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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
abe2adcd-6caa-4e70-a0c7-187a0529f2f9 | Urteilskopf
92 IV 170
43. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 24 novembre 1966 en la cause Imesch contre Ministère public du canton de Genève. | Regeste
Art. 41 ch. 2 et 3 CP, art. 42 LTM.
1. Lorsque le bénéficiaire du sursis estime ne pouvoir se conformer aux règles de conduite (i.c. réparation du dommage) imposées par le juge, doit-il recourir contre le jugement qui porte condamnation ou soumettre son moyen au juge de la révocation du sursis?
2. Fixation, par le juge, des prestations imposées au bénéficiaire du sursis, condamné pour non-paiement de la taxe d'exemption du service militaire. | Erwägungen
ab Seite 171
BGE 92 IV 170 S. 171
Selon l'art. 41 ch. 2 CP, le juge qui suspend l'exécution de la peine peut imposer certaines règles de conduite au condamné pour la durée du délai d'épreuve. Ces règles doivent évidemment être adaptées aux possibilités de celui qu'elles obligent, faute de quoi elles sont inadmissibles. Elles ne le sont toutefois, notamment lorsqu'elles portent sur des paiements périodiques destinés à réparer le dommage, que lorsque, dans le cours normal des choses, il sera impossible au condamné, pendant toute la durée du sursis, de s'y conformer comme le jugement l'y oblige. S'il estime que tel est le cas, il doit recourir, pour violation de l'art. 41 ch. 2 CP, contre le jugement qui fixe la règle de conduite. En revanche, si l'impossibilité alléguée est survenue pendant le délai d'épreuve, c'est au juge de la révocation du sursis qu'il appartiendra de dire si et dans quelle mesure le condamné a commis une faute en ne payant pas, et si le sursis doit être révoqué de par l'art. 41 ch. 3 CP.
Lorsque la condamnation a été prononcée pour non-paiement de la taxe d'exemption du service militaire (art. 42 LTM), le juge considérera, pour fixer les prestations destinées à réparer le dommage et auxquelles il subordonne le sursis, que le devoir d'acquitter la taxe prime n'importe quelle dette et que le contribuable doit au besoin, pour s'acquitter, consentir certains sacrifices, même sur le montant qui lui est indispensable pour subsister (RO 69 IV 142;
85 IV 242
). | null | nan | fr | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
abe461b7-2c95-403a-abf9-174ede2cc42c | Urteilskopf
139 II 106
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Kanton Bern, Einwohnergemeinde Bern, Direktion für Tiefbau Verkehr und Stadtgrün und Einwohnergemeinde Wohlen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_231/2012 vom 29. November 2012 | Regeste
Kostentragung für die Sanierung von Altlasten (
Art. 32d USG
); Kostenpflicht des Standortinhabers; Bemessung seines Kostenanteils.
Bestätigung der Praxis, wonach auch der Standortinhaber, der das Grundstück bereits mit der Belastung erworben hat, Verursacher i.S. von
Art. 32d Abs. 1 USG
ist und ihm deshalb ein Anteil der Sanierungskosten auferlegt werden kann, sofern er sich nicht nach
Art. 32d Abs. 2 Satz 3 USG
befreien kann (E. 3).
Bemessung des Kostenanteils des Standortinhabers. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob dieser
- die Belastung hätte verhindern können (E. 3.5);
- für den Verursachungsanteil seines Rechtsvorgängers haftet (E. 5.3 und 5.4);
- durch die Belastung und/oder die Sanierung einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt (E. 5.5).
Liegen keine besonderen Umstände vor, ist ein Kostenanteil von 10 % exzessiv (E. 5.6 und 6.1). | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 139 II 106 S. 107
A.
In der Deponie Illiswil in Wohlen wurden von 1962 bis 1975 Bauschutt, Hauskehricht, Schlacken aus der Kehrichtverbrennungsanlage, Strassen- und Klärschlamm sowie flüssige und ölige Industrieabfälle abgelagert. (...)
Im Jahre 2001 wurde mit den altlastenrechtlichen Untersuchungen begonnen. Diese ergaben, dass es sich um einen hinsichtlich des Schutzes oberirdischer Gewässer sanierungsbedürftigen Standort handelt. (...)
Am 3. Februar 2010 erliess das Berner Amt für Wasser und Abfall (AWA) für die zwischen 2001 und 2008 durchgeführten
BGE 139 II 106 S. 108
Massnahmen (Untersuchungen, Überwachungsmassnahmen, Pilotversuch) eine Kostenverteilungsverfügung. Darin wurden folgende Kostenanteile festgelegt:
- 30 % für die Stadt Bern als mitbeteiligte Verhaltensstörerin;
- 60 % für die Deponiebetreiberin, die "Genossenschaft Arbeitsgemeinschaft für das Transportgewerbe". Da diese nicht mehr besteht, wird ihr Anteil vom Kanton Bern getragen (Ausfallkosten).
- insgesamt 10 % für die heutigen Grundeigentümer als Zustandsstörer, wobei sich der Anteil der einzelnen Grundeigentümer aufgrund der prozentualen Verteilung der Grundstücke, bezogen auf die Gesamtfläche der ehemaligen Deponie, bestimmt.
- (...)
Die vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) (...) gesprochene Kostenbeteiligung von 40 % an sämtlichen Massnahmen wird anteilsmässig auf die Kostenpflichtigen (...) verteilt.
B.
Gegen diese Verfügung erhoben die Einwohnergemeinde Bern und die betroffenen Grundeigentümer (...) Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE). Diese wies beide Beschwerden am 17. Februar 2011 ab.
Die dagegen erhobene Beschwerde der Grundeigentümer wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 20. März 2012 ab.
C.
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid haben die Grundeigentümer am 7. Mai 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben. (...)
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführer machen geltend, das Verwaltungsgericht habe sie zu Unrecht als "Verursacher" im Sinne von
Art. 32d USG
qualifiziert. Sie hätten die Belastung durch die Deponie weder selbst herbeigeführt noch hätten sie sie vermeiden können, weil sie im Zeitpunkt der Entstehung der Deponie noch keine tatsächliche Gewalt über die betroffenen Grundstücke hatten. Unter diesen Umständen seien sie zwar (Zustands-)Störer im polizeirechtlichen Sinne, d.h. sie müssten die Sanierung dulden. Dagegen seien sie nicht Verursacher, sondern Opfer, weil ihr Eigentum durch die Altlasten beeinträchtigt sei und zumindest während der Sanierungszeit nicht mehr bestimmungsgemäss bewirtschaftet werden könne. Sie treffe somit keine Kostentragungspflicht.
BGE 139 II 106 S. 109
3.1
Das Umweltschutzgesetz vom 7. Oktober 1983 (USG; SR 814.01) regelt in Art. 32d, wer die Kosten für die Sanierung belasteter Standorte trägt. Diese Bestimmung lautet:
Art. 32d Tragung der Kosten
1
Der Verursacher trägt die Kosten für notwendige Massnahmen zur Untersuchung, Überwachung und Sanierung belasteter Standorte.
2
Sind mehrere Verursacher beteiligt, so tragen sie die Kosten entsprechend ihren Anteilen an der Verursachung. In erster Linie trägt die Kosten, wer die Massnahmen durch sein Verhalten verursacht hat. Wer lediglich als Inhaber des Standortes beteiligt ist, trägt keine Kosten, wenn er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt von der Belastung keine Kenntnis haben konnte.
3
Das zuständige Gemeinwesen trägt den Kostenanteil der Verursacher, die nicht ermittelt werden können oder zahlungsunfähig sind.
4
Die Behörde erlässt eine Verfügung über die Kostenverteilung, wenn ein Verursacher dies verlangt oder die Behörde die Massnahmen selber durchführt.
(...)
Der Verursacherbegriff ist in
Art. 32d Abs. 1 USG
nicht definiert.
3.1.1
Rechtsprechung und herrschende Lehre stellen für die Umschreibung des Verursacherbegriffs weitgehend auf den polizeirechtlichen Störerbegriff ab (
BGE 131 II 743
E. 3.1 S. 747 mit Hinweisen; TSCHANNEN/FRICK, Der Verursacherbegriff nach
Art. 32d USG
, Gutachten zuhanden des BUWAL 2002, S. 5 f.; PIERRE TSCHANNEN, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. Aufl., Stand: März 1998 - Januar 2003 [nachfolgend: USG-Kommentar], N. 8, 22, 26 ff. zu
Art. 32d USG
; MARK CUMMINS, Kostenverteilung bei Altlastensanierungen, 2000, S. 114 ff.; KARIN SCHERRER, Handlungs- und Kostentragungspflichten bei der Altlastensanierung, 2005, S. 88 ff.; BEATRICE WAGNER PFEIFER, Kostentragungspflichten bei der Sanierung und Überwachung von Altlasten im Zusammenhang mit Deponien, ZBl 3/2004 S. 117 ff., insb. 130 ff.): Verursacher ist danach nicht nur der Verhaltensstörer, d.h. derjenige, der den Schaden oder die Gefahr selbst oder durch das unter seiner Verantwortung erfolgende Verhalten Dritter verursacht hat (Verhaltens- oder Handlungsstörer), sondern auch, wer über die Sache, die den ordnungswidrigen Zustand bewirkt, rechtliche oder tatsächliche Gewalt hat (Zustandsstörer). Dies hat zur Folge, dass derjenige, der im Zeitpunkt der Sanierung Inhaber des belasteten Grundstücks ist, grundsätzlich immer Verursacher ist, auch wenn er das Grundstück bereits mit der
BGE 139 II 106 S. 110
Belastung erworben hat und daher keine Möglichkeit hatte, den Eintritt der Gefahr oder des Schadens zu vermeiden.
3.1.2
Die Gleichsetzung des Störer- und des Verursacherbegriffs wird in der Literatur kritisiert (HANS RUDOLF TRÜEB, in: USG-Kommentar, N. 22 zu
Art. 59 USG
; HANS-JÖRG SEILER, in: USG-Kommentar, N. 34 zu
Art. 2 USG
; MARTIN FRICK, Das Verursacherprinzip in Verfassung und Gesetz, 2004, S. 61 ff.; SÉBASTIEN CHAULMONTET, Verursacherhaftungen im Schweizer Umweltrecht, 2009, N. 7, 169 ff., 1029 ff.; DENIS OLIVER ADLER, Das Verhältnis zwischen Verursacherprinzip und Haftpflicht im Umweltrecht, 2011, S. 104 ff. und 146 f.; STUTZ/WILLE, Neue Ansätze bei der Altlastenkostenverteilung?, URP 2011 S. 50 ff.; GRIFFEL/RAUSCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Ergänzungsbd. zur 2. Aufl., 2011, N. 22 zu
Art. 2 USG
; CORINA CALUORI, Der Verursacherbegriff im Altlastenrecht - eine kritische Analyse, URP 2011 S. 541 ff., insb. 553 ff.), weil beide Begriffe unterschiedliche Regelungszwecke verfolgten: Das Störerprinzip bestimme, wer Adressat einer polizeilichen Massnahme sein könne; wesentlich sei dabei in erster Linie die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit, den polizeiwidrigen Zustand möglichst rasch und effektiv zu beseitigen. Dagegen gehe es beim Verursacherprinzip um eine möglichst gerechte Verteilung der Kosten nach Massgabe der zurechenbaren Verantwortung im Einzelfall. Die "Verursachung" einer Massnahme setze einen Kausalzusammenhang voraus, der beim blossen Zustandsstörer fehle.
3.1.3
Allerdings sprechen sich - zumindest im Zusammenhang mit der Kostenverteilung für die Sanierung von Altlasten - die meisten Autoren für die Beibehaltung der bisherigen Praxis aus: Die Gleichsetzung von Verursacher und Störer entspreche dem gesetzgeberischen Willen (TSCHANNEN/FRICK, a.a.O., S. 5; GRIFFEL/RAUSCH, a.a.O., N. 22 zu Art. 2 und N. 10 zu
Art. 32d USG
; ADLER, a.a.O., S. 110; FRICK, a.a.O., S. 199; SEILER, a.a.O., N. 65 und 121 zu
Art. 2 USG
). Trotz der unterschiedlichen Funktionen des Störer- und des Verursacherbegriffs führe die Bezugnahme auf den Störerbegriff bei der Festlegung des Verursacherkreises zu durchaus sachgerechten Ergebnissen (TSCHANNEN/FRICK, a.a.O., S. 6; FRICK, a.a.O., S. 62, 64, 199 f.; SCHERRER, a.a.O., S. 89 f.). Der Begriff des Verursachers impliziere nicht zwangsläufig eine Kostentragungspflicht und lasse Raum für Billigkeitserwägungen (ALAIN GRIFFEL, Die Grundprinzipien des schweizerischen Umweltrechts, 2001, N. 224 und 295): Die Qualifikation des Standortinhabers als Verursacher bedeute nur, dass
BGE 139 II 106 S. 111
er potenziell kostenpflichtig sei; im Einzelfall könne ein Kostenanteil von 0 % gerechtfertigt sein (FRICK, a.a.O., S. 215; GRIFFEL/RAUSCH, a.a.O., N. 11 zu
Art. 32d USG
).
SEILER geht davon aus, dass die Kostenpflicht des (schuldlosen) Standortinhabers in Analogie zur zivilrechtlichen Haftpflicht (z.B.
Art. 58 OR
; Art. 679/684 ZGB) begründet werden könne: Dieser trage den Nutzen der Sache, weshalb es billig sei, ihn auch die Nachteile tragen zu lassen (a.a.O., N. 70 zu
Art. 2 USG
).
TRÜEB (a.a.O., N. 28 ff. zu
Art. 59 USG
) verlangt zusätzlich zur blossen Sachherrschaft eine Sorgfaltswidrigkeit, eine objektive Ordnungswidrigkeit der beherrschten Sache oder eine besondere Gefahrensituation, die vom ersatzpflichtigen Verursacher geschaffen oder unterhalten wurde; ergänzend könne jedoch - in Anlehnung an aArt. 32d USG und an
Art. 62 ff. OR
- auch auf die Vorteile abgestellt werden, die dem Verursacher durch die Einwirkung oder die Sanierung erwachsen (a.a.O., N. 30 zu
Art. 59 USG
).
STUTZ/WILLE (a.a.O., S. 64 f.) wollen zwar de lege lata den Standortinhaber nicht mehr als Verursacher qualifizieren, plädieren aber de lege ferenda für eine anteilsmässige oder sogar vollständige Haftung der Standortinhaber (mit Heimschlagsrecht gegenüber dem Staat).
3.1.4
CALUORI (a.a.O., S. 564 f.) will dagegen den Verursacherbegriff im Altlastenrecht auf Personen beschränken, die Massnahmen durch ihr Verhalten verursacht haben oder denen als Standortinhaber der massnahmenverursachende Tatbestand aufgrund der Verantwortung über ihre Sache zugerechnet werden könne. Verursacher sei und bleibe somit (im Gegensatz zur heutigen Praxis) derjenige, der
im Zeitpunkt der Standortbelastung
Inhaberstellung hatte und damit die Verantwortung für den rechtskonformen Zustand trug. Dagegen sei derjenige, der ein bereits belastetes Grundstück erwirbt, nicht Verursacher.
Diese Auffassung hätte im vorliegenden Fall zur Folge, dass die Beschwerdeführer, die ihre Grundstücke erst nach Schliessung der Deponie erworben haben, nicht Zustandsverursacher wären; sie könnten allenfalls als Erben der Grundeigentümer zum Zeitpunkt des Deponiebetriebs haften (vgl. dazu unten, E. 5.3 und 5.4).
3.2
Ausgangspunkt der Überlegungen muss die gesetzliche Regelung der Kostenverteilung in
Art. 32d USG
sein: Der Gesetzgeber hat im Rahmen der umweltrechtlichen Grundsätze einen
BGE 139 II 106 S. 112
Gestaltungsspielraum. Er kann im Gesetz auch Personen, die nicht unmittelbare Verursacher sind, als Verursacher bezeichnen, sofern ein hinreichender direkter funktioneller Zusammenhang besteht, der eine normative Zurechnung erlaubt (
BGE 138 II 111
E. 5.3.3 S. 126 mit Hinweisen).
Art. 32d Abs. 2 Satz 3 USG
geht davon aus, dass auch derjenige, der "lediglich als Standortinhaber beteiligt ist", zum Kreis der potenziell Kostenpflichtigen gehört (sofern er sich nicht befreien kann). Damit wird der Standortinhaber gesetzlich als "Verursacher" bezeichnet bzw. einem Verursacher gleichgesetzt. Dabei unterscheidet das Gesetz nicht danach, ob der Standortinhaber das Eigentum vor oder nach Eintritt der Belastung erworben hat.
3.3
Der USG-Entwurf 1983 sah keine Bestimmung zur Kostentragungspflicht für Altlasten vor, weil Bundesrat und Verwaltung der Auffassung waren, dass auf die bundesgerichtliche Praxis zur Kostenverlegung bei der antizipierten Ersatzvornahme zurückgegriffen werden könne. Die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie hielt eine Konkretisierung des Verursacherprinzips für den Bereich der Altlastensanierung für nötig und beauftragte daher die Verwaltung mit der Erarbeitung einer Kostenbestimmung, die sich an der bundesgerichtlichen Praxis zur Kostenverlegung bei der antizipierten Ersatzvornahme orientieren sollte (vgl. TSCHANNEN/FRICK, a.a.O., S. 4; FRICK, a.a.O., S. 197 f.; MARCO ZAUGG, Altlasten - die neuen Bestimmungen, URP 1996 S. 485 Fn. 10). Dieser Entwurf wurde im Parlament als
Art. 32d USG
diskussionslos angenommen (AB 1994 S 477 f.; AB 1995 N 1296).
Die vom Gesetzgeber rezipierte bundesgerichtliche Rechtsprechung war im Zusammenhang mit Art. 12 des Bundesgesetzes vom 16. März 1955 über den Schutz der Gewässer vor Verunreinigung (AS 1956 1533; aGSchG [1955]) und Art. 8 des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 (AS 1972 950; aGSchG [1971]) entwickelt worden. Sie ging davon aus, dass die Kosten für Massnahmen des Gemeinwesens zur Abwehr bzw. Behebung von Gewässerverunreinigungen auf die Störer im polizeirechtlichen Sinne zu verteilen seien, zu denen neben den Verhaltens- auch die Zustandsstörer gehörten (
BGE 91 I 295
E. 3b S. 302 f.;
BGE 94 I 403
E. 4 S. 409;
BGE 101 Ib 410
E. 5 S. 414 ff.;
BGE 102 Ib 203
E. 2 und 3 S. 206 f.;
BGE 114 Ib 44
E. 2a S. 47 f.;
BGE 118 Ib 407
E. 4c S. 414 ff.). Sie setzte damit "Verursacher" im Sinne von
Art. 8 aGSchG
(1971) mit Störer gleich.
BGE 139 II 106 S. 113
3.4
Wortlaut und Entstehungsgeschichte von
Art. 32d USG
sprechen somit für eine Gleichsetzung von Verursacher- und Störerbegriff. Diese Auslegung wurde durch die USG-Revision 2005 bestätigt:
3.4.1
In der ursprünglichen Fassung lautete
Art. 32d Abs. 2 Satz 3 USG
wie folgt:
"Wer lediglich als Inhaber der Deponie oder des Standortes beteiligt ist, trägt keine Kosten, wenn:
a. er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt von der Belastung keine Kenntnis haben konnte,
b. die Belastung ihm keinen Vorteil verschaffte, und
c. ihm aus der Sanierung kein Vorteil erwächst."
3.4.2
Lit. c dieser Bestimmung wurde in der Literatur kritisiert, weil die Sanierung eines Grundstücks dem Eigentümer immer einen Vorteil verschaffe (vgl. MARCO ZAUGG, Revisionsbestrebungen zu
Art. 32d USG
, URP 2001 S. 870 f.).
Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats schlug daher vor,
Art. 32d Abs. 2 lit. c USG
dahin zu präzisieren, dass die unschuldige und nichts ahnende Inhaberin eines belasteten Grundstücks sich nur dann an den Kosten beteiligen müsse, wenn ihr daraus ein Vorteil erwachse, der über die Beseitigung der unzulässigen Einwirkung hinausgehe (Parlamentarische Initiative Altlasten, Untersuchungskosten, Bericht vom 20. August 2002, BBl 2003 5008 ff., insb. 5010 und 5021 Ziff. 2.3.1.2, wo in der Überschrift ausdrücklich vom "ahnungslosen Zustandsstörer" die Rede ist).
Im Parlament wurde der Vorschlag der ständerätlichen Kommission angenommen, Art. 32d Abs. 2 lit. b und c ganz zu streichen (AB 2004 S 526). In den Voten der Parlamentarier wurde ausgeführt, es sei zu klären, in welchen Ausnahmefällen der Eigentümer eines Grundstücks nicht zur Kostentragung beigezogen werden könne (Votum Hegetschweiler, AB 2004 N 470). Aus den Materialien ergeben sich keinerlei Hinweise, dass es nur um die Entlastung des ahnungslosen Standortinhabers zum Zeitpunkt der Entstehung der Belastung ging; vielmehr sollte die Exzeptionsklausel allen "ahnungslosen Zustandsstörern" zugute kommen (Votum Büttiker, AB 2004 S 526) und dafür sorgen, dass erst im letzten Schritt allenfalls der Inhaber die Kosten trägt (Votum Leutenegger Oberholzer, AB 2004 N 472). Dies setzt voraus, dass auch der blosse Standortinhaber zum Kreis der potenziell Kostenpflichtigen im Sinne von
Art. 32d Abs. 1 USG
gehört.
BGE 139 II 106 S. 114
3.4.3
Wäre nur der Standortinhaber zum Zeitpunkt der Belastung Zustandsverursacher, hätte die Exzeptionsklausel - die vor allem im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb diskutiert wird (vgl. z.B. HANS U. LINIGER, Altlasten und kein Ende?, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht [GesKR] 3/2007 S. 278 f.; KARIN SCHERRER, Was lange währt... wird nicht zwingend besser, Revision des Umweltrechts im Altlastenbereich, Jusletter 11. September 2006 Rz. 8) - kaum noch Bedeutung. Ihr Anwendungsbereich würde sich auf die Fälle beschränken, in denen die Belastung durch eine nicht vorhersehbare Grundstücksnutzung eines Mieters, Pächters oder eines Dritten verursacht wurde.
3.5
Schliesslich ist nicht ersichtlich, dass die von CALUORI (a.a.O.) vorgeschlagene Modifikation des (Zustands-)Verursacherbegriffs im Einzelfall zu gerechteren und/oder praktikableren Ergebnissen führen würde:
Wären alle Erwerber von belasteten Grundstücken von vornherein keine Verursacher im Sinne von
Art. 32d Abs. 1 USG
, könnte ihnen auch aus Billigkeitsgründen kein Kostenanteil auferlegt werden, z.B. wenn ihnen im Hinblick auf einen bestehenden Altlastenverdacht ein erheblicher Preisnachlass gewährt wurde. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb in solchen Fällen das belastete Grundstück ohne jegliche Kostenbeteiligung des Inhabers saniert werden sollte, obwohl dieser wirtschaftlich von der Sanierung profitiert.
Umgekehrt kann bei der Festlegung des Kostenanteils des Standortinhabers (der sich nicht nach
Art. 32d Abs. 2 Satz 3 USG
befreien kann), berücksichtigt werden, ob er schon bei Eintritt der Belastung Verantwortung für das Grundstück trug und die Möglichkeit gehabt hätte, die Belastung abzuwenden, oder ob er dieses erst nachträglich, mit der bereits bestehenden Belastung, erworben hat. Je nach den Umständen des Falles kann es sich rechtfertigen, seinen Kostenanteil auf 0 % herabzusetzen (vgl. FRICK, a.a.O., S. 215; GRIFFEL/RAUSCH, a.a.O., N. 11 zu
Art. 32d USG
).
3.6
Zusammenfassend ergibt die Auslegung von
Art. 32d USG
, dass auch ein Standortinhaber, der das Grundstück bereits mit der Belastung erworben hat, zu den potenziell zahlungspflichtigen Personen gehört, soweit er sich nicht nach Abs. 2 Satz 3 von der Haftung befreien kann. Es besteht daher kein Grund, die bisherige Praxis zu ändern.
3.7
Dies hat zur Folge, dass die Beschwerdeführer als Eigentümer der belasteten Grundstücke grundsätzlich zum Kreis der
BGE 139 II 106 S. 115
Kostenpflichtigen gehören. Wie die Vorinstanz dargelegt hat, sind sie direkte Nachkommen (Söhne bzw. Enkel) der Landwirte, die ihr Land 1962 zum Betrieb der Deponie zur Verfügung gestellt hatten, und sind vor Ort aufgewachsen. Insofern wussten sie von dem Deponiebetrieb oder hätten bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt davon wissen müssen. Dies wird von den Beschwerdeführern nicht substanziiert bestritten. Insofern sind sie nicht nach
Art. 32d Abs. 2 Satz 3 USG
von der Haftung befreit.
Im Folgenden ist zu prüfen, ob der ihnen auferlegte Kostenanteil von 10 % bundesrechtskonform ist.
4.
(Zusammenfassung: Zur erstmals vor Bundesgericht erhobenen Rüge, dem Kanton Bern hätte neben den Ausfallkosten ein eigener Kostenanteil als Verhaltensverursacher auferlegt werden müssen).
5.
Schliesslich beanstanden die Beschwerdeführer den ihnen auferlegten Kostenanteil von insgesamt 10 % als ermessensfehlerhaft. Sie gehen davon aus, dass - entsprechend der in
Art. 51 Abs. 2 OR
vorgesehenen Haftungskaskade - der blosse Standortinhaber immer dann von der Haftung befreit werde, wenn ein in der Haftungsordnung vorgehender Verursacher (Verhaltensstörer) eruiert werden könne. Nur in Ausnahmefällen könne es, aufgrund von Billigkeitserwägungen, trotzdem zur Kostenauferlegung an den Standortinhaber kommen. Vorliegend seien keine derartigen Gründe ersichtlich, weshalb ihr Kostenanteil auf 0 % festzulegen sei.
5.1
Das Verwaltungsgericht führte aus, dass praxisgemäss von einer Kostenquote von 60-90 % für den Verhaltensstörer und von 10-30 % für den Zustandsstörer ausgegangen werde. Es verwies hierfür insbesondere auf die Vollzugshilfe des BAFU (VASA: Realleistungs- und Kostentragungspflichten).
Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer der Gemeinde Bern das Land für den Betrieb der Schuttdeponie zur Verfügung gestellt hätten. Sie hätten im Verwaltungsausschuss der Deponie einen von sieben und später zwei von neun Vertretern gestellt und hätten von der Ablagerung verschiedener, vertraglich nicht vorgesehener Abfälle gewusst. Durch die Auffüllung des Illiswiltobels sei ebenes, landwirtschaftlich besser nutzbares Land entstanden. Zudem hätten die damaligen Grundeigentümer eine Ausfallentschädigung für Land und Wald von insgesamt ca. Fr. 140'000.- und eine Gewinnbeteiligung von insgesamt Fr. 300'000.- erlangt. Aufgrund dieser wirtschaftlichen
BGE 139 II 106 S. 116
Interessenlage sei eine vollständige Befreiung der Beschwerdeführer von der Kostentragungspflicht nicht gerechtfertigt.
5.2
Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend, ihnen dürften die angeblichen Vorteile ihrer Rechtsvorgänger aus dem Betrieb der Deponie nicht angerechnet werden, weil diese nicht an sie weitergegeben worden seien. Sie hätten das Grundeigentum entweder durch Kauf oder durch Abtretung auf Rechnung künftiger Erbschaft erworben, und zwar entsprechend den Bestimmungen des bäuerlichen Bodenrechts mindestens zum Ertragswert. Würden sie anstelle ihrer Rechtsvorgänger in die Kostenpflicht genommen, hätte dies eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung der Veräusserer resp. der zukünftigen Miterben zu Lasten der heutigen Grundeigentümer zur Folge. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die belasteten Parzellen Teil eines landwirtschaftlichen Gewerbes seien, das dem Realteilungsverbot unterliege (
Art. 58 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht [BGBB; SR 211.412.11]
); insofern hätten die Beschwerdeführer die belasteten Parzellen nicht von der Übernahme ausschliessen können.
5.3
Nach Rechtsprechung und Literatur ist für die Rechtsnachfolge zwischen Verhaltens- und Zustandsverursachern einerseits sowie zwischen Singular- und Universalsukzession andererseits zu unterscheiden:
5.3.1
Die latente Kostenpflicht des Standortinhabers geht bei einer Handänderung ohne Weiteres auf den Erwerber über (a.A. CALUORI, a.a.O., S. 564). Allerdings handelt es sich nicht um einen Fall der Rechtsnachfolge; vielmehr knüpft die latente Kostenpflicht an die Rechtsbeziehung zum belasteten Standort an und entsteht somit originär beim neuen Eigentümer oder Inhaber (vgl. CUMMINS, a.a.O., S. 118 f.; SCHERRER, a.a.O., S. 93 f.; ROMY, a.a.O., S. 625).
Dagegen verbleibt die Kostenpflicht des Verhaltensverursachers im Fall der Singularsukzession als persönliche Schuld bei diesem und geht nicht auf den Rechtsnachfolger über.
5.3.2
Möglich ist dagegen ein Übergang der Kostenpflicht des Verhaltensverursachers im Fall der Universalsukzession.
Dies betrifft zum einen die Fälle der Vermögens- oder Geschäftsübernahme (vgl. LINIGER/CONRAD, Altlastenrechtliche Störerhaftung und Rechtsnachfolge bei Unternehmenstransaktionen: quid iuris?, in: Liber amicorum für Rudolf Tschäni, 2010, S. 229 ff., insb. 237 ff.; ISABELLE ROMY, Sites pollués, sociétés et responsabilités, Journées
BGE 139 II 106 S. 117
suisse du droit de la construction, 2009, S. 163 ff., insb. 187 ff.; WAGNER PFEIFER, a.a.O., S. 139 ff.).
Zudem kann die Kostenpflicht (auch die latente) eines Verhaltensstörers gemäss
Art. 560 Abs. 2 ZGB
auf dessen Erben übergehen (SEILER, a.a.O., N. 67 zu
Art. 2 USG
; SCHERRER, a.a.O., S. 97 f.; ROMY, a.a.O., S. 627 ff.; a.A. CUMMINS, a.a.O., S. 121; URS CH. NEF, Die Kostenpflicht bei der Sanierung von historischen Altlasten, in: Festschrift Lendi, 1998, S. 399). Das Bundesgericht hat im Urteil 1A.273/2005 / 1A.274/2005 / 1P.669/2005 vom 25. September 2006 E. 5.2 und 5.3 (in: URP 2007 S. 861) ausgeführt, dass zwar die Verhaltensverursachereigenschaft nicht durch Erbfolge auf einen Erben übertragen werden könne, wohl aber die Schulden des Erblassers, einschliesslich solcher öffentlich-rechtlicher Natur, sofern der Erbe die Erbschaft nicht ausschlägt.
5.4
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer, die am Gewinn der Deponie beteiligt und im Verwaltungsausschuss der Deponie vertreten waren, durch ihr Verhalten zur Standortbelastung beigetragen haben und damit
Verhaltensverursacher
waren, auch wenn ihr Verursachungsbeitrag geringer zu veranschlagen ist als derjenige der Deponiebetreiberin. Ihnen gegenüber wäre daher ein Kostenanteil von 10 % keinesfalls ermessensmissbräuchlich.
Dagegen haben die Beschwerdeführer die Belastung durch die Deponie weder selbst herbeigeführt noch hätten sie sie vermeiden können. Zwar haben sie die landwirtschaftlichen Grundstücke, Bauten und Anlagen ihrer Rechtsvorgänger erworben, doch gibt es in den Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass sie auch die Passiven rechtsgeschäftlich übernommen hätten.
Allerdings sind sie (als direkte Nachkommen) vermutlich Erben ihrer Rechtsvorgänger. Im vorinstanzlichen Entscheid fehlen jedoch Angaben zur Frage, ob und wann die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer verstorben sind, wer alles zu den Erben gehörte und ob einzelne Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben. Sind weitere Miterben vorhanden, haften grundsätzlich auch sie - und nicht nur die Beschwerdeführer - für die Schulden des Erblassers.
Unter diesen Umständen ist nicht erstellt, dass den Beschwerdeführern die Verursachungsquote ihrer Rechtsvorgänger zugerechnet werden kann.
BGE 139 II 106 S. 118
5.5
Bei der Bemessung des Kostenanteils können neben dem Mass der Verantwortung auch Billigkeitsgesichtspunkte, wie die wirtschaftliche Interessenlage und die wirtschaftliche Zumutbarkeit, berücksichtigt werden (TSCHANNEN/FRICK, a.a.O., S. 20). Namentlich kann (in Anlehnung an aArt. 32d Abs. 2 Satz 3 lit. b und c) berücksichtigt werden, ob der Standortinhaber, der die Belastung kannte oder kennen musste, einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Belastung gezogen hat und ob ihm aus der Sanierung ein Vorteil erwächst.
5.5.1
Im vorliegenden Fall ist es möglich, dass den Beschwerdeführern (unabhängig von ihrer Erbenstellung) gewisse, mit dem Deponiebetrieb zusammenhängende Vorteile zugute gekommen sind (z.B. Bodenverbesserung; in den landwirtschaftlichen Betrieb investierte Anteile der Gewinnbeteiligung). Allerdings wurden diese Vorteile wahrscheinlich bei der Festsetzung des Übernahmepreises bzw. bei der Anrechnung auf den Erbteil berücksichtigt. Auch zu dieser Frage gibt es keine Feststellungen.
5.5.2
Denkbar ist auch, dass den Beschwerdeführern durch die Sanierung ein wirtschaftlicher Vorteil erwächst, beispielsweise wenn sie das zum landwirtschaftlichen Ertragswert erworbene Land nach der Sanierung als Bau(erwartungs)land verkaufen könnten. Auch hierzu fehlen jedoch Feststellungen. Zudem müsste u.U. ein Gewinnanspruch der Miterben nach
Art. 28 ff. BGBB
berücksichtigt werden.
5.5.3
Würden die Beschwerdeführer
ausschliesslich
als Standortinhaber haften,
ohne
dass ihnen der Verursachungsanteil ihrer Rechtsvorgänger zugerechnet werden könnte und ohne durch den Deponiebetrieb oder die Sanierung selbst einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt zu haben oder in Zukunft zu erlangen, erschiene eine Kostenbeteiligung von 10 % exzessiv und damit bundesrechtswidrig.
Zwar sind die bisher angefallenen Untersuchungskosten, auf die sich die angefochtene Verfügung beschränkt, bescheiden und für die Beschwerdeführer wirtschaftlich zumutbar. Die eigentliche Sanierung der Deponie steht jedoch noch bevor und die damit verbundenen Kosten lassen sich schwer abschätzen. Die Beschwerdeführer befürchten zu Recht, dass die jetzige Kostenverteilungsverfügung präjudizielle Wirkung auch für die zukünftige Kostenaufteilung haben könnte.
5.6
Die vom Verwaltungsgericht zitierte Praxis, wonach 10-30 % der Kosten auf den schuldlosen Zustandsstörer entfallen, bedarf daher der Präzisierung: Ein derartiger Kostenanteil ergibt sich nicht
BGE 139 II 106 S. 119
bereits aus der Eigentümerstellung zum Zeitpunkt der Kostenverteilungsverfügung, sondern erscheint nur dann gerechtfertigt, wenn weitere Umstände hinzutreten, z.B. wenn die betroffene Person schon im Zeitpunkt der Belastung für den Standort verantwortlich war und diese daher hätte verhindern können, wenn sie für den Verursachungsanteil ihres Rechtsvorgängers haftet (kraft Geschäftsübernahme oder als Erbe) oder durch die Belastung und/oder Sanierung einen (nicht unwesentlichen) wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat oder erlangen wird.
6.
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. Da der erstinstanzlichen Behörde bei der Festsetzung der Anteile ein Ermessensspielraum zusteht, erscheint es sinnvoll, die Sache an das AWA (und nicht ans Verwaltungsgericht) zu weiterer Abklärung und neuem Entscheid zurückzuweisen.
6.1
Das AWA wird zunächst klären müssen, ob die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer noch leben und (als Verhaltensverursacher) an den Kosten beteiligt werden müssen. Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob deren Kostenanteil kraft Erbfolge auf alle oder auf einzelne Beschwerdeführer übergegangen ist. Diesfalls wäre ein Kostenanteil der Beschwerdeführer von 10 % nicht zu beanstanden; allerdings wäre zu prüfen, ob noch weitere Erben vorhanden sind, die ebenfalls in die Pflicht zu nehmen wären.
Ansonsten müsste ergänzend geprüft werden, ob den Beschwerdeführern (oder einzelnen von ihnen) wirtschaftliche Vorteile aus dem Deponiebetrieb zugeflossen sind oder aus der Sanierung erwachsen, die eine Kostenbeteiligung in Höhe von 10 % rechtfertigen würden. Wäre auch dies zu verneinen, müsste der Kostenanteil der Beschwerdeführer (als blosse Standortinhaber) erheblich herabgesetzt oder auf eine Kostenbeteiligung ganz verzichtet werden. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
abe6163f-e0d1-4e0a-bfeb-4f922221e81c | Urteilskopf
95 I 155
22. Auszug aus dem Urteil vom 14. Mai 1969 i.S. Schiesser gegen Gemeinde Schwanden und Regierungsrat des Kantons Glarus. | Regeste
Elektrische Hausinstallationen;
Art. 4 BV
.
Abklärung des Sachverhalts bei der Prüfung der Frage, ob das Monopol zum Ausführen elektrischer Hausinstallationen zulässig sei. | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 95 I 155 S. 155
Aus dem Tatbestand:
A.-
Das Elektrizitätswerk Schwanden (EWS) ist eine Anstalt der Gemeinde Schwanden/GL. Am 3. August 1960 erliess der Gemeinderat ein Reglement über die Abgabe von elektrischer Energie durch das EWS. Art. 36 dieses Reglements lautet:
Ausführung von Hausinstallationen: Hausinstallationen werden durch das EWS erstellt, unterhalten, verändert oder erweitert. Das EWS kann ausserdem in Berücksichtigung des Bedarfs Bewilligungen zur Ausführung von Hausinstallationen erteilen.
B.-
Die Firma F. Schiesser & Co., Elektrische Installationen, Ennenda, ersuchte am 1. März 1967 das EWS um die Bewilligung zur Ausführung von Hausinstallationen. Die Verwaltungskommission des EWS wies dieses Gesuch am 30. März 1967 ab. Die Firma Schiesser beschwerte sich dagegen beim Regierungsrat des Kantons Glarus. Dieser wies den Rekurs ab. Zur Begründung führte er u.a. aus, das Bundesgericht habe bisher das Installationsmonopol der Gemeinde-Elektrizitätswerke als zulässig anerkannt. Übrigens räumten auch die Gegner des Installationsmonopols ein, dieses sei in kleineren Verhältnissen denkbar, insbesondere in Berggegenden, wo wegen der erhöhten Gefahr von Versorgungsunterbrüchen durch Naturereignisse mit einem verhältnismässig grossen Bestand an Pikettleuten zu rechnen sei. Das Monopol rechtfertige sich dann, wenn ohne es das Werk nicht in der Lage wäre, seinen Betrieb in technisch und wirtschaftlich verantwortbarer Weise zu organisieren. Nun habe das EWS über 100 km Freileitung instandzuhalten. Es
BGE 95 I 155 S. 156
versorge die Gemeinden Schwanden, Hätzingen, Leuggelbach, Nidfurn, Haslen, Schwändi, Sool, Engi, Matt und Elm; diese Leitungen reichten vom Talboden (500 m über Meer) bis auf 1600 m Höhe hinauf. Abgesehen von den Anlagen, die sich im Talgrund befinden, liege das ganze Netz in einem durch steile Berghänge begrenzten, niederschlagsreichen voralpinen bis alpinen Gelände. Überschwemmungen, Runsen- und Lawinenniedergänge, Schneeverwehungen, Verkehrsunterbrüche, Föhnstürme u. dgl. bewirkten viele Störungen. In den acht Jahren vom Februar 1959 bis Februar 1967 sei an insgesamt 17 Tagen die ganze Freileitungs- und Installationsequipe des EWS zur Störungsbehebung im Einsatz gewesen. Insbesondere die nach Warth und ins Sernftal führenden Leitungen würden regelmässig von Lawinen heimgesucht, wobei jeweilen auch der Strassen- und Bahnverkehr unterbrochen werde. Das EWS nehme unter den Elektrizitätswerken des Kantons eine Sonderstellung ein. In Schwanden sei die Bautätigkeit gering und damit die Beschäftigung der Installationsabteilung des EWS nicht ohne weiteres gesichert. Um die Schaffung einer privilegierten Unternehmerschaft zu vermeiden, müssten bei Zulassung der Konkurrenz alle privaten Bewerber in gleicher Weise berücksichtigt werden.
C.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrates führte die Firma F. Schiesser & Co. staatsrechtliche Beschwerde. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und verlangt, "der Regierungsrat des Kantons Glarus bzw. der Gemeinderat Schwanden und das Elektrizitätswerk Schwanden" seien anzuweisen, ihr "die Bewilligung (Konzession) im Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerkes Schwanden zum Erstellen, Ändern und Ausbessern elektrischer Hausinstallationen zu erteilen."
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Annahme des Regierungsrates, dass die Verhältnisse beim EWS anders seien als bei allen andern Elektrizitätswerken im Kanton, sei willkürlich. Der Regierungsrat habe Rentabilitätsberechnungen allgemeiner Natur angestellt, es aber entgegen dem Antrag der Beschwerdeführerin unterlassen, die Jahresrechnungen der Installationsabteilung und die Gemeinderechnungen beizuziehen. Mit fiskalischen Interessen könne das Installationsmonopol nicht begründet werden, weil damit
Art. 31 BV
verletzt würde. Die Behauptung, wegen der Bergverhältnisse sei das Installationsmonopol unumgänglich, entbehre der zwingenden
BGE 95 I 155 S. 157
Begründung. Der Umstand, dass die Installationsabteilung während acht Jahren nur an 17 Tagen zur Behebung von Störungen beigezogen wurde, spreche gegen die Annahme des Regierungsrates. Dass sie unhaltbar sei, ergebe sich übrigens schon daraus, dass das Reglement des EWS selber die Erteilung von Konzessionen an Dritte vorsehe. Die Installationsabteilung des EWS sei auch ohne Monopol noch privilegiert, weil sie keine Steuern zu entrichten habe. Bezüglich der Mitwirkung bei der Netzkontrolle und beim Störungsdienst könnten den privaten Installateuren entsprechende Auflagen gemacht werden.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Glarus und das EWS beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Das EWS führt aus, das Reglement verpflichte es nicht zur Erteilung von Konzessionen. Eine solche könnte erst in Betracht fallen, "wenn sich das Arbeitsvolumen für elektrische Hausinstallationen im Versorgungsgebiet derart vergrössern sollte, dass die Hausinstallationsabteilung personell stärker dotiert werden müsste, als dies im Hinblick auf den minimalen Personalbestand für einen einwandfrei funktionierenden Leitungs- und Störungsdienst erforderlich" wäre. Gegenüber Näfels sei lediglich das Rekursverfahren, nicht aber der Sachverhalt ähnlich. Der Umstand, dass während acht Jahren an 17 Tagen das gesamte Personal des EWS zur Störungsbehebung im Einsatz war, zeige, dass im Jahresdurchschnitt zwei grosse Störungen zu beheben seien. Das Berggebiet dürfe nicht zweitrangig bedient werden. Auch in Engi und Elm gebe es noch Industrien, für die Stromunterbrüche unliebsame und kostspielige Folgen hätten. Die Verwendung von werkfremdem Personal bei der Störungsbehebung sei undurchführbar. Solche Leute seien mit dem Leitungsnetz nicht vertraut, auch verfügten sie nicht über die Ortskenntnis, um in weglosem und verschneitem Gelände die Störungen zu finden und zu beheben; es sei auch nicht damit zu rechnen, dass sie die mit solcher Arbeit verbundenen Strapazen auf sich nehmen würden. Mindestens im Berggebiet sollte die bisherige Praxis des Bundesgerichts beibehalten werden.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Eintretensfragen.)
2.
(Darstellung der in
BGE 95 I 149
ff. wiedergegebenen neuen Praxis hinsichtlich der Zulässigkeit des Monopols zum Ausführen elektrischer Hausinstallationen: Das Monopol lässt
BGE 95 I 155 S. 158
sich weder aus fiskalischen noch aus sicherheitspolizeilichen Gründen mit
Art. 31 BV
vereinbaren. Hingegen kann es sich nach wie vor aus anderen Gründen des öffentlichen Wohles rechtfertigen. Einen solchen Grund bildet u.a. das öffentliche Interesse an rascher Behebung von Störungen am Freileitungsnetz und anderen Werksanlagen. Dieses Interesse lässt sich u.U. auch dadurch wahren, dass den zugelassenen privaten Installationsfirmen geeignete Bedingungen und Auflagen gemacht werden.)
3.
Der Regierungsrat des Kantons Glarus führt aus, dass beim EWS - im Unterschied zu anderen Elektrizitätswerken glarnerischer Gemeinden - besondere Verhältnisse vorlägen, die die Aufrechterhaltung des Installationsmonopols rechtfertigten, ja erheischten.
a) Die erste Überlegung der kantonalen Instanz bezieht sich auf die Ausdehnung des Absatzgebietes (zehn Gemeinden), auf die besonderen geographischen und klimatischen Verhältnisse in diesem Gebiet sowie auf Zahl und Umfang der Anlagen, die das EWS in Stand zu halten hat: Über 100 km Freileitungen, 30 eigene und 25 andere Transformatorenstationen, alles in einem Gelände mit 1100 m Höhendifferenz.
Es ist glaubhaft, dass hier die Instandhaltung der Anlagen, und erst recht die Behebung von Schäden, die durch Naturereignisse im Winter angerichtet werden, die Überwindung grösserer Hindernisse und mehr Arbeitsaufwand erheischen als die Behebung gleichartiger Schäden im Hügel- oder Flachland. Damit ist aber die Frage noch nicht beantwortet, ob dafür eine Installationsabteilung mit Monopolbetrieb nötig sei.
Wie sich aus einer Aufstellung über den Personalbestand des EWS ergibt, sind dort drei Arbeitsgruppen mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt. Eine erste befasst sich mit der Leitung und Verwaltung des ganzen Unternehmens, eine zweite mit dem Bau, Betrieb und Unterhalt der Freileitungen und Transformatorenstationen und eine dritte mit den Installationen in den Häusern. Nur um diese letztgenannte Gruppe geht es hier. Sie installiert alles, was zur Verwendung des elektrischen Stroms im Innern der Gebäude erforderlich ist. Sie besorgt auch alle Änderungen und Reparaturen an diesen Einrichtungen. Die Zahl der hier beschäftigten Leute entspricht dem Arbeitsanfall. Ausnahmsweise, d.h. bei katastrophenartigen Störungen, wenn die Bau- und Betriebsgruppe wegen des Zusammenfalls von
BGE 95 I 155 S. 159
Störungen an verschiedenen Orten die angefallene Arbeit nicht oder nicht rasch genug zu bewältigen vermag, wird auch die Installationsgruppe zur Reparatur von Freileitungen und Transformatorenstationen beigezogen. Sie ist also nebenbei Reservemannschaft für solche Störungsfälle. Die Erfüllung dieser zweiten Aufgabe rechtfertigt nach Ansicht des Regierungsrates die Beibehaltung des Installationsmonopols. Die kantonale Instanz nimmt an, die in Katastrophenfällen einsetzbaren Hilfskräfte würden vermindert, wenn beim Dahinfallen des Monopols der Bestand der Installationsequipe herabgesetzt werden müsste. Indessen ist nicht sicher, dass ein Abbau des Installationspersonalbestandes drohe. In sämtlichen Jahresberichten des EWS wird dessen Beschäftigung "namentlich infolge der regen Bautätigkeit" als gut hervorgehoben.
b) Der Regierungsrat hat bei seinem Entscheid auf ein Gutachten abgestellt, das dem EWS erstattet worden war. In diesem Gutachten wird erklärt, dass es falsch wäre, "zu sagen, dass bei einer Reduktion der Installationsabteilung ein Beheben der Störungen unmöglich sei". Es frage sich lediglich, "ob dabei die Unterbruchszeiten nicht soweit verlängert werden, dass der Schaden, der dadurch bei den Abonnenten eintritt, eine Grösse erreicht, die für diese Abonnenten als untragbar gilt". Die technische Frage, wie gross die Verzögerungen bei einem Abbau der Installationsgruppe um einen, zwei oder drei Mann würden, wirft der Experte zwar auf, beantwortet sie aber nicht. Dafür stellt er im Anschluss an das oben Ausgeführte fest, es liege "wohl im öffentlichen Interesse", dass das EWS seine "recht bescheidene Installationsabteilung voll aufrecht erhalten" könne. Diesen Entscheid des Experten über eine Rechtsfrage hat der Regierungsrat in seinem Beschluss übernommen, obschon nach dem Gesagten die technischen Angaben zur Beurteilung dieser Frage unvollständig waren. Die kantonale Instanz hat damit den
Art. 4 BV
verletzt. Ob auch
Art. 31 BV
verletzt sei, lässt sich nicht beurteilen, bevor die technischen Angaben im Sinne der vorstehenden Ausführungen ergänzt sind.
c) Nach den Feststellungen des Experten musste das gesamte Personal der Installationsgruppe in einem Zeitraum von etwas über 2900 Tagen 17 Mal zur Mithilfe bei der Behebung von Freileitungsschäden aufgeboten werden. Der Regierungsrat hat daraus abgeleitet, das Monopol der Installationsabteilung des EWS sei beizubehalten. Indessen wurde die Frage nicht erörtert,
BGE 95 I 155 S. 160
ob die Inanspruchnahme der Installationsabteilung in weniger als 6‰ aller Betriebstage proportional sei zum Zweck der Verkürzung von Stromunterbrüchen von vielleicht einigen Stunden. Der Regierungsrat hätte dazu umso mehr Anlass gehabt, als die Beschwerdeführerin schon in ihrer Eingabe an das EWS vom 1. März 1967 Mitwirkung bei der Behebung von Störungen zu Konkurrenzpreisen angeboten und in ihrem Rekurs an den Regierungsrat eine "neutrale Expertise" darüber verlangt hatte, ob das EWS nur zur Aufrechterhaltung einer genügenden Bereitschaftsequipe für Störungsfälle des Installationsmonopols bedürfe. Der Regierungsrat ist über diesen Fragenkreis hinweggegangen, obwohl ihm unmöglich entgangen sein konnte, dass der Bericht, den der Experte dem EWS auf dessen Anforderung erstattet hatte, ein Parteigutachten darstellt. Die kantonale Instanz hat damit ebenfalls
Art. 4 BV
verletzt.
d) Ob sich die Verwendung von werkfremdem Personal beim Störungsdienst an Freileitungen wirklich nicht durchführenlasse, wie das EWS in seiner Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde behauptet, hat der Regierungsrat zu prüfen. Wie aus
BGE 95 I 154
erhellt, haben die Freileitungsmonteure keine bessere berufliche Ausbildung genossen als die Elektromonteure, deren Ausbildung durch ein Reglement des EVD vom 6. Juni 1967 (BBl 1967 II 181) geordnet ist. Jedenfalls versteht sich nach dem Gesagten nicht von selbst, dass sich die Elektromonteure der Beschwerdeführerin die für die Reparaturen an Freileitungen nötigen Kenntnisse nicht in gleicher Weise aneignen können wie die Elektromonteure des EWS. Es versteht sich erst recht nicht von selbst, dass nur werkeigene Leute ortskundig, berggewandt und zur Übernahme von Strapazen in Notfällen bereit seien. Das Angebot der Beschwerdeführerin muss daher ernsthaft geprüft werden. Erst wenn das geschehen sein wird, kann beurteilt werden, ob überhaupt und - wenn ja - ob eine erhebliche Schwächung der Pikettmannschaft bei Preisgabe des Installationsmonopols zu befürchten wäre, und ob ein vernünftiges Verhältnis besteht zwischen dem durch das Monopol angeblich zu wahrenden öffentlichen Interesse und dem Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit, den die Verweigerung der Bewilligung der Beschwerdeführerin gegenüber darstellt.
4.
Der angefochtene Beschluss des Regierungsrates ist daher anfzuheben. Der Regierungsrat wird sich nochmals mit der Sache befassen und vorerst den Sachverhalt weiter abklären
BGE 95 I 155 S. 161
müssen. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der Regierungsrat - wie die Beschwerdeführerin behauptet -
Art. 4 BV
schon dadurch verletzt habe, dass er es unterliess, die Rechnungen des EWS beizuziehen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons Glarus vom 30. September 1968 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
abe81c54-4018-4c41-9d33-5293fdaabd3c | Urteilskopf
139 III 86
12. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause Ethical Coffee Company SA et Ethical Coffee Company (Suisse) SA contre Société des produits Nestlé SA et Nestlé Nespresso SA (recours en matière civile)
4A_508/2012 du 9 janvier 2013 | Regeste a
Art. 261 ff. ZPO
.
Gesuch um superprovisorische und vorsorgliche Massnahmen. Rechtsmittel gegen eine "Zwischenentscheidung", die nach Anhörung der Parteien (
Art. 265 Abs. 2 ZPO
) ergangen ist, aber bevor der Richter - vorbehalten neuer Umstände - über alle notwendigen Grundlagen verfügt, um über die beantragten Massnahmen eine endgültige Entscheidung zu treffen, die das vorsorgliche Verfahren abschliesst (E. 1).
Regeste b
Art. 261 Abs. 1 ZPO
.
Eingetragene Marke; Glaubhaftigkeit der Gültigkeit (E. 4).
Gefahr eines nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteils für die gesuchstellende Partei (E. 5). | Erwägungen
ab Seite 87
BGE 139 III 86 S. 87
Extrait des considérants:
1.
Les intimées contestent la recevabilité du recours à un double titre: l'exigence d'épuisement préalable des voies de droit cantonales ne serait pas satisfaite; en outre, la décision ne serait pas susceptible de causer un préjudice irréparable.
1.1
De l'avis des intimées, le présent recours est irrecevable dès lors qu'il est dirigé contre une décision de mesures superprovisionnelles à laquelle succédera nécessairement une ordonnance provisionnelle de l'autorité cantonale. Les recourantes soutiennent en revanche que l'ordonnance attaquée, nonobstant son intitulé, est en réalité une ordonnance de mesures provisionnelles qui, comme telle, est susceptible d'être déférée au Tribunal fédéral.
1.1.1
Les mesures superprovisionnelles sont rendues en cas d'urgence particulière; elles se distinguent des mesures provisionnelles (ordinaires) uniquement par le fait qu'elles sont rendues sans que la partie adverse soit entendue préalablement (
art. 265 al. 1 CPC
). Si le juge
BGE 139 III 86 S. 88
rend de telles mesures, il doit ensuite rapidement entendre la partie adverse et statuer sans délai sur la requête de mesures provisionnelles proprement dites (
art. 265 al. 2 CPC
). Il rend alors une décision sur mesures provisionnelles qui remplace la décision superprovisionnelle. Les mesures provisionnelles restent en principe en vigueur jusqu'à l'entrée en force de la décision au fond; elle peuvent toutefois être modifiées ou révoquées si les circonstances se sont modifiées après leur prononcé, ou s'il s'avère par la suite qu'elles sont injustifiées (
art. 268 CPC
).
Les mesures provisionnelles rendues par un tribunal de première instance peuvent être déférées à l'autorité cantonale supérieure par la voie de l'appel ou du recours stricto sensu (
art. 308 al. 1 let. b et
art. 319 let. a CPC
); celles rendues par le tribunal supérieur, statuant sur recours ou comme instance cantonale unique, peuvent être portées devant le Tribunal fédéral par la voie du recours en matière civile ou du recours constitutionnel subsidiaire (
art. 98 LTF
). Les mesures superprovisionnelles ne sont en revanche pas susceptibles de recours, ni auprès de l'autorité cantonale supérieure lorsqu'elles émanent d'une autorité inférieure, ni auprès du Tribunal fédéral. L'exclusion de tout recours au Tribunal fédéral découle de l'obligation d'épuiser les voies de recours cantonales; la procédure provisionnelle doit être poursuivie devant l'autorité saisie afin d'obtenir le remplacement des mesures superprovisionnelles par des mesures provisionnelles. Au demeurant, cette exclusion du recours se justifie aussi par le fait que le requérant parviendra en principe plus rapidement à ses fins en continuant la procédure devant le juge saisi plutôt qu'en déposant un recours auprès d'une nouvelle autorité (
ATF 137 III 417
).
Lorsqu'un recours dirigé contre des mesures provisionnelles est admis, que la décision attaquée est annulée, et la cause renvoyée au juge précédent pour nouvelle décision, la procédure se trouve ramenée au stade où elle se trouvait juste avant que la décision annulée soit rendue, c'est-à-dire à un stade où les mesures superprovisionnelles sont encore en vigueur. L'annulation de la décision de mesures provisionnelles fait ainsi renaître les mesures superprovisionnelles (arrêt 4A_178/2011 du 28 juin 2011 consid. 4, non publié à l'
ATF 137 III 324
; apparemment
contra
LORENZA FERRARI HOFER, Discussions d'arrêts actuels, PJA 2012 p. 281 n
os
24-26).
1.1.2
Le juge à qui la cause est renvoyée doit à nouveau, et sans délai, statuer sur la requête de mesures provisionnelles proprement dites,
BGE 139 III 86 S. 89
et donc rendre une nouvelle décision de mesures provisionnelles (ordinaires) terminant en principe la procédure provisionnelle, sous réserve d'éléments nouveaux (
art. 268 al. 1 CPC
). Il se peut toutefois que le juge ne soit pas en mesure de statuer à bref délai, notamment lorsque, comme en l'espèce, il est tenu de requérir au préalable une expertise technique succincte. Dans une telle hypothèse, il lui appartient le cas échéant de statuer, au vu des éléments dont il dispose à ce stade, sur le maintien, la modification ou la suppression des mesures précédemment ordonnées à titre superprovisionnel, et ce, pour la durée restante de la procédure provisionnelle, jusqu'à ce qu'il ait réuni les éléments nécessaires pour se prononcer en principe définitivement sur les mesures provisionnelles requises (cf. arrêt 4A_178/2011 précité consid. 4).
Une telle décision, qui pourrait être qualifiée d'intermédiaire, a un caractère particulier. Elle intervient après l'audition des parties, mais avant que le juge statue sur la requête de mesures provisionnelles proprement dites et mette ainsi fin à la procédure provisionnelle, sous réserve d'éléments nouveaux. Cette décision intermédiaire ne restera pas en vigueur jusqu'à la décision au fond, mais devra être remplacée par une décision de mesures provisionnelles dès que le juge disposera des éléments nécessaires pour rendre une telle décision, ce qui pourra, selon les circonstances, prendre du temps. Se pose donc la question de savoir si la décision intermédiaire doit être assimilée à une décision de mesures provisionnelles ou à une décision de mesures superprovisionnelles; en dépend l'existence ou non d'une possibilité de recours.
Les mesures superprovisionnelles ont pour trait spécifique d'être rendues avant l'audition de la partie adverse, en cas d'urgence particulière; l'exclusion de toute voie de recours contre de telles mesures est notamment justifiée par le fait qu'elles sont censées avoir une durée très limitée et être remplacées à bref délai par des mesures provisionnelles attaquables. En conséquence, l'on ne saurait assimiler à une telle protection superprovisoire des mesures prononcées après audition des parties, et susceptibles de rester en vigueur durant un laps de temps important. En bref, lorsque le juge statue sur le sort des mesures superprovisionnelles réactivées par l'annulation d'une décision sur mesures provisionnelles et qu'il le fait à titre intermédiaire, pour la durée restante de la procédure provisionnelle, il rend une décision de mesures provisionnelles susceptible de recours.
BGE 139 III 86 S. 90
1.2
De l'avis des intimées, la décision attaquée - de nature incidente - n'est pas susceptible de causer un préjudice irréparable au sens de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
, dès lors qu'elle n'est pas vouée à rester en vigueur jusqu'à la décision finale au fond, mais seulement jusqu'à la décision sur mesures provisionnelles, que le juge rendra dès réception du rapport d'expert.
La date à laquelle le juge pourra rendre une nouvelle décision fondée sur l'expertise requise et ainsi clore la procédure provisionnelle est inconnue; selon les circonstances, la procédure peut durer. Même si la décision au fond interviendra à une date plus tardive que la décision sur mesures provisionnelles, on ne discerne pas en quoi il y aurait une différence essentielle dans la nature des durées des deux procédures qui imposerait une interprétation différente de la notion de préjudice irréparable. Pour les motifs exposés par la cour de céans dans son arrêt du 26 juin 2012 (arrêt 4A_36/2012 du 26 juin 2012 consid. 1.3, in sic! 2012 p. 627), il y a lieu d'admettre un risque de préjudice irréparable découlant de la décision attaquée.
(...)
4.
Les recourantes reprochent ensuite au juge précédent d'avoir appliqué arbitrairement l'
art. 261 al. 1 CPC
en admettant que la marque de forme des intimées était vraisemblablement valable. Elles relèvent que la cour de céans a annulé les mesures provisionnelles du 11 novembre 2011 pour arbitraire, au motif que le juge avait tranché en faveur des intimées sans disposer d'éléments de preuve sérieux; en rendant la même décision que dans l'ordonnance annulée, alors que la situation demeurait inchangée et que l'expertise n'avait pas encore été ordonnée, l'autorité cantonale aurait versé dans l'arbitraire. Elle aurait également appliqué de façon arbitraire les règles sur le fardeau de la preuve quant à la validité de la marque.
4.1
A défaut d'éléments nouveaux, et en particulier avant le dépôt de l'expertise exigée par la cour de céans dans son arrêt du 26 juin 2012, le juge précédent ne pouvait pas rendre une nouvelle décision mettant fin à la procédure de mesures provisionnelles. Il ne l'a pas fait. Les recourantes perdent de vue que la décision attaquée est une décision intermédiaire, rendue sur la base des éléments disponibles à ce stade, éléments par définition insuffisants pour rendre une décision provisionnelle en principe définitive. Si l'ordonnance du 11 novembre 2011, favorable aux intimées, a dû être annulée en raison de l'insuffisance des éléments nécessaires pour trancher la requête de mesures
BGE 139 III 86 S. 91
provisionnelles proprement dites, cela n'implique pas nécessairement de priver les intimées de toute protection provisoire jusqu'à ce que puisse être rendue une décision réglant en principe définitivement le sort de la requête.
4.2
Celui qui requiert des mesures provisionnelles doit rendre vraisemblable qu'une prétention dont il est titulaire est l'objet d'une atteinte - ou risque de l'être -, et qu'il s'expose de ce fait à un préjudice difficilement réparable (
art. 261 al. 1 CPC
). Un fait est rendu vraisemblable si le juge, en se basant sur des éléments objectifs, a l'impression que le fait invoqué s'est produit, sans pour autant devoir exclure la possibilité qu'il ait pu se dérouler autrement (
ATF 132 III 715
consid. 3.1 p. 720;
ATF 130 III 321
consid. 3.3 p. 325); le juge peut en outre se limiter à un examen sommaire des questions de droit (
ATF 131 III 473
consid. 2.3 p. 476;
ATF 108 II 69
consid. 2a p. 72).
L'enregistrement d'une marque n'intervient que si l'Institut Fédéral de la Propriété Intellectuelle n'a constaté aucun motif de nullité formel ou matériel (art. 30 de la loi fédérale du 28 août 1992 sur la protection des marques et des indications de provenance [LPM; RS 232.11]). Il n'est pas arbitraire d'en déduire que la marque est, de prime abord et à défaut d'autres éléments, vraisemblablement valable (cf. KAMEN TROLLER, Précis du droit suisse des biens immatériels, 2
e
éd. 2006, p. 421; EUGEN MARBACH, Markenrecht, SIWR vol. III/1, 2
e
éd. 2009, p. 146 n. 475; voir aussi LUCAS DAVID, Die Bindung des Zivilrichters ans verwaltungsrechtliche Präjudiz, sic! 2012 p. 442). L'arrêt de la cour de céans du 26 juin 2012 retient dans ce sens qu'il appartenait aux recourantes de rendre vraisemblable que la marque des intimées ne pouvait pas être protégée (cf.
ATF 132 III 83
consid. 3.2).
En l'espèce, le juge précédent a retenu dans la décision attaquée que rien n'entamait en l'état la vraisemblance de la validité de la marque. Les recourantes ne présentent pas de critique spécifique sur ce point et ne démontrent en particulier pas quels éléments ressortant du dossier impliquaient d'admettre la vraisemblance de l'invalidité de la marque.
Les recourantes insistent sur le fait que dans des procédures opposant les intimées à d'autres vendeurs de capsules à café, le juge des mesures provisionnelles n'a pas interdit la commercialisation. Il s'agit là pour partie de faits nouveaux irrecevables. Quoi qu'il en soit, le juge des mesures provisionnelles statue à l'aune de la simple
BGE 139 III 86 S. 92
vraisemblance et la cour de céans n'examine sa décision que sous l'angle restreint de l'arbitraire; le fait que des décisions divergentes aient pu être rendues dans des procédures similaires impliquant d'autres parties, au surplus pour des motifs inconnus, n'impliquerait pas que le grief d'arbitraire soit fondé. Quant au grief soulevé à propos du risque de confusion généré par la vente de capsules concurrentes, les recourantes se placent exclusivement sur le terrain de l'inégalité de traitement, sans soutenir ni démontrer - à supposer qu'elles puissent encore le faire à ce stade - que l'admission d'un tel risque relèverait d'une application arbitraire de la LPM.
5.
Les recourantes se plaignent encore d'arbitraire dans l'application de l'
art. 261 al. 1 let. b CPC
. Elles reprochent au juge précédent d'avoir procédé à une appréciation arbitraire des intérêts en présence, en considérant à tort, et en porte-à-faux avec l'arrêt du 26 juin 2012, que la commercialisation des capsules entraînerait un préjudice irréparable pour les intimées, et supérieur au préjudice que les recourantes subiraient en cas d'interdiction de la commercialisation.
Les recourantes partent d'une fausse prémisse: il n'y a pas à opposer les préjudices auxquels les parties sont exposées pour décider s'il y a lieu d'interdire ou non la commercialisation d'un produit par voie de mesures provisionnelles. Encore une fois, ces mesures sont prononcées si la partie requérante rend vraisemblable qu'une prétention dont elle est titulaire est l'objet d'une atteinte ou risque de l'être (
art. 261 al. 1 let. a CPC
;
art. 59 let
. d LPM), et que cette atteinte risque de lui causer un préjudice difficilement réparable (
art. 261 al. 1 let. b CPC
). Il suffit que la partie requérante risque un préjudice difficilement réparable - élément dont les recourantes ne contestent pas en soi la réalisation; il n'est pas nécessaire que ce préjudice soit plus important ou plus vraisemblable que celui qu'encourrait la partie adverse au cas où les mesures requises seraient ordonnées. Au besoin, des sûretés peuvent être ordonnées pour protéger la partie adverse, ce qui a précisément été fait. Pour le surplus, les recourantes ne prétendent pas qu'une mesure moins incisive aurait pu et dû être prononcée. Elles ne critiquent pas le montant des sûretés requises. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
abedecf1-1f52-4c41-988f-208f3f32b8ad | Urteilskopf
122 III 66
14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1995 i.S. S. gegen O. AG (Berufung) | Regeste
Agenturvertrag mit Alleinvertretungsrecht (
Art. 418a ff. OR
).
Anspruch auf Provision bei unmöglicher Vermittlungstätigkeit (E. 3a-c).
Die Kundschaftsentschädigung (
Art. 418u OR
) ist Ausgleich für den Geschäftswert (E. 3d). | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 122 III 66 S. 67
Die O. AG (nachfolgend Klägerin), die Vertretungen und Agenturen auf dem Gebiet von Textilien übernimmt, und die Baumwollgarne produzierende S. (nachfolgend Beklagte) schlossen am 18. Februar 1988 einen sogenannten "Vertretungs-Vertrag". In diesem Vertrag wurde der Klägerin die Alleinvertretung der Produkte der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Belgien und den Niederlanden übertragen; spätestens ab dem 1. Januar 1990 wurde die Alleinvertretung auch für Grossbritannien unwiderruflich zugesichert. Als Kommission wurden 3% aller direkten und indirekten Verkäufe in den genannten Gebieten vereinbart. Der Beginn des auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vertrags wurde auf den 1. März 1988 festgelegt, wobei der Vertrag unter Einhaltung einer Frist von zwölf Monaten kündbar war. Für den Fall der Kündigung stand der Klägerin eine Entschädigung zu, deren Höhe einem Fünftel der in den letzten fünf Jahren bezahlten und zu bezahlenden Provisionen oder - falls der Vertrag noch keine fünf Jahre dauern würde - dem Gesamtwert der bezahlten und zu bezahlenden Provisionen dividiert durch die Jahre der Vertragsdauer entsprechen sollte.
Mit Schreiben vom 28. September 1990 kündigte die Beklagte den "Vertretungs-Vertrag" auf den 30. September 1991.
Die Klägerin gelangte an das Bezirksgericht Frauenfeld und verlangte, die Beklagte habe die Abrechnungen über die direkten und indirekten Verkäufe in der massgebenden Zeit vorzulegen sowie Einsicht in die entsprechenden Bücher und Belege zu geben; im weiteren beantragte sie die Zahlung von 3% des Verkaufswerts der erfolgten Bestellungen, soweit sie den Betrag von Fr. 1'087'125.-- übersteigen, und eine Entschädigung für die Vertragskündigung, die wie folgt zu berechnen sei:
"- zwölfdreiundvierzigstel von drei Prozent des Vertragswerts aller Bestellungen zwischen dem 1. März 1988 und dem 30. September 1991 von
BGE 122 III 66 S. 68
Kunden aus der Bundesrepublik Deutschland, aus Frankreich, Belgien und der Niederlande bei der Beklagten, sowie - zwölfeinundzwanzigstel von drei Prozent des Vertragswerts aller Bestellungen zwischen dem 1. Januar 1990 und dem 30. September 1991 von Kunden aus Grossbritannien bei der Beklagten soweit diese Summe den Betrag von Fr. 303'384.-- übersteigt."
Mit Urteil vom 14. August/8. Dezember 1993 schützte das Bezirksgericht Frauenfeld die Klage zur Hauptsache und stellte fest, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin Fr. 601'404.30 nebst 9,25% Zins seit dem 1. Oktober 1991 und Fr. 271'160.90 nebst 9,25% Zins seit dem 1. Oktober 1991 zu zahlen. Die Begehren um Rechnungslegung und Einsicht in die Bücher wurden als gegenstandslos abgeschrieben. Im anschliessenden Berufungsverfahren bestätigte das Obergericht des Kantons Thurgau am 6. Oktober 1994 die vom Bezirksgericht zugesprochenen Beträge, setzte indes die Zinsen anders fest.
Die Beklagte reicht gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 6. Oktober 1994 eidgenössische Berufung ein und verlangt im wesentlichen Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage; allenfalls sei die Klage in einem geringeren Umfang gutzuheissen. Im Eventualantrag stellt sie den Antrag auf Rückweisung der Streitsache zur weiteren Abklärung und neuen Entscheidung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die Streitsache an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Beklagte stellt zu Recht nicht in Frage, dass die Vorinstanz den "Vertretungs-Vertrag" vom 18. Februar 1988 als Agenturvertrag mit Alleinvertretungsrecht im Sinn von Art. 418a bis 418v OR qualifiziert hat (HOFSTETTER, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/2, S. 139). Aus der Tatsache, dass die Klägerin in Grossbritannien nie Geschäfte vermittelt hat, leitet die Beklagte ab, die vertraglich vereinbarte Kommission auf den Geschäftsabschlüssen in Grossbritannien sei nicht geschuldet. Zur Begründung beruft sie sich auf
Art. 82 und 107 ff. OR
in Verbindung mit
Art. 91 OR
.
a) Der Agent hat im Interesse des Auftraggebers tätig zu werden; im Rahmen eines Dauervertrags verpflichtet er sich zu getreuer und sorgfältiger Tätigkeit für den Auftraggeber (
Art. 418a, 418c OR
; WETTENSCHWILER, in:
BGE 122 III 66 S. 69
Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I,
Art. 1-529 OR
, N. 1 zu Art. 418c; GAUTSCHI, Berner Kommentar, N. 2a zu
Art. 418c OR
). Die vereinbarte Tätigkeit des Agenten bildet insoweit das Synallagma (WEBER, Berner Kommentar, N. 61 zu
Art. 82 OR
) zur Provision gemäss
Art. 418g OR
, die bei der Alleinvertretung bzw. Gebietszuweisung auf allen Geschäften des Auftraggebers im übertragenen Gebiet zu entrichten ist (
Art. 418g Abs. 2 OR
;
BGE 76 II 45
E. 3 S. 50).
Bei einem zweiseitigen Vertrag muss nach
Art. 82 OR
derjenige, der den anderen zur Erfüllung anhalten will, entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, wenn er nicht nach dem Inhalt oder der Natur des Vertrags erst später zu erfüllen hat. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrags setzt voraus, dass diejenige Partei, welche Erfüllung verlangt, (noch) zur Erbringung der eigenen Leistung verpflichtet ist (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl., 1974, S. 61; WEBER, a.a.O., N. 127 ff. zu
Art. 82 OR
; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N. 92 ff. zu
Art. 82 OR
). Namentlich wenn die Leistung der Klagpartei unmöglich geworden ist, wie dies für Arbeitsleistungen zutreffen kann, die - wie im vorliegenden Fall - während einer bestimmten Zeit zu erbringen sind, ist die Berufung auf die erfüllungshindernde Einrede des
Art. 82 OR
ausgeschlossen (VON TUHR/ESCHER, a.a.O.). Mit dem dilatorischen Charakter der Einrede wäre nicht vereinbar, sie im Schadenersatzprozess wegen Nichterfüllung in dem Sinn zuzulassen, der Kläger habe seinerseits nicht richtig angeboten (so aber BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1988, S. 310; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, 5. Aufl., 1991, N. 2237). Vielmehr ist bei unmöglich gewordenen Gegenleistungen allenfalls die Einwendung zulässig, die eingeklagte Forderung sei nach
Art. 119 Abs. 2 OR
untergegangen (SCHRANER, a.a.O., N. 93 zu
Art. 82 OR
; ROBERT SIMMEN, Die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (OR 82), Diss. Bern 1981, S. 51). Dass die Voraussetzungen von
Art. 119 Abs. 2 OR
erfüllt seien, hat die Beklagte nicht behauptet. Sie hat sich vielmehr im kantonalen Verfahren auf den Standpunkt gestellt, die vertragliche Vereinbarung sei gar nicht in Kraft getreten bzw. es sei seitens der Klägerin auf Grossbritannien verzichtet, der Vertrag sei also in diesem Sinn in gegenseitigem Einvernehmen geändert worden. Die Vorinstanz hat
Art. 82 OR
nicht verletzt, wenn sie diese Norm im vorliegenden Fall nicht angewendet hat.
b) Ob die Gegenleistung im synallagmatischen Vertrag geschuldet bleibt, wenn die Leistung unmöglich geworden ist, beurteilt sich danach, wer die
BGE 122 III 66 S. 70
Unmöglichkeit zu vertreten hat (VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 134; ROBERT SIMMEN, a.a.O., S. 53; vgl. auch WIEGAND, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I,
Art. 1-529 OR
, N. 3 zu Art. 119). Hat der Gläubiger die Unmöglichkeit zu vertreten, so wird der Schuldner so gestellt, wie wenn er bereits erfüllt hätte (WIEGAND, a.a.O., N. 14 zu
Art. 119 OR
; AEPLI, Zürcher Kommentar, N. 149 ff. zu
Art. 119 OR
), während bei beidseitiger Verantwortung für die Leistungsstörung entweder der Schadenersatzanspruch des Gläubigers, der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung oder beide gekürzt werden (
BGE 114 II 274
E. 4 S. 277).
aa) Für eine erfolgreiche Tätigkeit im Interesse des Auftraggebers, dem insofern das eigene Interesse des provisionsberechtigten Agenten an einem möglichst grossen Umsatz entspricht, ist der Agent auf die Unterstützung durch den Auftraggeber angewiesen. Dem trägt
Art. 418f OR
Rechnung, indem der Auftraggeber verpflichtet wird, alles zu tun, um dem Agenten die Ausübung einer erfolgreichen Tätigkeit zu ermöglichen. Er hat ihm insbesondere die nötigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (
Art. 418f Abs. 1 OR
), und er hat mangels gegenteiliger schriftlicher Vereinbarung zu unterlassen, einen anderen Agenten zu beauftragen, wenn dem Agenten ein bestimmtes Gebiet zugewiesen ist (
Art. 418f Abs. 3 OR
; vgl. HOFSTETTER, a.a.O., S. 142; WETTENSCHWILER, a.a.O., N. 1 zu
Art. 418f OR
).
Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Klägerin nicht näher umschriebene Vorbereitungen für die Übernahme der Agentur in Grossbritannien getroffen. Soweit die Beklagte die auf Zeugenaussagen gestützte Feststellung der Vorinstanz, die Klägerin habe Aktivitäten zur Übernahme der Vertretung in Grossbritannien unternommen, unter Berufung auf
Art. 8 ZGB
beanstandet, wendet sie sich in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung und ist damit nicht zu hören. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil konnte die Klägerin die Tätigkeit in Grossbritannien nicht aufnehmen, weil ihr seitens der Beklagten keine Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden und die Beklagte vor allem den Vertrag mit ihrer bisherigen Vertreterin in Grossbritannien nicht kündigte.
bb) Mit der Weiterführung des Vertrags mit ihrer bisherigen Agentin als Vertreterin in Grossbritannien hat die Beklagte ihre Vertragspflichten gegenüber der Klägerin, die ab dem 1. Januar 1990 einen vertraglichen Anspruch auf Alleinvertretung in diesem Gebiet hatte (
Art. 418f Abs. 3 OR
), klar verletzt. Wie in anderem Zusammenhang aus dem vorinstanzlichen Urteil
BGE 122 III 66 S. 71
hervorgeht, weigerte sich die Beklagte bewusst, das Gebiet Grossbritannien gemäss der getroffenen Vereinbarung auf den 1. Januar 1990 an die Klägerin zu übergeben, und ihre Verantwortlichen wollen überdies bis im Sommer 1990 überzeugt gewesen sein, die Klägerin habe auf die Alleinvertretung in Grossbritannien verzichtet. Unter diesen Umständen spricht einiges dafür, dass der Klägerin nicht zumutbar war, über das von der Vorinstanz festgestellte Mass an Vorbereitungen hinaus für die Beklagte in Grossbritannien tätig zu werden. Ob die Beklagte die Klägerin jedoch im Sinn von
Art. 97 OR
schuldhaft daran gehindert hat, in Grossbritannien tätig zu werden, lässt sich aufgrund der Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht abschliessend entscheiden. Insbesondere fehlen jegliche Angaben darüber, welche Folgen eine allfällige Aufnahme der damals faktisch nicht unmöglichen Tätigkeit durch die Klägerin in Grossbritannien für beide Parteien gehabt hätte. Es ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen, ob unter Umständen auch der Beklagten selbst Nachteile entstanden wären, wenn die Klägerin neben der bisherigen Agentin begonnen hätte, in Grossbritannien für die Beklagte Geschäfte zu vermitteln. Ebenfalls fehlen im angefochtenen Urteil verbindliche Feststellungen darüber, ob und gegebenenfalls welche Unterlagen der Klägerin für die Aufnahme der Tätigkeit in Grossbritannien noch zur Verfügung hätten gestellt werden müssen. Die Feststellung, wonach die Beklagte nicht behauptet hätte, sie habe entsprechende Unterlagen übergeben, genügt jedenfalls für eine entsprechende Verletzung von
Art. 418f Abs. 1 OR
nicht, wie die Beklagte zu Recht rügt. Die Sache ist aus diesen Gründen zur Ergänzung des entscheidwesentlichen Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen (
Art. 64 OG
).
c) Sollte sich weisen, dass die Vermittlungstätigkeit der Klägerin in Grossbritannien ausschliesslich durch schuldhaftes Verhalten der Beklagten im Sinn von
Art. 97 OR
unmöglich geworden ist, so hat die Beklagte der Klägerin Schadenersatz entsprechend ihrem Erfüllungsinteresse zu leisten. Die vertragliche Leistungspflicht der Beklagten besteht unabhängig davon, ob die Klägerin die Beklagte in Verzug setzte; eine Erklärung nach
Art. 107 Abs. 2 OR
ist nicht erforderlich. Eine Mahnung im Sinn von
Art. 107 Abs. 1 OR
, sollte sie angesichts des Verhaltens der Beklagten erforderlich gewesen sein (
Art. 108 OR
), wäre bloss für die Verzugsfolgen, nicht für die vertragliche Leistungspflicht vorauszusetzen. Auch ist nicht einzusehen, weshalb die Klägerin zur Kündigung oder gar zum Rücktritt vom Vertrag hätte
BGE 122 III 66 S. 72
verpflichtet sein können, wenn die Beklagte ihre Leistung nicht annahm bzw. verunmöglichte. Zur Erhaltung der vertraglichen Gegenleistung, die ihr die Beklagte zu erbringen hatte, genügte das gehörige Angebot der Klägerin, ihre eigene Leistung zu erbringen. Solange die Beklagte über die Erfüllungsbereitschaft der Klägerin nicht im Zweifel sein und aus deren Verhalten keinen Verzicht auf Vertragserfüllung in guten Treuen ableiten konnte, blieb auch die Beklagte zur Erbringung ihrer Vertragsleistung verpflichtet.
d) Sollte die Vorinstanz zum Schluss kommen, dass die Unmöglichkeit der Leistung der Klägerin von der Beklagten verschuldet ist, wird sie vollen Schadenersatz in Höhe des entgangenen Gewinns zusprechen, der sich nach der vereinbarten Provision, abzüglich allenfalls ersparter Aufwendungen der Klägerin, errechnet HOFSTETTER, a.a.O., S. 143; WETTENSCHWILER, a.a.O., N. 1 zu
Art. 418m OR
). Zudem wird die Vorinstanz zu prüfen haben, ob nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Ausübung der Vermittlungstätigkeit der Klägerin in Grossbritannien - wie in den anderen Gebieten - einen Mehrwert für die Beklagte geschaffen und damit einen Anspruch auf eine Abgangsentschädigung gegeben hätte. Die Kundschaftsentschädigung nach
Art. 418u OR
ist nach ständiger Rechtsprechung nicht ein nachträgliches Entgelt für Leistungen des Agenten während der Vertragsdauer, sondern ein Ausgleich für den Geschäftswert, den der Auftraggeber nach Beendigung des Vertrags weiter nutzen kann (
BGE 103 II 277
E. 2 S. 280). Es geht nicht darum, dem Agenten einen Schaden zu vergüten, den er erlitten hätte, sondern um eine Gegenleistung für den Mehrwert, den der Auftraggeber auch nach Vertragsbeendigung aus der Tätigkeit des Agenten erhält (
BGE 110 II 280
E. 3b). Einen derartigen Mehrwert hätte die Klägerin im vorliegenden Fall für das Gebiet Grossbritannien allenfalls schaffen können, wenn sie die Agententätigkeit hätte ausüben können. Dass der "Vertretungs-Vertrag" in Kapitel 7 das Anrecht der Klägerin auf eine Entschädigung im Fall der Kündigung unabhängig von den gesetzlichen Voraussetzungen statuieren würde, wie die Vorinstanz annimmt, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil Kapitel 7 Absatz 2 des Vertrags den Gesetzeswortlaut von
Art. 418u OR
über die Berechnung dieser Entschädigung nahezu wörtlich übernimmt. Dass die Parteien von der Rechtsnatur der Kundschaftsentschädigung überhaupt hätten absehen wollen, ist ohne besondere Umstände daher auszuschliessen. Bejaht die Vorinstanz den Anspruch auf Abgangsentschädigung, so wird sie im Rahmen
BGE 122 III 66 S. 73
der Schadensschätzung auch diesen entgangenen Gewinn festzusetzen und zum Ersatz zu stellen haben. Wie die Beklagte zu Recht geltend macht, ist - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil - der Teilungsfaktor für die Abgangsentschädigung gemäss der gesamten Vertragsdauer und nicht gesondert nach den einzelnen Gebieten zu ermitteln; es handelt sich hierbei um eine einheitliche Entschädigung, die keinen Provisions-, sondern Ausgleichscharakter für einen gesamten Mehrwert hat. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
abf0d9d8-fd42-47f0-a94b-1733a8c2af10 | Urteilskopf
85 III 65
15. Entscheid vom 15. Mai 1959 i.S. Kern. | Regeste
Unpfändbarkeit von Berufswerkzeugen (
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
).
Die Ehefrau des Schuldners ist nicht legitimiert, die Unpfändbarkeit eines vom Schuldner verwendeten, von ihr selber nicht benötigten Berufswerkzeugs (Automobils) im eigenen Namen geltend zu machen. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 85 III 65 S. 65
Beim Vollzug der Pfändung in der von Kloter angehobenen Betreibung überliess das Betreibungsamt Unterehrendingen dem als Bahnhofarbeiter bei den Schweiz. Bundesbahnen in Zürich tätigen Schuldner Jakob Kern ein Personenautomobil VW als Kompetenzstück, weil er erklärte, infolge "abnormaler" Arbeitszeit sei er nicht in der Lage, Bahn und Postauto zu benützen; da er Nierenblutungen gehabt habe, dürfe er laut Arztzeugnis nicht mehr mit dem Motorrad zur Arbeit fahren. Auf Beschwerde des Gläubigers hin wies die untere Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt an, das Auto zu pfänden, weil dessen Verwendung für den Schuldner gänzlich unwirtschaftlich sei, weshalb es nicht als notwendiges Berufswerkzeug gelten könne.
Gegen diesen Entscheid rekurrierte die Ehefrau des Schuldners an die kantonale Aufsichtsbehörde. Diese ist auf den Rekurs eingetreten, hat ihn aber mit Entscheid
BGE 85 III 65 S. 66
vom 17. April 1959 abgewiesen. Zur Eintretensfrage wird in Erwägung 3 a dieses Entscheides ausgeführt:
"Frau Kern hat ihrer Beschwerde keine Vollmacht beigelegt. Auf die Beschwerde ist trotzdem einzutreten, da nach ständiger Praxis das Beschwerderecht den Familienangehörigen des Schuldners insoweit zuerkannt wird, als sie die Unpfändbarkeit von Gegenständen verlangen, die nicht nur für den Schuldner, sondern auch für sie unentbehrlich sind (
BGE 82 III 54
)."
Den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde hat die Ehefrau des Schuldners an das Bundesgericht weitergezogen. Dieses weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Begründung:
1.
(Ausführungen darüber, dass die Ehefrau des Schuldners den Entscheid der untern Aufsichtsbehörde nicht als Vertreterin des Schuldners, sondern in ihrem eigenen Namen weitergezogen hat.)
2.
In dem von der Vorinstanz angeführten Entscheide
BGE 82 III 54
hat das Bundesgericht entschieden, der Ehefrau des Schuldners stehe hinsichtlich der Lohnpfändung ein eigenes Beschwerde- und Weiterziehungsrecht zu. Es verwies dabei auf die ständige Praxis, wonach ein solches Recht der Familienangehörigen gegenüber der Pfändung von Gegenständen anerkannt ist, die sie gemäss
Art. 92 Ziff. 1-5 SchKG
als nicht nur dem Schuldner, sondern auch ihnen persönlich unentbehrlich beanspruchen (
BGE 56 III 130
Erw. 2,
BGE 62 III 137
,
BGE 80 III 22
).
Nach diesen Präjudizien, die sich darauf stützen, dass das SchKG in Art. 92 Ziff. 1-5 und
Art. 93 SchKG
nicht nur die Bedürfnisse des Schuldners, sondern auch diejenigen "seiner Familie" berücksichtigt, war die Rekurrentin nicht befugt, den Entscheid der untern Aufsichtsbehörde weiterzuziehen, der das Automobil ihres Mannes als pfändbar erklärte. Sie machte nicht geltend, dieser Wagen stelle für sie selber ein unentbehrrliches Berufswerkzeug dar, sondern behauptete nur, der Schuldner sei auf ihn angewiesen, um sich an seinen Arbeitsplatz begeben und von dort heimkehren zu können. Dies geltend zu
BGE 85 III 65 S. 67
machen, stand nur dem Schuldner selber zu. In welcher Weise er seinen Beruf ausüben will, insbesondere wie er seinen Arbeitsplatz erreichen und ob er diesen nötigenfalls gegen einen andern austauschen will oder nicht, ist seine höchstpersönliche Angelegenheit, in die ihm niemand dreinzureden hat, auch nicht seine Ehefrau. Ihm allein stünde es zu, sich darauf zu berufen, dass er (wie von der Rekurrentin behauptet) auf einer kleinen Station keine Aufstiegsmöglichkeit habe und sich deshalb nicht versetzen lassen wolle, oder dass ihm nicht zugemutet werden dürfe, am Arbeitsort zu übernachten. Was seine Frau von diesen Eventualitäten denkt, spielt für die Frage der Pfändbarkeit des streitigen Autos keine Rolle.
Die Vorinstanz hätte also auf die Weiterziehung der Rekurrentin nicht eintreten sollen, so dass der vorliegende Rekurs an das Bundesgericht abzuweisen ist, ohne dass zu prüfen wäre, ob der angefochtene Entscheid sich aufrechterhalten liesse, wenn der Schuldner selber sich der Anordnung der Pfändung seines Autos widersetzt hätte. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
abf16270-d291-44b3-9466-94cabf9f6c9f | Urteilskopf
138 II 13
3. Estratto della sentenza della I Corte di diritto pubblico nella causa I. contro Consiglio di Stato del Cantone Ticino (ricorso in materia di diritto pubblico)
1C_521/2011 del 23 novembre 2011 | Regeste
Art. 20,
Art. 43 Abs. 3,
Art. 77 Abs. 1 lit. c,
Art. 84 Abs. 2 BPR
und
Art. 11 VPR
;
Art. 34 BV
; Aufhebung einer elektronischen Losziehung im Falle einer Stimmengleichheit von zwei Kandidaten auf derselben Liste anlässlich der Wahl des Nationalrats.
Das automatisierte Programm für die Auszählung der Stimmen und die Veröffentlichung der Resultate der Tessiner Wahlen läuft in halbautomatischer Weise ab und nimmt in einem Zuge die Zuordnung der Sitze zu den Kandidaten und eine allfällige Losziehung vor (E. 3). Die Losziehung zwischen zwei Kandidaten, die auf derselben Liste dieselbe Stimmenzahl erreicht haben, wird vom Bundesgericht aufgehoben, weil dieses technische Verfahren vom Bundesrat höchstwahrscheinlich nicht genehmigt worden ist (
Art. 84 Abs. 2 BPR
; E. 4), ohne die in
Art. 20 BPR
vorgeschriebene vorgängige Zustimmung des Staatsrats erfolgt ist (E. 5) und nicht dargelegt ist, dass das verwendete elektronische System, anders als eine manuelle Losziehung, beiden Kandidaten effektiv dieselbe Wahrscheinlichkeit (50 %-50 %) garantiert (E. 6).
Es wird die Durchführung einer neuen, manuell durchgeführten Losziehung in öffentlicher Sitzung angeordnet (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 138 II 13 S. 14
A.
Il 23 ottobre 2011 hanno avuto luogo le elezioni per il rinnovo del Consiglio nazionale per la legislatura 2011-2015. Nel Cantone Ticino l'elezione avviene con il sistema proporzionale a circondario unico. I candidati Monica Duca Widmer e Marco Romano della lista n. 7 (...) hanno ottenuto il medesimo numero di voti, ossia 23'979: uno solo dei due candidati poteva nondimeno essere eletto.
Con comunicato stampa del 23 ottobre 2011 la Cancelleria dello Stato ha rilevato che il Governo cantonale doveva quindi procedere a un sorteggio. In un bollettino stampa del 25 ottobre successivo, il Consiglio di Stato, richiamate le norme vigenti in materia (art. 43 cpv. 3 e art. 20 della legge federale sui diritti politici del 17 dicembre 1976 [LDP; RS 161.1] e art. 11 della relativa ordinanza del 24 maggio 1978 [ODP; RS 161.11]) e la giurisprudenza del Tribunale federale (
DTF 136 II 132
), ritenendola non applicabile in materia di elezioni, ha informato di non procedere a un riconteggio dei voti e, rinunciando all'opzione del sorteggio manuale e convalidata la procedura di sorteggio automatico avvenuta il 23 ottobre 2011, ha rilevato che l'esito dello stesso è stato favorevole alla candidata Monica Duca Widmer.
B.
Il 27 ottobre 2011 il Governo cantonale ha pubblicato il verbale di accertamento dei risultati della votazione nel Foglio ufficiale del giorno seguente. Contro la citata comunicazione e la criticata elezione l'avvocato I. è insorto con un ricorso del 28 ottobre 2011 al
BGE 138 II 13 S. 15
Consiglio di Stato. Con decisione del 7 novembre 2011 il Governo ha respinto il ricorso.
C.
Avverso questa decisione il 14 novembre 2011 I. presenta un ricorso in materia di diritto pubblico al Tribunale federale. Chiede, in via principale, di annullarla unitamente alla proclamazione della candidata Monica Duca Widmer, di ordinare l'esecuzione di un nuovo sorteggio con estrazione manuale da parte del presidente del Consiglio di Stato alla presenza dell'intero Governo e dei presidenti del Gran Consiglio e del Tribunale d'appello, nonché, facoltativamente, dei due candidati in discussione; in via subordinata, di ordinare l'esecuzione di un nuovo sorteggio. (...)
D.
La Cancelleria federale non si è espressa su questo ricorso, pronunciandosi soltanto sulle parallele cause (1C_518/2011 e
DTF 138 II 5
): in quell'ambito ha ricordato che, anche nel quadro della nuova legge sui diritti politici del 1976, il legislatore federale ha deciso di mantenere il sorteggio, mentre non si esprime sulle modalità di quello litigioso e non formula proposte di giudizio. (...) Il Governo cantonale propone di respingere il ricorso in quanto ammissibile.
Nella replica del 21 novembre 2011 il ricorrente si riconferma nelle sue tesi e conclusioni, insistendo sulla pseudo-casualità dell'algoritmo di sorteggio.
(estratto)
Erwägungen
Dai considerandi:
3.
3.1
Nel merito, il ricorrente fa valere la nullità rispettivamente l'annullabilità del criticato sorteggio elettronico, effettuato da un'autorità manifestamente incompetente e in assenza di una base legale, nonché della decisione governativa che l'ha convalidato a posteriori. Egli critica diffusamente l'asserita inadeguatezza delle modalità del sorteggio, poiché il mezzo tecnico utilizzato non sarebbe stato approvato e la casualità non riproducibile da un sistema informatico, per cui né sarebbe garantita la verifica del risultato né la parità di trattamento dei due candidati.
3.2
Su questi temi, il Consiglio di Stato nella decisione impugnata si limita in sostanza a riprendere, praticamente testualmente, le osservazioni tecniche-informatiche del 7 novembre 2011 del Centro Sistemi Informativi (in seguito: CSI), che possono così essere riassunte.
BGE 138 II 13 S. 16
3.2.1
Le operazioni di spoglio si svolgono in una procedura semiautomatica suddivisa in due fasi: una prima manuale, con l'immissione da parte dei comuni dei dati contenuti nelle schede e una seconda, attraverso l'applicativo informatico Votel per l'elaborazione, il conteggio e la comunicazione dei risultati. L'applicativo avrebbe quale base legale gli
art. 84 LDP
e 38 cpv. 3 della legge ticinese del 7 ottobre 1998 sull'esercizio dei diritti politici (LEDP; RL 1.3.1.1), che per l'elezione del Consiglio nazionale prevede che lo spoglio può avvenire sulla base di un programma informatico stabilito dal Consiglio di Stato, omologato dalla Cancelleria federale. Detto applicativo è il risultato di un'estensione e di un adattamento di quello già utilizzato per le elezioni cantonali 2007 e 2011 e comunali 2008. Esso è stato adottato dal Consiglio di Stato per le elezioni federali 2011 con decisione del 9 febbraio 2010, con la quale ha approvato il relativo studio di fattibilità. Dopo essere stato testato dal CSI, l'applicativo sarebbe stato certificato e abilitato dalla Cancelleria federale con comunicazione del 17 giugno 2011.
L'elaborazione dei dati avviene in varie fasi. Dopo le fasi del "Consolidamento ufficio elettorale" e del "Consolidamento comune", che non occorre qui ulteriormente descrivere, e dopo il calcolo e la pubblicazione dei risultati dell'ultimo comune, viene eseguita l'elaborazione finale mediante attivazione manuale del programma denominato "Ripartizione e assegnazione"; questa comprende il calcolo del quoziente elettorale, la ripartizione dei seggi alle liste, l'assegnazione dei seggi ai candidati con il miglior risultato all'interno delle singole liste (operazione che include anche eventuali sorteggi automatici) e i risultati totali a livello "cantone".
Queste attività sono gestite in modo semiautomatico. I programmi sono concepiti per essere eseguiti in maniera ininterrotta. In particolare, l'operazione finale dell'assegnazione dei seggi (con eventuale sorteggio) non può essere manipolata o interrotta durante la sua esecuzione, poiché si tratta di un'unica transazione.
Per quanto attiene all'algoritmo di sorteggio, il Governo ha rilevato che in seguito alla sentenza 1P.507/2004 del 21 giugno 2005, il CSI ha provveduto, nell'ambito della realizzazione del nuovo applicativo Votel, alle necessarie verifiche per la messa a punto di un nuovo programma di sorteggio, che rispettasse i criteri di casualità. Queste verifiche, limitatamente alle votazioni comunali e cantonali, sono state approvate dal Governo cantonale con decisione del 22 febbraio
BGE 138 II 13 S. 17
2006. La casualità del sorteggio sarebbe garantita dall'uso di una specifica funzione di programma, conforme agli standard richiesti per le generazioni di chiavi crittografiche sicure.
3.2.2
Sempre nella decisione impugnata, il Consiglio di Stato ammette che al termine delle operazioni di spoglio, il 23 ottobre 2011, confermata la situazione di parità tra due candidati, la Direzione delle operazioni ha effettivamente ravvisato la mancanza di una decisione formale governativa per l'utilizzo nell'ambito di elezioni federali dell'algoritmo di sorteggio. Si è quindi proceduto all'elaborazione finale dei dati, comprensiva del sorteggio: tecnicamente non era infatti possibile attuare una soluzione diversa, poiché la produzione dei risultati relativi alla ripartizione e all'assegnazione dei seggi poteva essere effettuata soltanto eseguendo l'intero programma "ripartizione e assegnazione", comprensivo del sorteggio. Una disattivazione della procedura di sorteggio non era fattibile, poiché le relative modifiche del programma avrebbero comportato un impegno stimabile in due/quattro giorni.
Il Governo cantonale ha precisato che la citata Direzione, nelle proprie osservazioni, ha indicato di avere in precedenza "deciso di ignorare il 'programmato' sorteggio" e di avergli trasmesso gli atti per le decisioni di sua competenza, provvedendo a comunicare nella tarda serata di domenica 23 ottobre 2011 unicamente i risultati provvisori definitivi, senza il sorteggio. Esso ha preso atto di questa situazione nella seduta di martedì 25 ottobre 2011 e, dopo aver ritenuto non applicabile nel quadro di elezioni la giurisprudenza del Tribunale federale in materia di votazioni (
DTF 136 II 132
) e constatata l'assenza di indizi di irregolarità o errori di accertamento, ha deciso di applicare per analogia la procedura di sorteggio contenuta nell'applicativo Votel anche alle elezioni federali.
4.
4.1
Secondo l'
art. 84 LDP
, il Consiglio federale può autorizzare i governi cantonali a emanare disposizioni deroganti a detta legge per accertare con mezzi tecnici i risultati delle elezioni e votazioni (cpv. 1). La loro utilizzazione per le elezioni e le votazioni dev'essere approvata dal Consiglio federale (cpv. 2; cfr. il messaggio del 9 aprile 1975 per una legge federale sui diritti politici, FF 1975 I 1313 segg., 1354 e 1378 sull'
art. 82 del
disegno di legge).
4.2
Nella decisione impugnata il Governo cantonale rileva che l'applicativo sarebbe stato certificato e abilitato dalla Cancelleria
BGE 138 II 13 S. 18
federale come conforme alle disposizioni federali in materia. Ora, l'ausilio di mezzi tecnici di cui all'
art. 84 LDP
parrebbe riferirsi in primo luogo, non tanto alle modalità del sorteggio, ma all'utilizzazione al posto delle classiche schede elettorali di quelle di rilevamento leggibili elettronicamente e quindi con relativa razionalizzazione, controllo e accelerazione della determinazione dei risultati (messaggio del Consiglio federale del 1° settembre 1993 a sostegno di una modificazione parziale della legge federale sui diritti politici, FF 1993 III 309 segg., 361 n. 27 e 335 n. 21). Nelle osservazioni della Direzione di spoglio si indica soltanto che il programma è stato certificato e abilitato dalla Cancelleria federale, senza precisare se la certificazione si riferisca anche alle modalità del sorteggio. Nelle sue osservazioni, la Cancelleria federale non si è pronunciata del tutto sull'utilizzazione e sull'asserita mancata approvazione del contestato algoritmo di sorteggio.
5.
5.1
Circa le litigiose modalità del sorteggio, il ricorrente ricorda che, con comunicato stampa del 23 ottobre 2011, la Cancelleria dello Stato rilevava che, avendo i due candidati conseguito l'identico numero di suffragi, il Governo cantonale "procederà nei prossimi giorni" alla proclamazione dei risultati, poiché deve effettuare il sorteggio giusta gli
art. 20 e 43 cpv. 3 LDP
. Nel bollettino stampa del 25 ottobre seguente, il Governo ha ritenuto che in assenza di indizi di irregolarità o errori nelle operazioni di spoglio, non vi erano i presupposti per ordinare un riconteggio. Preso atto dell'avvenuto sorteggio automatico, sospeso dalla Direzione dei lavori di spoglio domenica sera poiché non disponeva dell'autorizzazione preventiva per procedervi, il Governo ha convalidato il sorteggio, rinunciando all'opzione manuale. Il ricorrente aggiunge di aver dapprima appreso dai mass media che il sorteggio sarebbe avvenuto il martedì 25 ottobre 2011 e solo in seguito che in realtà era invece stato effettuato già domenica sera. Egli considera illegale questo modo di procedere.
5.2
La censura è fondata. In effetti, l'
art. 43 cpv. 1 e 3 LDP
dispone che nell'ambito della proclamazione degli eletti fra i candidati di una stessa lista in caso di parità di voti decide la sorte, soluzione del resto prevista anche dal diritto cantonale (art. 110 LEDP). Al riguardo, l'
art. 20 LDP
, pure richiamato dal ricorrente, precisa che gli eventuali sorteggi avvengono nel Cantone per ordine del governo cantonale, ricordato che un sorteggio può avere luogo soltanto dopo aver accertato l'assenza di sospetti circa l'esattezza del risultato
BGE 138 II 13 S. 19
di un comune, poiché nel caso contrario l'
art. 11 ODP
impone che l'ufficio elettorale del Cantone proceda direttamente a un nuovo conteggio o ne incarichi l'ufficio elettorale del comune.
5.2.1
In concreto è pacifico che il sorteggio è avvenuto la sera del 23 ottobre 2011, quindi prima del necessario accertamento dell'assenza di sospetti riguardo all'esattezza del risultato. Esso nemmeno è stato effettuato dal Governo cantonale, ma dalla Direzione dei lavori di spoglio, che, contrariamente a quanto previsto dall'
art. 20 LDP
, non era stata incaricata di effettuarlo. Del resto, come sottolineato nella decisione impugnata, quest'ultima in effetti aveva ravvisato la mancanza di una decisione governativa per utilizzare l'algoritmo di sorteggio nell'ambito delle elezioni federali, per cui ha deciso di "ignorare il programmato sorteggio". Nel bollettino stampa 25 ottobre 2011, il Consiglio di Stato, rilevato che non aveva ricevuto indicazioni vincolanti da parte della Cancelleria federale interpellata in merito, ha confermato che l'applicativo era stato "sospeso dalla Direzione dei lavori di spoglio domenica sera, non disponendo dell'autorizzazione preventiva per procedere in tal senso", per cui aveva preferito "convalidare detta procedura di sorteggio", rinunciando all'opzione manuale.
5.2.2
È quindi palese che il sorteggio litigioso è stato effettuato, il 23 ottobre 2011, da un'autorità incompetente e non autorizzata, poiché non incaricata dal Governo cantonale. Una non meglio precisata "convalida" a posteriori non è chiaramente sufficiente al riguardo e nemmeno rispetta l'iter procedurale previsto dalla LDP. Il sorteggio era inoltre manifestamente prematuro, poiché effettuato prima delle necessarie verifiche da parte del Governo di eventuali sospetti di irregolarità, compiute solo dopo il 23 ottobre 2011. In siffatte circostanze, i quesiti di sapere se i due candidati siano stati informati già domenica sera dell'esito del sorteggio e se il Governo prima di approvarlo ne fosse a conoscenza, sono ininfluenti.
6.
6.1
Il sorteggio litigioso dev'essere annullato anche per un altro motivo. Nell'accertamento indicato nell'analisi dell'ottobre 2006 del sorteggio nel quadro del progetto Votel, allegata alle citate osservazioni tecniche-informatiche del 7 novembre 2011 del CSI, richiamata dal ricorrente ma non riportata nella decisione impugnata, si precisa che la "casualità, per sua natura e definizione, non è riproducibile. In ambito informatico si parla quindi di pseudo-casualità.
BGE 138 II 13 S. 20
L'obiettivo di un processo di sorteggio dove ci si confronta con la pseudo-casualità è quello di avvicinarsi il più possibile alla casualità reale. La casualità reale non è ipotizzabile nell'ambito dell'informatica, ma gli strumenti a disposizione permettono comunque di eseguire un sorteggio in maniera non pilotabile e non prevedibile, e quindi, per quel che attiene ad un'elezione, casuale."
A titolo esplicativo si giustifica riprendere dallo stesso documento la definizione per cui "è detto casuale un evento che non può essere in nessun modo previsto", mentre è detto pseudo-casuale "un evento che, conosciuto il suo valore iniziale e il suo algoritmo, permette di costruire una sequenza determinata di eventi. In informatica i generatori di numeri sono pseudo-casuali, in quanto, se conosciuti il valore iniziale e l'algoritmo di generazione, è possibile ricostruire la sequenza di numeri generati."
6.2
Ora, decisivo non è il fatto che la legge non imponga un sorteggio manuale e che la criticata procedura di sorteggio non sarebbe né pilotabile né prevedibile e quindi non manipolabile. Determinante è la circostanza, non sostenuta né tanto meno dimostrata dal Governo cantonale, che le descritte modalità di sorteggio possano garantire in maniera effettiva ai due candidati la stessa, identica probabilità di essere estratti (50 %-50 %) e quindi la parità di trattamento (
DTF 136 I 1
consid. 4.1), come nell'ambito di un regolare sorteggio manuale. Per di più, come si è visto, in concreto, le modalità di sorteggio non sono state trasparenti e non garantivano agli elettori il riconoscimento di un risultato elettorale corrispondente in modo affidabile e non falsato alla loro volontà e ai requisiti posti alla legittimità di una decisione democratica.
6.3
La libertà di voto e di elezione garantisce infatti al cittadino elettore, che siano riconosciuti solo i risultati elettorali corrispondenti in modo affidabile e non falsato alla volontà dell'elettore liberamente espressa (
art. 34 cpv. 2 Cost.
;
DTF 136 I 352
consid. 2;
DTF 135 I 19
consid. 2.1;
DTF 130 I 290
consid. 3.1). Sulla base di questa garanzia, ogni cittadino elettore che adempie i requisiti all'uopo stabiliti e conformi alla Costituzione deve poter partecipare come candidato o elettore su un piano di pari opportunità rispetto a ogni altro cittadino elettore o candidato. Il diritto costituzionale federale impone che nel quadro di uno spoglio l'autorità incaricata di procedervi deve contare con cura e diligenza i suffragi, garantire la regolarità del conteggio, nonché la corretta determinazione dei risultati dello
BGE 138 II 13 S. 21
scrutinio (
DTF 131 I 442
consid. 3.1 pag. 447 e consid. 3.3;
DTF 137 I 200
consid. 2.1). Questi aspetti garantiscono un funzionamento sicuro, regolare e corretto della democrazia.
Certo, l'utilizzazione di mezzi informatici per determinare i risultati di elezioni e votazioni, nonostante i pericoli intrinseci quali la pirateria informatica e i cosiddetti troiani, è di massima ammissibile e opportuna (cfr.
art. 84 LDP
). L'impiego di questi ausili tecnici è senz'altro giustificato dove siano manifestamente più vantaggiosi e utili che i modi di procedere convenzionali. Ciò non è tuttavia il caso nell'ambito del sorteggio, che dev'essere effettuato da parte di un'autorità statale, chiamata ad assumersene la responsabilità nel quadro di una procedura pubblica, sicura, trasparente e meritevole di affidamento. In tal modo può essere garantita, in ossequio ai principi dell'
art. 34 Cost.
, la fiducia degli elettori nella correttezza del sorteggio. In tal senso, nel caso in esame, appare necessario procedere a un nuovo sorteggio manuale e in seduta pubblica.
7.
7.1
Il ricorso deve pertanto essere accolto e la decisione impugnata annullata.
Il ricorrente chiede che l'esecuzione del nuovo sorteggio avvenga per estrazione manuale a opera del Presidente del Consiglio di Stato alla presenza dell'intero Governo e dei presidenti del Gran Consiglio e del Tribunale d'appello, nonché, facoltativamente, dei due candidati in discussione. La richiesta dev'essere disattesa. In effetti, l'
art. 20 LDP
precisa che il sorteggio avviene nel Cantone per ordine del Governo cantonale. Spetta quindi di massima al Consiglio di Stato organizzare un nuovo sorteggio manuale e pubblico. Richiamati i principi suesposti derivanti dall'
art. 34 Cost.
, in particolare quello della trasparenza, il diritto alla parità e a un procedimento equo (
art. 29 cpv. 1 Cost.
), nella fattispecie appare nondimeno opportuno, considerata l'urgenza e la necessità di prevenire successivi possibili ricorsi, predisporre determinate modalità, che permettano di evitare ulteriori motivi di contestazione. Esso dovrà quindi avere luogo manualmente, al più tardi entro il 29 novembre 2011, in seduta pubblica, da parte di un membro del Consiglio di Stato o di una sua delegazione, che per evidenti motivi di imparzialità non appartenga al partito dei due citati candidati. Appare giustificato che al nuovo sorteggio vengano invitati i rappresentanti dei partiti e i due candidati.
BGE 138 II 13 S. 22
7.2
Non si prelevano spese (
art. 66 cpv. 4 LTF
), né si attribuiscono ripetibili per la procedura dinanzi al Tribunale federale (
art. 68 cpv. 1 LTF
), ritenuto che il ricorrente vi ha espressamente rinunciato. | public_law | nan | it | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
abf43b75-7905-40ab-b203-4e5d827f3d21 | Urteilskopf
116 Ia 394
59. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1990 i.S. M. gegen G. und L. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 86 Abs. 2 OG
; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges.
Tritt eine obere kantonale Instanz auf ein nach kantonalem Recht nicht zulässiges Rechtsmittel ein, und wird das Urteil der unteren kantonalen Instanz auch mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten, so kommt es für die Frage, ob in bezug auf dieses Urteil der kantonale Instanzenzug gemäss
Art. 86 Abs. 2 OG
ausgeschöpft worden sei, nur auf die grundsätzliche Rechtslage nach den massgebenden kantonalen Bestimmungen an (E. 1).
Art. 81 Abs. 3 SchKG
und § 302 der Zürcher ZPO; Zulässigkeit eines besonderen kantonalen Exequaturverfahrens.
Art. 81 Abs. 3 SchKG
untersagt es den Kantonen nicht, für die Vollstreckbarerklärung ausländischer auf Geld- oder Sicherheitsleistung gerichteter Urteile ausserhalb eines Betreibungsverfahrens ein besonderes Exequaturverfahren zur Verfügung zu stellen, obwohl ein Staatsvertrag anwendbar ist (E. 2; Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 395
BGE 116 Ia 394 S. 395
A.-
In einem israelischen Schiedsspruch vom 25. Juni 1987 wurde M. verpflichtet, G. und L. einen US-$ 258'160 entsprechenden Betrag in israelischer Währung nebst Zins zu bezahlen. Mit Eingabe vom 5. September 1988 ersuchten G. und L. den Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes Zürich um Vollstreckbarerklärung dieses Schiedsspruches gemäss § 302 der Zürcher ZPO. Mit Verfügung vom 10. November 1988 trat der Einzelrichter auf das Begehren jedoch nicht ein, weil allein im Rahmen eines Rechtsöffnungsverfahrens vorfrageweise über die Vollstreckbarkeit zu entscheiden und das Begehren um Vollstreckbarerklärung daher unzulässig sei.
B.-
Auf Rekurs der Gesuchsteller hob das Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) am 23. Februar 1989 den Entscheid des Einzelrichters auf und wies den Prozess zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an diesen zurück.
Gegen den Beschluss des Obergerichts reichte M. beim Kassationsgericht des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde ein. Dieses wies die Beschwerde am 12. Oktober 1989 ab.
C.-
Gegen den Entscheid des Obergerichts hat M. auch staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Er beantragt, der angefochtene Beschluss sei wegen Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts aufzuheben.
Das Verfahren wurde bis zur Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde durch das Kassationsgericht ausgesetzt. Von dessen Entscheid erhielt das Bundesgericht erst am 30. Juli 1990 Kenntnis.
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet. Die Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Beschwerde.
BGE 116 Ia 394 S. 396
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) In der Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich machte der Beschwerdeführer die Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes geltend. Diese erblickte er darin, dass
Art. 81 Abs. 3 SchKG
ein besonderes kantonales Exequaturverfahren im Sinne von § 302 Abs. 2 der Zürcher ZPO für im Ausland ergangene Urteile ausschliesse, sofern ein Staatsvertrag über die Vollstreckung gerichtlicher Urteile bestehe.
Die gleiche Rüge wird mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung; ÜbBest.BV) erhoben. Diese Rüge beurteilt das Bundesgericht frei (
BGE 114 Ia 235
). Kann das Bundesgericht aber frei prüfen, ob der gerügte Mangel vorliegt, so ist nach § 285 Abs. 1 und 2 der Zürcher ZPO die Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht ausgeschlossen. Dieses ist jedoch auf die vom Beschwerdeführer eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde mit der Begründung eingetreten, dass die Berufung an das Bundesgericht nicht offenstehe.
Für die Frage, ob der kantonale Instanzenzug gemäss
Art. 86 Abs. 2 OG
ausgeschöpft worden sei, kann es nicht darauf ankommen, ob eine kantonale Instanz auf ein nach kantonalem Recht nicht zulässiges Rechtsmittel eintritt oder nicht. Vielmehr ist aufgrund der massgebenden kantonalen Bestimmungen zu prüfen, ob ein mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochtener Entscheid grundsätzlich an eine obere kantonale Instanz weiterziehbar ist. Das ist hier nicht der Fall. Auf die vorliegende Beschwerde ist deshalb ungeachtet davon einzutreten, dass das Kassationsgericht die vom Beschwerdeführer eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde an die Hand genommen und materiell beurteilt hat.
b) Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid des Obergerichts handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Dieser Umstand steht dem Eintreten auf die Beschwerde nicht entgegen.
Art. 87 OG
findet keine Anwendung, da mit der vorliegenden Beschwerde eine Verletzung von Art. 2 ÜbBest.BV geltend gemacht wird.
2.
Das IPRG behält in Art. 1 Abs. 2 völkerrechtliche Verträge allgemein vor und bestimmt in Art. 194 ausdrücklich, für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche gelte das New Yorker Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die
BGE 116 Ia 394 S. 397
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (SR 0.277.12). Die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit des israelischen Schiedsspruches beurteilen sich daher unbestrittenermassen nach dem erwähnten New Yorker Übereinkommen. Strittig ist hingegen, in welchem Verfahren diese Voraussetzungen überprüft werden können.
In seiner staatsrechtlichen Beschwerde rügt der Beschwerdeführer, das Obergericht habe den Vorrang des Bundesrechts gegenüber dem kantonalen Recht missachtet, indem es in Anwendung von
§ 302 Abs. 2 ZPO
ein besonderes Verfahren für die Frage der Vollstreckbarkeit des ausländischen Schiedsspruches als zulässig erachtet habe. Nach dieser Bestimmung der Zürcher ZPO werde über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Entscheids auf Begehren einer Partei im Befehlsverfahren ein besonderer Entscheid getroffen. Wenn ein Staatsvertrag anwendbar sei, ordne aber
Art. 81 Abs. 3 SchKG
die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils abschliessend. Über diese Frage sei somit ausschliesslich im Rechtsöffnungsverfahren zu entscheiden.
a) In
BGE 35 I 463
f. hat das Bundesgericht ausgeführt, über die Vollstreckbarkeit eines auf Geldleistung lautenden ausländischen Urteils sei ausschliesslich im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens zu entscheiden, wenn mit dem betreffenden Staat ein Übereinkommen über die gegenseitige Vollstreckung gerichtlicher Urteile bestehe. Ein besonderes Exequaturverfahren sei diesfalls ausgeschlossen; die Einreden des Schuldners aus dem Staatsvertrag müssten gemäss
Art. 81 Abs. 3 SchKG
ausschliesslich im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens geprüft werden. Ein Vollstreckungsverfahren vor einer anderen Instanz würde den Rechtsöffnungsrichter entgegen den gesetzlichen Vorschriften der Möglichkeit berauben, selber über die Einreden gegen die Vollstreckbarkeit zu befinden. An diesen Erwägungen ist insbesondere in
BGE 61 I 277
mit ausführlicher Begründung festgehalten worden. Das Bundesgericht betonte, dass der Gläubiger, der für die urteilsmässig festgestellte Forderung nach der Erhebung des Rechtsvorschlags die Rechtsöffnung verlange, Anspruch darauf habe, dass über die Einwendungen aus dem Staatsvertrag betreffend die Vollstreckbarkeit des Urteils in diesem Verfahren selbst geurteilt werde; er brauche sich die Verweisung auf ein besonderes durch die kantonale Prozessgesetzgebung vorgesehenes Exequaturverfahren oder auf den ordentlichen Prozess nicht gefallen zu lassen (vgl. auch
BGE 76 I 127
). Im übrigen hat das Bundesgericht verschiedentlich
BGE 116 Ia 394 S. 398
bestätigt, dass ausländische auf Geldzahlung gerichtete Urteile im Rahmen des Betreibungsverfahrens vollstreckt werden müssten, wenn ein Staatsvertrag anwendbar sei. Im Falle eines Rechtsvorschlages habe sich der Rechtsöffnungsrichter auch über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils bzw. Schiedsspruches auszusprechen; in solchen Fällen gebe es kein besonderes Exequaturverfahren (
BGE 105 Ib 43
,
BGE 102 Ia 77
, 101 Ia 522 f.,
BGE 98 Ia 532
E. 1,
BGE 93 I 270
E. 2a,
BGE 87 I 76
f.,
BGE 86 I 35
f.). Zur Frage, ob der Gläubiger - ohne bzw. vor Anhebung der Betreibung - in einem kantonalrechtlichen Exequaturverfahren einen Entscheid über die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils erwirken könne, ist in diesen Entscheiden jedoch nicht ausdrücklich Stellung genommen worden.
In einem nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheid vom 8. Juni 1955 hat das Bundesgericht zu
BGE 35 I 463
hingegen einschränkend ausgeführt, der Ausschluss eines besonderen Exequaturverfahrens beziehe sich offenbar nur auf die Vollstreckbarerklärung im Rahmen einer Schuldbetreibung. Es erscheine nicht als ausgeschlossen, dass die Frage der Vollstreckbarkeit auch bei Ansprüchen auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung ausserhalb eines Betreibungsverfahrens aufgeworfen und dann im gewöhnlichen Exequaturverfahren entschieden werde. Unter Umständen werde auf Grund eines solchen Entscheids die Schuldbetreibung überflüssig. Gegen ein solches Vorgehen wäre von Bundesrechts wegen höchstens dann etwas einzuwenden, wenn dadurch die Rechte der Parteien im Betreibungsverfahren beeinträchtigt würden, insbesondere wenn dem Rechtsöffnungsrichter der Entscheid über die Vollstreckbarkeit entzogen würde (ZR 57/1958, Nr. 149, S. 337).
b) In der Lehre sind die Standpunkte kontrovers. Nach GULDENER geht
BGE 35 I 463
insofern zu weit, als darin die Erteilung eines förmlichen Exequaturs in einem besonderen Verfahren überhaupt als unzulässig betrachtet werde, wenn die Möglichkeit bestehe, in einer Betreibung Rechtsöffnung zu erwirken (Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 153, Anm. 126). In neuster Zeit hat insbesondere auch ROBERT HAUSER die Auffassung vertreten, die
Art. 38 und 81 Abs. 3 SchKG
hätten nur für die Zwangsvollstreckung selber Geltung. Es bleibe dem Gläubiger überlassen, ob er eine solche einleiten oder einen besonderen Exequaturentscheid ausserhalb des Betreibungsverfahrens anstreben wolle. Sei nämlich zwischen Gläubiger und Schuldner
BGE 116 Ia 394 S. 399
nur die Vollstreckbarkeit streitig, so werde die Durchführung eines Betreibungsverfahrens möglicherweise überflüssig (Zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Leistungsurteile, in Festschrift für Max Keller, Zürich 1989, S. 601). KELLER/SIEHR weisen generell darauf hin, dass ausserhalb einer Betreibung ein Bedürfnis für eine allgemein verbindliche Feststellung über die Anerkennung eines ausländischen Entscheids bestehen könne (Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, Zürich 1986, S. 626). Gegenteiliger Auffassung sind in neuerer Zeit hingegen MARCO NIEDERMANN (Die ordre-public-Klauseln, Diss. Zürich 1976, S. 36) sowie TEDDY STOJAN (Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in Handelssachen, Diss. Zürich 1986, S. 31, 34, 205 f.), die sich für ihre ablehnende Haltung auf die mit
BGE 35 I 463
f. begründete Rechtsprechung sowie die derogatorische Kraft des Bundesrechts berufen. FRITZSCHE/WALDER stützen sich ebenfalls auf die erwähnte bundesgerichtliche Rechtsprechung, die sie dahin verstehen, dass bei Staatsverträgen die Einreden des Schuldners nur im Rechtsöffnungsverfahren überprüft werden könnten (Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, N. 25 zu § 19). STRÄULI/MESSMER schliesslich bezeichnen es als zweifelhaft, ob es den Kantonen zur Vollstreckung von Staatsverträgen gestattet sei, ein besonderes Exequaturverfahren wenigstens zur Verfügung zu stellen; die Frage wird aber letztlich offengelassen (Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, N. 25 zu § 302).
c) Soweit in der Lehre die Auffassung vertreten wird, für ein besonderes kantonales Exequaturverfahren bleibe neben dem Rechtsöffnungsverfahren in keinem Fall Raum, stützt sie sich in erster Linie auf die dargelegte bundesgerichtliche Rechtsprechung. Es ist indessen nicht zu übersehen, dass in keinem der erwähnten Entscheide des Bundesgerichts die entsprechende Erwägung entscheiderheblich gewesen ist. In allen Fällen stellte sich nämlich nur die Frage, ob der Gläubiger nach Anhebung des Betreibungsverfahrens auf ein besonderes Exequaturverfahren verwiesen werden könne, was durchwegs verneint worden ist.
In diesem Sinne ist an der mit
BGE 35 I 463
f. begründeten Rechtsprechung in jedem Fall festzuhalten. Da
Art. 81 Abs. 3 SchKG
die Prüfung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils auf Grund eines Staatsvertrages im Rechtsöffnungsverfahren ausdrücklich zulässt, verstiesse es gegen den Sinn dieser Regelung, wenn der betreibende Gläubiger auf ein vom Rechtsöffnungsverfahren
BGE 116 Ia 394 S. 400
getrenntes Exequaturverfahren vor einer andern kantonalen Instanz verwiesen würde. Zu weit geht es aber, den sich auf ein ausländisches Urteil stützenden Gläubiger, der seinen Schuldner in der Schweiz unter Umständen noch gar nicht betreiben, sondern einstweilen lediglich einen Entscheid über die Vollstreckbarkeit des Urteils erwirken will, zu zwingen, den Betreibungsweg zu beschreiten, um im Falle der Erhebung eines Rechtsvorschlags die Vollstreckbarerklärung im Rechtsöffnungsverfahren zu erlangen. Es besteht keine Notwendigkeit, den Entscheid über die Vollstreckbarkeit nur im Rahmen eines Betreibungsverfahrens zuzulassen, selbst wenn der Gläubiger von einer Zwangsvollstreckung aus irgendwelchen Gründen absehen will.
Art. 81 Abs. 3 SchKG
bietet keine ausreichende Grundlage für einen solchen Schluss, da er das einzuschlagende Verfahren nur regelt, falls eine Betreibung eingeleitet worden ist. Das Bundesrecht untersagt es deshalb den Kantonen bei richtiger Betrachtungsweise nicht, ausserhalb eines Betreibungsverfahrens für die Vollstreckbarerklärung ausländischer auf Geld- oder Sicherheitsleistung gerichteter Urteile und Schiedssprüche ein Exequaturverfahren zur Verfügung zu stellen, obwohl ein Staatsvertrag anwendbar ist. Dem Bundesrecht ist Genüge getan, wenn der Gläubiger nach Einleitung einer Betreibung nicht auf ein selbständiges Exequaturverfahren verwiesen werden kann. An der vom Bundesgericht im Entscheid vom 8. Juni 1955 vertretenen Auffassung ist deshalb entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung grundsätzlich festzuhalten.
d) Wenn zugelassen wird, dass in einem ausserhalb eines Betreibungsverfahrens eingeleiteten Exequaturverfahren über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils entschieden wird, so stellt sich allerdings die Frage, ob der Rechtsöffnungsrichter in einer späteren Betreibung an diesen Entscheid gebunden sei. Das Obergericht geht in Übereinstimmung mit dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts vom 8. Februar 1955 davon aus, diese Frage stelle sich im Rahmen der zürcherischen Rechtsordnung nicht, weil der zürcherische Einzelrichter im summarischen Verfahren sowohl für die Vollstreckbarerklärung im Exequaturverfahren als auch für die Rechtsöffnung zuständig sei.
Diese Auffassung erweckt, wie der Beschwerdeführer mit Recht bemerkt, Bedenken.
Art. 81 Abs. 3 SchKG
verleiht dem Schuldner das Recht, sich dem Rechtsöffnungsbegehren des Gläubigers auch mit Einwendungen zu widersetzen, die sich hinsichtlich der Vollstreckbarkeit
BGE 116 Ia 394 S. 401
des ausländischen Urteils aus dem Staatsvertrag ergeben. Wäre der Rechtsöffnungsrichter an den im Exequaturverfahren ergangenen Entscheid gebunden, würde dies auf eine Änderung der bundesrechtlich vorgeschriebenen Verfahrensordnung hinauslaufen, indem eine freie und umfassende Prüfung der Einwendungen des Schuldners gegen die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils im Rechtsöffnungsverfahren nicht mehr erfolgen würde. Es fragt sich deshalb, ob aus
Art. 81 Abs. 3 SchKG
nicht der Schluss gezogen werden muss, dass der Rechtsöffnungsrichter die schuldnerischen Einwendungen aus dem Staatsvertrag ungeachtet eines vorangegangenen Exequaturverfahrens und unabhängig von der Ausgestaltung der kantonalen Gerichtsorganisation frei zu prüfen habe (vgl. dazu auch
BGE 35 I 463
).
Diese Frage muss indessen im vorliegenden Verfahren nicht abschliessend beantwortet werden. Es genügt die Feststellung, dass einem Gläubiger von Bundesrechts wegen nicht verwehrt werden kann, in einem kantonalen Exequaturverfahren um die Erklärung der Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils nachzusuchen, wenn er aus irgendeinem Grund von der Anhebung einer Betreibung absehen will. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Entscheid erweist sich deshalb als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
abfc9078-2f6c-4638-b4a8-f84aa6908fd2 | Urteilskopf
85 IV 234
60. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 23 décembre 1959 dans la cause Mühlematter contre Ministère public du canton de Neuchâtel. | Regeste
Wiederaufnahme des Verfahrens;
Art. 397 StGB
.
Worauf hat der Richter im Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens die neue Entscheidung zu stützen? | Erwägungen
ab Seite 235
BGE 85 IV 234 S. 235
Le recourant allègue que l'art. 397 CP interdit au juge qui doit se prononcer sur le fond, lorsque la revision a été admise en principe, de revoir l'ensemble des circonstances de la cause et l'oblige à s'en tenir "aux seuls éléments nouveaux et sérieux dont l'existence a été reconnue judiciairement".
Cette thèse est erronée. L'art. 397 CP ouvre au condamné la voie de la revision en matière pénale dans certains cas qu'il prévoit. Mais, cette voie ayant été ouverte devant les autorités cantonales, comme elle l'a été en l'espèce, le droit fédéral ne prescrit rien de plus; la procédure en particulier demeure réservée au législateur cantonal (RO 69 IV 137). Celui-ci peut en principe régler comme il l'entend le pouvoir d'examen du juge, l'autoriser notamment à revoir l'ensemble de la cause, à ne pas s'en tenir exclusivement aux données du jugement revisé et aux seules modifications qu'imposent les faits nouveaux, justificatifs de la revision (cf. CLERC, De la procédure en matière de revision, dans la Festgabe zum 70. Geburtstag von Ernst Hafter, RPS t. 61, p. 246).
Le recourant objecte que le juge qui se prononce à nouveau pourrait, dans ce cas, aller jusqu'à infliger à l'instant une peine plus sévère que celle du jugement annulé par la revision, ce qui serait incompatible avec le droit fédéral. Il n'est pas nécessaire d'examiner en l'espèce si tel est bien le cas; la question ne se pose pas, puisqu'au lieu d'aggraver la peine, le nouveau juge l'a adoucie (quatorze mois d'emprisonnement au lieu de quinze). | null | nan | fr | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
abfe6268-e23c-4d38-981a-4f39f46ead26 | Urteilskopf
123 III 137
23. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 11. März 1997 i.S. Crédit Suisse (Beschwerde) | Regeste
Art. 46 Abs. 2 SchKG
; Betreibungsort bei Verlegung des Sitzes einer Aktiengesellschaft.
Verlegt eine in Betreibung gesetzte Aktiengesellschaft ihren Sitz, so gilt als Betreibungsort im Sinne von
Art. 46 Abs. 2 SchKG
der bisherige Sitz bis zum Zeitpunkt, wo er im dortigen Handelsregister gelöscht worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 137
BGE 123 III 137 S. 137
A.-
Am 6. Dezember 1996 reichte das Transportunternehmen G. beim Betreibungsamt Bern ein Betreibungsbegehren ein, welches dort am 16. Dezember 1996 einging. Die Betreibung richtete sich gegen die Schweizerische Volksbank, Weltpoststrasse 5, 3001 Bern; und die Zustellung des Zahlungsbefehls in der Betreibung Nr. 9'652'650 des Betreibungsamtes Bern erfolgte am 8. Januar 1997.
B.-
Mit Rechtsschrift vom 20. Januar 1997 beschwerte sich die Crédit Suisse bei der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern, indem sie die Aufhebung des erwähnten Zahlungsbefehles verlangte. Zur Begründung ihrer Beschwerde führte sie aus, im Rahmen der Restrukturierung der CS
BGE 123 III 137 S. 138
Holding seien die Firma der Schweizerischen Volksbank in Crédit Suisse geändert und deren Sitz von Bern nach Zürich verlegt worden. Der Zahlungsbefehl an die Schweizerische Volksbank in Bern sei nach der Sitzverlegung nach Zürich und demzufolge in Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 SchKG
zugestellt worden.
Mit Entscheid vom 17. Februar 1997 wurde die Beschwerde von der kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen. Ebenso wies die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts die hierauf bei ihr erhobene Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die Beschwerdeführerin beruft sich, nicht anders als die kantonale Aufsichtsbehörde, auf
BGE 116 III 1
; und beide Seiten sind sich darüber einig, dass es bei einer Sitzverlegung einer Aktiengesellschaft entgegen der sonst geltenden Regel (
Art. 932 Abs. 2 OR
) nicht auf die Publikation im schweizerischen Handelsamtsblatt ankommt, wenn der Betreibungsort im Sinne von
Art. 46 Abs. 2 SchKG
zu bestimmen ist (so auch - aber nicht weitergehend - Gilliéron, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Auflage 1993, S. 83). Während nun aber im angefochtenen Entscheid die Auffassung vertreten wird, die Sitzverlegung werde mit der Eintragung der Löschung des bisherigen Sitzes im Handelsregister wirksam, hält die Beschwerdeführerin dafür, die Sitzverlegung werde mit deren Eintrag sowie mit dem Eintrag der Firmenänderung im Handelsregister des neuen Sitzes - im vorliegenden Fall also in jenem von Zürich - wirksam.
Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin ist indessen dem zitierten
BGE 116 III 1
(Seite 4) zu entnehmen, dass bei der Bestimmung des Betreibungsortes auf den Zeitpunkt abzustellen ist, wo der bisherige Sitz der in Betreibung gesetzten Aktiengesellschaft im Handelsregister des bisherigen Sitzes gelöscht worden ist. Im Lichte dieser Rechtsprechung erweist sich daher die von der kantonalen Aufsichtsbehörde vertretene Rechtsauffassung als bundesrechtskonform.
b) Vergeblich ruft die Beschwerdeführerin
Art. 647 OR
an, indem sie geltend macht, dass mit der von der kantonalen Aufsichtsbehörde vertretenen Auffassung ein doppelter Sitz der Aktiengesellschaft in Kauf genommen werde. Es geht indessen nicht allgemein um das Problem des Sitzes einer Aktiengesellschaft, sondern nur um die Frage, welches der Sitz - und somit der Betreibungsort - im Sinne
BGE 123 III 137 S. 139
von
Art. 46 Abs. 2 SchKG
bei Verlegung des Sitzes einer Aktiengesellschaft ist.
Dem kurzfristigen Nebeneinander von bisherigem und neuem Sitz wird in
Art. 49 HRegV
(SR 221.411) Rechnung getragen. Doch kann sich die Beschwerdeführerin zur Untermauerung ihres Rechtsstandpunktes nicht auf diese Bestimmung berufen; denn sie weist die den Sitz verlegende Firma sowie den Registerführer an, was im Falle der Sitzverlegung vorzukehren ist, und bestimmt den Registerinhalt. Für die Beantwortung der Frage nach dem Betreibungsort kann daraus nichts abgeleitet werden.
4.
Der Sachverhalt ist für die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer verbindlich festgestellt worden (Art. 63 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 81 OG
) und im übrigen unbestritten: Der Sitz der Schweizerischen Volksbank ist am 22. Januar 1997 im Handelsregister Bern-Mittelland gelöscht worden. Am 8. Januar 1997 ist der Zahlungsbefehl vom Betreibungsamt Bern in der Betreibung Nr. 9'652'650 der Schweizerischen Volksbank zugestellt worden. Diese Zustellung noch vor der Löschung im Handelsregister am bisherigen Sitz der Schuldnerin war, wie die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern zu Recht erkannt hat, zulässig. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
abff4067-5172-4ed8-8130-1ed08265221b | Urteilskopf
118 Ib 306
39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Juni 1992 i.S. X. AG gegen Eidg. Steuerverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2,
Art. 54 Abs. 2 lit. b WUStB
sowie Art. 1 Abs. 1 lit. a der Verfügung Nr. 8c des Eidgenössischen Finanzdepartements betreffend die Warenumsatzsteuer (Inlandumsätze zwecks Ausfuhr); Ausfuhr bestickter Rohstoffe.
1. Begriff der "Lieferung im Inland" (E. 1).
2. Eine steuerbefreite Inlandlieferung zwecks Ausfuhr kann auch vorliegen, wenn der Abnehmer die Rohware vor dem unmittelbaren Export bei einem Herstellergrossisten einmal bearbeiten lässt (Änderung der Rechtsprechung) (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 307
BGE 118 Ib 306 S. 307
Die X. AG ist Grossistin im Sinne des Bundesratsbeschlusses vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer (WUStB; SR 641.20). Sie bezweckt den Ein- und Verkauf von Waren aller Art; in diesem Rahmen lieferte sie auf Bestellung von Stickereiexporteuren im Vorarlberg (Österreich) auch Rohgewebe an schweizerische Lohnsticker, welche die Ware vor Ausfuhr im Auftrag und nach Weisungen der ausländischen Kunden bearbeiteten.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Warenumsatzsteuer, erhob wegen solcher Lieferungen eine Steuernachforderung. Eine hiergegen gerichtete Einsprache der Steuerpflichtigen wies sie am 27. Juni 1990 mit der Begründung ab, das Rohgewebe sei jeweils im Auftrag und auf Rechnung der verfügungsberechtigten vorarlbergischen Stickereiexporteure (Besteller) an die inländischen Stickereigrossisten geliefert worden, weshalb es sich dabei um steuerpflichtige Inlandlieferungen an ausländische Nichtgrossisten gehandelt habe. Die X. AG könne aus Art. 1 Abs. 1 lit. a der Verfügung Nr. 8c des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartements vom 17. Juni 1954 betreffend die Warenumsatzsteuer (Inlandumsätze zwecks Ausfuhr; SR 641.211.2; im folgenden: Verfügung Nr. 8c) keine Steuerbefreiung ableiten, weil wegen der Bearbeitung der Stoffe durch die Sticker die Ausfuhr der Ware nicht "unmittelbar" ins Ausland erfolgt sei.
Die X. AG führt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, die "mit Einspracheentscheid vom 27. Juni 1990 bestätigte Ergänzungsabrechnung Nr. 26556 vom 29. Januar 1986 sei aufzuheben. Die angefochtene Nachforderung widerspreche der Systematik des Warenumsatzsteuerbeschlusses und verletze den Grundsatz von Treu und Glauben.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde.
Die II. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat am 20. September 1991 eine erste Beratung der vorliegenden Streitsache ausgesetzt; mit Verfügung vom 2. Oktober 1991 holte der Abteilungspräsident bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung weitere Auskünfte ein, zu denen die X. AG am 10. Dezember 1991 Stellung genommen hat.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
BGE 118 Ib 306 S. 308
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 13 Abs. 1 lit. a WUStB
unterliegen der Warenumsatzsteuer unter Vorbehalt von Art. 14 alle Lieferungen im Inland sowie der Eigenverbrauch von Waren durch Grossisten. Eine Inlandlieferung liegt vor, wenn der Abnehmer der Ware oder an dessen Stelle ein Dritter instand gesetzt wird, im eigenen Namen über eine Ware zu verfügen, die sich im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht im Inland befindet (
Art. 15 Abs. 1 WUStB
). Das Verschaffen der Verfügungsmacht stellt einen Vorgang des wirtschaftlichen Verkehrs dar (ASA 50, 636 E. 1a; 44, 259 E. 2). Auf den zivilrechtlichen Eigentums- oder Besitzesübergang kommt es nicht an; es genügt, dass der Abnehmer der Ware in die Lage gesetzt wird, wie ein Eigentümer darüber zu verfügen (ASA 54, 58 E. 3, 154 E. 2). Dies ist dann der Fall, wenn er sie entweder selber verbrauchen oder gebrauchen oder aber in eigenem Namen auf eine weitere Wirtschaftsstufe übertragen kann (DIETER METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer, S. 126 ff., Rz. 269 ff.). Die Weisung an den Lieferanten, die Ware an einen Dritten weiterzuleiten, dem sie der Abnehmer (beispielsweise) verkauft hat, ist Ausdruck solcher Verfügungsmacht. Ein gewichtiges Indiz zur Beurteilung der Frage, wem steuerrechtlich die Verfügungsbefugnis zusteht, bildet die Rechnungstellung, denn in der Regel kann davon ausgegangen werden, dass, wer die Ware bezahlt, auch darüber verfügen kann (ASA 44, 376 E. 1).
b) Die Beschwerdeführerin lieferte das Rohgewebe auf Bestellung der Stickereiexporteure (Nichtgrossisten) im Vorarlberg an Lohnsticker in der Schweiz. Dem österreichischen Käufer, welcher die Ware nach den Angaben der Beschwerdeführerin "den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend auch bezahlte", stellte sie jeweils eine "Rechnungskopie" zu. Die steuerrechtlich relevante Verfügungsmacht lag damit aber spätestens mit der Zustellung der Ware an die Sticker bei den weisungsberechtigten ausländischen Abnehmern (vgl. ASA 60, 205 E. 2), weshalb die Leistungen der Beschwerdeführerin grundsätzlich warenumsatzsteuerpflichtige Inlandlieferungen an ausländische Nichtgrossisten (Stickereiexporteure) und keine steuerfreien Engroslieferungen gemäss
Art. 14 Abs. 1 lit. a WUStB
darstellten.
2.
a)
Art. 54 Abs. 2 lit. b WUStB
ermächtigt das Eidgenössische Finanzdepartement, "Vorschriften aufzustellen über die Rückerstattung oder Verrechnung der Warenumsatzsteuer mit Rücksicht
BGE 118 Ib 306 S. 309
auf die erfolgte Ausfuhr von Waren". Das Departement hat gestützt hierauf den Grundsatz der Steuerbarkeit der Inlandlieferungen insofern durchbrochen, als es in der Verfügung Nr. 8c bestimmt, dass der Grossist die Warenumsatzsteuer nicht zu entrichten hat, wenn die Lieferung "zwecks unmittelbarer Ausfuhr durch den Abnehmer" (en vue de l'exportation directe/a scopo di diretta esportazione) erfolgt und er nachweist, dass die Ware tatsächlich ins Ausland ausgeführt worden ist (Art. 1 Abs. 1 lit. a). Gemäss der Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung gilt eine Lieferung ins Ausland als "unmittelbar", wenn die Ware vom Abnehmer "ohne vorherige Weiterlieferung im Inland und unverändert (ohne Bearbeitung, Verarbeitung, Zusammensetzung mit einer andern Ware oder sonstige Umgestaltung) und ohne vorherige Ingebrauchnahme ins Ausland verbracht" wird (Wegleitung 1982 und 1992 für Grossisten, Rz. 74). In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesgericht diese Auffassung bisher geschützt (ASA 60, 205/206 E. 3; 44, 259 E. 1, 377 E. 2; 41, 254 E. 1;
BGE 95 I 183
E. 4; unpublizierte Urteile des Bundesgerichts i.S. G. vom 6. Mai 1991, E. 3, und i.S. P. SA vom 26. Februar 1991, E. 3). Im folgenden ist zu prüfen, ob hieran in Fällen wie dem vorliegenden festgehalten werden kann.
b) Die Steuerfreiheit der Ausfuhr ist im Warenumsatzsteuerbeschluss nicht ausdrücklich vorgesehen. Sie ergibt sich aber aus dem Gegenstand der Steuer, die gemäss
Art. 2 WUStB
grundsätzlich nur auf dem Warenumsatz im Inland (
Art. 4-43 WUStB
) und auf der Wareneinfuhr (
Art. 44-53 WUStB
) erhoben wird. Der Warenumsatz, der weder Einfuhr noch Umsatz im Inland darstellt, unterliegt somit der Steuer nicht. Diese Regelung bezweckt, die Warenausfuhr im Hinblick auf die Einfuhrsteuer im Bestimmungsland steuerlich zu entlasten. Dem gleichen Ziel dient die Verfügung Nr. 8c, welche die Inlandlieferung von der Steuer befreit, wenn sich daran unmittelbar die Ausfuhr anschliesst (vgl. ASA 60, 206 E. 4; 57, 294 E. 4a mit Hinweisen).
Die Anforderung, wonach die Ausfuhr durch den Abnehmer "unmittelbar" zu erfolgen hat, soll nach der Rechtsprechung Lieferungen von der Steuerbefreiung ausnehmen, welchen ein oder mehrere weitere Inlandumsätze nachfolgen (
BGE 95 I 183
E. 4). In ASA 60, 206 E. 4 ging das Bundesgericht in einem dem vorliegenden gleichgelagerten Fall davon aus, dass von einer "unmittelbaren" - direkten - Ausfuhr nicht mehr die Rede sein könne, wenn der Rohstoff noch durch den Abnehmer bestickt werde. Es möge zwar als unbefriedigend erscheinen, dass die Steuer auf dem Inlandumsatz
BGE 118 Ib 306 S. 310
erhoben wird, obwohl die Ware, wenn auch in bearbeitetem Zustand, schliesslich ins Ausland gelange. Eine Steuerbefreiung von rohen Waren, die vor ihrer Ausfuhr vom Abnehmer im Inland noch bearbeitet würden, verwischte aber die grundlegende Unterscheidung zwischen (steuerbaren) Inland- und (steuerbefreiten) Auslandlieferungen, weshalb an der bisherigen Praxis festzuhalten sei. Hinter diesen Ausführungen stand, wie sich aus den Verweisen auf ASA 17, 284 E. 3 und
BGE 95 I 183
E. 4 ergibt, die Überlegung, dass die Kriterien zur Erhebung der Warenumsatzsteuer möglichst einfach handhabbar sein sollen, was im Anwendungsbereich von
Art. 54 Abs. 2 lit. b WUStB
in der Regel nur bei Identität der exportierten mit der in der Schweiz gelieferten Ware der Fall ist (
BGE 95 I 183
E. 4).
Dies darf nun aber nicht dazu führen, dass die Inlandlieferung des Materials an einen für den verfügungsberechtigten ausländischen Nichtgrossisten handelnden Herstellergrossisten, welche sowohl bei einer direkten Lieferung unter den beiden Grossisten (
Art. 14 WUStB
) wie bei einer direkten Aus- und Wiedereinfuhr des Rohstoffes zur Veredelung von der Steuer befreit wäre, systemwidrig dennoch besteuert wird, wenn die Rohware nach der für das Ausland bestimmten Bearbeitung tatsächlich ohne übermässigen Verwaltungsaufwand noch als solche identifiziert werden kann.
c)
Art. 15 WUStB
unterscheidet zwei Steuertatbestände. Während die Lieferung nach Abs. 1 die Verschaffung der Verfügungsmacht über eine Ware zum Gegenstand hat, regelt Abs. 2 hiervon unabhängig die Herstellung. Diese kann an einer Ware erfolgen, welche der Besteller dem steuerpflichtigen Grossisten übergeben hat; bei einer solchen sog. "Materialbeistellung" unterliegt nur die Herstellung, nicht aber auch der zur Verfügung gestellte Werkstoff selber der Umsatzsteuer (METZGER, a.a.O., S. 137, Rz. 302 ff.). Werkstoff und Herstellung werden als zwei verschiedene Steuerobjekte bis zur Ablieferung der Ware auseinandergehalten. In Analogie zu dieser Regelung und in Abweichung von der bisherigen Praxis rechtfertigt es sich deshalb, eine Inlandlieferung zwecks Ausfuhr auch dann anzunehmen, wenn die Ware vor dem Export ausschliesslich noch Gegenstand einer eigenständig steuerpflichtigen Herstellung durch einen Grossisten bildet, der sie in der Folge unmittelbar ausführt. Da die Rohware nicht Gegenstand eines weiteren Inlandumsatzes ist, wenn sie zusammen mit der selbständig steuerbaren Herstellung nach der Ablieferung dieses Steuerobjekts unmittelbar exportiert wird, hat deshalb sowohl die Steuer auf der
BGE 118 Ib 306 S. 311
Warenlieferung im Inland als auch jene auf der Herstellung selber zu entfallen.
d) Die Beschwerdeführerin hat im vorliegenden Fall den ausländischen Abnehmern das Rohgewebe an die Adresse der inländischen Stickereibetriebe zugestellt, welche dieses ihrerseits im Rahmen eines Werkvertrages mit den ausländischen Stickereiexporteuren gemäss deren Weisungen zu verwenden hatten. Das von der Beschwerdeführerin ihren ausländischen Kunden gelieferte Rohgewebe wurde somit den als Grossisten selbst steuerpflichtigen Stickereiunternehmungen im Sinne einer Materialbeistellung übergeben. Als Werkstoff für eine steuerbare Herstellung bildete das Rohgewebe deshalb nicht seinerseits Gegenstand einer weiteren Umsatzbesteuerung im Inland; nach der Ablieferung der eigenständig steuerpflichtigen Bestickung wurde es unbestrittenermassen exportiert. Nach Auskunft der Eidgenössischen Steuerverwaltung weicht bestickter Rohstoff in den meisten Fällen nicht wesentlich von seinem ursprünglichen Erscheinungsbild ab; gemäss den unbestrittenen Angaben der Beschwerdeführerin kann er anhand der Webkante ohne weiteres identifiziert werden. Die als solche erkennbare Rohware wurde damit durch die Abnehmer zwar im vorliegenden Fall nicht unmittelbar im Sinne der bisherigen Rechtsprechung, aber doch in einer der Delegationsnorm und der Systematik des Warenumsatzsteuerbeschlusses entsprechenden Art und Weise ausgeführt.
e) Wie die Eidgenössische Finanzverwaltung dieser neuen, gelockerten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff der "Unmittelbarkeit" in Art. 1 Abs. 1 lit. a der Verfügung Nr. 8c künftig Rechnung tragen will, ist ihr freigestellt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann sie durchaus die Steuer vorerst beim Händlergrossisten erheben und die Rückerstattung vom Nachweis des Exportes der Ware abhängig machen (vgl. den Wortlaut von
Art. 54 Abs. 2 lit. b WUStB
). Es bleibt ihr überdies auch unbenommen, neben der zollamtlich abgestempelten Kopie der Deklaration für die Ausfuhr zusätzlich weitere Beweismittel zu verlangen (Art. 2 der Verfügung Nr. 8c). | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
abffdd0e-9002-48c1-a3a8-5a60f1c3233b | Urteilskopf
105 III 28
6. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 21. März 1979 i.S. Bank in B. und O. (Rekurs) | Regeste
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung.
Erstreckung der Pfandhaft auf die Mietzinserträgnisse (
Art. 806 ZGB
).
1. Rekurslegitimation der Liquidatorin (E. 1).
2. Die Frage, ob sich die Pfandhaft auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung im Sinne von
Art. 806 ZGB
auf die Mietzinserträgnisse erstrecke, kann nicht im Beschwerdeverfahren entschieden werden (E. 2).
3. Enthält der Kollokationsplan keinen Entscheid darüber, ob sich die Pfandhaft auf die Mietzinserträgnisse erstrecke, so ist er nachträglich zu ergänzen und neu aufzulegen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 105 III 28 S. 28
A.-
Das Bezirksgericht Werdenberg gewährte der Handwerkergenossenschaft R. am 2. Dezember 1976 eine Nachlassstundung. Am 9. August 1977 bestätigte es den von der Schuldnerin vorgeschlagenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Im Liquidationsverfahren meldete die Staatskassenverwaltung X. unter anderem eine grundpfandgesicherte Forderung von Fr. 5'500'000.- zuzüglich Zinsen an, lastend auf dem durch ein Mehrfamilienhaus überbauten Grundstück Nr. 2784, Brunnenstrasse 5, Buchs. Die Bank in B. beanspruchte ihrerseits eine grundpfandgesicherte Forderung
BGE 105 III 28 S. 29
von Fr. 500'000.- nebst Zinsen, lastend auf den unüberbauten Parzellen Nr. 2849 und 2877, Unterer Graben, Buchs. Beide Grundpfandgläubigerinnen wurden entsprechend ihren Eingaben im Lastenverzeichnis kolloziert. Kollokationsplan und Lastenverzeichnis erwuchsen in Rechtskraft.
Am 25. Oktober 1978 legte die Liquidatorin die Schlussrechnung und die Verteilungsliste auf. Daraus ergibt sich, dass aus den Mietzinseinnahmen aus der Liegenschaft Brunnenstrasse 5 in Buchs im Gesamtbetrag von Fr. 405'777.15 an die Staatskassenverwaltung Fr. 234'858.85 und an die Bank in B. Fr. 32455.- ausbezahlt wurden, während der nach Bezahlung der Unterhaltskosten verbleibende Rest ins Massevermögen floss.
B.-
Gegen die Verteilungsliste führte die Staatskassenverwaltung bei der kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen Beschwerde. Sie machte im wesentlichen geltend, die Mietzinseinnahmen hätten nur an sie ausbezahlt werden dürfen, da sich entsprechend der in
Art. 806 ZGB
für den Konkurs vorgesehenen Regelung die Pfandhaft auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung auf die Mietzinseinnahmen erstrecke und nur das ihr verpfändete Grundstück Brunnenstrasse 5 einen Ertrag abgeworfen habe.
Mit Entscheid vom 11. Januar 1979 hiess die Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut, hob die Verteilungsliste auf und wies die Liquidatorin an, diese im Sinne der Erwägungen neu zu erstellen und aufzulegen. Sie ging davon aus,
Art. 806 ZGB
sei auch im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung anwendbar. Dementsprechend sei in der neu zu erstellenden Verteilungsliste der Ertrag aus der Liegenschaft Brunnenstrasse 5 nach Abzug der Aufwendungen für diese Liegenschaft ausschliesslich der Staatskassenverwaltung zuzuweisen.
C.-
Gegen diesen Entscheid erhoben sowohl die Liquidatorin als auch die Bank in B. Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, beide mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde der Staatskassenverwaltung und Bestätigung der Verteilungsliste. Die Bank in B. stellt zusätzlich den Eventualantrag, die Liquidatorin sei anzuweisen, die Pfandhaft für die Mietzinseingänge auf die Zeit vom 9. August 1977, dem Zeitpunkt des Bestätigungsentscheids, bis zur Verwertung einzuschränken.
BGE 105 III 28 S. 30
Die Staatskassenverwaltung beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Rekurse.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Indem sie sich dagegen wehrt, dass sämtliche Mietzinseinnahmen entsprechend den Anweisungen im angefochtenen Entscheid der Staatskassenverwaltung zukommen, vertritt die Liquidatorin nicht nur die Interessen der Bank in B., sondern auch diejenigen der Masse, da ein Teil dieser Einnahmen nach der von der Vorinstanz aufgehobenen Verteilungsliste ins Massevermögen floss. Insoweit ist sie zum Rekurs legitimiert (vgl.
BGE 103 III 10
, 77, 82;
BGE 102 III 80
, 92). Die Bank in B. ist anderseits durch den angefochtenen Entscheid persönlich betroffen, muss sie doch nach der von der Vorinstanz angeordneten Verteilung die von ihr bereits bezogenen Zinsen herausgeben. Auf beide Rekurse ist daher einzutreten.
2.
Die Vorinstanz hat die Beschwerde der Staatskassenverwaltung deswegen gutgeheissen, weil sie annahm,
Art. 806 ZGB
sei auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung anwendbar und die Miet- und Pachtzinsforderungen seien deshalb auch bei dieser Liquidationsart den Grundpfandgläubigern verhaftet. Die Rekurrentinnen vertreten die gegenteilige Ansicht und machen geltend, die analoge Anwendung von
Art. 806 ZGB
auf den Liquidationsvergleich sei nicht gerechtfertigt. Streitig ist somit der Umfang der Pfandhaft. Dabei handelt es sich indessen um eine materiell-rechtliche Frage, die grundsätzlich nicht von den Aufsichtsbehörden, sondern vom Richter zu entscheiden ist. In diesem Sinne hat das Bundesgericht stets geurteilt, wenn der Streit darum ging, ob sich die Pfandhaft auf die Zugehör erstrecke (
BGE 99 III 70
E. 4,
BGE 97 III 41
E. 1,
BGE 58 III 137
ff.,
BGE 40 III 320
). Bei der Frage, ob die Pfandhaft auch die Mietzinserträgnisse erfasse, verhält es sich gleich (
BGE 55 III 42
E. 1,
BGE 51 III 232
). Die Vorinstanz war deshalb nicht berechtigt, diese Frage selbst zu entscheiden und die Mietzinserträgnisse ohne weiteres der Staatskassenverwaltung zuzuweisen.
3.
Im Konkursverfahren hat die Konkursverwaltung über den Umfang der Pfandhaft im Kollokationsplan bzw. im Lastenverzeichnis zu befinden (
BGE 99 III 69
,
BGE 97 III 41
/42,
BGE 86 III 74
,
BGE 58 III 140
,
BGE 55 III 39
ff.). Bezüglich der Mietzinse schreibt
Art. 60 Abs. 3 KOV
dementsprechend ausdrücklich
BGE 105 III 28 S. 31
vor, bei Grundpfandansprachen seien die mitverhafteten Erträgnisse der verpfändeten Liegenschaften im Kollokationsplan genau zu bezeichnen. Enthält der Kollokationsplan keinen unzweideutigen Entscheid über den Umfang eines geltend gemachten Pfandrechts, so kann dies mit Beschwerde gerügt werden, und zwar gegebenenfalls noch im Anschluss an die Auflegung der Verteilungsliste, da ein solcher Kollokationsplan als Grundlage für die Verteilung des Konkursergebnisses schlechthin untauglich ist. Die Konkursverwaltung hat den Kollokationsplan durch eine entsprechende Verfügung zu ergänzen und neu aufzulegen, womit den Beteiligten ermöglicht wird, die Frage des Umfangs der Pfandhaft durch Kollokationsklage dem Richter zu unterbreiten (
BGE 99 III 69
/70,
BGE 97 III 42
/43,
BGE 55 III 42
/43; vgl. auch
BGE 85 III 97
).
Nach
Art. 316g SchKG
hat der Liquidator auch beim Vollzug eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung einen Kollokationsplan aufzustellen. Dafür sind grundsätzlich die Vorschriften des Konkursrechts massgeblich (vgl.
BGE 92 III 30
hinsichtlich der Anwendbarkeit von
Art. 59 Abs. 2 KOV
,
BGE 87 III 121
hinsichtlich der Anwendbarkeit von
Art. 61 KOV
,
BGE 76 I 292
,
BGE 52 III 120
; LUDWIG, Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, Diss. Bern 1970, S. 84 und 86). Auch beim Liquidationsvergleich kann demzufolge ein Kollokationsplan bzw. ein Lastenverzeichnis mit Beschwerde angefochten werden, wenn der Liquidator darin keinen klaren Entscheid darüber getroffen hat, ob die Erträgnisse einer Liegenschaft den Grundpfandgläubigern verhaftet seien, und es muss gegebenfalls der Kollokationsplan ergänzt und neu aufgelegt werden.
4.
