicht kann der Meinung des UVEK beigepflichtet werden, dass solche Abklärungen nicht im Baubewilligungsverfahren, sondern im Rahmen der Erarbeitung der Grundlagen für die Rechtsetzung, insbesondere für die Festlegung der Belastungsgrenzwerte, zu treffen sind. Die für die Studien nötigen Erhebungen, die einen grossen Personenkreis erfassen müssen, erfordern einen ausserordentlichen Aufwand und können aus der Sicht des Persönlichkeitsschutzes heikel sein. Derartige Untersuchungen vom Flughafenhalter zu verlangen hiesse, die dem Umweltschutzgesetz- und -verordnungsgeber und allenfalls auch der Entscheidbehörde obliegenden Verantwortlichkeiten auf den Gesuchsteller zu überwälzen.
e) Die Gemeinde Oetwil an der Limmat und Elisabeth Zbinden beanstanden zusammen mit den Mitbeteiligten, dass keine Gesamtbeurteilung der Lärmimmissionen im Sinne von
Art. 8 USG
vorgenommen worden sei. In eine solche Gesamtbetrachtung hätten für die Gemeinde Oetwil die Lärmimmissionen der Nationalstrasse A1, der SBB-Strecke Zürich-Baden und des Rangierbahnhofes Limmattal, für das Gemeindegebiet Winkel der Lärm der Flughafen-Autobahn sowie des Militärbetriebs auf dem Waffenplatz Kloten-Bülach einbezogen werden müssen.
Zu diesem Einwand führt das UVEK im Baukonzessionsentscheid Dock Midfield aus, die Lärmschutz-Verordnung verpflichte lediglich zur Prüfung des anlagebezogenen Lärms. Dementsprechend sei es korrekt, wenn der Umweltverträglichkeitsbericht keine anderen Lärmquellen, wie Industrie-, Bahn- und Strassenlärm, miteinbeziehe. Das BUWAL habe diesbezüglich auch keine Einwände erhoben. Zufolge der Lärmstudie 90 dürfe ausserdem davon ausgegangen
BGE 126 II 522 S. 565
werden, dass die Störwirkung des Fluglärms durch andere Lärmeinwirkungen nicht verstärkt werde (Entscheid S. 32).
Die Bestimmung von
Art. 8 USG
, nach welcher Einwirkungen sowohl einzeln als auch gesamthaft und nach ihrem Zusammenwirken zu beurteilen sind, verlangt in der Tat zunächst, dass bei der Beurteilung einer geplanten Anlage sämtliche mit dieser verbundenen Beeinträchtigungen der Umwelt sowohl einzeln als auch gesamthaft zu prüfen sind. Diesem Erfordernis kommt bei Flughäfen als "gemischten" Verkehrsanlagen besondere Bedeutung zu (vgl.
BGE 124 II 293
E. 23 S. 339 f. mit Hinweisen). Damit wird jedoch noch nicht die ganze Tragweite von
Art. 8 USG
erfasst. Der Bundesrat hat in seiner Botschaft zu
Art. 8 USG
(damals Art. 6 des Entwurfs) betont, dass Umweltbelastungen häufig Folge von Emissionen aus verschiedenen Anlagen sind und den Betroffenen auch Schutz vor Beeinträchtigungen aus unterschiedlichen Quellen - beispielsweise bei Strassen-, Flug-, Industrie- und Eisenbahnlärm - geboten werden müsse. In diesem Sinne gelte Artikel 6 (heute Art. 8) als verbindliche Anweisung sowohl für den Erlass von Verordnungen als auch von Verfügungen (Botschaft des Bundesrates vom 31. Oktober 1979 zu einem Bundesgesetz über den Umweltschutz, BBl 1979 III 775Kap. 53 S. 785). Dementsprechend ist im Entwurf zur Lärmschutz-Verordnung vorgesehen worden, dass die Gesamtlärmbelastung anhand des energetischen Additionsprinzips (energetische Addition der Beurteilungspegel aller beteiligten Lärmarten) zu beurteilen sei. Ein solches Vorgehen hat sich indes als fragwürdig erwiesen, da der Gesamtwert nicht sinnvoll interpretiert werden kann. Im Rahmen der "Lärmstudie 90", auf die noch zurückzukommen sein wird (unten E. 43b), hat sich gezeigt, dass die von Flug- und Strassenlärm Betroffenen klar zwischen diesen beiden Lärmarten unterschieden haben. Die Beurteilung über die Lästigkeit des Fluglärms erfolgte unabhängig von der zusätzlichen Belastung durch den Strassenlärm und umgekehrt. Die Bestimmung darüber, wie ein Gesamtlärmpegel zu bemessen und zu beurteilen sei, ist deshalb fallen gelassen worden, und die Lärmschutz-Verordnung beschränkt sich in der geltenden Fassung darauf, die Summierung gleichartiger Lärmimmissionen aus mehreren Anlagen vorzuschreiben (
Art. 40 Abs. 2 LSV
; vgl. zum Ganzen CHRISTOPH ZÄCH/ROBERT WOLF, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, N. 29 zu Art. 15; ANDRÉ SCHRADE/THEO LORETAN, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, N. 14a zu Art. 13; CARL OLIVA, Belastungen der Bevölkerung durch Flug- und Strassenlärm, Berlin 1998, S. 139 ff.). Für die Durchsetzung der - auch
BGE 126 II 522 S. 566
vom Bundesgericht schon erhobenen - Forderung nach einer Gesamtbetrachtung der bestehenden oder künftigen Lärmsituation (vgl. Entscheid des Bundesgerichtes vom 24. Juni 1997 i.S. Th., publ. in URP 1997 S. 495 E. 4b S. 500 f.) fehlt es somit heute noch am notwendigen Instrumentarium (zum gleichen Resultat ist der deutsche Rat von Sachverständigen für Umweltfragen in seinem Sondergutachten "Umwelt und Gesundheit, Risiken richtig einschätzen" vom August 1999 gelangt, vgl. Drucksache 14/2300 des Deutschen Bundestages S. 31 Ziff. 90, S. 183 Ziff. 461-463). Den besonderen Belastungen rund um Flughäfen, wo sich regelmässig Strassenverkehrs-, Eisenbahn- und Fluglärm überlagern, kann deshalb zur Zeit nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Belastungsgrenzwerte für den Fluglärm tendenziell eher tief gehalten werden.
Unter diesen Umständen kann vom Baugesuchsteller nicht verlangt werden, dass er Gesamtlärmsituationen, die durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Lärmarten entstehen, im Umweltverträglichkeitsbericht umfassend ausweise. Fehlt der Massstab zur Beurteilung solcher Situationen, so vermöchte auch die Darstellung der Lärmvorbelastung - soweit diese für ein Projekt wie das vorliegende mit weiträumigen Auswirkungen überhaupt detailliert ermittelt werden könnte - für den letztlich in einer globalen Interessenabwägung zu treffenden Entscheid, ob das Projekt bewilligt werden könne oder nicht, wenig beizutragen. Der Umweltverträglichkeitsbericht darf und soll sich aber auf die entscheidwesentlichen Punkte beschränken (vgl.
BGE 118 Ib 206
E. 13 S. 228;
119 Ib 254
E. 8b S. 275). Dem an sich begreiflichen Antrag der Bewohner von Oetwil an der Limmat und Winkel kann daher nicht stattgegeben werden. Eine andere Frage ist, inwieweit gleichartigen Immissionen aus mehreren Quellen bei der Erarbeitung des Lärmbelastungskatasters und des Schallschutzkonzepts Rechnung zu tragen sei (s. hinten E. 48e).
f) Auf die Einwendungen, die sich speziell gegen die Grundlagen des Schallschutzkonzepts richten, wird - soweit notwendig - unter dem entsprechenden Titel einzugehen sein (vgl. E. 48).
38.
Die beschwerdeführenden Gemeinden und Anwohner werfen dem UVEK in erster Linie vor, es habe entgegen den Anweisungen des Bundesgerichts nicht die von der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten vorgeschlagenen Belastungsgrenzwerte, sondern aus nicht dargelegten Gründen teilweise erhöhte Werte verwendet. Zudem sehe der Vernehmlassungsentwurf für den Anhang 5 der Lärmschutz-Verordnung
BGE 126 II 522 S. 567
noch höhere Werte vor, die - wie von Einzelnen ausdrücklich beantragt wird - vom Bundesgericht akzessorisch auf ihre Gesetzmässigkeit hin überprüft werden müssten. Weiter habe das Departement dem Flughafenhalter in unzulässiger Weise für die übermässigen Fluglärmimmissionen generell Erleichterungen gewährt, ungeachtet der räumlichen Ausdehnung der übermässigen Belastung und unbesehen der Höhe der Überschreitung der Belastungsgrenzwerte. Die Gewichtung der auf dem Spiele stehenden Interessen sei völlig unausgewogen. Inakzeptabel sei insbesondere das beabsichtigte massive Verkehrswachstum in der Nacht, das im Norden des Flughafens zu Grenzwertüberschreitungen in beängstigendem Ausmass führe. Aber auch am Tag werde die Bevölkerung durch den immer dichter werdenden Flugverkehr zunehmend beschallt; die ruhigen Phasen, die für das Wohlbefinden unabdingbar seien, würden seltener und schliesslich verschwinden. Für die Nachtrandstunden müsse daher der vom BUWAL beantragte Nachtflugplafond angeordnet und tagsüber der Flugbetrieb so gelenkt werden, dass gewisse Ruhezeiten (sog. Ruhefenster) gewährleistet seien.
Die SAir Group und die mitbeteiligten Fluggesellschaften verlangen demgegenüber, dass die Auflage 2.2.2 der Baukonzession Dock Midfield, durch welche die Nachtflugsperre ausgedehnt und der nächtliche Charterverkehr eingeschränkt wird, ersatzlos aufgehoben werde. Für die Ausdehnung der Nachtflugsperre von 05.00 Uhr auf 05.30 Uhr bestehe keine gesetzliche Grundlage. Das Bauprojekt Dock Midfield sei nicht kausal für die Zunahme des Lärms in den Nachtrandstunden und könne daher nicht zum Anlass genommen werden, die geltende Nachtflugordnung zum Nachteil der Fluggesellschaften einzuschränken. Das UVEK sei jedenfalls im laufenden Baukonzessionsverfahren nicht befugt, die geltende Betriebskonzession sowie die rechtmässig genehmigte Nachtflugordnung nachträglich aus Gründen abzuändern, die mit der Baukonzession in keinem direkten Zusammenhang stünden. Die angeordnete Einschränkung der Nachtflugordnung stelle für die beschwerdeführenden Fluggesellschaften eine unverhältnismässige Massnahme dar. Sie treffe diese in einschneidender Weise, weil eine rentable und kundenfreundliche Bedienung verschiedener Langstreckendestinationen verunmöglicht werde. Jede weitere Einschränkung der Nachtflugordnung schwäche die Wettbewerbsposition der beschwerdeführenden Fluggesellschaften in empfindlichem Masse. Aus den genannten Gründen erweise sich auch das angeordnete Charter-Startverbot ab 22.00 Uhr als unzulässig. Eine rechtsungleiche
BGE 126 II 522 S. 568
Behandlung von Charterflugzeugen und Linienflugzeugen lasse sich zudem sachlich nicht rechtfertigen, da es sich bei beiden um die gleichen modernen Flugzeugtypen handle. Schliesslich stelle die Ausdehnung des Startverbots für Charterflugzeuge eine untaugliche Massnahme dar, führe sie doch zu keiner ins Gewicht fallenden Beruhigung der heute bestehenden Lärmbelastung. Für Anwohner, die vom Fluglärm betroffen seien, mache es keinen Unterschied, ob zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr auf einzelne Starts verzichtet werde. Die durch ein Startverbot für Charterflugzeuge reduzierten Flugbewegungen fielen in der subjektiven Lärmwahrnehmung ausser Betracht.
An der Anhörung und in den ergänzenden Stellungnahmen haben die beschwerdeführenden Anwohner und Gemeinden ihre Begehren um akzessorische Überprüfung der anwendbaren Belastungsgrenzwerte - nun der mittlerweile in der Lärmschutz-Verordnung Anhang 5 festgesetzten Werte - erneuert. Angefochten wird ebenfalls die neue Regelung von
Art. 39 ff. VIL
, weil die Flugbeschränkungen für die Landesflughäfen in den Nachtstunden zu wenig streng seien und die Flughafenbetreiber selbst - ohne behördliche Kontrolle - über die Zahl der nächtlichen Flugbewegungen bestimmen könnten.
Die beschwerdeführenden Fluggesellschaften haben dagegen die vom Bundesrat festgesetzten Belastungsgrenzwerte gutgeheissen. Es ergebe sich insbesondere aus der "Lärmstudie 90", welche auch in der deutschen Sachliteratur ihren Niederschlag gefunden habe, dass der Wert von Leq = 65 dB(A) als kritische Grenze für eine erhebliche Belästigung gelten müsse. Weiter sei nachvollziehbar, dass die Grenzwerte für die Empfindlichkeitsstufen II und III gleich hoch angesetzt worden seien, da die um einen Flughafen situierten Gemeindegebiete lärmvorbelastet seien. Entgegen der Meinung der übrigen Beschwerdeführer wirke sich die Neuordnung von LSV und VIL nicht einseitig zu Lasten der Anwohner aus; deren Ruhebedürfnis sei vielmehr angemessen Rechnung getragen worden. Die Verordnungsänderungen könnten denn auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur als knapp tragbar betrachtet werden. Im Lichte der geänderten Fassung von
Art. 39 ff. VIL
erweise sich im Übrigen die vom UVEK (in Auflage 2.2.2 der Baukonzession Dock Midfield) angeordnete Beschränkung des Nachtbetriebs erst recht als unzulässig, da das Departement nach neuem Recht über keine Regelungskompetenz mehr verfüge. Die bisherige Bestimmung von Art. 39 Abs. 3 aVIL, wonach die Ordnung der Nachtflüge in den
BGE 126 II 522 S. 569
Flughafenkonzessionen und die weiteren Beschränkungen in den Betriebskonzessionen vorbehalten blieben, sei ersatzlos gestrichen worden. Aufgegeben worden sei weiter die Unterscheidung zwischen Charter- und Linienverkehr. Die neuen Bestimmungen hielten nur noch die gewerbsmässigen und die nicht gewerbsmässigen Flüge auseinander. Damit sei auch der einschränkenden Nachtflugregelung für Charterflugzeuge die rechtliche Grundlage entzogen worden. Die Auflage 2.2.2 sei daher antragsgemäss vollständig aufzuheben.
39.
Die Rügen der beschwerdeführenden Fluggesellschaften, die in der Baukonzession Dock Midfield verfügten Beschränkungen des Nachtflugbetriebes entbehrten einer Rechtsgrundlage und seien unverhältnismässig, sind offensichtlich unbegründet.
a) Es wird auch von den Fluggesellschaften nicht bestritten, dass der Betrieb des Flughafens Zürich bereits heute in weiten Gebieten zu übermässigen Lärmeinwirkungen führt, ob nun auf die Belastungsgrenzwerte der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten oder auf die vom Bundesrat festgesetzten Werte abgestellt wird. Der bestehende Flughafen ist daher gemäss
Art. 16 Abs. 1 USG
zu sanieren. Eine sanierungsbedürftige Anlage darf nach
Art. 18 Abs. 1 USG
nur umgebaut oder erweitert werden, wenn sie gleichzeitig saniert wird. Die Baukonzessionsbehörde war demnach nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet, im Baukonzessionsverfahren im Rahmen einer gleichzeitigen Sanierung die technisch und betrieblich möglichen sowie wirtschaftlich tragbaren Betriebsbeschränkungen anzuordnen. Erleichterungen sind allein insoweit zu gewähren, als solche Betriebsbeschränkungen unverhältnismässig wären (
Art. 17 Abs. 1 USG
, Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 1 LSV
; vgl.
BGE 125 II 643
E. 16b/c S. 666 ff.). In diesem Sinne hat sich das UVEK zu Recht auf
Art. 17 Abs. 1 USG
in Verbindung mit
Art. 14 LSV
berufen, um den Flughafenhalter von zusätzlichen betriebsbeschränkenden Massnahmen, die über die von den Fluggesellschaften angefochtenen hinausgegangen wären, durch Erleichterungen zu befreien (Baukonzession Dock Midfield S. 45 unten).
Eine weitere Rechtsgrundlage für die umstrittenen betrieblichen Einschränkungen findet sich in den Bestimmungen über wesentliche Änderungen von bestehenden Verkehrsanlagen (vgl.
BGE 124 II 293
E. 16 S. 327). Nach
Art. 25 Abs. 3 USG
, der auch für Änderungen von Verkehrsanlagen gelten muss (
BGE 124 II 293
E. 17 S. 328 f.), sind passive Schallschutzmassnahmen dann zu treffen,
BGE 126 II 522 S. 570
wenn die Immissionsgrenzwerte "durch Massnahmen bei der Quelle" nicht eingehalten werden können. Dementsprechend schreibt
Art. 8 Abs. 2 LSV
vor, dass bei wesentlicher Änderung von Anlagen die Lärmemissionen der gesamten Anlage durch Emissionsbegrenzungen mindestens derart begrenzt werden müssen, dass die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden. Nur soweit solche Emissionsbegrenzungen bei öffentlichen oder konzessionierten ortsfesten Anlagen ausgeschlossen sind, sind an ihrer Stelle nach
Art. 10 Abs. 1 LSV
passive Schallschutzmassnahmen zu treffen. Emissionsbegrenzungen im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 LSV
können in Verkehrs- und Betriebsvorschriften bestehen; sie können durch unmittelbar auf das Gesetz abgestützte Verfügung angeordnet werden (
Art. 12 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 USG
). Die umstrittenen Nachtflugbeschränkungen finden somit auch in diesen Bestimmungen einen Rückhalt (vgl.
BGE 125 II 643
E. 17b und c, E. 18).
Dass die Belastungsgrenzwerte für Landesflughäfen im Zeitpunkt des Baukonzessionsentscheides noch nicht festgelegt waren und daher die Sanierungsfrist noch nicht lief (
Art. 48 lit. a LSV
), ändert übrigens an der Anwendbarkeit der materiellen Sanierungsvorschriften auf die Landesflughäfen nichts (vgl.
Art. 40 Abs. 3 LSV
; ANDRÉ SCHRADE, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, N. 10 zu
Art. 18 USG
).
b) Nach Meinung der Fluggesellschaften halten die vom UVEK verfügten Einschränkungen des Nachtflugbetriebs jedenfalls vor dem neuen Recht nicht mehr stand, da die Bestimmungen von Art. 39 bis 39c VIL die Nachtflugordnung erschöpfend umschrieben und weitere Einschränkungen in den Betriebsreglementen ausgeschlossen seien. Das kann jedoch nicht der Sinn der neuen Regelung sein. Diese stellt, wie das UVEK in seiner Vernehmlassung vom 28. Juni 2000 bemerkt, lediglich eine Minimalordnung dar, die bei Bedarf verschärft werden kann.
Art. 36c LFG
in der Fassung vom 18. Juni 1999 sieht weiterhin vor, dass die im Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL), in der Konzession sowie in der Plangenehmigung (welche der Baukonzession entspricht) vorgegebenen Rahmenbedingungen im Betriebsreglement konkret auszugestalten sind, so etwa die besonderen Vorschriften für die Benützung des Flugplatzes. Ausführend hält hierzu
Art. 23 lit. b VIL
in der Fassung vom 2. Februar 2000 fest, dass das Betriebsreglement namentlich Vorschriften über die Betriebszeiten zu enthalten hat. Damit besteht weiterhin eine Grundlage für Sonderregelungen, die die in
Art. 39 ff. VIL
getroffene Ordnung einschränken können. Das UVEK hat übrigens bereits vor
BGE 126 II 522 S. 571
Erlass des neuen Verordnungsrechts - im definitiven Erläuternden Bericht zur Änderung der Lärmschutz-Verordnung vom 11. Februar 2000 - klargestellt, dass die im Baukonzessionsentscheid Dock Midfield angeordneten Nachtflugbeschränkungen aufgrund der neuen Regelung in der VIL nicht dahinfallen würden.
c) Unbegründet ist schliesslich auch der Vorwurf, die verfügten Einschränkungen des Nachtflugbetriebs seien unverhältnismässig und unzweckmässig. Die Fluggesellschaften machen wie dargelegt geltend, dass infolge der verkürzten Betriebszeit gewisse Langstreckendestinationen nicht mehr oder nicht mehr effizient bedient werden könnten. Diese Behauptung wird jedoch nicht näher belegt, weder was die Anzahl der betroffenen Flüge noch was die Höhe einer allfälligen finanziellen Einbusse betrifft. Da die umstrittene Verkürzung der Betriebszeit für Linienflüge nur gerade eine halbe Stunde beträgt, ist schwer vorstellbar, dass der Flugbetrieb durch diese Massnahme in schwerwiegender und einschneidender Weise beeinträchtigt würde. Soweit aber nur der Komfort von Passagieren und Betreibern auf dem Spiele steht, könnte dieser das Interesse der Anwohner an ungestörter Nachtruhe nicht aufwiegen. Die Behauptung der Fluggesellschaften, es spiele für das subjektive Lärmempfinden der vom Fluglärm Betroffenen keine Rolle, ob in den Nachtrandstunden einzelne Starts mehr oder weniger erfolgten, muss denn auch - wie noch näher darzulegen sein wird (vgl. E. 45b) - aufgrund neuerer Forschungen klar zurückgewiesen werden. Die vom UVEK verfügten Beschränkungen des Flugbetriebs in den Nachtrandstunden erscheinen mithin weder als unzweck- noch als unverhältnismässig.
40.
Im Gegensatz zu den beschwerdeführenden Fluggesellschaften halten die beschwerdeführenden Anwohner und Gemeinden die vom UVEK angeordneten Beschränkungen für ungenügend und verlangen eine Ausdehnung des Nachtflugverbots und/oder eine Plafonierung der nächtlichen Flugbewegungen, wie sie das BUWAL beantragt hat.
Ob in der Umgebung eines Flughafens die Nachtruhe ausreichend sei, hängt flughafenseits von den Betriebszeiten sowie den An- und Abflugrouten und auf Seiten der Anwohner davon ab, wie gut der Ruhesuchende in seinen vier Wänden vor Lärm geschützt ist. Letzteres wird von den Belastungsgrenzwerten mitbestimmt, die unter gewissen Voraussetzungen die Pflicht zur Vornahme baulicher Schallschutzmassnahmen auslösen. In der Baukonzession Dock Midfield hat das UVEK lediglich einen dieser Parameter festgelegt,
BGE 126 II 522 S. 572
nämlich die Betriebszeiten für Linien- und Charterflugzeuge, die ab Inkrafttreten des neuen Betriebsreglementes, spätestens jedoch im Jahr 2001, zu gelten haben. Zudem sind für die baulichen Schallschutzmassnahmen die vom Bundesrat festzusetzenden Belastungsgrenzwerte vorbehalten worden. Bei seinem Entscheid ging das UVEK weiter davon aus, dass das bisherige An- und Abflugverfahren unter der Geltung des neuen Betriebsreglementes im Wesentlichen beibehalten werde. Diese Annahme steht heute, nach der Kündigung über die Regelung der An- und Abflüge über deutsches Hoheitsgebiet, auf schwachen Füssen. Falls das An- und Abflugsystem unter der Herrschaft der neuen Betriebskonzession erheblich geändert werden muss, wird das UVEK sein Konzept zum Schutz der Flughafenregion vor übermässiger - insbesondere nächtlicher - Lärmbelastung erneut überprüfen müssen. Wie bereits erwähnt, behält das Übergangsrecht (
Art. 74a VIL
) die entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung ausdrücklich vor. Unter diesen Umständen ist das Bundesgericht nicht in der Lage, sich im heutigen Verfahren darüber auszusprechen, ob bei der Erneuerung des Betriebsreglementes die verlangten zusätzlichen Beschränkungen des Nachtflugbetriebs angeordnet werden müssten. Über diese Frage wird erst entschieden werden können, wenn auch das dannzumalige An- und Abflugverfahren festgelegt sein wird. Das Gleiche gilt für Verkehrseinschränkungen während der Tagesstunden bzw. für die Begehren um Einräumung von "Ruhefenstern", um Pegelbegrenzungen für Einzelüberflüge und um die Erhöhung des Nachtlärmzuschlags. Ob solche Vorkehren umweltrechtlich geboten seien, wird erst beurteilt werden können, wenn alle Daten des künftigen Flugbetriebs bekannt sind.
Dass im vorliegenden Verfahren nicht über alle lärmschutzrechtlichen Begehren der beschwerdeführenden Anwohner und Gemeinden materiell entschieden werden kann, hindert die Beurteilung der Bundesrechtmässigkeit des im Streite liegenden Projektes nicht. Wohl führt die Erweiterung des Flughafens zu einer Erhöhung der Kapazität. In welchem Masse und zu welcher Tages- oder Nachtzeit diese genutzt werden dürfe, wird jedoch nicht im Baukonzessionsverfahren, sondern endgültig erst mit der Genehmigung des Betriebsreglementes bestimmt. Das Dock Midfield und die anderen geplanten Bauten präjudizieren das An- und Abflugverfahren nicht und bedingen auch keinen Nachtbetrieb. Ihre Bewilligung steht daher einer ergänzenden und abschliessenden Beurteilung der lärmschutzrechtlichen Aspekte im Verfahren zur Erneuerung des
BGE 126 II 522 S. 573
Betriebsreglementes nicht entgegen. Daran ändert nichts, dass nach dem oben Gesagten (E. 39a) mit der Anlagenerweiterung eine Sanierung verbunden werden muss. Ist über den Ausbau eines Flughafens und den Betrieb der erweiterten Anlage gemäss Spezialgesetz in zwei getrennten Verfahren zu befinden, von denen jedes eine Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt, muss es auch statthaft sein, das Sanierungsverfahren in zwei Schritten durchzuführen bzw. die vorgesehenen Sanierungsmassnahmen in einem zweiten Schritt noch auf betriebliche Änderungen auszurichten.
AKZESSORISCHE ÜBERPRÜFUNG DER BELASTUNGSGRENZWERTE FÜR DEN LÄRM DER LANDESFLUGHÄFEN
41.
Der Vorwurf der Gesetz- und Verfassungswidrigkeit ist zunächst gegenüber dem im Vernehmlassungsverfahren vorgelegten Grenzwert-Schema und im Laufe des bundesgerichtlichen Verfahrens gegenüber den vom Bundesrat am 12. April 2000 in die Lärmschutz-Verordnung aufgenommenen Belastungsgrenzwerten für den Lärm der Landesflughäfen erhoben worden. Nach Auffassung der beschwerdeführenden Anwohner und Gemeinden ist deren Festlegung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt und der im Gesetz umschriebene Zweck vorab der Immissionsgrenzwerte - der Schutz der Bevölkerung vor erheblicher Störung im Wohlbefinden - völlig in den Hintergrund gedrängt worden.
Das UVEK hat die zur Zeit des Entscheides noch nicht erlassenen Lärm-Belastungsgrenzwerte für Landesflughäfen in der Baukonzession Dock Midfield vorbehalten und angeordnet, dass sie dem Lärmbelastungskataster und dem Schallschutzkonzept zugrunde zu legen seien. Die im Anhang 5 der Lärmschutz-Verordnung für Landesflughäfen festgesetzten Grenzwerte bilden somit Teil des im angefochtenen Entscheid angewendeten Verordnungsrechts. Das Bundesgericht ist befugt, Verordnungen des Bundesrats vorfrageweise auf ihre Gesetz- und Verfassungsmässigkeit zu prüfen. Bei unselbständigen Verordnungen, die sich - wie hier - auf eine gesetzliche Delegation stützen, ist abzuklären, ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnisse gehalten hat. Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit der unselbständigen Verordnung. Räumt das Gesetz dem Bundesrat einen weiten Ermessensspielraum für die
BGE 126 II 522 S. 574
Regelung auf Verordnungsstufe ein, ist dieser für das Bundesgericht allerdings verbindlich. Es darf in diesem Fall nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle jenes des Bundesrates setzen, sondern kann lediglich prüfen, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat delegierten Kompetenzen offensichtlich sprenge oder sich aus anderen Gründen als gesetz- oder verfassungswidrig erweise. Dabei ist ebenfalls zu untersuchen, ob mit der fraglichen Verordnungsregelung der im Gesetz genannte Zweck überhaupt erfüllt werden könne (
BGE 107 Ib 243
E. 4 S. 246 f.;
BGE 124 II 241
E. 3, 581 E. 2a;
BGE 124 V 12
E. 2a;
BGE 125 II 591
E. 5e/bb S. 599, je mit Hinweisen).
42.
Nach den Bestimmungen von Art. 74 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BV, welche im Wesentlichen
Art. 24septies Abs. 1 aBV
entsprechen, erlässt der Bund Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen und lästigen Einwirkungen und sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Die Kosten der Vermeidung und Beseitigung haben, wie heute auf Verfassungsebene festgehalten wird (
Art. 74 Abs. 2 Satz 2 BV
), die Verursacher zu tragen. Gemäss der Botschaft zum ehemaligen Verfassungsartikel sind schädliche Einwirkungen solche, die die physische oder psychische Gesundheit des Menschen schädigen. Lästige Einwirkungen kennzeichnen sich dadurch, dass sie die betroffenen Menschen in ihrem Dasein beeinträchtigen, ohne ihnen gesundheitlichen Schaden zuzufügen. Solche Belästigungen können beim Menschen dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit und die Lebensfreude, der Naturgenuss, das Gefühl der Ungestörtheit, das private Leben überhaupt beeinträchtigt werden (Botschaft vom 6. Mai 1970 über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel 24septies betreffend den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt gegen schädliche oder lästige Einwirkungen, BBl 1970 I 762, 776).
Art. 13 Abs. 1 des Umweltschutzgesetzes beauftragt den Bundesrat, für die Beurteilung der schädlichen oder lästigen Einwirkungen durch Verordnung Immissionsgrenzwerte festzulegen. Dabei sind nach
Art. 13 Abs. 2 USG
auch die Wirkungen der Immissionen auf Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit, wie Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere zu berücksichtigen. Weiter schreibt
Art. 15 USG
vor, die Immissionsgrenzwerte für Lärm und Erschütterungen seien so festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören. Dazu wurde in der bundesrätlichen Botschaft präzisiert, dass die
BGE 126 II 522 S. 575
Immissionsgrenzwerte unabhängig von der technischen Realisierbarkeit und wirtschaftlichen Tragbarkeit derart zu bestimmen seien, dass ein ausreichender Schutz des Menschen und seiner Umwelt gewährleistet sei (Botschaft vom 31. Oktober 1979 zu einem Bundesgesetz über den Umweltschutz, BBl 1979 III 793, s.a. ANDRÉ SCHRADE/THEO LORETAN, a.a.O., N. 6 zu Art. 13). Gesichtspunkte ausserhalb des Schutzziels von
Art. 15 USG
, wie die wirtschaftlichen oder raumplanerischen Anliegen, haben daher bei der Festlegung der Immissionsgrenzwerte grundsätzlich ausser Acht zu bleiben (vgl. CHRISTOPH ZÄCH/ROBERT WOLF, a.a.O., N. 30 zu Art. 15).
Zur Bemessung der erheblichen Störung des Wohlbefindens im Sinne von
Art. 15 USG
wird in der Regel auf die Ergebnisse soziologischer Erhebungen bzw. darauf abgestellt, wie viele der befragten Personen sich bei einer bestimmten Lärmbelastung als stark gestört bezeichnen. Da die Störung "erheblich" sein muss, genügt nicht schon, dass sich einzelne wenige beeinträchtigt fühlen. Angesichts des Gebotes der Berücksichtigung sensibler Bevölkerungsgruppen (
Art. 13 Abs. 2 USG
) kann andererseits nicht verlangt werden, dass eine Mehrheit der Bevölkerung stark belästigt sei. Bei der Festsetzung der Immissionsgrenzwerte in der Lärmschutz-Verordnung - worauf im Folgenden weiter einzugehen ist - ist deshalb davon ausgegangen worden, dass der Anteil stark Gestörter 25% (bzw. 15% bis 25%) der Lärmbetroffenen nicht übersteigen soll (vgl. ANDRÉ SCHRADE/THEO LORETAN, a.a.O., N. 16 ff. zu Art. 14, CHRISTOPH ZÄCH/ROBERT WOLF, a.a.O., N. 26 zu Art. 15; s.a. die unten zitierten Teilberichte der Eidg. Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten).
43.
a) Im Hinblick auf die Festlegung der Belastungsgrenzwerte wurde bereits während der Vorbereitungsarbeiten zum Umweltschutzgesetz eine "Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten" eingesetzt (im Folgenden "Eidgenössische Kommission" genannt). Diese legte im Juni 1979 einen ersten Teilbericht über Belastungsgrenzwerte für Strassenverkehrslärm vor. Der Strassenlärm gilt, da er weit verbreitet ist und auf diesem Gebiet zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisgrundlagen bestehen, als "Referenzlärm" für die anderen Lärmarten. Demgemäss ist der auf die Tages- oder Nachtzeit bezogene Lärmpegel Leq für den Strassenverkehrslärm in der Lärmschutz-Verordnung korrekturlos als Beurteilungspegel Lr übernommen worden (mit Ausnahme der Korrektur für geringe Verkehrsmengen; vgl. Anhang 3 zur LSV).
BGE 126 II 522 S. 576
Die Eidgenössische Kommission erarbeitete in der Folge Grenzwert-Vorschläge für den Lärm ziviler Schiessanlagen, den Lärm der Kleinaviatik, den Eisenbahnlärm, den Lärm von Militärflugplätzen sowie für den Industrie- und Gewerbelärm. Der Bundesrat ist diesen Vorschlägen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gefolgt. Für die genannten Lärmarten bauen die Anhänge 3 bis 8 der LSV auf folgendem Tages-Grenzwert-Schema auf (mit Ausnahme der höheren Alarmwerte für die Schiessanlagen):
Planungswert
Immissionsgrenzwert
Alarmwert
dB(A)
dB(A)
dB(A)
Empfindlichkeitsstufen
I
50
55
65
II
55
60
70
III
60
65
70
IV
65
70
75
Die Belastungsgrenzwerte für die Nacht bemessen sich - soweit solche festgelegt sind - an jenen für die Tageszeit (in der Regel 6-22 Uhr): Die Planungswerte und die Immissionsgrenzwerte für die Nacht liegen grundsätzlich 10 dB und die Alarmwerte 5 dB tiefer als die entsprechenden Werte für den Tag.
Der unterschiedlichen Störwirkung der einzelnen Lärmarten wird dadurch Rechnung getragen, dass nicht auf die messbare akustische Grösse Leq, sondern auf einen Beurteilungspegel Lr abgestellt wird (
Art. 38 Abs. 1 LSV
). Dieser setzt sich aus dem akustischen Mass und einer oder mehreren Korrekturen zusammen. Mit der Pegelkorrektur K werden - als Bonus oder Malus - sehr unterschiedliche Faktoren gewichtet, so die hohe oder geringe Anzahl der lärmigen Ereignisse, die besondere (etwa kreischende) Art des Lärms oder die besondere Ruhebedürftigkeit der Bevölkerung an Sonntagen. Teilweise haben mit Blick auf die anfallenden Sanierungen auch finanzpolitische Überlegungen bei der Festlegung des Korrekturfaktors mitgespielt (vgl. ROBERT HOFMANN, Lärm und Lärmbekämpfung in der Schweiz, Vorlesungsskript ETH, 2.A. 2000, EMPA Dübendorf, S. 6-14, 7-10 ff. mit einer Grenzwert-Übersicht S. 7-15; s.a. ROBERT WOLF, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Vorbemerkungen zu Art. 19-25, N. 6-8).
b) Obschon die Arbeiten für die Festlegung der Lärm-Grenzwerte für Landesflughäfen schon im Jahre 1987 aufgenommen worden
BGE 126 II 522 S. 577
waren, legte die Eidgenössische Kommission erst im September 1997 ihren 6. Teilbericht "Belastungsgrenzwerte für den Lärm von Landesflughäfen" (Schriftenreihe Umwelt Nr. 296, BUWAL 1998) vor. Einerseits trug die Tatsache, dass die Lärmzonen der Flughäfen Genf und Zürich erst im Jahre 1987 in Kraft gesetzt werden konnten, nicht zur raschen Einführung einer neuen Ordnung bei. Andererseits drängte sich auf, die bisherigen, aus den Siebzigerjahren stammenden wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Störwirkung von Fluglärm durch eine neue soziopsychologische Untersuchung zu ergänzen. Diese wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Mensch, Gesundheit, Umwelt" (NFP 26) durch Befragung von 2052 Personen in der Umgebung der Flughäfen Genf und Zürich durchgeführt. Der Schlussbericht der "Lärmstudie '90, Belastung und Betroffenheit der Wohnbevölkerung durch Flug- und Strassenlärm in der Umgebung der internationalen Flughäfen der Schweiz" (Kurztitel "Lärmstudie 90"), wurde im Jahre 1995 vorgelegt (die Ergebnisse der Studie sind unter dem Namen des Projektleiters auch mit folgendem Titel veröffentlicht: CARL OLIVA, Belastungen der Bevölkerung durch Flug- und Strassenlärm, Berlin 1998; eine Kurzfassung ist in der Broschüre "Lärmstudie 90, Lärmbelastung im Umfeld der Landesflughäfen Genf-Cointrin und Zürich", hrsg. vom Schweiz. Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, enthalten).
Gestützt auf die "Lärmstudie 90" sowie Untersuchungen und Berichte ausländischer Wissenschaftler hat die Eidgenössische Kommission zusammenfassend empfohlen, als Belastungsmass anstelle des bisher verwendeten NNI den Beurteilungspegel Lr auf der Grundlage des Mittelungspegels Leq zu übernehmen. Da gemäss "Lärmstudie 90" die Störwirkung von Fluglärm und von Strassenlärm während des Tages bei gleichen Mittelungspegeln Leq im Rahmen der Aussagegenauigkeit gleich sei, lasse sich eine Pegelkorrektur (K) nicht rechtfertigen. Die Beurteilung der Nachtbetriebsstunden (22-23, 23-24 und 5-6 Uhr) sei dagegen nach anderen Kriterien vorzunehmen. Richtungsweisend für die Grenzwertfestsetzung müssten die wissenschaftlichen Untersuchungen sein, nach welchen die kritische Aufweckschwelle bei 60 dB(A) am Ohr der schlafenden Person liege. Mit zunehmender Höhe und Häufigkeit dieser Schwelle wachse die Zahl der Personen, die durch solche Ereignisse aufgeweckt würden. Da die Begrenzung eines maximalen Spitzenpegels in der Praxis kaum kontrollierbar sei, werde die Einführung eines "Ein-Stunden-Leq" vorgeschlagen. Durch
BGE 126 II 522 S. 578
die Verkürzung der Bezugszeit auf eine Stunde werde erreicht, dass der Spitzenpegel in ausreichendem Ausmass berücksichtigt werde und zugleich die stündliche Lärmdosis begrenzt bleibe. Indessen solle für die erste Nachtstunde der Grenzwert für die Empfindlichkeitsstufe II um 5 dB(A) angehoben werden, um eine Dominanz dieser Stunde bezüglich der raumplanerischen Nutzungsbeschränkungen in den lärmbetroffenen Gebieten zu vermeiden. Zum Schutze einer ausreichend langen und ununterbrochenen Nachtruhe (zwischen 23 Uhr und 6 Uhr) sei hingegen für die übrigen Randstunden ein Immissionsgrenzwert von 50 dB festzusetzen (Zusammenfassung Teilbericht S. 5 f.).
Dementsprechend hat die Eidgenössische Kommission folgendes Grenzwert-Schema vorgeschlagen:
Planungswert
Immissionsgrenzwert
Alarmwert
Lr in dB(A)
Lr in dB(A)
Lr in dB(A)
Empfindlichkeitsstufen
tags
nachts
tags
nachts
tags
nachts
I
50
40
55
45
60
55
II
55
55*/45
60
55*/50
65
65*/60
III
60
50
65
55
70
65
IV
65
55
70
60
75
70
*gilt für die erste Nachtstunde von 22-23 Uhr
Um dem Bundesrat weitere Entscheidungsgrundlagen zu liefern, hat die Kommission auch Untersuchungen über die planerischen und finanziellen Konsequenzen dieser Grenzwerte anstellen lassen. Nach diesen sind in der Umgebung der Flughäfen Genf und Zürich insgesamt 67'000 Personen (Zürich: 49'000 Personen) von Fluglärm betroffen, der den Immissionsgrenzwert übersteigt. Für 635 Hektaren Land (Zürich: 430 Hektaren) fielen Entschädigungen in Betracht. Daraus entstünden Folgekosten in Höhe von schätzungsweise 2'352 Mio. Franken (Zürich: 1'736 Mio. Franken), wovon 87% für Entschädigungen aus Enteignungen und 13% für Schallschutzfenster. Diese Schätzungen beruhen auf der Fluglärmbelastung des Jahres 1994 (Teilbericht Zusammenfassung S. 7 und Kapitel 7).
Die Eidgenössische Kommission hat zu den raumplanerischen und finanziellen Auswirkungen ihres Grenzwert-Vorschlages festgehalten, dass die Ausscheidung und Erschliessung von reinen Wohnzonen relativ stark, von Mischzonen dagegen nur geringfügig eingeschränkt werde. Das Gleiche gelte für die Erteilung von Baubewilligungen
BGE 126 II 522 S. 579
in diesen Zonen. Bauliche Schallschutzmassnahmen seien in reinen Wohnzonen in grossem Umfang zu treffen, in Mischzonen nur in geringem Umfang. Die Höhe allfälliger Entschädigungen aus Enteignung wegen übermässiger Lärmbelastung steige gegenüber der heutigen Bundesgerichtspraxis nicht an, da das Bundesgericht seine bisherigen Entscheide bereits auf Werte abgestellt habe, die den vorgeschlagenen Grenzwerten entsprächen (Teilbericht S. 81 ff.).
c) Im Juni 1999 eröffnete das UVEK das Vernehmlassungsverfahren für die Änderung der Lärmschutz-Verordnung und die damit verbundene Anpassung der Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt. Gegenstand der Vernehmlassungsvorlage bildeten neben den neuen Belastungsgrenzwerten auch die erhöhten Anforderungen an den baulichen Schallschutz in der Umgebung von Flugplätzen mit Verkehr von Grossflugzeugen (
Art. 32 LSV
), die Erweiterung der rechtlichen Tragweite des Lärmbelastungskatasters (
Art. 36 LSV
), die Aufhebung der Verordnungen über die Lärmzonen sowie die bereits geschilderte neue Nachtflugordnung (
Art. 39 ff. VIL
; vgl. oben E. 36).
Für die Beurteilung des Lärms von Zivilflugplätzen - also auch von Regionalflugplätzen, auf denen Grossflugzeuge verkehren - sollte nach dem Entwurf des UVEK auf folgende Belastungsgrenzwerte abgestellt werden:
Planungswert
Immissionsgrenzwert
Alarmwert
Lr in dB(A)
Lr in dB(A)
Lr in dB(A)
Empfindlichkeitsstufen
tags
nachts*
tags
nachts*
tags
nachts*
I
55
48
57
50
60
57
II
57
55
60
57
65
65
III
60
55
65
57
70
65
IV
65
60
70
62
75
70
*für die Nachtstunden 22-23, 23-24 und 5-6 Uhr gilt der Ein-Stunden-Leq
Diese Grenzwerte geben jedoch insofern kein klares Bild ab, als das Departement für alle Tages-Werte eine Pegelkorrektur von -2 dB festgelegt hat. Als Beurteilungspegel Lr für den Tag gilt demnach Lr = Leq -2, während für die Nacht der Lr dem Leq entsprechen soll. Gegenüber dem Vorschlag der Eidgenössischen Kommission werden auch die Tageswerte für die Empfindlichkeitsstufe I (Planungswert
BGE 126 II 522 S. 580
und Immissionsgrenzwert) sowie für die Empfindlichkeitsstufe II (Planungswert) zusätzlich erhöht. Für die Nacht wird der Ein-Stunden-Leq beibehalten, dagegen für alle drei Stunden die gleichen - fast durchwegs erhöhten - Grenzwerte aufgestellt. Die Belastungsgrenzwerte für die Empfindlichkeitsstufen II und III werden für die Nacht nicht mehr abgestuft.
Die Korrektur von -2 dB für den Tag ist in den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf damit begründet worden, es habe sich aufgrund verfeinerter Eingabedaten zur Berechnung der Fluglärmbelastung ergeben, dass die seinerzeit von der EMPA im Rahmen der "Lärmstudie 90" ermittelten Tagesbelastungen zu tief ausgefallen seien. Die Pegelkorrektur von -2 dB sei daher nötig, um die im Rahmen jener Studie ermittelte Beziehung zwischen Lärmberechnung und erhobener Störung zu aktualisieren. Zur Erhöhung der Nacht-Immissionsgrenzwerte wird weiter ausgeführt, dass auch bei diesen Werten - unabhängig von der Empfindlichkeitsstufe - noch davon ausgegangen werden könne, dass ein Schlafen bei leicht geöffnetem Fenster ohne nennenswerte Aufwachreaktionen durch Fluglärm möglich sei. Weiter könne der Unterschied zwischen Planungs- und Immissionsgrenzwert, der in der Regel 5 dB(A) betrage, verkleinert werden, da im Bereich der bestehenden Landesflughäfen mit grosser Wahrscheinlichkeit kein neuer Flughafen errichtet werde. Infolge der kleineren Differenz fielen die raumplanerischen Auswirkungen in ihrer flächenmässigen Ausdehnung gegenüber dem Kommissionsvorschlag wesentlich reduzierter aus. Insofern seien die nun vorgelegten Werte das Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen den Schutzinteressen der Bevölkerung und den Ansprüchen auf eine weitere Siedlungsentwicklung (vgl. S. 5 f. und 10 des Erläuternden Berichts vom 25. Juni 1999).
Zu den Kostenfolgen wird im Erläuternden Bericht ausgeführt, dass bei Anwendung der vorgeschlagenen Grenzwerte in der Umgebung der Flughäfen Genf und Zürich insgesamt etwa 32'000 Personen mit Lärm über dem Immissionsgrenzwert und 4'200 Personen über dem Alarmwert belastet würden. Demnach sei mit Kosten für Schallschutzfenster in Höhe von rund 147 Mio. Franken (Zürich 99 Mio. Franken) zu rechnen. Die Entschädigungsforderungen für Enteignungen könnten sich auf insgesamt 665 Mio. Franken (Zürich: 490 Mio. Franken) belaufen (S. 11 f. des Erläuternden Berichts).
Im "Kurzüberblick der Vernehmlassungsvorlage" wird nochmals betont, dass die Unterschiede zwischen den Kommissionsvorschlägen und der Vernehmlassungsvorlage darauf zurückzuführen seien,
BGE 126 II 522 S. 581
dass die Eidgenössische Kommission ihre Vorschläge nach den Schutzzielen für die Bevölkerung ausgerichtet (
Art. 15 USG
) und die möglichen finanziellen und wirtschaftlichen Konsequenzen nicht mitberücksichtigt habe. Ebenso seien die raumplanerischen Randbedingungen nicht von zentraler Bedeutung gewesen. Die Vernehmlassungsvorlage stelle teilweise einen Kompromiss zwischen den Schutzzielen der Bevölkerung und den raum- und nutzungsplanerischen Anliegen dar. Um noch eine gewisse Siedlungsentwicklung zu ermöglichen, seien die Planungswerte für den Tag und die Nacht sowie die Nacht-Immissionsgrenzwerte leicht angehoben worden.
d) Der Bundesrat hat am 12. April 2000 durch Änderung des Anhangs 5 der Lärmschutz-Verordnung folgende Belastungsgrenzwerte für den Lärm der Landesflughäfen festgesetzt (AS 2000 S. 1388 ff.):
Planungswert
Immissionsgrenzwert
Alarmwert
Lr in dB(A)
Lr in dB(A)
Lr in dB(A)
Empfindlichkeitsstufen
tags
nachts
tags
nachts
tags
nachts
I
55
48
57
50
60
58
II
57
55
65
57
67
65
III
60
55
65
57
70
65
IV
65
60
70
62
75
70
Die vom UVEK vorgenommene Pegelkorrektur K = -2 dB für den Tag ist beibehalten worden, so dass die Grenzwerte für den Tag (06-22 Uhr) in Wirklichkeit 2 dB höher liegen. Zusätzlich ist der Immissionsgrenzwert für die Empfindlichkeitsstufe II auch für den Tag auf die Höhe des Wertes für die Empfindlichkeitsstufe III angehoben worden. Demzufolge hat auch der Alarmwert erhöht werden müssen.
Für die Nacht ist anstelle des Ein-Stunden-Leq ein über drei Stunden (22-24 Uhr und 05-06 Uhr) gemittelter Pegel Leqn (= Lr) getreten. Nachtstarts sind nur für Flugzeuge erlaubt, deren Lärmindex 98 (Langstrecken) bzw. 96 EPNdB (übrige Strecken) nicht übersteigt; für diese Werte wird auf die Lärmzertifizierung der ICAO abgestellt.
44.
Resultat des geschilderten Werdegangs ist, dass die vom Bundesrat für die Landesflughäfen erlassenen Belastungsgrenzwerte mit den von der Eidgenössischen Kommission vorgeschlagenen kaum mehr etwas gemein haben. Aufschlussreich ist eine Gegenüberstellung der Immissionsgrenzwerte für den Tag:
BGE 126 II 522 S. 582
Eidg. Kommission
LSV Anhang5
dB (A)
dB (A)
ES
I
55
59*
II
60
67*
III
65
67*
IV
70
72*
*Pegelkorrektur K = -2 bereits berücksichtigt
Was die vorgenommene Erhöhung des Immissionsgrenzwertes um 7 dB(A) für Gebiete der Empfindlichkeitsstufe II, also für reine Wohnzonen (
Art. 43 Abs. 1 LSV
), heisst, lässt sich vorab damit erklären, dass bei einer konstanten Geräuschkulisse eine Erhöhung des rein akustischen Pegels um 3 dB(A) eindeutig wahrgenommen und eine solche von 5 dB(A) als deutliche Veränderung empfunden wird (vgl.
BGE 110 Ib 340
E. 6 S. 352). Bei Belastungsmassen wie dem Leq, der auch der Häufigkeit und der Dauer der Lärmereignisse Rechnung trägt, werden die auf diese Komponenten zurückgehenden Veränderungen von bloss 1 oder 2 dB meist zuverlässig festgestellt. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass eine Verdoppelung der Dauer oder der Häufigkeit des Schallereignisses den Leq (nur) um 3 dB(A) erhöht. Die Heraufsetzung eines Grenzwertes um 7 dB(A) besagt somit, dass sich die Schallereignisse verfünffachen können. Der Vorwurf der beschwerdeführenden Anwohner, anstelle von - beispielsweise - 100 tolerierbaren Überflügen bei einem Immissionsgrenzwert von 60 dB(A) müssten bei einem Immissionsgrenzwert von 67 dB(A) rund 450 Überflüge in Kauf genommen werden, erweist sich als begründet und keineswegs übertrieben. Ebenfalls zutreffend ist die Feststellung, dass sich nach den Erkenntnissen der "Lärmstudie 90" bei einer Lärmbelastung von 67 dB(A) 35%-40% der befragten Personen stark gestört fühlen, während bisher bei der Festsetzung des Immissionsgrenzwertes für Verkehrslärm in der Lärmschutz-Verordnung von einer Schwelle von 15%-25% stark Gestörter ausgegangen worden ist (vgl. oben E. 42; Broschüre "Lärmstudie 90" Tabelle S. 12; CARL OLIVA, a.a.O., Abbildungen S. 70, 78, 81 und 94).
Eine empfindliche Erhöhung haben auch die Immissionsgrenzwerte für die Nacht erfahren. Der Zahlenvergleich gibt die tatsächliche Änderung nur teilweise wieder, da wie erwähnt vom Bundesrat auch die Bezugszeit geändert und der vorgeschlagene Ein-Stunden-Leq auf einen Drei-Stunden-Leq ausgedehnt worden ist. Dadurch wird ermöglicht, in der ersten Nachthälfte starken Verkehr zuzulassen,
BGE 126 II 522 S. 583
da dieser mit dem verminderten Verkehr der zweiten Nachthälfte - insbesondere mit der Stunde zwischen 5 und 6 Uhr, in der nur Landungen zugelassen sind - kompensiert werden kann. Der von der Eidgenössischen Kommission im Hinblick auf
Art. 15 USG
verfolgte Zweck, während den Nachtstunden die zu einem Aufwachen führenden Lärmspitzen zu begrenzen (vgl. E. 43b), wird damit vereitelt.
Weder der Bundesrat noch das UVEK haben je zum Ausdruck gebracht, dass die Grenzwert-Vorschläge der Eidgenössischen Kommission aus dem Jahre 1997 nicht dem damaligen Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung auf dem Gebiet der Auswirkungen von Fluglärm auf den Mensch entsprochen hätten. Aus der Vernehmlassungsvorlage des UVEK und aus Verlautbarungen des Bundesrates ergibt sich vielmehr, dass vor allem ökonomische Überlegungen Anlass zu den umstrittenen Erhöhungen gaben. Solche Interessen sollen aber wie dargelegt nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Festlegung der Immissionsgrenzwerte, die den Menschen vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen schützen sollen, keine Rolle spielen und dürfen auf jeden Fall nicht ausschlaggebend sein. Wohl wird nicht beanstandet werden können, wenn bei der Suche nach den richtigen Grenzwerten auch der Frage der Finanzierbarkeit der Schutzmassnahmen eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Eidgenössische Kommission hat denn auch, entgegen den Ausführungen des UVEK, durchaus solche Überlegungen angestellt. Richtschnur bei der Grenzziehung muss aber der Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens der Bevölkerung bleiben. Die vom Bundesrat festgelegten Immissionsgrenzwerte liessen sich mithin nur dann rechtfertigen, wenn sich erwiese, dass die seinerzeitigen Erkenntnisse der Eidgenössischen Kommission überholt wären und die Störwirkung von Fluglärm nach dem neuesten Stand der Wissenschaft und der Erfahrung kleiner wäre als von der Kommission angenommen. Dies behaupten die beschwerdeführenden Fluggesellschaften sinngemäss und bleibt zu prüfen.
45.
a) Die eidgenössische Kommission hat sich wie erwähnt bei der Festlegung der Immissionsgrenzwerte für den Tag in erster Linie auf die Ergebnisse der "Lärmstudie 90" gestützt. Gegenstand dieser Studie bildete unter anderem die Frage, ob die Störwirkung von Fluglärm (in Nähe eines Landesflughafens) und von Strassenlärm bei gleichem Mittelungspegel Leq gleich oder unterschiedlich sei. Aufgrund der Resultate der Befragungen kam die Kommission zum Schluss (Teilbericht S. 34 ff.), dass gesamthaft die Störungen
BGE 126 II 522 S. 584
durch Fluglärm gleich einzustufen seien wie die Störungen durch Strassenlärm. Sowohl beim Strassen- wie beim Fluglärm werde die Schwelle eines Anteils von 25% der Personen, die sich stark gestört fühlten, zwischen 59 und 62 dB(A) überschritten. Dadurch würden auch die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahre 1971 (ETIENNE GRANDJEAN U.A., Sozio-psychologische Fluglärmuntersuchung im Gebiet der Schweizer Flughäfen Zürich, Genf, Basel, Mai 1974) über die Störwirkung des Fluglärms bestätigt (vgl. Teilbericht S. 34 ff.).
Die SAir Group und die mitbeteiligten Fluggesellschaften wenden gegen die Argumentation der Eidgenössischen Kommission ein, dieser habe nicht die offizielle Version der "Lärmstudie 90" zur Verfügung gestanden, welche erst im Jahre 1998 veröffentlicht worden sei. Die Begründung der Kommission für die Grenzwertfestsetzung - vor allem die Gleichstellung von Flug- und Strassenlärm - sei nicht nachvollziehbar. In neueren wissenschaftlichen Beiträgen, vor allem von Gerd Jansen, würden getrennte Beurteilungen und unterschiedliche Immissionsgrenzwerte für Flug- und Strassenlärm verlangt. In der Publikation von GERD JANSEN/GERT NOTBOHM/SIEGLINDE SCHWARZE "Gesundheitsbegriff und Lärmwirkung" (Stuttgart 1999) werde für erhebliche Belästigung durch Fluglärm am Tage ein Grenzwert von Leq = 65 dB(A) vorgeschlagen. Die Erkenntnisse dieser Studie seien auch in das "Sondergutachten Umwelt und Gesundheit 1999" des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen in Deutschland eingeflossen. Darin werde nochmals betont, dass erst ein Wert von über Leq = 65 dB(A) als sicherer Beginn von erheblicher Belästigung verstanden werden müsse.
aa) Was den Beizug von Abhandlungen über Fluglärmbelastungen in Deutschland betrifft, ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, dass gemäss dem deutschen Fluglärmschutzgesetz nicht der in der Schweiz und in vielen anderen Ländern eingeführte Leq verwendet wird, sondern ein nichtenergetisches Mittelungsverfahren, das zum "Störindex" Q führt. Bezugszeitraum für diesen äquivalenten Dauerschallpegel sind die sechs verkehrsreichsten Monate des Jahres.
Es werden zwei Berechnungen angestellt: In einer ersten werden die Nachtflüge mit einem Gewichtungsfaktor 5 in die Berechnung miteinbezogen, in einer zweiten werden nur die Tagflüge (von 6-22 Uhr) mit einem Bewertungsfaktor 1,5 berücksichtigt. Der höhere Pegel ist ausschlaggebend. Die Verdoppelung der Bewegungszahl bewirkt eine Erhöhung des Q um 4 Einheiten (Halbierungsparameter 4), während die Erhöhung der Spitzenpegel um 3 dB den Q
BGE 126 II 522 S. 585
nur um 3 Einheiten vergrössert (vgl. Nr. 5 der Anlage zu § 3 des deutschen Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 [BGBl. I S. 282]; ROBERT HOFMANN, a.a.O. S. 14-6). Das Lärmmass lässt sich bloss näherungsweise in den Leq umrechnen, was eine direkte Gegenüberstellung der Grenzwerte ausschliesst und den Vergleich von Fluglärmuntersuchungen in Deutschland mit ausländischen Studien erschwert (s. hiezu PETER WYSK, Ausgewählte Probleme zum Rechtsschutz gegen Fluglärm, Teil III, Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht 1998/1 S. 456 ff. 477 f.). Der deutsche Bundestag hat sich daher am 2. September 1998 für eine Modernisierung und Harmonisierung des Fluglärm-Ermittlungsverfahrens ausgesprochen. Dementsprechend ist bei der Überarbeitung des Fluglärmgesetzes vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorgeschlagen worden, den energieäquivalenten Dauerschallpegel (mit Halbierungsparameter 3) zu übernehmen; dagegen soll am geltenden Bezugszeitraum - den sechs verkehrsreichsten Monaten des Jahres - festgehalten werden.
Im nachfolgend zitierten Werk des deutschen Rates von Sachverständigen für Umweltfragen ist bereits der Leq verwendet worden.
bb) Das ausführliche, die neuesten Erkenntnisse verarbeitende Gutachten von GERD JANSEN, GERT NOTBOHM und SIEGLINDE SCHWARZE "Gesundheitsbegriff und Lärmwirkungen" (Materialien zur Umweltforschung Bd. 33), auf das sich die beschwerdeführenden Fluggesellschaften berufen, ist vom deutschen Rat von Sachverständigen für Umweltfragen im Rahmen der Erstellung des Sondergutachtens 1999 "Umwelt und Gesundheit, Risiken richtig einschätzen" in Auftrag gegeben worden. Im Bericht "Gesundheitsbegriff und Lärmwirkungen" werden vor allem die unmittelbaren oder längerfristigen Auswirkungen von Lärm auf die menschliche Gesundheit behandelt. Die Expertise befasst sich in diesem Rahmen auch mit der subjektiv erlebten "Lärmbelästigung" sowie der "erheblichen Belästigung", die üblicherweise als Schwellenwert für die Beurteilung unzumutbarer Schallimmissionen dient. Zusammenfassend halten die Gutachter fest, in der Literatur würden Mittelungspegel von 50-55 dB(A) als Schwellenwerte für Belästigungsreaktionen in der Bevölkerung angegeben; für erhebliche Belästigung lägen sie um 10 dB(A) höher. In vielen Untersuchungen sei allerdings nachgewiesen worden, dass unterschiedliche Schallquellen bei gleicher akustischer Intensität deutlich in den hervorgerufenen Belästigungsreaktionen differierten. So belegten mehrere Studien eine deutlichere Belästigung durch Fluglärm, vor allem hinsichtlich
BGE 126 II 522 S. 586
Störungen der Kommunikation und der Rekreation. Die Anzahl der Flugbewegungen scheine eine wichtige Determinante für das Ausmass der Belästigung zu sein (Gutachten S. 40 ff., 43). Die Schlussfolgerungen der Gutachter auf diesem Gebiet sind vom Rat von Sachverständigen für Umweltfragen in der Kurzfassung wie folgt übernommen worden (Sondergutachten "Umwelt und Gesundheit, Risiken richtig einschätzen", Drucksache 14/2300 des Deutschen Bundestages, S. 31 Ziff. 91, vgl. auch S. 184 Ziff. 465):
"Der Umweltrat hat sich bereits in früheren Gutachten dafür ausgesprochen, die zur Zeit für circa 16% der Bevölkerung geltende starke, d.h. mehr als 65 dB(A) betragende Lärmbelastung mittelfristig abzubauen. Als Zielgrösse gibt der Umweltrat einen Immissionsrichtwert von 55 dB(A) an. Angesichts der beim Verkehrslärm heute noch bestehenden weit höheren Belastungen im Bereich um Mittelungspegel von 65 dB(A) am Tage wird es sicherlich erheblicher Anstrengungen bedürfen, dieses Ziel zu erreichen.
Ein Nahziel muss es aber sein und bleiben, dass der kritische Wert für erhebliche Belästigung von 65 dB(A) möglichst nicht mehr überschritten wird. Mittelfristig sollte ein Präventionswert von 62 dB(A) angestrebt werden, der dann längerfristig schrittweise auf einen Zielwert von 55 dB(A) abgebaut werden müsste."
Die von den Fluggesellschaften angerufenen Gutachten entkräften somit den Bericht der Eidgenössischen Kommission nicht; sie bestätigen vielmehr, dass die von der Kommission festgelegten Tages-Immissionsgrenzwerte nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen im richtigen Bereich liegen, und zeigen eine Tendenz zur Wahl zunehmend niedrigerer Grenzwerte auf. In diesem Sinne hat auch die Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt/Main aufgrund von Hearings, der Literatur sowie eines zusätzlich eingeholten Gutachtens (JOACHIM KASTKA, Zusatzbericht über die Untersuchung der Fluglärmbelastungs- und Belästigungssituation der Allgemeinbevölkerung der Umgebung des Flughafens Frankfurt, Düsseldorf 1999) festgehalten, dass die zumutbare Fluglärmbelastung am Tage bei einem Dauerschallpegel von 62 dB(A) (aussen) überschritten werde, da gesundheitliche Wirkungen möglich seien (Bericht Mediation Frankfurt/Main, 2.A., Darmstadt 2000, S. 41; zu den Auswirkungen des Verkehrslärms auf die Gesundheit s.a. den im Auftrage des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit für die WHO [World Health Organization] erstellten Bericht "Beeinträchtigung der Gesundheit durch Verkehrslärm - ein deutscher Beitrag", hrsg. von HARTMUT ISING, Umweltbundesamt, Berlin, und CHRISTIAN MASCHKE, Robert Koch-Institut, Berlin 2000).
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Zu ergänzen bleibt, dass in mehreren Berichten - so auch in den zitierten Gutachten - in Frage gestellt wird, ob die Störwirkung des Fluglärms allein mit dem energieäquivalenten Dauerschallpegel Leq erfasst werden könne. Dieses Lärmmass werde den Eigenschaften des Fluglärms mit seinen hoch über dem Grundpegel liegenden Einzelschallereignissen nicht gerecht und trage der ansteigenden Zahl dieser Schallereignisse zu wenig Rechnung. In jüngster Zeit sind daher z.B. in Deutschland auch Maximalpegelkriterien zur Beurteilung der Fluglärmbelastung beigezogen worden (vgl. zit. Sondergutachten "Umwelt und Gesundheit, Risiken richtig einschätzen", S. 194 Ziff. 484 f.; im gleichen Sinne die im Auftrage des Gesundheits- und Umweltsdepartements der Stadt Zürich von RAINER GUSKI verfasste Stellungnahme zum Bericht "Möglichkeiten eines Fluglärm-Managements" aus dem Büro Dr. Carl Oliva, 1998, sowie das zit. Gutachten von JOACHIM KASTKA). Die Forderung nach zusätzlicher Begrenzung besonders hoher Schallereignisse steht in direktem Gegensatz zu den vom Bundesrat vorgenommenen Erhöhungen der Immissionsgrenzwerte.
b) Die beschwerdeführenden Fluggesellschaften kritisieren mit gutem Grund nicht, dass die Eidgenössische Kommission die Immissionsgrenzwerte für die Nacht anhand der kritischen Schwelle für Aufwachreaktionen festgelegt hat, die bei einem Lmax von 60 dB(A) im Innern des Raumes liege, wobei auch die Anzahl der Schallereignisse eine Rolle spiele. Diese Erkenntnis wird von JANSEN, NOTBOHM und SCHWARZE grundsätzlich bestätigt, welche aus den bisher angestellten Studien schliessen, dass bis zur Vorlage neuerlicher, überzeugenderer Untersuchungergebnisse an den Kriterien von Lmax = 60 dB(A) für die Aufweckschwelle und von 6 x 60 dB(A) für lärmbedingtes Aufwachen durch informationsarme Geräusche festzuhalten sei. Bei diesem Kriterium handle es sich um Maximalpegel (innen), die - wie Fluglärmereignisse in der Nacht - nicht häufig oder dauernd aufträten und deren Pegel deutlich (mehr als 20 dB(A)) über dem Grundpegel lägen. Träten Schallbelastungen in der Nacht dagegen häufig auf und lägen ihre Pegelspitzen weniger als 20 dB(A) über dem Grundpegel (z.B. Strassenverkehrslärm an vielbefahrenen Strassen), so seien die energieäquivalenten Mittelungspegel als Beurteilungsverfahren anzuwenden (zit. Gutachten "Gesundheitsbegriff und Lärmwirkungen" S. 78). Diese Resultate sind vom deutschen Rat von Sachverständigen für Umweltfragen übernommen worden, welcher in seinem Sondergutachten betont, dass messbare lärmbedingte Schlafstörungen
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bereits deutlich unter der Aufwachschwelle von 60 dB(A) festgestellt werden könnten und für den Fluglärm - wie von der Rechtsprechung gefordert (BVerwGE 87 S. 332, 376) - zusätzlich zu den Mittelungspegeln Maximalpegel festgelegt werden müssten (zit. Sondergutachten "Umwelt und Gesundheit, Risiken richtig einschätzen" S. 31 Ziff. 92, S. 176 ff. Ziff. 437-444, S. 184 Ziff. 466; das sog. Jansen-Kriterium '6mal 60 dB(A) innen' wird in der Rechtsprechung der deutschen Oberverwaltungsgerichte regelmässig angewendet: vgl. Urteil vom 22. April 1999 des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg, publ. in Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht, 49/2000 S. 255 ff., 265 mit zahlreichen Hinweisen). Noch weiter gehend empfiehlt die Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt/Main dem Rat der angehörten Fachleute folgend, dass am Ohr des Schläfers ein Einzelschallpegel von 52 bis 53 dB(A) nicht häufiger als 6- bis 11-mal pro Nacht überschritten werden sollte. Häufigere Schallereignisse unterhalb dieses Wertes seien nach Ansicht der Fachleute ebenfalls zu vermeiden. Die Mediationsgruppe habe sich daher aus Vorsorgegründen auch auf einen maximalen Dauerschallpegel (gemessen über 8 Nachtstunden mit Äquivalenzparameter 3) von 32 dB(A) am Ohr des Schläfers geeinigt. Dies entspreche einem Dauerschallpegel für den Aussenbereich von 47 dB(A) (zit. Bericht Mediation Flughafen Frankfurt/Main, S. 41, 44 und 48). Auch nach dem bereits zitierten, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit für die WHO erstellten Bericht müssen aus präventivmedizinischer Sicht die nächtlichen Maximalpegel begrenzt werden, um Schlafstörungen zu vermeiden (zit. Bericht "Beeinträchtigung der Gesundheit durch Verkehrslärm - ein deutscher Beitrag", S. 28 Ziff. 4.3.4).
Diese wissenschaftlichen Arbeiten aus jüngster Zeit heben die Wichtigkeit der zahlenmässigen Begrenzung lauter Einzelschallereignisse in den Nachtstunden hervor. Eine solche Begrenzung strebte die Eidgenössische Kommission mit dem "Ein-Stunden-Leq", der die Funktion eines Maximalpegels übernehmen kann, gerade an. Dass dieser vom Bundesrat durch einen über drei Stunden gemittelten Pegel ohne den erwünschten Begrenzungseffekt ersetzt worden ist, lässt sich somit offensichtlich nicht auf neuere Erkenntnisse abstützen.
46.
Können nach dem Gesagten die am 12. April 2000 im Anhang 5 der Lärmschutz-Verordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte für den Lärm von Landesflughäfen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht gewährleisten, dass Immissionen
BGE 126 II 522 S. 589
unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören, fallen sie aus dem gesetzlichen Rahmen von
Art. 15 und
Art. 13 Abs. 2 USG
(vgl. auch
Art. 74 Abs. 1 und 2 BV
) und sind im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Da die Immissionsgrenzwerte nach
Art. 20 Abs. 2 und
Art. 25 Abs. 3 USG
massgebend sind für die Übernahme der Kosten von baulichen Schallschutzmassnahmen durch den Anlageninhaber, verstossen zu hohe Werte ebenfalls gegen das Verursacherprinzip (
Art. 2 USG
und neu auch
Art. 74 Abs. 2 BV
). Das hat auch die Nichtanwendbarkeit der entsprechenden Planungs- und Alarmwerte zur Folge, da sich diese an den Immissionsgrenzwerten ausrichten (
Art. 19 und 23 USG
). Anders - das heisst auf der Linie der angefochtenen Baukonzession oder gar nach den noch weiter gehenden Vorstellungen der beschwerdeführenden Fluggesellschaften - könnte nur nach vorgängiger Änderung des Luftfahrtgesetzes bzw. des Umweltschutzgesetzes sowie von
Art. 74 Abs. 1 und 2 BV
entschieden werden.
Anstelle der vom Bundesrat festgelegten Grenzwerte bleiben im Sinne der im bundesgerichtlichen Rahmenkonzessionsentscheid (
BGE 124 II 293
E. 18b S. 330) und im vorliegenden Urteil angestellten Erwägungen die von der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten in ihrem 6. Teilbericht vom September 1997 festgelegten Belastungsgrenzwerte für den Lärm von Landesflughäfen anwendbar. Von einer Pegelkorrektur von -2 dB für die Tages-Immissionsgrenzwerte, wie sie das UVEK aufgrund verfeinerter akustischer Daten in nachträglicher Änderung der "Lärmstudie 90" vorgenommen hat (vgl. E. 43c), ist abzusehen. Die Grenzwerterhöhung wäre nur dann zu übernehmen, wenn sich die Annahme der Eidgenössischen Kommission, dass der Fluglärm ebenso störend sei wie der Strassenlärm, nachträglich klar als falsch erwiese. Das trifft jedoch nach den weiteren, die verschiedenen Verkehrslärmarten vergleichenden Untersuchungen nicht zu (vgl. die zusammenfassende Analyse von H.M.E. MIEDEMA, Response functions for environmental noise in residential areas, Leiden 1993, zit. im Bericht "Beeinträchtigung der Gesundheit durch Verkehrslärm - ein deutscher Beitrag", S. 6 f.). Zudem ergibt sich aus den angeführten Gutachten und Berichten, dass die im Laufe der Neunzigerjahre eingetretene Verdichtung des Flugverkehrs trotz gleichbleibender (gemittelter) Lärmpegel zu einer Verstärkung der Störwirkung des Fluglärms geführt hat, so dass die Ergebnisse der "Lärmstudie 90" nachträglich nur unter neuer Beurteilung der Gesamtsituation korrigiert werden könnten. Im Übrigen liesse sich
BGE 126 II 522 S. 590
ein Bonus für den Lärm der Landesflughäfen im Vergleich zum Strassenverkehrslärm schlecht damit vereinbaren, dass nach
Art. 32 Abs. 1 Satz 2 LSV
in der Fassung vom 12. April 2000 für bauliche Schutzmassnahmen gegen den Lärm der Flugplätze mit Verkehr von Grossflugzeugen die erhöhten Anforderungen nach SIA-Norm 181 gelten, während für den Lärm der anderen ortsfesten Anlagen nur die Mindestanforderungen einzuhalten sind. Auch im Hinblick auf diese Vorschrift erwiese sich eine Privilegierung des von den Landesflughäfen ausgehenden Lärms als widersprüchlich.
Dass die in der Baukonzession Dock Midfield vorbehaltenen Belastungsgrenzwerte des Bundesrates nicht anwendbar sind, heisst nicht, dass die Baukonzession aufzuheben wäre. Es gelten sinngemäss die in E. 11d und E. 40 angestellten Überlegungen. Hingegen ist der Entscheid des UVEK insoweit abzuändern, als in Dispositiv Ziffer 2.2.3 Abs. 2 und Ziffer 2.4 verfügt worden ist, das Schallschutzkonzept und der Lärmbelastungskataster seien nach der definitiven Festsetzung der Lärmbelastungsgrenzwerte anzupassen. Das Schallschutzkonzept und der als Arbeitsgrundlage für das Schallschutzkonzept dienende Lärmbelastungskataster werden vielmehr gestützt auf das Grenzwertschema der Eidgenössischen Kommission neu erstellt werden müssen. Im Hinblick auf diese Neuüberarbeitung ist im Folgenden noch auf die speziell gegen die beiden Instrumente gerichtete Kritik einzugehen, soweit das aus prozessökonomischen Gründen als angezeigt erscheint. SCHALLSCHUTZKONZEPT
47.
In den Beschwerden wird verschiedentlich beanstandet, das Schallschutzkonzept sei nicht richtig eröffnet worden. Aus der Publikation im Bundesblatt sei nicht hervorgegangen, dass mit der Baukonzession Dock Midfield zugleich über den Anspruch auf Schallschutz für jede einzelne Liegenschaft entschieden werde und dieser Entscheid nur mittels Anfechtung der Baukonzession in Frage gestellt werden könne. Dieser Vorwurf ist berechtigt. Das Schallschutzkonzept muss indessen nach dem Gesagten neu überarbeitet werden und wird neu aufzulegen sein. Da das neue Konzept nicht nur auf die Grenzwerte der Eidgenössischen Kommission abzustützen ist, sondern auch auf das neue Betriebsreglement abzustimmen sein wird, ist die Festsetzung der Schallschutzmassnahmen in ein nachlaufendes gesondertes Bewilligungsverfahren zu verweisen (vgl.
BGE 124 II 293
E. 19c S. 335). Dispositiv Ziffer 2.2.3 der Baukonzession
BGE 126 II 522 S. 591
Dock Midfield ist entsprechend abzuändern. Dass damit die endgültige Begrenzung des Schallschutz-Perimeters etliche Zeit hinausgeschoben wird, soll allerdings den Kanton Zürich nicht daran hindern, mit der Realisierung der Schallschutzmassnahmen dort sofort zu beginnen, wo diese unbestritten sind.
48.
Auf die materiellrechtlichen Einwendungen gegen das Schallschutzkonzept braucht insofern nicht näher eingegangen zu werden, als geltend gemacht wird, es sei - was vom Kanton Zürich eingestanden wird - ein Berechnungsfehler (sog. Holbergfehler) unterlaufen, das Schallschutzkonzept sei anhand nicht nachgeführter Bebauungspläne erstellt worden, bei der Abgrenzung seien Quartiere willkürlich zerschnitten worden und die der Empfindlichkeitsstufe II zugewiesenen Gebiete seien zu Unrecht wie die der Empfindlichkeitsstufe III zugewiesenen Zonen behandelt worden. Zum Problem der Empfindlichkeitsstufen ist lediglich beizufügen, dass das nachlaufende Bewilligungsverfahren auch die Möglichkeit bieten muss, allfällige Aufstufungen im Sinne von
Art. 43 Abs. 2 LSV
in Betracht zu ziehen.
Zu behandeln sind dagegen die Fragen, ob das Schallschutzkonzept aufgrund von Berechnungen oder Messungen zu erstellen sei, auf welchen Wert bei der Grenzziehung abzustellen sei, welche Art von Schallschutzmassnahmen vorzusehen sei und ob auch für Gebäude, die nach 1978 innerhalb der Fluglärmzonen B und C erstellt worden sind, die Kosten für Schallschutzfenster rückzuerstatten seien. Einzugehen ist schliesslich auf das Begehren um Mitberücksichtigung des vom Militärflugplatz Dübendorf ausgehenden Lärms.
a) Vereinzelt wird verlangt, dass die dem Schallschutzkonzept zugrunde zu legende Lärmsituation durch Messungen ermittelt werde, da Berechnungen zu ungenau seien und der besonderen - vor allem topographischen - Lage einzelner Gebäude keine Rechnung trügen.
Hierzu ist vorweg auf die neue, am 12. April 2000 erlassene Bestimmung von
Art. 38 Abs. 2 LSV
zu verweisen, wonach Fluglärmimmissionen grundsätzlich durch Berechnungen zu ermitteln sind. Da nach
Art. 36 Abs. 2 LSV
bei der Lärmermittlung auch die zukünftigen Änderungen der Lärmimmissionen berücksichtigt werden müssen, könnten Messungen allein auch nicht zum Ziele führen. Weiter ist zur immer wieder aufgeworfenen Frage "messen oder berechnen?" festzustellen, dass Messungen zwar die Lärmbelastung am einzelnen Ort unter Berücksichtigung der lokalen Einflüsse und
BGE 126 II 522 S. 592
damit genauer wiedergeben können, wobei allerdings Lärmkarten für jede Stockwerkhöhe erstellt werden müssten. Ein solches Vorgehen ist aber bei grossflächigen Lärmbelastungen, wie sie bei Flughäfen auftreten, aus zeitlichen und finanziellen Gründen undenkbar. Diese Belastungen müssen daher durch Berechnungen erfasst werden, wobei die anhand eines Computermodells errechneten Resultate für die Flughafenregion Zürich mit den Werten verglichen werden können, die durch mobile Messfahrzeuge und die örtlich festen Monitoring-Stationen gemessen werden. Die Lärmermittlung für das hier fragliche Schallschutzkonzept ist - wie dem Synthesebericht zum Konzept zu entnehmen ist (S. 12) - anhand des an der EMPA entwickelten Fluglärmsimulationsprogramm FLULA 2 vorgenommen worden, das auf einer Grosszahl von Fluglärmmessungen in Zürich-Kloten beruht. Die Simulationsrechnung berücksichtigt die Topographie, die Bodendämpfung, die Luftdämpfung, die Flugverkehrszahlen, die operationellen Verfahren (Flugprofile und -wege), das Abstrahlverhalten sowie die Schallleistung der Quellen. Unerfasst bleiben einzig abschirmende Wirkungen von Hindernissen und Reflexionen in bebauten Gebieten und beispielsweise bei Felswänden (zum Fluglärmmodell FLULA vgl. ROBERT HOFMANN, a.a.O. S. 14-11 ff.). Nicht vergessen werden darf jedoch, dass sowohl bei Messungen wie bei Berechnungen gewisse Fehlerquoten und Unsicherheiten in Kauf genommen werden müssen, die sich auch bei sorgfältigstem Vorgehen nicht vermeiden lassen (derselbe, a.a.O., S. 5-24, 11-10; s.a.
BGE 125 II 643
E. 18b/ee S. 680).
b) Gemäss dem Synthesebericht zum Schallschutzkonzept ist zur Abgrenzung des Schallschutz-Perimeters eine Linie gezogen worden, die einer Lärmbelastung von 0.5 dB(A) über dem massgeblichen Immissionsgrenzwert entspricht. Dazu wird ausgeführt, die 0.5 dB(A) über dem Grenzwert liegenden Werte rührten daher, dass Belastungen bis 0.4 dB(A) über dem Grenzwert rechnerisch abgerundet würden und damit den massgeblichen Grenzwert noch einhielten. Die beschwerdeführenden Anwohner wenden gegen diese Grenzziehung ein, die Schallschutzpflicht entstehe mit der Überschreitung des Belastungsgrenzwertes selbst und nicht erst ab einer Überschreitung um 0.5 dB(A); aus der Abrundung ergebe sich de facto eine Grenzwertverschiebung zu Ungunsten der Lärmbetroffenen.
Bauliche Schallschutzmassnahmen sind dort zu ergreifen, wo die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können bzw. wo der Anforderung, dass die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden dürfen, nicht entsprochen werden kann (vgl.
Art. 10
BGE 126 II 522 S. 593
Abs. 1 LSV
). Die Frage, wann und wo diese Anforderung erfüllt sei, ist grundsätzlich rechtlicher Natur und daher von der rechtsanwendenden Behörde oder vom Richter zu beantworten. Diese stützen sich dabei auf die Lärmbelastungskarte bzw. auf die dem massgeblichen Immissionsgrenzwert entsprechende Kurve, die vom Techniker in Anwendung der naturwissenschaftlichen Regeln und unter Berücksichtigung der Unsicherheitsfaktoren berechnet, gerundet und in die Karte eingezeichnet worden ist. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Technikers, darüber zu befinden, wo oder bei welchem Wert die Schallschutzpflicht ausgelöst werde.
Im Übrigen soll die Abgrenzung des Schallschutz-Perimeters im Bereich des massgeblichen Grenzwertes - wie im Synthesebericht zu Recht festgehalten wird - in erster Linie nach Kriterien vorgenommen werden, die sich nach den örtlichen Gegebenheiten (Gewässer, Geländekanten, Gebäudegruppen, Bauzonengrenzen usw.) richten. Auch aus örtlichen Gründen vorgenommene Verschiebungen der Perimetergrenze - zum Beispiel zur Gleichbehandlung eines Quartiers - sollen jedoch nicht zu Lasten der Anwohner gehen.
c) Nach
Art. 20 Abs. 1 und
Art. 25 Abs. 3 USG
ist der Schutz der vom Lärm betroffenen Gebäude "durch Schallschutzfenster oder ähnliche bauliche Massnahmen" zu gewährleisten. Als passive Schallschutzmassnahmen fallen daher auch - soweit sich dies im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips rechtfertigen lässt - Schallisolierungen von Dächern und Mauern in Betracht (vgl.
Art. 10 Abs. 2 LSV
;
BGE 122 II 33
E. 7a S. 42 ff.).
Gemäss Baukonzession Dock Midfield ist der Flughafenhalter verpflichtet, im Zusammenhang mit dem Schallschutzkonzept die technische Machbarkeit und die finanziellen Auswirkungen des Einbaus von selbstschliessenden bzw. zwangsbelüfteten Fenstern zu prüfen und dem UVEK innert sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Baukonzession Bericht zu erstatten (Dispositiv Ziffer 2.2.4). Die Frage der Lüftung der mit Schallschutzfenstern ausgestatteten Räume, die von einzelnen Beschwerdeführern aufgeworfen wird, wird demnach noch zu behandeln sein. Da jedoch die Neubearbeitung des Schallschutzkonzepts in ein nachlaufendes Bewilligungsverfahren verwiesen wird, ist die für die Vorlage des fraglichen Berichtes angesetzte Frist aufzuheben. Es wird Sache des UVEK sein, den Flughafenhalter zu gegebener Zeit zur Einreichung des Berichtes aufzufordern.
d) Nach dem Schallschutz- und Rückerstattungskonzept sind an allen Liegenschaften mit lärmempfindlichen Räumen im Schallschutz-Perimeter
BGE 126 II 522 S. 594
auf Kosten des Flughafenhalters Schallschutzmassnahmen zu treffen. Soweit solche Massnahmen von den Grundeigentümern freiwillig schon früher ergriffen worden sind, erklärt sich der Flughafenhalter zur Rückerstattung der Kosten bereit. Keine Rückerstattung der Kosten wird dagegen für Bauten gewährt, die bereits aufgrund der luftfahrtrechtlichen Lärmzonenregelung mit Schallschutzfenstern zu versehen waren; das betrifft die ab 1. Februar 1978 (dem Zeitpunkt der ersten Auflage der Lärmzonenpläne) in der Lärmzone B neu erstellten oder umgebauten Geschäfts- und Bürohäuser sowie die in der Lärmzone C neu erstellten oder umgebauten Wohn- und Schulhäuser (vgl. Art. 42 Abs. 1 und Art. 45 f. aVIL). Nach Auffassung verschiedener Beschwerdeführer verstossen diese Ausnahmen gegen die Rechtsgleichheit sowie gegen die Bestimmung von
Art. 25 Abs. 3 USG
, nach welcher eine Schallschutz- und Rückerstattungspflicht für sämtliche im Schallschutz-Perimeter liegenden Gebäude bestehe.
Art. 25 Abs. 3 USG
statuiert indessen nur die Pflicht, die durch übermässigen Lärm von Verkehrs- oder anderen Anlagen betroffenen Gebäude auf Kosten des Anlageninhabers durch Schallschutzfenster oder ähnliche bauliche Massnahmen zu schützen. Die Bestimmung spricht sich dagegen über die Rückerstattung von Kosten für - freiwillig oder gezwungenermassen - bereits ergriffene Schutzmassnahmen nicht aus. Die Kostenrückerstattung, zu der sich der Flughafenhalter bereit erklärt hat, könnte mithin nur dann beanstandet werden, wenn sie gegen das Gleichbehandlungsgebot oder das Willkürverbot verstiesse. Nun trifft wie erwähnt zu, dass die Verpflichtung zum Einbau von Schallschutzfenstern für neue oder umzubauende Gebäude in den Lärmzonen B und C bereits mit dem Erlass bzw. der Auflage der Lärmzonenpläne begründet wurde und nicht erst - wie für die übrigen Bauten - im Zusammenhang mit dem heutigen Flughafen-Erweiterungsprojekt entstanden ist. Diese unterschiedliche Rechtslage lässt auch eine differenzierte Regelung bei der Kostenrückerstattung zu.
e) Die Gemeinde Dietlikon stellt den Antrag, dass die Lärmbelastung, die sich aus den Immissionen des Flughafens Zürich und aus jenen des Militärflugplatzes Dübendorf ergebe, koordiniert und ohne Bonus für den Militärfluglärm im Lärmbelastungskataster darzustellen und das Schallschutzkonzept auf diese gesamthaft zu betrachtenden Einwirkungen auszurichten sei.
Wie bereits ausführlich dargelegt (E. 37e), wäre nach den Zielen von
Art. 8 USG
Schutz vor Beeinträchtigungen aller Art zu
BGE 126 II 522 S. 595
gewähren, doch kann dieser mangels genügender Erkenntnisse vorerst nur beschränkt verwirklicht werden. Immerhin ist vom Verordnungsgeber auf dem Bereich des Lärmrechts vorgeschrieben worden, dass bei der Ermittlung der Lärmbelastung die von mehreren Anlagen erzeugten Immissionen, soweit sie gleichartig sind, zusammenzuzählen sind (
Art. 40 Abs. 2 LSV
, s.a.
Art. 16 Abs. 3 LSV
). Da es sich bei den von Zivilflughäfen und den von Militärflugplätzen ausgehenden Lärmimmissionen offensichtlich um gleichartige Einwirkungen handelt, unterstehen diese
Art. 40 Abs. 2 LSV
und sind für die Beurteilung der Lärmsituation zu summieren. Dem Begehren der Beschwerdeführerin ist daher stattzugeben. Demnach ist in Dispositiv Ziffer 2.2.3 der Baukonzession Dock Midfield ergänzend anzuordnen, dass bei der Neuerstellung des Schallschutzkonzepts die aus dem Betrieb des Militärflugplatzes Dübendorf hervorgehenden Lärmimmissionen mitberücksichtigt werden müssen. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesgerichts, sondern der beteiligten Bundesämter, die zur Ermittlung und Bewertung des Gesamtfluglärms geeigneten Formeln festzulegen. LÄRMBELASTUNGSKATASTER
49.
Nach den ursprünglichen Bestimmungen der Lärmschutz-Verordnung, die auch im Zeitpunkt der Erteilung der hier angefochtenen Baukonzessionen noch gegolten haben, weist der Lärmbelastungskataster, in welchem die übermässigen Immissionen bei Strassen, Eisenbahnen und Flugplätzen aufzuzeigen sind, klarerweise den Charakter eines Inventars auf, das den Behörden vorab als Grundlage zur Anordnung von Sanierungsmassnahmen sowie zur Vorbereitung lärmbedingter raumplanerischer Vorkehren dient (
Art. 36 und 37 LSV
in der Fassung vom 15. Dezember 1986, vgl. Anleitung zur Erstellung von Lärmbelastungskatastern und zur Planung von Massnahmen, Schriftenreihe Umweltschutz Nr. 77, hrsg. BUWAL, Dezember 1988, S. 2). Für die Grundeigentümer entfaltet er keine Rechtswirksamkeit. Dementsprechend ist im Entwurf zum Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) vom 30. September 1998 auf die Unterschiede zwischen den Instituten des Lärmbelastungskatasters und der Lärmzone im Sinne von
Art. 42 LFG
hingewiesen worden, der unter anderem darin bestehe, dass Lärmzonen öffentlich aufgelegt würden und gegen deren Inkrafttreten Einsprache geführt werden könne. Im Gegensatz dazu sei der Lärmbelastungskataster verwaltungsanweisend; er werde nicht öffentlich
BGE 126 II 522 S. 596
aufgelegt, könne jedoch von jedermann eingesehen werden (Erläuternder Bericht zum SIL, Teil III A, S. 23).
Ungeachtet dieser Rechtslage hat das UVEK im Baukonzessionsentscheid Dock Midfield den Fluglärmkataster, der vom Kanton Zürich als Arbeitsgrundlage für das Schallschutzkonzept erstellt worden ist, für grundeigentümerverbindlich erklärt. Wie bereits geschildert (E. 35c), soll dieser Kataster gemäss Departementsverfügung direkte raumplanerische Folgen - offenbar auch im Sinne von
Art. 22 und 24 USG
- zeitigen und würden die dadurch bewirkten Nutzungsbeschränkungen, soweit sie nicht mit der Baukonzession angefochten werden, ohne weiteres mit dieser rechtskräftig. Eigentumsbeschränkungen halten jedoch vor der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie nur stand, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sind und, sofern sie sich enteignend auswirken, gegen volle Entschädigung erfolgen (
Art. 36 und
Art. 26 Abs. 2 BV
,
Art. 22ter aBV
; vgl. etwa
BGE 121 I 117
E. 3b;
BGE 120 Ia 270
E. 3;
BGE 119 Ia 362
E. 3a, 411 E. 2b, je mit Hinweisen). Nun fehlt es hier wie gesagt schon an einer gesetzlichen Grundlage für direkt aus dem Lärmbelastungskataster fliessende Beschränkungen. Eine Überprüfung der Verhältnismässigkeit hat weder aus einer Gesamtschau heraus noch in den Einzelfällen stattgefunden. Weiter sind den Grundeigentümern die Eigentumsbeschränkungen offensichtlich nicht rechtsgültig eröffnet worden, nämlich weder durch persönliche Mitteilung noch durch eine mit einer Planauflage verbundene Publikation ( - die dem Lärmbelastungskataster zugeschriebene rechtliche Tragweite ergibt sich nicht einmal aus dem Dispositiv der Baukonzession Dock Midfield selbst). Und schliesslich ist den betroffenen Grundeigentümern auch nicht bekanntgegeben worden, wie und wo sie ihre allfälligen Entschädigungsbegehren geltend machen könnten und ob dabei in analoger Anwendung des immer noch geltenden
Art. 44 LFG
oder anders vorzugehen sei. Die Verfügung des UVEK erweist sich insoweit als unhaltbar, als sie dem erstellten Lärmbelastungskataster eine eigentümerverbindliche Bedeutung zumisst. Die in diesem Sinne vorgenommene Genehmigung des Katasters, welcher ohnehin neu erarbeitet werden muss, ist mithin aufzuheben (Dispositiv Ziffer 1.7 der Baukonzession Dock Midfield).
An diesem Ergebnis vermag auch nichts zu ändern, dass der am 12. April 2000 revidierte
Art. 37 Abs. 3 LSV
die im Lärmbelastungskataster festgehaltenen Lärmimmissionen nun ausdrücklich als massgebend für die Ausscheidung und Erschliessung von Bauzonen,
BGE 126 II 522 S. 597
für die Erteilung von Baubewilligungen und für Schallschutzmassnahmen an bestehenden Gebäuden bezeichnet: Einerseits könnte einer eigentumsbeschränkenden Verfügung die gesetzliche Grundlage nur unter der Voraussetzung nachgeschoben werden, dass die Anfechtungsmöglichkeit wiederhergestellt wird. Andererseits sind die Fragen der rechtlichen Bedeutung und der Anfechtbarkeit des Katasters - wie das Bundesgericht in seiner Stellungnahme zum Vernehmlassungsentwurf zu bedenken gegeben hat - auch gemäss neuem Wortlaut der Verordnung nicht geklärt. Weder das Verordnungs- noch das Gesetzesrecht sehen ein Auflage- und ein Rechtsschutzverfahren hinsichtlich des Lärmbelastungskatasters vor. Dieser ist daher auch nach der Änderung von
Art. 37 LSV
ein bestenfalls für die Behörden massgebliches Inventar, das keine grundeigentümerverbindlichen Wirkungen entfalten kann. Der Wechsel vom System der luftfahrtrechtlichen Lärmzonen zum umweltschutzrechtlichen Institut des Lärmbelastungskatasters wird ohnehin erst dann vollzogen sein, wenn auch das massgebliche Gesetzesrecht, insbesondere die Bestimmungen von
Art. 42 ff. LFG
, die nötige Anpassung erfahren hat und die den Rechtsschutz und die Entschädigung betreffenden Verfahrensprobleme gelöst sind. WEITERE RAUMPLANUNGS- UND ENTSCHÄDIGUNGSFRAGEN
50.
Der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich sowie verschiedene Gemeinden und Private verlangen, dass anstelle des eingeleiteten Verfahrens zur Festsetzung der Schallschutzmassnahmen ein Enteignungsverfahren wegen Entzugs der Abwehrrechte gegen übermässige Immissionen im Sinne von
Art. 5 EntG
eröffnet werde, in welchem auch über den Anspruch auf Schallschutzmassnahmen als enteignungsrechtliche Realleistung zu entscheiden sei. Diesem Begehren kann jedoch aufgrund des einschlägigen Verfahrensrechts nicht stattgegeben werden.
Wie schon erwähnt (E. 17a), handelt es sich beim vorliegenden Baukonzessionsverfahren - im Gegensatz zum neuen luftfahrtrechtlichen Plangenehmigungsverfahren (
Art. 37 ff. LFG
) - nicht um ein sog. kombiniertes Verfahren, in dem neben den bau-, planungs- und luftfahrtrechtlichen Fragen gleichzeitig auch die enteignungsrechtlichen Ansprüche behandelt werden müssten. Da jedoch die im Baukonzessionsverfahren zu prüfende Erweiterung des Flughafens eine vorzeitige Lärmsanierung bedingt (s. oben E. 39a), sind gestützt auf die Bestimmungen des Umweltschutzgesetzes im
BGE 126 II 522 S. 598
Gegenzug zu den gewährten Erleichterungen bauliche Schallschutzmassnahmen anzuordnen. Im Rahmen des vorliegenden Baukonzessionsverfahrens bzw. des nachlaufenden Bewilligungsverfahrens (E. 47) ist somit allein über die umweltschutzrechtliche Verpflichtung zur Ergreifung von Schallschutzmassnahmen und die Übernahme der entsprechenden Kosten zu befinden. Das schliesst nicht aus, dass in einem getrennt vom vorliegenden Verfahren geführten Enteignungsverfahren Entschädigungsansprüche bejaht werden könnten, die unter Umständen auch in Form von ergänzenden baulichen Massnahmen als Realleistungen im Sinne von
Art. 18 EntG
abzugelten sind (vgl.
BGE 119 Ib 348
E. 6b S. 363;
BGE 122 II 337
E. 4b und 8). Ob in einem solchen Enteignungsverfahren ebenfalls Entschädigungen für raumplanerische Folgekosten der Gemeinden zugesprochen werden könnten, ist hier nicht zu untersuchen. Entgegen der Meinung einzelner Beschwerdeführer ist ebenso wenig zu prüfen, ob die speziellen Voraussetzungen für eine enteignungsrechtliche Entschädigungspflicht wegen übermässiger Immissionen - insbesondere die Unvorhersehbarkeit der Einwirkungen (vgl. etwa
BGE 123 II 481
E. 7b S. 491 f.) - gegeben seien. Auf entsprechende Feststellungsbegehren ist nicht einzutreten. Schliesslich sprengt auch die Frage, ob den Gemeinden und Privaten auf deutschem Territorium Entschädigung geschuldet sei, den Rahmen des vorliegenden Verfahrens.
Aus den angeführten verfahrensrechtlichen Gründen kann dem Antrag, die Baukonzession Dock Midfield sei nur unter der Auflage zu erteilen, dass der Kanton Zürich vorgängig des Baubeginns alle von übermässigen Einwirkungen betroffenen Grundeigentümer auf dem Enteignungswege voll entschädigt habe, gleichfalls kein Erfolg beschieden sein (vgl. in diesem Zusammenhang
BGE 111 Ib 15
E. 8 S. 24). Das Begehren der Gemeinde Oetwil an der Limmat sowie von Elisabeth Zbinden und den Mitbeteiligten ist abzuweisen.
51.
Die Gemeinde Eglisau weist wie andere Beschwerdeführer auf die raumplanerische Konfliktsituation hin, die durch das von Seiten des Flughafens angestrebte massive Verkehrswachstum entstehe. Die mit dem Ausbau verbundenen - immissionsbedingten - raumplanerischen Folgen beeinträchtigten die gewachsenen Raumordnungsstrukturen und stellten die künftige Siedlungsentwicklung in Frage. Diese Auswirkungen seien völlig unakzeptabel und stünden im Widerspruch zum geltenden Richtplan des Kantons Zürich. Über die fehlende Abstimmung der raumwirksamen Tätigkeiten des Bundes, des Kantons Zürich und der Gemeinden beklagen
BGE 126 II 522 S. 599
sich auch der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich und weitere Beschwerdeführer. Die Zusammenarbeit der drei Planungsträger sowohl bei der Richt- als auch bei der Sachplanung werde vom Bundesgesetz über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700) teils ausdrücklich, teils sinngemäss vorausgesetzt (Art. 1, 2 und
Art. 13 Abs. 2 RPG
; s.a. Art. 15 der Verordnung über die Raumplanung in der Fassung vom 2. Oktober 1989, SR 700.1). Entgegen diesen Vorschriften seien die raumplanerischen Anliegen der Gemeinden weder im Rahmen der Sachplanung noch im Zusammenhang mit der Flughafenerweiterung wirklich ernst genommen worden.
Das UVEK räumt in der Baukonzession Dock Midfield ein, dass das umstrittene Ausbauvorhaben in Konflikt zu den kantonalen Richtplänen und zu den kommunalen Nutzungsplänen trete. Die Konflikte seien darauf zurückzuführen, dass bisher im Luftfahrtbereich keine übergeordnete Planung bestanden habe, an welcher sich Kantone und Gemeinden einerseits und der Flughafenhalter andererseits hätten orientieren können. Diese Lücke werde durch die Inkraftsetzung des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) im Jahre 2000 geschlossen. Der Ausbau des Flughafens Zürich stehe - wie sich aus den Vorarbeiten und der bundesrätlichen Stellungnahme zum SIL ergebe - mit den Zielen und Vorgaben des Sachplans im Einklang. Da im Rahmen der Gesamtabwägung aller auf dem Spiel stehenden Interessen festgestellt worden sei, dass das Interesse am Flughafenausbau überwiege, müssten die raumplanerischen Auswirkungen von den betroffenen Gemeinden und Kantonen hingenommen werden. Dass dies zu erheblichen Einschränkungen in der Freiheit der Gemeinden bei der Ausgestaltung der Nutzungspläne führe, sei unter diesen Umständen in Kauf zu nehmen (Baukonzession Dock Midfield S. 87 f.).
Dem Departement ist darin beizupflichten, dass der Ausbau des Flughafens Zürich mit weiträumigen Lärmeinwirkungen auf die dicht besiedelte Umgebung unvermeidlich zu kaum lösbaren Nutzungskonflikten führen muss. Diese Konflikte wären indes auch ohne Erweiterung der Infrastruktur entstanden, da das prognostizierte Verkehrswachstum zu einem wesentlichen Teil auch ohne den Ausbau hätte erfolgen können. Insofern hat sich nicht nur das Fehlen einer Sachplanung nachteilig ausgewirkt, sondern erweisen sich auch die Lärmzonen, die bis anhin das raumplanerische Steuerungsinstrument bildeten, nachträglich als ungenügend. Da der Flughafenausbau eine vorzeitige Sanierung bedingt und der Lärmbelastungskataster
BGE 126 II 522 S. 600
nach den angestellten Erwägungen neu zu erarbeiten ist, wird sich in diesem Rahmen - im Zusammenhang mit der Festlegung des neuen An- und Abflugkonzepts - erneut Gelegenheit bieten, die raumplanerischen Anliegen in die Interessenabwägung einfliessen zu lassen (vgl.
BGE 124 II 293
E. 31a S. 353). Auch bei der Anpassung der kantonalen Richtplanung wird es Sache der beteiligten Bundesämter und der Kantone sein, gemeinsam mit den Gemeinden nach Lösungen zu suchen, welche die raumplanerischen Auswirkungen des künftigen Luftverkehrs für diese im Rahmen des Zumutbaren hält (vgl. Art. 1 ff., 9 ff. und 18 Abs. 2 der Raumplanungsverordnung in der Fassung vom 28. Juni 2000). Der unlängst genehmigte Sachplan für Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) hält nun die verschiedenen Planungsträger ebenfalls zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit bei der für Luftverkehrsanlagen erforderlichen räumlichen Abstimmung an (SIL, Teil III B S. 49 f.).
Soweit im Übrigen am Entwurf zum SIL oder am SIL selbst, am durchgeführten Vernehmlassungsverfahren und allgemein an der Luftfahrtpolitik des Bundes Kritik geübt wird, ist auf diese Vorbringen schon deshalb nicht einzugehen, weil sie nicht den Streitgegenstand betreffen (vgl.
BGE 124 II 293
E. 34 S. 357). | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b5fe0946-d68e-4b20-a707-5ef203e35092 | Urteilskopf
122 III 53
11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Januar 1996 i.S. Firma X. gegen Firma Y. AG (Berufung) | Regeste
Schadenszins in der Vertragshaftung, Höhe und Berechnungszeitpunkt; kaufmännischer Verkehr (
Art. 73, 104 Abs. 1 und 3, 106 OR
).
Abgrenzung von Schadens- und Verzugszins (E. 4a).
Höhe des Schadenszinses in der Vertragshaftung (
Art. 104 und 106 OR
). Die Bestimmung von
Art. 104 Abs. 3 OR
bezieht sich auf den objektiv kaufmännischen Verkehr (E. 4b).
Die Schadensberechnung ist im Regelfall auf den vertraglichen Erfüllungszeitpunkt vorzunehmen (E. 4c). | Erwägungen
ab Seite 53
BGE 122 III 53 S. 53
Aus den Erwägungen:
4.
Die Klägerin rügt in ihrer Anschlussberufung eine Verletzung von
Art. 73 und
Art. 104 Abs. 3 OR
. Sie macht geltend, einerseits sei der
BGE 122 III 53 S. 54
Schadenszins unter Kaufleuten nicht mit 5%, sondern nach dem üblichen Bankdiskonto zu bemessen, und anderseits laufe er nicht linear bis zur Tilgung, sondern sei auf den Urteilszeitpunkt zur Hauptforderung aufzuaddieren und mit ihr dem Verzugszins zu unterstellen.
a) Zum Schaden gehört nach konstanter Rechtsprechung der Zins vom Zeitpunkt an, in welchem das schädigende Ereignis sich finanziell ausgewirkt hat. Er läuft bis zur Zahlung des Schadenersatzes und wird als Schadenszins bezeichnet (
BGE 33 II 124
E. 7 S. 133,
BGE 118 II 363
; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band I, 5. Aufl. 1995, S. 256 f. Rz. 23 ff.; BREHM, Berner Kommentar, N. 97 ff. zu
Art. 41 OR
, je mit Hinweisen). Dieser Schadenszins bezweckt, den Anspruchsberechtigten so zu stellen, wie wenn er für seine Forderung am Tage der unerlaubten Handlung bzw. für deren wirtschaftliche Auswirkungen befriedigt worden wäre (
BGE 81 II 512
E. 6). Vom Verzugszins unterscheidet er sich vor allem dadurch, dass er den Verzug, namentlich eine Mahnung des Gläubigers nach
Art. 102 Abs. 1 OR
, nicht voraussetzt. Funktional erfüllt er jedoch denselben Zweck wie der Verzugszins und kann daher nicht kumulativ beansprucht werden (OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 257 Fn. 35; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N. 37 zu
Art. 73 OR
). Geschuldet ist er sowohl bei deliktischer wie bei vertraglicher Haftpflicht (
BGE 103 II 330
E. 5 S. 338; MERZ, in: Schweizerisches Privatrecht, Band VI/1, S. 177; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 5. Aufl. 1991, S. 128 f. Rz. 2791).
b) Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung den Satz des Schadenszinses in der Regel ohne nähere Begründung in Anlehnung an
Art. 73 Abs. 1 OR
auf 5% festgelegt (vgl.
BGE 103 II 330
E. 5 S. 338,
BGE 97 II 123
E. 9 S. 134,
BGE 82 II 25
E. 6 am Ende,
BGE 81 II 512
/519). Ein wesentlicher Teil der Lehre steht auf demselben Standpunkt (BREHM, a.a.O., N. 101 zu
Art. 41 OR
; OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 257 Rz. 25; MERZ, a.a.O., S. 214; ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Band II, S. 39; KELLER/GABI, Das Schweizerische Schuldrecht, Band II, 2. Aufl. 1988, S. 73; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 4. Aufl. 1989, S. 249 Rz. 728). Eine Ausnahme stellt dagegen
BGE 81 II 213
dar (E. 5 S. 221; vgl. auch
BGE 82 II 460
E. 1). In diesem Entscheid stellte das Bundesgericht auf die Verhältnisse am Kapitalmarkt ab und legte den Schadenszins entsprechend mit 3%, den später einsetzenden Verzugszins dagegen mit 5% fest. Ein Teil der Lehre folgt dieser Auffassung (GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., S. 129 Rz. 2791; WEBER, Berner Kommentar, N. 132 zu
BGE 122 III 53 S. 55
Art. 73 OR
; wohl auch LEU, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I [
Art. 1-529 OR
], N. 5 zu
Art. 73 OR
; unbestimmt SCHRANER, a.a.O., N. 36 zu
Art. 73 OR
; BRUNO VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 47 Fn. 60).
Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage erübrigt sich im vorliegenden Fall. Denn es drängt sich auf, in der Vertragshaftung den Schadenszins satzmässig jedenfalls dort dem Verzugszins gleichzusetzen, wo ein Ersatzanspruch aus der Verletzung einer Hauptpflicht zu verzinsen ist. Verzug und Schlechterfüllung sind im Vertragsrecht beides Tatbestände von Leistungsstörungen, die auf dogmatisch einheitlicher Basis gründen und daher nach harmonisierten Rechtsfolgen rufen (vgl.
BGE 117 II 71
; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, S. 86 und S. 135; WIEGAND, Die Leistungsstörungen, recht 1983, S. 1 ff. und S. 118 ff., sowie recht 1984 S. 13 ff., S. 21 f.; WIEGAND, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I [
Art. 1-529 OR
], N. 1 in Einleitung zu Artikel 97-109 OR; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 339). Verzugs- wie Schadenszins sollen denn auch den mit der Kapitalentbehrung verbundenen Nutzungsausfall ausgleichen (SCHRANER, a.a.O., N. 37 zu
Art. 73 OR
; OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 257 Fn. 35). Der erstere bezieht sich dabei auf eine ausgebliebene Geldleistung als Primärleistung, der zweite auf eine Ersatzleistung, die an die Stelle der Hauptleistung getreten ist und diese gleichsam fortsetzt (VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 104). Unterschiedliche Zinssätze rechtfertigen sich daher bereits aus der Gleichartigkeit der Parteistellungen nicht.
Der gesetzliche Verzugszins beträgt 5% (
Art. 104 Abs. 1 OR
), es sei denn, der Gläubiger weise einen höheren Verzugsschaden aus (
Art. 106 Abs. 1 OR
;
BGE 109 II 436
E. 2a, 117 II 256 E. 2b). Unter Kaufleuten gilt der Satz des üblichen Bankdiskontos (
Art. 104 Abs. 3 OR
). Die Klägerin beansprucht nicht Ersatz eines weitergehenden Schadens im Sinne von
Art. 106 OR
. Dagegen beruft sie sich auf die Kaufmannseigenschaft der Parteien. Der Anwendungsbereich von
Art. 104 Abs. 3 OR
beschränkt sich indessen nach zutreffender Auffassung auf den objektiv kaufmännischen Verkehr; es ist nicht allein auf die subjektive Kaufmannseigenschaft abzustellen (in diesem Sinne namentlich ROLF H. WEBER, Gedanken zur Verzugsschadensregelung bei Geldschulden, in: Festschrift Keller, Zürich 1989, S. 323 ff., S. 330; ANDREAS KNOEPFEL, Die Sonderordnung des kaufmännischen Verkehrs im Kaufrecht (Handelskauf), Diss. Zürich 1987, S. 8; vgl. zur Kontroverse im
BGE 122 III 53 S. 56
Meinungsstand etwa BGE vom 2. Juli 1985 in Rep. 119/1986, S. 23; Kantonsgericht Wallis in RVJ 1979, S. 336/7 E. 2; GIGER, Berner Kommentar, N. 15 zu
Art. 190 OR
; SCHÖNLE, Zürcher Kommentar, N. 19 ff. zu
Art. 190 OR
; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., S. 159 Rz. 2972; TERCIER, BR 1987 S. 66 zu Rep. 119/1986, S. 23; FRANZ SCHENKER, Die Voraussetzungen und die Folgen des Schuldnerverzugs im schweizerischen Obligationenrecht, Diss. Freiburg 1987, S. 136 ff.). Es rechtfertigt sich aus dem Regelungsgedanken von
Art. 104 Abs. 3 OR
nicht, jedwelche Forderung unter Kaufleuten unbesehen ihres Entstehungsgrundes dem höheren Verzugszinssatz zu unterstellen. Als Beispiele dafür seien angeführt die Schadenersatzforderung des im Verkehr verunfallten Kaufmanns gegenüber dem Versicherer des Unfallbeteiligten oder familienrechtliche Ansprüche geschiedener Ehegatten, die beide im Handelsregister eingetragen sind. Für die Annahme einer Forderung unter Kaufleuten ist vielmehr erforderlich, dass das vom Verzug betroffene Geschäft auch objektiv unter den Begriff des kaufmännischen Verkehrs, insbesondere des Handelsverkehrs fällt; mit andern Worten muss das fragliche Geschäft in unmittelbarem Zusammenhang mit der umsatzbezogenen Tätigkeit beider Parteien stehen (vgl.
BGE 65 II 171
; GIGER, a.a.O., N. 15 zu
Art. 190 OR
; CAVIN, in: Schweizerisches Privatrecht, Band VII/1, S. 4; weitergehend SCHÖNLE, a.a.O., N. 20 zu
Art. 190 OR
). Daran gebricht es im vorliegenden Fall, da die schlechterfüllte Leistung Anlagevermögen der Klägerin betraf, und zum mindesten nicht festgestellt ist, deren Geschäftszweck umfasse ebenfalls die Bautätigkeit. Der vorinstanzlich festgesetzte Zinssatz von 5% ist daher bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
c) Während das Bundesgericht in seiner früheren Rechtsprechung den Schadenszins im Deliktsrecht an Stelle eines Verzugszinses linear zusprach (vgl. etwa
BGE 33 II 124
/133,
BGE 81 II 213
E. 5 S. 221) oder jedenfalls mit dem - späteren - Verzugszins nicht mitverzinste (
BGE 81 II 512
E. 6), addiert es nunmehr den Schadenszins bis zum Urteilstermin des oberen kantonalen Gerichts auf und unterstellt ihn ebenfalls dem Verzugszins für den Schadenersatz, welcher am Urteilstag zu laufen beginnt (
BGE 97 II 123
E. 9 S. 134; so schon
BGE 81 II 38
E. 5 S. 49; zustimmend, BREHM, a.a.O., N 99 zu
Art. 41 OR
). Beim Genugtuungszins dagegen findet eine solche Aufrechnung nicht statt (
BGE 118 II 404
E. 3b).
Die Aufrechnung des Schadenszinses ergibt sich im Deliktsrecht aus dem Grundsatz, dass der aufgelaufene Schaden konkret auf den Zeitpunkt zu
BGE 122 III 53 S. 57
berechnen ist, in welchem das obere kantonale Sachgericht urteilt (
BGE 99 II 214
E. 3b; vgl. auch
BGE 113 II 345
und
BGE 116 II 295
E. 3a). Ob diese Aufrechnung sachlich gerechtfertigt ist, kann hier offenbleiben. Jedenfalls ist der genannte Berechnungszeitpunkt für den Schaden aus vertraglichen Leistungsstörungen nicht zwingend. Er steht dem Gläubiger denn auch höchstens alternativ zur Verfügung, während im Regelfall auf den Erfüllungszeitpunkt abzustellen ist (
BGE 109 II 474
; HANS-ULRICH BRUNNER, Die Anwendung deliktsrechtlicher Regeln auf die Vertragshaftung, Diss. Freiburg 1991, S. 68 ff.; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., S. 96 Rz. 2627 f.). Das dem Gläubiger insoweit allenfalls zustehende Wahlrecht soll ihm ermöglichen, Sachwertsteigerungen bis zum Urteilszeitpunkt geltend zu machen. Es erfordert indessen nicht gleichzeitig eine Übernahme der deliktsrechtlichen Regel zur Aufrechnung des Schadenszinses. Aus der im Recht der Leistungsstörung anzustrebenden Harmonisierung der Schadenersatzfolgen drängt sich gegenteils auf, von einer solchen Aufrechnung abzusehen. Denn sie würde wegen des Verbots von Zinseszinsen im Verzugsrecht (
Art. 105 Abs. 3 OR
) unweigerlich zu einer Besserstellung des Ersatzgläubigers im Vergleich zum Verzugsgläubiger führen. In der Rechtsprechung wurde denn auch bisher davon abgesehen. Mithin ist auch insoweit der angefochtene Entscheid bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Dies führt zur Abweisung der Anschlussberufung. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b60a2f4e-ca17-44e3-8dbe-334e6d4992ef | Urteilskopf
121 III 453
88. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Dezember 1995 i.S. M. gegen H. (Berufung) | Regeste
Art. 71, 197-210 OR
; Gattungskauf, Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Sachgewährleistung.
Beim Gattungskauf ist im Gegensatz zum Stückkauf keine individuell bestimmte Sache geschuldet (E. 3).
Die Bestimmungen über die Gewährleistung wegen Mängel der Kaufsache in den
Art. 197-210 OR
kommen beim Gattungskauf nur dann zur Anwendung, wenn der Verkäufer eine Sache geliefert hat, welche die vertraglich vereinbarten Gattungsmerkmale aufweist (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 453
BGE 121 III 453 S. 453
In einem schriftlichen Kaufvertrag vom 30. Oktober 1991 verpflichtete sich H., gegen Bezahlung von Fr. 28'000.-- innert ca. zwei Wochen einen gebrauchten Hubstapler des Typs TCM an M. zu liefern. Der Kaufgegenstand sollte gemäss der vertraglichen Umschreibung unter anderem einen Wandler, d.h. ein Automatikgetriebe, aufweisen. Am 20. November 1991 lieferte H. einen Hubstapler des vereinbarten Typs, welcher aber kein Automatik-
BGE 121 III 453 S. 454
sondern ein Handschaltgetriebe aufwies. Aus diesem Grunde verweigerte M. die Annahme des Hubstaplers und erklärte am 21. November 1991 schriftlich den Rücktritt vom Kaufvertrag. In seinem Antwortschreiben vom 26. November 1991 wies H. die Erklärung zurück und versprach eine korrekte Ersatzlieferung, welche am 2. Dezember 1991 bei M. eintraf. Dieser liess am folgenden Tag durch seinen Anwalt sinngemäss mitteilen, er verweigere die Annahme der Ersatzlieferung. In der Folge setzte H. die Kaufpreisforderung in Betreibung. M. erhob Rechtsvorschlag.