Im vorliegenden Fall lässt sich dem Kollokationsplan bzw. dem Lastenverzeichnis über die Liegenschaft Brunnenstrasse 5 nicht entnehmen, ob sich die Pfandhaft auch auf die Mietzinseinnahmen aus dieser Liegenschaft erstrecke oder nicht. Der Kollokationsplan weist somit in dieser Hinsicht einen Mangel auf. Freilich hatte die Staatskassenverwaltung in ihrer Konkurseingabe die Ausdehnung der Pfandhaft auf die Mietzinserträgnisse nicht ausdrücklich verlangt. Das kann ihr jedoch nicht schaden. Sie konnte der Ansicht sein, die Pfandhaft erstrecke sich auch beim Liquidationsvergleich wie beim Konkurs von Gesetzes wegen (
Art. 806 ZGB
) auf die Mietzinse, ohne dass es einer ausdrücklichen Anmeldung bedurft hätte, so wie die Pfandhaft ohne weiteres alle Gegenstände erfasst, die
BGE 105 III 28 S. 32
nach der am Orte üblichen Auffassung Bestandteil oder Zugehör sind (
Art. 246 SchKG
, 11 Abs. 1 VZG;
BGE 86 III 74
). Ferner durfte sie annehmen, die Liquidatorin anerkenne stillschweigend ihren Anspruch auf die Erträgnisse der Liegenschaft, erhielt sie doch im Laufe des Liquidationsverfahrens beträchtliche Zinszahlungen ausgerichtet, die aus den Mietzinseinnahmen stammten. Es kann ihr daher nicht entgegengehalten werden, sie hätte gegen das Lastenverzeichnis unverzüglich Beschwerde führen müssen.
Bei dieser Sachlage ist der Kollokationsplan nach dem Gesagten aufzuheben und die Liquidatorin anzuweisen, ihn durch eine klare Verfügung gemäss
Art. 60 Abs. 3 KOV
hinsichtlich des Umfangs der Pfandhaft zu ergänzen und neu aufzulegen. Bei ihrem Entscheid wird die Liquidatorin zu prüfen haben, ob
Art. 806 ZGB
auch beim Liquidationsvergleich anwendbar sei. Sollte sie diese Frage bejahen, wird sie sich auch darüber aussprechen müssen, von welchem Zeitpunkt an sich die Pfandhaft auf die Mietzinseinnahmen erstrecke. Der endgültige Entscheid in diesen Fragen bleibt dem Richter in einem allfälligen Kollokationsprozess vorbehalten. Je nach dem Ausgang des Kollokationsverfahrens wird die neue Verteilungsliste zu erstellen sein. Dabei wird die Liquidatorin
Art. 262 SchKG
und
Art. 85 KOV
zu berücksichtigen haben (LUDWIG, a.a.O. S. 117). In diesem Sinne sind die Rekurse gutzuheissen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Die Rekurse werden gutgeheissen, der angefochtene Entscheid und die Verteilungsliste werden aufgehoben und die Liquidatorin wird angewiesen, den Kollokationsplan im Sinne der Erwägungen zu ergänzen und neu aufzulegen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac067ee6-8374-49ba-9c44-4a91a6eb1225 | Urteilskopf
105 V 300
64. Auszug aus dem Urteil vom 28. Dezember 1979 i.S. Strässle gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 21 Abs. 1 und 2, 73 Abs. 1 KUVG.
- Zahnprothetische Versorgung in der Unfallversicherung.
- Stellung der Zahnärzte in der Kranken- und in der Unfallversicherung.
- Keine Gleichstellung der Zahnprothetiker mit den Zahnärzten im Bereich der Unfallversicherung. | Sachverhalt
ab Seite 300
BGE 105 V 300 S. 300
A.-
Hedwig Strässle arbeitete seit März 1948 bei der Firma AG S. und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Unfall versichert. Am 13. Januar 1976 wurde sie von einem Radfahrer auf einem Fussgängerstreifen angefahren und zu Boden geworfen. Der beigezogene Arzt diagnostizierte eine Platzwunde am linken Hinterkopf, Verdacht auf Commotio cerebri, Sprengung der oberen Zahnprothese sowie multiple Hämatome. Die Versicherte suchte daraufhin den Zahnprothetiker H. auf, der - weil nur noch eine provisorische Reparatur in Betracht kam - eine neue obere
BGE 105 V 300 S. 301
Zahnprothese anfertigte und der Versicherten hiefür am 20. Februar 1976 eine Rechnung im Betrage von Fr. 550.-- ausstellte. Nachdem die SUVA anfangs Februar 1976 vom Beizug des Zahnprothetikers Kenntnis erhalten hatte, teilte sie der Versicherten mit Schreiben vom 3. Februar 1976 mit, dass die Anstalt für die Kosten der Behandlung bei H. nicht aufkommen könne; gemäss
Art. 21 KUVG
sei die SUVA nur berechtigt, die Behandlung von eidg. diplomierten Zahnärzten zu bezahlen, während die Honorare von kantonal diplomierten Prothetikern nicht zu ihren Lasten gingen.
B.-
Die Versicherte liess hiegegen Beschwerde einreichen mit dem Begehren, die SUVA habe die vom Zahnprothetiker in Rechnung gestellten Zahnbehandlungskosten von Fr. 550.-- zu bezahlen. Demgegenüber beantragte die Anstalt Nichteintreten, ev. Abweisung der Beschwerde und Bestätigung ihrer Verfügung vom 3. Februar 1976.
Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich trat auf die Beschwerde ein und wies sie mit Entscheid vom 16. Februar 1977 ab.
C.-
Hedwig Strässle lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, "die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 3. Februar 1976 sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, für die bei Herrn H. erwachsenen Zahnbehandlungskosten von Fr. 550.-- aufzukommen". Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin an sich einen grundsätzlichen Anspruch auf Reparatur bzw. Ersatz der beim Unfall vom 13. Januar 1976 beschädigten oberen Zahnprothese hat. Denn nach der bereits 1918 begründeten Rechtsprechung ist
Art. 73 Abs. 1 KUVG
in dem Sinne auszulegen, dass die SUVA bei unfallmässiger Beschädigung von Prothesen grundsätzlich leistungspflichtig ist (vgl. MAURER, Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 93 mit Hinweisen).
BGE 105 V 300 S. 302
4.
a) Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde als Hauptargument vor, Reparatur oder Ersatz von abnehmbaren Zahnprothesen stelle nicht eine "ärztliche Behandlung" im Sinne des
Art. 73 Abs. 1 KUVG
dar, sondern falle unter den Begriff der "anderen zur Heilung dienlichen Mittel und Gegenstände". Die ausdrückliche Unterscheidung des Gesetzes zwischen ärztlicher Behandlung und anderen Mitteln und Gegenständen könne nur bedeuten, dass für diese "andere" Versicherungsleistung grundsätzlich auch der Beizug eines Nichtarztes möglich sein müsse. Denn wer eine solche Leistung erbringen dürfe, sage das Gesetz nicht. Somit liege eine Lücke vor, welche der Richter auszufüllen habe. Kriterium müsse dabei allein die fachliche Qualifikation der in Frage kommenden Personen sein. Sie sei bei den Zahnprothetikern des Kantons Zürich, deren Ausbildung durch Gesetz geregelt werde, gegeben.
Demgegenüber führt die Beschwerdegegnerin durch Verweisung auf ihre Vernehmlassung im vorinstanzlichen Verfahren aus, die Beschwerdeführerin versuche - im Bewusstsein, "dass über
Art. 21 KUVG
nichts zu machen" sei - "zwischen die Begriffe der ärztlichen Behandlung einerseits und der Verabreichung anderer zur Heilung dienlicher Mittel und Gegenstände andererseits ... einen Keil zu treiben". Sie macht geltend, diese Betrachtungsweise "krankt nun aber daran, dass es sich bei einer Zahnprothese nicht um Mittel oder Gegenstände handelt, die kurzerhand abgegeben werden. Vielmehr muss die Prothese zuerst auf Grund der lokalen Verhältnisse im Munde ausstudiert und dann angepasst werden. Das nun aber ist im wesentlichen "Behandlung", auch wenn die Prothese "Gegenstand" sein mag. Die Behandlungskompetenz aber regelt
Art. 21 KUVG
eindeutig."
b) Wird der in
Art. 73 Abs. 1 KUVG
neben der ärztlichen Behandlung und der Arznei angeführte Begriff der "anderen zur Heilung dienlichen Mittel und Gegenstände" streng nach seinem Wortlaut und unter Berücksichtigung seiner systematischen Stellung ausgelegt, muss wohl angenommen werden, dass es sich bei diesen Mitteln und Gegenständen um Heilmittel im weitern Sinne handelt. Daraus wäre abzuleiten, dass deren Abgabe eine Heilbehandlung darstellt, die nur den Personen erlaubt ist, welche die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 bzw. 2 KUVG erfüllen, was bei einem Zahnprothetiker -
BGE 105 V 300 S. 303
vorbehältlich der von der Beschwerdeführerin verlangten Gleichstellung mit den Zahnärzten, worauf in Erw. 5 hernach eingegangen wird - nicht zutrifft. Wenn jedoch - nach dem in Erw. 3 Gesagten - auf Grund der Rechtsprechung davon ausgegangen wird, dass aus
Art. 73 Abs. 1 KUVG
auch der Anspruch auf Reparatur unfallmässig beschädigter Prothesen abzuleiten ist, muss in einem solchen Fall nicht unbedingt eine Heilbehandlung im weitern Sinne vorliegen; vielmehr wäre durchaus auch eine Reparatur im rein handwerklich-technischen Sinne denkbar, wie etwa das Schweissen einer Bruchstelle oder der Ersatz eines blossen Bestandteils einer Prothese. Ob in diesem Falle nicht auch die von einem die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 bzw. 2 KUVG nicht erfüllenden Fachmann durchgeführte Reparatur von der SUVA übernommen werden müsste - sei es auf Grund eines direkten öffentlichrechtlichen Verhältnisses wie zwischen Arzt und SUVA, sei es durch Vergütung der Reparaturkosten an den Versicherten -, braucht hier jedoch nicht geprüft zu werden, da es im vorliegenden Fall nicht um eine bloss handwerklich-technische Arbeit geht.
c) Die Beschwerdegegnerin gibt in ihrer vorinstanzlichen Vernehmlassung die Auskunft eines ehemaligen Vertrauenszahnarztes wieder, der bemerkte, "die heutigen Anforderungen an eine optimale prothetische Versorgung seien im Hinblick auf die notwendigen Funktionsanalysen bei Kiefergelenkveränderungen und deren Auswirkungen so gross, dass sie die Fähigkeiten von Zahnprothetikern in der Regel übersteigen". Diese - im Interesse der Versicherten liegende - Auffassung ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn es um die erstmalige Anpassung einer Zahnprothese geht. Man kann sich jedoch fragen, ob sie in jedem Falle auch für blosse Reparaturen Geltung beanspruchen könnte. Allerdings dürften sich dabei Schwierigkeiten ergeben in bezug auf die Abgrenzung, wann nur der Zahnarzt und wann gegebenenfalls der Zahnprothetiker in eigener Verantwortung zuständig sein soll. Dessenungeachtet und allein im Hinblick auf die fachliche Kompetenz beurteilt, ist jedoch einzuräumen, dass ein ausserhalb des Mundes z.B. durch blosses Fallenlassen entstandener Bruch einer Zahnprothese allenfalls von einem Zahnprothetiker selbständig repariert werden kann. Anders verhält es sich indessen, wenn eine Zahnprothese im Munde des Versicherten durch Gewalteinwirkung bzw. Unfall zerstört wurde; in diesem Falle ist der
BGE 105 V 300 S. 304
Beizug eines Zahnarztes notwendig, weil geprüft werden muss, ob der Vorfall nicht auch zu körperlichen Veränderungen führte.
Bei der Beschwerdeführerin, welche von einem Radfahrer angefahren und zu Boden geworfen wurde, erhob der Arzt folgenden Lokalbefund:
"- am linken Hinterkopf besteht eine tiefe Platzwunde mit stark zertrümmertem Gewebe,
- Sprengung der oberen Zahnprothese,
- Hämatom an der Oberlippe,
- Hämatom an der Stirne,
- handtellergrosses Hämatom an der lateralen Kante des linken Us,
- keine Bewusstlosigkeit, keine Amnesie, mässige Nausea."
Die Diagnose lautete auf: "Platzwunde am linken Hinterkopf, Verdacht auf Commotio cerebri, Sprengung der oberen Zahnprothese, multiple Hämatome."
Bei diesem Sachverhalt war es nach den vorstehenden Ausführungen erforderlich, die Reparatur bzw. den Ersatz der zerstörten Zahnprothese von einem Zahnarzt bzw. unter dessen Leitung oder Aufsicht durchführen zu lassen. Die durch den Unfall im Rahmen der prothetischen Neuversorgung notwendig gewordenen Vorkehren müssen daher als ärztliche Behandlung betrachtet werden, welche den unter Art. 21 Abs. 1 bzw. 2 KUVG fallenden Personen vorbehalten ist. Dem Hauptargument der Beschwerdeführerin kann somit nicht gefolgt werden.
5.
a) Eventualiter macht die Beschwerdeführerin sodann geltend, dass die Zahnprothetiker gleich wie die Zahnärzte zu behandeln und jene selbst dann zu Reparatur oder Ersatz von abnehmbarem Zahnersatz zuzulassen seien, falls darin eine ärztliche Behandlung erblickt werden sollte. Die Zahnärzte seien im Rahmen der Lückenfüllung von der Praxis in der sozialen Unfallversicherung zugelassen worden, obwohl sie ebensowenig wie die Zahnprothetiker ein eidg. Arztdiplom oder eine - auf einem wissenschaftlichen Befähigungsausweis beruhende - kantonale Bewilligung zur Ausübung des ärztlichen Berufes besässen. Die Beschwerdeführerin verweist insbesondere auf
BGE 98 V 72
und
BGE 100 V 70
und behauptet, der einzige Unterschied zwischen den Zahnprothetikern und den Zahnärzten bestehe darin, dass letztere ihre Ausbildung an einer Hochschule absolviert hätten. Es sei aber rechtsmissbräuchlich, wenn allein auf diesen Unterschied abgestellt
BGE 105 V 300 S. 305
werde, weil es dem Gesetzgeber nicht darauf angekommen sei, wo die Ausbildung genossen werde, sondern dass die Ausbildung den beruflichen Anforderungen genüge.
Die Beschwerdegegnerin erwidert in ihrer Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
Art. 21 KUVG
setze ein eidg. Arztdiplom oder zumindest eine kantonale Bewilligung auf Grund einer wissenschaftlichen Ausbildung voraus. Wissenschaftliche Ausbildung sei aber zweifelsfrei Hochschulbildung. Der Hinweis der Beschwerdeführerin, dass die Zahnärzte den in
Art. 21 KUVG
verlangten Ausweis nicht besässen, sei reine Spiegelfechterei. Zahnärztliche Tätigkeit, zu der die - Wissenschaftlichkeit voraussetzende - Bewilligung eidgenössisch oder kantonal vorliege, stelle letztlich immer auch ärztliche Tätigkeit dar. Die Zahnärzte habe man daher ohne weiteres den Ärzten gleichstellen dürfen, während eine ähnliche Parallele zwischen den Zahnprothetikern und den Zahnärzten nicht gegeben sei, solange das Gesetz eine wissenschaftliche Ausbildung verlange.
b) Im Bereich der sozialen Krankenversicherung besteht eine umfangreiche Rechtsprechung in bezug auf Funktion und Stellung der Zahnärzte gemäss
Art. 12 und 21 KUVG
. Danach gehören zahnärztliche Vorkehren im engern Sinne, d.h. Behandlungen nach den Methoden der Odontologie, nicht zur ärztlichen Behandlung im Sinne einer Pflichtleistung nach Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a KUVG, und die Zahnärzte gelten insoweit nicht als Ärzte gemäss
Art. 21 Abs. 1 und 2 KUVG
. Hingegen werden therapeutische Verrichtungen in der Mundhöhle, die nicht zahnärztliche Vorkehren im engern Sinne sind und die trotzdem heute fast ausschliesslich von Zahnärzten vorgenommen werden, als ärztliche Behandlung betrachtet und die Zahnärzte in bezug auf solche Verrichtungen den Ärzten gleichgestellt (
BGE 102 V 1
,
BGE 100 V 70
,
BGE 98 V 69
).
Zur Funktion und Stellung der Zahnärzte in der sozialen Unfallversicherung begnügt sich MAURER (a.a.O., S. 186) mit dem kurzen Hinweis:
"Von Zahnärzten spricht das KUVG nicht. Die Anstalt wendet Art. 21 in analoger Weise auch auf sie an."
Ferner daselbst in Note 36:
"Deshalb können die sog. Zahntechniker, denen einzelne Kantone nach bestandener Prüfung ein Diplom ausstellen, das aber nicht etwa ein reguläres Hochschulstudium voraussetzt, keine Patienten auf Kosten der
BGE 105 V 300 S. 306
Anstalt behandeln."
Unter dem Titel "Recht auf freie Wahl des Zahnarztes" führen DUBOIS/ZOLLINGER, Unfallmedizin, S. 68, folgendes aus:
"Die Fortschritte der Zahnheilkunde in den letzten Jahrzehnten, ferner die Tatsache, dass unsere Bevölkerung der Pflege der Zähne eine gegenüber früher verstärkte Aufmerksamkeit schenkt, sowie die Zunahme der Schädigungen des menschlichen Gebisses durch Unfälle und berufliche Vergiftungen erfordern eine erhöhte Inanspruchnahme der Zahnärzte durch die Anstalt.
Es stellt sich nun die Frage, ob auch hinsichtlich des Zahnarztes ein freies Wahlrecht der Versicherten besteht. Wenn ja, ob diesem gleiche Schranken gezogen sind wie dem Arztwahlrecht.
Im KUVG sind die Zahnärzte nicht erwähnt. Bei seiner Schaffung wurde die Zuziehung von Zahnärzten zur Behandlung von Verletzungen und beruflichen Erkrankungen nicht vorgesehen, sonst wären diese sicher neben den Ärzten und Apothekern in Art. 21 usw. genannt worden. Auch war damals der Studiengang der Zahnärzte viel kürzer und einfacher und demjenigen der Ärzte nicht gleichwertig. Heute ist dies aber anders, so dass die SUVA die eidgenössisch diplomierten Zahnärzte als Ärzte im Sinne der Bestimmung von Art. 21 und folgende betrachtet und die Vorschriften des Gesetzes auch auf sie anwendet.
Die Anstalt konnte deswegen in einem Tarifabkommen mit der Schweizerischen Zahnärztegesellschaft mit gutem Gewissen die Verpflichtung übernehmen, ihre Versicherten nur von eidgenössisch diplomierten Zahnärzten und solchen, denen auf Grund eines wissenschaftlichen Befähigungsausweises von einem Kanton die Bewilligung zur Ausübung der Praxis erteilt worden war, behandeln zu lassen."
In gleichem Sinne äussert sich auch H. RUDOLF, Die rechtliche Stellung des behandelnden Arztes in der sozialen Unfallversicherung, Diss. Zürich 1947, S. 45 f., im Zusammenhang mit dem Begriff des "Arztes" nach KUVG:
"Nach dem Wortlaut des Gesetzes zu schliessen, wären die Zahnärzte nicht berechtigt, Versicherte auf Kosten der Anstalt zu behandeln. Zwar ist auch der Zahnarzt in gewissem Sinne Spezialarzt. Sein Studiengang weicht jedoch von demjenigen der Spezialärzte im eigentlichen Sinne des Wortes erheblich ab, indem die Ausbildung der Ärzte und Zahnärzte schon während des Studiums getrennte Wege geht. Für beide Berufsgattungen werden verschiedene Diplome ausgestellt. Auch in der Gesetzgebung des Bundes und der Kantone werden die Zahnärzte regelmässig neben den Ärzten besonders erwähnt. Trotzdem anerkennt die SUVA heute die eidg. diplomierten und diejenigen Zahnärzte, denen auf Grund eines wissenschaftlichen Befähigungsausweises von einem Kanton die Bewilligung zur Ausübung des zahnärztlichen Berufes erteilt worden ist, als Ärzte im Sinne von Art. 21, allerdings nur für gewisse, mit dem Kiefer in Zusammenhang stehende Verletzungen.
BGE 105 V 300 S. 307
Der Grund für diesen Wandel der Ansichten über die medizinische Qualifikation der Zahnärzte ist in der Entwicklung der zahnärztlichen Wissenschaft während der letzten Jahrzehnte zu suchen. Zur Zeit der Schaffung des KUVG war die Zahnheilkunde und damit auch die Ausbildung der Zahnärzte noch nicht so entwickelt wie heute. "Die Tatsache, dass unsere Bevölkerung der Pflege der Zähne eine gegenüber früher verstärkte Aufmerksamkeit schenkt, sowie die Zunahme der Schädigungen des menschlichen Gebisses durch Unfälle und berufliche Vergiftungen erforderten eine erhöhte Inanspruchnahme der Zahnärzte durch die Anstalt."
Noch eine andere Entwicklung spricht für die gleichberechtigte Zuziehung der Zahnärzte. Im Laufe der Zeit haben nämlich gewisse Gebiete vom Tätigkeitsgebiet des Mediziners in dasjenige des Zahnarztes hinüber gewechselt, z.B. die kieferchirurgische Therapie und die Röntgendiagnostik des Kiefers."
c) Obschon der die Unfallversicherung betreffende
Art. 73 Abs. 1 KUVG
u.a. auf Art. 21 Abs. 1, 2, 3 und 6 KUVG verweist und mithin Bestimmungen der Krankenversicherung als sinngemäss anwendbar erklärt, muss beachtet werden, dass die Stellung der Zahnärzte in der Unfallversicherung eine wesentlich andere ist als in der Krankenversicherung.
In der Krankenversicherung geht es darum, dass die zahnärztliche Behandlung im engern Sinne (nach den Methoden der Odontologie) keine Pflichtleistung darstellt und dass insoweit die Zahnärzte nicht zu den in
Art. 21 Abs. 1 und 2 KUVG
erwähnten Personen, insbesondere nicht zu den Ärzten gehören. Lückenfüllend hat aber das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt festgehalten, dass die Zahnärzte den Ärzten gleichzustellen sind, soweit sie therapeutische Verrichtungen in der Mundhöhle ausführen, die nicht zu den zahnärztlichen Vorkehren im engern Sinne gehören und damit eigentliche "ärztliche" Behandlung darstellen.
Wenn MAURER (a.a.O., S. 186) in bezug auf die Unfallversicherung ausführt, die SUVA wende
Art. 21 KUVG
in analoger Weise auch auf die Zahnärzte an, so bedeutet dies - und es kann der Natur der Sache nach auch nichts anderes bedeuten -, dass die Zahnärzte in diesem Bereich - und im Gegensatz zur Regelung in der Krankenversicherung - in allen ihren therapeutischen Verrichtungen, also insbesondere auch in den spezifisch zahnärztlichen, den Ärzten gleichgestellt werden. Die SUVA hat denn auch mit den Zahnärzten in gleicher Weise wie mit den Ärzten einen Tarifvertrag abgeschlossen. DUBOIS/ZOLLINGER und H. RUDOLF geben für diese Gleichstellung durchaus
BGE 105 V 300 S. 308
plausible Begründungen (vgl. Erw. 5b hievor). Grundlegender Gedanke ist eben, dass die Unfallversicherung alle aus einem Unfall herrührenden Gesundheitsschädigungen zu übernehmen hat und dass daher unter dem Begriff der "Krankenpflege" (
Art. 72 lit. a KUVG
; vgl. auch die Marginalie zu
Art. 73 KUVG
) auch die zahnärztliche Therapie zu verstehen ist. Die Unfallversicherung ist somit auf den Beizug der Zahnärzte angewiesen, weil die zahnärztliche Behandlung grundsätzlich zu den gesetzlichen Pflichtleistungen gehört, wenn ein Unfall einen Zahnschaden verursacht hat. Die nach dem Gesagten unbedingt gebotene grundsätzliche Gleichstellung der Zahnärzte mit den Ärzten lässt sich um so leichter vertreten, als die zahnärztliche Ausbildung - abgesehen von der Beschränkung auf ein Spezialgebiet - auf der gleichen Stufe steht wie die ärztliche Ausbildung. Es entspricht deshalb einer echten "sinngemässen" Anwendung des
Art. 21 Abs. 1 und 2 KUVG
, wenn die Zahnärzte in der Unfallversicherung den Ärzten gleichgestellt werden, vorausgesetzt, dass sie wie diese ein eidg. Diplom (d.h. in diesem Falle eben ein eidg. Zahnarztdiplom) oder eine auf einem wissenschaftlichen Befähigungsausweis beruhende kantonale Bewilligung (zur Ausübung des zahnärztlichen Berufes) besitzen.
d) Aus den vorstehenden Ausführungen geht hervor, dass keine Parallele zwischen den Zahnärzten und den Zahnprothetikern bestehen kann mit der Folge, dass letztere in gleicher Weise wie die Zahnärzte den Ärzten gleichzustellen wären. Somit ist auch der Eventualstandpunkt der Beschwerdeführerin nicht haltbar. Beizupflichten ist vielmehr der Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass eine Gleichstellung der Zahnprothetiker mit den Zahnärzten im Rahmen des Art. 73 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 21 Abs. 1 KUVG
schon deshalb ausser Betracht fällt, weil die allfällige kantonale Berufsausübungsbewilligung der Zahnprothetiker - entgegen
Art. 21 Abs. 2 KUVG
- nicht auf einem wissenschaftlichen Befähigungsausweis beruht. Der Zahnprothetiker kann somit nicht beanspruchen, im Bereich der unter die ärztliche Behandlung im Sinne des
Art. 73 Abs. 1 KUVG
fallenden zahnärztlichen Tätigkeit wie ein Zahnarzt bzw. eine selbständige Medizinalperson behandelt zu werden. In diesem Zusammenhang kann auf die bundesrätliche Botschaft zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August 1976 hingewiesen werden.
BGE 105 V 300 S. 309
Darin wird ausgeführt (BBl 1976 III 204, Separatdruck, S. 64), Zahnprothetiker könnten "wegen der unterschiedlichen kantonalen Regelungen über ihre Ausbildung und Stellung nicht als selbständige Medizinalpersonen, sondern lediglich als medizinische Hilfspersonen für die Unfallversicherung tätig sein". | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ac0a712d-4b83-4813-a60c-a49de1e8d076 | Urteilskopf
100 III 67
18. Entscheid vom 14. Dezember 1974 i.S. Schweizerische Bankgesellschaft und Mitbeteiligte. | Regeste
Bankenstundung (Art. 29ff. BankG)
1. Gegen Entscheidungen des Stundungsgerichts ist der Rekurs ans Bundesgericht zulässig (Erw. 1).
2. Das Stundungsgericht ist nicht zuständig zur Beurteilung der Frage, ob die Schuldner der in Stundung befindlichen Bank ihre erst nach Einreichung des Stundungsgesuchs entstandenen Schulden mit ihren Gegenforderungen verrechnen dürfen (Erw. 2).
3. Das Stundungsgericht kann einem Dritten nicht unter Androhung von Busse für den Fall der Zuwiderhandlung die Weisung erteilen, bestimmte Beträge zur freien Verfügung der Bank zu halten (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 100 III 67 S. 67
A.-
Die Cosmos Bank reichte am 9. September 1974 beim Handelsgericht des Kantons Zürich ein Stundungsgesuch ein. Als provisorische Kommissärin wurde gleichentags die Gesellschaft für Bankrevisionen eingesetzt. Diese stellte am 13. September 1974 beim Handelsgericht das Gesuch, die vier schweizerischen Grossbanken, nämlich die Schweizerische Bankgesellschaft, der Schweizerische Bankverein, die Schweizerische Kreditanstalt und die Schweizerische Volksbank, seien anzuhalten, alle Zahlungen, die nach der Einreichung des Stundungsgesuchs zugunsten der Cosmos Bank bei ihnen eingegangen seien oder noch eingingen, zu deren freien Verfügung
BGE 100 III 67 S. 68
zu halten und keine Verrechnung mit bestehenden Forderungen vorzunehmen. Das Handelsgericht gab diesem Gesuch noch am gleichen Tag statt, worauf die vier Grossbanken, die vorher nicht angehört worden waren, Einsprache erhoben. Am 26. September 1974 wurde der Cosmos Bank mit Wirkung ab 9. September 1974, 10 Uhr, auf die Dauer eines Jahres eine Stundung im Sinne von Art. 29 ff. des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (BankG) bewilligt und als definitive Kommissärin die Arthur Andersen & Co. AG eingesetzt. Hinsichtlich der Einsprache der Grossbanken fällte das Handelsgericht am 14. Oktober 1974 folgenden Entscheid:
"Die Einsprache wird abgewiesen, und die nachfolgenden Banken: Schweizerische Bankgesellschaft,
Schweizerischer Bankverein,
Schweizerische Kreditanstalt,
Schweizerische Volksbank,
werden angewiesen, Zahlungen, die nach dem Eingang des Stundungsgesuches der Cosmos Bank (9. September 1974, 10 Uhr) zugunsten dieser Bank oder ihrer Kunden eingegangen sind oder noch eingehen werden, zur Verfügung der Cosmos Bank zu halten, und keine Verrechnung mit ihnen schon vor dem 9. September 1974, 10 Uhr, zustehenden Forderungen vorzunehmen, noch die eingegangenen Beträge zum Zwecke zukünftiger Verrechnung zurückzubehalten, unter der Androhung von Busse bis zu Fr. 5000.-- im Sinne von Art. 50 Bankengesetz im Zuwiderhandlungsfalle."
B.-
Gegen diesen Entscheid legten die betroffenen Banken bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts Rekurs ein, mit dem sie dessen Aufhebung beantragten. Die Cosmos Bank stellte in ihrer Vernehmlassung den Antrag auf Abweisung des Rekurses.
Mit Verfügung vom 28. November 1974 wurde dem Rekurs aufschiebende Wirkung in dem Sinne beigelegt, dass den Rekurrentinnen nicht verwehrt wurde, im Rahmen der gesetzlichen Regelung Schulden gegenüber der Cosmos Bank mit Gegenforderungen gegen diese zu verrechnen, dass sie jedoch die Kommissärin darüber zu informieren hatten, welche Schulden sie mit welchen ihrer Forderungen verrechnen wollten, und dass sie für Schulden und Gegenforderungen, deren Verrechnung bestritten wurde, bis zur richterlichen oder gütlichen Erledigung der Streitigkeit gesperrte Kontos zu führen hatten.
BGE 100 III 67 S. 69
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 63 Abs. 2 der Verordnung zum BankG vom 17. Mai 1972 (AS 1972 S. 821 ff; SR 952.02) wurde mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung, d.h. am 1. Juli 1972, die alte Vollziehungsverordnung zum BankG vom 30. August 1961 (AS 1961 S. 693 ff.) aufgehoben, "vorbehältlich der Bestimmungen über das Konkurs- und Nachlassverfahren (Art. 49 Abs. 2 und Art. 50-54); diese bleiben bis zum Erlass bundesgerichtlicher Vorschriften gemäss den Artikeln 36 Abs. 5 und 37 Abs. 9 des Gesetzes in Kraft". Besondere Vorschriften hat das Bundesgericht einzig in bezug auf das Nachlassverfahren erlassen (Verordnung betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen vom 11. April 1935; SR 952.831). Nach Art. 53 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung vom 30. August 1961 gelten für die Beschwerdeführung gegen Entscheide des Stundungsgerichts, des Konkursgerichts und der Nachlassbehörde die Vorschriften über die Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs an das Bundesgericht. Obwohl sich der Vorbehalt in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung vom 17. Mai 1972 dem Wortlaut nach nur auf die Bestimmungen über das Konkurs- und Nachlassverfahren bezieht, muss angenommen werden, Art. 53 Abs. 2 der Verordnung vom 30. August 1961 bleibe auch hinsichtlich der Beschwerdeführung gegen Entscheide des Stundungsgerichts in Kraft (vgl. auch
Art. 30 Abs. 3 BankG
). Gegen solche Entscheide ist daher der Rekurs ans Bundesgericht im Sinne von
Art. 19 SchKG
zulässig.
2.
Nach
Art. 32 Abs. 1 BankG
hat die Bankenstundung die gleichen Wirkungen wie die ordentliche Nachlassstundung. Während der Dauer der Stundung kann daher gegen die Bank eine Betreibung weder angehoben noch fortgesetzt werden, und der Lauf jeder Verjährungs- oder Verwirkungsfrist, die durch Betreibung unterbrochen werden kann, ist gehemmt (
Art. 297 Abs. 1 SchKG
). Im übrigen führt die Bank nach
Art. 32 Abs. 2 BankG
ihr Geschäft unter der Aufsicht des Kommissärs und nach dessen Weisungen weiter, doch darf sie keine Rechtshandlungen vornehmen, durch welche die berechtigten Interessen der Gläubiger beeinträchtigt oder einzelne
BGE 100 III 67 S. 70
Gläubiger zum Nachteil anderer begünstigt werden. Zahlungen an die Gläubiger dürfen nur mit Zustimmung des Kommissärs geleistet werden, und dieser ist ermächtigt, nach seinem Ermessen Auszahlungen an die Gläubiger mit fälligen Forderungen in bestimmter Höhe anzuordnen, wobei die Interessen der durch Rechtsgeschäft oder Gesetz privilegierten sowie der kleinen Gläubiger angemessen berücksichtigt werden sollen. Die Auszahlungen dürfen die Hälfte derjenigen Beträge nicht übersteigen, für die nach der Vermögensfeststellung des Kommissärs Deckung vorhanden ist. Nach
Art. 32 Abs. 3 BankG
kann das Gericht sodann
"während der Stundung jederzeit weitere durch die Sachlage gebotene und im Interesse der Bank oder der Gläubiger liegende Massnahmen treffen. So kann es insbesondere anordnen, dass der Abschluss neuer Geschäfte, die Veräusserung von Liegenschaften, die Bestellung von Pfändern oder die Eingehung von Bürgschaften zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Kommissärs bedürfen; solche Anordnungen sind öffentlich bekannt zu machen."
Das Handelsgericht geht in seinem Entscheid davon aus, die weite Fassung dieser Bestimmung erlaube es dem Stundungsgericht, auch Dritten Weisungen zu erteilen.
Wenn auch die Massnahmen, die das Stundungsgericht gestützt auf
Art. 32 Abs. 3 BankG
anordnen kann, nicht abschliessend aufgezählt sind, so versteht sich doch von selbst, dass diese Bestimmung nicht zum Erlass jeder beliebigen Anordnung ermächtigt. Ob die Massnahmen nur in Weisungen an die in Stundung befindliche Bank selbst bestehen dürfen, wie die Rekurrentinnen geltend machen, mag offen bleiben. Jedenfalls müssen sie die Grundregeln der schweizerischen Rechtsordnung respektieren. Eine Grundregel des Betreibungsrechts ist es nun aber, wie das Bundesgericht mehrfach entschieden hat, dass die Betreibungsbehörden nicht zuständig sind, materiell-rechtliche Streitigkeiten zu entscheiden, die Entscheidung derartiger Streitigkeiten vielmehr dem ordentlichen Zivilrichter vorbehalten ist. So kann z.B. die Konkursverwaltung bzw. die Aufsichtsbehörde nicht endgültig darüber befinden, was als Vermögen des Gemeinschuldners zur Konkursmasse gehört und was Dritte beanspruchen dürfen (
BGE 100 III 66
; vgl. auch
BGE 97 III 130
; JAEGER, N. 4C zu
Art. 197 SchKG
). Ebensowenig sind im Bankennachlassverfahren die Nachlassbehörden zuständig, darüber
BGE 100 III 67 S. 71
zu entscheiden, ob die Treuhandanlagen der Bank zu deren Vermögen gehören oder ob sie von den Auftraggebern gestützt auf
Art. 401 OR
herausverlangt werden können (
BGE 97 III 128
ff.; vgl. den Entscheid des Zivilrichters in der gleichen Sache in
BGE 99 II 393
ff.). Entsprechend verhält es sich im Bankenstundungsverfahren.
Art. 32 Abs. 3 BankG
verschafft dem Stundungsgericht nicht die Kompetenzen eines Zivilgerichtes. Demgemäss hat das Bundesgericht in
BGE 91 III 109
erkannt, die Frage, ob der Bank ein Pfandrecht an Wertschriften zustehe, die von einem Dritten herausverlangt würden, könne nicht vom Stundungsgericht entschieden werden, da es sich dabei um eine materiell-rechtliche Streitigkeit handle; vielmehr müsse der Dritte beim ordentlichen Richter auf Herausgabe der Titel klagen. Diese Verteilung der Kompetenzen ist sachlich durchaus gerechtfertigt, denn das Verfahren vor den Betreibungsbehörden eignet sich nicht für die Prüfung zivilrechtlicher Rechtsfragen; es bietet insbesondere dem Dritten, in dessen Rechte eingegriffen werden soll, nicht die gleichen prozessualen Garantien wie der Zivilprozess (vgl.
BGE 97 III 130
).
Im vorliegenden Fall machen die Rekurrentinnen geltend, sie seien berechtigt, auch ihre erst nach Einreichung des Stundungsgesuches entstandenen Schulden mit ihren Forderungen gegenüber der Cosmos Bank zu verrechnen. Demgegenüber vertritt die Cosmos Bank die Ansicht, die Verrechnung solcher Schulden sei entsprechend der Regelung im Konkursverfahren in
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
ausgeschlossen. Die Frage, ob diese Bestimmung im Bankenstundungsverfahren analog anzuwenden sei und gegebenenfalls von welchem Zeitpunkt an die Verrechnung unzulässig sein soll (vgl. dazu einerseits BACHMANN, Fälligkeitsaufschub und Stundung im schweizerischen Bankrecht, Diss. Zürich 1941 S. 94/95; anderseits HENGGELER, Die Verrechnung bei Fälligkeitsaufschub und Stundung gemäss dem Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen..., in Festgabe Edmund Schulthess S. 299 ff., 314; JAEGER, Juristische Probleme moderner Bankensanierungen, in Festgabe Ernst Scherz S. 9 ff., 13 ff.; GRANER, Revidiertes Obligationenrecht und Bankengesetz, S. 322), ist nun aber materiell-rechtlicher Natur, geht es doch darum, ob die Forderungen der Cosmos Bank zu Recht bestehen oder ob die Rekurrentinnen ihnen die Einrede der Verrechnung entgegenhalten
BGE 100 III 67 S. 72
können. Das Handelsgericht war daher nach dem Gesagten als Stundungsgericht zu ihrer Beurteilung nicht zuständig, so dass sein Entscheid aufzuheben ist.
3.
Dazu kommt, dass das Handelsgericht, selbst wenn es zur Beurteilung der Verrechnungseinrede kompetent gewesen wäre, die Rekurrentinnen nicht unter Androhung von Busse zur Weiterleitung der bei diesen eingehenden Zahlungen hätte verhalten dürfen. Denn Geldforderungen können nur auf dem Weg der Schuldbetreibung vollstreckt werden (
Art. 38 Abs. 1 SchKG
;
BGE 86 II 295
Erw. 2,
BGE 85 II 196
Erw. 2,
BGE 79 II 288
,
BGE 78 II 92
,
BGE 74 II 51
ff.). Durch Androhung von Busse kann daher die Bezahlung einer bestrittenen Forderung nicht erzwungen werden. Auch dabei handelt es sich um einen Grundsatz des schweizerischen Rechts, über den das Stundungsgericht bei der Anordnung von Massnahmen im Sinne von
Art. 32 Abs. 3 BankG
nicht hinweggehen darf. Nun wird im angefochtenen Entscheid zwar ausgeführt, die streitige Weisung sei nicht als Vollstreckungsmassnahme im eigentlichen Sinne anzusehen. Wie es sich damit verhält, kann indessen offen bleiben, da die Androhung von Busse für den Fall der Nichtbezahlung einer Geldschuld auch dann unzulässig ist, wenn sie nicht in einem eigentlichen Vollstreckungsbefehl, sondern bereits im Urteil des erkennenden Gerichts enthalten ist. Der Rekurs ist daher auch aus diesem Grunde gutzuheissen.
4.
Die Frage, ob die Rekurrentinnen ihre erst nach Einreichung des Stundungsgesuchs entstandenen Schulden mit ihren Forderungen gegenüber der Cosmos Bank verrechnen können, ist mit der Gutheissung des Rekurses nicht entschieden. Es wird Sache der Cosmos Bank bzw. der Kommissärin sein, die Rekurrentinnen zur Stellungnahme darüber aufzufordern, welche Schulden diese mit welchen ihrer Forderungen verrechnen wollen. Sollte eine gütliche Einigung nicht gefunden werden können, so bleibt ihr nichts anderes übrig, als die bestrittenen Forderungen in Betreibung zu setzen und auf Rechtsvorschlag hin die Rechtsöffnung zu verlangen bzw. beim Richter Klage einzureichen. Es ist zuzugeben, dass dieses Vorgehen mehr Zeit beansprucht als der Erlass einer Weisung durch das Stundungsgericht und dass deswegen die Erreichung des Zweckes der Bankenstundung, nämlich die Behebung der Illiquidität der Bank, erschwert oder sogar vereitelt
BGE 100 III 67 S. 73
werden könnte. Diese Erwägung hat indessen zurückzutreten vor dem Anspruch der Rekurrentinnen, dass ihre Verrechnungseinrede in einem Zivilprozess vom ordentlichen Richter geprüft werde.
5.
Mit der Gutheissung des Rekurses werden die im Zusammenhang mit der Gewährung der aufschiebenden Wirkung angeordneten Massnahmen hinfällig.
6.
Der Cosmos Bank sind weder Gebühren aufzuerlegen noch ist sie zur Bezahlung einer Parteientschädigung zu verpflichten (Art. 67 Abs. 2 und 68 Abs. 2 GebT).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. Oktober 1974 aufgehoben. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac0d48c6-336e-4988-a88e-c356b20c5a38 | Urteilskopf
112 II 369
62. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. November 1986 i.S. Leo Sutter gegen Kanton Appenzell I.Rh. und Mitbeteiligte (Berufung) | Regeste
Namensschutz (
Art. 29 ZGB
).
Eine öffentlichrechtliche Körperschaft, die sich gegen die Verwendung ihres Namens durch eine natürliche oder juristische Person oder den Gebrauch ihres Namens als Geschäftsbezeichnung wendet, kann nur die Verletzung ihrer eigenen Interessen geltend machen und nicht die Verletzung der Interessen einzelner ihrer Mitglieder. Durch die Bezeichnung eines am Landsgemeindeplatz in Appenzell niedergelassenen Gastwirtschaftsbetriebes als "Café und Hotel Appenzell" werden keine falschen Assoziationen geweckt und wird das mit den örtlichen Verhältnissen unvertraute Publikum nicht zur irrtümlichen Annahme verleitet, es bestehe eine besondere (rechtliche) Beziehung zwischen dem Gastwirtschaftsbetrieb einerseits und dem Kanton Appenzell I.Rh. sowie öffentlichrechtlichen Körperschaften, die den Namen "Appenzell" tragen, anderseits. | Sachverhalt
ab Seite 370
BGE 112 II 369 S. 370
A.-
Leo Sutter eröffnete im Frühjahr 1983 am Landsgemeindeplatz in Appenzell einen Gastwirtschaftsbetrieb mit der Bezeichnung "Café und Hotel Appenzell". Am 18. April 1983 meldete er die Einzelfirma "Leo Sutter" zur Eintragung in das Handelsregister des Kantons Appenzell I.Rh. an, wobei er auf die Frage nach der Natur des Geschäftes auf dem Anmeldeformular die Antwort eintrug: "Betrieb des Cafés und Hotels Appenzell".
Gegen die Eintragung dieser Geschäftsbezeichnung, die bis heute nicht erfolgt ist, reichten der Kanton Appenzell I.Rh., das Innere Land des Kantons Appenzell I.Rh., der Bezirk Appenzell sowie die Feuerschaugemeinde Appenzell beim Bezirksgericht Appenzell Klage ein.
B.-
Mit Urteil vom 13. März 1984 hiess das Bezirksgericht Appenzell die Klage gut, untersagte dem Beklagten die Verwendung des Namens "Appenzell" als Geschäftsbezeichnung und befahl ihm, sämtliche Drucksachen, Werbemittel und Anschriften seines Café- und Hotelbetriebes abzuändern. Es untersagte überdies dem Handelsregisterführer von Appenzell, die Geschäftsbezeichnung "Betrieb des Cafés und Hotels Appenzell" in das Handelsregister einzutragen.
Eine Berufung des Beklagten Leo Sutter gegen dieses Urteil wies das Kantonsgericht Appenzell am 13. Februar 1985 kostenfällig ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
Das Bundesgericht hiess die hiegegen gerichtete Berufung des Leo Sutter gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Berufungskläger macht eine Verletzung von
Art. 29 ZGB
geltend. Es genügt, die hier zu beurteilende Rechtsfrage unter dem Blickwinkel dieser bundesrechtlichen Vorschrift zu prüfen, ohne die Anwendbarkeit allenfalls auch von
Art. 28 ZGB
zu diskutieren; denn der Namensschutz des
Art. 29 ZGB
bildet einen Sonderfall des durch
Art. 28 ff. ZGB
gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsschutzes (
BGE 102 II 166
; TUOR/SCHNYDER, ZGB, 10. Auflage 1986, S. 95; GROSSEN, in Schweizerisches
BGE 112 II 369 S. 371
Privatrecht II, S. 339; Kommentar EGGER, N. 13 zu
Art. 29 ZGB
).
b) Nach
Art. 29 Abs. 2 ZGB
kann, wer dadurch beeinträchtigt wird, dass ein anderer sich seinen Namen anmasst, auf Unterlassung dieser Anmassung klagen. Indessen kann nicht schon in der Tatsache an sich, dass jemand zur Bezeichnung seiner eigenen Person oder einer Sache (z.B. eines Geschäftsbetriebs) den Namen eines andern verwendet, eine Verletzung dieser Bestimmung erblickt werden.
Art. 29 Abs. 2 ZGB
setzt vielmehr voraus, dass die Namensanmassung unbefugt, das heisst, durch Beeinträchtigung rechtlich schützenswerter Interessen des Namensträgers, erfolgt (
BGE 108 II 243
E. 5,
BGE 102 II 166
f., 307 f. E. 2 mit zahlreichen Verweisungen auf Rechtsprechung und Lehre). Diese Voraussetzung ist u.a. erfüllt, wenn die Aneignung des Namens seitens eines Dritten die Gefahr einer Verwechslung oder Täuschung bewirkt oder wenn sie geeignet ist, zufolge einer blossen Gedankenassoziation in der Meinung des Publikums eine in Wirklichkeit nicht bestehende Beziehung zwischen dem bisherigen Träger des Namens und dem anmassenden Dritten herzustellen (
BGE 72 II 150
).
Nach einer andern Umschreibung liegt eine unbefugte Namensanmassung auch vor, wenn die Kennzeichnungswirkung eines fremden Namens für eigene Zwecke missbraucht, das heisst, wenn der Anschein erweckt wird, der fremde Name habe etwas mit dem neuen Namensträger persönlich oder mit seinem Geschäft zu tun (
BGE 108 II 243
E. 5) oder es bestehe eine enge - persönliche, ideelle, geistige oder geschäftliche - Verbindung, die in Tat und Wahrheit fehlt oder gar nur aus Gegensätzen besteht (
BGE 77 I 160
f. E. 1: "Fraumünster" zur Bezeichnung eines Verlags und einer Buchhandlung katholischer Richtung). Eine Beeinträchtigung kann daher insbesondere auch darin liegen, dass ein Namensträger durch Gedankenverbindungen in nicht vorhandene Beziehungen hineingestellt wird, die er ablehnt und vernünftigerweise auch ablehnen darf (
BGE 102 II 308
E. 2 mit Hinweisen).
Dass eine unbefugte Namensanmassung im Sinne der Rechtsprechung zu
Art. 29 Abs. 2 ZGB
vorliegt, hat der ursprüngliche Namensträger zu beweisen. Die Beeinträchtigung seiner Interessen braucht dabei nicht vermögensrechtlicher Natur zu sein. Es genügt auch der Nachweis, dass schutzwürdige ideelle Interessen wirklich und nicht nur dem Scheine nach verletzt werden oder dass die echte Gefahr einer solchen Verletzung besteht (
BGE 102 II 308
E. 2 mit Hinweisen).
BGE 112 II 369 S. 372
4.
Das Kantonsgericht Appenzell hat den Nachweis einer solchen Verletzung ideeller Interessen aufgrund der folgenden Überlegungen als erbracht betrachtet:
a) Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Verwaltungsgerichtsverfahren zu
Art. 944 OR
sowie
Art. 45 und 46 HRegV
(
BGE 99 Ib 34
ff., (recte)
BGE 98 Ib 298
ff.,
BGE 97 I 73
ff.,
BGE 96 I 606
ff.,
BGE 94 I 559
ff.,
BGE 92 I 293
ff.) hat das Kantonsgericht verschiedene Grundsätze herausgearbeitet. Es hat festgestellt, dass ein schutzwürdiges Interesse, in einer Firma einen nationalen oder territorialen Zusatz zu verwenden, nur bestehe, wenn dieser für die Unterscheidbarkeit notwendig sei, und zwar zusätzlich zu den übrigen - mit an sich genügender Kennzeichnungskraft ausgestatteten - Firmenbestandteilen. Die zitierten Entscheide liessen erkennen, dass die territoriale Bezeichnung nie das allein individualisierende Merkmal der jeweiligen Firma gewesen sei; vielmehr sei die territoriale Bezeichnung zur Unterscheidung der Tochtergesellschaften von ihrer Muttergesellschaft notwendig gewesen ("Association fribourgeoise des intérêts immobiliers", "AGIE Verkauf Schweiz", "Rotopark Suisse", "Coop Oberwallis").
Das Kantonsgericht hat unter Berufung auf den 1940 erschienenen Kommentar HIS (N. 101, 107 ff., insbesondere N. 118 zu
Art. 944 OR
) den Zweck von
Art. 944 OR
in Verbindung mit
Art. 45 und 46 HRegV
vor allem darin gesehen, dass eine Überfremdung des schweizerischen Wirtschaftslebens abgewehrt werden sollte; die genannten Vorschriften dienten dem Schutz der Autorität des Staates, der Schonung und Achtung des nationalen Empfindens der gutgesinnten (patriotischen) Bürger. Ferner soll nach Auffassung des Kantonsgerichts der Anschein verhindert werden, ein privates Unternehmen, das eine nationale oder territoriale Bezeichnung verwende, erfülle staatliche Aufgaben, erhalte Subventionen oder sei staatlich garantiert. Es sollen falsche Assoziationen bzw. Täuschungen über nicht vorhandene Beziehungen zum Gemeinwesen verhindert werden, wie dies für das Namensrecht in ähnlicher Weise gelte (
BGE 102 II 308
). Aus diesen Überlegungen hat das Kantonsgericht hergeleitet, dass die ähnlichen gesetzgeberischen Zwecke es rechtfertigten, die einschlägigen Bestimmungen des Firmen- und Registerrechts auf den vorliegenden Fall des Namensschutzes analog anzuwenden.
b) Im Gegensatz zur ersten Instanz hat das Kantonsgericht die Gefahr einer Verwechslung, die mit der individualisierenden Geschäftsbezeichnung "Café und Hotel Appenzell" verbunden sein
BGE 112 II 369 S. 373
könnte, zu Recht verneint. Es hat zutreffend festgestellt, dass sich nicht zwei (gleichartige) Personen oder Sachen mit gleicher Bezeichnung gegenüberstehen.
Hingegen sieht die Vorinstanz in der beanstandeten Geschäftsbezeichnung die Gefahr einer Täuschung. Nach ihrer Darstellung ist es durchaus möglich, dass ein Hotel mit dem gleichen Namen wie der Kanton bei Touristen, Gästen und anderen, mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertrauten Personen einen "offiziellen" oder wenigstens "offiziösen" Eindruck in dem Sinne erweckt, dass zwischen der Gebietskörperschaft und dem Hotel eine besondere Beziehung bestehe. Zwar sei vielleicht wenig wahrscheinlich - hat das Kantonsgericht ausgeführt -, dass mit den lokalen Verhältnissen nicht vertraute Personen das Hotel gleich für einen Betrieb des Kantons oder der Gemeinde hielten. Aber weniger weitgehende Trugschlüsse wie zum Beispiel der, dass das Hotel staatlich unterstützt, anerkannt oder sonst gefördert werde und dass es den Namen der Gebietskörperschaft tragen dürfe, weil es auch öffentliche Interessen wahrnehme, seien leicht möglich. Darin erblickt das Kantonsgericht die Gefahr, dass der Eindruck einer besonderen Beziehung zwischen dem Hotel und der staatlichen Gemeinschaft aufkomme, obwohl in Tat und Wahrheit gar keine solche Beziehung bestehe.
Das Kantonsgericht vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass wegen der durchschnittlich geringen Aufmerksamkeit des Publikums die Gefahr falscher Assoziationen heute grösser sei. Das könne für den, der den Namen verwendet, durchaus erwünscht sein; denn mit der gedanklichen Verbindung färbe das hohe Ansehen und die Anziehungskraft des urpsrünglichen Namensträgers auf seinen Betrieb ab. Das geschäftliche Interesse an einer derartigen Werbewirkung sei aber kein Interesse, das den Eingriff in fremde Namensrechte rechtfertige. Ein schlechtes Geschäftsgebaren, meint das Kantonsgericht schliesslich, könnte das Ansehen des ursprünglichen Namensträgers mindern; das gelte es zu verhindern.
c) Des weitern hat das Kantonsgericht das Bestreben der Kläger, der Kommerzialisierung des Namens "Appenzell" entgegenzutreten, als schützenswert bezeichnet. Die Kommerzialisierung schade dem Ansehen der staatlichen Namensträger und verletze das gesunde, patriotische Empfinden der Bürger, denen der Name "Appenzell" wertvoll sei. Nach Bekanntwerden der Geschäftsbezeichnung "Café und Hotel Appenzell" habe jedenfalls ein Teil der
BGE 112 II 369 S. 374
Bürger öffentlich heftige Kritik an dieser Namensgebung geübt; diese Kritik sei mit ein Anlass zur vorliegenden Klage gewesen. Wenn schon das grundsätzliche Verbot von nationalen und territorialen Bezeichnungen in Firmen und Enseignes unter anderem dem Schutz des Ansehens des Staates und der Schonung und Achtung des nationalen Empfindens der gutgesinnten (patriotischen) Bürger diene, so handle es sich auch beim Namensschutz von Gebietskörperschaften um schutzwürdige Interessen, die durch eine ungehemmte Vermarktung des Namens verletzt werden könnten.
Die Vorinstanz sieht in diesem Zusammenhang einen Unterschied gegenüber der Tatsache, dass der Name "Appenzell" für die Bezeichnung bestimmter Produkte und damit ebenfalls für kommerzielle Zwecke verwendet wird. Hier diene der Name "Appenzell" nicht als individualisierendes Merkmal für eines von vielen gleichartigen Geschäften in Appenzell, sondern es handle sich um eingebürgerte Bezeichnungen, welche die Waren nach ihrer geographischen Herkunft kennzeichneten und zum Teil auch auf eine bestimmte Beschaffenheit und Qualität hinwiesen.
d) Das Kantonsgericht glaubt auch, dass der Beklagte, in dem er den Namen "Appenzell" in seine im übrigen kaum individualisierende Geschäftsbezeichnung übernehme, den Schutz nach Massgabe von
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
und damit eine gewisse Monopolisierung erwirke. Zusammen mit den positiven gedanklichen Assoziationen, die der Name "Appenzell" wecke (bodenständig, zuverlässig, gemütvoll usw.), könnte sich der Beklagte Wettbewerbsvorteile sichern. Das wäre zwar als Nebenwirkung einer durch andere Interessen gerechtfertigten Verwendung des Namens zulässig; indessen mache der Beklagte zu Recht keine anderen Interessen (z.B. die Notwendigkeit der Verwendung des Namens "Appenzell" zur Abgrenzung eines Tätigkeitsgebiets) geltend.
e) Für sich allein - argumentiert die Vorinstanz weiter - sei die Sicherung von Wettbewerbsvorteilen kein schützenswertes Interesse, das einen Eingriff in das Recht am Namen öffentlichrechtlicher Körperschaften rechtfertigen würde. Diese Körperschaften seien zur Gleichbehandlung ihrer Bürger verpflichtet. Die Rechtsgleichheit verlange denn auch bei der Bewilligung nationaler und territorialer Bezeichnungen nach Firmenrecht, dass nicht eine Firma gegenüber der anderen bevorzugt werde. Daraus folge, dass sich das Gemeinwesen dagegen zur Wehr setzen dürfe, dass ein einzelner Bürger ohne Bewilligung oder besondere Rechtfertigung seinen Namen zur Vermarktung an sich reisse und ihn für sich in
BGE 112 II 369 S. 375
einer Branche monopolisiere. Die öffentlichrechtlichen Namensträger müssten es jedenfalls nicht dulden, dass Geschäfte sich ihren Namen anmassen, um sich von ähnlichen, am gleichen Ort tätigen Betrieben abzuheben und dadurch Wettbewerbsvorteile zu erlangen.
5.
Das Kantonsgericht Appenzell hat mit seiner Argumentation die Tragweite des von
Art. 29 ZGB
gewährleisteten Namensschutzes verkannt. Der Träger eines Namens, der sich gegen dessen Anmassung durch einen Dritten zur Wehr setzt, muss dartun, dass damit unbefugt in seine eigenen, rechtlich geschützten Interessen - seien sie ideeller oder geschäftlicher Natur - eingegriffen wird. Eine öffentlichrechtliche Körperschaft, die sich gegen die Verwendung ihres Namens durch eine natürliche oder juristische Person oder den Gebrauch als Geschäftsbezeichnung wendet, kann demnach nur die Verletzung ihrer eigenen Interessen geltend machen und nicht etwa die Verletzung der Interessen einzelner ihrer Mitglieder. Zwar vertritt die Körperschaft mit einer Klage, die auf den Schutz ihres Rechtes am Namen gerichtet ist, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad immer auch die Interessen ihrer Mitglieder; deren Interessen sind des Namensschutzes - mittelbar - jedoch nur in dem Umfang teilhaftig, als sie sich mit jenen der öffentlichrechtlichen Körperschaft decken. Im einzelnen gilt folgendes:
a) Weder der Kanton Appenzell I.Rh. noch das Innere Land des Kantons Appenzell I.Rh., noch der Bezirk Appenzell, noch die bestimmte öffentliche Aufgaben erfüllende Feuerschaugemeinde Appenzell können gegen die Verwendung des Namens "Appenzell" klagen, indem sie die Interessen privater Personen oder Unternehmen ins Feld führen. Daher kann insbesondere nicht argumentiert werden, der Beklagte sichere sich durch die Bezeichnung "Café und Hotel Appenzell" eine monopolähnliche Stellung.
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
ist in diesem Zusammenhang von der Vorinstanz zu Unrecht angerufen worden, lässt doch schon
Art. 2 UWG
erkennen, dass nur die unmittelbar am wirtschaftlichen Wettbewerb Beteiligten den Schutz dieses Gesetzes beanspruchen können. Sollte der Beklagte mit der Wahl des Geschäftsnamens "Appenzell", der ohne Zweifel mit positiven gedanklichen Verbindungen im Publikum verknüpft ist, Wettbewerbsvorteile erlangen - was das Kantonsgericht übrigens nur angenommen, aber nicht durch ein Beweisverfahren verbindlich festgestellt hat -, so werden davon allenfalls Interessen anderer Gastwirtschaftsbetriebe
BGE 112 II 369 S. 376
berührt, niemals aber rechtlich geschützte Interessen des Kantons Appenzell und der übrigen klagenden Körperschaften verletzt.
Art. 29 Abs. 2 ZGB
bietet keine Handhabe für die Gebietskörperschaften, um wirtschaftliche Interessen der auf ihrem Territorium niedergelassenen Unternehmen zu verteidigen. Auch das Gebot rechtsgleicher Behandlung der Bürger wird in diesem Zusammenhang zu Unrecht angerufen. Schliesslich hat das Kantonsgericht unzutreffend auch auf
Art. 45 und 46 HRegV
verwiesen, um darzutun, dass der Beklagte durch die Verwendung des Namens "Appenzell" für seine Gaststätte einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz erlange.
b) Der Beklagte beruft sich mit Recht darauf, dass die Kläger nicht die einzigen Träger des Namens "Appenzell" sind. Vielmehr bestehen im Kanton Appenzell I.Rh. noch weitere öffentlichrechtliche Körperschaften mit diesem Namen, so die Schul- und Kirchgemeinde Appenzell - ganz abgesehen davon, dass es auch den Kanton Appenzell A.Rh. und die sich an ihn anschliessenden Namensträger gibt. Vor allem aber verweist der Beklagte auf privatrechtliche Unternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind und den Namen "Appenzell" führen, nämlich Art Investment Appenzell AG, Chemora Appenzell AG, Hallenschwimmbad Appenzell AG, Näherei Appenzell AG, Tennis-Anlagen Appenzell AG, Weberei Appenzell AG.
Diese Beispiele zeigen, dass die Behörden des Kantons Appenzell I.Rh. bisher keine Praxis geübt haben, welche auf ein grundsätzliches Verbot der Verwendung des Namens "Appenzell" durch private Unternehmen tendiert. Mit den Beispielen wird aber auch das Argument widerlegt, die Bezeichnung "Café und Hotel Appenzell" leiste der Täuschung Vorschub, weil ein mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertrautes Publikum irrtümlicherweise meinen könnte, es bestehe eine besondere Beziehung zwischen dem Gastwirtschaftsbetrieb des Beklagten einerseits und dem Kanton Appenzell I.Rh., dem Inneren Land des Kantons Appenzell I.Rh., dem Bezirk Appenzell und der Feuerschaugemeinde Appenzell anderseits. Die Gefahr einer solchen Täuschung lässt sich nur bei einer beschränkten Zahl von Geschäftszweigen denken, so zum Beispiel bei Banken, die den Namen eines Kantons tragen und damit dem Sparer anzeigen, dass es sich um eine Kantonalbank handelt, die Staatsgarantie verspricht. Eine solche Gefahr der Täuschung des Publikums besteht aber bei einem Gastwirtschaftsbetrieb, der die Geschäftsbezeichnung "Café und Hotel Appenzell"
BGE 112 II 369 S. 377
trägt, sowenig wie bei der Näherei Appenzell AG oder der Weberei Appenzell AG. Insbesondere wenn ein Hotel nicht über besondere Einrichtungen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben wie Säle und Konferenzzimmer verfügt, nimmt selbst ein wenig aufmerksames Publikum an, dass der Betrieb privatwirtschaftlich geführt werde. Eine unmittelbare (rechtliche) Beziehung des Hotels zum Gemeinwesen wird sowenig hergestellt wie eine solche zwischen der Art Investment Appenzell AG oder der Chemora Appenzell AG und den Klägern. Bezüglich der Hallenschwimmbad Appenzell AG und der Tennis-Anlagen Appenzell AG schliesslich erscheint das Argument des Kantonsgerichts wenig stichhaltig, dass diese Unternehmen darauf angewiesen seien, ihren Standort mit dem Namen "Appenzell" deutlich zu machen. Vor allem vermag dieses Argument nicht die Meinung der Vorinstanz zu stützen, die Verwendung des Namens "Appenzell" durch den Beklagten erwecke beim Publikum fälschlicherweise den Eindruck einer besonderen Beziehung zwischen seiner Gaststätte und dem Gemeinwesen.
c) Im Fall der Gemeinde Surava, auf den sich das Kantonsgericht vorwiegend stützt, hat das Bundesgericht ausgeführt, es rechtfertige sich, den Begriff der Beeinträchtigung (der Interessen des ursprünglichen Namensträgers) im Sinne von
Art. 29 Abs. 2 ZGB
eher weit zu interpretieren und anzuerkennen, dass die Aneignung eines Namens seitens eines Dritten auch ohne Verwechslungsgefahr eine Verletzung der Interessen des bisherigen Trägers bedeuten kann, wenn sie geeignet ist, zufolge einer blossen Gedankenassoziation in der Meinung des Publikums eine in Wirklichkeit nicht bestehende Beziehung herzustellen. Eine Gemeinde - hat das Bundesgericht weiter ausgeführt - habe daher ein Interesse daran, dass ihr Name nicht von einer ihr fremden Person entlehnt werde, jedenfalls wenn es sich nicht um einen untypischen, bereits Allgemeingut gewordenen oder als Geschlechtsname gebräuchlichen Gemeindenamen handle. Das Interesse der Gemeinde Surava am Schutz ihres Namens wurde bejaht, weil der Name durch seine relative Seltenheit charakteristisch sei (
BGE 72 II 150
f.).
Wie der Beklagte zutreffend ausführt, lässt sich aus dem die Gemeinde Surava betreffenden Entscheid nichts für die Beurteilung der vorliegenden Unterlassungsklage herleiten. Hier geht es nicht um die Namensänderung einer natürlichen Person, die - liesse man sie zu - "für alle Zeiten und zugunsten einer Nachkommenschaft, von der man weder die Verbreitung voraussehen, noch
BGE 112 II 369 S. 378
zum voraus beurteilen kann, was für ein Licht einmal von ihr auf die ursprüngliche Trägerin ihres Namens zurückfallen wird", besteht (
BGE 72 II 151
). Namen von Gaststätten sind in aller Regel nicht für Zeit und Ewigkeit gedacht, und sie können jedenfalls leichter als Familiennamen wieder abgeändert werden.
Es lässt sich auch nicht behaupten, der Name "Appenzell" stehe den Klägern allein zu und charakterisiere sich durch eine relative Seltenheit. Zwar gibt es nur eine Ortschaft Appenzell, und sie ist mit ihren schmucken Häusern, ihrer Lage am Fusse des Alpsteins und auch ihrem Brauchtum in der Tat einmalig. Eine gewisse Werbewirkung auf die zahlreichen Touristen, die Appenzell besuchen, wird daher die Geschäftsbezeichnung "Café und Hotel Appenzell" aller Voraussicht nach ausüben. Das genügt indessen nicht, um eine Beeinträchtigung der Interessen der Kläger selbst dann anzunehmen, wenn der Begriff der Beeinträchtigung in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung eher weit ausgelegt wird. Es ist auch keineswegs so, dass falsche Assoziationen geweckt würden: Der Gastwirtschaftsbetrieb des Beklagten befindet sich nicht irgendwo in der Schweiz, sondern am Landsgemeindeplatz in Appenzell, und ist in einem typischen Appenzellerhaus untergebracht. Das Haus ist reich ausgestattet und wird von einem Angehörigen einer Appenzeller Familie geführt, wie sich dem angefochtenen Urteil und den Akten entnehmen lässt.
d) Unverständlich ist die Befürchtung der Kläger, der Name "Appenzell" könnte dadurch, dass ihn der Beklagte zur Bezeichnung seiner Gaststätte verwendet, kommerzialisiert werden, und es könnte dadurch das "gesunde, patriotische Empfinden der Bürger" verletzt werden. Es mag wohl zutreffen, dass die geschichtliche Entwicklung des Kantons Appenzell I.Rh. und seine soziale Struktur zu einem besonders engen Zusammengehörigkeitsgefühl und auch zu einer besonderen Hochschätzung des Namens "Appenzell" geführt haben. Weshalb diese Liebe zur Heimat - die in anderen Landesgegenden mit einer lebendigen Tradition ebenso stark sein dürfte und nicht Wesensmerkmal von Appenzell I.Rh. allein ist - dadurch beeinträchtigt werden sollte, dass ein einheimischer Gastwirt seinen Betrieb als "Café und Hotel Appenzell" bezeichnet, ist schlechterdings unerfindlich.
Richtig ist, dass das Gemeinwesen sich nicht ohne weiteres die Vermarktung seines Namens durch Dritte gefallen lassen muss. Indessen muss eine missbräuchliche Verwaltung des Namens durch Kommerzialisierung nachgewiesen werden, was im vorliegenden
BGE 112 II 369 S. 379
Fall nicht geschehen ist. Durch den Appenzeller Käse, den Appenzeller Alpenbitter, den Appenzeller Biber, die Appenzeller Tüechli, die Appenzeller Bauernmalerei und eine Reihe weiterer Erzeugnisse ist der Name "Appenzell" in die Schweiz, ja in die ganze Welt hinausgetragen worden. Hiegegen hat sich - mit Recht - niemand gewendet, und kaum jemand hat von Kommerzialisierung gesprochen; vielmehr gibt die Ausstrahlung des heimischen Gewerbes Anlass zu Zufriedenheit. Weshalb die berufliche Tüchtigkeit anders beurteilt werden und das Prädikat der "ungehemmten Vermarktung" verdienen sollte, wenn nun ein Gastwirt für seinen Betrieb den Namen "Appenzell" wählt, lässt sich schwer verstehen.
e) In der Schweiz besteht eine alte Übung, Gaststätten ausser mit Namen von Tieren, Pflanzen, Bergen und Flüssen auch mit Namen, die einen geschichtlichen Ursprung haben, und insbesondere mit Namen von Städten und Dörfern zu bezeichnen. Dieser Tradition dürfte es entsprechen, dass das Eidgenössische Amt für das Handelsregister offenbar ungeachtet
Art. 48 HRegV
davon abzusehen pflegt, für Enseignes von Gastwirtschaftsbetrieben - auch wenn sie nationale, territoriale oder regionale Bezeichnungen übernehmen - ein Bewilligungsverfahren zu fordern (vgl. den Brief des Amtes für das Handelsregister vom 15. März 1983).
Unter Hinweis auf den Schweizer Hotelführer weiss denn auch der Beklagte eine grosse Zahl von Hotels in allen Sprachregionen der Schweiz zu nennen, die den Namen von Kantonen, Kantonshauptstädten oder anderen Ortschaften tragen. Dass solche Namen gerade an Orten mit grossem Fremdenverkehr verwendet werden - so das Hotel Zürich an der Limmat, das Hotel Bern in der Bundeshauptstadt, das Hotel Lugano Dante im Zentrum von Lugano -, ist in der Tat gerichtsnotorisch. Die Umstände des vorliegenden Falles unterscheiden sich von anderen Fällen im wesentlichen nur durch die kleinräumigen Verhältnisse, welche erklären mögen, dass die erstmalige Bezeichnung eines Gastwirtschaftsbetriebes mit dem Namen des Kantons, des Kantonshauptortes und anderer Gebietskörperschaften überhaupt Aufsehen erregt und möglicherweise auch Empfindlichkeiten weckt. Das ist indessen noch kein Grund zur Annahme, die Gemeinwesen mit dem Namen "Appenzell" seien in ihren rechtlich geschützten Interessen verletzt.
f) Auch wenn die dargestellte Gewohnheit der Namensgebung für Betriebe des Gastgewerbes nicht einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund
BGE 112 II 369 S. 380
für die Anmassung eines Namens abgibt, sondern der Namensschutz grundsätzlich von jedem Verletzten in Anspruch genommen werden kann, lässt sich
Art. 29 Abs. 2 ZGB
- wie oben E. 3b und 5 a.A. ausgeführt - nur mit Erfolg anrufen, wenn der Kläger in seinen eigenen, rechtlich geschützten Interessen verletzt ist. Eine solche Verletzung ist mit den vom Kantonsgericht Appenzell vorgebrachten Gründen in keiner Weise dargetan.
Daran ändert schliesslich auch das Argument nichts, dass der Beklagte zur Bezeichnung seines Gastwirtschaftsbetriebes einen anderen Namen als jenen von Appenzell hätte verwenden können. Grundsätzlich besteht Freiheit in der Wahl einer Enseigne. Diese wird nur in dem Masse eingeschränkt, als rechtlich geschützte Interessen des bisherigen Namensträgers verletzt oder wenigstens gefährdet sind. Das ist im vorliegenden Fall zu verneinen. Die Berufung erweist sich damit als begründet, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage führt. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac12253a-035a-47fc-a9dd-0b405156dd1f | Urteilskopf
106 III 130
27. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 9 octobre 1980 dans la cause Eurosystem hospitalier S.A. (recours LP). | Regeste
Rechtsnatur und Wirkung der Sicherheit gemäss
Art. 277 SchKG
.
Die Person, welche die Solidarbürgschaft gemäss
Art. 277 SchKG
leistet, wird nicht Schuldner des Arrestgläubigers. Die aus der Solidarbürgschaft sich ergebende Forderung gehört daher nicht zum Vermögen des Arrestgläubigers und kann nicht zu dessen Lasten gepfändet oder mit Arrest belegt werden. | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 106 III 130 S. 130
A.-
Le 9 janvier 1980, sur requête de la société Servicios profesionales construcción S.A. (SPC), à Mexico, le Président du Tribunal de première instance de Genève ordonna un séquestre au préjudice de la Société générale de banque S.A. (SGB), à Bruxelles, pour une créance de 30'509'974 fr. 26, avec intérêt (séquestre no 1280 SQ 7). La mesure portait sur les biens et avoirs de la débitrice auprès de divers établissements bancaires de Genève et fut exécutée le jour même. La créancière
BGE 106 III 130 S. 131
SPC valida le séquestre par une poursuite et obtint la mainlevée définitive de l'opposition.
Pour recouvrer la libre disposition des biens séquestrés, la société SGB offrit le 21 janvier 1980 un cautionnement solidaire souscrit par l'Union de banques suisses, Genève, à concurrence de 48'220'000 fr. L'Union de banques suisses s'était engagée "à verser la somme ci-dessus à l'Office des poursuites au cas où la société SGB ne représenterait pas les biens séquestrés en nature ou en valeur lors de l'éventuelle conversion du séquestre en saisie définitive". Par décision du 23 janvier, l'Office des poursuites de Genève accepta le cautionnement, leva le séquestre exécuté sur les biens et avoirs de la société SGB et le fit porter sur la garantie bancaire fournie par l'Union de banques suisses.
Le 24 juillet 1980, la société belge Eurosystem hospitalier S.A., en faillite, obtint une ordonnance de séquestre au préjudice de la société SPC (séquestre no 380 SQ 342). La mesure portait sur la créance de la société SPC contre l'Union de banques suisses, issue du cautionnement souscrit par cette dernière dans la procédure de séquestre dirigée contre la société SGB. Le séquestre fut exécuté le jour même. Sitôt après, l'Office des poursuites décida toutefois de lever la mesure, jugeant qu'elle avait frappé un bien n'appartenant manifestement pas à la débitrice SPC.
B.-
Eurosystem hospitalier S.A. a porté plainte et demandé l'annulation de la décision prise par l'Office des poursuites de révoquer l'exécution du séquestre no 380 SQ 342.
L'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a rejeté la plainte le 27 août 1980.
C.-
Eurosystem hospitalier S.A. a interjeté un recours au Tribunal fédéral. Elle reprend ses conclusions.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La recourante conteste la compétence de l'Office des poursuites pour révoquer l'exécution du séquestre qu'elle avait obtenu contre la société SPC. A son avis, il appartenait exclusivement au juge civil, saisi d'une action en revendication ou en contestation de la revendication, de déterminer si la débitrice SPC était titulaire des droits mis sous main de justice, c'est-à-dire créancière de l'Union de banques suisses.
BGE 106 III 130 S. 132
Le séquestre ne peut frapper que des biens soumis à la réalisation par la voie de la poursuite, qui appartiennent donc au débiteur (
art. 271 al. 1 LP
). Lorsque la propriété d'un objet mis sous main de justice est litigieuse, l'office des poursuites n'a toutefois pas à apprécier si les droits éventuels d'un tiers font obstacle à l'exécution forcée, mais il doit introduire une procédure de revendication. Il en va autrement si, de toute évidence, les biens visés n'appartiennent pas au débiteur poursuivi. L'office doit en ce cas refuser de donner suite à l'ordonnance de séquestre (
ATF 105 III 112
ss, 104 III 58 s. consid. 3). La mesure serait en effet nulle, parce qu'inconciliable avec le but du séquestre qui est de garantir l'exécution sur les biens du débiteur. Cette nullité doit être relevée d'office. Il s'ensuit que l'office des poursuites est compétent pour rapporter un séquestre qu'il a exécuté sur des biens n'appartenant manifestement pas au débiteur. La recourante ne le conteste d'ailleurs pas, mais estime que la situation de droit n'était pas suffisamment claire en l'espèce pour autoriser l'Office à statuer lui-même, sans passer par la procédure de revendication. Ses critiques ne portent dès lors pas sur la compétence mais sur le fond.
2.
La recourante soutient que le cautionnement souscrit par l'Union de banques suisses dans la procédure de séquestre contre SGB l'a été en faveur de la société SPC. Elle s'estime dès lors en droit de faire séquestrer la créance que cet acte a fait naître pour ladite SPC, sa débitrice.
Rien dans le texte de l'engagement pris par l'Union de banques suisses n'étaie la thèse de la recourante. La banque s'est uniquement obligée à verser la somme de 48'220'000 fr. à l'Office des poursuites si la société SGB ne représentait pas les biens séquestrés. Elle ne s'est en aucune manière déclarée débitrice de la société SPC.
La recourante commet une erreur manifeste en affirmant que l'existence d'une créance de la société SPC contre l'Union de banques suisses découle de la nature des sûretés prévues à l'
art. 277 LP
. Le débiteur peut recouvrer la libre disposition des biens séquestrés à son préjudice s'il s'engage à les représenter en nature ou en valeur et s'il fournit des sûretés. Ces sûretés garantissent uniquement que les biens séquestrés ou des valeurs équivalentes pourront être saisis dans la poursuite consécutive au séquestre ou tomberont dans la masse de l'actif en cas de
BGE 106 III 130 S. 133
faillite; les versions italienne et allemande de l'
art. 277 LP
ne permettent aucun doute sur ce point. La garantie consiste en ce que les sûretés sont destinées à prendre la place des biens séquestrés s'ils ne sont pas représentés en nature ou en valeur lors de la saisie ou à l'ouverture de la faillite. Il s'ensuit que le créancier séquestrant ne peut acquérir plus de droit sur les biens servant de sûretés que sur ceux frappés par le séquestre; la solution contraire lui permettrait de tirer avantage d'une mesure qui a pour seul but d'alléger autant que possible la situation du débiteur. Or ni la saisie et la faillite, ni, à plus forte raison, le séquestre ne confèrent au créancier un droit de nature privée sur les biens appréhendés. Le créancier n'en tire qu'une prétention de droit public à être désintéressé sur le produit de la réalisation de ces biens, dans la mesure et selon les formes prévues par la loi (BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, p. 327 ss, p. 827 s.; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., p. 170; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2e éd., t. I p. 224;
ATF 87 II 172
,
ATF 33 II 653
s.). Par identité de motifs, le créancier n'acquiert aucun droit de nature privée sur les sûretés, mais uniquement une prétention à être désintéressé sur le produit de leur réalisation si les objets séquestrés ne sont pas représentés en nature ou en valeur.
Le but des sûretés et leurs effets pour le créancier séquestrant ne peuvent être différents selon qu'elles sont fournies par dépôt ou par cautionnement. Le créancier n'est dès lors pas plus titulaire des droits issus du cautionnement qu'il n'est propriétaire des biens déposés à titre de garantie; il n'acquiert un droit de gage ni sur ceux-ci ni sur ceux-là. Un cautionnement contracté envers le créancier serait incompatible avec le but des sûretés prévues à l'
art. 277 LP
. Il lui conférerait un privilège que la loi lui refuse sur les biens séquestrés et que rien ne justifie, contrairement à l'opinion émise dans l'arrêt du 15 mars 1904 en la cause Stirnemann (
ATF 30 I 199
). En cas de faillite, la créance contre la caution ne tomberait pas dans la masse de l'actif et ne suivrait donc pas le sort des biens dont elle assure la représentation. Le cautionnement prévu à l'
art. 277 LP
doit dès lors être souscrit en faveur de l'office des poursuites ou, plus exactement, en faveur de la corporation publique dont l'office relève (
ATF 78 III 145
; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs-und Konkurs-Praxis, n. 3 ad art. 277; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs,
BGE 106 III 130 S. 134
2e éd., t. 2 p. 227; H. BONNARD, Le séquestre, p. 165 ss). Lorsqu'au jour de la saisie ou à l'ouverture de la faillite, les biens séquestrés ne sont pas représentés, l'obligation conditionnelle de la caution devient pure et simple; l'office des poursuites ou l'administration de la masse fait alors valoir ou réalise la créance correspondante de la corporation publique de la même manière que si elle appartenait au débiteur.
La recourante objecte en vain que, selon l'
art. 492 CO
et l'ancien art. 489 CFO, la caution qui intervient pour un débiteur contracte un engagement envers le créancier de ce dernier. Selon le texte clair de l'
art. 277 LP
, la caution garantit non l'exécution des obligations du débiteur, mais la représentation, en nature ou en valeur, des biens frappés par le séquestre. Le contrat qu'elle conclut avec l'office n'est pas un cautionnement au sens strict du terme, mais un acte juridique "sui generis" qui se rapproche d'un contrat de garantie.
L'Office des poursuites a jugé que la caution s'était obligée envers le débiteur partie à la procédure de séquestre. Il a en conséquence levé le séquestre sur les biens visés par l'ordonnance et l'a fait porter sur la créance née du cautionnement. La légalité de cette pratique n'est pas à l'abri de toute discussion. Seuls en effet les objets mentionnés dans l'ordonnance de séquestre peuvent être mis sous main de justice (
ATF 105 III 141
,
ATF 92 III 24
consid. 1,
ATF 90 III 50
s.). De plus, les sûretés garantissent la représentation des biens séquestrés, mais ne s'y substituent pas comme objet de la mesure (
ATF 38 I 216
consid. 2; H. BONNARD, Le séquestre, p. 162). La question peut toutefois rester ouverte en l'espèce. Qu'il soit souscrit en faveur du débiteur ou de l'office, le cautionnement ne fait naître aucun droit de nature privée pour le créancier séquestrant. Ni le but de l'
art. 277 LP
ni le texte de l'engagement pris en l'espèce par l'Union de banques suisses n'autorisent de doute sur ce point.
3.
La société SPC n'est pas créancière de l'Union de banques suisses; elle n'a que le droit, si les biens séquestrés au préjudice de SGB ne sont pas représentés, d'être désintéressée dans la mesure et les formes légales sur le produit de la créance de l'Office contre la caution. Cette prétention de droit public ne constitue pas un élément saisissable ni séquestrable de son patrimoine. On ne saurait admettre la saisie, au préjudice d'un
BGE 106 III 130 S. 135
débiteur, des droits qu'il tire d'une saisie exécutée à son profit contre un autre débiteur. Il n'y aurait d'ailleurs aucune limite à la superposition des saisies et le procédé conduirait à une paralysie de l'exécution forcée. La créance de la société SPC contre la société SGB représentait en l'espèce le seul objet de son patrimoine qui fût susceptible de saisie et de séquestre. Les autorités suisses n'ont toutefois pas compétence pour séquestrer les créances qui ne sont pas incorporées dans des papiers-valeurs et dont l'ayant droit et l'obligé sont tous deux domiciliés à l'étranger (
ATF 80 III 126
,
ATF 63 III 44
).
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours et confirme la décision attaquée. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac156a5a-b866-4b1a-8d85-bc1a55d8d50e | Urteilskopf
87 II 249
35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. November 1961 i.S. Buchdruckerei Wochenblatt, Aktiengesellschaft gegen Fritz und Rechsteiner. | Regeste
Art. 684-686, 967 OR
, Übertragung von Namenaktien.
Die Gesellschaft kann jemanden, der das Eigentum an der Aktie nicht erworben hat oder sich darüber nicht ausweist, nicht durch Eintragung in das Aktienbuch zum Aktionär machen.
Wenn sie Anspruch erhebt, dass ein Aktionär Aktien auf eine andere Person übertrage, muss sie gegen ihn entsprechend klagen. | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 87 II 249 S. 250
A.-
Von den 320 Namenaktien der "Buchdruckerei Wochenblatt, Aktiengesellschaft" im Nennwert von je Fr. 450.-- gehörten 183 dem Geschäftsführer und Verwaltungsratsmitglied Viktor Fritz und 24 seiner Schwester Dora Rechsteiner geb. Fritz. Von den 183 Stück hatte Viktor Fritz 105 durch Erbteilungsvertrag aus dem Nachlass seines im Jahre 1950 verstorbenen Vaters, des Verwaltungsratspräsidenten Emil Fritz, zu Alleineigentum erworben, doch beschloss der vierköpfige Verwaltungsrat am 19. Januar 1954 mit den Stimmen des Vizepräsidenten Dr. Walter Egli und der Verwaltungsräte Rüegg und Spörri, diesen Erwerb nicht in das Aktienbuch einzutragen.
Fritz focht den Beschluss gerichtlich an. Er vertrat die Auffassung, § 4 der Statuten der Gesellschaft vermöge ihn nicht zu stützen. Diese Bestimmung lautet:
"Die Aktien lauten auf den Namen. Sie werden unter fortlaufender Nummer mit Unterschrift des Präsidenten gezeichnet. Für das Eigentum an den Aktien ist das von der Gesellschaft zu führende Aktienbuch massgebend. Die Aktien sind frei übertragbar, wenn der Verwaltungsrat nicht innert 90 Tagen von der Bekanntgabe einer Verkaufsmöglichkeit hinweg den Ankauf zu den bekannt gegebenen Bedingungen, bzw. wenn mehr als der Nominalwert geboten wäre, zum Nominalwert, durch andere Aktionäre (oder ihm genehme Dritte) herbeiführt.
Der Verwaltungsrat hat innert 8 Tagen sämtliche Aktionäre von dem Verkaufsangebot zu unterrichten.
Die Verpfändung der Aktien ist nur mit Zustimmung des Verwaltungsrates zulässig."
Während des Prozesses kamen Dr. Egli und der Verwaltungsratspräsident der "Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon
BGE 87 II 249 S. 251
und Bauma", Ernst Bachofner, am 10. Dezember 1955 überein, auf die Zusammenlegung der von dieser Genossenschaft herausgegebenen "Volkszeitung" mit dem von der Buchdruckerei Wochenblatt AG verlegten "Wochenblatt von Pfäffikon" hinzuarbeiten. Sie sahen vor, dass Bachofner Aktionär der Buchdruckerei Wochenblatt AG werde. Bachofner versprach Dr. Egli, diesfalls eine bestimmte Anzahl Aktien an diesen weiterzuverkaufen. Für den Fall, dass das Grundkapital nicht erhöht werde, sollte Bachofner 144 Aktien erhalten und davon 132 dem Dr. Egli überlassen.
Am 15. Juni 1956 schlossen die Buchdruckerei Wochenblatt AG, Dr. Egli und Fritz mit der Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma und Bachofner einen Vertrag, wonach das Recht zur Verlegung der "Volkszeitung" entgeltlich auf die Buchdruckerei Wochenblatt AG übergehen und Bachofner 130 Aktien dieser Gesellschaft kaufen sollte. Hinsichtlich der Beschaffung der 130 Aktien verwiesen die Vertragschliessenden auf eine zwischen Fritz, Dr. Egli und Rüegg getroffene Vereinbarung.
Diese wurde ebenfalls am 15. Juni 1956 unterzeichnet. Dr. Egli erklärte darin, "der Übertragung der 105 Aktien von Emil Fritz sel. auf V.E. Fritz" zuzustimmen (Ziff. 1). Fritz verpflichtete sich, seine Klage zurückzuziehen (Ziff. 3), von seinen 183 Aktien Bachofner 73 zu verkaufen (Ziff. 4) und dafür zu sorgen, dass Frau Rechsteiner dem Bachofner weitere 9 oder 10 Stück verkaufe (Ziff. 5). Rüegg erklärte, er trete höchstens 5 Aktien ab (Ziff. 6). Dr. Egli versprach, "für die Beschaffung der restlichen Aktien an E. Bachofner" zu sorgen (Ziff. 8).
In der Folge wünschte Dr. Egli, dass Bachofner die 130 Aktien durch Vermittlung der Spar- und Leihkasse Pfäffikon erhalte. Ein Teil der von Dr. Egli zu beschaffenden und die von Rüegg abzutretenden Aktien wurden bei dieser Bank hinterlegt. Fritz fand sich am 21. März 1957 mit 73 Aktien am Sitz der Bank ein, wo auch Dr. Egli
BGE 87 II 249 S. 252
und Bachofner erschienen. Er gab die 73 auf Bachofner indossierten Aktien aus den Händen. Dr. Egli versah die Indossamente, die mit "4. April 1957" datiert sind, mit dem "Visum" der Buchdruckerei Wochenblatt AG Die 73 Aktien gelangten dann ohne Zahlung des Preises in den Besitz Bachofners. Fritz erklärt, er habe sie Bachofner am 21. März 1957 in Gegenwart des Dr. Egli übergeben. Die Buchdruckerei Wochenblatt AG behauptet dagegen, die Bank habe sie ihm später entgegen einer Weisung Eglis und ohne dessen Wissen ausgehändigt. Bachofner indossierte am 20. Februar 1958 25 Aktien und am 10. Juni 1958 die verbleibenden 48 an Fritz zurück und händigte sie ihm wieder aus. Diese Indossamente sind von der Buchdruckerei Wochenblatt AG nicht visiert. Fritz will die 73 Aktien zurückverlangt haben, weil er durch Verschweigung des Vertrages zwischen Bachofner und Dr. Egli vom 10. Dezember 1955 getäuscht worden sei. Die Buchdruckerei Wochenblatt AG behauptet dagegen, Fritz habe vom geheimen Vertrag erst im Juli 1958 Kenntnis erhalten. Sie vermutet, die Rückgabe hange damit zusammen, dass Fritz dem finanziell bedrängten Bachofner damals Darlehen machte.
Am 22. September 1958 erklärte Fritz dem Dr. Egli, er erachte sich wegen absichtlicher Täuschung an die Vereinbarung vom 15. Juni 1956 nicht gebunden. Dr. Egli hielt dennoch daran fest, auch als Bachofner im Mai 1959 wegen strafbarer Handlungen floh, über das Vermögen des Flüchtigen der Konkurs eröffnet wurde und die Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma ihn als Präsidenten durch Heinrich Hickel ersetzte. Dr. Egli stellte sich auf den Standpunkt, Fritz habe die geschuldeten Aktien dem Hickel zu verkaufen. Die Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma ihrerseits ersuchte die Buchdruckerei Wochenblatt AG am 28. Januar 1960, in Erfüllung des Vertrages vom 15. Juni 1956 dafür zu sorgen, dass Hickel als an Stelle Bachofners bezeichneter Vertrauensmann der
BGE 87 II 249 S. 253
Genossenschaft seine Rechte als Aktionär ausüben könnte und ihm die Aktien übergeben würden.
Der Verwaltungsrat der Buchdruckerei Wochenblatt AG bestand damals aus Dr. Egli, dessen Bruder Paul Egli und Fritz. Er beschloss am 30. Januar/4. Februar 1960 mit den Stimmen der Brüder Egli und gegen die Stimme des Fritz: 1. dem erwähnten Ersuchen der Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma in Anwendung von § 4 der Statuten zuzustimmen; 2. den Erwerb von 116 Aktien durch Hickel zu bewilligen; 3. die Spar- und Leihkasse Pfäffikon anzuweisen, 43 bei ihr hinterlegte Aktien "gesamthaft mit denjenigen des Herrn Fritz (73 Stück)" gegen Bezahlung des Kaufpreises dem Hickel herauszugeben; 4. das Aktienbuch unter anderem durch die Feststellungen zu "bereinigen", dass Fritz nunmehr mit 105 von seinem Vater ererbten Aktien, dagegen nicht mehr mit 73 seiner übrigen Aktien stimmberechtigt sei, dass Frau Rechsteiner das Stimmrecht nur noch mit 14 von ihren 24 Aktien habe und dass die Stimmberechtigung aus 116 Aktien unter Vorbehalt der Übernahmeerklärung durch eine Bank auf Hickel übertragen werde.
Hickel brachte am 8. Februar 1960 die Erklärung einer Bank bei, wonach sie garantiere, dass er den Preis für die Übernahme von 130 Aktien bezahle. Er erklärte sich einverstanden, vorläufig 116 Stück zu kaufen. Am gleichen Tage erstellte Dr. Egli ein neues Aktienbuch, wobei er die Eintragungen betreffend Emil Fritz sel., Viktor Fritz, Frau Rechsteiner und Hickel im Sinne des Verwaltungsratsbeschlusses vom 30. Januar/4. Februar 1960 vornahm. Er verwies auf diesen "in Ausführung des Fusionsvertrages vom 15.6.56" gefassten Beschluss und bestätigte zusammen mit Paul Egli unterschriftlich die Richtigkeit der Eintragungen.
Dr. Egli berief auf 20. Februar 1960 eine Generalversammlung ein. Unter anderen nahmen Hickel und Fritz daran teil, wobei dieser auch Frau Rechsteiner vertrat.
BGE 87 II 249 S. 254
Fritz äusserte die Auffassung, er sei mit 183 eigenen Aktien und 24 Aktien seiner Schwester stimmberechtigt, Hickel dagegen überhaupt nicht, weshalb die Versammlung unter Mitberücksichtigung von 56 Stimmen anderer Aktionäre über 263 Stimmen verfüge. Dr. Egli bezifferte dagegen die Gesamtzahl der Stimmen in Übereinstimmung mit dem "bereinigten" Aktienbuch auf 296, indem er Hickel 116, Fritz 110, Frau Rechsteiner 14 und den anderen anwesenden oder vertretenen Aktionären 56 Stimmen zusprach. Die Versammlung beschloss, drei Mitglieder des Verwaltungsrates zu wählen. Dr. Egli schlug Hickel, Paul Egli und sich selbst vor, Fritz dagegen Hickel, einen Aussenstehenden und sich selbst. Die Abstimmung ergab Einstimmigkeit für Hickel und unter Zugrundelegung der Stimmberechtigung gemäss "bereinigtem" Aktienbuch je 172 Stimmen für Paul Egli und Dr. Egli. Dieser erklärte Hickel, Paul Egli und sich selbst als gewählt.
In der Folge änderte Dr. Egli das Aktienbuch dahin ab, dass er von seinen 30 Aktien 10 Stück auf Hickel überschrieb mit der Begründung, er habe sie diesem gemäss Beschluss des Verwaltungsrates am 20. Februar 1960 abgetreten.
Dr. Egli berief auf 5. März 1960 eine weitere Generalversammlung ein. Fritz äusserte an dieser die Auffassung, es könnten 263 Stimmrechte ausgeübt werden. Davon ständen ihm selbst aus eigenen Aktien 183 und aus Aktien der von ihm vertretenen Frau Rechsteiner 24 zu, dem Dr. Egli 30, anderen vertretenen Aktionären 26 und Hickel keine. Dr. Egli bezifferte die Gesamtzahl der Stimmen auf 296. Er verwies auf das Aktienbuch, wonach Hickel 126 Stimmen habe, Fritz 110, Frau Rechsteiner 14, er selber 20 und andere vertretene Aktionäre 26. Dr. Egli liess zunächst darüber abstimmen, ob Hickel, Paul Egli und er selber als Verwaltungsräte zu bestätigen seien, und nachher darüber, ob Robert Bolli als weiteres Mitglied in den Verwaltungsrat eintrete. Die Abstimmungen ergaben unter Zugrundelegung der Stimmberechtigung gemäss
BGE 87 II 249 S. 255
Aktienbuch je 172 Stimmen für die Wahl der vier Genannten. Fritz gab diesen weder seine Stimmen noch jene seiner Schwester. Dr. Egli erklärte Hickel, Paul Egli, sich selber und Bolli als gewählt. Er liess sich hierauf zum Präsidenten und seinen Bruder Paul zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrates ernennen, beide mit 172 Stimmen im Sinne der Stimmberechtigung gemäss Aktienbuch. Fritz erklärte, dass er die Wahlen als ungültig betrachte. Sie wurden indessen im Sinne der Auffassung des Dr. Egli in das Handelsregister eingetragen und veröffentlicht.
B.-
Fritz und Frau Rechsteiner reichten am 20. April und 3. Mai 1960 gegen die Buchdruckerei Wochenblatt AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage ein. Mit der ersten Klage beantragten sie, die am 20. Februar 1960 erfolgte Wahl des Dr. Egli und des Paul Egli in den Verwaltungsrat aufzuheben und festzustellen, dass an jener Generalversammlung Fritz mit 183 Aktien und Frau Rechsteiner mit 24 Aktien stimmberechtigt waren und dass die Kläger mit dieser Stimmberechtigung in das Aktienbuch einzutragen seien. Mit der zweiten Klage stellten sie die Begehren, die am 5. März 1960 erfolgten Wahlen der Brüder Egli, des Hickel und des Bolli in den Verwaltungsrat, des Dr. Egli als Verwaltungsratspräsident und des Paul Egli als Vizepräsident aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Fritz mit 183 Stimmen und Frau Rechsteiner mit 24 Stimmen in das Aktienbuch einzutragen.
Die Beklagte beantragte, beide Klagen abzuweisen.
Das Handelsgericht hob mit Urteil vom 7. März 1961 die Wahlen der Brüder Egli vom 20. Februar 1960 zu Verwaltungsräten auf, desgleichen die Wahlen der Brüder Egli, des Hickel und des Bolli vom 5. März 1960 zu Verwaltungsräten, des Dr. Egli zum Präsidenten und des Paul Egli zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrates. Es verpflichtete die Beklagte, Fritz mit 183 und Frau Rechsteiner mit 24 Aktienstimmen in das Aktienbuch einzutragen.
BGE 87 II 249 S. 256
Die Beklagte focht dieses Urteil mit einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde an. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies sie am 26. September 1961 ab, soweit es auf sie eintrat.
C.-
Die Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichts rechtzeitig die Berufung erklärt. Sie beantragt dem Bundesgericht, die Klagen abzuweisen, eventuell das Handelsgericht zur Ergänzung der tatbeständlichen Feststellungen zu verhalten.
Die Kläger beantragen, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Aktiengesellschaft hat über die Eigentümer der Namenaktien ein Aktienbuch zu führen (
Art. 685 Abs. 1 OR
). Es bewirkt, dass im Verhältnis zu der Gesellschaft als Aktionär betrachtet wird, wer im Buch eingetragen ist (
Art. 685 Abs. 4 OR
). Das heisst nicht, die Gesellschaft könne bestimmen, wer Aktionär sei oder Anspruch habe, es zu werden, und sie könne ihm diese Eigenschaft, sei es überhaupt, sei es wenigstens im Verhältnis zur Gesellschaft dadurch verleihen, dass sie ihn in das Aktienbuch einträgt. Nur der auf der Aktie mit Namen genannte ursprüngliche Eigentümer und seine Rechtsnachfolger können in das Aktienbuch eingetragen werden. Das ergibt sich aus
Art. 685 Abs. 2 OR
, wonach die Eintragung einen Ausweis über die formrichtige Übertragung der Aktie voraussetzt. Wer eingetragen wird, ohne sich als Eigentümer ausgewiesen zu haben, kann sich nicht auf
Art. 685 Abs. 4 OR
berufen und darf von der Gesellschaft nicht in Anwendung dieser Bestimmung als Aktionär behandelt werden. Die Eintragung in das Aktienbuch bewirkt den Übergang des Eigentums an der Aktie nicht, sondern setzt ihn voraus. Das gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft gemäss
Art. 686 OR
die Eintragung verweigern kann. Dieses Recht bedeutet nur, dass die Gesellschaft unter den statutarischen oder gesetzlichen
BGE 87 II 249 S. 257
Voraussetzungen den Erwerber der Aktie nicht als Aktionär anzuerkennen braucht, dagegen nicht, dass sie jemanden, der das Eigentum nicht erworben hat oder sich darüber nicht ausweist, durch Eintragung in das Aktienbuch zum Aktionär machen könne.
Damit der rechtsgeschäftliche Übergang der Aktie im Sinne des
Art. 685 Abs. 2 OR
formrichtig sei, muss der Veräusserer die Übertragung in einem Indossament oder in einer vom Wertpapier getrennten schriftlichen Erklärung verurkunden und dem Erwerber ausserdem den Besitz des Aktientitels verschaffen (Art. 684 Abs. 2, 967 Abs. 1 und 2 OR;
BGE 61 II 332
,
BGE 81 II 202
,
BGE 86 II 98
). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird der Erwerber durch Eintragung in das Aktienbuch im Verhältnis zu der Gesellschaft zum Aktionär.
2.
Gemäss Feststellung des Handelsgerichts hat Fritz die 73 Aktien, welche die Beklagte gemäss Beschluss ihres Verwaltungsrates vom 30. Januar/4. Februar 1960 im Aktienbuch als von ihm an Hickel abgetreten vermerkte, diesem nie zu Besitz übertragen. Die Beklagte hat das im Prozess zugegeben. Diese 73 Aktien wurden auch nicht an Hickel indossiert, noch durch eine von den Aktientiteln getrennte Erklärung an ihn abgetreten. Die Beklagte trug somit Hickel zu Unrecht als Erwerber dieser Aktien in das Aktienbuch ein.
Der in § 4 der Statuten enthaltene Satz: "Für das Eigentum an den Aktien ist das von der Gesellschaft zu führende Aktienbuch massgebend", ändert hieran nichts. Er hat nicht den Sinn, die Gesellschaft könne jemanden selbst dann, wenn er den Ausweis über die formrichtige Übertragung der Aktien nicht erbracht hat, durch Eintragung in das Aktienbuch zum Eigentümer und Aktionär machen. Das widerspräche dem
Art. 685 OR
über die Voraussetzungen und Wirkung der Eintragung in das Aktienbuch. Der erwähnte Satz kann nichts anderes sagen als Art. 685 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2, nämlich dass im Verhältnis zur Gesellschaft als Aktionär nur gelte, wer
BGE 87 II 249 S. 258
auf Grund eines Ausweises über den formrichtigen Erwerb der Aktie in das Aktienbuch eingetragen wurde.
Auch aus dem übrigen Inhalt des § 4 der Statuten kann die Beklagte nicht ableiten, sie habe dadurch, dass sie die 73 Aktien im Aktienbuch von Fritz auf Hickel überschrieb, diesen zum Eigentümer und Aktionär gemacht. § 4 Abs. 1 Satz 4 hat nur den Sinn, der Verwaltungsrat dürfe den Verkauf von Aktien an eine bestimmte Person untersagen, wenn es ihm, nachdem der Aktionär ihm die Verkaufsabsicht mitgeteilt hat, spätestens innert neunzig Tagen gelingt, eine andere Person (Aktionär oder Nichtaktionär) zum Kauf zu bewegen. Findet der Verwaltungsrat nicht rechtzeitig einen Ersatzkäufer, so sollen die Aktien "frei übertragbar", d.h. der Aktionär berechtigt sein, den von ihm selbst gewählten Käufer ohne Zustimmung des Verwaltungsrates zum Eigentümer zu machen und dessen Eintragung in das Aktienbuch zu erwirken. Es kann keine Rede davon sein, dass die genannte Statutenbestimmung dem Verwaltungsrat erlauben wolle, das Eigentum an den Aktientiteln und die Aktionärrechte durch eine Eintragung in das Aktienbuch selbstherrlich auf den Erwerber überzuführen, sei es auf den Ersatzkäufer, sei es auf den vom Veräusserer frei gewählten Käufer. Das widerspräche den Art. 684 Abs. 2, 685 Abs. 2 und 967 Abs. 1 und 2 OR. Ist der Aktionär nicht bereit, die Aktien formrichtig auf die dem Verwaltungsrat genehme Person zu übertragen, so bleiben sie Eigentum des Aktionärs, und dieser hat wie bis anhin das Stimmrecht aus ihnen. Wer als dem Verwaltungsrat genehmer Ersatzkäufer oder Käufer auf sie Anspruch zu haben glaubt, muss gegen den angeblichen Verkäufer auf Erfüllung klagen. Ob Hickel in diesem Sinne gegen Fritz Anspruch auf Übertragung von 73 Aktien hat, ist nicht zu entscheiden; diese Frage ist nicht Gegenstand des Prozesses.
Es kommt auch nichts darauf an, dass Fritz am 21. März 1957 73 mit Zustimmung der Beklagten auf Bachofner indossierte Aktien aus den Händen gab und sie in den Besitz Bachofners gelangten. Dadurch erlangte die Beklagte
BGE 87 II 249 S. 259
nicht die Möglichkeit, das Eigentum und die Aktionärrechte durch eine Eintragung in das Aktienbuch gegen den Willen der durch den Besitz und die Indossamente legitimierten Person auf Hickel zu übertragen. Wenn die Beklagte auf Grund der Verträge vom 15. Juni 1956 Anspruch zu haben glaubt, dass Hickel Eigentümer werde, und der durch den Besitz und die Indossamente Legitimierte das Eigentum nicht freiwillig überträgt, mag sie gegen ihn entsprechend klagen.
Bleibt es somit dabei, dass die Beklagte die 73 Aktien im Aktienbuch zu Unrecht auf den Nichteigentümer Hickel überschrieb, so vermochte diese Eintragung ihm das Stimmrecht nicht zu verschaffen. Fragen kann sich nur, ob es zur Zeit, als die Generalversammlung die angefochtenen Wahlen traf, dem Kläger Fritz oder vielmehr dem Bachofner zugestanden habe.
3.
Unter Ziffer 3 des mit der Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma und mit Bachofner abgeschlossenen sog. Fusionsvertrages vom 15. Juni 1956 wurde bestimmt: "Gemäss beiliegender Vereinbarung vom 15. Juni 1956, abgeschlossen zwischen den Herren V. Fritz, Dr. W. Egli und J. Rüegg, verpflichtet sich Herr V. Fritz für sich sowie namens von Frau Rechsteiner und des Herrn J. Rüegg 88 Aktien und Herr Dr. Egli für sich und seine Gruppe 42 Aktien Herrn Bachofner zu den vereinbarten Bedingungen zu beschaffen." In der Vereinbarung, auf die in dieser Bestimmung verwiesen ist, erklärte Fritz sich bereit, von seinen 183 Aktien dem Bachofner 73 Stück zu verkaufen. Die Verpflichtung des Fritz lautete also auf Verkauf der Aktien an Bachofner; Fritz sollte Verkäufer, Bachofner Käufer sein. Auf Grund eines zwischen diesen beiden zustande gekommenen Kaufvertrages gelangten die 73 Aktien im Frühjahr 1957 in den Besitz Bachofners. Ob das ohne Wissen des Dr. Egli geschah, ja einer von ihm erteilten Weisung widersprach, ist unerheblich, denn Dr. Egli war nicht Partei des Kaufvertrages über diese Aktien.
Es kommt auch nichts darauf an, ob die Rückindossierung und Rückgabe der Aktien durch Bachofner an Fritz
BGE 87 II 249 S. 260
vom 20. Februar und 10. Juni 1958 wegen Nichtzahlung des Preises und der finanziellen Lage Bachofners erfolgte oder vielmehr deshalb, weil Fritz sich wegen des geheimen Vertrages zwischen Bachofner und Dr. Egli getäuscht sah. Tatsache ist, dass Bachofner den Kauf zur Zeit der Rückindossierung und Rückgabe der Aktien noch nicht erfüllt hatte und dass er mit Fritz einig war, ihn aufzuheben. Das stand im Belieben der beiden, denn sie allein hatten den Kauf abgeschlossen; Dr. Egli, Rüegg, die Beklagte und die Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma brauchten nicht zuzustimmen.
Durch die Rückindossierung und Rückgabe der Aktien ging das Eigentum an den Papieren wieder auf Fritz über. Es trifft nicht zu, dass hiezu gemäss § 4 der Statuten die Zustimmung der Beklagten nötig gewesen wäre. Bachofner verkaufte dem Fritz die Aktien nicht und war daher nicht gehalten, den Verwaltungsrat zu benachrichtigen mit der Wirkung, dass dieser binnen neunzig Tagen einen anderen Käufer hätte suchen und die Übertragung auf Fritz hätte untersagen können. Dass auch die Aufhebung eines zwar seitens des Verkäufers, aber nicht auch seitens des Käufers erfüllten Kaufes und die Rückübertragung der Aktien an den Verkäufer unter § 4 der Statuten falle, sagt diese Bestimmung nicht.
Die Rückübertragung bedurfte auch nicht deshalb der Zustimmung der Beklagten, weil diese und die Verlagsgenossenschaft für Pfäffikon und Bauma auf Grund des Vertrages vom 15. Juni 1956 glauben Anspruch erheben zu können, den geflüchteten und in Konkurs geratenen Bachofner als Aktionär abzulehnen und durch Hickel zu ersetzen. Sollte dieser Anspruch bestehen, so ergäbe sich daraus nicht, dass Bachofner die 73 Aktien statt an Fritz zurückzugeben unmittelbar auf Hickel zu übertragen hatte, sondern die Ansprecher könnten nur verlangen, dass Fritz an Stelle des von Bachofner nicht erfüllten Kaufes einen solchen mit Hickel abschliesse und die zurückgenommenen Aktien an diesen übertrage.
BGE 87 II 249 S. 261
Die 73 Aktien waren somit zur Zeit der Generalversammlungen vom 20. Februar und 5. März 1960 Eigentum des Fritz. Dieser war auch durch das Aktienbuch als aus ihnen berechtigt ausgewiesen, wenn man über die unzulässige und daher ungültige Überschreibung auf Hickel hinwegsieht. Das Stimmrecht aus den 73 Aktien stand deshalb Fritz zu.
4.
Die Beklagte macht geltend, die Ungültigkeit der Überschreibung der 73 Aktien auf Hickel im Aktienbuch vermöchte an der Gültigkeit der angefochtenen Wahlen nichts zu ändern, weil sie zur Folge hätte, dass auch die Eintragung des Fritz als Eigentümers der aus dem Nachlass seines Vaters übernommenen 105 Aktien ungültig wäre, denn die Beklagte habe diese Eintragung nur unter der Bedingung vorgenommen, dass auch die Eintragung des Hickel als Erwerbers von 73 Aktien gültig sei; man dürfe nicht dem Kläger Fritz Rechtshandlungen zubilligen, die einem Rücktritt vom Vertrag vom 15. Juni 1956 gleichkämen, und anderseits die Beklagte bei Rechtshandlungen behaften, die sie in Vollziehung des gleichen Vertrages vornahm.
In der Vereinbarung vom 15. Juni 1956 zwischen Dr. Egli, Rüegg und Fritz wurde die Zustimmung zur "Übertragung der 105 Aktien von Emil Fritz sel. auf V. E. Fritz" nicht von einer Bedingung abhängig gemacht, namentlich nicht von der Bedingung, dass Hickel Eigentümer von 73 Aktien des Klägers werde. Von Hickel als Erwerber war damals überhaupt noch nicht die Rede. Auch die Eintragung des Klägers als Eigentümers des 105 ererbten Aktien in das Aktienbuch erfolgte vorbehaltlos und bedingungslos. An den Generalversammlungen vom 20. Februar und 5. März 1960 wurde der Kläger wieder ohne jeden Vorbehalt als aus diesen 105 Aktien stimmberechtigt erklärt, obschon er entschieden gegen die Anerkennung Hickels als Aktionär aus 73 Aktien des Klägers protestierte. Von einer nur bedingten Anerkennung des Fritz als Aktionär aus den 105 ererbten Aktien kann daher nicht die Rede sein.
Damit ist nicht gesagt, dass Dr. Egli in der Vereinbarung
BGE 87 II 249 S. 262
vom 15. Juni 1956 seine Zustimmung zur "Übertragung" der 105 Aktien auf Fritz nicht deshalb erteilt habe, weil dieser sich unter anderem bereit erklärte, dem Bachofner 73 Aktien zu verkaufen. Ob dem so war, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls hatte die Aufhebung des Kaufes mit Bachofner, mag sie wegen Täuschung oder mag sie wegen der finanziellen Lage des Käufers erfolgt sein, nicht zur Folge, dass die Zustimmung des Dr. Egli zur Eintragung des Fritz als Erwerbers der 105 Aktien und damit auch diese Eintragung ungültig wäre. Sie ist das um so weniger, als Dr. Egli um den Hinfall des Kaufvertrages mit Bachofner wusste, als er am 30. Januar/4. Februar 1960 der Eintragung des Überganges der 105 Aktien auf Fritz zustimmte und sie am 8. Februar 1960 vollzog. Es stand ihm frei, das zu tun, selbst wenn er sich am 15. Juni 1956 zu dieser Rechtshandlung nur verpflichtet haben sollte, weil sich Fritz bereit erklärte, dem Bachofner 73 Aktien zu verkaufen.
Fritz war somit am 20. Februar und 5. März 1960 ausser aus den 73 von Bachofner zurückerhaltenen auch aus den 105 ererbten Aktien stimmberechtigt.
5.
Der Berufungsantrag auf Abweisung beider Klagen richtet sich auch gegen die vorinstanzliche Feststellung, dass die Beklagte die Klägerin Frau Rechsteiner als aus 24 Aktien stimmberechtigt in das Aktienbuch einzutragen habe. Die Beklagte führt indes in der Berufungsschrift nicht aus, inwiefern diese Feststellung Bundesrecht verletze (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Auf diesen Punkt der Berufung kann daher nicht eingetreten werden.
6.
Wirken Personen, die zur Teilnahme an der Generalversammlung nicht befugt sind, bei einem Beschlusse mit, so kann dieser von jedem Aktionär angefochten werden, es wäre denn, die Gesellschaft weise nach, dass die unzulässige Mitwirkung den Beschluss nicht beeinflusste (
Art. 691 Abs. 3 OR
).
Dass die Beklagte in beiden Generalversammlungen den Klägern zusammen 83 Stimmen zu wenig, dem Hickel
BGE 87 II 249 S. 263
dagegen 73 zu viel zuerkannte, hat die Ergebnisse der angefochtenen Wahlen beeinflusst. Da Frau Rechsteiner 24 statt nur 14 Stimmen zustanden, verfügten die anwesenden oder vertretenen Aktionäre in beiden Versammlungen über zusammen 306 Stimmen. Davon kamen Fritz 183 und Frau Rechsteiner 24 zu. Die beiden Kläger verfügten also mit zusammen 207 Stimmen über das absolute Mehr. Die angefochtenen Wahlen halten daher nicht stand.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 7. März 1961 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac1891d8-b39a-4c0c-9e98-47a454c3cddb | Urteilskopf
91 II 201
31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Mai 1965 i.S. Hotel Plaza A.-G. gegen Roe. | Regeste
Werkhaftung, Berufung.
Berufung gegen Vorentscheid, Zulässigkeit.
Art. 50 OG
(Erw. 1).
Werkhaftung,
Art. 58 OR
.
Anforderungen an eine Liftanlage. Ungenügender Abstand zwischen Schachtwand und Kabinendecke als Werkmangel. Bedeutung der baupolizeilichen Genehmigung der Anlage (Erw. 2, 3).
Adäquater Kausalzusammenhang zwischen Mangel und Unfall (Erw. 4).
Mitverschulden des Geschädigten (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 202
BGE 91 II 201 S. 202
A.-
Die Klägerin Bonita Roe aus Vancouver (Canada), geboren am 30. November 1944, erlitt am 8. August 1960 bei der Benützung des Liftes in dem der Beklagten gehörenden Hotel Plaza in Zürich einen Unfall.
Bonita Roe, die sich seit einigen Wochen in Begleitung einer Frau Palmer und deren Tochter Margo, geb. 1946, im Hotel Plaza aufhielt, wollte zusammen mit Margo Palmer mit dem Lift, der keine Kabinentüre aufweist, aus dem 5. in den 2. Stock hinunterfahren. Dabei geriet sie mit der linken Hand an der oberen Liftkante zwischen die Kabinendecke und die Schachtwand und erlitt an der Hand und am Vorderarm schwere Verletzungen.
Der von der Klägerin benutzte Lift war im Jahre 1953 erstellt worden. Die Baupolizei der Stadt Zürich hatte auf Gesuch vom 20. Februar hin am 27. Februar 1953 die Ausführungsbewilligung und am 4. September 1953 die Betriebsbewilligung erteilt.
Die Erstellung und der Betrieb von Personen- und Warenaufzügen ist durch die Verordnung des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 22. Januar 1953 geregelt, welche die frühere Verordnung vom 30. Dezember 1943 ersetzte und mit der Veröffentlichung im kantonalen Amtsblatt vom 17. Februar 1953 in Kraft trat. Die neue Verordnung erklärt in § 5 "für die technische Gestaltung der Aufzugsanlagen, der Fahrbahn und der Umwehrung" die "Normen für die Einrichtung und den Betrieb von Aufzugsanlagen" des Schweiz. Ingenieur- und Architektenvereins, Ausgabe 1952, als anwendbar. In diesen SIA-Normen wird in Art. 19 Abs. 1 a.E. bestimmt, wenn die Höhe bis zur Fahrstuhldecke beim Zugang weniger als 2,25 m betrage, so müsse die Decke von der Schachtwand mindestens 5 cm zurückstehen, falls nicht eine besondere Vorrichtung gegen Einklemmen vorgesehen sei. In einem
BGE 91 II 201 S. 203
Nachtrag von 1957 zu Art. 19 Abs. 1 wird sodann vorgeschrieben, dass bei Personenaufzügen ohne Fahrstuhltüre eine Sicherheitsvorrichtung anzubringen sei, die den Fahrstuhl stillsetze, sobald ein Fremdkörper zwischen Fahrbahnumwehrung und Fahrstuhlantritt gelange, oder die das Eindringen eines Fremdkörpers verhindere. Nach § 7 der Verordnung darf die Betriebsbewilligung nur erteilt werden, wenn die Anlage den Vorschriften entspricht. Hinsichtlich bereits im Betrieb stehender Anlagen bestimmt § 13, sie seien, soweit es die Sicherheit erfordere, der neuen Verordnung anzupassen; ereigne sich infolge mangelhafter Anlage ein Unfall, so müsse diese unverzüglich den neuen Bestimmungen angepasst werden.
Die wegen des Unfalles der Klägerin am 8. August 1960 herbeigerufene Baupolizei stellte fest, dass beim Lift im Hotel Plaza, bei dem die Höhe der Kabine 2,12 m und diejenige der Türöffnung 1,94 m misst, die Kabinendecke am Zugang nur 1,2 cm von der Schachtwand zurückstand. Durch Verfügung vom 22. August 1960 ordnete das Baupolizeiinspektorat an, die Anlage sei bis zum 31. Dezember 1960 in dem Sinne zu ändern, dass die Kabinendecke am Zugang mindestens 5 cm von der Schachtwand zurückstehe und am Kabinenantritt eine Sicherheitsschwelle angebracht werde, welche die Steuerung unterbreche, sobald ein Fremdkörper in den Spalt zwischen Schachtwand und Kabinenantritt gelange. In einem Bericht vom 24. August 1960 hielt das Inspektorat fest, dass die Anlage bei der Abnahme am 18. August 1953 der Aufzugsverordnung vom 30. Dezember 1943 entsprochen habe, nun aber der abgeänderten Verordnung vom 22. Januar 1953 anzupassen sei.
B.-
Mit Klage vom 16. Juli 1962 belangte Bonita Roe, gesetzlich vertreten durch ihren Vater Charles Roe, gestützt auf die Vorschriften über die Haftung des Werkeigentümers (
Art. 58 OR
) die Hotel Plaza A.-G. als Eigentümerin des Hotelgebäudes auf die Bezahlung von Fr. 150'000.-- nebst 5% Zins seit 8. August 1960 als Schadenersatz und Genugtuung.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage.
C.-
Das Bezirksgericht Zürich wies mit Urteil vom 22. November 1963 die Klage ab. Es verneinte das Vorliegen eines haftungsbegründenden Werkmangels; eventuell führte es aus, die Klage müsste auch dann abgewiesen werden, wenn man annehmen wollte, die Hand der Klägerin habe infolge mangelhafter Beschaffenheit der Liftanlage eingeklemmt werden
BGE 91 II 201 S. 204
können; denn die Klägerin habe den Unfall durch ihr unvorsichtiges Verhalten selber verschuldet.
D.-
Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, hob mit Entscheid vom 15. Oktober 1964 das Urteil des Bezirksgerichts auf und wies die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück mit der Weisung, die Höhe des Schadens der Klägerin festzustellen und ihr drei Viertel davon zuzusprechen.
Das Obergericht bejahte die Haftbarkeit der Beklagten aus Werkmangel, nahm jedoch an, dass die Klägerin ein erhebliches Mitverschulden treffe.
E.-
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie beantragt, die Klage sei gänzlich abzuweisen; eventuell sei die Beklagte nur für einen Viertel des Schadens haftpflichtig zu erklären.
Die Klägerin beantragt auf dem Wege der Anschlussberufung, die Klage sei im vollen Umfang gutzuheissen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist kein Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
, sondern ein blosser Zwischenentscheid.
Art. 50 OG
lässt die Berufung gegen selbständige Vor- oder Zwischenentscheide ausnahmsweise zu, wenn ihre Gutheissung sofort zu einem Endentscheid führen und damit ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde.
a) Als "selbständiger Vorentscheid" im Sinne dieser Bestimmung kann der angefochtene Entscheid nur angesehen werden, wenn mit ihm die vorab in Frage stehende materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung, nämlich die grundsätzliche Haftbarkeit der Beklagten aus
Art. 58 OR
, urteilsmässig erledigt worden ist (
BGE 81 II 398
Erw. 2; GIOVANOLI, Probleme der Berufung an das Bundesgericht, in ZbJV 90 S. 57 letzter Absatz, 59 Abs. 1 lit. d; LEUCH, ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., Art. 196 N. 2). Nach dem Wortlaut des Dispositivs erscheint nun der angefochtene Entscheid zunächst als blosser Rückweisungsentscheid ohne urteilsmässige Erledigung der Frage der grundsätzlichen Haftbarkeit der Beklagten. Die Rückweisung erfolgt jedoch "im Sinne der Erwägungen", und in diesen wird die Haftbarkeit der Beklagten ausdrücklich
BGE 91 II 201 S. 205
festgestellt; endlich wird im Dispositiv selber das Bezirksgericht angewiesen, der Klägerin den Schaden "zu drei Vierteln zuzusprechen". Unter diesen Umständen darf das Dispositiv dahin ausgelegt werden, dass damit die grundsätzliche Haftbarkeit der Beklagten urteilsmässig festgestellt werden sollte (vgl. zur Frage der Auslegung des Dispositivs an Hand der Erwägungen
BGE 86 II 383
). Das Bundesgericht hat es schon in
BGE 78 II 398
f. als fraglich bezeichnet, ob es für die Zulässigkeit einer Berufung nach
Art. 50 OG
geradezu unerlässlich sei, dass sich das Dispositiv des angefochtenen Entscheides ausdrücklich über den vorweg erledigten Punkt ausspreche, und in
BGE 81 II 399
hat es lediglich für den Scheidungsprozess daran festgehalten, dass die in der Gutheissung eines Scheidungsbegehrens liegende Rechtsgestaltung einzig durch ein ausdrückliches Dispositiv vorgenommen werden könne.
b) Für den Hauptantrag der Berufung ist auch die weitere Voraussetzung der gesonderten Anrufung des Bundesgerichts erfüllt, dass nämlich im Falle der Gutheissung der Berufung ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde: Falls die Haftbarkeit der Beklagten gemäss ihrem Berufungsantrag schon aus grundsätzlichen Erwägungen zu verneinen wäre, würde das zur sofortigen Abweisung der Klage führen, womit ein kostspieliges und zeitraubendes Beweisverfahren (Expertise über den Invaliditätsgrad der in Canada wohnhaften Klägerin, Auswirkungen auf ihr wirtschaftliches Fortkommen) überflüssig würde. Auf den Hauptantrag der Berufung ist daher einzutreten.
c) Der Eventualantrag der Berufung, die Beklagte sei bloss für einen Viertel des Schadens ersatzpflichtig zu erklären, würde dagegen für sich allein die gesonderte Anrufung des Bundesgerichtes nicht gestatten, da blosse Herabsetzung des Schadenersatzanspruches ein Beweisverfahren über die Schadenshöhe nicht überflüssig machen würde. Es besteht jedoch kein stichhaltiger Grund, im Verfahren nach
Art. 50 OG
einen Eventualantrag nur dann zuzulassen, wenn er auch als Hauptantrag hätte gestellt werden können. Ist einmal das Bundesgericht auf Grund eines Hauptantrages mit der Sache befasst, so rechtfertigt es sich, gleichzeitig auch allfällige Eventualbegehren zu beurteilen, sofern ihrer vorweggenommenen Entscheidung nichts im Wege steht. Damit lässt sich unter Umständen eine spätere nochmalige Anrufung des Bundesgerichts vermeiden.
BGE 91 II 201 S. 206
Im vorliegenden Falle stände bei Abweisung des Hauptantrages der Berufung nichts im Wege, schon vor der Festsetzung der Schadenshöhe durch die kantonalen Instanzen darüber zu entscheiden, für welchen Bruchteil des Schadens die Beklagte aufzukommen habe. Die Beklagte hat nicht etwa geltend gemacht, sie würde durch die Schadenersatzleistung in eine Notlage versetzt (
Art. 44 Abs. 2 OR
), worüber erst nach Feststellung der Schadenshöhe entschieden werden könnte. Es verhält sich hier nicht anders als in dem gelegentlich vorkommenden Fall, dass das Bundesgericht ein auf Klageabweisung lautendes kantonales Endurteil aufhebt, im Zusammenhang mit der Entscheidung über die grundsätzliche Haftungsfrage zugleich auch über die Verteilung der Schadenstragung urteilt und die Sache nur zur Feststellung der Schadenshöhe zurückweist (so z.B.
BGE 59 II 170
f.,
BGE 60 II 349
).
d) Aus den gleichen Erwägungen sind auch die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anschlussberufung als erfüllt zu betrachten.
2.
Es ist nicht streitig, dass die Liftanlage im Gebäude der Beklagten ein Werk im Sinne von
Art. 58 OR
darstellt und dass die Beklagte daher für den Schaden aus dem der Klägerin zugestossenen Unfall haftet, wenn und soweit dieser durch einen Mangel in der Anlage oder im Unterhalt des Aufzuges verursacht worden ist.
3.
Die Beklagte hält in ihrer Berufung vorab daran fest, dass eine Werkhaftung schon deshalb entfalle, weil nicht von einer fehlerhaften Anlage des Lifts gesprochen werden könne.
a) Das Obergericht hat für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit der Liftanlage die Verordnung vom 22. Januar 1953 sowie die darin erwähnten SIA-Normen als in erster Linie massgebend erachtet. Es hat festgestellt, die Anlage habe nicht der Vorschrift von Art. 19 Abs. 1 a.E. der SIA-Normen entsprochen, wonach die Fahrstuhldecke von der Schachtwand mindestens 5 cm zurückstehen muss, wenn die Höhe bis zur Fahrstuhldecke beim Zugang weniger als 2,25 m beträgt. Zudem habe die durch den Nachtrag 1957 vorgeschriebene Sicherheitsvorrichtung am Fahrstuhlantritt gefehlt. Die Baupolizei habe denn auch nach dem Unfall eine entsprechende Änderung der Anlage angeordnet. Da die Liftanlage zur Zeit des Unfalls nicht den bestehenden Vorschriften entsprochen habe, sei sie mangelhaft gewesen, und dafür habe die Beklagte einzustehen. Die Berufung
BGE 91 II 201 S. 207
darauf, dass seinerzeit die baupolizeiliche Bewilligung zur Inbetriebnahme des Liftes erteilt worden sei, helfe der Beklagten nicht. Entscheidend sei, dass nötige und vorgeschriebene Schutzvorrichtungen gefehlt und dass diese Gefahrenquellen Anlass zum Unfall gegeben hätten.
b) Die Berufung wendet ein, das Vorliegen eines Werkmangels könne nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Baupolizei eine Änderung der Anlage angeordnet habe; denn nach einem Unfall würden stets Änderungen verlangt. Die Ausführungsbewilligung vom 27. Februar 1953 sei noch auf Grund der Verordnung vom 30. Dezember 1943 erteilt worden, weil der Lift bereits vor Inkrafttreten der neuen Verordnung fertig projektiert gewesen sei. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Anlage sofort an die neue Verordnung anzupassen; denn § 13 schreibe dies nur vor, soweit es die Sicherheit erfordere. Die Baupolizei habe es denn auch bei der Erteilung der Betriebsbewilligung nicht für nötig befunden, dass der Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand vergrössert und am Kabinenboden eine Sicherheitsschwelle angebracht werde. Es gehe nicht an, jeden Lift älterer Bauart, der die Möglichkeit des Eingeklemmtwerdens nicht völlig ausschliesse, als mangelhaft anzusehen. Wenn sich die Klägerin ordnungsgemäss verhalten hätte, wäre der Unfall nicht passiert. Der Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand von nur 1,2 cm könne daher nicht als Werkmangel angesehen werden. Das Fehlen der Sicherheitsschwelle am Rande des Kabinenbodens habe beim Unfall überhaupt keine Rolle gespielt, so dass sich die Frage erübrige, ob auch hierin ein Werkmangel zu erblicken sei.
c) Es kommt in der Tat ausschliesslich darauf an, ob der Unfall dadurch herbeigeführt worden ist, dass der Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand nur 1,2 cm betragen hat. Wohl spricht das obergerichtliche Urteil im Anschluss an die Ausführungen über diesen zu geringen Abstand und über das Fehlen einer Sicherheitsschwelle davon, dass "diese Gefahrenquellen" Anlass zum Unfall gegeben hätten. Der später folgenden Darstellung des Unfallhergangs, auf die noch zurückzukommen sein wird, ist nichts darüber zu entnehmen, wieso auch das Fehlen der Sicherheitsschwelle eine Rolle gespielt haben sollte. Es ist daher lediglich zu untersuchen, ob der zu geringe Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand einen Mangel im Sinne des
Art. 58 OR
dargestellt habe. Dabei
BGE 91 II 201 S. 208
handelt es sich um eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (
BGE 88 II 419
).
d) Nach ständiger Lehre und Rechtsprechung kann sich der Werkeigentümer von seiner Haftung nicht schon mit der Berufung darauf befreien, dass die Anlage polizeilich geprüft und genehmigt worden sei (
BGE 33 II 568
,
BGE 55 II 84
f.,
BGE 56 II 94
,
BGE 57 II 109
; OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2. Aufl. Bd. II/1 S. 46 f.). Immerhin ist der Umstand, dass eine Anlage den polizeilichen Anforderungen genügt, wenigstens bis zu einem gewissen Grade ein Anzeichen dafür, dass sie auch unter privatrechtlichen Gesichtspunkten nicht mangelhaft sei. Vor allem aber liegt es umgekehrt nahe, bei Nichtbeachtung einer die Gefahrenverhütung bezweckenden polizeilichen Vorschrift auch einen privatrechtlichen Werkmangel anzunehmen.
Im vorliegenden Falle steht fest, dass die Liftanlage der Beklagten den Anforderungen der SIA-Normen Nr. 106, Ausgabe 1952, nicht entsprochen hat. Diese Normen bezwecken, wie in ihrem Ingress gesagt wird, "durch eine dem Stand der Technik angemessene Ausführung die Verhütung von Unfällen". So wird in Art. 19 Abs. 1 a. E. vorgeschrieben, wo die Höhe der Kabine weniger als 2,25 m betrage, müsse die Fahrstuhldecke mindestens 5 cm von der Schachtwand abstehen, falls nicht eine besondere Schutzvorrichtung ein Einklemmen verhüte. Diese Regel ist dadurch, dass § 5 der Verordnung vom 22. Januar 1953 auf die SIA-Normen verweist, zur baupolizeilichen Vorschrift geworden. Diese Verordnung stand bereits in Kraft, als der Beklagten am 27. Februar 1953 die Ausführungsbewilligung und am 4. September 1953 die Betriebsbewilligung erteilt wurde. Mit der Erteilung dieser Bewilligungen hat die Baupolizei demnach die für sie verbindlichen Vorschriften missachtet: Sie hat eine Anlage genehmigt und zum Betrieb zugelassen, die den Vorschriften nicht entsprach. Dieses Vorgehen ist um so weniger verständlich, als nach § 13 selbst bereits bestehende Anlagen, soweit die Sicherheit es erfordert, der neuen Verordnung angepasst werden müssen. Unter diesen Umständen kann den seinerzeitigen Verfügungen der Baupolizei bei der Entscheidung der Frage, ob ein privatrechtlicher Mangel der Anlage vorliege, keine Bedeutung beigemessen werden.
Dagegen fällt unter diesem Gesichtspunkt entscheidend ins Gewicht, dass die Anlage schon bei ihrer Erstellung und Inbetriebnahme im Jahre 1953 dem damaligen Stand der Technik
BGE 91 II 201 S. 209
und den geltenden baupolizeilichen Sicherheitsvorschriften nicht entsprach. Art. 19 Abs. 1 der SIA-Normen will, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, einer ganz bestimmten Gefahr, der des Eingeklemmtwerdens, wirksam begegnen. Die Vorschrift lautet allgemein, ist aber natürlich vor allem von Bedeutung bei Kabinen ohne Türen. Bei solchen Kabinen ist naturgemäss die Unfallgefahr erheblich grösser, weshalb es um so mehr angezeigt ist, Gefahren soweit als nur möglich auszuschalten.
e) Der Mangel einer Anlage zieht nun allerdings nach der Rechtsprechung keine Haftung des Werkeigentümers nach sich, wenn er bei einem vernünftigen, dem Durchschnitt entsprechenden vorsichtigen Verhalten der Benützer nicht Anlass zu Unfällen geben kann (
BGE 66 II 111
,
BGE 81 II 453
). Mit einem untergeordneten Mangel im Sinne dieser Rechtsprechung hat man es indessen im vorliegenden Fall nicht zu tun. Wie bereits bemerkt wurde, bedeuten Liftkabinen ohne Türen stets eine gewisse Gefahr für die Benützer. Diese geben sich erfahrungsgemäss nicht immer volle Rechenschaft darüber, dass der Abschluss der Kabine auf einer oder sogar zwei Seiten durch die Schachtwand gebildet wird. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass auch ein vorsichtiger Benützer des Lifts sich mit einer Hand gegen die offene Seite der Kabine stützen will, wenn er aus irgendeinem Grunde (z.B. infolge einer ruckartigen Bewegung des Lifts oder weil er durch unachtsames Verhalten eines andern Benützers gestossen wird) das Gleichgewicht verliert. Wer aber im abwärts fahrenden Lift die Schachtwand mit der Hand berührt und diese nicht sofort wieder zurückzieht, läuft grosse Gefahr, dass sie eingeklemmt wird, wenn die obere Kante der Kabine die betreffende Stelle der Schachtwand erreicht.
Die Vorinstanz hat daher im vorschriftswidrig geringen Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand zu Recht einen haftungsbegründenden Werkmangel im Sinne des
Art. 58 OR
erblickt.
4.
Die Beklagte macht weiter geltend, selbst wenn man einen Werkmangel annehme, sei nicht nachgewiesen, dass dieser den Schaden verursacht habe; denn bei ordnungsgemässer Benützung des Liftes durch die Klägerin wäre es nicht zum Unfall gekommen.
a) Die Frage, ob zwischen zwei Ereignissen überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang bestehe (sog. natürlicher Kausalzusammenhang), ist tatsächlicher Natur; die Feststellungen der
BGE 91 II 201 S. 210
kantonalen Instanz hierüber sind daher für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 63 Abs. 2 OG
). Ob der festgestellte natürliche Kausalzusammenhang auch im Rechtssinne erheblich (adäquat) sei, ist dagegen eine der Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegende Rechtsfrage (
BGE 89 II 249
f. und dort erwähnte Entscheide).
b) Hinsichtlich des natürlichen Kausalzusammenhangs erklärt die Vorinstanz im Anschluss an die Feststellung, dass nötige und vorgeschriebene Schutzvorrichtungen gefehlt hätten: "Diese Gefahrenquellen gaben Anlass zum Unfall". Damit steht fest, dass der zu geringe Abstand zwischen Kabinendecke und Schachtwand zum Unfall geführt hat.
c) Die Beklagte will denn auch wohl bloss die Adäquanz dieses Kausalzusammenhangs bestreiten. Zu dieser Frage hat die Vorinstanz nicht ausdrücklich Stellung genommen.
Als adäquat hat nach der Rechtsprechung eine Ursache zu gelten, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Erfahrung des Lebens geeignet ist, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen, so dass der Eintritt dieses Erfolges durch jene Ursache allgemein als begünstigt erscheint (
BGE 89 II 250
und dort erwähnte Entscheide). Dass im vorliegenden Fall der Mangel der Liftanlage nicht die einzige Schadensursache war, sondern ein bestimmtes Verhalten der Klägerin erst den latent vorhandenen Mangel hat offenbar werden lassen, schliesst adäquate Kausalität nicht aus. Inadäquanz, also Fehlen eines rechtlich erheblichen Kausalzusammenhanges (sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhanges) und damit Entlastung der Beklagten könnte nur angenommen werden, wenn ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin von einer gewissen Schwere vorläge (OFTINGER, Bd. I S. 94 f. 104 f., Bd. II/1 S. 64 f. und dort zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung, ferner
BGE 85 II 521
). Im angefochtenen Entscheid wird nun in tatsächlicher Hinsicht ausgeführt, die Klägerin habe zugeben müssen, dass sie es an der nötigen Sorgfalt habe fehlen lassen. Der genaue Unfallhergang sei zwar nicht abgeklärt, aber auf Grund der Akten sei auszuschliessen, dass die Klägerin infolge eines Rucks beim Anfahren des Lifts das Gleichgewicht verloren habe; sie mache auch nicht geltend, dass ihre Begleiterin sie irgendwie gestossen hätte. Die Annahme eines Privatgutachters, die Klägerin habe ihren linken Handrücken an die Umwehrung gehalten, könne kaum stimmen, da bei einer solchen Haltung
BGE 91 II 201 S. 211
die Hand nicht gestreckt sei, sondern die Finger etwas gegen die Handfläche gebogen seien; danach hätte die Klägerin nur mit den Knöcheln die Schachtwand berühren und die Hand hätte nicht emporgerissen werden können. Vielmehr sei nach dem Ablauf des Geschehnisses anzunehmen, dass die Klägerin ihre innere Handfläche an die Wand gehalten habe; das sei auch aus den Aussagen der Klägerin der Polizei gegenüber zu schliessen, wo sie erklärt habe, sie habe an die Wand "gegriffen".
Danach steht für das Bundesgericht verbindlich fest, dass die Klägerin mit der inneren Handfläche an die Schachtwand gegriffen hat, und zwar ohne dass dafür irgend ein einigermassen hinreichender äusserer Anlass bestanden hätte. Darin liegt zweifellos ein gewisses Verschulden. Dieses ist jedoch nicht als besonders schwer zu bewerten. Für den Liftbenützer ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Gefahren mit dem Berühren der vorbeigleitenden Schachtwand verbunden sind. Es ist zudem nicht üblich, dass in Liftkabinen ohne Türen vor dem Berühren der Schachtwand gewarnt wird; auch in der Kabine des Lifts der Beklagten fehlte eine solche Warnung. Die Gefahr des Eingeklemmtwerdens lag darum durchaus nicht offen zu Tage. Es ist daher bis zu einem gewissen Grade verständlich, dass die jugendliche Klägerin glaubte, es wagen zu dürfen, an die Schachtwand zu greifen. Auch wenn sie das dann nicht mit der gebotenen Vorsicht getan hat, so erscheint bei Abwägung aller Umstände ihr Verschulden doch nicht als derart schwerwiegend, dass sich rechtfertigen würde, den rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen dem Mangel der Liftanlage und dem Unfall als unterbrochen zu betrachten.
Die Haftbarkeit der Beklagten aus
Art. 58 OR
ist daher mit der Vorinstanz grundsätzlich zu bejahen.
5.
Für diesen Fall beantragt die Beklagte mit ihrem Eventualbegehren, ihre Schadenersatzpflicht sei wegen grossen Selbstverschuldens der Klägerin nicht bloss auf drei Viertel, sondern auf einen Viertel herabzusetzen.
Die Klägerin ihrerseits begehrt mit ihrer Anschlussberufung die Verurteilung der Beklagten zur vollen Schadensdeckung, weil ihr Selbstverschulden so gering sei, dass es keine Minderung der kausalen Haftung der Beklagten rechtfertige.
a) Ein Selbstverschulden des Geschädigten, das nicht zur Befreiung des Haftpflichtigen ausreicht, kann einen Grund zur Herabsetzung der Ersatzpflicht bilden. Bei der Festsetzung des
BGE 91 II 201 S. 212
Masses der Reduktion ist davon auszugehen, dass auf den Geschädigten diejenige Quote des Schadens fallen soll, die seinem Anteil an der Gesamtverursachung des Schadens entspricht. Trifft den Kausalhaftpflichtigen ein zusätzliches Verschulden, so wirkt sich das dahin aus, dass das Selbstverschulden des Geschädigten als Ursache desto leichter wiegt (OFTINGER, Bd. I S. 239 f.).
b) Das Obergericht führt aus, das Verschulden der Klägerin wiege schwerer als das der Beklagten. Darin, dass ein Hauseigentümer sich nicht ständig darum kümmere, ob die seinerzeit behördlich abgenommene Liftanlage den neuesten Vorschriften entspreche, liege keine ins Gewicht fallende Unterlassung, weshalb das Verschulden der Beklagten eher als leicht zu bezeichnen sei.
Die Beklagte rügt indessen mit Recht, dass ihr überhaupt ein Verschulden zur Last gelegt werde. Wenn auch die polizeiliche Genehmigung der Anlage sie nicht von ihrer Haftung als Werkeigentümerin zu befreien vermag, so durfte sie doch in guten Treuen annehmen, die Anlage sei in Ordnung. Es liegt auch nichts dafür vor, dass sie seither anlässlich der vorgeschriebenen Revisionen durch die Fachleute, welche diese vornahmen, auf den hier in Frage stehenden Mangel aufmerksam gemacht worden wäre, aber gleichwohl nichts zu seiner Behebung vorgekehrt habe. Die Schuldlosigkeit der Beklagten bildet jedoch entgegen der Auffassung der Berufung keinen Grund zur Herabsetzung der Ersatzpflicht. Das Gesetz lässt bei der strengen Kausalhaftung des Werkeigentümers im Gegensatz zu derjenigen des Geschäftsherrn (
Art. 55 OR
) oder des Tierhalters (
Art. 56 OR
) keinen Entlastungsbeweis zu.
c) Dass ein Verschulden der Beklagten zu verneinen ist, rechtfertigt indessen nicht, von der durch die Vorinstanz vorgenommenen Schadenverteilung abzuweichen. Denn wie bereits ausgeführt wurde, ist das Selbstverschulden der noch jugendlichen Klägerin nicht als so schwer zu bewerten, wie dies die Vorinstanz getan hat. Von einem überwiegenden Verschulden der Klägerin, wie es die Beklagte behauptet, kann vollends nicht die Rede sein.
Wägt man den von der Beklagten kraft Kausalhaftung zu vertretenden Werkmangel und das Selbstverschulden der Klägerin gegeneinander ab, so ist die Herabsetzung der Ersatzpflicht der Beklagten um einen Viertel nicht zu beanstanden.
BGE 91 II 201 S. 213
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Berufung und Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 15. Oktober 1964 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac1982cb-1e5e-4b24-b224-84ad9d537b32 | Urteilskopf
94 III 65
13. Entscheid vom 24. September 1968 i.S. Interfer Verwaltungs-AG | Regeste
Rekurs an das Bundesgericht (
Art. 19 SchKG
). Das Bundesgericht ist befugt, auf einen ungültigen (z.B. verspäteten) Rekurs hin schlechthin nichtige Verfügungen eines Betreibungs- oder Konkursamtes (z.B. eine Konkursandrohung in einer nach
Art. 43 SchKG
auf Pfändung fortzusetzenden Betreibung) von Amtes wegen aufzuheben (Erw. 2; Klarstellung der Rechtsprechung).
Eine Betreibung gegen die als Aktiengesellschaft im Handelsregister eingetragene Leitung eines Anlagefonds auf Erbringung der ihr durch Verfügung der Eidg. Bankenkommission auferlegten Sicherheitsleistung (Art. 43 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Anlagefonds vom 1. Juli 1966) ist nicht gemäss
Art. 43 SchKG
auf Pfändung, sondern gemäss
Art. 39 SchKG
auf Konkurs fortzusetzen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 94 III 65 S. 66
A.-
Die Interfer AG in Zürich errichtete und leitete den Internationalen Ferienhaus-Anlagefonds Interfer. Am 8. November 1967 beschloss eine ausserordentliche Generalversammlung der Interfer AG, die Firma auf Interfer Verwaltungs-Aktiengesellschaft abzuändern und den Gesellschaftssitz nach Vaduz zu verlegen. Gleichzeitig wählte sie einen Anwalt in Vaduz anstelle des zurücktretenden X. zum einzigen Verwaltungsrat. Die Interfer Verwaltungs-Aktiengesellschaft wurde am 14. November 1967 im Öffentlichkeitsregister des Fürstentums Liechtenstein eingetragen. Die Firmenänderung, die Sitzverlegung und das Erlöschen der Unterschrift von X. wurden am 23. Januar 1968 im Schweiz. Handelsamtsblatt veröffentlicht mit dem Bemerken, die Voraussetzungen für die Löschung der Gesellschaft im Handelsregister des Kantons Zürich (Art. 51 Abs. 2 HRV) seien nicht erfüllt, so dass die Gesellschaft vorderhand wie bisher in diesem Register eingetragen bleibe.
B.-
Mit Verfügung vom 23. November 1967 verpflichtete die Eidg. Bankenkommission als Aufsichtsbehörde über die Anlagefonds die Interfer AG gestützt auf Art. 43 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Anlagefonds vom 1. Juli 1966 (AFG), Ansprüche der Anleger durch Hinterlegung von Fr. 50'000.-- in bar oder in Wertpapieren bei der Zürcher Kantonalbank sicherzustellen. Am gleichen Tag entzog sie der Interfer AG die Bewilligung zur Geschäftstätigkeit (
Art. 44 Abs. 1 AFG
). Mit Zahlungsbefehl Nr. 6755 vom 6. Dezember 1967 betrieb sie die Interfer AG für Fr. 50'000.-- auf Sicherheitsleistung. Nachdem der Rechtsöffnungsrichter den Rechtsvorschlag der Schuldnerin aufgehoben und das Bundesgericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerden der Interfer Verwaltungs-Aktiengesellschaft gegen die Verfügungen der Bankenkommission vom 23. November 1967 abgewiesen hatte (
BGE 94 I 77
ff.), drohte
BGE 94 III 65 S. 67
das Betreibungsamt Zürich 6 der Interfer AG am 5. März 1968 den Konkurs an. Am 26. März 1968 stellte die Bankenkommission das Konkursbegehren.
Der Konkursrichter des Bezirksgerichts Zürich fand, die Betreibung gegen die Interfer AG sei in analoger Anwendung von
Art. 43 SchKG
auf Pfändung fortzusetzen. Er setzte deshalb sein Erkenntnis aus und überwies den Fall der untern Aufsichtsbehörde, damit sie über die Art der Fortsetzung der Betreibung entscheide (
Art. 173 Abs. 2 SchKG
).
Die untere Aufsichtsbehörde hob die Konkursandrohung auf und wies das Betreibungsamt an, die Betreibung auf dem Wege der Pfändung fortzusetzen.
Die obere kantonale Aufsichtsbehörde, an welche die Bankenkommission rekurrierte, bestätigte dagegen mit Entscheid vom 4. Juli 1968 die Konkursandrohung.
C.-
Diesen Entscheid hat die Interfer Verwaltungs-Aktiengesellschaft an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag, die Konkursandrohung sei aufzuheben.
Dem Rekurs wurde aufschiebende Wirkung erteilt.
Die Bankenkommission beantragt, auf den Rekurs nicht einzutreten, eventuell ihn abzuweisen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Wie das Bundesgericht in seinem Urteil vom 1. März 1968 über die Verwaltungsgerichtsbeschwerden der Interfer Verwaltungs-Aktiengesellchaft festgestellt hat (nicht veröffentlichte Erwägung 3; vgl. dazu HIRSCH und PERRIN in JdT 1968 I 544 ff.) und auch von der Vorinstanz angenommen wird, sind die Interfer Verwaltungs-Aktiengesellschaft und die Interfer AG identisch. Die Interfer Verwaltungs-Aktiengesellschaft war daher befugt, den die Konkursandrohung gegen die Interfer AG bestätigenden Entscheid der Vorinstanz an das Bundesgericht weiterzuziehen.
2.
Der angefochtene Entscheid ging dem Vertreter der Rekurrentin gemäss Empfangsschein am 8. Juli 1968 zu. Die zehntägige Rekursfrist des
Art. 19 Abs. 1 SchKG
lief also mit dem 18. Juli 1968 ab (vgl.
Art. 31 Abs. 1 SchKG
; ferner
Art. 33 Abs. 2 OG
, wonach die Fristen in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen während der Gerichtsferien nicht stillstehen). Der am 19. Juli 1968 zur Post gegebene Rekurs ist daher verspätet.
BGE 94 III 65 S. 68
Die Betreibungshandlungen, mit denen eine Betreibung unrichtigerweise auf Pfändung statt auf Konkurs oder auf Konkurs statt auf Pfändung fortgesetzt wird, sind jedoch wegen der dadurch betroffenen Interessen Dritter schlechthin nichtig und daher grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, ob sie innert gesetzlicher Frist angefochten wurden oder nicht, von Amtes wegen aufzuheben (
BGE 79 III 16
/17 mit Hinweisen; vgl. ausserdem
BGE 67 III 41
und JAEGER N. 9 zu Art. 17, S. 36 Mitte, N. 6 zu Art. 43 und N. 6 zu
Art. 173 SchKG
). Die Frage, wie die Betreibung Nr. 6755 fortzusetzen sei, ist daher trotz der Verspätung des Rekurses zu prüfen.
In
BGE 44 III 29
f. hat das Bundesgericht allerdings erklärt, die Befugnis, Verstösse gegen zwingende Vorschriften von Amtes wegen, auch beim Fehlen einer formell gültigen Beschwerde, zu beseitigen, stehe nur den kantonalen Aufsichtsbehörden, nicht auch dem Bundesgericht zu, weil es die Amtsführung der Betreibungs- und Konkursämter nicht unmittelbar zu überwachen, sondern nur zu prüfen habe, ob die kantonalen Aufsichtsbehörden bei ihren Entscheiden das Gesetz verletzt haben; es könne nach
Art. 15 SchKG
nur an diese Behörden Weisungen allgemeiner Art erlassen; in konkreten Fällen einzuschreiten und eine Verfügung der kantonalen Aufsichtsbehörde aufzuheben, ohne dass eine gültige Beschwerde (an es) vorliege, sei ihm daher nicht möglich. In
BGE 47 III 119
führte es u.a. aus, in ein einzelnes Konkursverfahren könne es "nur eingreifen auf Grund eines gegen die Verfügung eines kantonalen Amtes gerichteten Rekurses"; hievon dürfe, "wenn das Verfahren nicht anarchisch werden soll", nicht abgegangen werden; allein die Kantone hätten die Disziplinargewalt über die Konkursbeamten und seien für ihre Geschäftsführung verantwortlich; ihnen möge daher das Recht zuzugestehen sein, zur Abwendung oder Wiedergutmachung von Schädigungen und damit zur Vermeidung ihrer Haftung in ein hängiges Verfahren einzugreifen, ohne dass Beschwerde erhoben worden wäre; dem Bundesgericht könne dagegen eine solche Kompetenz nicht zustehen, da es keine Disziplinarbefugnis habe und eine Ersatzpflicht für den Bund nicht in Frage komme.
Ohne zu diesen Entscheiden Stellung zu nehmen, hob das Bundesgericht in
BGE 77 III 75
ff. auf einen verspäteten Rekurs hin einen Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde auf und wies die Sache zur Abklärung der Frage, ob die Gläubigerin
BGE 94 III 65 S. 69
(wie vom Schuldner in der Beschwerde und im Rekurs behauptet) die Betreibung zurückgezogen habe, an die Vorinstanz zurück, weil bejahendenfalls die Fortsetzung der Betreibung nichtig wäre und die Nichtigkeit von Betreibungshandlungen jederzeit vor den Aufsichtsbehörden aller Instanzen geltend gemacht werden könne, so dass das Bundesgericht zum Einschreiten berechtigt sei.
In
BGE 79 III 9
nahm das Bundesgericht unter Hinweis auf
BGE 44 III 29
/30 und
BGE 47 III 119
an, es könne nichtige Verfügungen der Betreibungs- und Konkursämter ohne Rücksicht darauf, ob eine zur Beschwerdeführung befugte Person sie innert der Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
angefochten habe oder nicht, jedenfalls dann von Amtes wegen aufheben, wenn es sich infolge eines gültigen Rekurses gegen einen Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde mit dem betreffenden Betreibungs- oder Konkursverfahren zu befassen habe (was im damals zu beurteilenden Falle zutraf). In
BGE 87 III 99
/100 bemerkte es, die Rechtsprechung, wonach das Bundesgericht nur auf einen gültigen Rekurs hin eingreifen könne, sei in der Lehre kritisiert worden (BAUHOFER in SJZ 1922/23 S. 4 f.; vgl. ausserdem KELLER in Schweiz. Zeitschrift für Betreibungs- und Konkursrecht sowie Zivilprozessrecht 1921 S. 21; O. DEGGELLER, Die Beschwerde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen an das Schweiz. Bundesgericht, Zürcher Diss. 1923, S. 43 f.; SIMOND, Rekurs an das Schweiz. Bundesgericht im Sinne von
Art. 19 Abs. 2 SchKG
, SJK Nr. 628, 1958, § 6 S. 13/14; FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl. 1967, S. 75 unter 2; im Sinne der ursprünglichen Praxis SCHWANDER, BlSchK 1954 S.11); ihre Überprüfung erübrige sich aber, da ein gültiger Rekurs vorliege.
Anders als in den beiden zuletzt genannten Fällen muss im vorliegenden Falle wegen der Verspätung des Rekurses entschieden werden, ob das Bundesgericht nichtige Betreibungshandlungen auch beim Fehlen eines gültigen Rekurses aufheben könne; denn nur bei Bejahung dieser Frage hat es sich mit der Frage zu befassen, ob die streitige Konkursandrohung zu Recht erfolgt sei.
An den in
BGE 44 III 29
f. und
BGE 47 III 119
angestellten Erwägungen ist festzuhalten, soweit sie als unzulässig erklären, dass das Bundesgericht nichtige Verfügungen eines Betreibungs- oder Konkursamtes ausserhalb eines Weiterziehungsverfahrens im
BGE 94 III 65 S. 70
Sinne von
Art. 19 SchKG
aufhebt. Solche Eingriffe vertrügen sich nicht damit, dass das Bundesgericht nach
Art. 15 SchKG
bloss die Oberaufsicht über das Betreibungs- und Konkurswesen, also nicht eine unmittelbare Aufsicht über die kantonalen Betreibungs- und Konkursämter ausübt und dass es dementsprechend nach
Art. 19 SchKG
erst angerufen werden kann, nachdem die kantonale Aufsichtsbehörde entschieden (oder eine Rechtsverweigerung oder -verzögerung begangen) hat. Im einzelnen Falle - z.B. auf eine blosse Anzeige hin - der Entscheidung der kantonalen Aufsichtsbehörde vorzugreifen, wäre mit den Anforderungen eines geordneten Verfahrens unvereinbar. Der seinerzeit aufgestellte Grundsatz, dass das Bundesgericht stets nur auf eine gültige Weiterziehung hin in ein bestimmtes Verfahren eingreifen könne, ist dagegen in Übereinstimmung mit den genannten Autoren und mit dem - freilich nicht näher begründeten - Entscheide
BGE 77 III 75
ff. fallen zu lassen. Wird ein Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht weitergezogen und bemerkt das Bundesgericht bei dieser Gelegenheit, dass dem Betreibungs- oder Konkursamt oder der kantonalen Aufsichtsbehörde eine nichtige Anordnung unterlaufen ist, so muss es befugt sein, diese Anordnung aufzuheben, auch wenn die Weiterziehung nicht innert der Frist von
Art. 19 Abs. 1 SchKG
oder nicht in gehöriger Form oder nicht durch eine dazu befugte Person erfolgt ist. Es hat im Falle der Weiterziehung eines Entscheides der kantonalen Aufsichtsbehörde in gleicher Weise wie diese dafür zu sorgen, dass die zwingenden Vorschriften des Gesetzes unter allen Umständen beachtet werden. Die Befugnis, gegen nichtige Verfügungen von Amtes wegen einzuschreiten, steht den kantonalen Aufsichtsbehörden nicht auf Grund ihrer Disziplinargewalt über die Betreibungs- und Konkursbeamten und auch nicht etwa bloss deswegen zu, weil die Kantone nach
Art. 6 Abs. 1 SchKG
für den von ihren Betreibungs- und Konkursbeamten verschuldeten Schaden subsidiär haften. Der Umstand, dass das Bundesgericht über die Betreibungs- und Konkursbeamten keine Disziplinargewalt besitzt (vgl.
BGE 94 III 61
mit Hinweisen) und dass der Bund für den von diesen Beamten verschuldeten Schaden nicht haftet, kann daher entgegen der in
BGE 47 III 119
vertretenen Auffassung nicht dazu führen, dem Bundesgericht die erwähnte Kompetenz abzusprechen. Das öffentliche Interesse, welches
BGE 94 III 65 S. 71
die Befugnis der kantonalen Aufsichtsbehörden zur Beseitigung nichtiger Verfügungen von Amtes wegen rechtfertigt, ist auch vom Bundesgericht zu wahren, falls ein Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde an es weitergezogen wird und es dabei auf eine nichtige Anordnung stösst. Das will freilich nicht heissen, dass das Bundesgericht auch dann, wenn ein Rekurs sich als ungültig erweist, stets die ganzen Akten nach allfälligen nichtigen Verfügungen zu durchforschen habe und dass das Übersehen einer solchen Verfügung einen Revisionsgrund bedeuten würde; denn wenn man dies annähme, verlören die gesetzlichen Vorschriften über die Rekursfrist, über die Anforderungen an die Rekursschrift und über die Rekurslegitimation ihren Sinn. Das Bundesgericht kann und soll vielmehr auf einen ungültigen Rekurs hin nur eingreifen, wenn es auf eine nichtige Handlung tatsächlich aufmerksam wird.
Ausgeschlossen ist die Ungültigerklärung einer Verfügung, wenn die in Frage stehende Anordnung nicht mehr rückgängig gemacht oder berichtigt werden kann (
Art. 21 SchKG
; vgl. 73 III 25, 77 III 78, 86 III 109, 91 III 46 E. 7). FRITZSCHE empfiehlt den Aufsichtsbehörden hinsichtlich des Einschreitens von Amtes wegen überdies eine gewisse Zurückhaltung, weil durch solche Eingriffe auch "Unheil" entstehen könne (Schuldbetreibung u. Konkurs I, 1967, S. 46/47). Solche Gründe stehen im vorliegenden Falle (wo die Weiterziehung nur einen Tag zu spät erfolgte) der Prüfung der Frage, ob die streitige Konkursandrohung zu Recht erfolgt oder wegen Verletzung von
Art. 43 SchKG
nichtig sei, nicht im Wege.
Es bleibt somit dabei, dass diese Frage trotz der Verspätung des Rekurses zu entscheiden ist.
3.
Die Interfer AG unterliegt, da sie als Aktiengesellschaft im Handelsregister eingetragen ist, gemäss
Art. 39 SchKG
grundsätzlich der Konkursbetreibung.
Art. 43 SchKG
, auf den die Rekurrentin sich beruft, schreibt vor, die Betreibung für Steuern, Abgaben, Gebühren, Sporteln, Bussen und andere im öffentlichen Recht begründete Leistungen an öffentliche Kassen oder an Beamte erfolge auch gegen die der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner auf dem Wege der Pfändung oder der Pfandverwertung. Diese Bestimmung ist systemwidrig. Sie bricht, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, in den Grundsatz ein, dass sich nach der Person des Schuldners bestimmt, ob die Sondervollstreckung oder die
BGE 94 III 65 S. 72
allgemeine Liquidation des Vermögens einzutreten habe. Sie ist daher nicht ausdehnend auszulegen.