Am 23. Dezember 1991 klagte H. beim Amtsgericht Solothurn-Lebern gegen M. auf Bezahlung von Fr. 28'000.-- nebst Zins zu 8% seit 10. Dezember 1991 zuzüglich der Kosten des Zahlungsbefehls von Fr. 76.--. Das Amtsgericht wies die Klage am 4. November 1993 ab. Es ging davon aus, M. habe aus dem Verhalten von H. schliessen dürfen, dieser sei nicht mehr Willens, den Vertrag zu erfüllen, weshalb M. gemäss
Art. 108 Ziff. 1 OR
in Verbindung mit
Art. 107 Abs. 2 OR
ohne Ansetzung einer Nachfrist habe vom Kaufvertrag zurücktreten können.
H. appellierte an das Obergericht des Kantons Solothurn, welches beweismässig davon ausging, die Parteien hätten den Kaufvertrag nicht einvernehmlich aufgehoben, und H. habe stets richtige Erfüllung angeboten. Gestützt auf diesen Sachverhalt hob das Obergericht den Entscheid des Amtsgerichts mit Urteil vom 28. Juni/16. August 1994 auf und verurteilte M., den Kaufpreis von Fr. 28'000.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 10. Dezember 1991 sowie die Kosten des Zahlungsbefehls von Fr. 76.-- an H. zu bezahlen.
M. ficht das Urteil des Obergerichts mit Berufung an und beantragt dem Bundesgericht, dieses aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beklagte rügt, das Obergericht habe Bundesrecht verletzt, indem es den Kaufvertrag der Parteien als Gattungskauf qualifizierte.
a) Ein Gattungskauf zeichnet sich im Gegensatz zum Stückkauf dadurch aus, dass der Verkäufer keine vertraglich individualisierte, sondern eine nur der Gattung nach bestimmte Sache schuldet (
Art. 71 OR
;
BGE 94 II 26
E. 2 S. 29,
BGE 85 II 402
E. 1a S. 407 f.; WEBER, Berner Kommentar, N 12 ff. zu
Art. 71
BGE 121 III 453 S. 455
OR
; SCHÖNLE, Zürcher Kommentar, N 44 zu
Art. 184 OR
; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 20 f. zu
Art. 71 OR
; KOLLER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel, N 28 zu
Art. 184 OR
; CAVIN, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, S. 121 f.; GUHL/MERZ/KOLLER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Auflage, S. 47; HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage, S. 99).
b) Der vorliegende Kaufvertrag hatte nicht eine individuell bestimmte Sache zum Gegenstand. Entgegen der nicht näher begründeten Behauptung des Beklagten führte auch der vereinbarte Triplexmast nicht zu einer Individualisierung der Kaufsache, weshalb es unerheblich ist, ob ein solcher Mast vom erstgelieferten auf den zweitgelieferten Hubstapler umgebaut wurde, wie dies der Beklagte vorbringt. Das Obergericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, es liege ein Gattungskauf vor.
4.
Das Obergericht hat angenommen, der erstgelieferte Hubstapler habe ein aliud dargestellt, weil er das vereinbarte Merkmal des automatischen Getriebes nicht aufgewiesen habe, und leitete daraus ab, es kämen die Regeln über die Nichterfüllung gemäss
Art. 97 ff. OR
zur Anwendung. Da der Beklagte den Kläger nicht gemahnt und ihm auch keine Frist zur Vertragserfüllung angesetzt habe, seien die Voraussetzungen zum Vertragsrücktritt gemäss
Art. 107 OR
nicht gegeben gewesen. Das Obergericht verneinte auch die Möglichkeit eines Vertragsrücktritts gemäss
Art. 108 OR
und ging daher davon aus, der Vertrag habe weiterbestanden und sei durch die Lieferung eines der vereinbarten Gattung entsprechenden Hubstaplers erfüllt worden, weshalb der Kaufpreis geschuldet sei.
Der Beklagte macht demgegenüber geltend, auch wenn von einem Gattungskauf ausgegangen werde, sei er berechtigt gewesen, den Vertrag zu wandeln. Er schulde daher den Kaufpreis nicht.
a) Die Regelung der Sachgewährleistung in den
Art. 197-210 OR
bezieht sich auf Mängel der Kaufsache (vgl. Marginalie zu
Art. 197 OR
). Da der Begriff der Kaufsache in den
Art. 197 ff. OR
nicht speziell definiert wird, ist die allgemeine Umschreibung des Kaufgegenstandes gemäss
Art. 184 Abs. 1 OR
massgebend. Diese versteht unter dem Kaufgegenstand die geschuldete Sache (frz. la chose vendue, it. l'oggetto venduto). Da beim Stückkauf eine vertraglich individualisierte Sache geschuldet wird, stellt diese auch dann die Kaufsache dar, wenn ihr wesentliche vereinbarte Merkmale fehlen (
BGE 82 II 411
E. 3b S. 416; GIGER, Berner Kommentar, N 46 der Vorbemerkungen zu
Art. 197-210 OR
; HONSELL, a.a.O., S. 99). Beim Gattungskauf wird dagegen
BGE 121 III 453 S. 456
bloss eine der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet, weshalb eine gelieferte Sache bei dieser Art des Kaufes nur dann der Kaufsache entspricht, wenn sie die vereinbarten Gattungsmerkmale aufweist (
Art. 71 Abs. 1 OR
). Es stellt sich daher die Frage, welcher Begriff der Gattung massgebend sei. Das Bundesgericht ist anfänglich von einem abstrakten, objektiven Gattungsbegriff ausgegangen, der dem Wesen der Sache entspricht (BGE 22 566 E. 3 S. 571 f.; vgl. auch BGE 20 960 E. 6 S. 976), hat diesen dann insoweit eingeschränkt, als es die Verkehrsauffassung und den im Einzelfall vereinbarten Verwendungszweck berücksichtigte (
BGE 69 II 97
E. 2 S. 100 f.) und ist schliesslich zu einem relativen Gattungsbegriff übergegangen, welcher sich nach der konkreten Umschreibung des Kaufgegenstandes durch die Parteien richtet (
BGE 94 II 26
E. 2a S. 30; vgl. auch schon
BGE 40 II 480
E. 3b S. 488). In der Lehre wird grundsätzlich ebenfalls von einem relativen Gattungsbegriff ausgegangen (KELLER/SIEHR, Kaufrecht, 3. Auflage 1995, S. 30; SCHÖNLE, Zürcher Kommentar, N 82 zu
Art. 185 OR
; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 13 zu
Art. 71 OR
; WEBER, Berner Kommentar, N 85 f. zu
Art. 71 OR
; vgl. ferner CAVIN, a.a.O., S. 122; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, S. 98 Fn. 32g). Zum Teil wird in der Literatur aber auch die Auffassung vertreten, bei der Definition der geschuldeten Gattung sei in erster Linie das Wesen oder die Natur der Sache gemäss der Verkehrsauffassung und dem Verwendungszweck massgebend, wobei es im Ergebnis gerechtfertigt sei, ein aliud erst dann anzunehmen, wenn die gelieferte Sache "krass", "ganz erheblich" oder "ganz offensichtlich" von der vertraglich umschriebenen Sache abweiche (HONSELL, a.a.O., S. 100; derselbe, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N 2 zu
Art. 206 OR
; WEBER, Berner Kommentar, N 91 f. zu
Art. 71 OR
; GIGER, Berner Kommentar, N 44 und 50 der Vorbemerkungen zu
Art. 197-210 OR
; vgl. auch CAVIN, a.a.O., S. 125; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 60 f. zu
Art. 71 OR
; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, N 14 zu
Art. 197 OR
). Ein abstrakter Gattungsbegriff ist aber abzulehnen, weil die Parteien den Kaufgegenstand autonom bestimmen und daher je nach der Wichtigkeit, die sie gewissen Spezifikationen beimessen, mehr oder weniger genau präzisieren können, welche Merkmale die zu liefernde Sache aufweisen muss (
BGE 94 II 26
E. 2a s. 30). Ein allgemeiner Begriff der Gattung ist zudem kaum justitiabel, zumal er ganz unterschiedlich eng oder weit gefasst werden kann (vgl. HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Auflage, S. 99).
BGE 121 III 453 S. 457
Aus diesen Gründen ist an einem relativen Gattungsbegriff festzuhalten, welcher sich nach der Umschreibung der geschuldeten Sache im Kaufvertrag richtet, wobei dieser - wenn ein tatsächlicher übereinstimmender Parteiwille nicht feststeht - nach dem Vertrauensprinzip auszulegen ist (SCHÖNLE, Zürcher Kommentar, N 82 zu
Art. 185 OR
). Demgemäss stellt jede gelieferte Sache, welche nicht alle von den Parteien vereinbarten Gattungsmerkmale aufweist, nicht die geschuldete, sondern eine andere Sache, ein aliud, dar. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein geliefertes Automobil anstatt des vertraglich vorgesehenen Automatikgetriebes eine gewöhnliche Schaltung aufweist (
BGE 94 II 26
E. 2a S. 30; ebenso für das deutsche Recht: REINKING/EGGERT, Der Autokauf, Düsseldorf, 5. Auflage, S. 128 Rz. 412 unter Hinweis auf ein Urteil des OLG Hamburg vom 22. September 1987) oder nicht dem ausdrücklich vereinbarten Modell entspricht (
BGE 94 II 26
E. 2a S. 30; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 13 zu
Art. 71 OR
). Keine andere, sondern eine mangelhafte Kaufsache (peius) liegt beim Gattungskauf hingegen dann vor, wenn die gelieferte Sache zwar der geschuldeten Gattung zugehört (
Art. 71 Abs. 1 OR
), nicht aber die vereinbarte oder gesetzlich vorgeschriebene Qualität aufweist (
Art. 71 Abs. 2 OR
;
BGE 40 II 480
E. 3b S. 488 f.,
BGE 69 II 97
E. 2 S. 100; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 60 zu
Art. 71 OR
; GIGER, Berner Kommentar, N 42 und 44 ff. der Vorbemerkungen zu
Art. 197-210 OR
; SCHÖNLE, Zürcher Kommentar, N 82 zu
Art. 185 OR
; vgl. auch KELLER/SIEHR, Kaufrecht, 3. Auflage 1995, S. 29 f.). So ist zum Beispiel ein vertragskonform spezifiziertes Automobil mangelhaft, wenn sein Motor stottert oder seine Karosserie durchgerostet ist.
Das Bundesgericht hat in einem obiter dictum in
BGE 94 II 26
E. 4 S. 34 f. erkannt, beim Gattungskauf könne ein Käufer, dem eine Sache anderer Gattung geliefert wurde, nicht nur gemäss den allgemeinen Verzugsregeln, sondern auch gestützt auf
Art. 206 OR
vom Vertrag zurücktreten, weil diese Bestimmung von einem weiten Mangelbegriff ausgehe. Ein Teil der Lehre betrachtet eine solche alternative Anwendung der Sachgewährleistungsregeln bei der Lieferung eines aliud dann als wünschbar, wenn die konkrete Abgrenzung zur Schlechtlieferung im Einzelfall Schwierigkeiten bereite (SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 62 zu
Art. 71 OR
; GIGER, Berner Kommentar, N 49 der Vorbemerkungen zu
Art. 197-210 OR
; WEBER, Berner Kommentar, N 91 zu
Art. 71 OR
). In der Literatur wird auch die Meinung vertreten, die Lieferung eines aliud solle beim Gattungskauf ausschliesslich nach der
BGE 121 III 453 S. 458
Regelung der Sachgewährleistung beurteilt werden, weil damit schwierige Abgrenzungsfragen und die Umgehung der kurzen Fristen des Sachgewährleistungsrechts vermieden werden könnten (HANS-PETER KATZ, Sachmängel beim Kauf von Kunstgegenständen und Antiquitäten, Diss. Zürich 1973, S. 96; MARKUS NEUENSCHWANDER, Die Schlechterfüllung im schweizerischen Vertragsrecht, Diss. Bern 1971, S. 24; ALFRED SCHUBIGER, Verhältnis der Sachgewährleistung zu den Folgen der Nichterfüllung oder nicht gehörigen Erfüllung, Diss. Bern 1957, S. 122 ff.; vgl. auch GUHL/MERZ/KOLLER, a.a.O., S. 364 und ROBERTO CYPRIAN, Die Aliud-Lieferung im schweizerischen Kaufvertragsrecht, Diss. St. Gallen 1981, S. 67 f. und S. 121 f.). Diese Auffassungen sind aber abzulehnen, weil sich die Regelung der Sachgewährleistung gemäss der Marginalie zu
Art. 197 OR
auf die Kaufsache bezieht und beim Gattungskauf nur dann eine Kaufsache geliefert wird, wenn diese der vereinbarten Gattung entspricht. Dies wird dadurch bestätigt, dass
Art. 206 OR
, welcher gemäss seiner systematischen Stellung im Gesetz die besonderen gewährleistungsrechtlichen Folgen der Lieferung einer mangelhaften Sache beim Gattungskauf regelt (vgl. CAVIN, a.a.O., S. 123 f.; derselbe, Considérations sur la garantie en raison des défauts de la chose vendue, SJ 91/1969, S. 329 ff., S. 339 f.), nur einen Anspruch auf Nachlieferung anderer währhafter Ware "derselben" Gattung vorsieht und damit voraussetzt, dass eine Sache der vereinbarten Gattung geliefert wurde. Die herrschende Lehre geht somit zu Recht davon aus, die Lieferung eines aliud stelle keinen Tatbestand der Sachgewährleistung, sondern eine Nichterfüllung dar, welche sich ausschliesslich nach den Bestimmungen über den Schuldnerverzug beurteile (SCHÖNLE, Zürcher Kommentar, N 82 zu
Art. 185 OR
; HONSELL, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N 3 zu
Art. 206 OR
; derselbe, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage, S. 100 f.; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 5. Auflage, Bd. II, S. 194 Rz. 3178; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage 1988, S. 118 f.; GAUCH, der Werkvertrag, 3. Auflage, S. 279 Rz. 978; grundsätzlich ebenso: GIGER, Berner Kommentar, N 42 der Vorbemerkungen zu
Art. 197-210 OR
; WEBER, Berner Kommentar, N 85 zu
Art. 71 OR
; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N 61 zu
Art. 71 OR
). Ein Käufer, der ein aliud erhalten hat, kann demnach - wenn die Erfüllung noch möglich ist - nur nach den Verzugsregeln vom Vertrag zurücktreten, was grundsätzlich die erfolglose
BGE 121 III 453 S. 459
Ansetzung einer angemessenen Frist zur nachträglichen Erfüllung voraussetzt (Art. 107 f. OR).
b) Im vorliegenden Kaufvertrag haben die Parteien ausdrücklich vorgesehen, der zu liefernde Hubstapler müsse einen Wandler, d.h. ein Automatikgetriebe, aufweisen. Diese Spezifikation stellt keine blosse Qualitätsangabe, sondern ein gattungsbestimmendes Merkmal dar. Die Vorinstanz hat daher zu Recht angenommen, der Kläger habe mit dem ersten Hubstapler, welcher anstatt eines Automatik- ein Handschaltgetriebe aufwies, ein aliud geliefert. Diese Lieferung bildete somit keine Schlecht- sondern eine Nichterfüllung, weshalb sich die Frage, ob der vom Beklagten am 21. November 1991 erklärte Vertragsrücktritt zulässig war, nach den Verzugsregeln beurteilt. Da der Beklagte den Kläger nicht mahnte (
Art. 102 Abs. 1 OR
) und ihm auch keine Frist zur nachträglichen Erfüllung ansetzte, war ein Vertragsrücktritt gemäss
Art. 107 Abs. 2 OR
ausgeschlossen. Der Beklagte konnte auch nicht gemäss
Art. 108 Ziff. 1 OR
ohne Ansetzung einer Frist zur nachträglichen Erfüllung vom Vertrag zurücktreten, weil der Kläger gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz immer korrekte Erfüllung angeboten hatte und daher aus seinem Verhalten nicht hervorging, dass sich die Ansetzung einer Nachfrist als unnütz erweisen würde. Es bestehen ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass die nachträgliche Leistung für den Beklagten nutzlos geworden war (
Art. 108 Ziff. 2 OR
). Schliesslich geht aus dem Vertrag - welcher eine Lieferfrist von ca. zwei Wochen vorsah - auch nicht die Absicht der Parteien hervor, die Leistung solle genau bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen (
Art. 108 Ziff. 3 OR
). Der Beklagte konnte demnach nicht ohne Ansetzung einer Nachfrist vom Vertrag zurücktreten, weshalb seine Rücktrittserklärung vom 21. November 1991 unzulässig war. Der Kläger erfüllte somit den weiterbestehenden Vertrag, als er am 2. Dezember 1991 einen der vereinbarten Gattung entsprechenden Hubstapler lieferte. Der Beklagte macht zwar geltend, der zweitgelieferte Hubstapler habe Mängel aufgewiesen, bestreitet aber nicht, dass er diese nicht rechtzeitig gerügt hat (
Art. 201 OR
), weshalb eventuelle entsprechende Ansprüche verwirkt sind (
Art. 201 Abs. 2 OR
). Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Klage auf Bezahlung des Kaufpreises guthiess. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b60b3d5d-a19d-43ca-8e0b-0edc3350b523 | Urteilskopf
119 II 20
6. Estratto della sentenza 25 gennaio 1993 della I Corte civile nella causa F contro eredi G (ricorso per riforma) | Regeste
Art. 62 Abs. 2 und 67 Abs. 1 OR. Bereicherungsansprüche aus nicht verwirklichtem Zuwendungsgrund; Beginn der absoluten Verjährungsfrist.
Beim bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückerstattung von Leistungen aus nicht verwirklichtem Rechtsgrund beginnt die absolute Verjährungsfrist, sobald feststeht, dass sich der Zahlungs- oder Zuwendungsgrund nicht verwirklichen wird oder nicht mehr verwirklichen kann. | Sachverhalt
ab Seite 20
BGE 119 II 20 S. 20
A.-
Nel 1974 F ha versato a due riprese l'importo di fr. 6'000.-- a G., in vista dell'acquisto di un fondo per il prezzo di fr. 12'500.--. Contestualmente al versamento dei due acconti le parti hanno sottoscritto due atti analoghi (fatta eccezione per il saldo) del seguente tenore:
BGE 119 II 20 S. 21
"RICEVUTA-CONVENZIONE
Acconto per acquisto stalla su. map. 396 fr. 6'000.-- (...). Saldo fr.
6'500.-- [fr. 500.-- nel secondo atto] verrà versato alla stipulazione
dell'atto notarile di compra vendita. Non facendo la registrazione
l'importo sopra viene restituito."
L'atto notarile non è mai stato celebrato. A G, decesso il 21 ottobre 1980, sono subentrati i quattro convenuti. Nell'ambito della divisione, la particella in questione è stata attribuita a un coerede il 26 novembre 1982, che l'ha poi ceduta ad una terza persona il 21 agosto 1987.
B.-
L'11 maggio 1990 F. ha chiesto al Pretore del Distretto di Blenio che gli eredi G. fossero tenuti a versargli fr. 12'000.-- più interessi al 5% dal 21 ottobre 1980. Con sentenza del 15 luglio 1991 il Pretore ha accolto l'azione e ha condannato i convenuti a versare con vincolo di solidarietà all'attore l'importo di fr. 12'000.-- oltre interessi al 5% dal 7 febbraio 1990. Adita dai convenuti - e in via adesiva dall'attore limitatamente alla data di decorrenza degli interessi - la II Camera civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha riformato la sentenza di primo grado ed ha respinto integralmente l'azione.
C.-
F. ha interposto al Tribunale federale un ricorso per riforma in cui postula che l'azione venga accolta. I convenuti chiedono la reiezione del gravame.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
a) La Corte cantonale, giudicando che gli acconti versati dall'attore erano avvenuti sulla base di un contratto nullo, è partita dal presupposto che la causa dei versamenti era una promessa di vendita immobiliare e, dato ch'essa non soddisfava la forma richiesta, tali versamenti risultavano essere avvenuti senza causa valevole. La pretesa fondata sull'indebito arricchimento discenderebbe quindi dalla "condictio sine causa".
La situazione appare tuttavia diversa. La causa del versamento degli acconti litigiosi non è una promessa di vendita - nulla poiché stipulata oralmente o mediante la semplice forma scritta -, ma bensì un credito futuro o un contratto futuro. Il versamento degli acconti è stato fatto a titolo futuro, in adempimento di un obbligo che doveva nascere da un contratto non ancora stipulato. Il testo della ricevuta convenzione è chiaro al proposito, poiché prevede che il saldo del
BGE 119 II 20 S. 22
prezzo sarà versato al momento della celebrazione dell'atto pubblico di compravendita. Vi è quindi il segno evidente che il contratto, fonte di obblighi contrattuali reciproci per le parti, doveva essere stipulato solo in futuro. In siffatta evenienza, la causa dei versamenti non è l'adempimento di un obbligo, ma bensì l'aspettativa della sopravvenienza di un avvenimento futuro, ossia, in concreto, la stipulazione di un atto di vendita valido, notarile. Pertanto, se l'atto o l'atteso avvenimento futuro non si realizza, la prestazione risulta effettuata in virtù di una causa che non si è realizzata. Ciò implica per la parte che ha ricevuto la prestazione un obbligo di restituzione fondato sull'
art. 62 cpv. 2 CO
, che prevede espressamente questa ipotesi, la cd. condictio causa data, causa non secuta, o condictio ob causam futuram (cfr.
DTF 115 II 29
seg.,
DTF 105 II 96
consid. 3a entrambe con riferimenti; sentenza inedita nella causa M del 10 settembre 1991; sentenza nella causa Marcel Morard & Cie c. Comune di Plan-les-Ouates, apparsa in SJ 109/1987, pag. 155 consid. 2b; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil OR, pag. 487 seg.; SCHULIN, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, Basilea e Francoforte sul Meno 1992, n. 23 e 24 ad art. 62).
b) Mentre il termine di prescrizione relativa comincia a decorrere dal giorno in cui il danneggiato ha conoscenza del suo diritto di ripetizione, quello di prescrizione assoluta di dieci anni decorre invece dal giorno della nascita di tale diritto (
art. 67 cpv. 1 CO
). Nel caso della condictio ob causam futuram, ossia della domanda in restituzione di quanto ricevuto in virtù di una causa che non si è avverata, il termine di prescrizione assoluta inizia a decorrere dal momento in cui è accertato che la causa del versamento o dell'attribuzione non si realizzerà o non può più realizzarsi (OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, n. 2 ad
art. 67 CO
; WENNER, Die Voraussetzungen des Anspruches aus ungerechtfertigter Bereicherung unter besonderer Berücksichtigung des Problems der Subsidiarität, tesi Zurigo 1977, pag. 89). Il dies a quo del termine è l'esigibilità del credito (ENGEL, Traité des obligations, Neuchâtel 1973, pag. 407) e tale esigibilità sopraggiunge a partire dal momento in cui è scomparsa la causa sulla quale si fondava il versamento (
DTF 115 II 30
consid. b) ed è constatata tale scomparsa (sentenza citata, apparsa in SJ 109/1987, pag. 156; GAUCH/SCHLUEP, OR Allgemeiner Teil, 5a edizione, Zurigo 1991, n. 1559).
c) Discende da queste considerazioni che a torto la Corte cantonale ha fatto decorrere il termine di prescrizione assoluta dell'
art. 67 CO
dal momento in cui sono stati versati gli acconti e ha giudicato
BGE 119 II 20 S. 23
che si era in presenza di una condictio sine causa, consecutiva alla nullità ex tunc del contratto. Non vi è infatti alcun contratto fra le parti, né promessa di contratto, ma unicamente versamenti effettuati nell'attesa di un contratto a venire. Pertanto, pure a torto la Corte cantonale ha considerato acquisita la prescrizione assoluta, poiché le sole date che possono eventualmente entrare in considerazione per la decorrenza del termine di prescrizione assoluta sono, oltre l'alienazione del fondo ad un terzo, il decesso del venditore o l'attribuzione del fondo a un erede dopo la divisione, a condizione che a queste date si potesse oggettivamente ritenere che la vendita non sarebbe più avvenuta. Ora, risalendo dalla data dell'inoltro della petizione questi due momenti si situano ad ogni modo a date inferiori a dieci anni.
Il ricorso deve quindi essere accolto poiché la Corte cantonale ha erroneamente applicato la norma dell'
art. 67 CO
sulla prescrizione assoluta.
3.
L'accoglimento del ricorso non consente tuttavia al Tribunale federale di riformare la sentenza impugnata. In effetti i ricorrenti hanno pure eccepito l'acquisizione della prescrizione relativa di un anno dacché l'attore ha avuto conoscenza del suo diritto. Ora, la sentenza impugnata, a seguito della soluzione adottata, non si è pronunciata né in fatto né in diritto sulla decorrenza del termine di prescrizione relativa, ossia sul momento in cui l'attore ha avuto conoscenza del suo diritto di ripetizione. La causa deve quindi essere rinviata alla Corte cantonale in applicazione dell'
art. 64 cpv. 1 OG
, affinché completi gli accertamenti di fatto necessari alla soluzione del problema della prescrizione relativa. | public_law | nan | it | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b61057ae-7990-43e1-b581-015a9aa8f6ef | Urteilskopf
134 I 214
25. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause X. et consorts contre Grand Conseil du canton de Genève (recours en matière de droit public)
6C_1/2008 du 9 mai 2008 | Regeste a
Art. 27 BV
; Wirtschaftsfreiheit; Bettelei.
Die Ausübung der Bettelei wird durch
Art. 27 BV
nicht gewährleistet (E. 3).
Regeste b
Art. 10 Abs. 2 BV
; Recht auf persönliche Freiheit; Bettelei.
Die Bettelei fällt unter den Schutzbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 BV
(E. 5.3).
Regeste c
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 36 Abs. 1-3 BV
; Art. 11A Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Genf vom 30. November 2007 betreffend Änderung des Strafgesetzes des Kantons Genf vom 17. November 2006; Verbot der Bettelei; Vereinbarkeit mit dem Grundrecht der persönlichen Freiheit.
Das in einem kantonalen formellen Gesetz geregelte Verbot der Bettelei beruht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage (E. 5.5). Eine Reglementierung der Bettelei rechtfertigt sich durch das öffentliche Interesse an der Eindämmung der Gefahren, die sich aus der Bettelei für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Ruhe ergeben können, sowie zum Schutz namentlich der Kinder und im Kampf gegen menschliche Ausbeutung (E. 5.6). Das Verbot der Bettelei ist im konkreten Fall verhältnismässig (E. 5.7). | Sachverhalt
ab Seite 215
BGE 134 I 214 S. 215
Le 30 novembre 2007, le Grand Conseil du canton de Genève a adopté une loi, sous-intitulée mendicité et numérotée 10106, modifiant la loi pénale genevoise du 17 novembre 2006, par laquelle il a notamment introduit dans cette dernière un nouvel article 11A, dont l'alinéa 1 dispose que "celui qui aura mendié sera puni de l'amende". La loi ainsi adoptée (ci-après: loi n° 10106) a été publiée dans la Feuille d'avis officielle du canton de Genève du 10 décembre 2007, en vue de l'exercice du droit de référendum. Ce dernier, dont le délai venait à échéance le 21 janvier 2008, n'ayant pas été utilisé, la loi n° 10106 a été promulguée par le Conseil d'Etat le 28 janvier 2008, son entrée en vigueur étant fixée au 29 janvier 2008.
Par acte remis à la poste le 24 janvier 2008, X., Y. et Z. forment un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral contre la loi n° 10106. Invoquant une violation des
art. 27, 7 et 10 Cst.
ainsi que de l'
art. 8 CEDH
, elles concluent à l'annulation de l'art. 11A al. 1 de cette loi.
Le Grand Conseil genevois conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La liberté économique est garantie par l'
art. 27 Cst.
, qui précise qu'elle comprend notamment le libre choix de la profession, le libre accès à une activité économique lucrative privée et son libre
BGE 134 I 214 S. 216
exercice. Cette garantie protège toute activité économique privée, exercée à titre professionnel et tendant à la production d'un gain ou d'un revenu (
ATF 130 I 26
consid. 4.1 p. 40;
ATF 128 I 19
consid. 4c/aa p. 29,
ATF 128 I 92
consid. 2a p. 94/95 et les arrêts cités).
Au vu de cette définition, la mendicité ne constitue manifestement pas une activité protégée par l'
art. 27 Cst.
Elle se résume à solliciter une aide, généralement financière, sans contre-prestation. Il ne s'agit en aucun cas d'une activité à caractère lucratif, soit d'une activité par laquelle une personne, physique ou morale, participe, par l'engagement de sa force de travail et de son capital, aux échanges économiques, en vue de fournir des services ou de créer des produits, moyennant des contre-prestations (cf.
ATF 115 V 161
consid. 9a p. 170/171). En tant qu'il sanctionne la mendicité, l'acte attaqué ne viole donc pas la liberté économique. Le grief doit dès lors être rejeté.
(...)
5.
Selon l'
art. 10 al. 2 Cst.
, tout être humain a droit à la liberté personnelle, notamment à l'intégrité physique et psychique et à la liberté de mouvement.
5.1
Le droit à la liberté personnelle est une garantie large, qui inclut toutes les libertés élémentaires dont l'exercice est nécessaire à l'épanouissement de la personne humaine et dont devrait disposer tout être humain afin que la dignité humaine ne soit pas atteinte par le biais de mesures étatiques (
ATF 133 I 110
consid. 5.2 p. 119 et les arrêts cités). Le caractère disparate de l'abondante casuistique à laquelle a donné lieu cette garantie a fait ressortir que sa portée ne peut être définie de manière générale, mais doit être déterminée de cas en cas, en tenant compte des buts de la liberté, de l'intensité de l'atteinte qui y est portée ainsi que de la personnalité de ses destinataires (
ATF 133 I 110
consid. 5.2.2 p. 120).
5.2
En disposant que "celui qui aura mendié sera puni de l'amende", l'art. 11A al. 1 de la loi n° 10106 rend la mendicité illicite et revient donc à l'interdire. La question est donc de savoir si une telle interdiction constitue une atteinte à la liberté personnelle et, dans l'affirmative, si cette atteinte représente une restriction admissible de cette liberté.
5.3
Le fait de mendier consiste à demander l'aumône, à faire appel à la générosité d'autrui pour en obtenir une aide, très généralement sous la forme d'une somme d'argent. Ses causes et ses buts
BGE 134 I 214 S. 217
peuvent être divers. Le plus souvent, il a toutefois son origine dans l'indigence de la personne qui mendie, parfois aussi de ses proches, et vise à remédier à une situation de dénuement. Ainsi défini, le fait de mendier, comme forme du droit de s'adresser à autrui pour en obtenir de l'aide, doit manifestement être considéré comme une liberté élémentaire, faisant partie de la liberté personnelle garantie par l'
art. 10 al. 2 Cst.
5.4
A l'instar de tout autre droit fondamental, la liberté personnelle n'a pas une valeur absolue. Une restriction de cette garantie est admissible, si elle repose sur une base légale, qui, en cas d'atteinte grave, doit être prévue dans une loi au sens formel (
ATF 132 I 229
consid. 10.1 p. 242), si elle est justifiée par un intérêt public ou par la protection d'un droit fondamental d'autrui et si elle respecte le principe de la proportionnalité (
art. 36 al. 1-3 Cst.
;
ATF 133 I 27
consid. 3.1 p. 28/29;
ATF 130 I 65
consid. 3.1 p. 67 et les arrêts cités).
5.5
Il est à juste titre incontesté que l'interdiction de mendier découlant de la disposition litigieuse, qui figure dans une loi, repose sur une base légale suffisante.
5.6
L'autorité intimée expose que l'interdiction de la mendicité a été voulue en vue de sauvegarder l'ordre public ainsi que d'assurer la sécurité et la tranquillité publiques, mais aussi dans un but préventif. En substance, elle explique que la libéralisation récente de la mendicité dans le canton de Genève a eu pour effet que celle-ci, qui est interdite dans de nombreux autres cantons, s'y est développée dans des proportions préoccupantes et que la disposition litigieuse vise à éviter les conséquences négatives de cette situation, notamment la sollicitation et le harcèlement systématiques de la population.
On ne saurait nier que la mendicité peut entraîner des débordements, donnant lieu à des plaintes, notamment de particuliers importunés et de commerçants inquiets de voir fuir leur clientèle, et incitant les autorités, légitimement soucieuses de préserver l'ordre public, à réagir. Il n'est en effet pas rare que des personnes qui mendient adoptent une attitude insistante, voire harcèlent les passants. Il est par ailleurs fréquent que ceux qui se livrent à la mendicité s'installent à proximité de stations de paiement, notamment de bancomats et de postomats, ou d'autres lieux de passage quasi-obligé pour de très nombreuses personnes, tels que les entrées de supermarchés, les gares ou d'autres édifices publics. Ces comportements,
BGE 134 I 214 S. 218
lorsqu'ils deviennent habituels, ce qui n'a rien d'exceptionnel, sont de nature à provoquer des réactions plus ou moins virulentes, allant du rejet ou de l'agacement à la réprobation ouverte, voire à l'agressivité. Maintes personnes les ressentent comme une forme de contrainte ou du moins comme une pression, qui les incitent à une attitude d'évitement, si ce n'est à des manifestations d'intolérance. Lorsque le phénomène augmente en intensité - et il n'y a à cet égard pas de raison de douter de l'importante affluence évoquée par l'autorité intimée, qui a, précisément pour ce motif, adopté la disposition litigieuse -, ses conséquences négatives s'accroissent d'autant et il existe alors le risque de réactions de plus en plus virulentes, susceptibles de dégénérer. On ne peut non plus perdre de vue les incidences socio-économiques d'une augmentation du phénomène.
Sous l'angle de l'intérêt public, il faut encore relever qu'il n'est malheureusement pas rare que des personnes qui mendient soient en réalité exploitées dans le cadre de réseaux qui les utilisent à leur seul profit et qu'il existe en particulier un risque réel que des mineurs, notamment des enfants, soient exploités de la sorte, ce que l'autorité a le devoir d'empêcher et de prévenir.
Dans ces conditions, il existe un intérêt public certain à une réglementation de la mendicité, en vue de contenir les risques qui peuvent en résulter pour l'ordre, la sécurité et la tranquillité publics, que l'Etat a le devoir d'assurer, ainsi que dans un but de protection, notamment des enfants, et de lutte contre l'exploitation humaine.
5.7
Pour qu'une restriction d'un droit fondamental soit conforme au principe de la proportionnalité, il faut qu'elle soit apte à atteindre le but visé, que ce dernier ne puisse être atteint par une mesure moins incisive et qu'il existe un rapport raisonnable entre les effets de la mesure sur la situation de la personne visée et le résultat escompté du point de vue de l'intérêt public (
ATF 132 I 229
consid. 11.3 p. 246;
ATF 129 I 12
consid. 9.1 p. 24;
ATF 128 I 92
consid. 2b p. 95 et les arrêts cités).
5.7.1
Une restriction du droit de mendier est incontestablement apte à atteindre le but d'intérêt public visé.
5.7.2
Se pose encore la question de savoir si, pour parvenir à ce but, une interdiction totale de la mendicité est nécessaire ou si une mesure moins incisive ne serait pas suffisante.
Le recours évoque d'abord la possibilité d'une limitation géographique ou/et temporelle de la mendicité, qui pourrait être interdite
BGE 134 I 214 S. 219
dans certains lieux, voire, en sus, à certaines occasions, ainsi durant les fêtes de Genève. Il est toutefois plus que probable qu'une telle solution ne ferait que déplacer le problème. Dans la mesure où la mendicité elle-même ne serait pas interdite, le nombre de personnes qui s'y adonnent ne diminuerait pas ou que faiblement. Il en résulterait une concentration de la mendicité dans les zones où elle serait tolérée, ce qui aurait pour effet d'en accroître les conséquences négatives dans ces zones et pour la population qui y réside. Il n'en irait pas différemment si la pratique de la mendicité devait simplement être exclue en des endroits précis, par exemple devant les banques ou les bancomats, les bureaux de poste ou les postomats, les autres édifices publics ou les supermarchés. Dans ce cas, on assisterait à une concentration de la mendicité à proximité de tels lieux, aux limites du périmètre où elle serait interdite. Le problème se trouverait ainsi reporté de quelques dizaines de mètres ou sur une autre frange de la population. Il existerait par ailleurs le risque que des personnes qui mendient s'installent à l'entrée d'immeubles locatifs, où leur présence régulière, voire constante, pourrait rapidement ne plus être tolérée par les habitants de ces immeubles. Quant à une limitation simplement temporelle de la mendicité, telle que son interdiction durant la période des fêtes de Genève, elle serait manifestement insuffisante pour atteindre le but d'intérêt public visé.
Le recours mentionne par ailleurs la possibilité de soumettre la mendicité à une autorisation. Il est cependant évident que la plupart, voire la grande majorité, des personnes qui s'adonnent à la mendicité, ainsi les étrangers de passage ou en situation illégale, ne pourraient bénéficier d'une autorisation, que bien d'autres ne seraient pas en mesure d'assumer les frais d'une patente et que d'autres encore préféreraient ne pas la solliciter. La mendicité se trouverait ainsi, de fait, interdite dans une mesure qui, en définitive, ne serait pas très éloignée d'une interdiction pure et simple. La solution évoquée serait en outre susceptible d'engendrer des inégalités entre les personnes voulant pratiquer la mendicité.
On pourrait éventuellement songer à une solution consistant à interdire, non pas la mendicité elle-même, mais certaines manières de la pratiquer, telles que le harcèlement ou les comportements insistants. Une telle solution apparaît cependant largement illusoire. On voit mal que ceux qui seraient chargés de faire respecter une telle interdiction puissent assumer cette tâche sans surveiller en quasi-permanence les personnes qui s'adonnent à la mendicité, afin de
BGE 134 I 214 S. 220
s'assurer qu'elles s'abstiennent de tels comportements. Le peu d'efficience d'un tel contrôle risquerait de vider largement semblable interdiction de sa substance. Le recours ne propose du reste pas de limiter la mendicité de la sorte.
A titre subsidiaire, il faut relever que les autorités locales, en l'occurrence les autorités genevoises, sont mieux à même d'apprécier la situation concrète, en particulier l'ampleur de la mendicité sur leur territoire, ses incidences et l'efficacité des mesures à prendre pour atteindre le but d'intérêt public visé. Dans une certaine mesure, la question revêt en outre une dimension politique, comme le montrent notamment le ton nourri des débats lors de l'adoption de l'acte attaqué par le Grand Conseil genevois et la polémique qui l'a précédée. Même s'il dispose d'un libre pouvoir d'examen, le Tribunal fédéral, en pareil cas, s'impose une certaine réserve et n'intervient qu'avec retenue. Or, après qu'il ait été renoncé à réprimer la mendicité, le Grand Conseil genevois a majoritairement estimé que la situation engendrée par cette renonciation et les impératifs de l'ordre public justifiaient de la sanctionner à nouveau, donc de l'interdire.
Sur le vu de ce qui précède, on ne voit pas qu'une mesure moins incisive que celle qui a été adoptée permette de parvenir efficacement au but d'intérêt public visé, les solutions envisageables apparaissant insuffisantes.
5.7.3
L'
art. 12 Cst.
, dont peuvent se prévaloir aussi bien les étrangers que les ressortissants suisses, confère à quiconque est dans une situation de détresse et n'est pas en mesure de subvenir à son entretien le droit d'être aidé et assisté et de recevoir les moyens indispensables pour mener une existence conforme à la dignité humaine. Dans le canton de Genève, ce principe a trouvé une concrétisation dans la loi du 22 mars 2007 sur l'aide sociale individuelle (LASI; RSG J 4 04), entrée en vigueur le 19 juin 2007, qui garantit à toute personne majeure qui en fait la demande de pouvoir bénéficier d'un accompagnement social (
art. 5 al. 1 LASI
) et à toute personne qui n'est pas en mesure de subvenir à son entretien ou à celui des membres de la famille dont elle a la charge de bénéficier de prestations d'aide financière (
art. 8 LASI
), dont peuvent aussi bénéficier, bien qu'à des conditions plus restrictives, les personnes étrangères sans autorisation de séjour (
art. 11 al. 3 LASI
). Dans la pratique, ces dispositions, qui ont notamment pour but d'éviter que des personnes
BGE 134 I 214 S. 221
doivent recourir à la mendicité, ont conduit à la mise en place d'un filet social. On est fondé à en déduire que, pour la très grande majorité des personnes qui s'y livrent, l'interdiction de la mendicité ne les priverait pas du minimum nécessaire, mais d'un revenu d'appoint, même si des exceptions restent toujours possibles. Dans ces conditions, on ne saurait dire que les effets d'une interdiction de la mendicité sur la situation des personnes visées seraient tels qu'ils ne seraient plus dans un rapport raisonnable avec le résultat escompté du point de vue de l'intérêt public.
5.8
Il découle de ce qui précède, que l'interdiction de la mendicité résultant de la disposition litigieuse repose sur une base légale suffisante, qu'elle est justifiée par un intérêt public et qu'elle respecte le principe de la proportionnalité. Elle constitue donc une restriction admissible de la garantie de la liberté personnelle. Le grief doit dès lors être rejeté. | public_law | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b610e3fc-41de-4dc7-aa0e-cdaf8cb0ba70 | Urteilskopf
123 I 259
24. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 19 août 1997 en la cause P. contre Cour plénière du Tribunal cantonal du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 31 BV
,
Art. 33 Abs. 1 BV
, Art. 5 ÜbBest. BV: Eintrag ins Verzeichnis praktizierender Anwälte.
Bedingungen, unter welchen ein in einem Kanton praktizierender Anwalt eine generelle oder auf einen bestimmten Fall beschränkte Berufsausübungsbewilligung in einem anderen Kanton erhalten kann (E. 2b und c).
Die Verpflichtung, zum voraus im angefragten Kanton einen Ort zu bezeichnen, an welchem er die amtlich vertretenen Klienten empfangen kann, ist zumindest im vorliegenden Fall unzulässig und verstösst gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 259
BGE 123 I 259 S. 259
P. est titulaire d'un brevet d'avocat valaisan depuis le 16 janvier 1991. Il est inscrit au tableau des avocats pratiquants valaisans et exerce la profession d'avocat à Monthey, où il a son étude.
BGE 123 I 259 S. 260
Le 20 novembre 1996, il a sollicité son inscription au tableau des avocats exerçant dans le canton de Vaud, puis il a produit les documents que le Tribunal cantonal lui avait demandés. Invité le 6 décembre 1996 à indiquer encore à quelle adresse il entendait recevoir dans le canton de Vaud les clients pour lesquels il serait désigné d'office, il a répondu que, sauf circonstances extraordinaires, il entendait recevoir tous ses clients dans son étude de Monthey.
Par décision du 21 janvier 1997, la Cour plénière du Tribunal cantonal a refusé l'inscription au tableau des avocats requise par P. Elle a retenu en bref que l'intérêt des justiciables à pouvoir consulter l'avocat d'office sans frais supplémentaires et excessifs, ni complications inutiles découlant de l'éloignement de l'étude, l'emportait sur l'intérêt du requérant à recevoir ses clients dans son étude de Monthey.
P. a formé un recours de droit public contre la décision de la Cour plénière du Tribunal cantonal du 21 janvier 1997, en concluant à son annulation.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé la décision attaquée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Le recourant se plaint d'une violation de ses droits constitutionnels, tels qu'ils sont garantis par les
art. 4, 31, 33 al. 1 Cst.
et 5 Disp. trans. Cst. Il prétend que l'obligation qui lui est faite d'indiquer une adresse dans le canton de Vaud, où il puisse recevoir ses clients d'office, ne repose sur aucune base légale; elle constituerait ainsi une exigence arbitraire et disproportionnée, dans le cas d'un avocat valaisan qui, comme lui, a une étude si proche du Chablais vaudois.
b) La profession d'avocat bénéficie de la liberté du commerce et de l'industrie garantie par l'
art. 31 Cst.
(
ATF 123 I 12
consid. 2a p. 15;
ATF 122 I 109
consid. 4a p. 116, 130 consid. 3a p. 133). Les cantons ont cependant la faculté, en vertu des art. 31 al. 2 et 33 al. 1 Cst., d'édicter des restrictions de police au droit d'exercer librement la profession d'avocat, en particulier dans le but de protéger le public des personnes incapables; ces restrictions doivent toutefois reposer sur une base légale et se limiter à ce qui est nécessaire pour atteindre le but de police poursuivi; elles doivent en outre respecter les principes de la proportionnalité et de l'égalité de traitement (
ATF 119 Ia 374
consid. 2a p. 375;
ATF 114 Ia 34
consid. 2a p. 36). En l'absence
BGE 123 I 259 S. 261
d'une loi fédérale sur la libre circulation des avocats qui est encore au stade de projet, l'art. 5 Disp. trans. Cst. garantit la libre circulation intercantonale des avocats et interdit au canton d'accueil d'imposer des conditions ou des charges discriminatoires pour l'obtention d'une autorisation générale ou limitée à une affaire déterminée (
ATF 122 I 109
consid. 4b p. 117). Ont notamment été jugées incompatibles avec ce principe l'obligation d'indiquer une adresse fixe dans le canton où l'avocat externe veut pratiquer (
ATF 39 I 51
ss), de constituer un domicile d'affaires (
ATF 65 I 6
ss) ou d'avoir une étude permanente dans le canton (
ATF 80 I 146
ss).
Si le refus d'autorisation pour l'exercice d'une profession constitue en principe une atteinte grave à la liberté du commerce et de l'industrie et doit être contenue dans une loi au sens formel (
ATF 122 I 130
consid. 3/bb p. 134 et les arrêts cités), il n'en va pas de même lorsque, comme en l'espèce, un avocat pratique régulièrement sa profession dans le canton dont il a obtenu son brevet et que le refus d'autorisation porte uniquement sur l'exercice des activités occasionnelles qu'il entend exercer dans un canton voisin ou, plus précisément, sur les conditions de désignation d'un lieu de réception des clients d'office dans le canton. Dans un tel cas, le refus d'inscription au tableau des avocats ne représente pas une atteinte grave à l'exercice de la profession et le Tribunal fédéral n'examine que sous l'angle de l'arbitraire la question de savoir si la restriction incriminée repose sur une base légale suffisante. Il examine en revanche librement si la mesure de police en cause est justifiée par un intérêt public prépondérant et respecte le principe de la proportionnalité (
ATF 119 Ia 374
consid. 2a p. 376;
ATF 118 Ia 175
consid. 2a et les arrêts cités).
c) Conformément à l'art. 5 Disp. trans. Cst., le législateur vaudois a prévu que l'avocat porteur d'un brevet délivré par un autre canton pouvait, sans s'établir dans le canton de Vaud, requérir son inscription au tableau des avocats (art. 13 de la loi vaudoise sur le barreau du 22 novembre 1944; en abrégé: LB) ou obtenir une autorisation spéciale d'assister une partie devant les juridictions vaudoises dans une affaire déterminée (
art. 14 LB
), pour autant qu'il remplisse les conditions prescrites à l'art. 12 lettres b, c et d LB, à savoir: qu'il ait l'exercice des droits civils (lettre b), qu'il jouisse d'une bonne réputation (lettre c) et qu'il n'ait encouru aucune condamnation à raison de faits contraires à la probité ou à l'honneur (lettre d).
En l'espèce, le Tribunal cantonal n'a pas mis en doute le fait que le recourant remplissait les conditions précitées, mais il a estimé que
BGE 123 I 259 S. 262
l'obligation faite à l'avocat ne disposant pas d'une étude permanente dans le canton d'annoncer dans quel genre de locaux il allait recevoir ses clients d'office pouvait reposer sur le principe général contenu à l'
art. 16 LB
, prescrivant que l'avocat doit s'acquitter de sa fonction avec dignité.
L'exigence d'un lieu de réception dans le canton de Vaud ne saurait toutefois être déduit de l'
art. 16 LB
. En effet, cette disposition permet certes de justifier des restrictions relatives à la nature des locaux où l'avocat reçoit ses clients, laquelle est susceptible de porter atteinte à la dignité de la profession, mais elle ne peut servir de justification à une localisation permanente desdits locaux dans le canton de Vaud. Or, du point de vue de l'
art. 16 LB
, il n'y a aucune raison de douter que les locaux occupés par l'étude du recourant à Monthey permettent de recevoir de façon convenable les clients d'office, comme du reste les autres mandants.
Autre chose est de savoir si l'
art. 16 LB
pourrait constituer, du moins sous l'angle de l'arbitraire, une base légale suffisante à l'obligation de recevoir les clients d'office sans frais de déplacement excessifs (voir arrêt von Roten du 3 février 1954, publié aux
ATF 80 I 146
ss, spécialement consid. 3 p. 155 i.f.). Il n'est cependant pas nécessaire de résoudre définitivement la question de la base légale, car le recours doit de toute façon être admis pour un autre motif.
d) Du point de vue du principe de la proportionnalité, la juridiction cantonale se réfère en effet à l'arrêt précité en la cause von Roten, dans lequel le Tribunal fédéral avait admis le recours d'un avocat valaisan qui pratiquait le barreau à Bâle et qui s'était vu refuser l'autorisation d'exercer dans le canton de Vaud, faute d'y disposer d'une étude permanente. Toutefois, si le Tribunal fédéral avait alors confirmé l'obligation d'assumer des défenses d'office en matière civile ou pénale pour l'avocat ayant obtenu une autorisation générale de pratiquer dans un canton dont il ne possède pas le brevet, il avait relevé que les inconvénients n'étaient pas aussi considérables que le prétendait le Tribunal cantonal, dans la mesure où l'avocat pouvait au besoin trouver "des locaux qui lui permettent à l'occasion de recevoir ses clients sans que la dignité de la profession, ni les égards dus aux justiciables subissent aucune atteinte"; il avait également précisé qu'il appartenait à l'avocat d'office "de faire en sorte que son établissement hors du canton ne charge pas son client de frais supplémentaires et excessifs" (
ATF 80 I 146
consid. 3 p. 155). Le Tribunal cantonal ne saurait donc tirer de cet arrêt l'obligation générale pour l'avocat d'office d'indiquer, à l'avance et dans tous les
BGE 123 I 259 S. 263
cas, le lieu où il va recevoir ses clients d'office. Même au regard du principe de l'égalité de traitement que les juges cantonaux entendent appliquer à tous les avocats externes au canton, cette obligation ne se justifie pas dans la mesure où elle revient, en réalité, à faire dépendre l'autorisation générale d'un lien territorial durable entre l'avocat et le lieu où il veut pratiquer, ce que le Tribunal fédéral a précisément toujours considéré comme contraire à l'art. 5 Disp. trans. Cst. (voir
ATF 80 I 146
consid. 3 p. 152 et les exemples cités).
En l'espèce, l'exigence d'un lieu de réception dans le canton de Vaud pour recevoir les clients d'office paraît en tous cas excessive pour un avocat qui a son étude à Monthey. L'art. 15 de la loi vaudoise du 21 novembre 1981 sur l'assistance judiciaire en matière civile impose en effet au Tribunal cantonal de désigner les avocats d'office à tour de rôle, "en prenant si possible en considération le lieu de résidence habituelle de celui qui requiert l'assistance judiciaire". Dans cette perspective, Monthey est une cité toute proche du canton de Vaud, en particulier d'Aigle et de sa région. Par ailleurs, les liaisons routières et par transports publics sont bonnes. Ainsi, un client domicilié dans la région d'Aigle ne sera en principe pas défendu par un avocat de Nyon, mais pourra se rendre sans difficultés à Monthey. On peut même imaginer que le lieu de situation de l'étude du recourant se révèle utile dans certains cas: par exemple si le client d'office est domicilié en Valais ou, pour les défenses pénales, s'il est détenu dans ce canton, mais doit procéder sur Vaud. Il faut certes réserver les situations particulières où le recourant sera tenu de trouver une solution d'espèce pour recevoir un client d'office dans le canton de Vaud afin de lui éviter des déplacements exagérés. Cela ne justifie cependant pas que, d'une manière générale, le recourant soit obligé d'avoir un lieu de réception des clients d'office dans le canton de Vaud.
La décision attaquée se révèle dès lors disproportionnée en tant qu'elle refuse au recourant l'inscription au tableau des avocats pratiquant dans le canton de Vaud, faute d'indiquer un endroit où il entende y recevoir ses clients d'office. | public_law | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b6194f65-b62c-4480-842b-0969dce3f3f7 | Urteilskopf
126 III 257
43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Mai 2000 i.S. M.S. gegen A.A. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Vorsorgliche Massnahmen nach
Art. 137 ZGB
bei umstrittener internationaler Zuständigkeit (
Art. 62 Abs. 1 IPRG
); Einfluss von im Ausland erwirkten und im Zivilstandsregister eingetragenen Statusänderungen (
Art. 9 ZGB
i.V.m. Art. 27 f. ZStV).
Ist glaubhaft gemacht, dass ein im Ausland ergangenes Scheidungsurteil in der Schweiz möglicherweise nicht anerkannt werden kann, und ist somit zweifelhaft, ob die internationale Zuständigkeit gegeben ist, darf der schweizerische Scheidungsrichter ohne Verletzung der Verfassung vorsorgliche Massnahmen treffen. Daran vermögen im Ausland erwirkte Statusänderungen, die bereits im schweizerischen Zivilstandsregister eingetragen sind, nichts zu ändern, weil der Scheidungsrichter die Einträge nach
Art. 42 Abs. 1 ZGB
i.V.m.
Art. 51 und 55 ZStV
nötigenfalls berichtigen kann (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 258
BGE 126 III 257 S. 258
Mit Urteil des Amtsgerichts H. vom 15. September 1999 wurden A.A. (Klägerin) und M.S. (Beklagter), die sich 1995 in Jordanien verheiratet hatten, geschieden. Zwischen den Parteien ist zur Zeit das Appellationsverfahren vor dem Obergericht des Kantons Luzern hängig, in dem über die internationale Zuständigkeit der Luzerner Gerichte gestritten wird. Der Präsident des Amtsgerichts H. hatte mit Entscheid vom 27. Februar 1998 im Verfahren nach Art. 145 aZGB die 1996 geborene Tochter der Parteien unter die Obhut der Klägerin gestellt und dem Beklagten ein Besuchsrecht gewährt. Schliesslich wurde der Beklagte verpflichtet, der Klägerin monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'600.- für diese selbst und von Fr. 700.- zuzüglich Kinderzulage für das Kind zu entrichten (Dispositiv-Ziff. 4). Auf Rekurs des Beklagten bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 4. Mai 1998 die erstinstanzlich festgesetzten Unterhaltsbeiträge.
Der beklagte M.S. ersuchte das Obergericht, Dispositiv-Ziff. 4 des amtsgerichtlichen Entscheids vom 27. Februar 1998 aufzuheben, A.A. persönlich keinen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen und denjenigen für die Tochter auf Fr. 300.- im Monat herabzusetzen.
BGE 126 III 257 S. 259
Mit Entscheid vom 6. März 2000 wies die Instruktionsrichterin des Obergerichts des Kantons Luzern das Gesuch ab.
Die staatsrechtliche Beschwerde von M.S., mit der er hauptsächlich die Aufhebung des obergerichtlichen Renten- und Kostenentscheids beantragt hat, bleibt erfolglos u. a.
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
4.
b) Weiter hält der Beschwerdeführer dem angefochtenen Entscheid entgegen, es sei willkürlich nicht auf die verbindlichen Eintragungen im Zivilstandsregister der Wohnsitzgemeinde abgestellt worden. Aus den Beweis im Sinne von
Art. 9 ZGB
schaffenden Registereinträgen gehe nämlich hervor, dass er von der Beschwerdegegnerin 1998 in Jordanien geschieden worden sei und sich dort 1999 erneut mit einer Jordanierin verheiratet habe.
Die Anerkennung eines ausländischen Urteils kann unter anderem von der Frage abhängen, ob das ausländische Verfahren vor dem in der Sache identischen schweizerischen rechtshängig gemacht worden ist. Denn danach richtet sich die Zuständigkeit im internationalen Verhältnis (
Art. 9 und 25 lit. a IPRG
(SR 291);
BGE 124 III 83
E. 5a und 5b;
BGE 123 III 414
E. 6c und 6d;
BGE 118 II 188
E. 3b).
Art. 29 Abs. 3 IPRG
sieht vor, dass über die Anerkennung die angerufene inländische Behörde vorfrageweise befinden kann, wobei sich das Gesetz nicht dazu äussert, in welchem Stadium des schweizerischen Verfahrens diese Frage beurteilt werden muss. In der Literatur wird mehr oder weniger deutlich die Auffassung vertreten, dafür stehe primär das Verfahren über die Hauptsache, vorliegendenfalls das Scheidungsverfahren zur Verfügung (VOLKEN, in: IPRG-Kommentar, N. 37 und 39 zu
Art. 25 IPRG
sowie N. 7 und 9 zu
Art. 29 IPRG
; BERTI/SCHNYDER, Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, N. 14 f. zu
Art. 29 IPRG
; SIEHR, Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, N. 14 zu
Art. 65 IPRG
; DUTOIT, Droit international privé suisse, Commentaire de loi fédérale du 18 décembre 1987, 2. Auflage 1997, N. 1 zu
Art. 29 IPRG
und N. 2 zu
Art. 65 IPRG
). Vor diesem Hintergrund ist denn auch
Art. 62 Abs. 1 IPRG
zu sehen, wonach in der Schweiz Massnahmen so lange angeordnet werden dürfen, als die Unzuständigkeit des schweizerischen Richters nicht offensichtlich oder nicht rechtskräftig festgestellt ist; der Inhalt der Massnahmen richtet sich nach
Art. 137 ZGB
, bzw. vor dessen Inkrafttreten nach Art. 145 aZGB (
Art. 62 Abs. 2 IPRG
;
BGE 116 II 97
E. 5; DUTOIT, a.a.O. N. 1 f. zu
Art. 62 IPRG
; VOLKEN, a.a.O. N. 3 bis 6
BGE 126 III 257 S. 260
und 8 zu
Art. 62 IPRG
; SIEHR, a.a.O. N. 5 f. und 9 zu
Art. 62 IPRG
). Zweifel an der schweizerischen Zuständigkeit genügen nach dem Gesagten nicht, die Kompetenz des Massnahmerichters hinfällig werden zu lassen (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 1993 i.S. C., E. 4b; vgl.
BGE 122 III 213
E. 3 f. und
BGE 116 II 97
E. 4b). Somit hilft dem Beschwerdeführer der Hinweis, dass die 1998 in Jordanien vollzogene Scheidung und die dort 1999 geschlossene Ehe im Zivilstandsregister bereits eingetragen sind (vgl.
BGE 122 III 344
zu
Art. 32 IPRG
), im Massnahmeverfahren nicht weiter. Denn das Zivilstandsregister schafft keinen unumstösslichen Beweis (
Art. 9 ZGB
i.V.m. Art. 27 f. der Zivilstandsverordnung vom 1. Juni 1953 [ZStV, SR 211.112.1]). Wie dem erstinstanzlichen Scheidungsurteil entnommen werden kann, hat die Beschwerdegegnerin hinreichend glaubhaft gemacht (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, N. 1 und N. 23 zu
Art. 137 ZGB
; LEUENBERGER, Praxiskommentar Scheidungsrecht, herausg. von I. Schwenzer, N. 55 zu
Art. 137 ZGB
; vgl. allgemein
BGE 118 II 376
E. 3 und
BGE 118 II 378
E. 3b S. 381 zu Art. 145 aZGB und zum innerstaatlichen Zuständigkeitsstreit
BGE 83 II 491
E. 1), dass das jordanische Scheidungsurteil, das in der Schweiz wohl gemäss
Art. 133 und 137 ZStV
eingetragen worden ist, möglicherweise nicht anerkannt werden kann. Diesfalls müsste die vom schweizerischen Richter bislang noch nicht ausgesprochene Scheidung eingetragen bzw. müssten die bestehenden Einträge berichtigt werden, weil die von den Registerbehörden vorgenommenen Eintragungen den richterlichen Entscheid in der Hauptsache nicht zu präjudizieren vermögen (
Art. 42 Abs. 1 ZGB
und Art. 45 Abs. 1 aZGB;
Art. 51 und 55 ZStV
;
BGE 117 II 11
E. 4,
BGE 91 I 364
E. 5 S. 373). Der Beschwerdeführer meint, es sei auf die bestehenden Einträge abzustellen, und will das ihm genehme Resultat vorweggenommen wissen, was offensichtlich nicht angeht. Er verkennt weiter, dass ein in der Schweiz gefälltes Scheidungsurteil erst eingetragen werden kann, wenn es rechtskräftig geworden ist (
Art. 130 Abs. 1 Ziff. 4 und Abs. 2 ZStV
) mit der Folge, dass Scheidungen aus Ländern, die ein einfaches oder gar kein eigentliches Scheidungsverfahren kennen, durch die Registerbehörden regelmässig früher eingetragen werden können als die vom schweizerischen Richter ausgesprochenen.
Im Übrigen begründet der Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
), weshalb nicht glaubhaft gemacht sein soll, dass das ausländische Scheidungsurteil möglicherweise nicht
BGE 126 III 257 S. 261
anerkannt werden kann, und weshalb diese Frage uneingeschränkt im Massnahmeverfahren und nicht entsprechend den kantonalen Instanzen im Sachverfahren geprüft werden soll. Schliesslich behauptet er nicht einmal, die Beschwerdegegnerin sei von der Aufsichtsbehörde angehört worden, bevor diese die Eintragungen verfügt habe, oder in Jordanien seien die Parteirechte der Beschwerdegegnerin gewahrt worden (
Art. 32 Abs. 1 und 3 IPRG
;
Art. 137 ZStV
). | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b620548b-a66b-4e23-83bf-9c0732bd0a3d | Urteilskopf
81 IV 29
5. Urteil des Kassationshofes vom 10. Januar 1955 i.S. Widmer gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell-A.Rh. | Regeste
Art. 164 Ziff. 1 und 165 Ziff. 2 StGB
gelten gegenüber dem auf Pfändung betriebenen Schuldner, auch wenn er der Konkursbetreibung unterlag (Fälle des
Art. 43 SchKG
); sie gelten dagegen nicht, wenn der Konkurs eröffnet worden ist, obwohl der Schuldner der Betreibung auf Pfändung unterlag (Fälle der
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 und 191 SchKG
). | Sachverhalt
ab Seite 29
BGE 81 IV 29 S. 29
Das Obergericht des Kantons Appenzell-A.Rh. erklärte am 25. Oktober 1954 in einem von Amtes wegen eingeleiteten Strafverfahren den der Betreibung auf Pfändung unterliegenden August Widmer, der sich zahlungsunfähig erklärt hatte und über den daher gemäss
Art. 191 SchKG
am 5. August 1952 der Konkurs eröffnet worden war, des leichtsinnigen Konkurses und des Betruges schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten.
Widmer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Verurteilung wegen leichtsinnigen Konkurses sei aufzuheben und er sei in diesem Punkte freizusprechen. Er anerkennt, dass er seine Zahlungsunfähigkeit durch argen Leichtsinn und grobe Nachlässigkeit in der Ausübung seines Berufes herbeigeführt und dass er seine Vermögenslage im Bewusstsein seiner Zahlungsunfähigkeit verschlimmert habe, macht jedoch wie schon im kantonalen Verfahren geltend, gemäss
Art. 165 Ziff. 2 StGB
habe er, weil kein Gläubiger Strafantrag gestellt habe, nicht verfolgt und bestraft werden dürfen.
BGE 81 IV 29 S. 30
Die Justizdirektion des Kantons Appenzell-A.Rh. hält die Beschwerde für unbegründet.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die in
Art. 165 Ziff. 1 StGB
umschriebenen Vergehen des leichtsinnigen Konkurses und des Vermögensverfalles ziehen Strafe nach sich, wenn über den Schuldner "der Konkurs eröffnet oder gegen ihn ein Verlustschein ausgestellt worden ist". Der französische und der italienische Text ergeben keinen abweichenden Sinn. Strafbarkeitsbedingung ist darnach alternativ die Eröffnung des Konkurses oder die Ausstellung eines Verlustscheines, und zwar ohne Unterschied, ob der Schuldner der Konkursbetreibung unterlegen, d.h. in einer der in
Art. 39 SchKG
erwähnten Eigenschaften im Handelsregister eingetragen gewesen sei. Strafbar wird also in den Fällen der
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 und
Art. 191 SchKG
auch der der Betreibung auf Pfändung unterliegende Schuldner schon mit der Eröffnung des Konkurses, nicht erst mit der Ausstellung eines Verlustscheines, und anderseits kann der der Betreibung auf Konkurs unterliegende Schuldner, gegen den für eine in
Art. 43 SchKG
genannte Forderung in einer Betreibung auf Pfändung ein Verlustschein erlangt wird, sich der Strafe nicht mit dem Einwande entziehen, er unterliege der Konkursbetreibung, doch sei gegen ihn der Konkurs nicht eröffnet worden.
Es liegt daher nahe anzunehmen, dass auch die Ziff. 2 des
Art. 165 StGB
, wonach in gewissen Fällen die Strafverfolgung nur auf Antrag eines Gläubigers eintritt, der gegen den Schuldner einen Verlustschein erwirkt hat, nicht darauf sieht, ob der Schuldner der Konkursbetreibung oder der Betreibung auf Pfändung unterlag, sondern darauf, ob gegen ihn der Konkurs eröffnet oder vielmehr in einer Betreibung auf Pfändung ein Verlustschein ausgestellt worden ist. Das spricht für die Richtigkeit des deutschen und des italienischen Textes, wonach das Antragserfordernis "gegenüber dem auf Pfändung betriebenen Schuldner"
BGE 81 IV 29 S. 31
bzw. für die Verfolgung des "debitore escusso in via di pignoramento" gilt.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass das Kriterium des französischen Textes, der vom "débiteur soumis à la poursuite par voie de saisie" spricht, auch in
Art. 164 Ziff. 1 StGB
verwendet werde. Auch in der letzteren Bestimmung stimmen die drei Texte nicht überein, da nur der deutsche mit der Wendung "der der Betreibung auf Pfändung unterliegende Schuldner" dem französischen entspricht, während der italienische den "debitore escusso in via di pignoramento" strafbar erklärt. Der italienische Text entspricht hier dem Sinn des Gesetzes besser. Der den Pfändungsbetrug normierende
Art. 164 StGB
ist das Gegenstück zu dem den betrügerischen Konkurs betreffenden Art. 163. Das Kriterium für die Anwendbarkeit der einen oder der anderen Bestimmung muss also ein und dasselbe sein, weil sonst Unstimmigkeiten entstünden. Art. 163 Ziff. 1 sieht es darin, dass über den Schuldner der Konkurs eröffnet worden ist; denn die Bestimmung spricht nicht etwa von dem der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner, sondern vom Schuldner schlechthin, und zwar in allen drei Texten übereinstimmend. Somit muss Art. 164 Ziff. 1 für den Schuldner gelten, gegen den in einer Betreibung auf Pfändung ein Verlustschein ausgestellt worden ist, und nur für ihn. Schuldner, die der Betreibung auf Pfändung unterliegen, gegen die jedoch gemäss
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 oder
Art. 191 SchKG
der Konkurs eröffnet wird, würden sonst zwar vor der Ausstellung eines Konkursverlustscheins nur von Art. 163 Ziff. 1, nachher aber ausserdem von
Art. 164 Ziff. 1 StGB
erfasst, während Schuldner, die der Konkursbetreibung unterliegen, aber in einer Betreibung auf Pfändung den Gläubiger einer unter
Art. 43 SchKG
fallenden Forderung zu Verlust kommen lassen, unter Art. 164 Ziff. 1 sowenig wie unter
Art. 163 Ziff. 1 StGB
fielen. Dass der Gesetzgeber eine solche Unstimmigkeit gewollt habe, ist umsoweniger denkbar, als er in
Art. 165 Ziff. 1 StGB
den Weg zu einer Lösung, die
BGE 81 IV 29 S. 32
sowohl allen Fällen der Konkurseröffnung als auch allen Fällen der Ausstellung von Pfändungsverlustscheinen Rechnung trägt und daher allein vernünftig sein kann, gefunden hat. Die Wendung "der der Betreibung auf Pfändung unterliegende Schuldner" ("le débiteur soumis à la poursuite par voie de saisie") in Art. 164 Ziff. 1 kann darauf zurückgeführt werden, dass die dem italienischen Text entsprechende Wendung "der auf Pfändung betriebene Schuldner" die Meinung hätte aufkommen lassen, der Schuldner müsse zur Zeit der Tat betrieben gewesen sein, was keineswegs der Sinn der Bestimmung ist. Richtigerweise hätte im ersten Absatz von Art. 164 Ziff. 1 einfach vom Schuldner gesprochen und im vierten Absatz gesagt werden sollen: "... wenn gegen ihn in einer Betreibung auf Pfändung ein Verlustschein ausgestellt worden ist ..."
2.
Der Grundgedanke, der dazu geführt hat, in Art. 165 Ziff. 2 die Strafverfolgung von einem Antrag abhängig zu machen, bestätigt, dass ein solcher immer dann nötig ist, wenn der Schuldner auf Pfändung betrieben worden ist, auch wenn er der Betreibung auf Konkurs unterlag, und dass die Strafverfolgung immer dann von Amtes wegen stattzufinden hat, wenn der Konkurs eröffnet worden ist, auch wenn der Schuldner der Betreibung auf Pfändung unterlag. Das Antragserfordernis wurde eingeführt, um den Betreibungsbeamten der Pflicht zu entheben, in jedem Falle der Ausstellung eines Pfändungsverlustscheines zu prüfen, ob gegen den Schuldner Strafanzeige einzureichen sei; man fand, die Fälle fruchtloser Pfändungen seien zu häufig, während im Konkurs die Verhältnisse von Amtes wegen genau geprüft werden könnten (Protokoll 2. ExpK 4116 f. Voten Zürcher und Gautier).
Ausserdem rechtfertigt sich im Konkurs die Prüfung von Amtes wegen deshalb, weil hier der Schaden in der Regel grösser ist als in einer Betreibung auf Pfändung, und weil er gewöhnlich viele Gläubiger trifft. Unter diesem Gesichtspunkt kann entgegen der Auffassung des zürcherischen Obergerichts (SJZ 42 365 Nr. 139) nichts darauf
BGE 81 IV 29 S. 33
ankommen, ob der Schuldner der Konkursbetreibung oder der Betreibung auf Pfändung unterlag; die "schärfere strafrechtliche Erfassung", eben durch Verfolgung von Amtes wegen, rechtfertigt sich, weil es, gleichgültig wie, zum Konkurs gekommen ist.
Auch ist zu bedenken, dass im Konkurse alle Gläubiger in der gesetzlichen Rangordnung (
Art. 219 SchKG
) aus dem Vermögen des Schuldners gleichmässig zu befriedigen sind. Die Strafverfolgung in gewissen Fällen von Konkurs vom Antrag eines Gläubigers abhängen lassen, hiesse dem Markten zwischen dem Schuldner und einzelnen Gläubigern um die Unterlassung oder den Rückzug eines Strafantrages Tür und Tor öffnen. Einzelne Gläubiger könnten leicht in Versuchung kommen, durch Androhung oder Einreichung eines Strafantrages den Schuldner zur Einräumung besonderer Vorteile zu bewegen, die sich mit dem Gedanken der Gleichbehandlung aller Gläubiger schlecht vertrügen.
Dass die Aussicht, von Amtes wegen verfolgt zu werden, den Schuldner davon abhalten kann, sich zahlungsunfähig zu erklären, ist kein Grund zu einer anderen Auslegung des Gesetzes. Gewiss mag so ein Schuldner einmal davon abgehalten werden, vom Rechte des
Art. 191 SchKG
Gebrauch zu machen, obschon gewisse Gläubiger - nicht notwendigerweise alle - ein Interesse am Konkurse hätten. Darauf kann jedoch nicht Rücksicht genommen werden; indem
Art. 191 SchKG
es ins Belieben des Schuldners stellt, sich zahlungsunfähig zu erklären oder nicht, hat das Gesetz die Interessen von Gläubigern, die die Durchführung eines Konkurses wünschen könnten, bewusst übergangen. Es ist auch nicht stossend, den Schuldner, der sich zahlungsunfähig erklärt hat, von Amtes wegen zu verfolgen, während er ohne seinen Schritt nur auf Antrag hätte verfolgt werden können; denn der nicht der Konkursbetreibung unterliegende Schuldner wird sich nur dann zahlungsunfähig erklären, wenn er darin für sich einen Vorteil sieht, namentlich weil er auf Grund der im Konkurse
BGE 81 IV 29 S. 34
ausgestellten Verlustscheine nur unter der Voraussetzung des
Art. 265 Abs. 2 SchKG
wieder betrieben werden kann. Den Nachteil der Verfolgung von Amtes wegen hat er in Kauf zu nehmen.
Der Beschwerdeführer ist somit zu Recht von Amtes wegen verfolgt worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b6235489-2e94-4ad3-ac21-9baf508330c7 | Urteilskopf
141 II 318
24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kantonales Steueramt St. Gallen gegen Erben des A.A. sel. und B.A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_309/2014 vom 16. Juli 2015 | Regeste
Art. 3 Abs. 3 Satz 1 StHG
; Zusammenrechnung von Einkommen und Vermögen der Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben; gemeinsame Steuerpflicht am Nebensteuerdomizil.
Wenn Eheleute in ungetrennter Lebensgemeinschaft leben und am Hauptsteuerdomizil der Haushaltsbesteuerung unterliegen, so drängt sich für ein solches Ehepaar eine gemeinsame Steuerpflicht der Gatten am Nebensteuerdomizil auf, und zwar auch für den Fall, dass nur einer der beiden Partner dort wirtschaftliche Anknüpfungspunkte hat (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 318
BGE 141 II 318 S. 318
A.
B.A. war Alleineigentümerin einer Liegenschaft in V., welche sie am 30. Juni 2011 verkaufte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann A.A., der am 2. August 2011 verstarb, wohnte sie in U.
BGE 141 II 318 S. 319
Mit Einspracheentscheid vom 6. Juni 2012 besteuerte das Kantonale Steueramt St. Gallen B.A. und die Erben des A.A. infolge wirtschaftlicher Zugehörigkeit für die Steuerperiode 2011 (bis zum 2. August) mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 32'200.-, das es für die Satzbestimmung hochrechnete (* 360 Tage/212 Tage). Zusammen mit den übrigen Einkünften aus dem Hauptsteuerdomizil-Kanton Zürich ergab sich daraus ein satzbestimmendes Einkommen von Fr. 177'200.-.
B.
Dagegen gelangten die Betroffenen an die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, welche ihren Rekurs am 11. Dezember 2012 guthiess: Sie hob den Einspracheentscheid auf, soweit er die Erben des A.A. betraf, weil dieser mangels wirtschaftlicher Zugehörigkeit im Kanton St. Gallen nicht steuerpflichtig gewesen sei. In Bezug auf B.A. wies die Rekurskommission die Angelegenheit zu neuer Veranlagung an das Kantonale Steueramt zurück, da für die im Kanton St. Gallen selbständig steuerpflichtige Betroffene keine unterjährige Steuerpflicht bestehe.
C.
Gegen diesen Rekursentscheid erhob das Kantonale Steueramt erfolglos Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen.
D.
Das Kantonale Steueramt St. Gallen hat am 31. März 2014 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht. Es beantragt, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 2014 aufzuheben und den Einspracheentscheid vom 6. Juni 2012 zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Im vorliegenden Fall erzielte der verstorbene Ehemann - im Gegensatz zu seiner Gattin - im Kanton St. Gallen kein steuerbares Einkommen. Die Eheleute lebten aber in ungetrennter Lebensgemeinschaft und unterlagen am Hauptsteuerdomizil der Haushaltsbesteuerung. Deswegen erwog das Kantonale Steueramt, für ein solches Ehepaar dränge sich eine gemeinsame Steuerpflicht der Gatten am Nebensteuerdomizil auf, und zwar auch für den Fall, dass nur einer der beiden Partner dort wirtschaftliche Anknüpfungspunkte habe; deshalb sei auch der Ehemann Steuersubjekt im Kanton St. Gallen. Dagegen urteilten die kantonalen Rechtsmittelinstanzen, die
BGE 141 II 318 S. 320
Gatten seien in einem solchen Fall selbständig und getrennt - im Sinne einer Individualbesteuerung - zu veranlagen.
2.2
Einkommen und Vermögen der Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, werden ohne Rücksicht auf den Güterstand zusammengerechnet (sog. Faktorenaddition; Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]; siehe auch Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642. 11]; damit übereinstimmend: Art. 20 Abs. 1 des Steuergesetzes des Kantons St. Gallen vom 9. April 1998 [StG/SG; sGS 811.1]). Auf diese Gesetzesbestimmungen stützt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichts:
2.2.1
Die Besteuerung des Ehepaars als Einheit betrifft nicht nur die Bemessungsgrundlage, sondern auch die Steuerpflicht; insofern besteht eine gegenseitige Wechselwirkung (
BGE 128 I 317
E. 2.2.4 S. 324; DANIEL DE VRIES REILINGH, La double imposition intercantonale, 2. Aufl. 2013, S. 78). Aus der Haushaltsbesteuerung lässt sich somit die Steuerpflicht beider Eheleute in einem Kanton begründen, auch wenn an sich nur ein Ehepartner in diesem Kanton steuerbares Einkommen erzielt bzw. Vermögen hat. Das gilt von Gesetzes wegen bei unbeschränkter wie bei beschränkter Steuerpflicht (
BGE 128 I 317
E. 2.2.4 S. 324).
Dieser Zusammenrechnung von Einkommen und Vermögen der Eheleute liegt der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen (Gesamt-)Leistungsfähigkeit zugrunde (
Art. 127 Abs. 2 BV
; vgl. auch XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2012, § 6 Rz. 33; HÖHN/WALDBURGER, Steuerrecht, Bd. I, 2001, § 13 Rz. 16). Dementsprechend bilden die Ehegatten zivilrechtlich und wirtschaftlich eine gewisse Einheit, wobei sich die Leistungsfähigkeit des einen Partners auch nach dem Einkommen und Vermögen des anderen bestimmt. Somit ist die wirtschaftliche Lage eines einkommenslosen Ehepartners nicht mit derjenigen eines einkommenslosen Ledigen vergleichbar (
BGE 128 I 317
E. 2.1 S. 320; zum Ganzen auch, in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, mehrere Stimmen in der Lehre: DE VRIES REILINGH, a.a.O., S. 79; REICH/BEUSCH, Entwicklungen im Steuerrecht, SJZ 2003 S. 277; HUGO CASANOVA, Rechtsprechung im 2002, ASA 73 S. 77 f.).
2.2.2
Bei Tod eines Gatten endet die Ehe und somit auch die gemeinsame Steuerpflicht gemäss der Faktorenaddition. Das gilt
BGE 141 II 318 S. 321
sowohl bei beschränkter als auch bei unbeschränkter Steuerpflicht (
BGE 128 I 317
E. 2.2.4 S. 324). Der überlebende Ehegatte wird ab dem Todestag - bzw. ab dem darauf folgenden Tag - für den Rest der Steuerperiode separat zu dem für ihn anwendbaren Tarif veranlagt (Art. 5 Abs. 1 und 3 der Verordnung vom 16. September 1992 über die zeitliche Bemessung der direkten Bundessteuer bei natürlichen Personen [in der Fassung gültig bis 31.12.2013]; Kreisschreiben Nr. 30 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 21. Dezember 2010 betreffend Ehepaar- und Familienbesteuerung nach dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], 2. Aufl. 2014, Ziff. 1.2; CHRISTINE JAQUES, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, N. 26 zu
Art. 9 DBG
).
2.2.3
Anders präsentiert sich die Rechtslage, wenn nur ein Ehegatte in der Schweiz ansässig ist und der andere Partner sein Hauptsteuerdomizil im Ausland hat. Das Einkommen und Vermögen darf dann nicht zusammengerechnet werden, weil eine Zusammenrechnung im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 DBG
bzw.
Art. 3 Abs. 3 Satz 1 StHG
nur zulässig ist, wenn beide Eheleute der (schweizerischen) Steuerhoheit unterliegen. Für den in der Schweiz steuerpflichtigen Gatten besteht folglich eine selbständige Steuerpflicht. Lediglich zur Satzbestimmung wird - unter Anwendung des Verheiratetentarifs - auf das eheliche Gesamteinkommen abgestellt. Das gilt bei unbeschränkter Steuerpflicht nur eines der beiden Partner in der Schweiz aufgrund persönlicher Zugehörigkeit (PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, 1. Teil, 2001, N. 22 zu
Art. 9 DBG
; Kreisschreiben Nr. 30, a.a.O., Ziff. 2.1), aber auch, wenn diese schweizerische Steuerpflicht des einen Gatten eine beschränkte ist und aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit besteht (
BGE 75 I 385
, in: ASA 19 S. 22 und StR 5/1950 S. 252;
BGE 73 I 405
; SCHORNO/KLÖTI-WEBER, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Klöti-Weber/Siegrist/Weber [Hrsg.], 3. Aufl. 2009, N. 19 zu
§ 21 StG
/AG; Kreisschreiben Nr. 30, a.a.O., Ziff. 2.2).
2.3
Von diesen Grundsätzen weicht die Auffassung der Vorinstanz ab: Die bundesgerichtliche Rechtsprechung beruhe auf der überholten steuerrechtlichen Vorstellung, dass die eheliche Gemeinschaft regelmässig wirtschaftlich eine unzertrennliche Einheit bilde. Für seine Sichtweise einer getrennten Individualbesteuerung der Ehegatten bringt das Verwaltungsgericht mehrere Argumente vor, die aber nicht zu überzeugen vermögen:
2.3.1
Der vorinstanzliche Standpunkt steht zwar im Einklang mit der in der Lehre verschiedentlich vertretenen Meinung, wonach ein
BGE 141 II 318 S. 322
Ehegatte bei den kantonalen Steuern für jene Teile des Einkommens und Vermögens selbständig besteuert werde, für die nur er aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit gemäss
Art. 4 StHG
in einem Kanton steuerpflichtig sei (ISLER/SUTER, in: Interkantonales Steuerrecht, Zweifel/Beusch/Mäusli-Allenspach [Hrsg.], 2011, § 27 Rz. 26; KÄSTLI/TEUSCHER, in: Praxis-Kommentar zum Berner Steuergesetz, Kästli/Leuch/Langenegger [Hrsg.], Bd. 1, 2. Aufl. 2014, N. 18 zu
Art. 10 StG
/BE; REGULA LANZ-BAUR, Nun sag, wie hast du's mit der Religion?, StR 58/2003 S. 646; URS R. BEHNISCH, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2002 und 2003, ZBJV 141/2005 S. 518).
Das Verwaltungsgericht und diese Stimmen in der Lehre vernachlässigen dabei aber, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung sich direkt auf die massgeblichen Bestimmungen des anwendbaren Bundesrechts stützt und Bundesgesetze für das Bundesgericht sowie die anderen rechtsanwendenden Behörden verbindlich sind (
Art. 190 BV
[SR 101]). Die von der Vorinstanz verfochtene Individualbesteuerung wurde im Gesetzgebungsverfahren zur Steuerharmonisierung erörtert und ausdrücklich verworfen (Botschaft vom 25. Mai 1983 zu Bundesgesetzen über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkten Bundessteuern [Botschaft über die Steuerharmonisierung], BBl 1983 III 1, 21 Ziff. 142. 12). Eine allfällige Abkehr vom Grundsatz der steuerlichen Einheit des Ehepaars könnte somit einzig durch den Bundesgesetzgeber erfolgen.
2.3.2
Die Vorinstanz weist weiter darauf hin, dass die Ehepaarbesteuerung harmonisierungsrechtlich nur im Gesetzesartikel zur persönlichen Zugehörigkeit (d.h.
Art. 3 Abs. 3 StHG
) verankert sei, nicht jedoch in demjenigen zur wirtschaftlichen Zugehörigkeit (
Art. 4 StHG
).
Dagegen ist festzuhalten, dass die gesetzliche Regelung der Familienbesteuerung in
Art. 20 Abs. 1 StG
/SG (ebenso in
Art. 9 Abs. 1 DBG
) im Gegenteil den Schluss nahelegt, sie beziehe sich auf alle - weiter vorne im Gesetz geregelten - Formen der subjektiven Steuerpflicht. Auch
Art. 3 Abs. 3 StHG
sieht keine Ausnahme von der Einheit des Ehepaars vor (zum Beispiel für Einkünfte eines Gatten aus einem Nebensteuerdomizil). Separat besteuert werden nach dieser Bestimmung nur Erwerbseinkünfte des Kindes. Ein Nebeneinander von gemeinsamer und selbständiger Steuerpflicht für Ehegatten bei den
BGE 141 II 318 S. 323
kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern findet im Steuerharmonisierungsgesetz somit keine Stütze.
2.3.3
An der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist auch deshalb festzuhalten, weil die vorinstanzliche Auffassung materiellrechtlich mehrere unerwünschte Auswirkungen hätte:
Nach dem Konzept der Ehepaarbesteuerung sind die Verhältnisse der Gatten untereinander, namentlich der Güterstand, direktsteuerlich unerheblich (vgl.
Art. 9 Abs. 1 DBG
). Gemäss der Auffassung der Vorinstanz müssten die genauen Eigentumsverhältnisse der beiden Partner im Nebensteuerdomizil in jedem Einzelfall von den Steuerbehörden abgeklärt werden. Dabei würde aber nicht einleuchten, wieso sogar bei einem Miteigentumsanteil eines Gatten von nur 1 % an der Liegenschaft eine gemeinsame Veranlagung im Kanton des Nebensteuerdomizils stattfinden sollte, während im Fall von Alleineigentum des einen Partners eine getrennte Besteuerung zu erfolgen hätte.
Im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelung und der geltenden Rechtsprechung hat die Übertragung von Werten von einem Ehegatten auf den andern keine steuerlichen Auswirkungen (
BGE 128 I 317
E. 2.2.4 S. 324). Die Auffassung der Vorinstanz hätte hingegen zur Folge, dass bei einer vollständigen Übertragung von Vermögenswerten zwischen Ehegatten auch die subjektive Steuerpflicht wechseln würde. Für beide bestünde in letzter Konsequenz nach
Art. 4b Abs. 2 StHG
(in der Fassung gültig seit 1.1.2014) für die ganze Periode nebeneinander je eine Steuerpflicht aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit, was weder unter wirtschaftlichen noch unter steuerlichen Gesichtspunkten sachgerecht wäre.
Die Ehepaarbesteuerung gemäss
Art. 9 Abs. 1 DBG
führt weiter dazu, dass Einkommensverluste des einen Gatten mit Einkünften des anderen verrechnet werden können, ebenso wie - bei den kantonalen Vermögenssteuern - Schulden mit Vermögenswerten. Das hat den Vorteil, dass die steuerlichen Schranken innerhalb der Familie aufgehoben werden, wie der Bundesrat bereits im Gesetzesgebungsverfahren der Steuerharmonisierung betonte (Botschaft über die Steuerharmonisierung, a.a.O., S. 21 Ziff. 142.12; vgl. auch SCHORNO/KLÖTI-WEBER, a.a.O., N. 8 zu
§ 21 StG
/AG; LOCHER, a.a.O., N. 4 zu
Art. 9 DBG
). Um diesen anerkannten Vorteil nicht einzuschränken oder sogar aufzuheben, müssten bei einer selbständigen Steuerpflicht eines Ehepartners Verluste bzw. Gewinnungskostenüberschüsse, die
BGE 141 II 318 S. 324
der Gatte am Nebensteuerdomizil erleidet, doch wieder zur Verrechnung mit den am Hauptsteuerdomizil erzielten Einkünften zugelassen werden.
2.3.4
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts hätte auch auf verfahrensrechtlicher Ebene unsachgemässe Auswirkungen:
Das Steuerverfahrensrecht folgt ebenfalls dem Grundsatz, dass Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, die dem Pflichtigen zukommenden Verfahrensrechte und -pflichten gemeinsam ausüben (
Art. 113 Abs. 1 DBG
;
Art. 40 Abs. 1 StHG
). Wer der Steuerhoheit mehrerer Kantone unterliegt, kann seine Steuererklärungspflicht dadurch erfüllen, dass er eine Kopie der Steuererklärung des Wohnsitz- oder des Sitzkantons einreicht (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung vom 9. März 2011 über die Anwendung des Steuerharmonisierungsgesetzes im interkantonalen Verhältnis [SR 642. 141]). Der verwaltungsökonomische Vorteil, dass pro Steuerperiode schweizweit eine einzige Steuererklärung für alle Glieder der Familie genügt (vgl. Botschaft über die Steuerharmonisierung, a.a.O., S. 21 Ziff. 142.12), würde in Frage gestellt, wenn eine steuerpflichtige Person im selben Kalenderjahr im Kanton des Hauptsteuerdomizils für zwei unterjährige Perioden (gemeinsam mit dem Ehepartner) veranlagt würde, im Kanton des Nebensteuerdomizils aber (selbständig) für ein volles Kalenderjahr.
Im bestehenden System müssen beide Eheleute die Steuererklärung am Nebensteuerdomizil gemeinsam unterschreiben (bzw. der dortigen Behörde eine Kopie der gemeinsam unterschriebenen Steuererklärung des Hauptsteuerdomizils einreichen;
Art. 40 Abs. 2 Satz 1 StHG
); die Veranlagungsverfügung ist beiden Partnern gemeinsam zu eröffnen; auch der andere Gatte, der selbst keine Anknüpfungspunkte im Nebensteuerdomizilkanton hat, ist mitwirkungspflichtig und kann im Säumnisfalle einer Ermessensveranlagung unterzogen werden; der andere Partner kann gegen die Veranlagung (auch alleine) gültig Einsprache erheben (
Art. 113 Abs. 3 DBG
;
Art. 40 Abs. 3 StHG
); er haftet solidarisch für die Steuer usw. All dies wäre nicht der Fall, wenn der Auffassung der Vorinstanz gefolgt würde.
Zudem beendet der Tod des einen Ehepartners bundessteuerlich die gemeinsame Steuerpflicht beider Gatten für alle Einkünfte und Vermögenswerte, auch für eine Liegenschaft, die in einem andern Kanton als der Wohnsitz liegt (
Art. 8 Abs. 2 DBG
). Gemäss der Auffassung der Vorinstanz würde dagegen für die Staats- und
BGE 141 II 318 S. 325
Gemeindesteuern eine unterjährige Steuerpflicht im Nebensteuerdomizilkanton entfallen, weil dort nur der überlebende Partner steuerpflichtig wäre. Dann entstünde aber bei der zeitlichen Bemessung (nebst dem Auseinanderklaffen in horizontaler Hinsicht zwischen dem Haupt- und dem Nebensteuerdomizil) auch eine unerwünschte unterschiedliche Behandlung in vertikaler Hinsicht zwischen den kantonalen Steuern im Kanton des Nebensteuerdomizils und der direkten Bundessteuer: Während bundessteuerlich beide Eheleute für sämtliche Steuerfaktoren mitwirkungspflichtig sind (
Art. 113 Abs. 1 DBG
) und solidarisch für die Gesamtsteuer haften (
Art. 13 Abs. 1 DBG
), könnte sich die Steuerbehörde des Nebensteuerdomizilkantons hinsichtlich der kantonalen Steuern nur an den betreffenden Gatten wenden.
2.3.5
Schliesslich entstünden bei einer Abkehr von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Probleme bei der Ausscheidung von Schulden und Schuldzinsen im interkantonalen Verhältnis. Die Ausscheidung der Schuldzinsen wäre am Ort des Hauptsteuerdomizils aufgrund der Vermögenssituation jeweils am Ende der beiden unterjährigen Steuerperioden durchzuführen, am Nebensteuerdomizil aber nach den Verhältnissen am Ende des Kalenderjahrs. Das würde unweigerlich zu interkantonalen Besteuerungskonflikten oder -lücken führen.
2.4
Die Beschwerdegegner wehren sich dagegen, dass ihnen satzbestimmend Einkommen aufgerechnet werde, das sie infolge des Verkaufs der Liegenschaft gar nie erzielt hätten.
Dabei übersehen sie aber, dass die Hochrechnung des satzbestimmenden Einkommens auf 12 Monate nicht Folge des Verkaufs der Liegenschaft ist, sondern im Tod des Ehemannes bzw. im dadurch ausgelösten Ende der (gemeinsamen) Steuerpflicht der Eheleute gründet. Die Beschwerdegegnerin konnte auch nach dem Tod ihres Ehemanns - in der Steuerperiode 2011 (ab dem 3. August) - ihr Vermögen, das sie aus der Veräusserung der Liegenschaft erworben hatte, zinstragend oder sonst wie gewinnbringend anlegen und dadurch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigern.
Solche nach dem Todestag im gleichen Kalenderjahr erzielten Vermögenserträge fallen nicht in die vorliegend strittige unterjährige Steuerperiode. Würde die Steuer auf dem unterjährig ermittelten Einkommen zum ordentlichen Tarif berechnet, ergäbe sich ein Progressionsvorteil, da die Steuertarife auf eine ganzjährige
BGE 141 II 318 S. 326
Besteuerung ausgelegt sind (KÄSTLI/IFF, in: Praxis-Kommentar zum Berner Steuergesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 2014, N. 7 zu
Art. 71 StG
/BE). Die unterjährige Dauer der Steuerpflicht wird daher satzbestimmend kompensiert, und zwar mittels Umrechnung der vor Beendigung der Steuerpflicht erzielten (Mietzins-)Erträge auf eine Dauer von 12 Monaten. Ziel der Umrechnung ist es, ein der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechendes, repräsentatives Jahresergebnis zu ermitteln, das den anwendbaren Steuersatz bestimmt.
Eine unsachgemässe Schlechterstellung der Beschwerdegegner im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen liegt somit nicht vor. | public_law | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b62365ce-01e2-4239-be83-323d7326df39 | Urteilskopf
100 II 339
51. Arrêt de la Ire Cour civile du 17 décembre 1974 dans la cause Sierro et consorts contre Follonier | Regeste
Verjährung.
Art. 60 Abs. 2 OR
. Die strafrechtliche Verjährung im Sinne dieser Bestimmung ist die ordentliche Verjährung des
Art. 70 StGB
, nicht die absolute Verjährung des
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
, und der Geschädigte kann sie nach den Vorschriften des Zivilrechtes unterbrechen (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 1).
Beginn der Verjährungsfrist des
Art. 127 OR
hinsichtlich einer Klage, welche die Gesellschafter. gegen den geschäftsführenden Gesellschafter auf Grund der
Art. 549 OR
(Erw. 2a), 538 und 540 OR erhoben haben (Erw. 2b).
Art. 135 Ziff. 2 OR
. Voraussetzungen der Verjährungsunterbrechung, wenn der Gläubiger im Strafverfahren gegen den Schuldner als Zivilpartei auftritt (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 340
BGE 100 II 339 S. 340
A.-
En 1953, Arthur Sierro, Cyrille Bourdin, Edouard Mayoraz, Louis Tournier et Marcel Dayer, ainsi que Jean Follonier, ont formé une société simple. Ils ont chargé ce dernier de la comptabilité. La société a été dissoute en avril 1956. Le 26 mars de cette année, tous les associés sauf Dayer s'étaient joints à Edouard Rudaz pour fonder la société anonyme Entreprise générale SA, à Hérémence, en y apportant le matériel d'exploitation de la société simple, excepté la part revenant à Dayer.
Le 6 avril 1956, les associés ont chargé la fiduciaire Lemano SA de contrôler et de mettre à jour les comptes, Follonier n'ayant pas tenu une comptabilité claire et exacte de la société. Lemano SA, qui ne recevait pas toutes les pièces nécessaires, a résilié son mandat en 1958.
Le 9 octobre 1959, Sierro, Bourdin, Mayoraz et Tournier ont déposé contre Follonier une plainte pénale pour gestion déloyale où ils déclaraient en outre se constituer parties civiles. Ils ont encore invoqué plus tard l'abus de confiance. Le 15 février 1961, le juge-instructeur d'Hérens-Conthey a décidé l'ouverture d'une enquête pénale contre Follonier. Entendus le même jour, les plaignants ont confirmé leur constitution de parties civiles, mais en se réservant de fixer ultérieurement les montants réclamés au prévenu. Le 20 octobre 1965, le juge-instructeur a rendu une décision de nonlieu, en considérant que la prescription absolue de l'action pénale était intervenue sept ans et demi après le mois d'avril 1956. La décision réservait les droits des parties civiles. Un appel formé par celles-ci a été déclaré irrecevable le 16 février 1966.
B.-
Le 2 juin 1967, Sierro, Bourdin, Mayoraz et Tournier ont cité Follonier en conciliation. Par mémoire du 14 septembre 1967, ils ont conclu à l'établissement des comptes du consortium, Follonier devant verser à chacun des demandeurs sa part du bénéfice d'exploitation et de liquidation, part établie par voie d'expertise. Ils ont ensuite précisé leurs conclusions
BGE 100 II 339 S. 341
en demandant chacun le versement de sommes de l'ordre de 33 000 ou 42 000 fr., le défendeur étant seul débiteur de toutes autres dettes de la société, qui était déclarée dissoute.
Le défendeur a conclu au rejet de l'action, en invoquant la prescription.
Le Tribunal cantonal du Valais a débouté les demandeurs par jugement du 22 mars 1974, dont les motifs sont en bref les suivants:
Fondée sur les art. 548 et 549 CO, ainsi que sur les art. 538 et 540 CO, l'action est soumise à la prescription de dix ans de l'art. 127 CO, courant dès l'exigibilité, soit dès fin avril 1956 au plus tard. Selon l'art. 60 al. 1 CO, la prescription serait également intervenue dès le 1er mai 1966 dans la mesure où la demande reposerait sur les art. 41 ss. CO. L'art. 60 al. 2 CO n'est pas plus favorable aux demandeurs, les délits de gestion déloyale et d'abus de confiance retenus contre le défendeur, passibles de l'emprisonnement seulement, se prescrivant après un délai maximum de sept ans et demi, soit en octobre 1963. Enfin, ni la constitution de partie civile dans le procès pénal, ni la réserve des droits civils dans la décision de 1965 n'ont pu interrompre la prescription, du moment que les demandeurs n'ont pas formulé leurs prétentions civiles.
C.-
Les demandeurs recourent en réforme au Tribunal fédéral. Ils concluent à ce qu'il soit prononcé que leurs droits ne sont pas atteints par la prescription, le dossier étant renvoyé au Tribunal cantonal pour nouveau jugement dans le sens des considérants.
Le défendeur propose le rejet du recours.
Les demandeurs ont également formé un recours de droit public que le Tribunal fédéral a rejeté en tant qu'il était recevable, par arrêt de ce jour.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La créance qu'invoquent les demandeurs est de nature délictuelle dans la mesure où ils se prétendent victimes d'actes illicites du défendeur. A ce titre, elle est soumise à la prescription de l'art. 60 CO.
a) Les actes illicites qu'a pu commettre le défendeur l'ont été avant le 1er mai 1956, les associés ayant cessé toute activité en avril 1956, et les demandeurs en ont connu d'emblée
BGE 100 II 339 S. 342
l'auteur. En revanche, la connaissance du préjudice telle que l'exige la jurisprudence, c'est-à-dire des circonstances relatives à son existence, à sa nature et à ses éléments, propres à fonder et motiver une demande en justice (RO 93 II 502 s. consid. 2 et les arrêts cités, 96 II 41 consid. 2 a), fait - encore actuellement - défaut. Le défendeur ne peut dès lors se prévaloir de la prescription annale de l'art. 60 al. 1 CO. Seule entre en considération la prescription décennale, qui a commencé à courir à partir du dernier acte, soit au plus tard le 1er mai 1956, et qui était donc acquise le 1er mai 1966, sauf interruption ou suspension.
b) L'art. 60 al. 2 CO déclare applicable à l'action civile la prescription de plus longue durée prévue par les lois pénales si les dommages-intérêts dérivent d'un acte pénalement punissable. La prescription pénale visée par cette disposition est la prescription ordinaire de l'art. 70 CP, dont la fin des agissements coupables détermine le point de départ (art. 71 CP) et dont le lésé peut interrompre le cours selon les règles du droit civil, et non pas la prescription absolue de l'art. 72 ch. 2 al. 2 CP, qui met fin à toute poursuite pénale en principe lorsque le délai de prescription ordinaire est dépassé de moitié (RO 97 II 140 s.). C'est donc à tort que le Tribunal cantonal fait état de la prescription absolue de sept ans et demi, pour les délits de gestion déloyale et d'abus de confiance. La prescription pénale subsidiaire de l'art. 60 al. 2 CO était en l'espèce de cinq ans (art. 70, 140 et 159 CP). Etant de moins longue durée que celle de l'art. 60 al. 1, elle n'entrait pas en considération (RO 90 II 434 s. consid. 4, 93 II 502).
2.
La créance invoquée est de nature contractuelle, et partant soumise en principe à la prescription décennale de l'art. 127 CO, dans la mesure où les demandeurs réclament au défendeur leur part au bénéfice éventuel en vertu de l'art. 549 CO. Il en va de même en tant qu'ils l'actionnent en dommages-intérêts pour cause de mauvaise gestion selon les art. 538 et 540 CO.
a) Pour les recourants, le point de départ du délai de dix ans coïnciderait non pas avec la dissolution de la société, comme l'admet le Tribunal cantonal, mais avec la fin de la liquidation, qui ne serait pas encore intervenue à ce jour.
Le jugement déféré constate que la société simple, qui n'avait fait l'objet d'aucun contrat écrit, a été dissoute en avril
BGE 100 II 339 S. 343
1956 par la volonté unanime des associés et qu'elle a cessé toute activité à ce moment. Tous les associés, sauf un qui a reçu sa part, ont apporté le matériel d'exploitation de l'entreprise à une société anonyme dont le capital-actions était essentiellement constitué par cet apport. Les demandeurs eux-mêmes ont déclaré en procédure qu'ils avaient dû verser le solde débiteur des comptes courants de la société simple auprès de la Banque cantonale du Valais et prendre en charge d'autres dettes sociales. Par le transfert des avoirs á une nouvelle société et le règlement des dettes, la liquidation de la société était accomplie; elle pouvait intervenir par actes concluants tout comme la fondation. L'action en liquidation était dès lors dénuée d'objet. Le droit des associés à la liquidation suppose en effet l'existence d'avoirs à partager, ainsi qu'un intérêt des demandeurs à la liquidation.(SIEGWART, n. 3 ad art. 548-550 CO). L'argument des recourants est ainsi mal fondé.
b) La prescription décennale de l'art. 127 CO court dès que la créance est devenue exigible (art. 130). S'agissant de l'obligation de réparer les conséquences d'une gestion fautive de l'associé gérant, l'exécution pouvait en être exigée immédiatement (art. 75 CO), c'est-à-dire dès l'achèvement de chaque acte préjudiciable. Selon la jurisprudence, le droit de réclamer des dommages-intérêts en raison de l'exécution imparfaite de l'obligation naît en même temps que le droit de demander l'exécution, la prescription courant indépendamment de la connaissance du dommage (RO 53 II 342 s., 87 II 158 ss. consid. 3, 163), sous réserve de causes d'interruption ou de suspension.
3.
Les recourants soutiennent qu'ils ont interrompu la prescription "par leur dénonciation pénale du 9 octobre 1959 et la déclaration formelle de se porter partie civile".
a) Aux termes de l'art. 135 ch. 2 CO, la prescription est interrompue, notamment lorsque le créancier fait valoir ses droits par une action devant un tribunal ou par une citation en conciliation.
En l'espèce, la citation en conciliation du 2 juin 1967 ne pouvait interrompre la prescription déjà acquise à cette date, que ce soit en vertu des art. 60 al. 1 ou 127 CO.
b) Les recourants considèrent avec raison que la notion de l'ouverture d'action est une notion de droit fédéral (RO 49 II 41,
BGE 100 II 339 S. 344
59 II 406; cf. aussi RO 89 II 307 consid. 4) et que le fait de se porter partie civile au procès pénal suffit en soi à interrompre la prescription (RO 60 II 202 in fine). Selon la jurisprudence, il faut entendre par ouverture d'action tout acte préparatoire ou introductif d'instance par lequel le demandeur requiert pour la première fois, dans une forme déterminée, la protection du juge pour faire valoir son droit (RO 42 II 103, 59 II 406 s.). Comme tout acte d'ouverture d'action, la constitution de partie civile au procès pénal doit être faite sous une forme déterminée, qui oblige le juge à procéder (RO 41 III 303, 60 II 202 s., 85 II 509 consid. 3 b). De même que la réserve des droits civils aux débats pénaux, elle n'interrompt pas la prescription lorsque le demandeur ne conclut pas devant l'autorité répressive au paiement de l'indemnité à laquelle il prétend ou à la constatation du fondement juridique de cette indemnité (RO 91 II 437 consid. 10 b). Le défendeur a en effet un intérêt juridique digne de protection à connaître la nature et l'importance des créances invoquées contre lui. En l'espèce, les recourants se sont bornés à annoncer leur demande en se portant parties civiles et en se réservant de fixer ultérieurement les montants réclamés au prévenu. Aussi longtemps qu'ils n'avaient pas fait connaître leurs prétentions, le juge pénal n'était pas tenu de procéder sur le plan civil. Le Tribunal cantonal n'a dès lors pas violé le droit fédéral en déniant à la déclaration des demandeurs le caractère d'un acte introductif d'instance. Le moyen tiré de l'interruption de la prescription doit ainsi être rejeté.
4.
Les recourants font encore valoir que tant qu'il n'y avait pas de jugement pénal définitif, ils ne pouvaient pas, sous peine de se voir opposer une exception de litispendance, introduire une action devant un tribunal civil; la prescription n'aurait dès lors pas pu courir aussi longtemps que durait l'action pénale.
Les recourants invoquent à tort l'art. 31 al. 2 de l'ancien code de procédure pénale du canton du Valais, du 24 novembre 1848. Le droit fédéral, soit l'art. 134 CO, régit de façon exhaustive l'empêchement et la suspension de la prescription. Il n'était nullement impossible aux demandeurs de faire valoir leur créance devant un tribunal suisse (art. 134 al. 1 ch. 6 CO), puisqu'ils avaient le choix entre deux juridictions suisses. Il leur était loisible de saisir le juge civil en tout
BGE 100 II 339 S. 345
temps, en renonçant à se porter parties civiles au procès pénal. La prescription de leur créance n'était dès lors pas suspendue pendant la durée de ce procès.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme le jugement attaqué. | public_law | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b624f649-3c1b-46e8-85bd-a7b4d68fc89d | Urteilskopf
88 IV 121
32. Urteil des Kassationshofes vom 27. November 1962 i.S. Brüniger gegen Bezirksamt Kreuzlingen. | Regeste
Art. 42 des BG über den Militärpflichtersatz.
Die Bezahlung des Militärpflichtersatzes kann nicht aus Glaubens- oder Gewissensgründen verweigert werden. | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 88 IV 121 S. 121
A.-
Brüniger hat den für das Jahr 1960 geschuldeten Militärpflichtersatz von Fr. 17.-, ungeachtet der an ihn ergangenen Mahnung und Verwarnung, aus religiösen und Gewissensgründen nicht bezahlt.
B.-
Die Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau verurteilte Brüniger am 8. September 1962 wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Ersatzabgabe gemäss Art. 42 des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 12. Juni 1959 zu zehn Tagen Haft.
BGE 88 IV 121 S. 122
C.-
Brüniger führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt seien, ist in der Nichtigkeitsbeschwerde selber darzulegen (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Beschwerde auf seine Eingaben und Vorbringen im kantonalen Verfahren verweist, ist darauf nicht einzutreten (
BGE 78 IV 60
und ständige Rechtsprechung).
2.
Der Beschwerdeführer kann die Nichtbezahlung des geschuldeten Militärpflichtersatzes nicht damit rechtfertigen, dass er sich auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit beruft. Die Bundesverfassung gewährleistet die Individualrechte nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung.
Art. 49 BV
, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit als unverletzlich erklärt (Abs. 1), legt denn auch ausdrücklich fest, dass die Glaubensansichten nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten entbinden (Abs. 5). Zu diesen gehört auch die Wehrpflicht (
Art. 18 BV
), die entweder durch persönliche Dienstleistung oder durch Bezahlung des Militärpflichtersatzes zu erfüllen ist (Art. 1 und 2 der Militärorganisation). Eine Befreiung ist nur in den gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen zulässig (
Art. 13 MO
; Art. 4 und 5 des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz); die Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist kein in den Gesetzen vorgesehener Befreiungsgrund. Der Dienstpflichtige, der den Militärdienst aus Gründen des Glaubens oder Gewissens verweigert, verletzt daher seine Pflichten als Staatsbürger und macht sich nach Art. 81 des Militärstrafgesetzes strafbar (vgl. Entscheidungen des Militärkassationsgerichts Bd. 6 Nr. 40 und 66). Die gleichen Erwägungen treffen auf den Ersatzpflichtigen zu, der die Bezahlung der Ersatzabgabe aus solchen Gründen verweigert, sofern die Voraussetzungen der Strafbestimmung
BGE 88 IV 121 S. 123
des Art. 42 des BG über den Militärpflichtersatz erfüllt sind, was im vorliegenden Falle mit Recht nicht bestritten wird.
3.
Der Beschwerdeführer hat seine Einwendungen schon im kantonalen Verfahren gemacht und ist daraufhin von den zuständigen Verwaltungsbehörden aufgeklärt und auf die Folgen der Verletzung seiner Ersatzpflicht aufmerksam gemacht worden. Er kann sich daher auch nicht auf Rechtsirrtum im Sinne des
Art. 20 StGB
berufen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b630696f-fefc-4b32-b0ee-097dc786df11 | Urteilskopf
84 II 221
31. Arrêt de la Ire Cour civile du 3 mars 1958 dans la cause Provins, fédération de producteurs de vins du Valais, contre la Société vinicole de Perroy SA | Regeste
Weinmarken.
1. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr massgebende Gesichtspunkte (Erw. 1).
2. Begriff der Sachbezeichnung. Die für Weine verwendeten Bezeichnungen "trois plannts" und "deux plants" sind Sachbezeichnungen (Erw. 2a).
3. Voraussetzungen der Schutzfähigkeit von Sachbezeichnungen als Fabrik- oder Handelsmarken (Erw. 2b).
4. Unlauterer Wettbewerb.
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
gewährt keinen Schutz für eine nach dem MSchG gemeinfreie Sachbezeichnung (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 221
BGE 84 II 221 S. 221
A.-
Provins, fédération de producteurs de vins du Valais, est une société coopérative qui a notamment pour but la vente en commun des vins produits par ses membres. Le 10 juin 1946, elle a déposé au Bureau fédéral de
BGE 84 II 221 S. 222
la propriété intellectuelle, sous numéro 115 811, une marque mixte, à la fois verbale et figurative, destinée à des vins valaisans issus d'un mélange de trois cépages. Parmi d'autres mdications, cette marque comprend la mention "trois plants" écrite en grands caractères. Sous forme d'étiquette, elle habille les bouteilles du vin blanc que Provins vend sous la dénomination "trois plants".
Le 6 août 1955, la Société vinicole de Perroy SA a déposé, sous numéro 158 126, une marque mixte destinée à un mélange comprenant un vin rouge et un vin blanc. Dans cette marque figure notamment l'indication "Vin de deux plants coupage rouge et blanc", les mots "deux plants" ressortant en caractères gras. La Société vinicole de Perroy SA appose sa marque à titre d'étiquette sur les bouteilles d'un coupage qu'elle met dans le commerce sous l'appellation "deux plants".
B.-
Estimant que la marque de la Société vinicole de Perroy SA ne se distinguait pas suffisamment de la sienne, Provins a actionné cette société devant le Tribunal cantonal vaudois. Elle invoquait à l'appui de sa demande la loi concernant la protection des marques de fabrique et de commerce ainsi que la loi sur la concurrence déloyale et elle concluait, en bref, à la radiation de la marque de la défenderesse, à ce que celle-ci se vît interdire d'utiliser l'appellation "vin de deux plants", à la destruction de tous les prix courants, étiquettes et autre matériel publicitaire portant cette mention, à la publication du jugement et, enfin, à ce que la défenderesse fût condamnée à lui payer 2000 fr. en principal à titre de dommagesintérêts.
La Société vinicole de Perroy SA a conclu au rejet de l'action.
Par jugement du 18 décembre 1957, le Tribunal cantonal vaudois a débouté la demanderesse de ses conclusions.
C.-
Provins recourt en réforme au Tribunal fédéral, en reprenant les conclusions qu'elle a formulées dans l'instance cantonale.
BGE 84 II 221 S. 223
L'intimée propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En vertu de l'
art. 6 LMF
, la marque dont le dépôt est effectué doit se distinguer, par des caractères essentiels, de toute marque déjà enregistrée, à moins qu'elle ne soit destinée à des produits d'une nature totalement différente. Pour vérifier si cette condition est remplie, il faut considérer isolément chacune des marques en présence et rechercher si elles peuvent prêter à confusion. Dans cet examen, on doit se fonder sur le degré d'attention qu'on peut attendre du cercle des acheteurs probables, en s'attachant à l'aspect général des marques et à l'impression qu'elles laissent dans le souvenir. Il faut notamment être plus sévère lorsque les marques en présence revêtent des produits identiques (RO 83 II 220 et les arrêts cités).
En l'espèce, il est constant que, si l'on excepte les mentions "trois plants" et "deux plants", les marques litigieuses sont complètement différentes l'une de l'autre. Mais ces indications sont mises en évidence par des caractères gras et se distinguent nettement du contexte et des éléments figuratifs. Elles constituent dès lors les éléments caractéristiques qui restent dans le souvenir des acheteurs. Aussi bien les parties elles-mêmes, dans leurs prix courants et leur matériel de propagande, appellent-elles simplement "trois plants" et "deux plants" les vins auxquels sont destinées les marques en présence (cf. RO 43 II 95, 64 II 248).
2.
La juridiction cantonale a considéré cependant que les termes "trois plants" et "deux plants" étaient du domaine public et que, dès lors, la marque de l'intimée ne portait pas atteinte aux droits de Provins.
a) Comme le Tribunal fédéral l'a déjà jugé, il n'y a pas d'imitation prohibée lorsque l'identité entre deux marques ne porte que sur des éléments qui, pris en eux-mêmes, sont du domaine public (RO 49 II 315, 83 II 218). C'est le cas s'il s'agit de signes descriptifs, qui indiquent notamment
BGE 84 II 221 S. 224
la nature, la composition ou les qualités des marchandises auxquelles ils se rapportent. Il ne suffit du reste pas d'une allusion quelconque; il faut que le rapport soit immédiat et ne requière ni association d'idées ni travail de réflexion (RO 83 II 218 et les arrêts cités). En revanche, un signe est descriptif dès que ces conditions sont remplies dans une des régions linguistiques de la Suisse; on ne saurait en effet protéger à titre de marque dans toute la Confédération un signe qui, sur une partie de ce territoire, doit être considéré comme faisant partie du domaine public (RO 82 I 51 et les arrêts cités).
Or le Tribunal cantonal a constaté qu'en Suisse romande, le mot "plant" appliqué à la vigne désigne un cep et qu'on l'utilise fréquemment comme synonyme de "cépage". C'est ainsi - dit-il - qu'on par le de "plant du Rhin" pour désigner un cépage de Johannisberg, ou de "plant de muscat" et de "plant de chasselas" pour indiquer de tels cépages; de façon générale, les vignerons, les commerçants et les amateurs de vin emploient souvent le terme de "plant" pour désigner une variété de vigne. Toutes ces constatations lient le Tribunal fédéral. Le dossier contient du reste de nombreuses étiquettes où le terme "plant" est effectivement employé dans le sens de "cépage" ("Vieux plants", "Aux vieux plants du Valais", "Plant du Rhin", etc.).
La recourante soutient cependant que "trois plants" est un signe de fantaisie, car elle n'offre pas à sa clientèle "un vin provenant d'un mélange de trois plants différents". Pour juger si cette allégation est exacte, il faut se fonder sur l'impression qu'aura l'acheteur moyen en lisant ou en entendant l'expression "trois plants" appliquée à un vin. Or, sachant que le terme "plant" désigne fréquemment une variété de vigne, il admettra tout naturellement que le vin en cause est un mélange et provient de trois cépages différents. Une telle conclusion sera immédiate; elle ne requiert en effet ni imagination ni travail de réflexion. Du reste, la recourante a d'abord partagé cette opinion, puisqu'elle a
BGE 84 II 221 S. 225
déposé sa marque pour "des vins valaisans issus d'un mélange de trois cépages" et qu'elle a encore déclaré dans sa demande: "Cette marque désigne un vin blanc valaisan, issu d'un mélange de trois cépages différents".
Provins relève toutefois que, à supposer que le signe "trois plants" indique que le vin provient de trois cépages, il ne précise en tout cas pas quelles sont ces variétés, de sorte qu'il pourrait servir à désigner des vins totalement différents; il ne saurait dès lors s'agir d'un signe descriptif. Cette argumentation est erronée. Pour qu'un signe soit descriptif, il n'est pas nécessaire qu'il précise la nature et la composition de la marchandise. Il suffit qu'il en indique une des qualités. C'est le cas des termes "trois plants", qui signifient que le vin auquel ils se rapportent provient de trois cépages différents. Dès lors, cette mention, de même que l'indication "deux plants", est un signe descriptif.