Nach
Art. 43 Abs. 2 AFG
, auf den die der vorliegenden Betreibung zugrunde liegende Verfügung der Bankenkommission sich stützt, kann diese Behörde die Leitung eines Anlagefonds zur Sicherheitsleistung verpflichten, wenn die Rechte der Anleger gefährdet erscheinen. Diese Sicherungsmassnahme soll nach der Botschaft des Bundesrats (BBl 1965 III 330, Bemerkungen zu Art. 42 Abs. 2 des Entwurfs) dafür sorgen, dass die vorhandenen eigenen Mittel den Anlegern für die Deckung von Schadenersatzansprüchen weiterhin haften. Die Leistung, die durch die vorliegende Betreibung erzwungen werden soll, besteht also offensichtlich nicht in der Bezahlung von Steuern, Abgaben, Gebühren, Sporteln oder Bussen oder in der Bestellung einer Sicherheit für solche Ansprüche, sondern es handelt sich dabei um eine Leistung ganz anderer Art.
Die in Frage stehende Sicherstellung lässt sich aber auch nicht zu den "andern im öffentlichen Rechte begründeten Leistungen an öffentliche Kassen" rechnen, die
Art. 43 SchKG
neben den Steuern usw. erwähnt. (Von einer Leistung an Beamte im Sinne von
Art. 43 SchKG
kann dabei von vornherein nicht die Rede sein.) Die Bankenkommission erfüllt mit der Beaufsichtigung der Anlagefonds zwar eine gewerbepolizeiliche Aufgabe (BBl 1965 III 312). Die Vorschriften des AFG über die öffentliche Aufsicht (Art. 40-47) gehören dementsprechend grundsätzlich dem öffentlichen Rechte an. Das genügt aber nicht, um die Anwendung des
Art. 43 SchKG
auf eine Betreibung zur Durchsetzung einer Sicherstellungsverfügung im Sinne von
Art. 43 Abs. 2 AFG
zu rechtfertigen. Unter den in
Art. 43 SchKG
verwendeten Begriff der im öffentlichen Recht begründeten Leistungen an öffentliche Kassen fallen nur Leistungen, die der Staat bestimmten Personen im öffentlichen Interesse auferlegt hat und die einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt zugute kommen (vgl.
BGE 54 III 224
ff. Erw. 2). Die Sicherheitsleistung im Sinne von
Art. 43 Abs. 2 AFG
hat nicht diesen Charakter. Sie dient, wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, der Sicherung der Ansprüche bestimmter Privatpersonen, nämlich der Schadenersatzansprüche der Anleger. (Die vertraglichen Ansprüche der Anleger auf das Fondsvermögen werden durch das Aussonderungsrecht nach
Art. 17 AFG
geschützt.) Sie kommt nur diesen Privaten zugut, nicht
BGE 94 III 65 S. 73
dem Gemeinwesen oder einer öffentlichen Anstalt, wie das nach dem eben angeführten Entscheide für die SUVA-Prämien zutrifft. Die Zürcher Kantonalbank, bei welcher die Sicherstellung nach der Verfügung der Bankenkommission vom 23. November 1967 zu erfolgen hat, ist zwar eine öffentliche Anstalt (§ 1 des Gesetzes über die Zürcher Kantonalbank vom 28. Mai 1967), hat aber die von der Interfer AG zu bestellende Sicherheit nur als Hinterlegungsstelle entgegenzunehmen, so dass sie nicht ihr zugute kommt. In welcher Weise die Hinterlage von Fr. 50'000.-- die Schadenersatzansprüche der Anleger sichern soll, ist unter dem Gesichtspunkte von
Art. 43 SchKG
unerheblich. Insbesondere kommt in diesem Zusammenhang nichts darauf an, ob die Anleger an einer solchen Sicherheit ein Vorzugsrecht besitzen oder ob die Sicherung nach dem Sinne des Gesetzes nur darin bestehen soll, dass der Fondsleitung eigene Mittel erhalten bleiben, die für allfällige Schadenersatzansprüche der Anleger (und daneben für die Forderungen allfälliger weiterer Gläubiger) in einem gewissen Umfang Deckung bieten. Weder im einen noch im andern Falle widerstrebt die Natur der Sicherstellung einer Betreibungsart, die beim Ausbleiben der Leistung die allgemeine Liquidation des Vermögens der Fondsleitung nach sich zieht. Die Anwendung von
Art. 43 SchKG
ist daher abzulehnen, ohne dass zu prüfen wäre, welche Bewandtnis es mit der Sicherstellung im Sinne von
Art. 43 Abs. 2 AFG
im einzelnen habe.
Dass das angewendete Kriterium dem Betreibungsamte, das die Betreibungsart zu bestimmen hat (
Art. 38 Abs. 3 SchKG
), eine zu schwierige Entscheidung zumute, trifft nicht zu. Die Anwendung von
Art. 43 SchKG
gemäss dem Vorschlag der Rekurrentin grundsätzlich einfach davon abhängen zu lassen, ob die in Betreibung gesetzte Forderung von einer Verwaltungsbehörde geltend gemacht wird oder nicht, ist nicht am Platze. Eine solche Lösung widerspräche dem Wortlaut und dem Sinne des Gesetzes.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac1a902b-92b2-4967-b145-657dbb75fc27 | Urteilskopf
94 I 472
65. Auszug aus dem Urteil vom 27. September 1968 i.S. Trans-Integral AG gegen Eidg. Steuerverwaltung. | Regeste
Verrechnungssteuer:
1. Das in Art. 20 des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer vorgesehene Meldeverfahren ist nur in den Fällen zulässig, die Art. 24 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung umschreibt (Erw. 2).
2. Begriff der Naturaldividende im Sinne von Art. 24 Abs. 1 lit. c der Verordnung (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 473
BGE 94 I 472 S. 473
Die im Jahre 1964 gegründete Trans-Integral AG in Basel (nachstehend: AG) bezweckt die Beratung und Vermittlung von Beratungen auf dem Gebiete der Ingenieurplanung und kann sich auch an andern Unternehmen beteiligen. Ihr gesamtes Grundkapital gehört der Trans-Integral Holding GmbH in Basel (nachstehend: Holding). In den Jahren 1964-1966 gewährte die AG der Holding Darlehen, teils durch Überlassung von Gewinnen aus Beteiligungen, teils durch Ablösung einer Schuld der Holding. Am 3. November 1967 beschloss sie die Ausschüttung einer Dividende in Form eines teilweisen Erlasses jener Darlehensforderung, unter der Bedingung, dass die Eidg. Steuerverwaltung (EStV) sich damit einverstanden erkläre, dass anstelle der Einbehaltung der Verrechnungssteuer eine blosse Meldung der steuerbaren Leistung trete. GleichenTages ersuchte sie die EStV gestützt auf Art. 20 des BG über die Verrechnungssteuer vom 13. Oktober 1965 (VStG) und Art. 24 der Vollziehungsverordnung vom 19. Dezember 1966 (VStV) um diese Genehmigung. Die EStV wies das Gesuch ab, zuletzt durch Einspracheentscheid vom 7. Juni 1968.
Die AG erhebt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung der EStV sei das Meldeverfahren nach dem Sinn des
Art. 20 VStG
nicht nur in den in
Art. 24 VStV
aufgezählten Fällen, sondern immer dann zulässig, wenn die Steuerentrichtung zu unnötigen Umtrieben oder zu einer offenbaren Härte führen würde. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Übrigens handle es sich um eine Naturaldividende im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 lit. c VStV
. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
...
2.
Art. 20 VStG
lautet:
"Wo bei Kapitalerträgen die Steuerentrichtung zu unnötigen Umtrieben oder zu einer offenbaren Härte führen würde, kann dem Steuerpflichtigen gestattet werden, seine Steuerpflicht durch Meldung der steuerbaren Leistung zu erfüllen; die Verordnung umschreibt die Fälle, in denen dieses Verfahren zulässig ist."
Aus der Formulierung des Vordersatzes als Kann-Vorschrift
BGE 94 I 472 S. 474
ist zu schliessen, dass nicht in allen Fällen, wo die Steuerentrichtung zu unnötigen Umtrieben oder zu einer offenbaren Härte führen würde, das Meldeverfahren zugelassen werden muss. Vielmehr ist damit die Abgrenzung in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt, das freilich pflichtgemäss, namentlich unter Beachtung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit, gehandhabt werden muss. Sodann ergibt sich aus dem Nachsatz, dass diese Abgrenzung nicht erst von der das Gesetz anwendenden Behörde im einzelnen Falle, sondern schon in der Verordnung zu treffen ist, wobei die "Umschreibung der Fälle, in denen dieses Verfahren zulässig ist", nur generell verstanden sein kann; d.h. die Verordnung hat die Voraussetzungen, unter denen unnötige Umtriebe oder offenbare Härten das Meldeverfahren rechtfertigen, grundsätzlich und allgemein zu umschreiben. Damit ist die Aufgabe der Abgrenzung - mitsamt der oben erwähnten Einschränkung des Ermessens - der Verordnung überbunden und (mindestens in dem Masse, als sie darin erfüllt wird) den anwendenden Behörden abgenommen.
Dieser Aufgabe ist der Bundesrat durch den Erlass des
Art. 24 VStV
nachgekommen, nach dessen Abs. 1 der Gesellschaft oder Genossenschaft auf Gesuch hin gestattet werden kann, die Steuerpflicht durch blosse Meldung der steuerbaren Leistung zu erfüllen,
"a) wenn die anlässlich einer amtlichen Kontrolle oder Buchprüfung geltend gemachte Steuer eine Leistung betrifft, die in einem Vorjahre fällig geworden ist;
b) bei der Ausgabe oder Nennwerterhöhung von Aktien, Gesellschafts- oder Genossenschaftsanteilen zulasten der Reserven der Gesellschaft oder Genossenschaft (Gratisaktien und dgl.);
c) bei der Ausrichtung von Naturaldividenden oder des Liquidationsüberschusses durch Abtretung von Aktiven;
d) bei der Verlegung des Sitzes ins Ausland."
Da auch
Art. 24 Abs. 1 VStV
als Kann-Vorschrift formuliert ist, könnte man sich fragen, ob er für die anwendende Behörde noch einen Ermessensspielraum lässt. Die EStV erachtet sich jedoch daran auch im positiven Sinne als gebunden und gestattet das Meldeverfahren immer dann, wenn eine der darin umschriebenen Voraussetzungen erfüllt ist. Die Beschwerdeführerin beanstandet diese Praxis mit Recht nicht. Dagegen wendet sie sich gegen die Auffassung der EStV, dass die Aufzählung
BGE 94 I 472 S. 475
in
Art. 24 Abs. 1 VStV
abschliessend und auch negativ verbindlich sei, d.h. dass das Meldeverfahren in keinen anderen als den dort genannten Fällen anwendbar sei. Hieran kann aber nach der Formulierung des Nachsatzes des
Art. 20 VStG
nicht gezweifelt werden; denn wenn die Verordnung die Fälle zu umschreiben hat, in denen dieses Verfahren zulässig ist, so ist es in keinen weiteren Fällen zulässig. Weder die EStV noch das Bundesgericht können jene Aufzählung auf weitere Fälle ausdehnen. In diesem Sinne bezeichnet die EStV mit Recht den
Art. 20 VStG
als reine Delegationsnorm.
3.
...
4.
Für den Fall, dass das Meldeverfahren nur in den vier in
Art. 24 Abs. 1 VStV
genannten Fällen zugelassen wird, macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die Dividende, die sie in Form eines teilweisen Erlasses einer Darlehensschuld der Holding ausrichten will, eine Naturaldividende im Sinne der lit. c daselbst darstelle. Damit setzt sie sich jedoch in offenen Widerspruch zum Wortlaut und klaren Sinn dieser Bestimmung. Darunter fallen nur Dividenden, die in natura ausgerichtet werden, d.h. in einer Sachleistung bestehen, bei der ein Abzug der Verrechnungssteuer von vornherein nicht möglich ist. Geldleistungen sind unter keinen Umständen Naturaldividenden im Sinne der Verordnung, auch wenn sie nicht in bar, sondern durch Verrechnung oder Schulderlass erbracht werden; sie lassen sich stets um die Verrechnungssteuer kürzen. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ac1d22c7-c7c6-4bdc-af29-df2a7fb0d960 | Urteilskopf
96 III 106
18. Arrêt du 13 octobre 1970 dans la cause Office des faillites d'Aigle. | Regeste
Weist die Konkursverwaltung eine im Konkurs eingegebene Forderung ab, ohne gemäss
Art. 244 SchKG
die zu deren Erwahrung nötigen Erhebungen gemacht zu haben, so kann gegen ihre Entscheidung Beschwerde geführt werden. | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 96 III 106 S. 106
A.-
Dans la faillite de Pierre Schaller, qui est liquidée par l'Office des faillites d'Aigle, Bernard Weck a produit une créance de 378 fr. 70. Par lettre du 3 juillet 1970, le préposé l'a informé que sa production était écartée. Les motifs de cette décision ont la teneur suivante: "Le failli déclare avoir payé cette note et l'office des faillites ne retrouve dans les affaires du failli aucun justificatif prouvant le contraire".
B.-
Bernard Weck a porté plainte et conclu à l'annulation de la décision de l'office du 3 juillet 1970.
Statuant le 4 août 1970 en sa qualité d'autorité inférieure de surveillance, le Président du Tribunal du district d'Aigle a rejeté la plainte.
C.-
Saisie par Bernard Weck, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois, en sa qualité d'autorité cantonale supérieure de surveillance, a admis le recours et annulé la décision de l'office du 3 juillet 1970, par arrêt du 11 septembre 1970. Elle a considéré que le préposé n'avait pas procédé aux mesures prévues par l'art. 244 LP et que la décision écartant la production du plaignant était prématurée.
D.-
Agissant au nom de la masse en faillite de Pierre
BGE 96 III 106 S. 107
Schaller, l'Office des faillites d'Aigle recourt au Tribunal fédéral contre cet arrêt dont il demande l'annulation.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En sa qualité d'administration de la faillite, l'office des faillites doit sauvegarder les intérêts de la masse (art. 240 LP). Il a donc qualité pour recourir (RO 85 III 91).
2.
Avant de statuer sur l'admission au passif des créances produites, l'administration de la faillite doit, conformément à l'art. 244 LP, examiner les réclamations, faire les vérifications nécessaires et consulter le failli sur chaque production.
En l'espèce, le préposé aux faillites de l'arrondissement d'Aigle a écarté la créance produite par Bernard Weck en se fondant sur la déclaration du failli, qui prétend l'avoir payée, et sur le fait qu'il n'a trouvé dans les affaires de celui-ci aucun justificatif prouvant que sa déclaration serait inexacte. Du moment que le failli affirme ne plus rien devoir à Bernard Weck, le préposé aurait dû rechercher une pièce établissant le paiement de la créance produite. On ne voit pas en effet en quoi pourrait consister un justificatif prouvant le défaut de ce paiement. Le préposé n'a donc pas entrepris à ce sujet les vérifications nécessaires prescrites par l'art. 244 LP. L'autorité cantonale supérieure de surveillance a dès lors eu raison d'annuler sa. décision pour qu'il puisse y procéder.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac1e8494-9a56-47d4-9db4-f1bd8c672523 | Urteilskopf
138 III 792
119. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_203/2012 vom 17. Oktober 2012 | Regeste
Art. 404 Abs. 1 und
Art. 405 Abs. 1 ZPO
; aArt. 273 Abs. 4 und aArt. 274f Abs. 1 OR; Schlichtungsverfahren betreffend Streitigkeiten aus der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen; Übergangsrecht.
Hat die Schlichtungsbehörde in einem mietrechtlichen Schlichtungsverfahren, das vor Inkrafttreten der ZPO rechtshängig war, danach über die Gültigkeit einer Kündigung und die Erstreckung des Mietverhältnisses entschieden, bestimmt sich die Frist zur Anrufung des Gerichts nach altem Recht (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 792
BGE 138 III 792 S. 792
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Gemäss aArt. 274f Abs. 1 OR wird ein Entscheid der Schlichtungsbehörde rechtskräftig, wenn die Partei, die unterlegen ist, nicht innert 30 Tagen den Richter anruft. Bezüglich dieser Frist kamen die kantonalen Gerichtsferien nicht zur Anwendung (
BGE 123 III 67
BGE 138 III 792 S. 793
E. 2). Im kantonalen Verfahren anerkannte der Beschwerdeführer, dass er die Frist gemäss aArt. 247f Abs. 1 OR, welche drei Tage vor Ostern am 21. April 2011 ablief, mit der Klage vom 4. Mai 2011 nicht eingehalten hatte. Er machte jedoch geltend, nach dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) am 1. Januar 2011 sei die Frist gemäss
Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO
vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern stillgestanden und damit eingehalten worden.
2.2
Die Übergangsbestimmungen der ZPO sehen vor, dass für Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes rechtshängig sind, das bisherige Verfahrensrecht bis zum Abschluss vor der betroffenen Instanz gilt (
Art. 404 Abs. 1 ZPO
). Für die Rechtsmittel gilt das Recht, das bei der Eröffnung des Entscheides in Kraft ist (
Art. 405 Abs. 1 ZPO
).
2.3
Ein Teil der Lehre vertritt die Meinung, das Schlichtungsverfahren sei ein selbstständiges Verfahren, das durch die Schlichtungsbehörde als betroffene Instanz im Sinne von
Art. 404 Abs. 1 ZPO
abgeschlossen werde, weshalb für das anschliessende gerichtliche Verfahren nach dem Inkrafttreten der ZPO diese anwendbar sei (FRIDOLIN WALTHER, Das Übergangsrecht zur neuen ZPO, offene Fragen und mögliche Antworten, SZZP 2010 S. 409 ff., 412 f.; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processurale civile svizzero [CPC], Bruno Cocchi und andere [Hrsg.], 2011, N. 2 zu Art. 404ZPO; TANJA DOMEJ, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Paul Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 2 zu
Art. 404 ZPO
; DOMINIK GASSER, Schweizerische ZPO, Checkliste für Tag 1, Anwaltsrevue 13/2010 S. 255 ff., 256; SUTTER-SOMM/SEILER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 9 zu
Art. 404 ZPO
).Zum Teil wird angenommen, auch wenn sich nach einem altrechtlichen Schlichtungsverfahren das gerichtliche Verfahren nach neuem Recht richte, sei eine Klagebewilligung mit altrechtlicher Gültigkeitsdauer zu erteilen (GASSER, a.a.O., S. 256; ZINON KOUMBARAKIS, Das Schlichtungsverfahren in Mietsachen nach der neuen Zivilprozessordnung, in: Aktuelle Fragen zum Mietrecht, Beat Rohrer [Hrsg.], 2012, S. 117 ff.und 122 f.; Kreisschreiben des Obergerichts des Kantons Bern vom 30. September 2010, SZZP 2011 S. 164; WALTHER, a.a.O., S. 414 f., der jedoch hinsichtlich des Stillstands der altrechtlichen Frist die Anwendung des neuen Rechts befürwortet). Schliesslich wird die Meinung vertreten, unter der Instanz, welche das Verfahren nach
Art. 404
BGE 138 III 792 S. 794
Abs. 1 ZPO
abschliesse, sei bloss eine gerichtliche Instanz mit Entscheidkompetenz, nicht jedoch eine Schlichtungsbehörde zu verstehen. Führe ein unter altem Recht rechtshängiges Schlichtungsverfahren zu keiner Einigung, sei daher das anschliessende Gerichtsverfahren nach altem Recht durchzuführen (FREI/WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 10 f. zu
Art. 404 ZPO
; ANDREAS FREI, Knifflige Fragen zum Übergangsrecht, Plädoyer 2011 1 S. 33; DAVID LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, S. 34; IVO SCHWANDER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.],2011, N. 28 zu
Art. 404 ZPO
; DENIS TAPPY, in: Code de procédure civile commenté, François Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 11 f.und 18 zu
Art. 404 ZPO
;
derselbe
: Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III S. 11 ff., 18 ff.; im Ergebnis ebenso: HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2009, S. 236).
2.4
Das Obergericht ging in Übereinstimmung mit der letztgenannten Meinung davon aus, die Schlichtungsbehörde habe mit ihrem Entscheid vom 15. Februar 2011 kein Verfahren im Sinne von
Art. 404 Abs. 1 ZPO
abgeschlossen, weshalb sich die Anrufung des Richters nach aArt. 247f Abs. 1 OR und nicht nach der ZPO richte.
2.5
Der Beschwerdeführer rügt, gemäss zutreffender Lehrmeinung schliesse ein Entscheid der Schlichtungsbehörde das Verfahren vor der betroffenen Instanz im Sinne von
Art. 404 Abs. 1 ZPO
ab. Die Vorinstanz habe daher diese Übergangsbestimmung verletzt, indem sie bezüglich der Klagefrist nicht
Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO
zur Anwendung gebracht habe.
2.6
2.6.1
Die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung führt zum Übergangrecht aus, Prozesse, die bei Inkrafttreten der vereinheitlichten ZPO hängig seien, schlössen die Instanz nach bisherigem (kantonalem) Prozessrecht ab; für ein anschliessendes innerkantonales Rechtsmittel gelte dann aber die ZPO (BBl 2006 7407 Ziff. 5.26.2). Entsprechend erläuterte Ständerat Wicki als Kommissionssprecher, für Prozesse, die bei Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung hängig sind, sei bis zum Urteil das bisherige kantonale Prozessrecht massgebend (AB 2007 S 644). Die Botschaft und diese Erläuterungen zeigen, dass der Gesetzgeber bei der übergangsrechtlichen Regelung in
Art. 404 Abs. 1 und
Art. 405 Abs. 1 ZPO
vom kantonalen Instanzenzug ausging und bei
BGE 138 III 792 S. 795
rechtshängigen Verfahren die weitere Geltung des alten Prozessrechts für das erstinstanzliche Entscheid-, nicht jedoch das kantonale Rechtsmittelverfahren vorsah (vgl. TAPPY, Le droit transitoire, a.a.O., S. 18 ff. und 36 f.). Demnach ist unter "Abschluss des Verfahrens vor der betroffenen Instanz" im Sinne von
Art. 404 Abs. 1 ZPO
der Abschluss eines erstinstanzlichen Entscheid- oder allenfalls eines zweitinstanzlichen Rechtsmittelverfahrens zu verstehen. Nach diesem Konzept stellt das erfolglose Schlichtungsverfahren als Prozessvoraussetzung grundsätzlich die Einleitung des Entscheidverfahrens vor dem erstinstanzlichen Gericht dar.
2.6.2
Jedoch stellt sich die Frage, ob die Schlichtungsbehörde nicht dadurch, dass sie - wie im vorliegenden Fall - gemäss aArt. 273 Abs. 4 OR einen Entscheid fällt, zum erstinstanzlichen Gericht wird. Das Bundesgericht hat diese Frage in anderem Zusammenhang mit der Begründung verneint, mit der Erteilung von gewissen Entscheidbefugnissen habe der Gesetzgeber die Schlichtungsbehörde nicht in ein erstinstanzliches Gericht umwandeln wollen. Vielmehr sei ein Entscheid der Schlichtungsbehörde gemäss der Zwecksetzung des Schlichtungsverfahrens, eine gütliche Einigung der Parteien zu erreichen, als letzter Einigungsvorschlag zu verstehen, den die Parteien akzeptieren oder durch die Anrufung des Gerichts ablehnen könnten. Entsprechend fielen solche Entscheide mit der Anrufung des Richters ohne Weiteres dahin. Sie wirkten sich auf das richterliche Verfahren nur als "prima facie-Vorentscheide" aus, welche die Rollenverteilung im Prozess festlegten (
BGE 135 III 253
E. 2.4 S. 257 f. mit Hinweisen).
2.6.3
Aufgrund dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, das bundesrechtlich vorgesehene Mietschlichtungsverfahren, wie es vor dem Inkrafttreten der ZPO geregelt war, habe mit einem darin ergangenen Entscheid über die Gültigkeit einer Kündigung und die Erstreckung des Mietverhältnisses lediglich in einen prima facie-Vorentscheid gemündet, der keine "Instanz" im Sinne von
Art. 404 Abs. 1 ZPO
abschloss (FREI/WILLISEGGER, a.a.O., N. 11 zu
Art. 404 ZPO
; LACHAT, a.a.O., S. 34). In diesem Sinne erwähnt auch die Botschaft zur ZPO, die Vorentscheide der Schlichtungsbehörden in bestimmten Streitigkeiten aus Miete und Pacht seien im Grunde genommen nur Urteilsvorschläge gewesen (BBl 2006 7333 Ziff. 5.13). Die Vorinstanz hat somit bundesrechtskonform erkannt, dass sich die Anrufung des Gerichts nach einem solchen Vorentscheid nach altem Recht richtet.
BGE 138 III 792 S. 796
2.6.4
Dies wird dadurch bestätigt, dass die ZPO bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen keine Vorentscheide der Schlichtungsbehörde und demgemäss auch keine entsprechende Regelung für die Anrufung des Gerichts mehr vorsieht. Als Ersatz dafür kann nach
Art. 210 Abs. 1 lit. b ZPO
die Schlichtungsbehörde Urteilsvorschläge unterbreiten, welche nach
Art. 211 Abs. 1 ZPO
als angenommen gelten, wenn keine Partei sie innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung ablehnt (vgl. FLORENCE DOMINÉ BECKER, La procédure de conciliation en matière de bail au regard du Code de procédure civile suisse, Plaidoyer 2011 1 S. 39 ff., 43). Von dieser Kompetenzänderung geht auch der Beschwerdeführer aus, wenn er geltend macht, die Schlichtungsbehörde hätte richtigerweise eine Rechtsmittelbelehrung gemäss
Art. 211 Abs. 1 ZPO
vorsehen müssen. Er lässt jedoch ausser Acht, dass diese Regelung nach dem Gesagten übergangsrechtlich nicht anwendbar ist und ihm auch die analoge Anwendung der neu für Urteilsvorschläge vorgesehenen zwanzigtägigen Ablehnungsfrist nicht helfen könnte, da diese am 11. April 2011, d.h. noch vor dem Fristenstillstand gemäss
Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO
, abgelaufen wäre. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac27f2d3-79ce-4a17-a350-81880c5570f3 | Urteilskopf
108 Ib 12
3. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. März 1982 i.S. X-Bank gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
BG über die Stempelabgaben vom 27. Juni 1973.
1. Die Umschreibung des Begriffes der steuerbaren Obligation im Sinne von
Art. 13 Abs. 2 lit. a StG
obliegt der Rechtsprechung: Wie ist der Begriff zu definieren (E. 2a)?
2. Die von der Bundesrepublik Deutschland bei der X-Bank vorgenommene Kreditaufnahme kann nicht einer steuerbaren Obligationenanleihe gleichgesetzt werden. Ebensowenig können die von der deutschen Bundesschuldenverwaltung aufgrund der Finanzoperation ausgestellten Schuldscheine steuerbaren Kassenobligationen im Sinne des Stempelabgabegesetzes gleichgesetzt werden: Das strittige Geschäft kam unter besonderen und ausserordentlichen Umständen zustande, weshalb es der Finanzoperation an der wesentlichsten Eigenschaft der steuerbaren Kassenobligation, nämlich der gewohnheitsmässigen und kontinuierlichen Ausgabe von Schuldurkunden, ermangelt (E. 2b).
3. Vergütungszins für zu Unrecht erhobene Umsatzabgaben (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 108 Ib 12 S. 13
Im Jahre 1976 gewährte die X-Bank der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen, ein zu 6 3/4% verzinsliches Darlehen in der Höhe von Y DM. Dieses Darlehen war am 2. August 1976 zum Auszahlungskurs
BGE 108 Ib 12 S. 14
von 100% an die Bundesrepublik Deutschland zu überweisen und wurde am 2. März 1979 zur Rückzahlung fällig. Der Vertragsschluss erfolgte telefonisch und wurde am 12. Juni 1976 fernschriftlich bestätigt.
Vereinbarungsgemäss stellte sodann die deutsche Bundesschuldenverwaltung am 10. August 1976 einen Schuldschein über Y DM zugunsten der X-Bank aus. Darin wurde bestätigt, dass die Bundesrepublik Deutschland der X-Bank aus Darlehen Y DM schulde.
Anfangs März 1979 kamen die Vertragsparteien überein, das zur Rückzahlung fällige Darlehen zu erneuern. Daraufhin wurde ein neuer auf den 5. März 1979 datierter Schuldschein ausgestellt.
Die X-Bank zedierte ihrerseits Teilbeträge ihrer Darlehensforderung als stille (der Bundesrepublik nicht notifizierte) Unterbeteiligungen an verschiedene weitere Banken. An der Finanzierung des Restbetrages haben sich neben der Filiale Zürich verschiedene andere Filialen der X-Bank sowie deren Generaldirektion beteiligt.
Mit Inspektionsbefund vom 5. April 1979 forderte die Eidgenössische Steuerverwaltung die X-Bank auf, für die Gewährung der beiden Schuldscheindarlehen, Umsatzabgaben von insgesamt Z Franken zu entrichten.
Die X-Bank überwies den geforderten Betrag. Gleichzeitig ersuchte sie um Erlass einer begründeten und einsprachefähigen Verfügung.
Mit Entscheid vom 12. Juni 1979 stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung fest, dass es sich bei den zwei durch die Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Schuldscheinen um ausländische Kassenobligationen im Sinne von
Art. 13 Abs. 2 lit. a und b des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben vom 27. Juni 1973 (StG; SR 641.10)
handle und die X-Bank für den Erwerb dieser Schuldscheine zu Recht die geltend gemachten Umsatzabgaben entrichtet habe.
Auf Einsprache hin bestätigte die Eidgenössische Steuerverwaltung am 17. Januar 1980 die angefochtene Verfügung.
Mit fristgerechter Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die X-Bank dem Bundesgericht:
1. Hauptantrag:
a) Der angefochtene Einspracheentscheid sei aufzuheben für den Gesamtbetrag der veranlagten Umsatzabgaben (...).
b) Die EStV sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin den am 17. April 1979 der EStV unter Vorbehalt bezahlten Abgabebetrag von
BGE 108 Ib 12 S. 15
Z Franken zurückzuerstatten, zuzüglich Vergütungszins von 6% seit 17. April 1978.
2. (...)
Auf die einzelnen Vorbringen der Beschwerdeführerin wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gegenstand der Umsatzabgabe ist nach
Art. 13 Abs. 1 StG
die entgeltliche Übertragung von Eigentum an den in
Art. 13 Abs. 2 StG
bezeichneten Urkunden, sofern eine der Vertragsparteien oder einer der Vermittler inländischer Effektenhändler ist. Dass die Beschwerdeführerin Effektenhändlerin im Sinne von
Art. 13 Abs. 3 StG
ist, ist offensichtlich und unbestritten.
b) Im Hauptstandpunkt vertritt die Beschwerdeführerin die Ansicht, die von den Schweizer Grossbanken im allgemeinen und von der Beschwerdeführerin im besonderen der Bundesrepublik Deutschland gewährten Schuldscheindarlehen könnten nicht der Ausgabe von steuerbaren Kassenobligationen im Sinne von
Art. 13 Abs. 2 lit. a StG
gleichgestellt werden. Obwohl das Bundesgericht gemäss
Art. 114 Abs. 1 OG
nicht an die Begründung der Parteibegehren gebunden ist und deshalb eine Beschwerde aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen kann (
BGE 107 Ib 90
E. 1), rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall, die Sachprüfung auf den Hauptstandpunkt der Beschwerdeführerin zu beschränken, ist dieser doch jedenfalls begründet.
2.
a) Weder das alte (BS Band 6 S. 101 ff.) noch das neue BG über die Stempelabgaben noch deren Vollziehungsverordnungen (BS Band 6 S. 134 ff. und SR 641.101) definieren den Begriff der Kassenobligation. Es obliegt daher der Rechtsprechung, diesen Begriff zu umschreiben; dabei kommt der diesbezüglichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum alten Gesetz von 1917 noch volle Gültigkeit zu, geht doch der neue Erlass vom gleichen Begriff der Kassenobligation aus (Entscheid des Bundesgerichtes vom 13. Oktober 1978 in Steuer-Revue 34/1979 S. 176 E. 3a).
Danach gelten als Obligationen, die der Stempelabgabe unterliegen, schriftliche, auf feste Beträge lautende Schuldanerkennungen, die zum Zwecke kollektiver Beschaffung von Leihkapital, zur
BGE 108 Ib 12 S. 16
Anlagegewährung oder zur Konsolidierung von Verbindlichkeiten in einer Mehrzahl von Exemplaren zu gleichartigen Bedingungen ausgegeben werden und den Gläubigern zu Nachweisung, Geltendmachung oder Übertragung der Forderung dienen (
BGE 73 I 123
E. 1,
BGE 71 I 393
,
BGE 60 I 377
). Obligationen kommen insbesondere in der Form von Anleihensobligationen und Kassenobligationen vor. Anleihensobligationen lauten auf Teilbeträge einer bestimmten Anleihe; sie weisen einheitliche Bedingungen auf und kommen für je eine Anleihe grundsätzlich gesamthaft zur Ausgabe. Kassenobligationen werden einzeln ausgegeben und stellen nicht Teile eines zum voraus festgelegten Anleihensbetrages dar. Um als Kassenobligationen zu gelten, muss ihre Ausgabe aber kontinuierlich und gewohnheitsmässig geschehen. Das Angebot für Kassenobligationen wird in der Regel an ein allgemeines Publikum gerichtet. Im Gegensatz zu den einheitlichen Bedingungen der Anleihensobligationen werden bei Kassenobligationen die Bedingungen, als Folge der kontinuierlichen Ausgabe, von Zeit zu Zeit leicht verändert (...). Wie die Anleihensobligationen sind auch die Kassenobligationen Instrumente der kollektiven Mittelbeschaffung oder der Anlagegewährung. Durch die verschiedenen genannten Merkmale unterscheiden sich die Kassenobligationen von den nicht abgabepflichtigen Einzelschuldscheinen. Diese enthalten insbesondere individuell ausgehandelte Bedingungen und werden nicht im Rahmen einer kollektiven Mittelbeschaffung oder Anlagegewährung ausgegeben (vgl. den Entscheid vom 13. Oktober 1978, in Steuer-Revue Band 34/1979 S. 176 ff. E. 3a,
BGE 73 I 123
ff.; vgl. auch ALBISETTI, BODMER, BOENLE, GSELL, RUTSCHI, Handbuch des Geldbank- und Börsenwesens der Schweiz, 3 A. 1977 S. 476 ff.; vgl. im weiteren PETER JÄGGI, Zürcher Kommentar zum schweizerischen ZGB, die Wertpapiere, ad
art. 965 OR
N. 289: "Die Kassenobligation dient wie die Anleihensobligation der kollektiven Mittelbeschaffung, wird aber im Gegensatz zu dieser in kontinuierlicher Emission einzeln ausgegeben und zwar in der Regel von einer Bank").
b) Unbestreitbar ist zunächst, dass die von der Bundesrepublik Deutschland 1976 vorgenommene und 1979 erneuerte Kreditaufnahme nicht einer steuerbaren Obligationenanleihe gleichgesetzt werden kann. Es fragt sich dagegen, ob die Finanzoperation aufgrund derer die deutsche Bundesschuldenverwaltung die beiden Schuldscheine ausstellte, steuerbaren Kassenobligationen im Sinne des Stempelabgabegesetzes gleichgesetzt werden muss oder ob sie
BGE 108 Ib 12 S. 17
als ein nicht der Stempelabgabe unterliegendes Geschäft anzusehen ist.
Die Sachlage des vorliegenden Falles zeigt, dass die strittige Finanzoperation unter besonderen und ausserordentlichen Umständen erfolgte, weshalb die beiden aufgrund des Kreditgeschäftes ausgestellten Schuldscheine nicht den Kassenobligationen, deren Hauptmerkmal die kontinuierliche, gewohnheitsmässige Ausgabe ist, gleichgesetzt werden können.
Es trifft zwar zu, dass sich die deutsche Bundesregierung wie auch die Regierungen der deutschen Bundesländer zur Deckung ihrer staatlichen Finanzbedürfnisse regelmässig an Investoren wenden, um gegen Ausgabe von Schuldscheinen mit standardisiertem Text Gelder aufnehmen; wegen der grossen Stückelung der einzelnen Schuldscheindarlehen, handelt es sich bei den Investoren in der Regel um Banken und institutionelle Anleger. Aus den von der Eidgenössischen Steuerverwaltung genannten Gründen, könnten solche Schuldscheine daher steuerbaren Kassenobligation gleichgesetzt werden, erfüllen sie doch deren wichtigste Merkmale (kollektive Mittelbeschaffung, Anlagegewährung, kontinuierliche, gewohnheitsmässige Ausgabe).
Das strittige Kreditgeschäft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der X-Bank fällt aber offensichtlich nicht in den Rahmen einer solchen regelmässigen Kapitalaufnahme. Ebensowenig vergleichbar ist das Geschäft mit den sog. "Schuldscheindarlehen", die die Bundesrepublik Deutschland regelmässig mit den Vereinigten Staaten von Amerika abschliesst. Gleich wie die identischen Kreditgeschäfte der drei anderen Grossbanken mit der Bundesrepublik Deutschland ist auch das zu beurteilende Geschäft unter besonderen und aussergewöhnlichen, durch die Vermittlung der Schweizerischen Nationalbank sowie der Deutschen Bundesbank zustande gekommenen Bedingungen abgeschlossen worden. Das ergibt sich klar aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten und vom Bundesgericht zu berücksichtigenden Unterlagen (
BGE 103 Ib 196
E. 4a). So hat insbesondere der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank in einem Schreiben an den Vertreter der Beschwerdeführerin über "die Vorgeschichte und Hintergründe des im Jahre 1976 von vier schweizerischen Grossbanken der Bundesrepublik Deutschland gewährten Kredites" nicht nur festgehalten, dass das Geschäft "wegen des damals schwachen DM-Kurses gegenüber dem Schweizerfranken" im eminenten Interesse der Nationalbank lag, weshalb sie bereit
BGE 108 Ib 12 S. 18
war, den Banken Sonderkonditionen für die Kurssicherung der benötigten Deutschen Mark einzuräumen, sondern auch ausdrücklich bestätigt, dass es sich "um eine einmalige, ungewöhnliche, weil primär währungspolitisch motivierte Operation" gehandelt habe; Versuche der Banken, eine weitere Kreditoperation zu tätigen, seien gescheitert. Auch der deutsche Bundesminister der Finanzen bestätigt, dass es sich bei den bei Schweizer Banken aufgenommenen Schuldscheindarlehen um eine einmalige Aktion, ein "Sondergeschäft" mit "währungspolitischem Hintergrund" gehandelt habe. Die Aussergewöhnlichkeit des Geschäftes ergibt sich schliesslich auch aus den bei den Akten liegenden Zeitungsartikeln.
Die Eidgenössiche Steuerverwaltung zieht die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten besonderen Umstände des Geschäftes nicht in Zweifel; nicht bestritten ist insbesondere auch die Richtigkeit der von Dr. Leutwiler gemachten Angaben, der in seiner Eigenschaft als Direktionspräsident der Schweizerischen Nationalbank selber an den dem Geschäft zugrundeliegenden Verhandlungen teilnahm.
Die Beschwerdeführerin hat den Nachweis, dass das strittige Geschäft unter besonderen und ausserordentlichen Umständen zustande kam, erbracht. Damit fällt es offensichtlich nicht in den Rahmen einer gewohnheitsmässigen und kontinuierlichen Ausgabe von Schuldurkunden, weshalb es der Finanzoperation an der wesentlichsten Eigenschaft, die zum Begriff der steuerbaren Kassenobligation im Sinne von Art. 13 Abs. 2 lit. a bzw. lit. b gehört, ermangelt. Die erhobene Umsatzabgabe ist der Beschwerdeführerin demzufolge zurückzuerstatten.
3.
In analoger Anwendung von Art. 1 Abs. 1 der V über die Verzinsung ausstehender Stempelabgaben vom 30. Oktober 1978 (SR 641.153) ist der Vergütungszins auf der zu Unrecht erhobenen Steuer auf 5% jährlich festzusetzen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung wird aufgehoben.
2. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat der Beschwerdeführerin den bezahlten Abgabebetrag von Z Franken zurückzuerstatten, zuzüglich Vergütungszins von 5% seit dem 17. April 1979. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ac2cbfa4-250f-4a93-899e-edddf8a84df5 | Urteilskopf
104 Ib 79
15. Auszug aus dem Urteil vom 12. Juli 1978 i.S. Eberle gegen Kanton St. Gallen und Eidg. Schätzungskommission 11. Kreis | Regeste
Enteignung; Minderwertentschädigung;
Art. 19 EntG
.
Entschädigung für die durch Bau und Betrieb einer Nationalstrasse bewirkte Entwertung angrenzender Grundstücke: Voraussetzungen und Regeln dieser Entschädigung, wenn der für den Nationalstrassenbau benötigte Boden durch ein Landumlegungsverfahren erworben wurde (E. 1); Entwertung der fraglichen Liegenschaft durch Lärm-, Licht- und Abgasimmissionen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 104 Ib 79 S. 79
Ernst Eberle ist Eigentümer der landwirtschaftlichen Liegenschaft Schönau, Parzelle Nr. 1501 GB Mörschwil, im Halte von rund 76000 m2. Die etwa 70 m südlich des Wohnhauses vorbeiführende Nationalstrasse N 1 beeinträchtigt die Liegenschaft durch starke Immissionen. Auf Antrag Eberles ersuchte daher das Baudepartement des Kantons St. Gallen am 9. September 1975 den Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission
BGE 104 Ib 79 S. 80
des 11. Kreises (ESchK), die nachträgliche Enteignung von Nachbarrechten dieser Liegenschaft durchzuführen. Am folgenden Tag eröffnete der Präsident das Verfahren und bewilligte das abgekürzte Enteignungsverfahren. Am 18. Oktober 1975 stellte Eberle eine Forderung von Fr. 350000.- wegen Entwertung seines Hofes durch Bau und Betrieb der N 1. Nach erfolgloser Einigungsverhandlung setzte die ESchK die Entschädigung mit Schätzungsentscheid vom 20. Januar 1977 auf Fr. 29000.- nebst Zins fest und wies die weitergehende Forderung ab; vom genannten Betrag wurden Fr. 23400.- für Lärmimmissionen und Fr. 5600.- für Mehrweg zugesprochen.
Ernst Eberle führt gegen diesen Entscheid beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Zusprechung eines Gesamtbetrages von Fr. 205600.- nebst Zins. Eine Delegation des Bundesgerichts führte am 2. Dezember 1977 zusammen mit den Experten Architekt Theodor Rimli und dipl. Ing. agr. Emil Wächli in Mörschwil einen Augenschein durch.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die ESchK prüfte im angefochtenen Entscheid die Entschädigungsforderung des Beschwerdeführers zunächst unter dem Blickwinkel einer materiellen Enteignung und sodann aufgrund der drei Voraussetzungen (Spezialität, Unvorhersehbarkeit und Schwere des Schadens), unter denen nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung für Nachteile aus Immissionen von Autostrassen eine Entschädigung geschuldet ist. Damit ging sie jedoch nicht von den richtigen Voraussetzungen aus.
a) Zum einen können nach
Art. 5 EntG
auch die sich aus
Art. 684 ZGB
ergebenden nachbarrechtlichen Unterlassungsansprüche Gegenstand des Enteignungsrechtes sein. Solche Abwehrrechte werden im formellen Enteignungsverfahren entzogen. Obschon die formelle Enteignung in der Regel die Übertragung eines privaten Rechtes auf den Enteigner beinhaltet (
BGE 93 I 142
E. 2 a, mit Hinweisen), kann sie im Falle nachbarrechtlicher Abwehransprüche auch bloss die Unterdrückung oder Beschränkung der Rechte des Enteigneten zum Gegenstand haben (
Art. 5 Abs. 2 EntG
sowie Kommentar Hess, N. 16 ff. hiezu; vgl. auch
BGE 92 I 180
E. 5, letzter Satz
BGE 104 Ib 79 S. 81
des ersten Absatzes). Das Bundesgericht hat denn auch - entgegen der Annahme der ESchK und des Kantons St. Gallen - in den bisherigen Fällen einer Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche aus
Art. 684 ZGB
weder von einer materiellen Enteignung gesprochen, noch die entsprechenden Entschädigungsforderungen auf deren Voraussetzungen hin überprüft. Die von der ESchK angeführte bundesgerichtliche Praxis zur materiellen Enteignung betrifft ausschliesslich Fälle, in denen dem Gemeinwesen keine Rechte übertragen oder eingeräumt wurden, sondern wo die Nutzung des Grundeigentums durch allgemein verbindliche Erlasse, Pläne usw. beschränkt wurde; darum geht es hier nicht.
b) Zum andern brauchen im zu beurteilenden Fall für die Zusprechung einer Minderwertentschädigung nicht die drei eingangs genannten Voraussetzungen erfüllt zu sein. Denn dem vorliegenden Verfahren ist ein Landumlegungsverfahren zum Zwecke des Erwerbs des für den Nationalstrassenbau erforderlichen Bodens vorausgegangen. Da die Güterzusammenlegung Mörschwil-Tübach den Ersatzansprüchen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht zu genügen vermochte, durfte dieser gestützt auf
Art. 23 NSV
die Einleitung des Enteignungsverfahrens beantragen (
BGE 100 Ib 82
E. 2 und
BGE 99 Ia 498
E. 4 c, mit Verweisungen). Der Beschwerdeführer hat das am 3. Juli 1975 auch getan, worauf das formelle Enteignungsverfahren am 10. September 1975 eröffnet worden ist. In der vorangegangenen Landumlegung hatte der Beschwerdeführer zugunsten der N 1 Land abtreten müssen, durch das er zuvor in grösserem Masse als heute gegenüber allfälligen Einwirkungen von Nachbargrundstücken abgeschirmt gewesen war; ohne Abtretung des heute auf dem Trasse der N 1 und jenseits desselben liegenden Landes hätte das Wohnhaus zu dieser Strasse eine um etwa 180 m grössere Entfernung gehabt und wäre daher ihren Immissionen bedeutend weniger ausgesetzt gewesen. Die Zuteilung in der Güterzusammenlegung hätte zudem ohne Bau der N 1 zweifellos anders ausgesehen; jedenfalls wäre die schon bisher einigermassen abgerundete Liegenschaft des Beschwerdeführers noch besser arrondiert worden und hätte nicht umgekehrt eine ungünstigere, nämlich längere und schmalere Form erhalten. Die Rechtsstellung des Beschwerdeführers muss in einem solchen Fall stärker sein als jene eines Grundeigentümers, der erst infolge des Strassenbaus als Nachbar
BGE 104 Ib 79 S. 82
an die Strasse zu liegen kommt (vgl.
BGE 100 Ib 196
E. 8). Die geschuldete Entschädigung ist deshalb nicht nach den Voraussetzungen und Regeln einer Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche (
Art. 684 ZGB
in Verbindung mit
Art. 5 EntG
; vgl.
BGE 102 Ib 273
, mit Hinweisen) zu prüfen, sondern es muss in Anwendung von Art. 19 lit. b und allenfalls lit. c EntG der Verkehrswert des Hofes Schönau vor und nach dem Bau der N 1 verglichen und der sich ergebende Minderwert entschädigt werden (vgl.
BGE 99 Ia 498
E. 4 b, mit Hinweis).
c) In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Nationalstrassengesetz verschiedene Arten des Landerwerbs vorsieht. Der Gesetzgeber hat dabei bewusst eine bestimmte, erwünschte Reihenfolge angegeben: es soll wenn möglich ein freihändiger Landerwerb erreicht, in zweiter Linie ein Landumlegungsverfahren durchgeführt und erst zuletzt zur Enteignung gegriffen werden (
Art. 30 NSG
, Art. 18 bis 24 NSV; vgl.
BGE 100 Ib 82
E. 2,
BGE 99 Ia 496
E. 4 a und
BGE 97 I 721
E. 2 a). Die Landumlegung hat, nebst der rationelleren Aufteilung und Nutzung des Bodens sowie der Verteilung des Schadens - der bei Enteignungen Einzelne stark trifft - auf Viele, auch den Vorteil, dass der Staat in das Unternehmen selber Land einwerfen kann. Ist ihm dies aber nicht möglich, so hat er angemessene Abzüge von dem von der Landumlegung erfassten Land vorzunehmen und den für den Strassenbau benötigten Boden nicht in Bonitierungswerten, sondern zum Verkehrswert zu vergüten, da eine solche Landumlegung, soweit sie die Überführung bestimmter Parzellen in die Hände des Gemeinwesens bezweckt, einen eigentlichen Enteignungsvorgang enthält (vgl.
Art. 31 Abs. 2 lit. a und b NSG
;
BGE 99 Ia 496
E. 4 a, mit Hinweisen). Hätte im vorliegenden Fall statt einer Güterzusammenlegung eine Enteignung stattgefunden, dann wäre dem Beschwerdeführer das abgetretene Land zum landwirtschaftlichen Verkehrswert entschädigt worden. Zudem hätten sich sowohl die Frage nach einer Entschädigung für den Minderwert des Restteiles (
Art. 19 lit. b EntG
) wie auch eventuell jene nach einer Inkonvenienzentschädigung im Sinne von
Art. 19 lit. c EntG
gestellt. Sicher hätte man dem Beschwerdeführer unter diesen Titeln noch etwas zusprechen müssen. In dieser Beziehung darf er nun, da statt einer Enteignung eine Güterzusammenlegung stattgefunden hat, nicht schlechter gestellt werden (
BGE 99 Ia 498
E. 4 b).
BGE 104 Ib 79 S. 83
Was im Güterzusammenlegungsverfahren bereits genügend abgegolten und ausgeglichen worden ist, braucht nicht mehr entschädigt zu werden; dies wäre bezüglich der allfälligen Bauerwartung - deren Voraussetzungen hier aber ohnehin nicht gegeben sind - der Fall gewesen, da der Beschwerdeführer für den abgetretenen Boden Ersatzland erhielt, auf dem eine allfällige Bauerwartung weiterbestanden hätte. In der Landumlegung nicht abgegolten wurden dagegen unbestrittenermassen die grossen Lärmbelästigungen der N 1 und die über den blossen Mehrweg hinausgehenden Betriebserschwerungen. Beides muss im Enteignungsverfahren noch entschädigt werden.
2.
Der Beschwerdeführer macht die Entwertung seiner Liegenschaft durch die von der N 1 herrührenden Lärm-, Licht- und Abgasimmissionen geltend.
a) Bezüglich der Licht- und Abgasimmissionen teilt der beigezogene Experte Wächli die Auffassung der ESchK, hiefür sei eine Entschädigung nicht gerechtfertigt. Das Bundesgericht schliesst sich dieser Auffassung ebenfalls an. Die Lichtimmissionen sind nicht besonders stark und können vom Beschwerdeführer mit einfachen Mitteln, zumindest ohne unzumutbaren Aufwand selbst ausgeschlossen oder wenigstens erheblich verringert werden. Über die Auswirkungen der Abgase auf die Wohngebäude und die Bewirtschaftung des Hofes bestehen nur allgemeine, ungenügende wissenschaftliche Unterlagen, die zudem schwer zu werten sind; Ertragsausfälle sind bis jetzt jedenfalls nicht nachgewiesen. Überdies wird nach bundesrätlicher Erklärung der Bleigehalt des Benzins künftig stark herabgesetzt; bezüglich des Normalbenzins ist dies in einer ersten Stufe bereits seit dem 1. Januar 1978 der Fall (BRB vom 12. Dezember 1977). Ferner müssen die Abgase auch von allen andern Strassenanwohnern geduldet werden. Für den Fall, dass später eine bedeutende Landentwertung infolge Abgasimmissionen nachgewiesen werden kann, wurde schliesslich der Beschwerdeführer an der Augenscheinverhandlung darauf hingewiesen, dass er dannzumal die Möglichkeit hat, gemäss
Art. 41 EntG
eine nachträgliche Entschädigungsforderung zu stellen (bezüglich Sichtimmissionen vgl.
BGE 88 I 197
E. 4, mit Hinweisen).
b) Hinsichtlich der Lärmimmissionen hat die ESchK die Argumentation des Beschwerdeführers, dadurch würde nicht nur das Wohnhaus, sondern auch der bewirtschaftete Boden
BGE 104 Ib 79 S. 84
sowie das Ökonomiegebäude entwertet, verworfen. Auch in diesem Punkt ist der angefochtene Entscheid grundsätzlich zu bestätigen. Zwar mögen landwirtschaftliche Arbeiten in völlig ruhiger Umgebung angenehmer sein als neben der Autobahn, doch wird der wirtschaftliche Erfolg der Arbeit durch den Verkehrslärm nicht beeinträchtigt. Im vorliegenden Fall einer landwirtschaftlichen Liegenschaft ohne Bauerwartung kann daher bei der Schätzung des Schadens grundsätzlich nicht vom Wert der gesamten Liegenschaft ausgegangen werden. Dass nur das Wohnhaus und nicht der gesamte Hof entwertet wird, zeigt der Umstand, dass von einer Beeinträchtigung der Schönau durch Lärm nicht die Rede sein könnte, wenn das Wohnhaus an einem geschützteren Ort des Heimwesens - etwa hinter dem Hügel, auf dem es steht - stände. Für landwirtschaftlichen Boden und blosse Ökonomiegebäude ist denn auch noch nie eine Entschädigung wegen Lärmimmissionen bezahlt worden. Allerdings ist in Abweichung von der Meinung der ESchK nicht nur das blosse Wohnhaus, sondern auch ein gewisser minimaler Umschwung in Rechnung zu stellen. So wie eine Wohnliegenschaft aus Haus und etwas Boden besteht, steht auch bei landwirtschaftlichen Grundstücken das Haus nicht im freien Raum, sondern es gehört ein gewisser minimaler Umschwung dazu. Dass im übrigen auch die Bewohner eines Bauernhauses Anspruch auf Ruhe oder - bei deren erheblicher Beeinträchtigung durch den Betrieb öffentlicher Werke - auf Entschädigung haben, ist in
BGE 101 Ib 408
(E. 3 a cc) anerkannt worden.
c) Die ESchK war im angefochtenen Entscheid der Meinung, die bundesgerichtliche Rechtsprechung räume der ruhigen Wohnlage einen Anteil von höchstens 20% des Verkehrswertes einer Liegenschaft ein; unter Berücksichtigung der vormals absolut ruhigen Lage des Hofes Schönau und der massiven Überschreitung des massgebenden Grenzrichtwertes um 15 bis 17 dB (A) schätzte sie die Verminderung des Verkehrswertes auf diesen nach ihrer Auffassung höchstzulässigen Satz von 20%. Damit hat sie die bundesgerichtliche Praxis jedoch missverstanden.
Im von der ESchK genannten
BGE 95 I 495
(E. 6 b) hat das Bundesgericht keineswegs eine Höchstgrenze der möglichen Entwertung eines Grundstücks durch Lärmimmissionen gesetzt, sondern lediglich die Erklärung des damaligen Experten
BGE 104 Ib 79 S. 85
Dr. Hartmann wiedergegeben, "für die ruhige Wohnlage könne beim Wohnwert einer Liegenschaft ein Anteil von 10 bis 20% eingesetzt werden". Diese Erklärung war nicht absolut gemeint, sondern bezog sich bloss auf das Bewertungsschema jenes Experten für die betreffenden Liegenschaften in jenem Fall. Es steht ausser Frage, dass die Entwertung von Grundstücken durch Lärmeinwirkungen je nach betroffenem Objekt und Ausmass der Lärmbelästigung weit über 20% hinausgehen kann, beispielweise im Falle der Belästigung eines Kurhauses mit geradezu unerträglichen, gesundheitsschädigenden Lärmwerten sehr hoch wäre. Im zweiten von der ESchK zur Stützung ihrer Auffassung angeführten unveröffentlichten Urteil Knecht vom 8. Mai 1974 (E. 4 b) hat das Bundesgericht übrigens bei einzelnen Liegenschaften die Entwertung durch Lärm auf 33 1/3% geschätzt.
d) Der Experte Rimli hat den Verkehrswert des Wohnhauses (Zustandswert) mit einlässlicher Berechnung auf Fr. 110000.- und jenen des Umschwunges auf Fr. 10000.- geschätzt. Die Parteien haben hiegegen nichts eingewandt; der Kanton St. Gallen hatte den Verkehrswert des Wohnhauses selber schon auf Fr. 117000.- - und zwar ohne Umschwung - beziffert, und die ESchK übernahm diese Schätzung. Bezüglich des Masses der Entwertung berücksichtigte der Experte Rimli, dass im vorliegenden Fall nach Feststellung der ESchK die gemäss Eidgenössischem Expertenbericht von 1963 ("Lärmbekämpfung in der Schweiz") massgebenden Grenzrichtwerte um 15 bis 17 dB (A) überschritten werden, dass das betroffene Haus auf einem leichten Hügel steht, auf drei Seiten dem Lärm ausgesetzt ist und sein Hauptblick gerade auf die Lärmquelle hinuntergeht. Diese Verhältnisse gleichen in allen wesentlichen Punkten jenen im vergleichsweise erledigten Fall Appert in Wangen/SZ, wo die Experten die Wertverminderung auf einen Drittel veranschlagt hatten. Der Experte Rimli nimmt deshalb an, dass auch im vorliegenden Fall ein Käufer für das Wohnhaus samt Umschwung 33 1/3%, d.h. Fr. 40000.-, weniger bezahlen würde als vor Erstellung der Autobahn. Diese auch von den Parteien als solche nicht bemängelte Wertung ist sachlich begründet; sie ist weder offensichtlich falsch, noch lückenhaft oder widersprüchlich, weshalb für das Bundesgericht kein Anlass besteht, von ihr abzuweichen (
BGE 101 Ib 408
E. 3 b, mit Verweisungen). Dem Beschwerdeführer ist
BGE 104 Ib 79 S. 86
daher für die Entwertung seiner Liegenschaft durch Lärmimmissionen Fr. 40000.- zuzusprechen.
Der Beschwerdeführer hatte die Einholung eines neuen Lärmgutachtens verlangt, da nach seiner Meinung aus verschiedenen Gründen die tatsächliche Grenzrichtwertüberschreitung etwa 20 dB (A) betrage. Diesem Antrag war nicht stattzugeben, da für einen möglichen Käufer des Hofes weniger die genauen Dezibelwerte als vielmehr der optische Eindruck der lärmexponierten Lage des Hauses, also mehr psychologische Momente (vgl. entsprechend bei Hochspannungsleitungen
BGE 102 Ib 350
E. 3, mit Hinweisen), bei der Bewertung des Hofes ins Gewicht fallen dürfte. Die fragliche Differenz von 3 bis 5 dB (A) vermöchte die Schätzung der Entwertung im vorliegenden Fall also nicht entscheidend zu beeinflussen. Der Beschwerdeführer hat denn auch am Augenschein nicht mehr auf seinem Antrag beharrt. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ac39fb02-01ed-47e8-8444-69f802fa961a | Urteilskopf
93 I 390
50. Auszug aus dem Urteil vom 23. Juni 1967 i.S. Mühle X. gegen Eidg. Getreidekommission. | Regeste
Übernahme von Brotgetreide des Bundes.
1. Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der Eidg. Getreidekommission: Streitwert (Erw. 1).
2. Eine formell rechtskräftige Zuteilung inländischen Getreides für eine bestimmte Periode darf zu Ungunsten des Müllers abgeändert werden, wenn er die Verwaltung durch unrichtige Meldungen irregeführt hat (Erw. 2).
3. Verjährung des Anspruchs des Bundes auf Zuteilung: Art. 57 des Getreidegesetzes ist analog anwendbar (Erw. 3).
4. Verweigerung des rechtlichen Gehörs im Verfahren vor der Eidg. Getreidekommission? (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 390
BGE 93 I 390 S. 390
A.-
Die Beschwerdeführerin, Mühle X., erzeugt ein als Raviolidunst bezeichnetes Spezialmehl, das sie einer Konservenfabrik für die Herstellung von Ravioli liefert.
BGE 93 I 390 S. 391
In einer von der Eidg. Getreideverwaltung im Jahre 1962 gegen die Beschwerdeführerin und ihre verantwortlichen Organe eingeleiteten Strafuntersuchung sagten der Obermüller und der Verwaltungsratspräsident aus, dass die Mühle in den Jahren 1960 und 1961 für die Herstellung des Raviolidunstes eine 10 - 15 Gewichtsprozente Inlandweizen enthaltende Getreidemischung verwendet habe. Indessen hatte die Beschwerdeführerin der Getreideverwaltung früher gemeldet, dass sie für diese Fabrikation in der Regel - abgesehen vom ersten Semester 1960 - ausschliesslich Auslandgetreide verarbeitet habe. Sie hatte durch diese Meldungen erwirkt, dass die Verwaltung sie in periodisch getroffenen Verfügungen gestützt auf Art. 21 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Brotgetreideversorgung des Landes vom 20. März 1959 (GG) für die Jahre 1960 und 1961 in einem entsprechenden Umfange von der Pflicht zur Übernahme von Inlandgetreide befreit hatte.
Die Getreideverwaltung nahm auf Grund der in der Strafuntersuchung erhaltenen Auskünfte an, dass sie diese Befreiung zu Unrecht gewährt habe. Mit Verfügung vom 25. März 1966 verpflichtete sie daher die Beschwerdeführerin, in der Zeit zwischen Anfang April und Ende September 1966 eine zusätzliche Menge von 1491,53 q Inlandgetreide zu übernehmen.
Eine Beschwerde der Mühle gegen diese Verfügung wurde von der Eidg. Getreidekommission am 30. November 1966 abgewiesen.
B.-
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Mühle, der Entscheid der Getreidekommission und die durch ihn bestätigte Verfügung der Getreideverwaltung seien vollumfänglich aufzuheben; eventuell sei die Sache zur neuen Untersuchung und Beurteilung an die Getreidekommission zurückzuweisen.
Es wird geltend gemacht, die Verwaltung sei nicht berechtigt gewesen, ihre früheren Verfügungen, in denen sie die von der Beschwerdeführerin in den Jahren 1960 und 1961 zu übernehmenden Mengen inländischen Getreides festgesetzt hatte, nachträglich abzuändern.
Überdies sei der streitige Anspruch der Verwaltung mindestens zum Teil verjährt.
Sodann beruhe der angefochtene Entscheid auf einer unrichtigen Feststellung des Sachverhalts... Die Getreidekommission habe der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör verweigert,
BGE 93 I 390 S. 392
indem sie ihr nicht Gelegenheit gegeben habe, zu der Vernehmlassung der Verwaltung Stellung zu nehmen.
C.-
Die Getreidekommission beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach Art. 61 Abs. 1 lit. c GG unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde Entscheide der Getreidekommission in Fällen mit einem Streitwert, wie er in
Art. 46 OG
genannt ist.
Art. 46 OG
lässt in den unter ihn fallenden vermögensrechtlichen Zivilsachen die Berufung zu, wenn der Streitwert nach Massgabe der Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren, mindestens Fr. 8 000.-- beträgt.
Im Verfahren vor der Getreidekommission, welche der letzten kantonalen Instanz entspricht, verlangte die Mühle X., dass sie von der ihr durch die Verfügung der Getreideverwaltung vom 25. März 1966 auferlegten Verpflichtung, in der Zeit von Anfang April bis Ende September 1966 eine zusätzliche Menge von 1491,53 q inländischen Getreides zu übernehmen, befreit werde, während die Verwaltung an dieser Verfügung festhielt.
Die Getreidekommission hält dafür, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hier schon deshalb nicht zulässig sei, weil man es nicht mit einer vermögensrechtlichen Streitigkeit im Sinne von Art. 61 Abs. 1 lit. c GG und
Art. 46 OG
zu tun habe. Sie führt aus, die dem Müller auferlegte Übernahme einheimischen Getreides sei eine der Sicherung der Getreideversorgung des Landes dienende Leistung, die ausschliesslich nach der von der Mühle in der Stichzeit verarbeiteten Getreidemenge, ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen für den Betrieb, bemessen werde. Indessen lässt sich nicht bestreiten und wird von der Getreidekommission auch nicht bestritten, dass der Müller durch die Verpflichtung, ein bestimmtes Quantum inländischen Getreides zu übernehmen, finanziell belastet wird, weil er für dieses Getreide mehr bezahlen muss als für ausländisches, mit dem er sich sonst eindecken könnte. Diese Belastung ist die unmittelbare Folge der Verfügung, durch welche die Übernahmepflicht festgelegt wird. Die vorliegende Streitigkeit ist demnach vermögensrechtlicher
BGE 93 I 390 S. 393
Art; es handelt sich um einen Fall mit einem Streitwert, dessen Festsetzung allerdings, mangels eines auf Bezahlung einer bestimmten Geldsumme gehenden Begehrens, dem Ermessen des Richters anheimgegeben ist (
Art. 36 Abs. 2 OG
; vgl.
BGE 87 I 433
Erw. 3).
Die Beschwerdeführerin betrachtet als Streitwert den Betrag, um den im Zeitpunkte des Erlasses der angefochtenen Verfügung der Getreideverwaltung der Preis für 1491,53 q Inlandgetreide den Preis für die gleiche Menge französischen Weizens überstiegen hat. Diese Differenz beziffert sie auf mindestens Fr. 16 551.--. Dagegen vertritt die Getreideverwaltung den Standpunkt, dass der Streitwert auf jeden Fall weniger als Fr. 8 000.-- betrage. Sie macht geltend, es sei von den heutigen Preisen auszugehen, die höher seien als die Preise, die im März 1966 galten; ausserdem sei der Preis für solches ausländisches Getreide, das dem zu übernehmenden Inlandweizen qualitativ ebenbürtig sei, in Rechnung zu stellen; der französische Weizen genüge aber dieser Anforderung nicht; selbst wenn auf dessen Preis abgestellt werde, erreiche übrigens der Streitwert nicht ganz den erforderlichen Mindestbetrag.
Allerdings kann für den Preisvergleich nur solches ausländisches Getreide in Betracht gezogen werden, dessen Qualität für die Herstellung des Raviolidunstes genügt. Diese Voraussetzung erfüllt aber nach der nicht widerlegten Darstellung der Beschwerdeführerin der französische Weizen, obwohl er billiger ist als die anderen ausländischen Erzeugnisse, deren Preise die Getreidekommission in Rechnung stellt. Es besteht daher kein Grund, den von der Beschwerdeführerin angestellten Vergleich mit dem Preis französischen Weizens abzulehnen.
Entgegen der Auffassung der Getreidekommission bemisst sich der Streitwert auch nicht nach den heutigen Verhältnissen. Aus Art. 61 Abs. 1 lit. c GG, wo auf
Art. 46 OG
verwiesen wird, ist zu schliessen, dass die für die zivilrechtliche Berufung geltende Ordnung sinngemäss anwendbar ist. Das Bundesgericht hat als Berufungsinstanz wiederholt den Wert des Streitgegenstandes zur Zeit der Anhebung der Klage als massgebend erklärt (
BGE 87 II 192
und dort zitierte Entscheide); in anderen Fällen hat es auf das Interesse abgestellt, das für die Parteien unmittelbar vor der Entscheidung der Vorinstanz auf dem Spiele gestanden hatte (
BGE 89 II 198
und dort angeführtes Urteil). Hier kommen demnach entweder die Verhältnisse
BGE 93 I 390 S. 394
in Betracht, die zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verfügung der Getreideverwaltung und der Einreichung der dagegen gerichteten Beschwerde bestanden haben, oder die Verhältnisse unmittelbar vor der Entscheidung der Getreidekommission. Nach der einen wie nach der anderen Lösung ergibt sich auf Grund der Darlegungen der Parteien mit Sicherheit, dass die Differenz zwischen den Preisen des einheimischen und des französischen Getreides für die in Frage stehende Menge den Betrag von Fr. 8 000.-- überschritten hat.
Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit nach Art. 61 Abs. 1 lit. c GG zulässig, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob für die ermessensweise Bestimmung des Streitwertes neben jener Preisdifferenz noch andere Tatsachen berücksichtigt werden könnten.
2.
Die Getreideverwaltung hat mit der Verfügung vom 25. März 1966 die Mühle X. zum Nachbezug von 1491,53 q inländischen Getreides auf Grund der Annahme verpflichtet, dass die der Mühle in früheren Verfügungen für die Jahre 1960 und 1961 zur Übernahme zugeteilten Mengen solchen Getreides im Umfange jenes Quantums zu niedrig gewesen seien. Die Verwaltung hat also durch die neue Verfügung - wenn nicht der Form, so doch der Wirkung nach - die früheren, formell rechtskräftig gewordenen Verfügungen abgeändert.
Die Beschwerdeführerin hält dieses Vorgehen für unzulässig; sie macht geltend, weder sei es im Gesetz vorgesehen, noch liege einer der Gründe vor, aus denen die Rechtsprechung eine Revision rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen zulässt, wenn gesetzliche Vorschriften hierüber fehlen.
In der Tat enthält die Gesetzgebung über die Getreideversorgung des Landes keine Bestimmung darüber, ob formell rechtskräftige Verfügungen, in denen die von den Handelsmüllern zu übernehmenden Quoten einheimischen Getreides festgelegt sind, nachträglich wegen materieller Unrichtigkeit abgeändert werden dürfen oder nicht, so dass es Sache der zur Anwendung des Gesetzes berufenen Behörde ist, über diese Frage in Abwägung der Interessen, die einerseits an der Verwirklichung des objektiven Rechts und anderseits an der Vermeidung von Rechtsunsicherheit bestehen, zu befinden (
BGE 91 I 95
f.). Es mag zutreffen, dass hier dem Postulat der Rechtssicherheit der Vorrang zuzuerkennen, eine formell rechtskräftig gewordene Zuteilungsverfügung also grundsätzlich
BGE 93 I 390 S. 395
als unabänderlich zu betrachten ist. Indessen darf in solchen Fällen die Verwaltung ausnahmsweise auf die rechtskräftige Verfügung zurückkommen, wenn einer der Revisionsgründe besteht, welche die Rechtsprechung anerkennt (
BGE 78 I 201
,
BGE 86 I 173
). Die Beschwerdeführerin bestreitet dies nicht, erhebt jedoch unter Berufung auf IMBODEN (Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 2. Aufl., Nr. 46 IV a) den Einwand, hier sei die Revision ausgeschlossen, weil die Verwaltung aus Unachtsamkeit oder Irrtum unrichtig verfügt habe.
Es trifft allerdings zu, dass eine formell rechtskräftige Verfügung, welche für den Bürger deshalb zu günstig ausgefallen ist, weil die Verwaltung aus Unachtsamkeit oder Irrtum den massgeblichen Sachverhalt nicht richtig festgestellt hat, nicht nachträglich zu Ungunsten des Bürgers abgeändert werden darf, wenn der Fehler von der Behörde zu verantworten ist. In diesem Sinne sind die Ausführungen in
BGE 78 I 202
zu verstehen, auf die sich IMBODEN an der von der Beschwerdeführerin zitierten Stelle stützt. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn der Fehler, welcher der Behörde unterlaufen ist, nicht von ihr zu vertreten, sondern einem Verhalten des Bürgers zuzuschreiben ist, das es ausschliesst, dass dieser sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben und das Postulat der Rechtssicherheit berufen kann. In einem solchen Falle muss die Revision zu Ungunsten des Bürgers zugelassen werden (vgl.
BGE 88 I 227
f.), wie denn anderseits die Revision zu seinen Gunsten statthaft ist, wenn einer ihm nachteiligen Verfügung eine von ihm vorgetragene unrichtige Sachdarstellung, die auf unzutreffenden Auskünften der Behörde beruht, zugrunde liegt (
BGE 75 I 311
,
BGE 76 I 7
). Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf das Steuerrecht geht fehl; bestimmen doch gerade die Steuergesetze regelmässig, dass der Fiskus auf eine rechtskräftige Veranlagung zurückkommen darf, wenn sich herausstellt, dass sie infolge Verschuldens des Steuerpflichtigen zu niedrig ausgefallen ist.
Die Beschwerdeführerin legt Gewicht darauf, dass sie der Verwaltung seinerzeit in den Meldungen für die Monate Januar bis Juni 1960 wahrheitsgemäss die teilweise Verwendung inländischen Getreides bei der Herstellung des Raviolidunstes mitgeteilt habe. Sie leitet daraus ab, dass für die Unrichtigkeit der früheren Zuteilungen einheimischen Getreides die Verwaltung einzustehen habe. Dieser Standpunkt ist abwegig. Die Verwaltung hat jene Meldungen berücksichtigt. Sie hat aber auch auf
BGE 93 I 390 S. 396
die Meldungen der Beschwerdeführerin für die späteren Monate abgestellt, nach denen die Mühle damals für die Raviolidunstmahlungen ausschliesslich ausländisches Getreide verarbeitet hätte. Diese Meldungen waren unrichtig. Die Beschwerdeführerin war jedoch verpflichtet, der Verwaltung in den monatlichen Rapporten durchweg wahrheitsgetreue Angaben zu machen (Art. 20 GG). Durch ihre unrichtigen Meldungen hat sie die Verwaltung irregeführt und infolgedessen eine Befreiung von der Pflicht zur Übernahme inländischen Getreides in einem der gesetzlichen Ordnung nicht entsprechenden Umfange erwirkt. Gewiss hätte die Verwaltung vor dem Erlass der Verfügungen, in denen sie die Befreiung angeordnet hat, die Meldungen der Beschwerdeführerin überprüfen können, doch war sie dazu nicht verpflichtet. Darin, dass sie damals von einer Überprüfung abgesehen hat, kann nicht eine Nachlässigkeit, welche eine Revision der unrichtigen Verfügungen ausschlösse, gesehen werden. Die Revision war gerechtfertigt, weil der Irrtum, dem die Verwaltung zum Opfer gefallen war, von der Beschwerdeführerin zu verantworten ist.
3.
Nach Art. 43 der vom Bundesrat am 10. November 1959 erlassenen Vollziehungsverordnung I zum Getreidegesetz bestimmt die Verwaltung periodisch (in der Regel für ein Jahr) den Prozentsatz an Inlandgetreide, den ein Handelsmüller monatlich zu kaufen hat. Die Getreidegesetzgebung enthält keine Bestimmung über die Verjährung des Rechts der Verwaltung, diese Quote für eine bestimmte Periode zuzuteilen. Art. 57 GG ordnet die Verjährung anderer, nämlich der in Art. 53-56 genannten Ansprüche des Bundes auf Herausgabe unrechtmässiger Vermögensvorteile, auf Rückerstattung zu Unrecht gewährter Beiträge und Zuwendungen sowie auf Schadenersatz.
Die Getreidekommission vertritt in erster Linie den Standpunkt, dass der Anspruch der Verwaltung auf Zuteilung inländischen Getreides für eine Periode auch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht der Verjährung unterliege, weil er nicht vermögensrechtlicher Natur sei. Wie in Erwägung 1 hievor ausgeführt ist, hat jedoch die Verpflichtung des Müllers zur Übernahme inländischen Getreides zur Folge, dass er dieses Getreide dem Bund bezahlen muss. Er hat dafür einen vom Bund festgesetzten Kaufpreis zu entrichten. Ob diese Zahlungspflicht zivilrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Art sei oder
BGE 93 I 390 S. 397
einen gemischten Charakter habe, kann offen gelassen werden. Auf jeden Fall müssen Ansprüche des Gemeinwesens auf Leistungen des Bürgers mit vermögensrechtlichem Einschlag nach einem allgemeinen Grundsatz einer Verjährung auch dann unterworfen sein, wenn das Gesetz hierüber nichts bestimmt; das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Rechtsunsicherheit und unbilliger Belästigung des Bürgers durch Ansprüche vermögensrechtlichen Charakters aus lange zurückliegender Zeit schliessen eine andere Auffassung aus (
BGE 78 I 89
Erw. 4;
BGE 85 I 183
Erw. 3).
Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, dass die Verjährungsfrist für den vorliegenden Fall in Anlehnung an die in
Art. 128 und 130 OR
für periodische Leistungen getroffene Ordnung auf fünf Jahre seit der Fälligkeit festzusetzen sei, und wendet demgemäss ein, dass der Anspruch, den die Verwaltung erstmals mit der Verfügung vom 25. März 1966 geltend gemacht hat, insoweit verjährt sei, als er die Übernahmepflicht für die Monate Januar 1960 bis März 1961 betrifft.
Dagegen erachtet die Getreidekommission - für den Fall, dass die Forderung als verjährbar betrachtet wird - Art. 57 GG als sinngemäss anwendbar. Nach dieser Bestimmung verjähren die dort genannten Ansprüche in fünf Jahren, vom Zeitpunkt an gerechnet, da die zuständigen Organe des Bundes vom Rechtsgrund des Anspruches Kenntnis erlangt haben, spätestens aber in zehn Jahren seit dem Entstehen des Anspruches; wird jedoch der Anspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so gilt diese. Die Getreidekommission nimmt an, nach dieser Ordnung sei der umstrittene Anspruch des Bundes nicht verjährt; auch die dort vorgesehene fünfjährige Frist sei eingehalten. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Dauer und Beginn der Verjährungsfrist für öffentlichrechtliche Ansprüche beim Fehlen besonderer gesetzlicher Bestimmungen in Anlehnung an die Ordnung festzulegen, die der Gesetzgeber für verwandte Ansprüche aufgestellt hat (
BGE 78 I 89
Erw. 4, 191/2;
BGE 83 I 218
ff.;
BGE 85 I 183
Erw. 3). Dem Wesen des Rechts des Bundes, für eine bestimmte Periode die Übernahme inländischen Getreides zu verlangen, entspricht am besten die analoge Anwendung des Art. 57 GG.
Diese Lösung erlaubt es, den Gründen Rechnung zu tragen,
BGE 93 I 390 S. 398
aus denen im Gebiete des Zivilrechts die Verjährungsfrist, die mangels anderer Bestimmung zehn Jahre beträgt (
Art. 127 OR
), für periodische Leistungen auf fünf Jahre verkürzt worden ist (
Art. 128 OR
). Diese Ordnung beruht auf dem Gedanken, dass solche Leistungen ihrer Natur nach rasch erbracht werden sollen; der Gesetzgeber wollte einerseits verhüten, dass der Schuldner durch ständiges Anwachsen der Schuldenlast immer mehr bedrückt werde, und anderseits den Gläubiger von unangebrachter Nachsicht abhalten (
BGE 69 II 303
Erw. 3;
BGE 78 II 149
Erw. 3 a). Auch die Verpflichtung des Müllers, periodisch Inlandgetreide zu übernehmen, sollte jeweils rasch erfüllt werden; es muss vermieden werden, dass Quoten für verschiedene Perioden auflaufen und vom Müller auf einmal übernommen werden müssen, und dementsprechend soll erreicht werden, dass die Verwaltung mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche nicht allzu lange zuwartet.
Es rechtfertigt sich sodann, auch hinsichtlich des Beginns der Verjährung Art. 57 GG analog anzuwenden, also die fünfjährige Frist nicht von der Fälligkeit der Forderung (
Art. 130 Abs. 1 OR
), sondern vom Zeitpunkt an zu rechnen, da die Verwaltung von den ihren Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Diese Regelung hat nicht nur den Vorteil, dass die Ordnung der Verjährung von miteinander mehr oder weniger verwandten Ansprüchen des Bundes aus dem Getreidegesetz vereinheitlicht wird, sondern sie erscheint auch sachlich als richtig. Im Vertragsrecht kann die Verjährungsfrist recht wohl auch in den Fällen, wo sie verkürzt ist, mit der Fälligkeit der Forderung beginnen. Dagegen gilt für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen als Regel, dass die kürzere Verjährungsfrist von dem Tage hinweg, da der Verletzte vom Schaden Kenntnis erhalten hat, gerechnet wird (
Art. 60 OR
). An dieses System lehnt sich Art. 57 GG an. Das Recht des Bundes, die Übernahme inländischen Getreides für eine bestimmte Periode zu verlangen, steht aber immer dann, wenn - wie im vorliegenden Falle-die ursprüngliche Zuteilung infolge der Unvollständigkeit der Meldungen der Mühle zu niedrig ausgefallen ist, dem Anspruch aus unerlaubter Handlung näher als dem Anspruch aus Vertrag.
Hier hat die Verwaltung von den Tatsachen, welche den umstrittenen Anspruch begründen, erst im Laufe der im Jahre 1962 eingeleiteten Strafuntersuchung Kenntnis erhalten. Sie hat
BGE 93 I 390 S. 399
den Anspruch mit der Verfügung vom 25. März 1966, also noch vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist, geltend gemacht. Die Einrede der Verjährung ist daher im vollen Umfange unbegründet.
4.
(Bemessung der nachzubeziehenden Menge inländischen Getreides.)
5.
Die Beschwerdeführerin erblickt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs darin, dass die Getreidekommission ihr nicht Gelegenheit gegeben hat, zu der von dieser Instanz eingeholten Vernehmlassung der Getreideverwaltung und zu den damit eingereichten Akten, insbesondere einer "Neuberechnung der Pflichtquoten", Stellung zu nehmen. Der Einwand ist unbegründet. Das gerügte Vorgehen der Getreidekommission verstösst nicht gegen die Verfahrensordnung, die in Art. 9 der vom Bundesrat am 10. November 1959 erlassenen Vollziehungsverordnung IV zum Getreidegesetz aufgestellt ist. Ebensowenig lässt sich unmittelbar aus
Art. 4 BV
ableiten, dass die Getreidekommission die Beschwerdeführerin nochmals hätte anhören müssen. Der Grundsatz, dass die durch einen Entscheid bestimmte Rechtsstellung einer Partei nicht zu deren Ungunsten abgeändert werden darf, ohne dass sie angehört wurde, ist nicht verletzt worden. Die Getreideverwaltung hatte in ihrer Vernehmlassung eine Abänderung ihrer Verfügung zu Ungunsten der Beschwerdeführerin nicht verlangt, noch hat die Getreidekommission auf Grund der Vernehmlassung eine solche Abänderung von sich aus vorgenommen. Die der Vernehmlassung beigelegte "Neuberechnung der Pflichtquoten" war kein Beweismittel; sie hätte ebensogut in die Vernehmlassung selber aufgenommen werden können. Sie brauchte der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht vorgelegt zu werden. Es war auch nicht notwendig, die Beschwerdeführerin zum Inhalt der übrigen Beilagen zur Vernehmlassung anzuhören. Diese Schriftstücke waren der Beschwerdeführerin bekannt, und zum Teil hatte sie selbst deren Beizug verlangt. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ac45038d-5edc-481c-8866-baf020fbbf9a | Urteilskopf
121 II 29
5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Januar 1995 i.S. SRG gegen X. und Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 3 lit. e/bis VwVG;
Art. 55bis Abs. 2 und 3 BV
,
Art. 4 und 5 RTVG
; programmrechtliche Überprüfung des Beitrages "Mansour - Tod auf dem Schulhof" in der Sendung "10 vor 10" von Fernsehen DRS.
Umfang der Prüfungsbefugnis der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen; Anspruch des Veranstalters auf rechtliches Gehör (E. 2).
Ein nicht zeitgebundener, im Rahmen einer Informations- und Nachrichtensendung ausgestrahlter Dokumentarbericht, der keine klare Abgrenzung zwischen Tatsachen, Spekulationen und Ansichten des Journalisten erlaubt und der manipulativ wirkt, weil der Zuschauer sich kein eigenes Bild über die vermittelte Information machen kann, verstösst gegen
Art. 4 RTVG
(E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 121 II 29 S. 30
Im Rahmen der Sendung "10 vor 10" strahlte das Fernsehen DRS am 29. September 1992 einen Beitrag über den Tod des zehnjährigen Schülers Mansour im Zürcher Schulhaus "Letten" aus. In der Anmoderation wurde erwähnt, dass der Todesfall annähernd vier Monate zurückliege und sich nach einer Schlägerei mit einem Klassenkameraden ereignet habe. Bereits am nächsten Tag hätten die Zeitungen geschrieben, der Schüler sei an einem "akuten Herzleiden" gestorben und nicht an den Verletzungen, die er bei der Auseinandersetzung erlitten habe. Im folgenden Beitrag gehe es nicht darum, einen Mitschüler schuldig zu sprechen, sondern zu zeigen, dass auch ein tragischer Unfall Fragen nach der Verantwortung aufwerfen könne.
Der Beitrag selber begann mit Ausschnitten von den Trauerfeierlichkeiten, woran die Vorstellung des Schulhauses "Letten" in Wort und Bild anschloss. In der Folge wurden die Umstände des Todesfalls und die verschiedenen Reaktionen darauf erarbeitet. Dieser Teil der Sendung umfasste unter anderem auch eine Sequenz, in der Schüler im Beisein eines Lehrers gegenüber dem Fernsehteam im Schulhof "Use, Use" riefen, wozu der Moderator kommentierte: "Die Schule pflegte einen seltsamen Umgang mit dem Tod von Mansour. Sie verbot den Kindern, mit Zeitungen oder mit dem Fernsehen über den Tod ihres Freundes zu reden. Falls sie sich trotzdem in die Nähe der Kamera trauten, griff bald einmal ein Lehrer ein und brüllte auch kräftig mit, damit es möglichst peinlich werde. Die Kinder haben sich für die Szene später entschuldigt; der Lehrer tat es bis heute nicht".
Der Beitrag endete mit der Abmoderation: "Die Eltern von Mansour suchten Trost in der Gerechtigkeit; sie forderten den Mut der Erwachsenen, diesen Unglücksfall als solchen anzunehmen. Vier Monate nach dem Tod des Jungen ist nun klar: Mansour war nicht herzkrank. Dies ist gegenüber '10 vor 10' bestätigt worden. Damit bietet sich eine neue Chance, den Eltern gegenüber Mitgefühl zu zeigen".
X., der in der Sequenz über den Umgang der Schule mit dem Fernsehteam als angeblich "kräftig mitbrüllender" Lehrer gezeigt worden war, gelangte gegen
BGE 121 II 29 S. 31
diesen Beitrag an die Ombudsstelle DRS und an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI; im weitern: Unabhängige Beschwerdeinstanz bzw. Vorinstanz). Diese hiess seine Beschwerde am 2. April 1993 gut und stellte fest, dass der Beitrag "Tod des Schülers Mansour" in der Sendung "10 vor 10" vom 29. September 1992
Art. 4 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40)
verletzt habe.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft hat hiergegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die das Bundesgericht abweist
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin macht in formeller Hinsicht geltend, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden: Sie habe sich in ihrer Stellungnahme an die Unabhängige Beschwerdeinstanz nur veranlasst gesehen, sich zu der vom Beschwerdegegner konkret als wahrheitswidrig beanstandeten Szene im Schulhof zu äussern; die Unabhängige Beschwerdeinstanz habe ihre Überprüfung jedoch über diese hinaus in unzulässiger Weise auf den ganzen Beitrag ausgedehnt. Mit diesem Vorgehen habe sie nicht rechnen müssen; auf jeden Fall wäre ihr noch einmal Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen gewesen.
a) Die Ausweitung der Überprüfung durch die Unabhängige Beschwerdeinstanz über die konkret beanstandete Sequenz hinaus auf den ganzen Beitrag ist als solche - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - bundesrechtlich nicht zu beanstanden: Nach
Art. 62 Abs. 2 RTVG
muss die Eingabe an die Unabhängige Beschwerdeinstanz "mit kurzer Begründung angeben, wodurch Programmbestimmungen dieses Gesetzes, seiner Ausführungsbestimmungen oder der Konzession verletzt worden" sind. Die Beanstandung definiert das Anfechtungsobjekt und begrenzt insofern die Überprüfungsbefugnis der Unabhängigen Beschwerdeinstanz. Werden einzelne Teile eines Beitrags kritisiert, erstreckt sich die Prüfungskompetenz indessen auf den ganzen Beitrag, sofern dieser - wie hier - thematisch ein geschlossenes Ganzes bildet. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz ist in diesem Fall befugt, die Frage der Verletzung von Programmvorschriften unter jedem aufgrund der Aktenlage in Betracht fallenden Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. zum alten Recht
BGE 116 Ib 37
E. 4 S. 42; MARTIN DUMERMUTH, Die Programmaufsicht bei
BGE 121 II 29 S. 32
Radio und Fernsehen in der Schweiz, Basel und Frankfurt a.M. 1992, S. 188).
b) aa) Nach Art. 3 lit. e/bis des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021) findet dieses Gesetz auf Beanstandungen von Radio- und Fernsehsendungen vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz keine Anwendung; nach der Rechtsprechung gelten jedoch auch hier die aus
Art. 4 BV
abgeleiteten minimalen Verfahrensgarantien, zumindest soweit sie dem Schutz des Veranstalters dienen. So besteht ein Anspruch auf rechtliches Gehör, dessen Tragweite sich nach der Situation und der Interessenlage im Einzelfall bestimmt und der eine Anhörung gebietet, wenn die Unabhängige Beschwerdeinstanz ihren Entscheid auf einen für den Veranstalter nicht voraussehbaren Rechtsgrund stützen will (
BGE 116 Ib 37
E. 4e S. 43 mit Hinweisen).
Art. 64 Abs. 1 RTVG
, wonach der Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz den Veranstalter zur Stellungnahme einlädt, wenn die Beschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet erscheint, deckt sich, verfassungskonform ausgelegt, mit diesem noch in der Rechtsprechung zum Bundesbeschluss vom 7. Oktober 1983 über die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (BB UBI; AS 1984, 153) entwickelten Grundsatz und verlangt ebenfalls, dass der Veranstalter in rechtsstaatlich genügender Weise zu Wort kommt.
bb) Wäre es auch von Vorteil gewesen, wenn die Unabhängige Beschwerdeinstanz mit Blick auf die Ausdehnung ihrer Überprüfung der Beschwerdeführerin noch einmal Gelegenheit gegeben hätte, sich zu äussern, war sie - im konkreten Fall - verfahrensrechtlich hierzu doch nicht verpflichtet. Die Beschwerdeführerin musste vorliegend damit rechnen, dass nicht nur die beanstandete Sequenz, sondern allenfalls der Gesamtbeitrag einer programmrechtlichen Prüfung unterzogen würde: Bereits die Ombudsstelle DRS hatte in ihrer Schlussorientierung die beanstandete Sequenz im Gesamtzusammenhang des Beitrags gewürdigt, wenn sie festhielt, dass die Szenen mit den Schulkindern vor der Fernsehkamera weder nötig noch für den eigentlichen Inhalt der Sendung aufschlussreich gewesen seien; was die Schülerszene mit den "Use"-Rufen gegenüber dem Fernsehen mehrere Monate nach dem Todesfall und offenbar nach Abklärung der Todesursache dem Fernsehzuschauer noch zeigen sollte, sei ihr unerfindlich. In Ziffer 3 ihrer Stellungnahme vom 18. Januar 1993 an die Unabhängige Beschwerdeinstanz erläuterte die Beschwerdeführerin - auf den Inhalt des
BGE 121 II 29 S. 33
ganzen Beitrags Bezug nehmend -, dass sie es als richtig erachtet habe, das Verhalten der Schule, die offenbar nicht bereit gewesen sei, das Thema Gewalt zu thematisieren und für den falschen Befund einer Herzkrankheit dankbar gewesen sei, im Beitrag zu erwähnen. Sie ging damit selber davon aus, dass die ganze Sendung in die Beurteilung miteinbezogen werden konnte, und verwies ihrerseits auf die nach dem angefochtenen Entscheid programmrechtlich heiklen Punkte, unterliess es aber, diese zu vertiefen. Auch insofern durfte von ihr indessen eine qualifizierte Erklärung erwartet werden, lädt die Unabhängige Beschwerdeinstanz gemäss
Art. 64 Abs. 1 RTVG
sie zu einer Stellungnahme doch nur ein, wenn die Beschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet erscheint. Im Gegensatz zum Entscheid "Grell-Pastell" (
BGE 116 Ib 37
ff.), in dem das Bundesgericht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bejaht hatte, bezog sich die Kritik hier sinngemäss auf den ganzen Beitrag; nur in dessen Gesamtrahmen konnte die sachliche Berechtigung der beanstandeten Einzelsequenz sinnvoll geprüft werden.
3.
a) Nach
Art. 4 RTVG
sind (in Konkretisierung von
Art. 55bis Abs. 2 BV
; vgl. BBl 1987 III 729) Ereignisse "sachgerecht" darzustellen; die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten muss angemessen zum Ausdruck kommen (Abs. 1); Ansichten und Kommentare haben überdies als solche erkennbar zu sein (Abs. 2). Diese gesetzlichen Informationsgrundsätze decken sich mit jenen in Art. 4 Abs. 2 der Konzession vom 5. Oktober 1987 beziehungsweise in Art. 3 Abs. 5 der Konzession vom 18. November 1992 für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (Konzession SRG; BBl 1987 III 814, 1992 VI 569), weshalb zum Begriff der Sachgerechtigkeit in
Art. 4 RTVG
ohne weiteres an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft werden kann. Danach verlangt das Gebot der Objektivität, dass sich der Hörer oder Zuschauer durch die vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über den Sachverhalt machen kann und in die Lage versetzt wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Prinzip der Wahrhaftigkeit verpflichtet den Veranstalter, Fakten objektiv wiederzugeben; bei umstrittenen Sachaussagen ist der Zuschauer so zu informieren, dass er sich selber ein Bild machen kann. Den rechtlichen Beurteilungsmassstab stellt, weil ein Verstoss gegen die Programmanforderungen immer eine objektive Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht voraussetzt, die bei der Vorbereitung und Darstellung des Gegenstands gebotene Sorgfalt dar. Die Anforderungen an diese sind nicht allgemein, sondern im Einzelfall mit Blick auf die Umstände sowie den Charakter und die Eigenheit des Sendegefässes zu
BGE 121 II 29 S. 34
ermitteln (
BGE 119 Ib 166
E. 3 S. 170 f. mit Hinweisen).
b) Der beanstandete Beitrag "Tod auf dem Schulhof" wurde im Rahmen der Sendung "10 vor 10", der zweiten allabendlichen Informations- und Nachrichtensendung von Fernsehen DRS, ausgestrahlt, diente jedoch vier Monate nach dem tragischen Ereignis nicht mehr der aktuellen Tages-, sondern als nicht zeitgebundener Dokumentarbericht der Hintergrundinformation. Für einen solchen Beitrag gelten nach der Rechtsprechung bezüglich Objektivität und Sachgerechtigkeit besondere Anforderungen (
BGE 116 Ib 37
E. 6 S. 46 mit Hinweisen). Dies bedeutet nicht, dass derartige Berichte nicht interessant und kritisch gestaltet sein, oder wie die Beschwerdeführerin meint, keine "emotionale Dimension" aufweisen dürften, sondern dass der Zuschauer befähigt werden muss, sich über die vermittelten Informationen ein eigenes Bild zu machen. Die gesetzlichen Programmbestimmungen schliessen weder Stellungnahmen und Kritiken von Programmschaffenden noch den "anwaltschaftlichen" Journalismus aus, wenn in dem Sinne Transparenz gewährleistet bleibt, dass sich der Zuschauer ein eigenes Bild machen kann; ob dies der Fall ist, beurteilt sich in erster Linie danach, ob der Beitrag insgesamt manipulativ wirkt (vgl. DUMERMUTH, a.a.O., S. 364 ff.). Welche gestalterischen Mittel wie eingesetzt werden, ist nur solange Sache des Veranstalters, als ihr Einsatz nicht das Gebot der "Sachgerechtigkeit" verletzt.
Art. 5 Abs. 1 RTVG
, der die Programmautonomie garantiert, gilt nur im Rahmen der allgemeinen Informationsgrundsätze von
Art. 4 RTVG
beziehungsweise von
Art. 55bis Abs. 2 BV
; je heikler ein Thema ist, um so grösser muss grundsätzlich die Sorgfalt bei seiner gestalterischen Umsetzung als Informationsbeitrag sein (vgl.
BGE 116 Ib 37
E. 8 S. 48/49). Wenn das Bundesgericht in jüngeren Entscheiden jeweils festgehalten hat, die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit dürften als Kriterien der Objektivität nicht derart streng gehandhabt werden, dass Freiheit und Spontaneität der Programmgestalter verlorengingen, und es sich nicht rechtfertige, bereits dann einzugreifen, wenn eine Sendung allenfalls nicht in jeder Hinsicht voll zu befriedigen vermöge, galt dies für Beiträge, die bei einer Gesamtwürdigung die programmrechtlichen Mindestanforderungen zu erfüllen vermochten und sich damit im Rahmen von
Art. 4 RTVG
hielten.
c) Der Beitrag "Tod auf dem Schulhof" sollte den Umgang der Schule und der Behörden mit dem Todesfall des Schülers Mansour aufzeigen, was
BGE 121 II 29 S. 35
programmrechtlich von der Vorinstanz korrekterweise nicht beanstandet wurde. Zu Recht kritisierte sie aber die gestalterische Umsetzung der Problematik, die dem Zuschauer tatsächlich nicht erlaubte, sich ein eigenes Bild zu machen, und als Ganzes manipulativ wirkte:
aa) Der umstrittene Beitrag legte Gewicht darauf, dass Mansour angeblich an einem Herzfehler gelitten habe, was nach Ansicht der Ärzte zu seinem Tod geführt haben soll. Der Journalist arbeitete in der Folge - subtil über die Gestaltung des Beitrags - sukzessive darauf hin, beim Zuschauer den Eindruck zu erwecken, Schule wie Behörden gäben sich mit dieser - nach Ansicht des Journalisten - fragwürdigen Begründung zufrieden. Ohne klare Vorwürfe zu erheben, wird dem Zuschauer ein unlauteres Verhalten von Schule und Behörden nicht nur moralischer Art suggeriert, wenn der verantwortliche Redaktor im Rahmen der Schilderung des Vorfalls, der zum Tode von Mansour geführt hat, feststellt: "Die Lehrerinnen und Lehrer versuchten ... die Schüler in ihren Klassen auf eine Version des Geschehens zu einigen. Sie fürchteten, die Kinder würden das tatsächlich Vorgefallene übertrieben darstellen...". In einer der folgenden Sequenzen betonte der Journalist wiederum in dramaturgisch vielsagender Art und Weise auf dem Hintergrund eines angeblich akuten Herzleidens: "Am Tag nach dem Tod von Mansour kam der Schulpräsident zu Besuch. Auch er mochte, wie die Mutter schildert, nicht über Gewalt und mögliche Mitverantwortung reden", bevor er dann etwas später ausführt: "Für die Lehrer war der Fall abgehakt. Die zwei einzigen, die mit uns über den Tod von Mansour gesprochen hatten, zogen ihre Interviews später wieder zurück. Einer von ihnen hatte gesagt, durch den Tod von Mansour entstehe kein zusätzlicher Handlungsbedarf in Sachen Gewalt.- Natürlich: Es wäre für viele einfacher gewesen, wenn Mansour an einer Herzkrankheit gestorben wäre. Es gäbe keine Fragen zur alltäglichen Brutalität vieler Kinder, keine Fragen, wer dafür verantwortlich ist, keinen 'Handlungsbedarf'. Ein Befund Herzkrankheit wäre auch einfacher für den Schulpräsidenten - der sich nicht äussern will, solang' die Untersuchung läuft. Und es wäre einfacher für den Jugendanwalt, der drei Monate lang nur das Herz vom toten Mansour untersuchen liess, obwohl er Zeugenaussagen hat, die auch andere Todesursachen denkbar erscheinen lassen".
bb) Für den unbefangenen Zuschauer entstand durch diese Abfolge der vermittelten Informationen, die ihm in Verletzung von
Art. 4 RTVG
keine klare Abgrenzung zwischen Tatsachen, Spekulationen und Ansichten des
BGE 121 II 29 S. 36
Journalisten erlaubte, wie die Vorinstanz zu Recht festhält, der Eindruck, die Umstände des Todes von Mansour würden von den Behörden im Interesse des unbeschadeten Rufs der Schule verschleiert, allenfalls sogar bewusst falsch angegeben. Mit dem Hinweis in der Abmoderation, Mansour sei gar nicht herzkrank gewesen, was gegenüber "10 vor 10" bestätigt worden sei, ist dieser beim Zuschauer suggestiv aufgebaute und mangels klarer Informationen über die tatsächliche beziehungsweise in diesem Moment vermutete Todesursache nicht relativierbare Eindruck verstärkt worden. Dem Zuschauer wurde im ganzen Beitrag kein Element in die Hand gegeben, das ihm erlaubt hätte, sich ein eigenes Bild über die mit der Art der gestalterischen Umsetzung suggerierten Vorwürfe des Journalisten zu machen und dessen Ansicht in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Über die im Moment der Ausstrahlung des Beitrags tatsächlich vermutete Todesursache wurde in der Abmoderation kein Wort gesagt. Bereits mit diesem Element wäre der Beitrag aber deutlich relativiert worden. Die Beschwerdeführerin legt ihrer Beschwerde selber einen Zeitungsartikel vom 2. Oktober 1992, also nur drei Tage nach der Ausstrahlung des beanstandeten Beitrags, bei, woraus hervorgeht, dass der untersuchende Arzt als Todesursache wenige Stunden nach dem Unfall ein "Herzversagen" verantwortlich gemacht hatte. Dass in den Medien dann von "Herzfehler" oder "Herzkrankheit" berichtet wurde, sei auf einen Kommunikationsfehler zwischen der Polizei und der Presse zurückzuführen. Hätte der Zuschauer aber etwa über diese Information verfügt - auf die auch der Autor des Beitrags, der ausgiebig recherchiert haben will und dabei unter keinem Zeitdruck stand, hätte stossen müssen -, hätte er sich wohl unweigerlich die Frage nach der Berechtigung der erhobenen Vorwürfe gestellt. Die Unvoreingenommenheit gegenüber dem publizistischen Endprodukt verbietet es dem Journalisten nicht, zu Beginn seiner Recherchen bestimmte Hypothesen zu formulieren (vgl.
BGE 119 Ib 166
E. 3b S. 171), deren Verifizierung Gegenstand der folgenden Abklärungen bildet. Sie verlangt aber, dass die Recherchen alsdann allseitig, das heisst ohne Ausklammerung entscheidender Perspektiven, vorgenommen und die Ergebnisse auch dann präsentiert werden, wenn sie nicht mit den anfänglichen Hypothesen übereinstimmen sollten; das Nichterwähnen einer für die Meinungsbildung des Zuschauers wesentlichen Information im Zuge der Berichterstattung über ein bestimmtes Thema ist manipulativ und verletzt das Sachgerechtigkeitsgebot (vgl. FRANZISKA BARBARA GROB, Die
BGE 121 II 29 S. 37
Programmautonomie von Radio und Fernsehen in der Schweiz, Diss. ZH 1994, S. 166).
cc) Die Kritik am Verhalten der Schule im Umgang mit dem Tod von Mansour, die, wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, nicht zuletzt an der Person des Beschwerdegegners personalisiert und visualisiert wurde, beruhte weitgehend auch darauf, dass sich deren Vertreter dem Fernsehen gegenüber nicht äussern wollten. Das Bundesgericht verlangt bei dieser Situation für eine sachgerechte Information, dass das Publikum über die entsprechenden Gründe angemessen informiert wird (
BGE 119 Ib 166
E. 3b S. 171). Der Beitrag "Tod auf dem Schulhof" tat dies nicht; auch insofern liegt eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten vor: Auf die (allenfalls guten) Gründe, warum sich die Schulvertreter Wochen nach dem tragischen Unglück gegenüber dem Fernsehen nicht äussern wollten, wird nicht eingegangen; dem Zuschauer wird die Berechtigung des Vorwurfs an die Schule, nicht mitzufühlen und nicht mit dem Problem eines Todesfalls im Schulhof umgehen zu wollen beziehungsweise zu können, vorab über die Tatsache suggeriert, dass keine Diskussion mit dem Fernsehteam und der Presse stattgefunden habe; auch insofern konnte sich der Zuschauer mangels sachgerechter Information kein eigenes Bild machen. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac48a570-6350-475a-8e5f-7f10c96da90c | Urteilskopf
99 Ib 225
27. Urteil vom 16. Februar 1973 i.S. Schweiz. Eidgenossenschaft gegen Stadt Zürich | Regeste
Garantiegesetz (GarG)
1. Unter kantonalen Abgaben im Sinne von
Art. 116 lit. f OG
sind auch von Gemeinden erhobene Abgaben zu verstehen (Erw. 1 a).
2. Routinemässige Zahlung einer Abgabe lässt sich nicht ohne weiteres als Anerkennung der Abgabepflicht deuten (Erw. 2).
3. Das in
Art. 10 GarG
enthaltene Verbot bezieht sich auch auf Abgaben an Gemeinden (Erw. 3 a).
4. In der Regel ist eine indirekte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
anzunehmen, wo für die einmalige, nicht periodische Besteuerung schematisch an einen bestimmten Vorgang angeknüpft wird, der nicht ein Mass der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bildet (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 226
BGE 99 Ib 225 S. 226
Sachverhalt:
A.-
Die Eidgenossenschaft erstellt in Zürich im Bereich öffentlicher Strassen unter Flur einen begehbaren I-eitungskanal für das Leitungsnetz der ETHZ. Durch diesen Kanal werden namentlich Fernheizungs- und Kanalisationsrohre, Elektrizitäts-, Pressluft- und Spezialwasserleitungen sowie Leitungen des internen Telefonnetzes der ETHZ und des neuen Rechenzentrums geführt. Abgesehen davon, dass zur Zeit noch einige nicht zur ETHZ gehörende Gebäude an die Fernheizung angeschlossen sind, dienen die erwähnten Installationen ausschliesslich der ETHZ.
B.-
Auf Gesuche der Direktion der eidg. Bauten, Bauinspektion V, hat die Bausektion I des Stadtrates Zürich die Benützung des Strassengebietes bewilligt und für die unterirdische Beanspruchung öffentlichen Grundes die folgenden "einmaligen Konzessionsgebühren" festgelegt:
a) für den Bau des Kanals in der Clausiusstrasse (1304 m2 Grundfläche) Fr. 130 000.-- (Beschluss vom 23. Januar 1968);
b) für den Bau des Kanals in der Universitäts-, Schmelzberg- und Sternwartstrasse (736 m2 Grundfläche zu Fr. 100/m2 und 44 m Erdanker zu Fr. 15/m) Fr. 74 260.-- (Beschluss vom 26. März 1971).
Den für den Bau des Kanals in der Clausiusstrasse geforderten Betrag von Fr. 130 000.-- hat die Eidgenossenschaft am 20. Mai 1968 vorbehaltlos bezahlt.
C.-
Am 25. Juni 1971 erhob die Eidgenossenschaft beim Bundesgericht gestützt auf Art. 10 des Bundesgesetzes über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft vom 26. März 1934 (GarG) Klage gegen die Stadt Zürich mit dem Begehren:
"Der unter Flur der Clausiusstrasse für den Betrieb der ETH erstellte Kanal sei (als unmittelbar Bundeszwecken dienende Anlage) steuerfrei zu erklären, und demzufolge seien die von der Beklagten für diese Bauten auf Wertbasis veranlagten "Konzessionsgebühren" von Fr. 214 260.-- aufzuheben, in dem von der Klageschrift beantragten Umfange."
In der Klageschrift werden einige weitere pendente Forderungen der Stadt Zürich gegen die Eidgenossenschaft erwähnt, die
BGE 99 Ib 225 S. 227
offenbar nach Ansicht der Klägerin ebenfalls gegen Bundesrecht verstossen.
In seiner Antwort stellt der Stadtrat von Zürich folgendes Rechtsbegehren:
"Die Klage um Aufhebung der von der Stadt Zürich für den unter Flur der Clausiusstrasse für den Betrieb der ETH erstellten Kanal veranlagten Konzessionsgebühren von Fr. 214 260.-- sei abzuweisen, und es sei festzustellen, dass die weiteren in der Klage erwähnten Forderungen, nämlich Fr. 74 260.-- für Kanäle in der Universität-, Schmelzberg- und Sternwartstrasse, Fr. 1600.-- für je einen Kanal in der Glaubtenstrasse und der Lerchenhalde, Fr. 7790.-- für Erdanker in der Clausiusstrasse und im Haldeneggsteig, Fr. 25 800.-- für eine Parkgarage an der Leonhardstrasse/Rämistrasse und Fr. 14 472.-- für vier gefällte Platanen an der Universitätstrasse, nicht gegen das Verwaltungsrecht des Bundes verstossen."
Er erklärt sich damit einverstanden, dass alle von der Klägerin erwähnten Forderungen insofern in dieses Verfahren einbezogen werden, als es um ihre Zulässigkeit unter dem Aspekt von
Art. 10 GarG
geht.
Für den Fall, dass die Widerklage zulässig sein sollte, beantragt er widerklageweise, festzustellen, dass auch diese Forderungen keine Norm des Bundesverwaltungsrechts verletzen.
E.-
In der Replik hält die Eidgenossenschaft an ihrem Klagebegehren fest und stellt eventualiter die Verhältnismässigkeit der geforderten Beträge in Abrede.
F.-
Die Stadt Zürich wiederholt in der Duplik ihr Begehren, alle von der Klägerin angeführten Forderungen unter dem Gesichtspunkt entgegenstehenden Bundesverwaltungsrechts zu prüfen. Sie anerkennt ausdrücklich die Verrechenbarkeit eines allfälligen Rückforderungsanspruchs der Klägerin mit Gebührenforderungen der Stadt Zürich.
G.-
Am 17. Januar 1973 fand in Bern die Vorbereitungsverhandlung im Sinne von
Art. 35 BZP
statt.
Die Parteien beschränkten dabei das Prozessthema auf die Frage, ob folgende Forderungen der Stadt Zürich gegen
Art. 10 GarG
verstossen:
a) "Konzessionsgebühr" für den Leitungskanal in der Clausiusstrasse (bezahlt): Fr. 130 000.--
b) "Konzessionsgebühr" für die Leitungskanäle in der Universitäts-, Schmelzberg- und Sternwartstrasse (inkl. Erdanker): Fr. 74 260.--
BGE 99 Ib 225 S. 228
c) "Konzessionsgebühr" für die unterirdische Beanspruchung öffentlichen Bodens durch eine Parkgarage der ETH (Leonhardstrasse/Rämistrasse): Fr. 25 800.--
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Die Klägerin verlangt gestützt auf
Art. 10 GarG
Befreiung von Abgaben, die ihr von der Stadt Zürich auferlegt worden sind. Nach
Art. 116 lit. f OG
ist die verwaltungsrechtliche Klage an das Bundesgericht zulässig in Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über die Befreiung von kantonalen Abgaben. Unter kantonalen Abgaben im Sinne von
Art. 116 lit. f OG
sind auch von Gemeinden erhobene Abgaben zu verstehen (
BGE 97 I 69
). Soweit die Anwendung von
Art. 10 GarG
in Frage steht, kann somit auf die vorliegende Klage eingetreten werden.
b) Die Forderung von Fr. 25 800.-- für die unterirdische Beanspruchung öffentlichen Bodens durch eine Parkgarage der ETHZ ist im ursprünglichen Klagebegehren nicht erwähnt. Beide Parteien haben im Laufe des Verfahrens jedoch beantragt, auch die Zulässigkeit dieser Forderung unter dem Aspekt von
Art. 10 GarG
zu beurteilen. Einer solchen Erweiterung des Prozessthemas durch Klageänderung bzw. Widerklage auf Feststellung steht insofern nichts entgegen, als damit die durch
Art. 113 lit. f OG
umschriebene Zuständigkeit des Bundesgerichts nicht überschritten wird.
2.
Die Beklagte macht geltend, in bezug auf die 1968 bezahlte Konzessionsgebühr von Fr. 130 000. - sei die Klage verwirkt. Sie beruft sich dabei auf PAUL STADLIN, der auf Seite 250 seiner Dissertation "Die Befreiung des Bundes von der kantonalen Steuerhoheit" geschrieben hat, es liege nahe, dass übermässiges Zuwarten mit der Einleitung der Klage und insbesondere eine freiwillige Steuerzahlung von der Gegenpartei "nicht mit Unrecht" als Anerkennung ihrer Auffassung gedeutet würden; das Bundesgericht solle nicht mehr angerufen werden können, wenn der eingeklagte Sachverhalt schon Jahre zurückliege. Dieser Passus bezieht sich aber offensichtlich auf den Fall eines den Beteiligten bekannten Streites über die Steuerbefreiung, und nicht auf eine Zahlung, die geleistet wird, bevor die Problematik der Forderung erkannt wird.
In der vorliegenden Streitsache kann von einer Verwirkung
BGE 99 Ib 225 S. 229
der verwaltungsrechtlichen Klage - auch in bezug auf den bezahlten Betrag von Fr. 130 000.-- - nicht die Rede sein. Ein solcher im Gesetz nicht vorgesehener Verlust der Klagemöglichkeit könnte höchstens in Fällen trölerhaften Verhaltens angenommen werden. Eine die Klage ausschliessende Anerkennung durch Zahlung setzt voraus, dass die Meinungsverschiedenheit über die Zulässigkeit der Besteuerung bereits zuvor festgestellt worden ist; routinemässige Zahlung lässt sich nicht als Anerkennung der Abgabepflicht deuten. Es ist daher auf die verwaltungsrechtliche Klage auch einzutreten, soweit sie sich auf die bezahlte Konzessionsgebühr von Fr. 130 000.-- bezieht. - Die Frage einer allfälligen Verjährung des Rückforderungsanspruchs kann offen bleiben, sofern sich die Berufung auf
Art. 10 GarG
als unbegründet erweist.
3.
Art. 10 GarG
bestimmt, dass die Bundeskasse und alle unter der Verwaltung des Bundes stehenden Fonds sowie diejenigen Liegenschaften, Anstalten und Materialien, die unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt sind, von den Kantonen nicht mit einer direkten Steuer belegt werden dürfen.
a) Die ETHZ ist eine Bundesanstalt, für deren Gebäulichkeiten, Einrichtungen, Fonds und Materialien der Steuerbefreiungsgrund von Art. 10 des Garantiegesetzes gilt. Die Stadt Zürich anerkennt, dass die Einrichtungen, um welche es im vorliegenden Falle geht (Leitungskanäle, Parkgarage) der ETHZ und daher unmittelbar Bundeszwecken dienen. - Ebenfalls nicht streitig ist, dass das Verbot der Erhebung direkter Steuern sich nicht nur auf Abgaben bezieht, die dem Kanton zufliessen, sondern auch auf entsprechende Abgaben der Gemeinden (vgl. hiezu STADLIN a.a.O. S. 54,
BGE 92 I 166
,
BGE 97 I 69
).
b)
Art. 10 GarG
schliesst nur die Erhebung von direkten Steuern aus. Abgaben, die nicht den Charakter von direkten Steuern im Sinne dieser Bestimmung haben, dürfen somit erhoben werden (vgl.
BGE 67 I 309
Erw. 3,
BGE 70 I 126
,
BGE 72 I 385
ff.,
BGE 97 I 71
Erw. 4).
c) Zu entscheiden ist in diesem Verfahren lediglich, ob die dem Bund von der Stadt Zürich auferlegten "Konzessionsgebühren" direkte Steuern im Sinne von
Art. 10 GarG
sind oder Abgaben, von denen das Garantiegesetz den Bund nicht befreit.
Nicht zu beurteilen sind alle weiteren Fragen, die man im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand stellen könnte und die in den Rechtsschriften zum Teil aufgeworfen werden. Insbesondere
BGE 99 Ib 225 S. 230
ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen, ob die Forderungen der Stadt Zürich wegen Fehlens einer genügenden gesetzlichen Grundlage beanstandet werden könnten und ob die Festsetzung dieser Ansprüche prozessual und materiell jeder Kritik stand hält. Falls und soweit die streitigen "Konzessionsgebühren" nicht gegen
Art. 10 GarG
verstossen, muss die Eidgenossenschaft wie jeder andere Betroffene allfällige Einwendungen und Rügen im Rahmen des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens vorbringen. Die Vorschrift des Garantiegesetzes kann nicht dazu dienen, kantonale Entscheidungen über Ansprüche gegen den Bund und seine Anstalten auch nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist generell durch das Bundesgericht überprüfen zu lassen.
4.
a) Steuern sind Geldleistungen, "die der Staat oder ein von ihm ermächtigtes Gemeinwesen kraft seiner Gebietshoheit von den dieser unterworfenen Individuen erhebt zur Deckung seines Finanzbedarfs" (E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts 3. A., S.3). Während die sogenannten Kausalabgaben (wie Vorzugslasten, Gebühren usw.) auf einer spezifischen Beziehung zum Gemeinwesen beruhen (besonderer Vorteil, besondere Leistung) und in dieser Beziehung ihren Verpflichtungsgrund und ihre Begrenzung finden, werden die Steuern voraussetzungslos geschuldet als Beitrag einer der Gebietshoheit unterworfenen Person an die Aufwendungen des Gemeinwesens.
Die Stadt Zürich verlangt die streitigen Beträge nicht als voraussetzungslose Abgabe, sondern als Entgelt für die unterirdische Beanspruchung des Strassenareals durch Leitungskanäle und Erdanker sowie durch eine Parkgarage. - Nach der von der Klägerin vertretenen Auffassung haben diese Forderungen jedoch zumindest teilweise Steuercharakter, weil ihnen der von der Beklagten behauptete Rechtsgrund entweder ganz fehle oder höchstens eine wesentlich geringere Vergütung zu rechtfertigen vermöge.
Die Frage, in welchem räumlichen Bereich ein Strasseneigentümer für die unterirdische Beanspruchung seines Bodens gestützt auf das Herrschaftsrecht des Eigentümers (
Art. 667 ZGB
) eine Gegenleistung fordern kann und bis zu welchem Betrag ein solches Entgelt noch als Ausfluss der Sachherrschaft begründet erscheint, ist für den Ausgang dieses Verfahrens nur von Bedeutung, wenn eine übersetzte, durch das Eigentum nicht mehr begründete Forderung als direkte Steuer im Sinne von
Art. 10
BGE 99 Ib 225 S. 231
GarG
zu qualifizieren ist. Daher erscheint es zweckmässig, vorweg zu prüfen, ob eine solche, als Entgelt für die Sondernutzung nicht gerechtfertigte, aber im Zusammenhang mit der Einräumung eines Sondernutzungsrechts am Untergrund der Strasse erhobene Abgabe als direkte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
zu betrachten ist.
b) Zwischen direkten und indirekten Steuern unterscheidet sowohl die Lehre als auch die Praxis. Die Kriterien dieser Unterscheidung sind aber umstritten. So wird etwa darauf abgestellt, ob Steuersubjekt und Steuerträger identisch sind, ob die Steuer der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Pflichtigen Rechnung trägt, ob sie in regelmässig wiederkehrender Weise erhoben wird, ob sie in einem eigentlichen Veranlagungsverfahren festgesetzt wird, oder auch ob sie die Berechnungsgrundlage unmittelbar belastet. Keines dieser Kriterien hat sich allgemein durchgesetzt (vgl. C. HIGY, Über die steuerrechtliche und steuerpolitische Bedeutung der Begriffe direkte und indirekte Steuern in der Schweiz, Zeitschrift für schweizerische Statistik und Volkswirtschaft 1927 S. 575 ff.; E. BLUMENSTEIN, a.a.O. S. 131/132; E. HÖHN, Steuerrecht S. 26).
Es muss deshalb zunächst abgeklärt werden, welcher Sinn dem Begriff der direkten Steuer in
Art. 10 GarG
zukommt. Hinweise auf den Zweck von
Art. 10 GarG
finden sich in den Materialien zum Garantiegesetz vom 23. Dezember 1851, dessen Art. 7 in Art. 10 des heute geltenden Garantiegesetzes unverändert übernommen worden ist. In seiner Botschaft zum alten Garantiegesetz führt der Bundesrat aus: "In Art. 7 wird vorgeschlagen, dass die eidgenössischen Fonds und diejenigen Vermögensobjekte, welche unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt sind, von den Kantonen nicht mit direkten Steuern belegt werden sollen. Wir glauben nämlich, die Eidgenossenschaft, als Rechtssubjekt, und ihre Vermögensmasse, könne nicht in der Weise unter die Hoheit der einzelnen Kantone gestellt werden, dass dieses Vermögen in Gefahr steht, durch beliebige, vielleicht progressive Steuergesetze derselben bedeutenden Abbruch zu erleiden. Das Gesagte soll namentlich gelten von dem ganzen Kapitalvermögen, der Kasse und denjenigen Gegenständen, welche direkt für Bundeszwecke bestimmt sind. ... Dagegen scheint es uns nicht notwendig oder zweckmässig und zum Teil sogar unausführbar, diesen Grundsatz auf die indirekten Steuern auszudehnen, z.B. Stempel-, Handänderungs-, Inskriptionsgebühren u.s.w." (BBl 1851
BGE 99 Ib 225 S. 232
III 251/252). Im Anschluss an diese Ausführungen hat das Bundesgericht in
BGE 40 I 407
in Bestätigung einer langjährigen Praxis die Erbschaftssteuer als direkte Steuer im Sinne von Art. 7 des alten Garantiegesetzes bezeichnet, da bei dieser Steuer nicht der verkehrsrechtliche Vorgang selbst, sondern seine vermögensrechtlichen Folgen Grundlage der Besteuerung bildeten. Zur Bestimmung des Begriffes der direkten Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
ist es auch in späteren Entscheiden davon ausgegangen, dass für die indirekten Steuern im Sinne von
Art. 10 GarG
die Anknüpfung an einen Verkehrsvorgang charakteristisch sei und demnach Steuern, die dieses Merkmal nicht aufwiesen als direkte Steuern zu gelten hätten (vgl.
BGE 67 I 309
;
BGE 72 I 385
ff.). An dieser negativen Umschreibung der direkten Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
kann im vorliegenden Falle insofern festgehalten werden, als in der Regel eine indirekte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
anzunehmen ist, wo für die einmalige, nicht periodische Besteuerung schematisch an einen bestimmten Vorgang angeknüpft wird, der nicht ein Mass der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bildet.
Gerade dieses Merkmal weisen aber die hier streitigen "Konzessionsgebühren" der Stadt Zürich auf, wurden sie doch auf Grund eines verwaltungsinternen Schätzungsverfahrens schematisch nach dem Umfang der unterirdischen Beanspruchung städtischen Grundes festgesetzt. Soweit sie den Rahmen eines Entgeltes für die Beanspruchung des Strassenareals durch die Klägerin überschreiten sollten, wären sie deshalb als indirekte Steuern zu qualifizieren.
Da somit ein allenfalls in den streitigen Forderungen steckender Steuerbetrag nicht eine unzulässige direkte, sondern eine nach Art. 10 des Garantiegesetzes zulässige indirekte Steuer wäre, erübrigt sich unter dem Aspekt dieser bundesrechtlichen Bestimmung eine weitere Abklärung der allfälligen Zusammensetzung der geltend gemachten Ansprüche nach ihrer rechtlichen Natur. Die Klage muss auf jeden Fall abgewiesen werden, da Art. 10 des Garantiegesetzes der von der Klägerin behaupteten Art der Besteuerung nicht entgegensteht. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ac491016-1a3b-4010-8005-4eba673694a3 | Urteilskopf
90 IV 62
14. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 24 avril 1964 dans la cause Y. contre X. | Regeste
Art. 72 Ziff. 1 StGB
.
Die Verjährung ruht nicht nur im Falle, den diese Bestimmung regelt, sondern auch, wenn eine zwingende und von Rechts wegen anwendbare Norm die Strafbehörden vorübergehend an der Verfolgung hindert. | Sachverhalt
ab Seite 62
BGE 90 IV 62 S. 62
A.-
Dans le procès en divorce des époux X., la défenderesse a prétendu, au début du mois de mars 1961, que Y. était la maîtresse de son mari.
Le 8 mars 1961, Y. a porté plainte contre la défenderesse pour atteinte à l'honneur.
B.-
Le 3 octobre 1961, le juge informateur de l'arrondissement de Lausanne a renvoyé l'auteur de l'allégation incriminée, devant le Tribunal de simple police comme accusée de diffamation.
Sur recours de l'inculpée, le Tribunal d'accusation du canton de Vaud, par arrêt du 2 novembre 1961, a annulé cette ordonnance et renvoyé la cause au juge informateur, en l'invitant à "suspendre l'action pénale jusqu'à droit connu sur le procès en divorce opposant les époux X.", puis à compléter l'instruction et à rendre une nouvelle ordonnance.
C.-
Le 30 décembre 1963, le juge informateur, estimant acquise la prescription de l'art. 178 CP, a prononcé un non-lieu.
Le Tribunal d'accusation vaudois a maintenu cette ordonnance, le 6 février 1964.
D.-
Contre cet arrêt, la plaignante s'est pourvue en nullité.
BGE 90 IV 62 S. 63
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Pour les délits contre l'honneur, l'action pénale se prescrit par deux ans (art. 178 CP). Tout acte d'instruction d'une autorité chargée de la poursuite ou toute décision du juge dirigée contre l'auteur interrompt la prescription et donne cours à un nouveau délai (art. 72 ch. 2 CP). Selon la jurisprudence instituée en matière de contraventions aux lois fiscales de la Confédération et par interprétation de l'art. 284 al. 3 PPF, constitue un acte d'instruction, l'acte qui fait avancer la procédure et sortit des effets externes (à la différence, par exemple, d'une simple étude du dossier ou d'une recherche de jurisprudence, qui demeure, pour l'autorité, un acte purement interne et qui ne fait pas, en elle-même, passer la procédure d'un stade à un autre: RO 73 IV 258;
74 IV 26
). Cette définition vaut aussi pour l'acte d'instruction que vise l'art. 72 ch. 2 al. 1 CP (arrêt Statthalteramt Bülach c. Voit, du 31 juillet 1962, non publié).
Selon l'arrêt entrepris, le dernier acte interruptif de la prescription consiste dans l'arrêt du 2 novembre 1961. Depuis lors et pendant plus de deux ans, il n'y a eu ni acte d'instruction, ni décision du juge dirigée contre l'inculpée. La recourante ne soutient pas le contraire. Elle ne signale aucun acte postérieur au 2 novembre 1961, qui aurait pu interrompre la prescription. En particulier, elle ne prétend pas - et c'est à juste titre - que les entretiens téléphoniques que le juge informateur a eus, les - 9 janvier et 9 juillet 1963, avec le greffe du tribunal civil pour s'enquérir de l'état du procès en divorce constitueraient de tels actes. Effectivement il ne s'agissait que de simples démarches internes.
2.
Il suit de là que, sauf le cas d'une suspension éventuelle, la prescription de l'action pénale serait aujourd'hui acquise.
Le Tribunal fédéral a jugé que la prescription ne pouvait être suspendue que dans le cas de l'art. 72 ch 1 CP, ajoutant
BGE 90 IV 62 S. 64
que le juge ne saurait méconnaître délibérément cette disposition (RO 69 IV 106). Il s'ensuivrait que la suspension ne saurait avoir lieu qu'en vertu de cette règle légale. L'opinion ainsi exprimée est trop absolue. Lorsque, par une disposition applicable de plein droit, la loi fait momentanément obstacle à la poursuite, on admettra par voie de conséquence, même à défaut de disposition expresse, que la prescription de l'action pénale est aussi suspendue (RO 88 IV 93). Nonobstant les doutes élevés à ce sujet par le professeur SCHULTZ et fondés sur l'art. 1er CP (Revue de la Société des juristes bernois, 1964, p. 87), cette interprétation s'impose lorsqu'elle correspond au véritable sens des dispositions applicables, du fait notamment que l'autorité est alors empêchée d'accomplir des actes interruptifs et que, dans certains cas, la durée de cet empêchement peut dépendre de l'inculpé, partiellement tout au moins. Dans le cas de l'art. 72 ch. 1, au surplus, la poursuite elle-même n'est pas suspendue, l'exécution d'une peine privative de liberté, à l'étranger, sur la personne du prévenu n'entravant ni l'enquête en Suisse, ni même le jugement (par contumace). Si, dans un tel cas, le législateur a décidé de suspendre néanmoins la prescription, cette mesure s'imposera à fortiori lorsque la loi fait de plein droit obstacle à la poursuite.
Ainsi, en droit pénal douanier, la poursuite relative à une infraction doit être suspendue jusqu'à ce que le montant des droits ait été liquidé (art. 299 al. 2 et 3, 305 al. 2 PPF). La cour de céans en a conclu que cette suspension comportait celle de la prescription de l'action pénale (RO 88 IV 91 s.). De plus, aux termes de l'art. 222 CPM, une poursuite pénale ne peut être ni ouverte, ni continuée, sans l'autorisation du Département militaire fédéral, contre une personne qui se trouve au service militaire (al. 1); si l'autorisation de continuer la poursuite est refusée, celle-ci demeure suspendue jusqu'au moment où l'inculpé est licencié (al. 3). Dans ce cas aussi, on admettra, selon le principe rappelé plus haut, que le délai de prescription ne court pas aussi longtemps que la loi
BGE 90 IV 62 S. 65
paralyse l'autorité pénale dans ses actes interruptifs. Lorsque l'art. 222 al. 1 empêche l'ouverture et non la continuation de la poursuite, celle-ci n'est pas suspendue, mais les autorités pénales sont également paralysées, de sorte que la prescription ne saurait courir.
En l'espèce, le juge informateur vaudois a été paralysé par l'arrêt du 2 novembre 1961, qui lui a enjoint de suspendre l'action pénale. Cette suspension, toutefois, découlait non pas de plein droit d'un texte légal impératif, mais de la décision d'une autorité pénale. La différence est essentielle. Si l'on admettait que le délai de prescription cesse de courir chaque fois que l'autorité - juge d'instruction, tribunal répressif - suspend l'action pénale, fût-ce conformément à la loi par une décision constitutive, et ne se borne pas à la constater en vertu d'une règle qui l'établit de plein droit, les délais que fixent les art. 70 et 109 CP risqueraient souvent d'être prolongés d'une façon excessive au détriment du prévenu. Cela serait intolérable.
Il suit de là que l'action pénale ouverte contre la défenderesse est prescrite.
3.
On peut se demander si la plaignante disposait d'une voie de droit qui lui aurait permis d'obtenir une reprise de la poursuite par un acte interruptif avant que la prescription ne soit acquise. Dans les motifs de l'arrêt attaqué, le Tribunal d'accusation du canton de Vaud a dit qu'elle aurait pu former une requête dans ce sens en vertu des art. 68 et 69 PP vaud. La recourante le conteste. Supposé cependant que cette faculté existât et que la plaignante en eût fait usage, il resterait à savoir si, s'étant heurtée à un refus en derniere instance cantonale, elle aurait pu attaquer ce nouvel arrêt par un pourvoi en nullité. Cette question, cependant, peut demeurer indécise, car la recourante n'a pas suivi la voie qu'indique la cour cantonale.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ac49d9c7-bb8c-4b25-ae49-27bab5a4ec0a | Urteilskopf
107 II 417
66. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1981 i.S. Sulzer gegen Kies AG Frauenfeld (Berufung) | Regeste
Rechtsanwendung (
Art. 63 OG
), Vertragsauslegung nach den Umständen (
Art. 18 Abs. 1 OR
).
1. Ob ein vertraglicher oder ausservertraglicher Anspruch geltend gemacht wird, ist vom Richter aufgrund des behaupteten und nachgewiesenen Sachverhalts von Amtes wegen zu beurteilen (E. 4).
2. Nach dem Vertragsschluss eintretende Umstände ergeben nicht einen hypothetischen, sondern den wirklichen Parteiwillen, der als tatsächliche Feststellung der Überprüfung im Berufungsverfahren entzogen ist (E. 6). | Erwägungen
ab Seite 417
BGE 107 II 417 S. 417
Aus den Erwägungen:
4.
Das Obergericht hält fest, der Kläger habe in erster wie zunächst auch in zweiter Instanz seine Schadenersatzforderung primär aus Vertragsverletzung hergeleitet. Durch eine Äusserung in der zweitinstanzlichen Replik habe er aber diese Darstellung fallengelassen, weshalb sie nicht zu prüfen sei.
Der Kläger behauptet, die Vorinstanz habe jene Äusserung aus dem Zusammenhang gerissen; er habe damit keineswegs auf die von Anfang an geltend gemachte Vertragsverletzung verzichtet. Im Ausschluss einer Haftung aus Vertrag liege eine Verletzung von Bundesrecht, da er alle für die Beurteilung notwendigen Tatsachen vorgetragen habe. Das Obergericht übersehe, dass der Vertrag vom 10. Juni 1965 zusammen mit den behördlichen Bewilligungen und den gesetzlichen Vorschriften den rechtlichen und quantitativen Rahmen des Kiesausbeutungsrechts festlege.
BGE 107 II 417 S. 418
Es kann offen bleiben, ob die Vorinstanz in guten Treuen die einmalige Äusserung in der zweitinstanzlichen Replik als Verzicht auf die sonst durchwegs verfochtene Klagebegründung verstehen durfte. Ob der Kläger einen Anspruch aus Vertragsverletzung besitzt, ist nach Bundesrecht ausschliesslich davon abhängig, dass er die entsprechenden Tatsachen behauptet und nachgewiesen hat, auf die der kantonale Richter gleich wie das Bundesgericht die Rechtssätze von Amtes wegen anzuwenden hat (
BGE 99 II 76
,
BGE 97 II 71
,
BGE 91 II 65
). Die Berufung ist somit ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt zu behandeln.
6.
Das Bezirksgericht hatte eine Vertragsverletzung durch die Beklagte verneint, weil diese aufgrund des Vertrages mit dem Kläger berechtigt gewesen sei, das ganze Kies aus der Parzelle 301 auszubeuten. Es gelangte zu diesem Ergebnis durch Vertragsauslegung nach dem Vertrauensgrundsatz, wobei es die Übung in der Kiesausbeutung, den Zustand der Grube bei Vertragsschluss und das nachträgliche Verhalten der Parteien berücksichtigte. Das Obergericht ist dem in einer Eventualbegründung gefolgt und erklärt, das Verhalten des Klägers in den Jahren 1965 bis 1973 könne nur heissen, dass das Vorgehen der Beklagten der ursprünglichen Vertragsmeinung entsprach. Das widerspricht nach Ansicht des Klägers dem Grundsatz pacta sunt servanda.
Die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind mit der staatsrechtlichen Beschwerde ohne Erfolg angefochten worden. Wie an diese ist das Bundesgericht aber auf Berufung hin auch an die Feststellung des übereinstimmenden wirklichen Willens der Parteien gebunden (
BGE 99 II 285
,
BGE 96 II 333
). Anders verhält es sich, wo der massgebende Parteiwille nach dem Vertrauensprinzip ermittelt wird. Bezirks- und Obergericht haben den Vertrag nach den Umständen ausgelegt, unter denen er geschlossen wurde. Für eine Vertrauensauslegung sind Umstände mitzuberücksichtigen, die den Parteien bei Vertragsschluss bekannt oder erkennbar waren (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 195 zu
Art. 1 OR
; JÄGGI/GAUCH, N. 417 zu
Art. 18 OR
; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, S. 287). Später eintretende Umstände wie hier das nachträgliche Verhalten der Parteien lassen dagegen erkennen, wie sie selbst den Vertrag seinerzeit gemeint hatten (
BGE 100 II 348
; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 271 zu
Art. 1 OR
; JÄGGI/GAUCH, N. 359/360 zu
Art. 18 OR
; VON TUHR/PETER, a.a.O., S. 286). Das ergibt aber den wirklichen, nicht den hypothetischen Parteiwillen und ist deshalb eine tatsächliche Feststellung, die das Bundesgericht bindet. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac50ca27-b195-41fe-9346-1803835a2203 | Urteilskopf
106 V 112
26. Urteil vom 9. Juni 1980 i.S. A. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Thurgau | Regeste
Art. 67 Abs. 3 KUVG
.
Vollständige Unzurechnungsfähigkeit infolge Alkoholisierung (in casu verneint) und Tatbegehung aus selbstverschuldetem Notstand. | Sachverhalt
ab Seite 112
BGE 106 V 112 S. 112
A.-
Ahmet A. verbrachte am 26. April 1978 von 17 Uhr an den ganzen Abend im Restaurant Löwen in B. und nahm dort eine grössere Menge alkoholischer Getränke zu sich. Um etwa 02.30 Uhr begann er plötzlich zu randalieren und gegen die Anwesenden tätlich zu werden. Der Wirt erlitt dabei leichtere Verletzungen. Auf dessen Geheiss und auf entsprechenden Hinweis der telephonisch verständigten Polizei, man werde wohl selber für Ordnung sorgen können, schafften einige Wirtshausgäste den betrunkenen Ahmet A. ins Freie und brachten ihn auf die Wiese am gegenüberliegenden Strassenrand. Die Gäste kehrten ins Lokal zurück. Nach einigen Minuten erhob sich Ahmet A., rannte zum naheliegenden Postwohnblock und schlug dort mit den Händen und möglicherweise mit einem Fusstritt die Glastüre ein. Nach seinen Angaben zog er sich dabei hauptsächlich Schnittverletzungen am linken Handgelenk zu. Dann kehrte er zum Restaurant Löwen zurück und zerbrach dort mit dem linken Vorderarm und der Ellbogenpartie eine Fensterscheibe. Ob er sich dabei weitere Schnittverletzungen zuzog, weiss Ahmet A. nicht.
Mit Verfügung vom 21. Juli 1978 verneinte die
BGE 106 V 112 S. 113
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihre Leistungspflicht mit der Begründung, dass eine Vergehenshandlung vorliege.
B.-
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Thurgau am 22. März 1979 ab. Es erachtete den Tatbestand der Vergehenshandlung im Sinne von
Art. 67 Abs. 3 KUVG
als erfüllt und erkannte im weiteren, dass das Einschlagen des Türglases und der Fensterscheibe ein Wagnis bilde.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Ahmet A. beantragen, es sei die SUVA in Aufhebung der Verfügung vom 21. Juli 1978 und des Urteils des Versicherungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. März 1979 zu verpflichten, für den streitigen Unfall die gesetzlichen Leistungen zu erbringen, allenfalls gekürzt gemäss
Art. 98 Abs. 3 KUVG
. Die Begründung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachstehenden Erwägungen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gestützt auf die in
Art. 67 Abs. 3 KUVG
enthaltene Ermächtigung hat der SUVA-Verwaltungsrat mit Beschluss vom 31. Oktober 1967 unter anderm "Vergehenshandlungen" von der Versicherung ausgeschlossen. Darunter ist nach der Rechtsprechung jede mit Strafe bedrohte Handlung zu verstehen, insbesondere auch Übertretungen. Eine Vergehenshandlung liegt in der Regel nur dann vor, wenn der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (
Art. 18 StGB
). Der Ausschluss setzt also voraus, dass der Täter nicht voll urteilsunfähig war. Bei selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit sind die
Art. 12 und 263 StGB
anwendbar. Auch diese Tatbestände haben Ausschluss von der Versicherung der Nichtbetriebsunfälle zur Folge (EVGE 1966 S. 7, 1962 S. 273, 1961 S. 10; nicht veröffentlichte Urteile Imboden vom 1. Mai 1973, Ammann vom 22. Februar 1972, Minoggio vom 28. Oktober 1969, Mehr vom 5. Mai 1969 und Jallonardi vom 26. Juli 1968; vgl. auch
BGE 98 V 144
Erw. 4; MAURER, Recht und Praxis, 1963, S. 157).
2.
a) Gemäss
Art. 145 Abs. 1 StGB
wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer eine fremde Sache beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht. Der Beschwerdeführer
BGE 106 V 112 S. 114
hatte am fraglichen Abend die Glastüre des Postwohnblocks eingeschlagen. Damit erfüllte er den objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung. Unerheblich ist, dass kein Strafantrag gestellt wurde. Es fragt sich hingegen, ob Schuldausschliessungs- oder Rechtfertigungsgründe vorlagen.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird erwogen, dass der Beschwerdeführer in Anbetracht der Tatumstände vollständig unzurechnungsfähig gewesen sein müsse. Verantwortlich hiefür wird vor allem die Alkoholisierung gemacht. In der Tat ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Verlaufe des Abends vom 26. April 1978 erhebliche Mengen alkoholischer Getränke zu sich genommen hatte und daher um 02.30 Uhr betrunken war. Indes ist die Fähigkeit, das Unrecht einer strafbaren Handlung einzusehen und einsichtsgemäss zu handeln, auch bei stark Berauschten nur ganz selten vollständig aufgehoben. Das gilt insbesondere bei Delikten, die einfache Tathandlungen erfordern und einen so offensichtlichen Unrechtsgehalt zeigen (wie vorliegend das Einschlagen der Glastüre), dass ihn auch ein getrübtes Bewusstsein noch wahrnehmen kann. Der Beschwerdeführer hatte sich bis etwa 02.30 Uhr unauffällig verhalten. Unvermittelt begann er alsdann zu randalieren, war anschliessend aber vorerst wieder ruhig. Daraus ist zu schliessen, dass er in diesem Zeitpunkt noch ansprechbar war und seine Aggressionen zu beherrschen vermochte. Im weiteren ergibt sich aus den Akten, dass er sich an die späteren Ereignisse ziemlich gut erinnern konnte. Dass er trotz der Alkoholisierung, der Affekte und der Schmerzen in gewissem Umfang noch zielgerichtet denken und handeln konnte, geht aus seinem Verhalten nach dem Einschlagen der Glastüre beim Postwohnblock hervor, als er auf der Suche nach Hilfe für seine Verletzungen zum Restaurant zurückkehrte und wegen der verschlossenen Türe das Fenster einschlug. Angesichts dieser Tatumstände kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine vollständige Unzurechnungsfähigkeit angenommen werden. Gegen diese Feststellung nicht aufzukommen vermag die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretene Auffassung, die völlig unverständliche Handlungsweise des Beschwerdeführers lasse sich einzig durch vollständige Unzurechnungsfähigkeit plausibel erklären, es sei denn, er habe sich in einem Putativnotstand befunden. Abgesehen davon, dass bisweilen auch voll zurechnungsfähige Personen ganz unvernünftige Einzelhandlungen
BGE 106 V 112 S. 115
begehen, erscheint das Verhalten des Beschwerdeführers am fraglichen Abend nicht derart uneinfühlbar und abwegig, dass es als gewichtiges Indiz für vollständige Unzurechnungsfähigkeit gewertet werden müsste.
Als Motive für das Zerschlagen der Postblocktüre kommen aufgrund der Akten aufgestauter Arger wegen familiären und finanziellen Problemen sowie Wut über die Behandlungsweise durch die Wirtsleute und Wirtshausgäste in Frage. Ein Gast erwähnte, dass der Beschwerdeführer wegen der Serviertochter möglicherweise eifersüchtig gewesen sei. Er selber nennt Verlassenheit und Angstgefühle. Welcher dieser Affekte im Vordergrund stand, kann offen bleiben. Massgeblich ist, dass in keinem Fall, auch unter Berücksichtigung der Alkoholisierung, rechtsgenüglich auf einen die Zurechnungsfähigkeit vollständig aufhebenden psychischen Ausnahmezustand geschlossen werden kann. Ebenso wenig liegen hinreichende Anhaltspunkte für einen pathologischen Alkoholrausch vor.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird für den Fall, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Tat nicht vollständig unzurechnungsfähig gewesen sei, hinsichtlich der Beschädigung der Glastüre Putativnotstand geltend gemacht. Notstandshandlung im Sinne von
Art. 34 StGB
ist der sonst strafbare Eingriff in fremde Rechtsgüter, um eigene oder fremde Rechtsgüter aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu erretten. Die irrtümliche Annahme einer unmittelbaren Gefahr führt zum Putativnotstand. Diesfalls wird der Täter nach dem von ihm vorgestellten günstigeren Sachverhalt beurteilt (
Art. 19 Abs. 1 StGB
).
Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid zutreffend begründet, dass der Beschwerdeführer nach Massgabe der Akten die Glastüre am Postwohnblock nicht zufolge einer objektiv vorhandenen Gefahr für seine Person eingeschlagen hatte. Notstand lag somit nicht vor. Zum Putativnotstand wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeführt, was sich am fraglichen Abend wirklich abgespielt habe und was der subjektive Grund des Beschwerdeführers für sein Verhalten gewesen sei, lasse sich heute nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Man könne nur noch Annahmen treffen. Denkbar sei beispielsweise ohne weiteres, dass der Beschwerdeführer befürchtet habe, die Gäste kämen zurück, um ihn noch einmal zu schlagen. Derartige Erklärungsversuche vermögen jedoch angesichts der Aussagen
BGE 106 V 112 S. 116
des Beschwerdeführers nicht zu überzeugen. So gab der Beschwerdeführer am 28. Juni 1976 zu Protokoll, dass er nicht verfolgt worden sei. Er habe sich allein und verlassen gefühlt und Angst verspürt. Dass er sich bedroht wähnte, wird nicht behauptet. Es lässt sich daher nicht sagen, dass die Beschädigung an der Türe des Postwohnblocks aus der irrtümlichen Annahme einer unmittelbaren Gefahr heraus erfolgte. Putativnotstand lag somit aufgrund der Akten nicht vor.
b) Durch das Einschlagen des Fensters beim Restaurant Löwen hatte der Beschwerdeführer ein weiteres Mal den objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung gemäss
Art. 145 Abs. 1 StGB
erfüllt. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird diesbezüglich argumentiert, der Beschwerdeführer habe sich in einer tatsächlichen Notstandslage befunden, da er verletzt gewesen sei und auch ärztliche Hilfe gesucht habe. Es kann offen bleiben, ob diese Würdigung des Sachverhalts zutrifft. Denn selbst wenn es sich bei dieser Sachbeschädigung um eine Nottat gehandelt haben sollte, könnte der Richter den Beschwerdeführer nicht von Strafe freisprechen. Die dem Beschwerdeführer drohende Gefahr im Gefolge seiner Verletzungen ist nach Massgabe der vorstehenden Erwägungen fraglos selbstverschuldet, was nach
Art. 34 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
in Verbindung mit
Art. 66 StGB
lediglich zu einer Strafmilderung nach freiem Ermessen führt.
3.
Aus dem Gesagten folgt, dass der Beschwerdeführer den Tatbestand der Sachbeschädigung auch in subjektiver Hinsicht gesetzt hatte. Die allenfalls gegebene verminderte Zurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Tat und eine allfällige Notstandslage beim Einschlagen des Fensters beim Restaurant Löwen vermöchten lediglich eine Strafmilderung (
Art. 11 und
Art. 34 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
in Verbindung mit
Art. 66 StGB
) zu bewirken, nicht jedoch völlige Straffreiheit. Bei dieser Sachlage bleibt für die Anwendung von
Art. 263 StGB
(Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit) kein Raum. Es erübrigt sich auch die Prüfung weiterer Straftatbestände (Hausfriedensbruch und ungebührliches Verhalten in einem Wirtshaus) sowie des Wagnisses im Sinne von
Art. 67 Abs. 3 KUVG
.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ac523953-1276-4ce2-972e-7e87cbf8c99f | Urteilskopf
104 V 168
40. Auszug aus dem Urteil vom 4. August 1978 i.S. W. gegen Eidgenössische Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a und
Art. 3 MVG
.
Die Sekretäre der sanitarischen Untersuchungskommissionen sind nur während der Dauer der einzelnen Aushebung bzw. sanitarischen Musterung versichert. | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 104 V 168 S. 168
Aus dem Tatbestand:
A.-
W. arbeitet als Sekretär einer sanitarischen Untersuchungskommission, was ihn im Jahr während 8 bis 9 Monaten beansprucht. Vorher schon Patient der Militärversicherung, wurde er Ende 1971 wegen verschiedener Leiden bei der Militärversicherung
BGE 104 V 168 S. 169
angemeldet. Im Oktober 1972 erfolgte eine neue Anmeldung wegen einer beginnenden rechtsseitigen Pneumonie. Auf Grund umfangreicher Erhebungen wurde mit Verfügung der Militärversicherung vom 27. Januar 1975 die Bundeshaftung für die Rückenschädigung anerkannt, für die Lungenaffektion und Prostata-Hyperplasie, weil in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit als UC-Sekretär stehend, verneint.
B.-
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ist vom Versicherungsgericht des Kantons Bern am 21. März 1977 abgewiesen worden.
C.-
W. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei auch hinsichtlich der Lungenaffektion und der Prostata-Hyperplasie die Bundeshaftung der Militärversicherung festzustellen und diese zu den entsprechenden Leistungen zu verpflichten. Er stellt sich auf den Standpunkt, in der Weisung des Oberkriegskommissariates vom 1. März 1973 über die Entschädigungsansätze für die Rekrutenaushebung würden die UC-Sekretäre ohne jede Einschränkung als gegen Unfall und Krankheit versichert erklärt. Diese Zusicherung berechtige nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zur Annahme, als UC-Sekretär sei er tatsächlich gegen die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten und Unfall versichert. Zudem wäre der gesetzliche Versicherungsschutz gegen Krankheitsfolgen bei einem Arbeitsverhältnis wie demjenigen des UC-Sekretärs, wo Dienst und Urlaub rasch aufeinanderfolgen, fast völlig illusorisch, wenn man den Versicherungsschutz nur für die Dauer der dienstlichen Verrichtung anerkennen wollte. Darum müssten die UC-Sekretäre voll dem Schutz der Militärversicherung unterstellt sein, so dass die
Art. 4 und 5 MVG
zur Anwendung gelangten.
Die Militärversicherung beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a MVG ist gegen Krankheit und Unfall versichert, wer zufolge eines Aufgebotes oder seiner amtlichen Stellung an Aushebungen, pädagogischen Rekrutenprüfungen und sanitarischen Musterungen teilnimmt. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer zu dieser Versichertenkategorie gehört. Er meint aber, als UC-Sekretär, der "während
BGE 104 V 168 S. 170
drei Vierteln eines Jahres seine praktisch sämtlichen Arbeitstage dem Militär zur Verfügung stellt", sei er nicht nur gerade während der Ausübung seiner Funktionen (
Art. 3 Abs. 1 MVG
), sondern ohne jede zeitliche Einschränkung gegen Krankheit und Unfall versichert.
Das kantonale Versicherungsgericht weist darauf hin, dass bei den in
Art. 1 MVG
aufgezählten Personenkategorien unterschieden werden müsse zwischen zeitlich befristeten und zeitlich unbefristeten Verhältnissen. In die Kategorie der unbefristeten Verhältnisse gehörten beispielsweise die in
Art. 1 Abs. 1 Ziff. 8 MVG
erwähnten Angehörigen des Instruktionskorps, des Festungswachtkorps usw., die während der ganzen Dauer des Anstellungsverhältnisses, ohne Rücksicht auf einen allfälligen Zusammenhang zwischen Krankheit bzw. Unfall und Dienst, versichert seien. Dabei handle es sich um beruflich dienstleistende Personen, um Funktionäre des Bundes, die den gleichen Gefahren ausgesetzt seien wie die Angehörigen der Truppe und diesen darum richtigerweise versicherungsrechtlich gleichgestellt seien. Solche Voraussetzungen würden die UC-Sekretäre trotz ihrer jährlich etwa neunmonatigen Dienstzeit nicht erfüllen, weshalb sich ihre Gleichstellung mit den Funktionären des Bundes nicht rechtfertige. Dieser Argumentation ist umso mehr beizupflichten, als sie offensichtlich auch mit den Absichten des Gesetzgebers im Einklang steht, wie im folgenden darzutun ist.
Bis zu seiner Revision im Jahre 1963 unterschied das MVG zwischen Personen, die gegen Krankheit und Unfall, und solchen, die nur gegen Unfall versichert waren. Aus der Überlegung, dass keine Notwendigkeit bestehe, für Dienste, die in relativ kurzen Zeitabschnitten verrichtet werden, auch die Krankheitsversicherung einzuführen, wurden bei der Revision von 1949 in Art. 2 jene Personenkategorien aufgezählt, für welche die Versicherung nur gegen Unfall genügt (BBl 1947 III 106). Damit wurde die Unterscheidung beibehalten, die schon im früheren Gesetz ihren Niederschlag gefunden hatte. Zur Begründung dieser Lösung wies der Berichterstatter der nationalrätlichen Kommission darauf hin, dass es sich bei den gegen Krankheit und Unfall Versicherten um Angehörige der Armee handle, welche während längerer Zeit im Dienst stehen: "Hier ist es möglich, durch sanitarische Eintrittsuntersuchungen und durch ärztliche Überwachung eine Kontrolle zu haben. Der
BGE 104 V 168 S. 171
Zusammenhang einer Krankheit mit dem Dienst ist dadurch eher zu ermitteln als bei Dienstpflichtigen, welche nur einige Stunden oder nur kurze Zeit im Dienste stehen..."; bei diesen bloss kurzfristigen dienstlichen Verrichtungen wäre der Nachweis eines Zusammenhangs der Krankheit mit der betreffenden Tätigkeit in den meisten Fällen ganz ausgeschlossen (Sten. Bull. des Nationalrates 1948 S. 542). In der Folge stimmte das Parlament dem bundesrätlichen Entwurf zu Art. 2 Ziff. 2 zu, wonach nur gegen Unfall versichert ist, "wer zufolge eines Aufgebotes oder seiner amtlichen Stellung teilnimmt an a. Aushebungen, pädagogischen Rekrutenprüfungen und sanitarischen Musterungen..."
Bei der Revision des Militärversicherungsgesetzes im Jahre 1963 wurden dann die soeben erwähnten und die übrigen in Art. 2 aufgeführten Personenkategorien auch als gegen Krankheit versichert erklärt. Dazu führte der Bundesrat in seiner Botschaft aus (BBl 1963 I 847): "Diese Lösung dürfte nicht zum Missbrauch führen, denn je kürzer die versicherte Tätigkeit ist, desto leichter würden die der Verwaltung obliegenden Beweise zu erbringen sein (sichere Vordienstlichkeit der Geuundheitsschädigung. Ausschliessung jeder der versicherten Tätigkeit zuzuschreibenden Verschlimmerung); dagegen hätte es der Patient seinerseits mit dem Nachweis umso schwerer (mindestens wahrscheinlicher Zusammenhang der Gesundheitsschädigung mit Einflüssen während der Versicherungsdauer)." Man wollte also offensichtlich trotz Ausdehnung des sachlichen Geltungsbereiches am zeitlichen Geltungsbereich der Versicherung nichts ändern (vgl. dazu den Bericht der Expertenkommission für die Revision des MVG vom Dezember 1961 S. 27). National- und Ständerat stimmten dem vom Bundesrat vorgeschlagenen zusätzlichen Versicherungsschutz, wie er dann in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 des geltenden Gesetzes verankert worden ist, ohne Weiterungen zu.
Im Entwurf der Expertenkommission vom September 1976 zu einem neuen Militärversicherungsgesetz ist dieser Wortlaut ohne jegliche Weiterung übernommen worden, wie auch für den zeitlichen Geltungsbereich, so wie er im heutigen
Art. 3 Abs. 1 MVG
umschrieben ist, keine Änderung vorgeschlagen wird.
Die historische Entwicklung des persönlichen und zeitlichen Geltungsbereiches zeigt, dass der Gesetzgeber schon im MVG
BGE 104 V 168 S. 172
von 1949 und wiederum in der Novelle von 1963 zwischen den an Aushebungen und sanitarischen Musterungen teilnehmenden Funktionären einerseits und den im eigentlichen Dienstverhältnis mit dem Bund stehenden Funktionären klar differenzieren wollte. Aus den obigen Darlegungen ergibt sich ferner, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausdehnung des sachlichen Geltungsbereiches auf Krankheiten im Jahre 1963 bewusst war, dass es für den an Aushebungen und sanitarischen Musterungen teilnehmenden Funktionär problematisch sein würde, den Zusammenhang einer Krankheit mit den Einflüssen während der Dauer der einzelnen Verrichtung nachzuweisen. Wenn er trotzdem den Geltungsbereich der Versicherung für die an Aushebungen und sanitarischen Musterungen teilnehmenden Funktionäre nicht auf die zwischen den einzelnen Verrichtungen liegenden Zeiten ausgedehnt hat, so darf auch der Richter die gesetzliche Ordnung nicht im Sinne des Postulats des Beschwerdeführers ergänzen. An dieser Ordnung vermögen auch die Weisungen des Oberkriegskommissariates über die Entschädigungsansätze für die Rekrutenaushebung nichts zu ändern. Übrigens wird in Ziff. 15 dieser Weisungen lediglich der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a MVG Wiedergegeben, mit der zusätzlichen Erklärung, dass diese Bestimmung auch für die im Taggeld an Rekrutenaushebungen teilnehmenden Funktionäre gelte. Von einer Verletzung des Vertrauensprinzips kann unter diesen Umständen keine Rede sein.
2.
Somit würde sich nun die Frage stellen, ob die Haftung der Militärversicherung für die Folgen der Prostata-Hyperplasie und der Lungenaffektion nach den Grundsätzen der Art. 4 bis 6 MVG gegeben ist. Wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, ist dies zu verneinen. Der kantonale Richter legt zutreffend dar, dass zwischen dienstlicher Verrichtung als UC-Sekretär und Prostata-Hyperplasie kein Zusammenhang besteht und dass die Lungenaffektion sicher vordienstlich und nicht durch dienstliche Einflüsse verschlimmert worden ist. Der Argumentation im angefochtenen Entscheid ist daher auch in diesen Punkten beizupflichten. Mit Recht wird sie vom Beschwerdeführer mit keinem Wort angefochten. Dieser begründet seinen Standpunkt denn auch ausschliesslich damit, dass die Militärversicherung für die genannten beiden Gesundheitsschädigungen deshalb hafte, weil er zwischen den einzelnen dienstlichen Verrichtungen als UC-Sekretär ebenfalls versichert sei. Dies trifft aber, wie in Erwägung 1 dargetan, nicht zu.
BGE 104 V 168 S. 173
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ac536042-6d9b-40d8-b221-47945714b4f8 | Urteilskopf
138 III 558
82. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. Versicherung AG gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_184/2012 vom 18. September 2012 | Regeste
Art. 92 BGG
,
Art. 7, 197 und 198 lit. f ZPO
; Zwischenentscheid über die funktionelle Zuständigkeit; Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung; Schlichtungsverfahren.
Bei Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung, für welche die Kantone eine einzige kantonale Instanz nach
Art. 7 ZPO
bezeichnet haben, ist kein vorgängiges Schlichtungsverfahren durchzuführen (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 559
BGE 138 III 558 S. 559
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Gegen selbstständig eröffnete Zwischenentscheide über die Zuständigkeit ist gemäss
Art. 92 Abs. 1 BGG
die Beschwerde zulässig; diese können später nicht mehr angefochten werden (
Art. 92 Abs. 2 BGG
). Diese Bestimmung beruht auf Gründen der Verfahrensökonomie, da es sich um Fragen handelt, die unmittelbar entschieden werden müssen, ohne den Ausgang der Hauptsache abzuwarten. Anfechtbar sind Entscheide, welche sich auf die örtliche, sachliche oder auch auf die funktionelle Zuständigkeit beziehen (
BGE 133 IV 288
E. 2.1 S. 290). Die funktionelle Zuständigkeit betrifft die Aufteilung der Rechtspflegeinstanzen in ein und demselben Rechtsstreit auf verschiedene Organe; der Zuständigkeitsbegriff umfasst insofern alle bundesrechtlichen Verfahrensbestimmungen, welche die Zulässigkeit eines Rechtsweges oder die Zuständigkeit eines Rechtspflegeorgans zum Gegenstand haben (
BGE 123 III 67
E. 1a S. 68 f.).
Mit dem Entscheid, auf die Klage einzutreten, hat die Vorinstanz ihre funktionelle Zuständigkeit bejaht und damit endgültig entschieden, dass kein vorgängiges Schlichtungsverfahren vor einer Schlichtungsbehörde durchzuführen sei. Der angefochtene Entscheid stellt einen nach
Art. 92 BGG
anfechtbaren Zwischenentscheid dar.