Du reste, l'
art. 336 al. 1 OCDA
statue que les indications relatives au cépage doivent être conformes à la réalité et exclure toute possibilité de confusion. Cette condition ne serait pas remplie si l'on permettait à Provins de tenir le signe "trois plants" pour une simple désignation de fantaisie. En effet, il induirait en erreur les nombreux acheteurs qui le considéreraient comme une mention descriptive et en concluraient qu'il désigne un mélange issu de trois cépages.
b) La recourante allègue cependant que, même si la mention "trois plants" est en soi un signe faible, elle s'est imposée dans les affaires par un usage suivi et prolongé et a ainsi acquis la force d'un signe original.
Ce raisonnement pèche déjà dans son premier élément. En effet, la mention "trois plants" n'est pas seulement un signe faible, c'est-à-dire une désignation dont le pouvoir distinctif est restreint. C'est un signe descriptif qui, utilisant des notions nécessaires au commerce, ne peut en principe être monopolisé par le titulaire d'une marque et fait dès lors partie du domaine public.
BGE 84 II 221 S. 226
Toutefois, le Tribunal fédéral a déjà jugé qu'un usage étendu et de longue durée peut imposer comme signe distinctif des produits d'une entreprise déterminée des désignations qui n'étaient pas susceptibles en elles-mêmes d'être protégées à titre de marques de fabrique ou de commerce. De tels signes doivent alors être admis comme marques, à moins qu'il ne s'agisse de notions dont le commerce ne peut se passer (RO 64 II 247/248).
En l'espèce, on peut se demander si la désignation "trois plants" n'est pas indispensable au commerce des vins. Mais il n'est pas nécessaire de résoudre cette question, car il n'est point établi que ces termes éveillent immédiatement dans les milieux intéressés l'idée d'un produit bien déterminé, savoir un vin de la recourante. Selon le Tribunal cantonal, en effet, Provins, à qui incombait le fardeau de la preuve sur ce point (RO 72 II 139), a seulement établi qu'elle avait utilisé la marque litigieuse de façon suivie dès 1946, que, pour le vin vendu sous cette marque, elle avait publié de nombreuses annonces publicitaires dans divers journaux et fait imprimer un important matériel destiné à la décoration des vitrines, qu'enfin, le débit de ce vin était assez grand. En revanche, les juges vaudois n'ont pas admis comme prouvés les chiffres indiqués par Provins au sujet de ses frais de publicité et des quantités de "trois plants" vendues. La recourante critique vainement ce dernier chef du jugement cantonal, qui relève de l'appréciation des preuves et lie par conséquent le Tribunal fédéral (
art. 63 al. 2 OJ
). Or les éléments de fait retenus par les premiers juges ne signifient nullement que la mention "trois plants" se soit imposée dans l'esprit des acheteurs comme désignation d'un vin de la recourante. Dans la mesure admise par le Tribunal cantonal, la publicité de Provins et la quantité de vin écoulée sous la dénomination "trois plants" ne dépassent pas ce qui est usuel dans l'exploitation d'une marque. En outre, la recourante n'a proposé aucune preuve pour établir l'influence qu'ont eue sur les consommateurs la publicité
BGE 84 II 221 S. 227
qu'elle a faite et l'emploi de la désignation "trois plants". On ne saurait donc admettre que cette dénomination éveille immédiatement, dans l'esprit des intéressés, l'idée d'un produit de la recourante. Dès lors, celle-ci n'a pas acquis un droit individuel sur cette désignation. Elle ne le prétend du reste pas, mais elle allègue simplement que sa marque "a nécessairement conquis une certaine notoriété". Or cela est insuffisant pour qu'un signe descriptif doive être protégé à titre de marque.
Ainsi, les désignations "trois plants" et "deux plants" font toutes deux partie du domaine public et ne peuvent être protégées. Comme l'analogie entre les deux marques litigieuses porte uniquement sur ces éléments, celle de l'intimée ne constitue pas une imitation prohibée de la marque de Provins. Dès lors, en tant que l'action était fondée sur la loi concernant la protection des marques, elle a été rejetée avec raison par la juridiction cantonale.
3.
La recourante invoque également la loi sur la concurrence déloyale et prétend qu'en utilisant la mention "deux plants", l'intimée a pris des mesures destinées ou de nature à faire naître une confusion avec le vin vendu sous la dénomination "trois plants" (art. 1er al. 2 litt. d LCD).
Mais, cette dernière désignation étant un signe descriptif, on ne peut, par le moyen de la loi sur la concurrence déloyale, interdire à autrui de l'utiliser ou de choisir une dénomination qui s'en rapproche. Chacun doit avoir la faculté de désigner ses marchandises en se servant d'expressions qui en indiquent la nature, les qualités, le but, etc., sans en être empêché par la marque d'un autre. Sinon on accorderait à celui-ci, par le détour de la loi sur la concurrence déloyale, une protection que la législation sur les marques lui refuse expressément (RO 80 II 174). En particulier, celui qui met dans le commerce un mélange issu de deux cépages différents doit pouvoir désigner ce produit par un terme qui en indique la composition. On ne saurait donc empêcher l'intimée d'utiliser la dénomination "deux plants".
BGE 84 II 221 S. 228
Provins soutient, il est vrai, que le vin de l'intimée est un coupage de qualité inférieure et que la société vinicole de Perroy SA a cherché pour cette raison à provoquer une confusion avec le "trois plants". Mais ce moyen n'est pas pertinent. Du moment que la mention "trois plants" est un signe descriptif, tout tiers peut l'utiliser pour indiquer notamment la nature ou les qualités de sa marchandise. Du reste, le produit que la recourante vend sous cette dénomination n'est pas non plus de qualité supérieure; c'est en effet le meilleur marché des vins qu'elle met dans le commerce. Ainsi, Provins invoque à tort la loi sur la concurrence déloyale et, sur ce point encore, son recours doit être rejeté.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme le jugement attaqué. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b632941c-2756-4430-b7e0-e4e4e81680df | Urteilskopf
88 IV 42
13. Entscheid der Anklagekammer vom 13. Februar 1962 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell A. Rh. | Regeste
Art. 263 BStP
.
Von der gesetzlichen Norm abweichende Bestimmung des Gerichtsstandes aus triftigen Gründen. Konkludente Anerkennung der Zuständigkeit durch Vornahme von Untersuchungshandlungen während einer verhältnismässig langen Zeit als triftiger Grund. | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 88 IV 42 S. 42
A.-
Schweizer wird einer grossen Zahl verschiedener strafbarer Handlungen (Veruntreuungen, Betrüge, Urkundenfälschungen) beschuldigt. Allein von der Firma ElectroNovelty in Lugano wurde gegen ihn unter anderem wegen 15 Veruntreuungen, begangen in den Kantonen Appenzell A. Rh., Aargau, Basel-Stadt, Bern und Luzern, Strafanzeige erstattet.
Die erste Anzeige wurde am 6. Juni 1959 wegen Betruges von Ernst Alder beim Polizeiamt Herisau eingereicht. Als das Verhöramt von Appenzell A. Rh. im August 1959 vernahm, dass die Firma Electro-Novelty gegen Schweizer in Basel Anzeige erstattet hatte, übermittelte es zwischen dem 13. August und dem 12. Oktober 1959 die Akten des Falles Alder der Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt. Schweizer, der sich damals in der Deutschen Bundesrepublik aufhielt, konnte erst nach längerer Zeit ausfindig gemacht und schliesslich am 10. August 1961 in Heilbronn verhaftet werden. Der von der Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt im Hinblick auf die Auslieferung erlassene Verhaftbefehl erwähnt auch den von Alder zur Anzeige
BGE 88 IV 42 S. 43
gebrachten Betrug. Die Auslieferung Schweizers an die Basler Behörden erfolgte am 16. November 1961.
Am 18. Januar 1962 wandte sich die Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt an das Verhöramt Trogen mit dem Begehren um Übernahme des Verfahrens, was die Behörden des Kantons Appenzell A. Rh. ablehnten.
B.-
Mit Eingabe vom 31. Januar 1962 ersucht die Basler Staatsanwaltschaft die Anklagekammer des Bundesgerichtes um Festsetzung des Gerichtsstandes im Kanton Appenzell A. Rh. Die Justizdirektion dieses Kantons beantragt demgegenüber, es seien die Behörden von Basel-Stadt weiterhin mit der Sache zu befassen.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Die beteiligten Behörden sind sich darüber einig, dass nach der gesetzlichen Norm (
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
) die Zuständigkeit der Appenzeller Behörden gegeben ist. Streit besteht lediglich mit Bezug auf die Frage, ob aus Zweckmässigkeitsgründen von der gesetzlichen Ordnung abzugehen und der Gerichtsstand in Basel-Stadt statt im Kanton Appenzell A. Rh. festzulegen sei.
2.
Beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen kann die Anklagekammer des Bundesgerichtes die Zuständigkeit anders als in
Art. 350 StGB
bestimmen (
Art. 263 BStP
). In ständiger Rechtsprechung hat sie indessen von dieser Befugnis nur Gebrauch gemacht, wenn triftige Gründe es geboten (
BGE 86 IV 63
und dort angeführte Entscheidungen).
Die Justizdirektion des Kantons Appenzell A. Rh. stellt sich auf den Standpunkt, die Behörden von Basel-Stadt hätten ihre Zuständigkeit anerkannt; obschon sie bereits im Jahre 1959 die Übernahme des Verfahrens hätten ablehnen können und müssen, hätten sie die Sache an die Hand genommen und mit der Durchführung der Untersuchung ihre eigene Zuständigkeit bestimmt.
Eine ausdrückliche Anerkennung des basel-städtischen Gerichtsstandes ist gegenüber den Behörden von Appenzell
BGE 88 IV 42 S. 44
A. Rh. nie erfolgt. Zwar trifft zu, dass der Kanton Basel-Stadt ein Auslieferungsverfahren eingeleitet hat, in welches auch der von Alder zur Anzeige gebrachte Betrug miteinbezogen war. Die Basler Behörden hatten jedoch die Pflicht, alle strafbaren Handlungen, die ihres Wissens dem Beschuldigten vorgeworfen wurden und als Auslieferungsdelikte in Betracht kamen, im Auslieferungsgesuch oder in dem diesem beigefügten Haftbefehl zu nennen. Auch kann ihnen nicht entgegenhalten werden, dass sie, als sie von der Verhaftung Schweizers erfuhren, sich unverzüglich um dessen Auslieferung bemühten, ohne zunächst noch die Gerichtsstandsfrage zur Entscheidung zu stellen. In diesem Zeitpunkt war rasches Handeln geboten.
Dagegen hätte die Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt zuvor genügend Zeit gehabt, um die Frage der Zuständigkeit endgültig zu klären. Zwischen dem Tage, an dem sie die Akten zum Betrugsfall Alder erhielt, und dem Eingang der Nachricht von der Verhaftung Schweizers liegen beinahe zwei Jahre. Dabei war für sie bereits im Oktober 1959 erkennbar, dass die Strafuntersuchung zuerst in Herisau angehoben wurde. Ihre Auffassung, dass Schweizer zuerst zu den einzelnen Fällen einvernommen werden musste, bevor überhaupt über den Gerichtsstand verhandelt werden konnte, steht in Widerspruch zu dem von der Anklagekammer in ständiger Rechtsprechung verfolgten Grundsatz, dass für die Bestimmung des Gerichtsstandes nicht die vom Beschuldigten begangenen, sondern die ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen massgebend sind (statt vielerBGE 74 IV 125). Unter diesem Gesichtspunkte aber waren die Aussagen, die Schweizer machen konnte, unerheblich und rechtfertigten keinesfalls einen Aufschub der Zuständigkeitsfrage. Dazu kommt, dass sich die Gesuchstellerin im Falle Alder selber nicht darauf beschränkte, die Auslieferung Schweizers abzuwarten, um diesen hierüber einvernehmen zu können. Vielmehr hat sie sich dreimal, nämlich am 13. Oktober 1959 sowie am
BGE 88 IV 42 S. 45
18. und 28. Dezember 1961, mit dem Verletzten telephonisch in Verbindung gesetzt, um von ihm bestimmte Auskünfte zu erhalten oder ihn zur Einreichung von Belegen einzuladen. Überdies teilte sie Alder auf dessen Anfrage betreffend den Stand der Untersuchung am 23. September 1961 unter anderem folgendes mit:
"Zur gegebenen Zeit wird der Verfahrensleiter noch an Sie gelangen, um zu erfahren, ob Sie im hängigen Verfahren gegen den Angeschuldigten eine Entschädigungsforderung geltend zu machen gedenken oder nicht, bzw. in welcher Höhe."
Inwiefern all diese Momente für die Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt von Interesse hätten sein sollen, wenn sie sich zur Behandlung des Falles nicht für zuständig gehalten hätte, ist nicht zu sehen. Es kann deshalb begründeterweise gesagt werden, die Gesuchstellerin habe durch eine Reihe von Handlungen konkludent ihre Zuständigkeit anerkannt (vgl. auch
BGE 85 IV 210
E. 3). Ihr Verhalten in der Zeit vom Oktober 1959 bis Dezember 1961 stellt einen triftigen Grund dar, von
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
abzuweichen und es bei dem Stand der Dinge bewenden zu lassen, der durch die stillschweigende Anerkennung ihrer Zuständigkeit geschaffen wurde.
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Behörden des Kantons Basel-Stadt werden berechtigt und verpflichtet erklärt, Schweizer für alle ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b63cc735-929f-42a5-89e8-ecdc569d9d61 | Urteilskopf
120 IV 169
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Juni 1994 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 12 und 125 StGB
; fahrlässige Körperverletzung, actio libera in causa.
Die Haftung unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa erfordert, dass der Täter im Zeitpunkt der vollen Schuldfähigkeit voraussehen konnte, er werde ein bestimmtes Delikt begehen. Der spätere Geschehensablauf muss für den Täter dabei mindestens in seinen wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs verneint bei einem alkoholisierten Fahrzeugführer, der sich durch das Fehlverhalten eines andern Verkehrsteilnehmers zu einer mit einer Körperverletzung endenden Verfolgungsjagd hat provozieren lassen. | Sachverhalt
ab Seite 170
BGE 120 IV 169 S. 170
A.-
B. fuhr am 26. April 1991, um ca. 22.30 Uhr, mit seinem Personenwagen "Mercedes Benz 350 SE" auf der Oberrohrdorferstrasse von Fislisbach in Richtung Oberrohrdorf. In Niederrohrdorf mündete ein unbekannter Personenwagen derart knapp vor ihm rechts auf die Hauptstrasse ein, dass er eine Vollbremsung machen musste. B. wendete sein Fahrzeug unverzüglich und nahm die Verfolgung des unbekannten Personenwagens auf. Er fuhr mit weit übersetzter Geschwindigkeit auf der Oberrohrdorferstrasse zurück in Richtung Baden und missachtete dabei sowohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 80 km/h als auch die signalisierte Höchstgeschwindigkeit innerorts von 60 km/h. Auf der Höhe des Fussballstadions Esp fuhr er mit grosser Heftigkeit auf einen vor ihm fahrenden Personenwagen auf, der wegen der nahen Einmündung in die Badenerstrasse seine Fahrt verlangsamte. Dieser Personenwagen kam aufgrund des Aufpralls von der Strasse ab und kollidierte mit einem Holzlattenzaun. Drei Personen, die sich im vorausfahrenden Auto befanden, erlitten ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule. Zehneinhalb Monate nach dem Unfall befanden sie sich immer noch in ärztlicher Behandlung. Bei einem Opfer besteht die Gefahr einer bleibenden Behinderung im Umfang von 20 Prozent.
B. wies zur Zeit der Tat eine Blutalkoholkonzentration von 2,09 - 2,32 Gewichtspromillen auf.
B.-
Am 12. März 1992 verurteilte das Bezirksgericht Baden B. wegen fahrlässiger Körperverletzung, Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand und weiterer SVG-Delikte zu 12 Monaten Gefängnis (unbedingt) und Fr. 2'000.-- Busse.
C.-
Auf Berufung von B. hin erkannte das Obergericht des Kantons Aargau am 4. November 1993 auf eine Strafe von zehn Monaten Gefängnis (unbedingt) und Fr. 2'000.-- Busse.
D.-
B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss
Art. 12 StGB
sind die Bestimmungen der
Art. 10 und 11 StGB
über die Unzurechnungsfähigkeit bzw. die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht anwendbar, wenn die schwere Störung oder die Beeinträchtigung des Bewusstseins vom Täter selbst in der Absicht herbeigeführt wurde, in diesem
BGE 120 IV 169 S. 171
Zustande die strafbare Handlung zu verüben. Das Gesetz umschreibt damit die vorsätzliche sogenannte actio libera in causa (d.h. das verantwortliche Ingangsetzen des Geschehensablaufs). Der Grundsatz ist aber auch anwendbar bei der fahrlässigen actio libera in causa: Die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit ist unbeachtlich, wenn der Täter in diesem Zustand eine fahrlässige Straftat begeht und die Tat für ihn zur Zeit, als er noch voll zurechnungsfähig war, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehbar war (vgl.
BGE 117 IV 292
E. 2 mit Hinweisen).
b) Die Vorinstanz hat in bezug auf das Fahren in angetrunkenem Zustand die volle Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa zu Recht und unangefochten bejaht. Zu prüfen ist somit einzig, ob für ihn zur Zeit, als er noch voll zurechnungsfähig war, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehbar war, er werde sich durch das Fehlverhalten eines andern Verkehrsteilnehmers zu einer mit einer Körperverletzung endenden Verfolgungsjagd provozieren lassen.
c) Für die Haftung unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa genügt es nicht, wenn für den Täter nur die Möglichkeit irgendeines nicht näher konkretisierten Deliktes vorauszusehen war. Die Haftung erfordert vielmehr, dass der Täter im Zeitpunkt der vollen Schuldfähigkeit voraussehen konnte, er werde ein bestimmtes Delikt begehen (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, § 11 N. 44). Dabei ist nicht notwendig, dass der Täter den späteren Geschehensablauf in allen seinen Einzelheiten voraussehen konnte. Mindestens in seinen wesentlichen Zügen musste er für ihn aber voraussehbar sein, da er sonst nicht die Pflicht haben konnte, sich darauf einzustellen (STRATENWERTH, a.a.O., § 16 N. 17; NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 3. Aufl., S. 223).
d) Die Vorinstanz legt dar, der Beschwerdeführer sei emotional unausgeglichen gewesen und habe zu Gefühlsausbrüchen und Unbeherrschtheiten geneigt. Mit diesem allgemeinen Hinweis lässt sich die Vorhersehbarkeit des hier zu beurteilenden Geschehensablaufs nicht begründen. Der Beschwerdeführer ist durch das Fehlverhalten eines unbekannten Verkehrsteilnehmers zu einer Vollbremsung gezwungen worden. Ein solches Fehlverhalten war zwar nicht ausgeschlossen, aber es war nicht so naheliegend, dass der Beschwerdeführer zur Zeit, als er zu trinken begann, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit damit hätte rechnen müssen. Die Vorinstanz stützt sich bei der Beurteilung der Frage, ob für den Beschwerdeführer seine Reaktion auf das Fehlverhalten des unbekannten
BGE 120 IV 169 S. 172
Fahrzeuglenkers voraussehbar war, im übrigen auf keine konkreten Anhaltspunkte. Sie legt nicht dar, dass der Beschwerdeführer, betrunken oder nüchtern, bereits einmal in einer Art wie hier kurzschlüssig reagiert hätte. Sie stellt insbesondere nicht fest, dass sich in einem der Fälle, die zu seinen Vorstrafen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand geführt haben, etwas Vergleichbares zugetragen hätte. Unter diesen Umständen ist der Vorwurf, der Beschwerdeführer hätte zur Zeit, als er noch voll zurechnungsfähig war, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit den zur Auffahrkollision führenden Geschehensablauf voraussehen müssen, nicht begründet. Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht, wenn sie unter Rückgriff auf eine actio libera in causa insoweit eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit verneint.
e) Die Beschwerde ist daher gutzuheissen. Die Vorinstanz wird bei der Neubeurteilung der Sache zu prüfen haben, ob und inwieweit die Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit den auf der Verfolgungsjagd begangenen Straftaten vermindert war. Gestützt darauf wird sie neu zur Strafzumessung Stellung nehmen müssen. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b63e6c7e-a216-4190-b0cf-df79eeec9808 | Urteilskopf
92 IV 210
51. Arrêt de la Cour de cassation penale du 21 octobre 1966 dans la cause Thomas contre Ministère public du canton de Vaud | Regeste
Lichtsignal.
Art. 49 Abs. 4 lit. a SSV
.
1. Pflichtgemässes Verhalten des Fahrers, der sich einem Lichtsignal, insbesondere beim Wechsel von Grün auf ruhendes Gelb, nähert (Erw. 1 und 2).
2. Handelt der Fahrer fahrlässig, der bei einem solchen Wechsel anhält, dabei aber in den durch das Lichtsignal geschützten Raum gerät (Erw. 3)? | Sachverhalt
ab Seite 210
BGE 92 IV 210 S. 210
A.-
A La Tour-de-Peilz, la route qui mène à St-Maurice est rectiligne sur plusieurs centaines de mètres; large de 10 m 50, elle comprend trois voies; la chaussée est bordée de chaque côté par un trottoir; elle est pourvue de plusieurs passages pour piétons, munis de signaux lumineux de grandes dimensions.
Le 22 mai 1965, vers 11 h, Berthe Thomas pilotait sa voiture sur cette route, venant de La Tour-de-Peilz et allant vers Montreux. Elle se trouvait derrière un camion automobile attelé à une remorque à deux essieux et qui roulait à 70 km/h environ. Elle le dépassa et reprit sa droite, puis, voyant que le signal lumineux, qui commandait le prochain passage pour piétons, était passé au jaune, elle freina, mais, au moment où sa voiture s'arrêta, l'avant empiétait de deux mètres sur le passage pour piétons, large de cinq mètres.
De son côté, Strub, le conducteur du camion, freina, mais,
BGE 92 IV 210 S. 211
voyant qu'il ne pourrait immobiliser son véhicule à temps, il donna un coup de volant à gauche pour éviter la voiture de Berthe Thomas, heurta néanmoins l'arrière gauche de cette voiture, puis perdit la maîtrise de son camion, qui fit un têteà-queue et se renversa à droite de la chaussée, brisant une barrière de clôture et renversant le pilier de pierre d'un portail. La remorque vint s'immobiliser contre le camion, l'avant tourné vers Montreux.
B.-
Le 18 janvier 1966, le Juge informateur a renvoyé Berthe Thomas devant le juge de répression pour avoir contrevenu aux art. 31 al. 1, 34 al. 4, 37 al. 1, 35 al. 3, 90 ch. 1 LCR et 12 al. 2 OCR; il estimait qu'après avoir dépassé le train routier, l'inculpée avait repris sa droite trop rapidement et freiné brusquement devant un signal lumineux dont le feu avait passé au jaune.
Le 22 juin 1966, le Tribunal de simple police du district de Vevey a libéré Berthe Thomas de toute peine. La mettant au bénéfice du doute, il a constaté qu'après avoir dépassé le train routier, elle s'était rabattue 100 à 200 m avant le passage pour piétons et se trouvait plusieurs dizaines de mètres en avant du train routier. Il en a conclu qu'on ne pouvait lui reprocher "de s'être arrêtée devant un feu jaune qui 'signifie l'arrêt à la hauteur de la signalisation lumineuse'".
C.-
Le Ministère public a recouru contre ce jugement. Il concluait à la condamnation de Berthe Thomas pour violation de l'art. 49 al. 4 lit. a OSR et de l'art. 27 al. 1 LCR, c'est-à-dire, non pas pour avoir fait un dépassement irrégulier, suivi d'un freinage brusque et sans nécessité, mais pour s'être arrêtée au feu jaune alors qu'elle aurait dû passer, puisqu'elle ne pouvait plus immobiliser son véhicule à temps.
Statuant, le 27 juillet 1966, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a condamné Berthe Thomas à 80 fr. d'amende avec délai d'épreuve d'une année. Elle a admis que l'inculpée avait circulé, avant un passage pour piétons, à une vitesse excessive, qui ne lui avait pas permis de s'arrêter à temps après l'apparition du feu jaune et qu'elle avait, par conséquent, violé l'art. 33 al. 1 (il s'agit, en réalité, de l'art. 33 al. 2) LCR.
D.-
Contre cet arrêt, Berthe Thomas s'est pourvue en nullité. Elle conclut à libération.
E.-
Le Ministère public du canton de Vaud conclut au rejet. Il estime que l'autorité cantonale a commis une erreur en
BGE 92 IV 210 S. 212
condamnant Berthe Thomas pour excès de vitesse à l'approche d'un passage pour piétons, mais que la condamnation prononcée se justifie néanmoins; qu'en effet, il y a eu violation des art. 27 al. 1 LCR et 49 al. 4 OSR, parce que l'inculpée ne s'est pas arrêtée avant le passage pour piétons.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Sous l'empire de l'ancienne loi du 15 mars 1932, la cour de céans a jugé (arrêt Biedermann; RO 85 IV 156 ss.) qu'aux intersections munies de signaux lumineux avec feux successifs, verts, jaunes et rouges, le feu jaune fixe, succédant au vert, commande l'arrêt des véhicules, sauf le cas où le conducteur est déjà si proche du signal qu'il ne peut plus s'arrêter ou ne le peut que par un coup de frein brusque au point de mettre en danger la vie de ses passagers ou celle d'autres personnes mêlées au trafic. Elle a ajouté qu'à l'approche d'un signal lumineux, lorsque le feu est vert, le conducteur n'est pas tenu de ralentir de façon à pouvoir en tout cas s'arrêter si le feu passe au jaune; qu'il lui suffit de modérer sa vitesse, comme l'art. 27 al. 1 LA l'y oblige aux abords de toute intersection.
Dans son arrêt Bracher (RO 90 IV 99), elle a dit que la signification ainsi attribuée au feu jaune fixe consécutif au feu vert correspondait, pour l'essentiel, à la nouvelle réglementation de l'art. 49 al. 4 lit. a OSR. Touchant la vitesse, le principe posé par l'arrêt Biedermann peut donc être aussi maintenu, sous cette réserve que la loi sur la circulation routière, du 19 décembre 1958, n'ayant pas repris la règle spéciale de l'art. 27 al. 1 LA, il suffit au conducteur d'observer la vitesse adaptée aux circonstances. Lorsque le feu est vert, il n'a pas à ralentir du seul fait qu'il s'approche d'un signal lumineux. La sécurité ne l'exige pas, car, si le feu passe au jaune avant que le conducteur l'ait franchi, ou bien l'arrêt sera possible, ou bien le passage sera autorisé et permettra d'évacuer l'intersection avant l'apparition du feu rouge. Le conducteur doit cependant se tenir prêt à freiner, de façon à réduire son temps de réaction, qui doit demeurer inférieur à une seconde (RO 90 IV 101 b).
Ces principes s'appliquent par analogie aux signaux lumineux commandant un passage de sécurité. Ils suffisent à assurer la sécurité des piétons sur un tel passage, aussi bien que la circulation transversale dans les intersections.
BGE 92 IV 210 S. 213
2.
Selon l'arrêt entrepris, en dépassant un train routier qui circulait à 70 km/h, la recourante aurait roulé à une vitesse excessive, eu égard à l'art. 33 LCR, qui prescrit au conducteur de faciliter aux piétons la traversée de la chaussée et de circuler avec une prudence particulière avant les passages pour piétons. Mais cette disposition ne concerne pas les passages commandés par des signaux lumineux à feux changeants. Cela ressort de l'art. 6 al. 1 OCR, qui vise expressément les "passages de sécurité pour piétons où le trafic n'est pas réglé" (cf. art. 1er al. 9 OCR). La cour de céans en a du reste jugé ainsi dans son arrêt Roth (RO 90 IV 215). Au surplus, même avant les passages où le trafic n'est pas réglé, le conducteur n'est tenu de ralentir, au besoin, que lorsqu'il y a lieu de penser que des piétons pourraient s'engager sur la chaussée avant son passage (arrêt précité). Tel n'était pas le cas en l'espèce. Le juge du fait n'a pas constaté que personne se soit trouvé sur les trottoirs au voisinage des feux.
La cour cantonale a donc appliqué à tort l'art. 33 LCR à la recourante. Aussi longtemps que le feu demeurait vert, celle-ci n'avait pas à tenir compte des passages pour piétons - dont la sécurité, on l'a montré plus haut, était suffisamment garantie par les feux. Elle pouvait circuler à la vitesse admissible selon les circonstances (art. 32 al. 1 LCR). Or on sait qu'elle a dépassé un train routier, lequel circulait à 70 km/h. Elle roulait donc à une vitesse supérieure. Sur une chaussée en bon état, sèche, large de 10 m 50, rectiligne sur plusieurs centaines de mètres et bordée de trottoirs des deux côtés, une vitesse qui permettait de dépasser un véhicule roulant à 70 km/h n'était pas excessive.
3.
Sans doute la recourante n'est-elle parvenue à immobiliser son véhicule qu'au moment où il empiétait déjà de deux mètres sur le passage pour piétons. Mais on n'en saurait conclure à un excès de vitesse, comme le fait la cour cantonale. Car cette inférence suppose que l'arrêt soit fautif. Or tel n'est précisément pas le cas.
Ainsi qu'on l'a dit, le conducteur qui s'approche d'un signal lumineux lorsque le feu est vert doit, à l'apparition du feu jaune, s'arrêter, s'il le peut encore. Il lui faut donc estimer sa distance d'arrêt. Or cette estimation, aléatoire par sa nature, doit intervenir sur-le-champ et l'on ne saurait exiger qu'elle soit à coup sûr parfaitement exacte. Si le conducteur qui, par
BGE 92 IV 210 S. 214
conscience, opte, non pour le passage, mais pour l'arrêt, se trompe quelque peu dans son appréciation et empiète sur l'aire protégée, on ne saurait en général le lui imputer à faute. On ne le peut, tout au moins, lorsque, comme en l'espèce, l'erreur ne procède pas d'un excès de vitesse, lorsque rien ne permet de l'attribuer à la négligence ou à l'inattention et qu'elle n'a pas compromis la reprise ni la sécurité de la circulation transversale. Point n'est besoin, dès lors, de rechercher si, objectivement, la recourante a violé telle disposition, par exemple les art. 49 al. 4 lit. a ou 54 al. 3 OSR, l'art. 27 al. 1 LCR ou l'art. 18 al. 2 lit. e OCR.
4.
La cause doit donc être renvoyée à l'autorité cantonale, qui prononcera la libération de Berthe Thomas du chef d'excès de vitesse. Cela nécessite l'annulation de l'arrêt entrepris et crée, de ce fait, une situation de procédure où il sera loisible à l'autorité cantonale d'examiner si la loi vaudoise lui permet encore de se prononcer sur la question d'une faute pénale que Berthe Thomas aurait pu commettre par un freinage brusque, éventuellement interdit par l'art. 12 al. 2 OCR, voire par un dépassement irrégulier en ce sens qu'elle se serait rabattue trop près du camion dont la puissance de freinage (coefficient de décélération) est inférieure à celle d'une voiture de tourisme. La solution de ces problèmes obligerait du reste l'autorité cantonale à compléter ses constatations de fait. Supposé qu'une condamnation intervienne sur ce point, la peine ne pourrait excéder celle qu'avait fixée l'arrêt entrepris (RO 73 IV 6 no 1;
76 IV 81
no 18).
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi en ce sens qu'elle annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour que celle-ci se prononce à nouveau. | null | nan | fr | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b644cbe2-7c20-4dde-b472-6a1d682485d8 | Urteilskopf
106 Ia 65
15. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 5 mars 1980 dans la cause Joseph Dumas contre Conseil d'Etat du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; formelle Rechtsverweigerung begangen durch die Qualifizierung einer kantonalen öffentlich-rechtlichen Streitigkeit als zivilrechtliche.
1. Rechtsnatur der enteigneten Restteile und Grenzparzellen i.S. von Art. 53 des Walliser Strassengesetzes vom 3. September 1965 (E. 2).
2. Begriff der Entscheidung im öffentlich-rechtlichen Sprachgebrauch. Die Bewilligung oder Verweigerung eines Abtretungsgesuchs gemäss Art. 53 Strassengesetz ist eine Verwaltungsverfügung i.S. von Art. 5 des Walliser Gesetzes über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 106 Ia 65 S. 65
Aux termes de l'art. 53 de la loi valaisanne sur les routes du 3 septembre 1965 (LR), les excédents et parcelles attenants expropriés peuvent, si l'autorité compétente ne juge pas nécessaire
BGE 106 Ia 65 S. 66
de les incorporer au domaine public, être rétrocédés à des tiers par le Département des travaux publics ou le conseil communal soit dans le cadre de la procédure d'abornement, soit après l'achèvement de cette procédure.
Par décisions des 12 septembre et 27 octobre 1977, le Chef du Département cantonal des travaux publics a rejeté une demande de Joseph Dumas, à Salins, fondée sur la disposition précitée et visant à obtenir l'attribution du solde d'une parcelle (no 8 a4) qui avait été expropriée à un voisin, Robert Beytrison, dans le cadre des travaux de correction de la route Salins-Les Agettes. Le Chef du Département s'était référé notamment à un rapport du Service cantonal des ponts et chaussées du 20 octobre 1977, qui soulignait l'intérêt public important à maintenir dans le domaine public la parcelle en question.
C'est sur la base de ce même rapport que le Conseil d'Etat valaisan a rejeté, le 15 juin 1978, deux recours formés par le requérant à l'encontre des décisions prises par le Chef du Département des travaux publics.
Dumas a recouru au Tribunal administratif cantonal contre la décision du Conseil d'Etat, mais son recours a été déclaré irrecevable par arrêt du 1er mai 1979, en bref pour les motifs suivants: les excédents de parcelles expropriés, mais non utilisés pour les travaux routiers, appartiennent au patrimoine financier de l'Etat, pour autant qu'ils ne sont pas incorporés au domaine public de celui-ci. Dès lors, les actes de disposition dont ils sont l'objet restent soumis au régime du droit civil fédéral, même si la constitution cantonale les subordonne à l'approbation du Grand Conseil (art. 44 ch. 13). Etant de droit privé, la contestation qu'élève Dumas dans le cas particulier doit par conséquent être tranchée par les tribunaux civils.
Contre l'arrêt du Tribunal administratif, Dumas a interjeté un recours de droit public, dans lequel il fait notamment valoir que c'est à tort que l'autorité cantonale n'est pas entrée en matière sur son recours et a renvoyé les parties devant les tribunaux civils. Le Tribunal fédéral a admis le recours de droit public, dans la mesure où il était recevable, et a annulé l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Pour justifier sa décision d'irrecevabilité, le Tribunal administratif cantonal a considéré tout d'abord que le bien-fonds
BGE 106 Ia 65 S. 67
convoité par Joseph Dumas, soit le solde de la parcelle no 8 a4, n'avait fait l'objet d'aucun acte formel ou matériel d'affectation à l'accomplissement d'une tâche publique. Cela étant, ce terrain devait appartenir au patrimoine financier de l'Etat, nonobstant le fait que la parcelle en question avait été acquise par expropriation. On ne saurait suivre la juridiction cantonale dans ce raisonnement.
a) L'expropriation constitue un acte de droit public dont la finalité tend à remettre à l'expropriant la pleine disposition des droits existant sur un fonds et qui lui sont nécessaires pour la réalisation de l'ouvrage projeté, tel que la construction de bâtiments publics, de routes, d'hôpitaux, etc. L'expropriation a donc pour but de transférer à l'expropriant la propriété d'un bien ou d'un fonds, naturellement contre paiement d'une indemnité pleine et entière, sur la base d'une procédure fixée par la loi. C'est plus précisément un acte étatique destiné à permettre la réalisation d'une entreprise de caractère public. De plus, l'expropriation est un mode d'acquisition originaire de la propriété, dont le transfert à l'expropriant s'opère avant l'inscription au registre foncier et est indépendant de cette inscription (
art. 656 al. 2 CC
). Par ailleurs, ce n'est pas le Code civil qui détermine le moment où l'objet de l'expropriation passe à l'expropriant, mais le droit d'expropriation fédéral et cantonal. A cet égard, on admet généralement que le transfert de propriété s'effectue juridiquement au moment du paiement de l'indemnité, sans inscription au registre foncier. Dans le cas d'envoi en possession anticipé, le transfert peut déjà intervenir au moment de l'envoi en possession, sous réserve de dispositions légales particulières (IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, II, no 126, B VI). Sur ce point, la loi valaisanne du 1er décembre 1887 concernant les expropriations pour cause d'utilité publique (LEx) dispose, à son art. 25 al. 1, que la prise de possession a lieu de plein droit dès que le paiement de l'indemnité a été effectué à l'intéressé.
b) En l'espèce, la parcelle no 8 a4, qui appartenait à Robert Beytrison, a fait l'objet d'une expropriation totale par l'Etat du Valais dans le cadre des travaux de correction et d'agrandissement de la route Salins-Les Agettes. Elle a donc été expropriée pour cause d'utilité publique au sens des
art. 1er et 3 LEx
. Selon cette dernière disposition, sont en effet considérés comme d'utilité publique tous les travaux d'un intérêt général, tels que
BGE 106 Ia 65 S. 68
l'établissement et les corrections de routes classées. De plus, conformément à ce qui a été exposé ci-dessus, c'est au moment de l'envoi en possession, en tout cas au moment du paiement de l'indemnité (
art. 25 al. 1 LEx
), que le transfert de propriété, de Beytrison à l'Etat du Valais, a été réalisé.
La parcelle ainsi expropriée n'a cependant pas été entièrement utilisée pour la correction de la route précitée. Est resté un excédent d'environ 300 m2 que le Département des travaux publics a envisagé tout d'abord de rétrocéder à un tiers ou à son ancien propriétaire. Toutefois, constatant par la suite qu'il s'agissait d'un excédent pouvant servir non seulement à un élargissement futur de la route, avec possibilité d'aménager une place d'arrêt pour le car postal, mais également, pour l'immédiat, à entreposer des machines et du matériel d'entretien de la route, le Chef du Département décida, sur la base d'un rapport du 20 octobre 1977 du Service des ponts et chaussées, de refuser la rétrocession de l'excédent en question et de le maintenir dans le domaine public. Il faut reconnaître en fait que non seulement la route comme telle, à partir de sa mise en service, a été incorporée au domaine public, mais aussi les terrains qui ont été expropriés pour permettre sa transformation et sa correction. Ces terrains ont servi exclusivement et directement à l'exécution d'une tâche de droit public. Par l'expropriation, ils ont été mis à la pleine disposition de l'expropriant, qui en avait besoin pour la correction et l'exploitation de l'ouvrage public projeté. Ces fonds ont donc été soustraits à l'empire du droit privé et sont devenus des biens du patrimoine administratif de l'Etat, dès le moment où a commencé leur destination publique. L'excédent litigieux fait partie de ces fonds; étroitement lié à la route, il doit servir à la réalisation des tâches d'entretien qui incombent à l'Etat du fait de cet ouvrage.
C'est dès lors à tort que le Tribunal administratif cantonal soutient une opinion contraire et prétend que ce solde de parcelle n'a pas fait l'objet d'un acte d'affectation au domaine public et appartiendrait ainsi au patrimoine financier de l'Etat.
3.
La juridiction cantonale soutient en outre que, dans le cas particulier, le Département des travaux publics n'aurait pas pu rendre une décision au sens des art. 1er de l'arrêté du 11 octobre 1966 concernant la procédure administrative par-devant le Conseil d'Etat et ses départements (APA) ou 5 de la loi du 6 octobre 1976 sur la procédure et la juridiction administratives (LPJA).
BGE 106 Ia 65 S. 69
Dans le langage du droit public, le mot "décision" au sens large vise habituellement toute résolution que prend une autorité et qui est destinée à produire un certain effet juridique ou à constater l'existence ou l'inexistence d'un droit ou d'une obligation; au sens étroit, c'est un acte qui, tout en répondant à cette définition, intervient dans un cas individuel et concret (
ATF 99 Ia 520
).
Selon le Tribunal administratif, le Département aurait tout au plus fait part à Dumas, au nom de l'Etat, d'une manifestation de volonté au sens de l'
art. 1er CO
. Cette opinion pourrait à la rigueur se défendre si la parcelle en cause était un bien du patrimoine financier ou privé de l'Etat, comme le prétend la juridiction cantonale. Mais, même dans ce cas, il ne s'agirait pas d'une manifestation de volonté au sens du droit civil, car, en vertu de la jurisprudence, la déclaration de volonté de l'autorité qui entraîne la conclusion d'un contrat de droit privé est un acte administratif au sens large du terme et appartient au droit public, dans la mesure où celui-ci détermine l'autorité compétente pour faire la déclaration (
ATF 89 I 258
). En réalité, la disposition de l'art. 53 LR ici en cause, qui permet au Département de céder les excédents de terrains expropriés, implique, semble-t-il, de manière sous-entendue, une désaffectation préalable de ceux-ci, acte qui relève sans aucun doute du droit public (cf. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 292). Il en va de même du refus de céder signifié en vertu de cette même disposition, l'autorité compétente estimant justifié dans ce cas de maintenir l'affectation des excédents au domaine public.
Dans sa décision du 27 octobre 1977, le Chef du Département des travaux publics s'est référé expressément à l'art. 53 LR pour refuser de céder la parcelle litigieuse au recourant. Il était au demeurant compétent pour prendre une telle décision, puisqu'en vertu des art. 228 al. 2 et 229 LR, le Département cantonal des travaux publics est autorité de surveillance des voies publiques cantonales.
C'est donc exclusivement en vertu du droit public cantonal que le Chef du Département a procédé à l'examen de la requête de Dumas, pour aboutir à la conclusion que l'intérêt public impliquait le refus de "rétrocéder" la parcelle réclamée et, partant, le rejet de ladite requête. Ainsi, ce n'est pas en tant que sujet de droit privé, mais bien comme détenteur de la puissance publique qu'il a signifié ce refus au recourant dans sa décision du 27 octobre 1977. Cette dernière constitue sans aucun doute
BGE 106 Ia 65 S. 70
une décision administrative au sens des art. 1er APA et 5 LPJA et, comme telle, elle a pour objet le rejet d'une demande tendant à créer des droits ou des obligations (art. 5 al. 1 lettre c LPJA, qui n'est d'ailleurs que la transcription de l'art. 5 al. 1 lettre c PA). Il en est rigoureusement de même de la décision du Conseil d'Etat rendue le 15 juin 1978, ce dernier agissant comme autorité administrative de recours au sens de l'art. 233 LR.
On constate en conséquence que toute la procédure ayant opposé le recourant à l'Etat du Valais s'est déroulée dans le cadre du droit administratif cantonal. Fondée sur l'art. 53 LR, cette procédure devait aboutir à une décision qui statue de manière définitive sur la question de savoir si l'excédent de terrain litigieux devait ou non être désaffecté au profit du recourant. Ce dernier pouvait donc prétendre à ce que cette question soit définitivement tranchée au sein d'une même procédure. A cet égard, on ne voit d'ailleurs pas bien quelles prétentions pourrait faire valoir le recourant dans le cadre d'une action civile, ni quel serait le fondement d'une telle action.
Il faut dès lors admettre qu'en se déclarant incompétent et en renvoyant les parties à agir devant les tribunaux civils, le Tribunal administratif cantonal a commis un déni de justice et a violé de ce fait l'
art. 4 Cst.
Sa décision d'irrecevabilité doit par conséquent être annulée, le dossier étant renvoyé à la juridiction cantonale afin qu'elle entre en matière sur le recours de Dumas du 7 juillet 1978 dirigé contre la décision du Conseil d'Etat du 15 juin 1978. | public_law | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b645d7c7-15fb-4483-a009-efcdffe2c3e2 | Urteilskopf
141 III 369
50. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_997/2014 vom 27. August 2015 | Regeste
Art. 99 und 118 Abs. 2 ZPO
; Sicherheitsleistung für die Parteientschädigung; teilweise Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Es ist von Bundesrechts wegen nicht ausgeschlossen, die teilweise mittellose Partei zwar im Sinne von
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen zu befreien, ihr aber keinen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bewilligen. Unzulässig ist es demgegenüber, der teilweise mittellosen Partei die unentgeltliche Rechtspflege für die Sicherstellung der Parteikosten der Gegenpartei vollumfänglich zu gewähren, auf der Leistung des Vorschusses für die Gerichtskosten jedoch zu bestehen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 370
BGE 141 III 369 S. 370
A.
A.a
B. reichte am 28. Dezember 2012 beim Bezirksgericht Rheinfelden Klage auf Bestreitung neuen Vermögens gemäss
Art. 265a Abs. 4 SchKG
ein. Beklagte in diesem Verfahren ist die A. AG. Mit Verfügung vom 10. April 2013 bewilligte das Bezirksgericht B. die unentgeltliche Rechtspflege. Am 6. Mai 2013 setzte es lic. iur. C. als unentgeltlichen Rechtsbeistand ein.
A.b
Mit Eingabe vom 11. Juni 2013 unterbreitete die A. AG dem Bezirksgericht namentlich das Gesuch, B. zu verpflichten, für ihre Parteikosten eine angemessene Sicherheit zu leisten. Am 8. Juli 2013 beantragte die A. AG zudem, B. die unentgeltliche Rechtspflege nicht zu gewähren. Mit Verfügung vom 18. November 2013 bewilligte das Bezirksgericht B. weiterhin die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Gleichzeitig wies es das Sicherstellungsgesuch der A. AG ab.
B.
B.a
Die A. AG erhob am 6. Dezember 2013 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau und verlangte die Aufhebung der Verfügung vom 18. November 2013. Das Gesuch von B. um unentgeltliche Rechtspflege sei abzuweisen und dieser zu verpflichten, ihr für die nach gerichtlichem Ermessen festzusetzende Parteientschädigung Sicherheit zu leisten.
B.b
Mit Entscheid vom 20. Januar 2014 trat das Obergericht auf die Beschwerde mangels Bezifferung des Sicherstellungsbegehrens nicht ein. Dagegen gelangte die A. AG mit Beschwerde in Zivilsachen vom 12. Februar 2014 an das Bundesgericht, welches den Entscheid des Obergerichts mit Urteil vom 10. Juli 2014 aufhob und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückwies (
BGE 140 III 444
).
B.c
B. beantragte mit rechtzeitiger Beschwerdeantwort vom 26. September 2014, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Mit Entscheid vom 28. Oktober 2014 bestätigte das Obergericht die gewährte unentgeltliche Rechtspflege für das erstinstanzliche Verfahren teilweise in dem Sinne, dass B. von der Pflicht zur Leistung des Gerichtskostenvorschusses und der Sicherheit für eine allfällige Parteientschädigung befreit blieb. Hingegen entzog es ihm die unentgeltliche Rechtspflege für die Gerichts- und eigenen Parteikosten mit Wirkung ex tunc.
C.
Mit Eingabe vom 17. Dezember 2014 ist die A. AG an das Bundesgericht gelangt. Die Beschwerdeführerin beantragt, den
BGE 141 III 369 S. 371
Entscheid des Obergerichts mit Bezug auf die Befreiung von der Pflicht zur Leistung der Sicherheit für die Parteientschädigung aufzuheben. B. (Beschwerdegegner) sei zu verpflichten, für die nach gerichtlichem Ermessen festzusetzende Parteientschädigung samt Auslagen, mindestens in der Höhe der Grundentschädigung von Fr. 10'515.30.- gemäss dem Dekret über die Entschädigung der Anwälte des Kantons Aargau, Sicherheit zu leisten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Anlass zur Beschwerde gibt die teilweise Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege an den Beschwerdegegner im Sinne einer Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen (
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
) und - damit verbunden - die Abweisung des Begehrens der Beschwerdeführerin um Sicherstellung der allfälligen Parteientschädigung nach
Art. 99 ZPO
.
4.1
Eine Person hat gemäss
Art. 117 ZPO
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint (lit. b). Sofern es zur Wahrung der Rechte notwendig ist, besteht darüber hinaus ein Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (
Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO
).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 29 Abs. 3 BV
, die auch für die Auslegung von
Art. 117 lit. a ZPO
zu berücksichtigen ist (vgl. zur Frage der Aussichtslosigkeit:
BGE 139 III 475
E. 2.2 S. 476;
BGE 138 III 217
E. 2.2.4 S. 218), gilt eine Person dann als bedürftig, wenn sie die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung des eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie erforderlich sind (
BGE 128 I 225
E. 2.5.1 S. 232;
BGE 127 I 202
E. 3b S. 205 mit Hinweisen). Für die Beurteilung der prozessualen Bedürftigkeit ist die gesamte wirtschaftliche Situation der gesuchstellenden Partei zu würdigen, wobei nicht schematisch auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abzustellen, sondern den individuellen Umständen Rechnung zu tragen ist. Der Teil der finanziellen Mittel, der das zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse Notwendige übersteigt, muss mit den für den konkreten Fall zu erwartenden
BGE 141 III 369 S. 372
Gerichts- und Anwaltskosten verglichen werden; dabei sollte es der monatliche Überschuss der gesuchstellenden Partei ermöglichen, die Prozesskosten bei weniger aufwändigen Prozessen innert eines Jahres, bei anderen innert zweier Jahre zu tilgen (zum Ganzen
BGE 135 I 221
E. 5.1 S. 223 f., in: Pra 2010 Nr. 25 S. 171 mit Hinweisen). Zudem muss es der monatliche Überschuss der gesuchstellenden Partei erlauben, die anfallenden Gerichts- und Anwaltskostenvorschüsse innert absehbarer Zeit zu leisten und gegebenenfalls - wenn, wie hier, ein entsprechendes Begehren gestellt wurde - zusätzlich die Parteikosten der Gegenpartei sicherzustellen (vgl.
BGE 109 Ia 5
E. 3a S. 9 mit Hinweisen;
BGE 118 Ia 369
E. 4a S. 370 f.; LUKAS HUBER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 17 zu
Art. 117 ZPO
).
4.2
Gemäss
Art. 118 Abs. 2 ZPO
kann die unentgeltliche Rechtspflege auch bloss teilweise gewährt werden. Kann eine Partei die Prozesskosten teilweise selber aufbringen, ist ihr die unentgeltliche Rechtspflege nur im nicht selber finanzierbaren Umfang zu gewähren (Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, Juni 2003, S. 61 zu
Art. 106 ZPO
; Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] [nachfolgend: Botschaft ZPO], BBl 2006 7221 ff., 7302 Ziff. 5.84 zu Art. 116 des Entwurfs). Umstritten ist vorliegend die konkrete Ausgestaltung dieser Teilgewährung.
4.3
4.3.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die vorinstanzliche Ausgestaltung der Teilgewährung verletze
Art. 118 Abs. 1 lit. a-c ZPO
und
Art. 118 Abs. 2 ZPO
. Zur Begründung führt sie aus, die Vorinstanz habe
Art. 118 Abs. 1 lit. a-c ZPO
in rechtlich zu beanstandender Weise nur selektiv angewendet, obwohl die entsprechende ZPO-Bestimmung dies nicht vorsehe. Zwar sei die Teilgewährung in
Art. 118 Abs. 2 ZPO
explizit erwähnt, diese teilweise Gewährung beziehe sich jedoch nicht auf die unterschiedlichen Positionen von
Art. 118 Abs. 1 lit. a-c ZPO
, sondern nur auf die betragsmässige Höhe. Die Befreiung lediglich von einzelnen Positionen innerhalb von
Art. 118 Abs. 1 ZPO
sei, so die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf eine Lehrmeinung (STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 59), von vornherein unzulässig. Der Umstand, dass im Gesetzestext von
Art. 118 Abs. 1 ZPO
zwischen den einzelnen Buchstaben keine Verbindungswörter wie "und/oder" verwendet würden, zeige deutlich auf, dass
BGE 141 III 369 S. 373
es Meinung des Gesetzgebers gewesen sei, dass eine Partei bei Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege von allen Punkten (lit. a und b) befreit werde, bzw. sofern notwendig einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zugesprochen (lit. c) erhalte. Das Gericht könne folglich auch bei der Ausgestaltung der Teilgewährung nicht einfach frei zwischen den Varianten von
Art. 118 Abs. 1 lit. a-c ZPO
wählen. Die gegenteilige Auffassung führe zum völlig stossenden Ergebnis, dass das Gericht - wie im vorliegenden Fall - die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von
Art. 118 Abs. 1 lit. b und c ZPO
verweigern, jedoch zum Nachteil der Gegenpartei im Sinne von
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
vollumfänglich gewähren könne. Sofern die unentgeltliche Rechtspflege nur teilweise gewährt werden könne, so sei zumindest anteilsmässig Sicherheit zu leisten.
4.3.2
Soweit die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes spreche gegen die Möglichkeit des Gerichts, die unentgeltliche Rechtspflege auf einzelne der im Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege enthaltenen Teilansprüche (Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen [
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
], Befreiung von den Gerichtskosten [
Art. 118 Abs. 1 lit. b ZPO
] und Bestellung eines Rechtsbeistandes [
Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO
]) zu begrenzen, vermag dies nicht zu überzeugen. Wenn das Gesetz in
Art. 118 Abs. 2 ZPO
allgemein davon spricht, dass die unentgeltliche Rechtspflege teilweise gewährt werden kann, so liegt im Gegenteil der Schluss nahe, dass das Gericht bei nur teilweise vorhandenen Mitteln auch die Möglichkeit haben soll, die unentgeltliche Rechtspflege lediglich für eine oder zwei der drei gesetzlich vorgesehenen Teilansprüche (lit. a, b, c) zu gewähren (in diesem Sinne auch FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [...], 2011, S. 477 f. zu
Art. 118 ZPO
, der einzig die Möglichkeit von zusätzlichen Beschränkungen innerhalb der einzelnen Teilansprüche hinterfragt). Die unentgeltliche Rechtspflege kann somit namentlich auch nur die Befreiung von Kostenvorschüssen für die Gerichtskosten beinhalten (vgl. aber E. 4.3.3 sogleich) oder sich allein auf die Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes beziehen. Diese Auffassung entspricht auch der herrschenden Lehre (ALFRED BÜHLER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 122 zu
Art. 118 ZPO
; ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 423; HUBER, a.a.O., N. 21 zu
Art. 118 ZPO
).
BGE 141 III 369 S. 374
4.3.3
Sehr umstritten sind die Gestaltungsmöglichkeiten der bloss teilweisen Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege in der Lehre allerdings dann, wenn - wie hier - zusätzlich eine Sicherheitsleistung für eine allfällige Parteientschädigung zur Debatte steht. Einige Autoren erachten es in diesem Fall als unzulässig, die unentgeltliche Rechtspflege nur für die Sicherstellung der Parteikosten der Gegenpartei zu gewähren, für die Gerichtskosten und Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung hingegen zu verweigern (BÜHLER, a.a.O., N. 123 zu Art. 118 und N. 125a zu
Art. 119 ZPO
; DANIEL WUFFLI, Die unentgeltliche Rechtspflege in der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2015, Rz. 588 S. 249; FRANK EMMEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 14 zu
Art. 118 ZPO
; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., § 16 Rz. 59). Zur Begründung wird angeführt, dass sich die unentgeltliche Rechtspflege nicht einseitig und unter Schonung der Staatskasse zu Lasten der Gegenpartei auswirken dürfe. Demgegenüber vertritt TAPPY ohne nähere Begründung die Ansicht, das Gericht könne auch einzig von der Sicherheitsleistung für eine allfällige Parteientschädigung befreien (DENIS TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 24 zu
Art. 118 ZPO
). Nach einer vermittelnden Ansicht soll immerhin die Möglichkeit ausgeschlossen sein, den Gerichtskostenvorschuss (
Art. 98 ZPO
) voll zu fordern, die Kaution (
Art. 99 ZPO
) hingegen zu erlassen (INGRID JENT-SØRENSEN, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 13 zu
Art. 118 ZPO
; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2. Aufl. 2014, N. 5 zu
Art. 118 ZPO
; HUBER, a.a.O., N. 21 zu
Art. 118 ZPO
).
Die letztgenannte Auffassung überzeugt und ist mit
Art. 118 ZPO
vereinbar. In der Tat schiene es nicht sachgerecht, wenn die Vorschusszahlung einer teilweise unentgeltlich prozessführenden Partei, trotz Vorliegens eines Kautionsgrundes bzw. eines darauf gestützten Sicherstellungsbegehrens, nur für die Gerichtskosten, nicht aber auch für die Parteientschädigung der Gegenpartei verwendet würde. Eine dergestalt selektive Beschränkung des Teilanspruchs von
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
auf die Befreiung von der Sicherheitsleistung würde sich auch vom Wortlaut der auszulegenden Norm entfernen, der Vorschuss- und Sicherheitsleistungen auf die gleiche Stufe stellt. Hingegen lässt sich dem Gesetz kein Verbot entnehmen, die teilweise mittellose Partei zwar von der Bevorschussung der Gerichtskosten und der Sicherstellung der Parteikosten der
BGE 141 III 369 S. 375
Gegenpartei zu befreien, ihr aber keinen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bewilligen. Dem von einem Teil der Lehre dagegen ins Feld geführten Grundsatz der Verfahrensfairness (
Art. 29 Abs. 1 BV
) ist diesfalls Genüge getan, da mangels Einforderung eines Gerichtskostenvorschusses gegebenenfalls auch der Staat einen Ausfall erleiden kann. Etwas Gegenteiliges lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen (vgl. Botschaft ZPO, a.a.O., S. 7302). Zwar betrifft eine solche Befreiung neben dem Staat auch die Gegenpartei, die durch die Kaution für ihre allfällige Parteientschädigung sichergestellt worden wäre. Allein dies steht einer derartigen Ausgestaltung der Teilgewährung jedoch nicht entgegen. Mutet das Gesetz es der Gegenpartei einer gänzlich mittellosen und daher unter (vollständiger) unentgeltlicher Rechtspflege prozessierenden Partei zu, den Prozess ohne Sicherung zu führen, so ist nicht ersichtlich, weshalb dies der Gegenpartei einer zwar nicht gänzlich mittellosen, aber doch zur Bezahlung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen binnen nützlicher Frist unfähigen Partei nicht zuzumuten sein soll. In beiden Fällen ist der Verlust des Schutzes vor dem Insolvenzrisiko der grundsätzlich kautionspflichtigen Partei als Konsequenz ihres Anspruchs auf Zugang zum Gericht und auf Wahrung ihrer Parteirechte in Kauf zu nehmen (vgl. zum Zweck der unentgeltlichen Rechtspflege auch
BGE 135 I 1
E. 7.1 S. 2;
BGE 131 I 350
E. 3.1 S. 355 und ALFRED BÜHLER, Unentgeltliche Rechtspflege - Voraussetzungen, neue und alte Probleme, Defizite, in: Haftpflichtprozess 2015, 2015, S. 89 f.). Im Rahmen dieser Grundsätze verbleibt dem Gericht bei der Ausgestaltung der Teilgewährung im konkreten Einzelfall ein weiter Spielraum des Ermessens.
4.3.4
Die Beschwerdeführerin argumentiert, die Befreiung des Beschwerdegegners von der Sicherstellung der allfälligen Parteientschädigung erweise sich vorliegend deshalb als bundesrechtswidrig, weil er gemäss Feststellung der Vorinstanz einen monatlichen Freibetrag von Fr. 941.60 erziele, der es ihm erlaube, die auf Fr. 10'515.30 festzusetzende Parteikostensicherheit innert eines Jahres ratenweise zu bezahlen. Die Vorinstanz habe das ihr diesbezüglich zustehende Ermessen gar nicht ausgeübt.
Die Einwände sind unbehelflich. Die Vorinstanz hat dem monatlichen Nettoeinkommen des Beschwerdegegners von Fr. 5'823.30 den prozessualen Notbedarf von Fr. 4'881.70 gegenübergestellt und so eine verfügbare Quote von Fr. 941.60 ermittelt. Auszugehen ist gemäss der unbestritten gebliebenen vorinstanzlichen Prognose sodann
BGE 141 III 369 S. 376
von mutmasslichen Gerichts- und eigenen Anwaltskosten des Beschwerdegegners von rund Fr. 20'000.-. Die Beschwerdeführerin lässt ausser Acht, dass nach der - wie vorstehend gezeigt (vgl. E. 4.3.3) grundsätzlich nicht zu beanstandenden - Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung, der Beschwerdegegner aus seinem Einkommensüberschuss von monatlich Fr. 941.60 bereits seine eigenen Vertreterkosten (vorschussweise) zu finanzieren hat. Wie er unter diesen Umständen innert nützlicher Frist auch noch einen Gerichtskostenvorschuss bzw. die von der Beschwerdeführerin verlangte Sicherheit für eine allfällige Parteientschädigung leisten könnte, ist mithin weder dargetan noch ersichtlich, woran der pauschale Hinweis auf die Möglichkeit von Ratenzahlungen nichts zu ändern vermag. Die Vorinstanz hat folglich ihr Ermessen pflichtgemäss ausgeübt und den ihr zustehenden Spielraum nicht überschritten, wenn sie dem Beschwerdegegner für die nicht aussichtslose Streitsache die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne einer Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen (
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
) gewährt und gleichzeitig von der Auferlegung von Ratenzahlungen abgesehen hat. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b646129b-0e67-485b-9876-d1c2afe8460a | Urteilskopf
122 V 338
51. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1996 i.S. B. gegen SOLIDA, Unfallversicherung Schweizerischer Krankenkassen und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 20 Abs. 2 UVG
, Art. 31, 32 Abs. 5 und 33 Abs. 1 UVV.
Bei der Neufestsetzung der Komplementärrente wegen Änderung der für Familienangehörige bestimmten Teile der AHV- oder IV-Renten sind hinzutretende Zusatz- oder Kinderrenten der AHV/IV mit jenem Betrag vom versicherten Verdienst in Abzug zu bringen, wie er zur Ausrichtung gelangt wäre, wenn bereits beim erstmaligen Zusammentreffen der Leistungen (d.h. bei Beginn des Anspruchs auf die Komplementärrente) Anspruch auf die Zusatz- oder Kinderrente bestanden hätte. | Sachverhalt
ab Seite 338
BGE 122 V 338 S. 338
A.-
B. leidet zufolge eines am 26. Juli 1986 erlittenen Unfalls an bleibender Paraspastizität mit erheblicher Gehbehinderung an beiden Beinen. Mit Verfügung vom 2. Oktober 1989 sprach ihr die Solida, Unfallversicherung Schweizerischer Krankenkassen, ab 1. Oktober 1989 eine Komplementärrente gemäss
Art. 20 Abs. 2 UVG
zu, welche sie unter Berücksichtigung eines versicherten Verdienstes von Fr. 24'989.-- und einer Rente der Invalidenversicherung von monatlich Fr. 1'000.-- auf Fr. 874.-- im Monat festsetzte. Nachdem die Ausgleichskasse des Kantons Zürich der Versicherten mit Wirkung ab 1. Februar 1992 zusätzlich zur Rente der Invalidenversicherung eine einfache Kinderrente zugesprochen hatte, nahm die Solida eine Neuberechnung der Komplementärrente
BGE 122 V 338 S. 339
vor und setzte diese mit Verfügung vom 9. Oktober 1992 auf Fr. 74.-- ab 1. Oktober 1992 fest.
Mit Einspracheentscheid vom 6. Januar 1993 bestätigte sie diese Verfügung (...).
B.-
B. liess hiegegen Beschwerde einreichen mit den Anträgen, die angefochtene Verfügung und der Einspracheentscheid seien aufzuheben und "es sei die Komplementärrente und die Teuerungszulage nach gesetzlicher Vorschrift zu berechnen" (...).
Nach Erhalt des Urteils des Eidg. Versicherungsgerichts in Sachen C. vom 25. August 1993 (
BGE 119 V 484
) hob das Versicherungsgericht des Kantons Zürich die angeordnete Verfahrenssistierung auf und wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde (Entscheid vom 15. März 1994).
C.-
B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid der Solida vom 6. Januar 1993 seien aufzuheben und es seien der Beschwerdeführerin die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen.
Während die Solida auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, enthält sich das Bundesamt für Sozialversicherung eines Antrages.
(...).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Hat der nach UVG rentenberechtigte Versicherte Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung (IV) oder der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), so wird ihm eine Komplementärrente gewährt; diese entspricht der Differenz zwischen 90% des versicherten Verdienstes und der Rente der IV oder der AHV, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag. Die Komplementärrente wird beim erstmaligen Zusammentreffen der erwähnten Renten festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der Rente der IV oder der AHV angepasst (
Art. 20 Abs. 2 UVG
).
Gestützt auf
Art. 20 Abs. 3 UVG
hat der Bundesrat nähere Vorschriften zur Berechnung der Komplementärrenten erlassen. Nach
Art. 31 UVV
werden bei der Berechnung der Komplementärrenten für Invalide auch die Zusatz- und Kinderrenten der AHV/IV voll berücksichtigt.
Art. 33 Abs. 1 UVV
sieht vor, dass die Komplementärrenten u.a. dann den veränderten Verhältnissen angepasst werden, wenn für Familienangehörige bestimmte Teile der
BGE 122 V 338 S. 340
AHV/IV-Renten dahinfallen oder neu hinzukommen, wobei die Umwandlung einer einfachen Rente in eine Ehepaarrente oder einer Ehepaarrente in eine einfache Rente ausser Betracht fällt (lit. a).
2.
a) Die Beschwerdeführerin bezog ab 1. Oktober 1989 eine Komplementärrente von Fr. 874.-- im Monat (Verfügung vom 2. Oktober 1989). Der Rentenberechnung lag ein versicherter Verdienst von Fr. 24'989.-- zugrunde, welcher mit 90% (Fr. 22'490.--) in die Berechnung einzubeziehen war. Davon kam die IV-Rente von monatlich Fr. 1'000.-- (somit Fr. 12'000.--) in Abzug, was eine Komplementärrente von Fr. 10'490.-- im Jahr bzw. Fr. 874.-- im Monat ergab. Nach Entstehung des Anspruchs auf eine einfache Kinderrente der IV in Höhe von Fr. 480.-- monatlich hat die Solida die Komplementärrente ab 1. Oktober 1992 auf Fr. 474.-- im Monat festgesetzt, indem sie vom anrechenbaren versicherten Verdienst von Fr. 22'490.-- IV-Renten von Fr. 17'760.-- (12 x Fr. 1'000.-- + 12 x Fr. 480.--) in Abzug brachte, was eine Jahresrente nach UVG von Fr. 4'730.-- bzw. eine Monatsrente von Fr. 394.-- ergab, wozu eine Teuerungszulage von 20,2% kam. Damit bezog die Beschwerdeführerin ab 1. Oktober 1992 Leistungen von insgesamt Fr. 2'154.-- (IV-Renten von Fr. 1'680.-- und Komplementärrente von Fr. 474.--), wogegen sie unmittelbar vor diesem Zeitpunkt Leistungen von Fr. 2'251.-- (IV-Rente von Fr. 1'200.-- und Komplementärrente von Fr. 1'051.--) bezogen hatte.
4.
b) Bei der Neufestsetzung der Komplementärrente gemäss
Art. 33 Abs. 1 lit. a UVV
ist die Solida zu Recht vom versicherten Verdienst von Fr. 24'989.-- (100%) ausgegangen, wie er der ursprünglichen Verfügung vom 2. Oktober 1989 zugrunde lag. Sie hat hievon die IV-Rente in der anlässlich der erstmaligen Festsetzung der Komplementärrente ausgerichteten Höhe von Fr. 1'000.-- und die neu zur Ausrichtung gelangende Kinderrente der IV von Fr. 480.-- im Monat in Abzug gebracht. Dass sie die Invalidenrente nicht mit dem im Zeitpunkt der Neufestsetzung der Komplementärrente gültigen (der Teuerung angepassten) Betrag von Fr. 1'200.--, sondern im ursprünglichen Betrag von Fr. 1'000.-- eingesetzt hat, ist als zutreffend zu erachten. Für diese Berechnungsweise spricht zunächst der Wortlaut von
Art. 20 Abs. 2 UVG
, wonach die Komplementärrente beim erstmaligen Zusammentreffen mit einer Rente der AHV oder IV festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Rententeile "angepasst" wird. Daraus ist zu schliessen, dass die Komplementärrente beim Hinzutritt
BGE 122 V 338 S. 341
oder Wegfall von Zusatz- bzw. Kinderrenten der AHV/IV zwar neu festzusetzen ist, jedoch auf den Berechnungsgrundlagen, wie sie beim erstmaligen Zusammentreffen der UVG-Rente mit Renten der AHV oder IV bestanden haben, von welcher Auffassung offenbar auch der Gesetzgeber ausgegangen ist (vgl. Botschaft zum UVG vom 18. August 1976, Separatausgabe, S. 31 f. und die dort aufgeführten Beispiele). Für diese Auffassung spricht des weitern der Umstand, dass der versicherte Verdienst keiner Anpassung zugänglich ist und damit in der beim erstmaligen Zusammentreffen der Renten massgebend gewesenen Höhe in die Berechnung einzubeziehen ist, weshalb folgerichtig auch die hievon in Abzug zu bringenden Renten der AHV oder IV auf dieser zeitlichen Grundlage einzusetzen sind. Schliesslich kann auf
Art. 32 Abs. 5 UVV
hingewiesen werden, wonach Teuerungszulagen bei der Bemessung der Komplementärrente nicht zu berücksichtigen sind. Auch wenn die rechtliche Bedeutung dieser Bestimmung nicht ohne weiteres klar ist (vgl.
BGE 119 V 491
Erw. 3c; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 379 lit. ee; GHELEW/RAMELET/RITTER, Commentaire da la loi sur l'assurance-accidents, Lausanne 1992, S. 110), geht daraus doch der Wille des Verordnungsgebers hervor, der Festsetzung der Komplementärrente die beim erstmaligen Zusammentreffen mit Renten der AHV oder IV massgebend gewesenen Rentenbeträge zugrunde zu legen.
Die für die Anwendbarkeit der ursprünglichen Berechnungsgrundlagen massgebenden Überlegungen gelten in gleicher Weise für die neben der Hauptrente der AHV oder IV zur Ausrichtung gelangenden Zusatz- und Kinderrenten, unabhängig davon, ob der Anspruch hierauf schon bei Entstehung des Anspruchs auf die Komplementärrente bestanden hat oder erst nachträglich entstanden ist. Würde anders entschieden, so käme es zu stossenden und mit der Rechtsgleichheit kaum zu vereinbarenden Ergebnissen, indem Versicherten, welchen nachträglich eine Zusatz- bzw. Kinderrente zugesprochen wird, eine niedrigere Komplementärrente ausgerichtet würde, als Versicherten, welche - unter sonst gleichen Verhältnissen - bereits beim erstmaligen Zusammentreffen der Leistungen neben der Hauptrente eine Zusatz- oder Kinderrente beziehen. Bei nachträglichem Entstehen des Anspruchs ist die Zusatz- oder Kinderrente der AHV/IV daher mit jenem Betrag in die Berechnung der Komplementärrente einzusetzen, wie er zur Ausrichtung gelangt wäre, wenn bereits beim erstmaligen Zusammentreffen der Leistungen (d.h. bei Beginn des Anspruchs auf die
BGE 122 V 338 S. 342
Komplementärrente) Anspruch auf eine solche Rente bestanden hätte. Dem steht nicht entgegen, dass nach
Art. 31 UVV
Zusatz- und Kinderrenten der AHV/IV bei der Berechnung der Komplementärrente voll zu berücksichtigen sind. Wie sich aus Satz 2 der Bestimmung ergibt, wird damit lediglich gesagt, dass nicht eine bloss anteilsmässige Anrechnung zu erfolgen hat (vgl. in diesem Sinn auch
BGE 121 V 142
Erw. 3a, 115 V 270 Erw. 2a, 281 Erw. 3a und 288 Erw. 3a). Um eine solche geht es jedoch nicht, wenn die Zusatz- oder Kinderrente zwar nicht im effektiv zur Ausrichtung gelangenden, jedoch im vollen Betrag angerechnet wird, wie er zur Ausrichtung gelangt wäre, wenn bereits anlässlich der Entstehung des Anspruchs auf die Hauptrente Anspruch auf eine Zusatz- oder Kinderrente bestanden hätte.
c) Die der Beschwerdeführerin ab 1. Oktober 1992 zustehende Komplementärrente ist somit in der Weise zu berechnen, dass vom anrechenbaren versicherten Verdienst von Fr. 22'490.-- die IV-Rente von Fr. 12'000.-- und die Kinderrente von Fr. 4'800.-- (40% der IV-Rente gemäss
Art. 38 Abs. 1 IVG
) in Abzug zu bringen sind, was Fr. 5'690.-- und unter Berücksichtigung der Teuerung von 20,2% eine Komplementärrente von Fr. 6'839.-- im Jahr bzw. Fr. 570.-- im Monat ergibt. Mit der laufenden IV-Rente von Fr. 14'400.--, der Kinderrente von Fr. 5'760.-- und der Komplementärrente von Fr. 6'839.-- bezieht die Beschwerdeführerin ab 1. Oktober 1992 insgesamt somit praktisch gleichviel wie vor diesem Zeitpunkt (vgl. oben Erw. 2a). Die Differenz von Fr. 10.-- jährlich ist darauf zurückzuführen, dass der Teuerungsausgleich auf der Kinderrente der IV um 0,2% niedriger ist als auf der Komplementärrente.
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Besitzstandsgarantie näher einzugehen. Immerhin sei festgestellt, dass sich eine solche Garantie weder aus der Verfassung (insbesondere
Art. 34quater Abs. 2 und
Art. 34 quinquies BV
) noch aus der EMRK (insbesondere
Art. 8 und 12 EMRK
) ableiten lässt. Es bleibt auch kein Raum für eine EMRK-konforme Auslegung von
Art. 20 Abs. 2 UVG
in dem von der Beschwerdeführerin beantragten Sinn, da nicht gesagt werden kann, dass die Grundrechte auf Ehe und Familiengründung durch die streitige gesetzliche Regelung ihres Gehalts enthoben werden (vgl.
BGE 120 V 4
Erw. 2a,
BGE 113 V 32
Erw. 4d; SVR 1994 AHV Nr. 12 S. 27).
5.
Wie das Eidg. Versicherungsgericht bereits wiederholt festgestellt hat, vermag die geltende Regelung zur Festsetzung und
BGE 122 V 338 S. 343
Anpassung der Komplementärrenten nicht in allen Teilen zu befriedigen (
BGE 119 V 493
Erw. 4b i.f. mit Hinweis). So verhält es sich auch in bezug auf die hier streitige Neufestsetzung von Komplementärrenten bei Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der AHV- oder IV-Renten. Entgegen der angefochtenen Verfügung schliesst die gesetzliche Regelung zwar aus, dass bei Hinzutritt einer Zusatz- oder Kinderrente der AHV/IV die Gesamtleistung der AHV/IV und der obligatorischen Unfallversicherung geringer ausfällt als vor der Entstehung des Anspruchs auf die Zusatz- oder Kinderrente. Sie führt jedoch dazu, dass grundsätzlich unabhängig davon, ob im Rahmen der AHV oder IV anspruchsberechtigte Kinder hinzukommen oder wegfallen, praktisch stets die gleiche Gesamtleistung zur Ausrichtung gelangt, solange die Leistungen der AHV oder IV den nach UVG versicherten Verdienst nicht übersteigen, was im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Zusatz- und Kinderrenten als unbefriedigend erscheint. Angesichts des dem Bundesrat zustehenden weiten Ermessensspielraums (vgl.
BGE 121 V 146
f. Erw. 5b) ist es indessen nicht Sache des Eidg. Versicherungsgerichts, sondern allenfalls des Gesetz- oder Verordnungsgebers, hier eine andere Regelung zu treffen. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b64a2a4c-731f-416f-8091-4499f4d595bc | Urteilskopf
110 Ia 83
17. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 26 septembre 1984 dans la cause F., K. et M. contre Chambre pénale de la Cour de justice du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör; Akteneinsicht.
Die Behörde, die über ein Gesuch um Einsicht in das Dossier eines abgeschlossenen Verfahrens zu befinden hat, muss die auf dem Spiel stehenden öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abwägen. Es bedeutet eine formelle Rechtsverweigerung, wenn sie das Gesuch ohne eine solche Interessenabwägung grundsätzlich und von vornherein abweist. | Sachverhalt
ab Seite 83
BGE 110 Ia 83 S. 83
En 1976, la société X. S.A., à Genève, qui détenait des participations dans plusieurs entreprises spécialisées dans la production et la vente de machines-outils, a été déclarée en faillite. Les diverses procédures pénales qui furent alors ouvertes en relation avec cette faillite ont été jointes en un seul dossier. Les deux actionnaires de X. S.A. furent condamnés, à la fin de 1983, à 18 mois d'emprisonnement avec sursis pour escroquerie, banqueroute frauduleuse, faux dans les titres et obtention frauduleuse d'une constatation fausse. L'instruction de la cause avait donné lieu à de multiples audiences et à l'accumulation de très nombreux documents. Les administrateurs F. et K. ainsi que l'organe de contrôle M. avaient été entendus comme témoins.
Parallèlement à la procédure pénale, un procès civil a été ouvert devant le Tribunal de première instance du canton de Genève. Trois créanciers cessionnaires des droits de la masse en faillite de X. S.A. avaient en effet intenté action en responsabilité contre les administrateurs et l'organe de contrôle précités, ainsi que contre un fondé de pouvoir et la masse en faillite de chacun des actionnaires. Cette procédure a été jointe plus tard à une action en rectification de l'état de collocation que l'un des actionnaires avait intentée de son côté à la masse en faillite de X. S.A.
BGE 110 Ia 83 S. 84
En 1979, sur requête de toutes les parties au procès civil, le Tribunal de première instance a demandé l'apport du dossier pénal, en cours d'instruction, ce qui lui fut refusé. Le 14 mars 1984, le procès pénal étant terminé, il a renouvelé sa demande. Le président de la Cour de justice genevoise lui a répondu, le 16 mars, en ces termes:
"Je vous informe que réunis ce jour "en plenum" les juges de la Chambre pénale estiment, à l'unanimité, qu'il ne convient pas de donner communication de cette procédure à des personnes qui n'ont pas été parties à ladite procédure pénale.
...
Les parties qui ont renoncé ou n'ont pas été en mesure de se constituer parties civiles dans la procédure pénale n'ont pas à bénéficier, fût-ce ultérieurement, des avantages de communication de dossier réservés aux seules parties à la procédure pénale."
En communiquant cette réponse aux parties le 5 avril 1984, le président du Tribunal de première instance a pris acte de ce que la procédure pénale n'était pas transmise au tribunal civil.
Agissant par la voie du recours de droit public, F., K. et M. requièrent le Tribunal fédéral d'annuler la décision de la Chambre pénale de la Cour de justice du 16 mars 1984, prise selon eux en violation de l'
art. 4 Cst.
, et d'inviter cette autorité à transmettre le dossier pénal demandé.
La juridiction cantonale s'est référée à sa décision et a déclaré n'avoir pas d'observations à formuler sur les recours. Le procureur général s'en est remis à la justice, tout en se disant prêt à trier, avec le concours du juge civil, les dossiers pénaux dont le contenu serait pertinent.
Le Tribunal fédéral a admis les trois recours dans le sens des considérants et dans la mesure où ils étaient recevables, et il a annulé la décision attaquée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) Les recourants font valoir que le refus de la Chambre pénale de la Cour de justice d'autoriser la consultation du dossier pénal est arbitraire à plus d'un titre. Cette décision ne se justifierait notamment par aucun motif pertinent et irait à l'encontre d'une décision prise précédemment par la même autorité dans des conditions identiques. Ils lui reprochent également de créer une inégalité de traitement inadmissible entre les parties au procès civil, qui ne pourraient disposer des mêmes moyens de défense, et de
BGE 110 Ia 83 S. 85
violer aussi, du même coup, le principe de la proportionnalité ainsi que le droit d'être entendu des recourants, qui seraient dans l'impossibilité de se prononcer sur tous les éléments propres à influencer la décision du juge civil.
b) Le droit de consulter le dossier découle du droit d'être entendu.
La portée de ce dernier est déterminée en premier lieu par le droit cantonal, dont le Tribunal fédéral examine l'application sous l'angle restreint de l'arbitraire. Dans les cas où la protection que ce droit accorde aux administrés apparaît insuffisante, l'intéressé peut invoquer celle découlant directement de l'
art. 4 Cst.
, qui constitue ainsi une garantie subsidiaire et minimale. Le Tribunal fédéral examine en principe librement si les exigences posées par cette disposition constitutionnelle ont été respectées (
ATF 108 Ia 191
, 103 Ia 138 consid. 2a et les références).
Comme le relève le procureur général dans ses observations, aucune disposition du droit cantonal ne règle explicitement la consultation des dossiers auprès d'une autorité qui, comme la Cour de justice ou ses différentes sections, en a la garde en attendant leur affectation aux archives d'Etat. C'est donc à la seule lumière de l'
art. 4 Cst.
qu'il convient d'examiner le mérite des griefs soulevés en l'espèce.
4.
a) La jurisprudence a déduit du droit d'être entendu plusieurs prétentions, telles que le droit pour le justiciable de fournir des preuves quant aux faits de nature à influer sur le sort de la décision et celui d'avoir accès au dossier (
ATF 106 II 171
consid. b,
ATF 105 Ia 290
consid. 2b et arrêts cités). Le droit de prendre connaissance du dossier existe non seulement pour une procédure en cours, mais - exceptionnellement - également pour une procédure clôturée. Dans ce dernier cas, le requérant doit rendre vraisemblable un intérêt digne de protection. En principe, seul celui qui était engagé dans une procédure peut faire valoir un tel intérêt; toutefois, comme en l'espèce, l'intérêt d'un tiers peut entrer en jeu (
ATF 95 I 108
). Qu'il s'agisse d'une procédure en cours ou clôturée, le droit de consulter le dossier est cependant limité par l'intérêt que l'Etat ou certaines personnes privées peuvent avoir à ce que des actes soient tenus secrets (
ATF 95 I 109
consid. 2b, 445/446).
b) La nécessité de tenir secrets les dossiers des procès pénaux repose sur des motifs sérieux. Il suffit d'évoquer, à cet égard, l'intérêt légitime que les personnes impliquées dans un tel procès
BGE 110 Ia 83 S. 86
peuvent avoir à ce que les autorités n'ouvrent pas les dossiers en question à n'importe qui. C'est la raison pour laquelle, d'ailleurs, les tribunaux pénaux n'autorisent généralement pas les particuliers à consulter les dossiers des affaires clôturées. Considéré de ce seul point de vue, le refus de l'autorité intimée en l'espèce peut se comprendre, dès lors que certains requérants n'avaient pas participé au procès pénal en qualité de parties.
La décision attaquée est critiquable, en revanche, dans la mesure où elle refuse par principe la consultation du dossier, un tel refus ne pouvant être opposé systématiquement (
ATF 53 I 113
/114). L'autorité appelée à prendre une décision en pareille matière doit évaluer quelle est, dans le cas concret, l'importance respective des intérêts en présence (
ATF 95 I 109
consid. 2b, 446). Il se peut, par exemple, que l'intérêt public et privé à tenir secret un dossier n'ait que peu de poids face à l'intérêt primordial d'un tiers à en prendre connnaissance. Il y a violation de l'
art. 4 Cst.
si, dans ce cas, l'autorité refuse la consultation requise par le tiers.
A l'appui de son refus, l'autorité intimée s'est bornée à retenir que les parties ne sont pas les mêmes au civil qu'au pénal et qu'il n'y a aucune raison de faire profiter de la connaissance du dossier des personnes qui n'ont pas été parties à la procédure pénale. Elle n'a nullement procédé à la pesée des intérêts qui lui incombait selon la jurisprudence. Elle a dès lors commis un déni de justice formel (cf.
ATF 53 I 113
). Le recours doit ainsi être admis et la décision attaquée annulée.
c) Cette issue de la procédure dispense le Tribunal fédéral d'examiner si les autres griefs soulevés par les recourants sont ou non fondés. Il convient peut-être de rappeler, en ce qui concerne celui qui est tiré d'une prétendue inégalité de traitement entre les parties au procès civil, que la jurisprudence commande d'appliquer un traitement juridique semblable à des situations de fait semblables et un traitement juridique différent à des situations de fait différentes (
ATF 103 Ia 519
consid. 1b et arrêts cités). En l'espèce, les recourants n'étaient pas parties au procès pénal; ils y ont simplement été cités comme témoins. C'est là une différence de fait qui mérite d'être relevée et dont on peut sérieusement se demander si elle est essentielle au point de justifier, dans les circonstances données, un traitement juridique différent. Mais, vu le sort réservé au recours, cette question peut demeurer indécise.
5.
Appelée à rendre une nouvelle décision, la Chambre pénale de la Cour de justice devra mettre en balance, d'une part, l'intérêt
BGE 110 Ia 83 S. 87
à tenir secret le dossier requis et, d'autre part, l'intérêt des recourants à le consulter.
Selon la jurisprudence, la communication d'un dossier peut n'être que partielle (
ATF 98 Ib 171
consid. 4). Il serait donc possible, ainsi que le soutient le procureur général, de ne transmettre au tribunal de première instance que les pièces pertinentes pour l'affaire civile à juger, "à l'exclusion des classeurs relatifs à des plaintes, à des dénonciations et à des investigations sans rapport direct avec les litiges actuellement pendants devant lui". L'autorité intimée examinera s'il y a lieu en l'espèce de limiter la consultation à une partie seulement du dossier. Le cas échéant, il conviendra qu'elle requière l'avis du juge civil sur les questions de pertinence. Apparemment, rien n'empêche toutefois la délégation d'une telle tâche, au Ministère public par exemple, qui s'est d'ailleurs déclaré prêt à trier, avec le concours du juge chargé de la cause civile, les dossiers pénaux dont le contenu serait pertinent. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b64bafba-89ce-44a5-a254-1536beb6a6da | Urteilskopf
89 I 149
23. Arrêt du 22 mai 1963 dans la cause Compagnie du chemin de fer Brigue-Viège-Zermatt contre Département fédéral des postes et des chemins de fer. | Regeste
Art. 99 Ziff. XI OG
.
Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde einer Eisenbahngesellschaft gegen den Entscheid, mit dem das eidg.
Post- und Eisenbahndepartement der Postverwaltung die Bewilligung erteilt, die Strecke eines von ihr selbst betriebenen Postautokurses auszudehnen. | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 89 I 149 S. 149
A.-
Le 29 janvier 1963, le Département fédéral des postes et des chemins de fer a avisé la Compagnie du chemin de fer Brigue-Viège-Zermatt qu'il avait autorisé l'entreprise des PTT à étendre sa ligne d'automobiles postales Saas-Fee-Stalden jusqu'à Viège et Brigue. Cette décision était fondée sur l'art. 2 al. 3 lit. e de l'ordonnance d'exécution du 26 mai 1961 de la loi sur l'organisation de l'entreprise des PTT.
B.-
La Compagnie du chemin de fer Brigue-Viège-Zermatt a formé un recours de droit administratif contre cette décision.
C.-
Conformément à l'art. 96 al. 2 OJ, le Tribunal fédéral, considérant que seule la voie du recours administratif était ouverte, à l'exclusion de celle du recours de droit administratif, a procédé à un échange de vues avec le Conseil fédéral. Celui-ci a déclaré, le 15 mai 1963, qu'il
BGE 89 I 149 S. 150
était d'accord avec cette opinion et s'estimait seul compétent pour connaître du litige.
Erwägungen
Considérant en droit:
L'art. 99 ch. XI OJ ouvre la voie du recours de droit administratif contre les décisions du Département fédéral des postes et des chemins de fer relatives aux prétentions fondées sur la loi concernant le service des postes et les ordonnances d'exécution de cette loi. Il s'agit de décisions sur des droits; celles qui relèvent de l'appréciation du département, par exemple celles qui accordent ou refusent une concession, ne peuvent pas être attaquées par un recours de droit administratif (RO 85 I 266).
Le recours de la Compagnie du chemin de fer Brigue-Viège-Zermatt a pour objet l'autorisation donnée par le Département fédéral des postes et des chemins de fer à l'entreprise des PTT d'étendre jusqu'à Viège et Brigue leurs courses d'automobiles postales entre Saas-Fee et Stalden. Il ne s'agit pas là d'une concession accordée à un tiers par le titulaire de la régale des postes et telle que la prévoient les art. 3 de l'ordonnance d'exécution I et 10 à 19 de l'ordonnance d'exécution II de la loi sur le service des postes. L'autorisation concerne bien plutôt l'exercice de la régale attribuée aux postes par l'art. 1er de la loi sur le service des postes, à savoir l'extension d'un service de voitures postales qu'elles exploitaient elles-mêmes de par ladite régale. Aussi bien la "décision" du département ne se fonde-t-elle pas sur la lettre d (octroi de concessions), mais sur la lettre e de l'art. 2 al. 3 de l'ordonnance d'exécution du 26 mai 1961 de la loi sur l'organisation de l'entreprise des PTT. Elle n'étend pas les droits qui découlent de la régale pour l'administration des postes, pas plus qu'elle ne limite les droits de tiers, en particulier de la recourante. Il ne s'agit pas non plus - comme par exemple dans le cas d'un jugement qui constate si une concession est nécessaire - d'un litige entre l'administration, d'une part, qui fait état de son monopole et, d'autre part, une
BGE 89 I 149 S. 151
personne privée qui prétend exécuter certaines courses sans concession; l'autorisation ne concerne que l'étendue des courses exécutées par l'entreprise des PTT elle-même. Ce problème relève de l'opportunité et, partant, du pouvoir appréciateur de l'administration, pour autant qu'elle n'est pas liée par des règles spéciales.
La recourante invoque l'art. 11 al. 1 de l'ordonnance sur les concessions de transport automobile (ordonnance d'exécution II de la loi sur le service des postes). Cette règle - conforme à l'art. 3 al. 1 lit. b de l'ordonnance I - subordonne l'octroi des concessions à certaines conditions et prévoit notamment, sous sa lettre b, que les courses "ne doivent pas concurrencer sérieusement les entreprises de transports publics". En l'occurrence, on l'a constaté, il s'agit, non pas d'une concession, mais d'une autorisation accordée aux PTT eux-mêmes. La recourante estime que, dans ce cas aussi, il faudrait appliquer la disposition précitée; toutefois elle ne motive pas cette opinion d'une manière précise. A la vérité, la concession et l'autorisation présentent certaines analogies; elles ont les mêmes conséquences pour les entreprises de transports publics. Néanmoins, l'application par analogie que propose la recourante ne s'impose pas. Dans l'exercice de sa régale, l'administration doit être moins limitée que dans la délivrance de concessions à des tiers. De plus, même dans ce dernier cas, on peut douter que la disposition précitée confère un droit aux entreprises de transports publics elles-mêmes, pour autant qu'elles seraient en butte à la concurrence, et leur permette d'intervenir dans la procédure administrative. Sans doute le texte de la lettre b de l'art. 11 al. 1 dit-il que les courses concédées "ne doivent pas" concurrencer. .. etc., comme, d'après celui de la lettre a les courses "doivent" répondre à un besoin, ce qui confère à la règle un caractère impératif. Mais les termes employés dans le préambule au premier alinéa de l'art. 11 ("Les éléments suivants sont en particulier déterminants" ... ) permettent de conclure que si l'autorité doit tenir compte des conditions posées, c'est
BGE 89 I 149 S. 152
dans l'exercice de son pouvoir d'appréciation et que les entreprises de transports publics n'ont pas plus de droit au respect desdites conditions que l'administré n'a droit à la concession qu'il requiert. Il serait singulier que ces entreprises aient qualité pour attaquer, par la voie du recours de droit administratif, la concession accordée et que si l'administration la refuse, la même voie de droit demeure fermée au requérant. On admettra bien plutôt que, dans un cas comme dans l'autre, la voie du recours administratif au Conseil fédéral est ouverte, qui permet le contrôle des questions d'opportunité.
La recourante fonde aussi ses conclusions principales et subsidiaires sur les deux conventions des 7 juin 1938 et 21 octobre 1960, conclues entre l'administration des postes et l'Union des entreprises suisses de transport. Mais il ne s'agit là, selon l'art. 99 ch. XI OJ, ni d'ordonnances d'exécution de la loi sur le service des postes, ni de dispositions d'exécution qui visent les usagers. Ainsi, dans la mesure où les prétentions élevées en l'espèce ne se fondent que sur elles, le recours de droit administratif n'est pas recevable. De plus, la seconde de ces conventions, qui a remplacé la première, ne prévoit plus de dédommagement semblable à celui que demandent les conclusions subsidiaires. Celles-ci, enfin, n'ont pas fait l'objet de la "décision" du 29 janvier 1963.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
1. Déclare le recours irrecevable;
2. Transmet le dossier au Conseil fédéral; | public_law | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b64bc344-2137-4a1e-bcc6-a732677548b4 | Urteilskopf
140 V 2
1. Estratto della sentenza della II Corte di diritto sociale nella causa R. contro Ufficio dell'assicurazione invalidità del Cantone Ticino (ricorso in materia di diritto pubblico)
9C_658/2013 del 26 dicembre 2013 | Regeste
Art. 29 Abs. 1 IVG
;
Art. 88
bis
Abs. 1 lit. a IVV
; nach Aufhebung einer befristeten Rente aus neuer Ursache wiederauflebende Invalidität.
Beruht eine Invalidität auf anderen Gründen als denjenigen, welche zu einer früheren (zwischenzeitlich aufgehobenen) befristeten Rente führten, so handelt es sich um ein neues versichertes Ereignis. In diesem Fall wird die neue Rente frühestens nach sechs Monaten seit Neuanmeldung bei der Invalidenversicherung ausgerichtet (
Art. 29 Abs. 1 IVG
).
Art. 88
bis
Abs. 1 lit. a IVV
ist nicht (auch nicht analogieweise) anwendbar (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 140 V 2 S. 2
A.
A.a
Mediante decisione del 16 dicembre 2010, cresciuta incontestata in giudicato, l'Ufficio AI del Cantone Ticino (UAI), accertata una piena inabilità al lavoro dal 25 gennaio 2008 nella sua precedente
BGE 140 V 2 S. 3
attività di elettromeccanico ma una piena capacità dal 29 marzo 2010 in occupazioni sostitutive adeguate, ha assegnato a R., nato nel 1956, una rendita intera d'invalidità dal 1° dicembre 2009 (trascorsi l'anno di attesa e sei mesi dal deposito, il 19 giugno 2009, della domanda di prestazioni) al 30 giugno 2010 per i postumi di un infortunio che gli aveva provocato lo schiacciamento della mano sinistra. Per le stesse conseguenze infortunistiche l'interessato è inoltre stato posto al beneficio, tra l'altro, di una rendita d'invalidità LAINF del 20 % dal 1° giugno 2010 (decisione dell'Istituto nazionale svizzero di assicurazione contro gli infortuni [INSAI] del 30 giugno 2010).
A.b
Il 4 maggio 2011 R. ha presentato una nuova domanda di prestazioni essenzialmente a causa di disturbi di origine psichica. Esperiti gli accertamenti del caso, che hanno messo in evidenza una situazione stabile per quanto concerneva i disturbi di natura somatica post-infortunistica, ma una condizione di capacità lavorativa nulla (dal 30 marzo 2011) o comunque (dal 31 agosto 2012) limitata - al 35 % e per giunta solo in un ambiente protetto - anche in attività sostitutive per la problematica psichica (sindrome da attacchi di panico e d'ansia generalizzata), l'UAI ha riconosciuto all'assicurato il diritto a provvedimenti integrativi sotto forma di un "periodo necessario ad acquisire la resistenza di base" (dal 28 novembre 2011 al 28 febbraio 2012), poi prolungato al 30 agosto 2012 ("potenziamento della resistenza"), durante il quale ha percepito indennità giornaliere dell'AI.
A.c
Al termine di queste misure, l'amministrazione, per decisione del 4 gennaio 2013, preavvisata il 5 novembre 2012, ha versato all'assicurato una rendita intera d'invalidità dal 1° al 30 novembre 2011 e di nuovo una prestazione intera dal 1° agosto 2012, terminati i provvedimenti professionali. L'UAI ha osservato che in realtà l'interessato avrebbe avuto diritto - in virtù del calcolo della media retrospettiva - a un quarto di rendita, per un grado d'invalidità del 40 %, dopo un anno di carenza con inabilità media di almeno il 40 % già dal 1° giugno 2011 (nove mesi al 20 % e tre mesi al 100 %) e a una rendita intera, per un grado d'invalidità del 100 %, dal 1° settembre 2011 (tre mesi dopo il riconoscimento del quarto di rendita). Il versamento è però stato posticipato al 1° novembre 2011 in considerazione del fatto che per l'ordinamento in materia il diritto alla rendita nasce al più presto dopo sei mesi dalla data in cui l'assicurato ha rivendicato il diritto alle prestazioni.
B.
Contestando l'applicazione del termine di attesa di sei mesi per il versamento delle prestazioni, R. si è aggravato al Tribunale delle
BGE 140 V 2 S. 4
assicurazioni del Cantone Ticino al quale ha chiesto di annullare la decisione amministrativa e di attribuirgli un quarto di rendita dal 1° giugno 2011 e una rendita intera dal 1° settembre 2011.
Per pronuncia del 7 agosto 2013 la Corte cantonale ha respinto il ricorso e confermato l'operato dell'UAI.
C.
L'assicurato ha presentato ricorso al Tribunale federale al quale ribadisce le richieste di primo grado.
Il ricorso è stato respinto.
Erwägungen
Dai considerandi:
3.
3.2
Il Tribunale federale è chiamato a risolvere, per la prima volta, la questione di sapere se nel caso di nuova insorgenza dell'invalidità per
altri
motivi rispetto a quelli che avevano giustificato in passato l'erogazione di una rendita temporanea - nel frattempo soppressa -, la nuova rendita (in quanto tale incontestata) debba al più presto essere versata sei mesi dopo la presentazione della nuova domanda conformemente all'
art. 29 cpv. 1 LAI
, come sostengono il Tribunale cantonale e l'amministrazione, oppure possa esserlo anche prima, allo scadere dell'anno di attesa, ma al più presto dalla data della nuova domanda, come pretende il ricorrente.
4.
4.1
Secondo i primi giudici, siccome la nuova (totale) incapacità lavorativa dell'opponente è stata - pacificamente - causata da una nuova problematica medica, di natura psichiatrica, l'
art. 29
bis
OAI
(RS 831.201) non può trovare applicazione. La Corte cantonale ha quindi fatto proprie le considerazioni dell'Ufficio federale delle assicurazioni sociali (UFAS) che i giudici cantonali hanno appositamente interpellato per un avviso sul caso. Richiamandosi alla sentenza del Tribunale federale delle assicurazioni I 179/01 del 10 dicembre 2001 e alla massima ivi espressa secondo cui se il diritto alla rendita rinasce dopo la manifestazione di una nuova incapacità lavorativa dovuta (anche) a una patologia diversa da quella che aveva originato il diritto alla prima rendita ci si trova in presenza di un secondo caso assicurativo che giustifica un nuovo adempimento del periodo di attesa di un anno, l'UFAS ha concluso che, in siffatta ipotesi, non solo le condizioni dell'
art. 28 cpv. 1 lett. b LAI
ma anche quelle dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
andrebbero (nuovamente) osservate. La Corte cantonale ha aderito a questa tesi.
BGE 140 V 2 S. 5
4.2
Per l'insorgente, invece, l'applicazione del termine di attesa di sei mesi giusta l'
art. 29 cpv. 1 LAI
non si giustifica in una siffatta evenienza. Prevalendosi della ratio di questo disposto, desumibile dal Messaggio del 22 giugno 2005 concernente la modifica della legge federale sull'assicurazione per l'invalidità (5
a
revisione dell'AI), FF 2005 3989, 4098, egli osserva come il legislatore, salvo impedire l'assegnazione di rendite retroattive, non abbia inteso peggiorare la situazione degli assicurati, a questi essendo garantiti il mantenimento dei loro pieni diritti e il versamento della rendita allo scadere dell'anno di attesa se si annunciano tempestivamente all'AI. Orbene, rileva il ricorrente, l'applicazione dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
anche ai casi in cui, come il presente, il periodo di attesa di un anno termina - in casu, in virtù della media retrospettiva, nel mese di giugno 2011 - prima di sei mesi dalla data d'inoltro della (nuova) domanda, porterebbe a un netto peggioramento della situazione di questi assicurati, il versamento della cui rendita verrebbe sistematicamente posticipato di alcuni mesi (nella peggiore delle ipotesi di sei) anche qualora si attenessero pienamente ai loro obblighi e si annunciassero subito all'AI in occasione del peggioramento del loro stato di salute. Per questi casi egli rivendica il diritto al versamento della rendita allo scadere dell'anno di attesa, ma al più presto, in analogia all'
art. 88
bis
cpv. 1 lett. a OAI
, dal giorno in cui è stata inoltrata la nuova domanda AI, a condizione che la stessa sia stata depositata entro sei mesi dal peggioramento.
5.
5.1
Contrariamente a quanto sembra pretendere l'insorgente, nulla di decisivo per la risoluzione della presente vertenza può dedursi dalla sentenza 8C_888/2011 del 7 maggio 2012 (in SVR 2012 IV n. 48 pag. 174). In quella occasione si era trattato di esaminare il momento a partire dal quale andava versata la nuova prestazione nel caso in cui la persona assicurata, dopo la soppressione della rendita, avesse, nel termine di tre anni di cui all'
art. 29
bis
OAI
, presentato una nuova domanda a dipendenza della
medesima
affezione. La I Corte di diritto sociale del Tribunale federale si è limitata a osservare in quella causa che secondo l'ordinamento in vigore dal 1° gennaio 2008 un inizio del diritto alla rendita non è più possibile prima della sua richiesta. Detta Corte non ha invece dovuto decidere se in simili casi sia applicabile per analogia la norma speciale - valida nella procedura di revisione - dell'
art. 88
bis
cpv. 1 lett. a OAI
, in forza della quale un aumento della rendita è al più presto possibile dal mese in cui
BGE 140 V 2 S. 6
la domanda è stata inoltrata, oppure la regola generale dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
con il suo periodo di attesa di sei mesi. Dal momento che l'Ufficio AI interessato aveva riconosciuto di fare decorrere la nuova rendita dall'inizio del mese della nuova domanda, il Tribunale federale non ha dovuto chinarsi oltre sulla questione (sentenza citata 8C_888/2011 consid. 5.2).
5.2
La questione lasciata aperta in quella vertenza non deve essere risolta nemmeno nel presente contesto, anche perché le fattispecie sono comunque diverse (sul tema cfr. nondimeno MICHEL VALTERIO, Droit de l'assurance-vieillesse et survivants [AVS] et de l'assurance- invalidité [AI], 2011, pag. 109 seg.). Contrariamente a quella giudicata nella sentenza 8C_888/2011, quella qui in esame non soggiace alla regola speciale dell'
art. 29
bis
OAI
. Come ha accertato in maniera vincolante e pacifica la Corte cantonale, la nuova invalidità è insorta per
altri
motivi rispetto a quelli che avevano giustificato l'erogazione della rendita temporanea dal 1° dicembre 2009 al 30 giugno 2010. Trovandosi pertanto - come hanno rilevato correttamente l'autorità giudiziaria cantonale e l'amministrazione - in presenza di
due
diversi
eventi assicurati
(cfr. sentenza 9C_93/2008 del 19 gennaio 2009 consid. 7.4, in SVR 2009 IV n. 27 pag. 75; sentenza del Tribunale federale delle assicurazioni I 179/01 del 10 dicembre 2001 consid. 3a; ULRICH MEYER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 2
a
ed. 2010, pag. 366),
per ognuno
di essi il diritto alla rendita va subordinato al periodo di attesa dell'
art. 28 cpv. 1 lett. b LAI
, mentre il termine dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
determina l'inizio del versamento. Va dunque sostanzialmente condivisa la tesi dell'UFAS che propone di applicare - quantomeno per analogia - alla fattispecie la cifra marginale 2030 della Circolare sull'invalidità e la grande invalidità nell'assicurazione per l'invalidità (CIGI
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/3950/lang:ita/category:34
; sul significato e la portata, non vincolante per il giudice, delle direttive amministrative cfr.
DTF 137 V 1
consid. 5.2.3 pag. 8 seg.;
DTF 132 V 121
consid. 4.4 pag. 125 con riferimenti). Quest'ultima prevede che se l'ufficio AI entra nel merito della seconda domanda - dopo che il diritto alle prestazioni era stato esaminato e giustamente respinto in occasione di una prima domanda -, l'eventuale rendita sorge al più presto sei mesi dopo la presentazione della (nuova) richiesta di prestazioni. Nulla impedisce di disciplinare allo stesso modo la situazione qui in esame, in cui una rendita era sì stata riconosciuta ma solo per un periodo limitato e comunque per
altri
motivi rispetto a quelli che hanno
BGE 140 V 2 S. 7
determinato la nuova domanda. Non vi è infatti valida ragione di trattare diversamente - sotto questo profilo - questa seconda categoria di assicurati rispetto alla prima.
5.3
Nemmeno l'interpretazione dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
impone di seguire la tesi del ricorrente. Contrariamente a quanto invocato, il senso e lo scopo della norma, così come emergono dai lavori preparatori (sulla rilevanza di questi ultimi soprattutto nel caso di disposizioni recenti, se la volontà storica dell'autore della norma ha trovato, come nella fattispecie, espressione nel testo oggetto d'interpretazione cfr.
DTF 138 V 481
consid. 5.5 pag. 493 con riferimenti), non giustificano di scostarsi dal suo testo chiaro (cfr. anche le versioni tedesca e francese "Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs"; "Le droit à la rente prend naissance au plus tôt à l'échéance d'une période de six mois à compter de la date à laquelle l'assuré a fait valoir son droit aux prestations"). È vero che lo scopo della nuova regolamentazione relativa all'insorgenza del diritto e all'inizio della rendita era principalmente quello di incentivare gli assicurati ad annunciarsi il più presto possibile all'AI per permettere, da un lato, agli interessati di preservare il loro eventuale diritto alla rendita e, dall'altro, all'AI di attuare provvedimenti d'integrazione nel momento in cui possono ancora esplicare tutta la loro efficacia (FF 2005 3989 segg., 4065 e 4098; cfr. pure
DTF 137 V 351
consid. 4.2 pag. 357). Similmente va dato atto che nelle intenzioni del legislatore - che su questo specifico punto ha ripreso, senza discussione alcuna, il progetto sottopostogli dal Consiglio federale (BU 2006 CN 382; BU 2006 CS 607) - il nuovo disciplinamento non avrebbe comportato restrizioni del diritto alle prestazioni. Ciò nondimeno questo auspicio vale, come sottolinea lo stesso Consiglio federale, solo in linea di massima - così ad esempio per il caso normale di primo annuncio all'AI - e per quanto
tutte
le condizioni del diritto siano comunque adempiute (FF 2005 4065 e 4098; cfr. pure
DTF 138 V 475
consid. 3.2.1 pag. 478 seg.; MEYER, op. cit., pag. 365). In nessun modo i lavori preparatori forniscono, invece, lo spunto per non applicare il termine di attesa di sei mesi dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
nel caso di nuova domanda a seguito di un nuovo evento assicurato.
Del resto, se la legge fa nascere il diritto alla rendita
al più presto dopo sei mesi
dalla data in cui l'assicurato ha rivendicato il diritto alle prestazioni e se quest'ultimo le rivendica a dipendenza di un'inabilità causata da un nuovo (e decisivo) evento - perché l'invalidità
BGE 140 V 2 S. 8
residua relativa al primo (e diverso) è chiaramente insufficiente -, non vi è motivo per non versare la rendita sei mesi dopo il nuovo annuncio all'AI. Il fatto che l'incapacità residua precedente permetta di anticipare - grazie alla media retrospettiva (cfr. ad esempio sentenza 9C_971/2009 del 14 giugno 2011 consid. 3.1) - la scadenza del termine annuo ai sensi dell'
art. 28 cpv. 1 lett. b LAI
non significa che in una simile situazione si possa per questo prescindere dall'applicazione del termine di attesa dell'
art. 29 cpv. 1 LAI
per il versamento della prestazione.
5.4
Quanto alla invocata applicazione, per analogia, dell'
art. 88
bis
cpv. 1 lett. a OAI
, è sufficiente il rilievo che la norma speciale d'ordinanza presuppone, secondo il suo tenore letterale e il suo contesto sistematico, una rendita in corso (
DTF 129 V 211
consid. 3.2.1 pag. 217 in fine e consid. 3.2.4 pag. 219;
DTF 109 V 108
consid. 1b pag. 111). Ora, siccome nella fattispecie la prestazione è stata riattivata solo dopo l'insorgenza della nuova invalidità, l'
art. 88
bis
cpv. 1 lett. a OAI
non è applicabile, nemmeno per analogia. | null | nan | it | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b64d3391-df84-43d1-ad54-16f4efc0117d | Urteilskopf
135 III 28
4. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause X. contre Y. et Office des poursuites et faillites de Montreux (recours en matière civile)
5A_672/2008 du 10 décembre 2008 | Regeste
Frist zur Verwertung von Grundstücken (
Art. 133 Abs. 1 SchKG
); Zwangsverwertung eines Grundstücks, welches Gegenstand eines Enteignungsverfahrens ist; Aufschub des Verwertungsverfahrens.
Das Betreibungsamt kann die Verwertung eines Grundstücks nur aufschieben, wenn die Voraussetzungen des - aufgrund der Verweisung in
Art. 143a SchKG
anwendbaren -
Art. 123 SchKG
erfüllt sind oder wenn eine Beschwerde, eine Widerspruchsklage, eine Klage betreffend die Bestreitung des Lastenverzeichnisses oder ein anderes Verfahren hängig ist, welches die Verwertung des Grundstücks hindert. Das Enteignungsverfahren hat keine solche Wirkung (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 135 III 28 S. 28
A.
Le 31 juillet 2002, X. (ci-après: la créancière) a introduit auprès de l'Office des poursuites et faillites de Montreux une poursuite en réalisation de gage immobilier contre Y. (ci-après: la débitrice), portant sur une parcelle objet d'une procédure d'expropriation pendante devant la Commission fédérale d'estimation depuis le 14 mai 2001. La créancière ayant requis la vente de l'immeuble le 9 mai 2003, l'office a, après avoir fait expertisé celui-ci, adressé le procès- verbal d'estimation du gage aux parties le 26 février 2004. Toutefois,
BGE 135 III 28 S. 29
par décision du 24 mai 2004, il a suspendu la procédure de réalisation du gage immobilier jusqu'à droit connu sur le résultat final de la procédure d'expropriation.
B.
Le 25 juin 2007, la créancière a requis la continuation de la procédure de réalisation du gage immobilier. Avisée alors par l'office de la publication de la vente de l'immeuble, les enchères devant avoir lieu le 30 novembre 2007, la débitrice a, par la voie d'une plainte, demandé le "retrait immédiat de la vente", contesté l'estimation du gage immobilier et requis une nouvelle expertise. Après avoir tout d'abord admis la plainte et ordonné une nouvelle expertise de l'immeuble, décision qui fut toutefois annulée sur recours de la débitrice, l'autorité cantonale inférieure de surveillance a, par prononcé du 2 juillet 2008, suspendu la procédure de plainte. Elle a considéré, en bref, qu'il y avait lieu d'attendre les décisions de la Commission fédérale d'estimation quant à l'expertise que celle-ci envisageait d'aménager, quant à l'intervention de la créancière dans la procédure d'expropriation, quant à la demande d'extension de l'expropriation formulée par la débitrice et, le cas échéant, quant à la procédure de répartition.
Le recours formé contre ce prononcé par la créancière, qui demandait à ce que fût ordonnée la continuation immédiate de la procédure de réalisation forcée, a été rejeté par arrêt de l'autorité cantonale supérieure de surveillance du 19 septembre 2008.
C.
La créancière a interjeté contre cet arrêt un recours en matière civile pour violation, notamment, des
art. 123 et 133 LP
. Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé l'arrêt attaqué et renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
Sous l'angle des
art. 123 et 133 LP
, l'arrêt attaqué retient en substance qu'au stade actuel de la poursuite en cause, l'incertitude liée au sort de la procédure d'expropriation est de nature à influencer considérablement le prix de vente de l'immeuble à réaliser, cette procédure pouvant avoir pour effet l'expropriation matérielle ou formelle. Pour la cour cantonale, de telles conséquences sont assimilables aux éléments auxquels la loi accorde une importance dans le cadre de la vente aux enchères d'un immeuble et qui commandent
BGE 135 III 28 S. 30
de surseoir à la vente tant que ces éléments ne sont pas connus ou déterminés. A cet égard, la procédure d'expropriation pendante devrait ainsi être assimilée aux procédures de revendication ou de contestation de l'état des charges, reconnues comme justifiant une telle suspension.
3.2
En vertu de l'
art. 133 al. 1 LP
, les immeubles doivent être réalisés par l'office des poursuites trois mois au plus tard à compter de la réception de la réquisition de réaliser. Il s'agit là d'un délai d'ordre, dont la violation peut constituer un retard injustifié engageant la responsabilité du canton (
art. 5 LP
) et la responsabilité disciplinaire du préposé (
art. 14 al. 2 LP
). L'office ne peut surseoir à la réalisation d'un immeuble que dans le cadre de l'
art. 123 LP
, applicable par renvoi de l'
art. 143a LP
, ou lorsqu'est pendante une plainte ou une action en revendication ou en contestation de l'état des charges, ou encore toute autre procédure paralysant la réalisation de l'immeuble (arrêt 7B.83/2006 consid. 1.1 et les références citées). Sont considérées comme ayant un tel effet les procédures de purge hypothécaire au sens des art. 828 s. CC (
art. 153 al. 3 LP
), les mesures de blocage au registre foncier prises par le juge civil, le séquestre ordonné par le juge pénal en vue de confiscation, la procédure de conciliation engagée, dans le cadre de la réalisation d'une part de copropriété, en application de l'art. 73e de l'ordonnance du Tribunal fédéral du 23 avril 1920 sur la réalisation forcée des immeubles (ORFI; RS 281.42) (cf. DENIS PIOTET, in Commentaire romand, Poursuite et faillite, n. 14 s. ad Intro.
art. 133-143b LP
et n. 4 ad
art. 133 LP
). La simple expectative, au-delà du délai d'ordre de l'
art. 133 LP
, d'une plus-value résultant d'une future affectation partielle en zone à bâtir ne suffit pas (arrêt 7B.253/2002 du 20 décembre 2002, in Pra 2003 n° 160 p. 879).
3.3
Au vu de ce qui précède, c'est à juste titre que la recourante critique le point de vue soutenu par la cour cantonale. En effet, l'on ne se trouve pas dans l'un des cas légaux de sursis à la réalisation et la procédure d'expropriation ne figure pas au nombre des procédures considérées comme paralysant la réalisation de l'immeuble. Outre qu'elle est dépourvue de base légale, la suspension ordonnée en l'espèce a pour effet de repousser la réalisation de l'immeuble en cause à une date indéterminée, dès lors que la procédure d'expropriation initiée en 2001 ne se trouve actuellement qu'au stade de la mise en oeuvre de l'expert et qu'elle est donc loin d'être terminée, compte tenu des possibilités de compléments d'expertise et/ou
BGE 135 III 28 S. 31
contre-expertises, et de recours contre les décisions à intervenir. Comme le relève à raison la recourante, l'incertitude liée au sort de la procédure d'expropriation n'est pas sans rappeler plutôt celle d'une expectative de plus-value résultant d'une éventuelle collocation future de l'immeuble en zone à bâtir, circonstance qui ne justifie pas, selon la jurisprudence susmentionnée, une suspension de la procédure de réalisation.
Il s'ensuit que le recours doit être admis pour violation des règles fédérales relatives au délai de réalisation des immeubles (
art. 133 al. 1 LP
) et que la cause doit être renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle rende une nouvelle décision conforme à ces règles.
3.4
Les considérations ci-dessus suffisant à sceller le sort du recours, il n'est pas nécessaire d'examiner les autres griefs de la recourante, tirés de la violation du droit constitutionnel fédéral. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b653121c-27ce-4051-a287-165fa298b6b0 | Urteilskopf
122 II 403
51. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. September 1996 i.S. Fahrudin Sofic gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 13 lit. h und 28 Abs. 1 lit. a und b BVO; Ausnahme von der zahlenmässigen Begrenzung der Ausländer bei Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung; Härtefall.
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1).
Berechnung der Aufenthaltsdauer gemäss
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
(E. 2).
Praxis betreffend Militärdienst (E. 3c).
Die inskünftig fehlende Umwandlungsmöglichkeit kann zusammen mit weiteren Umständen eine persönliche Härte begründen. Härtefall bejaht (E. 3d). | Sachverhalt
ab Seite 404
BGE 122 II 403 S. 404
Fahrudin Sofic, aus Bosnien-Herzegowina stammend, reiste 1990 erstmals als Saisonnier in die Schweiz ein. Ein Gesuch um Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung unterbreitete die Fremdenpolizei des Kantons Appenzell Ausserrhoden am 15. November 1994 dem Bundesamt für Ausländerfragen zum Entscheid über die Ausnahme von der zahlenmässigen Begrenzung der Ausländer nach Art. 28 in Verbindung mit
Art. 13 lit. h der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (Begrenzungsverordnung, BVO; SR 823.21)
. Das Bundesamt lehnte das Gesuch am 18. November 1994 ab.