(...)
2.
Die Vorinstanz erwog, dass bei Verfahren betreffend Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung - wozu auch Streitigkeiten aus Krankentaggeldversicherungen nach VVG (SR 221.229.1) gehören - vor der Klageeinleitung beim Sozialversicherungsgericht als einzige kantonale Instanz im Sinne von
Art. 7 ZPO
(SR 272) kein vorgängiges Schlichtungsverfahren durchzuführen sei. Sie begründete dies damit, dass bei Streitigkeiten nach VVG das bisherige (kantonale) Verfahren beibehalten werde, welches keine Schlichtung vorsehe und eine solche überdies auch bei direkter Anwendbarkeit der ZPO entfallen würde.
Die Beschwerdeführerin macht in verschiedener Hinsicht eine Bundesrechtsverletzung geltend und bringt vor, dass sich das Verfahren, auch wenn das kantonale Recht eine einzige Instanz im Sinne von
Art. 7 ZPO
vorsehe, ausschliesslich nach den Bestimmungen der ZPO richte.
Art. 7 ZPO
sei im Ausnahmekatalog von
Art. 198 ZPO
nicht erfasst, womit es dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers entspreche, eine vorgängige Schlichtung durchzuführen.
BGE 138 III 558 S. 560
3.
3.1
Gemäss
Art. 7 ZPO
können die Kantone ein Gericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) zuständig ist.
Vor Inkrafttreten der ZPO bestand keine bundesrechtliche Regelung der sachlichen Zuständigkeit für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche aus Zusatzversicherungen. Die Kantone konnten gestützt auf ihre Organisationshoheit entweder die Zivil- oder die Versicherungsgerichte für die Beurteilung dieser Ansprüche für zuständig erklären. Die bundesrätliche Botschaft schlug im Zusammenhang mit einem hängigen parlamentarischen Vorstoss vor, den Kantonen diese Organisationsfreiheit auch weiterhin zu belassen, da ihnen gemäss
Art. 4 ZPO
die Regelung der sachlichen Zuständigkeit obliege (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7221 ff., insb. 7247 f. Ziff. 3.4.3).
Den Kantonen wurde folglich mit
Art. 7 ZPO
mit Bezug auf die Zuständigkeit der Gerichte erlaubt, ihr bisheriges System beizubehalten, und zwar unabhängig davon, ob sie die Streitigkeiten aus den Zusatzversicherungen den Zivilgerichten oder den kantonalen Versicherungsgerichten zugewiesen haben (
BGE 138 III 2
E. 1.2.2 S. 5 mit Hinweisen; vgl. auch HAAS/SCHLUMPF, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 3 zu
Art. 7 ZPO
; THEODOR HÄRTSCH, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 2 zu
Art. 7 ZPO
; DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 10 zu
Art. 7 ZPO
; HANS-JAKOB MOSIMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], Kommentar, 2011, N. 9 zu
Art. 7 ZPO
). Es ist somit dem kantonalen Gesetzgeber überlassen, zu entscheiden, welche Gerichtsinstanz, allenfalls als einzige kantonale Instanz, diese Streitigkeiten beurteilen soll.
3.2
Daran ändert jedoch nichts, dass der betreffende Anspruch aus der Zusatzversicherung - gleichgültig welche Gerichtsinstanz darüber entscheidet - ein zivilrechtlicher bleibt. Dies entspricht der konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung privatrechtlicher Natur sind (
BGE 133 III 439
E. 2.1 S. 442 mit Hinweisen).
BGE 138 III 558 S. 561
Nach
Art. 1 lit. a ZPO
unterliegen streitige Zivilsachen dem Geltungsbereich der ZPO. Dies hat zur Folge, dass die ZPO für Streitigkeiten aus der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung (auch vor den Versicherungsgerichten) die massgebliche Verfahrensordnung bildet (RÜETSCHI, a.a.O., N. 15 zu
Art. 7 ZPO
; HÄRTSCH, a.a.O., N. 7 zu
Art. 7 ZPO
; DOMINIK VOCK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 3 zu
Art. 7 ZPO
; gegenteilige Meinung vgl. UELI SPITZ, Eidgenössische ZPO und Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung, Jusletter vom 20. Dezember 2010 Rz. 14 ff.).
Diese Ansicht wird mit Blick in die vertraulichen Dokumente der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates im Zusammenhang mit der Ausarbeitung von
Art. 7 ZPO
(vormals Art. 6a) bestätigt. Der Rechtskommission standen drei Modelle zur Verfügung, wie die ZPO angepasst werden könnte bzw. wie die Streitigkeiten aus sozialer Krankenversicherung und aus Zusatzversicherung verfahrensmässig zu koordinieren sind. Diese Modelle unterschieden sich insbesondere bezüglich der Zuständigkeit der Gerichte und der anwendbaren Verfahrensordnung. Das zweite Modell, welches in der Folge von der Rechtskommission des National- und Ständerates angenommen wurde, sah ausdrücklich vor, dass die Kantone zur Beurteilung von Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen eine einzige Instanz vorsehen können, die aber je nach Anspruch zwei verschiedene Verfahrensordnungen anwenden muss; Streitigkeiten aus der Grundversicherung bleiben dem ATSG (Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [SR 830.1]) unterstellt, jene aus der Zusatzversicherung werden nach der ZPO beurteilt. Es stellt sich daher die Frage, ob ein Schlichtungsversuch nach
Art. 197 ZPO
für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung erforderlich ist, obwohl das entsprechende Verfahren dem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren sehr ähnlich ist (vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7221 ff., insb. 7248 Ziff. 3.4.3).
4.
Grundsätzlich geht jedem Entscheidverfahren ein Schlichtungsverfahren vor einer Schlichtungsbehörde voraus (
Art. 197 ZPO
). Die ZPO sieht jedoch in Art. 198 zahlreiche Ausnahmen vor, bei welchen ein Schlichtungsverfahren entfällt und demnach das Verfahren direkt beim zuständigen Gericht einzuleiten ist. So entfällt das Schlichtungsverfahren gemäss
Art. 198 lit. f ZPO
bei Streitigkeiten, für die nach
Art. 5 und 6 ZPO
eine einzige kantonale Instanz zuständig ist.
Art. 7 ZPO
, welcher neben
Art. 5 und 6 ZPO
ebenfalls eine
BGE 138 III 558 S. 562
einzige kantonale Instanz vorsieht, wird im Ausnahmekatalog von
Art. 198 ZPO
jedoch nicht aufgeführt.
4.1
Nach der Rechtsprechung darf die Auslegung vom klaren Wortlaut eines Rechtssatzes nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche triftigen Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben. Entscheidend ist danach nicht der vordergründig klare Wortlaut einer Norm, sondern der wahre Rechtssinn, welcher durch die anerkannten Regeln der Auslegung zu ermitteln ist (
BGE 131 II 217
E. 2.3 S. 221 f.; vgl. auch
BGE 135 II 195
E. 6.2 S. 198 f.; je mit Hinweisen). Aus der Entstehungsgeschichte einer Norm können sich derart triftige Gründe namentlich dann ergeben, wenn sich erweist, dass der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht behandelt, sondern übersehen hat (vgl. analog zur Lückenfüllung
BGE 135 III 385
E. 2.1 S. 386).
4.2
In der Lehre sind die Meinungen geteilt, ob bei Streitigkeiten nach
Art. 7 ZPO
ein vorgängiges Schlichtungsverfahren durchzuführen ist. Ein Teil der Autoren vertritt meist ohne Begründung die Meinung, es folge
e contrario
aus
Art. 198 lit. f ZPO
, dass für Verfahren nach
Art. 7 ZPO
zwingend ein Schlichtungsverfahren durchzuführen sei, unabhängig davon, ob die Zivil- oder die Versicherungsgerichte für die Beurteilung der privatrechtlichen Streitsache sachlich zuständig seien (RÜETSCHI, a.a.O., N. 16 zu
Art. 7 ZPO
; MARTIN FREY, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie[Hrsg.], 2010, N. 9 zu
Art. 198 ZPO
; FRANÇOIS BOHNET, in: Code de procédure civile commenté, Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 23 zu
Art. 198 ZPO
; FRANÇOIS CHAIX, La procédure ordinaire, in: Le Code de procédure civile, Aspects choisis, 2011, S. 68 Fn. 9). Andere Autoren erachten den Ausnahmekatalog von
Art. 198 ZPO
als
abschliessend
, ohne jedoch ausdrücklich auf die Problematik von
Art. 7 ZPO
einzugehen (GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kurzkommentar, 2010, N. 1 zu
Art. 198 ZPO
; DOMINIK INFANGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 1 zu
Art. 198 ZPO
; GLOOR/UMBRICHT LUKAS, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 1 zu
Art. 198 ZPO
). Demgegenüber vertritt UELI SPITZ mit eingehender Begründung die Meinung, es sei ein offensichtliches Versehen, dass Art. 7 in
Art. 198 lit. f ZPO
nicht an gleicher Stelle wie
Art. 5 und 6 ZPO
aufgeführt sei; ein
BGE 138 III 558 S. 563
vorgängiges Schlichtungsverfahren habe auch bei Streitigkeiten nach
Art. 7 ZPO
zu entfallen (UELI SPITZ, a.a.O., Rz. 20).
4.3
Der Entwurf des Bundesrates zur ZPO sah in Art. 195 lit. f vor, dass Streitigkeiten, die das einzige kantonale Gericht im Sinne von Art. 5 E-ZPO zu beurteilen hat, vom Grundsatz einer vorgängigen Schlichtung ausgenommen seien, da das notwendige Fachwissen bei einer nichtspezialisierten Schlichtungsbehörde nicht vorausgesetzt werden könne. Demgegenüber sah der Entwurf jedoch ausdrücklich vor, dass bei handelsrechtlichen und prorogierten Streitigkeiten im Sinne von Art. 6 und 7 E-ZPO (heute
Art. 6 und 8 ZPO
) ein Schlichtungsversuch vorauszugehen habe (Botschaft ZPO, BBl 2006 7221 ff., insb. 7329).
In der parlamentarischen Beratung des Ständerats vom 14. Juni 2007 wurde alsdann beantragt, auch die handelsrechtlichen Streitigkeiten nach Art. 6 E-ZPO von einem vorgängigen Schlichtungsverfahren auszunehmen, da auch diese - wie die Streitigkeiten nach Art. 5 E-ZPO - einerseits ein Spezialwissen erfordern und andererseits gegebenenfalls nur durch eine kantonale Instanz zu entscheiden seien (AB 2007 S 519). In der Folge wurde die Anpassung von Art. 197 lit. f (damals Art. 195 lit. f) auch vom Nationalrat beschlossen. Es wurde ausgeführt, dass eine unterschiedliche Behandlung von Art. 5 und 6 kaum gerechtfertigt sei. Bei diesen Streitigkeiten sei es sinnvoll, wenn direkt der urteilende Fachrichter und nicht zuerst noch ein Friedensrichter einen Vergleichsvorschlag im Rahmen eines Schlichtungsversuches unterbreite, da das notwendige Fachwissen von einer nichtspezialisierten Schlichtungsbehörde nicht vorausgesetzt werden könne (AB 2008 N 947 ff.).
4.4
Eine Diskussion über die Aufnahme von
Art. 7 ZPO
in den Ausnahmekatalog von
Art. 198 ZPO
fand im Parlament jedoch nicht statt. Dies hat daran gelegen, dass zum damaligen Zeitpunkt der heutige
Art. 7 ZPO
im Entwurf noch gar nicht enthalten war, sondern erst anlässlich der ständerätlichen Beratung vom 14. Juni 2007 angeregt wurde (AB 2007 S 500 f.). In der Folge hat die Rechtskommission des Nationalrates einen neuen
Art. 7 ZPO
(damals
Art. 6a ZPO
) vorgeschlagen, welcher sodann diskussionslos ins Gesetz aufgenommen wurde (AB 2008 N 644; AB 2008 S 725). Es wurde dabei offenbar übersehen, dass die Argumente, welche zur Aufnahme der handelsrechtlichen Streitigkeiten nach
Art. 6 ZPO
in den Ausnahmekatalog von
Art. 198 ZPO
geführt haben, auch für den inzwischen neu eingeführten
Art. 7 ZPO
gesprochen hätten.
BGE 138 III 558 S. 564
Es liegen damit keine Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vor.
4.5
Es ist nicht ersichtlich, weshalb für die von den Kantonen als einzige Instanz eingesetzten (Sozial-)Versicherungsgerichte nicht die gleiche Ausnahmeregelung in Bezug auf ein vorgängiges Schlichtungsverfahren gelten sollte wie für
Art. 5 und 6 ZPO
. Bei Streitigkeiten betreffend Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung handelt es sich ebenfalls um eine Spezialmaterie, die ein besonderes Fachwissen erfordert. Ein solches kann von einer nichtspezialisierten Schlichtungsbehörde nicht vorausgesetzt werden, was eine unterschiedliche Behandlung von
Art. 5, 6 und 7 ZPO
nicht rechtfertigt. Überdies widerspricht ein vorgängiges Schlichtungsverfahren für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen vor einer einzigen kantonalen Instanz dem Willen des Gesetzgebers, die Verfahren für die Zusatzversicherung und die Verfahren für die Grundversicherung zu koordinieren, was für den Erlass von
Art. 7 ZPO
ausschlaggebend war (vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7221 ff., insb. 7247 f. Ziff. 3.4.3). Hinzu kommt, dass der Schlichtungsbehörde nach
Art. 212 ZPO
bis zu einem Streitwert von Fr. 2'000.- selbstständige Entscheidkompetenz zukommt, womit für geringfügige Streitigkeiten ein doppelter kantonaler Instanzenzug gegeben wäre (
Art. 319 ff. ZPO
), was Sinn und Zweck von
Art. 7 ZPO
widerspricht.
Daraus folgt, dass es ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers war,
Art. 7 ZPO
nicht gleich wie
Art. 5 und 6 ZPO
in
Art. 198 lit. f ZPO
zu erwähnen.
4.6
Somit ergibt sich, dass auch für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung, für welche die Kantone eine einzige kantonale Instanz nach
Art. 7 ZPO
bezeichnet haben, kein vorgängiges Schlichtungsverfahren durchzuführen ist, und die Klage demnach direkt beim Gericht anhängig gemacht werden kann. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac56cdf3-1da9-4b56-9b8a-0db47fd2491e | Urteilskopf
103 IV 275
76. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1977 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau | Regeste
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
.
Begriff des leichten Falles. | Sachverhalt
ab Seite 275
BGE 103 IV 275 S. 275
A.-
Der am 27. Mai 1975 zum Massnahmevollzug gemäss
Art. 44 StGB
in die Klinik für Suchtkranke im Hasel in Gontenschwil eingewiesene F. injizierte sich am 22. Juni 1975 einen "Schuss" eines ihm durch seine Ehefrau beschafften Morphium-Heroin-Gemisches.
B.-
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach F. deswegen am 17. Mai 1977 der Widerhandlung gegen
Art. 19a Ziff. 1 BetmG
schuldig und verurteilte ihn zu einer Woche Haft und zu Fr. 100.-- Busse.
C.-
F. führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben und die Sache zurückzuweisen, damit dieses unter Annahme eines leichten Falles im Sinne von
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
von Strafe, eventuell gemäss
Art. 19a Ziff. 3 BetmG
von einer Strafverfolgung absehe.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichtet auf die Einreichung von Gegenbemerkungen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Begriff des leichten Falles gemäss
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
unrichtig ausgelegt und ferner bei dessen Anwendung das ihr zustehende Ermessen verletzt, wenn sie das Vorliegen
BGE 103 IV 275 S. 276
eines solchen allein deshalb verneine, weil er wegen Betäubungsmittelmissbrauchs und anderer damit in Zusammenhang stehender Delikte mehrfach vorbestraft sei und sich im Massnahmevollzug gemäss
Art. 44 StGB
befunden habe, als sich der zu beurteilende einmalige Rückfall in den Drogenkonsum ereignete.
a) Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, aus der Entstehungsgeschichte von
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
folge, dass in objektiver Hinsicht die beiden von der Vorinstanz angeführten Umstände nicht genügten, um die Annahme eines leichten Falles auszuschliessen. Während nach dem bundesrätlichen Entwurf eine Verwarnung nur zulässig gewesen sei, sofern der Täter vorher noch nie wegen einer Widerhandlung gegen das BetmG verwarnt oder verurteilt wurde, habe sich schliesslich der weitergehende nationalrätliche Kommissionsentwurf durchgesetzt, der für leichte Fälle die Möglichkeit gebe, das Verfahren einzustellen oder von einer Strafe abzusehen. Daraus dürfe gefolgert werden, dass auch bei Rückfällen in den Konsum, sofern sie sich nur in bescheidenem Rahmen hielten und insbesondere keine Folgekriminalität damit verbunden sei, die Annahme eines leichten Falles nicht ausgeschlossen werde, sondern geradezu geboten sein könne.
Ob bei unbefugtem vorsätzlichen Betäubungsmittelkonsum das Verfahren eingestellt, von einer Strafe abgesehen oder verwarnt werden kann, entscheidet sich nach der Gesetz gewordenen Fassung von Art. 19a Ziff. 2 der nationalrätlichen Kommission danach, ob ein leichter Fall vorliegt. Wann ein Fall als leicht in diesem Sinne zu betrachten ist, kann weder dem Gesetz entnommen noch anhand der ihm vorausgegangenen Beratungen ausgemacht werden. Auf eine nähere Eingrenzung ist anlässlich derselben vielmehr bewusst verzichtet worden, um im Interesse einer sachgerechten und persönlichkeitsangemessenen Beurteilung der zuständigen Behörde im Konkreten Fall einen möglichst weiten Spielraum des Ermessens zu belassen (vgl. Sten.Bull. NR 84 S. 1454, Votum Nationalrat Schmidt, Berichterstatter; Sten.Bull. SR 84 S. 597/98, Votum Ständerat Dillier, Berichterstatter). Aus dem Gang der Beratungen der nationalrätlichen Kommission ergibt sich einzig dass der Rückfall in den Drogenkonsum unter der Herrschaft von
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
nicht, wie es nach dem bundesrätlichen Entwurf der Fall gewesen wäre, notwendig zur Bestrafung
BGE 103 IV 275 S. 277
führen muss. Die Entstehungsgeschichte liefert demgegenüber aber keine Anhaltspunkte für die weitergehende Annahme des Beschwerdeführers, die Tatsache eines Rückfalles genüge generell nicht zur Verneinung eines leichten Falles. Er zeigt auch keine solchen auf. Selbst wenn eine vorausgegangene Verwarnung oder Verurteilung der Möglichkeit zur Verfahrenseinstellung, Strafbefreiung oder Verwarnung nicht mehr notwendigerweise entgegensteht, so folgt daraus keineswegs, bei Rückfall liege regelmässig ein leichter Fall vor, die Tatsache des Rückfalls allein vermöge einen Fall also nicht zu einem nicht mehr leichten zu machen. Es kann vielmehr durchaus sein, dass gerade der Rückfälligkeit eines Betäubungsmittelkonsumenten wegen ein Fall als nicht mehr leicht erscheint, der ohne diesen Rückfall noch als leicht hätte gelten können. Das dürfte insbesondere dann zutreffen, wenn jemand ungeachtet früherer Verurteilungen immer wieder neu in den Drogenkonsum verfällt.
b) Der Beschwerdeführer wendet sodann ein, aus der bei den Beratungen des revidierten BetmG erkennbar zum Ausdruck gekommenen Tendenz, Drogenabhängige nicht in erster Linie der Bestrafung zuzuführen, sondern sie zu betreuen und wieder in die menschliche Gemeinschaft einzugliedern, ergebe sich, dass bei Ausfällung einer Strafe gemäss
Art. 19a Ziff. 1 BetmG
gegenüber der Anwendung von Ziff. 2 bis 4 das "ultima ratio Prinzip" zu gelten habe. Erst sofern unter Berücksichtigung therapeutischer und sozial-präventiver Momente zur Behebung der Drogensucht oder -krankheit eine der in Ziff. 2 bis 4 vorgesehenen Massnahmen nicht angebracht erscheine, sei eine Strafe auszufällen. Die im aufgezeigten Sinne vorgenommene Grundwertung habe zudem vorrangig in die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes des leichten Falles einzufliessen.
Der Beschwerdeführer verkennt, dass im Verhältnis von Art. 19a Ziff. 1 zu Ziff. 2 BetmG Ziff. 1 die Grundsatz- und Ziff. 2 die Ausnahmebestimmung ist. Der vorsätzliche unbefugte Konsum von Betäubungsmitteln bleibt auch nach der Revision des BetmG prinzipiell strafbar, weil die Freigabe des Drogenkonsums eine verheerende Auswirkung haben müsste (Sten.Bull. NR 84 S. 1417, Votum Nationalrat Welter, Berichterstatter), und führt gemäss Ziff. 2 auch ohne Einschränkung zu einer Bestrafung des Täters, sofern nicht ein leichter Fall
BGE 103 IV 275 S. 278
vorliegt und deshalb von Gesetzes wegen die Möglichkeit zur Verfahrenseinstellung, Strafbefreiung oder Verwarnung besteht. Ob ein leichter Fall vorliegt, beurteilt sich weder unter Berücksichtigung therapeutischer und sozial-präventiver Momente - sie gaben zur Vorschrift des
Art. 19a Ziff. 3 BetmG
Anlass - noch danach, ob "eine der in Ziff. 2 bis 4 vorgesehenen Massnahmen nicht angebracht erscheint", sondern einzig auf Grund der gesamten Umstände des konkreten Falles. Die in den Beratungen zur Revision des BetmG vorherrschende Meinung, dem Drogenproblem sei mit der Bestrafung der Konsumenten nicht beizukommen, viel wichtiger sei deren Betreuung und Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft (Sten.Bull. NR 84 S. 1417. Votum Nationalrat Welter, Berichterstatter), Drogenabhängige seien nicht in erster Linie einer Strafe, sondern fürsorgerischer Betreuung und ärztlicher Behandlung zuzuführen (Sten.Bull. NR 84 S. 1454, Votum Nationalrat Welter, Berichterstatter), vermag an der in
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
getroffenen klaren Regelung, es könne nur das Verfahren eingestellt oder von Strafe abgesehen oder verwarnt werden, wenn ein leichter Fall vorliege, nichts zu ändern. Ein Grundsatz des Inhaltes, es dürfe erst nach erfolgloser Ausschöpfung aller übrigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, also gleichsam als ultima ratio gestraft werden, hat in diese vom Beschwerdeführer als durch den angefochtenen Entscheid verletzt betrachtete Bestimmung keinen Eingang gefunden.
c) Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, der beschränkte einmalige Rückfall in den Drogenkonsum während des Massnahmevollzuges stelle trotz einschlägiger Vorstrafen objektiv und, da sein Verschulden angesichts der schweren Opiatsucht, wie sie der vorgelegte ärztliche Bericht bescheinige, nur als geringfügig erscheine, auch subjektiv noch einen leichten Fall dar. In Berücksichtigung seiner momentanen Situation erscheine eine Bestrafung aus therapeutischen und sozial-präventiven Gründen geradezu als kontraindiziert.
Ob ein leichter Fall vorliegt, entscheidet sich nach der Gesamtheit der objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles (
BGE 101 IV 13
E. 1;
98 IV 249
). Weil der Rechtsbegriff des leichten Falles ein unbestimmter ist, lässt seine Anwendung im konkreten Fall dem Sachrichter einen Spielraum, der sich von der Betätigung des Ermessens nicht
BGE 103 IV 275 S. 279
scharf trennen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung legt sich der Kassationshof daher bei der Überprüfung solcher Entscheide eine gewisse Zurückhaltung auf (
BGE 101 IV 13
E. 1 mit Verweisen). Etwas anderes ergibt sich auch aus dem vom Beschwerdeführer angerufenen Entscheid (
BGE 100 Ib 386
) nicht, wo festgestellt wird, das Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffes räume der Verwaltung bei der Gesetzesauslegung keinen die Kognition des Richters einengenden Beurteilungsspielraum ein, der Richter sei vielmehr in der Beurteilung der Rechtsfrage frei, ob ein bestimmter Sachverhalt als diesem unbestimmten Rechtsbegriff entsprechend zu werten sei; denn darüber, wie es in dieser Hinsicht zu halten sei, wenn der Kassationshof ein Urteil des kantonalen Sachrichters im Wege der Nichtigkeitsbeschwerde auf eine Bundesrechtsverletzung zu prüfen hat, ist diesem Entscheid nichts zu entnehmen.
Die Vorinstanz hat den ihr bei der Wertung, ob der zu beurteilende Betäubungsmittelkonsum des Beschwerdeführers noch als leichter Fall im Sinne von
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
betrachtet werden könne, zustehenden Spielraum nicht überschritten, wenn sie dies in Würdigung der gesamten Umstände verneinte. Der Beschwerdeführer ist sowohl wegen Vermögensdelikten, Delikten gegen die Freiheit, wie auch wegen Widerhandlung gegen das BetmG mehrfach vorbestraft. Er liess sich selbst durch drei Entziehungskuren jeweils nicht davon abhalten, wiederum Drogen zu konsumieren. Anlässlich seiner letzten Verurteilung vom 24 April 1975 wurde er unter Aufschub des Strafvollzuges in eine Anstalt für Rauschgiftsüchtige eingewiesen. Als seine Ehefrau ihn dort am 27. Mai 1975 besuchte, forderte er sie auf, ihm Betäubungsmittel zu verschaffen. Aus einem ihm von dieser später überbrachten Morphium-Heroingemisch injizierte er sich in der Folge einen "Schuss". Dieser Betäubungsmittelkonsum ist nach alldem, was vorausging, jedenfalls in objektiver Hinsicht nicht mehr leicht zu nehmen. In subjektiver Hinsicht hätte von dem im Massnahmevollzug befindlichen, zurechnungsfähigen Beschwerdeführer erwartet werden müssen, dass nicht wiederum er selber ausschliesslich die Ursache zu weiterem Drogenkonsum setze. Insofern konnte seine Verfehlung auch subjektiv als nicht mehr leicht betrachtet werden.
Ob eine Bestrafung des Beschwerdeführers in Berücksichtigung seiner gegenwärtigen Situation aus therapeutischen und
BGE 103 IV 275 S. 280
sozial-präventiven Gründen geradezu als kontraindiziert erscheint, ist, wenn kein leichter Fall vorliegt, im Rahmen von
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
belanglos. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ac5f062d-0174-489a-8cd3-5c0bc1a652a6 | Urteilskopf
107 II 13
3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Februar 1981 i.S. P. gegen P. (Berufung) | Regeste
Ergänzung eines ausländischen Scheidungsurteils, das sich über die Nebenfolgen der Scheidung nicht ausspricht; internationale Zuständigkeit.
Die schweizerischen Gerichte sind nicht zuständig, die Ergänzungsklage betreffend die Nebenfolgen einer im Ausland zwischen ausländischen Staatsangehörigen ausgesprochenen Scheidung zu beurteilen, wenn im Scheidungsstaat ein Gerichtsstand für eine solche Klage zur Verfügung steht. | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 107 II 13 S. 14
A.-
Mit Urteil vom 27. November 1970 schied das Landesgericht Innsbruck aus Verschulden des Ehemannes und in dessen Abwesenheit die im Jahre 1959 von den österreichischen Staatsangehörigen Gottfried P. und Gerda B. eingegangene Ehe. Das Oberlandesgericht Innsbruck wies am 24. Juni 1971 eine Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil ab. Aus der Ehe waren die Kinder Christian, geboren 1959, Lydia geboren 1962, und Monika, geboren 1964, hervorgegangen. Im Scheidungsurteil wurde jedoch eine Regelung der Nebenfolgen der Scheidung nicht vorgenommen, und zwar weder mit Bezug auf die Kinderzuteilung und die Kinderalimente noch hinsichtlich allfälliger Unterhaltsansprüche der Ehefrau oder der güterrechtlichen Auseinandersetzung.
B.-
Am 25 Juni 1979 reichte die in Innsbruck wohnhafte Gerda P. beim Bezirksgericht Meilen gegen ihren in Stäfa wohnhaften geschiedenen Mann eine Klage auf Ergänzung bzw. Abänderung des Scheidungsurteils des Landesgerichts Innsbruck vom 27. November 1970 ein, mit welcher sie für sich selber und für die Tochter Monika eine angemessene monatliche Unterhaltsrente beanspruchte. Anlässlich der Hauptverhandlung vom 6. September 1979 zog sie das Begehren betreffend den Unterhaltsbeitrag zugunsten der Tochter Monika zurück, weil das Bezirksgericht Innsbruck mit Urteil vom 12. August 1976 bereits einen solchen Beitrag in der Höhe von 1'200 Schilling zugesprochen habe.
Mit Beschluss vom 1. November 1979 nahm das Bezirksgericht vom teilweisen Rückzug der Klage Vormerk und trat im übrigen auf die Klage nicht ein.
BGE 107 II 13 S. 15
Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 25. April 1980 einen Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes ab.
Hierauf gelangte die Klägerin mit zwei Nichtigkeitsbeschwerden an das Kassationsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess am 14. August 1980 die eine der beiden Nichtigkeitsbeschwerden gut, soweit sie die unentgeltliche Prozessführung im Rekursverfahren vor Obergericht betraf; im übrigen wies es beide Nichtigkeitsbeschwerden ab, soweit es darauf eintrat.
C.-
Die Klägerin führt Berufung, eventuell Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung an die kantonalen Instanzen zurückzuweisen.
Der Beklagte hat keine Berufungsantwort eingereicht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägungen:
1.
Es liegt ein Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts über die Zuständigkeit in einer Zivilrechtsstreitigkeit vor, so dass die Berufung nach
Art. 49 OG
zulässig ist.
2.
Die Vorinstanz hat die von der Klägerin eingereichte Klage zu Recht nicht als Abänderungsklage, sondern als Ergänzungsklage aufgefasst, denn eine Regelung der Nebenfolgen ist im Scheidungsurteil vollständig unterblieben und diese Regelung ergibt sich auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz.
Nach schweizerischer Rechtsauffassung ist zur Regelung der Nebenfolgen einer Ehescheidung der mit der Scheidungsklage befasste Richter ausschliesslich zuständig (
BGE 102 II 153
,
BGE 95 II 67
und 73,
BGE 84 II 145
,
BGE 81 II 399
,
BGE 80 II 8
,
BGE 77 II 18
ff.; BÜHLER, N. 58 der Vorbem. zu
Art. 149-157 ZGB
). Weist ein Scheidungsurteil eine Lücke auf, so ist es dementsprechend von jenem Richter zu ergänzen, der die Scheidung ausgesprochen hat (
BGE 104 II 291
,
BGE 81 II 315
). Daraus folgt, dass eine die Nebenfolgen betreffende Ergänzungsklage in der Schweiz grundsätzlich nicht angebracht werden kann, wenn die Scheidung im Ausland ausgesprochen worden ist, und zwar auch dann nicht, wenn die in Frage stehenden Nebenfolgen nach dem Recht des Scheidungsstaates im Scheidungsprozess selbst gar nicht geltend gemacht werden konnten, sondern in ein besonderes Nachverfahren verwiesen waren. Eine Ausnahme ist jedoch dann gegeben, wenn der Scheidungsstaat für die
BGE 107 II 13 S. 16
Regelung der Nebenfolgen überhaupt keinen Gerichtsstand gewährt. In diesem Fall ist bei Ausländern die Ergänzungsklage beim Richter des gemeinsamen schweizerischen Wohnsitzes der Parteien zulässig (
BGE 90 II 353
/354 E. 2b, 85 II 164/165,
BGE 62 II 265
ff.; STAUFFER, Praxis zum NAG, N. 24 zu Art. 7h; BECK, N. 38/39 zu Art. 7g und N. 89 ff., 94 zu
Art. 7h NAG
; BÜHLER, Einl. N. 187, N. 99 der Vorbem. zu
Art. 149-157 ZGB
; SCHNITZER, Internationales Privatrecht, 4. Aufl., Bd. I, S. 419); wohnt nur der Beklagte in der Schweiz, so kann die Klage an dessen Wohnsitz angebracht werden (
BGE 90 II 354
; zum Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten, vgl. BÜHLER, Einl. N. 190).
3.
Man kann sich fragen, ob der Ausschluss des schweizerischen Gerichtsstands für die Ergänzungsklage auch dann gerechtfertigt ist, wenn die Regelung der Nebenfolgen nach der ausländischen Rechtsordnung nicht wie in der Schweiz dem Scheidungsrichter vorbehalten ist, sondern in einem selbständigen Nachverfahren zu erfolgen hat. Im vorliegenden Fall braucht diese Frage indessen nicht näher geprüft zu werden. Wie die Vorinstanz in Anwendung ausländischen Rechts und somit für das Bundesgericht im Berufungsverfahren verbindlich feststellt, wäre das österreichische Scheidungsgericht für die mit der Scheidungsklage verbundene Unterhaltsklage zuständig gewesen. Entgegen den Ausführungen in der Berufungsschrift wäre es der Klägerin seinerzeit auch möglich gewesen, die Voraussetzungen ihres Unterhaltsanspruchs nachzuweisen und insbesondere die Höhe ihrer Forderung zu beziffern, hatte sie doch im Scheidungsverfahren selbst erklärt, der Beklagte arbeite seit 10 Jahren als Heizungsmonteur in der Schweiz und habe im Jahre 1969 monatlich netto Fr. 2'000.- verdient.
Der blosse Umstand, dass die Klägerin ihre Unterhaltsansprüche im Scheidungsprozess hätte geltend machen können, kann jedoch entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht dazu führen, ihr im gegenwärtigen Zeitpunkt jede Klagemöglichkeit in der Schweiz zu versagen. Die erwähnte Rechtsprechung, die die Ergänzung eines ausländischen Scheidungsurteils in der Schweiz ausschliesst, wenn im Scheidungsstaat ein Gerichtsstand zur Verfügung steht, bezweckt die Wahrung der Einheit des Scheidungsurteils, nicht die Pönalisierung des Ehegatten, der die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche oder anderer
BGE 107 II 13 S. 17
vermögensrechtlicher Ansprüche im Scheidungsprozess aus eigener Untätigkeit versäumt hat. Die Ergänzungsklage ist eine neue, selbständige Klage, und es ist deshalb nach Massgabe der zur Zeit der Klageerhebung bestehenden Verhältnisse zu prüfen, welcher Richter zu ihrer Beurteilung zuständig ist (GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 67). Entscheidend ist somit nicht die Unterlassung der Klägerin, sondern das Bestehen eines Gerichtsstandes für die Ergänzungsklage im Heimat- und Scheidungsstaat, wenn der Beklagte in einem andern Staat Wohnsitz hat. Darüber haben die kantonalen Instanzen keine Feststellungen getroffen (vgl. ZR 67/1968 Nr. 11, wo die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte bejaht wird, wenn beide österreichischen Staatsangehörigen im Ausland wohnen). Die Sache ist daher zur Abklärung dieser Frage an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sollte es sich herausstellen, dass das österreichische Recht, wie die Klägerin behauptet, auch für eigene Staatsangehörige vom Wohnsitzprinzip beherrscht wird und infolgedessen, weil der Beklagte in der Schweiz Domizil hat, der Klägerin keinen Gerichtsstand zur Verfügung stellt, wäre die Klage von den Zürcher Instanzen an die Hand zu nehmen. Im andern Fall wäre auf die Klage nicht einzutreten. Dass der Beklagte vor erster Instanz die Unzuständigkeitseinrede nicht erhoben hat, ist dabei ohne Belang, da der schweizerische Richter den Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils von Amtes wegen zu beachten (
BGE 77 II 22
; BÜHLER, N. 62 der Vorbem. zu
Art. 149-157 ZGB
) und somit in diesem Rahmen auch seine örtliche Zuständigkeit von Amtes wegen zu prüfen hat.
4.
Sollte die Vorinstanz ihre Zuständigkeit zur Beurteilung der Ergänzungsklage bejahen, wird sie im übrigen entsprechend
Art. 7h Abs. 3 NAG
materiell schweizerisches Recht anzuwenden haben (
BGE 90 II 355
,
BGE 62 II 267
E. 2). Dabei wird sie die schon vom Bezirksgericht aufgeworfene Frage zu prüfen haben, ob das schweizerische Recht eine solche Klage auf Zusprechung von Unterhaltsbeiträgen neun Jahre nach Rechtskraft des Scheidungsurteils überhaupt zulasse.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac666ae7-0c9c-43d7-99b9-922d94117348 | Urteilskopf
91 II 260
40. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. September 1965 i.S. H.B. gegen Bürgerliches Fürsorgeamt B. | Regeste
Unterstützungspflicht von Geschwistern. Rückgriff des Gemeinwesens. Art. 328/329 ZGB.
Verwirkung des Ersatzanspruchs des Gemeinwesens wegen ungebührlichen, einen Rechtsmissbrauch in sich schliessenden Zuwartens mit der Geltendmachung? Das ist zu verneinen, wenn das Gemeinwesen den unterstützungspflichtigen Verwandten tunlich bald ausfindig gemacht und gemahnt hat, auch wenn es erst nach längeren Verhandlungen zur gerichtlichen Klage kam. | Sachverhalt
ab Seite 261
BGE 91 II 260 S. 261
Aus dem Tatbestand:
A.-
Der Beklagte H. B. ist der in günstigen Verhältnissen lebende Bruder der zu 75% invaliden Ch. B., welche die eidg. Invalidenrente und einen kantonalen Invalidenfürsorgebeitrag bezieht und zusätzlich von der Klägerschaft (Fürsorgeamt B.) mit Fr. 104.-- monatlich unterstützt werden muss. Dieses Amt gelangte im März 1962 brieflich an H. B. mit dem Begehren um Ersatz dieser Beiträge gemäss
Art. 329 Abs. 3 ZGB
. Der Beklagte kam dem Ansuchen für die Zeit vom März bis August 1962 nach, verweigerte dann aber weitere Leistungen vom September 1962 an. Eine Besprechung vom Dezember 1962 war ergebnislos, ebenso der vom Fürsorgeamt in den Monaten April bis August 1963 mit dem Vertreter des Beklagten geführte Briefwechsel. Am 28. August 1963 erhob das Fürsorgeamt gerichtliche Klage a) auf Erstattung der vom September 1962 bis zum August 1963 geleisteten Beiträge von insgesamt Fr. 1174.50 und b) auf Ersatz der von nun an laufenden Beiträge, beginnend mit dem Monat September 1963.
B.-
Die Direktion des Innern des Kantons Basel-Landschaft schützte das Begehren b) in vollem Umfange, das Begehren a) dagegen nur zur Hälfte, nämlich für das letzte Halbjahr vor der Klageanhebung. In gleicher Weise entschied der von beiden Parteien angerufene Regierungsrat.
C.-
Die vom Beklagten eingelegte Berufung an das Bundesgericht geht auf gänzliche Abweisung der Klage. Mit seiner Anschlussberufung verlangt dagegen das Fürsorgeamt die volle Zusprechung auch des Begehrens a).
Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten ab, und es schützt die Anschlussberufung der Klägerschaft aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
Mit der Anschlussberufung hält das Fürsorgeamt daran fest, dass der Beklagte ihm die an Ch. B. erbrachten Fürsorgeleistungen für die ganze Zeitspanne vom 1. September 1962 bis Ende August 1963 und nicht nur vom 1. März 1963 an zu ersetzen
BGE 91 II 260 S. 262
habe. Der geforderte Betrag von Fr. 1174.50 (statt der in kantonaler Instanz zugesprochenen Fr. 587.--), also im Monatsdurchschnitt etwas weniger als Fr. 100.--, liegt im Rahmen dessen, was dem Beklagten bei seinen günstigen Erwerbsverhältnissen zuzumuten ist. Die Vorinstanzen haben jedoch den Erstattungsanspruch des Gemeinwesens auf das letzte Halbjahr vor der Klageanhebung begrenzt und sich dabei auf den vom Bundesgericht ausgesprochenen Grundsatz berufen, wonach das Gemeinwesen Erstattungsansprüche gegenüber unterstützungspflichtigen Verwandten des Armengenössigen tunlich rasch geltend machen soll, sobald es von der Person des Unterstützungspflichtigen und von seiner Vermögens- und Erwerbslage Kenntnis hat, und nicht beliebig lange mit der Geltendmachung solcher Ansprüche für vergangene Unterstützungsperioden zuwarten darf, ansonst eine völlige oder teilweise Verwirkung des Rückgriffsanspruches eintritt, dieser Anspruch also abzulehnen oder zu kürzen ist (
BGE 74 II 19
ff.,
BGE 76 II 113
ff.). Dabei schliessen sich die Vorinstanzen der baselstädtischen Praxis an, wonach die Ersatzansprüche des Gemeinwesens in der Regel auf das der Klage vorausgegangene Halbjahr zu begrenzen sind, sofern der Pflichtige nicht eine weitergehende Verzögerung selber verschuldet hat (vgl. E. JENNY, Die Verwandtenunterstützung im Spiegel der regierungsrätlichen Praxis des Kantons Basel-Stadt, in den Basler Juristischen Mitteilungen 1959 S. 163 ff., besonders S. 189/90).
Indessen ist, wie schon in den angeführten Präjudizien, davon auszugehen, dass der auf Subrogation beruhende Ersatzanspruch des Gemeinwesens gemäss
Art. 329 Abs. 3 ZGB
ebenso wie der privatrechtliche Unterstützungsanspruch des Bedürftigen selbst an und für sich keiner andern zeitlichen Beschränkung als der Verjährung binnen fünf Jahren nach
Art. 128 Ziff. 1 OR
unterliegt. Eine Verwirkung tritt nur dann ein, wenn die Geltendmachung solcher Ansprüche in einer als rechtsmissbräuchlich erscheinenden Weise, also nach den gegebenen Umständen ungebührlich, verzögert wird, so dass dem Pflichtigen die Nachzahlung nicht mehr oder nur in vermindertem Masse zuzumuten ist. So verhält es sich hier keineswegs. Die angeführten Präjudizien verlangen nicht unverzügliches Vorgehen des Gemeinwesens auf dem Weg der gerichtlichen Klage, sobald ihm die Person und die Finanzlage des Berechtigten bekannt sind oder leicht ausfindig gemacht werden können. Die am Kopf des UrteilsBGE 74 II 19stehende Inhaltsangabe,
BGE 91 II 260 S. 263
wonach der Ersatzanspruch "nur bei unverzüglicher Anhebung der Klage" zu schützen wäre, ist zu eng; die zugehörigen Erwägungen verlangen bloss, dass die Armenbe.hörde nicht zuwarte "mit der Ausübung ihrer Rückgriffsrechte" ("les organes d'assistance ne sauraient ... tarder à exercer leurs droits de recours"). Es steht keine Klagebefristung in Frage, sondern es kann sich für die Armenbehörde nur darum handeln, die Möglichkeit eines Rückgriffs auf Verwandte des Bedürftigen, für den sie sorgt, tunlich bald und gründlich zu prüfen und, wenn sie zur Bejahung einer Unterstützungspflicht gelangt, sie dem Pflichtigen gegenüber ebenfalls ohne übermässiges Zuwarten zur Geltung zu bringen. Das kann auf verschiedene Weise geschehen; etwa vorerst durch Darlegung ihres Standpunktes, worauf es, wenn der Angesuchte sich nicht ohne weiteres zu Erzatzleistungen bereit findet, allenfalls noch zu Aussprachen, zu einem Briefwechsel und zu aussergerichtlichen Verhandlungen über eine gütliche Einigung kommen kann, nach deren Scheitern dann freilich nur die gerichtliche Klage übrig bleibt. Hier hat das Gemeinwesen seinen Anspruch ungesäumt beim Pflichtigen angemeldet. Diese Art der Geltendmachung war geeignet, einer Anspruchsverwirkung wegen Rechtsmissbrauches einstweilen vorzubeugen. Denn der Pflichtige erhielt dadurch Kenntnis von dem beabsichtigten Rückgriff und hatte daher Veranlassung, sich auf eine ihm obliegende Nachzahlung einzurichten. Seit dem 1. Juni 1962 wusste er, dass das Fürsorgeamt ihn als unterstützungspflichtig ansah; er bezahlte hierauf denn auch die geforderten Beträge für die Zeit vom 1. März bis 31. August 1962. Bis zur Klageeinreichung versuchte das Fürsorgeamt immer wieder, ihn zur Wiederaufnahme seiner Leistungen zu bewegen. Es beantwortete auch bereitwillig die ihm vom Vertreter des Beklagten gestellten Fragen, soweit es dazu in der Lage war. Nicht Saumseligkeit des Fürsorgeamtes, sondern die vom Beklagten und seinem Vertreter eingeschlagene Verzögerungstaktik hat dazu geführt, dass die Klage dann erst im August 1963 angehoben wurde. Der Beklagte war schon vom Anfang der in Frage stehenden, mit dem 1. September 1962 beginnenden Zahlungsperiode an bestens unterrichtet über den ihm drohenden Rückgriff. Unter diesen Umständen kann dem Fürsorgeamt nichts vorgehalten werden, was es rechtfertigen würde, die sachlich wohlbegründeten Ersatzansprüche auch nur zum Teil als verwirkt zu erklären. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac8762f8-b713-45df-9221-7166b00157ed | Urteilskopf
138 I 256
24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. B. gegen Stadt Zürich und Statthalteramt des Bezirkes Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_439/2011 vom 25. Mai 2012 | Regeste
Speicherung von Personendaten im zürcherischen Polizei-Informationssystem POLIS;
Art. 13 Abs. 2 BV
,
Art. 8 EMRK
.
Betroffene Grundrechte (E. 4).
Speicherung und Löschung von Personendaten im Polizei-Informationssystem POLIS (E. 5).
Die Speicherung von Personendaten hält im vorliegenden Fall vor Bundesverfassung und Konvention stand: Der Grundrechtseingriff wiegt nicht schwer (Vernichtung der erkennungsdienstlichen Daten, Anmerkung über Einstellung der Strafuntersuchung), das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Straftat überwiegt (rascher Zugriff auf vorhandene Daten im Falle von neuen Hinweisen und Erkenntnissen; E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 256
BGE 138 I 256 S. 256
An einem Abend im Dezember 2000 führte eine unbekannte Täterschaft unter Gebrauch von Schusswaffen und Einsatz von Messern einen Angriff auf ein Restaurant im Zürcher Stadtkreis 12; mehrere Personen wurden erheblich verletzt.
Am folgenden Tag nahm die Stadtpolizei Zürich in dieser Angelegenheit B. fest. Er wurde verdächtigt, im Zusammenhang mit dem Eintreiben einer offenen Geldforderung gegenüber dem
BGE 138 I 256 S. 257
Restaurant-Betreiber als Hintermann an der fraglichen Straftat beteiligt gewesen zu sein. Die Stadtpolizei erhob erkennungsdienstliche Daten und erfasste ihn im Polizei-Informationssystem POLIS. Tags darauf wurde er aus der Haft entlassen. Die Bezirksanwaltschaft Zürich stellte die gegen ihn gerichtete Strafuntersuchung wegen Körperverletzung und wegen Nötigung mit zwei Verfügungen vom 3. Februar 2004 ein. Diese sind in Rechtskraft erwachsen.
In der Folge beantragte B. bei der Stadtpolizei, es seien sämtliche Daten im Zusammenhang mit der erwähnten Verhaftung zu löschen bzw. zu vernichten. Mit Verfügung vom 13. April 2005 hielt die Stadtpolizei fest: Die erkennungsdienstlichen Daten über den Antragsteller seien gelöscht; andere im Polizei-Informationssystem POLIS gespeicherte Daten seien mit einem Hinweis auf die Einstellung des Verfahrens ergänzt worden; im Übrigen werde das Löschungsbegehren abgewiesen.
Der Stadtrat von Zürich schützte auf Einsprache hin die polizeiliche Verfügung. Hingegen hiess der Statthalter des Bezirkes Zürich den dagegen erhobenen Rekurs von B. gut. Das von der Stadt Zürich angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Zürich bestätigte die polizeiliche Verfügung. Eine von B. erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht am 30. September 2008 (Verfahren 1C_51/2008) gut. Es stellte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs fest und wies die Angelegenheit zu neuer Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurück, das die Sache wiederum an die Stadtpolizei Zürich zurückwies.
Die Stadtpolizei Zürich wies mit neuer Verfügung vom 20. Februar 2009 das Gesuch von B. um Löschung von sämtlichen bei ihr im Zusammenhang mit dessen Verhaftung stehenden Daten erneut ab. Sie führte im Wesentlichen aus, die noch vorhandenen Daten könnten für die Aufklärung des Gewaltdelikts noch von Nutzen sein. Zudem wiederholte sie, dass die erkennungsdienstlichen Daten gelöscht worden sind und das Informationssystem mit der Anmerkung über die Einstellung des Strafverfahrens ergänzt worden ist. Schliesslich hielt sie fest, dass der Kreis von Personen, die Zugang zu den entsprechenden Daten haben, beschränkt ist.
Die in der Folge von B. erneut erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 25. August 2011 hat B. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.
(Zusammenfassung)
BGE 138 I 256 S. 258
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
In Bezug auf die Sache selbst erblickt der Beschwerdeführer in der Weigerung, die ihn betreffenden Personendaten im Polizei-Informationssystem POLIS (im Folgenden: POLIS oder POLIS-Informationssystem) vorzeitig zu löschen, Verletzungen verschiedener Grundrechte.
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
räumt einen Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz ein. Dieser wird durch das (geheime) Aufbewahren von Personendaten in öffentlichen Registern beeinträchtigt (vgl.
BGE 138 I 6
E. 4.1 S. 22;
BGE 133 I 77
E. 3.2 S. 80;
BGE 122 I 360
E. 5a S. 362; Urteil des EGMR
Khelili gegen Schweiz
vom 18. Oktober 2011, Nr. 16188/07, § 55 ff., mit Hinweisen). Desgleichen wird der Bereich von
Art. 13 Abs. 2 BV
, welcher vor Missbrauch persönlicher Daten schützt, betroffen. Die Betroffenheit in diesen Grundrechten sagt, für sich genommen, nichts über die Schwere des Grundrechtseingriffs aus, die im Zusammenhang mit der allfälligen Rechtfertigung und der Interessenabwägung zu beurteilen ist. Gegenüber diesen spezifischen Grundrechten kommt dem allgemeineren Gehalt der persönlichen Freiheit nach
Art. 10 Abs. 2 BV
keine weitergehende Bedeutung zu (
BGE 133 I 76
E. 3.2 S. 80;
BGE 127 I 6
E. 5a S. 12 f.).
Der Beschwerdeführer beruft sich ferner auf die Unschuldsvermutung, wie sie in
Art. 32 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
umschrieben ist. Er rügt eine Verletzung dieser Garantie in allgemeiner Weise, setzt sich indes mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht näher auseinander. Er legt insbesondere nicht dar, weshalb die Unschuldsvermutung trotz des Umstandes verletzt sein soll, dass im POLIS-Informationssystem nachgewiesenermassen und deutlich vermerkt ist, dass die Strafuntersuchung eingestellt ist. Zudem lässt er ausser acht, dass die erkennungsdienstlichen Erhebungen gelöscht worden sind. Es sind auch sonst keine Anzeichen ersichtlich, dass aus der Art der Datenaufbewahrung eine strafrechtliche Schuld abgeleitet werden oder der Eindruck entstehen könnte, die weiterhin erfasste Person werde noch als tatverdächtig betrachtet (vgl.
BGE 120 Ia 147
E. 3 S. 155). Bei dieser Sachlage kann dem POLIS-Informationssystem keinerlei Schuldvorwurf entnommen werden, welcher mit den genannten verfassungsrechtlichen Garantien im Widerspruch stehen würde.
5.
Der Beschwerdeführer verlangt im Wesentlichen, dass sämtliche ihn betreffenden Angaben, welche im Zusammenhang mit der
BGE 138 I 256 S. 259
Einstellung der wegen Körperverletzung geführten Strafuntersuchung stehen, im POLIS-Informationssystem gelöscht werden. Für die Beurteilung dieses Anliegens rechtfertigt es sich, vorerst das POLIS-Informationssystem in seinen Grundzügen allgemein zu umschreiben (E. 5.1) und hernach die Regelung hinsichtlich Aufbewahrung, Korrektur und Löschung von Personendaten im POLIS-Informationssystem im Speziellen darzustellen (E. 5.2-5.4).
5.1
Wie bereits im Urteil vom 23. April 2007 (1P.71/2006) dargelegt, umschreibt das Polizeiorganisationsgesetz vom 29. November 2004 (POG/ZH; LS 551.1) in § 33-34a die Information, die Datenbearbeitung und die Nachführung von Datensystemen. Laut § 35 lit. c erlässt der Regierungsrat die erforderlichen Ausführungsbestimmungen; er regelt namentlich die polizeiliche Bearbeitung von Daten, das Betreiben von entsprechenden Datensystemen und den Daten- und Informationsaustausch mit andern Polizeistellen und Behörden. Gestützt darauf hat der Regierungsrat die Verordnung vom 13 Juli. 2005 über das Polizei-Informationssystem POLIS (POLIS-Verordnung; LS 551.103 [nachfolgend: POLIS-VO]) erlassen. Diese regelt den Betrieb und die Benützung des Datenbearbeitungs- und Informationssystems POLIS (§ 1 POLIS-VO).
Das POLIS-Informationssystem dient den Polizeikräften bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben. Es soll zur Rationalisierung der Arbeitsabläufe, zum Informations- und Datenaustausch, zur Datenerhaltung und -speicherung sowie zu statistischen Erhebungen beitragen (§ 4 Abs. 1 POLIS-VO). Entsprechend den weitgefächerten Aufgaben der Polizei dient das Informationssystem einer Reihe von Zwecken, die in § 4 Abs. 2 POLIS-VO aufgezählt sind. Mit dem Informationssystem werden Sachverhalte erfasst, getroffene Massnahmen festgehalten, Rapporte zuhanden der zuständigen Behörden erstattet und polizeiliches Handeln polizeiintern dokumentiert (vgl. zur Dokumentationspflicht § 12 Abs. 1 des Polizeigesetzes vom 23. April 2007 [PolG; LS 550.1]). Das System beruht auf der Einmalerfassung von personen- und geschäftsbezogenen Daten und soll im Rahmen der Zugriffsberechtigung deren Auswertung bis zu ihrer Löschung ermöglichen. Die gespeicherten Daten entsprechen dem Erkenntnisstand im Zeitpunkt ihrer Erfassung und werden - vorbehältlich der Löschung - nicht nachgeführt. Es handelt sich daher nicht um ein Strafregister. Fahndungsrelevante Daten (bezogen auf Fahrzeuge, Sachen und Personen) werden aus POLIS ins automatisierte Polizeifahndungssystem RIPOL übermittelt. Im Rahmen der
BGE 138 I 256 S. 260
Berechtigung verfügt eine grosse Anzahl von Polizeikräften über einen Zugang zum POLIS-Informationssystem.
5.2
Mit Blick auf Aufbewahrung und Korrektur von Personendaten im POLIS-Informationssystem sind die Bestimmungen von § 13 und 18 POLIS-VO von Bedeutung. § 13 Abs. 1 POLIS-VO verweist auf § 21 des Gesetzes vom 12. Februar 2007 über die Information und den Datenschutz (IDG/ZH; LS 170.4). Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verwies § 13 Abs. 1 POLIS-VO auf § 19 des Gesetzes vom 6. Juni 1993 über den Schutz von Personendaten (Datenschutzgesetz, DSG/ZH; OS 52 452). Zudem ist
§ 34a POG
/ZH bedeutsam. Die genannten Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:
POLIS-VO
§ 13 - Andere Rechte
1
Gesuche zur Wahrnehmung von anderen Rechten, insbesondere des Berichtigungsrechts nach § 21 IDG, sind schriftlich bei einer der an POLIS beteiligten Polizeien einzureichen. (...)
3
Insbesondere in Fällen von Freispruch, Einstellung des Strafverfahrens, Nichtanhandnahme des Strafverfahrens oder Sistierung kann die betroffene Person unter Vorlage des entsprechenden formell rechtskräftigen Entscheides (...) eine ergänzende Eintragung in POLIS erwirken. Die Polizei nimmt die Eintragung unabhängig vom Ersuchen der betroffenen Person von Amtes wegen vor, wenn ihr entsprechende Entscheide zugestellt werden.
§ 18 - Aufbewahrungsdauer
1
Dokumente und Verknüpfungen mit Personendaten werden mit den Geschäftsdaten gelöscht.
2
Geschäftsdaten werden gelöscht, wenn die Löschfrist abgelaufen oder die Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Löschfrist beginnt mit dem Datum des Ereignisses.
3
Personendaten werden gelöscht, wenn keine Verknüpfungen zu Rapporten gemäss § 5 lit. b mehr bestehen.
4
Übertretungen erhalten eine Löschfrist zwischen zwei und fünf Jahren, solche des kommunalen Rechts werden in der Regel nach zwei Jahren gelöscht.
5
Im Übrigen gelten folgende Löschfristen:
(Liste mit unterschiedlichsten Tatbeständen nicht wiedergegeben)
IDG/ZH
(seit dem 1. Oktober 2008 in Kraft)
§ 21 - Schutz eigener Personendaten
Die betroffene Person kann vom öffentlichen Organ verlangen, dass es
a. unrichtige Personendaten berichtigt oder vernichtet, (...)
BGE 138 I 256 S. 261
DSG/ZH
(seit dem 1. Oktober 2008 aufgehoben)
§ 19 - Andere Rechte
2
Insbesondere kann verlangt werden, dass das verantwortliche Organ
a) Daten berichtigt oder vernichtet; (...)
POG/ZH
§ 34a - Nachführung von Datensystemen
1
Die Strafbehörden teilen der Polizei zur Nachführung der polizeilichen Datenbearbeitungssysteme Freisprüche sowie Einstellungen und Nichtanhandnahmen von Strafverfahren innert 14 Tagen seit Eintritt der Rechtskraft mit.
2
Die oder der Beauftragte für den Datenschutz überwacht die Aktualität und die Nachführung der in den Datenverarbeitungssystemen gespeicherten Daten in der Regel alle zwei Jahre und aus besonderem Anlass.
5.3
Aus dieser Regelung ergibt sich, dass für die Datenaufbewahrung von § 18 POLIS-VO auszugehen ist. Die entsprechenden Personendaten werden nach Ablauf der Löschfristen bzw. nach Eintritt der Verfolgungsverjährung gelöscht. Die Ordnung bringt es mit sich, dass die Daten auch dann aufrechterhalten werden, wenn etwa ein Freispruch erfolgt oder ein Strafverfahren nicht anhand genommen oder eingestellt wird. Diesfalls kann ein entsprechender Nachtrag verlangt werden (§13 Abs. 3 POLIS-VO,
§ 34a POG
/ZH).
Der Zweck der Datenaufbewahrung besteht in der Erwartung, aus den Daten sachdienliche Angaben für weitere polizeiliche Ermittlungsarbeiten zu erlangen: Es wird hinsichtlich eines unaufgeklärten strafrechtlich relevanten Sachverhalts mit der Möglichkeit gerechnet, über bestimmte Daten dank der Datenvernetzung des Systems auf weitere Daten zu stossen, die zusammen mit neuen Erkenntnissen die Ermittlungsarbeiten voranbringen können. Dabei wird davon ausgegangen, dass solche neuen Erkenntnisse nicht erlangt würden, wenn es den Zugriff auf die in Frage stehenden Daten nicht gäbe. Das liegt sowohl im allgemeinen Interesse an der Verfolgung von Straftaten wie auch im Interesse von Opfern und Geschädigten. Eine Nichtanhandnahme oder Einstellung, aber auch ein Freispruch schliessen es für sich allein nicht aus, dass aus dem Umfeld der registrierten Person noch allfällige nützliche Informationen erlangt werden können.
5.4
§ 19 Abs. 1 lit. a des inzwischen ausser Kraft gesetzten DSG/ZH, auf den § 13 Abs. 1 POLIS-VO verwies, sah die Berichtigung oder Vernichtung von Daten schlechthin vor. Demgegenüber spricht der heute massgebende § 21 lit. a IDG/ZH bloss noch die Berichtigung
BGE 138 I 256 S. 262
oder Vernichtung "unrichtiger Personendaten" an. Im vorliegenden Fall ist die Richtigkeit der Daten nicht bestritten. Vielmehr verlangt der Beschwerdeführer unter Berufung auf den Schutz der Privatsphäre deren Löschung. Die POLIS-VO bietet somit keine (formelle) Grundlage mehr für eine vorzeitige Löschung. Als Grundlage fallen somit letztlich nur Verfassungs- und Konventionsrecht, d.h.
Art. 13 Abs. 2 BV
und
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
in Betracht.
5.5
Gestützt auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht (
Art. 13 Abs. 2 BV
,
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
) kann sich die betroffene Person zur Wehr setzen, dass ihre Personendaten ohne ersichtlichen Grund auf lange Zeit in einem öffentlichen Register gespeichert werden. Wann dies im Einzelnen zutrifft, hängt in Anbetracht der unbestimmt umschriebenen Grundlage im Wesentlichen von den konkreten Umständen und im Sinne einer umfassenden Interessenabwägung von der Schwere des Grundrechtseingriffs ab. Das Bundesgericht zog als mögliche Konstellation für eine vorzeitige Löschung u.a. in Betracht, dass eine angeschuldigte Person etwa wegen Verwechslung versehentlich in eine Strafuntersuchung gezogen wurde (Urteil 1C_51/2008 vom 30. September 2008 E. 4.3). Dies heisst allerdings nicht, dass solche Beispiele verabsolutiert oder gar zu einem eigentlichen Prüfungsprogramm gemacht werden dürften.
Somit ist für die Beurteilung der Frage, ob eine vorzeitige Löschung der Daten verfassungsrechtlich geboten erscheint, auf die Gesamtheit der konkreten Umstände abzustellen. Darin liegt denn auch der Grund, dass mit dem Urteil 1C_51/2008 über die Einstellungsverfügungen vom 3. Februar 2004 der Beizug der Strafakten verlangt worden war. Dabei kommt es darauf an, ob die fraglichen Personendaten für sich genommen der polizeilichen Arbeit bei der Verfolgung oder Aufklärung von Delikten in nachvollziehbarer Weise noch nützlich sein können und die weitere Aufbewahrung im öffentlichen Interesse ist. Bejahendenfalls ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Mit in die Abwägung einzubeziehen sind die Schwere des Eingriffs in Grundrechtspositionen anhand der konkreten Einträge, die Interessen von Geschädigten und Dritten an der Aufklärung von noch immer unbekannten Sachverhalten, der Kreis der zum System Zugangsberechtigten sowie die Interessen an der polizeilichen Aufgabenerfüllung (vgl. auch EGMR-Urteil
Khelili
, § 63 ff.)
6.
Die Beschwerde ist vor diesem Hintergrund nunmehr konkret zu beurteilen.
BGE 138 I 256 S. 263
6.1
Als Erstes ist die Schwere des Grundrechtseingriffs zu prüfen. Dabei fällt vorerst in Betracht, dass die erkennungsdienstlichen Daten über den Beschwerdeführer gelöscht worden sind. Das schliesst es aus, dass bei der Verfolgung von (neuen oder alten) Delikten ein Vergleich mit den erkennungsdienstlichen Daten des Beschwerdeführers vorgenommen und dieser deswegen in eine neue Untersuchung einbezogen wird.
Das POLIS-System enthält an unterschiedlichen Stellen den klaren und unübersehbaren Hinweis auf die Einstellung einer Strafuntersuchung, was den Eindruck ausschliesst, der Beschwerdeführer werde als tatverdächtig oder noch als tatverdächtig betrachtet. Insoweit ist der Eingriff in die von
Art. 13 Abs. 2 BV
und
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
geschützten Rechte als gering zu betrachten. Es verbleiben im System aber Angaben über persönliche Verhältnisse des Beschwerdeführers (wie Adressen und Ähnliches) und über die vorgenommenen Einvernahmen und Untersuchungshandlungen.
6.2
Das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer ist eingestellt worden. Er hat somit ein Interesse, durch die Löschung der entsprechenden Daten definitiv aus dem Umfeld des Überfalls auf das Restaurant herausgelöst und damit nicht mehr in Verbindung gebracht zu werden. Dabei ist zu beachten, dass der Vorfall schon lange Zeit zurückliegt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das den Beschwerdeführer betreffende Strafdossier nicht vernichtet, sondern vielmehr archiviert wird und für einen jederzeitigen Zugriff offenbleibt. Unerheblich ist der Hinweis des Beschwerdeführers auf einen angeblichen Missbrauch der Daten durch einen städtischen Polizeibeamten; der blosse Hinweise auf andere Akten und Vorakten vermag den Begründungsanforderungen ohnehin nicht zu genügen (
BGE 133 II 396
E. 3.1 S. 400).
Gleichwohl kann das öffentliche Interesse an der Verfolgung von Straftaten, aber auch die Interessen der Opfer am Bestehenbleiben der fraglichen Daten nicht verneint werden. Der Überfall auf das Restaurant, bei dem es zu schweren Straftaten gekommen war, ist nach wie vor unaufgeklärt. Es ist deshalb bedeutsam, Einzelheiten aus dem Umfeld des Vorfalls gespeichert zu erhalten, um allfällige neue Erkenntnisse rasch in ein Gesamtbild einordnen zu können. Gerade der Umstand, dass unterschiedliche Kreise auf unterschiedliche Weise mit dem Überfall in Verbindung gebracht werden könnten, lässt es nicht von vornherein als unwahrscheinlich erscheinen, dass die registrierten Daten bei allfälligen neuen Hinweisen dank der
BGE 138 I 256 S. 264
Vernetzung mit andern Parametern noch von Nutzen sein könnten. Dabei fällt in Betracht, dass der Beschwerdeführer nicht zufällig oder wegen einer Verwechslung in die Untersuchung einbezogen worden ist, sondern wegen seiner Verbindung zu einem Geldeintreiber. Er hatte diesen beauftragt, beim säumigen Pächter des Restaurants eine Forderung einzutreiben, worauf der Geldeintreiber im Restaurant vorgesprochen hat. Drei Tage später erfolgte der Überfall. Diese Sachlage legt die Annahme nahe, dass allein der Beizug der Strafakten nicht ausreichen würde, weil die Verkettung der einzelnen Begebenheiten mit den einzelnen Untersuchungshandlungen, insbesondere mit den erfolgten Einvernahmen, erst wieder hergestellt werden müsste.
6.3
Kann aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass sich aus den in Frage stehenden Daten sachdienliche Angaben für weitere polizeiliche Ermittlungsarbeiten ergeben können, überwiegt das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Überfalls das private Interesse des Beschwerdeführers an der Löschung der Daten. Unter Berücksichtigung, dass es sich dabei nicht um einen schweren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht handelt und es noch um einen Zeitraum von knapp vier Jahren bis zur automatischen Löschung der Daten geht, erscheint das Weiterbestehen der Daten nach Massgabe der POLIS-VO nicht als unverhältnismässig. Die Rüge der Verletzung von
Art. 13 Abs. 2 BV
und von
Art. 8 EMRK
erweist sich als unbegründet. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ac87d3ff-f458-41cd-b9c0-e394d9c5323d | Urteilskopf
103 IV 148
43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. September 1977 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau | Regeste
Art. 67 Ziff. 1 StGB
.
Rückfall ist auch gegeben, wenn die frühere Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe nicht vollstreckt, jedoch durch Anrechnung von Untersuchungshaft ganz oder teilweise als getilgt erklärt wurde. | Erwägungen
ab Seite 148
BGE 103 IV 148 S. 148
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer zieht die Richtigkeit der ebenfalls von SCHULTZ (Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, II, S. 68) kritisierten Rechtsprechung in Frage, wonach Rückfall im Sinne von
Art. 67 StGB
auch vorliegt, wenn die frühere Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe nicht vollstreckt, jedoch durch Anrechnung von Untersuchungshaft ganz oder teilweise als getilgt erklärt worden ist (
BGE 84 IV 8
). Eine unterschiedliche Rechtsfolge je danach,
BGE 103 IV 148 S. 149
ob die ausgestandene Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet wurde oder nicht, vermöge in ihren Konsequenzen nicht zu befriedigen. Besonders stossend erscheine die Annahme von Rückfall, wo die angerechnete Untersuchungshaft nur einige wenige Tage gedauert habe.
Das Argument, die Untersuchungshaft der Strafhaft gleichzustellen sei bedenklich, weil es sich um einen aus prozessualen Gründen angeordneten Entzug der Freiheit handle und der Täter noch nicht dem resozialisierenden Einfluss des Strafvollzuges unterworfen war, dessen Wirkungslosigkeit der Grund zu strengerer Bestrafung des Rückfalls sei (SCHULTZ, a.a.O.), ist ebensowenig stichhaltig wie dasjenige, Rückfall anzunehmen erscheine da als ganz besonders stossend, wo die angerechnete Untersuchungshaft nur wenige Tage betragen habe. Das Gesetz weicht vom Grundsatz, dass nur der effektive Strafvollzug eine Strafschärfung wegen Rückfalls rechtfertige, auch bei der Begnadigung ab, wenn es den Erlass der Vorstrafe durch eine solche deren Vollstreckung gleichstellt (
Art. 67 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
). Als Rückfallsvoraussetzung lässt es zudem unabhängig von einer erzieherischen Wirksamkeit auch den Vollzug kürzester Gefängnisstrafen und auch kleinster Teile von Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen genügen, was eine Lösung wie die von BONNARD in JdT 1958, II, S. 41/42 angeregte von vorneherein ausschliesst. Weil der auf die Freiheitsstrafe angerechneten Untersuchungshaft die rechtliche Wirkung einer in diesem Umfange bereits vollstreckten Strafe (
BGE 83 IV 5
,
BGE 84 IV 9
) von Gesetzes wegen zukommt, wären jegliche gegen diese Rechtsfolge erhobenen Einwände ohnehin nur de lege ferenda beachtlich. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ac8a899e-d2f6-423b-af97-c2675b647826 | Urteilskopf
104 III 25
8. Auszug aus dem Entscheid vom 8. Mai 1978 i.S. F. | Regeste
Retentionsrecht des Vermieters.
1. Werden die in das Retentionsverzeichnis aufgenommenen Gegenstände von einem Dritten, der daran das Eigentum beansprucht, aus den Mieträumen entfernt, so kann der Vermieter jederzeit ihre Rückverbringung verlangen, ohne dass die Voraussetzungen von
Art. 284 SchKG
erfüllt sein müssten (E. 1).
2. Die Auseinandersetzung zwischen dem Vermieter und dem Drittansprecher darüber, ob der Eigentumsanspruch und das Retentionsrecht begründet seien und ob jener Anspruch dem Retentionsrecht vorgehe, hat im Widerspruchsverfahren zu erfolgen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 25
BGE 104 III 25 S. 25
A.-
Auf Begehren von A. retinierte das Betreibungsamt Hämikon am 10. August 1977 zwei im Besitz des Pächters V. befindliche Personenwagen. Am 3./4. November 1977 holte F., der das Eigentum an den Retentionsgegenständen beansprucht, die beiden Fahrzeuge auf dem Parkplatz des an V. verpachteten Restaurants ab. Einem entsprechenden Gesuch des Verpächters stattgebend verhielt das auf dem Rechtshilfeweg ersuchte Betreibungsamt Neuenhof mit Verfügung vom 25. November 1977 F. zur Aushändigung der beiden retinierten Autos bzw. zur Hinterlage eines Gelddepots im Betrag von Fr. 2100.-.
BGE 104 III 25 S. 26
B.-
Hiegegen beschwerte sich F. beim Amtsgerichtspräsidenten von Hochdorf als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde im Betreibungswesen, wurde jedoch mit Entscheid vom 9. Dezember 1977 abgewiesen. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid wurde von der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde am 13. Februar 1978 ebenfalls abgewiesen.
C.-
Gegen den Entscheid des Obergerichts rekurrierte F. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Er beantragt die Aufhebung der Verfügung des Betreibungsamtes Neuenhof. Zur Begründung seines Rekurses macht er im wesentlichen geltend, die Autos hätten gar nicht retiniert werden dürfen, da sie sich weder in den vermieteten Räumen befunden noch zu deren Einrichtung oder Benutzung gehört hätten; zudem habe er sie gutgläubig und keineswegs heimlich fortgeschafft.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Aufnahme des Retentionsverzeichnisses hat zur Folge, dass der Retentionsbeschlag bestehen bleibt, auch wenn die retinierten Gegenstände aus den Mieträumen entfernt werden. Der Gläubiger kann jederzeit die Rückschaffung solcher Gegenstände verlangen, ohne an die in
Art. 284 SchKG
vorgesehene Frist von zehn Tagen gebunden zu sein und ohne dartun zu müssen, dass die Wegschaffung heimlich oder gewaltsam erfolgte.
Art. 284 SchKG
(und der entsprechende
Art. 274 Abs. 2 OR
) ist nur anwendbar auf Gegenstände, die vor Aufnahme des Retentionsverzeichnisses fortgeschafft wurden (
BGE 97 III 80
,
BGE 54 III 270
,
BGE 31 I 338
ff.; SCHMID, N. 55 zu
Art. 272-274 OR
). Es spielt daher keine Rolle, ob der Rekurrent die retinierten Autos heimlich abholte oder nicht. Unerheblich ist auch, ob ihm der Retentionsbeschlag bekannt war oder nicht. Er behauptet nicht, er habe nach der Aufnahme des Retentionsverzeichnisses gutgläubig das Eigentum an den Fahrzeugen erworben, sondern er macht geltend, er sei schon vorher Eigentümer gewesen. Ein solcher Anspruch steht aber der Pflicht zur Rückschaffung nicht
BGE 104 III 25 S. 27
entgegen (
BGE 69 III 67
/68; SCHMID, N. 56 zu
Art. 272-274 OR
; vgl. auch
BGE 101 II 97
E. 3).
2.
Beansprucht ein Dritter an einer zugunsten des Vermieters retinierten Sache das Eigentum, so ist im Streitfall als Frage des materiellen Rechts vom Richter zu entscheiden, ob der Eigentumsanspruch und das Retentionsrecht begründet seien und ob jener Anspruch nach
Art. 273 OR
dem Retentionsrecht vorgehe. Und zwar hat die Auseinandersetzung zwischen dem Vermieter und dem Drittansprecher im Widerspruchsverfahren zu erfolgen (
BGE 96 III 69
,
BGE 70 II 226
ff.; SCHMID, N. 71 zu
Art. 272-274 OR
). Ob sich die retinierten Fahrzeuge in den vermieteten Räumen befanden und ob sie zu deren Einrichtung oder Benutzung gehörten, ist daher nicht von den Betreibungsbehörden im Beschwerdeverfahren, sondern vom Richter im Widerspruchsprozess zu beurteilen. Der Rekurs erweist sich somit als unbegründet. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac90bfdf-d252-4b3b-9bd3-97010dbc552c | Urteilskopf
111 II 375
74. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1985 i.S. Inama Trading GmbH gegen Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 813 Abs. 1 OR
. Wohnsitz der zur Vertretung befugten Geschäftsführer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Mindestens ein in der Schweiz wohnender Geschäftsführer muss einzelzeichnungsberechtigt oder gemeinsam mit weiteren in der Schweiz wohnenden Geschäftsführern kollektivzeichnungsberechtigt sein. | Erwägungen
ab Seite 375
BGE 111 II 375 S. 375
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Inama Trading GmbH bezeichnete als Geschäftsführer mit Kollektivunterschrift zu zweit den in Deutschland wohnenden
BGE 111 II 375 S. 376
A. und den in der Schweiz wohnenden B. Mit Verfügung vom 14. Mai 1985 setzte das Handelsregister des Kantons Basel-Stadt der Gesellschaft eine Frist an, bis zum 28. Juni 1985 den gesetzmässigen Zustand herzustellen. Darunter verstand es, dass der in der Schweiz wohnende Geschäftsführer entweder einzelzeichnungsberechtigt oder kollektivzeichnungsberechtigt mit weiteren in der Schweiz wohnenden Geschäftsführern erklärt werden müsse. Eine Beschwerde gegen diese Verfügung wies das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 24. Juni 1985 ab.
Dagegen führt die Inama Trading GmbH beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass die bestehende Geschäftsführung und Vertretung den gesetzlichen Bestimmungen entspreche, insbesondere dass bei zwei kollektiv zeichnenden Geschäftsführern nur einer in der Schweiz Wohnsitz haben müsse. Das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt und das Bundesamt für Justiz beantragen Abweisung der Beschwerde.
2.
Während
Art. 711 Abs. 3 OR
für die Aktiengesellschaft vorschreibt, wenigstens "ein zur Vertretung der Gesellschaft befugtes Mitglied der Verwaltung" müsse in der Schweiz wohnhaft sein, bestimmt
Art. 813 Abs. 1 OR
für die GmbH lediglich, "einer der Geschäftsführer" müsse in der Schweiz wohnhaft sein. In einem Kreisschreiben vom 15. Mai 1940 hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Auffassung vertreten, den beiden Bestimmungen liege der gleiche Wille des Gesetzgebers zugrunde, so dass auch bei der GmbH der oder die in der Schweiz wohnenden Geschäftsführer zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft befugt sein müssten, ohne dass die Mitwirkung eines im Ausland wohnenden Geschäftsführers erforderlich sei. Die Beschwerdeführerin betrachtet die in diesem Kreisschreiben vertretene Auffassung als mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Auf den ersten Blick scheint diese Ansicht zuzutreffen. Konsultiert man indessen die Gesetzesmaterialien, so ergibt sich ein anderes Bild. In der Tat beschlossen beide eidgenössischen Räte in der parlamentarischen Gesetzesberatung, wenigstens eine zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigte Person müsse in der Schweiz Wohnsitz haben. Erst die Redaktionskommission, die keinerlei Kompetenz zu materiellen Änderungen hatte, führte den heute geltenden Wortlaut ein. Protokolle der Redaktionskommission existieren nicht, und bei der Behandlung in den eidgenössischen Räten wurde für diese Änderung keinerlei Begründung gegeben. Demgegenüber
BGE 111 II 375 S. 377
wurde in den Redaktionslesungen bei jenen Bestimmungen, wo doch noch materielle Änderungen vorgeschlagen wurden oder jedenfalls Änderungen, über deren bloss redaktionelle Natur man Zweifel hegen konnte, jeweils ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen und im Ständerat sogar Wiedereintreten auf die materielle Behandlung der Vorlage beschlossen. So wurde zum Beispiel bei
Art. 711 Abs. 2 OR
vorgegangen. Es ist daher mit dem Bundesamt für Justiz davon auszugehen, dass der unterschiedliche Wortlaut von
Art. 711 Abs. 3 und
Art. 813 Abs. 1 OR
auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers beruht. Es gibt keinen Grund, weshalb die beiden Fälle unterschiedlich behandelt werden sollten. Dass die GmbH gegenüber der Aktiengesellschaft ein stärkeres personelles Element aufweist, ist einerseits kein ausreichender Grund; andererseits berücksichtigte der Ständerat bei der Beratung diesen Umstand ausdrücklich und beschloss trotzdem einen Wortlaut, der mit jenem für die Aktiengesellschaft übereinstimmte (Sten.Bull. StR 1931 S. 632). Zutreffend ist, dass die beiden Kommentare (W. VON STEIGER und JANGGEN/BECKER, je N. 1 zu
Art. 813 OR
) eine abweichende Meinung vertreten, die sich aber angesichts der klaren Gesetzesmaterialien und der ratio legis als unzutreffend erweist.