Eine Beschwerde an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement blieb ohne Erfolg.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 12. Februar 1996 an das Bundesgericht beantragt Fahrudin Sofic, den Entscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 10. Januar 1996 aufzuheben und festzustellen, dass der Beschwerdeführer von den Höchstzahlen der Begrenzungsverordnung ausgenommen sei; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung und Beweisergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gegen Entscheide über die Ausnahme von den Höchstzahlen der Begrenzungsverordnung - insbesondere im Zusammenhang mit der Umwandlung
BGE 122 II 403 S. 405
von Saison- in Jahresbewilligungen in Anwendung von Art. 13 lit. h in Verbindung mit
Art. 28 Abs. 1 BVO
- ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig (
BGE 122 II 113
E. 1 S. 116 mit Hinweisen). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten.
2.
a) Nach
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
kann eine Saison- in eine Jahresbewilligung umgewandelt werden, wenn der Ausländer sich in den letzten vier Jahren während insgesamt 36 Monaten ordnungsgemäss als Saisonnier zur Arbeit in der Schweiz aufgehalten hat. Massgebend für die Berechnung der Anwesenheitsdauer ist die Zeit, während welcher der Ausländer in der Schweiz mit einer gültigen Saisonbewilligung tatsächlich anwesend war und gearbeitet hat. Nach den Berechnungen der Vorinstanz trifft dies beim Beschwerdeführer für folgende Zeiträume zu:
1990: 8. März bis 7. Dezember = 9 Monate
1991: 5. März bis 4. Dezember = 9 Monate
1992: 14. April bis 12. Dezember = 7 Monate 29 Tage
1993: 13. März bis 12. Dezember = 9 Monate
1994: 13. März bis 30. November = 8 Monate 18 Tage
b) Im Jahre 1992 befand sich der Beschwerdeführer vom 1. März bis 10. April im Militärdienst, weshalb er seine Saison erst am 14. April antreten konnte. Nach der Praxis der Bundesbehörden wird für den Fall, dass ein Ausländer die notwendige Anwesenheitsdauer von 36 Monaten während vier aufeinanderfolgenden Saisons wegen Absolvierung von Militärdienst nicht erreicht, die entsprechende Saison nicht mitgerechnet. Das Bundesgericht hat diese Praxis im Grundsatz für sachgerecht erachtet (unveröffentlichte Urteile i.S. G. vom 25. Oktober 1993 und i.S. D. vom 29. November 1995). Unter bestimmten weiteren Voraussetzungen können allerdings nur kurze militärbedingte Abwesenheiten bei der Prüfung, ob ein Härtefall nach
Art. 28 Abs. 1 lit. b BVO
vorliegt, berücksichtigt werden (dazu E. 3c).
c) Wird im vorliegenden Fall die Saison 1992 nicht mitgerechnet, fehlen dem Beschwerdeführer nach der Berechnung des Departements dennoch zwölf Tage, womit dieser selbst unter Berücksichtigung der praxisgemäss gewährten Toleranzfrist von sieben Tagen die zeitlichen Voraussetzungen einer ordentlichen Umwandlung nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer ist nun allerdings der Meinung, es sei ihm für das Jahr 1994 eine volle Saison anzurechnen und nicht, wie nach der Berechnung des Departements lediglich
BGE 122 II 403 S. 406
acht Monate und 18 Tage. Die Arbeitgeberin des Beschwerdeführers, die Bauunternehmung Hohl AG, Heiden, reichte am 2. März 1994 das Gesuch um Erteilung einer Saisonbewilligung ein, wobei eine Aufenthaltsdauer für die Zeit vom 14. März bis 30. November 1994 beantragt wurde. Dem Gesuch war ein Arbeitsvertrag, ebenfalls gültig bis 30. November 1994 beigelegt. Am 14. März 1994 stellte das Bundesamt für Ausländerfragen das Visum zum Stellenantritt aus, wobei unter der Rubrik Aufenthaltsdauer vermerkt war: Saison, 15. März - 30. Dezember 1994. Diese Angabe war insoweit irrtümlich, als die Saisondauer neuneinhalb Monate betragen hätte, was mit
Art. 16 Abs. 1 BVO
unvereinbar ist; das Ende der Saison im Baugewerbe war im übrigen auf den 17. Dezember 1994 festgesetzt worden. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer von der Fremdenpolizei des Kantons Appenzell Ausserrhoden eine vom 13. März bis 30. November 1994 gültige Saisonbewilligung erteilt. Nach Ablauf der erteilten Saisonbewilligung Ende November 1994 blieb der Beschwerdeführer weiterhin in der Schweiz und war hier erwerbstätig, wobei ihm im Rahmen der "Aktion Bosnien-Herzegowina" für die Zwischensaison 1994/95 eine Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt wurde.
d)
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
stellt darauf ab, dass sich der Ausländer als Saisonnier zur Arbeit in der Schweiz aufgehalten hat. Für die Berechnung der Aufenthaltsdauer ist deshalb der tatsächliche Aufenthalt massgebend, der nach Zeit und Zweck durch die Saisonbewilligung abgedeckt ist (unveröffentlichtes Urteil i.S. K. vom 21. Dezember 1995, E. 2c); Kurzaufenthalte in der Schweiz, welche nicht zur Saisontätigkeit gehören, sondern in anderem Zusammenhang bewilligt wurden, können an die Aufenthaltsdauer nicht angerechnet werden (
BGE 122 II 113
E. 3a S. 119 f.). Es trifft nun zwar zu, dass die kantonale Behörde eine kürzer dauernde Saisonbewilligung erteilt hat, als es der im Visum zum Stellenantritt vom Bundesamt für Ausländerfragen vorgegebene zeitliche Rahmen erlaubt hätte. Das kann aber nicht beanstandet werden, da die kantonale Fremdenpolizei nicht verpflichtet ist, eine Saisonbewilligung zu erteilen, und sie deshalb auch eine kürzere Dauer festlegen kann (unveröffentlichtes Urteil i.S. K. vom 9. November 1995, E. 3b). Das hat sie vorliegend in Übereinstimmung mit dem von der Arbeitgeberin des Beschwerdeführers eingereichten Arbeitsvertrag getan. Es bleibt damit dabei, dass der Beschwerdeführer als Saisonnier die für die Umwandlung erforderliche Aufenthaltsdauer nicht erreicht.
3.
a)
Art. 28 Abs. 1 lit. b BVO
ermöglicht die Umwandlung auch bei
BGE 122 II 403 S. 407
schwerwiegenden persönlichen Härtefällen. Die Härtefallregel bildet die Ausnahme zur grundsätzlichen Norm des
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
, was insbesondere bedeutet, dass sie von deren strengen zeitlichen Erfordernissen dispensiert. Diese beruhen darauf, dass Saisonbewilligungen für längstens neun Monate erteilt werden (
Art. 16 Abs. 1 BVO
), für eine Umwandlung aber verlangt wird, dass sich der Saisonnier in den letzten vier Jahren insgesamt 36 Monate zur Arbeit in der Schweiz aufgehalten hat. Die Härtefallregel erlaubt es, die Grundregel flexibler und weniger formalistisch anzuwenden und die besonderen Umstände des Einzelfalls zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen (
BGE 117 Ib 317
E. 3b S. 320; Urteil vom 7. Dezember 1990, in ZBl 92/1991 S. 310, E. 2b). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist für die Annahme eines Härtefalls wesentlich, dass die allfällige Verweigerung der Umwandlung den betroffenen Ausländer besonders hart träfe. Der Grund dafür kann sowohl in den persönlichen Folgen der Nichtumwandlung als auch in den Ursachen liegen, die ihn daran hinderten, den zeitlichen Erfordernissen von
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
nachzukommen (Urteil vom 7. Dezember 1990, in ZBl 92/1991 S. 310, E. 2c). Dabei ist unter anderem massgeblich, ob der Saisonnier die Umstände, welche die Erfüllung der Umwandlungsvoraussetzungen verhinderten, selbst verschuldet oder verursacht hat. Das Verhalten des für ihn handelnden schweizerischen Arbeitgebers hat er sich grundsätzlich insoweit anrechnen zu lassen, als dieser bei der Erfüllung der ordentlichen zeitlichen Voraussetzungen zwingend mitzuwirken hat; allenfalls vorbehalten bleiben besondere Umstände, wie unkorrektes, gegen die Interessen des Ausländers gerichtetes Verhalten des Arbeitgebers. Schliesslich ist die Tragweite der Auswirkungen des negativen Verfahrensverlaufes für den Betroffenen zu berücksichtigen (Urteil vom 7. Dezember 1990, in ZBl 92/1991 S. 310, E. 2c).
b) Saisonniers aus dem ehemaligen Jugoslawien befinden sich hinsichtlich der Umwandlung ihrer Saison- in eine Jahresbewilligung insofern in einer besonderen Situation, als Ausländer, die nicht aus den Staaten der EFTA und der EU stammen, im Falle der Abweisung ihres Gesuchs die Möglichkeit der Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung endgültig verlieren, da derartige Umwandlungen ab 1. Januar 1995 nur noch für Angehörige aus Staaten der EFTA und der EG bzw. der EU in Frage kommen (
Art. 28 Abs. 1 BVO
in der Fassung vom 19. Oktober 1994; AS 1994 2310, bzw. nunmehr vom 25. Oktober 1995; AS 1995 4871). Diese vom Bundesrat gewollte, für sämtliche
BGE 122 II 403 S. 408
Betroffenen, namentlich die Bürger des ehemaligen Jugoslawien, in gleicher Weise geltende Erschwerung kann, wie das Bundesgericht mehrfach entschieden hat, für sich allein nicht als persönliche Härte qualifiziert und damit praktisch wieder rückgängig gemacht werden (
BGE 122 II 113
E. 4b S. 125 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang aber ebenfalls festgehalten, dass die in Zukunft fehlenden Umwandlungsmöglichkeiten zusammen mit weiteren Umständen eine persönliche Härte begründen können (unveröffentlichte Urteile i.S. K. vom 2. Mai 1996, i.S. A. vom 14. Mai 1996, i.S. G. vom 18. Juni 1996, i.S. N. vom 9. Juli 1996 sowie i.S. K. vom 9 Juli 1996), da nach der Rechtsprechung die Tragweite des negativen Verfahrensverlaufs und damit der Umstand von Bedeutung ist, ob dem Ausländer die Möglichkeit verbleibt, binnen vernünftiger Frist doch noch zu einer Jahresbewilligung zu gelangen (Urteil vom 7. Dezember 1990, in ZBl 92/1991 S. 310, E. 2c). Zusätzlich zur in Zukunft fehlenden Umwandlungsmöglichkeit als schwerwiegende persönliche Folge einer Nichtumwandlung kommen im vorliegenden Fall zwei Gesichtspunkte in Betracht, welche die Ursachen betreffen, die den Beschwerdeführer daran hinderten, die zeitlichen Voraussetzungen von
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
zu erfüllen. Dies betrifft zunächst den Militärdienst im Jahre 1992 (lit. c hiernach), alsdann die Umstände, welche im Jahre 1994 zur verkürzten Saisondauer führten (lit. d hiernach).
c) Das Bundesgericht hat im unveröffentlichten Urteil i.S. K. vom 2. Mai 1996 erkannt, dass es zwar regelmässig richtig ist, Militärdienst lediglich bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer gemäss
Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO
zu berücksichtigen (Überspringen der Saison), dass aber ausnahmsweise eine militärdienstbedingte Absenz auch unter dem Gesichtspunkt des Härtefalls von Bedeutung sein kann. Das trifft nach diesem Urteil dann zu, wenn die militärbedingte verspätete Einreise sich etwa auf den zeitlichen Rahmen einer Ferienabwesenheit beschränkt und das Aufgebot den Beschwerdeführer unverhofft zu einem Zeitpunkt trifft, in dem bereits alles Nötige für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit im Rahmen einer ordentlichen neunmonatigen Saison vorgekehrt worden ist.
Im Jahre 1992 hatte der Beschwerdeführer vom 1. März bis 10. April Militärdienst zu leisten. Das Gesuch um Erteilung der Einreisebewilligung sowie der seitens der Arbeitgeberin unterzeichnete Arbeitsvertrag datieren aber erst vom 23. März, wobei als Arbeitsbeginn der 20. April vermerkt war.
BGE 122 II 403 S. 409
Zum Zeitpunkt der Gesuchseinreichung befand sich der Beschwerdeführer bereits im Militärdienst; es liegt damit nicht ein unverhofftes Ereignis - nach Erfüllung aller Bewilligungsvoraussetzungen - vor, welches den Antritt der Saison verzögert hätte. Es bleibt deshalb dabei, dass der Militärdienst lediglich insoweit zu berücksichtigen ist, als die entsprechende Saison nicht mitgezählt wird.
d) Die Saison 1994 trat der Beschwerdeführer am 13. März an. Die Bewilligung lautete entsprechend den Angaben der Arbeitgeberin auf den 30. November, dies obwohl an sich auch eine neunmonatige Saison bis Mitte Dezember möglich gewesen wäre. Die für die erforderliche Aufenthaltsdauer von 36 Monaten in den letzten vier Jahren bzw. hier (wegen des Militärdienstes) in den Jahren 1990, 1991, 1993 und 1994 hätte der Beschwerdeführer damit ohne weiteres erreicht. Nun ist es zwar möglich, dass ein Saisonnier vom Arbeitgeber nicht während einer vollen Saisondauer beschäftigt werden kann. Selbst wenn den Saisonnier dafür keine Schuld trifft, erfüllt er in diesem Fall die Umwandlungsvoraussetzungen nicht. Der Saisonnier ist generell darauf angewiesen, dass er von seinem Arbeitgeber beschäftigt wird und dieser die erforderlichen Dispositionen trifft. Vorliegend ist der Beschwerdeführer allerdings nach Ablauf der verkürzt bewilligten Saisondauer weiterbeschäftigt worden, freilich unter dem Titel der Kurzaufenthaltsbewilligung. Dabei wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die bewilligte Saison von acht Monaten und 18 Tagen zu verlängern, zumal das Visum zum Stellenantritt ebenfalls eine längere Aufenthaltsdauer vorsah. Der Beschwerdeführer reichte am 7. September 1994, also noch während laufender Saison, das Gesuch um Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung ein. Der Entscheid des Bundesamtes für Ausländerfragen, mit welchem eine Ausnahme von den Höchstzahlen der Begrenzungsverordnung erstinstanzlich abgelehnt wurde, erging ebenfalls noch vor Ende der bewilligten Saison, nämlich am 18. November 1994. Sowohl der kantonalen Fremdenpolizei wie auch dem Bundesamt für Ausländerfragen war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht bewusst, dass die Saison 1992 wegen Militärdienstes nicht mitzuzählen ist und deshalb mit einer Verlängerung der Saisonbewilligung 1994 bis zum Saisonende in der Bauwirtschaft die Umwandlungsvoraussetzungen hätten erfüllt werden können. Es ist aber davon auszugehen, dass eine solche Verlängerung ohne weiteres bewilligt worden wäre, wenn die Behörden die Zusammenhänge erkannt hätten, zumal die Arbeitgeberin selber das entsprechende Gesuch einreichte und den
BGE 122 II 403 S. 410
Beschwerdeführer somit weiterbeschäftigen wollte. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer mit Ablauf der Saisonbewilligung weiterhin erwerbstätig blieb, nämlich mit der Kurzaufenthaltsbewilligung im Rahmen der "Aktion Bosnien-Herzegowina".
Bei dieser Sachlage verfehlt der Beschwerdeführer die Umwandlungsvoraussetzungen aufgrund einer reinen Formalie. Er war während der vollen neunmonatigen Saisondauer in der Schweiz erwerbstätig, in den letzten zwölf Tagen aufgrund eines anderen Titels, dies allerdings auch nur deshalb, weil aufgrund unglücklicher Umstände (Militärdienst im Jahre 1992) weder er selber noch die Fremdenpolizei oder das Bundesamt für Ausländerfragen erkannt haben, dass die Umwandlungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs noch ohne weiteres durch Verlängerung der Saison im Rahmen der üblichen Saisondauer im Baugewerbe zulasten der ohnehin erteilten Kurzaufenthaltsbewilligung hätten erfüllt werden können.
e) Angesichts dieser Umstände (formelles Fehlen weniger Tage aufgrund des dargestellten Missgeschicks; keine Möglichkeit der Umwandlung mehr) träfe die Verweigerung der Umwandlung den Beschwerdeführer besonders hart, weshalb ein schwerwiegender persönlicher Härtefall im Sinne von
Art. 28 Abs. 1 lit. b BVO
vorliegt. Entsprechend ist der Beschwerdeführer für die Erteilung der Jahresbewilligung von den Höchstzahlen für erwerbstätige Ausländer auszunehmen. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6539892-8eec-4b0c-ae0d-6ea38d66dac7 | Urteilskopf
116 II 587
105. Arrêt de la Ire Cour civile du 8 novembre 1990 dans la cause V. S.A. contre B. S.A. (recours en réforme) | Regeste
Umsatzabhängige Mietzinsklausel.
1. Streitwertberechnung (
Art. 47 Abs. 1 OG
; E. 1).
2. Die Verbindung eines festen Mietzinses mit einem umsatzabhängigen ist weder nach Obligationenrecht noch nach BMM untersagt; sie fällt insbesondere nicht unter
Art. 267e Abs. 2 OR
und
Art. 11 BMM
(E. 2).
3. Obwohl der umsatzabhängige Mietzins dem BMM unterstellt ist, fällt er weder unter den gestaffelten (
Art. 10 BMM
) noch unter den indexgebundenen Mietzins (
Art. 9 BMM
); er kann deshalb während der Dauer der Miete nicht angefochten werden (E. 3).
4. Die Anfechtung der Berechnungsart des umsatzabhängigen Mietzinses fällt nicht unter den BMM (E. 5).
5. Rechtsmissbräuchliche Anfechtung einer zulässigen Vertragsklausel (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 588
BGE 116 II 587 S. 588
A.-
En juin 1975, B. S.A. a remis à bail à V. S.A. des locaux affectés à l'exploitation d'une boutique de confection pour dames. Initialement de 5 ans, le bail a été prolongé pour une durée de 15 ans, soit du 1er août 1980 au 31 juillet 1995, par un avenant du 31 juillet 1979.
Selon l'art. 3 du contrat de bail, le loyer est composé:
a) d'un loyer de base de 43'476 francs par an, indexé sur l'indice suisse des prix à la consommation et
b) si et dans la mesure où il dépasse le loyer de base, d'un loyer complémentaire calculé en fonction d'un pourcentage du chiffre d'affaires réalisé par le locataire.
Fixé au début à 7,5%, ce pourcentage a été ramené à 6,5% par un avenant d'octobre 1978.
Le locataire devait présenter un relevé du chiffre d'affaires réalisé au cours de l'exercice précédent le 31 janvier de chaque année, au plus tard. Si le loyer complémentaire était supérieur au loyer de base, le locataire devait payer l'excédent jusqu'au 31 mars de l'année en cours.
B.-
Statuant le 31 octobre 1984 sur une contestation relative au supplément de loyer pour 1981, la Cour de justice du canton de Genève a admis la licéité de cet art. 3; considérant cependant que B. S.A. aurait dû notifier l'augmentation de loyer au moyen de la formule officielle, elle a jugé que la créance de loyer n'était pas due.
Saisi d'une action en contestation de l'augmentation de loyer introduite parallèlement par V. S.A., le Tribunal des baux et loyers a, le 15 juillet 1982, donné acte à V. S.A. "de ce qu'elle reconnaît la licéité de l'art. 3 du bail".
C.-
Par avis de majoration de loyer du 30 avril 1986, B. S.A. a communiqué à V. S.A. une prétention de 19'077 francs, motivée par l'adaptation du loyer basé sur le chiffre d'affaires de l'exercice 1985.
Devant la commission de conciliation en matière de baux et loyers, V. S.A. a estimé ne devoir que 15'385 fr. 75 à titre de solde de loyer.
BGE 116 II 587 S. 589
Après non-conciliation, B. S.A. a introduit une demande en validation de la majoration du loyer du 30 avril 1986.
D.-
Par nouvel avis de majoration de loyer du 7 mai 1987, B. S.A. a communiqué à V. S.A. une nouvelle prétention de 33'934 francs sur la base du chiffre d'affaires de l'exercice 1986.
V. S.A. a derechef saisi la commission de conciliation, contestant à nouveau le mode de calcul utilisé par B. S.A. Elle a arrêté à 29'488 fr. 20 le solde de loyer.
Par ailleurs, V. S.A. a estimé que l'augmentation de loyer était abusive, le loyer de base fixé à 54'130 francs et les prétentions du bailleur par 88'064 francs représentant, l'un par rapport à l'autre, une augmentation de 62,7%.
Après échec de la conciliation, B. S.A. a introduit une demande en validation de la majoration du loyer du 7 mai 1987.
E.-
Après avoir ordonné la jonction des causes, le Tribunal des baux et loyers a admis la licéité des hausses contestées par V. S.A. et constaté que les loyers notifiés n'étaient pas abusifs, par jugement du 3 mai 1988.
Statuant sur appel de V. S.A., la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a, par arrêt du 25 avril 1990, confirmé le jugement du Tribunal des baux et loyers.
F.-
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en réforme interjeté par V. S.A.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Pour le calcul de la valeur litigieuse, les divers chefs de conclusions formés dans une contestation pécuniaire par le demandeur ou par des consorts sont additionnés, même lorsqu'ils portent sur des objets distincts, pourvu qu'ils ne s'excluent pas (
art. 47 al. 1 OJ
). Selon la jurisprudence rendue en application de cette règle, sont additionnés les divers chefs de conclusions qui ont effectivement été réunis en instance cantonale et qui ont fait l'objet d'une décision unique dans le cadre d'une même procédure; les actions ne doivent pas nécessairement avoir été exercées d'emblée simultanément; la jonction par l'autorité cantonale de plusieurs procès introduits séparément suffit, l'état de la cause en dernière instance cantonale étant, à cet égard, déterminant (
ATF 103 II 45
/46; cf. WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, thèse Lausanne 1964, p. 152).
BGE 116 II 587 S. 590
Certes, la jurisprudence a réservé le cas où la jonction aurait été opérée à la seule fin d'éluder les règles sur la compétence (
ATF 103 II 46
). Tel n'est cependant pas le cas en l'espèce; la jonction des deux causes, portant sur les loyers de deux années successives et calculés sur les mêmes bases, apparaît conforme à la logique. La valeur litigieuse équivaut à la somme des deux parts de loyer contestées, soit à un total de 8'137 fr. 05 (3'691 fr. 25 + 4'445 fr. 80). Ainsi, contrairement à ce que l'intimée soutient, le recours en réforme est recevable sous l'angle de l'
art. 46 OJ
.
2.
La recourante conteste la validité de l'art. 3 du contrat de bail, le caractère impératif de l'AMSL l'emportant sur le principe de la liberté contractuelle; elle se demande également si cette clause n'est pas contraire à l'
art. 267e al. 2 CO
.
a) Loin d'être rare dans la pratique, la combinaison d'un loyer fixe et d'un loyer proportionnel au chiffre d'affaires est même particulièrement répandue dans certains secteurs, notamment celui des établissements publics (cf. STRAUB, Der gastgewerbliche Mietvertrag, thèse Zurich 1981, No 351 ss p. 160). Compatible avec n'importe quel bail commercial, un tel loyer n'est prohibé ni par le code des obligations, ni par l'AMSL. Sa validité découle du principe de la liberté des conventions (
art. 19 CO
). Il caractérise un bail "à la limite du bail à ferme" et n'apparaît, sur le plan de l'application systématique ou technique, guère différent du métayage prévu à l'
art. 275 al. 2 CO
(JEANPRÊTRE, Le loyer proportionnel au chiffre d'affaires du locataire, in Séminaire sur le bail à loyer, Neuchâtel 19/20 octobre 1984, p. 2). La licéité du loyer proportionnel n'est, par ailleurs, pas contestée en doctrine (voir notamment, outre JEANPRÊTRE déjà cité, BARBEY, L'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, Lausanne 1984, p. 111 et, du même auteur, Vom Umsatz oder Einkommen des Mieters abhängige Mietzinser, in Mietrechtspraxis 1989, p. 91 ss; LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, p. 239, et auteurs cités ad note 100; ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, p. 49 et 180).
b) Contrairement à ce que soutient la recourante, la clause de loyer proportionnel au chiffre d'affaires ne tombe pas sous le coup des
art. 267e al. 2 CO
et 11 AMSL. En effet, si ces dispositions prohibent les modifications de loyer par déclarations unilatérales du bailleur, elles ne visent, en revanche, pas les clauses prévoyant ou des modifications du contrat ou la façon dont doit être calculée ou exécutée une prestation à des conditions arrêtées par les
BGE 116 II 587 S. 591
cocontractants (cf.
ATF 109 II 58
consid. 2b, JEANPRÊTRE, op.cit., p. 2-3, 5; BARBEY, L'arrêté fédéral..., p. 112 et Vom Umsatz..., p. 94).
Or, en l'espèce, la clause litigieuse ne confère pas à la bailleresse le droit d'augmenter le loyer en cours de bail selon son bon plaisir; elle se réfère, au contraire, à une donnée objective - celle du chiffre d'affaires -, qui doit nécessairement être respectée et prise en considération. La modification du loyer résultant de l'application de cette clause n'est donc ni inconditionnelle, ni unilatérale (voir SCHMID, n. 5 ad
art. 267e CO
).
3.
Le principe de la soumission à l'AMSL du loyer proportionnel au chiffre d'affaires ne saurait être nié. Sont, en effet, soumis à cet arrêté d'une manière toute générale les loyers abusifs (
art. 1er AMSL
) et les baux relatifs à l'usage de logements et de locaux commerciaux (
art. 1er al. 1 OSL
). Aucune disposition légale n'aménage une exception pour les baux, commerciaux ou non, qui prévoient un loyer proportionnel au chiffre d'affaires. La cour cantonale ne saurait, dès lors, être suivie, dans son argumentation, apparemment principale, de ne soumettre de tels baux qu'au droit commun.
Il reste cependant à examiner si le loyer fixé en application d'un pour-cent du chiffres d'affaires peut être contesté en cours de bail.
a) Selon le principe découlant de l'
art. 18 al. 1 AMSL
, le bailleur qui entend majorer le loyer doit respecter le délai fixé pour la modification du bail. Appliquant ce principe au locataire qui conteste le montant du loyer sur la base de l'
art. 19 AMSL
, la jurisprudence en a déduit que le loyer librement fixé par les parties reste inchangé jusqu'à l'échéance contractuelle, sauf accord sur une modification avant terme (
ATF 107 II 263
, consid. 3b). Ce principe souffre une exception lorsque les parties conviennent d'une clause d'indexation qui, en cours de bail, ouvre des possibilités de modifier le loyer. A chaque terme de modification conventionnel, le locataire peut réclamer une baisse de loyer fondée sur l'
art. 19 AMSL
(
ATF 108 II 323
). Il en va de même pour les loyers échelonnés, lors de chaque majoration fondée sur le contrat (
ATF 113 II 302
consid. 2c). Dans ces deux cas (loyer indexé et loyer échelonné), chaque majoration doit faire l'objet d'un avis officiel de hausse, en application de l'
art. 13 al. 2 OSL
.
b) Le loyer proportionnel au chiffre d'affaires n'est pas un loyer échelonné, car il n'évolue pas sur la base de majorations périodiques d'un montant déterminé, selon la définition de l'
art. 10 AMSL
.
BGE 116 II 587 S. 592
Un tel loyer ne peut pas davantage être assimilé à un loyer indexé au sens de l'
art. 9 AMSL
(voir LACHAT/MICHELI, op.cit., p. 240; ZIHLMANN, op.cit., p. 182). En effet, il ne se trouve pas rattaché à un facteur de variation étranger au bail, tel que l'indice des prix à la consommation ou le taux hypothécaire, mais à un élément inhérent à l'usage de l'objet loué ou au revenu et aux affaires du locataire (cf. BARBEY, L'arrêté fédéral..., p. 112, et Vom Umsatz..., p. 94). Si la doctrine dominante admet que la fixation du loyer en fonction du chiffre d'affaires n'équivaut pas à une clause d'indexation, certains auteurs paraissent cependant reconnaître le droit pour le locataire de s'opposer aux majorations de tels loyers ou de solliciter une réduction de loyer sur la base de l'
art. 19 AMSL
; le locataire pourrait ainsi, notamment, faire examiner si le pourcentage convenu entre le chiffre d'affaires et le loyer est ou non abusif (BARBEY, L'arrêté fédéral..., p. 113/114; plus hésitants LACHAT/MICHELI, op.cit., p. 240; JEANPRÊTRE, op.cit., p. 8, n'admet que l'application de l'
art. 19 AMSL
). Et ce droit est reconnu au locataire en cours de bail, lors de chaque fixation du loyer. La jurisprudence genevoise a retenu cette solution, dans l'arrêt rendu entre les mêmes parties le 31 octobre 1984, mais a exigé la notification sur la formule officielle si la fixation du loyer en fonction du chiffre d'affaires aboutit à une hausse.
On ne voit pas sur quelle disposition légale, ni sur quel principe juridictionnel, les auteurs cités et la cour cantonale genevoise peuvent se fonder pour admettre la contestation en cours de bail d'un loyer qui n'est ni indexé, ni échelonné. Dès lors qu'elle résulte expressément d'une clause contractuelle, la méthode de fixation du loyer proportionnel au chiffre d'affaires est l'expression de la volonté commune des parties. En principe valable pour toute la durée du contrat, elle permet de fixer, en vertu d'un calcul fixe et précis, le loyer de l'année écoulée sur la base du résultat comptable de l'activité économique exercée par le locataire pendant ce laps de temps. Ainsi, contrairement à la clause d'indexation, le loyer proportionnel au chiffre d'affaires s'applique sans référence aucune à un loyer antérieur et reste même sans effet sur l'avenir du loyer. Dans ces conditions, même s'il peut varier tant vers le haut que vers le bas au gré de l'évolution des affaires menées par le locataire, un loyer déterminable sur la base d'un calcul aussi simple ne peut qu'être assimilé à un loyer fixe, arrêté d'un commun accord par les parties lors de la conclusion du bail. Par conséquent,
BGE 116 II 587 S. 593
le loyer proportionnel au chiffre d'affaires, et notamment le pourcentage convenu, ne peut pas être contrôlé, ni attaqué en cours de contrat. Tel ne pourra être le cas que dans les 30 jours dès la signature du contrat ou lors d'une éventuelle reconduction du bail, en application de l'
art. 19 AMSL
ou en vertu de l'
art. 18 AMSL
si la clause de loyer est modifiée à la hausse. Dans cette dernière hypothèse seulement, le bailleur devra faire usage de la formule officielle. Aussi est-ce à tort que, en l'espèce, la locataire a contesté la fixation du loyer en cours de bail en se fondant sur l'AMSL. Son action en contestation de "hausse" ou en réduction du loyer a donc été rejetée à bon droit, même si la cour cantonale s'est fondée sur une motivation différente.
4.
Il n'y a pas lieu d'examiner les effets éventuels de l'existence de la clause d'indexation de l'art. 3a du contrat. D'une part, ni cette clause, ni le chiffre minimal de loyer qu'elle détermine ne sont attaqués; d'autre part, le loyer fondé sur cette clause ne pourrait faire l'objet d'une contestation que dans l'hypothèse - non réalisée en l'espèce - où le loyer proportionnel au chiffre d'affaires, calculé sur la base de l'art. 3b du contrat, ne dépasserait pas le loyer minimal indexé.
5.
En revanche, la recourante pouvait contester la façon dont le loyer proportionnel au chiffre d'affaires a été calculé. Une telle contestation est cependant étrangère à l'application de l'AMSL. Il s'agit d'un pur litige contractuel fondé sur l'exécution ou l'interprétation du contrat.
A cet égard, la recourante soutient que le chiffre d'affaires servant de base à la fixation du loyer devrait être porté en déduction du loyer. Ce point de vue ne résiste pas à l'examen. En effet, l'interprétation du contrat à la lumière du principe de la confiance (
art. 18 CO
) ne laisse planer aucun doute. La notion de chiffre d'affaires comprend l'ensemble du produit brut des ventes de la recourante. Il n'y a pas à rechercher tout ou partie du produit net non plus qu'à déduire l'un ou l'autre poste des charges d'exploitation. Si les parties avaient voulu donner un autre sens aux mots "chiffre d'affaires" et, notamment, en déduire le loyer, elles auraient dû le dire clairement. Or tel n'a pas été le cas. La position de la recourante est d'autant plus insoutenable que l'art. 3 du contrat de bail définit le terme de "chiffre d'affaires" avec une précision telle qu'elle exclut toute possibilité de déduire le loyer.
6.
Enfin, l'attitude de la recourante apparaît contraire aux règles de la bonne foi. Contester la licéité de l'art. 3 du contrat,
BGE 116 II 587 S. 594
alors qu'elle a expressément été reconnue dans l'accord passé entre les parties le 15 juillet 1985 devant le Tribunal des baux et loyers, constitue un abus de droit. Seul le locataire usant de ses droits conformément à la loi, et à l'
art. 2 al. 2 CC
en particulier, peut bénéficier de la protection contre les loyers abusifs accordée par l'AMSL. Dans le cas contraire, cette protection doit lui être refusée (
ATF 114 II 81
). Or, dans le cas particulier, la recourante n'a pas émis la moindre réserve quant à la façon dont a été calculé le chiffre d'affaires au cours des années antérieures. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6544625-eac6-415b-a6e5-d567aa16ef54 | Urteilskopf
111 II 24
5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. März 1985 i.S. Kollektivgesellschaft L. Oppliger Söhne gegen Perret (Berufung) | Regeste
Verletzung von Grundeigentum; Abwehr ungerechtfertigter Einwirkungen (
Art. 641 Abs. 2 ZGB
).
Wird bei Strassenbauarbeiten auf einem Grundstück unmittelbar in die Substanz des Nachbargrundstücks eingegriffen (Abgrabungen), so hat dessen Eigentümer - gestützt auf
Art. 641 Abs. 2 ZGB
- einen Anspruch auf Beseitigung des Störungszustandes. | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 111 II 24 S. 24
Armand Perret ist Eigentümer des Grundstücks Art. 1069 des Grundbuchs der Gemeinde Überstorf. Das hangabwärts gelegene Nachbargrundstück Art. 438 steht im Eigentum der Kollektivgesellschaft L. Oppliger Söhne, die es von Hermann Brülhart erworben hat. Bei der Erstellung der Zufahrtsstrasse zum Grundstück Art. 438 ist Erdreich vom Grundstück Art. 1069 abgetragen worden und eine künstliche Böschung entstanden.
Mit Eingabe vom 29. Dezember 1978 erhob Armand Perret beim Bezirksgericht der Sense Klage gegen die Kollektivgesellschaft L. Oppliger Söhne sowie gegen Hermann Brülhart mit dem Antrag:
"Die Beklagten seien solidarisch zu verpflichten, den Zustand der
Parzelle 1069 der Gemeinde Überstorf vor dem Bau der Strasse
wiederherzustellen und die Grenzsteine auf der ursprünglichen Höhenquote
BGE 111 II 24 S. 25
zu versetzen."
Nachdem die Klage, soweit gegen Hermann Brülhart erhoben, durch das Bezirksgericht rechtskräftig abgewiesen und die Sache durch einen ersten Entscheid des Kantonsgerichts (Appellationshof) des Staates Freiburg vom 9. Dezember 1980 zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Beurteilung an die erste Instanz zurückgewiesen worden war, erliess der kantonsgerichtliche Appellationshof hinsichtlich der gegen die Kollektivgesellschaft L. Oppliger Söhne erhobenen Klage am 12. Juni 1984 folgendes Urteil:
"1. ...
2. Die Beklagte wird verpflichtet, den ursprünglichen Zustand auf
der Parzelle Nr. 1069 des Grundbuches der Gemeinde Überstorf dadurch
wiederherzustellen, dass sie auf ihrem Grundstück die Böschung nach den
Angaben in den Expertisen Bruderer und Thüler innert sechs Monaten seit
Rechtskraft des Urteils mit Eisenbahnholzschwellen abstützt."
Gegen das kantonsgerichtliche Urteil führt die Beklagte Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; allenfalls sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Aufgrund der für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass beim Bau der Zufahrtsstrasse zum Grundstück der Beklagten Erdreich von der Parzelle des Klägers abgetragen wurde. Es steht ferner fest, dass durch die Überschreitung der natürlichen Neigung sich im oberen Teil der Böschung kleine Rutschungen ereignet haben.
2.
a) Die Beklagte bringt vor, die ungerechtfertigte Einwirkung auf das Grundstück des Klägers habe mit der Beendigung der Strassenbauarbeiten aufgehört. Seither seien nur noch die Folgen der Einwirkung vorhanden. Gegen einen zeitlich zurückliegenden, nicht mehr andauernden Eingriff könne aber nicht mit der Negatorienklage vorgegangen werden. Es bestehe in diesem Fall kein Beseitigungs-, sondern nur ein Schadenersatzanspruch, der aber hier gemäss
Art. 60 OR
verjährt sei.
b) Im Entscheid 107 II 134 ff. hat das Bundesgericht den Fall, da die schädigende Handlung oder der schädigende Zustand mit einem bestimmten Grundstück verbunden ist und die Wirkungen auf einem andern Grundstück eintreten, klar vom direkten Eingriff
BGE 111 II 24 S. 26
in die Substanz des geschädigten Grundstücks unterschieden. Es hielt fest, dass im ersten Fall mit der Beseitigungsklage gemäss
Art. 679 ZGB
nur die Beseitigung des den Schaden verursachenden Zustandes auf dem Ausgangsgrundstück, nicht aber die Wiederherstellung des früheren Zustandes auf dem geschädigten Grundstück verlangt werden könne (
BGE 107 II 136
f.; im gleichen Sinne auch LIVER, in: ZBJV 119/1983, S. 116). Letzteres ist in der Tat nur auf dem Weg der Schadenersatzklage möglich, sei es mit einem Begehren auf Geldleistung, sei es mit einem solchen auf Naturalersatz. Die Schadenersatzklage unterliegt freilich der Verjährung gemäss
Art. 60 OR
. Bei einem direkten Eingriff in die Substanz des geschädigten Grundstücks steht dem Eigentümer dagegen der allgemeine Abwehranspruch des
Art. 641 Abs. 2 ZGB
zu, der dinglicher Natur und unverjährbar ist (vgl.
BGE 83 II 198
).
c) Wie sich aus den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ergibt, wurde bei den Strassenbauarbeiten auf dem Grundstück der Beklagten unmittelbar in die Substanz des klägerischen Grundstücks eingegriffen. Dieses wurde durch die Grabungen somit nicht nur im Sinne von
Art. 685 Abs. 1 ZGB
gefährdet, sondern in Gebrauch und Nutzung unmittelbar beeinträchtigt. Der Störungszustand, der durch das Abtragen von Erdreich auf dem klägerischen Grundstück eingetreten ist, dauert an und ist als dem Eigentum widersprechender Zustand zu qualifizieren (vgl. MEIER-HAYOZ, 5. Aufl., N. 103 zu
Art. 641 ZGB
;
BGE 88 II 267
unten). Der Kläger hat deshalb - und zwar gestützt auf
Art. 641 Abs. 2 ZGB
- einen Anspruch auf Beseitigung des Störungszustandes. Die Gutheissung der Klage in dem von der Vorinstanz festgehaltenen Sinn verstösst somit nicht gegen Bundesrecht. Bei dieser Sachlage ist der Einrede der Beklagten, ein aus
Art. 679 ZGB
abgeleiteter Schadenersatzanspruch sei verjährt, der Boden entzogen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b656551a-79e3-461a-ba56-0a280db28cae | Urteilskopf
116 II 431
80. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Mai 1990 i.S. A. gegen X. AG (Berufung) | Regeste
Streitwert (
Art. 46 OG
). Täuschung (
Art. 28 OR
). Kaufvertrag; Auslegung nach dem Vertrauensgrundsatz.
1. Streitwert der Wandelungsklage (
Art. 46 OG
) (E. 1).
2. Das Verschweigen von Tatsachen ist nur dann ein täuschendes Verhalten, wenn eine Aufklärungspflicht besteht (E. 3a).
Bei der Auslegung eines Begriffs nach dem Vertrauensprinzip ist allein entscheidend, welches Wissen ein Vertragspartner beim anderen nach Treu und Glauben voraussetzen darf. Meinungen von Experten und Amtsstellen sind unbeachtlich (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 432
BGE 116 II 431 S. 432
A.-
Mit Kaufvertrag vom 7. Juli 1981 erwarb A. von der X. AG einen Personenwagen Fiat 131 CL Panorama. Der Kaufpreis von Fr. 14'640.-- war durch Übergabe eines Mitsubishi Lancer 1200 zum Anrechnungspreise von Fr. 6'840.-- und eine Barzahlung von Fr. 7'800.-- zu tilgen. Im Formularvertrag wurde in der Rubrik "fabrikneu/occasion" das zweite Wort gestrichen und von Hand durch "neu" ersetzt. Am 9. Mai 1983 rügte A. zahlreiche, in der Zwischenzeit eingetretene Mängel und warf der Verkäuferin vor, sie habe ihr verschwiegen, dass ihr nicht ein Modell 1981, sondern ein älteres verkauft worden sei.
Gemäss Bericht des Strassenverkehrsamtes des Kantons Thurgau vom 25. Mai 1984 wurde das Fahrzeug am 7. November 1978 in die Schweiz eingeführt und verzollt; am 13. Juli 1981 wurde es erstmals in Verkehr gesetzt.
B.-
Am 9. Juli 1984 unterbreitete A. dem Bezirksgericht Kreuzlingen die Rechtsbegehren, der Kaufvertrag vom 7. Juli 1981 sei wegen absichtlicher Täuschung, eventuell wegen Grundlagenirrtums, als unverbindlich zu erklären und aufzuheben; weiter sei die X. AG zu verpflichten, ihr gegen Rückerstattung des Fiats den Betrag von Fr. 14'640.-- nebst Zinsen, eventuell Fr. 4'000.-- nebst 5% Zins seit 7. Juli 1981 als Kaufpreisminderung und Schadenersatz zu bezahlen.
Das Bezirksgericht bejahte eine absichtliche Täuschung und schützte die Klage mit Urteil vom 16. Dezember 1987/5. September 1988 gemäss Eventualantrag im Betrage von Fr. 4'000.--; eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages hatte es wegen faktischer Genehmigung desselben durch die Klägerin und des inzwischen erfolgten Weiterverkaufs des Eintauschfahrzeuges abgelehnt.
Das Obergericht des Kantons Thurgau wies am 6. Juli 1989 die Berufungen beider Parteien ab und bestätigte den Entscheid des Bezirksgerichtes Kreuzlingen.
Auf ein kantonales Revisionsgesuch trat das Obergericht am 17. Oktober 1989 nicht ein.
BGE 116 II 431 S. 433
C.-
Gegen das Urteil des Obergerichts vom 6. Juli 1989 hat die Beklagte zugleich Berufung und staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, welch letztere das Bundesgericht mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen hat. Mit der Berufung beantragt die Beklagte, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit beweismässig abgeklärt werde, ob die Klägerin vor Abschluss des Kaufvertrages über das Alter des Fahrzeuges orientiert worden sei.
Die Klägerin beantragt, auf die Berufung sei mangels Streitwertes nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 46 OG
ist die Berufung nur zulässig, wenn der Streitwert nach Massgabe der Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren, wenigstens Fr. 8'000.-- beträgt. Der Wert des Streitgegenstandes wird dabei durch das klägerische Rechtsbegehren bestimmt (
Art. 36 Abs. 1 OG
).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren bemisst sich nach dem Interesse, das für die Parteien unmittelbar vor der angefochtenen kantonalen Entscheidung auf dem Spiele stand, wie denn auch in materiellrechtlicher Beziehung in der Berufungsinstanz der Tatbestand zu beurteilen ist, wie er der letzten kantonalen Instanz vorlag, und neue Tatsachen nicht berücksichtigt werden können (
BGE 89 II 198
mit Hinweis). In der Regel entscheidet das Interesse des Klägers an der Leistung (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 41). Verändert sich im Verlaufe des Prozesses der Klageumfang, so ist diesem Umstand bei der Frage nach der Berufungsfähigkeit ebenso wie bei den Kosten Rechnung zu tragen. Hingegen hat eine Wertveränderung des Streitgegenstandes keinen Einfluss auf den Streitwert (
BGE 87 II 192
mit Hinweisen).
In der Durchführungserklärung vom 5. Oktober 1988 zuhanden des Obergerichts hielt die Klägerin an dem von ihr vor Bezirksgericht gestellten Antrag auf vollumfänglichen Klageschutz fest. Die Beklagte schloss auf Abweisung der Klage. Nach verbindlicher Feststellung im vorinstanzlichen Urteil (
Art. 63 Abs. 2 OG
) blieb die Klägerin auch an der Hauptverhandlung bei ihrem Hauptantrag und erhöhte lediglich den mit dem Eventualbegehren verlangten Schadenersatz von 4'000 auf 6'000 Franken. Der Streitwert entspricht demnach entgegen der
BGE 116 II 431 S. 434
Auffassung der Klägerin dem Betrag des mit dem Hauptbegehren zurückgeforderten Kaufpreises von Fr. 14'640.--, ohne Berücksichtigung des Wertes des Zug um Zug herauszugebenden Kaufsobjektes (
BGE 45 II 101
).
Auf die Berufung ist deshalb einzutreten.
3.
Das Obergericht ging gestützt auf die von der ersten Instanz veranlassten Expertise davon aus, dass ein ungebrauchtes Fahrzeug mit einer Standzeit von mehr als einem Jahr wegen möglicher Standschäden nicht mehr als fabrikneu verkauft werden dürfe, ohne das Herstellungs- bzw. Modelljahr und/oder das Verzollungsdatum anzugeben. Da die Beklagte gewusst habe, dass das Fahrzeug im November 1978 in die Schweiz eingeführt worden sei, habe sie ihre Offenbarungspflicht als Verkäuferin verletzt und damit einen Gewährsmangel des Kaufgegenstandes arglistig verschwiegen. Da eine absichtliche Täuschung vorliege, seien die Gewährleistungsansprüche der Klägerin gemäss
Art. 210 Abs. 3 OR
noch nicht verjährt. Weil die Klägerin das Fahrzeug während mehrerer Jahre benutzt habe, sei eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages unmöglich, was jedoch Schadenersatzansprüche gemäss
Art. 31 Abs. 3 OR
nicht ausschliesse.
a) Ein täuschendes Verhalten nach
Art. 28 OR
besteht in einer Vorspiegelung falscher Tatsachen oder im Verschweigen von Tatsachen (BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 218 f.). Tatsachenverschweigung ist nur verpönt, soweit eine Aufklärungspflicht besteht; eine solche kann sich aus besonderer gesetzlicher Vorschrift und aus Vertrag ergeben, oder wenn eine Mitteilung nach Treu und Glauben und den herrschenden Anschauungen geboten ist. Wann dies zutrifft, ist im konkreten Einzelfall zu bestimmen (BUCHER, a.a.O., S. 220). Keine Offenbarungspflicht besteht, wenn der Verkäufer nach Treu und Glauben annehmen durfte, die Gegenpartei werde den richtigen Sachverhalt ohne weiteres erkennen (GIGER, Berner Kommentar, N. 43 zu
Art. 199 OR
).
Was die Parteien unter der Bezeichnung "fabrikneu/neu" in guten Treuen verstehen durften und mussten, ist nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (
BGE 113 II 50
;
BGE 112 II 253
E. c je mit weiteren Hinweisen). Dabei ist nicht, wie dies die beiden Vorinstanzen getan haben, auf eine Branchenusanz abzustellen, da die Klägerin offensichtlich nicht dem entsprechenden Verkehrskreis angehört. Die objektivierte Auslegung nach dem Vertrauensprinzip hat in diesem Fall ausschliesslich aus der Sicht eines vernünftig
BGE 116 II 431 S. 435
und redlich urteilenden Menschen zu erfolgen (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 195 zu
Art. 1 OR
). Für die Beantwortung dieser Rechtsfrage kann daher nicht ein fachtechnisches Gutachten ausschlaggebend sein. Die objektivierte Auslegung hätte nur dann hinter einem abweichenden subjektiven Verständnis zurückzutreten, wenn die Parteien übereinstimmend den Begriff der Fabrikneuheit anders, beispielsweise im Sinne von "ungebraucht" verstanden hätten, oder der Klägerin bewusst gewesen wäre, dass sie ein Exemplar eines früheren Produktionsjahres erwirbt.
b) Die Beklagte bestreitet, dass der Tatbestand von
Art. 210 Abs. 3 OR
erfüllt sei. Sie begründet dies hauptsächlich damit, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie das Fahrzeug nicht als "fabrikneu/neu" hätte bezeichnen dürfen. Gemäss einer Verfügung des EJPD vom 29. Mai 1967 an die für den Strassenverkehr zuständigen Direktionen der Kantone gelte ein Fahrzeug als neu, das vor der Immatrikulation in der Schweiz nicht einen Kilometerstand von mehr als 1000 km aufweise. Da sie von diesem amtlichen Neuheitsbegriff ausgegangen sei, könne ihr keine willentliche Täuschung unterstellt werden.
Diese Auffassung ist verfehlt. Bei der Auslegung eines Ausdrucks oder Sprachgebrauchs nach dem Vertrauensprinzip kommt es nicht darauf an, was Experten oder Amtsstellen darunter verstehen. Entscheidend ist allein, welches Wissen ein Vertragspartner im betreffenden Verkehrskreis beim anderen nach Treu und Glauben voraussetzen darf. Die Beklagte durfte nicht annehmen, dass die branchenfremde Klägerin die erwähnte Sondernorm, die an die Importeure und Hersteller von Motorfahrzeugen gerichtet ist, kenne.
Das Nichtwissen der Klägerin war deshalb ohne Belang. Dagegen wusste die Beklagte, dass sie ein fast drei Jahre altes Fahrzeug verkaufte. Allein schon wegen der bei Massenfahrzeugen auch ohne Benutzung jährlich zunehmenden Wertverminderung, aber auch weil der Wert eines Fahrzeugs nicht unwesentlich von seinem Alter abhängt, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin hierüber aufzuklären. Gemäss deutscher Rechtsprechung und Lehre kann ein Fahrzeug, das zehn bis zwölf Monate vor dem Verkauf hergestellt worden und das, abgesehen von der Überführungsfahrt, nicht benutzt worden war, nur dann als fabrikneu bezeichnet werden kann, wenn dieses Modell weiterhin hergestellt wird und wenn das Fahrzeug keine Mängel aufweist (BGH NJW 1980, S. 1097). Auch im Lichte dieser Rechtsprechung hat die Beklagte sich unredlich verhalten, indem sie das Fahrzeug im
BGE 116 II 431 S. 436
Kaufvertrag als "fabrikneu/neu" bezeichnete, obwohl es annähernd drei Jahre alt war seit 1980 nicht mehr hergestellt wurde.
c) Den auch in der Berufung erhobenen Einwand, dass die Klägerin zwischen einem älteren und zwei Modellen des Jahrgangs 1981 habe auswählen können, hat das Bundesgericht bereits im Beschwerdeentscheid als rechtlich unerheblich zurückgewiesen, so dass sich eine Stellungnahme dazu im Berufungsverfahren erübrigt. Soweit die Berufungsvorbringen auf die Rüge hinauslaufen, die Vorinstanz habe in willkürlicher antizipierter Beweiswürdigung angenommen, die neu eingereichten Urkunden vermöchten am Auslegungsergebnis nichts zu ändern, ist darauf im Berufungsverfahren ohnehin nicht einzutreten (
Art. 43 Abs. 1 OG
a. E.). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b66560e1-aada-41ad-9ad1-c3d254b6c240 | Urteilskopf
103 V 183
41. Arrêt du 22 novembre 1977 dans la cause Assurance militaire fédérale contre C. et Tribunal cantonal des assurances, Neuchâtel | Regeste
Genugtuung (
Art. 40bis Abs. 1 MVG
).
Die Eltern eines verstorbenen Versicherten haben grundsätzlich Anspruch auf diese Entschädigung, auch wenn er nicht in Hausgemeinschaft mit ihnen lebte.
Die Gewährung einer solchen Leistung an die Witwe und an die Kinder entzieht den Eltern das Anrecht auf eine Genugtuung nicht. | Sachverhalt
ab Seite 183
BGE 103 V 183 S. 183
A.-
Le 16 avril 1975 vers 15 h. 30, dans la région de l'Aille près de Grandvillard (FR), une avalanche emporta et tua deux soldats qui, en service commandé, posaient des cibles en prévision d'un exercice de tirs combinés infanterie-artillerie. Les victimes étaient les mitrailleurs Pierre C., né en 1945, et Jean-Michel Y., né en 1950, incorporés à la compagnie de fusiliers III/19. La responsabilité pénale de plusieurs militaires fut mise en cause. Six d'entre eux furent renvoyés devant le Tribunal militaire de division 2, qui en acquitta cinq mais condamna le major X, préposé à la sécurité "avalanches", à un mois d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans et au sixième des frais de la cause, pour homicide par négligence. Le
BGE 103 V 183 S. 184
30 septembre 1976, le Tribunal militaire de cassation rejeta le recours formé par l'auditeur contre la libération du commandant de l'exercice.
Par décision du 8 décembre 1975, l'Assurance militaire fédérale mit la veuve du mitrailleur C., née en 1948, au bénéfice d'une rente de survivant de 1'155 fr. 85 par mois, et son fils Tristan C., né en 1973, d'une rente de 513 fr. 70 par mois; elle alloua en outre, à titre de réparation morale, une indemnité de 15'000 fr. à la veuve et de 5'000 fr. à l'orphelin, mais n'en accorda point aux parents du défunt.
B.-
Les quatre survivants précités recoururent, par l'entremise de Me R., qui les avait déjà assistés au cours de la procédure administrative. Ils conclurent à l'octroi: a) de rentes plus élevées; b) d'indemnités pour réparation morale de 30'000 fr. pour la veuve, de 15'000 fr. pour l'orphelin et de 10'000 fr. pour chacun des deux parents.
L'Assurance militaire fédérale conclut à libération.
Après une instruction approfondie, au cours de laquelle il prit connaissance notamment du jugement et de l'arrêt militaires et entendit des témoins, le Tribunal cantonal des assurances, statuant le 5 avril 1977, admit partiellement le recours. Il réforma la décision attaquée en accordant à titre de réparation morale 20'000 fr. à la veuve, 8'000 fr. à l'orphelin et 5'000 fr. à chacun des parents de feu Pierre C. Il rejeta le recours pour le surplus.
C.-
L'Assurance militaire fédérale a formé en temps utile un recours de droit administratif contre le jugement cantonal. Elle allègue en substance que le départ et le mariage d'un fils privent en principe les parents du droit à une indemnité pour réparation morale en cas de décès de cet enfant, d'une part, et que les indemnités allouées par le Tribunal cantonal des assurances à la veuve et à l'orphelin excédent les normes usuelles, d'autre part. Elle conclut au rétablissement intégral de sa décision.
L'avocat des intimés conteste qu'en l'occurrence les parents de Pierre C. aient moins souffert de son décès que s'il n'avait pas quitté la maison quelques années auparavant pour travailler puis se marier. Il affirme que la gravité spéciale du cas justifie des indemnités au moins aussi élevées que celles qu'accorde le jugement attaqué. Il conclut au rejet du recours. Il requiert la production par le Tribunal militaire de division 2
BGE 103 V 183 S. 185
du dossier pénal qui a abouti au jugement du 10 mars 1976 de cette autorité.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Seules sont litigieuses les indemnités équitables allouées aux survivants de Pierre C. à titre de réparation morale. Les intimés n'ayant eux-mêmes pas déféré au Tribunal fédéral des assurances le jugement cantonal en tant qu'il constate que l'administration a correctement fixé le revenu déterminant pour le calcul de la rente, la Cour de céans n'a pas la possibilité d'examiner cette question, qui ne saurait être qualifiée de connexe à celle de l'indemnisation du tort moral (voir p.ex.
ATF 101 V 114
;
ATF 98 V 33
). A cet égard, il faut toutefois le relever, l'arrêt
ATF 98 V 86
n'a pas la portée que lui ont prêtée l'Assurance militaire fédérale et le tribunal des assurances, ainsi que cela ressort clairement de l'arrêt
ATF 101 V 154
2.
Aux termes de l'
art. 40bis al. 1 LAM
, introduit par la loi fédérale du 19 décembre 1963, l'assurance peut, en tenant compte de circonstances particulières, allouer à la victime de lésions corporelles ou, en cas de mort d'homme, à la famille une indemnité équitable à titre de réparation morale. Selon la jurisprudence, cette indemnité n'est due que lorsque le sinistre qui est à l'origine de la douleur psychique est non seulement assuré mais encore en relation assez étroite avec des événements spécifiquement militaires (ATFA 1967 p. 70).
On considérait autrefois comme une juste exigence de la défense nationale que les officiers, sous-officiers et soldats, ainsi que leurs familles, subissent sans dédommagement les souffrances qu'elle impose. La novelle de 1963 rompit avec ce principe, en créant en faveur de certaines victimes du service une institution analogue, mais pas forcément identique, à celle que connaît le droit civil depuis longtemps (
art. 47 CO
; voir
ATF 97 V 103
; ATFA 1967 p. 70, 1966 p. 74). S'agissant du cas de mort d'homme, l'arrêt ATFA 1966 p. 74 énumère les caractères communs aux deux institutions:
L'octroi et plus encore la quotité de l'indemnité pour tort moral dépendent dans une large mesure des circonstances particulières à chaque sinistre. Il est exclu, par exemple, d'en fixer le montant dans un barème rigide (consid. 1 al. 2 p. 77).
BGE 103 V 183 S. 186
Seuls ont droit à être indemnisés les membres de la famille du défunt dont la douleur mérite par son intensité une compensation matérielle. Les circonstances du décès, notamment l'absence de faute de la victime ou au contraire l'existence et la gravité d'une faute des organes de l'armée ne conditionnent pas l'octroi d'une somme à titre de réparation morale mais en influencent le montant (consid. 2 pp. 77-79). Au demeurant la pratique suisse observe de manière générale une certaine retenue lorsqu'il s'agit d'évaluer en argent le prix d'un tort moral (consid. 3 p. 80; voir également
ATF 97 V 103
).
3.
La recourante soutient qu'en principe le départ et le mariage d'un fils distendent les liens affectifs qui l'unissent à ses parents et privent ceux-ci du droit à l'indemnité pour réparation morale prévue par l'
art. 40bis al. 1 LAM
. C'est pourquoi elle conclut à la suppression des montants de 5'000 fr. alloués à ce titre par le tribunal cantonal des assurances à chacun des époux C., parents du défunt.
a) Il est certes des cas où les parents se détachent d'un enfant qui les a quittés, par exemple pour créer son propre foyer. Mais on ne saurait prétendre que cela soit courant. La douleur d'un père ou d'une mère perdant un fils ou une fille qui ne vivaient plus avec eux est souvent aussi vive que si la mort avait frappé un membre de la communauté domestique. La règle générale souhaitée par la recourante ne pourrait donc pas, sans recourir à une fiction choquante, se fonder sur une prétendue insuffisance du chagrin des parents survivants. En revanche, il serait soutenable de considérer que la famille, au sens de l'
art. 40bis al. 1 LAM
, est réduite au cercle de proches le plus étroit, c'est-à-dire pour un mari et père vivant dans des conditions normales l'épouse et les enfants. On éviterait ainsi d'élargir jusqu'à une limite mal déterminée le nombre des bénéficiaires de l'indemnité pour tort moral. C'est dans ce sens que va une résolution du Conseil de l'Europe citée par DESCHENAUX et TERCIER ("La responsabilité civile", Berne 1975 p. 92). Suivant ces auteurs, devrait avoir une portée générale la règle énoncée par le Tribunal fédéral que les frères et soeurs n'ont en principe pas droit à l'indemnité quand ils ne faisaient pas ménage commun avec le défunt (
ATF 89 II 401
). Mais ils ajoutent: il ne faudrait pas cependant "l'appliquer trop strictement".
b) Si l'Assurance militaire fédérale était à proprement parler une assurance sociale, il serait sans doute opportun
BGE 103 V 183 S. 187
de définir selon les critères objectifs et sommaires qui conviennent à une assurance de masse les bénéficiaires des prestations découlant de l'
art. 40bis al. 1 LAM
. Mais elle est en réalité une institution chargée de statuer sur la responsabilité de la Confédération à l'égard des personnes atteintes dans leur santé en raison d'un service militaire ou assimilé et, en cas de décès, à l'égard de leur famille. C'est pourquoi il serait inéquitable de réduire l'étendue de son devoir de réparer le tort moral en deçà des limites assignées par l'
art. 47 CO
. Or, la doctrine - à l'exception de DESCHENAUX et TERCIER - et la jurisprudence ne tendent pas à exclure du cercle des bénéficiaires de la réparation morale les parents qui ne faisaient pas ménage commun avec un enfant décédé, cela quelque grand que soit leur deuil (OFTINGER, "Schw. Haftpflichtrecht" I, Zurich 1975 p. 299/300; KLAUS HÜTTE, dans la SJZ 70/1974 p. 273;
ATF 82 II 42
; SJZ 67/1971 p. 339, 62/1966 p. 288). Le besoin de restreindre le nombre des ayants droit se fait d'ailleurs moins sentir dans un système juridique où, comme en Suisse, les indemnités allouées sont relativement faibles.
c) L'
art. 34 LAM
n'accorde aux père et mère une rente de survivants que lorsque le défunt n'a pas laissé d'enfants ayant droit à une rente. La recourante en conclut, par analogie, que l'indemnité versée aux enfants du défunt pour tort moral exclut qu'on en verse une aux parents. Elle y voit une différence avec les dispositions du droit civil, qui, elles, tendraient à couvrir l'intégralité du dommage. Ce raisonnement n'est pas pertinent car, en droit civil comme en matière d'assurance militaire, les créanciers de dommages-intérêts ne sont pas forcément les mêmes personnes que celles à qui revient une réparation morale (OFTINGER, op.cit., pp. 292 ss).
d) Dès lors, les parents de l'assuré Pierre C. n'ont nullement perdu, parce qu'il avait quitté leur ménage quelques années avant de mourir, leur droit à une indemnité pour tort moral. Les premiers juges ont tenu pour établi que l'accident de leur fils les a plongés dans une profonde douleur. Cette constatation n'est pas critiquable. Conformément à la jurisprudence, ils ont alloué à chacun des deux parents une somme égale (
ATF 97 V 103
; SJZ 62/1966 p. 288). Seul demeure donc discutable le montant qui leur est accordé.
4.
La recourante entend faire ramener de 20'000 fr. à 15'000 fr. l'indemnité de la veuve de Pierre C. et de 8'000 fr. à 5'000 fr. celle de l'orphelin. Elle ne s'est pas exprimée sur la
BGE 103 V 183 S. 188
quotité de la réparation de 5'000 fr. allouée à chacun des parents de l'assuré, puisqu'elle en demande la suppression: en cas de rejet de cette conclusion, le Tribunal fédéral des assurances devra aussi examiner l'éventualité d'une réduction de ces montants.
a) Ainsi qu'on l'a relevé plus haut (consid. 2 in fine), la pratique suisse observe de manière générale une certaine retenue lorsqu'il s'agit d'évaluer en argent le prix de la souffrance psychique.
Cette tendance restrictive ressort nettement de la casuistique publiée en mai 1975 dans la Fiche juridique suisse 1142 a (voir aussi KLAUS HÜTTE, "Die Genugtuung", Zurich 1975;
ATF 101 II 355
consid. 8, où l'on peut lire que des indemnités pour tort moral de 15'000 fr. à une veuve et de 10'000 fr. à chacun de ses deux enfants "atteindraient la limite supérieure, encore admissible eu égard au pouvoir appréciateur de l'autorité cantonale, si aucune faute n'était imputable à la victime"). Cependant, l'Obergericht de Zurich avait accordé à une veuve, en 1963 déjà, 15'000 fr. (SJZ 59/1963 p. 134/135) et 18'000 fr. en 1970 (SJZ 67/1971 p. 11). Quant aux indemnités allouées pour la perte d'un enfant, elles atteignent couramment une dizaine de milliers de francs (SJZ 67/1971 p. 338/339; l'indemnité de 20'000 fr. allouée en 1970 par l'Obergericht de Zurich est exceptionnelle) et, pour la perte d'un père, 5'000 fr.
b) Les intimés ont requis la production du dossier de l'enquête militaire instruite sur l'accident qui a coûté la vie aux mitrailleurs C. et Y. Cette mesure n'est pas nécessaire. Car il ressort des pièces que les victimes sont tombées en service commandé et n'ont commis aucune faute; que l'officier chargé de la sécurité "avalanches" en a commis une, en n'interdisant pas l'accès de la pente fatale, dont il savait que pouvait descendre une avalanche; que les troupes de plaine engagées en montagne, comme c'était le cas en l'espèce, ne disposent pas organiquement du personnel alpin apte à veiller en toutes circonstances sur leur sécurité; que l'annexe III aux Directives pour les cours de répétition d'hiver intitulée "Ordre pour la sécurité en hiver et le danger d'avalanches, valable pour les troupes faisant service dans les Préalpes" ne s'applique pas aux troupes engagées au printemps - c'était aussi le cas en l'occurrence - dans des conditions hivernales. Dès lors, si la faute commise par négligence par le responsable
BGE 103 V 183 S. 189
de la sécurité "avalanches" n'était pas du point de vue pénal d'une gravité exceptionnelle, l'accident n'en est pas moins dû au premier chef à un ensemble de défauts d'organisation que la famille C. a sans doute ressentis d'autant plus amèrement qu'ils ont donné lieu à de nombreux articles de presse.
La responsabilité morale de la Confédération est plus engagée dans un tel sinistre que dans un accident provoqué par la fatalité ou même par la maladresse de la victime ou d'un autre militaire. Les gens raisonnables savent qu'une défaillance humaine est toujours possible, à l'armée comme ailleurs. Ils ont plus de peine à admettre un accident qu'une meilleure organisation aurait évité.
C'est pourquoi le tribunal cantonal des assurances n'a pas excédé les limites de son pouvoir d'appréciation en accordant à la veuve et à l'enfant de l'assuré des indemnités exceptionnellement élevées à titre de réparation morale. Les montants alloués aux parents de la victime ne sortent guère des normes usuelles.
Le recours ne peut dès lors qu'être rejeté.
5.
Vu leur importance, les principes à la base du présent arrêt ont été approuvés par la Cour plénière.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b668ebe7-ab50-489e-870e-1fd102d8a76f | Urteilskopf
111 II 71
16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Januar 1985 i.S. D. gegen H. und M. sowie Obergericht des Kantons Nidwalden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Retentionsrecht des Vermieters;
Art. 272 Abs. 1 OR
.
Für die im Mietvertrag vorgesehene Sicherheitsleistung des Mieters kann der Vermieter das Retentionsrecht nicht beanspruchen. | Erwägungen
ab Seite 71
BGE 111 II 71 S. 71
Erwägung:
2.
Mit seiner staatsrechtlichen Beschwerde macht der Beschwerdeführer sinngemäss geltend, es sei willkürlich, das Retentionsrecht auch für die im Mietvertrag vorgesehene Sicherheitsleistung im Betrag von Fr. 6'000.-- zu gewähren. Diese Rüge ist begründet. Nach
Art. 272 Abs. 1 OR
hat der Vermieter einer unbeweglichen Sache für einen verfallenen Jahreszins und den laufenden Halbjahreszins ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen, die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung oder Benützung gehören. Die Praxis hat den Begriff der Mietzinsforderung im Sinne dieser Bestimmung ausdehnend ausgelegt und dazu auch die Ansprüche des Vermieters für Nebenkosten (Heizung, Warmwasser und dergleichen;
BGE 75 III 32
E. 3,
BGE 72 III 37
,
BGE 63 II 381
/382 E. 10), für die sogenannte Instandstellungsentschädigung (
BGE 80 III 130
/131) sowie für die Weiterbenützung der gemieteten Räumen nach Ablauf der Miete (
BGE 73 III 78
,
BGE 63 II 380
E. 9) gezählt. Als Mietzins kann eine Forderung aber nur bezeichnet werden, wenn sie als Teil der Gegenleistung zu betrachten ist, die der Mieter dem Vermieter gemäss dem Mietvertrag
BGE 111 II 71 S. 72
für die Überlassung des Gebrauchs der Mietsache schuldet (vgl.
BGE 80 III 130
). Diese Voraussetzung ist beispielsweise bei Schadenersatzforderungen des Vermieters nicht erfüllt, weshalb für solche Forderungen kein Retentionsrecht besteht (
BGE 104 III 87
,
BGE 86 III 39
,
BGE 63 II 373
ff. E. 8). Die Sicherheitsleistung, die der Beschwerdeführer zu erbringen hat, stellt nun klarerweise kein Entgelt für die Leistungen der Beschwerdegegner aus dem Mietvertrag dar. Sie hat überhaupt keinen selbständigen Charakter, sondern soll, wie schon ihr Name sagt, lediglich die Ansprüche der Beschwerdegegner aus dem Mietverhältnis sicherstellen. Soweit für diese Ansprüche ein Retentionsrecht besteht, wurde es den Beschwerdegegnern bereits zugestanden. Wollte man ihnen darüber hinaus für die Sicherheitsleistung ein Retentionsrecht einräumen, so würde dies darauf hinauslaufen, dass neben dem verfallenen Jahreszins und dem laufenden Halbjahreszins noch weitere mietvertragliche Ansprüche der Beschwerdegegner retentionsgesichert wären. Das aber liesse sich weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck von
Art. 272 Abs. 1 OR
vereinbaren. Die Bestätigung des Retentionsrechts für die Sicherheitsleistung erweist sich daher als willkürlich, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b66a76a9-35a0-4685-91b6-29e4704004de | Urteilskopf
105 IV 169
46. Urteil des Kassationshofes vom 8. Juni 1979 i. S. Z. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 58 Abs. 4 StGB
.
Auf eine Ersatzforderung für nicht mehr vorhandene Vermögenswerte kann nicht mehr erkannt werden, wenn die Tat verjährt ist. | Sachverhalt
ab Seite 169
BGE 105 IV 169 S. 169
A.-
Z. wurde wegen Verbreitens von Kettenbriefen in Strafuntersuchung gezogen. Am 5. Dezember 1978 stellte das Richteramt Burgdorf die Strafverfolgung wegen Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz betreffend Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten, begangen in der Zeit vom September 1976 bis Mai 1977, wegen Verjährung ein. Es stellte jedoch fest, dass dem Staat gemäss
Art. 58 Abs. 4 StGB
gegenüber Z. eine Ersatzforderung von Fr. 4'870.45 zustehe, welcher Betrag den Gewinnauszahlungen an ihn, zuzüglich Nettozinsen, entsprach.
In teilweiser Gutheissung eines von Z. hiegegen erhobenen Rekurses hielt die Anklagekammer des Obergerichtes des Kantons Bern am 15. März 1979 grundsätzlich am staatlichen Anspruch auf eine Ersatzforderung fest, setzte diese aber unter Weglassung der Nettozinse auf Fr. 4'750.- herab.
BGE 105 IV 169 S. 170
B.-
Z. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung seiner Verurteilung zur Bezahlung der Fr. 4'750.-.
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Zur Entscheidung steht die Frage, ob auf eine Ersatzforderung für nicht mehr vorhandene Vermögenswerte, die durch eine strafbare Handlung erlangt wurden und einzuziehen gewesen wären, gemäss
Art. 58 Abs. 4 StGB
noch erkannt werden kann, wenn die strafbare Handlung verjährt ist.
a)
Art. 58 StGB
steht unter dem Titel "Andere Massnahmen" und nicht unter dem der "Nebenstrafen". Hinzu kommt, dass nach dem klaren Wortlaut von Abs. 1 der Richter die Einziehung "ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person" zu verfügen hat, wenn die Voraussetzungen von lit. a bzw. b erfüllt sind. Die Einziehung hängt somit nicht von einem gegen eine bestimmte Person gerichteten Strafanspruch ab. Es genügt, dass die Gegenstände oder Vermögenswerte durch ein tatbestandsmässig-rechtswidriges Verhalten hervorgebracht oder erlangt worden sind, dass an oder mit ihnen eine solche Handlung begangen wurde oder sie zur Begehung einer solchen bestimmt waren.
b) Aus diesen Gründen wird von einem Teil des Schrifttums die Einziehung schlechthin für gefährliche Gegenstände wie für unrechtmässige Vermögensvorteile auch für den Fall des Eintritts der Verfolgungsverjährung bejaht (REHBERG, Strafrecht, Strafen und Massnahmen, Vorlesungsskriptum, 2. Aufl. II S. 46; A. BÖHLER, Die Einziehung im schweiz. Strafrecht, Diss. Zürich 1945, S. 106 f.). Demgegenüber halten THORMANN/V. OVERBECK (Kommentar N. 6 zu
Art. 70 StGB
) und LOGOZ (Kommentar, N. 8 zu
Art. 70 StGB
) dafür, dass die Verfolgungsverjährung die Verhängung von sichernden und anderen Massnahmen ausschliesse, weil eine gerichtliche Feststellung der Tat nicht mehr möglich sei. In gleichem Sinne wird HAFER (Lehrbuch des schweiz. Strafrechts, Allg. Teil S. 418) zu verstehen sein, wenn er die Anhebung eines strafrechtlichen Verfahrens, wenigstens einer Untersuchung, als Voraussetzung für eine Anwendung von
Art. 58 StGB
bezeichnet. GAUTHIER (ZStR 94 S. 371) schliesst sich ihnen an, wobei er bemerkt, dass
BGE 105 IV 169 S. 171
eine Einziehung nach Eintritt der Verjährung jedenfalls dann auszuschliessen sei, wenn die Massnahme nicht ausschliesslich Sicherungszwecke verfolgt, sondern repressiven Charakter hat. SCHULTZ (Einführung in den Allg. Teil des schweiz. Strafrechts, 3. Auflage II S. 189), der grundsätzlich die Unabhängigkeit der Einziehung von der Strafverfolgung bejaht und daran hinsichtlich der gefährlichen Gegenstände und der Deliktsbeute ohne Einschränkung festhält, würde von der Einziehung unrechtmässiger Vorteile absehen wegen der sonst auftretenden prozessualen Schwierigkeiten.
c) Wie es sich bei der Einziehung zu Sicherungszwecken verhält, kann offenbleiben. Hinsichtlich der Einziehung unrechtmässiger Vermögensvorteile wurde bei der Revision des
Art. 58 StGB
in der parlamentarischen Beratung zwar auf den Massnahmecharakter auch der neuen erweiterten Fassung hingewiesen, anderseits aber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es Gebote der Sozialethik seien, die den Gesetzgeber veranlassten, die Einziehung unrechtmässiger Vermögenswerte in
Art. 58 StGB
einzubeziehen (Amtl. Bull. NR 1973 498); der Täter oder Teilnehmer soll nicht im Genuss eines durch strafbare Handlung erlangten Vorteils bleiben; strafbares Verhalten soll sich nicht lohnen (
BGE 104 IV 5
, 229;
BGE 100 IV 105
). Die Einziehung unrechtmässig erlangter Vermögensvorteile bezweckt somit nicht den Schutz der öffentlichen Sicherheit, sondern hat repressiven Charakter. Sie nähert sich der Strafe. Es ist daher angemessen, den Grundgedanken der Verfolgungsverjährung, dass eine strafbare Handlung nach Ablauf einer bestimmten Zeit keine nachteiligen Folgen mehr haben soll, analog gelten zu lassen. Schon unter der Herrschaft des kriegswirtschaftlichen Strafrechts hat das Strafappellationsgericht hinsichtlich der Einziehung unrechtmässiger Gewinne im gleichen Sinne entschieden (Entscheide der kriegswirtschaftlichen Strafgerichte 1945/46 Nr. 48) und eine solche Lösung kennt auch die neuere Nebenstrafgesetzgebung (Art. 12 Abs. 4 BG über die Kontrolle der landwirtschaftlichen Pachtzinse; SR 942.10). Das Gesagte muss a fortiori für die Eintreibung der staatlichen Ersatzforderung gemäss
Art. 58 Abs. 4 StGB
gelten.
2.
Die Anklagekammer des Obergerichtes des Kantons Bern hat nach Eintritt der Verfolgungsverjährung eine Ersatzforderung des Staates für die vom Beschwerdeführer durch
BGE 105 IV 169 S. 172
strafbare Handlungen erlangten Gewinne festgestellt und diesen zur Bezahlung von Fr. 4'750.- verurteilt. Das war unzulässig, weshalb der angefochtene Entscheid in diesem Punkt aufzuheben ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 15. März 1979 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b67529e1-b787-4532-b252-bdc79eebb331 | Urteilskopf
85 II 5
2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Februar 1959 i.S. Leuch gegen Leiser. | Regeste
Ehescheidung.
1. Güterrechtliche Auseinandersetzung, Vorschlag: Der Erlös eines vom Manne eingebrachten, während der Ehe verkauften Heimwesens wäre nur insoweit nicht Mannesgut, sondern Errungenschaft, als er eine durch Investitionen aus Errungenschaft bewirkte Wertvermehrung enthielte. Ersatzforderung für veräussertes Eingebrachtes bemisst sich nach dem Wert desselben zur Zeit der Veräusserung.
2. Begriff der Schuldlosigkeit nach Art. 151/52 ZGB: wann kann ein für die Zerrüttung mitursächliches Verschulden unberücksichtigt bleiben? | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 85 II 5 S. 6
A.-
Bei Eheschluss im Jahre 1942 war der Mann Eigentümer eines landwirtschaftlichen Heimwesens in Dietenwil. Im Herbst 1956 verkaufte er das Gut für Fr. 35'000.-- und zog mit der Familie nach Fehlwies. Nach wiederholten heftigen Streitigkeiten verliess der Ehemann am 23. Oktober 1957 die eheliche Wohnung und zog zu seiner Stieftochter.
B.-
Am 20. November 1957 leitete die Ehefrau die Scheidungsklage ein. Mit Urteil vom 13. Juni/25. Juli 1958 sprach das Bezirksgericht Arbon die Scheidung gemäss
Art. 142 ZGB
aus, teilte den Knaben der Mutter zu und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von Fr. 10'000.-- an die Klägerin, nämlich Fr. 700.-- für eingebrachtes Frauengut, Fr. 2000.-- Vorschlagsanteil und Fr. 7300.-- als kapitalisierte Rente gemäss Art. 151/152 ZGB.
Beide Parteien zogen das Urteil bezüglich der finanziellen Nebenfolgen an das Obergericht weiter; die Klägerin verlangte einen Vorschlagsanteil von Fr. 11'300.-- und eine monatliche Rente von Fr. 100.--, der Beklagte Abweisung der Vorschlags- und Rentenansprüche sowie Herausgabe zweier Inhaberobligationen von je Fr. 5000.--.
C.-
Mit Urteil vom 21. Oktober 1958 hat das Obergericht des Kantons Thurgau in teilweiser Gutheissung
BGE 85 II 5 S. 7
der Berufung des Mannes und Abweisung derjenigen der Frau den Beklagten zur Zahlung eines Frauengutsersatzes von Fr. 700.-- sowie einer monatlichen Rente von Fr. 50.- gemäss
Art. 151 ZGB
, die Klägerin zur Herausgabe der zwei Obligationen von je Fr. 5000.--, eventuell des Gegenwertes von Fr. 10'000.-- nebst Zins ab 30. September 1956 verpflichtet.
D.-
Gegen dieses Urteil haben wiederum beide Parteien Berufung eingelegt:
die Klägerin verlangt einen Vorschlagsanteil im Betrag von Fr. 11'300.--, eventuell nach richterlichem Ermessen, sowie eine monatliche Rente von Fr. 100.--, eventuell nach richterlichem Ermessen, subeventuell Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung;
der Beklagte beantragt Abweisung des Rentenbegehrens, eventuell Herabsetzung der zugesprochenen Rente auf höchstens Fr. 25.- oder nach richterlichem Ermessen, subeventuell Rückweisung der Sache an die Vorinstanz in diesem Punkte.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Ansicht der Klägerin soll ein ehelicher Vorschlag dadurch entstanden sein, dass der Beklagte im Jahre 1956 aus dem Verkauf des von ihm eingebrachten Heimwesens Fr. 34'000.--, aus dem des Viehs Fr. 8000.--, zusammen Fr. 42'000.-- gelöst habe, während beides zusammen zur Zeit der Heirat Fr. 8000.-- wert gewesen sei, so dass sich ein Vorschlag von Fr. 34'000.-- ergebe, an dem sie mit einem Drittel = Fr. 11'300.-- beteiligt sei. Der Beklagte bestreitet, dass während der Ehe ein Vorschlag erzielt worden sei, der unter den Parteien aufzuteilen wäre.
In dieser Hinsicht stellt die Vorinstanz fest, beim Verkauf des Heimwesens im Jahre 1956 habe der Beklagte netto Fr. 35'000.-- gelöst und diesen Betrag in 7 Obligationen zu je Fr. 5000.-- der Darlehenskasse Niederhelfenschwil angelegt. Diese noch vorhandenen Obligationen
BGE 85 II 5 S. 8
seien als Ersatzanschaffung für das verkaufte Gut und daher wie dieses als eingebrachtes Mannesgut zu betrachten. Am Erlös aus dem Verkauf könnte die Klägerin nur dann einen Anteil beanspruchen, wenn das Heimwesen seit der Eheschliessung eine durch Aufwendungen und Vorkehrungen bedingte Wertsteigerung erfahren hätte. Solche Investitionen, stellt die Vorinstanz fest, seien nicht erfolgt. Mit dem - im für die Klägerin günstigsten Falle errechenbaren Bauaufwand von durchschnittlich Fr. 350.-- im Jahr an drei Gebäuden seien offensichtlich keine wertvermehrenden Arbeiten zu machen. Vielmehr sei der Wertzuwachs in vollem Umfang auf das konjunkturbedingte allgemeine Steigen der Bodenpreise zurückzuführen, wie denn auch der Hauptwert der Liegenschaft im Land und nicht in den Gebäuden liege. Der Verkaufserlös stelle daher als Ersatzwert eingebrachtes Mannesgut dar und sei vorweg vom ehelichen Vermögen abzuziehen. Der Erlös von Fr. 8000.-- aus dem Verkauf des Viehs sei glaubhaft für eine Verkaufsprovision, für den Haushalt und als Heiratsgut für die Tochter der Klägerin verbraucht worden. Nach Ausscheidung von Mannes- und Frauengut bleibe kein eheliches Vermögen, also kein Vorschlag übrig.
In der Berufungsschrift bestreitet die Klägerin vor allem die Annahme der Vorinstanz, dass die sieben Obligationen als Ersatz für das verkaufte Gut zu gelten hätten. Wie es sich damit verhält, ist indessen ohne Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob ein Vorschlag bestehe. Sachenrechtlich sind die Obligationen auf jeden Fall Eigentum des Mannes, sei es als Surrogat des Heimwesens bzw. des Verkaufserlöses, sei es als eheliches Vermögen. Eine Wertvermehrung ist, wenn überhaupt, nicht an den Obligationen selbst eingetreten, sondern an der dem Ehemann gehörenden Liegenschaft in der Zeit zwischen Heirat und Verkauf. Diese Wertvermehrung würde nur dann nicht Mannesgut, sondern Errungenschaft darstellen, wenn sie durch wertvermehrende Investitionen aus Errungenschaft
BGE 85 II 5 S. 9
bewirkt worden wäre. Ob dies zutrifft oder nicht, ist eine Tatfrage, deren Verneinung durch die Vorinstanz das Bundesgericht bindet, sofern diese Feststellung nicht auf einer Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften oder auf offensichtlichem Versehen beruht (
Art. 63 Abs. 2 OG
). Letzteres trifft keinesfalls zu. Was den ersteren Vorbehalt betrifft, wirft zwar die Klägerin der Vorinstanz vor, sie habe den Wert des Gutes zur Zeit der Heirat nicht festgestellt; jedoch zu Unrecht. Die zu entscheidende Frage war nicht, ob seit der Heirat überhaupt eine Wertvermehrung eingetreten sei, sondern ob eine allfällige Werterhöhung durch Investition aus dem ehelichen Vermögen herbeigeführt worden sei. Um dies zu entscheiden, war es nicht nötig, den Wert des Gutes bei der Heirat genau zu ermitteln; es genügten vielmehr die von der Vorinstanz angestellten Überlegungen, die eine Wertvermehrung durch Investition als jedenfalls ausgeschlossen erscheinen liessen.
Die Klägerin verficht nun freilich die Meinung, die dem Ehemann für sein nicht mehr - auch nicht in Gestalt einer Ersatzanschaffung - vorhandenes Einbringen zustehende Ersatzforderung an das eheliche Vermögen sei nicht nach dem Wert des Heimwesens beim Verkauf, sondern bei der Heirat zu bemessen. Dies ist jedoch unrichtig. Nach ständiger Lehre und Rechtsprechung bemisst sich die Ersatzforderung für veräussertes Eingebrachtes nach dem Wert desselben zur Zeit der Veräusserung (EGGER N. 3, GMÜR N. 12 zu
Art. 210 ZGB
; EGGER Art. 154 N. 8, LEMP Art. 214 N. 46; DENEREAZ, Le calcul du bénéfice de l'union conjugale, S. 105;
BGE 50 II 435
,
BGE 62 II 340
,
BGE 81 III 43
). Wenn in dem von der Berufungsklägerin angerufenen UrteilBGE 75 II 279allerdings auf den Wert der veräusserten Mannesliegenschaft zur Zeit des Eheschlusses zurückgegriffen wird, so nur weil der effektive Verkaufserlös infolge der Inzahlungnahme schlechter Wertpapiere dem wirklichen Verkehrswert bei der Veräusserung nicht entsprach, dieser vielmehr in dem
BGE 85 II 5 S. 10
nominellen, mit dem seinerzeitigen Übernahmewert übereinstimmenden Verkaufspreis zu erblicken war.
Gehören somit die 7 Obligationen dem Beklagten und besteht, wie festgestellt, kein Vorschlag, so kann die Klägerin auch nicht die von ihr zur Deckung ihres vermeintlichen Vorschlagsanteils behändigten 2 Obligationen für sich beanspruchen. Ihr Versuch (S. 6 ihrer Berufung), die beiden Obligationen als ihr vom Beklagten geschenkt hinzustellen, indem sie auf ein Testament desselben vom 17. Januar 1957 hinweist, worin dieser das eingebrachte Gut der Klägerin mit Fr. 10'000.-- bezifferte, geht fehl. Als Verfügung von Todes wegen entfaltet das Testament Wirkungen erst mit dem Tode des Erblassers, der es bis dahin immer noch aufheben oder abändern kann. Die testamentarische Verfügung lässt sich nicht in ein Schenkungsversprechen konvertieren, und eine Schenkung von Hand zu Hand - durch Übergabe der Sache vom Schenker an den Beschenkten,
Art. 242 Abs. 1 OR
- hat nicht stattgefunden, vielmehr hat die Klägerin die beiden Obligationen, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich feststellt (S. 20, 6), eigenmächtig beiseiteschaffen lassen. Bezüglich des Vorschlagsanspruchs ist daher ihre Berufung abzuweisen, und es muss bei Dispositiv 5 des vorinstanzlichen Urteils, wonach sie zur Herausgabe, eventuell Vergütung dieser zwei Titel verpflichtet wird, sein Bewenden haben.
2.
Die Vorinstanz hat der Klägerin eine Rente gemäss
Art. 151 ZGB
in Höhe von Fr. 50.- zugesprochen, mit der Begründung, die Voraussetzung der Schuldlosigkeit verlange nur, dass beim Ansprecher kein Verschulden von einer gewissen Schwere, nämlich keine Verfehlung vorliege, die entweder einen speziellen Scheidungsgrund bilde oder objektiv dazu angetan sei, die Zerrüttung der Ehe herbeizuführen, wofür die Vorinstanz sich aufBGE 60 II 392undBGE 71 II 52beruft. Nun könne die Klägerin nicht als absolut schuldlos an der Zerrüttung betrachtet werden; sie habe durch ihr rechthaberisches Verhalten auch zur Zerrüttung der Gemeinschaft beigetragen. Das
BGE 85 II 5 S. 11
überwiegende Verschulden treffe aber den Mann wegen seiner Rücksichtslosigkeit, Rüpelhaftigkeit und seiner Drohungen. Der Frau müsse daher die Voraussetzung der "Schuldlosigkeit" zugebilligt werden.
Eine derart weite Auslegung des Begriffes der Schuldlosigkeit in Art. 151/52 ZGB dahin, dass nur schwere Verfehlungen gegen die Ehe sie ausschliessen, rechtfertigt sich indessen nur für schuldhaftes Verhalten, das für die Zerrüttung und Scheidung nicht kausal ist (
BGE 55 II 16
,
BGE 71 II 52
,
BGE 79 II 134
). Hat jedoch ein Ehegatte, wie es im vorliegenden Falle nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz bei der Klägerin zutrifft, zur Zerrüttung der Ehe "beigetragen", sie also mitverursacht, so kann sein Verschulden nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn es sich als im Vergleich zu den übrigen Zerrüttungsursachen völlig untergeordnet oder als blosse Reaktion auf eine schwere Herausforderung erweist. So leicht kann das Verhalten der Klägerin aber nicht beurteilt werden. Hinsichtlich der Scheidungsgründe hat die Vorinstanz keine vom Bezirksgericht abweichende Feststellungen getroffen, sondern den von diesem angenommenen Tatbestand implicite als zutreffend anerkannt. Demnach steht fest, dass unter den Ehegatten ein grober Ton herrschte, dass sie sich gegenseitig lieblose Bemerkungen machten und einander beschimpften, dass beide es "wenig" verstanden, sich anzupassen, einander das Leben schwer gemacht haben und die Frau den Mann mit Rechthaberei geplagt hat. Bei diesem Sachverhalt kann die Klägerin, auch wenn den Beklagten das vorwiegende Verschulden trifft, nicht als schuldlos gelten; es trifft sie an der Zerrüttung eine kausale Mitschuld, die neben derjenigen des Mannes nicht als verschwindend gering ausser Betracht gelassen werden darf und daher einem Anspruch aus Art. 151/52 ZGB entgegensteht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung der Klägerin wird abgewiesen. In Gutheissung der Berufung des Beklagten wird Dispositiv 4
BGE 85 II 5 S. 12
des Urteils der Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 21. Oktober 1958 insoweit aufgehoben, als der Klägerin eine Rente nach
Art. 151 ZGB
zugesprochen wird, und der Anspruch der Klägerin auf eine Rente nach
Art. 151 oder 152 ZGB
abgewiesen. Im übrigen wird das angefochtene Urteil bestätigt. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6799436-7e79-4a8e-b38e-6ffa7a46f4d7 | Urteilskopf
108 Ib 359
63. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 26 mai 1982 dans la cause Marc Antonini et Cie contre Justin Bandelier et consorts et Genève, Tribunal administratif (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 24 RPG
; Ausnahmebewilligung zum Bauen ausserhalb der Bauzone.
Bau einer selbständigen Halle zur Aufbewahrung von Holz zu einer bereits seit vielen Jahren in der Landwirtschaftszone bestehenden Schreinerei. Begriff der Neuerrichtung und der teilweisen Änderung. Qualifizierung der geplanten Baute als Neubau i.S. von
Art. 24 Abs. 1 RPG
(E. 3). Fehlen von objektiven Gründen, welche die Verwirklichung am vorgesehenen Ort i.S. von
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
rechtfertigen würden; der Zweck des bestehenden Betriebes erfordert an und für sich nicht bereits einen Standort ausserhalb der Bauzone (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 359
BGE 108 Ib 359 S. 359
La société Marc Antonini et Cie exploite une entreprise de charpente-menuiserie à Bonvard, hameau de la commune genevoise de Choulex où elle est installée depuis 1936. Sise en zone
BGE 108 Ib 359 S. 360
agricole (5e zone B), l'entreprise comprend des constructions et installations dont l'ensemble présente un aspect architectural assez proche de celui des constructions agricoles et s'intègre bien dans le paysage.
Le 1er octobre 1980, le Département des travaux publics du canton de Genève (ci-après: le Département) a mis la société Marc Antonini et Cie au bénéfice d'une dérogation au sens de l'art. 16 de la loi cantonale du 25 mars 1961 sur les constructions et les installations diverses (ci-après: LCI) en l'autorisant à construire sur l'une de ses parcelles une halle à bois de 320 m2. Cette construction était destinée à recevoir les nombreux dépôts de planches et de palettes mis à couvert le long de l'atelier de charpente ou installés sur la parcelle en question.
Les consorts Bandelier, voisins de l'entreprise, ont recouru contre cette décision du Département auprès de la Commission genevoise de recours instituée par la LCI, qui les a déboutés le 2 décembre 1980.
Saisi à son tour de l'affaire, le Tribunal administratif du canton de Genève a, par arrêt du 1er juillet 1981, annulé la décision de la Commission de recours ainsi que l'autorisation de construire délivrée par le Département. Il a considéré que la construction projetée n'était pas conforme à la destination agricole de la 5e zone B et que l'octroi d'une dérogation ne se justifiait pas au regard de l'art. 24 de la loi fédérale du 22 juin 1979 sur l'aménagement du territoire (LAT), l'emplacement de la halle en cause n'étant nullement imposé par sa destination.
La société Marc Antonini et Cie a demandé au Tribunal fédéral, par la voie d'un recours de droit administratif, d'annuler l'arrêt du Tribunal administratif genevois et d'enjoindre à l'autorité cantonale de délivrer le permis de construire litigieux. Dans son recours, elle faisait grief au Tribunal administratif d'avoir violé le droit fédéral en niant que les conditions d'application de l'
art. 24 LAT
fussent réunies en l'occurrence. Elle lui reprochait également d'avoir fait une application arbitraire de l'art. 16 LCI.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
...
Ainsi que le relève l'autorité intimée dans l'arrêt attaqué, une lecture comparative des deux textes de loi applicables, soit les
BGE 108 Ib 359 S. 361
art. 16 LCI et 24 LAT, montre que l'exigence de l'art. 16 al. 2 LCI, selon laquelle l'emplacement de la construction doit être imposé par sa nature et sa destination, correspond à celle de l'
art. 24 al. 1 lettre a LAT
. Il faut en déduire que la règle précitée du droit cantonal n'a pas de portée indépendante par rapport à l'
art. 24 al. 1 LAT
et doit être considérée comme une pure disposition d'exécution du droit fédéral. La voie du recours de droit administratif est donc seule ouverte à la recourante pour faire annuler la décision attaquée et son recours de droit public n'est pas recevable (cf.
ATF 105 Ia 108
, no 21).
3.
a) Le hangar projeté se trouve en zone agricole et il n'est pas contesté que l'autorisation requise ne pouvait être délivrée en application de l'
art. 22 LAT
. La recourante a dès lors sollicité une dérogation en vertu de l'
art. 24 al. 1 LAT
.
Il y a lieu cependant de se demander, tout d'abord, si la construction envisagée entre dans les nouvelles constructions visées par cette disposition ou si elle peut être considérée comme une transformation partielle au sens de l'
art. 24 al. 2 LAT
. Celui-ci donne en effet aux cantons la faculté de soumettre à des prescriptions moins strictes que celles du premier alinéa, les travaux qui ont pour effet d'assurer la pérennité d'une construction. Le droit fédéral fixe toutefois impérativement le genre d'ouvrages auxquels s'appliquent les conditions plus souples prévues à l'
art. 24 al. 2 LAT
. Les travaux plus importants tombent sous le coup de l'al. 1. Les notions de rénovation, de transformation partielle et de reconstruction sont inhérentes au droit fédéral; elles constituent la ligne de partage entre les al. 1 et 2, de sorte que la compétence législative cantonale en cette matière n'est pas illimitée (
ATF 107 Ib 241
et les références; Département fédéral de justice et police (DFJP)/Office fédéral de l'aménagement du territoire (OFAT), Etude relative à la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, 1981, no 32, p. 294).
La transformation d'une construction peut consister aussi bien en un agrandissement ou en une transformation intérieure qu'en un changement d'affectation. Elle est partielle lorsque le volume, l'apparence extérieure et la destination de l'ouvrage restent dans l'ensemble inchangés et qu'il n'en résulte pas d'effet notable sur l'affectation du sol, l'équipement ou l'environnement (DFJP/OFAT, Etude précitée, no 35, p. 295). La recourante se proposant de construire un nouveau bâtiment, distinct des constructions existantes, sur une surface de 320 m2 environ, il est manifeste que
BGE 108 Ib 359 S. 362
ces conditions ne sont pas réunies en l'occurrence et que les travaux envisagés tombent en conséquence sous le coup de l'
art. 24 al. 1 LAT
(arrêt non publié Baudet c. Fribourg, Conseil d'Etat du 3 février 1982).
b) Selon la jurisprudence, l'
art. 24 al. 2 LAT
ne peut d'ailleurs trouver application que si le canton a fait usage de la faculté qui lui est conférée par cette disposition (
ATF 107 Ib 236
consid. 2), ce qui, à ce jour, n'est pas le cas du canton de Genève. C'est donc à juste titre que la recourante n'a pas sollicité de dérogation en vertu de l'
art. 24 al. 2 LAT
.
4.
La construction projetée étant ainsi soumise à l'
art. 24 al. 1 LAT
, il convient d'examiner si le Tribunal administratif a eu raison ou non de considérer que les conditions posées par cette disposition n'étaient pas réunies dans le cas particulier.
a) L'
art. 24 al. 1 LAT
exige en premier lieu que l'implantation de la construction hors de la zone à bâtir soit imposée par sa destination (lettre a). Cette règle a été reprise de la législation fédérale sur la protection des eaux contre la pollution (
art. 20 LPEP
et 27 OGPEP dans leur ancienne teneur) et de l'arrêté fédéral instituant des mesures urgentes en matière d'aménagement du territoire (art. 4 AFU). La jurisprudence développée à propos de ces textes législatifs s'applique dès lors également à l'
art. 24 LAT
(arrêt non publié Henselmann du 18 mars 1981, consid. 4). Selon cette jurisprudence, il faut toujours que des raisons objectives - techniques, économiques ou découlant de la configuration du sol - justifient la réalisation de l'ouvrage projeté à l'emplacement prévu (
ATF 102 Ib 79
consid. 4). Cette condition n'a pas un caractère absolu, mais doit être relativisée. Il n'est ainsi pas nécessaire qu'aucun autre emplacement que celui proposé n'entre en ligne de compte, mais il suffit que des motifs particulièrement importants et objectifs imposent la réalisation de la construction projetée à l'endroit prévu et fassent apparaître sa réalisation hors de la zone à bâtir comme beaucoup plus avantageuse qu'à l'intérieur de celle-ci (
ATF 99 Ib 156
consid. 2b et 158 consid. 3b; DFJP/OFAT, Etude relative à la LAT, no 15, p. 286). En revanche, l'implantation d'un ouvrage n'est pas imposée par sa destination lorsque le choix de l'emplacement n'a été dicté que par des raisons financières, personnelles ou pour des motifs d'agrément (
ATF 102 Ib 79
consid. 4).
b) En application de ces principes, la jurisprudence a eu l'occasion de préciser que l'existence d'une construction non
BGE 108 Ib 359 S. 363
conforme à l'affectation de la zone ne permettait pas, en tant que telle, de considérer que l'implantation hors de la zone à bâtir d'une nouvelle construction appartenant à la même exploitation fût imposée par sa destination. Le droit fédéral n'autorise en effet que la rénovation, la transformation partielle ou la reconstruction d'installations existantes dont l'implantation n'est pas imposée par leur destination, et ce pour autant que le canton ait légiféré à cet égard.
Une nouvelle construction ne pouvait dès lors être autorisée que dans la mesure où l'implantation hors de la zone à bâtir de l'entreprise existante s'imposait par sa destination et où le bâtiment projeté apparaissait comme nécessaire à l'exploitation (arrêt non publié Henselmann du 18 mars 1981, consid. 5b et c).
c) En l'occurrence, il n'existait manifestement pas de raisons objectives qui auraient pu justifier l'implantation de la construction litigieuse hors de la zone à bâtir. Le fait que la recourante exploite son entreprise depuis 1936 au même endroit n'est en effet pas pertinent aux termes de la jurisprudence précitée, dans la mesure où une entreprise de charpente-menuiserie spécialisée dans la fabrication de chalets en série peut et doit même être exploitée dans une des zones à bâtir prévues pour une telle affectation, et non au centre d'une zone destinée à l'agriculture.
Faute de répondre à la condition posée par l'
art. 24 al. 1 lettre a LAT
, l'autorisation délivrée par le Département des travaux publics l'avait été en violation du droit fédéral et c'est à juste titre que le Tribunal administratif l'a annulée.
d) Les conditions posées par l'art. 24 al. 1 lettres a et b LAT sont cumulatives; le Tribunal fédéral peut dès lors se dispenser d'examiner si la juridiction cantonale a eu raison ou non de considérer que l'intérêt public important à la préservation de la zone agricole l'emportait en l'espèce sur l'intérêt privé de la recourante à la réalisation de la construction litigieuse.
On relèvera simplement que, dans un canton au territoire exigu comme celui de Genève, cet objectif d'intérêt public peut être atteint seulement si les règles relatives à l'affectation de la zone agricole sont appliquées strictement.
e) La recourante allègue par ailleurs que la construction du hangar projeté serait également justifiée par l'intérêt public; elle permettrait de supprimer la gêne pour la circulation que constituent les véhicules de ses employés garés en bordure des chemins avoisinants et tendrait à mieux préserver le paysage en
BGE 108 Ib 359 S. 364
mettant à couvert sous le nouveau hangar les nombreux dépôts de planches qui se trouvent actuellement sur sa parcelle.
La solution du problème posé par le stationnement des véhicules sur les chemins avoisinants implique peut-être la construction de places de parc, mais non celle d'une halle à bois. Quant à l'argument tiré de la préservation du paysage, il est tout aussi peu convaincant car, s'il est vrai que les dépôts existants portent atteinte au site, ils le font déjà en violation de la législation sur les constructions (art. 20 al. 2 LCI). Or la recourante ne saurait se prévaloir d'une situation illégale, créée par elle, pour solliciter l'octroi d'une dérogation.
f) Dans les circonstances données, la décision attaquée entraîne certes pour la recourante des conséquences assez rigoureuses; elle l'empêche pratiquement de réaliser un projet qui lui permettrait, entre autres, d'assurer une gestion plus rationnelle et plus rentable de son entreprise. L'
art. 24 al. 1 LAT
, qui lie le Tribunal fédéral (
art. 113 al. 3 Cst.
), ne permet cependant pas la prise en considération de telles raisons subjectives et le recours doit être rejeté.
Il y a lieu toutefois de prendre acte de l'intention des autorités municipales de Choulex de mettre prochainement à l'étude une modification du plan d'aménagement touchant notamment le hameau de Bonvard, ce qui permettrait, au dire du maire de la commune, de régler les problèmes posés par la construction de la halle à bois litigieuse. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
b67abaf7-451b-4db4-9790-99a9e52b8493 | Urteilskopf
135 III 179
25. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre Z. SA et consorts (recours en matière civile)
5A_399/2008 du 4 décembre 2008 | Regeste
Verwertung eines Anteils an einem Gemeinschaftsvermögen; Bestimmung der Art der Verwertung.
In
Art. 10 VVAG
vorgesehene Verwertungsarten (E. 2.1). Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, welcher die Auflösung und Liquidation der Erbschaft und - mangels Kostenvorschusses der Gläubiger für das Teilungsverfahren - die Versteigerung des Anteilsrechts anordnet (E. 2.2- 2.4). Im Falle der Versteigerung hat der Ersteigerer des Erbschaftsanteils das Recht, die Teilung zu verlangen und den Liquidationserlös einzufordern (E. 2.5). | Sachverhalt
ab Seite 179
BGE 135 III 179 S. 179
A.
La société Z. SA dispose d'une créance de 104'926 fr. 15 contre A. En mars 2007, la société a requis et obtenu le séquestre, à concurrence du montant précité, de la part de A. dans la succession de feu X.
Dans la poursuite en validation du séquestre, l'office des poursuites de N. a saisi la part de succession de A. Le 29 juillet 2007, la créancière a requis la réalisation du bien saisi.
B.
Les pourparlers de conciliation selon l'art. 9 al. 3 de l'Ordonnance du Tribunal fédéral du 17 janvier 1923 concernant la saisie et la réalisation de parts de communauté (OPC; RS 281.41) ayant
BGE 135 III 179 S. 180
échoué, tout comme ceux menés parallèlement par les héritiers en vue d'une liquidation amiable de la succession, l'office a saisi l'autorité cantonale de surveillance conformément aux
art. 132 al. 1 LP
et 10 al. 1 OPC.
C.
Constatant l'échec de l'entente amiable, le juge de district de N., statuant en qualité d'autorité de surveillance, a invité les parties à lui soumettre leurs propositions en vue de mesures ultérieures de réalisation (art. 10 al. 1 in fine OPC). A. a sollicité l'octroi d'un délai de six mois pour que les héritiers finalisent la convention de partage en cours de discussion. De son côté, la créancière s'est opposée à cette proposition et a demandé que la part successorale saisie soit mise aux enchères.
Statuant le 13 décembre 2007, l'autorité de surveillance a prononcé la dissolution et la liquidation de la succession de feu X., les frais de cette opération devant être avancés par Z. SA, selon les instructions de l'office des poursuites et faillite. Le dispositif prévoyait encore qu'à défaut d'avances, la part de A. devait être réalisée aux enchères publiques par l'office.
Par jugement du 10 juin 2008, l'autorité supérieure de surveillance a rejeté le recours déposé par A.
D.
A. a formé un recours en matière civile auprès du Tribunal fédéral. Il a conclu à l'annulation du jugement attaqué, à ce que la dissolution et la liquidation de la succession de X. soient ordonnées selon les règles du Code civil et à ce que l'office des poursuites requière de la créancière poursuivante l'avance de frais de ces opérations. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recourant prétend que l'autorité supérieure de surveillance a violé le droit fédéral, plus particulièrement les
art. 10 al. 3 et 4 OPC
ainsi que l'
art. 132 al. 1 et 3 LP
, en ordonnant qu'à défaut d'avances faites par la créancière, la part de succession serait vendue aux enchères.
2.1
Lorsqu'il s'agit de réaliser une part de communauté, il appartient à l'autorité de surveillance de fixer le mode de réalisation (
art. 132 al. 1 LP
). Après avoir consulté les intéressés, l'autorité peut ordonner la vente aux enchères, confier la réalisation à un gérant ou prendre toute autre mesure (
art. 132 al. 3 LP
). L'OPC prévoit toutefois
BGE 135 III 179 S. 181
des mesures plus précises qui restreignent le pouvoir attribué à l'autorité de surveillance par l'
art. 132 al. 3 LP
(
ATF 96 III 10
consid. 2). Ainsi, en vertu de l'
art. 10 al. 2 OPC
, l'autorité de surveillance doit décider, en tenant compte autant que possible des propositions des intéressés, si la part de communauté saisie doit être vendue aux enchères comme telle ou s'il y a lieu de procéder à la dissolution de la communauté et à la liquidation du patrimoine commun conformément aux dispositions qui régissent la communauté dont il s'agit (
art. 10 al. 2 OPC
). Dans la règle, la vente aux enchères ne doit être ordonnée que si la valeur de la part saisie peut être déterminée approximativement au moyen des renseignements obtenus lors de la saisie ou au cours des pourparlers amiables (
art. 10 al. 3 OPC
). Dans l'
ATF 80 III 117
(consid. 3), le Tribunal fédéral a précisé que, dans une succession non partagée, l'ordre de procéder à la dissolution et à la liquidation du patrimoine commun devait être assorti de l'obligation pour les créanciers poursuivants de faire l'avance de frais de la procédure de partage, l'office devant les avertir qu'à défaut pour eux de s'exécuter, la part de communauté serait vendue aux enchères. Cette jurisprudence a été ensuite inscrite dans la loi par l'adoption de l'
art. 10 al. 4 OPC
, entré en vigueur le 1
er
janvier 1997 (Travaux préparatoires, Propositions d'adaptations de l'Ordonnance du TF concernant la saisie et la réalisation de parts de communautés, OPC, révision de 1996, p. 2; cf. aussi arrêt 7B_76/2002 consid. 4.5).
Le choix entre les deux modes de réalisation relève de l'opportunité (
ATF 96 III 10
consid. 2). Le Tribunal fédéral n'intervient que si l'autorité cantonale a excédé les limites de son pouvoir d'appréciation, c'est-à-dire notamment si l'autorité cantonale a retenu des critères inappropriés ou encore lorsqu'elle néglige des circonstances pertinentes (
ATF 130 III 176
consid. 1.2 et les références) ou lorsqu'elle ne tient pas compte du but de protection des dispositions précitées (
ATF 96 III 10
consid. 2).
2.2
En l'espèce, l'autorité supérieure de surveillance a constaté que la communauté héréditaire, qui avait fait l'objet d'un bénéfice d'inventaire, était composée d'immeubles dont l'un était situé en Espagne, de meubles, d'actions, d'obligations, de comptes d'épargne, d'intérêts, d'honoraires, de participations aux bénéfices et de biens constituant une propriété commune et d'entités situées au Liechtenstein et à Gibraltar. La procédure de conciliation menée par l'autorité inférieure de surveillance en application de l'
art. 9 al. 3 OPC
,
BGE 135 III 179 S. 182
de même que les tentatives entreprises parallèlement entre les héritiers en vue de conclure une convention de partage n'ont pas abouti. L'autorité précédente s'est ralliée au raisonnement du juge de district de N. en considérant qu'une vente aux enchères comportait le risque d'une aliénation à vil prix de la part héréditaire et a par conséquent ordonné la dissolution et la liquidation de la succession. En application de l'
art. 10 al. 4 OPC
, elle a confirmé qu'à défaut d'avances par la créancière poursuivante, il appartiendrait à l'office des poursuites de réaliser la part de succession dans une vente aux enchères publiques.
2.3
Le recourant, dans un premier grief, reproche à l'autorité précédente de ne pas avoir "constaté", en relation avec l'
art. 10 al. 3 OPC
, si la valeur de la succession pouvait ou ne pouvait pas être déterminée approximativement. Contrairement à ce qu'il prétend, cette question ne relève pas de la constatation des faits, mais de l'application du droit. La jurisprudence a en effet précisé que la valeur de la part ne peut pas être déterminée approximativement au sens de l'
art. 10 al. 3 OPC
notamment s'il existe un litige entre les membres de la communauté au sujet de la valeur de celle-ci ou de la quote-part de liquidation du débiteur, lorsque la valeur a fait l'objet de deux estimations fortement divergentes de la part de deux experts (
ATF 96 III 10
consid. 3) ou lorsque l'exactitude de l'inventaire est critiquée sur des points importants (BlSchK 1940 p. 24 ss). En tout état de cause, l'
art. 10 al. 3 OPC
n'entre en ligne de compte que lorsque l'autorité de surveillance opte pour la vente aux enchères publiques (arrêt 7B_220/2003 du 8 octobre 2003 consid. 3 et les références citées). Tel n'est pas le cas en l'occurrence, l'autorité précédente ayant ordonné la dissolution et la liquidation de la communauté. Ce n'est qu'à défaut d'avances de frais pour ces opérations qu'une vente aux enchères de la part aura lieu, en application de l'
art. 10 al. 4 OPC
; il n'était donc pas déterminant de savoir si la valeur de la succession pouvait être déterminée ou non.
2.4
Le recourant ne conteste pas le choix opéré par les autorités de surveillance en faveur de la dissolution et liquidation de la succession. Il s'en prend uniquement au point du dispositif aux termes duquel, à défaut d'avances de frais, sa part de succession sera vendue aux enchères publiques par l'office. Cet ordre est parfaitement conforme au droit fédéral (cf. arrêt 7B_76/2002 du 1
er
juillet 2002 consid. 4.5; arrêt de la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois du 31 mars 2003 consid. 2e, in BlSchK 2004
BGE 135 III 179 S. 183
p. 186 ss; arrêt de l'Obergerichtskommission du canton d'Obwald du 14 avril 2005 consid. 5, in Amtsbericht über die Rechtspflege des Kantons Obwalden 2004 p. 101 ss). Les considérations du recourant tirées de l'
ATF 96 III 10
sur les inconvénients d'une vente aux enchères sont hors de propos, dès lors que l'autorité précédente s'est bien prononcée en premier lieu en faveur du partage de la succession. Par ailleurs, contrairement à ce que le recourant prétend, dans cet arrêt, le Tribunal fédéral n'a nullement exclu de manière générale la possibilité d'une vente aux enchères d'une part de communauté successorale (MAGDALENA RUTZ, in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. II, 1998, n° 26 ad
art. 132 LP
).
Il n'est pas décisif que la créancière poursuivante ait préalablement conclu à la vente aux enchères, ce qui laisse effectivement supposer qu'elle ne versera pas l'avance de frais nécessaire à la procédure de partage. Dans ce cas, la loi prévoit qu'à défaut d'avance, la part de communauté doit être vendue aux enchères (
art. 10 al. 4 OPC
). Il s'agit de la seule mesure envisageable pour faire avancer la procédure dans le cas où le poursuivant n'effectue pas l'avance de frais dans le délai imparti par l'office (PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. II, 2000, n° 35 ad
art. 132 LP
). Cette disposition part du principe que, lorsque l'autorité de surveillance opte pour la procédure de partage, il s'agit d'éviter une réalisation à vil prix qui aurait lieu en cas de vente aux enchères (
ATF 80 III 117
consid. 1;
ATF 96 III 10
consid. 3). Dans ce cas, le choix opéré répond à l'intérêt des débiteurs, mais également des créanciers poursuivants (ATF précités) qui, en cas de vente aux enchères de la part au-dessous de son prix, courent le risque que leur créance ne soit pas entièrement couverte. Ce risque est d'autant plus élevé en l'espèce au vu, d'une part, de l'incertitude sur la composition de la masse successorale et la valeur des biens de cette masse. D'autre part, un adjudicataire de la part qui serait étranger à la famille devrait demander à l'autorité compétente d'intervenir dans le partage de la succession (
art. 609 al. 1 CC
); ce partage se heurtera vraisemblablement à des difficultés, le bénéfice d'inventaire ayant révélé des dissensions entre les héritiers. Dans ces conditions, il apparaît douteux que des tiers soient tentés de participer aux enchères, ce qui renforce le risque d'une aliénation à un prix inférieur à la valeur réelle. Ainsi, la procédure de partage apparaît la plus adaptée à protéger les intérêts de la créancière
BGE 135 III 179 S. 184
saisissante. Si, en dépit de ces considérations, elle ne verse pas l'avance de frais fixée par l'office, il n'en demeure pas moins que le système légal ne prévoit pas d'autre alternative que la vente aux enchères.
2.5
Le recourant ne met pas davantage en évidence de violation du droit fédéral lorsqu'il affirme que la vente aux enchères aurait pour conséquence de permettre à un tiers d'exercer l'action en partage.
En cas de vente aux enchères, l'adjudicataire de la part ne prend pas la place du poursuivi dans la communauté. Ce qui est réalisé, c'est la part de liquidation lui revenant, ainsi que son droit de faire fixer cette part et de se la faire payer (
ATF 80 III 117
consid. 1). L'adjudicataire ne reçoit ainsi de l'office des poursuites qu'un certificat constatant qu'il est subrogé au droit du débiteur de demander le partage de la communauté et de toucher le produit de la liquidation (
art. 11 al. 2 OPC
), ce qui ne signifie pas qu'il devient titulaire des droits patrimoniaux compris dans le patrimoine commun (GILLIÉRON, op. cit., n° 27 ad
art. 132 LP
et la référence citée). Tout comme le cessionnaire d'une part de communauté héréditaire (
art. 635 al. 2 CC
), le tiers qui a saisi la part échue à un héritier n'est pas autorisé à intervenir directement dans le partage, mais il peut demander que l'autorité intervienne au partage en lieu et place de cet héritier (
art. 609 al. 1 CC
;
ATF 96 III 10
consid. 5;
ATF 87 II 218
). Les auteurs cités par le recourant (SCHAUFELBERGER/KELLER, in Commentaire bâlois, CC, vol. II, 3
e
éd. 2007, n° 16 ad
art. 636 CC
[recte: 635 CC]) à l'appui de son argumentation ne disent pas autre chose. Contrairement à ce qu'affirme le recourant, le fait que l'adjudicataire de la part successorale soit autorisé à demander le partage, loin de consacrer une violation du droit fédéral, est prévu par la loi. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b67b5bb5-2bb8-438a-a0e7-126377afc5bc | Urteilskopf
95 II 623
84. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Dezember 1969 i.S. Weidmann gegen Helvetia-Unfall. | Regeste
Art. 129 Abs. 2 KUVG
schränkt auch die Haftung des Motorfahrzeughalters aus
Art. 58 SVG
und seines Versicherers (
Art. 65 SVG
) ein, gilt aber nur für Betriebsunfälle (Erw. 2).
Arbeiter im Sinne von
Art. 129 Abs. 2 KUVG
ist, wer in einem dienstvertraglichen Abhängigkeitsverhältnis steht (Erw. 3).
Art. 67 Abs. 2 lit. b KUVG
. Betriebsunfall. Die Fahrt zur Arbeit, die der Versicherte frei gestaltet, ist keine zur Förderung der Betriebszwecke bestimmte Verrichtung (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 624
BGE 95 II 623 S. 624
A.-
Am 28. Juli 1964 schloss Alfred Weidmann als Unterakkordant mit dem Baugeschäft F. & K. Egle, Bülach, einen schriftlichen Vertrag ab über die Ausführung von Maurerarbeiten an einer Überbauung im "Wiesengrund" in Oberglatt. Er zog für diese Arbeiten den ihm aus früherer Zusammenarbeit bekannten Johannes Gandin bei, mit dem er den Lohn hälftig teilte. Die Firma F. & K. Egle zahlte für beide die Prämien für Betriebsunfälle an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt in Luzern (SUVA). Am 3. November 1964 fanden sich Weidmann und Gandin, da es geregnet hatte, erst nach 11 Uhr im Personenwagen Gandins auf der Baustelle in Oberglatt ein, um die Arbeit aufzunehmen. Der auf dem Arbeitsplatz tätige Polier wies sie an, sich bei der Firma F. & K. Egle in Bülach zu melden. Die beiden fuhren darauf im Wagen Gandins nach Bülach und sprachen bei Karl Egle vor, der sie auf die Baustelle schickte. Unterwegs stiess der Wagen Gandins mit einem ihm entgegenfahrenden Lastwagen zusammen. Weidmann und Gandin wurden dabei verletzt. Die SUVA anerkannte den
BGE 95 II 623 S. 625
Unfall Weidmanns als Betriebsunfall im Sinne von
Art. 67 Abs. 2 KUVG
und sprach eine Invalidenrente von jährlich Fr. 1575.-- zu.
Das Bezirksgericht Dielsdorf verurteilte Gandin wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Busse von Fr. 300.--.
B.-
Weidmann klagte gegen die Helvetia-Unfall als Haftpflichtversicherer Gandins auf Ersatz des durch die SUVA nicht gedeckten Schadens von Fr. 17'338.40 nebst Zins. Die Beklagte anerkannte die Forderung im Betrage von Fr. 1069.50, d.h. mit Bezug auf die Schadensposten, für die das KUVG keine Leistungen vorsieht (Sachschaden und Genugtuung).
Das Bezirksgericht Dielsdorf wies am 25. September 1968 die Klage im Restbetrag ab.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 24. Juni 1969 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
Der Kläger beantragt mit der Berufung, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben, die "Haftpflicht der Beklagten zu bejahen", die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuem Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage).
2.
a) Wenn der Arbeitgeber des Versicherten die von ihm in der obligatorischen Unfallversicherung geschuldeten Prämien bezahlt hat, haften er, seine Familienangehörigen, Angestellten und Arbeiter gegenüber einem bei der SUVA versicherten Geschädigten nur, wenn sie den Unfall absichtlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Diese Beschränkung gilt nicht nur für die Haftung gemäss Obligationenrecht, sondern auch für die in
Art. 58 SVG
geregelte Haftung des Motorfahrzeughalters, denn
Art. 80 SVG
behält
Art. 129 Abs. 2 KUVG
vor. Diese Vorschrift bezieht sich indessen ausschliesslich auf Betriebsunfälle, da nach
Art. 108 Abs. 1 KUVG
der Arbeitgeber nur für diese Prämien bezahlen muss (
BGE 67 II 231
f.,
BGE 88 II 41
Erw. 1; MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl. S. 21 und 356; OSWALD, Die beschränkte Haftung des Arbeitgebers gemäss KUVG 129 II, in Schweiz. Zeitschrift für Sozialversicherung 1962 S. 260). Bei Nichtbetriebsunfällen kann daher
BGE 95 II 623 S. 626
der Geschädigte die in
Art. 129 Abs. 2 KUVG
aufgezählten Haftpflichtigen für den von der SUVA nicht gedeckten Schaden (sog. Restforderung) wie Dritte belangen (OFTINGER, Haftpflichtrecht I S. 389).
b) Der Kläger ficht diese Auslegung des
Art. 129 KUVG
nicht an, macht aber geltend, der Zweckgedanke des KUVG verbiete, kapitalkräftigen Versicherungsgesellschaften die gleichen Haftungsbeschränkungen einzuräumen wie den in der erwähnten Vorschrift genannten Personen.
Art. 129 Abs. 2 KUVG
gelte somit für die Beklagte nicht.
Die Deckungspflicht des Haftpflichtversicherers reicht nicht weiter als die Haftung des versicherten Schädigers. Daran ändert nichts, dass nach
Art. 65 SVG
der Geschädigte den privaten Haftpflichtversicherer unmittelbar belangen darf. Diesem stehen grundsätzlich die gleichen Einreden zu wie dem Versicherten. Ist der Versicherte im Sinne von
Art. 129 Abs. 2 KUVG
entlastet, so ist es auch sein Haftpflichtversicherer (vgl.
BGE 88 II 46
Erw. 5).
3.
Der Kläger hält an der Auffassung fest, er und Gandin seien im Zeitpunkt des Unfalles nicht Arbeiter im Sinne von
Art. 129 Abs. 2 KUVG
der Bauunternehmung Egle gewesen; er behauptet, sie hätten zusammen als selbständige Unternehmer eine einfache Gesellschaft gebildet, weshalb die Haftungsbeschränkung der Beklagten schon aus diesem Grunde entfalle.
Die Vorinstanz stellt auf Grund des Beweisverfahrens fest, dass sich der Kläger und Gandin vor Arbeitsbeginn zu einer Akkordgruppe zusammengeschlossen hatten; sie seien auf der Baustelle den Weisungen des Poliers unterstellt und nicht wesentlich freier gewesen als die sonst von der Bauunternehmung Egle beschäftigten Arbeiter. Der Kläger behauptet nicht, diese Feststellungen seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen oder beruhten offensichtlich auf Versehen. Er beanstandet lediglich die Beweiswürdigung, was nicht zulässig ist (
Art. 63 Abs. 2 OG
). Die Behauptung sodann, es habe zwischen dem Kläger und Gandin eine einfache Gesellschaft bestanden, ist erstmals im Berufungsverfahren aufgestellt worden und nach
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
nicht zu hören. Damit bleibt es bei den Feststellungen im angefochtenen Urteil. Das Obergericht folgert daraus zu Recht, dass die beiden Partner zur Bauunternehmung Egle in den gleichen
BGE 95 II 623 S. 627
tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen standen, obwohl nur der Kläger den schriftlichen Vertrag vom 28. Juli 1964 unterzeichnet hatte. Es ist somit davon auszugehen, dass der Kläger und Gandin zur Bauunternehmung Egle in einem Abhängigkeitsverhältnis standen, wie dies für die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eigentümlich ist. Dem steht die vertraglich vorgesehene Entschädigung nach Einheitspreisen nicht entgegen, denn
Art. 319 Abs. 2 OR
behält für den Dienstvertrag die Bestimmung des Lohnes nach Massgabe der geleisteten Arbeit ausdrücklich vor. Für das Verhältnis der Unterordnung spricht sodann der Umstand, dass nach dem schriftlichen Vertrag die Beiträge für die AHV und die NBUV von den vereinbarten Einheitspreisen abzuziehen, somit von der Bauunternehmung zu entrichten waren. Dass der Kläger eine "prompte und in jeder Beziehung einwandfreie Arbeit" versprach, schliesst einen Dienstvertrag nicht zwingend aus. Die Vorinstanz führt in diesem Zusammenhang aus, dass der Kläger und Gandin nicht für die Herstellung eines bestimmten Werkes einzustehen hatten, sondern nur bestimmte zur Fertigstellung des Neubaues für sich allein nicht genügende Arbeiten leisten mussten. Angesichts dieser verbindlichen Feststellung lässt sich die streitige Vertragsbestimmung mit der in
Art. 328 Abs. 1 OR
verankerten Sorgfaltspflicht des Dienstnehmers durchaus vereinbaren. Der Kläger und Gandin waren somit Arbeiter der Bauunternehmung Egle.
4.
Der Kläger behauptet, die Vorinstanz habe die Haftung der Beklagten auch deshalb zu Unrecht abgelehnt, weil es sich nicht um einen Betriebsunfall, sondern um einen sog. Wegunfall gehandelt habe, der als Nichtbetriebsunfall gelte.
Die SUVA hat einen Betriebsunfall angenommen; der Richter ist jedoch an diese Auffassung nicht gebunden (
BGE 88 II 38
f.; MAURER, a.a.O. S. 356 N. 50).
Art. 67 Abs. 2 KUVG
bezeichnet als Betriebsunfälle "diejenigen Körperverletzungen, die einem Versicherten zustossen
a) bei einer Arbeit, die er im Auftrage des Inhabers des die Versicherung bedingenden Betriebes oder seiner Organe ausführt;
b) bei einer Verrichtung, die zur unmittelbaren oder mittelbaren Förderung der Betriebszwecke bestimmt ist und zu der der Versicherte das Einverständnis des Betriebsinhabers oder seiner Organe voraussetzen darf;
BGE 95 II 623 S. 628
c) während der Arbeitspause sowie vor Beginn oder nach Beendigung der Arbeit, wenn der Versicherte sich befugterweise auf der Betriebsstätte oder im Bereiche der Betriebsgefahren befindet."
Der Kläger war auf der Fahrt nach Bülach zur Baustelle in Oberglatt noch nicht bei der Arbeit im Sinne der lit. a und auch nicht auf der Betriebsstätte oder im Bereiche der Betriebsgefahren im Sinne der lit. c des
Art. 67 Abs. 2 KUVG
. Damit fällt nur noch lit. b in Betracht. Diese Bestimmung will den Kreis der Betriebsunfälle auf Körperverletzungen erweitern, die dem Versicherten bei gewissen nicht schon von lit. a oder c erfassten Verrichtungen zustossen. Aus der Entstehungsgeschichte des
Art. 67 Abs. 2 KUVG
ergibt sich, dass die Bundesversammlung unter den Verrichtungen im Sinne der lit. b insbesondere die im Auftrage des Arbeitgebers ausgeführten Gänge und Reisen ausserhalb des Betriebes verstand, jedoch klarstellen wollte, dass der Gang des Versicherten von seiner Wohnung zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause nicht darunter falle (
BGE 88 II 44
/45). Unfälle, die der Versicherte auf dem Wege zu oder von der Arbeit erleidet, sind daher in der Regel keine Betriebs-, sondern Nichtbetriebsunfälle (MAURER, a.a.O. S. 27).
Im Gegensatz zu lit. a setzt lit. b des
Art. 67 Abs. 2 KUVG
für die Annahme eines Betriebsunfalles voraus, dass sich dieser nicht bei "einer Arbeit", sondern bei "einer Verrichtung" des Versicherten ereignet hat. Diese Bestimmung will die von ihr erfassten Unfälle nicht deshalb als Betriebsunfälle behandelt wissen, weil der Versicherte tätig, sondern weil dessen "Verrichtung" zur Förderung des Betriebszweckes bestimmt ist, also normalerweise dem Betriebsinhaber zugute kommt (
BGE 88 II 44
). Für die Annahme eines Betriebsunfalles ist somit erforderlich, dass der Versicherte sich bei einer Verrichtung verletzt, die im überwiegenden Interesse des Betriebes liegt und für die er "das Einverständnis des Betriebsinhabers oder seiner Organe voraussetzen darf". Überwiegt dagegen das Interesse des Versicherten oder einer andern Person an einer Verrichtung, so ist die Verletzung, die sich der Versicherte dabei zugezogen hat, ein Nichtbetriebsunfall (MAURER, a.a.O. S. 25). Ob der Versicherte bei der "Verrichtung" eine aktive oder nur eine passive Rolle spielt, ist unerheblich. Dass auch ein Unfall, der einem Versicherten während eines untätigen
BGE 95 II 623 S. 629
Verhaltens zustösst, Betriebsunfall sein kann, ergibt sich schon aus
Art. 67 Abs. 2 lit. c KUVG
(
BGE 88 II 45
Erw. 2 c).
Die Vorinstanz stellt fest, es sei mangels rechtzeitiger Bestreitung von der Behauptung der Beklagten auszugehen, dass der Polier der Arbeitgeberin die Fahrt des Klägers und Gandins von der Arbeitstelle in Oberglatt nach Bülach und dass der Mitinhaber der Firma Egle die Rückfahrt angeordnet habe. Der Kläger wendet dagegen ein, er habe mit der Bestreitung eines Anstellungsverhältnisses nicht nur die Weisungsbefugnis der Bauunternehmung, sondern auch die Erteilung von Weisungen durch diese in Abrede gestellt. Ob die Vorinstanz aus den Erklärungen der Parteien die richtigen Schlüsse gezogen hat, ist eine Frage des kantonalen Verfahrensrechtes, dessen Auslegung das Bundesgericht nicht überprüfen darf (
Art. 43 OG
;
BGE 94 II 366
Erw. 1 und dort erwähnte Entscheide). Bleibt es somit bei der Feststellung der Vorinstanz, so ist mindestens erwiesen, dass der Kläger und Gandin die Hin- und Rückfahrt von Oberglatt nach Bülach im "Einverständnis" der Arbeitgeberin und des sie vertretenden Poliers unternommen haben. Die Fahrt lag aber in ihrem eigenen Interesse, weil der Polier ihre Dienste abgelehnt hatte und sie sich, um die Arbeit überhaupt aufnehmen zu können, zuerst bei der Arbeitgeberin wegen der Verspätung rechtfertigen mussten. Auch die Feststellungen des Strafurteils über den Unfallhergang, die sich das Obergericht ausdrücklich zu eigen macht, bestätigen, dass die Fahrt nicht betrieblichen Zwecken diente. Der Zusammenstoss ereignete sich um ca. 13 Uhr 30, woraus erhellt, dass die beiden Arbeiter die Arbeit erst am Nachmittag aufzunehmen beabsichtigten. Es verstrichen zwischen ihrem Eintreffen auf der Baustelle in Oberglatt, der Hinfahrt zur Arbeitgeberin nach Bülach und dem Zusammenstoss auf der Rückfahrt nach Oberglatt nahezu drei Stunden. Dieser Zeitaufwand war weder durch die Wegstrecke noch durch die Aussprache mit der Arbeitgeberin bedingt, sondern auf einen freiwilligen Zwischenhalt zurückzuführen. Der Kläger und Gandin waren somit in der Gestaltung der Fahrt frei, und es kommt daher nichts darauf an, ob sie sich innerhalb oder ausserhalb der Arbeitszeit auf dem Weg zum Arbeitsplatz befanden. Der Unfall des Klägers war daher ein Nichtbetriebsunfall (Wegunfall), der die Haftungsbeschränkung nach
Art. 129 Abs. 2 KUVG
ausschliesst. Unter diesen Umständen kann offen bleiben,
BGE 95 II 623 S. 630
ob ein Nichtbetriebsunfall nicht schon deshalb anzunehmen sei, weil sich der Unfall des Klägers nicht mit einem Wagen der Arbeitgeberin ereignet hat. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es den streitigen Schadenersatzanspruch beurteile.
In dem in
BGE 88 II 38
f. beurteilten Fall mussten sich die Arbeiter auf der Betriebsstätte einfinden, um im Wagen der Arbeitgeberin auf einen auswärtigen Arbeitsplatz befördert zu werden. Damit brachte die Arbeitgeberin - im Gegensatz zum vorliegenden Fall - das Verhältnis der Unterordnung und ihr eigenes Interesse zum Ausdruck, was die Fahrt zu einer betrieblichen Verrichtung (vgl. MAURER, a.a.O. N. 51 S. 28) und den Unfall zu einem Betriebsunfall stempelte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 24. Juni 1969 aufgehoben und die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b67e7664-5cef-44d5-b45f-4f3b9a09a10c | Urteilskopf
110 II 398
77. Arrêt de la Ire Cour civile du 30 octobre 1984 dans la cause SNC Berchten et Campana contre Office fédéral du registre du commerce (recours de droit administratif) | Regeste
Handelsfirma. Verwechslungsgefahr (
Art. 944 Abs. 1 OR
und 38 HRegV).
Der Begriff "gymnase" in der Firma eines Genfer Unternehmens zur Bezeichnung einer Turnhalle gibt Anlass zur Verwechslung; der Durchschnittsleser in der Schweiz - auch im französischsprachigen Teil - versteht darunter im allgemeinen eine Lehranstalt höherer Stufe. | Sachverhalt
ab Seite 398
BGE 110 II 398 S. 398
A.-
La société en nom collectif Berchten et Campana, à Carouge (Genève), exploite une salle de gymnastique dans l'une des "Tours" de cette ville. Le 7 mars 1984, les sieurs Berchten et Campana ont requis l'inscription de leur société au registre du commerce, sous la raison "Gymnase des Tours, Berchten et Campana". Le 9 mars 1984, l'Office fédéral du registre du commerce (OFRC) a décidé d'ajourner la publication, au motif que l'expression "gymnase" induit en erreur, vu que pour le lecteur moyen suisse ce terme signifie "école supérieure" (lycée).
Par décision du 30 mars 1984, l'OFRC a refusé l'inscription, en application des
art. 944 CO
et 38 ORC; il relève que selon une
BGE 110 II 398 S. 399
enquête faite dans différents cantons romands (Vaud, Valais, Fribourg, Neuchâtel), le terme de gymnase y est compris dans son acception de lycée et non pas de salle de gymnastique; le fait qu'une partie de la population, à Genève, le comprenne dans le sens ayant cours en France est sans importance, la raison sociale devant être véridique sur l'ensemble du territoire suisse.
B.-
La société Berchten et Campana forme un recours de droit administratif contre cette décision, dont elle requiert l'annulation, en concluant qu'ordre soit donné à l'OFRC d'inscrire la raison litigieuse. Elle relève que, dans le canton de Genève, le terme de gymnase n'est compris que dans son acception de salle de gymnastique, les établissements d'enseignement secondaire y étant désignés sous le nom de "collège", et que le canton du Jura a également abandonné l'expression de gymnase, s'agissant des établissements d'enseignement secondaire, au profit du terme de "lycée". Du moment qu'elle exploite une entreprise dans un rayon purement local, le risque de confusion devrait, à ses yeux, s'apprécier uniquement selon le langage pratiqué dans ce cercle-là.
L'OFRC propose le rejet du recours. Développant l'argumentation de sa décision, il indique qu'il ne s'opposerait pas à l'inscription des mots "gymnase des Tours" comme enseigne, mais qu'il ne peut accepter une telle inscription au titre de raison de commerce.
Le Tribunal fédéral rejette le recours pour les
Erwägungen
motifs suivants:
1.
a) L'inscription d'une raison de commerce doit être conforme à la vérité et ne doit rien contenir qui puisse induire en erreur (
art. 944 al. 1 CO
, 38 al. 1 ORC). Une fois la raison de commerce inscrite et publiée dans la Feuille officielle suisse du commerce, son titulaire a un droit exclusif d'en user sur tout le territoire de la Confédération suisse (
art. 956 CO
; cf.
ATF 43 II 45
,
ATF 36 II 38
), sous réserve des restrictions apportées par les
art. 946 ss CO
.
La jurisprudence juge du risque de confusion en fonction de la compréhension d'un public suisse moyen, soit du public du territoire pour lequel la protection est revendiquée. S'agissant du public suisse, on doit tenir compte du sens des mots que renferme la raison dans la langue en laquelle elle est inscrite, mais aussi de l'impression produite sur un lecteur moyen de l'une des autres
BGE 110 II 398 S. 400
langues nationales (
ATF 106 II 353
). Il n'y a point de raisons suffisantes de se départir de cette jurisprudence. Elle se justifie par l'étendue nationale de la protection accordée à la raison de commerce; l'OFRC signale ainsi à juste titre que, même si l'entreprise exploitée par la société a présentement un rayon d'activité territorialement limité, elle peut étendre son champ d'activité et la loi lui confère le droit d'ouvrir, sous la même raison sociale (
art. 952 CO
), des succursales en d'autres lieux, où sa raison ne doit pas non plus être la source de confusions. En outre, même avec un rayon d'activité territorialement limité, une entreprise peut avoir certains rapports avec des personnes sises en dehors de ce rayon, qui ne doivent pas non plus être induites en erreur par la raison de commerce (cf.
ATF 92 I 302
/303; cf. aussi
ATF 100 II 226
et arrêts cités). Lorsque la désignation désirée prêterait à confusion au plan suisse mais non dans le rayon d'activité limité de l'entreprise, elle peut y être utilisée comme enseigne, avec la protection limitée que cela comporte (cf. à ce sujet
ATF 91 II 19
,
ATF 88 II 31
,
ATF 76 II 86
et renvoi). Les intérêts légitimes de l'intéressé sont ainsi suffisamment pris en considération.
b) En l'espèce, l'expression de "gymnase" est généralement comprise en Suisse comme désignant un établissement d'enseignement du niveau secondaire (souvent supérieur), correspondant généralement au "lycée" en France ou au "collège" dans le canton de Genève (cf. à cet égard notamment dictionnaire Robert méthodique 1982, p. 666). Cette acception est aussi reçue sur la plus grande partie du territoire de la Suisse romande. Même dans le canton du Jura, où le terme de "gymnase" a été officiellement abandonné aujourd'hui dans l'enseignement public, ce terme n'est pas compris généralement comme désignant une salle de gymnastique. Cette dernière acception n'est guère reçue que dans le canton de Genève.
Aussi, selon la compréhension du public moyen suisse (même si on le limite à la Suisse romande), le terme de gymnase n'est pas propre à désigner une salle de gymnastique; il ne doit donc pas être utilisé dans ce sens dans une raison de commerce.
En revanche, comme l'admet l'OFRC, il peut être utilisé dans le cadre d'une enseigne; aussi la recourante n'a-t-elle pas non plus à craindre le préjudice économique allégué dans son recours.
2.
La recourante invoque en vain le droit à l'égalité de traitement du fait que le registre du commerce comporterait déjà des raisons où le terme de gymnase est utilisé pour désigner une salle de gymnastique (notamment Gymnase des Vernets S.A.). Il n'est pas
BGE 110 II 398 S. 401
nécessaire d'examiner si le fait est exact. En effet, selon la jurisprudence, l'administré ne peut prétendre à l'égalité dans l'illégalité que s'il y a lieu de prévoir que l'administration persévérera dans l'inobservation de la loi (ATF
ATF 108 Ia 213
/214 et les arrêts cités; cf. aussi
ATF 101 Ib 370
,
ATF 80 I 426
, 79 I 177). Tel ne saurait à l'évidence être le cas en l'occurrence, au vu de la décision attaquée.
Aussi n'y a-t-il pas davantage lieu d'examiner présentement si et comment une inscription opérée à tort pourrait être modifiée. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b67e94fe-0fc6-4b30-bce8-1553728b40f2 | Urteilskopf
118 IV 91
18. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 27. Januar 1992 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 346 und 350 StGB
; Gerichtsstand bei Handlungseinheit/-mehrheit.
Treffen mehrere strafbare Handlungen zusammen, bestimmt sich der Gerichtsstand nach
Art. 346 StGB
, wenn die einzelnen Handlungen eine juristische Handlungseinheit ("Kollektivdelikt") bilden. In den übrigen Fällen einer Handlungsmehrheit bestimmt sich der Gerichtsstand nach
Art. 350 Ziff. 1 StGB
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 118 IV 91 S. 91
A.-
Der türkische Staatsangehörige M. und seine Begleiterin B., deutsche Staatsangehörige, wurden am 23. August 1991 kontrolliert, nachdem bei der Kantonspolizei Aargau in Laufenburg/AG eine Meldung eingegangen war, dass in einem Personenwagen mit deutschen Kontrollschildern in Schwaderloch/AG jemand schlafe. Mit Hilfe eines Drogenhundes konnten in der Nähe des Fahrzeuges vergraben etwa ein halbes Gramm Heroin und Fr. 3'730.-- Bargeld aufgefunden werden. M. und B. wurden durch die Kantonspolizei Aargau angehalten und gestützt auf einen Haftbefehl des Bezirksamtmanns Laufenburg gleichentags in Haft genommen. Die Kantonspolizei Aargau eröffnete gegen die beiden Verhafteten ein polizeiliches
BGE 118 IV 91 S. 92
Ermittlungsverfahren wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; M. wird zudem das Führen eines Personenwagens ohne Führerausweis und unter Drogeneinfluss zur Last gelegt.
Während M. jegliche strafbare Handlung leugnete, erklärte die stark drogenabhängige B., M. habe auf dem Platzspitz in Zürich während etwa drei Monaten regelmässig ein paar Male pro Woche je ca. 30 Gramm Heroin oder Kokain gehandelt; kurz vor dem Eingreifen der Polizei habe er ihr das aus dem Drogenverkauf jenen Tages stammende Geld zum Wegwerfen übergeben; M. habe in Zürich Heroin oder Kokain gehandelt und ihr auch zum Konsum davon abgegeben.
Gestützt auf eine Verfügung des Bezirksamtes Laufenburg vom 29. Oktober 1991, welcher der Schlussbericht der Kantonspolizei Aargau vom 22. Oktober 1991 zugrunde liegt, ersuchte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau am 1. November 1991 die Bezirksanwaltschaft Zürich um eine Stellungnahme zur Gerichtsstandsfrage.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich lehnte eine Übernahme des Verfahrens am 11. November 1991 ab. Auch der nachfolgende Meinungsaustausch zwischen den beteiligten Staatsanwaltschaften führte zu keiner Einigung.
Die strafbaren Handlungen von B., gegen welche bereits in Deutschland ein Verfahren unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten hängig ist, und die kurz nach ihrer Festnahme wieder nach Deutschland ausreisen konnte, bilden nicht Gegenstand des Gerichtsstandsverfahrens.
B.-
Mit Gesuch vom 20. Dezember 1991 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau der Anklagekammer des Bundesgerichts, es seien die Behörden des Kantons Zürich zur Verfolgung und Beurteilung von M. berechtigt und verpflichtet zu erklären.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt sinngemäss, das Gesuch abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Für die Bestimmung des Gerichtsstandes nach
Art. 346 ff. StGB
ist folgende Unterscheidung zu treffen:
a) Eine strafbare Handlung im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit liegt dann vor, wenn das gesamte, auf einem einheitlichen Willensakt (einheitliches Ziel, einmaliger Entschluss) beruhende (NOLL/TRECHSEL, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil I, S. 232; vgl.
BGE 118 IV 91 S. 93
auch SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. I, S. 131 f.) Tätigwerden des Täters kraft eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs der Einzelakte bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv noch als ein einheitliches, zusammengehörendes Geschehen erscheint (vgl.
BGE 98 IV 106
; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil I,
§ 19 N 11
; NOLL/TRECHSEL, a.a.O., S. 232; hierzu sind auch das zusammengesetzte Delikt sowie andere Fälle unechter Gesetzeskonkurrenz zu zählen), indem in diesen Fällen durch mehrere Einzelhandlungen ein einheitlicher "Deliktserfolg" herbeigeführt wird (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE, StGB Kommentar, 23. Auflage, Vorbem. §§ 52 ff. N 17). Wird dem Beschuldigten eine solche strafbare Handlungseinheit vorgeworfen - die durchaus an mehreren Orten ausgeführt worden sein kann -, bestimmt sich der Gerichtsstand nach
Art. 346 StGB
.
b) Werden dem Beschuldigten dagegen mehrere strafbare Handlungen im Sinne mehrerer natürlicher Handlungseinheiten (natürliche Handlungsmehrheit) zur Last gelegt, so findet
Art. 350 StGB
Anwendung.
c) Mehrere an sich selbständige strafbare Handlungen im Sinne einer natürlichen Handlungsmehrheit (von denen eigentlich jede einen bestimmten Tatbestand erfüllen würde) werden mitunter durch ihre gesetzliche Umschreibung im Tatbestand (gewerbsmässiges Delikt, bandenmässiges Delikt, Dauerdelikt) oder durch Lehre/Rechtsprechung (fortgesetztes Delikt) zu einer rechtlichen (
BGE 108 IV 143
E. 1) oder juristischen (NOLL/TRECHSEL, a.a.O., S. 232) Handlungseinheit verschmolzen (HAFTER, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil, S. 348 spricht von "Verbrechenseinheit"); diese juristische Handlungseinheit wird auch als Kollektivdelikt bezeichnet (vgl.
BGE 77 IV 9
E. 3: Gewerbsmässigkeit; SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N 84; HAUSER/REHBERG, Strafrecht I, S. 195; STRATENWERTH, a.a.O.,
§ 19 N 20
; SCHULTZ, a.a.O., S. 230; SCHWANDER, Das Schweiz. StGB, Nr. 327; SCHMID, recht 1991, 134). Gekennzeichnet ist die so umschriebene rechtliche Einheit objektiv durch gleichartige Handlungen, die gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet sind und in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (
BGE 102 IV 78
; vgl. auch
BGE 116 IV 125
), und subjektiv durch einen alle Handlungen umfassenden Entschluss (vgl.
BGE 116 IV 125
) bzw. Gesamtvorsatz (
BGE 102 IV 78
).
Der Gerichtsstand bestimmt sich in diesem Fall ebenfalls nach
Art. 346 StGB
(vgl.
BGE 112 IV 63
E. 1, mit Hinweis;
BGE 91 IV 170
;
BGE 86 IV 63
, mit Hinweisen).
BGE 118 IV 91 S. 94
d) Mitunter werden unter bestimmten Voraussetzungen auch weitere an sich selbständige Delikte, die nicht Teil eines Kollektivdelikts im dargelegten Sinn bilden, zu diesem in einen Kollektivzusammenhang gestellt. Dies ist etwa der Fall, wenn gewerbsmässige und einzelne nicht gewerbsmässige (versuchte oder vollendete) strafbare Handlungen zusammentreffen (vgl.
BGE 105 IV 158
E. 2): Vom Kollektivdelikt werden die einzelnen nichtgewerbsmässigen Handlungen indessen nur dann umfasst, wenn diese als Teilhandlungen des Gewerbes erscheinen, das heisst zu den gewerbsmässig verübten Handlungen zumindest in einem äusseren Zusammenhang - zeitlich und nach Art ihres Gegenstandes - stehen (vgl.
BGE 108 IV 144
, mit Hinweisen). Ein solcher Kollektivzusammenhang (in der deutschen Lehre auch als "durchlaufende Handlungseinheit oder Idealkonkurrenz durch Klammerwirkung bezeichnet: SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE, a.a.O., Vorbem. §§ 52 ff. N 20) bewirkt, dass alle dem Täter unter diesem Titel zur Last gelegten gleichartigen Delikte auch gleich zu behandeln sind und als mit derselben Strafe bedroht zu gelten haben (vgl.
BGE 105 IV 159
).
Da in diesem Fall keine juristische Handlungseinheit im oben dargelegten Sinn gegeben ist, bestimmt sich der Gerichtsstand nach
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
(vgl.
BGE 105 IV 159
).
5.
a) Die vorstehend dargelegten Voraussetzungen für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit sind im vorliegenden Fall bezüglich der allfälligen Abgabe des halben Gramms Heroin im Kanton Aargau nicht erfüllt; denn es kann nicht gesagt werden, diese bilde mit dem Verkauf in Zürich bei natürlicher Betrachtung eine auf einem einheitlichen Willensakt beruhende Einheit im Sinne eines zusammenhängenden Geschehens. In bezug auf den Beschuldigten ist vielmehr grundsätzlich von einer Handlungsmehrheit auszugehen.
b) Die hier in Frage stehenden strafbaren Handlungen des Verkaufs im Kanton Zürich und der Abgabe im Kanton Aargau können entgegen der Auffassung der Gesuchsgegnerin auch nicht als juristische Handlungseinheit im Sinne eines fortgesetzten Deliktes betrachtet werden. Dazu fehlt es an dem dazu erforderlichen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden Handlungen, die auch nicht als gleichartig bezeichnet werden können. Es kommt hinzu, dass den Akten keine Anhaltspunkte für einen beide Tatbestandsvarianten umfassenden Gesamtvorsatz entnommen werden können.
c) Bezüglich der Abgabe von Heroin im Kanton Aargau und dem Drogenverkauf in Zürich fehlt es auch an einem Kollektivzusammenhang,
BGE 118 IV 91 S. 95
da die Abgabe von Heroin im Kanton Aargau in zeitlicher Hinsicht zwar nur kurze Zeit später geschah, nach Art des Delikts aber klarerweise keinen äusseren Zusammenhang im Sinne einer eigentlichen Teilhandlung des Verkaufs aufweist.
d) Da im vorliegenden Fall somit von einer Handlungsmehrheit auszugehen ist, bestimmt sich der Gerichtsstand nach
Art. 350 StGB
.
6.
Es ist somit zu prüfen, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt wurde.
a) Das Bundesgericht hat in Präzisierung der Rechtsprechung in
BGE 114 IV 167
entschieden, es sei nicht zulässig, die Annahme eines schweren Falles im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
bei wiederholter Tatbegehung grundsätzlich auszuschliessen, wenn keine der einzelnen Widerhandlungen sich auf eine Menge beziehe, die die Gesundheit vieler Menschen gefährden könne; denn wenn schon eine (einzelne oder fortgesetzte) Widerhandlung einen schweren Fall darstelle, sofern die gehandelte Menge von Betäubungsmitteln die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen könne, dann müssten unter derselben Voraussetzung auch mehrere Widerhandlungen einen schweren Fall bilden können; nach dem Sinn des Gesetzes sollten jene Taten als schwere Fälle gewertet werden, die objektiv und subjektiv schwer wiegen; ein schwerer Fall liege somit bei wiederholter Tatbegehung vor, sofern der Täter durch seine wiederholten Handlungen insgesamt eine Betäubungsmittelmenge umsetze, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen könne (E. 2b).
b) Es fragt sich somit, ob im vorliegenden Fall die unentgeltliche Abgabe des halben Gramms Heroin im Kanton Aargau im Lichte dieser Rechtsprechung ebenfalls als Teil eines insgesamt schweren Falles zu betrachten sei. Es erscheint zunächst fraglich, ob diese Rechtsprechung auch auf Fälle anzuwenden ist, in welchen - wie hier - einzelne Widerhandlungen als solche bereits schwere Fälle im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
darstellen, da diesfalls kein Bedürfnis besteht, mittels Zusammenfassung der in Verkehr gebrachten Teilmengen einen ohne dieses Zusammenfassen nicht erfüllten (gesetzlich nicht vorgesehenen) schweren Fall sui generis (vgl.
BGE 114 IV 168
) zu konstruieren. Von einer wiederholten Widerhandlung kann zudem nur die Rede sein, wenn mehrere gleichartige Delikte vorliegen (vgl. HAFTER, a.a.O., S. 373). Als in diesem Sinne wiederholt (erneut, mehrmals) begangen könnten im vorliegenden Fall nur die zum eigentlichen Betäubungsmittelhandel (vgl. auch
BGE 114 IV 167
E. 2b, wo es lediglich um die gehandelten
BGE 118 IV 91 S. 96
bzw. transportierten Mengen ging) gehörenden Handlungskomplexe bezeichnet werden, die offensichtlich auf das Erzielen eines Gewinns ausgerichtet waren; die unentgeltliche Abgabe einer geringen Menge Heroins (an eine bereits Süchtige) unterscheidet sich jedoch klar von den zum eigentlichen Handel gehörenden Aktivitäten und könnte daher kaum ebenfalls als schwerer Fall bezeichnet werden. Die Frage braucht im vorliegenden Fall indessen nicht entschieden zu werden, da im Kanton Zürich auch das Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit des Beschuldigten liegt. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b682a511-dfde-44b1-ac59-c23be4b0a5b9 | Urteilskopf
118 IV 10
3. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 14 février 1992 dans la cause X. c. Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 42 Ziff. 5 StGB
; vorzeitige Aufhebung der Verwahrung.
Gegenüber einem Verwahrten, der nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe entwichen ist und der sich seither im Ausland während mehreren Jahren wohl verhalten hat, kann die Verwahrung ausnahmsweise vor Ablauf ihrer Mindestdauer aufgehoben werden, wenn anzunehmen ist, dass die dauerhafte Besserung des Täters hinreichend feststeht, so dass sich die Massnahme nicht mehr rechtfertigt (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 118 IV 10 S. 10
A.-
Le 9 mars 1978, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné X. - né en 1944 - à une peine de 4 ans et demi de réclusion (sous déduction de 506 jours de détention préventive) notamment pour crime de souteneur et vols qualifiés. Le tribunal a remplacé l'exécution de cette peine par un internement en application de l'
art. 42 CP
relatif aux délinquants d'habitude.
Le 27 septembre 1979, le condamné a obtenu sa libération conditionnelle.
A la suite de nouvelles infractions, la réintégration de X. a été ordonnée pour une durée indéterminée (arrêt du Tribunal fédéral rendu le 7 décembre 1981).
Le 3 juillet 1982, X. n'a pas regagné l'établissement pénitentiaire dont il avait obtenu un congé. Il s'est établi à Thonon-les-Bains, en France. Son extradition a été refusée par les autorités françaises, lesquelles considéraient que l'internement en droit suisse équivalait à un internement administratif.
BGE 118 IV 10 S. 11
Le comportement de X. en France paraît satisfaisant. Il a tenté d'obtenir la levée de la mesure d'internement qui l'empêche de revenir en Suisse sans risque; cette situation représente selon lui un obstacle pour sa carrière professionnelle.
B.-
Le 14 novembre 1990, le Service pénitentiaire du canton de Vaud - autorité compétente au sens de l'
art. 42 ch. 5 CP
- a refusé de proposer au juge de mettre fin à l'internement, considérant toujours le requérant comme un évadé. Un recours de droit public a été formé par X. contre cette décision. La procédure a été suspendue.
C.-
Le 3 mai 1991, le Président du Tribunal du district de Lausanne a rejeté la requête de X. tendant à la levée de la mesure d'internement; cette autorité a considéré que les conditions du cas exceptionnel prévu à l'
art. 42 ch. 5 CP
n'étaient pas réunies.
Par un arrêt du 11 juillet 1991, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours de X. contre le prononcé du 3 mai 1991.
D.-
X. a saisi le Tribunal fédéral d'un recours de droit public; il a précisé qu'il alléguait une violation directe de la CEDH mais que, dans la mesure où le Tribunal fédéral estimerait que le pourvoi en nullité est recevable, le recourant faisait en sorte de respecter les exigences de cette voie de droit. Il s'est référé aux
ATF 114 IV 26
consid. 4 où est admise la recevabilité, dans le cadre d'un pourvoi en nullité, des moyens tirés d'une interprétation d'un article du CP, laquelle serait contraire à la CEDH. Il fait grief à la cour cantonale d'avoir violé l'art. 5 par. 1 et 4 ainsi que l'
art. 8 CEDH
et demande, sous suite de frais et dépens, l'annulation de l'arrêt du 11 juillet 1991.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal fédéral examine librement et d'office les conditions de recevabilité des recours dont il est saisi (
ATF 117 Ia 2
consid. 1, 85 consid. 1). D'après l'argumentation présentée, l'interprétation de l'
art. 42 ch. 5 CP
retenue par l'autorité cantonale ne serait pas conforme aux principes constitutionnels et conventionnels applicables. En réalité, le recourant se plaint aussi d'une application erronée de l'
art. 42 ch. 5 CP
qui, comme il l'entrevoit, peut faire l'objet d'un pourvoi en nullité au Tribunal fédéral en tant que violation du droit fédéral (
art. 269 al. 1 PPF
).
Compte tenu du caractère subsidiaire du recours de droit public prévu à l'
art. 84 al. 2 OJ
, il se justifie de considérer l'acte de l'interné comme un pourvoi en nullité. En effet, les conditions de recevabilité
BGE 118 IV 10 S. 12
régissant cette voie de droit paraissent réunies; en particulier, les délais relatifs à la déclaration et au dépôt du mémoire, prévus à l'
art. 272 al. 1 et 2 PPF
, ont été observés.
2.
Aux termes de l'
art. 42 ch. 5 CP
, sur proposition de l'autorité compétente, le juge pourra exceptionnellement mettre fin à l'internement avant l'expiration de sa durée minimale, si celui-ci ne se justifie plus et si les deux tiers de la durée de la peine sont écoulés.
Quant à l'absence de proposition de la part de l'autorité compétente, sa portée n'a pas fait l'objet de griefs du recourant, qui n'est pas lésé à cet égard. Il n'est dès lors pas nécessaire d'examiner ce point. Au demeurant, il paraît clair à ce sujet que le législateur avait en vue uniquement les cas où l'autorité compétente pouvait suivre de très près l'évolution de l'interné (
ATF 106 IV 187
consid. 3 et 4).
Nul ne conteste que le recourant n'a pas subi la durée minimum de l'internement, qui est, en règle générale, de cinq ans au moins, en cas de réintégration (
art. 42 ch. 4 al. 3 CP
; voir
ATF 106 IV 335
consid. 5 et
ATF 101 Ib 32
consid. 2b). Il est également admis que cependant plus des deux tiers des peines ont été purgés. D'après le décompte approximatif de l'autorité cantonale, le délinquant aurait subi 1749 jours de détention sur un total de 2085 jours, auxquels il avait été condamné.
Ainsi, il demeure à examiner si le cas du recourant peut être considéré comme l'une des exceptions qui permettraient de justifier un abandon anticipé de l'internement.
3.
a) Le but premier de l'internement est d'assurer la sécurité publique contre les délinquants d'habitude, insensibles aux autres sanctions pénales (
ATF 105 IV 85
consid. b;
ATF 101 IV 267
consid. 2;
ATF 99 IV 73
). Cette mesure de sûreté constitue une grave atteinte à la liberté, notamment par sa durée indéterminée (voir
ATF 92 IV 79
consid. 3); c'est le moyen ultime du système de répression pénale en Suisse (
ATF 107 IV 18
consid. 2). Il faut faire preuve de retenue dans l'application de l'
art. 42 CP
et y renoncer, au profit de l'exécution de la peine, lorsque cette dernière paraît présenter des chances égales sur le plan de la prévention (
ATF 107 IV 19
consid. 3).
Aux termes de l'arrêt - non publié - du 7 décembre 1981 concernant le recourant, l'internement constitue une mesure dont la durée dépend non pas de la gravité de l'infraction et de la culpabilité de l'auteur mais bien, au premier chef, du temps nécessaire pour amender le détenu. Afin d'éviter des abus, le législateur a pris soin d'instituer une réglementation obligeant l'autorité à réexaminer le cas, en vue de mettre fin à la mesure aussitôt qu'elle n'apparaît plus nécessaire;
BGE 118 IV 10 S. 13
les art. 42 ch. 4 al. 2, 43 ch. 4 al. 1, 44 ch. 3 et 4 et 45 ch. 1 al. 2 CP sont cités (arrêt du 7 décembre 1981, X. c. Département de la justice, de la police et des affaires militaires du canton de Vaud, consid. 3 p. 5/6). Cet aspect d'abandon de la mesure dès qu'elle ne se justifie plus est essentiel; l'autorité doit examiner d'office si l'internement ne paraît plus nécessaire (
ATF 98 Ib 194
).
Le cas exceptionnel prévu à l'
art. 42 ch. 5 CP
doit être interprété à la lumière de ces règles. Il en va notamment ainsi de la vraisemblance confinant à la certitude que l'interné ne récidivera pas, exigée par la jurisprudence (
ATF 106 IV 187
).
b) En l'espèce, nul ne conteste qu'après avoir quitté prématurément le pénitencier, en 1982, le recourant se soit bien conduit. Son penchant à la délinquance a disparu. Il est au service de la même entreprise depuis 1982. Il a notamment été caissier. Son employeur le dit travailleur et fiable. Sur le plan personnel, il vit maritalement depuis la fin de l'année 1982 avec la même femme.
Dans ces circonstances, force est d'admettre qu'aujourd'hui l'internement ne se justifie plus. Le recourant n'est plus un délinquant d'habitude incorrigible menaçant la société. Son amendement paraît suffisamment vraisemblable et durable pour que son cas puisse être considéré comme exceptionnel au sens de l'
art. 42 ch. 5 CP
. Il serait contraire aux règles précitées et au but de l'internement de le soumettre - ne fût-ce que quelques semaines - à une mesure dite de sûreté, laquelle (on l'a vu) doit prendre fin aussitôt qu'elle n'apparaît plus nécessaire.
c) Certes, il n'a pas échappé aux instances cantonales que cette manière de raisonner donne l'impression d'un traitement plus favorable pour celui qui s'évade qu'à l'égard de l'interné qui se soumet à la mesure. Est toutefois décisif le fait que l'internement ne se justifie plus lorsque l'amendement du condamné est aussi complet et sûr que celui dont a fait preuve le recourant. On peut ajouter que celui-ci, malgré son départ prématuré du pénitencier, a enduré certains désagréments découlant de la mesure. En effet, il ne pouvait revenir en Suisse sans risquer d'être interné à nouveau. Selon lui, cette situation l'a entravé dans sa carrière professionnelle au service d'une entreprise franco-suisse. On peut dès lors se demander si, tout compte fait, il a été nettement privilégié. Enfin, l'écoulement du temps joue aussi un rôle. Le délai de dix ans prévu à l'art. 45 ch. 6 seconde phrase CP est presque écoulé.
d) Ainsi, faute d'avoir admis l'existence d'un cas exceptionnel permettant de mettre fin à l'internement, l'autorité cantonale a violé
BGE 118 IV 10 S. 14
le droit fédéral, ce qui entraîne l'annulation de l'arrêt attaqué. La cause est renvoyée à la cour de cassation cantonale afin que soit levée la mesure d'internement prononcée contre le recourant et qu'il soit renoncé à l'exécution du solde des peines, qui n'ont pas été subies. | null | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b6847364-a06c-4f9d-b5f7-1f86a5db7562 | Urteilskopf
103 II 326
53. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1977 i.S. Otto Rühles Erben gegen Sumatra Bau AG | Regeste
Überbau; guter Glaube des Überbauenden (
Art. 674 ZGB
).
Der gute Glaube ist auch dann gegeben, wenn der Bauende mindestens ohne grobe Fahrlässigkeit annimmt, der Nachbar sei mit dem Überbau einverstanden. | Sachverhalt
ab Seite 326
BGE 103 II 326 S. 326
Die Sumatra Bau AG ist Eigentümerin zweier Grundstücke an der Schifflände in der Altstadt in Zürich, die von alters her mit dem Gebäude "Zum Steinernen Schild" überbaut waren. Diese Baute stand allseits auf der Grenze, so auch rückwärts gegenüber dem Grundstück der Erbengemeinschaft Otto Rühle. In der Absicht, an Stelle des alten Gebäudes ein Hotel zu erstellen, reichte die Sumatra Bau AG im Jahre 1970 bei der Baupolizei der Stadt Zürich ein Baugesuch ein. Danach sollte das neue Gebäude wiederum auf die Grenze gegenüber dem Nachbargrundstück der Erben Rühle zu stehen kommen. Diese erhoben keine Baueinsprache gegen das Projekt, das von den zuständigen Behörden bewilligt wurde.
Im Oktober 1974 begann die Sumatra Bau AG mit dem Abbruch des alten Gebäudes. Am 18. April 1975 liess sie eine Abänderung ihres Bauprojekts (betreffend die Verschiebung des Kamins am bewilligten Hotelgebäude) ausschreiben. Die Erben Rühle erhoben dagegen privatrechtliche Baueinsprache,
BGE 103 II 326 S. 327
die jedoch von den zürcherischen Gerichten abgewiesen wurde. Auf eine Berufung gegen den entsprechenden Entscheid des Obergerichts trat das Bundesgericht nicht ein, weil es diesem Entscheid den Charakter eines Endentscheids im Sinne von
Art. 48 OG
absprach. Das Bundesgericht begründete dies damit, dass es den Erben Rühle trotz der Abweisung der Baueinsprache durch die zürcherischen Gerichte auf Grund des Bundesrechts freistehe, beim ordentlichen Richter Klage auf Unterlassung der Errichtung oder allenfalls auf Beseitigung der streitigen Baute zu erheben (vgl.
BGE 101 II 361
ff.).
In der Folge begann die Sumatra Bau AG mit den Bauarbeiten, und es kam zum ordentlichen Prozess zwischen den Parteien. Streitig ist unter anderem, ob die Bauherrin ihre Baute im Sinne von
Art. 674 Abs. 3 ZGB
gutgläubig an die Grenze gestellt habe.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Der in
Art. 674 Abs. 3 ZGB
vorausgesetzte gute Glaube des Bauenden ist nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur dort gegeben, wo der Bauende in entschuldbarer Weise von einer falschen Vorstellung über den Grenzverlauf oder den einzuhaltenden Grenzabstand ausging. Er ist vielmehr auch dann zu bejahen, wenn der Bauende mindestens ohne grobe Fahrlässigkeit annahm, der Nachbar sei mit dem Überbau bzw. der Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Abstandes einverstanden (
BGE 41 II 221
; MEIER-HAYOZ, N. 66 zu
Art. 674 ZGB
). In den angeführten Zitaten wird auf die ähnliche Regelung im deutschen Recht hingewiesen. Dort ist die Duldungspflicht des in seinem Eigentumsrecht verletzten Nachbarn von der rechtzeitigen Erhebung von Widerspruch sowie davon abhängig, dass dem Bauenden weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt (§ 912 Abs. 1 BGB). Es rechtfertigt sich nicht, im Rahmen von
Art. 674 Abs. 3 ZGB
vom Bauenden eine höhere Sorgfaltspflicht zu verlangen.
Die Beklagten vertreten die Auffassung, dass das Verhalten des Bauenden nach einem strengeren Massstab zu beurteilen sei, wenn diesem die Nichteinhaltung des Grenzabstandes an sich bewusst gewesen sei, er jedoch angenommen habe, der
BGE 103 II 326 S. 328
Nachbar sei mit der Abstandsverletzung einverstanden. Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb an den guten Glauben des Bauenden verschiedene Anforderungen gestellt werden sollten, je nach dem, von welcher irrtümlichen Voraussetzung dieser ausging. Wer sich nicht genügend um den Grenzverlauf oder die Abstandsvorschriften kümmert, verdient keine Besserstellung gegenüber demjenigen, der in entschuldbarer Weise annimmt, der Nachbar sei mit dem Überbau bzw. der Abstandsunterschreitung einverstanden. Insbesondere kann den Beklagten auch nicht zugestimmt werden, wenn sie ausführen, bei der Berufung auf eine Einwilligung des Nachbarn handle es sich nicht mehr um eine Frage des guten Glaubens, sondern um den Nachweis einer die Rechtswidrigkeit ausschliessenden Willenserklärung; eine solche sei aber nur in der Form eines schriftlichen Dienstbarkeitsvertrages denkbar.
Art. 674 Abs. 3 ZGB
setzt ausdrücklich voraus, dass der Überbau bzw. der in Verletzung des Grenzabstandes errichtete Bau unberechtigt ist. Das kann nichts anderes bedeuten, als dass er nicht auf Grund eines Vertrages oder einer entsprechenden Grunddienstbarkeit erstellt wurde (vgl. LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, S. 180). Beim Einverständnis des Nachbarn, das den bösen Glauben des Bauenden auszuschliessen vermag, kann es sich deshalb auch um ein konkludentes Verhalten handeln, aus dem ohne grobe Fahrlässigkeit abgeleitet werden durfte, der Nachbar habe gegen den Überbau oder die Abstandsunterschreitung nichts einzuwenden.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin auf Grund des Verhaltens der Beklagten Anlass zur Annahme hatte, diese seien mit der Beibehaltung des jahrhundertealten Zustandes an ihrer Grenze einverstanden. Hiefür sprach vor allem, dass die Beklagten gegen das Bauprojekt, das ordnungsgemäss ausgeschrieben und an Ort und Stelle ausgesteckt worden war, keine privatrechtliche Baueinsprache erhoben hatten. Die Unterlassung einer solchen Einsprache führte zwar nicht zur Verwirkung des bundesrechtlich geregelten Einspruchs, bildete aber einen starken Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagten gegen das Bauvorhaben der Klägerin nichts einzuwenden hätten. Das von den Beklagten nach Beginn der Abbrucharbeiten an den Tag gelegte Verhalten musste die Klägerin in dieser Annahme noch bestärken. Es wurde bereits in anderem Zusammenhang
BGE 103 II 326 S. 329
darauf hingewiesen, dass sich die Beklagten damals nur gegen die Benützung ihres eigenen Grundstücks und gegen die Gefährdung ihrer Überbauten verwahrten, nicht aber gegen das rückwärtige Bauen auf die gemeinsame Grundstücksgrenze. Wenn die Klägerin unter diesen Umständen anlässlich des Abbruchs der bestehenden Gebäulichkeiten davon ausging, die Beklagten seien mit der Erneuerung des seit Menschengedenken bestehenden Grenzbaus einverstanden, kann ihr mindestens nicht grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden, weil sie nähere Abklärungen unterliess.
Der gute Glaube kann der Klägerin aber auch nicht unter Hinweis darauf abgesprochen werden, dass der Verwaltungsratspräsident der Klägerin die Gerantin der sich im Altbau befindlichen Schifflände-Bar gebeten hatte, den Abbruch des Gebäudes nicht bekanntzugeben. Diese im angefochtenen Urteil enthaltene Feststellung kann nicht so verstanden werden, dass sich die Bitte um Nichtbekanntgabe des Abbruchs besonders auf die Beklagten bezogen hätte. Eine solche Absicht ist von der Klägerin ausdrücklich bestritten worden. Der allgemeine Wunsch, einen bevorstehenden Gebäudeabbruch nicht vorzeitig publik werden zu lassen, muss keineswegs Ausdruck des bösen Glaubens bilden. Wer in einer Stadt wie Zürich ein altes Haus abbrechen will, hat vielmehr mit Widerständen verschiedenster Art zu rechnen. Das Interesse an der Vermeidung entsprechender Schwierigkeiten vermag das Verhalten des Verwaltungsratspräsidenten der Klägerin genügend zu erklären. Schliesslich sei hier nochmals hervorgehoben, dass die Klägerin auch nach dem Beginn der Abbrucharbeiten keinen Anlass hatte, aus dem Verhalten der Beklagten auf deren fehlendes Einverständnis mit dem Bauen auf die Grenze zu schliessen. Die Beklagten waren im übrigen, wie sie selber einräumen, damals noch der Meinung, sie müssten einen Grenzbau dulden, weil sie keine privatrechtliche Baueinsprache erhoben hätten. Diese irrtümliche Auffassung macht ihr damaliges Verhalten verständlich. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b684a084-bd4e-41d7-8a57-09b3c93e198e | Urteilskopf
90 I 56
9. Arrêt du 21 février 1964 dans la cause Air Transport Service SA contre Direction générale des douanes. | Regeste
Art. 122 Abs. 2 ZG
.
Der Eigentümer von Lieferwagen, die als Zollpfand in Anspruch genommen werden, kann sich der Verwertung auch dann, wenn er für die gesicherte zollrechtliche Forderung nicht haftet, nicht widersetzen, falls er die Fahrzeuge einem Angestellten anvertraut hat, der sie ohne sein Wissen zur Begehung von Zollvergehen während der Arbeitszeit benutzt hat. | Erwägungen
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BGE 90 I 56 S. 57
Selon l'art. 122 al. 2 LD, le propriétaire d'un gage douanier peut, par la voie du recours et sous certaines conditions, s'opposer à la réalisation de l'objet. La décision de la Direction générale des douanes sur ce point est attaquable par la voie du recours de droit administratif conformément à l'art. 99 ch. VIII OJ. C'est bien une telle décision qui fait l'objet du présent recours. Il s'agit de savoir - c'est sur ce point que porte le litige - si les conditions de l'art. 122 al. 2 LD sont réalisées ou non.
Il est constant que la recourante est propriétaire des deux fourgonnettes séquestrées et des 6000 fr. déposés pour obtenir la levée du séquestre. De plus, le Tribunal fédéral a jugé souverainement, le 12 juillet 1963, qu'elle ne répond pas personnellement des créances douanières garanties par le séquestre. Enfin il n'est pas contesté que Spieler a utilisé les deux véhicules pour commettre des contraventions douanières. La recourante allègue uniquement, à l'encontre de la décision attaquée, que les fourgonnettes, objets du droit de gage, lui auraient été enlevées contre sa volonté et injustement pour commettre une infraction (art. 122 al. 2 LD).
Cependant, son argumentation, sur ce point, ne tend pas à établir que les véhicules lui auraient été enlevés. Elle se contente d'affirmer que Spieler les aurait utilisés sans droit et à son insu pour des affaires personnelles et pour commettre des infractions douanières. En particulier, l'arrêt du Tribunal fédéral, qu'elle cite, constate uniquement que Spieler a commis ses contraventions douanières à l'occasion du travail dont il était chargé comme employé de la recourante; ce faisant, il a abusé du nom de celle-ci et des relations qu'il avait avec elle et n'a pas agi dans l'accomplissement de ses devoirs de service. En conséquence et vu les art. 9 et 100 LD, la cour a nié que la
BGE 90 I 56 S. 58
recourante fût, en sa qualité d'employeur, responsable solidairement des dettes douanières issues des actes de son employé.
Mais cela ne suffit pas pour que l'art. 122 al. 2 LD s'applique. Même s'il ne répond pas personnellement des créances garanties, le propriétaire du gage douanier ne peut s'opposer à la réalisation que s'il prouve notamment que l'objet lui a été "enlevé contre sa volonté et injustement pour commettre une infraction". Les termes "contre sa volonté et injustement" se rapportent non pas à la commission de l'acte punissable selon le droit douanier, mais à l'enlèvement de l'objet par l'auteur de cet acte. Celui qui confie une chose à autrui ne peut se soustraire ni à la confiscation, ni à la réalisation si cette chose sert abusivement à commettre une infraction douanière.
Tel est le cas en l'espèce. Spieler a abusé, pour commettre des actes de contrebande, non seulement du nom de la recourante, et des relations qu'il avait avec elle, mais aussi et notamment des fourgonnettes qu'elle lui avait confiées; il y a caché des montres et d'autres objets pour les sortir du port-franc sans contrôle, leur faisant passer ainsi la frontière douanière suisse. Peu importe, du point de vue de l'art. 122 al. 2 LD, que la recourante l'ait ignoré; il ne s'ensuit pas que Spieler lui ait "enlevé" les véhicules. Elle ne conteste pas - et c'est à juste titre - les lui avoir confiés. Sans doute n'était-ce pas pour qu'il en fît aucun usage personnel et encore moins pour qu'il s'en servît aux fins de commettre des infractions douanières. Mais le lien de confiance qu'elle a créé par la remise des camionnettes exclut que Spieler les lui ait enlevées. Il ne suffit pas pour cela qu'il s'en soit servi illicitement; il faudrait tout au moins qu'il en ait pris possession contre la volonté du propriétaire, son employeur. Or il n'est pas contesté qu'il a commis, pendant ses heures de travail, les infractions douanières retenues contre lui et que les véhicules étaient alors mis à sa disposition en sa qualité de chauffeur et de déclarant en douane.
BGE 90 I 56 S. 59
La recourante confond les conditions auxquelles la loi subordonne la responsabilité solidaire pour la dette douanière d'autrui, d'une part, et la réalisation d'un gage douanier, d'autre part. Ces conditions étant différentes et celles de la réalisation du gage étant manifestement remplies, la recourante allègue en vain que le Tribunal a refusé de la déclarer solidairement responsable avec Spieler.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral,
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b684ed04-66f5-4af1-8bfc-c80f0a40e766 | Urteilskopf
136 III 545
80. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X. USA Ltd. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_438/2010 vom 15. November 2010 | Regeste
Art. 139 OR
; analoge Anwendung auf Verwirkungsfristen; Anwendung trotz fehlendem Rückweisungsentscheid; Anwendung bei irrtümlicher Parteibezeichnung.
Bestätigung der Praxis, wonach die ratio legis von
Art. 139 OR
nach einer analogen Anwendung dieser Bestimmung auf Verwirkungsfristen des Bundeszivilrechts ruft (E. 3.1). Anwendung von
Art. 139 OR
, obwohl kein Rückweisungsentscheid im Sinne dieser Norm ergangen war, weil die fehlerhafte Prozesseinleitung erst in einem späteren Prozessstadium bekannt wurde (E. 3.2).
Art. 139 OR
ist im Hinblick auf die Wahrung von Verwirkungsfristen anwendbar, wenn bei der fehlerhaften Klageeinleitung versehentlich eine falsche Parteibezeichnung verwendet bzw. eine nicht aktiv- oder nicht passivlegitimierte Person aufgeführt wird und dieses Versehen für den Schuldner erkennbar ist (E. 3.4.1). | Sachverhalt
ab Seite 546
BGE 136 III 545 S. 546
A. (Beschwerdeführer) schloss am 25. September 2003 mit B. eine Vereinbarung betreffend Übernahme von 5 % des Aktienkapitals der Y. AG zum Kaufpreis von EUR 400'000.-. Gemäss Ziffer 2 der Vereinbarung stand dem Beschwerdeführer bis zum 1. Oktober 2004 das Recht zu, B. 3 % des Aktienkapitals zu einem Preis von EUR 400'000.- zurückzugeben. Gemäss Ziffer 3 der Vereinbarung wurde diese Option so abgesichert, dass dem Beschwerdeführer eine Versicherungsgarantie von der X. in Zürich im Betrag von EUR 400'000.- übergeben werden sollte. In der Folge wurde eine "Bürgschaftsgarantie" zwischen dem Beschwerdeführer und der X. USA Ltd. (Beschwerdegegnerin) abgeschlossen, die bis Ende 2007 befristet war. In der "Bürgschaftsgarantie" wurde als "Zustellungsempfängerin" der Beschwerdegegnerin die X. (Europe) AG mit Sitz in T. bestimmt.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2007 zeigte der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin an, dass er die "Bürgschaftsgarantie" in Anspruch nehmen wollte. Die Beschwerdegegnerin lehnte jedoch ihre Leistungspflicht mit Schreiben vom 11. Januar 2008 ab, weil die Anzeige nicht rechtzeitig erfolgt sei.
Der Beschwerdeführer reichte am 28. Januar 2008 ein Sühnebegehren beim Friedensrichteramt T. ein, in dem er statt der Beschwerdegegnerin die X. (Europe) AG als Beklagte aufführte. Am 11. März 2008 fand eine Sühneverhandlung statt und am selben Tag wurde die Weisung ausgestellt.
Mit Klage vom 5. Juni 2008 beantragte der Beschwerdeführer dem Handelsgericht des Kantons Zürich, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, ihm den Betrag von EUR 400'000.- zuzüglich Zinsen von 5 % seit 1. Februar 2008, Zug um Zug gegen Herausgabe der
BGE 136 III 545 S. 547
Aktien gemäss Vereinbarung vom 25. September 2003 (3 % der Y. AG), zu bezahlen.
Das Handelsgericht wies die Klage mit Urteil vom 15. Juni 2010 ab. Es befand, die Garantie sei nicht rechtzeitig im Sinne von
Art. 510 Abs. 3 OR
geltend gemacht worden und damit sei die Garantieforderung verwirkt.
Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, dieses Urteil aufzuheben und die Klage gutzuheissen, eventuell den Prozess an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus nicht publizierten Erwägungen gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
(...)
3.1
Die Beschwerdegegnerin hält dafür, die Klage hätte schon deshalb abgewiesen werden müssen, weil die analoge Anwendung von
Art. 139 OR
auf gesetzliche oder vertragliche Verwirkungsfristen grundsätzlich nicht sachgerecht sei. Damit widerspricht sie der langjährigen und konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, nach der
Art. 139 OR
bezüglich Verwirkungsfristen des Bundeszivilrechts analog anwendbar ist (vgl. namentlich mit ausführlicher Begründung
BGE 89 II 304
E. 6;
61 II 148
E. 5; ferner
BGE 109 III 49
E. 4b S. 51;
BGE 103 II 15
E. 3c; je mit Hinweisen; vgl. auch die weiteren Hinweise bei STEPHEN V. BERTI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2002, N. 73 f. zu
Art. 139 OR
; ROBERT K. DÄPPEN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 4 zu
Art. 139 OR
; PASCAL PICHONNAZ, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 6 zu
Art. 139 OR
). Nach dieser bestehen für eine sinngemässe Anwendung von
Art. 139 OR
auf Verwirkungsfristen zureichende Gründe. Diese Norm will dem Gläubiger Gelegenheit geben, die unbillige Härte zu vermeiden, die darin liegen würde, dass sein Anspruch der Verjährung anheimfallen müsste, wenn die noch während deren Lauf angehobene Klage aus einem der vom Gesetz erwähnten Gründe zurückgewiesen wird und unterdessen die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Sinn und Zweck von
Art. 139 OR
besteht mithin darin, den Gläubiger, der sein Interesse an der Geltendmachung der Forderung qualifiziert und rechtzeitig, indessen fehlerhaft bekundet hat, vor der Verjährung zu schützen, weil der Schuldner über dessen Absicht, die Forderung durchzusetzen, auch
BGE 136 III 545 S. 548
dadurch Gewissheit erlangt hat und damit das zur Wahrung seiner Interessen Notwendige vorkehren kann. Bei Verwirkungsfristen ist die Sach- und Interessenlage nicht anders, weshalb die ratio legis von
Art. 139 OR
nach einer sinngemässen Anwendung in diesen Fällen ruft. Es wäre nicht minder unbillig im Sinne der Wertung des Gesetzgebers, einen Anspruch als materiell verwirkt betrachten zu müssen, wenn er binnen der dafür bestehenden Klagefrist geltend gemacht wird, die Klage aber nach Ablauf der Frist aus einem der in
Art. 139 OR
genannten Gründe zurückgewiesen wird (
BGE 114 II 335
E. 3a S. 338;
BGE 89 II 304
E. 6 S. 308;
61 II 148
E. 5a; vgl. dazu ferner: PICHONNAZ, a.a.O., N. 1 f. zu
Art. 139 OR
; teilweise abweichend BERTI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 139 OR
und DÄPPEN, a.a.O., N. 1 zu
Art. 139 OR
).
Die Beschwerdegegnerin hält dafür, einer sinngemässen Anwendung von
Art. 139 OR
auf Verwirkungsfristen stehe entgegen, dass sich Wortlaut und Systematik der Norm ausschliesslich auf Verjährungsfristen bezögen. Das Bundesgericht verwarf dieses Argument in
BGE 61 II 148
E. 5c und 5f mit eingehender Begründung. Auf diese kann hier vollumfänglich verwiesen werden, da sich die Beschwerdegegnerin mit den entsprechenden Erwägungen nicht auseinandersetzt und nicht aufzeigt, inwiefern ihrer Ansicht nach insoweit Anlass für eine Praxisänderung bestehen soll (nicht publ. E. 1.2).
Weiter bringt die Beschwerdegegnerin zur Begründung ihres Standpunkts vor, dass Verwirkungsfristen im Gegensatz zu Verjährungsfristen nicht unterbrochen werden könnten. Zudem seien Verwirkungsfristen regelmässig wesentlich kürzer als Verjährungsfristen und bezweckten eine rasche und endgültige Klärung der Rechtslage; eine Verlängerung um die sechzigtägige Frist nach
Art. 139 OR
würde im vorliegenden Fall auf eine Verlängerung der Frist um mehr als das Doppelte hinauslaufen. Damit vermag die Beschwerdegegnerin indessen nicht zu widerlegen, dass die für eine Anwendung von
Art. 139 OR
sprechende Interessenlage bei Verjährungs- und Verwirkungsfristen dieselbe ist. Das Bundesgericht legte denn auch eingehend dar, weshalb die Anwendung von
Art. 139 OR
auf Verwirkungsfristen mit deren Natur nicht unvereinbar ist, und verneinte insbesondere, dass ein Interesse an einer raschen Streiterledigung, soweit Verwirkungsfristen dieses schützen, zu einer anderen Beurteilung führe (
BGE 89 II 304
E. 6 S. 309 f.;
61 II 148
E. 5e). Die Beschwerdegegnerin setzt sich mit dieser Rechsprechung in
BGE 136 III 545 S. 549
keiner Weise auseinander, weshalb vorliegend kein Anlass zu deren Überprüfung besteht (nicht publ. E. 1.2).
Die Vorinstanz verletzte mithin kein Bundesrecht, indem sie
Art. 139 OR
auf die Verwirkungsfrist nach
Art. 510 Abs. 3 OR
analog anwendete.
3.2
Im Weiteren ist zu prüfen, ob die Vorinstanz eine Verwirkung der Garantieforderung im Zusammenhang mit der Einleitung der Klage beim Friedensrichter innerhalb der Frist nach
Art. 510 Abs. 3 OR
statt direkt beim Handelsgericht zu Recht bejahte.
Die Beschwerdegegnerin macht insoweit vorsorglich geltend, eine Anwendung von
Art. 139 OR
entfalle vorliegend schon deshalb, weil eine Rückweisung der Klage durch den Friedensrichter im Sinne dieser Bestimmung nicht erfolgt sei.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Beschwerdegegnerin beruft sich zur Begründung ausschliesslich auf den "klaren Wortlaut" von
Art. 139 OR
. Nach Rechtsprechung und Lehre kommt eine Nachfrist aber ungeachtet des Wortlauts der Bestimmung nicht nur in Frage, wenn ein formeller Rückweisungsentscheid ergeht, sondern auch wenn der Ansprecher seine Klage, noch bevor ein Nichteintretensentscheid ergeht, angebrachtermassen zurückzieht. In einem solchen Fall die Rechtswohltat einer Nachfrist schon grundsätzlich abzuerkennen, weil kein Nichteintretensentscheid abgewartet wurde bzw. erging, liefe auf einen überspitzten Formalismus hinaus (
BGE 72 II 326
E. 4 S. 330 ff.; vgl. auch
BGE 85 II 504
E. 3b S. 510 f.; DÄPPEN, a.a.O., N. 9 zu
Art. 139 OR
; PICHONNAZ, a.a.O., N. 9 und 12 zu
Art. 139 OR
). Eine Nachfrist nach
Art. 139 OR
fällt demnach nicht nur dann in Betracht, wenn ein formeller Nichteintretensentscheid ergangen ist. Das in
Art. 139 OR
genannte Tatbestandselement der (rechtskräftigen) Rückweisung als Voraussetzung für die (Auslösung einer) Nachfrist ist demnach nur insoweit als wesentlich zu betrachten, als damit mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die Klage fehlerhaft eingeleitet wurde und der Ansprecher davon Kenntnis erhalten hat (vgl.
BGE 109 III 49
E. 4d, wo die Rechtssicherheit besonders betont wird).
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen fehlte der Friedensrichterin, die der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall mit seinem Sühnebegehren vom 28. Januar 2008 vor Ablauf der Frist nach
Art. 510 Abs. 3 OR
anrief, die Kompetenz zum Erlass eines formellen Rückweisungsentscheids. Ohnehin habe sie ihre funktionelle
BGE 136 III 545 S. 550
Unzuständigkeit gar nicht erkannt und dieselbe demnach auch nicht festgestellt. Der Beschwerdeführer habe in Unkenntnis der fehlerhaften Prozesseinleitung die Klage innerhalb der dreimonatigen Frist (zur Prosequierung der Klage) nach
§ 101 ZPO
/ZH beim Handelsgericht rechtshängig gemacht. Erst nachdem die Beschwerdegegnerin die Einrede erhob, gegen sie sei kein Sühneverfahren durchgeführt worden, stellte das Handelsgericht in seiner Verfügung vom 18. November 2008 fest, dass die Klage ohne Sühneverfahren bei ihm rechtshängig zu machen gewesen wäre, weshalb das Verfahren ohne Weiterungen schriftlich fortzusetzen sei.
Der Beschwerdeführer hatte somit von der fehlerhaften Klageeinleitung bis zur Zustellung der Verfügung vom 18. November 2008 gar keine Kenntnis und diese war vorher im Prozess überhaupt kein Thema. In diesem Fall bei Bekanntwerden des Fehlers eine Verwirkung der Forderung wegen verspäteter rechtlicher Geltendmachung anzunehmen, unter grundsätzlichem Ausschluss einer Fristwahrung nach
Art. 139 OR
, weil kein formeller Nichteintretensentscheid ergangen ist, erschiene im Lichte des vorstehend Ausgeführten als unhaltbar. Solches liefe offensichtlich dem Zweck von
Art. 139 OR
zuwider, den Ansprecher, der die Klage - innerhalb der Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist - fehlerhaft eingeleitet hat, vor einem Rechtsverlust zu schützen, wenn dadurch keine schutzwürdigen Interessen der Gegenpartei tangiert werden.
Die Vorinstanz verletzte demnach kein Bundesrecht, indem sie die Anwendbarkeit von
Art. 139 OR
nicht schon deshalb ausschloss, weil kein Rückweisungsentscheid ergangen war.
(...)
3.4
(...)
3.4.1
Die Beschwerdegegnerin hält vorsorglich dafür, bei Einklagung einer falschen Person sei
Art. 139 OR
von vornherein nicht anwendbar, da es sich dabei nicht um einen verbesserlichen Fehler im Sinne dieser Bestimmung handle. Die Vorinstanz habe
Art. 139 OR
auch insoweit zu Unrecht für grundsätzlich anwendbar betrachtet.
Diese Argumentation stösst ins Leere. Der Vorinstanz entging nicht, dass
Art. 139 OR
nicht anwendbar ist, wenn der Ansprecher die falsche Person eingeklagt hat, der die Passivlegitimation fehlt, da es sich dabei nicht um einen verbesserlichen Fehler im Sinne dieser Norm handelt (
BGE 114 II 335
E. 3a S. 338;
32 II 186
E. 2 S. 189; Urteil 5C.31/2005 vom 29. September 2005 E. 1.2, nicht publ. in:
BGE 136 III 545 S. 551
BGE 132 III 1
; vgl. DÄPPEN, a.a.O., N. 8a zu
Art. 139 OR
; BERTI, a.a.O., N. 28 zu
Art. 139 OR
). Sie hielt indessen dafür, die fehlerhafte Parteibezeichnung sei dann als verbesserlicher Fehler zu betrachten, wenn diese auf einem Versehen beruhe und die passivlegitimierte Person erkenne oder nach dem Vertrauensprinzip erkennen müsse, dass die Ansprüche nach dem wirklichen Willen des Ansprechers nicht gegen die im Rubrum aufgeführte Person, sondern gegen sie erhoben würden. Inwiefern die Vorinstanz damit Bundesrecht verletzt haben soll, legt die Beschwerdegegnerin nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr entspricht dies der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, nach der eine Berichtigung der Parteibezeichnung zulässig ist, wenn jede Gefahr einer Verwechslung ausgeschlossen werden kann (vgl.
BGE 131 I 57
E. 2.2 S. 63;
BGE 120 III 11
E. 1b S. 13 f.;
BGE 114 II 335
E. 3a S. 337), und nach der eine Unterbrechungshandlung im Sinne von
Art. 135 Ziff. 2 OR
durch eine nicht aktivlegitimierte oder gegen eine nicht passivlegitimierte Person die Verjährung dann zu unterbrechen vermag, wenn keine Zweifel an der wahren Identität der Partei bestehen, indem der Schuldner nach den Umständen trotz unrichtiger Parteibezeichnung die Absicht des Gläubigers, ihn ins Recht zu fassen, erkennt oder erkennen muss. In diesen Fällen wird der Schuldner nicht in seinen schutzwürdigen Interessen verletzt, wenn trotz der fehlenden Aktiv- oder Passivlegitimation des irrtümlich als Partei aufgeführten Dritten die Verjährung unterbrochen wird, da er jedenfalls über die Absicht des Gläubigers seine Forderung durchzusetzen, Gewissheit hat (
BGE 114 II 335
E. 3a S. 337 f. mit ausdrücklicher Bezugnahme auf
Art. 139 OR
; Urteile 4C.363/2006 vom 13. März 2007 E. 4.2; 4C.185/2005 vom 19. Oktober 2006 E. 3.2). Diese Rechtsprechung verfolgt den gleichen Zweck wie
Art. 139 OR
(
BGE 114 II 335
E. 3a S. 338), weshalb es sich nach dem in der vorstehenden Erwägung 3.1 Ausgeführten rechtfertigt, sie auch auf Handlungen zur Wahrung von Verwirkungsfristen anzuwenden.
Die Vorinstanz erwog mithin zu Recht, es sei zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer bei der Klageeinleitung ein Versehen in der Parteibezeichnung unterlief und ob die Beschwerdegegnerin erkannte bzw. nach dem Vertrauensprinzip erkennen musste, dass die Ansprüche gegen sie und nicht gegen die im Sühnebegehren genannte X. (Europe) AG geltend gemacht wurden. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b68ac3da-ac97-4166-b973-c814ec869d03 | Urteilskopf
98 Ia 508
78. Urteil vom 28. Juni 1972 i.S. Gross und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Persönliche Freiheit;
Art. 4 BV
; Todesfeststellung, Obduktionen und Organverpflanzungen.
1. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch gegen Verwaltungsverordnungen (Dienstanweisungen) staatsrechtliche Beschwerde erhoben werden (Präzisierung der Rechtsprechung; Erw. 1).
2. Das Recht auf Leben ist im Grundrecht der persönlichen Freiheit mitenthalten und gilt uneingeschränkt. § 44 der zürcherischen Verordnung über die kantonalen Krankenhäuser vom 25. März 1971, wonach der Tod nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften festzustellen ist, verstösst nicht gegen die Verfassung (Erw. 3-6).
3. Eine kantonale Vorschrift, wonach Obduktionen und Organverpflanzungen nur dann ausgeführt werden dürfen, wenn der Betroffene oder seine nächsten Angehörigen keinen Einspruch erhoben haben, hält vor der Verfassung stand; das Grundrecht der persönlichen Freiheit erheischt keine ausdrückliche Zustimmung zur Vornahme solcher Eingriffe in den toten Körper (Erw. 8-10). | Sachverhalt
ab Seite 509
BGE 98 Ia 508 S. 509
A.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich erliess am 25. März 1971 eine Verordnung über die kantonalen Krankenhäuser (KHV). Diese enthält im Abschnitt VII ("Die Patien ten") unter dem Titel "3. Todesfeststellung, Obduktionen, Organentnahmen" folgende Bestimmungen:
§ 44
Der Tod ist nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften festzustellen.
§ 45
An verstorbenen Patienten kann eine Obduktion ausgeführt werden.
Die Obduktion hat zu unterbleiben, wenn der Verstorbene oder seine nächsten Angehörigen Einspruch erhoben haben. Vorbehalten bleiben entgegenstehende Anordnungen der Strafverfolgungsbehörden zur Aufdeckung strafbarer Handlungen und der Direktion des Gesundheitswesens zur Sicherung der Diagnose, insbesondere bei Verdacht auf eine gemeingefährliche übertragbare Krankheit.
§ 46
Sofern es zur Rettung oder Behandlung eines Patienten unerlässlich ist, können einem verstorbenen Patienten zu Transplantationszwecken Gewebestücke oder Organe entnommen werden.
Die Entnahme hat zu unterbleiben, wenn der Verstorbene oder seine nächsten Angehörigen Einspruch erhoben haben.
Ärzte und Personal, die bei der Entnahme beteiligt sind, dürfen bei der Todesfeststellung nicht mitwirken.
B.-
Rechtsanwalt Dr. Herbert Gross und 10 von ihm ver tretene, im Kanton Zürich wohnhafte Bürger haben gegen die erwähnten Vorschriften der KHV staatsrechtliche Beschwerde
BGE 98 Ia 508 S. 510
erhoben. Sie rügen eine Verletzung von
Art. 4 BV
(Rechtsgleichheit) und machen unter Berufung auf ihre privat- und verfassungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsrechte geltend, der angefochtene Erlass verstosse gegen Art. 2 Üb. Best. BV (Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts). Schliesslich beanstanden sie, dass die KHV einer gesetzlichen Grundlage entbehre und das Vorgehen des Regierungsrats deshalb die verfassungsmässigen Rechte der Stimmbürger zur Mitwirkung bei der Gesetzgebung (
Art. 85 lit. a OG
) und den Grundsatz der Gewaltentrennung verletze.
Die Begründung dieser Rügen ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Seinen Gegenbemerkungen liegen zwei Rechtsgutachten der Professoren Eugen Bucher, Zürich/St. Gallen, und Jörg P. Müller, Bern, bei. Das erste befasst sich mit den in der Beschwerde aufgeworfenen privatrechtlichen Fragen, während das zweite, auszugsweise in ZSR 90/1971 I S. 457 ff. veröffentlichte Gutachten Professor Müllers Untersuchungen zur Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Bestimmungen enthält.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I.
Eintretensfrage
1.
Nach
Art. 88 OG
kann der Bürger mit staatsrechtlicher Beschwerde solche Rechtsverletzungen rügen, die er durch allgemein verbindliche oder ihn persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten hat. Dienstanweisungen (Verwaltungsverordnungen), die den Bürger nicht zu einem bestimmten Tun, Unterlassen oder Dulden verpflichten, sondern bloss Regeln für das verwaltungsinterne Verhalten der Beamten aufstellen, enthalten keine Rechtssätze (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 214 S. 62) und berühren die Rechtssphäre des Bürgers nicht. Sie können deshalb nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (
BGE 75 I 214
Erw. 1).
Die beanstandeten Vorschriften der KHV enthalten vorab Anweisungen für das richtige Vorgehen bei der Todesfeststellung und bei der Vornahme von Obduktionen und Transplantationen. Sie richten sich demnach in erster Linie an das Personal der kantonalen Krankenhäuser und haben insoweit
BGE 98 Ia 508 S. 511
den Charakter von blossen Dienstanweisungen. Darüber hinaus umschreiben sie jedoch - wenn auch bloss indirekt - die Rechtsstellung des Patienten und seiner Angehörigen und entfalten auf diese Weise Aussenwirkungen. In diesem Rahmen treffen sie den Bürger in seinen rechtlich geschützten Interessen und wirken gleich wie die entsprechenden Bestimmungen einer Rechtsverordnung. Selbst wenn angenommen wird, dieser Umstand ändere an der Rechtsnatur der KHV als Verwaltungsverordnung nichts, muss der Bürger daher befugt sein, sich dagegen mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr zu setzen. Würde anders entschieden, so blieben seine verfassungsmässigen Rechte im Bereich der erwähnten Aussenwirkungen weitgehend schutzlos. Denn wer Dienstanweisungen zu beachten und Verwaltungsverordnungen anzuwenden hat, ist nicht immer gehalten, eine entsprechende Verfügung zu treffen, die mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden könnte. Gerade im vorliegenden Fall erfolgt die Anwendung der beanstandeten Vorschriften durchaus formlos, so dass es dem Verfassungsrichter mangels Vorliegens eines anfechtbaren Hoheitsakts verwehrt wäre, das Vorgehen des Spitalpersonals nachträglich auf seine Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Mit Recht wird deshalb im Schrifttum die Auffassung vertreten, auch Verwaltungsverordnungen müssten mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden können, wenn sie im soeben umschriebenen Sinn Aussenwirkungen entfalteten (H. HUBER, Die Verfassungsbeschwerde, Heft 9 der Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, 1954, S. 13; C. BONNARD, Problèmes relatifs au recours de droit public, ZSR 81/1962 II S. 405/6; H. MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 51/2).
Im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes ist die Rechtsprechung dahin zu verdeutlichen, dass auch Verwaltungsverordnungen mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden können, sofern die darin enthaltenen Regeln nicht nur aus internen Anweisungen an Beamte und Angestellte bestehen, sondern darüber hinaus die Rechtsstellung des Privaten direkt oder indirekt näher umschreiben und ihn auf diese Weise in seinen rechtlich geschützten Interessen berühren. So verhält es sich im vorliegenden Fall.
2.
Die Beschwerdeführer wohnen im Kanton Zürich und sind in diesem Kanton stimmberechtigt. Sie werden durch die angefochtenen Vorschriften der KHV im soeben umschriebenen
BGE 98 Ia 508 S. 512
Sinn virtuell betroffen und sind deshalb zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte legitimiert (
Art. 84 lit. a OG
; vgl.
BGE 88 I 175
Erw. 1,
BGE 85 I 53
Erw. 2 a.E.). Als Stimmbürger sind sie ausserdem befugt, in diesem Zusammenhang eine Verletzung ihrer politischen Stimmberechtigung zu rügen (
Art. 85 lit. a OG
) mit der Begründung, die beanstandeten Bestimmungen seien zu Unrecht auf dem Verordnungsweg erlassen worden. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
II.
Todesfeststellung (
§ 44 KHV
)
3.
In
§ 44 KHV
weist der Regierungsrat die Ärzte der kantonalen Krankenanstalten an, den Tod nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften festzustellen. Die Beschwerdeführer bestreiten zwar nicht, dass der Regierungsrat als oberstes Vollziehungsorgan des Trägers der kantonalen Krankenanstalten befugt ist, die zur Gewährleistung eines geordneten Anstaltsbetriebs erforderlichen Anordnungen zu treffen. Sie machen jedoch geltend, hinsichtlich der Todesfeststellung entfalle ein Weisungsrecht des Regierungsrats schon deshalb, weil das Bundeszivilrecht insoweit eine abschliessende Regelung enthalte, weshalb
§ 44 KHV
gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV) verstosse.
a)
Art. 31 Abs. 1 ZGB
bestimmt, dass die Persönlichkeit mit dem Tode endet. Im übrigen enthält das Zivilgesetzbuch - abgesehen von der hier nicht interessierenden Vorschrift in
Art. 34 ZGB
- keine Regeln darüber, wie der Tod im Einzelfall festzustellen ist. Aus den Materialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, den Zeitpunkt des Todes zu umschreiben, weil er erkannte, dass sich eine solche Umschreibung schon nach kurzer Zeit als wissenschaftlich überholt erweisen könnte (E. HUBER, Erläuterungen zum Vorentwurf eines schweizerischen Zivilgesetzbuches, 2. Aufl., 1. Band, S. 73/4). Wie die Entwicklung der medizinischen Forschung seit Inkrafttreten des ZGB eindrücklich zeigt, war die Zurückhaltung des Gesetzgebers begründet. Während Jahrzehnten bildete zwar der unwiderrufliche Herzstillstand bzw. der Ausfall von Kreislauf und Atmung das massgebende Kriterium für die Feststellung des Todes, d.h. des Verlustes der elementaren Lebensfunktionen (vgl. G. STRATENWERTH, Zum juristischen
BGE 98 Ia 508 S. 513
Begriff des Todes, in Festschrift für Karl Engisch, Frankfurt 1969, S. 528 ff. und dort zitierte Literatur). Mit der Entdeckung neuartiger Wiederbelebungsverfahren wurde diese herkömmliche Todesdiagnose jedoch in Frage gestellt (vgl. J.-M. GROSSEN, Das Recht der Einzelpersonen, in: Schweizerisches Privatrecht, S. 303; Paul A. LUTERNAUER, Die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung unter besonderer Berücksichtigung der Frage des Hirntodes, Diss. Basel 1971, S. 77 ff. mit Hinweisen auf die neueste medizinische und juristische Doktrin). Bereits aufgrund der historischen Auslegung, deren Ergebnis mit der Antwort auf die Frage nach dem objektiv-zeitgemässen Sinn von
Art. 31 Abs. 1 ZGB
übereinstimmt, kann diese Vorschrift somit nur als Verweisung auf den jeweiligen anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft verstanden werden.
Enthielte
§ 44 KHV
als Rechtssatz eine Vorschrift, die dem soeben dargelegten Sinn von
Art. 31 ZGB
widersprechen würde, so hätte der Regierungsrat freilich gegen Art. 2 Üb. Best. BV verstossen (vgl.
BGE 96 I 716
Erw. 3 mit Verweisungen). Allein so verhält es sich offensichtlich nicht.
§ 44 KHV
bezeichnet weder den Herz-Kreislauf-Stillstand noch den vollständigen, endgültigen zerebralen Funktionsausfall als massgebendes Kririum für die Todesfeststellung, sondern verweist auf die Richtlinien der Schweizerischen Akadmie der medizinischen Wissenschaften, d.h. auf den anerkannten Stand der medizinischen Forschung. Der Sinngehalt von
§ 44 KHV
stimmt demnach mit jenem von
Art. 31 ZGB
überein, weshalb nicht ernstlich behauptet werden kann, die KHV verstosse insoweit gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts.
§ 44 KHV
enthält gegenüber
Art. 31 ZGB
lediglich in dem Sinn eine Verdeutlichung, als für die Todesdiagnose ausdrücklich auf den durch ein Kollegium von Fachleuten umschriebenen Stand der wissenschaftlichen Forschung verwiesen wird. Ob dieses Vorgehen unter anderen Gesichtspunkten vor der Verfassung standhält, ist im folgenden zu untersuchen (vgl. unten Erw. 4-6).
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer lässt sich auch aus Art. 82 der Zivilstandsverordnung (ZStV) nicht ableiten,
§ 44 KHV
verletze den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts.
Art. 82 ZStV
(Marginale: "Todesbescheinigung") stützt sich auf
Art. 39 ZGB
über die Führung des Zivilstandsregisters und besagt lediglich, dass der Tod einer Person nur beurkundet werden darf, wenn "der Anzeigende...
BGE 98 Ia 508 S. 514
eine Todesbescheinigung des behandelnden oder nach dem Tode beigezogenen Arztes oder einer zur Feststellung des Todes amtlich bezeichneten Person" beibringt, und dass "diese Bescheinigung als Beleg zur Eintragung aufzubewahren ist". Mehr lässt sich dieser Vorschrift nicht entnehmen; insbesondere fehlt sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und der systematischen Stellung von
Art. 82 ZStV
jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Arzt damit verpflichtet würde, bei der Todesfeststellung irgendwelche bestimmte Kriterien anzuwenden.
Die Rüge der Verletzung von Art. 2 Üb. Best. BV erweist sich daher in jeder Hinsicht als unbegründet.
4.
Unter dem Gesichtswinkel der Bundesrechtsverletzung bringen die Beschwerdeführer vor, das in
§ 44 KHV
vorgesehene Verfahren regle im Grunde genommen nicht die Todesfeststellung, sondern ermächtige den Arzt zu einer willkürlichen Todeserklärung, weil es heute möglich sei, "den völligen Stillstand der organischen Tätigkeit... durch Dauer und Intensität der Reanimationsmassnahmen" willkürlich zu beeinflussen (Beschwerdeschrift S. 19/19a). Damit rügen sie sinngemäss einen Verstoss gegen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Persönlichkeit.
a) Nach der neuesten Rechtsprechung gewährleistet das Grundrecht der persönlichen Freiheit als verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen (
BGE 97 I 49
Erw. 3, 842 Erw. 3). Unter dem Schutz der Verfassung steht demnach in erster Linie das menschliche Leben selbst. Das verfassungsmässige Recht auf Leben zeichnet sich jedoch gegenüber dem übrigen, durch das Grundrecht der individuellen Freiheit gewährleisteten Persönlichkeitsschutz dadurch aus, dass jeder absichtliche Eingriff zugleich eine Verletzung seines absolut geschützten Wesenskerns darstellt und deshalb gegen die Verfassung verstösst (vgl.
BGE 97 I 50
; J. P. MÜLLER, Recht auf Leben, persönliche Freiheit und das Problem der Organtransplantation, in ZSR 90/1971, S. 461). Das Recht auf Leben erträgt somit keinerlei Beschränkungen; auf gesetzlicher Grundlage beruhende und im öffentlichen Interesse liegende Eingriffe sind verfassungsrechtlich undenkbar (J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 462).
b) Mit der Anerkennung des im verfassungsmässigen Recht der individuellen Freiheit mitenthaltenen Grundrechts auf
BGE 98 Ia 508 S. 515
Leben fällt dem Verfassungsrichter notwendigerweise die Aufgabe zu, die Grenzen des Grundrechtsschutzes abzustecken und zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Tod eines Menschen unter dem Gesichtswinkel der Verfassung als erwiesen gelten darf. Da das Bundeszivilrecht keine Umschreibung des Todes enthält (vgl. oben Erw. 3), bildet
Art. 113 Abs. 3 BV
dafür kein rechtliches Hindernis. Die Aufgabe des Verfassungsrichters kann indessen nicht darin bestehen, auf dem Weg der Verfassungsauslegung abschliessend die "richtigen" Kriterien für die Todesdiagnose festzulegen. Er hat vielmehr zu prüfen, ob die in diesem Zusammenhang massgebenden Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen Forschung der Wertordnung der Verfassung entsprechen, und er hat in diesem Sinn die verfassungsrechtlich gebotenen Mindestanforderungen zu umschreiben, denen die Todesdiagnose zu genügen hat. Zu beachten ist dabei, dass der verfassungsmässige Schutz des Lebens die Gesamtheit der biologischen und psychischen Funktionen erfasst, die den Menschen als Lebewesen kennzeichnen. Das Recht auf Leben schützt den Menschen somit in der ganzen Vielfalt seiner Erscheinungen, unbekümmert darum, wie ausgefallen und einmalig diese auch immer sein mögen (vgl. J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 463 mit Hinweisen; H. SCHULTZ, Organtransplantation, in: Schweiz. Ärztezeitung Nr. 33/1968, S. 881 links). Es gibt mit andern Worten kein lebensunwertes menschliches Leben. Anderseits ist davon auszugehen, dass der Mensch unter dem Gesichtswinkel des Verfassungsrechts als tot gelten muss, sobald Körperfunktionen, welche die notwendige Voraussetzung für das Weiterleben bilden, gänzlich und endgültig dahingefallen sind. Welche Kriterien eine solche Diagnose erlauben, hat die medizinische Wissenschaft zu entscheiden. Insbesondere wegen der in den letzten Jahren erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Reanimationstechnik haben sich dabei jedoch erhebliche Schwierigkeiten eingestellt, denn durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde die herkömmliche Todesdiagnose aufgrund des Herzstillstands bzw. des Kreislaufausfalls grundsätzlich in Frage gestellt. Soweit ersichtlich, wird in der medizinischen Lehre heute indessen beinahe einhellig die Auffassung vertreten, dass der sog. Hirntod (d.h. der vollständige und irreversible Ausfall der Gehirnfunktionen) dem bis vor kurzem allein anerkannten Herz- bzw. Kreislauftod gleichzusetzen sei, weil das Gehirn nicht nur das Zentrum für alle Empfindungen
BGE 98 Ia 508 S. 516
bilde und Sitz des Bewusstseins und des Gedächtnisses sei, sondern auch den Mittelpunkt des autonomen vegetativen Nervensystems darstelle, von wo aus im wesentlichen die Stoffwechselvorgänge, Herz- und Atemtätigkeit, der Wasserhaushalt, die Temperaturregelung usw. gesteuert würden (vgl. J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 465 und insbesondere P. A. LUTERNAUER, a.a.O., S. 77 mit weiteren Hinweisen). Während der Ausfall der Atem- und Herztätigkeit heute kompensiert werden kann, ist es anerkanntermassen unmöglich, die gesamthaften Auswirkungen des vollständigen und irreversiblen Funktionsausfalls des Gehirns durch irgendwelche Massnahmen zu beheben. Offenbar bietet die Diagnose des Hirntodesjedoch noch gewisse Schwierigkeiten, die zu einer breiten wissenschaftlichen Diskussion Anlass geben (vgl. dazu v.a. G. GEILEN, Medizinischer Fortschritt und juristischer Todesbegriff, in: Festschrift für Ernst Heinitz, Berlin 1972, S. 373 ff., insbesondere 383 ff.). Wie bereits ausgeführt, ist es zwar nicht Sache des Verfassungsrichters, zu den in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen, denn es fehlt ihm dazu die fachliche Kompetenz. Von Verfassungs wegen muss jedoch gefordert werden, dass der Hirntod nur dann als erwiesen gelten darf, wenn die Gehirnfunktion in ihrer Gesamtheit versagt hat, d.h. wenn mit Sicherheit feststeht, dass der dadurch eingetretene Zustand irreversibel ist. Welche Art der Diagnose dieser Anforderung entspricht, muss freilich dem ärztlichen Fachurteil überlassen bleiben, das sich nach dem neuesten, anerkannten Stand der medizinischen Forschung zu richten hat. Genügt die Todesdiagnose dieser unabdingbaren Forderung, so bewirkt sie notwendigerweise, dass damit der verfassungsrechtliche Schutz des Lebens dahinfällt. Wird nach Eintritt des Hirntodes darauf verzichtet, einzelne Organe oder Zellen künstlich durch Schaffung eines beschränkten Kreislaufs am Leben zu erhalten, so liegt darin folglich keine Verletzung des Grundrechts auf Leben (so auch J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 466). In diesem Sinn erscheint eine "Manipulation" des Todeszeitpunkts durch Anwendung oder Absetzen der künstlichen Reanimation zum vorneherein als begrifflich ausgeschlossen.
Nach diesen Grundsätzen ist im folgenden zu prüfen, ob
§ 44 KHV
gegen die Verfassung verstösst.
c) Angesichts der besonderen Problematik der Todesdiagnose und mit Rücksicht auf die hohen Anforderungen, die in
BGE 98 Ia 508 S. 517
diesem Zusammenhang an die ärztliche Sorgfaltspflicht gestellt werden müssen, erscheint es sinnvoll, die gemeinhin anerkannten wissenschaftlichen Kriterien für die Todesdiagnose zusammenzustellen und den Ärzten in Form von Richtlinien bekannt zu geben. Unter Mitwirkung namhafter Vertreter der Rechtswissenschaft unterzog sich dieser Aufgabe vor kurzem eine Kommission der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften. Das Ergebnis der umfangreichen Abklärungen ist in den "Richtlinien für die Definition und die Diagnose des Todes" vom 25. Januar 1969 enthalten, die den schweizerischen Ärzten unbestrittenermassen bekannt sind und auch in verschiedenen juristischen Zeitschriften abgedruckt wurden (vgl. z.B. SJZ 65/1969, S. 248; ZStR 1969, S. 334; ZbJV 105/1969 S. 334). Diese Richtlinien scheinen dem gegenwärtig anerkannten Stand der Wissenschaft zu entsprechen und genügen den Anforderungen, wie sie von Verfassungs wegen an die für die Todesdiagnose massgebenden Kriterien zu stellen sind (vgl. oben lit. b). Sie enthalten einen umfangreichen Katalog der für die Feststellung des vollständigen, irreversiblen zerebralen Funktionsausfalls entscheidenden Merkmale (Ziff. 5) und sehen vor, dass der primär zerebrale Tod erst im Zeitpunkt des Auftretens aller dieser Symptome diagnostiziert werden darf (Ziff. 7). Der beiläufige, unbelegte Einwand der Beschwerdeführer, die erwähnten Richtlinien könnten sich heute als bereits überholt erweisen, ändert nichts an derÜberzeugung des Gerichts, dass die Akademie alle massgebenden Gesichtspunkte geprüft hat und dass die von ihr erarbeiteten Kriterien nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft jede Gewähr für eine sichere Todesdiagnose bieten. Auch die übrigen, von den Beschwerdeführern in diesem Zusammenhang geäusserten Bedenken halten einer näheren Prüfung nicht stand. Wenn einzelne Wissenschafter bestimmte Kriterien der Todesfeststellung teilweise anders umschreiben mögen, so ist damit jedenfalls nicht dargetan, dass die zur Ausarbeitung der Richtlinien berufenen Fachleute entscheidende Gesichtspunkte nicht richtig gewürdigt haben.
d) Wenn in
§ 44 KHV
auf die erwähnten Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften verwiesen wird, so liegt darin nach dem Gesagten kein Verstoss gegen den verfassungsmässig gewährleisteten Schutz des Lebens. Fragwürdig erschiene das Vorgehen des Regierungsrats freilich dann, wenn diese Richtlinien - wie aufgrund des Wortlauts
BGE 98 Ia 508 S. 518
von
§ 44 KHV
allenfalls angenommen werden könnte - für jeden Fall als allein massgebend erklärt worden wären und dieser Bestimmung die Bedeutung eines allgemein verbindlichen Rechtssatzes zukäme. So verhält es sich indessen nicht. Wie in Erw. 1 ausgeführt, stellt die KHV eine Verwaltungsverordnung dar. Im Sinne einer anstaltsinternen Weisung richtet sich
§ 44 KHV
an jene Ärzte, die im konkreten Fall die Todesdiagnose zu stellen haben. Wie sich sodann gestützt auf eine systematische und verfassungskonforme Auslegung ergibt, umschreiben die gemäss
§ 44 KHV
zu beachtenden Richtlinien bloss die Mindestanforderungen, denen die Todesdiagnose zu genügen hat.
§ 31 KHV
, die Einleitungsbestimmung des massgebenden Verordnungsabschnitts ("VII. Die Patienten"), schreibt im Sinne eines Grundgebots vor, dass sich "Untersuchung und Behandlung von Patienten nach den anerkannten Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft und der Humanität zu richten haben". Daraus und aus den vorstehenden Ausführungen über den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben erhellt, dass der zur Todesfeststellung berufene Arzt weitere Abklärungen treffen muss, wenn er aufgrund eigener Forschungen oder neuester, ihm zufällig bekannter Erkenntnisse der Wissenschaft Zweifel über die Zuverlässigkeit einzelner der in den Richtlinien aufgeführten Kriterien hegt. Die Berufspflichten des Arztes werden in
§ 44 KHV
somit keineswegs abschliessend umschrieben. Dass der Arzt gestützt auf diese Bestimmung zu willkürlichen Todeserklärungen ermächtigt sei, wie dies die Beschwerdeführer anzunehmen scheinen, kann unter diesen Umständen nicht im Ernst behauptet werden. Mit dem Grundrecht auf Leben sind nach dem Gesagten vielmehr nur Todesfeststellungen vereinbar, die der Arzt zwar im Regelfall nach den erwähnten Richtlinien, jedoch stets in eigener Verantwortung zu treffen hat.
Der Vorwurf,
§ 44 KHV
verstosse gegen den verfassungsmässigen Schutz der Persönlichkeit, erweist sich daher als unbegründet.
5.
Die Beschwerdeführer rügen weiter,
§ 44 KHV
stehe im Widerspruch zum Grundsatz der Rechtsgleichheit (
Art. 4 BV
).
Wie ausgeführt, weist
§ 44 KHV
die in den kantonalen Krankenanstalten tätigen Ärzte an, bei der Todesfeststellung die Kriterien anzuwenden, wie sie demjeweils anerkannten neuesten Stand der medizinischen Wissenschaften entsprechen. Diese Verpflichtung gilt auch für die in kommunalen Krankenanstalten
BGE 98 Ia 508 S. 519
und Privatkliniken wirkenden Medizinalpersonen, unbekümmert darum, ob diese durch eine entsprechende Vorschrift in einer Dienstanweisung oder in einem Reglement ausdrücklich darauf hingewiesen werden, denn sie ergibt sich nach dem Gesagten unmittelbar aus den ärztlichen Sorgfaltspflichten. Unter diesen Umständen ist nicht einzusehen, inwieweit
§ 44 KHV
zu einer rechtsungleichen Behandlung Anlass geben könnte.
6.
Die Beschwerdeführer beanstanden endlich, dass die angefochtene Vorschrift über das Vorgehen bei der Todesfeststellung bloss in einer regierungsrätlichen Verordnung statt in einem formellen Gesetz enthalten sei. Sie erblicken darin eine Verletzung der Gewaltentrennung bzw. eine Missachtung ihrer politischen Stimmberechtigung (
Art. 85 lit. a OG
).
Allein auch diese Rüge ist unbegründet. Als oberstes Vollzugsorgan des Trägers der kantonalen Krankenanstalten ist der Regierungsrat befugt, die dienstlichen Obliegenheiten des Anstaltspersonals auf dem Verordnungsweg zu umschreiben. Da § 44 nach dem Gesagten keine "gesetzliche", d.h. allgemein verbindliche Todesdefinition enthält, sondern bloss eine an die Ärzteschaft gerichtete anstaltsrechtliche Dienstanweisung darstellt, in welcher sinngemäss auf die ärztlichen Berufs- und Sorgfaltspflichten hingewiesen wird, verstösst das Vorgehen des Regierungsrats somit weder gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung noch gegen die politischen Rechte der Beschwerdeführer.
Aus dem gleichen Grund ist unter dem Gesichtswinkel des Verfassungsrechts nicht zu beanstanden, dass der Regierungsrat darauf verzichtete, die erwähnten Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften im Wortlaut in den Verordnungstext aufzunehmen. Die entsprechenden Vorbringen der Beschwerdeführer stossen daher ins Leere.
III.
Obduktion und Organentnahmen (
§
§ 45 und 46 KHV
)
7.
§ 45 Abs. 1 KHV
bestimmt, dass an verstorbenen Patienten eine Obduktion ausgeführt werden darf. Darunter ist die pathologisch-anatomische Leichenöffnung zu verstehen, die der Überprüfung der am Krankenbett gestellten Diagnose und der pathologisch-anatomischen Erforschung der Krankheiten dient (vgl. H. TROCKEL, Die Rechtswidrigkeit klinischer Sektionen, Berlin 1957, S. 3 ff.). Der Regierungsrat bestätigt in seiner
BGE 98 Ia 508 S. 520
Beschwerdeantwort denn auch ausdrücklich, dass aus
§ 45 KHV
nichts über die Zulässigkeit von anatomischen Sektionen zu Schulungszwecken abgeleitet werden darf. Gegenstand der nachfolgenden Erwägungen zu
§ 45 KHV
bildet demnach bloss die Frage nach der Verfassungsmässigkeit von Obduktionen im soeben umschriebenen engen Sinn, von welchem Begriff im übrigen auch die Beschwerdeführer auszugehen scheinen. Unbestritten ist ferner, dass aus gesundheitspolizeilichen Gründen und gestützt auf Anordnungen der Strafverfolgungsbehörden ohne weiteres obduziert werden darf (§ 45 Abs. 2 zweiter Satz KHV).
Was die Vorschrift von
§ 46 KHV
über die Organentnahmen anbelangt, so richtet sich die Beschwerde offensichtlich bloss gegen die Absätze 1 und 2 dieser Bestimmung, denn die Beschwerdeführer rügen nicht als verfassungswidrig, dass bei der Todesfeststellung nur mitwirken darf, wer bei der fraglichen Entnahme nicht beteiligt ist (
§ 46 Abs. 3 KHV
).
8.
Nach § 45 Abs. 2 bzw.
§ 46 Abs. 2 KHV
haben Obduktionen und Organentnahmen zu unterbleiben, "wenn der Verstorbene oder seine nächsten Angehörigen Einspruch erhoben haben". Eine Ausnahme gilt - wie erwähnt - lediglich für gesundheitspolizeiliche und dem Zweck einer Strafuntersuchung dienende behördliche Obduktionsanordnungen. Erfolgen Leichenöffnungen und Transplantationen mit Zustimmung des Verstorbenen oder seiner nächsten Angehörigen, so liegt darin auch nach der Auffassung der Beschwerdeführer keine Rechtsverletzung. Umstritten ist jedoch, ob eine solche Zustimmungserklärung ausdrücklich abgegeben werden muss. Die Beschwerdeführer halten eine ausdrückliche Zustimmung für unerlässlich, räumen jedoch ein, dass sich "im Falle eines echten Notstandes (tatsächlicher Eignung einer Organtransplantation zu Heil- und Rettungszwecken, zur Beseitigung nicht anders zu verhindernder Gefahr, bei zeitlicher Unaufschiebbarkeit des Eingriffs und der Unmöglichkeit der Einholung der Zustimmung der Berechtigten)" eine Ausnahme rechtfertige (Beschwerdeschrift S. 20/21). Sie bezeichnen die in
§ 45 Abs. 2 und
§ 46 Abs. 2 KHV
enthaltene Ordnung als verfassungswidrig mit der Begründung, sie verletze die Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen und - in zweiter Linie - seiner Angehörigen.
a) Nach § 1 des zürcherischen Gesetzes über das Gesundheitswesen vom 4. November 1962 (GesundheitsG) haben Staat
BGE 98 Ia 508 S. 521
und Gemeinden die Aufgabe, "die Gesundheit des Volkes zu fördern und ihre Gefährdung zu verhüten". Zu diesem Zweck errichtet und betreibt der Staat unter anderem zentrale Kantonsspitäler (§ 39 Abs. 1 GesundheitsG), die verpflichtet sind, Personen aufzunehmen, die dringend einer Krankenhausbehandlung bedürfen (§ 41 GesundheitsG). Diese Krankenhäuser stehen unter der Aufsicht der Direktion des Gesundheitswesens (§ 42 Abs. 1 GesundheitsG,
§ 1 KHV
). Rechtlich kommt ihnen die Stellung einer unselbständigen öffentlichen Anstalt zu (vgl. Gutachten Prof. MÜLLER, S. 31). Daraus folgt freilich noch nicht zwingend, dass das Benützungsverhältnis dem öffentlichen Recht untersteht. Dass für eine privatrechtliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenanstalt und Patient kein Raum bleibt, ergibt sich jedoch ohne weiteres aus den Vorschriften der KHV (vgl. insbesondere §§ 9 ff. über die Organisation der medizinischen Dienste und über die Behandlungsgrundsätze sowie § 36 über die Berechnung der Benützungsgebühr). Steht der in einer kantonalzürcherischen Krankenanstalt behandelte Patient somit in einem besonderen öffentlichrechtlichen Verhältnis zum Staat, so ist die Frage nach der Zulässigkeit von Eingriffen in seinen toten Körper nicht nach den Regeln des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes (
Art. 28 ZGB
) zu beurteilen. Entscheidend ist vielmehr, ob dadurch seine verfassungsmässigen Rechte - oder allenfalls solche seiner Angehörigen - verletzt werden (vgl. H. HUBER, Berner Kommentar, N. 173 zu
Art. 6 ZGB
; J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 459/60 und 477/8). Ob die angefochtenen Vorschriften in den
§
§ 45 und 46 KHV
vor der Verfassung standhalten, ist demnach nicht unter dem Gesichtswinkel von Art. 2 Üb. Best. BV (Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, im besonderen des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes gemäss
Art. 28 ZGB
), sondern - wie im folgenden näher auszuführen ist - unter jenem der verfassungsmässig gewährleisteten individuellen Freiheit zu entscheiden. Die Beschwerdevorbringen zum Schutzbereich von
Art. 28 ZGB
und zu einer angeblichen Verletzung von Art. 2 Üb. Best. BV erweisen sich daher als gegenstandslos.
b) Bereits im Urteil 45 I 132 f. erkannte das Bundesgericht, die Verfügungsmacht des Lebenden über das Schicksal seines Leibes nach dem Tod, insbesondere über die Art seiner Bestattung, ergebe sich aus der individuellen Freiheit des Bürgers, der Persönlichkeit und ihres Rechtes auf Geltung und Achtung
BGE 98 Ia 508 S. 522
durch die Allgemeinheit und stehe unter dem Schutz der Verfassung, da der Grundsatz der Rechtsgleichheit (
Art. 4 BV
) eine mit der Achtung der Persönlichkeit unvereinbare Behandlung des Bürgers durch staatliche Organe verbiete. Schon im Jahre 1919 ging das Bundesgericht demnach davon aus, dass der verfassungsmässige Persönlichkeitsschutz mit dem Tod des Individuums nicht dahinfällt. Bei dieser Rechtsprechung ist es bis heute geblieben. So entschied das Bundesgericht vor kurzem, unter dem Gesichtswinkel des Verfassungsrechts sei anzunehmen, dass ein mit der Gestaltung der Bestattungsfeier zusammenhängendes Persönlichkeitsrecht über den Tod des Betroffenen hinaus wirke und dass dem Menschen ein verfassungsmässiges Recht auf schickliche Beerdigung zustehe (
BGE 97 I 228
/9). Was den verfassungsmässigen Schutz des Rechts auf Bestimmung über den eigenen Körper anbelangt, so ergibt sich dieser freilich nicht mehr aus
Art. 4 BV
, wie im erwähnten Entscheid
BGE 45 I 132
f. angenommen wurde. Wer Anordnungen über die Verwendung seines toten Körpers trifft, handelt aufgrund seiner geistigen Individualität und gestützt auf ethische und religiöse Anschauungen über die Bedeutung des Todes und der Vergänglichkeit (vgl. F. FLEINER, Verfassungsmässiger Schutz der Feuerbestattung, SJZ 16/1919-20, S. 2). Da das Bundesgericht die persönliche Freiheit nunmehr als ungeschriebenes Verfassungsrecht anerkennt, das in umfassender Weise die Menschenwürde und den Eigenwert der Persönlichkeit schützen soll (
BGE 97 I 49
), steht dieses Bestimmungsrecht über den toten Körper heute somit unter dem Schutz des Grundrechts der persönlichen Freiheit (so auch J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 468).
Weniger eindeutig ist, ob auch den Angehörigen eines Verstorbenen von Verfassungs wegen ein entsprechender Schutz zusteht. Da die Bestimmung über den eigenen Körper, wie bereits angedeutet, nicht als sachenrechtliche Verfügung angesehen werden darf (vgl. F. FLEINER, a.a.O., S. 2; J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 468), könnten sich die Angehörigen in diesem Zusammenhang zum vorneherein nur auf ihre eigenen verfassungsmässigen Persönlichkeitsrechte berufen. In der Privatrechtslehre wird ausgeführt, dass den Angehörigen im Hinblick auf ihre familiäre Verbundenheit und die darauf beruhende besondere Gefühlsbeziehung ein eigenes, im Rahmen von
Art. 28 ZGB
geschütztes Persönlichkeitsinteresse an der Achtung des Toten
BGE 98 Ia 508 S. 523
und der Unantastbarkeit seiner Hülle zukomme (vgl. z.B. H. HINDERLING, Nochmals zur Frage der Zulässigkeit von Organübertragungen, SJZ 65/1969, S. 235; vgl. auch
BGE 70 II 127
ff, insbesondere S. 130/31). Diesem Persönlichkeitsinteresse der Angehörigen wird jedoch, soweit ersichtlich, auch bei privatrechtlicher Betrachtung ein geringerer Schutz zuteil als dem oben erwähnten Recht des Bürgers, über das Schicksal seines toten Körpers zu bestimmen. Unter dem Gesichtswinkel der Verfassung ist jedoch fraglich, ob den Angehörigen eines Verstorbenen in diesem Zusammenhang überhaupt ein verfassungsmässiges Recht zusteht, denn noch im Entscheid
BGE 90 I 36
liess das Bundesgericht ausdrücklich offen, ob auch blosse Gefühlswerte ("des valeurs purement affectives") - und nur solche stehen hier in Frage - unter dem Schutz der persönlichen Freiheit stünden. Richtig ist zwar, dass das Bundesgericht den Schutzbereich dieses Grundrechts seither neu umschrieben und ausgeführt hat, die persönliche Freiheit gewährleiste alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen und schütze auf diese Weise insbesondere auch die Menschenwürde (
BGE 97 I 49
). Ebenso trifft es zu, dass das Bundesgericht dem verfassungsmässigen Schutz von Empfindungen und Gefühlen Angehöriger einen weiten Platz einräumt, wenn die Gestaltung der Bestattungsfeier in Frage steht (
BGE 97 I 232
). Ob das Grundrecht der persönlichen Freiheit in grundsätzlicher Weise auch die Pietätsgefühle der Angehörigen eines Verstorbenen zu schützen vermag, braucht indessen im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, denn selbst wenn dies zutreffen sollte, würden durch die Anwendung der angefochtenen
§
§ 45 und 46 KHV
keine verfassungsmässigen Persönlichkeitsrechte verletzt (vgl. unten lit. c).
c) Wie das Bundesgericht bereits im Jahre 1919 ausführte, hat der verfassungsmässige Anspruch auf freie Betätigung der geistigen und sittlichen Individualität bei der Verfügung über den toten Körper mitunter höheren staatlichen Interessen zu weichen (
BGE 45 I 133
). Das Bestimmungsrecht über den toten Körper, wie es nach dem Gesagten durch das Grundrecht der persönlichen Freiheit gewährleistet wird, gilt nicht unbeschränkt, denn es bildet nicht Bestandteil des absolut geschützten Kerns dieses verfassungsmässigen Rechts (vgl.
BGE 97 I 50
; J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 469). Inwieweit dieses Recht beschränkt
BGE 98 Ia 508 S. 524
werden darf, ist aufgrund einer wertenden Güter- und Interessenabwägung zu entscheiden. So hat das Bestimmungsrecht des Patienten bzw. seiner Angehörigen unbestrittenermassen in den Hintergrund zu treten, wenn ein Verdacht auf eine gemeingefährliche übertragbare Krankheit besteht und aus diesem Grund ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer der Sicherung der Diagnose dienenden Leichenöffnung besteht. Das gleiche gilt, wenn mit Hilfe einer Obduktion strafbare Handlungen aufgedeckt werden sollen. Sodann sind auch private Interessen denkbar, die eine Beschränkung des Bestimmungsrechts über den toten Körper als zulässig erscheinen lassen können. Gerade die Fortschritte der medizinischen Wissenschaften, namentlich auf den Gebieten der Chirurgie und der Biologie, haben zu einem Spannungsverhältnis zwischen den privaten Interessen an einer freien Verfügung über den Körper eines Verstorbenen und dem entgegenstehenden privaten Interesse eines Patienten geführt, der sich von einer Organtransplantation Rettung oder Heilung verspricht (vgl. dazu insbesondere H. HINDERLING, a.a.O., S. 235 und J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 471 mit weiteren Hinweisen). Ob im Hinblick auf eine allenfalls veränderte ethische Wertordnung Eingriffe in den toten Körper in solchen Fällen mit dem verfassungsmässigen Schutz der Persönlichkeit auch dann vereinbar wären, wenn sie gegen den erklärten Willen des Patienten oder seiner Angehörigen vorgenommen würden, braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Denn die angefochtene Ordnung in den
§
§ 45 und 46 KHV
geht offensichtlich davon aus, dass Obduktionen grundsätzlich und Organverpflanzungen überhaupt nicht gegen denWillen des Patienten oder seiner nächsten Angehörigen vorgenommen werden dürfen.
Die KHV verlangt indessen nicht, dass die Zustimmung zur Vornahme von Obduktionen und Organtransplantationen ausdrücklich erfolgen muss, sondern gibt den Patienten und Angehörigen bloss das Recht, Einsprache zu erheben. Erfolgt keine solche, so wird vermutet, dass dem Eingriff in den toten Körper zugestimmt werde. Diese Ordnung ist vernünftig. Organtransplantationen müssen innert nützlicher Frist angeordnet und durchgeführt werden, und auch Leichenöffnungen, die ihren Zweck erfüllen sollen, müssen kurz nach Eintritt des Todes vorgenommen werden können. Würde eine ausdrückliche Zustimmung verlangt, so könnten sich bereits aus diesem Grund
BGE 98 Ia 508 S. 525
erhebliche praktische Schwierigkeiten ergeben, wenn der Patient keine Willenserklärung abgegeben hat und zunächst langwierige Nachforschungen zur Ermittlung der anzufragenden nächsten Angehörigen angestellt werden müssten. Aber auch mit Rücksicht auf den verfassungsmässigen Persönlichkeitsschutz selbst erschiene das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung als nicht unbedenklich. Denn in der Einladung zur Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung kann unter Umständen sowohl beim Kranken oder bereits Schwerkranken als auch bei den Angehörigen, die unter dem Eindruck des Ablebens eines nahen Verwandten stehen, ein schwerer Eingriff in die geschützte Persönlichkeitssphäre erblickt werden. Ja es muss angenommen werden, dass der Mensch damit in vielen Fällen psychisch überfordert würde und deshalb oft nicht mehr in der Lage wäre, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Dazu kommt, dass viele Menschen gar nicht wünschen, ausdrücklich über die Verwendung ihres Körpers nach dem Tod befragt zu werden. Trotz der Bedenken der Beschwerdeführer, denen eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, erscheint es daher in Würdigung aller Umstände und Interessen als gerechtfertigt, vom Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung abzusehen und dem Patienten bzw. seinen Angehörigen ein Einspracherecht zuzuerkennen.
Eine solche verfahrensmässige Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes erscheint jedenfalls dann unbedenklich, wenn sie dem tatsächlich oder virtuell Betroffenen ordnungsgemäss bekanntgegeben wird, damit dieser sein Einspracherecht auch wirklich ausüben kann. Dass die angefochtene Regelung der KHV diesem Erfordernis nicht genüge, kann nicht ernstlich behauptet werden. Wohl enthalten die beanstandeten Vorschriften keine Bestimmungen darüber, wie die Spitalbenützer und ihre Angehörigen auf ihr Einspracherecht hingewiesen werden sollen. Es darf jedoch angenommen werden, dass die
§
§ 45 und 46 KHV
in einer die Persönlichkeitsrechte angemessen berücksichtigenden Weise angewendet und dass die Betroffenen - soweit überhaupt möglich - auf ihre Rechte aufmerksam gemacht werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die KHV immerhin im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht und in die amtliche Gesetzessammlung aufgenommen wurde. Es sind freilich Fälle denkbar, in denen Patienten oder ihre Angehörigen keine
BGE 98 Ia 508 S. 526
Kenntnis von ihrem Einspracherecht erhalten, beispielsweise bei Einlieferung eines bewusstlosen Ausländers, dessen Angehörige nicht bekannt sind oder nicht innert nützlicher Frist benachrichtigt werden können. Bei Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen und Rechtsgüter besteht indessen kein Anlass, die angefochtene Ordnung allein aus diesem Grunde für verfassungswidrig zu erklären.
Die angefochtene Ordnung in den
§
§ 45 und 46 KHV
, die sich im wesentlichen mit den Regelungen in Grossbritannien (vgl. die Human Tissue Act aus dem Jahre 1961, abgedruckt in: Ethics in Medical Progress, a Ciba Foundation Symposium, London 1966, S. 88) und Schweden (vgl. das entsprechende Gesetz aus dem Jahre 1958, wiedergegeben bei P.-J. DOLL, La discipline des greffes, des transplantations et des autres actes de disposition concernant le corps humain, Paris 1970, S. 303) deckt, gibt somit unter dem Gesichtswinkel der verfassungsrechtlich gebotenen Interessen- und Güterabwägung gesamthaft betrachtet keinen Anlass zu Kritik. Soweit sie von den Beschwerdeführern angefochten wird, lässt sie das verfassungsmässig geschützte Bestimmungsrecht des Patienten und seiner Angehörigen unangetastet. Sie auferlegt dem Anstaltsbenützer keine Freiheitsbeschränkungen, sondern enthält nach dem Gesagten bloss eine durchaus vernünftige Konkretisierung des Grundrechtsschutzes in verfahrensmässiger Hinsicht.
9.
Die Beschwerdeführer machen geltend, für die angefochtene Ordnung sei keine gesetzliche Grundlage vorhanden, weshalb sie auch aus diesem Grunde gegen die Verfassung verstosse. Diese Rüge ist unbegründet. Richtig ist zwar, dass Freiheitsbeschränkungen grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage bedürfen (vgl.
BGE 97 I 50
-52). Wie soeben ausgeführt, steht jedoch im vorliegenden Fall keine Beschränkung der Persönlichkeitsrechte in Frage, sondern es geht bloss um die verfahrensmässigen Modalitäten ihrer Ausgestaltung. Sofern solche Vorschriften, wie im vorliegenden Fall, angemessen bekannt gemacht werden, dürfen sie ohne weiteres im Rahmen einer Anstaltsordnung aufgestellt werden und erfordern sie keine ausdrückliche Grundlage in einem formellen Gesetz (vgl. dazu auch oben Erw. 6). Von einer Verletzung der kantonalen Zuständigkeitsvorschriften und der Mitwirkungsrechte der Stimmberechtigten bei der Gesetzgebung kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein.
BGE 98 Ia 508 S. 527
10.
Die Beschwerdeführer rügen endlich, die angefochtene Ordnung führe zu einer rechtsungleichen Behandlung, weil die freie Spitalwahl nicht gewährleistet sei und weil die Patienten aus anderen Kantonen und aus dem Ausland die Regelung in den
§
§ 45 und 46 KHV
unter Umständen nicht kennten. Soweit dieser Rüge nach dem Gesagten selbständige Bedeutung zukommt (vgl. oben Erw. 8 lit. c a.E.), erweist sie sich als unbegründet. Auch in anderen Kliniken und Krankenanstalten kann von den zuständigen Stellen durch Reglemente und Aufnahmebedingungen eine ähnliche Ordnung geschaffen werden, wie sie in den
§
§ 45 und 46 KHV
enthalten ist. Der Regierungsrat hat nicht Gleiches ungleich behandelt, sondern für die kantonalen Krankenanstalten, d.h. in seinem Zuständigkeitsbereich, eine einheitliche Lösung getroffen, die nach dem Gesagten keine verfassungsmässigen Rechte der Patienten oder ihrer Angehörigen verletzt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b68e0a87-dd01-4a34-ade3-9528d2592ee2 | Urteilskopf
121 I 196
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Mai 1995 i.S. René Noth gegen Anne Colliard Arnaud und Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip, Verfahrenssprache in einem Strafverfahren,
Art. 116 BV
und
Art. 21 KV/FR
.
Grundlagen und Tragweite der Sprachenfreiheit und des Territorialitätsprinzips nach dem Verfassungsrecht des Bundes und des Kantons Freiburg (E. 2).
Sprachregelung in den kantonalen Verfahrensgesetzen (E. 3).
Sprachenrechtliche Besonderheiten im Strafverfahren (E. 5a).
Abwägung von Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip und der sich entgegenstehenden Interessen der beteiligten Parteien unterschiedlicher Sprache gestützt auf die konkreten Umstände (E. 5b-5d). | Sachverhalt
ab Seite 197
BGE 121 I 196 S. 197
René Noth verursachte mit seinem Personenwagen auf dem Verkehrskreisel "Grand Pont" in der Stadt Freiburg einen Verkehrsunfall, fuhr auf den Wagen von Anne Colliard Arnaud auf und löste damit zusätzlich eine Beschädigung des vordern Fahrzeuges eines weitern Fahrzeuglenkers aus. Die Schäden sind gering. In der Folge wurde gegen René Noth eine Strafuntersuchung wegen Verstosses gegen das Strassenverkehrsgesetz eröffnet und auf Strafklage von Anne Colliard Arnaud hin wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die Untersuchung wurde vorerst in französischer Sprache geführt und beschränkte sich bisher auf den Polizeirapport an die Kantonspolizei mit Fotodossier, den Auszug aus dem Strafregister und die Eingaben von Anne Colliard Arnaud.
René Noth ersuchte den Untersuchungsrichter darum, das Strafverfahren in deutscher Sprache zu führen, da er deutscher Muttersprache sei und nicht Französisch spreche. Dieses Ersuchen wurde der Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg zum Entscheid überwiesen. Die Strafklägerin Anne Colliard Arnaud beantragte die Abweisung des Gesuches.
Die Anklagekammer wies das Gesuch um Durchführung des Untersuchungsverfahrens in deutscher Sprache ab. Sie führte im wesentlichen aus, dass im Saanebezirk das Französische alleinige Amtssprache sei und demnach entsprechend den Richtlinien der Anklagekammer und in Anbetracht der französischsprachigen Strafklägerin auch die Untersuchung in französischer Sprache zu führen sei.
Diesen Entscheid der Anklagekammer hat René Noth beim Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten und dessen Aufhebung beantragt. Er macht hierfür eine Verletzung von
Art. 116 BV
und der Sprachenfreiheit geltend und bezieht sich auf Art. 21 der freiburgischen Kantonsverfassung.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab
BGE 121 I 196 S. 198
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf
Art. 116 Abs. 1 BV
, die Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip.
a) Nach Lehre und Rechtsprechung gehört die Sprachenfreiheit, d.h. die Befugnis zum Gebrauch der Muttersprache, zu den ungeschriebenen Freiheitsrechten der Bundesverfassung. Soweit die Muttersprache gleichzeitig eine Nationalsprache des Bundes ist, steht deren Gebrauch zudem unter dem Schutz von
Art. 116 Abs. 1 BV
, der vier Nationalsprachen anerkennt. Diese Bestimmung verbietet es den Kantonen insbesondere, Gruppen, die eine Nationalsprache sprechen, aber im Kanton eine Minderheit darstellen, zu unterdrücken und in ihrem Fortbestand zu gefährden. Die Anerkennung von Nationalsprachen in
Art. 116 Abs. 1 BV
setzt der Sprachenfreiheit jedoch auch Grenzen, denn diese Verfassungsbestimmung gewährleistet nach der Rechtsprechung die überkommene sprachliche Zusammensetzung des Landes (Territorialitätsprinzip).
Art. 116 Abs. 1 BV
anerkennt die kulturelle Gleichberechtigung der Landessprachen. Die Kantone sind daher aufgrund dieser Bestimmung befugt, Massnahmen zu ergreifen, um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Homogenität zu erhalten, selbst wenn dadurch die Freiheit des einzelnen, seine Muttersprache zu gebrauchen, beschränkt wird. Solche Massnahmen müssen aber verhältnismässig sein, d.h. sie haben ihr Ziel unter möglichster Schonung der Würde und Freiheit des einzelnen zu erreichen (
BGE 106 Ia 299
E. 2a S. 302,
BGE 100 Ia 462
S. 465,
BGE 91 I 480
S. 485 und 487; Arthur Haefliger, Die Sprachenfreiheit in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Mélanges Henri Zwahlen, 1977, S. 78; GIORGIO MALINVERNI, Sprachenfreiheit, in: Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 1 ff. und Rz. 23 ff.; JOSEPH VOYAME, Avis de droit au sujet du nouvel article constitutionnel sur les langues officielles et au sujet de son application dans la législation et la pratique, in: Amtliches Tagblatt der Sitzungen des Grossen Rates des Kantons Freiburg, TGR 1992 S. 2813 ff., insbes. S. 2819 ff.).
b) Das Territorialitätsprinzip steht mit der Sprachenfreiheit in einem vielseitigen, sowohl gleich- als auch gegenläufigen Spannungsverhältnis (JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991, S. 84). Die Sprachenfreiheit schützt einerseits den einzelnen persönlichkeitsbezogen im Gebrauch seiner eigenen Sprache und ermöglicht andererseits sprachlichen Minderheiten die Verwendung ihrer Sprache (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 12; CHARLES-ALBERT MORAND, La liberté de langue,
BGE 121 I 196 S. 199
in: Mélanges André Grisel, S. 170). Damit steht das gebietsbezogene Prinzip der Amtssprache in einem gewissen Gegensatz (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 16). Das Territorialitätsprinzip garantiert demgegenüber die überkommene sprachliche Zusammensetzung und erlaubt Massnahmen, um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Homogenität zu erhalten; unzulässig ist aber das bewusste Verrücken der Sprachgrenzen (vgl. MALINVERNI, a.a.O. Rz. 28). Es gehört zur Sprachenfreiheit und zum Territorialitätsprinzip, Sprachminderheiten zu schützen, sie nicht zu unterdrücken und ihnen gegenüber jegliche Repression zu verhindern (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 27). In dieser Ausgestaltung dienen Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip der Wahrung des Sprachfriedens.
In der Literatur wird teilweise kritisch vermerkt, dass die Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip als Grundrechtsausgestaltungen nicht überdehnt werden dürften und nicht in allen Konstellationen hinreichende Leitlinien abzugeben vermöchten (vgl. J. P. MÜLLER, a.a.O. S. 84 ff.). Zum einen gelte es insbesondere, bereichspezifisch auch andere Grundrechte zur Problemlösung heranzuziehen (J. P. MÜLLER, a.a.O. S. 85; MORAND, a.a.O., S. 169). Zum andern wird darauf hingewiesen, dass aus dem Territorialitätsprinzip keine im einzelnen determinierte Politik abgeleitet werden könne; die Kantone verfügten bei der Umsetzung der bundesrechtlichen Garantien über einen sehr weiten Handlungsspielraum (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 40; VOYAME, a.a.O., S. 2825 und 2838). Teilweise werden Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip auch relativiert: Es wird darauf hingewiesen, dass nicht nur auf einsprachige Gebiete hinzuwirken ist und dass Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip als Auftrag zu einer vermehrten Politik der Mehrsprachigkeit verstanden werden sollen (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 40 f.; J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 85; VOYAME, a.a.O., S. 2820 und 2841; MICHEL ROSSINELLI, Protection des minorités linguistiques, in: Gesetzgebung heute 1991/1 S. 54 f.). Schliesslich wird vermerkt, dass das Zusammenleben verschiedener Sprachen ein ständiges Bemühen darstellt, die eigene Sprache ebenso zu pflegen wie einer andern Sprache Verständnis und Offenheit entgegenzubringen (vgl. J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 86).
c) Es obliegt in erster Linie den Kantonen, in ihren Grenzen über die Ausdehnung und Homogenität der gegebenen Sprachgebiete zu wachen und entsprechende Regelungen zu treffen (
BGE 91 I 480
S. 486 f.,
BGE 100 Ia 462
E. 2 S. 465,
BGE 106 Ia 297
S. 303). In Ergänzung der bundesrechtlichen Ordnung
BGE 121 I 196 S. 200
enthält die Verfassung des Kantons Freiburg (KV) in Art. 21 folgende, im Jahre 1990 eingefügte Sprachregelung:
1 Französisch und Deutsch sind die Amtssprachen. Ihr Gebrauch wird in Achtung des Territorialitätsprinzips geregelt.
2 Der Staat fördert das Verständnis zwischen den beiden Sprachgemeinschaften.
Wie auf Bundesebene werden damit für den kantonalen Bereich die Amtssprachen bezeichnet. Die Kantonsverfassung gewährt damit zwar nicht die bereits nach ungeschriebenem Bundesverfassungsrecht geltende Sprachenfreiheit, erwähnt hingegen das Territorialitätsprinzip ausdrücklich und verleiht ihm dadurch ein gewisses Gewicht (VOYAME, a.a.O., S. 2833). Diese Ordnung wird ergänzt durch die Verpflichtung, das Verständnis zwischen den beiden Sprachgemeinschaften zu fördern.
Die Bedeutung des Territorialitätsprinzips nach der kantonalen Verfassung ist grundsätzlich im Sinne der obenstehenden Erwägungen zu verstehen. Der Gutachter VOYAME unterstreicht aber zusätzlich die Bedeutung der Vorarbeiten, in denen immer wieder davon die Rede ist, dass das Territorialitätsprinzip mit einer gewissen Zurückhaltung, unter Beachtung der Verhältnismässigkeit und im Hinblick auf die Wahrung des Sprachfriedens zu handhaben sei (VOYAME, a.a.O., S. 2829 ff.). Von besonderer Bedeutung für den Kanton Freiburg ist, dass trotz der Untergliederung der Sprachenregelung in zwei Absätze das Territorialitätsprinzip mit dem Auftrag, das Verständnis zwischen den beiden Sprachgemeinschaften zu fördern, in eigenständiger Weise in Verbindung und eine gegenseitige Beziehung gebracht wird und insofern eine Relativierung erfährt.
d) Nach der Rechtsprechung kommt einer kantonalrechtlichen Verfassungsgarantie nur dann eine eigene Tragweite zu, wenn sie einen ausgedehnteren Schutzbereich aufweist als die entsprechende Norm im Bundesverfassungsrecht (
BGE 119 Ia 53
E. 2 S. 55,
BGE 118 Ia 427
E. 4a S. 433, mit Hinweisen). Obwohl das kantonale Verfassungsrecht mit der Erwähnung des Territorialitätsprinzips wiederholt, was nach der Rechtsprechung auch von Bundesrechts wegen gilt, ist immerhin den speziellen kantonalrechtlichen Umständen und insbesondere der Verbindung des Territorialitätsprinzips mit dem Auftrag, das Verständnis zwischen den Sprachgemeinschaften zu fördern, Rechnung zu tragen. Insofern kommt den kantonalrechtlichen Verfassungsgarantien eine eigenständige Bedeutung zu.
BGE 121 I 196 S. 201
3.
Bevor auf den konkreten Fall eingegangen wird, gilt es, die sprachenrechtlichen Grundlagen darzulegen, wie sie für das Strafverfahren einerseits und für den Zivilprozess und das Verwaltungsverfahren andererseits gelten.
a) Die Strafprozessordnung des Kantons Freiburg (StPO) enthält in Art. 7 eine Bestimmung über den Gerichtsstand und weist den Entscheid im Falle von Zweifeln oder Streitigkeiten darüber der Anklagekammer zu. Diese kann die Untersuchung überdies einem andern als dem ursprünglich zuständigen Untersuchungsrichter übertragen oder einen besondern Untersuchungsrichter bezeichnen (
Art. 7 Abs. 3 StPO
); eine solche abweichende Zuweisung soll auch aus Sprachgründen möglich sein (Botschaft des Staatsrates zum Entwurf einer neuen Strafprozessordnung vom 17. August 1994, S. 25 f.). - Das Gesetz über die Änderung der Organisation der Strafrechtspflege (Übergangsregelung) teilt den Kanton in fünf Untersuchungskreise ein (Art. 3). Der 4. Kreis umfasst u.a. den Saanebezirk mit der Stadt Freiburg, den Broyebezirk sowie - für die in französischer Sprache geführten Strafuntersuchungen - den Seebezirk. Einer der beiden Untersuchungsrichter in diesem 4. Kreis muss befähigt sein, Fälle in deutscher Sprache untersuchen zu können.
Nach Art. 4 der Übergangsregelung bestimmt das Kantonsgericht durch Reglement die Organisation der Strafuntersuchung, und gemäss
Art. 25 Abs. 1 StPO
übt die Anklagekammer die Aufsicht über die Strafuntersuchungen aus. Gestützt auf diese Zuständigkeiten hat die Anklagekammer am 29. Juli 1993 Richtlinien über die Sprache des Untersuchungsverfahrens (Richtlinien) erlassen. Danach richtet sich die Sprache der Untersuchung grundsätzlich nach der Amtssprache des Gerichtsbezirkes. Befindet sich der massgebliche Begehungsort auf dem Gebiete der Gemeinde Freiburg, so kann der Beschuldigte beantragen, von einem Untersuchungsrichter deutscher Sprache einvernommen zu werden.
Gestützt auf diese Ordnung hat die Anklagekammer in ihrer Praxis entschieden, dass von dem in der Kantonsverfassung verankerten Prinzip der Territorialität auszugehen sei. Der Saanebezirk und die Stadt Freiburg seien grundsätzlich als französischsprachig mit (ausschliesslich) französischer Amtssprache zu bezeichnen. Eine deutsche Untersuchungsführung könne daher nur bewilligt werden, wenn der massgebliche Begehungsort Freiburg ist und alle Verfahrensbeteiligten Deutsch sprechen. Im Einzelfall sei immerhin eine Abwägung der Interessen vorzunehmen. Diese seien beim Angeschuldigten stärker zu gewichten als bei einer geschädigten Firma;
BGE 121 I 196 S. 202
anderseits seien auch die Interessen von andern Beteiligten und von Opfern im Sinne des Opferhilfegesetzes entsprechend zu berücksichtigen (Entscheid der Anklagekammer vom 21. März 1994, in: FZR 1994 S. 324).
Daraus ergibt sich zusammenfassend, dass grundsätzlich die Amtssprache für die Untersuchung ausschlaggebend ist und dass davon für die Stadt Freiburg unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen im Sinne einer deutschen Untersuchungsführung gewährt werden können.
b) Für den Bereich des Zivilverfahrens bestimmt Art. 10 der Zivilprozessordnung des Kantons Freiburg (ZPO) die Verfahrenssprache. In den Bezirken und Kreisen des französischen Kantonsteils werden die Verhandlungen in französischer Sprache, in den Bezirken und Kreisen des deutschen Kantonsteils in deutscher Sprache und in den gemischten Bezirken und Kreisen - vorbehältlich einer andern Vereinbarung - in der Sprache des Beklagten geführt. - Nach der Praxis gelten der Saanebezirk und die Stadt Freiburg als französischsprachig. Demnach werden die (erstinstanzlichen) Zivilverfahren in diesem Gebiet grundsätzlich auf Französisch geführt (Entscheid des Kassationshofes vom 15. Juni 1992, in: FZR 1992 S. 258; vgl. auch
BGE 106 Ia 299
E. bb S. 304).
Vom Territorialitätsprinzip wird auch für den Bereich des Verwaltungsverfahrens ausgegangen. Das Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRG) bestimmt in Art. 36 allerdings, dass das erstinstanzliche Verfahren auf Französisch oder auf Deutsch durchgeführt wird, je nach der oder den Amtssprachen der Gemeinde des Kantons, in der die Partei ihren Wohnsitz, Aufenthalt oder Sitz hat; davon kann nach Art. 38 VRG ganz oder teilweise abgewichen werden, wenn es die Umstände rechtfertigen. - Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts ist das Territorialitätsprinzip für gemischtsprachige Gebiete angesichts der Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz zu relativieren und sind die Interessen zum Schutz der Sprachminderheiten und zur Erhaltung des Sprachfriedens mitzuberücksichtigen. Solange der Gesetzgeber die zweisprachigen Gebiete nicht bezeichnet hat, ist im Einzelfall über die Sprache zu befinden. Dabei können die Zusammensetzung der Bevölkerung, die Grösse, Geschichte und Stabilität der Sprachgruppen, die geographische Lage und Einheitlichkeit der Sprachgebiete berücksichtigt werden. Die Stadt Freiburg könne in diesem Sinne als zweisprachig bezeichnet werden
BGE 121 I 196 S. 203
(Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juli 1993, in: FZR 1993 S. 208).
c) Aus dem Vergleich von Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren ergibt sich, dass für den Straf- und Zivilprozess in bezug auf einen bestimmten Bezirk oder Kreis - vorbehältlich des Seebezirkes - und insbesondere auch für die Stadt Freiburg von einer einzigen Amtssprache ausgegangen wird; für die Stadt Freiburg ist das Französische grundsätzlich ausschliessliche Amtssprache. Demgegenüber werden im Verwaltungsverfahren für gemischte Gebiete zwei Amtssprachen anerkannt bzw. vom Verwaltungsverfahrensgesetz vorausgesetzt. Das führt in der Praxis beim Zivil- und Strafprozess einerseits und im Verwaltungsverfahren andererseits zu unterschiedlichen Sprachordnungen.
Im vorliegenden Fall steht einzig das Strafverfahren zur Diskussion und ist zu entscheiden, ob der angefochtene Entscheid vor dem Verfassungsrecht des Bundes und des Kantons standhalte. Über die Regelungen und die Praxis im Zivil- und Verwaltungsverfahren ist demgegenüber nicht zu entscheiden. Auf diese kann der Ausgang des vorliegenden Verfahrens im übrigen ebensowenig übertragen werden wie auf andere Bereiche wie beispielsweise die Sprache des Schulunterrichts, der Registereinträge oder der Abstimmungserläuterungen (vgl. VOYAME, a.a.O., S. 2839 und 2853 ff.). Denn die Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip lassen unter Beachtung der zugrundeliegenden Umstände meist nicht nur eine einzige, sondern grundsätzlich unterschiedliche, sich nicht gegenseitig ausschliessende Lösungen und Verfahrensausgestaltungen zu (vgl.
BGE 106 Ia 299
S. 306).
5.
Die Anklagekammer hat im angefochtenen Entscheid gestützt auf die oben dargelegte Ordnung das Französische als die massgebliche Verfahrenssprache bezeichnet. Für den Beschwerdeführer, der der französischen Sprache nicht mächtig, sondern deutscher Muttersprache ist, bedeutet diese Anordnung einen Eingriff in die Sprachenfreiheit. Ein solcher ist - ebenso wie die Bezeichnung und Verwendung einer Amtssprache im allgemeinen - gestützt auf das Territorialitätsprinzip nach dem Verfassungsrecht des Bundes und des Kantons grundsätzlich zulässig (vgl.
BGE 102 Ia 35
S. 36). Der Beschwerdeführer zieht die gesetzliche Grundlage nicht in Frage, sodass weder die oben dargestellte kantonalrechtliche Sprachregelung noch deren Anwendung als solche zu prüfen sind. Es ist im folgenden lediglich zu beurteilen, ob der konkret angefochtene Entscheid vor dem Verfassungsrecht
BGE 121 I 196 S. 204
des Bundes und des Kantons standzuhalten vermag.
Der Beschwerdeführer macht zur Hauptsache geltend, er werde durch den angefochtenen Entscheid der Anklagekammer in seiner Sprachenfreiheit verletzt. Die Anklagekammer hat im wesentlichen auf die verfahrensrechtliche Situation abgestellt. Für die Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit sind die konkreten Umstände des Falles und als erstes zu berücksichtigen, dass sich die streitige Sprachenfrage in einem Strafverfahren stellt.
a) Soweit in einem Verfahren lediglich eine private Partei den Behörden gegenübersteht, kann in einem zweisprachigen Kanton relativ leicht von der einschlägigen Amtssprache abgewichen und die (Mutter-)Sprache des Betroffenen berücksichtigt werden. In diesem Sinne sehen die Richtlinien der Anklagekammer denn auch vor, dass anstelle einer französischen eine deutsche Untersuchungsführung beantragt werden kann, wenn der massgebliche Begehungsort Freiburg ist. Zudem steht hier ein Untersuchungsrichter zur Verfügung, der die Untersuchung tatsächlich in deutscher Sprache führen kann. Handelt es sich um ein Verfahren mit mehreren Parteien unterschiedlicher Sprache, so muss in Berücksichtigung aller Umstände und Interessen eine sachgerechte Lösung gefunden werden. Im Strafverfahren darf auf die Interessen des Beschuldigten ebenso wie auf diejenigen der Geschädigten und weiterer Beteiligter wie Anzeiger oder Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes abgestellt werden. Die Konstellation im Strafverfahren erlaubt es nicht allgemein, hinsichtlich der Sprache eindeutig der einen oder andern Partei den Vorzug zu geben; der Beschuldigte kann sich nicht zum vornherein in stärkerem Ausmass auf seine Sprachenfreiheit berufen als Geschädigter und Opfer, die ihre Rechte (etwa im Sinne des Opferhilfegesetzes) wahrnehmen und den Prozess möglicherweise auf dem Zivilweg noch weiterführen. Ebensowenig kann rein arithmetisch darauf abgestellt werden, ob von mehreren Verfahrensbeteiligten eine Mehrheit die eine oder andere Sprache spricht.
Für den Bereich des Strafverfahrens ergeben sich unabhängig von der kantonalen Sprachregelung aus der Sicht der Verteidigungsrechte Besonderheiten in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Der in einem Strafverfahren Beschuldigte verfügt über Minimalgarantien, die direkt aus der Bundesverfassung sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte fliessen (insbesondere
Art. 4 BV
sowie
Art. 6 Ziff. 3 lit. a und lit. e EMRK
und Art. 14 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und lit. f UNO-Pakt II [SR 0.103.2]).
BGE 121 I 196 S. 205
Der Angeschuldigte, der der verwendeten Sprache nicht mächtig ist, hat im Sinne des rechtlichen Gehörs und zur Wahrung eines fairen Prozesses Anspruch darauf, in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und die wesentlichen Verfahrensschritte in einer ihm verständlichen Sprache informiert zu werden, Übersetzungen zu bekommen und allenfalls einen amtlichen Übersetzer beigeordnet zu erhalten. Ebenso ist er persönlich anzuhören und hat er Anspruch darauf, Fragen an Belastungszeugen zu stellen, was nur in einer ihm verständlichen Sprache bzw. unter Beizug von Übersetzungshilfen erfolgen kann. Ferner kann einem Angeschuldigten unter Umständen auch aus sprachlichen Gründen ein amtlicher Verteidiger beigegeben werden. Diese verfassungsrechtlichen Minimalgarantien sollen sicherstellen, dass der Angeschuldigte über hinreichende Möglichkeiten verfügt, sich wirksam zu verteidigen. Welche Beihilfen und Übersetzungen im einzelnen erforderlich sind, ergibt sich aufgrund der konkreten Umstände (vgl. etwa
BGE 118 Ia 462
E. 3 S. 467,
BGE 115 Ia 64
S. 65). - Diese Garantien eines fairen Strafprozesses gelten unabhängig von der im Kanton Freiburg geltenden Sprachregelung für jeden Angeschuldigten, spreche er eine der beiden freiburgischen Amtssprachen oder andere Sprachen. Sie gelten für den spezifischen Bereich des Strafverfahrens und dürfen im Zusammenhang mit der sprachenrechtlichen Problematik mitberücksichtigt werden (vgl. J. P. MÜLLER, a.a.O., S. 85). Immerhin kann umgekehrt nicht gesagt werden, dass in die Sprachgarantien des Angeschuldigten allein schon deshalb eingegriffen werden dürfe, weil ihm spezifische Verfahrensrechte und Übersetzungshilfen zustehen.
Diese Überlegungen zeigen, dass die Eigenheiten des Strafverfahrens keinen allgemeinen Massstab zur Lösung der streitigen Sprachenfrage abzugeben vermögen.
b) Es fällt schwer, im vorliegenden Fall aus den Grundsätzen der Sprachenfreiheit und des Territorialitätsprinzips Antworten abzuleiten. Das Territorialitätsprinzip lässt die Bezeichnung einer Amtssprache sowie Massnahmen zur Aufrechterhaltung der bestehenden Sprachgebiete und deren Homogenität zu. Diesem wird im kantonalen Strafverfahren schon dadurch Rechnung getragen, dass die Strafuntersuchungen in der Stadt Freiburg grundsätzlich auf Französisch geführt werden. Dieser Grundsatz würde indessen nicht gefährdet, wenn ausnahmsweise entsprechend den Richtlinien der Anklagekammer im vorliegenden Fall das Deutsche zur Anwendung gelangt. Umgekehrt verbietet die Sprachenfreiheit eine eigentliche Unterdrückung von
BGE 121 I 196 S. 206
Sprachminderheiten. Eine solche aber kann kaum im Umstand erblickt werden, dass ein Strafverfahren mit mehreren Parteien unterschiedlicher Sprache trotz deutscher Muttersprache des Beschuldigten auf Französisch geführt wird. Auch der verfassungsmässige Auftrag, das Verständnis zwischen den Sprachgemeinschaften zu fördern bzw. den Sprachfrieden durch zurückhaltende Anwendung des Territorialitätsprinzips zu bewahren, gibt für den vorliegenden Einzelfall keinen direkten Beurteilungsmassstab ab. Eine vermehrte Förderung der Zweisprachigkeit schliesslich vermag in einem Verfahren mit mehreren Parteien wenig weiterzuhelfen.
c) In bezug auf die konkreten Umstände ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich deutscher Muttersprache und der französischen Sprache nicht mächtig ist. Es wird ihm daher schwer fallen, einem auf französisch geführten mündlichen Verfahren zu folgen. Soweit sein Rechtsvertreter den Prozess nicht in französischer Sprache führen kann, hat der angefochtene Entscheid für ihn zudem einen Verteidigerwechsel zur Folge. Auf der andern Seite steht die Beschwerdegegnerin, die französischer Muttersprache ist und ihrerseits Anspruch auf Gebrauch dieser Sprache hat. Aufgrund ihres Amtes als Staatsanwältin eines zweisprachigen Kantons verfügt sie allerdings über gute Kenntnisse des Deutschen. Es kann daher kaum gesagt werden, dass sie einem deutsch geführten Verfahren nicht folgen könnte. Schliesslich darf berücksichtigt werden, dass die Untersuchungsbehörden auf deutsche Verfahren eingerichtet sind und der Beschwerdeführer nicht die Verwendung einer beliebigen andern Sprache, sondern der zweiten Amtssprache verlangt. - Vor diesem Hintergrund betrachtet zeugt der Entscheid der Anklagekammer von wenig Entgegenkommen und erscheint wenig tolerant.
d) Eine umfassende Wertung der Interessen fällt im vorliegenden Fall nicht leicht. Im einzelnen stehen sich die Sprach-Interessen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin gegenüber, welche sich beide auf die Sprachenfreiheit und damit den Gebrauch ihrer eigenen Sprache berufen können. Der dritte Fahrzeuglenker, der vom Unfallgeschehen betroffen und deutscher Muttersprache ist, scheint sich am Verfahren kaum zu beteiligen, sodass auf seine Interessen kaum abgestellt werden kann. Das Verfahren betrifft eine Angelegenheit, welche für keine der beiden Seiten von grosser Tragweite ist; denn es ist nur mit einer Untersuchung bescheidenen Ausmasses, mit einer geringfügigen Anschuldigung gegenüber dem
BGE 121 I 196 S. 207
Beschwerdeführer und einer kleineren Forderung von seiten der Beschwerdegegnerin zu rechnen. Eine Gewichtung der Interessen von Beschwerdeführer und Beschwerdegegnerin kann kaum vorgenommen werden. Es kann insbesondere nicht gesagt werden, dass die eine Partei vom konkret zu erwartenden Verfahren in bezug auf Intensität und Umfang sowie Tragweite und Persönlichkeitsbezug wesentlich stärker berührt würde als die andere.
Gesamthaft gesehen wird der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid in seiner individualrechtlich verstandenen Sprachenfreiheit ebensowenig zentral betroffen wie die Beschwerdegegnerin im Falle eines deutsch geführten Verfahrens. Es sind keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass bei der Anwendung des Französischen das Verfahren nicht sachgerecht durchgeführt werden oder der Beschwerdeführer sich nicht hinreichend wirksam verteidigen könnte. Bei dieser Sachlage hält es bei umfassender Betrachtung vor der Sprachenfreiheit stand, dass der Kanton in Wahrnehmung seiner Verantwortung für die Regelung des Sprachgebrauchs in seinem Gebiet nicht so sehr auf die Sprachenfreiheit des Beschwerdeführers, sondern vermehrt auf das Territorialitätsprinzip abstellte und der für die Stadt Freiburg geltenden französischen Amtssprache den Vorrang einräumte. Der mit dem angefochtenen Entscheid verbundene Eingriff in die Sprachenfreiheit des Beschwerdeführers erweist sich daher als verhältnismässig und verfassungsgemäss.
Die vorliegende Beschwerde wegen Verletzung der Sprachenfreiheit ist daher als unbegründet abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b6918062-d80c-4fdd-ba10-d2b6e30320de | Urteilskopf
138 I 131
11. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause Comité d'initiative Sauver Lavaux et consorts contre Neyroud et consorts, Grand Conseil et Conseil d'Etat du Canton de Vaud (recours en matière de droit public)
1C_578/2010 et autres du 20 décembre 2011 | Regeste
Art. 34, 36 Abs. 2 und 3,
Art. 49 BV
;
Art. 33 RPG
; Gültigkeit der kantonalen Volksinitiative "Sauver Lavaux".
Die Initiative zielt insbesondere auf die unmittelbare Anwendbarkeit der im kantonalen Gesetz vom 12. Februar 1979 über den Schutzplan für das Gebiet von Lavaux enthaltenen Grundsätze und der dazugehörigen Karte ab. Sie schafft überdies eine Planungszone für den Zeitraum der Anpassung der Karte. Es handelt sich daher um eine einem Nutzungsplan vergleichbare Massnahme, die den Anforderungen von
Art. 33 RPG
untersteht (E. 4).
Die Initiative sieht keinerlei Einsprache- und Beschwerderecht gegen diese Planungsmassnahmen vor. Das demokratische Gesetzgebungsverfahren kann jedoch als Ersatz für die öffentliche Auflage dienen (E. 5.1-5.3).
Art. 33 RPG
ist ausserdem unmittelbar anwendbar, so dass gegen sich aus der Initiative ergebende Massnahmen eine Beschwerdemöglichkeit an eine Behörde mit freier Prüfungsbefugnis eingerichtet werden muss (E. 5.4).
Weder die Festlegung der Freihaltezone noch die Einrichtung einer Planungszone verletzen Bundesrecht (E. 6).
Der Eingriff in die Gemeindeautonomie ist im vorliegenden Fall zulässig (E. 7).
Mangels offensichtlichen Widerspruchs zum übergeordneten Recht muss die Initiative in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro populo" als zulässig erklärt werden. | Sachverhalt
ab Seite 132
BGE 138 I 131 S. 132
A.
Le 14 août 2009, le Département de l'intérieur du canton de Vaud a constaté l'aboutissement de l'initiative populaire intitulée "Sauver Lavaux". Celle-ci tend à modifier la loi cantonale sur le plan de protection de Lavaux du 12 février 1979 (LLavaux; RSV 701.43). Les dispositions modifiées de la loi (ci-après: nLLavaux) sont notamment les suivantes:
Art. 1
er
(modification des buts de la loi comprenant désormais l'intégration des exigences découlant de l'inscription au patrimoine mondial de l'UNESCO)
Art. 4 (nouveau)
1
La présente loi et la carte annexée sont directement applicables.
2
Les règlements et plans communaux qui ne s'y conforment pas sont nuls.
3
Aucun permis de construire, démolir ou transformer ne peut être accordé si le projet ne respecte pas strictement les dispositions de la présente loi.
4
Les communes peuvent adopter des dispositions plus restrictives.
BGE 138 I 131 S. 133
(Selon l'art. 4 actuel, la loi et la carte annexée ont force obligatoire pour les autorités uniquement, le statut juridique de la propriété étant régi par les plans et règlements communaux, sous réserve des dispositions transitoires) (...)
Art. 18
Le territoire des villages et hameaux est régi par les principes suivants:
(let. a à e: sans changement)
f) (nouveau) Les bâtiments existants sont protégés dans la mesure où ils présentent un caractère architectural traditionnel; leur démolition peut être autorisée à titre exceptionnel si elle est justifiée par des motifs objectifs s'opposant à leur conservation.
g) (nouveau) A l'exception des constructions souterraines (par ex. parkings, hangars viticoles) toute construction nouvelle est exclue. Les reconstructions ne peuvent être autorisées que dans les limites des volumes existants et doivent respecter le caractère de l'ensemble; des exceptions de peu d'importance peuvent être consenties pour autant qu'elles répondent à des besoins avérés et prépondérants de l'exploitation viticole.
h) (nouveau) Les espaces extérieurs (jardins, potagers, cours) sont dans la règle protégés.
Art. 19
Le territoire de centre ancien de bourgs est régi par les principes suivants:
(let. a à e: sans changement;
let. f, g, h nouveaux, comme la disposition précédente)
Art. 20 (nouveau)
1
Dans les territoires d'agglomérations I et II, les secteurs n'ayant pas encore été colloqués en zone à bâtir, n'ayant pas encore fait l'objet d'un plan partiel d'affectation ou d'un plan de quartier ou dont ces derniers n'ont pas fait l'objet d'un commencement d'exécution ou encore, les secteurs n'étant pas équipés lors de l'adoption du principe constitutionnel de sauvegarde inscrit à l'article 52a de la Constitution du 14 avril 2003 sont en principe inconstructibles et soumis aux articles 15 et 16 de la présente loi.
2
Les secteurs des territoires d'agglomération I et II qui ont été colloqués en zone à bâtir ou équipés avant l'adoption du principe constitutionnel de sauvegarde inscrit à l'article 52a de la Constitution du 14 avril 2003 sont régis par les principes suivants:
a) Dans le territoire d'agglomération I: ils sont destinés à l'habitat en prédominance et peuvent accueillir toutes les activités compatibles avec cette fonction ainsi que les équipements collectifs nécessaires. Les constructions nouvelles ont une hauteur maximum de trois niveaux, y compris les parties dégagées par la pente.
b) Dans le territoire d'agglomération II: ils sont destinés à l'habitat en prédominance; les équipements collectifs et les activités y sont tolérés dans
BGE 138 I 131 S. 134
la mesure où ils sont compatibles avec le voisinage. L'implantation des constructions nouvelles est adaptée à la configuration du sol; leurs volumes ne présentent pas de lignes saillantes dans le paysage. Le site naturel ainsi que l'arborisation en particulier sont prédominants, dans toute la mesure compatible avec la culture de la vigne, par rapport au site construit. Les constructions nouvelles ont une hauteur maximum de deux niveaux, y compris les parties dégagées par la pente. La configuration générale du sol est maintenue. (...)
Art. 34 (nouveau)
Les dispositions et décisions d'application de la présente loi peuvent faire l'objet d'un recours à la Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal qui exerce un libre pouvoir d'examen.
Art. 35 Dispositions transitoires et finales (nouveau)
1
La carte annexée à la loi du 12 février 1979 sur le plan de protection de Lavaux reste en vigueur.
2
Elle sera révisée conformément à la présente loi dans un délai de 5 ans à compter de son acceptation par le peuple.
3
Les terrains non encore construits ne peuvent pas être bâtis jusque là, sauf s'ils font l'objet d'une autorisation donnée par le Département à titre exceptionnel et s'il s'agit de petites extensions ou dépendances.
4
Les procédures de planification en cours sont suspendues jusqu'à l'adoption du plan révisé.
5
Le plan révisé est soumis à la procédure de l'article 73 LATC.
B.
Dans son préavis du mois de décembre 2009 au Grand Conseil, le Conseil d'Etat vaudois proposait de constater la nullité de l'initiative, car elle ne respectait pas le droit supérieur (...).
C.
Par décret du 8 juin 2010, le Grand Conseil vaudois a, contrairement à la proposition du Conseil d'Etat, constaté la validité de l'initiative. Cette décision a fait l'objet de trois recours auprès de la Cour constitutionnelle du Tribunal cantonal du canton de Vaud. (...)
D.
Par arrêt du 16 novembre 2010, la Cour constitutionnelle a admis les recours. Telle que modifiée par l'initiative, la nLLavaux constituait matériellement un plan d'affectation. Or, les intéressés ne disposaient pas du droit de se prononcer, puis de recourir contre les mesures d'aménagement prévues, contrairement à l'
art. 33 LAT
(RS 700). Le recours prévu à l'art. 34 nLLavaux ne concernait que les mesures d'application et non la planification elle-même. Le recours à la Cour constitutionnelle contre la loi ne satisfaisait pas aux exigences de l'
art. 33 al. 2 let. b LAT
, faute d'un pouvoir de libre examen. L'institution d'une zone réservée (art. 35 nLLavaux) se heurtait aux mêmes objections et ne respectait pas le principe de la proportionnalité
BGE 138 I 131 S. 135
puisqu'elle s'appliquait de manière générale. Le manque de contrôle judiciaire violait aussi les
art. 6 CEDH
, 29 al. 2 Cst. et 82 al. 2 LTF. Les art. 18, 19 et 20 nLLavaux empêchaient, par leur caractère schématique, une pesée globale des intérêts pertinents, et ne laissaient pas à l'autorité de planification une liberté d'appréciation suffisante. Amputée de ses dispositions problématiques (soit les art. 4, 18 à 20 et 35 nLLavaux), l'initiative s'en trouverait totalement dénaturée, de sorte qu'elle devait être entièrement invalidée.
E.
Cet arrêt fait l'objet de plusieurs recours en matière de droit public (...) tendant à l'annulation ou à la réforme de l'arrêt de la Cour constitutionnelle et à la validité de l'initiative "Sauver Lavaux". (...)
Le Tribunal fédéral a admis les recours, a annulé l'arrêt attaqué et a confirmé le décret de validation du Grand Conseil.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Les recourants contestent les motifs d'invalidation retenus par la Cour constitutionnelle. Ils reprochent à cette dernière d'avoir méconnu qu'une initiative populaire doit s'interpréter dans le sens le plus favorable à ses auteurs. Ils rappellent que la protection de Lavaux a fait l'objet d'une disposition dans l'ancienne Constitution vaudoise (art. 6
bis
). Celle-ci n'ayant pas été reprise dans la Constitution de 2003, une initiative populaire avait été lancée et largement acceptée afin d'ajouter l'
art. 52a Cst./VD
, lequel pose des principes de protection du site dans les termes suivants:
Art. 52a
1
La région de Lavaux, de la Lutrive à Corsier, est déclarée site protégé.
2
Toute atteinte à sa protection peut être attaquée sur le plan administratif ou judiciaire par ceux qui sont lésés et par les associations de protection de la nature et celles de la protection du patrimoine.
3
La loi d'application respecte strictement le périmètre en vigueur, notamment par le maintien de l'aire viticole et du caractère traditionnel des villages et hameaux.
Selon les recourants, la loi actuelle ne serait pas suffisamment contraignante pour prévenir les nombreux abus, de sorte que la protection actuelle devrait être renforcée. Les recourants contestent ensuite que la nLLavaux, en tant que simple mesure de renforcement de la protection découlant de la loi actuelle, puisse être considérée comme un plan d'affectation auquel s'appliqueraient les exigences de l'
art. 33
BGE 138 I 131 S. 136
LAT
. En l'état, l'initiative ne fait que prévoir des principes qui se trouvent d'ailleurs déjà dans la loi actuelle, sans régir exhaustivement l'utilisation du sol. La carte doit être adaptée par la suite, et l'initiative réserve la planification communale. L'instauration d'une zone réservée - ou d'une mesure de caractère provisionnel - s'expliquerait précisément dans l'attente d'une planification future. Les recourants soutiennent ensuite que la publication de la loi et la possibilité d'un recours à la Cour constitutionnelle permettraient d'assurer une protection juridique suffisante. Les propriétaires concernés pourraient aussi agir lors de l'adoption de la nouvelle carte, ou à l'encontre de décisions d'application.
4.1
Selon l'
art. 14 LAT
, les plans d'affectation règlent le mode d'utilisation du sol (al. 1). Ils délimitent en premier lieu les zones à bâtir, les zones agricoles et les zones à protéger (al. 2). Ils peuvent aussi prévoir d'autres zones d'affectation comme des zones non affectées ou des territoires dont l'affectation est différée (
art. 18 al. 1 et 2 LAT
). Au contraire des plans directeurs qui n'ont force obligatoire que pour les autorités (
art. 9 al. 1 LAT
), les plans d'affectation ont force obligatoire pour chacun (
art. 21 LAT
); ils conditionnent notamment l'octroi des autorisations de construire (
art. 22 al. 1 let. a LAT
).
4.2
L'actuelle LLavaux et la carte annexée n'ont, selon l'art. 4, force obligatoire que pour les autorités. Le "statut juridique de la propriété" est régi par les plans et règlements communaux. Les territoires mentionnés dans la LLavaux et les principes applicables doivent, selon l'art. 7, être transposés dans les plans et règlements communaux. Matériellement, il s'agit donc d'un plan directeur cantonal (
ATF 113 Ib 229
consid. 2b p. 301/302).
L'initiative tend en revanche à rendre "directement applicables" la LLavaux et la carte annexée (art. 4 al. 1 nLLavaux). Ces instruments deviendraient alors obligatoires pour chacun; les plans et règlements cantonaux qui ne s'y conforment pas seraient nuls et aucun permis de construire, de démolir ou de transformer ne pourrait être accordé si le projet ne respecte pas strictement les dispositions de la loi. L'initiative prévoit aussi (art. 35 al. 3 nLLavaux) que les terrains non encore construits ne peuvent être bâtis tant que la carte n'a pas été révisée et crée ainsi une zone réservée, au sens de l'
art. 27 LAT
. Le but poursuivi par l'initiative est ainsi un changement de régime de la LLavaux, laquelle disposerait d'une force obligatoire généralisée et déploierait alors des effets directs sur l'aménagement du secteur concerné.
BGE 138 I 131 S. 137
Sur le vu des mesures suffisamment précises et détaillées qu'elle contient, la modification de la LLavaux proposée par les initiants doit être assimilée matériellement à un plan d'affectation. En effet, comme un plan d'affectation (
art. 14 al. 1 LAT
), elle détermine de façon contraignante le mode, le lieu et la mesure de l'utilisation admissible du sol (cf.
ATF 135 II 328
consid. 2.2 p. 333;
ATF 123 II 91
consid. 1a/aa p. 91; WALDMANN/HÄNNI, Raumplanungsgesetz, 2006, n° 3 ad
art. 14 LAT
; MOOR, in Commentaire de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, 1999, n° 1 ad
art. 14 LAT
et les références citées). Même si la carte annexée à la loi est destinée à être adaptée, selon la procédure prévue à l'art. 73 de la loi du 4 décembre 1985 sur l'aménagement du territoire et les constructions (LATC [RSV 700.11]; art. 35 al. 5 nLLavaux), elle demeure en vigueur (art. 35 al. 1) et est déclarée d'application immédiate (art. 4 al. 1). Par ailleurs, la disposition transitoire de l'art. 35 al. 3 nLLavaux empêche entretemps l'octroi d'autorisations de construire sur les terrains non encore bâtis. La Cour constitutionnelle y voit avec raison la création d'une zone réservée au sens de l'
art. 27 LAT
, ce qui constitue une mesure d'aménagement assimilable à un plan d'affectation puisqu'elle détermine l'utilisation du sol durant une certaine période.
Partant, une telle réglementation est soumise aux exigences de l'
art. 33 LAT
en matière de protection juridique.
5.
Selon l'
art. 33 LAT
, les plans d'affectation sont mis à l'enquête publique (al. 1). Le droit cantonal prévoit au moins une voie de recours contre les décisions et les plans d'affectation fondés sur la LAT (al. 2). Il doit en outre prévoir que la qualité pour recourir est reconnue au moins dans les mêmes limites que pour le recours en matière de droit public au Tribunal fédéral, et qu'une autorité de recours au moins ait un libre pouvoir d'examen (al. 3). Le but de cette disposition est de satisfaire aux exigences des
art. 6 CEDH
et 29a Cst. en garantissant, dans le domaine du droit de l'aménagement du territoire et des constructions, une protection juridique globale (
ATF 135 II 286
consid. 5.3 p. 295). Doivent être mis à l'enquête publique non seulement les plans d'affectation représentés sous forme de carte, mais aussi la réglementation sur les zones et les constructions qui les accompagne.
5.1
Les buts de la mise à l'enquête sont de permettre à chacun de prendre connaissance du projet, de servir de point de départ de la procédure d'opposition et de permettre l'exercice du droit d'être
BGE 138 I 131 S. 138
entendu (
ATF 135 II 286
consid. 5.3 p. 295; AEMISEGGER/HAAG, Commentaire LAT, 2009, n° 25 ad
art. 33 LAT
). L'
art. 33 LAT
ne comportant pas de précision sur ce point, c'est au droit cantonal qu'il appartient d'indiquer les modalités pratiques de la mise à l'enquête. Lorsque l'adoption des plans de zones est du ressort du législateur, la procédure d'opposition peut avoir lieu devant cette autorité qui dispose d'un libre pouvoir d'examen (
ATF 108 Ib 479
consid. 3c p. 484).
5.2
Lorsque le droit cantonal ne l'exclut pas, une mesure concrète d'aménagement du territoire peut être proposée par voie d'initiative populaire (
ATF 123 I 175
; arrêt 1P.387/2006 du 19 septembre 2007 consid. 3.2; MOOR, Commentaire LAT, introduction n° 139; n° 24 ad art. 14 et les références citées à la note 27). Tel est le cas en droit vaudois, la loi du 16 mai 1989 sur l'exercice des droits politiques (LEDP; RSV 160.01) ne posant aucune restriction quant à l'objet du droit d'initiative. Dans un tel cas, une mise à l'enquête préalable n'est pas possible, et l'information au public est celle qui est donnée à la population en vue de la votation, ou celle qui résulte de la publication officielle (lorsque le Grand Conseil approuve le projet, sans référendum; art. 102 LEDP). Le processus législatif et démocratique peut alors tenir lieu de mise à l'enquête. Il est admis en effet que la procédure de recours puisse s'ouvrir après l'adoption de la mesure de planification par l'organe compétent. Dans la mesure où la loi, une fois adoptée, fait l'objet d'une information auprès des intéressés, il est suffisant que ces derniers puissent se défendre pour la première fois devant une autorité de recours, sans avoir eu la possibilité de le faire déjà devant l'autorité de planification (
ATF 114 Ia 233
consid. 2c/cc p. 239; AEMISEGGER/HAAG, op. cit., n° 19 ad
art. 33 LAT
).
5.3
Il n'est pas contesté que la procédure d'adaptation de la carte annexée à la loi, dans le délai fixé à l'art. 35 nLLavaux, satisfait aux exigences de l'
art. 33 LAT
. En effet, selon l'art. 35 al. 5 nLLavaux, cette adaptation doit avoir lieu conformément à l'art. 73 LATC, soit selon la procédure ordinaire d'enquête et d'adoption des plans d'affectation cantonaux.
5.4
Selon la cour cantonale, la violation des garanties de procédure concerne avant tout le régime transitoire résultant d'une part du nouveau régime juridique de la nLLavaux (soit l'application directe et contraignante pour chacun des principes énoncés dans la loi) et, d'autre part, de la création d'une zone réservée au sens de l'
art. 27 LAT
, dans le délai d'adaptation de la carte. L'initiative ne prévoit, en effet, aucune protection juridique à l'encontre de ces différentes
BGE 138 I 131 S. 139
mesures; l'instauration d'une zone réservée immédiatement applicable n'est pas soumise à la procédure applicable aux plans d'affectation, comme le prévoit l'art. 73 al. 5 LATC. Sur ce point, la nLLavaux constitue une lex specialis par rapport à cette dernière disposition.
L'argument principal à l'encontre de l'initiative tient donc à l'impossibilité d'exercer un droit de recours contre la loi elle-même (en particulier les mesures prévues à ses art. 4 et 35), auprès d'une autorité disposant d'un libre pouvoir d'examen. Les parties s'accordent à considérer que l'art. 34 nLLavaux, qui permet de recourir auprès de la Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal, ne se rapporte qu'aux mesures d'application et non à la loi elle-même.
5.4.1
Selon l'art. 3 de la loi du 5 octobre 2004 sur la juridiction constitutionnelle (LJC; RSV 173.32), la juridiction constitutionnelle statue sur la conformité au droit des lois et décrets du Grand Conseil, par le biais de requêtes formées dans les vingt jours dès la publication officielle de l'acte attaqué (cf.
art. 136 al. 1 let. a Cst./VD
). Comme le relève la Cour constitutionnelle, les art. 8 et 13 LJC limitent le pouvoir d'examen aux griefs invoqués, sauf en cas de violation manifeste du droit supérieur. Il est vrai également qu'en vertu de l'art. 4 LJC, sont soustraits au contrôle de conformité les plans d'affectation cantonaux et communaux, les règlements qui les accompagnent, de même que les décisions assimilées à des plans d'affectation cantonaux et communaux en vertu de la loi qui leur est applicable.
5.4.2
L'autorité judiciaire cantonale de recours ordinaire en matière de plans d'affectation est la Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal vaudois (art. 60 LATC). Celle-ci doit être saisie dans les trente jours qui suivent la notification de l'acte attaqué (art. 95 de la loi vaudoise du 28 octobre 2008 sur la procédure administrative [LPA/VD; RSV 173.36]). C'est d'ailleurs cette juridiction qui est chargée, selon l'art. 34 nLLavaux, de statuer sur les recours dirigés contre les "dispositions et décisions d'application" de la loi. Le droit cantonal ne prévoit toutefois pas de recours auprès de cette autorité à l'encontre d'une loi cantonale portant sur un plan d'affectation et adoptée selon la procédure de l'initiative législative. Cela semble exclure tout recours qui serait dirigé directement contre la nouvelle loi.
5.4.3
S'il devait en résulter un défaut de protection juridique, cela ne serait toutefois pas le fait de l'initiative elle-même, mais des dispositions du droit cantonal de procédure qui se révèlent inadaptées lorsqu'une mesure d'aménagement n'est pas adoptée selon la
BGE 138 I 131 S. 140
procédure ordinaire, mais en vertu d'une initiative populaire. Or, l'
art. 33 LAT
s'applique de manière directe et autonome dans la procédure cantonale, sans qu'il soit besoin d'adopter une législation cantonale d'exécution (
ATF 111 Ib 13
consid. 3b p. 15; AEMISEGGER/HAAG, op. cit., n
os
5-6 ad
art. 33 LAT
). Les cantons doivent certes prévoir les dispositions d'organisation judiciaire et de procédure nécessaires, mais en tant que norme de droit fédéral d'application directe, l'
art. 33 LAT
doit primer sur les dispositions contraires - ou lacunaires - du droit cantonal (WALDMANN/HÄNNI, Raumplanungsgesetz, 2006, n° 3 ad
art. 33 LAT
).
5.4.4
Il appartiendra dès lors aux autorités cantonales d'assurer une protection juridique suffisante en désignant quelle juridiction cantonale sera compétente pour statuer sur les recours qui pourront être formés directement après l'adoption de la nLLavaux, et les traiter avec un plein pouvoir d'examen comme l'exige l'
art. 33 al. 2 LAT
. La juridiction saisie devra en outre tenir compte des principes constitutionnels déduits des
art. 9 et 29 al. 1 Cst.
, ainsi que du principe de coordination (
art. 25a LAT
), qui nécessite notamment l'intervention d'une instance cantonale avant le Tribunal fédéral (cf.
art. 86 al. 2 LTF
;
ATF 123 II 231
concernant l'ancien
art. 98a OJ
).
Le silence du texte de l'initiative sur la protection judiciaire ne saurait, par conséquent, constituer un motif d'invalidation. Les objections tirées du droit d'être entendu (
art. 29 al. 2 Cst.
et 6 CEDH) doivent être rejetées dans la même mesure.
6.
La cour cantonale considère également que les art. 18 à 20 nLLavaux auraient un caractère "détaillé et schématique" qui empêcherait l'autorité de planification d'effectuer la pesée d'intérêts exigée par l'
art. 3 LAT
. Cette objection ne résiste pas non plus à l'examen.
6.1
La cour cantonale admet avec raison qu'il est possible au regard de l'
art. 15 LAT
de déclarer inconstructible une partie de la zone à bâtir existante, pour des motifs tenant notamment à la protection du paysage. Rien n'empêche par ailleurs l'autorité cantonale de planification de déterminer elle-même les intérêts publics prépondérants qui doivent présider à l'élaboration des plans d'affectation. Or, la volonté des initiants est de faire prévaloir un objectif de protection générale de l'ensemble du site de Lavaux, ce qui est conforme au principe d'aménagement prévu à l'
art. 3 al. 2 LAT
. Si, dans certains cas particuliers, l'interdiction générale de bâtir qui découle de l'art. 35 al. 3 nLLavaux devait apparaître contraire à certains principes
BGE 138 I 131 S. 141
d'aménagement, les personnes concernées disposeront, comme cela est relevé ci-dessus, d'occasions suffisantes pour faire valoir leurs objections dans le cadre de la protection juridique imposée par l'
art. 33 LAT
.
6.2
L'institution d'une zone réservée, selon l'art. 35 al. 3 nLLavaux, ne viole pas non plus le droit fédéral. La période prévue, de cinq ans (art. 35 al. 2 nLLavaux), est en effet conforme à ce qu'autorise l'
art. 27 al. 1 LAT
. La cour cantonale s'interroge certes sur les conséquences d'un dépassement de ce délai, mais s'il devait en résulter une situation non conforme au droit fédéral, cela ne serait pas le fait de l'initiative elle-même.
Il est vrai que la zone concernée par le moratoire est d'une étendue considérable puisqu'elle couvre le territoire de plusieurs communes. Les conditions posées à l'
art. 27 LAT
n'en sont pas moins réalisées. En effet, l'instauration d'une zone de planification suppose réunies trois conditions matérielles, soit une intention de modifier la planification (qui fait en l'occurrence l'objet même de l'initiative), une délimitation exacte des territoires concernés (en l'espèce clairement définis par la carte actuelle) et le respect du principe de la proportionnalité: la délimitation des zones concernées ne doit pas aller au-delà de ce qui est nécessaire au maintien d'une situation en vue de la nouvelle planification. Ce principe est respecté dès lors que la zone réservée couvre l'ensemble du territoire concerné par la future carte (RUCH, in Commentaire LAT, 2009, n° 30 ad
art. 27 LAT
). L'art. 35 al. 3 nLLavaux permet d'ailleurs certaines exceptions, limitées aux petites extensions et dépendances, afin d'atténuer la rigueur de la disposition.
L'instauration d'une zone réservée ne saurait dès lors être considérée en soi comme disproportionnée, et la protection juridique imposée par l'
art. 33 LAT
doit, sur ce point également, permettre aux personnes qui estiment subir une atteinte excessive, de faire valoir leurs objections.
7.
Les intimés se prévalent de l'autonomie communale garantie à l'
art. 139 Cst./VD
. Ce grief n'a pas été examiné par la cour cantonale, et doit donc l'être à ce stade. Alors que la loi actuelle charge les communes d'élaborer les plans d'affectation, l'initiative empêcherait de prévoir des nouvelles constructions dans les zones de village et hameaux et de centres anciens de bourgs, et ne laisserait aux communes que la possibilité d'adopter des dispositions plus restrictives.
BGE 138 I 131 S. 142
7.1
L'
art. 50 al. 1 Cst.
dispose que l'autonomie communale est garantie dans les limites fixées par le droit cantonal. Selon la jurisprudence, une commune bénéficie de la protection de son autonomie dans les domaines que le droit cantonal ne règle pas de manière exhaustive, en lui laissant une liberté de décision relativement importante. L'existence et l'étendue de l'autonomie communale dans une matière concrète sont déterminées essentiellement par la constitution et la législation cantonales (
ATF 128 I 3
consid. 2a p. 8;
ATF 124 I 223
consid. 2b p. 226 et 227 et les arrêts cités).
Selon l'
art. 138 al. 1 Cst./VD
, les communes assument, outre les tâches propres qu'elles accomplissent volontairement, celles que la loi ou la Constitution leur attribuent. Selon l'
art. 139 Cst./VD
, les communes vaudoises disposent d'autonomie en particulier dans la gestion du domaine public et du patrimoine communal (let. a) et en matière d'aménagement local du territoire (let. d).
7.2
Sur le territoire concerné par la LLavaux, les compétences communales en matière d'aménagement sont déjà fortement restreintes. Selon l'
art. 52 al. 2 Cst./VD
, les zones et régions protégées sont définies par la loi. La LLavaux et la carte actuelles - qui équivalent à un plan directeur régional, ordinairement de la compétence des communes intéressées selon l'art. 42 LATC - sont contraignantes pour les autorités, et les communes doivent déjà obligatoirement transposer dans leurs plans et règlements les principes fixés dans la loi (art. 4, 6 à 8 LLavaux). Au demeurant, dans la mesure où l'autonomie communale est définie et précisée par la législation cantonale, celle-ci peut retirer aux communes une compétence spécifique, sans que cela ne viole l'autonomie constitutionnellement reconnue aux communes (arrêt P.741/1985 du 17 décembre 1986 consid. 2, in Jurisprudence administrative bernoise [JAB] 1987 p. 165). L'art. 45 LATC prévoit d'ailleurs expressément que l'Etat peut adopter des plans d'affectation cantonaux lorsqu'il s'agit, comme en l'espèce, de protéger les paysages, les sites, les rives de lacs ou de cours d'eau ou les ensembles méritant protection. Les communes disposent dans ce cadre d'un droit d'être entendues, puis de former opposition (art. 73 al. 1 LATC) et, le cas échéant, de recourir en invoquant leur autonomie. Dans ces conditions, l'initiative ne viole pas l'autonomie communale. | public_law | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b6928ecd-8014-436e-86e2-d8610502538e | Urteilskopf
85 IV 169
45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Oktober 1959 i.S. Freivogel gegen Staatsanwaltschaft des Seelandes. | Regeste
Art. 70, 73 StGB
.
Im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten lebt die Verfolgungsverjährung nicht wieder auf, sondern es läuft die Vollstreckungsverjährung weiter, auch wenn das frühere Urteil bereits durch den Wiederaufnahmeentscheid aufgehoben wird. | Sachverhalt
ab Seite 169
BGE 85 IV 169 S. 169
Am 1. Oktober 1948 verurteilte das Geschwornengericht des Seelandes Freivogel wegen Raubes und Nötigung, begangen am 22. Juni 1943, zu sechs Jahren Zuchthaus und zu fünf Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
Am 8. April 1957 hiess der Kassationshof des Kantons Bern das Revisionsgesuch des Verurteilten gut, hob das Urteil vom 1. Oktober 1948 auf und wies die Sache zu neuer Beurteilung an das Geschwornengericht des IV. Bezirkes des Kantons Bern.
Dieses verurteilte Freivogel am 11. April 1959 wiederum wegen Raubes und Nötigung zu sechs Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung der ausgestandenen Strafe, und zu fünf Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
BGE 85 IV 169 S. 170
Der Verurteilte macht mit der Nichtigkeitsbeschwerde geltend, das Verfahren hätte wegen Verjährung eingestellt werden müssen.
Erwägungen
Erwägungen:
Die Verfolgung des Raubes (
Art. 139 StGB
), den der Beschwerdeführer am 22. Juni 1943 begangen hat, verjährt ungeachtet der Unterbrechungen nach Ablauf von 15 Jahren (
Art. 70 und
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
). Träfe die Behauptung des Beschwerdeführers zu, dass die Frist ununterbrochen gelaufen sei, so wäre die absolute Verjährung am 22. Juni 1958, also in einem Zeitpunkt eingetreten, als das angefochtene Urteil vom 11. April 1959 noch nicht ergangen war. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Urteil des Geschwornengerichtes vom 1. Oktober 1948 ist, was aus dem sofortigen Antritt der Strafe hervorgeht, mit der Ausfällung vollstreckbar geworden. Nach der Rechtsprechung, die nicht bestritten wird, hörte an diesem Tage die Verfolgungsverjährung auf, und es begann die Vollstreckungsverjährung zu laufen, da die beiden Verjährungen nicht gleichzeitig nebeneinander laufen können (
BGE 72 IV 107
;
BGE 73 IV 14
). Fragen kann sich daher nur, ob mit dem Entscheid des bernischen Kassationshofes vom 8. April 1957, durch den in Gutheissung des Wiederaufnahmegesuches des Beschwerdeführers das Urteil vom 1. Oktober 1948 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an das Geschwornengericht zurückgewiesen wurde, die Verfolgungsverjährung wieder zu laufen begonnen hat, d.h. ob sie zwischen Ausfällung und Aufhebung des früheren Urteils bloss ruhte, wie die Vorinstanz annimmt, oder ob trotz der Aufhebung des Urteils die Vollstreckungsverjährung weiterlief.
Das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten verfolgt den Zweck, das frühere Urteil, sofern ihm ein Justizirrtum zugrundeliegt, rückwirkend zu beseitigen und den zu Unrecht Verurteilten freizusprechen oder milder zu bestrafen. Würde die Verfolgungsverjährung im Revisionsverfahren
BGE 85 IV 169 S. 171
wieder aufleben, so wäre jedes Mal, wenn nach Aufhebung des Sachurteils während des wiederaufgenommenen Verfahrens die Verjährung einträte, die Berichtigung des objektiven und subjektiven Tatbestandes, auf dem die Verurteilung beruhte, und die Ausfällung eines neuen Sachurteils ausgeschlossen. Es bliebe somit dem zu Unrecht Verurteilten die Verwirklichung des gesetzlichen Anspruches auf Wiedergutmachung (
Art. 397 StGB
) für immer verwehrt oder jedenfalls nicht mehr von Bundesrechts wegen gewährleistet. Denn die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung böte ihm hiefür keinen gleichwertigen Ersatz. Die Revision zugunsten des Verurteilten, soll sie ihre Aufgabe in allen Fällen gleichermassen erfüllen, setzt demnach voraus, dass das wiederaufgenommene Verfahren ohne Rücksicht auf den Zeitablauf zu Ende geführt werden kann. Es wäre auch ein Widerspruch, wenn die Verjährungsbestimmung, die gerade im Interesse des Angeklagten aufgestellt wurde, im Revisionsverfahren sich zu seinen Ungunsten auswirken könnte. Dass die Verjährung auch dann nicht eintreten kann, wenn das wiederaufgenommene Verfahren erneut zu einer Verurteilung führt, ist nicht unbillig. Das Rechtsmittel der Revision gibt dem Verurteilten nur Anspruch auf Feststellung, ob das verurteilende Erkenntnis materiell unrichtig sei, und zutreffendenfalls auf Ausfällung eines Urteils, dem der berichtigte oder ergänzte Tatbestand zugrundeliegt, nicht aber darauf, dass ein neues Sachurteil wegen Zeitablaufes unterbleibe. Die dargelegte Auffassung, welche mit der herrschenden Lehrmeinung übereinstimmt (CLERC, ZStR 61, 245, 69, 198; PFENNINGER, ZStR 70, 59, WAIBLINGER, ZStR 75, 393), hat überdies den Vorteil, dass es nicht darauf ankommt, ob das frühere Urteil je nach kantonalem Prozessrecht bereits im Wiederaufnahmeentscheid aufgehoben wird oder ob es bis zur Neubeurteilung im wiederaufgenommenen Verfahren in Rechtskraft bleibt. Da im einen wie im andern Falle die Vollstreckungsverjährung weiterläuft und deren Eintritt die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht hindert
BGE 85 IV 169 S. 172
(
BGE 69 IV 137
), hat der Revisionsrichter im neuen Urteil allenfalls lediglich festzustellen, dass die an Stelle der früheren getretene neue Strafe wegen Verjährung nicht mehr vollstreckbar ist.
Im Gegensatz zur revisio in favorem bezweckt das Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten des Beschuldigten die Verurteilung eines Freigesprochenen oder die Ausfällung einer strengeren Strafe an Stelle der früher ausgesprochenen. Der Ausschluss der Verfolgungsverjährung würde sich in diesem Falle zum Nachteil des Angeklagten auswirken und einseitig das Interesse des Staates an der Weiterverfolgung einer irrtümlich nicht oder nur ungenügend gesühnten Tat begünstigen. Ein solches Ergebnis, das dem Sinn der Verjährung widerspräche, wäre stossend. Es ist auch schwer zu ersehen, warum dem Zeitablauf in diesem Verfahren nicht sollte Rechnung getragen werden können. Der Auffassung, dass ein Hinderungsgrund im früheren Sachurteil liege, durch welches die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten rechtskräftig festgestellt und damit die Strafverfolgung endgültig abgeschlossen worden sei (WAIBLINGER, ZStR 75, 399), könnte jedenfalls kaum beigepflichtet werden. So wenig die Verbindlichkeit rechtskräftiger Entscheidungen eine absolute ist, solange sie durch andere ausserordentliche Rechtsmittel beseitigt werden kann (
BGE 85 II 147
), ebenso wird auch die Strafverfolgung durch ein rechtskräftiges Strafurteil, das durch Revision angefochten werden kann, nicht endgültig abgeschlossen; der Abschluss erfolgt vielmehr unter dem Vorbehalt, dass das Verfahren nicht auf dem Wege der Revision wieder aufgenommen wird. Zur Frage der Verjährung im Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten des Beschuldigten, insbesondere zu derjenigen, wie die Fristen zu berechnen wären, braucht indessen nicht abschliessend Stellung genommen zu werden, da sich im vorliegenden Falle eine Entscheidung erübrigt. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b699430b-f7c8-4aeb-a0e6-6954350914fa | Urteilskopf
106 V 230
52. Auszug aus dem Urteil vom 14. November 1980 i.S. Imboden gegen Städtische Arbeitslosenkasse Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 29 Abs. 1 AlVV
ist gesetzmässig (Erw. 2).
Art. 17 Abs. 1 AlVV
. Beginn der Sonderkarenzfrist bei Hochschulabsolventen (Erw. 3).
Art. 38 Abs. 2 AlVV
ist weder gesetz- noch verfassungswidrig (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 106 V 230 S. 230
Beat Imboden, geboren 1952, schloss am 23. Oktober 1978 die Prüfungen für die Erlangung des bernischen Fürsprecherpatentes ab und erhielt am 25. Oktober 1978 durch schriftliche Mitteilung der Prüfungskommission Kenntnis von den Ergebnissen. Am 24. November 1978 wurde er als Fürsprecher patentiert, nachdem er am gleichen Tag den im Prüfungsreglement vorgesehenen Probevortrag gehalten hatte.
Vom 1. November 1978 an besuchte Beat Imboden die Stempelkontrolle und machte mit Gesuch vom 2. November 1978 "ab sofort" einen Taggeldanspruch geltend. Mit Verfügung vom 11. Dezember 1978 stellte die Städtische Arbeitslosenkasse Bern fest, Beat Imboden sei "ab Patentierung zum bernischen Fürsprecher am 24. November 1978, nach Bestehen von 25 Sonderkarenztagen, anspruchsberechtigt". Ferner entschied
BGE 106 V 230 S. 231
die Arbeitslosenkasse Bern mit Verfügung vom 25. Mai 1979, dass sich das Taggeld nach einem Tagesverdienst von Fr. 80.-- bemesse und demnach Fr. 52.-- betrage.
Gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 1. November 1979, womit die Beschwerden Beat Imbodens abgewiesen wurden, erhebt dieser Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 17 Abs. 1 AlVV
sind unter anderem Personen, die nach einer beruflichen Ausbildung an einer Schule keine zumutbare Beschäftigung als Arbeitnehmer finden, für die Dauer von höchstens einem Jahr seit Abschluss der Ausbildung vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung befreit, sofern sie sich der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung stellen. Laut
Art. 29 Abs. 1 AlVV
haben sie vor dem erstmaligen Bezug von Arbeitslosenentschädigung 25 Sonderkarenztage zu bestehen.
2.
a) Der Beschwerdeführer bestreitet, dass ihm gestützt auf Art. 29 Abs. 1 AlVV 25 Sonderkarenztage hätten auferlegt werden dürfen. Dabei macht er nicht etwa geltend, die in diesem Artikel genannten Voraussetzungen für die Auferlegung der streitigen Karenztage seien nicht erfüllt gewesen. Vielmehr behauptet er, die betreffende Bestimmung entbehre der gesetzlichen Grundlage.
Die gesetzliche Grundlage für
Art. 29 Abs. 1 AlVV
erblickt die Vorinstanz in Art. 9 Abs. 5 AlVB. Danach kann der Bundesrat Personengruppen, die aus besonderen Gründen den Nachweis der ausreichenden beitragspflichtigen Beschäftigung nicht erbringen können, unter bestimmten Voraussetzungen davon befreien. Der Beschwerdeführer wendet dagegen im wesentlichen ein, die Formulierung "unter bestimmten Voraussetzungen" bedeute nicht, dass den fraglichen Personengruppen z.B. eine Sonderkarenzfrist auferlegt werden könne; vielmehr sei gemeint, dass nur ganz bestimmten Personengruppen der betreffende Nachweis erlassen werde, so z.B. Personengruppen, welche die Voraussetzungen des
Art. 17 AlVV
erfüllten, indem sie wie er das Studium abgeschlossen hätten. Wie Art. 9 Abs. 5 AlVB auszulegen ist und ob diese Bestimmung allenfalls die gesetzliche Grundlage für
Art. 29 Abs. 1 AlVV
BGE 106 V 230 S. 232
bildet, kann indessen aus den nachfolgenden Gründen offen bleiben.
Art. 36 Abs. 2 AlVG
(in Verbindung mit
Art. 62 AlVG
) ermächtigt den Bundesrat, die Anspruchsberechtigung für Versicherte, bei denen besondere Verhältnisse vorliegen, durch Verordnung abweichend vom Gesetz zu regeln, wobei in einem nicht abschliessenden Katalog als Beispiele einige Personengruppen aufgezählt werden. Der Beschwerdeführer behauptet, die in dieser Bestimmung erwähnten Personengruppen (Grenzgänger, Heimarbeiter, mit Provisionen oder Bedienungsgeldern entlöhnte Arbeitnehmer, Bezüger von Renten oder Taggeldern wegen Unfall oder Krankheit) zeigten, "dass es sich hier um etwas völlig anderes" handle; im übrigen "wäre auch diese Kompetenzbestimmung zu unbestimmt, um gestützt darauf in einer Vollziehungsverordnung (und erst recht in einer gesetzesvertretenden Verordnung)
Art. 29 Abs. 1 AlVV
zu erlassen". Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Der Gesetzgeber hat dem Bundesrat in
Art. 36 Abs. 2 AlVG
einen weiten Ermessensbereich eingeräumt, um die Anspruchsberechtigung von Versicherten zu regeln, bei denen besondere Verhältnisse vorliegen. Die Einführung von Sonderkarenztagen beschlägt zweifellos die Anspruchsberechtigung der Versicherten. Ebenso liegen bei Versicherten, die unter
Art. 29 Abs. 1 AlVV
fallen, besondere Verhältnisse insofern vor, als sie einen Nachweis der von den andern Versicherten verlangten beitragspflichtigen Beschäftigung als Anspruchsvoraussetzung zum vornherein ausschliessen. Zutreffend ist zwar, dass der Gesetzgeber in
Art. 26 AlVG
selbst über Karenztage legiferiert hat. Daraus kann jedoch - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - nicht geschlossen werden, er habe sich damit die Regelung von Karenztagen generell vorbehalten. Vielmehr hat er damit den "Normalfall" geordnet, während er die Regelung von Sonderfällen in
Art. 36 Abs. 2 AlVG
dem Bundesrat überliess.
b) Der Beschwerdeführer bringt des weitem vor,
Art. 29 Abs. 1 AlVV
verstosse gegen das Rechtsgleichheitsprinzip und das Willkürverbot des
Art. 4 BV
, indem er zwar Studienabschliessenden 25 Karenztage auferlege, nicht aber den ihnen vergleichbaren Lehrlingen, die bei Arbeitslosigkeit bereits nach einem Karenztag Taggelder der Arbeitslosenversicherung beziehen könnten.
BGE 106 V 230 S. 233
Bezüglich der Überprüfung umstrittener Verordnungsnormen hat das Bundesgericht in
BGE 104 Ib 209
Erw. 3b folgendes ausgeführt:
"Wenn die Delegationsnorm relativ unbestimmt ist und damit dem Bundesrat
zwangsläufig ein grosser Bereich gesetzgeberischen Ermessens eingeräumt
wird, muss das Bundesgericht sich auf die Prüfung beschränken, ob die
umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem
Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern
Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Er kann jedoch sein eigenes
Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und hat auch
nicht zu untersuchen, ob die vorgesehenen Massnahmen wirtschaftlich
zweckmässig sind oder nicht. Für die Zweckmässigkeit der angeordneten
Massnahmen zur Erreichung des gesetzes- oder verfassungsrechtlich
bestimmten Zieles trägt der Bundesrat die Verantwortung, nicht das
Bundesgericht. Die von ihm verordnete Regelung verstösst allerdings dann
gegen
Art. 4 BV
, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt,
wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen
trifft, für die sich ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen
Verhältnissen nicht finden lässt (
BGE 103 Ib 140
,
BGE 101 Ib 145
,
BGE 100 Ib 312
f., 99 Ib 169).
Gleiches gilt, wenn eine Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu
treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen."
Somit ist zu prüfen, ob
Art. 29 Abs. 1 AlVV
sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, ob er sinn- oder zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht finden lässt. Unter diesem Gesichtspunkt ist folgendes von Bedeutung: Ohne Sonderkarenztage würde der unter
Art. 29 Abs. 1 AlVV
fallende Personenkreis insgesamt besser gestellt als die übrigen Versicherten (Lehrlinge eingeschlossen), deren Anspruchsberechtigung vom Nachweis einer ausreichenden beitragspflichtigen Beschäftigung abhängt. Eine solche Bevorzugung wollte der Verordnungsgeber vermeiden, indem er anordnete, dass der fragliche Personenkreis vor dem erstmaligen Bezug von Arbeitslosenentschädigung 25 Karenztage zu bestehen hat. Demnach stellen die 25 Karenztage gemäss
Art. 29 Abs. 1 AlVV
für die betreffenden Versicherten das Gegenstück zu dem von den übrigen Versicherten verlangten Beschäftigungsnachweis dar. Es kann deshalb nicht gesagt werden,
Art. 29 Abs. 1 AlVV
widerspreche
Art. 4 BV
im Sinne der zitierten Rechtsprechung. Die Vorinstanz ging daher zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer 25 Karenztage zu bestehen hat.
BGE 106 V 230 S. 234
3.
Streitig ist sodann, von welchem Tag an die vom Beschwerdeführer zu bestehenden Sonderkarenztage anzurechnen sind. Verwaltung und Vorinstanz halten dafür, dass auf das Datum der Patentierung des Beschwerdeführers zum bernischen Fürsprecher (24. November 1978) abzustellen sei. Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, die Sonderkarenztage seien vom Tag nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse (26. Oktober 1978) bzw. eventuell vom erstmaligen Besuch der Stempelkontrolle (1. November 1978) an zu berechnen.
a) Nach
Art. 17 Abs. 1 AlVV
ist für den Beginn der Befreiung vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung der "Schulaustritt oder Abschluss bzw. Abbruch der Ausbildung" massgebend. Dieser Zeitpunkt ist auch das frühestmögliche Datum, von welchem an Sonderkarenztage bestanden werden können. Eine Vorverlegung des Beginns würde dazu führen, dass die Sonderkarenztage bei Schulaustritt bzw. Abschluss oder Abbruch der Ausbildung bereits zurückgelegt wären, womit
Art. 29 Abs. 1 AlVV
praktisch gegenstandslos würde. Im vorliegenden Fall ist denn auch nicht dieser Punkt umstritten, sondern die Frage, wann die Ausbildung des Beschwerdeführers abgeschlossen war.
b) Im Urteil vom 25. Oktober 1976 i.S. Grüninger hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass als Studienabschluss der Zeitpunkt gilt, in welchem der Student davon Kenntnis erhält, dass er die Schlussprüfung mit Erfolg bestanden hat (ARV 1977 Nr. 5 S. 26). Daran ist festzuhalten. Vorliegend geht aus den Akten hervor, dass der Beschwerdeführer die Prüfungen für das Fürsprecherpatent am 23. Oktober 1978 abschloss und die Mitteilung über das Prüfungsresultat am 25. Oktober 1978 erhielt. Fraglich ist jedoch, ob er mit diesem Datum Kenntnis davon erhielt, dass er auch die "Schlussprüfung" im Sinne des vorerwähnten Urteils bestanden hatte. Das Reglement über die Berner Fürsprecherprüfungen enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
"§ 19. Der Kandidat wird unter Vorbehalt des Probevortrages zur
Patentierung empfohlen, wenn er 45 Punkte erreicht hat und nicht in 4
Fächern als ungenügend (Noten 0, 1, 2) befunden worden ist.
§ 20. Aufgrund des Prüfungsergebnisses und nach Anhörung des mündlichen
Vortrages beschliesst das Obergericht über die Erteilung des Patentes.
BGE 106 V 230 S. 235
Ist der Probevortrag ungenügend, so kann das Obergericht einen neuen
Probevortrag anordnen; wird dieser wiederum als ungenügend befunden, so
kann der Bewerber abgewiesen werden."
Neben dem Erreichen einer bestimmten Punktezahl in den Prüfungen ist demnach für die Patentierung erforderlich, dass das Obergericht den Probevortrag des Kandidaten als genügend erachtet. Diesen Vortrag hielt der Beschwerdeführer unbestrittenermassen am 24. November 1978, worauf er am gleichen Tag sein Patent erhielt. Die Vorinstanz nahm deshalb an, der Beschwerdeführer habe vom erfolgreichen Bestehen des Schlussexamens am 24. November 1978 Kenntnis erhalten und die Karenztage daher erst von diesem Tag an bestehen können. Der Beschwerdeführer behauptet demgegenüber, der Probevortrag bedeute eine reine Formalität, weshalb der 25. Oktober 1978 als Tag zu betrachten sei, an dem er vom erfolgreich bestandenen Schlussexamen Kenntnis erhalten habe. Dieser Betrachtungsweise kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hielt sich an den unmissverständlichen Wortlaut des Prüfungsreglementes; ihr Entscheid lässt sich daher auch in diesem Punkt nicht beanstanden.
4.
... (Vertrauensschutz verneint.)
5.
Schliesslich verlangt der Beschwerdeführer, das ihm zustehende Taggeld sei für die ganze Dauer seiner Bezugsberechtigung auf einem höheren Tagesverdienst als Fr. 80.-- festzusetzen. Dabei behauptet er nicht etwa, dass er nicht unter den von Verwaltung und Vorinstanz angewendeten
Art. 38 Abs. 2 AlVV
falle; vielmehr wendet er ein, diese Bestimmung sei gesetz- und verfassungswidrig, soweit darin festgelegt wird, dass das Taggeld der Absolventen von Hochschulen, Lehrerseminarien, höheren technischen Lehranstalten, Techniken, Fachschulen und ähnlichen Lehranstalten, die nach einer mindestens einjährigen Ausbildung einen beruflichen Abschluss vermitteln, höchstens nach einem Tagesverdienst von Fr. 80.-- zu bemessen ist.
a) Als gesetzliche Grundlagen des
Art. 38 Abs. 2 AlVV
betrachtet die Vorinstanz
Art. 36 Abs. 2 AlVG
sowie Art. 12 Abs. 2 AlVB, und zwar mit Recht. Nach
Art. 36 Abs. 2 AlVG
kann die Bemessung der Arbeitslosenentschädigung für Versicherte, bei denen besondere Verhältnisse vorliegen, durch Verordnung abweichend geregelt werden. Dass bei den vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung befreiten Versicherten
BGE 106 V 230 S. 236
besondere Verhältnisse im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, wurde bereits in Erw. 2a hievor festgehalten. Art. 12 Abs. 2 AlVB sodann ermächtigt den Bundesrat, die Bemessungsgrundlagen für Personen zu bestimmen, die nach Art. 9 Abs. 5 AlVB bezugsberechtigt sind, also für die vom Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung befreiten Personen. Durch die beiden Bestimmungen (
Art. 36 Abs. 2 AlVG
und Art. 12 Abs. 2 AlVB) wurde dem Bundesrat eine weit gefasste Verordnungskompetenz eingeräumt, innerhalb welcher er sich beim Erlass des
Art. 38 Abs. 2 AlVV
gehalten hat.
b) Die Verfassungswidrigkeit des
Art. 38 Abs. 2 AlVV
besteht nach Meinung des Beschwerdeführers darin, dass bei den dort genannten Absolventen für die Bemessung des Taggeldes von einem Tageseinkommen von höchstens Fr. 80.-- ausgegangen wird, während nach Lehrabschluss eine derartige Obergrenze nicht vorgesehen ist (
Art. 38 Abs. 1 AlVV
). Bezüglich der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über Gesetz- und Verfassungsmässigkeit bundesrätlicher Verordnungen und deren Überprüfung kann auf die Erw. 2b hievor verwiesen werden. Die Begründung einer frankenmässigen Obergrenze für die Bemessung der Taggelder in
Art. 38 Abs. 2 AlVV
liegt darin, dass für den betreffenden Personenkreis aufgrund aller in Betracht fallenden Umstände eine Begrenzung des Taggeldansatzes als sozialpolitisch vertretbar und im Sinne des Versicherungsprinzipes, d.h. zur Vermeidung eines allzu krassen Missverhältnisses zwischen den vom Leistungsansprecher bezahlten Beiträgen und den Taggeldbezügern, angezeigt ist. Bei den Versicherten mit Lehrabschluss ist eine derartige Massnahme allein schon deshalb nicht nötig, weil die Anfangslöhne erfahrungsgemäss wesentlich homogener sind und auch niedriger liegen, als dies zum Beispiel bei gewissen Hochschulabsolventen der Fall ist. Daher kann die in
Art. 38 Abs. 2 AlVV
festgelegte frankenmässige Obergrenze nach der dem Eidg. Versicherungsgericht zustehenden Überprüfungsbefugnis nicht als verfassungswidrig betrachtet werden. Die Einwendungen des Beschwerdeführers vermögen hieran nichts zu ändern.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b69dd2ac-ec36-4eae-8719-d79ab0083577 | Urteilskopf
84 III 46
14. Arrêt du 7 février 1958 dans la cause E. SA | Regeste
Register der Eigentumsvorbehalte. Eintragung auf einseitiges Begehren. Voraussetzungen.
Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 VEE. | Sachverhalt
ab Seite 46
BGE 84 III 46 S. 46
A.-
Le 30 mars 1957, la société anonyme E. a vendu à S. une voiture automobile pour le prix de 20 760 fr., payable comptant au moment de la livraison. Le contrat contenait, écrite en très petits caractères, la clause imprimée suivante:
"Si, pour une raison particulière, une voiture est livrée avant d'être entièrement payée, elle reste la propriété du vendeur jusqu'à complet paiement. (L'acheteur se déclare d'accord avec l'inscription au registre du droit de propriété en faveur du vendeur.)"
Le 16 décembre 1957, la société a requis l'Office des poursuites de Genève d'inscrire en sa faveur une réserve de propriété sur la voiture vendue. L'office n'a procédé qu'à une inscription provisoire, en informant la requérante qu'il l'annulerait à l'expiration du délai de plainte.
B.-
La société a porté plainte contre cette mesure, en concluant à ce que l'inscription soit opérée de façon définitive. Le 9 janvier 1958, elle a précisé que S. lui devait encore 7760 fr.
BGE 84 III 46 S. 47
Par décision du 17 janvier 1958, l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a rejeté la plainte. Elle a considéré que la société n'avait prouvé ni la livraison de la voiture ni la dette de l'acheteur.
C.-
La plaignante défère la cause au Tribunal fédéral. Elle joint à son recours une lettre de change acceptée par l'acheteur et une déclaration de son vendeur M.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les nouveaux documents produits par la recourante auraient pu être présentés dans la procédure cantonale. Le Tribunal fédéral n'en peut donc tenir compte (art. 79 al. 1 OJ) et doit fonder sa décision uniquement sur les faits constatés par la juridiction cantonale (art. 63 al. 2 et 81 OJ).
2.
Selon l'art. 4 al. 4 OIPR, une réserve de propriété ne peut être inscrite à la suite d'une réquisition unilatérale que si cette dernière est accompagnée d'une déclaration de l'autre partie constatant son accord sur toutes les données nécessaires à l'inscription.
En premier lieu, cet accord doit porter sur la constitution même de la réserve de propriété. On peut se demander, en l'espèce, s'il est suffisamment établi par la clause imprimée qui figure à ce sujet dans le contrat de vente. Peu lisible et insérée parmi de nombreuses autres conditions générales, elle risque en effet d'échapper facilement à l'acheteur. Mais cette question peut rester indécise car, de toute façon, la recourante n'a fourni aucune déclaration de S. pour plusieurs autres indications indispensables.
D'après l'art. 7 OIPR, l'inscription doit comprendre notamment la désignation de l'endroit où se trouve l'objet dont la propriété est réservée (litt. f), le montant garanti par la réserve de propriété (litt. h) et l'échéance convenue pour la créance de l'aliénateur (litt. i). La première de ces indications ne ressort pas du contrat, seul document recevable qui constitue une déclaration de S. Il n'est
BGE 84 III 46 S. 48
ainsi pas établi que celui-ci reconnaisse avoir reçu la voiture; or, si la recourante entend conserver ce véhicule jusqu'au paiement intégral, elle ne saurait évidemment requérir l'inscription d'une réserve de propriété. D'autre part, le contrat indique certes le prix de vente, mais la société admet que l'acheteur lui a versé des acomptes et elle n'a produit aucune déclaration par laquelle il reconnaîtrait le solde que la réserve de propriété devrait garantir. Enfin, la convention mentionne que le prix est payable à la livraison; on ignore cependant si le véhicule a été remis à S. et, dans l'affirmative, quand il l'a été. Au surplus, même si la date de la livraison était établie, cela importerait peu. Car la requête de la société présuppose qu'il subsiste après le transfert de la voiture une dette de l'acheteur; or la recourante n'indique même pas l'échéance de cette obligation et, à plus forte raison, n'a pas établi un accord de S. sur ce point.
Ainsi, l'autorité cantonale a refusé à bon droit l'inscription définitive d'une réserve de propriété. C'est même à tort que le préposé a procédé à une inscription provisoire. Cette mesure, en effet, n'est possible qu'au cas où le préposé ne s'estime point compétent (art. 2 al. 2 OIPR), condition qui n'était pas remplie en l'espèce.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b6a21769-65f0-4044-ad25-2083cfef00ef | Urteilskopf
108 Ia 69
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Mai 1982 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Direktion der Justiz des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Persönliche Freiheit; Aufschub des Strafvollzuges auf unbestimmte Zeit bei Straferstehungsunfähigkeit.
Die Strafvollzugsbehörden haben nicht das Recht, auf den Vollzug einer rechtskräftig verhängten Strafe zu verzichten (Erw. 2a); hingegen ist ein Strafaufschub auf unbestimmte Zeit ausnahmsweise zulässig (Erw. 2b). Voraussetzungen hiefür (Erw. 2c), insbesondere bei Selbstmordgefahr (Erw. 2d).
Gesundheitliche Störungen, die zur Entlassung aus der Sicherheitshaft geführt haben, brauchen nicht zu einem Aufschub des Strafvollzuges zu führen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 108 Ia 69 S. 70
Gestützt auf ein fachärztliches Gutachten bejahte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Hafterstehungsfähigkeit von X. und setzte den Termin für den Antritt der mehrjährigen Zuchthausstrafe fest. Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich wies den von X. hiegegen erhobenen Rekurs ab. Gegen diesen Entscheid hat X. staatsrechtliche Beschwerde gestützt auf
Art. 4 BV
und auf das ungeschriebene verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit eingereicht.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
a) Die angefochtene Verfügung stützt sich auf § 23 des zürcherischen Gesetzes über das kantonale Strafrecht und den Vollzug von Strafen und Massnahmen (kantonales Straf- und Vollzugsgesetz StVG ZH) vom 30. Juni 1974. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"Eine vollstreckbare Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende
Massnahme ist sofort zu vollziehen, wenn Fluchtgefahr oder eine erhebliche
Gefährdung des Massnahmezwecks oder der Öffentlichkeit besteht.
In den übrigen Fällen erlässt die Vollzugsbehörde einen
Strafantrittsbefehl. Wenn besondere Umstände es rechtfertigen, kann sie
einen Aufschub bewilligen."
Die Justizdirektion weist in der angefochtenen Verfügung darauf hin, diese Bestimmung gebe den Vollzugsbehörden, d.h. der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der ihr vorgesetzten Justizdirektion nicht das Recht, auf den Vollzug einer rechtskräftig verhängten Strafe überhaupt zu verzichten. Diese Auffassung entspricht dem Wortlaut des Gesetzes. Auch nach Sinn und Zweck kann die erwähnte Bestimmung keine andere Bedeutung haben, verstiesse sie doch sonst klarerweise gegen den Grundsatz der
BGE 108 Ia 69 S. 71
Gewaltentrennung. Eingriffe in rechtskräftige Strafurteile stehen nicht den Vollzugsbehörden, sondern allenfalls den Begnadigungsinstanzen zu. Diese Gesetzesauslegung hat das Bundesgericht in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 4. Januar 1982 in Sachen R.H. als zutreffend bezeichnet, und der Beschwerdeführer anerkennt sie selbst grundsätzlich als richtig.
b) Nicht geäussert hat sich das Bundesgericht in jenem Falle zu der Frage, ob auch ein Aufschub des Strafvollzuges auf unbestimmte Zeit unstatthaft sei, zumal dann, wenn damit zu rechnen ist, dass das Vollzugshindernis überhaupt nie oder doch nicht vor dem Eintritt der Vollstreckungsverjährung wegfallen werde, so dass der Strafaufschub, wenn auch nicht in der Form, so doch im Ergebnis zu einem Strafverzicht wird. Die Justizdirektion scheint der Auffassung zuzuneigen, ein Strafaufschub dieser Art sei ebenso unzulässig wie ein formeller Strafverzicht. In diesem absoluten Sinne darf aber
§ 23 StVG
nicht verstanden werden, und auch aus dem erwähnten Urteil des Bundesgerichtes lässt sich dies nicht ableiten. Der Umstand, dass die Organe des Strafvollzuges nicht befugt sind, definitiv auf die Vollstreckung zu verzichten, kann nicht ausschliessen, dass sie ganz ausnahmsweise einmal in die Lage kommen können, einen Strafaufschub auch dann in Erwägung zu ziehen, wenn nicht erkennbar ist, wann die dafür sprechenden Gründe wegfallen könnten und ob dies überhaupt je einmal der Fall sein werde. Es liesse sich weder mit dem im Grundsatz auch für den Verurteilten geltenden Recht der persönlichen Freiheit, das unter anderem die körperliche Integrität schützt (
BGE 107 Ia 55
E. 3a,
BGE 104 Ia 39
/40 E. 5a und 486 E. 4a mit Hinweisen), noch mit dem auf dem ganzen Gebiet des Verfassungsrechtes geltenden Verhältnismässigkeitsprinzip vereinbaren, eine kürzere oder längere Freiheitsstrafe auch dann ohne weiteres zu vollstrecken, wenn dies mit Sicherheit oder mit grösster Wahrscheinlichkeit den Tod oder eine dauernde, schwere Krankheit zur Folge hätte.
c) Anderseits ist es selbstverständlich, dass von der dargelegten Möglichkeit des Strafaufschubes auf unbestimmte Zeit nur mit grösster Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden darf. Das öffentliche Interesse am Vollzug rechtskräftig verhängter Strafen und der Gleichheitssatz schränken den Ermessensspielraum der Vollzugsbehörde erheblich ein. Der Strafvollzug bedeutet für den Betroffenen immer ein Übel, das vom einen besser, vom andern weniger gut ertragen wird. Die blosse Möglichkeit, dass Leben oder Gesundheit des Verurteilten gefährdet sein könnten, genügt
BGE 108 Ia 69 S. 72
somit offensichtlich nicht für einen Strafaufschub auf unbestimmte Zeit. Der Behauptung des Beschwerdeführers, der Strafanspruch des Staates ermächtige diesen nicht, in die körperliche Integrität des Verurteilten einzugreifen, kann somit in dieser absoluten Form nicht beigepflichtet werden. Eine Verschiebung des Vollzuges auf unbestimmte Zeit kommt vielmehr nur dann in Frage, wenn nicht nur die Möglichkeit besteht, sondern mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass der Strafvollzug das Leben oder die Gesundheit des Verurteilten gefährden würde, und selbst dann noch ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei neben den medizinischen Gesichtspunkten Art und Schwere der begangenen Straftat und die Dauer der Strafe mitzuberücksichtigen sind. Je schwerer Tat und Strafe, umso schwerer fällt - im Vergleich zur Gefahr des Verlustes der körperlichen Integrität - der staatliche Strafanspruch ins Gewicht (vgl. Urteil des deutschen BVerfG vom 19. Juni 1979 betr. Verhandlungsfähigkeit in: EuGRZ 1979, S. 470).
d) Die vorstehenden Überlegungen gelten dem Grundsatz nach auch für den Fall, dass das Leben des Verurteilten durch Selbstmord gefährdet ist. Die Beweisschwierigkeiten sind in dieser Hinsicht allerdings besonders gross. Die Rechtssicherheit verlangt hier eine nochmals erhöhte Zurückhaltung. Es darf nicht dazu kommen, dass die Selbstgefährlichkeit zu einem gängigen letzten Verteidigungsmittel wird, das von rechtskräftig Verurteilten oder ihren Anwälten in Fällen eingesetzt wird, in denen ein Begnadigungsgesuch keine Erfolgsaussichten hat. Ausserdem ist ein Strafaufschub so lange nicht in Betracht zu ziehen, als die Gefahr der Selbsttötung durch geeignete Massnahmen im Vollzug erheblich reduziert werden kann (vgl. SCHÄFER in Komm. Löwe-Rosenberg, 23. Auflage, 4. Band, N. 18 zu § 455 der deutschen Strafprozessordnung).
3.
Der Beschwerdeführer hält die angefochtene Verfügung der Justizdirektion des Kantons Zürich für willkürlich im Sinne von
Art. 4 BV
. Er weist darauf hin, dass er am 17. November 1980 auf Grund gutachtlicher Berichte zweier Fachärzte mangels Hafterstehungsfähigkeit, vor allem wegen beträchtlicher Selbstmordgefahr, aus der Sicherheitshaft entlassen worden sei. Die nämlichen gesundheitlichen Störungen bestünden auch heute noch, weshalb die Strafvollzugsbehörden des Kantons Zürich sich mit ihrem früheren Entscheid in Widerspruch setzten, wenn sie die Straferstehungsfähigkeit jetzt bejahten.
BGE 108 Ia 69 S. 73
Die Rüge ist unbegründet. Sicherheitshaft und Strafvollzug lassen sich in diesem Zusammenhang nicht miteinander vergleichen. Durch die Entlassung eines Angeschuldigten aus der Sicherheitshaft wird der staatliche Strafanspruch - anders als bei einem unbefristeten Aufschub des Strafvollzuges - an sich nicht gefährdet. Bei einer Verschiebung des Vollzuges auf unbestimmte Zeit steht ausser der Gesundheit des Verurteilten auch die Sicherheit der Rechtsordnung und die Rechtsgleichheit auf dem Spiele. Es sind daher andere Interessen gegeneinander abzuwägen als bei einer Entlassung aus der Sicherheitshaft. Der Beschwerdeführer geht von der unzutreffenden Annahme aus, die Gesundheit des Verurteilten sei absolut geschützt und ihre Erhaltung sei in jedem Falle der Durchsetzung der rechtsstaatlichen Ordnung voranzustellen, was, wie dargelegt, nicht zutrifft. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b6aa5f09-84bc-47ae-9a67-3486f139f10b | Urteilskopf
134 III 636
98. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X.-Versicherung gegen Eidgenössische Invalidenversicherung (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_246/2008 vom 23. September 2008 | Regeste
Art. 48
quater
Abs. 3 Satz 2 aAHVG;
Art. 73 Abs. 3 Satz 2 ATSG
; Quotenvorrecht/Befriedigungsvorrecht.
Der Haftpflichtige kann sich gegenüber dem Sozialversicherungsträger, der seinen Regressanspruch geltend macht, nicht auf das Befriedigungsvorrecht des Geschädigten berufen, wenn er dessen Direktanspruch die Verjährungseinrede entgegenhält (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 636
BGE 134 III 636 S. 636
A.
A.a
Die 1990 in Solothurn geborene A. leidet als Folge von Komplikationen bei ihrer Geburt an schweren zerebralen Schädigungen sowie an einer schweren tetraspastischen Bewegungsstörung.
A.b
Am 16. Oktober 1998 erhoben die Eltern von A. beim Amtsgericht von Solothurn-Lebern eine Teilklage auf Leistung einer
BGE 134 III 636 S. 637
Genugtuung gegen Dr. med. W., der Mutter und Kind während der Geburt betreut hatte.
Das Obergericht des Kantons Solothurn bejahte eine für den Gesundheitsschaden von A. rechtserhebliche Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes und sprach der Mutter mit Urteil vom 12. Dezember 2006 eine Genugtuung von Fr. 50'000.- nebst Zins zu 5 % seit dem 29. Januar 1990 zu; die Klage des Vaters wies es infolge eingetretener Verjährung ab. Das Bundesgericht wies eine gegen dieses Urteil erhobene Berufung am 19. Mai 2003 ab.
B.
B.a
Die Eidgenössische Invalidenversicherung (Beschwerdegegnerin), die bereits seit 1990 Leistungen für A. erbracht hatte, reichte in der Folge beim Richteramt Solothurn-Lebern Klage gegen Dr. W. ein. Die Beschwerdegegnerin beantragte, Dr. W. sei zu verpflichten, ihr unter Vorbehalt einer Mehrforderung Fr. 2'520'852.- zuzüglich Zins zu 5 %, ausmachend Fr. 392'902.- für die Zeit vom 29. Januar 1990 bis zum 31. Juli 2005 und auf Fr. 2'520'852.- ab dem 1. August 2005 zu bezahlen.
Dr. W. liess seiner Berufshaftpflichtversicherung, der X.-Versicherung (Beschwerdeführerin), den Streit verkünden. Die Beschwerdeführerin leistete der Streitverkündigung Folge.
Am 27. April 2006 schlossen die Beschwerdegegnerin, Dr. W. und die Beschwerdeführerin eine Prozessvereinbarung ab. Danach sollte die Beschwerdeführerin anstelle von Dr. W. in den Prozess eintreten und sie anerkannte im Rahmen der Versicherungssumme von Fr. 3 Mio. sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die geltend gemachte Regressforderung. Schliesslich sollte das Prozessthema auf die Frage des Befriedigungsvorrechts der geschädigten Person beschränkt werden, das die Beschwerdeführerin der Forderung der Beschwerdegegnerin nach wie vor entgegenhielt.
Mit Verfügung vom 8. Mai 2006 stellte der Amtsgerichtspräsident fest, dass die Beschwerdeführerin anstelle von Dr. W. als Beklagte in den Prozess eintritt, und beschränkte das Prozessthema auf die Frage des Deckungs- bzw. Befriedigungsvorrechts.
Mit Urteil vom 7. Dezember 2006 hiess das Amtsgericht von Solothurn-Lebern die Klage der Beschwerdegegnerin gut und verpflichtete die Beschwerdeführerin zur Zahlung von Fr. 2'520'852.- nebst Zins zu 5 % seit dem 1. August 2005 und Fr. 392'902.- Verzugszins für die Zeit vom 29. Januar 1990 bis 31. Juli 2005.
BGE 134 III 636 S. 638
B.b
Auf Berufung der Beschwerdeführerin hin verpflichtete das Obergericht des Kantons Solothurn die Beschwerdeführerin mit Urteil vom 21. April 2008, der Beschwerdegegnerin den Betrag von Fr. 2'520'852.- nebst Schadenszins von Fr. 43'959.60 zu bezahlen.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 21. Mai 2008 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 21. April 2008 sei aufzuheben und die Klage sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge in sämtlichen Instanzen zu Lasten der Beschwerdegegnerin abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin hat in der Vereinbarung vom 27. April 2006 sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Regressforderung unwiderruflich anerkannt. Sie hält der Forderung der Beschwerdegegnerin lediglich das Befriedigungsvorrecht gemäss
Art. 48
quater
Abs. 3 Satz 2 AHVG
in der am 29. Januar 1990 geltenden Fassung (aAHVG; AS 1978 S. 401) entgegen (siehe nunmehr
Art. 73 Abs. 3 Satz 2 ATSG
[SR 830.1]) und wirft der Vorinstanz diesbezüglich eine unzutreffende Rechtsanwendung vor.
1.1
Die Vorinstanz hielt zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin anerkenne, dass der haftpflichtige Arzt grundsätzlich unbeschränkt hafte, weshalb das Verteilungsvorrecht (Art. 48
quater
Abs. 1 aAHVG) im zu beurteilenden Fall keine Rolle spiele. Ausgehend von der Feststellung, dass der haftpflichtrechtlich ausgewiesene Schaden die von der Beschwerdegegnerin erbrachten Leistungen zwar bei weitem übersteige, jedoch die Direktschadenersatzforderung der Geschädigten gegenüber dem haftpflichtigen Arzt verjährt sei und dieser bzw. die Beschwerdeführerin als Haftpflichtversicherer nichts bezahlt hätten, beurteilte die Vorinstanz die Frage, ob sich die Beschwerdeführerin in dieser Situation auf das Befriedigungsvorrecht (Art. 48
quater
Abs. 3 aAHVG) der geschädigten Person berufen könne.
Die Vorinstanz hielt unter anderem dafür, dass das Befriedigungsvorrecht eine Benachteiligung des Geschädigten verhindern solle und auf dem Gedanken beruhe, dass der Versicherer seinen Versicherten unter anderem Schutz gegen Zahlungsunfähigkeit des Haftpflichtigen
BGE 134 III 636 S. 639
zu bieten habe. Dieser Normzweck stehe nicht in Frage, wenn dem Geschädigten lediglich eine nicht gegen den Willen des Schuldners durchsetzbare, verjährte Forderung zustehe und der Haftpflichtige die Einrede der Verjährung tatsächlich erhebe. Die Vorinstanz erwog weiter, dass es beim Befriedigungsvorrecht des Geschädigten um die Reihenfolge unter mehreren Gläubigern gehe, die durchsetzbare Ansprüche auf dasselbe Haftungssubstrat erheben können. Die Frage der Rangfolge stelle sich jedoch gar nicht, wenn der Geschädigte keine erzwingbare Forderung mehr erheben könne. Insoweit verhalte es sich gleich wie bei privilegierten Forderungen im Konkursverfahren, die nicht angemeldet oder abgewiesen werden, womit die darauf entfallende Konkursdividende den nachfolgenden Gläubigern und nicht dem Schuldner zugute käme. Im Übrigen würde es zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Privilegierung des insolventen und ungenügend versicherten Haftpflichtigen führen, wenn sich der Haftpflichtige und sein Versicherer in der vorliegenden Situation auf das Befriedigungsvorrecht berufen könnten, da sie diesfalls weder die verjährte Schadenersatzforderung des Geschädigten noch die Regressforderung der Sozialversicherung erfüllen müssten, wogegen ein solventer und ausreichend versicherter Haftpflichtiger die Regressforderung allemal zu begleichen hätte. Der Zweck des Befriedigungsvorrechts sei darin zu sehen, eine Benachteiligung des Geschädigten zu verhindern. Da die Geschädigte keinerlei Nachteil erleide, wenn die Beschwerdegegnerin ihre Regressforderung durchsetze, könne sich die Beschwerdeführerin nicht auf das Befriedigungsvorrecht berufen.
1.2
Die Beschwerdeführerin bringt hiergegen vor, es sei von einem Befriedigungsvorrecht (Art. 48
quater
Abs. 3 aAHVG) ihrerseits auszugehen, da die bei ihr abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung lediglich eine Deckungssumme von Fr. 3 Mio. aufweise, während der Gesamtschaden der Geschädigten weit darüber liege. Soweit ein Geschädigter seinen Direktanspruch gegen den Haftpflichtigen nicht geltend mache bzw. aufgrund der erhobenen Verjährungseinrede nicht mehr geltend machen könne, werde die haftpflichtige Person begünstigt, da die mit einem Geschädigten konkurrierende Sozialversicherung von Anfang an nur in die ihr selbst zustehende Quote subrogieren könne. Aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts, so die Beschwerdeführerin weiter, müsse sich die Sozialversicherung die Direktansprüche selbst dann abziehen lassen, wenn gar keine solchen gestellt worden seien.
BGE 134 III 636 S. 640
1.3
1.3.1
Das Quotenvorrecht bedeutet, dass die Versicherung nicht zum Nachteil des Geschädigten Regress nehmen darf. Ersetzt sie nur einen Teil des Schadens, so kann der Geschädigte den nicht gedeckten Teil vom Haftpflichtigen einfordern, und der Versicherung steht ein Regressanspruch nur im Rahmen des danach noch verbleibenden Haftungsanspruchs zu (
BGE 120 II 58
E. 3c S. 62;
BGE 117 II 609
E. 11c S. 627, je mit Hinweisen). Das Privileg des Quotenvorrechts soll die geschädigte Person vor ungedecktem Schaden bewahren, jedoch nicht zu ihrer Bereicherung führen (
BGE 131 III 12
E. 7.1 S. 16).
Das in Art. 48
quater
aAHVG vorgesehene Quotenvorrecht des Geschädigten (siehe nunmehr
Art. 73 ATSG
) kann als Verteilungsvorrecht (Abs. 1) oder als Befriedigungs- bzw. Deckungsvorrecht (Abs. 3 Satz 2) zum Tragen kommen (zur Unterscheidung ROLAND SCHAER, Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichsystemen, Basel/Frankfurt a.M. 1984, Rz. 942). Während das Verteilungsvorrecht dann zum Zug kommt, wenn dem Geschädigten aus rechtlichen Gründen (insbesondere bei blosser Teilhaftung des Haftpflichtigen wegen Selbstverschuldens) nicht die volle Befriedigung zukommt, findet das Befriedigungsvorrecht Anwendung, wenn der Haftpflichtige aus tatsächlichen Gründen (Insolvenz bzw. mangelnde Versicherungsdeckung) nicht in der Lage ist, beide gegen ihn gerichteten Forderungen zu befriedigen (dazu PETER BECK, Zusammenwirken von Schadenausgleichsystemen, in: Münch/Geiser [Hrsg.], Schaden - Haftung - Versicherung, Basel 1999, Rz. 6.138 ff.).
Bereits der Umstand, dass dem Quotenvorrecht nur im Rahmen der Leistungskoordination Bedeutung zukommt, lässt es als fragwürdig erscheinen, ein "fiktives Quotenvorrecht" auch für den Fall anzuerkennen, dass der Geschädigte seinen Schadenersatzanspruch infolge Verjährung gar nicht mehr durchsetzen kann. Es ist fraglich, ob in einer solchen Konstellation von einer Konkurrenz des Direktanspruchs des Geschädigten mit dem Subrogationsanspruch des Versicherers gesprochen werden kann, weshalb sich womöglich auch die Frage nach der Rangfolge dieser Ansprüche erübrigt. Wie es sich damit in Bezug auf das Verteilungsvorrecht nach Art. 48
quater
Abs. 1 aAHVG (bzw. nunmehr
Art. 73 Abs. 1 ATSG
) verhält, kann vorliegend offen bleiben, da der haftpflichtige Arzt unbestritten für den gesamten Schaden aufzukommen hat und ein Quotenvorrecht im Sinne des Verteilungsvorrechts ausser Betracht steht.
BGE 134 III 636 S. 641
1.3.2
Die Beschwerdeführerin hält dem Regressanspruch der Beschwerdegegnerin einzig das Befriedigungsvorrecht der Geschädigten (Art. 48
quater
Abs. 3 Satz 2 aAHVG) entgegen. Danach sind, falls nur ein Teil des vom Haftpflichtigen geschuldeten Ersatzes eingebracht werden kann, daraus zuerst die Ansprüche des Versicherten und seiner Hinterlassenen zu befriedigen.
Die Beschwerdeführerin beruft sich vergeblich auf das Befriedigungsvorrecht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wird die Subrogation bei ungenügendem Haftungssubstrat nicht etwa beschränkt; vielmehr tritt der Sozialversicherer im Umfang der von ihm erbrachten Leistungen vollständig in die Schadenersatzforderung der geschädigten Person ein. Macht der Geschädigte bei ungenügendem Vermögen des Haftpflichtigen seine Ersatzansprüche nicht geltend oder lässt er sie verjähren, so stellt sich die Frage einer Rangordnung zwischen Sozialversicherer und Geschädigtem hinsichtlich der Vermögenswerte des Haftpflichtigen gar nicht. Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend vorbringt, ist eine Rangordnung nur dann nötig, wenn mehrere Gläubiger auf ungenügendes Haftungssubstrat greifen können. Kann der Geschädigte seinen Anspruch aufgrund des Eintritts der Verjährung nicht mehr durchsetzen oder macht er seinen Anspruch aus anderen Gründen nicht geltend, so bleibt für eine Rangordnung für den Zugriff auf das Haftungssubstrat kein Raum (im Ergebnis ebenso GHISLAINE FRÉSARD-FELLAY, Le recours subrogatoire de l'assurance-accidents sociale contre le tiers responsable ou son assureur, Diss. Freiburg 2007, Rz. 1121 ff.; FRANÇOIS KOLLY, Le droit préférentiel du lésé, en l'absence de prétention directe de celui-ci - application du droit préférentiel abstrait ou concret?, in: HAVE 2004 S. 305, die allerdings beide zu diesem Schluss kommen, ohne zwischen dem Befriedigungsvorrecht und dem - im vorliegenden Verfahren nicht in Frage stehenden - Quotenvorrecht im Sinne des Verteilungsvorrechts nach Art. 48
quater
Abs. 1 aAHVG bzw.
Art. 73 Abs. 1 ATSG
zu differenzieren).
Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, spricht der Wortlaut von Art. 48
quater
Abs. 3 Satz 2 aAHVG dagegen, dass zum geschuldeten Ersatz, der nur teilweise "eingebracht" werden kann, auch Ersatzansprüche des Versicherten bzw. seiner Hinterlassenen gezählt werden, die verjährt sind, zumal der letzte Satzteil der Bestimmung voraussetzt, dass das verfügbare Haftungssubstrat zur Auszahlung gelangt und die Ansprüche tatsächlich erfüllt werden. Muss der
BGE 134 III 636 S. 642
Ersatzpflichtige demgegenüber nicht mehr leisten, weil er dem Geschädigten die Verjährungseinrede entgegenhält, so kann von einem nur teilweise "eingebrachten" Ersatz nicht die Rede sein und dem Haftpflichtigen ist es verwehrt, sich auf eine (fiktive) vorgängige Befriedigung des Versicherten zu berufen. Dass einem Schädiger gegenüber dem Geschädigten Ansprüche in auch nur annähernd gleicher Höhe zustehen und der Geschädigte daher die verjährten Schadenersatzansprüche zur Verrechnung bringen kann (
Art. 120 Abs. 3 OR
), ist zwar ein denkbarer, aber kein Ausnahmefall, mit dem ernsthaft zu rechnen ist. Der betreffende Einwand der Beschwerdeführerin verfängt daher nicht.
Das Befriedigungsvorrecht des Geschädigten beruht auf dem Gedanken, dass der Versicherer seinen Versicherten unter anderem Schutz gegen Zahlungsunfähigkeit des Haftpflichtigen zu bieten hat (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Zürich 1995, § 11 Rz. 201; FRÉSARD-FELLAY, a.a.O., Rz. 1076; SCHAER, a.a.O., Rz. 794). Kann die Direktforderung gegenüber dem Haftpflichtigen nicht mehr durchgesetzt werden, da dieser ihr die Verjährungseinrede entgegenhält, so erübrigt sich ein Schutz des Geschädigten gegen Insolvenz und es steht der Durchsetzung des Regressanspruchs des Sozialversicherers nichts entgegen. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Klage der Beschwerdegegnerin gutgeheissen hat. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b6b03676-dd3c-4d59-aeb5-9b90cc5415fc | Urteilskopf
120 Ib 400
55. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Oktober 1994 i.S. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft gegen Bürgergemeinde Wittinsburg, Einwohnergemeinde Wittinsburg und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Rodungsbewilligung für eine Aushubdeponie;
Art. 5 WaG
;
Art. 7 Abs. 6, 30 und 31 USG
, Art. 2, 3, 9, 16, 17, 20, 21, 22, 25, 30 und 31 der Technischen Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 (TVA) in Verbindung mit Ziff. 12 Anhang 1 und Ziff. 1 Anhang 2 TVA.
Unverschmutzter Aushub ist in erster Linie für die Rekultivierung zu verwenden (E. 3d und e/aa); soll Aushub dagegen zum Zwecke der Beseitigung endgültig abgelagert werden, muss dies auf einer Inertstoffdeponie erfolgen (E. d).
Zu den im Rahmen der Rodungsbewilligung zu prüfenden Anforderungen an eine Inertstoffdeponie (E. 3e) und an die Standortgebundenheit (E. 4).
Verstoss gegen die Koordinationspflicht (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 401
BGE 120 Ib 400 S. 401
Die Einwohnergemeinde Wittinsburg beabsichtigt die Errichtung einer Deponie für unverschmutzten Aushub. Nachdem der erste in Aussicht genommene Standort in den auf Gemeindegebiet gelegenen Chambergräben aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes verworfen wurde, einigten sich Vertreter der Gemeinde, des Bundes für Naturschutz Baselland (BNBL) sowie des Kantons anlässlich eines Augenscheins auf einen neuen Standort im Wald; zuvor seien die begonnenen, ungeordneten Ablagerungen in den nördlichen Teilen der Chambergräben soweit aufzufüllen, dass ein sauberer Abschluss erreicht werde.
Daraufhin reichte die Gemeinde Wittinsburg am 29. Juli 1993 die Mutation des Zonenplans Landschaft zur Vorprüfung beim kantonalen Amt für Orts- und Regionalplanung ein. Darin wurde am neuen Standort eine Spezialzone für eine Aushubdeponie ausgewiesen. Gleichzeitig beantragte die Gemeinde eine Ausnahmebewilligung zur Rodung von insgesamt 4'092 m2 Wald: 1'190 m2 für die Abschlüsse der Chambergräben mit einem Auffüllvolumen von ca. 3'300 m3 (Westgraben 1'300 m3, Ostgraben 2000 m3) sowie, in einer zweiten Etappe, 2'900 m2 für die Neudeponie Chamber mit einem vorgesehenen Auffüllvolumen von ca. 12'000 m3.
Am 2. November 1993 bewilligte der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft der Einwohnergemeinde Wittinsburg die beantragte Rodung (RRB Nr. 2672). Der Bewilligungsentscheid sieht vor, dass die Rodung erst dann in Angriff genommen werden dürfe, wenn weitere allfällig notwendig werdende rechtskräftige Bewilligungen vorlägen (u.a. Baubewilligung), die Spezialzone "Aushubdeponie" rechtskräftig ausgeschieden und die Rodungsfläche durch den zuständigen Forstdienst angezeichnet worden sei. Auflagen und Bedingungen anderer zuständiger Amtsstellen (u.a. Bau- und Gewässerschutzpolizei) blieben vorbehalten.
Gegen den regierungsrätlichen Entscheid erhob das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) am 2. Dezember 1993 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Es beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
BGE 120 Ib 400 S. 402
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
c) Steht die Rodung im Hinblick auf die Schaffung eines bestimmten Nutzungsplanes in Frage, so müssen das raumplanungsrechtliche und das forstpolizeiliche Verfahren koordiniert werden (
Art. 12 des Bundesgesetzes über den Wald vom 4. Oktober 1991 [WaG, SR 921.0]
sowie
BGE 119 Ib 397
E. 6a S. 404). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein überwiegendes Interesse an einer Waldrodung für ein öffentliches Werk erst dargetan, wenn dieses wenigstens als generelles Projekt von der zuständigen Behörde geprüft und positiv beurteilt worden ist (
BGE 119 Ib 397
E. 6a S. 404,
BGE 116 Ib 469
E. 2b S. 472,
BGE 113 Ib 148
E. 3b S. 152, Urteil vom 11. März 1981 in ZBl 83/1982 74 ff. E. 2a). Die richtige Anwendung von
Art. 5 WaG
verlangt somit die Beurteilung des Projektes als Ganzes (so schon
BGE 117 Ib 325
E. 2a S. 328 f. zu
Art. 26 der Verordnung betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei [FPolV; SR 921.01]
); sie schliesst es aus, dass für die Interessenabwägung massgebende Einzelfragen separaten Verfahren vorbehalten werden. Wird bei der Beurteilung einer Rodungsbewilligung in Missachtung des Grundsatzes der umfassenden Interessenabwägung durch die nämliche Behörde ein wesentlicher Gesichtspunkt ausser acht gelassen, so liegt darin in der Regel nicht nur eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung, sondern auch eine Verletzung des materiellen Waldrechts (
Art. 5 WaG
bzw. vormals
Art. 26 FPolV
;
BGE 119 Ib 397
E. 6a S. 405 mit Hinweisen).
3.
a) Nach Angaben der Gemeinde Wittinsburg und des Kantons Basel-Stadt soll in der geplanten Deponie ausschliesslich sauberes Aushubmaterial abgelagert werden. Das BUWAL ist der Auffassung, eine derartige Aushubdeponie müsse den für Inertstoffdeponien geltenden Anforderungen an Standort, Errichtung und Abschluss (Art. 25 Abs. 1 lit. c und Art. 30 i.V. mit Anhang 2 der Technischen Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990, TVA; SR 814.015) entsprechen. Weder in der angefochtenen Rodungsbewilligung noch im Planungsverfahren seien diese Fragen geprüft worden.
b) Der Kanton vertritt dagegen die Ansicht, sauberes Aushubmaterial könne, müsse aber nicht in Inertstoffdeponien abgelagert werden; deshalb müssten auch die Anforderungen der Technischen Verordnung für Abfälle an solche Deponien und die dort vorgesehene Mindestgrösse nicht erfüllt werden. Die Deponiebewilligung werde erst im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens
BGE 120 Ib 400 S. 403
erteilt und setze ihrerseits das Vorliegen einer Rodungsbewilligung voraus. Kanton und Gemeinde weisen darauf hin, dass es aus ökologischen Gründen sinnvoll sei, Aushub aus Wittinsburg in Wittinsburg abzulagern.
c) Nach dem oben (E. 2c) Gesagten, ist bereits im Rahmen des Rodungsverfahrens zu klären, ob das Projekt grundsätzlich bewilligungsfähig ist; nur Detailfragen, die das generelle Projekt nicht in Frage stellen, können nachfolgenden Genehmigungsverfahren vorbehalten werden. Im folgenden ist daher zunächst zu untersuchen, ob die geplante Aushubdeponie einer Deponieerrichtungsbewilligung bedarf und wenn ja für welchen Deponietyp (E. 3d) und ob sie den hierfür gestellten Anforderungen grundsätzlich entspricht (E. 3e).
d) Gemäss
Art. 30 Abs. 1 USG
(SR 814.01) muss der Inhaber von Abfällen diese nach den Vorschriften des Bundes und der Kantone verwerten, unschädlich machen oder beseitigen. Die Ablagerung von Abfällen darf nur auf bewilligten Deponien erfolgen (
Art. 30 Abs. 3 USG
); bewilligungspflichtig ist sowohl die Errichtung als auch der Betrieb einer Deponie für Abfälle (
Art. 30 Abs. 2 USG
,
Art. 21 TVA
). Gemäss
Art. 32 Abs. 3 USG
erlässt der Bundesrat technische und organisatorische Vorschriften über Abfallanlagen, insbesondere über Deponien. Darüber hinaus kann der Bundesrat nach
Art. 32 Abs. 4 lit. c USG
vorschreiben, dass bestimmte Abfälle verwertet werden, wenn dies wirtschaftlich tragbar ist und die Umwelt weniger belastet als die Beseitigung.
Gestützt u.a. auf diese Bestimmungen hat der Bundesrat am 10. Dezember 1990 die Technische Verordnung über Abfälle erlassen. Gemäss
Art. 2 TVA
gilt die Verordnung für das Vermindern und Behandeln von Abfällen sowie für das Errichten und Betreiben von Abfallanlagen.
Art. 3 TVA
definiert Abfallanlagen als Anlagen, in denen Abfälle behandelt werden, d.h. in denen diese verwertet, unschädlich gemacht oder beseitigt werden. Als Deponien werden nur solche Abfallanlagen bezeichnet, in denen Abfälle endgültig und kontrolliert abgelagert werden, nicht dagegen blosse Zwischenlager.
Art. 22 Abs. 1 TVA
bestimmt, dass die Kantone nur drei Deponietypen bewilligen können: Inertstoffdeponien, Reststoffdeponien und Reaktordeponien (vgl. zu den drei Typen H.-P. FAHRNI, Die technische Abfallverordnung als Umsetzung des Leitbildes für die schweizerische Abfallwirtschaft, URP 1988/2 S. 125 f., P. OGGIER, Neue Deponietypen als Ausgangspunkt für zukünftige gesetzliche Regelungen, in: Umweltschutz in der Schweiz, Bulletin des
BGE 120 Ib 400 S. 404
Bundesamtes für Umweltschutz, 1987 Heft 2, S. 14 ff., M. TELLENBACH, Was bringt die technische Abfallverordnung? in: Bulletin des Bundesamtes für Umweltschutz 1988/3, S. 14 f., A. TRÖSCH in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Art. 30 Rz. 35 f.) Der Deponietyp ergibt sich aus den zur Ablagerung vorgesehenen Abfällen (Art. 22 Abs. 2 i.V.m. Anhang 1 TVA).
"Abfälle" sind nach
Art. 7 Abs. 6 USG
alle beweglichen Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will oder deren Verwertung, Unschädlichmachung oder Beseitigung im öffentlichen Interesse geboten ist. Darunter fällt unverschmutzter Aushub jedenfalls dann, wenn sich der Besitzer seiner entledigen will. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, soll das Aushubmaterial doch endgültig, zum Zweck seiner Beseitigung abgelagert werden.
Gemäss Ziff. 1 von Anhang 1 TVA dürfen auf Inertstoffdeponien nur Inertstoffe und Bauabfälle abgelagert werden. "Bauabfälle" sind gemäss
Art. 9 TVA
die bei Bau- oder Abbrucharbeiten anfallenden Abfälle - mit Ausnahme von Sonderabfällen - die, soweit betrieblich möglich, in drei Gruppen zu trennen sind: unverschmutztes Aushub- und Abraummaterial (lit. a), Abfälle, die ohne weitere Behandlung auf Inertstoffdeponien abgelagert werden dürfen (lit. b) und andere Abfälle (lit. c). Grundsätzlich sind Bauabfälle gemäss Ziff. 12 Abs. 1 von Anhang 1 TVA auf Inertstoffdeponien abzulagern. Für unverschmutztes Aushub- und Abraummaterial bestimmt Ziff. 12 Abs. 2 Anhang 1 TVA, dass es auf Inertstoffdeponien abgelagert werden darf, soweit es nicht für Rekultivierungen verwertet werden kann.
Die Verwendung des Ausdrucks "darf ... abgelagert werden" spricht auf den ersten Blick für die Rechtsauffassung des Regierungsrats, wonach unverschmutzter Aushub nicht zwingend auf einer Inertstoffdeponie abgelagert werden muss. Wie bereits oben ausgeführt wurde, kennt die TVA jedoch einen numerus clausus der Deponietypen; dabei werden an die Inertstoffdeponie als Deponie für Abfälle, die eine hohe chemische und biologische Stabilität und einen geringen Schwermetallgehalt aufweisen (A. TRÖSCH, a.a.O., Art. 30 Rz. 35) die geringsten Anforderungen gestellt. Einen besonderen Deponietyp für unverschmutztes Aushubmaterial kennt die Technische Verordnung für Abfälle - anders als die Deponierichtlinien des Eidgenössischen Amtes für Umweltschutz vom März 1976 - nicht mehr. Ziff. 12 Abs. 2 von Anhang 1 TVA ist daher nicht als Hinweis auf einen anderen Deponietyp, sondern auf den Vorrang der Verwertung vor der Ablagerung zu
BGE 120 Ib 400 S. 405
verstehen: Unverschmutzter Aushub ist in erster Linie für Rekultivierungen zu verwenden (so ausdrücklich
Art. 16 Abs. 3 lit. d TVA
); kann das Material nicht sofort verwertet werden, kommt eine Zwischenlagerung in Betracht. Soll Aushubmaterial dagegen endgültig abgelagert werden, so muss dies gemäss
Art. 30 Abs. 3 USG
auf einer Deponie geschehen; hierfür steht nach Ziff. 12 Abs. 2 Anhang 1 TVA nur die Inertstoffdeponie zur Verfügung.
Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, dass unverschmutztes Aushubmaterial, das beispielsweise für die Rekultivierung von Kiesgruben verwendet werden dürfte, auf einer Inertstoffdeponie abzulagern ist. Hierfür lassen sich jedoch durchaus sachliche Gründe anführen. Hinzuweisen ist auf die Probleme der Überwachung und Kontrolle, die sich bei einer auf Jahrzehnte ausgerichteten Deponie in ganz anderem Ausmass stellen als bei einer einmaligen Rekultivierung; es besteht insbesondere die Gefahr, dass unbefugte Dritte die Deponie zur Ablagerung gefährlicher Stoffe missbrauchen, für die diese nicht ausgelegt ist (vgl. auch unten, e/cc).
e) Unterliegt die geplante Deponie den Bestimmungen über Inertstoffdeponien der Technischen Verordnung über Abfälle, musste die Frage, ob sie diesen Anforderungen entspricht, grundsätzlich bereits im Rahmen der für die Rodungsbewilligung erforderlichen umfassenden Interessenabwägung geprüft werden, und durfte nicht dem späteren Baubewilligungsverfahren vorbehalten werden. Voraussetzung für die Erteilung einer Deponieerrichtungsbewilligung ist gemäss
Art. 25 Abs. 1 TVA
insbesondere, dass der Bedarf für die Deponie nachgewiesen ist (aa) und die nach Anhang 2 für den vorgesehen Deponietyp geltenden Anforderungen erfüllt sind (bb und cc). Beide Aspekte sind auch für die Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Rodung wesentlich: Ist bereits der Bedarf für die Deponie nicht nachgewiesen, so überwiegt das Interesse an der Walderhaltung; besteht dagegen ein Bedarf, aber erfüllt der vorgesehene Standort die in Ziff. 1 von Anhang 2 zur TVA aufgezählten Anforderungen nicht, so scheidet die Errichtung einer Deponie am vorgesehenen Standort aus, so dass kein überwiegendes Rodungsinteresse besteht.
aa) Zur Bedarfsfrage führen Regierungsrat und Gemeinde aus, der bisherige Deponieplatz "Buurechrachen" sei aufgefüllt; jährlich fielen in der Gemeinde ca. 600 m3 Aushubmaterial an. Wie bereits dargelegt, soll sauberes Aushubmaterial jedoch in erster Linie zur Rekultivierung verwendet werden, anstatt auf eine Deponie zu gelangen (
Art. 16 Abs. 3 lit. d TVA
); gemäss
BGE 120 Ib 400 S. 406
Art. 16 Abs. 3 lit. a TVA
hat generell die Verwertung Vorrang vor der Beseitigung. Der Bedarfsnachweis ist daher erst erbracht, wenn dargelegt werden kann, dass keine anderweitige Verwertung des Aushubmaterials möglich ist und auch eine Zwischenlagerung nicht in Betracht kommt. Dabei darf sich der Kanton nicht darauf beschränken, nur den Bedarf der Gemeinde Wittinsburg zu berücksichtigen; vielmehr ist er gemäss
Art. 31 USG
für die Planung und Koordinierung der Abfallpolitik im Kanton zuständig sowie zur Zusammenarbeit mit anderen Kantonen verpflichtet. Die Planungspflicht des Kantons umfasst nach
Art. 16 Abs. 2 lit. f TVA
u.a. auch die Frage der Verwertung von Aushub. Es müssen demnach auch Verwertungsmöglichkeiten in anderen Kantonsteilen und möglicherweise sogar ausserhalb des Kantons in Betracht gezogen werden, wenn für die jährlich in Wittinsburg anfallenden 600 m3 in der Gemeinde selbst oder in der näheren Umgebung keine Verwendung gefunden werden kann. Diese Fragen wurden in den Erwägungen der Rodungsbewilligung nicht behandelt.
bb) Die Regierung ging davon aus, dass die geplante Deponie nicht den nach Anhang 2 für Inertstoffdeponien geltenden Anforderungen unterliege; dementsprechend wurde die Frage, ob der vorgesehene Standort diese Kriterien erfüllt, auch nicht ausreichend geprüft. Zwar verweist der Regierungsrat in seinen Erwägungen auf die positiven Stellungnahmen der zuständigen Behörden und stellt fest, dass erhebliche Gefährdungen der Umwelt nicht zu erwarten seien; in seiner Vernehmlassung beruft sich der Regierungsrat darauf, dass Fachleute des Amtes für Umweltschutz und Energie bei der Standortbegehung zugegen gewesen seien und sich dabei gezeigt habe, dass der neue Standort den Anforderungen des Umweltschutzes entspreche. Der fragliche Augenschein wurde jedoch vor allem unter dem Aspekt der möglichsten Schonung der Chambergräben durchgeführt. Aus den Akten geht nicht hervor, dass der neue Standort auf die in Anhang 2 der TVA vorgeschriebenen Kriterien untersucht worden wäre: Soweit ersichtlich wurden weder Baugrunduntersuchungen noch Setzungsberechnungen gemäss Ziff. 1 Abs. 2 Anhang 2 TVA durchgeführt noch geologische oder hydrogeologische Untersuchungen gemacht, um die nach Ziff. 1 Abs. 4 und 5 Anhang 2 TVA auch für Inertstoffdeponien erforderlichen Nachweise zu erbringen (vgl. Ziff. 1 Abs. 6 S. 2 Anhang 2 TVA). Solche Untersuchungen erscheinen im vorliegenden Fall besonders wichtig, hatte doch der BNBL seine Einsprache gegen die Deponie in den Chambergräben mit Hinweis auf
BGE 120 Ib 400 S. 407
eine mögliche Verschmutzung des Grundwasserstromes des Homburgertals begründet, aus dem auch die Gemeinde Wittinsburg ihr Trinkwasser beziehe. Es ist, soweit aus den Akten ersichtlich, nicht abgeklärt worden, ob diese Gefahr beim neuen Standort ausgeschlossen werden kann. Die positiven Stellungnahmen der kantonalen Ämter zur Zonenplanmutation der Gemeinde beschränken sich auf die Feststellung, dass die Änderung der am Augenschein getroffenen Vereinbarung entspreche, ohne sich zur Genehmigungsfähigkeit der Deponie zu äussern.
cc) Darüber hinaus unterschreitet die geplante Deponie mit 12'000 m3 (bzw. 15'300 m3 einschliesslich des Abschlusses in den Chambergräben) die nach
Art. 31 Abs. 1 TVA
vorgeschriebene Mindestgrösse für Inertstoffdeponien von 100'000 m3 ganz erheblich. Zwar kann der Kanton gemäss
Art. 31 Abs. 2 TVA
Deponien mit geringerem Volumen genehmigen, wenn dies aufgrund der geographischen Gegebenheiten sinnvoll ist. Dabei darf jedoch Sinn und Zweck der Mindestgrössenbestimmung nicht ausser acht gelassen werden:
Art. 31 Abs. 1 TVA
beruht auf schlechten Erfahrungen, die in der Vergangenheit gerade mit Kleinstdeponien für Aushub und Bauschutt gemacht wurden (vgl. P. OGGIER, a.a.O., S. 13). Es zeigte sich, dass die bei Inertstoffdeponien im Vordergrund stehende rigorose Kontrolle und Überwachung der abzulagernden Abfälle regelmässig die Möglichkeiten einer Gemeinde übersteigen. Der Verordnungsgeber ging deshalb davon aus, dass auch Inertstoffdeponien grundsätzlich auf regionaler Basis zu realisieren seien (P. OGGIER, a.a.O., S. 16; P. LAVANCHY, Les décharges contrôlées: une base indispensable de l'économie des déchets, in: Défis des déchets, hrsg. von Peter Knoepfel und Helmut Weidner, Basel/Frankfurt a.M. 1992, S. 81). Vor diesem Hintergrund genügt es - jedenfalls bei erheblicher Unterschreitung der Mindestgrösse - nicht, auf die geographischen Verhältnisse der Gemeinde Wittinsburg zu verweisen. Vielmehr muss der Kanton in solchen Fällen schon bei der Standortfestlegung das Konzept einer Gemeinde- statt einer regionalen Deponie rechtfertigen, die geographischen Verhältnisse der gesamten Region in die Prüfung miteinbeziehen (vgl. hierzu auch E. 4) und darlegen, inwiefern die Gemeinde fähig und bereit ist, einen kontrollierten Deponiebetrieb im Sinne der Technischen Verordnung für Abfälle (vgl.
Art. 34 TVA
) zu gewährleisten.
4.
a) Das BUWAL macht darüber hinaus geltend, die Standortgebundenheit der Deponie gemäss
Art. 5 Abs. 2 lit. a WaG
sei nicht nachgewiesen worden. Alle von der Gemeinde diskutierten Standortvarianten hätten im Waldareal
BGE 120 Ib 400 S. 408
gelegen, während Grundstücke ausserhalb des Waldes nicht in die Abwägung miteinbezogen worden seien. Im übrigen hätte dem Umstand Rechnung getragen werden müssen, dass angesichts der geforderten Mindestgrösse von 100'000 m3 Standorte für neue Inertstoffdeponien in erster Linie auf regionaler Ebene zu suchen seien.
b) Die Gemeinde behauptet dagegen, die Abklärung über mögliche Auffüllungen und Meliorationen ausserhalb des Waldgebietes sei schon in den Jahren 1975 bis 1992 mit der Durchführung der Felderregulierung erfolgt. Schon damals seien die Chambergräben zu Deponiezwecken bestimmt worden. Der Kanton macht geltend, aus der Sicht des Landschaftsschutzes scheide eine Aufschüttung auf anderen Teilen des Gemeindegebietes aus: Der Gemeindebann umfasse einen Teil der Hochfläche, die bewaldeten Abhänge gegen das Homburgertal sowie Bereiche der Talebene (ehemalige Wassermatten). Die Hochfläche werde ackerbaulich genutzt; die Landwirtschaftsflächen gälten weitgehend als Fruchtfolgeflächen. Von Natur aus fehlten hier Geländemulden, die sich als Deponiestandorte eignen würden. Aushubmaterial liesse sich deshalb nur terrassenartig oder zu Hügeln aufschütten. Dies würde nicht nur wertvolle Ackerböden zerstören, sondern auch die weitgehend unversehrte Tafeljura-Landschaft massiv verändern. Da es gegen den gewählten Standort weder forst- noch umwelt- oder naturschützerische Einwände gebe, dränge sich die Suche nach einer Regionaldeponie nicht auf. Im Gegenteil: bei Regionaldeponien mit einer Mindestgrösse von 100'000 m3 seien die landschaftsverändernden bzw. landschaftsbeeinträchtigenden Auswirkungen wesentlich grösser, vor allem wenn man die längeren Transportwege berücksichtige. Gut geführte, dezentrale Aushubdeponien seien auch aus naturschützerischer Sicht wo möglich einer regionalen Grossdeponie vorzuziehen.
c) Nach
Art. 5 Abs. 2 lit. a WaG
muss ein Werk, für das eine waldrechtliche Ausnahmebewilligung beansprucht wird, auf den vorgesehenen Standort angewiesen sein. Die Standortgebundenheit ist nicht in einem absoluten Sinne aufzufassen, besteht doch fast immer eine gewisse Wahlmöglichkeit. Entscheidend ist, ob die Gründe der Standortwahl die Interessen der Walderhaltung überwiegen (
BGE 117 Ib 325
E. 2 S. 327 mit Hinweis). Die Bejahung der relativen Standortgebundenheit setzt indessen ebenfalls voraus, dass eine umfassende Abklärung von Alternativstandorten stattgefunden hat (
BGE 119 Ib 397
E. 6a S. 405).
BGE 120 Ib 400 S. 409
Es mag sein, dass in Wittinsburg, wie von Kanton und Gemeinde vorgetragen, nur der Wald als Deponiestandort in Betracht kommt. Unzureichend erscheint die Abklärung von Alternativstandorten allerdings, sofern Gemeinde und Kanton von vornherein ausschliesslich einen Standort auf Gemeindegebiet in Aussicht nahmen. Zum einen sieht Ziff. 6.5 der Rodungsbewilligung vor, dass bei Bedarf auch Aushub aus benachbarten Gemeinden in Wittinsburg abgelagert werden könne. Dann aber hätte es sich aufgedrängt, zumindest auch die in Betracht kommenden Nachbargemeinden in die Standortauswahl miteinzubeziehen. Zum anderen ist der Kanton nach
Art. 31 Abs. 4 USG
,
Art. 15 ff. TVA
zur Abfallplanung verpflichtet (vgl. hierzu A. TRÖSCH, a.a.O., Art. 31 Rn. 41 ff.); er bestimmt die Standorte der Abfallanlagen, insbesondere der Deponien und weist diese in seiner Richtplanung aus (
Art. 17 TVA
). Dies gilt generell für alle Deponien, d.h. auch für Inertstoffdeponien mit ungefährlichen Abfällen (DANIEL VOGEL, Pflicht zur räumlichen Planung von Abfalldeponien gemäss
Art. 31 Abs. 4 USG
unter besonderer Berücksichtigung des Zürcher Rechts, Dissertation Zürich, 1990, S. 50 f.). Daraus folgt, dass die Abfallplanung einschliesslich der Standortauswahl grundsätzlich auf Kantonsebene erfolgen soll. Für eine regional angelegte, zentrale Abfallpolitik spricht auch die von
Art. 31 Abs. 1 TVA
für Inertstoffdeponien vorgeschriebene Mindestgrösse von 100'000 m3 (vgl. oben, E. 3 e/cc). Werden Alternativstandorte nur innerhalb eines engen, lokalen Rahmens gesucht, kommen naturgemäss nur wenige Deponiestandorte überhaupt in Betracht, und es besteht die Gefahr einer Absenkung der Eignungsanforderungen. In der Abwägung zwischen mehreren in Betracht kommenden Deponiestandorten steht es dem Kanton frei, besonderes Gewicht auf die von ihm genannten Kriterien (insbesondere die Vermeidung langer Transportwege) zu legen; diese rechtfertigen es jedoch nicht, von vornherein auf die Ermittlung von Alternativstandorten zu verzichten. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Interessenabwägung somit als unvollständig.
5.
Da für die Beurteilung des Deponieprojekts wesentliche Fragen in der Rodungsbewilligung nicht hinreichend abgeklärt wurden, beruht diese nicht auf einer umfassenden Interessenabwägung nach
Art. 5 WaG
. Damit liegt zugleich ein Verstoss gegen die Koordinationspflicht vor. Nach gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl.
BGE 116 Ib 50
E. 4 S. 56 ff.;
BGE 117 Ib 35
E. 3e S. 39 f., 42 E. 4a S. 48 f., 178 E. 6 S. 195 f., 325 E. 2b S.
BGE 120 Ib 400 S. 410
329 f.;
BGE 119 Ib 174
E. 4 S. 178) muss die Rechtsanwendung materiell koordiniert, d.h. inhaltlich abgestimmt erfolgen, wenn für die Verwirklichung eines Projekts verschiedene materiellrechtliche Vorschriften anzuwenden sind und zwischen diesen Vorschriften ein derart enger Sachzusammenhang besteht, dass sie nicht getrennt und unabhängig voneinander angewendet werden dürfen. Diese Koordinationspflicht ergibt sich in erster Linie aus den materiellen bundesrechtlichen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen, die eine koordinierte Rechtsanwendung entweder ausdrücklich vorschreiben oder voraussetzen, weil sie eine umfassende, den jeweiligen Fachbereich überschreitende Interessenabwägung gebieten (vgl.
BGE 117 Ib 35
E. 3e S. 39 f.). Für den vorliegenden Fall sind neben
Art. 5 WaG
insbesondere
Art. 30 USG
und
Art. 14 ff. RPG
(SR 700) zu nennen, die sowohl bei der Rodungsbewilligung als auch im Abfallrecht und im Rahmen der Nutzungsplanung eine Gesamtschau und Abwägung aller relevanten Umstände voraussetzen. Für Deponien ergibt sich die Pflicht zur materiellen Koordination nunmehr ausdrücklich aus
Art. 20 TVA
: Danach koordinieren die Kantone in ihrem Zuständigkeitsbereich sämtliche für Bau oder Betrieb von Abfallanlagen erforderlichen Bewilligungsverfahren, insbesondere für die Raumplanungs-, Rodungs- und Gewässerschutzbewilligung, die Bewilligungen nach dem Arbeitsgesetz, der Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen sowie die Deponieerrichtungs- und -betriebsbewilligung (vgl. hierzu THEO LORETAN, Die Koordination der Verfahren mit besonderer Berücksichtigung der Planung von Abfallanlagen, in: Raumplanungsgruppe Nordostschweiz, Informationsblatt 3/1992, S. 33 ff., insbesondere 39 ff.). Darüber hinaus schreibt
Art. 12 WaG
die Koordination des forstrechtlichen und des raumplanungsrechtlichen Verfahrens vor (vgl. oben, E. 2c). Im vorliegenden Fall wird diese materiellrechtliche Koordination durch den Umstand begünstigt, dass die wesentlichen Kompetenzen bei kantonalen Behörden liegen, die sowohl für die Genehmigung der Zonenplanänderung der Gemeinde Wittinsburg und die Erteilung der Bau- bzw. Deponieerrichtungsbewilligung als auch für die Rodungsbewilligung gemäss
Art. 6 Abs. 1 lit. a WaG
zuständig sind. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
b6c2efd9-8d07-4fb2-ab81-557872d5543f | Urteilskopf
110 IV 102
32. Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1984 i.S. W. gegen E. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 42 Ziff. 1 lit. a und b URG
,
Art. 13 lit. d UWG
(handwerkliche Erzeugnisse; "Harlekin"-Puppen)
1. Durch das URG geschütztes Kunstwerk ist nur ein Geisteswerk, das den Stempel einer originellen und von der Individualität des Urhebers geprägten schöpferischen Tätigkeit trägt; diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn das Werk bekannten Formen so nahe steht, dass jeder Dritte die gleiche Form schaffen könnte.
2. Regelmässig sind spezialrechtlich (z.B. urheberrechtlich) nicht geschützte Arbeitsergebnisse wettbewerbsrechtlich ebenfalls nicht schützbar; anders ist es nur, wenn die ästhetische Form Kennzeichnungskraft besitzt. Bei Erzeugnissen, die keinem Gebrauchszweck dienen und deren Wert der Verkehr ausschliesslich nach ihrem ästhetischen Gehalt bemisst (z.B. bei Zierpuppen), dient indessen die ästhetische Gestaltungsform nicht als Zutat zur Kennzeichnung. | Sachverhalt
ab Seite 103
BGE 110 IV 102 S. 103
A.-
Frau E. stellt seit 1979 ein Sortiment von 19 verschiedenen Zierpuppen her. Auch wenn diese sich mehr oder weniger voneinander unterscheiden, ist doch eine klare Linie innerhalb des Programms zu erkennen. Alle Puppen sind - wie auch deren Kleider - handgefertigt, sie sind einzeln bemalt, zwischen 25 und 80 cm lang und bis zu 3 kg schwer. Der Kopf besteht aus einer Kunstharzmasse gemischt mit Holzteilen, die Haare sind aus Lammfell. Der Leib wird mit Kunstharzgranulat gefüllt, die Aussenhülle ist aus Stoff.
An der Einkaufsmesse "Ornaris", die vom 15. bis 19. August 1981 in Bern stattfand, stellte Frau W. unter dem Namen "Harlekin" ähnliche Puppen aus. Überdies erteilte sie in jenem Jahr an der Volkshochschule in Zug Unterricht im Basteln von Puppen, die ebenfalls denjenigen von Frau E. glichen.
B.-
Am 20. Dezember 1983 sprach das Obergericht des Kantons Bern Frau W. der Widerhandlung gegen das URG und das UWG schuldig, "beides fortgesetzt begangen im Jahre 1981 bis zum 19. November 1981 in Zug und Bern zum Nachteil der Frau E.", und verurteilte sie zu einer vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 600.-- und "dem Grundsatze nach zu vollem Ersatz" des der Privatklägerin entstandenen Schadens. Zur Festsetzung der Höhe desselben wurden die Parteien auf den Zivilweg verwiesen.
C.-
Frau W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts und "die damit verbundene Verfügung sei im Straf- und Zivilpunkt aufzuheben".
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass es sich bei den Puppen der Frau E. um Werke der angewandten Kunst im Sinne des
Art. 1 URG
handelt. In scheinbarer Übereinstimmung mit der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis werde im angefochtenen Urteil erklärt, die Puppen seien Ausdruck einer neuen, originellen geistigen Idee. Damit verkenne die Vorinstanz aber den wirklichen Gehalt des
Art. 1 URG
und wende die bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 106 II 73
) falsch an. Die Puppen der Beschwerdegegnerin als Ausdruck einer solchen Idee zu betrachten,
BGE 110 IV 102 S. 104
entbehre jeder Grundlage, da der Markt seit Jahren mit solchen Puppen überschwemmt sei, deren charakteristische Züge durch vorbekannte, den Erwartungen der Abnehmer entsprechende Merkmale (trauriger Gesichtsausdruck, clownartige Bekleidung, Rüschenkragen, Wuschelhaar usw.) geprägt seien. Die Puppen der Beschwerdegegnerin seien nichts anderes als eine Abwandlung von seit Jahren bekannten Puppenformen, weshalb ihnen jegliche Originalität abgehe. Massgebend sei nämlich der Gesamteindruck, den die Puppen beim Betrachter hinterliessen. Dieser werde vorwiegend durch Bemalung und Ausstattung derselben erzielt. Dieser Gesamteindruck der Puppen der Beschwerdegegnerin müsste im Vergleich zu Puppen anderer Hersteller "entscheidend verändert werden, um in den Genuss urheberrechtlichen Schutzes zu kommen". Der Richter müsse am Werk selber feststellen können, dass es nur von einer bestimmten Person stammen könne. Das treffe hier nicht zu. Im übrigen sei jede der Puppen, also auch die von den Kontrahentinnen selber hergestellten Puppen untereinander, von den andern verschieden. Jede Puppe sei ein Einzelstück. Eine ausgeprägte, mühelos erkennbare Eigenwilligkeit, aufgrund derer man sie als "Puppen von Frau E." erkennen könnte, fehle. Nur bei einem "detaillierten Nebeneinandervergleich, wie ihn der erstinstanzliche Richter mit Akribie vorgenommen habe", fielen Einzelheiten auf, die bei den Puppen der Kontrahentinnen ähnlich seien. Solchen Feinheiten komme jedoch keine Bedeutung zu, weil der Gesamteindruck nicht durch diese gemeinsamen Merkmale, sondern durch andere Eigenheiten (menschliche Form, Bekleidung, Frisur, Gesichtsbemalung) bestimmt werde. Der sozusagen mit dem Millimetermassstab versuchte Nachweis der Identität der Puppen unterstreiche die mangelnde, urheberrechtlich relevante Übereinstimmung im Gesamteindruck. Ausserdem sei darauf hinzuweisen, dass alle im Prozess eingelegten Vergleichspuppen für den Zeitraum vom 19. August 1981 bis 19. November 1981 keine Rolle spielten, weil sie später erhoben bzw. eingereicht worden seien. Auch sei völlig unbekannt, wie die von der Beschwerdeführerin ausgestellte Puppe ausgesehen habe, da sie nie beweismässig erhoben worden sei. Schliesslich sei noch beizufügen, dass ein Werk der angewandten Kunst auch als solches erkennbar sein müsse. Bestünden Zweifel darüber, ob es dieses oder ein blosses gewerbliches Modell sei, sei das letztere anzunehmen (
BGE 105 II 300
). Da es die Beschwerdegegnerin aber unterlassen habe, ihre Puppen als Modell zu hinterlegen, dürften diese sogar sklavisch
BGE 110 IV 102 S. 105
nachgeahmt werden. Die Beschwerdeführerin hätte sich deshalb selbst in diesem Fall keiner strafbaren Handlung schuldig gemacht.
2.
Nach
Art. 1 Abs. 1 URG
stehen unter dem Schutz dieses Gesetzes die Werke der Literatur und Kunst, und nach Abs. 2 des genannten Artikels sind darunter u.a. Werke der bildenden Künste, wie Werke der zeichnenden Kunst, der Malerei, der Bildhauerei, der Baukunst, der Holzschneidekunst, des Stiches, der Lithographie und der angewandten Kunst zu verstehen. Damit zählt das Gesetz Beispiele von Werkgattungen auf, ohne indes den Begriff des Kunstwerkes selber zu umschreiben. Immerhin ergibt sich aus den genannten Beispielen, dass es sich bei einem Kunstwerk im Sinne des Gesetzes um ein Geisteswerk handeln muss. Entsprechend hat denn auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts es als Ausdruck einer neuen originellen Idee, als eigenartige Geistesschöpfung von selbständigem Gepräge, als Verkörperung eines Gedankens, für die es einer individuellen geistigen Idee bedurfte, bezeichnet (
BGE 106 II 73
,
BGE 101 II 105
E. 2b mit Hinweisen,
BGE 77 II 379
,
BGE 76 II 100
,
BGE 75 II 363
). Die Tatsache, dass das Werk aus dem Geiste des Urhebers stammt, genügt jedoch nicht, um ihm den gesetzlichen Schutz als Kunstwerk zu vermitteln. Schutzwürdiges Kunstwerk ist das Geisteswerk nur, wenn es den Stempel einer originellen und von der Individualität des Urhebers geprägten schöpferischen Tätigkeit trägt (s.
BGE 105 II 299
; TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band I, 3. Aufl., S. 351 f., 363 f.; J. VOYAME, Droit d'auteur, Lausanne, 1975, S. 11). Im Geiste des Urhebers entstandene Schöpfungen, die zwar von ihm nicht Bekanntem entnommen sind, die aber dem Bekannten so nah sind, dass auch ein anderer die gleiche Form schaffen könnte, ermangeln der Originalität und Individualität. Die Individualität des Werkes hängt entsprechend vom Verhältnis der im Geiste des Urhebers geschaffenen zu den aus dem Gemeingut entnommenen Elementen ab (TROLLER, a.a.O., S. 362, 373). Handwerkliche Leistungen, die lediglich bekannte Formen oder Linien verbinden oder abwandeln, erhalten keinen Urheberrechtsschutz (
BGE 106 II 73
). Anderseits sind der ästhetische Wert und die Bedeutung des Werkes nicht zu berücksichtigten (
BGE 75 II 360
), und es sind auch an die Originalität keine hohen Anforderungen zu stellen. Insgesamt ist aber doch ein höherer Grad von Individualität oder Originalität und eigenpersönlicher Prägung zu verlangen als beim Muster und Modell (
BGE 106 II 73
,
BGE 100 II 172
; s. auch
BGE 104 II 329
).
BGE 110 IV 102 S. 106
3.
Bei den Puppen, welche die Beschwerdeführerin nachgemacht hat, handelt es sich um die Darstellung von sogenannten Harlekins; dass sie anders geartete Puppen der Beschwerdegegnerin kopiert hätte, ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Es sind somit nur Puppen dieser Art in die Beurteilung einzubeziehen. Bei diesen von der Beschwerdegegnerin hergestellten Puppen handelt es sich um eine verkleinerte Darstellung von menschlichen Gestalten. Entsprechend ist ihre Form im wesentlichen durch das menschliche Aussehen bestimmt, indem sie einen Kopf mit Haupthaar, Stirne, zwei Augen, einen Mund mit Kinn sowie einen Körper mit Armen und Beinen aufweisen. Insoweit sind sie unzweifelhaft Gemeingut und nicht von individueller Originalität. Es kann sich deshalb einzig fragen, und davon ist auch die Vorinstanz ausgegangen, ob die Puppen hinsichtlich der ihnen durch die Bemalung verliehenen Gesichtszüge sowie der Art der Bekleidung insgesamt den Stempel einer neuen, originellen Idee tragen. Die Vorinstanz hat dies mit der knappen Begründung bejaht, man könne den Puppen, wenn man von dem durch Bemalung und Ausstattung geschaffenen Gesamteindruck ausgehe, den Anspruch nicht absprechen, Kunstwerke zu sein; "der leicht traurige Gesichtsausdruck (teilweise mit Tränen)" entstehe dabei erst durch die Bemalung. Damit ist allerdings wenig ausgesagt, und es ist insbesondere zweifelhaft, ob in dem traurigen Gesichtsausdruck schon ein schöpferisches Element liegt, das als von Bekanntem so weit entfernt gelten könnte, dass auch ein anderer die gleiche Form nicht ohne weiteres hätte schaffen können. Der genannte Augenausdruck ist von Zirkusclown-Figuren her längst bekannt und auch bei von Künstlern abgebildeten Harlekins nicht selten anzutreffen (s. z.B. "alter Clown" von Rouault, oder "sitzender Pierrot" von Picasso). Auch der etwas breit gezogene Mund und das in die Stirne hineinreichende Wuschelhaar gehören zur bekannten Darstellung von Clowns, ebenso wie die für Harlekins typische Bekleidung der Puppen. Alle diese Elemente vermögen in ihrer Gesamtheit den Puppen nicht das Gepräge einer eigenartigen Geistesschöpfung zu verleihen, die auf die Individualität der Frau E. als ihres Urhebers hinwiese und sie damit als Werk der bildenden Kunst erscheinen liesse. Auch wenn man mit der Rechtsprechung an die Originalität keine zu hohen Anforderungen stellt, erreichen die Puppen der Beschwerdegegnerin nicht jenen Grad eigenpersönlicher Prägung, die über das hinausginge, was Muster und Modelle charakterisiert (
BGE 104 II 329
). Letztere
BGE 110 IV 102 S. 107
sind auch originell, wenn der Urheber zwar vorbekannte Formen benutzt, sie aber so umgestaltet, dass daraus ein deutlich anderer und einheitlicher ästhetischer Effekt hervorgeht; sie werden diesfalls gerade durch ihre nicht individuelle Originalität von den Werken der angewandten Kunst abgegrenzt (TROLLER, a.a.O., S. 362, 406). Im vorliegenden Fall wäre höchstens ein Schutz nach MMG (SR 232.12) in Betracht gefallen. An dieser Schlussfolgerung ändert auch nichts, dass einerseits die Beschwerdeführerin nach dem angefochtenen Urteil ihre Behauptung, wonach der Markt weltweit mit solchen Puppen überschwemmt sei, nicht zu erbringen vermochte, und anderseits die Puppen der Frau E. nicht Serienprodukte, sondern Einzelanfertigungen sind. Auch wenn man ihnen die Qualität vorzüglicher handwerklicher Leistungen zuerkennen kann, sind sie dennoch nicht Werke der bildenden Kunst im Sinne des URG. Hinsichtlich dieses Schuldspruches ist die Beschwerde schon aus diesem Grund gutzuheissen, ohne dass die weiteren Einwendungen noch geprüft werden müssten.
4.
Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin ausser wegen Verletzung von
Art. 42 Ziff. 1 lit. a und b URG
auch wegen unlauteren Wettbewerbs im Sinne von
Art. 13 lit. d UWG
bestraft. Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer vorsätzlich Massnahmen trifft, um Verwechslungen mit den Waren, Werken, Leistungen oder dem Geschäftsbetrieb eines andern herbeizuführen.
Nach Rechtsprechung und Lehre gilt die Regel, dass spezialrechtlich nicht geschützte Arbeitsergebnisse als solche wettbewerbsrechtlich ebenfalls nicht schützbar sind, mögen sie auch mit Mühe und Kosten errungen worden sein (
BGE 104 II 334
mit Verweisungen, s. TROLLER, a.a.O., Band II, 2. Aufl., S. 1143). Nachdem oben in E. 3 festgestellt wurde, dass die Puppen der Beschwerdegegnerin keine urheberrechtlich geschützten Werke bildender Kunst sind, fallen sie grundsätzlich auch nicht in den Schutzbereich von
Art. 13 lit. d UWG
, denn sonst ergäbe sich auf dem Umweg des UWG ein zeitlich unbeschränkter Monopolschutz, der durch das Spezialgesetz gerade ausgeschlossen werden sollte.
Anders ist es nur, wo die ästhetische Form Kennzeichnungskraft besitzt, wenn das Erzeugnis eine bestimmte Form oder Ausstattung nur deshalb erhalten hat, um es von gleichen oder ähnlichen Erzeugnissen anderen Ursprungs zu unterscheiden (
BGE 88 IV 83
). Unter dieser Voraussetzung ist die Form nicht ästhetisch
BGE 110 IV 102 S. 108
bedingt, sondern bloss äussere Zutat zur Kennzeichnung der Ware oder des Werkes und darf daher von anderen Herstellern nicht nachgemacht werden (
BGE 104 II 332
E. 5a). Bei Erzeugnissen, die keinem Gebrauchszweck dienen und deren Wert der Verkehr ausschliesslich nach ihrem ästhetischen Gehalt bemisst, dient indessen die ästhetische Gestaltungsform nicht als Zutat zur Kennzeichnung. Vielmehr sind hier Stil und Machart integrierende Bestandteile für die ästhetische Gesamtwirkung der Figur (BGHZ 5 S. 6; VON BÜREN, Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, Zürich 1957, N. 23 und 24 zu
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
) und nicht durch
Art. 13 lit. d UWG
geschützte, jene kennzeichnende Ausstattung. Tatsächlich könnte denn auch bei den hier in Frage stehenden Puppen die ästhetische Form (Bemalung usw.) nicht weggelassen werden, ohne damit dem Erzeugnis, das ja nicht einem Gebrauchszweck (z.B. als Spielzeug), sondern als Ziergegenstand dient, diese wesentliche Eigenschaft zu nehmen. Das angefochtene Urteil ist deshalb auch in diesem Punkt aufzuheben.
5.
Soweit die Beschwerdeführerin das Urteil des Obergerichts im Zivilpunkt anficht, geschieht dies mit dem Hinweis darauf, dass ihre Verurteilung wegen Übertretung des URG und des UWG zu Unrecht erfolgt sei. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkte gutzuheissen, da die Vorinstanz ihr Urteil insoweit einzig auf jene Übertretungen gestützt hat. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
b6c77dfe-07a4-4bec-b810-3ec46e7f478f | Urteilskopf
85 II 226
36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. September 1959 i.S. H. gesch. F. gegen F. | Regeste
Gestaltung der Elternrechte bei Ehescheidung.
Art. 156 ZGB
.
1. Tragweite des Grundsatzes, dass kleine Kinder in der Regel der Mutter zuzuweisen sind (Erw. 1).
2. Über das Besuchsrecht und die Unterhaltspflicht des Ehegatten, dem die Kinder nicht zugeteilt werden, hat der Scheidungsrichter von Amtes wegen, also auch, wenn kein dahingehender Antrag einer Partei vorliegt, zu entscheiden (Erw. 2).
3. Ist die Scheidung in Rechtskraft erwachsen und vor Bundesgericht nur noch die Gestaltung der Elternrechte streitig, so kann das Bundesgericht über die Zuweisung der Kinder entscheiden und die Regelung des Besuchsrechtes und der Unterhaltspflicht, sofern es hiefür noch der ergänzenden Feststellung der Verhältnisse bedarf, dem kantonalen Gericht aufgeben.
Art. 64 OG
. (Erw. 2 Schluss). | Sachverhalt
ab Seite 227
BGE 85 II 226 S. 227
A.-
Die Parteien liessen sich am 12. November 1955 trauen. Der Mann ist 1923 geboren, die Frau 1926. Sie ist Deutsche von Geburt und war früher in Deutschland verheiratet. Nachdem der erste Ehemann im Kriege gefallen war, hatte sie 1947 ausserehelich ein Kind, das sich bei ihr befindet. Vor der neuen Ehe arbeitete sie in Zurzach, wo sie den künftigen zweiten Ehemann kennen lernte. Sie wurde von ihm schwanger und gebar am 12. April 1955 einen Knaben P., der durch die nachfolgende Heirat der Eltern ehelich wurde.
B.-
Infolge der in der Ehe eingetretenen Zerwürfnisse klagte der Ehemann Ende August 1957 beim Bezirksgericht Zurzach auf Scheidung. Für die Dauer des Prozesses wurde der gemeinsame Haushalt aufgehoben. Der Richter wies die Beklagte an, das Haus des Klägers in Rietheim zu verlassen, und sprach ihr den Knaben P. für die Prozessdauer zu.
C.-
Beide kantonalen Instanzen sprachen die Scheidung in Anwendung von
Art. 142 ZGB
aus. Den Knaben P. unterstellten sie der elterlichen Gewalt des Klägers. Das Besuchsrecht der Beklagten wurde in der Weise geordnet, dass sie den Knaben alle zwei Wochen einen halben Tag
BGE 85 II 226 S. 228
besuchen oder auf Besuch abholen und jedes Jahr während zweier Wochen in die Ferien nehmen könne.
D.-
Gegen das obergerichtliche Urteil vom 6. März 1959 hat die Beklagte binnen gesetzlicher Frist Berufung an das Bundesgericht eingelegt. Sie verlangt die Aufhebung der die Kindeszuteilung betreffenden Ziffern 2 und 3 des Scheidungsurteils und die Zuweisung des Knaben an sie, eventuell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz "zur Zusprechung des Knaben ... an die Berufungsklägerin".
Der Kläger trägt auf Abweisung der Berufung an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Zur bessern Abklärung der für die Gestaltung der Elternrechte massgebenden Verhältnisse holte das Bezirksgericht bei Dr. Bressler, Leiter der psychiatrischen Beratungsstelle in Brugg, den die Parteien mehrmals aufgesucht hatten und den sie nun von der ärztlichen Schweigepflicht entbanden, einen Bericht ein über die Frage, "ob der eine oder andere der Ehegatten, bzw. beide Eheleute, charakterlich zur Ausübung der elterlichen Gewalt geeignet sind". Der Berater war, wie er ausführt, anfänglich geneigt, die Hauptschuld am Misslingen der Ehe bei der Frau zu suchen. Diese erschien ihm damals nervös, aufgeregt und lärmig. Dieser Eindruck "verschob sich aber allmählich ganz deutlich zu Ungunsten des Mannes". Es drängte sich, ohne dass seine berufliche Tüchtigkeit in Frage zu stellen wäre, der Verdacht auf, als seien ihm Herzlichkeit, Liebe, Opferbereitschaft, Selbstentäusserung im Verhältnis zu seiner Familie fremd. Sein Wesen schien zu sehr von Ehrgeiz, Geltungssucht nach aussen, Ichbezogenheit erfüllt. Die Frau erschien unbeherrschter und auch selbstunsicherer als der Gatte, "zugleich aber auch wirklich leidender und opferbereiter". "Bei all ihrer teilweise etwas fragwürdig erscheinenden Vorgeschichte, bei ihrer vermutlichen Unterlegenheit an Intelligenz ihm gegenüber, wirkte sie auf uns doch viel echter und hingabefähiger."
BGE 85 II 226 S. 229
Die Antwort auf die Frage des Gerichtes lautet dahin, "dass sicherlich keine absoluten Gründe gegen eine Zuteilung an Vater oder Mutter sprechen. Es möchte uns aber bei der vorgängigen Charakteristik beider Eltern doch bedünken, als ob der Bub bei seiner Mutter besser, vor allem menschlich wärmer, aufgehoben wäre als bei seinem Vater".
Die kantonalen Gerichte lassen diese Würdigung der Wesensart der beiden Eltern an und für sich gelten. Es ist nicht die Rede davon, dass ein Grund im Sinne von
Art. 285 ZGB
vorläge, dem einen oder andern von ihnen die elterliche Gewalt vorzuenthalten bzw. zu entziehen. Die Frage, welchem von beiden die während der Prozessdauer von der Mutter ausgeübte elterliche Gewalt zuzuweisen sei, glauben aber beide kantonalen Instanzen (je mehrheitlich) abweichend von der Meinung des Eheberaters entscheiden zu sollen. Das Obergericht erklärt zusammenfassend, die Beklagte biete weniger Garantie für eine richtige Erziehung des Knaben als der Kläger. Die Begründung verweist in erster Linie auf den "wenig vertrauenerweckenden Werdegang" der Beklagten, weshalb deren Zukunft als "sehr unsicher" erscheine. In sittlicher Beziehung wird ihr vorgehalten, sie habe schon mit 17 Jahren die erste Ehe geschlossen, als Witwe (1947) ausserehelich geboren, nach ihrer Einreise in die Schweiz einen "sexuell ungeordneten Lebenswandel" geführt, sich in der Folgezeit dem Kläger ohne längere Bekanntschaft hingegeben und sichtlich eine Ehe mit ihm gesucht, ohne jedoch imstande gewesen zu sein, eine gute Ehe zu gestalten. Es sei daher "keinerlei Gewähr dafür vorhanden, dass sie sich richtig aufgefangen hat und ihren Kindern eine gute Mutter sein wird". Der geschilderte Lebensgang vermag aber keine erheblichen Bedenken gegenüber einer Zuweisung des Knaben an die Mutter zu rechtfertigen. Von den erwähnten Tatsachen könnte nur der "sexuell ungeordnete Lebenswandel" (worüber das angefochtene Urteil nichts Näheres feststellt) aus der Zeit vor der Bekanntschaft mit dem
BGE 85 II 226 S. 230
Kläger eine Rolle spielen. Indessen lässt sich aus diesem weit zurückliegenden, unbestimmten Sachverhalt nicht auf eine dauernde sittliche Gefährdung der Beklagten und damit auch der ihr anvertrauten Kinder schliessen, wie denn sonst nicht verständlich wäre, dass der Richter ihr den Knaben für die Dauer des Rechtsstreites zugewiesen hat. Die aussereheliche Geburt während ihres Witwenstandes, vor zwölf Jahren, und die ungehemmte Hingabe an den Kläger sind vollends keine Tatsachen, die ihre Eignung zur Erziehung des Knaben in Frage zu stellen vermögen. Seit dessen Geburt ist nichts vorgefallen, was die Beklagte in sittlicher Hinsicht belasten würde. Namentlich hat sie das Vertrauen des Richters, der ihr den Knaben für die Prozessdauer überliess, nicht getäuscht. Es ist nicht die Rede davon, dass die Vormundschaftsbehörde wegen irgendwelcher Verletzung oder Vernachlässigung der Betreuungs- und Erziehungspflichten hätte einschreiten müssen. Und was die unangenehmen Seiten ihres Charakters betrifft, so stehen ihnen nach dem in seiner Richtigkeit nicht angezweifelten Befund des Eheberaters Dr. Bressler mütterliche Eigenschaften gegenüber, die, alles in allem genommen, nach Ansicht des Eheberaters die Zuweisung an sie als wünschbar erscheinen lassen.
Die Vorinstanz zieht allerdings noch einen Selbstmordversuch der Beklagten vom Jahre 1951 und "verschiedene Selbstmorddrohungen im Laufe der Ehe mit dem Kläger" in Betracht. Allein jener Selbstmordversuch dürfte wesentlich durch die damaligen unsichern Lebensverhältnisse der Beklagten mitbedingt gewesen sein. Was aber die dem Kläger gegenüber bei ehelichen Auftritten ausgestossenen Drohungen mit Selbstmord und andern gefährlichen Handlungen betrifft, so handelte es sich offenbar um Lärmszenen, denen keine grosse Tragweite beizumessen ist (abgesehen von dem Verschulden an der Zerrüttung der Ehe). Jedenfalls ist eine ernstliche Gefährdung des Knaben nicht dargetan.
Endlich hat sich das Obergericht für die Zuweisung des
BGE 85 II 226 S. 231
Knaben an den Vater entschieden, weil dieser bessere Erziehungsmöglichkeiten besitze, "zumal wenn er, wie er zugesichert hat, den Knaben seiner Schwester Frau K. übergibt, die ihn bei sich aufnehmen kann und deren Familie laut Bericht des Gemeinderates in geordneten Verhältnissen lebt und gut beleumdet ist". Gewiss ist damit dargetan, dass der Knabe bei Zuweisung an den Vater, obwohl dieser ihn nicht bei sich haben könnte, in gute Obhut käme. Allein dies vermag den Wert der Erziehung durch die eigene Mutter nicht aufzuwiegen, selbst wenn deren äussere Lebensumstände nicht von vornherein auf weite Sicht gefestigt sind. Die mütterliche Liebe verdient bei der Zuweisung kleiner Kinder in erster Linie berücksichtigt zu werden, besonders wenn die Mutter die Erziehung selber zu leiten vermag (vgl. EGGER, 2. Auflage, N. 6 zu
Art. 156 ZGB
). Mit Rücksicht auf diese Bedürfnisse des ersten Kindesalters pflegt die Zuweisung an die Mutter immer mehr zur Regel zu werden. Sie soll nach verbreiteter Ansicht "wenn immer möglich" stattfinden (vgl. HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, S. 100/01, ferner BlZR 43 Nr. 143). Bei erheblicher Gefährdung der Kinder ist freilich davon abzuweichen (
BGE 79 II 241
); doch sind im vorliegenden Falle nach dem Gesagten ernstliche Gefahren nicht gegeben.
2.
Infolge der Zuweisung an die Mutter hat der Vater ein Besuchsrecht (
Art. 156 Abs. 3 ZGB
). Dieses ist als Element der Elternrechte vom Scheidungsgericht zu ordnen, auch wenn kein dahingehender Parteiantrag vorliegt. Das Bundesgericht ist nicht in der Lage, darüber zu entscheiden, da die hiefür massgebenden Verhältnisse durch die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts nicht abgeklärt sind und Gründe bestehen mögen, das Besuchsrecht des Vaters nicht einfach gleich zu ordnen, wie die Vorinstanz in ihrem abweichenden Zuweisungsentscheide das Besuchsrecht der Mutter geregelt hat. Somit ist die Rückweisung der Sache an das Obergericht in diesem Punkt unerlässlich.
BGE 85 II 226 S. 232
Gleich verhält es sich mit der väterlichen Unterhaltspflicht. Auch in dieser Beziehung liegt kein Parteiantrag (insbesondere seitens der Mutter) vor, obwohl bei den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien anscheinend Beiträge des Vaters für das Kind gerechtfertigt, ja notwendig sind. Es ist bereits entschieden worden, dass die Bemessung der Unterhaltsbeiträge, die der Ehegatte zu leisten hat, dem das Kind nicht zugeteilt wird, der Verfügung der Parteien entzogen ist (
BGE 82 II 470
). Daraus folgt, dass der Scheidungsrichter auch dann angemessene Beiträge für das Kind festzusetzen hat, wenn der Ehegatte, dem das Kind zugewiesen wird, keine bestimmten Beiträge einklagt, sondern die "Festsetzung der Alimente von Amtes wegen" verlangt. Dies ist hier in erster Instanz geschehen, freilich erst, nachdem die Beklagte die Klagebeantwortung versäumt und vergeblich um Wiederherstellung der Frist gebeten hatte (S. 1 unten/2 des bezirksgerichtlichen Urteils). Aber auch wenn man davon ausgeht, ein prozessual gültiger Antrag liege nicht einmal hinsichtlich der grundsätzlichen Unterhaltspflicht des Vaters vor, ist darüber und auch über das Mass der Beiträge, eben von Amtes wegen, zu entscheiden. Da die kantonalen Urteile keinen genügenden Aufschluss über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien geben, ist die Sache auch in dieser Hinsicht an das Obergericht zurückzuweisen.
Obwohl somit heute kein abschliessendes Urteil über die Gestaltung der Elternrechte gefällt werden kann, ist die Zuweisung des Knaben an die Mutter unmittelbar durch das Bundesgericht auszusprechen. Gegenstand der Rückweisung ist also nur die Regelung des Besuchsrechtes des Vaters und der väterlichen Unterhaltspflicht (dies nach Grundsatz und Mass). Es wäre nicht gerechtfertigt, auch die Zuweisung selbst (im Sinne der soeben dargelegten Erwägungen) dem Entscheid der Vorinstanz vorzubehalten, nur damit gleichzeitig über die Zuweisung und über deren Auswirkungen entschieden werde. Die Gründe, aus denen eine Ehescheidung nicht ohne gleichzeitige Beurteilung
BGE 85 II 226 S. 233
der Nebenfolgen (allenfalls abgesehen von der güterrechtlichen Auseinandersetzung) ausgesprochen werden soll (
BGE 77 II 18
,
BGE 84 II 145
), treffen hier nicht zu. Gerade der Grundsatz, wonach über die Kinderzuteilung im Scheidungsurteil selbst entschieden werden soll, lässt es als angezeigt erscheinen, heute wenigstens die Zuweisungsfrage selbst im Anschluss an die bereits rechtskräftige Scheidung ungesäumt zu erledigen, da sie spruchreif ist. Die noch offen bleibenden Punkte werden notwendig auf die Zuweisung als solche abzustimmen sein. Ein Widerspruch zwischen der heutigen und der dem Obergericht vorbehaltenen ergänzenden Entscheidung ist nicht zu befürchten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 6. März 1959 in bezug auf die Kindeszuteilung aufgehoben und der Knabe P., geboren am 12. April 1955, der Berufungsklägerin zugewiesen wird.
Zur Entscheidung über das Besuchsrecht und die Unterhaltspflicht des Berufungsbeklagten wird die Sache an das Obergericht zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6ce7fe7-3e2f-47ee-af94-e7b68c138493 | Urteilskopf
126 II 228
24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Mai 2000 i.S. X. gegen Departement des Innern des Kantons Solothurn und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 3 Abs. 4 OHG
; Anspruch auf Übernahme weiterer Kosten der Opferhilfe.
Das Opfer einer im Ausland erlittenen Straftat hat keinen Anspruch auf Übernahme weiterer Kosten gemäss
Art. 3 Abs. 4 OHG
, wenn es im Tatzeitpunkt keine Beziehung zur Schweiz hatte (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 228
BGE 126 II 228 S. 228
X. ist anerkannter Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina mit Niederlassungsbewilligung in der Schweiz. Er wird zusammen mit seiner Ehefrau und drei Kindern von der Einwohnergemeinde O. finanziell unterstützt.
Am 22. Februar 1999 liess X. durch das Therapiezentrum für Folteropfer des Schweizerischen Roten Kreuzes beim Amt für Gemeinden und soziale Sicherheit des Kantons Solothurn ein Gesuch um
BGE 126 II 228 S. 229
finanzielle Unterstützung nach dem Opferhilfegesetz einreichen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Gesuchsteller sei im Jahre 1992 während mehr als sechs Monaten in einem Lager gehalten worden, in dem er während der ganzen Zeit schwere Demütigungen über sich habe ergehen lassen und Todesängste habe ausstehen müssen. Bereits zuvor seien beinahe alle in seinem Dorf lebenden Menschen umgebracht worden, darunter seine Schwester, Cousins, Kollegen und Nachbarn. Er benötige regelmässige Psychotherapie in seiner Muttersprache, weil er an komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen leide. Um finanzielle Unterstützung ersuchte er namentlich für die Psychotherapie, soweit deren Kosten von der Krankenkasse nicht übernommen würden, sowie für Übersetzungskosten, Krankenkassen-Selbstbehalte und Reisekosten.
Das Departement des Innern des Kantons Solothurn wies das Begehren am 14. April 1999 im Wesentlichen mit der Begründung ab, die gegen den Gesuchsteller gerichteten deliktischen Handlungen seien im Ausland zu einem Zeitpunkt verübt worden, als er zur Schweiz keinerlei Beziehungen gehabt habe.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn wies mit Urteil vom 19. Oktober 1999 die Beschwerde gegen den Entscheid des Departements des Innern ab. Das Gericht sprach X. die Opfereigenschaft im Sinne des Opferhilfegesetzes ab. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass es kaum Sinn der Opferhilfe sein könne, allen Opfern dieser Welt mit Aufenthalt in der Schweiz die nötige Hilfe zu bieten, zumal der Vollzug des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG, SR 312.5) angesichts der täglich neuen traumatisierten Opfer aus Kriegsgebieten der organisatorischen und finanziellen Belastung in Kürze nicht mehr Stand halten würde. Zudem gehe das Opferhilfegesetz von einer absoluten Subsidiarität der staatlichen Leistungen aus.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 29. November 1999 beantragt X., der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Die Vorinstanz sei anzuweisen, den Anspruch des Opfers auf Beratung bzw. auf Übernahme weiterer Kosten gemäss
Art. 3 Abs. 4 OHG
zu gewähren.
Das Bundesamt für Justiz, Hauptabteilung Staats- und Verwaltungsrecht, vertritt in der Vernehmlassung die Auffassung, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht. Es führt ohne nähere Begründung aus, der Beschwerdeführer sei als Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes zu betrachten, jedenfalls soweit seine Beeinträchtigungen
BGE 126 II 228 S. 230
Folge der im Ausland erlittenen Straftaten seien. Unter der Voraussetzung, dass dem Beschwerdeführer Opfereigenschaft zukomme, sei das Gesuch um Übernahme der ungedeckten Kosten nach
Art. 3 Abs. 4 OHG
begründet, da der Hilfe der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegenstehe.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Mit dem Opferhilfegesetz soll den Opfern von Straftaten wirksame Hilfe geleistet und ihre Rechtsstellung verbessert werden (
Art. 1 Abs. 1 OHG
). Die Hilfe umfasst nach
Art. 1 Abs. 2 OHG
Beratung (lit. a), Schutz des Opfers und Wahrung seiner Rechte im Strafverfahren (lit. b) sowie Entschädigung und Genugtuung (lit. c). Opfer im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 OHG
ist jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat.
Das Departement des Innern des Kantons Solothurn hat in seiner Verfügung vom 14. April 1999 entschieden, dass Personen nicht als Opfer im Sinne von
Art. 2 OHG
anerkannt werden und daher keine Beratung gemäss
Art. 3 OHG
beanspruchen können, wenn sie im Ausland Opfer einer Straftat werden und in diesem Zeitpunkt keinerlei Beziehungen zur Schweiz haben. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, das Verwaltungsgericht habe im angefochtenen Urteil seine Opfereigenschaft bejaht, und er beanstandet allein die Auslegung von
Art. 3 Abs. 4 OHG
durch die Vorinstanz. Er verkennt, dass das Verwaltungsgericht mit der ersten Instanz den Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes eingeschränkt und ihn daher wegen seiner fehlenden Beziehungen zur Schweiz im Zeitpunkt der Straftat nicht als Opfer im Sinne von
Art. 2 OHG
anerkannt hat.
a) Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen und Zielsetzungen auszulegen; dabei hat sich die Gesetzesauslegung vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz; gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis (
BGE 124 III 229
E. 3c S. 235 f.). Dabei ist die Auslegung des Gesetzes zwar nicht entscheidend historisch
BGE 126 II 228 S. 231
zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen zu stützen, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lässt, sondern im Sinne der Absichten des Gesetzgebers zu verstehen ist, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt (
BGE 125 II 521
E. 3c/aa S. 525;
BGE 121 III 219
E. 1d/aa S. 225).
b) Nach dem Wortlaut des mit "Geltungsbereich" überschriebenen
Art. 2 Abs. 1 OHG
wird die vom Opferhilfegesetz vorgesehene wirksame Hilfe und Verbesserung der Rechtsstellung jeder Person, die durch eine Straftat unmittelbar in ihrer Integrität beeinträchtigt wurde, gewährt. Der Wortlaut von
Art. 2 OHG
macht den Geltungsbereich des Gesetzes nicht davon abhängig, ob das Opfer oder die Straftat einen Bezug zur Schweiz haben. Der Wortlaut der Bestimmung ist insofern zu weit, als sich der Geltungsbereich des Gesetzes nicht allein aus der materiellen Definition der Opfereigenschaft ergibt. So ist insbesondere der schweizerische Gesetzgeber nicht generell in der Lage, die Rechtsstellung jeder von einer Straftat betroffenen Person zu verbessern, wenn es um deren Rechte im Strafverfahren geht (
Art. 1 Abs. 2 lit. b OHG
). Die Bestimmungen über den Schutz und die Rechte des Opfers im Strafverfahren nach dem 3. Abschnitt des Gesetzes (
Art. 5-10 OHG
) können sich allein auf Straftaten beziehen, die in der Schweiz beurteilt werden, obwohl der Geltungsbereich des Gesetzes nicht ausdrücklich auf in der Schweiz durchgeführte Strafverfahren beschränkt wird (vgl. etwa
BGE 126 IV 38
E. 3 S. 40). Für die Ansprüche auf Entschädigung und Genugtuung (
Art. 1 Abs. 2 lit. c OHG
) sodann unterscheidet
Art. 11 OHG
(vgl. dazu
BGE 124 II 507
) danach, ob die Straftat, die zur unmittelbaren Beeinträchtigung der Integrität einer Person geführt hat, auf schweizerischem Hoheitsgebiet verübt wurde (Abs. 1 und 2) oder ob die Person im Ausland Opfer einer Straftat geworden ist (Abs. 3). In diesem Fall werden die Ansprüche auf Personen beschränkt, welche das Schweizer Bürgerrecht besitzen und Wohnsitz in der Schweiz haben. Dies steht mit Art. 3 des Europäischen Übereinkommens über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, dessen Ratifizierung der Bundesrat gleichzeitig mit dem Erlass des Opferhilfegesetzes vorschlug (BBl 1990 II S. 1001 f.) im Einklang. Nach dem genannten Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1983, das für die Schweiz seit 1. Januar 1993 in Kraft steht (SR 0.312.5), wird die Entschädigung
BGE 126 II 228 S. 232
von dem Staat gewährt, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen worden ist, und sie ist den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten vorbehalten, welche die Konvention ratifizieren, sowie den in diesen Staaten niedergelassenen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten des Europarats (Art. 3 des Übereinkommens).
Auch in Bezug auf die Ansprüche auf Entschädigung und Genugtuung ist somit die Definition in
Art. 2 OHG
zu weit; die Opfereigenschaft wird hier gemäss
Art. 11 OHG
allein Personen zuerkannt, welche entweder von einer im Inland verübten Straftat in ihrer Integrität betroffen sind oder die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzen und in der Schweiz Wohnsitz haben. Es ist zu prüfen, ob die unter dem Titel der Beratung von den Kantonen zu gewährleistende wirksame Hilfe nach Sinn und Zweck der Opferhilfe und den dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen nicht ebenfalls Einschränkungen unterliegt, welche im Wortlaut von
Art. 2 OHG
nicht zum Ausdruck kommen.
c) Das Opferhilfegesetz verpflichtet die Kantone unter dem Titel "Beratung" in
Art. 3 OHG
, für fachlich selbständige öffentliche oder private Beratungsstellen zu sorgen. Diese Beratungsstellen haben insbesondere zur Aufgabe, den Opfern medizinische, psychologische, soziale, materielle und juristische Hilfe zu leisten oder zu vermitteln (
Art. 3 Abs. 2 lit. a OHG
) sowie über die Hilfe an Opfer zu informieren (
Art. 3 Abs. 2 lit. b OHG
). Die Beratungsstellen leisten ihre Hilfe sofort und, wenn nötig, während längerer Zeit. Sie müssen so organisiert sein, dass sie jederzeit Soforthilfe leisten können (
Art. 3 Abs. 3 OHG
). Die Leistungen der Beratungsstellen und die Soforthilfe Dritter sind unentgeltlich. Die Beratungsstellen übernehmen weitere Kosten, wie Arzt-, Anwalts- oder Verfahrenskosten, soweit dies aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Opfers angezeigt ist (
Art. 3 Abs. 4 OHG
). Die Opfer können sich an eine Beratungsstelle ihrer Wahl wenden (
Art. 3 Abs. 5 OHG
).
aa) Die Art der umfassenden Hilfe, welche die von den Kantonen bereitzustellenden Beratungsstellen zu leisten haben, geht zum Teil über die blosse Beratung der Opfer deutlich hinaus. Sie besteht, wie sich schon aus der Zweckbestimmung des
Art. 1 OHG
ergibt, in einem vielseitigen und umfassenden Hilfsangebot zugunsten der Opfer und soll diese in der Überwindung von materiellen, physischen, psychischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Schwierigkeiten unterstützen (Botschaft des Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten [Opferhilfegesetz, OHG] und einem Bundesgesetz über das Europäische Übereinkommen
BGE 126 II 228 S. 233
über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 25. April 1990 in BBl 1990 II 961, 977 f.; GOMM/STEIN/ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz 1995, N. 16-24 zu Art. 3). Sie umfasst zwei Phasen und besteht in der Soforthilfe einerseits und in längerfristigen Massnahmen andererseits. Die Soforthilfe soll rasch wirksam werden und dem Opfer diejenige Hilfe verschaffen, die zur Bewältigung der unmittelbaren Folgen der Straftat notwendig ist; die längerfristigen Massnahmen dienen hingegen der Verarbeitung der Erlebnisse durch das Opfer, wozu insbesondere auch die Beratung und Hilfe in prozessualen Fragen sowie in Fragen der Versicherung und der materiellen Entschädigung gehört. Im Übrigen soll in dieser zweiten Phase eine umfassende Sanierung der Lage des Opfers sowie Lebenshilfe und Laufbahnberatung angeboten werden (Botschaft des Bundesrats, a.a.O., BBl 1990 II 978 f.). Nach den Erläuterungen in der Botschaft wird somit die längerfristige Hilfe für Opfer als zweite Phase der Soforthilfe betrachtet, welche von der ersten Phase qualitativ nicht derart unterschieden wird, dass sie Opfern von Straftaten zu gewähren wäre, welche keinen Anspruch auf Soforthilfe der ersten Phase hatten.
bb) Der Anspruch auf Beratung und insbesondere auf Kostenübernahme durch die Beratungsstelle gemäss
Art. 3 Abs. 4 OHG
ist nach dem Wortlaut der Bestimmung weder vom Wohnsitz oder der Nationalität des Opfers noch vom Begehungs- und Erfolgsort der Straftat abhängig. Das Bundesgericht hat nach Sinn und Zweck der Anspruchsberechtigung darauf abgestellt, ob die Hilfe in der Schweiz benötigt wird; es hat daher den im Ausland lebenden Angehörigen einer Person, welche in Deutschland bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, gestützt auf
Art. 3 Abs. 4 OHG
Kostengutsprache für juristische Hilfe in Versicherungsfragen zugesprochen (
BGE 122 II 315
E. 2 S. 318). Die im Ausland getötete Person hatte im Zeitpunkt des Unfalls Wohnsitz in der Schweiz und wurde als Opfer im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 OHG
anerkannt (
BGE 122 II 315
E. 5 S. 324). Es stellt sich hier die Frage, ob für den Anspruch auf Beratung und insbesondere auf Übernahme weiterer Kosten gemäss
Art. 3 Abs. 4 OHG
nach Sinn und Zweck des Opferhilfegesetzes die Notwendigkeit der Hilfe in der Schweiz im Zeitpunkt des Gesuchs genügt oder ob es weiterer Voraussetzungen bedarf. Dabei ist davon auszugehen, dass die weiteren Kosten gemäss
Art. 3 Abs. 4 OHG
zur Wiederherstellung der Integrität des Opfers wie Arzt-, Anwalts- oder Verfahrenskosten sachlich zum Schaden gehören, den das Opfer durch die Straftat erleidet und zu
BGE 126 II 228 S. 234
dessen Ersatz nach
Art. 41 OR
grundsätzlich der Täter verpflichtet ist, wovon auch der Bundesrat in der Botschaft ausgeht (BBl 1990 II 979). Diese Kosten können auch mit der Entschädigung im Sinne von
Art. 12 OHG
abgegolten werden (vgl.
BGE 125 II 230
E. 2d S. 234), wenn die einschränkenden gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, wobei gemäss
Art. 15 OHG
aufgrund einer summarischen Prüfung des Entschädigungsgesuchs ein Vorschuss gewährt werden kann (vgl.
BGE 121 II 116
E. 2a S. 120).
d) Die Opferhilfe insgesamt erscheint in ihrer Entstehung wie in ihrem Anliegen und ihrer Ausgestaltung zunächst als Korrelat zu dem auf den Täter bezogenen Strafrecht (vgl. EVA WEISHAUPT, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, Zürich 1998, S. 3 ff.). Dies ergibt sich zunächst aus dem Anliegen der Volksinitiative, auf welche
Art. 124 BV
bzw.
Art. 64ter aBV
zurückgeht und auf den sich das OHG stützt. Die Initiative beruhte auf dem Gedanken, dass sich das Gemeinwesen traditionell vorwiegend für die Straftäter interessierte, während es an der Zeit sei, dass sich die Öffentlichkeit auch des Schicksals der Opfer annehme (Botschaft zur Volksinitiative "zur Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen" vom 6. Juli 1983, BBl 1983 III 869, 872 f.). Zudem ergibt es sich aus der Botschaft des Bundesrats zu dieser Initiative und zum Gegenvorschlag, der in der Verfassungsbestimmung von Volk und Ständen am 2. Dezember 1984 angenommen wurde, dass als nötig angesehen wurde, das Ungleichheitgewicht - welches durch das staatliche Interesse vor allem für die Täter entstanden ist - abzubauen und dass sich der Staat auch mit der Person und den Anliegen des Opfers befasst (BBl 1983 III 889). Dabei gründet die Hilfe für die Opfer von Gewaltverbrechen nach dem schliesslich als
Art. 64ter aBV
angenommenen Gegenvorschlag in der Sorge um soziale Gerechtigkeit und Billigkeit und wird als Akt der Solidarität dargestellt, den die Gemeinschaft zugunsten ihrer schuldlos von Unrecht betroffenen Mitglieder leistet (BBl 1983 III 887). Der Kreis der Begünstigten soll nach der Botschaft grosszügig ausgelegt werden; damit eine Person Hilfe beanspruchen könne, müsse sie nicht notwendigerweise Opfer einer Straftat im strengen Sinne geworden sein; insbesondere sei die Hilfe nicht davon abhängig zu machen, dass der Täter zurechnungsfähig sei oder auch nur ermittelt werden könne (BBl 1983 III 894).
e) Der Solidaritätsgedanke, auf dem das Opferhilfegesetz beruht, kann nicht mit der allgemeinen Sozialhilfe gleichgesetzt werden, sondern er ist auf Opfer von Straftaten beschränkt, wobei vom Verständnis
BGE 126 II 228 S. 235
der Straftatbestände nach dem Strafgesetzbuch auszugehen ist (vgl.
BGE 122 II 211
E. 3b S. 215). Der Straftat als Ursache der Hilfsbedürftigkeit kommt nach Sinn und Zweck der Opferhilfe auch für die Begrenzung des Kreises der Hilfeberechtigten wesentliche Bedeutung zu. Die Opferhilfe knüpft insofern grundsätzlich an eine Straftat an (vgl.
Art. 5 ff. OHG
), zu deren Beurteilung die schweizerischen Strafbehörden zuständig sind, auch wenn in der Folge das Opfer und dessen Beeinträchtigung im Zentrum stehen. Auf der Hoheit über das Gebiet, in welchem die Straftat begangen worden ist, beruht auch das Europäische Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Ingress sowie Art. 3 des Übereinkommens), auf welches der Bundesrat in der Botschaft ebenfalls Bezug nimmt (BBl 1983 III 885 f.). In den Materialien zum Opferhilfegesetz finden sich denn auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nicht primär an Opfer von in der Schweiz begangenen Straftaten gedacht wurde. Die angestrebte Grosszügigkeit des Hilfsangebots wurde auf Straftaten bezogen, welche nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale des schweizerischen Strafgesetzbuches erfüllen (vorne E. 2d). Auf die im Vorentwurf unter anderem in Aussicht genommene örtliche Zuständigkeit der Beratungsstelle am Tatort (BBl 1990 II 980) wurde in
Art. 3 Abs. 5 OHG
nicht etwa deshalb verzichtet, weil die Opferhilfe im Sinne der Beratung gemäss
Art. 3 OHG
auch für im Ausland begangene Straftaten geöffnet werden sollte. Vielmehr ging es darum, die Bedürfnisse sowohl nach der Person des Opfers wie nach der Art der zu leistenden Hilfe unterscheiden zu können und dem Opfer eine Hilfe ausserhalb seines Wohnorts namentlich bei Sexualdelikten anzubieten, wenn diese von Angehörigen oder Bekannten begangen wurden (BBl 1990 II 980). Die Hilfe für Opfer von im Ausland begangenen Straftaten, wie sie in
Art. 11 Abs. 3 OHG
unter einschränkenden Voraussetzungen vorgesehen ist, erscheint als Erweiterung einer grundsätzlich an die Strafhoheit schweizerischer Behörden anknüpfenden Opferhilfeleistung. Es bestehen aufgrund der Materialien keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass allein und ausschliesslich die Hilfsbedürftigkeit eines Opfers einer im Ausland begangenen Straftat den Anspruch auf die umfassende Hilfe begründen könnte, zu welcher die Kantone in
Art. 3 OHG
unter dem Titel der Beratung verpflichtet sind.
f) Eine von diesen Ausführungen abweichende Meinung vertritt das Bundesamt für Justiz in VPB 58/1994 Nr. 65 S. 514 ff. E. 4 und 5. Nach dessen Auffassung soll sich aus der Zielsetzung der Opferhilfe ergeben, dass alle in der Schweiz lebenden Opfer von Straftaten
BGE 126 II 228 S. 236
Anspruch auf längerfristige Beratung im Sinne von
Art. 3 OHG
haben, auch wenn die Tat im Ausland begangen worden ist und das Opfer erst nachträglich in die Schweiz eingereist ist (z.B. gefolterte Asylbewerber). Dieser Auffassung des Bundesamts kann aufgrund der in E. 2e vorgenommenen Auslegung von
Art. 3 OHG
nicht gefolgt werden. Als Mindestvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Opferhilfeleistungen gemäss
Art. 3 OHG
erscheint es erforderlich, dass ein Opfer im Zeitpunkt der im Ausland begangenen Straftat, auf welche der Anspruch auf Beratung gestützt wird, eine hinreichende Beziehung zur Schweiz unterhielt.
Auch in der Literatur wird die Ansicht vertreten, die Straftat müsse Wirkungen in der Schweiz entfalten und das schweizerische oder ausländische Opfer eine Verbindung mit der Schweiz haben (vgl. BLAISE KNAPP, Kommentar zur BV 1874, N. 20 zu Art. 64ter). Die Opfereigenschaft gemäss
Art. 2 Abs. 1 OHG
ist nach dieser Ansicht ebenfalls nicht allein von den in diesem Artikel wörtlich umschriebenen S-achvoraussetzungen abhängig (vgl. dazu
BGE 122 II 211
E. 3 S. 214;
BGE 122 IV 71
E. 3 S. 76;
BGE 120 Ia 101
E. 1b). Vielmehr bedarf es auch für den Anspruch auf Beratung gemäss
Art. 3 OHG
einer Beziehung zur Schweiz, welche über die blosse Hilfsbedürftigkeit des Gesuchstellers im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs hinaus geht, wenn die Straftat nicht in der Schweiz begangen wurde. Aufgrund der umfassenden Hilfeleistungen, die nach
Art. 3 OHG
dem Opfer sofort im Anschluss an die Straftat angeboten werden sollen und soweit nötig anschliessend länger gewährt werden, ist in diesem Fall in der Regel erforderlich, dass die durch eine im Ausland erlittene Straftat unmittelbar in ihrer Integrität beeinträchtigte Person im Zeitpunkt der Tat ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte, um die Leistungen der kantonalen Beratungsstellen beanspruchen zu können. Dies traf denn auch für das tödlich verunfallte Opfer in
BGE 122 II 315
zu. Ob daneben unter Umständen für gewisse Arten von Hilfeleistungen andere persönliche Beziehungen des Opfers zur Schweiz wie z.B. die Staatsangehörigkeit in Betracht fallen, kann vorliegend offen bleiben. Jedenfalls bedarf es bei einer im Ausland erlittenen Straftat für den Anspruch auf Opferhilfe im Sinne von
Art. 3 OHG
einer persönlichen Beziehung des Opfers zur Schweiz, die im Zeitpunkt der Straftat bestehen muss. Dieses Erfordernis gilt erst recht für die Übernahme weiterer Kosten nach
Art. 3 Abs. 4 OHG
, welche sachlich zum Schaden gehören, der nach der schweizerischen Rechtsordnung vom Täter gemäss
Art. 41 OR
zu ersetzen ist und unter den einschränkenden Voraussetzungen gemäss
BGE 126 II 228 S. 237
Art. 11 ff. OHG
Gegenstand der Entschädigung bilden kann (s. vorne E. 2c/bb).
3.
Der Beschwerdeführer hatte im Zeitpunkt, als er Opfer der Straftaten im Ausland wurde, aus denen er die erhebliche Beeinträchtigung seiner Integrität ableitet, keinerlei persönliche Beziehungen zur Schweiz. Dass er im Anschluss an die im Ausland erlittenen Integritätsschäden Beziehungen zur Schweiz aufnahm, vermag die für die Inanspruchnahme kantonaler Opferhilfe erforderliche persönliche Beziehung zur Schweiz im Zeitpunkt der Straftat nicht zu ersetzen. Die Vorinstanz hat daher zutreffend erkannt, dass der Beschwerdeführer gestützt auf das Opferhilfegesetz keine Hilfe beanspruchen kann und die kantonalen Beratungsstellen insbesondere nicht zur Leistung von Schadenersatz im Sinne von
Art. 3 Abs. 4 OHG
verpflichtet sind. Ob der Beschwerdeführer gestützt auf andere gesetzliche Grundlagen, insbesondere die Asylgesetzgebung, Hilfe zur Überwindung seiner traumatischen Kriegserlebnisse und Folterfolgen beanspruchen kann, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6cfd744-823f-47b3-809f-0a066bd37542 | Urteilskopf
134 II 186
22. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause Administration fiscale cantonale genevoise contre X. (recours en matière de droit public)
2C_637/2007 du 4 avril 2008 | Regeste
Art. 82 ff.,
Art. 107 Abs. 2 BGG
;
Art. 73 StHG
. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Legitimation der kantonalen Steuerverwaltung zur Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid im Bereich des harmonisierten kantonalen Rechts (Einhaltung der 30-tägigen Einsprachefrist gemäss
Art. 48 Abs. 1 StHG
durch den Steuerpflichtigen); Zulässigkeit reformatorischer Anträge.
Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne von
Art. 82 ff. BGG
und
Art. 73 StHG
(E. 1.1) gegen einen Zwischenentscheid (
Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG
; E. 1.2). Bedeutung von
Art. 73 Abs. 1 StHG
seit Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes (E. 1.3). Beschwerdelegitimation der kantonalen Steuerverwaltung gemäss
Art. 73 Abs. 2 StHG
in Verbindung mit
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
(E. 1.4).
Anträge reformatorischer Natur sind zulässig, weil gemäss historischer und logischer Interpretation
Art. 73 Abs. 3 StHG
nicht lex specialis zu
Art. 107 Abs. 2 BGG
bildet (E. 1.5). | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 134 II 186 S. 187
L'Administration fiscale cantonale du canton de Genève (ci-après: l'Administration cantonale) a fixé les impôts cantonaux et communaux dus par X. pour l'année 2003 dans un bordereau de taxation du 21 février 2005 notifié sous pli simple à son destinataire. La réclamation formée par le contribuable contre ce bordereau a été considérée comme tardive par l'Administration cantonale qui a maintenu sa taxation par décision du 14 avril 2005. Saisie d'un recours contre ce prononcé, la Commission cantonale de recours en matière d'impôts du canton de Genève (ci-après la Commission de recours) l'a rejeté par décision du 7 mai 2007.
Contre cette décision, X. a recouru auprès du Tribunal administratif du canton de Genève (ci-après: le Tribunal administratif).
Par arrêt du 2 octobre 2007, le Tribunal administratif a admis le recours, annulé la décision de la Commission de recours du 7 mai 2007, ainsi que la décision sur réclamation du 14 avril 2005 de l'Administration cantonale, et renvoyé la cause à la Commission de recours pour qu'elle tranche le fond du litige. En substance, les juges ont estimé que, contrairement à l'opinion des autorités précédentes, la réclamation avait été formée en temps utile par le contribuable.
L'Administration cantonale interjette un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral contre l'arrêt précité du 2 octobre 2007. Elle conclut à l'annulation de celui-ci et à la confirmation de sa décision sur réclamation du 14 avril 2005. Elle invoque la violation du droit fédéral et l'arbitraire dans l'interprétation des faits.
BGE 134 II 186 S. 188
Le Tribunal fédéral a admis le recours et confirmé la décision rendue le 7 mai 2007 par la Commission de recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence en vertu de l'art. 29 al. 1 de la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF; RS 173.110; ci-après: loi sur le Tribunal fédéral); il revoit donc librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 133 I 185
consid. 2 p. 188 et les arrêts cités).
1.1
Le présent recours a été interjeté par l'Administration cantonale et concerne la taxation fiscale 2003 en matière d'impôts cantonaux et communaux. Le litige revient à déterminer si le Tribunal administratif pouvait retenir que la réclamation contre la taxation fiscale avait été formée par l'intimé dans le délai légal de 30 jours prévu par l'art. 39 de la loi genevoise de procédure fiscale du 4 octobre 2001 (RSG D 3 17). Cette disposition correspond à l'art. 48 al. 1 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes (LHID; RS 642.14; ci-après: loi sur l'harmonisation fiscale). La matière est ainsi réglée dans le titre 5 de cette loi et porte sur une période fiscale postérieure au délai accordé par l'
art. 72 al. 1 LHID
aux cantons pour adapter leur législation. Par conséquent, la recevabilité du recours et le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral doivent être examinés non seulement sous l'angle de la loi sur le Tribunal fédéral, mais aussi compte tenu de la loi sur l'harmonisation fiscale et plus particulièrement de son art. 73.
1.2
L'arrêt attaqué est une décision de renvoi, soit une décision incidente qui ne met pas fin à la procédure au sens de l'
art. 90 LTF
(cf.
ATF 133 V 477
consid. 4.2 p. 482). Le recours est néanmoins ouvert, car son admission peut conduire - ce que le Tribunal fédéral examine librement (cf.
ATF 133 II 409
consid. 1.2 p. 412) - immédiatement à une décision finale qui permet d'éviter une procédure probatoire longue et coûteuse (
art. 93 al. 1 let. b LTF
).
Pour le surplus, le recours a été déposé en temps utile (
art. 100 al. 1 LTF
) et dans les formes requises (
art. 42 LTF
) contre un jugement rendu dans une cause de droit public (
art. 82 let. a LTF
) par l'autorité cantonale de dernière instance (
art. 86 al. 1 let
. d LTF), de sorte que la voie du recours en matière de droit public auprès du Tribunal fédéral est en principe ouverte au sens des
art. 82 ss LTF
.
1.3
L'
art. 73 al. 1 LHID
réserve également la voie du recours en matière de droit public contre la décision attaquée. Cette situation
BGE 134 II 186 S. 189
s'explique historiquement. En effet, sous l'empire de l'ancienne loi d'organisation judiciaire (OJ; RO 3 p. 521), le recours de droit administratif n'était en principe pas recevable pour se plaindre d'une décision se fondant sur du droit cantonal (cf.
ATF 126 II 171
consid. 1a p. 173). Afin de permettre au Tribunal fédéral, dans les domaines visés par la loi sur l'harmonisation fiscale, de revoir avec un plein pouvoir d'examen la compatibilité du droit cantonal et de son application avec les règles fédérales d'harmonisation, le législateur a ouvert la voie du recours de droit administratif en la matière (cf. ULRICH CAVELTI, in Zweifel/Athanas, Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und der Gemeinden [StHG], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, 2
e
éd., Bâle 2002, n. 1 ad
art. 73 LHID
; DANIELLE YERSIN, Harmonisation fiscale: procédure, interprétation et droit transitoire, RDAF 2003 II p. 1 s.). L'
art. 73 LHID
était ainsi, sous l'ancienne loi d'organisation judiciaire, une clause spéciale dérogeant aux règles de procédure en vigueur (cf. THOMAS MEISTER, Rechtsmittelsystem der Steuerharmonisierung, thèse St-Gall 1994, p. 294), puisque seul un recours de droit public pour violation des droits constitutionnels aurait été normalement envisageable (cf. Message du 25 mai 1983 concernant les lois fédérales sur l'harmonisation directe des cantons et des communes ainsi que sur l'impôt fédéral [ci-après: Message sur l'harmonisation fiscale], FF 1983 III 1, p. 154). Avec l'entrée en vigueur de la loi sur le Tribunal fédéral et l'introduction du recours en matière de droit public, toutes les décisions rendues dans une cause de droit public, peu importe qu'elles soient fondées sur le droit cantonal ou fédéral, peuvent désormais faire l'objet d'un recours en matière de droit public (cf.
art. 82 let. a LTF
; FRANÇOIS BELLANGER, Le recours en matière de droit public, in Les nouveaux recours fédéraux en droit public, Zurich 2006, p. 43 ss, 47). En conséquence, l'
art. 73 al. 1 LHID
, qui réserve expressément cette nouvelle voie de droit, n'apparaît plus comme une lex specialis dérogeant aux règles ordinaires de procédure, mais seulement comme une confirmation de ces dernières.
1.4
L'
art. 73 al. 2 LHID
prévoit que le contribuable, l'administration fiscale cantonale et l'Administration fédérale des contributions ont le droit de recourir. Cette disposition constitue une base légale conférant aux autorités qu'elle désigne la qualité pour recourir conformément à l'
art. 89 al. 2 let
. d LTF (cf. BERNHARD WALDMANN, in Niggli/Uebersax/Wiprächtiger, Bundesgerichtsgesetz, Bâle 2008, n. 66 ad
art. 89 LTF
); du moment que la décision attaquée concerne une matière relevant du droit cantonal harmonisé, cette qualité existe, y
BGE 134 II 186 S. 190
compris pour les autorités désignées à l'
art. 73 al. 2 LHID
, indépendamment de la marge d'autonomie cantonale dans le domaine considéré et des griefs soulevés (cf.
ATF 134 II 124
consid. 2.3 et 2.6). Partant, il faut admettre que l'Administration cantonale est en droit de déposer un recours en matière de droit public en l'espèce.
1.5
La recourante ne se limite pas à des conclusions cassatoires, mais propose, outre l'annulation de l'arrêt du Tribunal administratif du 2 octobre 2007, la confirmation de sa propre décision sur réclamation du 14 avril 2005.
1.5.1
Aux termes de l'article 73 al. 3 LHID, en cas d'acceptation du recours, le Tribunal fédéral annule la décision attaquée et renvoie l'affaire pour nouvelle décision à l'autorité inférieure. Sur la base de cette disposition, le Tribunal fédéral, sous l'empire de l'ancienne loi d'organisation judiciaire, déclarait irrecevables les conclusions prises dans le cadre d'un recours de droit administratif en matière d'harmonisation fiscale qui n'étaient pas purement cassatoires (cf.
ATF 131 II 710
consid. 1.1 p. 713).
Avec l'entrée en vigueur de la loi sur le Tribunal fédéral, le contexte s'est modifié, car la voie du recours en matière de droit public est ouverte contre les décisions cantonales de dernière instance portant sur une matière réglée dans les titre 2 à 5 et 6 chap. 1 LHID, tant en vertu de l'
art. 73 al. 1 LHID
que des règles ordinaires de procédure (cf. supra consid. 1.2 et 1.3). Or, l'
art. 107 al. 2 LTF
autorise le Tribunal fédéral à statuer lui-même sur le fond, s'il admet le recours. L'
art. 107 al. 2 LTF
et l'
art. 73 al. 3 LHID
posent donc deux règles contradictoires. Pour déterminer celle qui l'emporte, il faut s'interroger sur la portée de l'
art. 73 al. 3 LHID
en regard du nouveau droit.
1.5.2
Comme déjà rappelé (cf. supra consid. 1.3), le législateur a créé, avec l'
art. 73 LHID
, une base légale spéciale, afin d'ouvrir à titre exceptionnel la voie du recours de droit administratif contre les décisions rendues en matière de droit cantonal dans les domaines harmonisés par la loi sur l'harmonisation fiscale. Il a toutefois limité, à l'alinéa 3, la cognition du Tribunal fédéral en l'empêchant de trancher lui-même (cf. CAVELTI, op. cit., n. 13 ad
art. 73 LHID
). Cette réserve témoigne de l'hésitation du législateur fédéral entre la volonté, d'une part, de garantir une réelle harmonisation et, d'autre part, de préserver l'autonomie des cantons (cf. DANIELLE YERSIN, Harmonisation fiscale: la dernière ligne droite, Archives 69 p. 305 ss, 316). Celui-ci a finalement opté pour un recours de droit administratif hybride conservant le caractère cassatoire propre au recours de droit
BGE 134 II 186 S. 191
public (cf.
ATF 127 II 1
consid. 2c p. 5;
ATF 126 II 377
consid. 8b p. 395), à savoir la voie de droit alors normalement prévue contre ce type de décision (cf. Message sur l'harmonisation fiscale, p. 154). En ouvrant de manière générale le recours en matière de droit public et, par voie de conséquence, la règle figurant à l'
art. 107 al. 2 LTF
à l'ensemble des décisions rendues en application du droit public fédéral ou cantonal, le nouveau droit a fait perdre toute portée à la règle de l'
art. 73 al. 3 LHID
, qui était de maintenir une certaine autonomie cantonale.
L'
art. 73 al. 3 LHID
est du reste devenu anachronique dans le système de recours mis en place par la loi sur le Tribunal fédéral, car il fait subsister le caractère cassatoire propre à l'ancien recours de droit public, alors que cette restriction n'existe plus, même dans le recours constitutionnel subsidiaire (cf.
art. 117 LTF
qui renvoie à l'
art. 107 LTF
; MICHEL HOTTELIER, Entre tradition et modernité: le recours constitutionnel subsidiaire, in Les nouveaux recours fédéraux en droit public, Zurich 2006, p. 71 ss, 99).
Lors de l'adaptation de l'
art. 73 LHID
à la LTF, le législateur n'a pas cherché délibérément à s'écarter des nouvelles règles de procédure en maintenant le caractère cassatoire du recours prévu par la loi sur l'harmonisation fiscale. Il n'a procédé à aucune analyse des conséquences de l'introduction du nouveau droit sur cette disposition. C'est dans le cadre d'une simple "
adaptation rédactionnelle
" que la mention du recours de droit administratif figurant à l'
art. 73 al. 1 LHID
a été remplacée par celle du recours en matière de droit public (cf. Message du 28 février 2001 concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 p. 4000, 4239). On ne peut donc y voir la volonté de créer une exception par rapport à l'
art. 107 al. 2 LTF
. Il semble plutôt que la problématique liée au maintien de l'
art. 73 al. 3 LHID
dans le contexte du recours en matière de droit public ait tout simplement échappé au législateur. Or, un tel maintien conduirait à la conséquence absurde que, pour les décisions fondées sur le droit public cantonal non harmonisé, le Tribunal fédéral pourrait statuer lui-même en vertu de l'
art. 107 al. 2 LTF
, alors qu'il en serait empêché par l'
art. 73 al. 3 LHID
dans les domaines pour lesquels le législateur a précisément voulu permettre un contrôle judiciaire accru en promulguant la loi sur l'harmonisation fiscale.
1.5.3
En conséquence, l'interprétation historique et logique de l'
art. 73 al. 3 LHID
démontre que cette disposition ne peut se concevoir
BGE 134 II 186 S. 192
comme une lex specialis de l'
art. 107 al. 2 LTF
. Il s'agit bien plutôt du maintien, par une inadvertance du législateur, d'une norme qui avait sa raison d'être sous l'ancienne loi d'organisation judiciaire, mais qui a perdu toute portée avec l'introduction de la loi sur le Tribunal fédéral.
En pareilles circonstances, il convient de privilégier l'application de la lex posterior, soit de l'
art. 107 al. 2 LTF
, de sorte que, comme pour tout recours en matière de droit public, le Tribunal fédéral peut, en cas d'admission du recours dans une cause visée par l'
art. 73 al. 1 LHID
, statuer lui-même sur le fond s'il l'estime opportun.
Les conclusions de la recourante sont donc recevables, même si elles ne sont pas purement cassatoires.
1.5.4
L'
art. 73 al. 3 LHID
relève de la situation visée par le législateur à l'
art. 131 al. 3 LTF
, à savoir la survivance d'une disposition matériellement contraire à la loi sur le Tribunal fédéral, qui ne constitue pas une lex specialis, mais qui n'a - par inadvertance - pas été modifiée lors de l'introduction de la loi sur le Tribunal fédéral. Dans cette hypothèse, la loi sur l'harmonisation fiscale peut être adaptée par l'Assemblée fédérale par voie d'ordonnance. Il ne s'agit en effet que d'une mesure cosmétique, puisqu'en vertu de l'adage lex posterior derogat legi priori, l'
art. 107 al. 2 LTF
est quoi qu'il en soi déjà directement applicable (cf. DENISE BRÜHL-MOSER, in Niggli/Uebersax/Wiprächtiger, Bundesgerichtsgesetz, Bâle 2008, n. 15 ad
art. 131 LTF
). | public_law | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6d1d45c-6f40-435c-9b74-0366ff6888a7 | Urteilskopf
114 Ib 286
44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Juli 1988 i.S. A. P. gegen Einwohnergemeinde Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 5 Abs. 2 RPG
; Zuweisung eines teilweise überbauten Grundstücks zu einer Freifläche, Bemessung der Entschädigung.
Zuweisung eines Grundstücks zur Freifläche für Sport- und Schulanlagen. In dieser planerischen Massnahme lag eine materielle Enteignung, da das Grundstück im massgebenden Zeitpunkt zum engeren Baugebiet gehörte und erschlossen bzw. erschliessbar war (E. 3 und 4).
Bemessung der Entschädigung
- Stichtag: Bei der Bemessung von Entschädigungen aufgrund von
Art. 5 Abs. 2 RPG
ist in der Regel auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 5).
- Bewertungs-Methoden: Vorrang der sog. Vergleichsmethode; Anforderungen an die Vergleichbarkeit von Grundstücken (E. 7 und 8).
- Bewertung im einzelnen (E. 8a-c).
Das Bundesgericht ist auch im Entschädigungsverfahren wegen materieller Enteignung nur an die für ein Entschädigungsobjekt als Ganzes gestellten Begehren gebunden (E. 9). | Sachverhalt
ab Seite 288
BGE 114 Ib 286 S. 288
A. P. ist Eigentümerin der Liegenschaft Nr. 1460 am Uferweg in Bern. Die langgestreckte Parzelle von 19 341 m2 liegt am rechten Aareufer nördlich der Lorrainebrücke und wird durch zwei Waldstreifen von den höher liegenden Nachbargrundstücken abgetrennt. Auf dem südlichen Teil des Grundstücks stehen teils unter der Eisenbahnbrücke der SBB-Linie Olten-Bern - die Gebäude der ehemaligen Brauerei Gasser, die heute an Gewerbetreibende vermietet werden. Der nördliche Teil ist weitgehend unüberbaut.
Im Oktober 1973 reichte Frau P. ein Gesuch für den Neubau von fünfzehn Mehrfamilienhäusern und einer unterirdischen Autoeinstellhalle auf der Parzelle Nr. 1460 ein. Das Grundstück gehörte damals zum provisorischen Schutzgebiet II gemäss dem Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung (BMR) und lag nach dem Berner Bauklassenplan von 1955 sowohl in der "Schutzzone der Aaretalhänge" als auch in den Bauklassen IIA und III, welche Bauten mit zweieinhalb bzw. drei Geschossen zuliessen. Die Stadt Bern erhob gegen das Baugesuch gestützt auf Art. 56 des Baugesetzes vom 7. Juni 1970 (aBauG) Planungseinsprache. In der Folge wurden ein neuer Nutzungszonenplan sowie ein "Überbauungsplan Uferweg" erarbeitet, welche die Parzelle Nr. 1460 der "Freifläche a" bzw. der für Sport- und Schulanlagen reservierten Freifläche zuwiesen. Die Stimmbürger hiessen diese Pläne am 8. Juni 1975 gut, doch konnte die der Stadt Bern im Einspracheverfahren angesetzte Frist zur Einholung der Genehmigung nicht eingehalten werden. Der Regierungsrat teilte daher auf Antrag der Stadt die Parzelle Nr. 1460 am 17. September 1975 dem mit einem Bauverbot belegten provisorischen Schutzgebiet I gemäss BMR zu. Der "Überbauungsplan Uferweg" wurde schliesslich am 24. Dezember 1975 durch die kantonale Baudirektion genehmigt und das Baugesuch von A. P. aufgrund der neuen Planung am 10. Oktober 1976 abgewiesen. Die Beschwerden der Grundeigentümerin gegen die Umzonungen und gegen den Bauabschlag blieben ohne Erfolg. Insbesondere wies der Regierungsrat am 11. Januar 1978 die gegen den "Überbauungsplan Uferweg" erhobene Beschwerde ab, wodurch die neue Nutzungsplanung rechtskräftig wurde.
BGE 114 Ib 286 S. 289
Nach Abschluss der verschiedenen Rechtsmittelverfahren stellte A. P. am 20. September 1979 bei der Enteignungs-Schätzungskommission Kreis II ein Entschädigungsbegehren für die Zuweisung der Parzelle Nr. 1460 zu einer Freifläche. Die Einwohnergemeinde Bern verlangte hierauf die formelle Enteignung des Grundstücks, womit sich die Eigentümerin einverstanden erklärte. Mit Entscheid vom 8. Dezember 1982 sprach die Schätzungskommission der Enteigneten eine Verkehrswertentschädigung von Fr. 3'820'870.-- sowie eine Inkonvenienzentschädigung von Fr. 140'955.90, insgesamt Fr. 3'961'825.90 nebst Zins ab Eröffnung des Urteils zu. Diesen Entscheid zogen beide Parteien an das kantonale Verwaltungsgericht weiter.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern erklärte am 1. September 1986 die von der Schätzungskommission zugesprochene Inkonvenienzentschädigung für nicht geschuldet und setzte die Verkehrswertentschädigung gestützt auf eine Oberexpertise auf Fr. 3'246'000.-- herab, wobei es das Urteilsdatum der Vorinstanz als massgebenden Bewertungszeitpunkt wählte.
A. P. und die Einwohnergemeinde Bern haben gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichtes vom 1. September 1986 Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Die Stadt Bern verlangt, dass die Enteignungsentschädigung nach richterlichem Ermessen erheblich herabgesetzt werde. Die Enteignete stellt den Antrag, es seien ihr eine dem amtlichen Wert des Grundstücks entsprechende Enteignungsentschädigung von Fr. 4'191'200. - nebst Zins zu 5 % seit 20. September 1979 sowie eine Inkonvenienzentschädigung von Fr. 140'955.90 zuzusprechen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Enteigneten gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Im angefochtenen Entscheid wird anerkannt, dass in der Zuweisung der Parzelle Nr. 1460 zur Freifläche für Sport- und Schulanlagen eine materielle Enteignung lag. Hiefür hat das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geprüft, ob der Parzelle nach Massgabe der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens des planerischen Eingriffs, am 11. Januar 1978, Baulandqualität zukam. Diese Frage ist unter Hinweis auf die vom Bundesgericht aufgestellten Kriterien und unter Abweisung der von der Einwohnergemeinde Bern erhobenen Einwände bejaht worden. In
BGE 114 Ib 286 S. 290
ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht die Stadt Bern erneut geltend das Grundstück Nr. 1460 habe nicht oder allenfalls nur teilweise als Bauland gelten können, weil es strassenmässig nur ungenügend erschlossen und auch nicht erschliessbar sei; in dieser Hinsicht habe das Verwaltungsgericht den Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt und das ihm zustehende Ermessen überschritten.
a) Das Verwaltungsgericht stellt im angefochtenen Entscheid zur strassenmässigen Erschliessung der umstrittenen Parzelle fest, dass der Uferweg als Erschliessungsstrasse zwar nicht in allen Teilen den im Eingriffszeitpunkt geltenden Bestimmungen der kantonalen Bauverordnung vom 26. November 1970 entsprochen habe. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Uferweg dem Schwerverkehr zur ehemaligen Brauerei als hinreichende Zufahrt gedient habe. Es dürfe deshalb davon ausgegangen werden, dass er mit einem verhältnismässig geringen Aufwand zu einer Erschliessungsstrasse hätte ausgebaut werden können, die auch den Ansprüchen einer Wohnsiedlung genügt hätten. In diesem Zusammenhang könne auf die entsprechenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden.
Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichtes sind wohl kurz, beruhen jedoch nicht auf offensichtlich unrichtigen oder unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen. Insbesondere ist das Gericht nicht davon ausgegangen, dass der Uferweg die Mindestbreite von 5 m einhalte, welche neue Zufahrtsstrassen gemäss Art. 33 Abs. 2 der anwendbaren Bauverordnung in der Regel aufweisen "sollen". Dass das Verwaltungsgericht selbst keinen Augenschein vorgenommen hat, beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht nicht, durfte es doch auf die Angaben der Vorinstanz abstellen, die ihrerseits einen Augenschein durchgeführt und den Uferweg vermessen hatte. Ob das Grundstück strassenmässig als hinreichend erschlossen gelten darf, ist keine Frage der Sachverhaltsfeststellung, sondern der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts.
b) Nach den Feststellungen der bundesgerichtlichen Delegation ist der asphaltierte Uferweg im Bereich der Lorrainebrücke 4,05 bis 4,25 m breit und weist bei einer Kellertreppe des Hauses Uferweg 4 (Restaurant Altenberg) die geringste Breite von nur 3,65 m auf. Der Altenbergrain erreicht an der schmälsten Stelle eine Breite von 4,40 m, oberhalb des Restaurants Altenberg eine solche von 4,70 m. Der Altenbergrain mündet jedoch nicht nur in den Uferweg, sondern auch in die Altenbergstrasse, durch welche
BGE 114 Ib 286 S. 291
das ganze untere Altenbergquartier erschlossen wird. Die Altenbergstrasse ist ihrerseits teilweise ebenfalls nur 4,70 m breit. Da auf ihr parkiert werden darf, beträgt die Breite der Fahrspur lediglich rund 3 m; Kreuzungsmöglichkeiten gibt es nur im Bereich der Parkverbotsabschnitte.
Dass der Altenbergrain und der Uferweg das in der Bauverordnung vom 26. November 1970 festgelegte Normmass von 5 m nicht erreichen, heisst nicht, dass sie nur eine unzureichende Erschliessung bilden würden, gilt doch dieses - übrigens nur empfohlene - Mindestmass allein für neue Zufahrtsstrassen. Die bestehenden Strassen erreichen dieses Mass vor allem in Stadtgebieten häufig nicht, ohne dass dadurch die Überbaubarkeit der angrenzenden Areale ausgeschlossen würde. Das zeigt gerade das Beispiel des Altenbergraines und der Altenbergstrasse mit Neuüberbauungen, die trotz der schmalen Zufahrt im hier massgebenden Zeitpunkt bewilligt und verwirklicht worden sind. Zudem haben die Vorinstanzen zu Recht festgestellt, dass der Uferweg jedenfalls über weite Strecken mit tragbarem Aufwand hätte ausgebaut werden können. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass eine Wohnüberbauung einen grösseren Verkehr nach sich gezogen hätte, als er durch den Brauereibetrieb verursacht wurde, darf ohne weiteres angenommen werden, dass durch bauliche Massnahmen und geeignete Verkehrsbeschränkungen, wie sie in Wohngebieten üblich sind und heute zur Verkehrsberuhigung sogar gefordert werden, ein geordneter Verkehr auf dem Uferweg hätte sichergestellt werden können. Da es der Enteigneten jederzeit freistand, das durch sie veranlasste Fahrverbot für den Durchgangsverkehr auf der Liegenschaft Nr. 884 aufheben zu lassen, hinderte auch dieses entgegen der Meinung der Einwohnergemeinde Bern die Erschliessbarkeit der Parzelle Nr. 1460 nicht.
c) Im übrigen ist nicht bestritten, dass die weiteren Erschliessungsanlagen bestanden oder, so die Kanalisation, hätten geschaffen werden können. Das Stadtplanungsamt Bern bestätigte dies bereits in einem Schreiben vom 27. November 1974 an den Vertreter der Stadt. Die Kanalisation muss sogar noch, wie sich aus der Stellungnahme der Einwohnergemeinde vom 26. November 1987 ergibt, für die bestehenden Bauten auf der Parzelle Nr. 1460 erstellt werden, deren Abwässer immer noch ungeklärt in die Aare fliessen.
Die Vorinstanzen sind somit zu Recht von einer hinreichenden Erschliessung bzw. Erschliessbarkeit der Liegenschaft Nr. 1460 ausgegangen.
BGE 114 Ib 286 S. 292
4.
Die Erschliessbarkeit einer Parzelle genügt für sich allein noch nicht, um deren Baulandqualität zu bejahen. Voraussetzung ist zudem, dass die im Zeitpunkt der Eigentumsbeschränkung geltende raumplanerische Grundordnung die Berechtigung zum Bauen einschloss (
BGE 112 Ib 109
ff., 398 je mit Hinweisen auf weitere Urteile).
Die Vorinstanzen haben sich darauf beschränkt, festzustellen, dass die Parzelle Nr. 1460 gemäss dem Berner Bauklassenplan aus dem Jahre 1955 zur Bauklasse IIA (2 1/2 Geschosse) und III (3 Geschosse) gehörte, bevor sie zur ebenfalls zum Baugebiet zählenden Freifläche für Sport- und Schulanlagen geschlagen worden sei. Wie das Bundesgericht bereits in
BGE 109 Ib 17
E. 4a festgehalten hat, war jedoch der Bauklassenplan von 1955 kein Zonenplan im Sinne von Art. 14 aBauG, der - wie es das damals geltende Gewässerschutzrecht des Bundes verlangte - das Baugebiet vom übrigen Gemeindegebiet abgrenzte. Formell betrachtet ist daher die Zuweisung der Parzelle Nr. 1460 zur Freifläche, die durch den Zonenplan von 1975 als erster Nutzungsplanung im Sinne von
Art. 22quater BV
vorgenommen wurde, nicht unter dem Gesichtswinkel der Auszonung, sondern unter jenem der Nichteinzonung zu betrachten (vgl.
BGE 112 Ib 400
E. 5b). Nun gehörte indessen das fast mitten in der Stadt Bern, im überbauten Gebiet liegende und teilweise selbst überbaute Grundstück eindeutig zum engeren Baugebiet und war daher nach den bundesrechtlichen Bestimmungen überbaubar (Art. 19 und 20 des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 in Verbindung mit Art. 28 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972). Das Vorliegen der planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Überbauung wird denn auch vor Bundesgericht nicht mehr bestritten. Hätten diese gefehlt, so hätte übrigens das von der Grundeigentümerin im Jahre 1973 eingereichte Baugesuch sofort abgewiesen werden können und hätte keine Planungseinsprache erhoben werden müssen. Die Einwohnergemeinde Bern ging im Beschwerdeverfahren gegen den Bauabschlag selbst von der Überbaubarkeit der Liegenschaft aus, trug sie doch gemäss Entscheid des Regierungsrates vom 11. Januar 1978 unter anderem vor, dass das hängige Baugesuch "ohne den Schutz gemäss BMR und ohne neue Schutzbestimmungen bewilligt werden müsste".
Hieraus ergibt sich, dass ohne die Planungseinsprache und die provisorischen Schutzmassnahmen, die bei der Prüfung der Baulandqualität ausser acht bleiben müssen (
BGE 109 Ib 17
E. 3), die
BGE 114 Ib 286 S. 293
Parzelle Nr. 1460 mit grosser Wahrscheinlichkeit überbaut worden wäre und dies durch die Zuweisung des Bodens zur Freifläche endgültig vereitelt worden ist. Die planerische Massnahme trifft daher die Eigentümerin wie eine Enteignung.
5.
Bei der Ermittlung der Entschädigung hat das Verwaltungsgericht entgegen der Praxis des Bundesgerichtes das Datum des Urteils der Schätzungskommission als Stichtag gewählt. Es führt hiezu im angefochtenen Entscheid aus, im Kanton Bern - wo mit der Zuweisung zur Freifläche das Enteignungsrecht erteilt werde (Art. 96 Abs. 1 BauG) - könnten sowohl der betroffene Grundeigentümer wie auch das Gemeinwesen mit dem Übernahmebegehren zuwarten oder die Enteignung sofort verlangen. Das Gemeinwesen werde in der Regel zuwarten wollen, wenn kein rascher Bedarf nach der Freiflächennutzung vorhanden sei. Der Grundeigentümer könne seinerseits gute Gründe für ein Abwarten haben, wenn aus seiner Sicht eine neuerliche Umzonung des Grundstücks zu einer privaten Bauzone nicht als ausgeschlossen erscheine. Werde in solchen Fällen der Baulandwert zur Zeit der Zuweisung zur Freifläche festgesetzt, so erwachse dem Gemeinwesen ein mit der Eigentumsgarantie nicht zu vereinbarender Vorteil. Das Verwaltungsgericht halte es daher verfassungsrechtlich für geboten, die gestützt auf das bernische Raumplanungsrecht zu beurteilenden Freiflächenfälle den Regeln über die formelle Enteignung zu unterstellen.
Damit trägt jedoch das Verwaltungsgericht dem Umstand keine Rechnung, dass der Entschädigungsanspruch, der sich aus
Art. 5 Abs. 2 RPG
ergibt, ein bundesrechtlicher ist und durch kantonale Bestimmungen weder geschmälert noch erweitert werden darf (vgl.
BGE 107 Ib 222
E. 2). Wie das Bundesgericht unlängst festgehalten hat, ist der Richter einzig dann nicht an die bundesrechtliche Garantie gebunden, wenn das formelle Enteignungs- oder das sog. Heimschlagsrecht aufgrund des kantonalen Rechts auf einen Eingriff hin gewährt wird, der im konkreten Fall nicht zu einer materiellen Enteignung geführt hat und somit nicht unter
Art. 5 Abs. 2 RPG
fällt; in diesem Falle darf die Entschädigung ausschliesslich nach den kantonalen Vorschriften bemessen werden (
BGE 114 Ib 177
E. 3a). Hat dagegen die planerische Massnahme eine materielle Enteignung, insbesondere den Verlust der Baulandqualität zur Folge, so entsteht mit deren Inkrafttreten ein Entschädigungsanspruch auf Ersatz des in diesem Moment verursachten Minderwertes. Von diesem Zeitpunkt an nimmt das Grundstück an einer
BGE 114 Ib 286 S. 294
allfälligen Wertsteigerung des privaten Baulandes auch nicht mehr teil und sind in der Regel dem Eigentümer, sobald er um Entschädigung ersucht, für die Werteinbusse Zinsen zu entrichten (
BGE 114 Ib 178
E. 4, 284 E. 2a, je mit Hinweisen auf frühere Urteile).
Das Bundesgericht hat keinen Anlass, von seiner einlässlich begründeten und wiederholt bestätigten Rechtsprechung abzuweichen (vgl. etwa
BGE 113 Ib 33
E. 3a,
BGE 112 Ib 494
und bereits zitierte Entscheide). Der Einwand des Verwaltungsgerichtes, dem Gemeinwesen erwüchsen bei erst lange nach dem planerischen Eingriff verlangten Übernahmen finanzielle Vorteile, überzeugt nicht. Will das Gemeinwesen mit der formellen Enteignung zuwarten, so kann sich der Eigentümer jedenfalls für die materielle Enteignung, die in der Regel den grössten Teil des Verkehrswertes beschlägt, sofort entschädigen lassen. Will der Eigentümer selbst mit seinem Entschädigungs- oder Übernahmebegehren zuwarten, weil er auf eine neuerliche Umzonung, das heisst darauf spekuliert, dass sich die gerade vorgenommene Planung als Fehlplanung erweist. So tut er dies auf eigenes Risiko. Im übrigen muss für die Festsetzung von Freiflächen für öffentliche Bauten und Anlagen ein genügend konkretisierter Bedarf nachgewiesen sein, was eine Wiedereinweisung des beanspruchten Bodens in eine private Bauzone ausschliessen sollte. Allerdings ist einzuräumen, dass der Grundeigentümer dann benachteiligt werden kann, wenn das Gemeinwesen seinen Entschädigungsanspruch für materielle Enteignung bestreitet, das Gerichtsverfahren lange dauert und während dieser Zeit die Landpreise erheblich ansteigen. In einer solchen Situation muss allenfalls ein Ausgleich geschaffen werden, um dem Recht des Grundeigentümers auf volle Entschädigung zu entsprechen (
BGE 114 Ib 179
). Unter den hier gegebenen Umständen (s. hinten E. 9) stellt sich diese Frage indessen nicht.
6.
Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Entschädigungsbemessung weitgehend an die Oberexpertise von Architekt B. gehalten. Dieser hatte die Auffassung vertreten, die Anwendung der sog. statistischen Methode falle ausser Betracht, da im Altenberg-Quartier in der fraglichen Zeit keine Liegenschaften verkauft worden seien, die mit dem Schätzungsobjekt in bezug auf Lage, Grösse, Erschliessungsgrad und Ausnützungsmöglichkeiten vergleichbar seien. Der Gutachter ging daher nach der sog. Lageklassen-Methode von NAEGELI vor, die auf der Annahme beruht, dass der Wert des Baulandes sowohl zum Gesamtwert der überbauten Liegenschaft als auch zum Jahresmietertrag in einer ganz bestimmten
BGE 114 Ib 286 S. 295
Relation stehe, die für alle Grundstücke in der gleichen Lage die selbe sei. Bei der Bewertung einer noch nicht überbauten Parzelle werden deshalb entweder die Anlagekosten einer hypothetischen, den Bauvorschriften entsprechenden Neuüberbauung oder der aus deren Vermietung vermutlich zu erzielende Bruttoertrag errechnet und wird aus dem einen oder anderen Betrag entsprechend der Lageklasse, die nach einem Bewertungsschlüssel für das Grundstück festgesetzt wird, der Landwert bestimmt (WOLFGANG NAEGELI, Handbuch des Liegenschaftenschätzers, 2. Aufl. 1980, S. 54 ff.).
Der Gutachter errechnete zunächst für den nördlichen Teil der Parzelle Nr. 1460 (10 879 m2, davon 1882 m2 Wald) mit Stichtag 11. Januar 1987 aufgrund der Anlagekosten einer möglichen Überbauung einen Verkehrswert von Fr. 2'183'000.--. Eine Kontrollrechnung anhand der erzielbaren Mietzinse nahm er nicht vor. Dagegen ergänzte er in einem Zusatzgutachten über die Wertverhältnisse im Dezember 1982 das nach der Naegeli-Methode ermittelte Ergebnis von Fr. 2'620'000.-- durch eine Rückwärtsrechnung, die ein Resultat von Fr. 2'413'000.-- ergab. Bei der Bewertung der südlichen Teilfläche (6580 m2, davon 1885 m2 Wald) ging der Experte davon aus, dass die ehemals der Brauerei dienenden Bauten (rund 15 000/m3) bestehen blieben und weiter vermietet würden. Aus dem Realwert - bei dessen Bemessung er einen Gebäudewert von nur Fr. 37.50 bzw. Fr. 40.70/m3 einsetzte und dem aufgrund der tatsächlich erzielten Mietzinse festgesetzten Ertragswert ergab sich ein Verkehrswert von Fr. 731'000.-- (1978) bzw. von Fr. 746'000.-- (1982).
7.
Zur Bewertungsmethode ist zunächst festzuhalten, dass nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung der zu entschädigende Verkehrswert in erster Linie anhand von Vergleichspreisen festzulegen ist. Was eine unbestimmte Vielzahl von Kaufinteressenten auf dem freien Markt für das enteignete Grundstück bezahlt hätte, lässt sich am zuverlässigsten aufgrund der tatsächlich gehandelten Preise für vergleichbare Liegenschaften, also nach der Vergleichs- oder statistischen Methode ermitteln. Allerdings führt diese Methode - wie das Bundesgericht schon in
BGE 102 Ib 353
ff. ausgeführt hat - nur dann zu richtigen Resultaten, wenn Vergleichspreise in genügender Zahl für Objekte ähnlicher Beschaffenheit zur Verfügung stehen. An diese Voraussetzung dürfen jedoch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Zum einen erfordert die Vergleichbarkeit nicht, dass in bezug auf Lage,
BGE 114 Ib 286 S. 296
Grösse, Erschliessungsgrad und Ausnützungsmöglichkeit praktisch Identität bestehe, wie hier die Vorinstanz anzunehmen scheint; Unterschieden der Vergleichsgrundstücke kann durch Preiszuschläge oder -abzüge Rechnung getragen werden. Auch braucht das Vergleichsgrundstück nicht unbedingt im selben Quartier zu liegen, sofern es hinsichtlich Lage, Umgebung, Ausnützungsmöglichkeit usw. dem Schätzungsobjekt ähnlich ist. Zum anderen lässt sich in der Regel selbst aus vereinzelten Vergleichspreisen auf das allgemeine Preisniveau schliessen. Sind nur wenige Kaufpreise bekannt, müssen diese allerdings besonders sorgfältig untersucht und können nur zur Entschädigungsbestimmung verwendet werden, wenn dem Vertragsabschluss nicht - wie etwa bei Verkäufen unter Verwandten, Arrondierungskäufen oder ausgesprochenen Spekulationskäufen - unübliche Verhältnisse zugrunde liegen (zum Ganzen vgl.
BGE 102 Ib 353
f.,
BGE 106 Ib 19
, nicht publ. E. 6b; nicht publ. Entscheide i.S. Schmidlin vom 10. Dezember 1985 E. 3, i.S. Klopfenstein vom 7. Juni 1985 E. 2, i.S. Immostar vom 21. Januar 1976 E. 1).
Nur wenn überhaupt keine Vergleichspreise vorhanden sind, dürfen sich die Schätzungsbehörden auf die ausschliessliche Anwendung von Methoden beschränken, die - wie die Lageklassenmethode oder die Rückwärtsrechnung - auf blosse Hypothesen abstellen, auf heute nicht mehr durchwegs geltenden Rentabilitätsüberlegungen beruhen und bei denen das Ergebnis selbst durch kleinere Erhöhungen oder Reduktionen der Ausgangswerte fast beliebig verändert werden kann. Da im vorliegenden Fall Preise ermittelt werden konnten, die in der fraglichen Zeit für zum Vergleich geeignete Liegenschaften bezahlt worden sind, ist die im angefochtenen Entscheid getroffene Methodenwahl von der Enteigneten zu Recht beanstandet worden.
8.
Nach den Ermittlungen der bundesgerichtlichen Delegation und der Experten wurden im Jahre 1979 am Altenbergrain verschiedene Grundstücke gekauft und zur heutigen Parzelle Nr. 896 vereinigt. Für drei Teilflächen wurden Preise von Fr. 630.--/m2, Fr. 648.--/m2 bzw. Fr. 1'096.--/m2 bezahlt, während im Jahre 1983 noch ein Abschnitt von 622 m2 zu Fr. 80.--/m2 hinzugekauft und von diesem 122 m2 zu Fr. 246.--/m2 wieder an einen Nachbarn abgetreten worden ist. Der Erwerb der gesamten Fläche der Parzelle im Ausmasse von 3578 m2 kam auf Fr. 251'9760.-- oder Fr. 704.--/m2 zu stehen. Ebenfalls im fraglichen Zeitpunkt, im Jahre 1978, wurde das
BGE 114 Ib 286 S. 297
Kaufsrecht an der 4315 m2 umfassenden Parzelle Nr. 657 am Dalmaziquai zu Fr. 3'000'000.-- oder Fr. 695.--/m2 ausgeübt. Beide Parzellen sind neu überbaut und die erstellten Wohnungen verkauft oder vermietet worden. Beide Grundstücke lagen nach dem Bauklassenplan von 1955 in der Bauklasse IIA sowie, gleich wie die Parzelle Nr. 1460, in der "Schutzzone der Aaretalhänge". Wie die Experten nach dem Augenschein bestätigt haben, sind die beiden Liegenschaften mit dem enteigneten Grundstück vergleichbar. Der etwas besseren Lage des Grundstücks am Dalmaziquai einerseits und dem Nachteil der Eisenbahnbrücke sowie der schwierigeren Erschliessung der Parzelle Nr. 1460 andererseits kann durch entsprechende Abzüge Rechnung getragen werden. Die Einwohnergemeinde Bern hat erst nach der Parteiverhandlung vom 26. August 1987, an der die mündliche Expertise erstattet wurde, in ihrer Stellungnahme vom 26. November 1987 auf weitere Kaufpreise hingewiesen, obschon die Parteien schon an den Augenscheinen nach Vergleichspreisen befragt worden waren und die Stadt Bern im Gegensatz zur Enteigneten auch die Möglichkeit gehabt hätte, solche zu erheben. Es fragt sich daher, inwieweit auf diese späten Vorbringen überhaupt noch eingegangen werden könne. Die Frage kann indessen offenbleiben, da die nachträglich genannten Liegenschaften mit Ausnahme einer einzigen offensichtlich nicht vergleichstauglich sind. Die Parzelle am Dalmaziquai ist wegen ihrer schmalen und abgewinkelten Form selbständig überhaupt nicht überbaubar. Die ebenfalls erwähnten Grundstücke Hintere Engehalde und Haldenstrasse liegen nicht am Aareufer und weit vom Stadtzentrum entfernt; sie befinden sich in unmittelbarer Nähe des Felsenau-Viaduktes und sind den Immissionen der stark befahrenen Nationalstrasse N 1 ausgesetzt. Dagegen kann die Lage der Parzelle Nr. 1460 am Uferweg trotz des Eisenbahnverkehrs auf der hoch über der Aare das Tal überquerenden Brücke als ruhig und mit dem Blick auf den Flusslauf und den gegenüberliegenden bewaldeten Hang als ansprechend bezeichnet werden; Hauptbahnhof und Altstadt sind zudem zu Fuss in kurzer Zeit erreichbar. Einzig die Vergleichbarkeit der Liegenschaft Rabbentalstrasse 10 im Altenbergquartier kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, doch ist der Kaufvertrag nicht eingereicht worden und ist daher nicht bekannt, ob dieser besondere Bedingungen enthält. Weitere Abklärungen erübrigen sich indessen. da sich der im Jahre 1977 bezahlte Preis von Fr. 309.--/m2 mit den
BGE 114 Ib 286 S. 298
Schätzungen der bundesgerichtlichen Experten ohne weiteres vereinbaren lässt.
Ausgehend von den selbst erhobenen Vergleichspreisen haben die Gutachter folgende Überlegungen und Berechnungen angestellt:
a) Im Sinne einer Grobschätzung haben die Experten festgehalten, dass allein auf dem nördlichen Teil der Parzelle Nr. 1460 von rund 10 000 m2 (ohne Waldfläche) doppelt so viel an Bauvolumen hätte realisiert werden können, als auf den 3578 m2 bzw. 4315 m2 umfassenden Vergleichsgrundstücken am Altenbergrain und am Dalmaziquai verwirklicht worden ist. Da für die Vergleichsgrundstücke durchschnittlich etwa 2,8 Mio. Franken (rund Fr. 700.--/m2) bezahlt worden sind, lässt sich für die Parzelle Nr. 1460 das Doppelte, also mit 5,6 Mio. Franken bereits mehr als die von der Eigentümerin verlangte Entschädigung einsetzen. Bei einer solchen Betrachtungsweise bleiben die Nachteile, die die Parzelle Nr. 1460 gegenüber den Vergleichsgrundstücken aufweist, nicht unberücksichtigt, wird doch die ganze Restfläche von über 9000 m2 dem Käufer "geschenkt" bzw. mit null bewertet.
b) Bei ihren weiteren Berechnungen sind die Experten zunächst von der Annahme ausgegangen, alle bestehenden Bauten würden abgebrochen und die ganze Parzelle soweit möglich neu überbaut. Dabei ist die eigentlich überbaubare Fläche auf 9887 m2, die nur als Umgebung nutzbare Fläche auf 5545 m2 und das Waldareal gemäss dem Situationsplan 1:500 des Vermessungsamtes der Stadt Bern vom 9. Juli 1984 auf 3909 m2 festgesetzt worden. Den gut überbaubaren Boden haben die Gutachter auf Fr. 500.--/m2 geschätzt und damit gegenüber den Vergleichspreisen von Fr. 700.--/m2 einen wesentlichen Abzug vorgenommen, um dem höheren Erschliessungsaufwand und der etwas ungünstigeren Lage Rechnung zu tragen. Die als "Umgebung" bezeichnete Fläche, die insbesondere den südlichen Teil umfasst und auf der neben den Erschliessungsanlagen etwa Tennis- oder Kinderspielplätze hätten errichtet werden können, ist mit Fr. 100.--/m2 bewertet worden. Für das Waldareal haben die Experten gleich wie die Schätzungskommission Fr. 20.--/m2 eingesetzt, da für Waldflächen im Baugebiet, die regelmässig die Wohnqualität verbessern, erfahrungsgemäss erheblich mehr bezahlt wird als die für Wald üblicherweise erzielten Preise. Hieraus ergeben sich folgende Beträge:
BGE 114 Ib 286 S. 299
9887 m2 überbaubare Fläche à Fr. 500.--
Fr. 4'943'500.--
5545 m2 Umgebung à Fr. 100.--
Fr. 554'500.--
3909 m2 Wald à Fr. 20.--
Fr. 78'180.--
----------------
insgesamt
Fr. 5'576'180.--
Umgerechnet auf die überbaubare und die Umgebungsfläche ergibt sich ein Durchschnittspreis von rund Fr. 356.--/m2, auf die ganze Fläche der Parzelle Nr. 1460 ein solcher von rund Fr. 288.--/m2.
c) Schliesslich haben die Experten wie das Verwaltungsgericht angenommen, dass nur der Nordteil des Grundstücks neu überbaut worden wäre und die ehemaligen Brauereigebäude weiterhin gewerblich genutzt worden wären. Inwieweit die bereits im Jahr 1978 vermieteten Gebäulichkeiten hätten umgebaut oder erweitert werden können, braucht in diesem Zusammenhang nicht näher abgeklärt zu werden. Bei der Bewertung der Bauten sind die bundesgerichtlichen Experten gleich wie Architekt B. von einem Volumen von 15 000 m3 ausgegangen, haben indessen den Realwert höher, nämlich auf Fr. 80.--/m2 geschätzt. Ihrer Auffassung nach ist die Bausubstanz trotz mangelnden Unterhalts im wesentlichen gesund und darf für die Gebäude im massgebenden Zeitpunkt mindestens der Rohbauwert eingesetzt werden. Der relative Landwert des gewerblich genutzten Bodens ist auf Fr. 100.--/m2 festgelegt worden. Bei der Bewertung des überbaubaren Teiles Nord sind die Gutachter grundsätzlich vom bereits geschätzten Preis ausgegangen, haben jedoch angesichts dessen, dass die gewerblich genutzten Brauereigebäude eine weniger ansprechende Nachbarschaft bilden, einen Abzug von Fr. 100.--/m2 vom Baulandwert vorgenommen. Die Bewertung lautet demnach:
Gebäude 15 000 m3 à Fr. 80.--
Fr. 1'200'000.--
5545 m2 Gewerbeland Süd à Fr. 100.--
Fr. 554 500.--
9887 m2 Bauland Nord à Fr. 400.--
Fr. 3'954'800.--
3909 m2 Wald à Fr. 20.--
Fr. 78'180.--
----------------
insgesamt
Fr. 5'786'980.--
d) Aufgrund dieser Bewertungen und Vergleiche sind die Experten zum Schluss gekommen, dass der Verkehrswert der Parzelle Nr. 1460 in der Grössenordnung von 5,5 Mio. Franken liege. Da dieser Betrag die von der Enteigneten verlangte Entschädigung von Fr. 4'191'200. - deutlich übersteigt, hat sich eine genaue Bezifferung erübrigt (vgl. E. 9).
BGE 114 Ib 286 S. 300
Das Bundesgericht ist nach ständiger Rechtsprechung in reinen Schätzungsfragen an die Auffassung seiner Experten gebunden, sofern diese nicht auf einer falschen Auslegung des Gesetzes beruht oder irrtümliche tatsächliche Feststellungen, Lücken oder Widersprüche enthält (
BGE 104 Ib 85
E. 2, 101 Ib 408,
BGE 100 Ib 207
). Das ist hier offensichtlich nicht der Fall. Das Begehren der Enteigneten um Erhöhung der Entschädigung erweist sich demnach als berechtigt.
9.
Der Vertreter der Enteigneten hat an der Parteiverhandlung vom 26. August 1987 im Anschluss an die Darlegungen der bundesgerichtlichen Experten erklärt, dass das Begehren der Beschwerdeführerin in dem Sinne zu verstehen sei bzw. abgeändert werde, dass die Enteignungsentschädigung nach richterlichem Ermessen festzusetzen sei. Das Bundesgericht ist jedoch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren an die Anträge der Parteien gebunden (
Art. 114 Abs. 1 OG
). Das heisst in erster Linie, dass es dem Enteigneten nicht mehr zusprechen kann, als er verlangt, und nicht weniger, als der Enteigner offeriert. Es bedeutet aber auch, dass die gestellten Anträge verbindlich sind und im Laufe des Instruktionsverfahrens nicht mehr abgeändert werden können, es sei denn, eine Beschwerde werde zurückgezogen oder ein Begehren anerkannt (vgl.
BGE 102 Ib 88
f.); die Bestimmung von
Art. 114 Abs. 1 OG
wie auch die
Art. 106 und 108 OG
, welche dem Beschwerdeführer eine Frist zur Erhebung seiner Begehren setzen, verlören sonst ihren Sinn. Dagegen kann hier zugunsten der Enteigneten der im formellen Enteignungsverfahren aufgestellte Grundsatz angewendet werden, wonach das Bundesgericht nur an die für ein Enteignungsobjekt als Ganzes gestellten Begehren gebunden ist und die einzelnen Entschädigungsposten unabhängig von den hiezu vorgebrachten Begründungen korrigieren kann, solange der von den Parteien gesteckte Rahmen insgesamt nicht über- oder unterschritten wird (vgl.
BGE 109 Ib 31
E. 2b und dort zitierte Entscheide). Das hat zur Folge, dass die unter den Titeln Inkonvenienzentschädigung und Verzinsung der Entschädigung geforderten Beträge der Enteigneten ohne weiteres voll zugesprochen werden können, da diese Summen zusammen mit den verlangten Fr. 4'191'200.-- die von den bundesgerichtlichen Experten genannte Höhe des Verkehrswertes der Parzelle Nr. 1460 nicht überschreiten. Es erübrigt sich daher, zu untersuchen, ob eine Inkonvenienzentschädigung überhaupt geschuldet sei, und braucht nicht geprüft zu werden, welcher Teil der Verkehrswertentschädigung auf die materielle
BGE 114 Ib 286 S. 301
Enteignung entfalle und daher schon ab 20. September 1979 verzinst werden müsste und ob die von der Enteigneten von diesem Tag an erzielten Mietzinseinnahmen anzurechnen seien. Die Beschwerde der Enteigneten ist in diesem Sinne in vollem Umfange gutzuheissen, während die Beschwerde der Einwohnergemeinde Bern abgewiesen werden muss. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
b6d87d5a-392f-494b-8e40-f77d1dca9238 | Urteilskopf
82 I 40
7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Mai 1956 i.S. Schweizerische Prospektzentrale gegen Finanz- und Handelsdirektion des Kantons Glarus. | Regeste
Art. 944 OR
, Art.38, 44, 45, 61 HRegV.
a) Die Bewilligung, in der Firma eine nationale Bezeichnung zu führen, kann widerrufen werden, wenn die Bezeichnung den Verhältnissen nicht oder nicht mehr entspricht (Erw. 1).
b) Wann rechtfertigen sich die Bezeichnungen "schweizerisch" und "Zentrale" als Bestandteile einer Firma? (Erw. 2, 3).
c) Frist zur Änderung einer lange benützten unzulässigen Firma (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 40
BGE 82 I 40 S. 40
A.-
Im Jahre 1930 wurde mit Sitz in Glarus eine Genossenschaft gegründet, die namentlich bezweckte "durch Gründung einer Prospektzentrale, Übernahme, Weiterführung und Ausbau der vom Initiativkomitee Glarus zur Regelung des Prospektvertriebes getroffenen Vorbereitungen und Pläne eine Organisation zu schaffen, die unter
BGE 82 I 40 S. 41
Mitwirkung von Vertretern aller interessierten Verkehrsgruppen eine rationelle und wirtschaftliche Durchführung des Prospektvertriebs ermöglicht". Da das Eidgenössische Amt für das Handelsregister ihr Gesuch, die Firma "Schweizerische Prospektzentrale, Prospektvertriebsgenossenschaft von Verkehrsinteressenten" verwenden zu dürfen, am 18. Februar 1931 abwies, wurde sie unter der Bezeichnung "Prospektzentrale, Prospektvertriebs-Genossenschaft von Verkehrsinteressenten" in das Handelsregister eingetragen.
Im Dezember 1934 ersuchte die Genossenschaft das Eidgenössische Amt für das Handelsregister, ihr die Verwendung der Firma "Schweizerische Prospektzentrale (Office Central Suisse de Prospectus)" zu gestatten. Sie begründete das Begehren namentlich damit, dass sie ausländische Filialen zu eröffnen beabsichtige, aber nur schweizerische Interessen vertrete. Der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins sprach sich für die Gutheissung des Gesuches aus, da aus dem Prospektkatalog der Gesuchstellerin hervorgehe, dass sie auch im Tessin und in der welschen Schweiz Fuss gefasst habe, und da es für sie wichtig sei, sich im Ausland als schweizerisch ausweisen zu können. Das Eidgenössische Amt für das Handelsregister erteilte am 27. Dezember 1934 die nachgesuchte Bewilligung unter der Bedingung, dass nach den Statuten nur Schweizerbürger in den Vorstand gewählt werden könnten. Diese Bedingung wurde erfüllt. Seit 12. Januar 1935 ist die Genossenschaft als "Schweizerische Prospektzentrale (Office Central Suisse de Prospectus)" im Handelsregister eingetragen.
B.-
Auf Veranlassung des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister verlangte das Handelsregisteramt des Kantons Glarus im Jahre 1954 von der Genossenschaft den Nachweis, dass ihre Geschäftstätigkeit die Bezeichnung "schweizerisch" in der Firma noch rechtfertige. Am 20. Dezember 1954 ersuchte die Genossenschaft das eidgenössische Amt, ihre Firma beibehalten zu dürfen, da
BGE 82 I 40 S. 42
Zweck und Geschäftsführung sich seit 1935 nicht geändert hätten. Das eidgenössische Amt liess auf das hin die Angelegenheit durch den Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins prüfen. Der Vorort erstattete auf Grund eigener Erhebungen und Meinungsäusserungen der Schweizerischen Zentrale für Verkehrsförderung, des Verbandes Schweizerischer Kur- und Verkehrsdirektoren, der Vereinigung von Reise- und Auswanderungsagenturen der Schweiz, des Schweizer Hotelier-Vereins und der Glarner Handelskammer am 14. Februar 1955 Bericht. Das eidgenössische Amt lud hierauf das Handelsregisteramt des Kantons ein, nach Art. 60 f. HRegV vorzugehen und die Genossenschaft aufzufordern, ihre Firma zu ändern. Es vertrat die Auffassung, jedenfalls müsse die Bezeichnung "schweizerisch" weggelassen werden, eigentlich sei aber auch keine "Zentrale" mehr vorhanden. Das Handelsregisteramt des Kantons Glarus forderte daher die Genossenschaft mit Brief vom 22. April 1955 auf, eine andere, die Bezeichnungen "schweizerisch" und "Zentrale" nicht enthaltende Firma anzunehmen und bis 23. Mai 1955 die Änderung zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.
Die Genossenschaft beantwortete die Aufforderung nicht. Das Handelsregisteramt des Kantons Glarus überwies daher die Angelegenheit der kantonalen Finanz- und Handelsdirektion als Aufsichtsbehörde. Diese entschied am 20. Juni 1955: "Auf Grund von
Art. 60 und 61 HRegV
wird die Firma ,Schweizerische Prospektzentrale' mit Sitz in Glarus abgeändert in ,Prospektverteilungs-Genossenschaft'."
C.-
Die Schweizerische Prospektzentrale führt gemäss
Art. 97 ff. OG
Beschwerde mit dem Antrag, dieser Entscheid sei aufzuheben und die bisher eingetragene Firma unverändert zu lassen.
D.-
Die Finanz- und Handelsdirektion des Kantons Glarus und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
BGE 82 I 40 S. 43
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Schon nach Art. 5 der revidierten Verordnung II vom 16. Dezember 1918 betreffend Ergänzung der Verordnung vom 6. Mai 1890 über das Handelsregister und das Handelsamtsblatt durften nationale Bezeichnungen in Geschäftsfirmen nur ausnahmsweise und nur mit Bewilligung des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister verwendet werden, und gleich verhält es sich unter der heute geltenden Verordnung vom 7. Juni 1937 über das Handelsregister (
Art. 944 Abs. 2 OR
;
Art. 45 HRegV
). Eine solche Bewilligung wurde der Beschwerdeführerin am 27. Dezember 1934 erteilt, indem ihr das Amt für das Handelsregister gestattete, die Firma "Schweizerische Prospektzentrale" eintragen zu lassen und zu führen.
Das hindert jedoch nicht, dass ihr diese Bewilligung grundsätzlich und unter Vorbehalt bestimmter Schranken durch eine neue Verfügung entzogen werden kann. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, sie habe ein wohlerworbenes Recht auf die Führung der bewilligten Firma und der angefochtene Entscheid greife in einer dem Gebot der Rechtssicherheit widersprechenden Weise in ihre Persönlichkeitsrechte ein, hält nicht stand. Gewiss hat die Beschwerdeführerin dank der Bewilligung vom 27. Dezember 1934 ein subjektives Recht an der Firma "Schweizerische Prospektzentrale" erlangen können. Subjektives Recht ist es aber nur gegenüber Dritten, insofern nämlich, als die Beschwerdeführerin allein berechtigt ist, diese Firma zu führen, und sie gegen jeden, der ihr Recht verletzt, auf Unterlassung und bei Verschulden auf Schadenersatz klagen kann (
Art. 956 OR
). Im Verhältnis zum Staat dagegen hat sie durch die Bewilligung kein subjektives, wohlerworbenes Recht auf Führung der Firma erworben. Die Bewilligung hatte nicht den Sinn einer Verleihung (Konzession) mit der Folge der Begründung gegenseitiger Rechte und Pflichten, an die beide Teile, also
BGE 82 I 40 S. 44
auch der Staat, gebunden wären, sondern lediglich den Sinn einer Erlaubnis, auf die unter Umständen zurückgekommen werden kann.
Gemäss
Art. 944 Abs. 1 OR
muss die Firma inhaltlich wahr sein und darf zu keinen Täuschungen Anlass geben und keinem öffentlichen Interesse widersprechen (s. auch
Art. 38 Abs. 1 HRegV
). Dieses Gebot bzw. Verbot lässt nicht zu, dass eine ihm widersprechende Firma weitergeführt werde, nur weil ihre Verwendung früher unter anderen Verhältnissen oder in Verkennung des wirklichen Sachverhaltes vom Eidgenössischen Amt für das Handelsregister bewilligt wurde. Bundesrat und Bundesgericht haben denn auch von jeher die Streichung von Handelsregistereinträgen, die sich nachträglich als unrichtig oder unwahr erwiesen, als zulässig erklärt, vgl. Entscheide des Bundesrates vom 25. Mai 1886 (BBl 1887 I 383, SIEGMUND, Handbuch für die schweiz. Handelsregisterführer 77) und 24. Dezember 1909 (BBl 1910 I 9);
BGE 56 I 363
; siehe auch
BGE 72 I 361
f. Auf diesem Boden steht auch
Art. 61 HRegV
, der das Verfahren zur zwangsweisen Herbeiführung von Änderungen und Löschungen (
Art. 60 HRegV
) anwendbar erklärt, wenn eine Firma "nicht oder nicht mehr den Vorschriften entspricht" (s. auch
Art. 38 Abs. 2 HRegV
). Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin am 27. Dezember 1934 die Bewilligung erhalten hat, sich "Schweizerische Prospektzentrale" zu nennen, und dass sie diese Firma seither tatsächlich führt, ist lediglich bei der Abwägung der Interessen, die für bzw. gegen die Weiterverwendung der Firma sprechen, mit in die Waagschale zu werfen.
2.
Nationale Bezeichnungen in Firmen dürfen so wenig wie deren übriger Inhalt dem Gebot der Wahrheit widersprechen oder die Gefahr von Täuschungen schaffen (
Art. 944 Abs. 1 OR
). Daher ist das Wort "schweizerisch" als Firmenbestandteil nicht schon dann zulässig, wenn der Inhaber bestrebt ist, den Rahmen eines bloss lokalen Geschäftsbetriebes zu sprengen, sei es, dass er seine
BGE 82 I 40 S. 45
Leistungen in allen Landesteilen anbietet, sei es, dass die am Betriebe mittelbar Interessierten (Lieferanten und dgl.) sich irgendwo in der Schweiz befinden. Als "schweizerisch" darf sich ein Geschäftsinhaber in der Firma dagegen bezeichnen, wenn er eine die gesamte Schweiz betreffende offizielle oder offiziöse Tätigkeit entfaltet oder eine wirtschaftliche Stellung errungen hat, die ihn zum tatsächlichen Vertreter von gesamtschweizerischen Interessen stempelt (vgl.
BGE 72 I 360
). Diese Voraussetzung ist nicht leichthin erfüllt. Der Firmenbestandteil "schweizerisch" darf nicht zur Regel werden. Gemäss
Art. 45 Abs. 1 HRegV
kann er nur gestattet werden, wenn "besondere Umstände" ihn rechtfertigen; die Bewilligung soll die Ausnahme sein.
Eine solche schien sich für die Beschwerdeführerin im Jahre 1934 zu rechtfertigen, weil es ihr gelungen war, in allen Teilen des Landes Fuss zu fassen, und Aussicht bestand, dass sie grossen am schweizerischen Fremdenverkehr interessierten Kreisen zu dienen vermöge, insbesondere auch durch Verteilung der Prospekte im Ausland, wo die Bezeichnung als "schweizerische" Prospektzentrale nahe lag. Der Geschäftsverlauf seit 1934 hat nicht nur diese Hoffnungen zunichte gemacht, sondern trägt die Zeichen eines entscheidenden Rückschrittes. Die Behauptungen der Beschwerdeführerin, die Verhältnisse hätten sich bei ihr, von personellen Veränderungen infolge Ablebens und altershalber sowie vom Wechsel des Geschäftslokals abgesehen, nicht geändert, sie vertreibe nicht weniger Prospekte als in den besten Zeiten und es seien ihr nicht weniger Prospektlieferanten oder weniger Verteilerstellen angeschlossen als früher, sind durch die Erhebungen widerlegt.
Die ursprünglichen Genossenschafter und Vorstandsmitglieder gehörten vorwiegend Verkehrs- und Hotelkreisen an. Aus diesen stammt von den Mitgliedern des gegenwärtigen Vorstandes nur noch die Wirtin einer Gastwirtschaft in Glarus, welche nach dem Bericht der Glarner
BGE 82 I 40 S. 46
Handelskammer der Beschwerdeführerin als "reines Briefkastendomizil" dient. Die anderen Vorstandsmitglieder wohnen alle in Zürich. Unter ihnen befinden sich die Präsidentin und eine ihr nahestehende und im gleichen Hause wohnende Frau sowie die Erben eines zu Verlust gekommenen Grossgläubigers, der Mechaniker war. Beziehungen persönlicher Art zu den am Vertrieb der Prospekte interessierten schweizerischen Verkehrskreisen fehlen somit heute so gut wie ganz.
Der Geschäftsbetrieb sodann weist darauf hin, dass die Beschwerdeführerin die Verteilung der Prospekte nur noch in geringem Umfange, wenn nicht als blosses Nebengeschäft, betreibt. Ihre Geschäftsstelle befindet sich in einem kleinen mittelständisch anmutenden Laden an der Stampfenbachstrasse in Zürich, in dem auch Bücher verkauft und ausgeliehen werden und Papeteriewaren erhältlich sind. Das von der Beschwerdeführerin eingelegte "Allgemeine Verzeichnis der Prospekte mit Nummern-Angabe" zeigt, dass noch immer Prospekte aus allen Landesteilen angeboten werden, doch weist es grosse Lücken auf. Die von der Finanz- und Handelsdirektion des Kantons Glarus eingelegten Werbematerialien der Beschwerdeführerin, insbesondere auch der gedruckte "Prospekt-Katalog Nr. 7", stammen aus der Kriegs- und Vorkriegszeit, sagen also über die heutigen Verhältnisse nichts. Der Schweizer Hotelier-Verein weist auf den starken Rückgang der Abonnenten der Beschwerdeführerin hin. Auch das Verzeichnis der von ihr bedienten Abgabestellen verrät einen sehr beschränkten Geschäftsbetrieb. Die bedeutendsten Reiseagenturen der Schweiz kennen die Beschwerdeführerin nicht oder messen ihrem Unternehmen nur geringe Bedeutung bei. Abgabestellen im Ausland vermag die Beschwerdeführerin nur ganz wenige nachzuweisen. Den Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen, die sie im Beschwerdeverfahren eingereicht hat, ist zu entnehmen, dass der Geschäftsumsatz in den Jahren 1952-1954 auf einen Achtel bis einen Zehntel
BGE 82 I 40 S. 47
des Umsatzes der Jahre 1934 und 1935 zurückgegangen ist. Verluste wurden jeweilen durch Erhöhung des Postens "Goodwill" ausgeglichen. Dieser erreichte schliesslich einen offensichtlich unhaltbaren Betrag, wurde dann im Jahre 1954 zusammen mit hohen Darlehensforderungen zum grössten Teil ausgeschieden, steht aber trotzdem noch fast zwanzigmal höher zu Buch als alle anderen Aktiven zusammen und übertrifft noch immer das gesamte Genossenschaftskapital. Aus den Unkosten ergibt sich, dass der Betrieb mit Mühe eine Person ernähren kann. Die Schweizerische Zentrale für Verkehrsförderung, eine öffentlichrechtliche Körperschaft, die seit Jahren die Verteilung des touristischen Auskunfts- und Werbematerials in enger Zusammenarbeit mit den Kur- und Verkehrsvereinen, den Transportanstalten und dem Gastgewerbe durchorganisiert hat, ferner der Verband schweizerischer Kur- und Verkehrsdirektoren, die Glarner Handelskammer und weitere Verkehrsfachleute messen der Tätigkeit der Beschwerdeführerin nur noch geringe Bedeutung bei, soweit sie sie nicht überhaupt als überflüssig bezeichnen.
Unter solchen Umständen kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin heute noch als Vertreterin gesamtschweizerischer Interessen dastehe. Der Zusatz "schweizerisch" in ihrer Firma entspricht den Verhältnissen nicht mehr.
3.
Die Handelsregisterverordnung sieht nicht vor, dass die Bezeichnung "Zentrale" in einer Firma nur mit Bewilligung zulässig sei. Dieser Ausdruck darf jedoch wie der übrige Inhalt der Firma nicht Täuschungen möglich machen (
Art. 944 Abs. 1 OR
;
Art. 38 Abs. 1 HRegV
) oder nur der Reklame dienen (
Art. 44 Abs. 1 HRegV
). Er muss wahr sein. Das ist er nur, wenn der Träger der Firma über ein Unternehmen verfügt, das mehrere Betriebsstätten zusammenfasst oder dank ausgedehnter Organisation und grossen Geschäftsverkehrs seine Leistungen zu Bedingungen anbieten kann, die für den Kunden besonders günstig sind (
BGE 63 I 105
). Es genügt nicht,
BGE 82 I 40 S. 48
dass das Unternehmen einerseits Sammel- und anderseits Verteilungsstelle sei und in diesem Sinne eine zentrale Stellung zwischen den die Leistungen anbietenden und den sie aufnehmenden Kreisen einnehme. Denn so verstanden, ist z.B. jeder Zwischenhändler, der Waren mehrerer Lieferanten anbietet, der Mittelpunkt zwischen diesen und den Abnehmern. Der Inhaber jedes noch so unbedeutenden Geschäftes vermöchte darnach den reklamehaften Ausdruck "Zentrale" in seine Firma aufzunehmen. Dadurch würde das Publikum getäuscht. Unter einer "Zentrale" pflegt man sich ein Unternehmen vorzustellen, das über eine von einem Mittelpunkt aus kontrollierte und geleitete, verhältnismässig grosse Organisation verfügt.
Das Geschäft der Beschwerdeführerin weist diese Eigenschaft nicht auf. Es besteht, trotz des grossen Umfanges der schweizerischen Fremdenindustrie, aus einer einzigen, nur noch unbedeutenden Sammel- und Bezugsstelle für Prospekte an der Stampfenbachstrasse in Zürich. Die Abnehmer der Prospekte gehören nicht einer von der Beschwerdeführerin kontrollierten Organisation an, sondern sind ganz unabhängig. Sie haben die Stellung von Kunden, nicht von Betriebsstätten der Beschwerdeführerin. Der Ausdruck "Zentrale" in der Firma der Beschwerdeführerin verstösst somit gegen Gesetz und Verordnung.
4.
Da die Beschwerdeführerin seit über zwanzig Jahren als "Schweizerische Prospektzentrale" im Handelsregister eingetragen ist, muss ihr darin beigepflichtet werden, dass die plötzliche zwangsweise Änderung ihrer Firma tief in ihre Interessen eingreift. Allerdings hat sie durch ihr eigenes Verhalten zum angefochtenen Entscheide Anlass gegeben, indem sie weder die ihr vom Handelsregisteramt des Kantons Glarus zur Änderung der Firma gesetzte Frist benützte, noch binnen derselben ihre Einwendungen geltend machte und Unterlagen zur Verfügung stellte. Angesichts der langjährigen Benützung der Firma, die schon seit geraumer Zeit den Verhältnissen nicht mehr entspricht, ist jedoch die Änderung nicht so
BGE 82 I 40 S. 49
dringend, dass der Beschwerdeführerin nicht noch einige Monate Zeit gelassen werden könnte, um eine dem Gesetze entsprechende, weder die Bezeichnung "schweizerisch" noch das Wort "Zentrale" enthaltende neue Firma zu wählen und sich auf deren Benützung umzustellen, sodass Schaden verhütet wird. Indem der Beschwerdeführerin bis Ende 1956 Gelegenheit gegeben wird, das zu tun, ist ihren Interessen genügend Rechnung getragen. Sollte sie diese Frist unbenützt verstreichen lassen, so hätte die Finanz- und Handelsdirektion des Kantons Glarus die Firma der Beschwerdeführerin gemäss
Art. 61 HRegV
festzusetzen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid der Finanz- und Handelsdirektion des Kantons Glarus vom 20. Juni 1955 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
b6db4a2b-f06c-4dc2-903f-ab4c48d3608d | Urteilskopf
98 V 105
29. Extrait de l'arrêt du 2 mai 1972 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre Garreau et Commission cantonale fribourgeoise de recours en matière d'assurances sociales | Regeste
Art. 2 Abs. 1 ELG
.
Die "für Alleinstehende" geltende Einkommensgrenze gilt entgegen dem gesetzlichen Wortlaut auch für alleinlebende Vollwaisen. | Erwägungen
ab Seite 105
BGE 98 V 105 S. 105
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 2 LPC, les ressortissants suisses domiciliés en Suisse qui peuvent prétendre une rente de l'assurance vieillesse et survivants, une rente ou une allocation pour impotent de l'assurance-invalidité doivent bénéficier de prestations complémentaires si leur revenu annuel déterminant n'atteint pas un certain montant. Pour les personnes seules et pour les mineurs bénéficiaires de rentes d'invalidité, ce montant doit être fixé entre 4200 fr. au moins et 4800 fr. au plus; pour les orphelins, ildoit l'être entre 2100 fr. au moins et 2400 fr. au plus (al. 1er).
Dans l'arrêt ATFA 1969 p. 60, le Tribunal fédéral des assurances avait examiné la situation de l'assuré mineur titulaire d'une rente de l'assurance-invalidité, orphelin ou non, situation non réglée alors par la loi. Il avait déclaré en principe applicable à cette catégorie d'assurés la limite de revenu prévue pour un orphelin, rentier de l'assurance-vieillesse et survivants - solution qui n'a finalement pas été retenue lors de la revision ultérieure de la LPC. Mais il avait expressément réservé la situation de ces assurés lorsqu'ils vivent effectivement seuls, "comme cela peut être le cas d'orphelins de père et de mère: en faveur de tels mineurs - relevait la Cour de céans -
BGE 98 V 105 S. 106
des exceptions demeurent réservées de lege lata". La revision susmentionnée n'a toutefois pas résolu cette question-là.
2.
En l'occurrence, les premiers juges ont estimé que la jurisprudence citée au considérant 1er avait conservé toute sa valeur et qu'il se justifiait d'autant plus d'appliquer la limite de revenu pour personnes seules aux orphelins de père et de mère vivant effectivement seuls que les nouvelles règles légales prescrivent de retenir cette limite s'agissant des mineurs bénéficiaires de rentes d'invalidité. Le Tribunal fédéral des assurances ne peut que faire sienne cette opinion. Adopter en matière d'échelonnement des limites de revenu (art. 2 al. 1er LPC), par rapport aux diverses catégories de bénéficiaires, celui appliqué dans l'assurance-vieillesse et survivants et l'assurance-invalidité (v. message du Conseil fédéral du 21 septembre 1964 relatif au projet de LPC, p. 27) conduirait au demeurant à des situations illogiques et juridiquement inadmissibles: on consacrerait des inégalités de traitement que rien ne justifie et ne tiendrait pas compte de la réalité, s'agissant du moins des orphelins de père et de mère vivant seuls. L'art. 2 al. 1er LPC ne saurait dès lors être interprété à la lettre sur ce point (v. ATFA 1969 p. 207 consid. 3; p. 154 consid. 3; 1958 p. 245 consid. 3; RO 98 V 75).
Appelée d'ailleurs à déterminer la limite de revenu valable pour une orpheline de père en apprentissage en Suisse romande et qui n'avait pas la possibilité de revenir régulièrement à la maison chez sa mère, la Cour de céans a décidé que c'est celle prévue pour une personne seule qui devait être prise en considération (arrêt non publié Kaufmann du 23 mars 1970). Enfin, l'Office fédéral des assurances sociales ne s'oppose pas à la prise en considération de cette limite de revenu dans les cas tels que celui de l'intimée, bien que les directives concernant les prestations complémentaires en vigueur dès le 1er janvier 1972 (chiffre 120) prescrivent d'appliquer celle retenue pour les orphelins, en pareils cas. Le dit office laisse clairement entendre au contraire qu'il désire obtenir du Tribunal fédéral des assurances la confirmation de l'exception faite en l'espèce par les premiers juges.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
b6dbb457-8061-4ff7-9e2c-98d25a18a232 | Urteilskopf
135 II 265
27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Migration des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_577/2008 vom 24. März 2009 | Regeste
Art. 1 lit. c FZA
,
Art. 24 Abs. 1, 2 und 8 Anhang I FZA
,
Art. 16 VEP
; Aufenthaltsrecht für Personen, die im Aufenthaltsstaat keine Erwerbstätigkeit ausüben; "ausreichende" finanzielle Mittel.
Rechtliche Grundlagen des genannten Aufenthaltsrechts (E. 2).
Die Regelung über die ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen hat zum Zweck zu vermeiden, dass die öffentlichen Finanzen des Aufnahmestaates über Gebühr belastet werden. Das ist gewährleistet, ohne dass es darauf ankäme, aus welcher Quelle, einer eigenen oder einer fremden, die Existenzmittel des Betroffenen stammen (E. 3.1-3.3). Ohne weiteres zulässig ist es jedoch zu prüfen, ob die Drittmittel auch tatsächlich zur Verfügung stehen (E. 3.4). Muss der Betroffene dann doch Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beanspruchen, besteht das Aufenthaltsrecht nach Massgabe von
Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA
nicht mehr fort und es können aufenthaltsbeendende Massnahmen eingeleitet werden (E. 3.5 und 3.6). Mit diesem Ergebnis steht nicht in Widerspruch, dass nach gefestigter Rechtsprechung Ergänzungsleistungen im schweizerischen Ausländerrecht nicht zur Sozialhilfe gehören (E. 3.7).Vorliegend sind die Voraussetzungen der Aufenthaltserteilung erfüllt, jedenfalls so lange, als nicht dennoch Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beansprucht werden (E. 3.8). | Sachverhalt
ab Seite 266
BGE 135 II 265 S. 266
A.
X., geb. 21. Juli 1952, deutsche Staatsangehörige, reiste am 21. Mai 2007 in die Schweiz ein, meldete sich am 29. Mai 2007 bei der Einwohnerkontrolle Y. an und ersuchte beim Amt für Migration des Kantons Luzern um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Sie führte aus, dass ihre Tochter mit einem Schweizer Bürger verheiratet sei und sie gerne in der Nähe ihres Enkelkindes sein möchte. Sie verfüge über eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
B.
Das Amt für Migration des Kantons Luzern wies das Gesuch mit Verfügung vom 13. August 2007 ab. Eine Aufenthaltsbewilligung im Rahmen des Familiennachzugs falle ausser Betracht, weil sie vorgängig im Ausland nicht von ihrer Tochter unterstützt worden sei, und eine Aufenthaltsbewilligung im Rahmen der Wohnsitznahme als Rentnerin könne mangels genügenden Renteneinkommens nicht gewährt werden.
BGE 135 II 265 S. 267
Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, mit Urteil vom 16. Juli 2008 ab. (...)
Das Bundesgericht heisst die von X. am 11. August 2008 gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist das Amt für Migration des Kantons Luzern an, der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Freizügigkeitsabkommen (FZA; SR 0.142.112.681) gewährt neben einem Recht auf Aufenthalt zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und einem Recht auf Niederlassung als Selbständiger (
Art. 1 lit. a FZA
) auch ein Recht auf Aufenthalt für Personen, die im Aufenthaltsstaat keine Erwerbstätigkeit ausüben (
Art. 1 lit. c FZA
). Dieses Aufenthaltsrecht für Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausüben, wird nach
Art. 6 FZA
gemäss den Bestimmungen des Anhangs I über Nichterwerbstätige gewährt.
Art. 24 Abs. 1 und 2 Anhang I FZA
bestimmen diesbezüglich:
(1) Eine Person, die die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzt und keine Erwerbstätigkeit im Aufenthaltsstaat ausübt und dort kein Aufenthaltsrecht auf Grund anderer Bestimmungen dieses Abkommens hat, erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, sofern sie den zuständigen nationalen Behörden den Nachweis dafür erbringt, dass sie für sich selbst und ihre Familienangehörigen über
a) ausreichende finanzielle Mittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen;
b) einen Krankenversicherungsschutz verfügt, der sämtliche Risiken abdeckt.
Die Vertragsparteien können, wenn sie dies für erforderlich erachten, nach Ablauf der beiden ersten Jahre des Aufenthalts eine Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis verlangen.
(2) Die finanziellen Mittel gelten als ausreichend, wenn sie den Betrag übersteigen, unterhalb dessen die eigenen Staatsangehörigen auf Grund ihrer persönlichen Situation und gegebenenfalls derjenigen ihrer Familienangehörigen Anspruch auf Fürsorgeleistungen haben. Ist diese Bedingung nicht anwendbar, so gelten die finanziellen Mittel des Antragstellers als ausreichend, wenn sie die von der Sozialversicherung des Aufnahmestaates gezahlte Mindestrente übersteigen.
Die vom Bundesrat erlassene Verordnung vom 22. Mai 2002 über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs zwischen
BGE 135 II 265 S. 268
der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, VEP; SR 142.203) bestimmt in Art. 16 zu den bei Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit nach
Art. 24 Anhang I FZA
erforderlichen finanziellen Mitteln:
1
Die finanziellen Mittel von EG- und EFTA-Angehörigen sowie ihren Familienangehörigen sind ausreichend, wenn sie die Fürsorgeleistungen übersteigen, die einem schweizerischen Antragsteller oder einer schweizerischen Antragstellerin und allenfalls seinen oder ihren Familienangehörigen aufgrund der persönlichen Situation nach Massgabe der Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) gewährt werden.
2
Die finanziellen Mittel sind für rentenberechtigte EG- und EFTA-Angehörige sowie ihre Familienangehörigen ausreichend, wenn sie den Betrag übersteigen, der einen schweizerischen Antragsteller oder eine schweizerische Antragstellerin und allenfalls seine oder ihre Familienangehörigen zum Bezug von Ergänzungsleistungen nach dem Bundesgesetz vom 19. März 1965 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung berechtigt.
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin verfügt über eine Erwerbsunfähigkeitsrente der Bundesrepublik Deutschland von monatlich 691 Euro (entsprechend Fr. 1'083.-). Sie bewohnt eine 1 1⁄2-Zimmerwohnung in Y., im selben Dorf, in dem auch ihre Tochter und deren Schweizer Ehemann leben. Der Mietzins beträgt Fr. 760.- (inkl. Nebenkosten). Die Tochter und ihr Ehemann haben der Beschwerdeführerin zugesichert, sie mit monatlich Fr. 700.- in bar sowie mit den erforderlichen Lebensmitteln (wie Eier, Früchte, Gemüse und Fleisch) gratis zu versorgen.
3.2
Das Amt für Migration errechnete nach Massgabe der SKOS-Richtlinien einen monatlichen Bedarf von Fr. 2'166.-, dem Einnahmen aus der Erwerbsunfähigkeitsrente von Fr. 1'082.85 gegenüberstünden, was einem monatlichen Fehlbetrag von Fr. 946.15 (recte: Fr. 1'083.15) entspreche. Die Beschwerdeführerin verfüge somit nicht über hinreichend Mittel, um für ihren Lebensunterhalt in der Schweiz
eigenständig
aufkommen zu können. Das Verwaltungsgericht verweigerte die Aufenthaltsbewilligung allerdings nicht gestützt auf diese sozialhilferechtliche Berechnung. Vielmehr prüfte es nach Massgabe von
Art. 16 Abs. 2 VEP
, ob ein schweizerischer Antragsteller in der finanziellen Situation der Beschwerdeführerin
BGE 135 II 265 S. 269
Anspruch auf Ergänzungsleistungen erheben könnte. Hierfür anrechenbaren Ausgaben von Fr. 28'100.- jährlich stünden Einnahmen aus der Rente von Fr. 12'996.- gegenüber. Die Unterstützung durch die Tochter gehöre als Verwandtenunterstützung nicht zu den anrechenbaren Einnahmen. Somit seien die finanziellen Mittel der Beschwerdeführerin für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu erwerbsloser Wohnsitznahme nicht ausreichend.
3.3
Die Aufenthaltsregelung für Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausüben (
Art. 24 Anhang I FZA
), ist der Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180 vom 13. Juli 1990 S. 26) nachgebildet. Daher ist für die Anwendung des Abkommens die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung (21. Juni 1999) massgebend (
Art. 16 Abs. 2 FZA
). Das Bundesgericht kann aber, ohne dazu verpflichtet zu sein, zum Zwecke der Auslegung des Freizügigkeitsabkommens auch seither ergangene Urteile des Gerichtshofs heranziehen (
BGE 130 II 1
E. 3.6.1 S. 10 f.,
BGE 130 II 113
E. 5.2 S. 119 f.).
Was die ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen betrifft, genügt es nach dem Wortlaut sowohl von Art. 24 Abs. 1 lit. a Anhang I FZA wie auch von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 90/364/EWG, dass die Person, welche die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei bzw. der Mitgliedstaaten besitzt, über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss. Irgendwelche Anforderungen in Bezug auf die Herkunft dieser Mittel enthalten die Bestimmungen nicht. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat daher entschieden, dass die Bedingung ausreichender finanzieller Mittel nicht dahin ausgelegt werden könne, dass der Betroffene selber über solche Mittel verfügen müsse (Urteile vom 19. Oktober 2004 C-200/02
Zhu
und Chen
, Slg. 2004 I-9925 Randnrn. 30 und 33; vom 23. März 2006 C-408/03
Kommission gegen Belgien
, Slg. 2006 I-2647 Randnrn. 40 und 41). Die finanziellen Mittel könnten auch von Familienangehörigen (Urteil
Kommission gegen Belgien
, Randnr. 42) oder sonstigen Dritten stammen (Urteil
Kommission gegen Belgien
, Randnrn. 45 ff.). Dieser Auslegung des Gerichtshofs ist für die Anwendung von
Art. 24 Anhang I FZA
beizutreten. Es wäre in der Tat unverhältnismässig, weil nicht erforderlich, dem Kriterium der ausreichenden finanziellen Mittel, ein weiteres nach der Herkunft dieser Mittel hinzuzufügen. Die Regelung über die ökonomischen
BGE 135 II 265 S. 270
Aufenthaltsvoraussetzungen hat zum Zweck zu vermeiden, dass die öffentlichen Finanzen des Aufnahmestaates über Gebühr belastet werden. Das ist gewährleistet, ohne dass es darauf ankäme, aus welcher Quelle, einer eigenen oder einer fremden, die Existenzmittel des Betroffenen stammen. Bei eigenen Mitteln mag die Gefahr zwar geringer erscheinen, dass sie später wegfallen könnten, als dies der Fall ist, wenn die Mittel von einer zur Unterstützung nicht verpflichteten Drittperson stammen. Doch ist zu beachten, dass sowohl das Freizügigkeitsabkommen wie auch die Richtlinie 90/364/EWG damit rechnen, dass stets ein latentes Risiko des Wegfalls ausreichender finanzieller Mittel besteht, weshalb das Aufenthaltsrecht ausdrücklich auch nur so lange besteht, als die Berechtigten die entsprechenden Bedingungen einhalten (
Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA
; Art. 3 Richtlinie 90/364/EWG). Diese Regelung erlaubt dem Aufenthaltsstaat während des gesamten Aufenthalts nachzuprüfen, ob die Bedingungen (noch) eingehalten werden.
3.4
Nach dem Gesagten kann den kantonalen Behörden nicht beigepflichtet werden, soweit sie verlangen, dass die Mittel, welche der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehen müssen, ausschliesslich eigene Mittel sein dürfen und die Unterstützung durch Tochter und Schwiegersohn unberücksichtigt zu bleiben habe. Ohne weiteres zulässig ist es jedoch zu prüfen, ob die Drittmittel auch tatsächlich zur Verfügung stehen und ob sie zusammen mit den eigenen ausreichend sind. Unter Berücksichtigung ihrer eigenen Rente und des Geldbeitrags, den Tochter und Schwiegersohn der Beschwerdeführerin versprochen haben, wird der monatliche Betrag nach den SKOS-Richtlinien von Fr. 2'166.- nicht ganz erreicht. Hinzu kommen aber noch die Nahrungsmittel, welche der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehen. Beides, sowohl der versprochene Geldbeitrag wie auch die Naturalleistungen erscheinen unter den Umständen des Falles als nicht bloss vorgeschoben, sondern glaubhaft. Der Mietvertrag für die Wohnung der Beschwerdeführerin ist von ihrer Tochter und dem Schwiegersohn abgeschlossen worden, so dass diese gegenüber dem Vermieter geradestehen müssen. Der Schwiegersohn ist Landwirt, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Beschwerdeführerin, wie versprochen, die Nahrungsmittel nicht selber beschaffen muss, sondern sie von ihm beziehen kann. Hinzu kommt schliesslich, dass die Beschwerdeführerin bis zum Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts mehr als ein Jahr in der Schweiz gelebt hat, ohne dass sie Sozialhilfe hätte
BGE 135 II 265 S. 271
beantragen müssen. Es kann damit davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin über ausreichende finanzielle Mittel zur Befriedigung ihres Existenzbedarfs verfügt.
3.5
Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin, wenn ihr eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird, Ergänzungsleistungen nach dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG; SR 831.30) beanspruchen könnte. Die Einnahmen, welche für die Prüfung der Anspruchsberechtigung berücksichtigt werden, erfassen zwar namentlich Renten, Pensionen und andere wiederkehrende Leistungen (
Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG
), nicht aber Verwandtenunterstützungen nach den
Art. 328-330 ZGB
(
Art. 11 Abs. 3 lit. a ELG
) oder öffentliche oder private Leistungen mit ausgesprochenem Fürsorgecharakter (
Art. 11 Abs. 3 lit. c ELG
). Diese Regelung hat zur Folge, dass gerade dann, wenn der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird, weil sie zusammen mit den Mitteln, welche ihr von dritter Seite zur Verfügung gestellt werden, über ausreichende Existenzmittel verfügt, sie gleichwohl Ergänzungsleistungen beanspruchen könnte, welche ihr - übrige Anspruchsvoraussetzungen vorausgesetzt - zugesprochen werden müssten. Das Bundesgericht hat denn auch entschieden, dass eine italienische Staatsangehörige, welcher aufgrund der Erklärung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns, sie würden für sie aufkommen, so dass dem öffentlichen Haushalt keine Kosten entstünden, die Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde, dennoch Anspruch auf Ergänzungsleistungen erheben kann (
BGE 133 V 265
). Allerdings äusserte sich das Bundesgericht in diesem Entscheid nicht zu den aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen, welche die Inanspruchnahme von Ergänzungsleistungen hat; diese Frage zu entscheiden sei Sache der für die Bewilligungserteilung zuständigen Ausländerbehörde, nicht der Institutionen der Sozialversicherung (
BGE 133 V 265
E. 7.3.2 S. 277 f.).
3.6
Es ist anzunehmen, dass dieser Mechanismus den Bundesrat veranlasst hat, in
Art. 16 Abs. 2 VEP
vorzusehen, dass die finanziellen Mittel von rentenberechtigten EG- und EFTA-Angehörigen nur dann als ausreichend gelten, wenn sie den Betrag übersteigen, der einen schweizerischen Antragsteller zum Bezug von Ergänzungsleistungen berechtigt.
Das Anliegen des Bundesrates ist in der Sache berechtigt, es kann aber nicht zur Folge haben, dass für die ökonomischen
BGE 135 II 265 S. 272
Voraussetzungen der Aufenthaltsbewilligung nur eigene Mittel, nicht aber dem Betroffenen zur Verfügung stehende Drittmittel Berücksichtigung finden. Eine solche Voraussetzung kann nicht durch bundesrätliche Verordnung eingeführt werden, weil sie mit den staatsvertraglichen Verpflichtungen aus dem Freizügigkeitsabkommen nicht in Einklang steht. Vielmehr ist Konkordanz der gegenläufigen Regelungen dadurch herzustellen, dass für die Prüfung der Frage ausreichender finanzieller Mittel eigene wie auch dem Betroffenen zur Verfügung stehende Drittmittel berücksichtigt werden müssen, dass aber dann, wenn dieser doch Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beansprucht, nach Massgabe von
Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA
das Aufenthaltsrecht nicht mehr fortbesteht und aufenthaltsbeendende Massnahmen eingeleitet werden können.
3.7
Mit diesem Ergebnis steht nicht in Widerspruch, dass nach gefestigter Rechtsprechung Ergänzungsleistungen im schweizerischen Ausländerrecht nicht zur Sozialhilfe gehören und deren Bezug daher nicht Anlass für eine Ausweisung nach
Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG
oder für den Widerruf einer Bewilligung nach
Art. 62 lit. e und
Art. 63 Abs. 1 lit. c AuG
(SR 142.20) sein kann (Urteil 2C_448/2007 vom 20. Februar 2008 E. 3.4 und 3.5 mit Hinweisen). Die Aufenthaltsregelung nach
Art. 24 Anhang I FZA
für nicht erwerbstätige Personen ist von ausreichenden finanziellen Mitteln abhängig, so dass die öffentlichen Finanzen des Aufenthaltsstaates nicht belastet werden. Die Erteilung der Bewilligung steht unter dieser Bedingung (
Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA
), so dass sie - wenn die Bedingung nicht mehr erfüllt ist - widerrufen werden kann.
Ergänzungsleistungen als Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 1 lit. a Anhang I FZA zu behandeln, steht allerdings begrifflich auch in einem Spannungsverhältnis zur Regelung der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (
Art. 8 FZA
) nach Massgabe von Anhang II, der dabei auf die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 28 vom 30. Januar 1997 S. 1; SR 0.831.109.268.1), Bezug nimmt. Diese Verordnung gilt für alle Zweige der sozialen Sicherheit (Art. 4 Abs. 1 Verordnung Nr. 1408/71), ist aber nicht anzuwenden auf die Sozialhilfe (Art. 4 Abs. 4 Verordnung Nr. 1408/71). Ergänzungsleistungen des schweizerischen Rechts sind nach dieser Verordnung der sozialen Sicherheit zugeordnet, gelten aber als
BGE 135 II 265 S. 273
beitragsunabhängige Sonderleistungen nach Art. 10a der Verordnung, die in deren Anhang IIa aufgeführt sind und für die das sonst geltende Prinzip des Leistungsexports nicht massgebend ist, weshalb Ergänzungsleistungen allein den im Land wohnhaften Personen auszurichten sind (
BGE 130 V 145
E. 4.2 S. 148 f.; vgl. auch
BGE 130 V 253
E. 2.3 S. 255 f.). Dieses Wohnsitzprinzip für beitragsunabhängige Sonderleistungen hat allerdings zur Folge, dass eine geringfügige Rente wegen Invalidität oder Alter eines anderen Mitgliedstaates dazu führt, dass in der Schweiz Ergänzungsleistungen auszurichten sind. Denn gemäss Art. 10a Abs. 3 Verordnung Nr. 1408/71 sind Zusatzleistungen, die vom Bezug einer Leistung der sozialen Sicherheit nach Art. 4 Abs. 1 lit. a-h abhängen, also namentlich von Leistungen bei Invalidität (lit. b) und bei Alter (lit. c), auch dann zu gewähren, wenn eine entsprechende Leistung in einem anderen Mitgliedstaat gewährt wird.
Die Regelung über die Wohnsitznahme nicht erwerbstätiger Personen soll demgegenüber gewährleisten, dass es nicht zu einer ungebührlichen Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmestaates kommt. Dieser Regelungszweck würde systematisch verfehlt, wenn beitragsunabhängige Sonderleistungen, welche wesensgemäss die öffentlichen Finanzen belasten, nicht zur Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 1 lit. a Anhang I FZA und der Richtlinie 90/364/EWG gerechnet würden (SILVIA BUCHER, Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen und soziale Vergünstigungen, 2000, S. 226 ff.). Ergänzungsleistungen gehören daher zwar zur sozialen Sicherheit und sind nicht Sozialleistungen im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1408/71, aufenthaltsrechtlich müssen sie jedoch der Sozialhilfe gemäss
Art. 24 Abs. 1 lit. a FZA
und der Richtlinie 90/364/EWG gleichgesetzt werden, wobei aufenthaltsbeendende Massnahmen - wie schon ausgeführt - lediglich eingeleitet werden können, wenn sie tatsächlich in Anspruch genommen werden.
3.8
Da die Beschwerdeführerin zusammen mit den Mitteln, welche ihr von Tochter und Schwiegersohn zur Verfügung gestellt werden, ihren Existenzbedarf befriedigen kann, und sich aus den bei den Vorakten befindlichen Bescheinigungen ergibt, dass sie über den erforderlichen Krankenversicherungsschutz verfügt, sind die Voraussetzungen der Aufenthaltserteilung nach
Art. 24 Abs. 1 und 2 Anhang I FZA
erfüllt, dies jedenfalls so lange, als sie nicht dennoch Sozialhilfe oder aber Ergänzungsleistungen beansprucht.
BGE 135 II 265 S. 274
Der angefochtene Entscheid ist demnach aufzuheben und das Amt für Migration des Kantons Luzern anzuweisen, der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
b6dc4208-c24e-4696-bb4a-1533af53d329 | Urteilskopf
138 III 132
20. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. SA contre B. (recours en matière civile)
5A_195/2011 du 25 novembre 2011 | Regeste
Art. 80 Abs. 1,
Art. 151 und 153a SchKG
;
Art. 85 VZG
;
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und
Art. 839 Abs. 3 ZGB
; Gesuch um definitive Rechtsöffnung in einer Betreibung auf Grundpfandverwertung gestützt auf ein Urteil, das die definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes anordnet.
In einer Betreibung auf Pfandverwertung kann die betreibende Partei den gegen den Zahlungsbefehl erhobenen Rechtsvorschlag nur dann beseitigen lassen, wenn sie für die Pfandsumme und für die gesicherte Forderung über einen Rechtsöffnungstitel verfügt. Das Urteil, das die definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts anordnet, stellt keinen solchen definitiven Rechtsöffnungstitel dar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 133
BGE 138 III 132 S. 133
A.
Par jugement du 8 juin 2009, confirmé le 12 février 2010 par la Cour de justice, le Tribunal de première instance du canton de Genève a ordonné en faveur de A. SA, l'inscription définitive de l'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs inscrite provisoirement sur la parcelle n° 7023 de la commune de X., propriété de B., à concurrence de 61'882 fr. 51 avec intérêt à 5 % l'an dès le 5 juillet 2007.
B.
Le 3 juin 2010, A. SA a introduit une poursuite en réalisation de gage immobilier tendant au paiement de la somme de 44'000 fr. (61'882 fr. 51 sous déduction de 17'882 fr. 51), avec intérêts à 5 % l'an dès le 5 juillet 2007; elle a invoqué, comme cause de l'obligation, le jugement du 8 juin 2009 ordonnant l'inscription définitive d'une hypothèque légale sur l'immeuble du poursuivi. Celui-ci a formé opposition totale au commandement de payer.
Statuant le 17 novembre 2010 sur la requête de mainlevée définitive, le Tribunal de première instance a levé définitivement l'opposition au commandement de payer.
Sur appel du poursuivi, la Cour de justice a, par arrêt du 10 février 2011, annulé ce jugement et rejeté la requête de mainlevée définitive.
C.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours de la poursuivante.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Invoquant, en qualité de titre au sens de l'
art. 80 al. 1 LP
, le jugement ordonnant l'inscription définitive d'une hypothèque légale sur la parcelle de l'intimé, rendu en sa faveur le 8 juin 2009, la poursuivante requiert le prononcé de la mainlevée définitive de l'opposition à la poursuite en réalisation de gage immobilier qu'elle a ouverte contre l'intimé.
Il s'impose donc d'examiner si la créancière poursuivante est au bénéfice d'un jugement exécutoire lui permettant de requérir du juge la mainlevée définitive de l'opposition en vertu de l'
art. 80 al. 1 LP
.
4.1
Le créancier au bénéfice d'un gage immobilier agissant à l'encontre de son débiteur par la voie de la poursuite en réalisation de gage (
art. 41 al. 1 LP
) engage une procédure régie par des dispositions particulières. Dans la poursuite en réalisation de gage immobilier, l'objet de la poursuite est la créance garantie par un gage
BGE 138 III 132 S. 134
immobilier (
art. 151 al. 1 LP
). L'art. 85 de l'ordonnance du Tribunal fédéral du 23 avril 1920 sur la réalisation forcée des immeubles (ORFI; RS 281.42) prévoit que, lorsque le débiteur fait opposition à un commandement de payer dans une poursuite en réalisation de gage, cette opposition est, sauf mention contraire, censée se rapporter tant au droit de gage qu'à la créance (arrêt 5A_366/2007 du 7 décembre 2007 consid. 4.1). En conséquence, le Tribunal fédéral a opéré une distinction entre les notions de "Pfandsumme" (montant du gage) et de "Schuldsumme" (montant de la créance;
ATF 126 III 467
consid. 3b/cc p. 472 pour la mainlevée définitive;
ATF 111 III 8
consid. 3b p. 10 ss dans un cas de mainlevée provisoire). Si opposition est formée, le créancier peut requérir la mainlevée ou ouvrir action en constatation de la créance ou du droit de gage (
art. 153a al. 1 LP
). Si le créancier poursuivant n'obtient pas gain de cause dans la procédure de mainlevée, il peut encore ouvrir action en constatation de la créance et/ou du gage dans les dix jours dès notification de la décision de mainlevée (
art. 153a al. 2 LP
). Le jugement qui prononce la mainlevée de l'opposition sans précision sur sa portée, est présumé se rapporter tant à la créance qu'au droit de gage; cependant, la mainlevée de l'opposition peut être levée pour le montant de la créance indépendamment du gage (
ATF 71 III 15
consid. 2a, in JdT 1945 II 12 p. 16; arrêt de l'Obergericht Zurich du 23 mars 1994, in RSJ 119/1944 p. 193 s., commenté par USTERI; PANCHAUD/CAPREZ, La mainlevée d'opposition, 2
e
éd. 1980, n° 20 p. 126).
4.2
Le poursuivi ayant fait opposition totale, la créancière poursuivante ne pourra faire écarter l'opposition que si elle est au bénéfice d'un titre de mainlevée non seulement pour le gage, mais aussi pour le montant de la créance (VALLAT, L'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs et l'exécution forcée, 1998, p. 160 s., spéc. n° 186 p. 163 ss).
L'objet de l'action en inscription définitive d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs est de confirmer l'hypothèque légale annotée provisoirement (respect des conditions du droit à l'inscription et de l'inscription elle-même) ainsi que la somme garantie par le gage (arrêt du 5 juin 1984 du Tribunal cantonal du canton du Tessin, in DC 1986 p. 69, commenté par STEINAUER).
4.2.1
Le jugement ordonnant l'inscription définitive d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs ne constitue pas à lui seul un titre de mainlevée définitive
pour le gage (Pfandsumme)
, car il
BGE 138 III 132 S. 135
n'apporte pas la preuve que celui-ci a effectivement été constitué (STAEHELIN, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. I, 2
e
éd. 2010, n° 57 ad
art. 80 LP
; VALLAT, op. cit., n° 186 p. 165. Contra, SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3
e
éd. 2008, n° 1632 p. 600 in fine). En effet, l'hypothèque légale de l'
art. 837 CC
est dite "indirecte"; le gage n'existe que par l'inscription constitutive au Registre foncier (
art. 22 de l'ordonnance du 23 septembre 2011 sur le registre foncier [ORF; RS 211. 432.1]
; STEINAUER, L'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs, in Journées suisses du droit de la construction 2005, p. 227 s.;
le même
, Les droits réels, vol. I, 4
e
éd. 2007, n° 698a p. 251; ZOBL, Das Bauhandwerkerpfandrecht de lege lata und de lege ferenda, RDS 101/1982 II p. 57 et 76; DE HALLER, L'hypothèque légale de l'entrepreneur, RDS 101/1982 II p. 285). En d'autres termes, en cas d'opposition au droit de gage, l'artisan ou l'entrepreneur ne peut se contenter de produire le jugement ordonnant l'inscription définitive de l'hypothèque légale à l'appui de sa requête de mainlevée définitive pour le gage; le poursuivant doit démontrer l'existence du droit de gage en produisant l'extrait du Registre foncier prouvant qu'il a effectivement été inscrit définitivement dans le registre (
ATF 125 III 248
consid. 2 p. 249 s.; STAEHELIN, op. cit., n° 57 ad
art. 80 LP
).
4.2.2
Le juge saisi de l'action en inscription définitive d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs n'a pas à reconnaître, respectivement à fixer
la créance
en paiement des prestations de l'artisan et de l'entrepreneur (
Schuldsumme
); il fixe uniquement le montant à concurrence duquel l'immeuble devra répondre. Cette action n'a pas pour but de déterminer la créance en tant que telle, mais le montant du gage ou, en d'autres termes, l'étendue de la garantie hypothécaire (
ATF 126 III 467
consid. 4d p. 474; STEINAUER, Les droits réels, vol. III, 3
e
éd. 2003, n° 2888 p. 287). Le juge examine certes la créance personnelle de l'artisan ou de l'entrepreneur (
Schuldsumme
), mais uniquement à titre préjudiciel et à seule fin de déterminer la somme garantie par gage. Dès lors, même si l'action a été dirigée contre le propriétaire de l'immeuble qui est simultanément le débiteur de la créance, le jugement ordonnant l'inscription définitive de l'hypothèque légale ne constitue pas un titre de mainlevée définitive pour la créance garantie au sens de l'
art. 80 al. 1 LP
(SCHUMACHER, op. cit., n° 1630 p. 599). Le créancier ne peut donc pas obtenir la mainlevée de l'opposition en ce qui concerne la créance garantie sur la base d'un seul jugement d'inscription définitive d'une
BGE 138 III 132 S. 136
hypothèque légale. En général, l'artisan ou l'entrepreneur aura donc intérêt à intenter parallèlement à son action en inscription définitive d'une hypothèque légale, une action condamnatoire en paiement de sa créance (
ATF 105 II 149
consid. 2b p. 152 s.; SCHUMACHER, op. cit., n° 1630 s. p. 600), le jugement condamnant le débiteur à payer une somme déterminée valant titre de mainlevée au sens de l'
art. 80 al. 1 LP
(VALLAT, op. cit., n° 195 p. 170).
4.3
En l'occurrence, la recourante fonde sa requête de mainlevée définitive sur le jugement du 8 juin 2009 du Tribunal de première instance du canton de Genève ordonnant l'inscription définitive en sa faveur d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs sur la parcelle dont le poursuivi est le propriétaire, à concurrence de 61'882 fr. 51, intérêts en sus. Le point de savoir si le jugement du 8 juin 2009 constitue en l'espèce un titre à la mainlevée définitive doit être examiné par rapport au montant du droit de gage (
Pfandsumme
), d'une part, et à la créance en poursuite (
Schuldsumme
), d'autre part (
ATF 126 III 467
consid. 3b/cc p. 472).
4.3.1
Le créancier poursuivant s'est limité en l'espèce à produire le jugement ordonnant l'inscription définitive de l'hypothèque légale, sans démontrer l'existence de l'inscription définitive du droit de gage sur l'immeuble du poursuivi par la production d'un extrait du Registre foncier. En conséquence, la mainlevée de l'opposition à la poursuite en réalisation de gage immobilier doit, en ce qui concerne
le droit de gage
(
Pfandsumme)
, être refusée.
4.3.2
Le jugement du 8 juin 2009 ne constitue pas non plus un titre de mainlevée de l'opposition
pour la créance (Schuldsumme)
. Il ressort en effet du dispositif du jugement produit pour valoir titre de mainlevée définitive que le Tribunal de première instance a "ordonn[é] l'inscription définitive, à concurrence de Frs 61'882,51 avec intérêts à 5 % dès le 5 juillet 2007, de l'hypothèque légale provisoire inscrite sur la parcelle n° 7023 de la commune de X. propriété de B. suite à l'ordonnance du Tribunal du 2 octobre 2007" et réglé le sort des frais liés à la procédure. Il résulte des conclusions prises par la demanderesse à l'action, des motifs et du dispositif du jugement du 8 juin 2009 que la décision a pour seul objet d'ordonner une inscription définitive d'hypothèque légale, à l'exclusion de toute condamnation du poursuivi au paiement de la créance garantie par le droit de gage. Le Tribunal de première instance n'a examiné qu'à titre préjudiciel les prétentions pécuniaires de la demanderesse à l'action en
BGE 138 III 132 S. 137
inscription de l'hypothèque légale, afin de déterminer l'étendue de la garantie offerte par l'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs. Le premier juge de la mainlevée a d'ailleurs constaté que le montant de la créance "ne figure pas au dispositif du prononcé" et la Cour de justice a retenu que la poursuivante est titulaire "a priori" d'une créance de 61'882 fr. 51. La poursuivante l'admet également puisqu'elle indique dans son recours que le "[j]ugement pris à l'appui de la requête de mainlevée définitive [...] tend bel et bien à l'établissement du montant garanti par l'hypothèque légale". On ne peut, dans de telles circonstances, considérer que le jugement du 8 juin 2009 - dont le dispositif ne condamne pas expressément l'intimé à payer une somme d'argent à la poursuivante - constitue un titre de mainlevée définitive pour la créance en poursuite (
Schuldsumme
) au sens de l'
art. 80 al. 1 LP
. Par conséquent, la requête de mainlevée de l'opposition doit être rejetée en ce qui concerne la créance également. | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b6dc55df-7255-4050-9ac8-f76459e0a84f | Urteilskopf
112 Ia 193
33. Estratto della sentenza 22 ottobre 1986 della I Corte di diritto pubblico nella causa Erich e Irene Lappe c. Municipio di Locarno e Tribunale amministrativo del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Art. 4 BV
; rechtsgleiche Behandlung.
Das Prinzip der rechtsgleichen Behandlung beinhaltet nicht, dass zwei, sei es vom Gesetzgeber oder von der rechtsanwendenden Behörde, zu behandelnde Tatbestände in allen ihren tatsächlichen Elementen absolut identisch sind, sondern nur, dass die im Hinblick auf die zu erlassende oder anzuwendende Norm relevanten Tatsachen gleich sind.
Annahme einer Verletzung dieses Grundsatzes im konkreten Fall. | Sachverhalt
ab Seite 193
BGE 112 Ia 193 S. 193
Il 21 settembre 1977 il Municipio di Locarno accordò a Erich e Irene Lappe la licenza edilizia per la costruzione di una casa d'appartamenti sulla particella n. 1830 RFD. In applicazione dell'
art. 1 del
regolamento della Città di Locarno sull'obbligatorietà dell'allacciamento degli stabili alla rete dell'azienda comunale del gas (RACG) fu imposto ai proprietari di raccordare il costruendo edificio alla rete. In data 11 novembre 1977 i proprietari chiesero al Municipio di esser esonerati da
BGE 112 Ia 193 S. 194
quest'obbligo: manifestavano apprensioni circa la pericolosità del gas, sostenevano che mancava una sufficiente base legale, ponevano in dubbio l'interesse pubblico e per finire invocavano l'art. 4 RACG, che autorizza il Municipio a concedere deroghe dall'obbligo di allacciamento in casi particolari, segnatamente in caso di difficoltà tecniche o economiche. Il Municipio respinse l'istanza con decisione dell'11 gennaio 1978, negando tra l'altro che ricorresse un caso di esonero dall'obbligo di allacciamento ai sensi dell'art. 4 RACG.
Avverso questa decisione i proprietari ricorsero al Consiglio di Stato con gravame del 27 gennaio 1978. Il Consiglio di Stato si pronunciò sul ricorso - respingendolo - solo il 24 ottobre 1984, dopo oltre sei anni. Nella decisione il Governo rilevo tra l'altro che, con pronuncia del 21 gennaio 1982, il Municipio di Locarno aveva nel frattempo deciso di sospendere l'applicazione dell'obbligatorietà dell'allacciamento alla rete del gas, in attesa che fosse definito il futuro dell'azienda: tale provvedimento, osservo il Governo, non poteva tuttavia giovare ai ricorrenti, perché era privo di efficacia retroattiva ed era applicabile unicamente alle licenze rilasciate dopo il 21 gennaio 1982.
Contro questa decisione i proprietari si sono aggravati al Tribunale cantonale amministrativo, che ha respinto il ricorso con sentenza del 20 dicembre 1984. Confermando sostanzialmente la motivazione del Consiglio di Stato, esso ha ritenuto che l'art. 4 RACG concernente l'esonero non era applicabile, in difetto delle premesse materiali, e che il provvedimento di sospensiva adottato dal Municipio il 21 gennaio 1982 non giovava ai ricorrenti per difetto di retroattività, senza che in ciò si potesse scorgere una disparità di trattamento.
Con tempestivo ricorso di diritto pubblico, Erich e Irene Lappe chiedono al Tribunale federale di annullare questa sentenza. Essi ritengono in sostanza che, insistendo per l'esecuzione di un dispendioso raccordo per il solo motivo che la licenza edilizia è del 1977 e rifiutando di tener conto della sospensione generale decretata nel gennaio del 1982 nonché delle ragioni che l'hanno determinata, il Consiglio di Stato, prima, ed il Tribunale amministrativo, poi, hanno violato l'
art. 4 Cost.
sotto il profilo dell'uguaglianza di trattamento, del rispetto della buona fede, del divieto dell'arbitrio e del principio di proporzionalità. Il Tribunale amministrativo, il Consiglio di Stato e la Città di Locarno postulano la reiezione del gravame.
BGE 112 Ia 193 S. 195
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
Davanti al Tribunale federale, i ricorrenti non contestano più che il RACG contenga una valida base legale per l'obbligo di raccordare gli stabili alla rete comunale di distribuzione del gas e non pongono più in dubbio l'interesse pubblico di principio di questa misura, volta a diversificare le fonti di approvvigionamento energetico (cfr.
DTF 98 Ia 593
/95 consid. 4). Né i ricorrenti pretendono ancora che siano verificate le condizioni di un esonero dall'obbligo di allacciamento previste dall'art. 4 RACG. Da questo punto di vista, la decisione del Tribunale amministrativo non è impugnata e non è pertanto necessario esaminarne il fondamento, che l'istanza cantonale ribadisce nelle sue osservazioni di risposta: il Tribunale federale deve quindi considerare che per lo stabile dei ricorrenti sussiste in virtù del RACG un obbligo di raccordo e che non sono adempiute le condizioni di esonero di cui all'art. 4 RACG.
Nel gravame i ricorrenti censurano unicamente che il Tribunale amministrativo, seguendo il Consiglio di Stato, abbia rifiutato di farli beneficiare del provvedimento generale adottato il 21 gennaio 1982 dal Municipio di Locarno - con il quale questa autorità ha deciso di sospendere l'obbligatorietà dell'allacciamento in attesa che sia definito il futuro dell'azienda - motivando il rifiuto con l'argomento che tale sospensione si applica soltanto alle domande di costruzione inoltrate dopo il 21 gennaio 1982. A parere dei ricorrenti, distinguere per l'applicabilità della sospensiva tra le domande inoltrate prima o dopo tale data è contrario all'uguaglianza di trattamento. Per l'esame della censura ricorsuale, valgano le considerazioni seguenti:
a) Non è controverso in causa che la misura adottata dal Municipio di Locarno il 21 gennaio 1982 costituisce una decisione di principio di carattere generale e che essa è stata validamente presa nell'ambito delle attribuzioni dell'esecutivo comunale. A giusta ragione il Tribunale amministrativo rileva in proposito che con questo provvedimento il Municipio non ha per nulla abrogato l'obbligo di allacciare gli stabili alla rete del gas e che una simile facoltà spetterebbe esclusivamente al legislativo comunale: il Municipio ha semplicemente sospeso l'esecuzione degli allacciamenti in attesa che sia definito il futuro dell'azienda. Ugualmente incontroverso è che tanto il Consiglio di Stato quanto il Tribunale amministrativo, quali autorità di ricorso di prima e di seconda
BGE 112 Ia 193 S. 196
istanza, potevano (e dovevano) prendere in considerazione il provvedimento generale adottato dal Municipio in sede d'esame del gravame dei qui ricorrenti, benché tale decisione municipale fosse posteriore al deposito del ricorso davanti al Consiglio di Stato, e che i qui ricorrenti - come fecero - potevano avvalersi di questo fatto nuovo davanti al Tribunale amministrativo.
b) La sorte del gravame, fatte queste premesse, dipende dunque dalla questione di sapere se il principio di uguaglianza derivante dall'
art. 4 Cost.
imponesse al Municipio di concedere la sospensione a tutti i proprietari di stabili che - tenuti ad allacciarsi alla rete del gas - non avevano ancora eseguito i relativi lavori al 21 gennaio 1982, oppure se, senza violare tale principio, l'autorità comunale potesse suddividere tali proprietari in due categorie, quelli che avevano ottenuto la licenza edilizia prima di tale data, e quelli la cui licenza era stata rilasciata dopo, concedendo la facoltà di tenere in sospeso l'esecuzione dell'allacciamento ai secondi e negandola invece ai primi.
Tale questione si identifica con quella di sapere se la data della licenza edilizia potesse considerarsi elemento di fatto rilevante per una distinzione circa il diritto di tenere in sospeso l'esecuzione dei lavori di raccordo, oppure se tale data - sotto il suddetto profilo - dovesse considerarsi irrilevante, si da imporre l'uguale trattamento di tutti coloro che al 21 gennaio 1982 non avevano ancora effettuato i lavori di raccordo, senza riguardo alla data della licenza edilizia: il principio dell'uguaglianza di trattamento impone infatti tanto al legislatore quanto all'autorità esecutiva di trattare alla stessa maniera due situazioni non alla condizione che esse siano assolutamente identiche in tutti i loro elementi di fatto, ma allorquando esse sono uguali in ogni elemento di fatto rilevante per la normativa da adottare o per la decisione da prendere (
DTF 100 Ia 75
/76 consid. 4b, 328 consid. 4b, 99 Ia 355/56 consid. 2c, 6.174; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, pag. 63; MÜLLER/MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, pagg. 188 e 194; HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, vol. II, pagg. 181/82; KNAPP, Précis de droit administratif, II ediz, n. 284; GRISEL, Traité de droit administratif, pagg. 359 e 362).
Per rispondere a questo interrogativo è necessario rifarsi alle ragioni che hanno indotto il Municipio ad ammettere che - fermo restando l'obbligo di principio di raccordare gli edifici alla rete di distribuzione del gas - non potesse (più) esigersi dai proprietari
BGE 112 Ia 193 S. 197
di effettuare immediatamente i relativi lavori, ma si dovesse concedere loro la facoltà di attendere fino al momento in cui fosse "definito il futuro dell'azienda". Ora, anche se a proposito di quest'ultimo elemento le indicazioni fornite dal Municipio non sono particolarmente esplicite, è in ogni caso evidente che il motivo giustificante la sospensione dei lavori di raccordo imposti ai proprietari non è da ricercare nella situazione di questi ultimi o, rispettivamente, dei loro fondi (come nei casi di deroga contemplati dall'art. 4 RACG, segnatamente in considerazione delle difficoltà "tecniche o economiche" aggravanti il raccordo). Tale motivo è al contrario da ravvisare nella situazione dell'azienda stessa del gas, il cui futuro - alla luce delle circostanze esistenti nel gennaio del 1982 - appariva agli occhi dello stesso esecutivo comunale insicuro al punto da non potersi ragionevolmente più esigere dagli obbligati al raccordo di effettuare la spesa relativa prima che fosse possibile fornire loro affidanti assicurazioni che questa spesa non si sarebbe rivelata frustranea in un prossimo avvenire. Questo modo di considerare le cose è, da un lato, l'unico compatibile con le dichiarazioni circa il futuro dell'azienda rese dallo stesso Municipio e, dall'altro, l'unico idoneo a giustificare un provvedimento generale di sospensione dei lavori di esecuzione dei raccordi per riguardo alla disposizione tassativa del regolamento. Ciò posto, appare evidente che la data del rilascio della licenza edilizia è elemento essenzialmente irrilevante. D'altronde, per sottolineare come il ricorso alla data del rilascio non possa essere giustificato, si può ancora osservare che una licenza edilizia ha la durata di un anno e che per evitarne la decadenza basta che entro quest'anno di validità i lavori siano stati iniziati (art. 47 cpv. 1 LE, art. 60 cpv. 3 e 4 RLE): in effetti non si vede, relativamente all'obbligo di procedere subito ai lavori di raccordo o al contrario di poterli tenere in sospeso, in cosa possa distinguersi la situazione di due proprietari che iniziassero i lavori di costruzione lo stesso giorno, il primo sulla scorta di una licenza accordata da quasi un anno ed il secondo sulla base di un permesso appena ottenuto.
c) La conclusione potrebbe essere diversa unicamente se i ricorrenti avessero procrastinato l'esecuzione dei lavori di raccordo con manovre contrarie alla buona fede. Tale ipotesi, però, manifestamente non ricorre. Certo, rilasciando la licenza edilizia nel settembre del 1977, il Municipio aveva imposto loro di allacciarsi alla rete conformemente al RACG: ma nel novembre del 1977 essi avevano chiesto di esser esonerati da
BGE 112 Ia 193 S. 198
quest'obbligo tra l'altro in applicazione dell'art. 4 RACG, e contro la decisione negativa del Municipio, facendo uso di un loro diritto, si erano aggravati al Consiglio di Stato. Nessuno - a ragione - pretende in causa che essi dovessero procedere ai lavori prima che su tale ricorso fosse definitivamente deciso, né può addossarsi ai ricorrenti la responsabilità del ritardo col quale il Consiglio di Stato ha statuito sul loro gravame. Al momento in cui il Municipio di Locarno ha riconosciuto che l'incerta situazione dell'azienda del gas giustificava, sino a miglior determinazione, di consentire ai proprietari fondiari di tenere in sospeso l'esecuzione del raccordo, i ricorrenti erano ancora in attesa del giudizio del Consiglio di Stato e la loro posizione non era illegittima. Il Municipio, quindi, li avrebbe dovuti porre al beneficio della nuova misura per ragioni d'uguaglianza di trattamento ed il Consiglio di Stato, rispettivamente l'ultima istanza cantonale, lo avrebbero dovuto riconoscere. Ne viene che la censura di violazione del principio d'uguaglianza si avvera fondata e che la decisione del Tribunale amministrativo dev'essere annullata già per questo motivo, rendendo in tal modo superfluo l'esame delle ulteriori censure ricorsuali. | public_law | nan | it | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
b6dd10e7-780b-4d05-925e-335d220956ae | Urteilskopf
139 III 182
25. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre Y. (recours en matière civile)
4A_607/2012 du 21 février 2013 | Regeste a
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.
Ob
Art. 116 Abs. 1 ZPO
dem kantonalen Recht erlaubt, das Zusprechen einer Parteientschädigung auszuschliessen, stellt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (E. 1.1-1.3).
Regeste b
Art. 116 Abs. 1 ZPO
; Kostenbefreiungen, welche durch die Kantone gewährt werden können.
Gestützt auf
Art. 116 Abs. 1 ZPO
kann das kantonale Recht über das Bundesrecht hinausgehende Befreiungen von der Pflicht gewähren, Gerichtskosten und eine Parteientschädigung zu bezahlen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 183
BGE 139 III 182 S. 183
A.
Le 2 avril 2012, Y. a déposé au Tribunal des baux et loyers du canton de Genève une requête de mesures provisionnelles dirigée contre X.
Par ordonnance du 22 mai 2012, le Tribunal des baux et loyers s'est déclaré incompétent pour connaître de la demande, estimant que la relation contractuelle entre les parties ne pouvait pas être qualifiée de contrat de bail. Se référant à l'art. 17 de l'ancienne loi genevoise du 28 novembre 2010 d'application du code civil suisse et autres lois fédérales en matière civile (ci-après: aLaCC), le tribunal a statué sans percevoir d'émolument ni allouer de dépens.
X. a interjeté un recours contre cette décision portant uniquement sur la question des dépens. Il a conclu, avec suite de dépens, à ce que sa partie adverse soit condamnée à lui verser la somme de 8'866 fr. à titre de dépens pour la procédure de première instance.
Y. a conclu au rejet du recours.
Par arrêt du 10 septembre 2012, la Chambre des baux et loyers de la Cour de justice a rejeté le recours, statuant également sans frais ni dépens. Elle a considéré que le premier juge avait correctement appliqué l'art. 17 aLaCC et que cette disposition était alors compatible avec le droit fédéral en vertu de l'
art. 116 al. 1 CPC
.
BGE 139 III 182 S. 184
B.
X. exerce un recours en matière civile et un recours constitutionnel subsidiaire au Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué et à ce que sa partie adverse soit condamnée à lui verser la somme de 8'866 fr. à titre de dépens de première instance et la somme de 8'251 fr. à titre de dépens de deuxième instance. Pour l'hypothèse où le Tribunal fédéral retiendrait que la valeur litigieuse n'est pas suffisante pour un recours en matière civile, il soutient que la contestation soulève une question juridique de principe. Subsidiairement, il forme un recours constitutionnel. Il ne conteste pas que l'art. 17 aLaCC excluait la perception de frais judiciaires et l'octroi de dépens. Il estime cependant que le droit cantonal n'était pas habilité par l'
art. 116 al. 1 CPC
à exclure l'octroi de dépens et que cette norme cantonale violait en conséquence le principe de la primauté du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
).
L'intimée propose l'irrecevabilité et subsidiairement le rejet des recours, plus subsidiairement le renvoi de la cause à l'une des deux juridictions cantonales.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.1
Dans une affaire pécuniaire relative au droit du bail à loyer, le recours en matière civile n'est en principe recevable que si la valeur litigieuse atteint le seuil de 15'000 fr. (
art. 74 al. 1 let. a LTF
).
Lorsque le recours est dirigé contre une décision finale - comme c'est le cas en l'espèce -, la valeur litigieuse est déterminée par les conclusions restées litigieuses devant l'autorité précédente (
art. 51 al. 1 let. a LTF
). Pour calculer cette valeur, il faut prendre en compte le capital sollicité, à l'exclusion des intérêts, frais judiciaires et dépens qui sont réclamés comme droits accessoires (
art. 51 al. 3 LTF
).
Devant l'autorité précédant immédiatement le Tribunal fédéral, le litige entre les parties portait exclusivement sur un montant en capital de 8'866 fr. réclamé par le recourant. Les dépens qu'il sollicitait pour la procédure de recours ne constituaient qu'un accessoire de cette demande et ne doivent donc pas être pris en compte.
Ainsi, la valeur litigieuse minimale de 15'000 fr. n'est pas atteinte.
1.2
Le recourant soutient cependant que la contestation pose une question juridique de principe et que le recours en matière civile est ainsi recevable sur la base de l'
art. 74 al. 2 let. a LTF
.
BGE 139 III 182 S. 185
Selon la jurisprudence, la contestation soulève une question juridique de principe au sens de l'
art. 74 al. 2 let. a LTF
lorsqu'il est nécessaire, pour résoudre le cas d'espèce, de trancher une question juridique qui donne lieu à une incertitude caractérisée, laquelle appelle de manière pressante un éclaircissement de la part du Tribunal fédéral, en tant qu'autorité judiciaire suprême chargée de dégager une interprétation uniforme du droit fédéral (
ATF 137 III 580
consid. 1.1 p. 583;
ATF 135 III 397
consid. 1.2 p. 399).
La partie recourante qui soutient que ce cas de figure est réalisé doit exposer en quoi l'affaire remplit la condition exigée (
art. 42 al. 2 LTF
;
ATF 137 III 580
consid. 1.1 p. 582).
En l'espèce, le recourant a présenté sur ce point une argumentation précise, répondant aux critères de la jurisprudence. Savoir si l'
art. 116 al. 1 CPC
autorise le droit cantonal à exclure l'allocation de dépens est une question qui n'a pour l'instant jamais été tranchée par le Tribunal fédéral. Elle donne lieu - comme on le verra - à des controverses dans la doctrine. Il est urgent de la trancher puisqu'elle se pose notamment dans toutes les causes soumises aux juridictions des baux et loyers du canton de Genève. On observera de surcroît que si la contestation ne porte que sur les dépens, la valeur litigieuse requise ne peut que difficilement être atteinte. Il faut donc constater que l'on se trouve dans un cas d'application de l'
art. 74 al. 2 let. a LTF
, de sorte que le recours est recevable sans égard à la valeur litigieuse.
Interjeté par la partie qui a succombé dans ses conclusions en paiement et qui a donc qualité pour recourir (
art. 76 al. 1 LTF
), dirigé contre une décision finale (
art. 90 LTF
) rendue en matière civile (
art. 72 al. 1 LTF
) par un tribunal supérieur statuant sur recours en dernière instance cantonale (
art. 75 LTF
), le recours en matière civile est recevable, puisqu'il a été déposé dans le délai (
art. 100 al. 1 LTF
) et la forme (
art. 42 LTF
) prévus par la loi.
1.3
Il en résulte que le recours constitutionnel, en raison de sa nature subsidiaire, est irrecevable (
art. 113 LTF
).
(...)
2.
2.1
L'art. 17 al. 1 de l'ancienne loi genevoise d'application du code civil suisse et autres lois fédérales en matière civile du 28 novembre 2010 (aLaCC) prévoyait ce qui suit: "Il n'est pas prélevé de frais dans les causes soumises à la juridiction des baux et loyers".
BGE 139 III 182 S. 186
Il résulte des travaux préparatoires que le mot "frais" doit être compris au sens de l'
art. 95 al. 1 CPC
et comprend aussi bien les frais judiciaires que les dépens (Mémorial du Grand Conseil cité par la cour cantonale; BERNARD BERTOSSA, L'adaptation du droit genevois au code de procédure civile suisse, in Le code de procédure civile, Aspects choisis, 2011, p. 191). Ce point n'est pas contesté dans le recours et le Tribunal fédéral ne saurait y revenir, s'agissant d'une question d'interprétation du droit cantonal (
art. 106 al. 2 LTF
).
2.2
Il faut cependant examiner si l'art. 17 al. 1 aLaCC était compatible avec le droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
), soit plus précisément si le droit cantonal était autorisé à adopter une telle règle sur la base de l'
art. 116 al. 1 CPC
.
Il sied d'emblée de relever que la nouvelle loi genevoise du 11 octobre 2012 d'application du code civil suisse et d'autres lois fédérales en matière civile (LaCC; RSG E 1 05), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2013, a repris au mot près, à son art. 22 al. 1, la formulation de l'art. 17 al. 1 aLaCC.
La question à trancher porte donc sur l'interprétation de l'
art. 116 al. 1 CPC
, ce qui constitue une question de droit fédéral (
art. 95 let. a LTF
).
2.3
Selon l'
art. 116 al. 1 CPC
, "les cantons peuvent prévoir des dispenses de frais plus larges".
Le terme de "frais", en langue française, est assez vague et ne permet pas de discerner d'emblée si l'on vise exclusivement la participation aux frais de fonctionnement du tribunal lui-même ou également la mise à la charge de l'une des parties des frais de procédure (essentiellement les honoraires d'avocat) assumés par l'autre partie.
L'
art. 95 CPC
fournit cependant des définitions des termes de "frais", "frais judiciaires" et "dépens". Selon cette disposition, le mot "frais" - qui est employé à l'
art. 116 al. 1 CPC
- comprend aussi bien les frais judiciaires que les dépens (
art. 95 al. 1 CPC
).
On observera que le texte allemand de l'
art. 116 al. 1 CPC
s'exprime dans le même sens en parlant de "Prozesskosten" et non pas de "Gerichtskosten" (cf. le texte allemand de l'
art. 95 al. 1 et 2 CPC
). Il en va de même pour le texte italien qui parle à l'art. 116 al. 1, de "spese giudiziarie", et non pas de "spese processuali" (cf. le texte italien de l'
art. 95 al. 1 et 2 CPC
).
L'analyse textuelle de l'
art. 116 al. 1 CPC
, dans la systématique de cette loi (
art. 95 CPC
), conduit donc à penser que le législateur a voulu
BGE 139 III 182 S. 187
englober aussi bien les frais judiciaires que les dépens. On ne peut s'écarter du texte légal que s'il y a des raisons sérieuses de penser qu'il ne correspond pas à la volonté du législateur (
ATF 138 II 440
consid. 13 p. 453).
2.4
La doctrine n'est pas unanime sur cette question.
Certains auteurs soutiennent que l'
art. 116 al. 1 CPC
permet au droit cantonal d'exclure aussi bien la perception de frais judiciaires que l'octroi de dépens (DENIS TAPPY, in CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, n
os
10 et 11 ad
art. 116 CPC
; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, n° 10.58; HOFMANN/LÜSCHER, Le code de procédure civile, 2009, p. 68; DAVID LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, chap. 2, n° 5.2.9). D'autres utilisent la formulation légale, mais sans dire expressément qu'elle permettrait d'exclure l'allocation de dépens (FRANO KOSLAR, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [éd.],2010, n
os
II/1 et II/2 ad
art. 116 CPC
; ANGELO OLGIATI, Il Codice di diritto processuale civile svizzero, 2010, p. 117). Certains auteurs admettent que l'
art. 116 al. 1 CPC
concerne aussi les dépens, mais semblent envisager un allègement plutôt qu'une exclusion de tout dépens (ADRIAN URWYLER, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [éd.], 2011, n° 2 ad
art. 116 CPC
; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, n° 2 adart. 116 CPC). Un auteur admet que l'
art. 116 al. 1 CPC
vise aussi bien les frais judiciaires que les dépens, mais trouve regrettable l'extension aux dépens (HANS SCHMID, in ZPO, Oberhammer [éd.], 2010,n° 1 ad
art. 116 CPC
). Deux autres auteurs s'expriment dans le même sens et vont jusqu'à proposer à la jurisprudence de procéder à une réduction téléologique et de n'appliquer la disposition que pour les frais judiciaires (DAVID JENNY, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger[éd.], 2
e
éd. 2013, n° 3 ad
art. 116 CPC
; MARTIN H. STERCHI, in Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, n° 4 ad
art. 116 CPC
). Un auteur considère que l'
art. 116 al. 1 CPC
ne vise que les frais judiciaires et que la formulation légale procède d'une inadvertance du législateur (VIKTOR RÜEGG, in Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, n° 2 ad
art. 116 CPC
). Un autre auteur est également d'avis, sans expliciter son opinion, que l'
art. 116 al. 1 CPC
ne peut pas aboutir à une dispense d'allocation de dépens (DENIS PIOTET, La nouvelle délimitation entre règles fédérales et cantonales de procédure civile, in Procédure civile suisse, 2010, p. 6).
BGE 139 III 182 S. 188
Il en résulte que la doctrine est divisée, mais qu'une majorité d'auteurs admettent que l'
art. 116 al. 1 CPC
permet au droit cantonal d'accorder des dispenses plus larges que le droit fédéral aussi bien en matière de frais judiciaires que de dépens.
2.5
Si l'on se penche sur les travaux préparatoires, on constate que l'actuel
art. 116 CPC
est issu de l'art. 114 du projet du Conseil fédéral.
Lors d'une séance des 25 et 26 octobre 2007 de la Commission des affaires juridiques du Conseil national, un conseiller national genevois a observé que le texte français du projet, en parlant de "frais", ne correspondait pas au texte allemand du projet qui parlait alors de "Gerichtskosten". Il a proposé d'aligner le texte allemand sur le texte français, en invoquant l'expérience positive faite dans le canton de Genève avec l'exclusion de tout dépens. Après discussion, sa proposition a été acceptée par douze voix sans opposition avec deux abstentions. Le texte a été modifié sans discussion en séance plénière le 12 juin 2008 et le mot "Prozesskosten" a remplacé le mot "Gerichtskosten".
Lorsque le projet est revenu devant le Conseil des Etats, le représentant du département, lors de la séance des 26 et 27 juin 2008 de la Commission des affaires juridiques, a expliqué qu'il fallait changer le texte allemand dans le sens proposé par le Conseil national pour englober aussi les dépens, c'est-à-dire les frais d'avocat. Cette proposition a été adoptée sans discussion.
On notera que le texte italien a également été modifié dans le même sens.
La question n'a pas donné lieu à des débats lors de la séance plénière du Conseil national et de celle du Conseil des Etats. On observera toutefois - bien que ces interventions ne concernent pas spécifiquement le problème posé - que le conseiller aux Etats Pierre Bonhôte, devant le Conseil des Etats, a signalé que la procédure au fond en droit du bail était gratuite dans les cantons de Vaud, de Genève et de Fribourg et que l'esprit du projet était de ne pas obliger les cantons à changer leur pratique (BO 2007 CE 513). Devant le Conseil national, la Conseillère fédérale Widmer-Schlumpf s'est exprimée dans le même sens (BO 2008 CN 943).
2.6
Il résulte clairement des travaux préparatoires - et singulièrement du changement des textes allemand et italien - que le législateur, conscient que certains cantons romands avaient un système de
BGE 139 III 182 S. 189
gratuité, n'a pas voulu y toucher et a permis au droit cantonal de prévoir plus largement que le droit fédéral les dispenses en matière de frais et de dépens.
L'argument de RÜEGG (op. cit.) selon lequel le texte légal procéderait d'une inadvertance du législateur doit ainsi être rejeté. Quant à l'idée que le législateur cantonal ne pourrait accorder que des allègements, elle doit être écartée, puisque l'
art. 116 al. 1 CPC
permet des dispenses et que l'on ne voit pas pourquoi cette formulation n'autoriserait pas une dispense totale. Il s'agissait d'ailleurs exactement de ce que l'on envisageait lors de la discussion devant la Commission des affaires juridiques du Conseil national. Que certains auteurs trouvent regrettable le choix du législateur n'y change rien. Dès lors que le législateur a formé sa volonté et qu'il l'a exprimée dans le texte - comme on l'a vu -, le juge doit appliquer la loi fédérale (
art. 190 Cst.
) et ne saurait, sans violer la séparation des pouvoirs, faire un choix inverse de celui du législateur.
De manière un peu subsidiaire, le recourant signale que TAPPY (op. cit., n° 11 ad
art. 116 CPC
) émet des hésitations sous l'angle du droit d'accès à la justice. Il faut toutefois observer que cet auteur déclare n'avoir aucune incertitude lorsqu'il s'agit d'une procédure simplifiée ou sommaire dans laquelle, par principe, les plaideurs pourraient se défendre eux-mêmes. Or il s'agissait en l'espèce de mesures provisionnelles soumises à la procédure sommaire (
art. 248 let
. d CPC), de sorte que l'auteur cité ne mentionne pas de réserve dans ce cas de figure. Quoi qu'il en soit, cette hésitation ne convainc pas. On peut certes soutenir qu'un plaideur sera détourné de saisir le juge s'il n'a pas la perspective, en cas de gain du procès, d'obtenir le remboursement de ses frais d'avocat. Pourtant, il est également permis de penser, l'issue d'une procédure judiciaire étant souvent incertaine, que le plaideur sera également détourné de saisir le juge s'il risque, en cas de perte du procès, de devoir non seulement assumer les frais de son avocat, mais encore ceux de l'avocat adverse. Cela vaut en particulier lorsque la partie, par souci d'économie, a renoncé à mandater un avocat et qu'elle court néanmoins le risque de devoir payer les honoraires de l'avocat de son adversaire. De toute manière, il a déjà été jugé que l'allocation de dépens ne pouvait pas être déduite d'un droit de rang constitutionnel (
ATF 134 II 117
consid. 7 p. 119).
Il faut en conséquence conclure que l'
art. 116 al. 1 CPC
permet au droit cantonal des dispenses plus généreuses que le droit fédéral quant à l'obligation de payer des frais judiciaires et de verser des dépens.
BGE 139 III 182 S. 190
Dès lors, la cour cantonale n'a violé ni l'
art. 116 al. 1 CPC
ni l'
art. 49 al. 1 Cst.
en appliquant la disposition cantonale qui prévoyait, devant la juridiction des baux et loyers, qu'il n'était pas perçu de frais judiciaires et qu'il n'était pas alloué de dépens.
Le recours en matière civile doit être rejeté. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
b6df8231-1354-4ebe-9b86-41b64467f231 | Urteilskopf
120 II 293
56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1994 i.S. V. gegen A. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Wirkungen des über den Nachlass eines italienischen Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz in der Schweiz nach
Art. 553 ZGB
errichteten Sicherungsinventars; Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien von 1868.
Das Inventar nach
Art. 553 ZGB
bezweckt nur die Sicherung des bei Eröffnung des Erbganges vorhandenen Vermögens. Es dient nicht der Berechnung der Erb- und der Pflichtteile und kann deshalb auch nicht Rechnungsgrundlage für die Erbteilung bilden.
Dem Inventar kommt auch keine andere Aufgabe zu, wenn Nachlassstreitigkeiten nach Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien von 1868 in Italien nach italienischem Recht auszutragen sind. | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 120 II 293 S. 294
A.-
Am 14. Juli 1989 starb an seinem Wohnsitz in St. Moritz der italienische Staatsangehörige C. A. Er hinterliess den Sohn Riccardo A. und die Ehefrau Francesca V.
B.-
Auf Begehren von Francesca V. ordnete das Kreisamt Oberengadin im Sinne von
Art. 553 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
die Aufnahme eines Sicherungsinventars über den Nachlass des Verstorbenen an und beauftragte damit Notar X. Der Kreispräsident Oberengadin stellte mit Verfügung vom 31. März 1993 fest, dass das Sicherungsinventar abgeschlossen sei und setzte die Kosten einschliesslich des Honorars für Notar X. fest.
Eine von Francesca V. gegen den Abschluss des Inventars eingereichter Rekurs wurde vom Kantonsgerichtspräsidium von Graubünden mit Entscheid vom 4. Januar 1994 abgewiesen.
BGE 120 II 293 S. 295
C.-
Francesca V. gelangt gegen diesen Entscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, es sei nicht möglich, in einem ordentlichen Verfahren in Italien weitere Abklärungen des Nachlasses zu verlangen, weil für das Inventar die schweizerischen Behörden zuständig seien und im materiellen Prozess zwischen den Erben in Italien auf das Erbschaftsinventar abgestellt werde. Es sei deshalb willkürlich, sie für die weiteren Abklärungen des Nachlasses und insbesondere die gegebenenfalls der Herabsetzung oder der Ausgleichung unterliegenden Vermögensverschiebungen auf den ordentlichen Erbschaftsprozess in Italien zu verweisen.
Gemäss Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien von 1868 (SR 0.142.114.541) sind für "Streitigkeiten, welche zwischen den Erben eines in der Schweiz verstorbenen Italieners hinsichtlich seines Nachlasses entstehen könnten", die Gerichte am letzten italienischen Wohnort des Erblassers zuständig. Anwendbar ist dabei die lex fori (
BGE 99 II 252
; ANDREAS BUCHER, Droit international privé suisse, Tome II: Personnes, Famille, Successions, Basel 1992, Rz. 1013). Der Staatsvertrag regelt jedoch die Frage nicht, welche Behörden für die Eröffnung einer entsprechenden Erbschaft im Sinne der sogenannten formellen Nachlassbehandlung, d.h. für Massnahmen zur Sicherung des Nachlasses und des Erbganges und zum Vollzug der Erbfolge zuständig sind (
BGE 99 II 252
). Diesbezüglich sind die
Art. 86 ff. IPRG
(SR 291) anwendbar. Die Eröffnung des Nachlasses erfolgt deshalb in der Schweiz, wenn ein Italiener mit Wohnsitz in der Schweiz stirbt. Dabei ist allerdings die Abgrenzung zwischen den materiellen Streitigkeiten und der formellen Nachlassabwicklung in der Lehre wenig geklärt (vgl. HERBERT CHENEVARD, Le régime civil des successions dans les rapports italo-suisses, Diss., Lausanne 1985, S. 69 ff.). Das Bundesgericht hatte sich zu dieser Unterscheidung nur punktuell zu äussern (vgl.
BGE 58 I 319
;
BGE 65 I 125
;
BGE 91 III 25
;
BGE 99 II 252
). Unbestritten ist aber, dass die schweizerischen Wohnsitzbehörden für die Aufnahme des Sicherungsinventars zuständig sind
BGE 120 II 293 S. 296
und der Streit um die Frage, ob die Witwe Erbin ist oder nicht, vor den italienischen Behörden ausgetragen werden muss.
Entsprechend ist für die Inventaraufnahme ausschliesslich das schweizerische Recht anwendbar. Es kann entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Meinung nicht darauf ankommen, welche Bedeutung das italienische Recht einem Inventar zumisst. In dem den vorliegenden Fall betreffenden
BGE 118 II 269
f. hielt das Bundesgericht mit aller Deutlichkeit fest, dass das Inventar nach schweizerischem Recht nur die Sicherung des bei Eröffnung des Erbganges vorhandenen Vermögens bezweckt, indem verhindert werden soll, dass Vermögenswerte unbemerkt verschwinden können. Das Sicherungsinventar dient insbesondere nicht der Berechnung der Erbteile und der Pflichtteile und kann nicht Rechnungsgrundlage für die Erbteilung bilden. Es ist ohne weiteres möglich, dass im späteren Verlauf der erbrechtlichen Auseinandersetzung weitere Vermögenswerte zum Vorschein kommen. Diesen Nachforschungen dient aber nicht das Institut des Sicherungsinventars. Von einer willkürlichen Anwendung des schweizerischen Rechts kann somit keine Rede sein und die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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