Letztlich spricht auch die über 45jährige Praxis, die die Handelsregisterbehörden gestützt auf das genannte Kreisschreiben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 15. Mai 1940 befolgt haben, dafür, das Gesetz im Sinne dieser Praxis auszulegen. Jedenfalls ist in keiner Weise dargetan, dass diese Praxis zu Unzulänglichkeiten führte. Auch die Beschwerdeführerin unterlässt es, konkrete Umstände oder Argumente ins Feld zu führen, die zu einer Änderung der Praxis zwingend Anlass zu geben vermöchten. Dass die Wohnsitz- und Nationalitätserfordernisse bei der Aktiengesellschaft und der GmbH immer wieder starker Kritik ausgesetzt seien, ist eine blosse Behauptung. Diese Erfordernisse haben nach wie vor ihre volle Berechtigung, und es ist vorgesehen, sie auch im neuen Aktienrecht beizubehalten (Art. 708 des bundesrätlichen Entwurfes, BBl 1983 II S. 918).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ac93ce57-ee0a-40e8-86cf-a8064693fec4 | Urteilskopf
104 Ib 385
61. Estratto della sentenza 17 marzo 1978 nella causa eredi X. c. Camera di diritto tributario del Tribunale di appello del Cantone Ticino | Regeste
Besteuerung eines durch eine Erbengemeinschaft bei Veräusserung oder Verwertung von Geschäftsliegenschaften erzielten Kapitalgewinns (Art. 21 Abs. 1 lit. d und Art. 43 WStB; Art. 19 Abs. 2 lit. b und Art. 75 Steuergesetz des Kantons Tessin vom 11. April 1950).
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Veranlagung betreffend die Wehrsteuer bzw. der staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Veranlagung betreffend die kantonalen Steuern. Ein Erbe, der nicht in dem gemäss Art. 77 ff. WStB für die angefochtene Veranlagung zuständigen Kanton Wohnsitz hat, ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht legitimiert; er kann indessen als Mitbeteiligter im Sinn von
Art. 110 OG
betrachtet werden (E. 2a/b).
2. Verhältnis zwischen der Einkommenssteuer und der Spezialsteuer betreffend Grundstückgewinne. Rechtslage in verschiedenen Kantonen und im besonderen im Kanton Tessin gemäss dem Steuergesetz von 1950 sowie dem Gesetz betreffend die Grundstückgewinnsteuer vom 17. Dezember 1964 (E. 5-7).
3. Entstehung der Steuerforderung gegenüber einer Erbengemeinschaft: Die Steuerforderung entsteht erst mit der Veräusserung oder einer auf die Dauer ausgerichteten und endgültigen Verwertung der vom Erbgang betroffenen Geschäftsliegenschaften, sofern nicht alle oder einzelne Erben durch eine ausdrückliche Erklärung die Überführung ihres Anteils aus dem Geschäftsvermögen in ihr Privatvermögen herbeiführen (E. 8-E. 14: Wehrsteuerrecht; E. 15: kant. Recht).
4. Wertzerlegung einer gemischt genutzten Liegenschaft. Vereinbarkeit des Merkblatts der Eidg. Steuerverwaltung vom 23. Juli 1969 über die Besteuerung von Gewinnen aus teils geschäftlich und teils privat genutzten Liegenschaften (s. ASA 38, 128 ff. u. 131 ff.; Rivista tributaria ticinese 1969, 108 ff.) mit dem WStB (E. 18a). | Sachverhalt
ab Seite 387
BGE 104 Ib 385 S. 387
A.-
Il Grand Hotel P. venne aperto verso la metà del secolo scorso, divenendo uno degli alberghi più importanti è più lussuosi di L. J. X., padre degli eredi qui ricorrenti, lo acquistò nel 1939 per un prezzo di Fr. 1'760'000.- (Fr. 1'560'000.- per gli immobili e Fr. 200'000.- per il mobilio ed accessori). In quell'occasione, dalla particella principale su cui sorge l'albergo (n. 1071 di 12597 mq) venne staccata la particella n. 1808 di 5000 mq, descritta a registro fondiario quale giardino ed adibita poi parzialmente alla coltivazione di fiori ed ortaggi. Dopo la morte di J. X., avvenuta nel 1941, il Grand Hotel venne gestito dalla moglie e, nel 1944, l'azienda alberghiera fu iscritta nel registro di commercio. Benché la signora X. fosse obbligata a tenere una contabilità giusta l'
art. 957 CO
, poterono esser reperiti soltanto i bilanci ed i conti perdite e profitti relativi agli anni 1942-1948: nel primo di questi bilanci, gli immobili, accessori compresi, erano valutati a Fr. 1'379'000.-; nell'ultimo, il valore era sceso invece a Fr. 1'281'000.-.
La signora X. morì il 5 ottobre 1965, lasciando eredi i sette figli: due di essi sono domiciliati a L., nel Cantone Ticino, mentre gli altri risiedono rispettivamente a Milano e nei Cantoni di Ginevra, Zurigo e Basilea Città. Nell'ambito della comunione ereditaria, la divisione della successione si rivelo subito assai difficoltosa: una parte degli eredi propendeva infatti per la continuazione dell'azienda nell'ambito della famiglia, mentre gli altri preferivano invece liquidare l'intero complesso alberghiero. In queste circostanze, l'amministratore della successione autorizzo a titolo provvisorio l'ulteriore gestione dell'albergo da parte di una società in nome collettivo formata dai due coeredi residenti a L.; detta società fu iscritta nel registro di commercio il 15 giugno 1967. Dopo due anni, e più precisamente il 31 ottobre 1969, l'albergo venne però chiuso e l'attività aziendale non fu più ripresa, anche se un gruppo di eredi non scarto mai l'idea di una possibile riapertura.
In data 11 marzo 1975, il Pretore della Giurisdizione di L. decreto la vendita delle particelle 1071 e 1808 nelle vie del pubblico incanto ed in un sol blocco. Nel relativo capitolato, il prezzo base minimo fu fissato in Fr. 19'700'000.-, somma che
BGE 104 Ib 385 S. 388
rappresentava il valore di stima ufficiale. L'asta venne però immediatamente chiusa poiché nessun partecipante aveva versato nelle mani del notaio il deposito richiesto. Prima della decisione del Tribunale federale, venne poi indetta una seconda asta pubblica. Il prezzo base minimo fu stabilito in questo caso in Fr. 11'000'000.- per la particella 1071 (Grand Hotel) e Fr. 3'000'000.- per la particella 1808. Tuttavia, contro il capitolato d'asta, due coeredi sollevarono azione di contestazione e la causa venne quindi deferita al Pretore di L.
B.-
In base alla descritta fattispecie, l'autorità fiscale ticinese ritenne, in un primo tempo, che con l'affitto del Grand Hotel P. alla società in nome collettivo M. X. & Co. l'intero complesso aveva perso il carattere di bene aziendale ad acquistato quello di sostanza privata della comunione ereditaria. Per questo motivo, la predetta autorità procedeva alla tassazione del relativo utile di liquidazione con decisioni del 6 dicembre 1971 fondate sugli art. 21 cpv. 1 lett. d e 43 DIN (per l'IDN 14o periodo) nonché 19 cpv. 2 lett. b e 75 della legge tributaria (LT) dell'11 aprile 1950 (per l'IC 1967). Su reclamo dei coeredi, l'Ufficio circondariale di L. annullava le tassazioni, riconoscendo che "la costituzione della società in nome collettivo è stato un atto puramente transitorio per salvaguardare la continuità dell'esercizio dell'azienda e che quindi l'immobile ha mantenuto il suo carattere aziendale fino al momento della chiusura definitiva dell'albergo". Stralciando pertanto l'utile di liquidazione, esso aggiungeva altresì che il detto utile sarebbe stato "nuovamente determinato per il 1969, anno di chiusura definitiva dell'albergo e dunque di trapasso dei beni aziendali nella sfera privata della comunione ereditaria". In data 5 novembre 1975, l'autorità fiscale intimava ai singoli eredi le nuove tassazioni concernenti l'utile di liquidazione e relative all'IC 1969 e all'IDN 15o periodo. Detto utile fu calcolato in Fr. 23'890'375.-, con una quota-parte per ogni erede di Fr. 3'412'910.-. Con decisioni 4 agosto 1975, l'autorità fiscale respingeva tutti i reclami presentati dai singoli eredi.
Contro tali decisioni, gli eredi X. si sono aggravati alla Camera di diritto tributario del Tribunale di appello (CDT). Quest'ultima, con sentenza 20 luglio 1976 intimata il 10 agosto, convalido il principio dell'imposizione di un profitto in capitale, correggendone però il calcolo: partendo da un valore di realizzazione di 20 milioni di franchi - importo che "corrisponde
BGE 104 Ib 385 S. 389
alla valutazione minima del complesso da parte dei ricorrenti stessi" - la CDT dedusse infatti il valore degli immobili allibrato nel bilancio di chiusura 31 dicembre 1948 (Fr. 1'281'600.-) e fisso quindi il profitto in capitale soggetto all'imposta in Fr. 18'718'400.-, vale a dire Fr. 2'674057.- per ogni singolo erede. Il 12 agosto 1976, sulla base della cennata sentenza, l'Ufficio circondariale di L. ha provveduto ad intimare ai ricorrenti i nuovi conteggi. Per l'IC, l'imposta annua venne così fissata, per ogni erede, a Fr. 320'880.-. Per quanto concerne l'IDN 15o periodo, la detta tassazione venne invece notificata ai soli contribuenti domiciliati nel Canton Ticino o ad essi assimilati.
Contro la sentenza cantonale e, rispettivamente, contro le cennate tassazioni dell'Ufficio circondariale, gli eredi X., con atti separati, hanno proposto al Tribunale federale un ricorso di diritto amministrativo, riferito all'IDN, e un ricorso di diritto pubblico, riferito all'IC. I coniugi de T.-X. si sono però limitati ad impugnare la stessa sentenza con quest'ultimo rimedio, per quanto attiene all'imposta cantonale. In tutti i gravami è contestato il calcolo dell'utile di liquidazione leggermente corretto dalla CDT ed è chiesto l'annullamento della pronunzia impugnata con o senza rinvio degli atti all'autorità cantonale. Dei motivi si dirà, in quanto necessario, nei considerandi di diritto.
C.-
Nella sua seduta del 21 dicembre 1977, la Camera di diritto amministrativo ha cominciato a deliberare sui gravami dei ricorrenti, ma ha poi rinviato la sua decisione a data ulteriore per poter esaminare più a fondo la questione dell'esigibilità della pretesa fiscale in casi speciali come quello in esame che concernono una successione indivisa. In particolare, la Camera voleva esser meglio informata sugli effetti pratici d'un differimento di codesta esigibilità sino alla divisione ereditaria o sino all'affitto duraturo del complesso alberghiero. Per questo motivo, essa s'è rivolta alle amministrazioni interessate con lettera del giudice delegato del 3 gennaio 1978.
Con la presente sentenza, il Tribunale federale ha accolto tutti i ricorsi di diritto pubblico, nonché i ricorsi di diritto amministrativo proposti dai ricorrenti domiciliati risp. nel Cantone Ticino e a Milano. Gli altri gravami di diritto amministrativo sono stati dichiarati invece irricevibili.
BGE 104 Ib 385 S. 390
Erwägungen
Considerando in diritto:
I. Ammissibilità dei ricorsi e potere cognitivo del Tribunale federale
2.
a) Giusta l'art. 77 cpv. 1 DIN, i contribuenti che hanno nella Svizzera il domicilio o la dimora o la loro sede sono tassati nel luogo in cui hanno domicilio o dimora o sede al momento in cui comincia per essi l'obbligo di pagare l'imposta (art. 8). Per contro, i contribuenti che non hanno né domicilio o dimora, né sede nella Svizzera, vengono tassati nel luogo in cui si sono verificate, all'inizio del loro obbligo di pagare l'IDN (art. 8), le condizioni citate nell'art. 3 n. 3 lett. da a a g DIN. Se queste condizioni si verificano in diversi luoghi, la tassazione avviene nel luogo dove si trova la maggior parte dei beni imponibili, o dove abita il rappresentante principale del contribuente (art. 78 cpv. 1 DIN).
aa) Nel caso in esame, soltanto la dott. M. X. ed il fratello M. X. sono domiciliati nel Cantone Ticino, ove sono quindi soggetti all'imposta federale. Per contro, la dott. I. M.-X., i coniugi R.-X. ed i signori K.-X. risiedono risp. nei Cantoni di Ginevra, Zurigo e Basilea Città dove saranno assoggettati all'imposta federale indipendentemente dal fatto che l'eventuale utile di liquidazione sia stato realizzato nel Cantone Ticino. Per quanto concerne l'IDN 15o periodo, i loro gravami (ancorché proposti a titolo precauzionale) sono per conseguenza irricevibili, non essendo detti ricorrenti toccati dalla decisione impugnata giusta l'
art. 103 lett. a OG
; le autorità fiscali di quei Cantoni sono infatti libere di scostarsi dalla decisione della CDT e, quantomeno formalmente, non è per loro vincolante neppure la sentenza del Tribunale federale.
Malgrado l'inammissibilità di principio dei cennati ricorsi di diritto amministrativo, giova invero rilevare che la pronunzia impugnata concerne de facto tutti gli eredi X., ed è pertanto pacifico che anche i ricorrenti domiciliati a Ginevra, Zollikon e Basilea abbiano potuto insinuare un allegato di replica e debbano quindi esser considerati come interessati ai sensi dell'
art. 110 cpv. 1 OG
.
bb) Diversa è invece la situazione per la dott. A. G.-X., ora residente a Milano. Dopo la morte della madre (1965) e sino alla chiusura del Grand Hotel P. (1969) essa fu infatti contitolare
BGE 104 Ib 385 S. 391
dell'azienda alberghiera, ovvero di un'azienda commerciale esercitata in Svizzera (art. 3 n. 3 lett. c DIN), e soggiace quindi all'imposta sui profitti in capitale e sul plusvalore nel Cantone Ticino, in virtù dell'art. 78 cpv. 1 DIN.
b) Per quanto concerne l'imposta cantonale, basta invece rilevare che il profitto in capitale litigioso è stato conseguito in Ticino nell'esercizio di un'azienda, cosicché la relativa tassazione compete senz'altro all'autorità ticinese (cfr. art. 8 n. 1 e 3 LT e art. 10 della legge di procedura tributaria (LPT) del 23 novembre 1953). Si deve quindi dedurre che l'impugnata sentenza della CDT colpisce tutti i ricorrenti nei loro interessi giuridicamente protetti giusta l'
art. 88 OG
(v.
DTF 104 Ia 152
). In quanto volti contro l'IC 1969, i ricorsi di diritto pubblico, interposti tempestivamente e fondati su una pretesa violazione dell'
art. 4 Cost.
, sono dunque ricevibili in virtù degli
art. 84 cpv. 1 lett. a e 87 OG
.
3.
(Potere d'esame del Tribunale federale.)
II. Violazione del principio dell'uguaglianza
5.
Parecchi ricorrenti lamentano nei rispettivi gravami una presunta disparità di trattamento (
art. 4 Cost.
), asserendo in proposito che essi sono stati tassati, tanto in diritto federale quanto in diritto cantonale, secondo i principi dell'imposta sul reddito netto conseguito mediante la realizzazione di beni immobili, mentre altri contribuenti sarebbero stati colpiti, nella stessa situazione, soltanto dalla legge cantonale concernente l'imposta sul maggior valore immobiliare del 17 dicembre 1964 (LIMVI).
Nella misura in cui concerne la diversa trattazione dei profitti in capitale fra contribuenti astretti a tenere libri contabili giusta l'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN e soggetti fiscali che a tale obbligo non debbono invece sottostare, la predetta censura è tuttavia irricevibile. In effetti, l'ordinamento del decreto concernente l'IDN, in quanto parte della legislazione federale (
art. 114bis cpv. 3 Cost.
), è vincolante per il Tribunale federale che non può quindi esaminare se esso è conforme o meno alla Costituzione (v. ASA 25, 42 consid. 1; MASSHARDT/GENDRE, Commentaire IDN, ad art. 112 DIN, n. 17, pag. 348). Per contro, la censura di violazione dell'
art. 4 Cost.
è senz'altro
BGE 104 Ib 385 S. 392
proponibile nella misura in cui riguarda la legislazione cantonale (v.
DTF 103 Ia 84
c, 387c) e deve qui esser sindicata a titolo pregiudiziale. È pacifico infatti che il cittadino può avvalersi del ricorso di diritto pubblico non solo per impugnare una norma d'obbligatorietà generale, in quanto virtuale violazione dei suoi diritti costituzionali, ma anche per contestarne la validità e quindi l'applicabilità al momento della decisione che la concretizza e che realizza (a parer suo) la lesione del diritto individuale (v.
DTF 103 Ia 86
consid. 3;
102 Ia 42
consid. 3a;
100 Ia 173
/174 consid. 1).
6.
a) Per rispetto al problema posto, vi sono Cantoni che, dal profilo fiscale, trattano gli utili immobiliari provenienti dall'esercizio di un'attività commerciale alla stessa stregua dei profitti immobiliari conseguiti da altri contribuenti. Essi dividono l'utile immobiliare aziendale in due quote-parti: la prima corrispondente agli ammortamenti costituiti e fiscalmente concessi, che è colpita dall'imposta sul reddito; la seconda, relativa all'incremento di valore dell'immobile, che è assoggettata all'imposta sugli utili immobiliari. Fra i Cantoni che s'attengono a questo sistema vanno menzionati Zurigo, Berna, Uri, Svitto, Basilea Campagna e Appenzello Interno. La maggior parte dei Cantoni sottopone tuttavia gli utili provenienti da immobili aziendali di persone fisiche e società di capitali all'imposta sul reddito, mentre gli altri contribuenti soggiacciono soltanto, e se del caso, ad una tassa sul profitto immobiliare (v. B. GROSSMANN, Die Besteuerung der Gewinne auf Geschäftsgrundstücken, tesi San Gallo 1977, pag. 66 segg., con riferimento in particolare al Canton San Gallo). Queste legislazioni cantonali si ispirano pertanto al diritto federale applicando nelle grandi linee gli stessi principi, con la differenza tuttavia che il decreto del 1940 libera dall'imposta quei contribuenti che non sono astretti a tenere libri contabili, mentre i Cantoni riscuotono eventualmente la cennata imposta speciale sull'utile immobiliare (v. O. COURVOISIER, Relation entre l'impôt sur le revenu et l'impôt spécial frappant les gains immobiliers - Etude de droit suisse, tesi Losanna 1974, pag. 41 segg. nonché la conclusione alla parte generale, pagg. 129/131; RYSER, Dix leçons introductives au droit fiscal, Berna 1974, pagg. 168/171). Si noti peraltro in quest'ambito che la detta imposta speciale è denominata in modo diverso secondo i Cantoni e secondo l'oggetto e la natura della contribuzione: parlasi infatti
BGE 104 Ib 385 S. 393
di "Kapitalgewinnsteuer" a Basilea Città di "Vermögensgewinnsteuer" "impôt sur les gains de fortune" a Berna, di "imposta sul maggior valore immobiliare" nel Ticino, di "Zuschlagssteuer" a Soletta di "Grundstückgewinnsteuer" e "impôt sur les gains immobiliers" negli altri Cantoni, con speciale riferimento al Canton Ginevra ov'è questione di un'imposta speciale "sur certains bénéfices immobiliers" (v. COURVOISIER, op.cit., pag. 28 nota 5).
b) Per quanto concerne gli utili immobiliari, il legislatore ticinese ha optato per una soluzione mista o ibrida. Come nel Cantone di Zurigo, qualsiasi utile proveniente da mutazioni immobiliari od operazioni assimilate soggiace all'imposta speciale giusta l'art. 2 LIMVI; ma accanto a questa imposta, l'imposta sul reddito, risp. sul reddito netto non colpisce soltanto la parte corrispondente agli ammortamenti fiscalmente autorizzati, ma altresì la parte di utile (valore d'alienazione meno valore d'acquisto più spese) che rimane dopo deduzione di quella non coinvolta dall'imposta sul maggior valore (v. art. 19 cpv. 2 lett. b e 20 LT; GROSSMANN, op.cit., pag. 85; COURVOISIER, op.cit., pagg. 83/85; F. BOTTOLI, Lineamenti di diritto tributario ticinese, Porza-Lugano 1977, pag. 62).
Nel caso in esame, i ricorrenti non debbono tuttavia assolvere la cennata imposta sul maggior valore immobiliare poiché non v'è stata alcuna alienazione di fondi, in casu dell'immobile aziendale, ai sensi dell'art. 2 LIMVI, mentre i trasferimenti di proprietà per causa di successione non soggiacciono all'imposta in virtù dell'art. 3 cpv. 1 lett. a della stessa legge. Di conseguenza, l'intero profitto in capitale eventualmente conseguito nella fattispecie dovrebbe esser colpito soltanto dall'imposta sul reddito aziendale giusta l'art. 19 cpv. 2 lett. b LT e, più precisamente, dall'imposta annuale prevista dall'art. 75 LT, imposta che, come già s'è visto, è strutturata come l'omonima imposta federale ai sensi degli art. 21 cpv. 1 lett. d e 43 DIN.
c) Ciò premesso, giova invero rilevare che la cennata regolamentazione resiste comunque alla censura d'anticostituzionalità, ancorché debbasi riconoscere ch'essa comporta di per sé una certa disparità di trattamento e che, in un caso come quello in esame, la semplice imposizione dell'incremento di valore ai sensi della LIMVI sarebbe per i ricorrenti più vantaggiosa, tanto più che detta imposta scadrebbe soltanto con l'alienazione del fondo giusta l'art. 2 LIMVI.
BGE 104 Ib 385 S. 394
Chiamato a stabilire un sistema d'imposizione degli utili provenienti da immobili aziendali, il legislatore deve fondamentalmente optare fra due tipi di disparità di trattamento: da un lato, può trattare codesti profitti alla stessa stregua dei normali utili aziendali, creando in tal modo una disuguaglianza per rapporto ai profitti immobiliari di natura privata; dall'altro, può invece mettere sullo stesso piano i profitti provenienti da beni immobiliari privati e la quota relativa all'incremento di valore degli immobili aziendali, imponendo poi gli utili d'azienda in modo differenziato a seconda della fetta di patrimonio su cui son stati conseguiti. In questo contesto, GROSSMANN (op.cit., pag. 375) rileva giustamente che il legislatore è qui in presenza d'un dualismo irriducibile ("unüberwindbarer Dualismus"), tant'è vero che una certa disparità di trattamento non può esser del tutto evitata. Tollerando in un certo qual senso codesta reale disparità, si deve quindi ammettere che le diverse soluzioni adottate dai legislatori cantonali non contraddicono di per sé il principio dell'uguaglianza sancito dall'
art. 4 Cost.
7.
Per ciò che qui interessa, il legislatore ticinese s'è d'altronde riferito alla disciplina prevista dal decreto del 9 dicembre 1940; esso ha infatti assoggettato alla stessa stregua tanto gli utili immobiliari aziendali quanto gli ulteriori benefici d'azienda, nel quadro di un'imposizione unitaria di tutti i guadagni aziendali, senza distinguere cioè fra gli utili conseguiti esclusivamente nell'esercizio di un'azienda ed i profitti extraaziendali realizzati su elementi della sostanza commerciale. Orbene, questo profitto aziendale unitario, che per i contribuenti astretti a tenere una contabilità si desume dai libri di commercio, risulta per principio da un'azione combinata di capitale e lavoro, ed è pertanto logico che l'utile globale che da quest'azione risulta debba esser tassato in modo uniforme.
Come si vedrà dettagliatamente in seguito, un profitto in capitale non è conseguito soltanto con l'alienazione o la realizzazione di beni, ma anche allorquando un attivo già appartenente alla sostanza aziendale viene, mediante una cosiddetta estrazione contabile, trasferito nella sostanza privata del proprietario (v.
DTF 76 I 208
/210; ASA 46, 416; 26, 27; 22, 342; MASSHARDT/GENDRE, ad art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, n. 60, pag. 113; BOTTOLI, op.cit., pag. 60; cfr. anche art. 18 cpv. 2 della nuova legge tributaria del Cantone Ticino del 28 settembre
BGE 104 Ib 385 S. 395
1976). Questa estensione è la logica conseguenza del trattamento unitario riservato dal legislatore agli utili aziendali: in effetti, se al titolare di una ditta gestita in forma commerciale è permesso costituire ammortamenti ed accantonamenti (riserve d'ammortamento: cfr. MASSHARDT/GENDRE, ad art. 22 cpv. 1 lett. a DIN, n. 13, pag. 143) giustificati dall'uso commerciale, è pacifico che con lo scioglimento dell'azienda le riserve occulte non ancora tassate e le plusvalenze conseguite sulla sostanza aziendale, ivi compreso l'incremento di valore dei terreni, debbano sottostare all'imposta diretta. Certo, le conseguenze di questo sistema di per sé conforme alla Costituzione possono anche rivelarsi scioccanti quando tutto l'utile di liquidazione è rappresentato dal solo aumento di valore del terreno, mentre i fabbricati aziendali, dal profilo di una miglior valorizzazione dei fondi, non appaiono più degni di ulteriore manutenzione. In questo caso, gli ammortamenti e gli eventuali accantonamenti operati per la riparazione ed il restauro degli stabili appaiono giustificati nella misura in cui quest'ultimi abbiano manifestamente perso di valore; solo codesto deprezzamento sarà infatti fiscalmente compensato mediante l'aumento di valore dei terreni.
Stando così le cose, anche i ricorrenti debbono pertanto accettare d'essere trattati, per quel che concerne l'incremento di valore dei loro fondi, alla stessa stregua di qualsiasi proprietario di immobili aziendali, e debbono inoltre riconoscere che la normativa adottata dal legislatore ticinese è di per sé conforme ai disposti costituzionali. La censura di disparità di trattamento s'avvera pertanto infondata.
III. Nascita del credito fiscale
8.
Il caso concreto pone, dal profilo giuridico, una questione essenziale che dev'essere esaminata in primo luogo. Si deve infatti vagliare se, come ammesso dalle autorità cantonali, la pretesa fiscale già era esigibile nel 1969 sulla scorta del valore commerciale dei beni immobiliari nello stesso anno, senza tener conto cioè delle effettive svalutazioni subentrate in seguito e, soprattutto, senza considerare il fatto che i ricorrenti non si sono ancora accordati sul destino dei loro beni né hanno preso in proposito una decisione definitiva. È pacifico infatti che se i ricorrenti non hanno conseguito un profitto in capitale ai sensi dell'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, ovverosia se il credito
BGE 104 Ib 385 S. 396
fiscale avanzato dal Cantone non è in effetto ancora sorto, la sentenza impugnata dovrebbe essere annullata d'acchito, ciò che risparmierebbe al Tribunale federale l'esame delle ulteriori censure ricorsuali (segnatamente le eccezioni di perenzione e prescrizione), all'infuori tuttavia di quelle che attengono all'oggetto stesso dell'imposta e che, per ragioni di principio e d'economia processuale, debbono comunque esser sindacate.
9.
a) (...)
b) A titolo preliminare, giova poi aggiungere che, in concreto, sono trascorsi ormai parecchi anni dall'asserita chiusura dell'azienda, senza che ciò abbia portato invero ad una qualsivoglia valorizzazione degli immobili aziendali; è quindi assai probabile che i ricorrenti non potranno comunque conseguire l'utile di liquidazione calcolato in casu dalla CDT e pari a Fr. 18'718'400.-. Basti rilevare in quest'ambito che il capitolato redatto per le aste del 18 aprile 1978 prevede offerte minime di 11 milioni di franchi per la particella n. 1071 ("prima asta") e di 3 milioni di franchi per il mappale attiguo ("seconda asta"): d'altro canto, anche il giudice relatore della CDT - nelle sue osservazioni del 31 gennaio 1978 - ha osservato che l'attuale vendita dei fondi potrebbe fruttare all'incirca dieci milioni di franchi, ciò che corrisponde in pratica all'offerta 16 agosto 1977 della Città di L. (9,5 milioni).
c) Ciò premesso, si deve quindi esaminare se le autorità fiscali del Cantone Ticino erano legittimate a tassare un utile di liquidazione in base a un valore commerciale non ancora realizzato e risalente al 1969, e se, di conseguenza, i ricorrenti erano tenuti a pagare codesta imposta speciale sui profitti in capitale e sul plusvalore giusta gli art. 21 cpv. 1 lett. d e 43 DIN, risp. 19 cpv. 2 lett. b c e 75 LT.
10.
Per l'esame della cennata questione in diritto federale, occorre riferirsi ad una sentenza 28 aprile 1972 in re F.L. c. Commissione cantonale di ricorso del Cantone di Obwalden, apparsa in ASA 41, 450 segg. In quel caso, il padre settantasettenne aveva affittato al proprio figlio la sua azienda (albergo con panetteria e drogheria); dopo la sua morte, avvenuta nel 1963, il contratto d'affitto era stato disdetto (31 agosto 1965), mentre l'immobile aziendale era stato venduto. Il Tribunale federale ha considerato in particolare che l'affitto dell'azienda paterna ad uno dei figli non cagiona già come tale l'imposizione di un utile di liquidazione, se trattasi di misura temporanea
BGE 104 Ib 385 S. 397
intesa unicamente ad assicurare la transizione fino alla vendita dell'immobile commerciale o a preparare il trapasso definitivo dell'azienda stessa al figlio; esso ha altresì aggiunto che l'imposizione di tale utile non si giustifica neppure con il susseguente trapasso ereditario, finché si ignora se gli eredi vogliono alienare l'immobile o affittare definitivamente l'azienda stessa. Da questo giudizio, si desume pertanto che il credito fiscale concernente l'utile di liquidazione nasce, secondo la tendenza manifestata dal Tribunale federale, relativamente tardi, ed in primo luogo con l'alienazione degli immobili aziendali: ciò evita in particolare l'emanazione di tassazioni intempestive nei casi in cui i contribuenti riescono a trovare poi i mezzi necessari per riprendere l'attività commerciale, e fa soprattutto in modo che il termine di perenzione dell'art. 98 DIN cominci a decorrere soltanto più tardi.
D'altro canto, in un'altra sentenza del 1972 confermativa della prassi anteriore (v. ASA 41, 505 segg.), il Tribunale federale ha stabilito che l'affitto definitivo di un'azienda commerciale in un momento ove appare esclusa ogni ulteriore ripresa dell'esercizio da parte del titolare, costituisce una cessazione definitiva dell'attività aziendale, e con ciò un trasferimento di tutta la sostanza commerciale nel patrimonio privato, che legittima l'imposizione di un utile di liquidazione ai sensi degli art. 21 cpv. 1 lett. d e 43 DIN (v. anche ASA 39, 98; 29, 305; 24, 281). Infine, in una terza sentenza del 1956 apparsa in ASA 26, 32 segg., il Tribunale federale ha rilevato che un albergo passato per successione nella proprietà comune di più eredi e affittato ad uno di essi per un lungo periodo, perde, per la durata del contratto d'affitto, il carattere di attivo commerciale ed acquista quello di sostanza privata della comunione ereditaria (cfr. anche REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, vol. II, al § 19 b, n. 47, pagg. 60/61).
Ciò premesso, si deve invero riconoscere che se la comunione ereditaria o l'amministratore della successione affittano l'azienda in un modo che si rivela poi temporaneo, le autorità fiscali sono confrontate ad una situazione poco chiara ed anche poco sicura, ed è quindi comprensibile che esse cerchino comunque d'avviare la tassazione al più presto, magari prematuramente, onde evitare soprattutto che il diritto di tassare si estingua in virtù dell'art. 98 DIN. Per questa ragione, le predette
BGE 104 Ib 385 S. 398
autorità hanno piuttosto la tendenza a non differire la procedura di tassazione - in pratica già ritardata dalla costituzione di riserve occulte esenti da imposta - oltre l'inizio della liquidazione aziendale.
Ai fini di questo giudizio, appare quindi opportuno ricapitolare i principi generali stabiliti dalla giurisprudenza in merito al trasferimento di beni dalla sostanza aziendale alla sostanza privata d'una comunione ereditaria, ed adattarli poi alla fattispecie concreta che, per certi versi, presenta invero aspetti straordinari.
11.
a) Gli utili di liquidazione costituiscono una categoria dei profitti in capitale di cui all'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN conseguiti nell'esercizio di un'azienda avente l'obbligo di tenere una contabilità, mediante alienazione o realizzazione di beni. Sia il diritto federale che il diritto cantonale sottopongono tuttavia all'imposta i soli profitti che son stati conseguiti, ovverosia realizzati, ed è per questo motivo che gli utili di liquidazione provenienti dalla cessazione o dall'alienazione di un'azienda sono espressamente menzionati quali esempi di profitti in capitale imponibili a norma di legge. D'altro canto, il profitto dev'esser conseguito con l'alienazione o la realizzazione di beni dell'attivo commerciale.
Nel caso in esame, non v'è stata finora alcuna alienazione degli immobili aziendali: si deve quindi esaminare in primo luogo cosa debbasi intendere per "realizzazione di beni" ai sensi dell'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN.
b) Secondo la giurisprudenza del Tribunale federale, la devoluzione dell'eredità non può essere considerata realizzazione (v.
DTF 82 I 117
;
DTF 76 I 61
consid. 1); in effetti, con la semplice successione, gli immobili aziendali diventano innanzitutto sostanza commerciale di tutti i coeredi. Se questi decidono poi di continuare assieme l'attività commerciale, la comunione ereditaria diventa in pratica una società a base personale ed è quindi pacifico che non vi sia in tal caso liquidazione alcuna. Per contro, l'affitto durevole di un albergo ad un erede o ad un terzo comporta - secondo la giurisprudenza - una realizzazione di beni che si attua con il trasferimento degli immobili aziendali dalla sfera commerciale a quella privata (v. ASA 41, 507/508 consid. 2; 26, 33). D'altro lato, la prassi ha però stabilito che un immobile in cui viene gestito un albergo e che, alla morte del proprietario, passa alla vedova e
BGE 104 Ib 385 S. 399
alla figlia minorenne, costituisce un elemento della sostanza commerciale della vedova soltanto per la parte che corrisponde alla sua quota della successione indivisa, anche se essa continua a gestire da sola l'azienda; la quota-parte spettante alla figlia diventa invece, in queste circostanze, sostanza privata (v. ASA 39, 94 segg.).
Quando un erede riprende un commercio, ivi compresi gli immobili dell'impresa, nell'ambito d'un normale accomodamento discendente dal diritto successorio, non subentra in effetti liquidazione aziendale, poiché la devoluzione e la divisione dell'eredità non costituiscono, come tali, una realizzazione di beni fiscalmente determinante (v. MASSHARDT/GENDRE, ad art. 43 DIN, n. 20 lett. e, pag. 203). Tuttavia, se taluni eredi sono tacitati per la loro quota-parte di sostanza commerciale si può allora parlare in certi casi di liquidazione parziale dell'azienda stessa (v. ASA 25, 175 segg.; MASSHARDT, Fragen aus dem Gebiet der Besteuerung von Liquidationsgewinnen bei der Wehrsteuer, ASA 26, 161 segg., in part. pag. 168; MASSHARDT/GENDRE, ad art. 43 DIN, n. 20 lett. e, pag. 204; in senso critico, KÄNZIG, Die eidgenössische Wehrsteuer, ad art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, n. 103, pag. 163).
Nei casi testé descritti, s'è dunque in presenza d'una realizzazione di beni, ovvero dell'attivo commerciale, ai sensi dell'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN: al posto dei diritti di proprietà esercitati fin allora in comune o dei diritti di godimento, gli eredi, risp. i coeredi ottengono infatti un corrispettivo che può concretarsi anche nella semplice promessa di pagare un fitto in modo duraturo - ed è questo corrispettivo, di cui i coeredi possono liberamente disporre, che rappresenta l'elemento distintivo di una realizzazione di beni a tenore di legge (cfr. KÄNZIG, Der Begriff der Realisation von Unternehmensgewinnen, ASA 41, 81 segg., in part. pag. 84; BLÖCHLIGER, Steuerliche Probleme bei ererbten Unternehmen, tesi San Gallo 1974, pag. 115 segg.).
c) Il caso in esame presenta tuttavia, per rapporto a quelli sopraesposti, una particolarità determinante; in effetti, gli eredi X. non hanno finora pertoccato corrispettivo alcuno, né siffatta mercede è stata loro ipoteticamente promessa. L'azienda alberghiera a suo tempo gestita dalla madre è rimasta infatti semplicemente inattiva, senza che i ricorrenti abbiano comunque adottato in proposito eventuali disposizioni; fino ad oggi,
BGE 104 Ib 385 S. 400
infatti, i ricorrenti non si sono mai accordati sulla destinazione futura del Grand Hotel P., e se M. X., la dott. M.-X. e la dott. Y. de T.-X. sembrano praticamente disposti a riprendere l'attività aziendale, gli altri coeredi propendono invece per la cessazione definitiva ed irrevocabile dell'attività stessa. In queste precarie circostanze, sarebbe quindi un fuor d'opera parlare di liquidazione degli attivi commerciali più importanti, vale a dire, in casu, d'una realizzazione degli immobili aziendali. Certo, con il licenziamento del personale alberghiero e con l'accertata impossibilità per due soli coeredi di proseguire con l'attività commerciale, l'azienda stessa è entrata per così dire in liquidazione; tuttavia, ciò non costituisce di per sé un fatto fiscalmente determinante poiché non v'è ancora realizzazione di singoli beni dell'attivo aziendale ai sensi dell'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN. Basti ricordare che il decreto del 1940 assoggetta all'imposta i profitti in capitale conseguiti sui singoli elementi della sostanza commerciale soltanto al momento della loro effettiva realizzazione (cfr. per tutte,
DTF 82 I 115
consid. 1): ora, nei casi di beni immobiliari aziendali pertoccati in via successoria, può legittimamente parlarsi di realizzazione ("Verwertung", "réalisation") soltanto se gli eredi hanno potuto accordarsi sulla destinazione futura di codesti immobili o se il destino dei medesimi è stato definitivamente deciso con sentenza giudizialmente composta.
Ciò premesso, si deve quindi riconoscere l'evidente diversità della situazione concreta. I ricorrenti non hanno mai rinunciato ad una divisione provvisoria dell'eredità né hanno quindi fondato una comunione ereditaria duratura, ma nessuno ha comunque preteso che essi abbiano eventualmente differito la detta divisione per considerazioni essenzialmente fiscali. Si deve per contro ritenere che gli stessi ricorrenti non hanno ancora adottato disposizioni fiscalmente rilevanti e tali da sostanziare una realizzazione dei beni immobiliari ai sensi dell'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN. È per conseguenza pacifico che l'imposizione delle plusvalenze conseguite su attivi aziendali non ancora liquidati debba esser ulteriormente aggiornata, in attesa che gli attivi stessi siano definitivamente ed effettivamente alienati o realizzati: come già rilevato in precedenza, il profitto in capitale imponibile a norma di legge presuppone infatti un atto d'alienazione o un atto di realizzazione, vuoi dell'intera azienda, vuoi di singoli beni dell'attivo aziendale
BGE 104 Ib 385 S. 401
(v. MASSHARDT/GENDRE, ad art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, n. 60, pag. 113; BOTTOLI, op.cit., pagg. 60/61).
d) Vero è che se un contribuente obbligato a tenere libri contabili cessa l'attività commerciale e chiede una tassazione intermedia giusta l'art. 96 DIN, si ammette di regola che gli immobili aziendali ch'egli conserva passano, con tale cessazione, nel suo patrimonio privato, senza che subentri a questo punto una vera e propria "alienazione o realizzazione di beni": il momento determinante è infatti quello dell'estrazione contabile dei beni dell'attivo che vengono distolti dalla loro destinazione al servizio dell'azienda per ricevere una nuova destinazione nell'interesse privato del proprietario (v.
DTF 79 I 366
/369 consid. 2; ASA 46, 114 consid. 1). In casi di questa indole, la tassazione intermedia deve tuttavia essere eseguita, almeno per principio, sulla scorta di una dichiarazione completa e fiscalmente ineccepibile, con cui il contribuente chiede di fatto la liquidazione fiscale dell'azienda stessa: questa sua manifestazione di volontà porta quindi alla nascita del credito fiscale all'incirca come se il contribuente avesse allibrato il plusvalore in un bilancio di liquidazione (art. 21 cpv. 1 lett. f DIN). Se per contro una simile dettagliata dichiarazione non è presentata, si dovrà allora riconoscere che l'imposta sull'utile di liquidazione diverrà esigibile soltanto con l'alienazione o la realizzazione degli immobili aziendali (cfr. ASA 47, 418 segg.).
12.
Come già rilevato in ingresso, la Camera di diritto amministrativo s'è rivolta all'Amministrazione federale delle contribuzioni (AFC), alla CDT e alle Amministrazioni dell'imposta per la difesa nazionale dei Cantoni di Ginevra, Zurigo, Basilea Città e Ticino onde ragguagliarsi sugli effetti pratici d'un eventuale differimento dell'esigibilità della pretesa fiscale nei casi speciali concernenti - come quello in esame - una successione indivisa. Ora, le osservazioni presentate da codeste autorità con riferimento alla prassi in uso nei rispettivi cantoni non hanno evidenziato argomenti di peso che potrebbero eventualmente infirmare la sopraccennata opinione del Tribunale federale, basata in particolare sulla sentenza 28 aprile 1972 in re F. L. (ASA 41, 450 segg.). Anzi, dai relativi allegati si desume in ogni caso che la tesi delle autorità ticinesi, secondo cui la definitiva terminazione dell'attività commerciale già scioglierebbe l'imposta annuale su tutti gli attivi appartenenti alla sostanza aziendale, è lungi dall'esser condivisa ovunque, mentre
BGE 104 Ib 385 S. 402
la giurisprudenza del Tribunale federale illustrata nella predetta sentenza coincide piuttosto con la prassi seguita in casu dal Tribunale amministrativo del Cantone di Zurigo.
a) In risposta alla menzionata richiesta, l'Amministrazione delle contribuzioni del Cantone Ticino ha rilevato, tra l'altro, che l'autorità fiscale esegue senz'altro la tassazione dell'utile di liquidazione quando non vi son più ragionevoli motivi per credere in una possibile ed eventuale continuazione dell'attività aziendale. Per contro, se si dovesse tener sospesa la detta tassazione fino all'atto della divisione ereditaria si favorirebbero "possibili ed ingiustificati abusi": ragioni di principio impongono pertanto di concludere che l'imposta sull'utile di liquidazione diventa esigibile con la cessazione definitiva dell'attività commerciale.
Questi argomenti non cadono in acconcio. È pacifico infatti che le autorità fiscali, dopo la morte di chi lascia l'eredità, hanno sempre il diritto di avviare la procedura di tassazione, notificando al contribuente l'apposito formulario di dichiarazione, ciò che porterà in ogni caso all'interruzione del termine di perenzione. Dalla scadenza del credito d'imposta decorrerà certo la prescrizione di cinque anni prevista dall'art. 128 DIN, il cui corso è però interrotto da qualsiasi atto ufficiale inteso all'accertamento o all'esazione del credito stesso (v.
DTF 97 I 176
;
DTF 88 I 45
segg.; ASA 18, 139 segg.; inoltre, BOTTOLI, op.cit., pag. 121). Ora, la procedura di tassazione può benissimo essere aperta anche se le autorità fiscali ritengono che l'imposta annuale diverrà forse esigibile soltanto più tardi, e le stesse autorità possono inoltre fissare agli eredi un termine affinché annuncino ogni loro decisione in merito alla realizzazione degli immobili aziendali, giusta l'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN. Sta di fatto tuttavia che la mera rottura di un contratto d'affitto provvisorio stipulato con due coeredi dall'amministratore della successione senza l'avallo di tutti gli eredi non può comunque esser parificata ad un accordo fra gli eredi stessi circa la realizzazione dei beni, né equivale ovviamente ad una sentenza giudiziale di divisione.
b) Alla sua risposta dell'8 febbraio 1978, l'Amministrazione fiscale del Cantone di Zurigo ha allegato le più importanti decisioni emanate sulla questione dalla Commissione cantonale di ricorso e dal Tribunale amministrativo. Da queste pronunzie si desume in particolare che la sola cessazione dell'attività
BGE 104 Ib 385 S. 403
aziendale da parte di una comunione ereditaria non giustifica come tale l'imposizione di un utile di liquidazione; in linea di principio, dette autorità reputano invece determinante la liquidazione di singoli beni dell'attivo già appartenenti alla sostanza aziendale. D'altro canto, il possibile trasferimento di codesti beni dalla sfera commerciale a quella privata presuppone sempre, secondo le autorità zurighesi, un atto di volontà dei proprietari, che gli organi fiscali non possono ottenere coattivamente, e che attesti soprattutto il cambiamento di destinazione dei beni stessi (cfr. sentenza 22 dicembre 1965 del Tribunale amministrativo, in ZBl 67/1966, 163). Parecchie decisioni della Commissione cantonale di ricorso e del Tribunale amministrativo, che risalgono peraltro fino al 1935, insegnano inoltre che, per il calcolo dell'imposta sui profitti in capitale, è determinante l'ammontare effettivo della controprestazione realmente pertoccata e che la cessione in affitto dell'azienda da parte di una comunione ereditaria rappresenta spesso un semplice ripiego e deve allora esser considerata quale misura essenzialmente transitoria. Secondo la prassi zurighese, sia l'inizio che la fine dei rapporti locatizi non costituiscono come tali atti di realizzazione né sostanziano pertanto un'eventuale liquidazione di singoli beni dell'attivo commerciale; e persino le operazioni di liquidazione rientrano ancora nell'attività aziendale anche se, per avventura, dovessero protrarsi per alcuni anni. Per quanto concerne infine il possibile trasferimento di sostanza commerciale nel patrimonio privato, occorre poi imporsi, secondo le autorità cantonali, il massimo riserbo, già per il fatto che i beni della sfera aziendale conservano ulteriormente questa caratteristica dopo la cessazione dell'attività commerciale, finché gli interessati non abbiano debitamente comprovato l'utilizzazione privata dei beni stessi (su questi problemi nel Canton Zurigo, v. Rechenschaftsberichte Oberrekurskommission 1935, n. 19; 1936, n. 4; 1939, n. 17-18; 1941, n. 16; 1951, n. 10; 1953, n. 12-13; 1954, n. 20-21; Verwaltungsgericht 1965, n. 35, decisione apparsa inoltre in ZBl 67/1966, 163).
Certo, l'Amministrazione delle contribuzioni del Canton Zurigo non sembra condividere totalmente questa giurisprudenza. Nelle succitate osservazioni 8 febbraio 1978 al Tribunale federale, essa rileva infatti che, quantomeno per principio, sarebbe preferibile imporre l'utile di liquidazione all'atto della
BGE 104 Ib 385 S. 404
conclusione dell'attività aziendale. La detta tassazione potrebbe invece esser differita soltanto se il contribuente dichiara esplicitamente di non voler distogliere gli attivi aziendali dalla loro destinazione al servizio dell'azienda e si impegna altresì ad annunciare all'autorità fiscale qualsiasi ulteriore mutamento della destinazione stessa. Aperta rimane invece la questione di sapere se, nell'ambito dei rapporti di proprietà che vigono nella comunione ereditaria (cfr.
art. 602 cpv. 2 CC
), un unico erede od un gruppo di essi possa determinare la cosiddetta riconduzione a sostanza privata della sua quota mediante esplicita manifestazione di volontà in tal senso, o se, per contro, questa stessa manifestazione già provoca la perdita della precedente destinazione aziendale degli attivi nei confronti d'ogni partecipante alla comunione ereditaria. Ove gli eredi siano domiciliati in cantoni diversi, è inoltre determinante - secondo lo Steueramt di Zurigo - che l'autorità cantonale chiamata ad eseguire la tassazione per l'avvenuto trapasso a sostanza privata orienti le amministrazioni fiscali dei cantoni interessati, competenti poi ad assoggettare all'imposta gli altri coeredi. Ad ogni modo, i contribuenti debbono essere indotti a dichiarare le riserve realizzate con la comminatoria delle pene previste dagli art. 129 e segg. DIN, mentre la realizzazione nel senso sopraesposto non può comunque esser differita per quanto concerne i valori appartenenti alla sostanza mobile, ma unicamente per quel che attiene ai beni immobiliari di natura aziendale.
In un rapporto 20 dicembre 1961 allegato dall'Ufficio delle imposte e relativo alla revisione 1962 della legge tributaria zurighese (§ 19 lett. b e 25 lett. b), si legge inoltre che le autorità fiscali cercano in linea di principio d'ottenere dal contribuente una dichiarazione scritta con cui quest'ultimo si determina in merito alla futura destinazione degli attivi commerciali (cfr. Rechenschaftsberichte Oberrekurskommission 1954, n. 22). Le autorità zurighesi dispongono in particolare d'un formulario speciale, che il contribuente riempie e sottoscrive in caso d'affitto di sostanza investita nell'azienda, quando lo stesso contribuente intende rinviare la tassazione a più tardi, lasciando intanto agli immobili la loro destinazione aziendale. Firmando questo formulario, il contribuente riconosce pertanto che la cessione in affitto non riveste ancora carattere definitivo e si impegna inoltre ad avvertire l'autorità fiscale in caso di
BGE 104 Ib 385 S. 405
rinuncia ad una futura gestione in proprio dell'azienda o di vendita dell'azienda stessa.
c) Nelle sue osservazioni del 30 gennaio 1978, l'Amministrazione federale delle contribuzioni ha rilevato, tra l'altro, che la tassazione precoce degli utili provenienti da immobili aziendali favorisce in linea di principio il contribuente poiché, a lunga scadenza, i prezzi dei terreni tendono a salire; sotto questo risvolto, il caso in esame sarebbe quindi del tutto atipico, avendo i fondi dei ricorrenti subito una concreta svalutazione. Secondo l'AFC, il rinvio della tassazione esporrebbe poi l'autorità fiscale al rischio di non vedersi notificata una realizzazione di beni attuatasi soltanto in seguito, per cui il fatto imponibile potrebbe anche cadere in dimenticanza, o di lasciarsi sfuggire il momento effettivo in cui realmente si perfeziona il trasferimento di beni nella sostanza privata o l'eventuale alienazione dei medesimi. D'altro canto, v'è anche il pericolo che le riserve occulte non ancora tassate sfuggano all'imposta diretta, contro la volontà esplicita del legislatore. Per questi motivi, il contribuente deve dimostrare soprattutto che la soprassedenza alla tassazione appare comunque nel suo caso per più di un verso necessaria. L'AFC conclude poi osservando che, per i casi particolari, che presentano caratteristiche del tutto anomale, non possono essere tracciate direttive generali.
d) L'Amministrazione fiscale del Cantone di Ginevra, postulando anzitutto la scelta di principi chiari che possano esser applicati senza difficoltà ed esitazioni, riconosce in linea di massima che se si fissa la nascita del credito fiscale all'atto dell'effettiva realizzazione o alienazione dei beni immobiliari aziendali pertoccati in via successoria, si opta in effetti per la soluzione più realista, evitando in particolare stime e calcoli poco sicuri.
e) Con le sue osservazioni del 31 gennaio 1978, l'Amministrazione dell'IDN del Cantone di Basilea Città ha tracciato una panoramica dei problemi che si pongono all'autorità fiscale in caso di trapasso ereditario di un'azienda. Anche per le autorità basilesi, occorre dare soprattutto alla norma tributaria una corretta interpretazione affinché il fisco possa cautelarsi da ingiustificate eccezioni di prescrizione o perenzione.
13.
Alla luce della prassi cantonale e della già menzionata sentenza del 28 aprile 1972 (ASA 41, 450), si deve pertanto ammettere che, comunque si vogliano considerare le cose, la
BGE 104 Ib 385 S. 406
pretesa fiscale nei confronti d'una comunione ereditaria diventa esigibile soltanto con l'alienazione o la realizzazione stabile e definitiva degli immobili aziendali, a meno che tutti gli eredi o alcuni di essi, con espressa dichiarazione in tal senso, abbiano promosso il prematuro trasferimento della loro quota ereditaria dalla sfera commerciale al rispettivo patrimonio privato. Orbene, nel concreto caso, ove non v'è stata alcuna alienazione o cessione duratura in affitto dei beni aziendali, le autorita cantonali non pretendono neppure che un solo ricorrente abbia eventualmente rilasciato una dichiarazione di tal fatta, determinando in questo modo il cosiddetto passaggio a sostanza privata.
Ingiustificate o comunque irrilevanti in quest'ambito sono poi le apprensioni di alcune amministrazioni cantonali, secondo cui il differimento del termine d'esigibilità della pretesa fiscale potrebbe anche complicare la riscossione stessa dell'imposta. Dopo la morte del titolare dell'impresa, le autorità fiscali dispongono infatti d'un termine di tre anni per cominciare la tassazione, inviando agli interessati un primo atto ufficiale, anche se le questioni relative alla nascita del credito d'imposta non sono state ancora definitivamente acclarate. D'altro canto, le predette autorità possono anche chiedere ai singoli eredi di determinarsi con un'esplicita manifestazione di volontà, onde sapere se essi propendono per un immediato trasferimento della loro parte di beni immobiliari aziendali nel rispettivo patrimonio privato o se vogliono invece ritardare codesto passaggio sino al termine legale d'esigibilità, ossia, in altre parole, sino a decisione definitiva sull'alienazione o la realizzazione degli immobili aziendali. In quest'ultima ipotesi, occorrerà tuttavia rammentare ai coeredi che, caduta questa decisione, essi dovranno denunciare al fisco il fatto imponibile, indicando tutti i fattori importanti per stabilire l'estensione dell'obbligo fiscale.
14.
Da quanto sopra discende che, chiaramente a torto, l'autorità del Cantone Ticino ha considerato esigibile la pretesa fiscale litigiosa già nel 1969, intimando agli eredi ricorrenti la tassazione ai fini dell'imposta annuale sui profitti in capitale e sul plusvalore, giusta gli art. 21 cpv. 1 lett. d e 43 DIN. Per quanto attiene all'IDN 15o periodo, l'impugnata decisione della CDT s'avvera pertanto lesiva del diritto federale e dev'essere annullata. In accoglimento dei ricorsi di diritto amministrativo
BGE 104 Ib 385 S. 407
proposti da A. G.-X., dalla dott. M. X. e da M. X., gli atti sono quindi restituiti all'autorità competente che emanerà una nuova tassazione quando i beni immobiliari aziendali dei ricorrenti saranno alienati o realizzati giusta l'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, nel senso testé esposto.
15.
Per quanto concerne l'imposta cantonale 1969, non diversa è la sorte della sentenza impugnata, ancorché il potere cognitivo del Tribunale federale - essendo in gioco l'applicazione e l'interpretazione di norme del livello legislativo - sia qui limitato ad eventuali violazioni dell'
art. 4 Cost.
, ed in ispecie all'arbitrio (supra consid. 3: inoltre sentenza 17 febbraio 1978 in re B., apparsa nella Rivista tributaria ticinese (RTT) 1978, 121 segg., in part. 124b; BOTTOLI, op.cit., pag. 140).
a) Secondo l'art. 19 cpv. 2 LT, sono (pure) considerati reddito di azienda i profitti in capitale conseguiti nell'esercizio di un'azienda avente l'obbligo di tenere una contabilità mediante l'alienazione o la realizzazione di beni mobiliari (specialmente titoli e valori) e immobiliari (lett. b), nonché i benefici di liquidazione in caso di cessazione o di alienazione di un'azienda o di trasferimento della stessa fuori Cantone, i guadagni risultanti dalla cessione di clientela, ecc. (lett. c). L'art. 75 LT dispone poi che se l'assoggettamento all'imposta cessa oppure si è proceduto ad una tassazione intermedia (art. 74 LT), oltre all'imposta ordinaria sul reddito è dovuta un'imposta annuale sui profitti in capitale e sul plusvalore nel senso dell'art. 19 cpv. 2 lett. b, c e d conseguiti durante il periodo di computo e quello di tassazione, con l'aliquota applicabile unicamente a questo reddito (cpv. 1). I profitti in capitale ed il plusvalore soggetti a codesta imposta non sono compresi nel computo dell'imposta sul reddito ordinario (cpv. 2). Nel calcolo dell'imposta annuale prevista da questo articolo, non si tiene inoltre conto di alcuna deduzione (cpv. 3).
b) Come già rilevato ed altresì riconosciuto tanto dalla CDT nella sentenza impugnata (consid. 5, pag. 31), quanto dall'ACC nella sua risposta (punto 2, pag. 9), l'imposta speciale sui profitti in capitale e sul plusvalore giusta gli art. 19 cpv. 2 lett. b c e 75 LT è strutturata alla stessa stregua della corrispondente imposta federale annuale ai sensi degli art. 21 cpv. 1 lett. d e 43 DIN, con la sola differenza - peraltro ininfluente nel concreto caso - che l'art. 19 cpv. 2 lett. c LT si applica
BGE 104 Ib 385 S. 408
anche ad aziende non aventi l'obbligo di tenere libri contabili. È pertanto evidente che i principi validi per l'applicazione delle norme di diritto cantonale sono identici a quelli invalsi nei confronti delle disposizioni del diritto federale: per entrambe le imposte, torna quindi applicabile, in altre parole, la prassi instauratasi attorno alla norma del decreto 9 dicembre 1940 del Consiglio federale (cfr. inoltre, in questo contesto, l'art. 18 cpv. 2 della nuova legge tributaria del 28 settembre 1976, ove il legislatore ticinese ha dichiarato imponibili i profitti in capitale e gli utili di liquidazione conseguiti mediante l'alienazione, la realizzazione, il trasferimento nella sostanza privata, o in imprese o stabili organizzazioni fuori Cantone di beni mobiliari e immobiliari aziendali, compresi i valori immateriali, aggiungendo altresì che, al trasferimento nella sostanza privata, è parificata la cessione in affitto di un'azienda, qualora non sia manifestamente di natura transitoria). Quanto è stato detto per l'IDN vale quindi, mutatis mutandis, anche per l'imposta cantonale. Ora, se in base a codesti principi e sulla scorta di codesta prassi, il Tribunale federale ha stabilito che il credito fiscale vantato dall'autorità cantonale non era in effetto ancora sorto, che ancora non v'era stata una realizzazione (o un'alienazione) di beni immobiliari aziendali ai sensi dell'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, è finanche palese che detto credito non potesse essere esposto neppure con riferimento all'imposta cantonale. Per quanto attiene a quest'ultima imposta, la decisione impugnata appare pertanto insostenibile e chiaramente sbagliata e, come tale, assurge ad arbitrio (v.
DTF 100 Ia 468
e, per un ragionamento analogo, la sentenza 17 giugno 1977 in re T., apparsa in Rep. 1978, 22 segg., in part. 29 consid. 7). Considerato infatti che l'ordinamento giuridico cantonale è sostanzialmente consimile a quello federale e che i problemi di fatto e di diritto posti dall'attuale vertenza e connessi all'applicazione delle norme cantonali e federali sono altrettanto identici, sarebbe ovviamente un fuor d'opera assoggettare all'imposta cantonale un profitto in capitale (dell'ordine di 20 milioni) non ancora conseguito per mancanza d'una qualsiasi alienazione o realizzazione dei beni immobiliari aziendali. Le stesse ragioni che rendono attualmente illegittima la tassazione ai fini dell'IDN 15o periodo, fanno apparire altrettanto insostenibile la corrispondente tassazione relativa all'imposta cantonale sui profitti in capitale e sul plusvalore.
BGE 104 Ib 385 S. 409
c) Tutti i ricorsi di diritto pubblico proposti dagli eredi X. s'avverano di conseguenza ugualmente fondati, ciò che comporta l'automatico annullamento della pronunzia impugnata anche per quanto attiene all'imposta cantonale.
IV. Altre censure
16.
L'accoglimento dei ricorsi per le ragioni anzidette rende inutile l'esame d'un certo numero di censure opposte dagli eredi X. alla sentenza impugnata, ma rese inattuali per difetto dei presupposti che giustificano l'eventuale imposizione di un utile di liquidazione. Sotto questo risvolto, torna pertanto superfluo esaminare le eccezioni di perenzione e prescrizione sollevate dai ricorrenti e i problemi relativi al valore commerciale degli immobili nel 1969. Ragioni di principio e d'economia processuale impongono per contro la disamina di quegli argomenti che attengono all'oggetto stesso dell'imposta e che appaiono pertanto rilevanti ai fini della futura tassazione d'un profitto in capitale.
(17.- Appartenenza della particella n. 1808 alla sostanza commerciale.)
18.
Ripartizione del valore dell'immobile ("Wertzerlegung") sito al mappale 1071.
Per quel che attiene alla cennata particella, i ricorrenti rimproverano inoltre alla Corte cantonale di non aver eseguito una ripartizione del valore dell'immobile conformemente a quanto esposto dal Tribunale federale in
DTF 92 I 51
segg. rilevando in particolare che i cinque negozi situati al pianoterra dell'albergo avrebbero dovuto essere assegnati alla sostanza privata (trattasi più precisamente d'una tabaccheria, d'una gioielleria, d'un salone per signora, d'un negozio di fotografo e d'una boutique che, nel 1969, avevano ancora fruttato ai ricorrenti, in mercede, la somma di 36 720 franchi). La CDT ha giustificato infatti l'attribuzione degli stessi alla sfera commerciale osservando in particolare che "l'esiguità della loro superficie e la scarsa importanza economica - l'affitto contribuiva al reddito netto in misura inferiore al 10% - non permette di escluderli
BGE 104 Ib 385 S. 410
dal complesso aziendale" (sentenza impugnata, consid. 7 in fine).
a) Il 23 giugno 1969, l'AFC ha emanato un "Promemoria quanto alla tassazione degli utili provenienti da immobili adibiti in parte a scopi commerciali e in parte a scopi privati" (ripartizione del valore dell'immobile - partage de la valeur de l'immeuble - Wertzerlegung), apparso in ASA 38, 128 segg. e 131 segg. per la versione tedesca e francese e nella Rivista tributaria ticinese 1969, 108 segg. per la versione italiana. Detto promemoria è stato redatto in seguito all'emanazione della sentenza 18 febbraio 1966 in re Schatzmann (
DTF 92 I 49
segg. - ASA 35, 304 segg.), ove il Tribunale federale ha deciso che, per la tassazione degli utili conseguiti da persone fisiche con l'alienazione o la realizzazione di immobili utilizzati promiscuamente, si deve - contrariamente alla vecchia prassi (cfr. MASSHARDT/GENDRE, ad art. 21 cpv. 1 lett. d DIN, n. 76) - procedere ad una ripartizione del valore del bene immobile e tassare soltanto l'utile attinente alla parte dell'immobile adibita a scopi commerciali (v. circolare n. 15 dell'AFC, in RTT 1969, pag. 108). Secondo l'autorità federale, la detta ripartizione del valore non deve tuttavia essere effettuata in ogni caso: in particolare, si può rinunciarvi quando "la destinazione privata dell'immobile era di poca importanza rispetto al suo impiego a scopi commerciali, per esempio quando il valore locativo della parte privata dell'immobile costituiva meno del 10 per cento del valore locativo di tutto l'immobile".
Anche se la cennata sentenza del Tribunale federale, peraltro confermata in seguito (v. ad es. ASA 40, 339 segg.), è stata accolta dalla dottrina con qualche riserva, le competenti autorità cantonali si sono generalmente adeguate alle istruzioni dell'AFC, procedendo in seguito secondo le direttive contenute nel promemoria (cfr. KÄNZIG, Ergänzungsband, ad art. 21 DIN, n. 91; HÖHN, Steuerrecht, II ediz., pag. 117; COURVOISIER, op.cit., pag. 261; GROSSMANN, op.cit., pag. 32 e riferimenti, in part. nota n. 5; BOTTOLI, op.cit., pag. 52). Ciò è segnatamente il caso nel Cantone Ticino, ove tanto la CDT (implicitamente, con riferimento a STEINMANN, Das Grundstück als Gegenstand des Geschäftsvermögens im Wehrsteuerrecht, ASA 44, 561 segg., in part. 582, nota n. 84), quanto l'ACC nelle osservazioni di risposta (pag. 20 d) hanno chiaramente alluso alla già menzionata circolare dell'AFC. In questo contesto, giova peraltro rilevare che
BGE 104 Ib 385 S. 411
la ripartizione del valore di un immobile a sfruttamento misto sostanzia in modo generale un principio basilare dell'equità in materia fiscale, poiché permette al contribuente che ha conseguito un profitto giusta l'art. 21 cpv. 1 lett. d DIN di sottrarre legalmente all'imposta quella frazione d'utile che corrisponde alla parte dell'immobile adibita a scopi privati; in altre parole, soltanto l'utile immobiliare che ricade nella sfera commerciale entra in linea di conto per il calcolo dell'imposta sulla difesa nazionale (cfr. ancora
DTF 92 I 51
segg., in part. 53 e riferimenti; promemoria citato, RTT 1969, 109). Nello spirito del decreto del 1940, la cennata spartizione del valore deve tuttavia essere effettuata soltanto se una parte importante dell'immobile non era chiaramente adibita a scopi commerciali e non era quindi impiegata come tale nell'esercizio aziendale. Orbene, quando l'AFC ha adottato il suo promemoria, si poteva senz'altro sostenere che la detta ripartizione del valore non doveva esser operata allorché il valore locativo della parte privata dell'immobile alienato o realizzato costituiva meno del 10% del valore locativo globale, vale a dire della mercede complessiva che il proprietario avrebbe ottenuto se avesse locato l'intero immobile. Sotto questo profilo, le cennate direttive dell'AFC appaiono pertanto conformi al diritto federale.
19.
(Valore contabile degli immobili) (V. Spese processuali.) | public_law | nan | it | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ac942657-8af5-4b49-9bd0-deef587e8972 | Urteilskopf
87 III 61
12. Entscheid vom 21. Juni 1961 i.S. Wicky. | Regeste
Automobil als Kompetenzstück gemäss
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
: Malermeister in Stadt, aber spezialisiert auf Malerarbeiten in Hotels und Pensionen, auch in entfernten Gegenden, kann sein altes, im Betrieb billiges Auto, mit dem er in selbständiger Stellung mehr verdient denn ohne solches als blosser Angestellter, als unpfändbar beanspruchen. | Sachverhalt
ab Seite 61
BGE 87 III 61 S. 61
A.-
Der Schuldner, selbständiger Maler in Bern, beanspruchte das ihm für Mietzins retinierte Auto Ford 1952, 5,96 PS im Schätzungswerte von Fr. 500.-- als für seine Berufsausübung unentbehrliches Hilfsmittel. Entgegen der auf Abweisung der Beschwerde antragenden Vernehmlassung des Betreibungsamtes hat die Aufsichtsbehörde, nach eingehender Einvernahme des Beschwerdeführers über Art, Ort und Erfolg seiner Berufsausübung, den Kompetenzanspruch geschützt auf Grund der Feststellungen, der Schuldner arbeite in der Stadt Bern, aber in zunehmendem Masse auswärts, namentlich in Hotels und Pensionen (im Oberland, aber auch ausserhalb des Kantons Bern, in der Innerschweiz). Für die auswärtige Tätigkeit sei er auf ein Auto zum Transport der Farbkessel und Leitern angewiesen und könne nicht auf die öffentlichen Transportmittel verwiesen werden, zumal die Arbeitsstätten zum Teil von solchen abgelegen seien. Es lasse sich auch nicht sagen, dass der Betrieb des Beschwerdeführers dauernd defizitär sei. Er sei zur selbständigen
BGE 87 III 61 S. 62
Erwerbstätigkeit übergegangen, weil er als Angestellter zu wenig verdient habe, um seinen Familien- und Alimentenlasten genügen zu können. Als selbständiger Maler verdiene er mehr als in unselbständiger Stellung. Er sei vorübergehend in finanzielle Schwierigkeiten gekommen, weil er eine grössere Arbeit, mit der er gerechnet hatte, nicht erhalten habe.
B.-
Mit dem vorliegenden Rekurs beantragt die Mietzinsgläubigerin Abweisung des Kompetenzanspruchs. Sie führt aus, es sei nicht bewiesen, dass der Schuldner ausschliesslich durch auswärtige Arbeiten seinen Unterhalt verdiene. Ein Auto sei für seinen kleinen Betrieb offensichtlich zu kostspielig, sonst wäre er nicht derart in finanzielle Schwierigkeiten gekommen, dass er den Mietzins für Monate schuldig geblieben sei, obwohl er mehrfach Zahlung versprochen habe. Er benötige das Auto nicht unbedingt, sondern könne sein Material mit Veloanhänger oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz hat die Frage der Kompetenzqualität zutreffend unter dem doppelten Gesichtspunkt der individuellen Existenzfähigkeit des Schuldners und der allgemeinen Wirtschaftlichkeit des Hilfsmittels im Rahmen seines Betriebes geprüft. Sie hat den Schuldner durch ihren Sekretär ausführlich einvernehmen lassen. Wie weit sie seinen Aussagen Glauben schenken und darauf abstellen zu können glaubte, war Sache der ihr allein zustehenden, der Überprüfung des Bundesgerichts entzogenen Beweiswürdigung. Das gilt namentlich bezüglich des Umfanges seiner auswärtigen, sogar ausserkantonalen Berufstätigkeit. Dass der Schuldner ausschliesslich auswärts arbeite, hat weder er behauptet noch die Vorinstanz angenommen. Wenn er, wie die Vorinstanz auf Grund seiner Aussagen als erwiesen angenommen hat - und annehmen durfte -,
BGE 87 III 61 S. 63
sich gestützt auf bisher gemachte Erfahrungen in einem gewissen Masse auf Malerarbeiten in Hotels und Pensionen spezialisiert hat, weil diese Arbeiten weniger gesucht sind als andere und er daher hier besser gegen die Konkurrenz aufkommen kann, so ist das ein Moment, dem die Vorinstanz Rechnung tragen konnte. Ihre Annahme, der Beschwerdeführer verdiene als selbständiger Maler mehr denn als Angestellter (und zwar, nach dem Einvernahmeprotokoll, ca. Fr. 100.-- bis 150.-- im Monat mehr), ist als ebenfalls tatsächlicher Natur verbindlich. Liegen damit sachliche Gründe vor, die eine räumlich stark dezentralisierte Berufsausübung rechtfertigen, so trifft es zweifellos zu, dass dafür zum Transport des Materials ein eigenes Motorfahrzeug nötig ist und schon allein mit Rücksicht auf Zeitverlust dem Handwerker nicht zugemutet werden kann, ein Velo oder die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, zumal der Transport bis zu und von diesen auch wieder ein Fahrzeug erfordert. Insofern liegt der Fall wesentlich anders als der eines Malermeisters mit ausschliesslicher Stadtpraxis, dem zugemutet wurde, seiner Arbeit in Basel zu Fuss, per Velo oder Tram nachzugehen (Entscheid vom 17. August 1954 i.S. Stolz).
Ebensowenig kann der Verwendung eines alten, mit nur 6 PS im Betrieb nicht teuren, auf nur Fr. 500.-- geschätzten Fordwagens die allgemeine Wirtschaftlichkeit abgesprochen werden (vgl.
BGE 80 III 110
,
BGE 84 III 20
). Wenn Betrieb und Unterhalt des Wagens im Monat auf rund Fr. 100.-- zu stehen kommen und der Schuldner trotzdem einen um Fr. 100.-- - 150.-- höheren Reinverdienst erzielt, denn als blosser Angestellter, so rechtfertigen sich dìe Unkosten, namentlich auch mit Rücksicht auf die bei selbständiger Berufsausübung mögliche Vergrösserung des Kundenkreises und daherige Verbesserung des Einkommens. Bei dieser Annahme kann auch nicht (mit dem Rekurs) gesagt werden, der Schuldner sei wegen des zu kostspieligen Autobetriebs in die finanziellen Schwierigkeiten gekommen, das Auto habe nicht einmal
BGE 87 III 61 S. 64
seine eigenen Unkosten zu decken vermocht und diese ständen zu dem mit ihm erzielten Erwerb in keinem vernünftigen Verhältnis (
BGE 80 III 110
). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem einen erlernten Beruf selbständig ausübenden Handwerker bezüglich der Gestaltung der technischen Betriebsverhältnisse weniger Spielraum zur Verfügung steht als etwa einem kaufmännischen Vertreter, dem zugemutet werden kann, bei zu teurem Autobetrieb in seiner Branche eine Reisestelle mit firmaeigenem Auto zu suchen (
BGE 80 III 109
) oder auf eine Branche oder einen Artikel hinüberzuwechseln, wo die Reisetätigkeit ohne Auto möglich ist (Entscheid vom 25. Juni 1954 i.S. Leuenberger; vom 10. September 1959 i.S. Haefliger).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac966504-c8f5-4cce-a2cc-d19110bf0b05 | Urteilskopf
136 III 410
60. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen A. und acht Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_57/2010 vom 2. Juli 2010 | Regeste
Art. 28 Abs. 2 ZGB
; Schutz der Persönlichkeit des Versicherten gegen privatdetektivliche Observation; Rechtfertigungsgrund des überwiegenden Interesses.
Die von der Haftpflichtversicherung veranlasste Observation der versicherten Person kann deren Privatsphäre wie auch deren Recht am eigenen Bild verletzen. Die Verletzung ist dann nicht widerrechtlich, wenn das Interesse an der Verhinderung eines Versicherungsbetrugs das Interesse des von der Observation Betroffenen auf Unversehrtheit seiner Persönlichkeit überwiegt. Zusammenfassung der Kriterien, die für die Abwägung der Interessen massgebend sein können (E. 2-6). | Sachverhalt
ab Seite 411
BGE 136 III 410 S. 411
A.
X. wurde am 28. Oktober 2001 als Mitfahrer in einem Fahrzeug Opfer eines Verkehrsunfalls und erlitt Körperverletzungen. Er erhob Klage auf Ersatz des Haushaltschadens gegen die beiden Fahrzeuglenker und deren Haftpflichtversicherungen. Die kantonalen Gerichte wiesen die Klage ab. Rechtsmittel an das Bundesgericht blieben erfolglos (Urteile 4C.166/2006 vom 25. August 2006 und 4A_23/2010 vom 12. April 2010). Zur Klärung des Haushaltschadens hatte die Haftpflichtversicherung E. Versicherungen die Detektei F. mit der Observation von X. während einer bestimmten Dauer beauftragt und die Ergebnisse der Observation ins Recht gelegt.
B.
Am 15. Mai 2007 erhoben die Ehegatten X. und Y. (Beschwerdeführer) Klage gegen A., Rechtsvertreter der E. Versicherungen im Haftpflichtprozess, gegen B., C. und D., alle drei Mitarbeiter der E. Versicherungen, und gegen die E. Versicherungen (Beschwerdegegner 1-5) sowie gegen F., Inhaber der Detektei F., und gegen dessen Mitarbeiter G., H. und I. (Beschwerdegegner 6-9). Die Beschwerdeführer beantragten die Feststellung, dass die Beschwerdegegner gemeinsam und solidarisch für die Verletzung ihrer Persönlichkeit durch Detektive betreffend Überwachung am 6., 17., 18. und 26. Oktober 2006 verantwortlich seien. Unter Strafandrohung nach
Art. 292 StGB
seien die Beschwerdegegner zu verpflichten, keine weiteren Überwachungen mehr vorzunehmen oder zu veranlassen und die sich in ihrem Besitz befindlichen Fotos, Videoaufnahmen etc., die die Person der Beschwerdeführer zeigten, herauszugeben resp. zu vernichten und die Beschwerdeführer mit einem entsprechenden Bericht darüber zu dokumentieren. Die Beschwerdegegner seien zu verpflichten, den Beschwerdeführern solidarisch eine Genugtuung von je Fr. 5'000.- zu bezahlen, zuzüglich 5 % Schadenszins ab Abschluss der Bespitzelung. Die Beschwerdegegner schlossen auf Abweisung. Das Kantonsgericht Zug und - auf Berufung der Beschwerdeführer hin - das Obergericht des Kantons Zug wiesen die Klage ab, soweit darauf einzutreten war (Urteile vom 22. April und vom 24. November 2009).
C.
Dem Bundesgericht beantragen die Beschwerdeführer am 18. Januar 2010, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Feststellung der Persönlichkeitsverletzung und zur Beurteilung der weiteren Begehren an das Obergericht zurückzuweisen. Im Eventualstandpunkt erneuern die Beschwerdeführer ihre Klagebegehren. Sie ersuchen um unentgeltliche Rechtspflege. Es sind die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt worden. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
BGE 136 III 410 S. 412
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die rechtliche Ausgangslage wird im angefochtenen Urteil zutreffend dargestellt. Im Einzelnen sind fallbezogen nachstehende Punkte hervorzuheben:
2.1
Durch die privatdetektivliche Observation einer versicherten Person sollen Tatsachen, die sich im öffentlichen Raum verwirklichen und von jedermann wahrgenommen werden können (beispielsweise Gehen, Treppensteigen, Autofahren, Tragen von Lasten oder Ausüben sportlicher Aktivitäten), systematisch gesammelt und erwahrt werden (
BGE 135 I 169
E. 4.3 S. 171). Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit derartiger Observation stellt sich in der Praxis häufig im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit der Observationsergebnisse als Beweismittel in einem Rechtsstreit um Versicherungsleistungen (
BGE 135 I 169
E. 5.7 S. 175;
BGE 132 V 241
E. 2.5 S. 242 f.;
BGE 129 V 323
E. 3.3.3 S. 324 ff.). Die Frage stellt sich aber vergleichbar im Bereich des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes (Urteil 5C.187/1997 vom 18. Dezember 1997 E. 2, in: SJ 120/1998 S. 301 ff. und JdT 146/1998 I 760 S. 762 ff.). Um den Schutz der Persönlichkeit gemäss
Art. 28 ZGB
geht es im vorliegenden Fall. Zu prüfen ist, inwiefern die von der Beschwerdegegnerin 5 als einer privaten Haftpflichtversicherung veranlasste Observation die Persönlichkeitsrechte der von der Observation betroffenen Beschwerdeführer widerrechtlich verletzt (vgl. zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung: AEBI-MÜLLER/EICKER/VERDE, Grenzen bei der Verfolgung von Versicherungsmissbrauch mittels Observation, in: Versicherungsmissbrauch, Gabriela Riemer-Kafka [Hrsg.], 2010, S. 13 ff., S. 18 ff. Ziff. II; MEIER/STAEGER, La surveillance des assurés (assurances sociales et assurances privées) - état des lieux, Jusletter vom 14. Dezember 2009, 13 S., S. 10 ff. Ziff. 4).
2.2
Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Verletzungen ist in
Art. 28 ZGB
geregelt. Wer danach in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen (Abs. 1), und widerrechtlich ist eine Verletzung, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist (Abs. 2).
2.2.1
Vom Gesetzeswortlaut her ist jede Persönlichkeitsverletzung widerrechtlich, wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Praxisgemäss
BGE 136 III 410 S. 413
ist in zwei Schritten zu prüfen, ob (1.) eine Persönlichkeitsverletzung und (2.) ein Rechtfertigungsgrund vorliegt (vgl.
BGE 126 III 305
E. 4a S. 306;
BGE 127 III 481
E. 2c S. 488;
BGE 134 III 193
E. 4.6 S. 201). Nach Auffassung verschiedener Autoren zum sogenannten "Recht am eigenen Bild" ist die Einwilligung in die Persönlichkeitsverletzung kein Rechtfertigungsgrund, sondern schliesst schon den Tatbestand der Persönlichkeitsverletzung aus. Ob diese von der ständigen Praxis abweichende Rechtsauffassung allgemein oder im besonderen Fall zutrifft, ist für die nachstehende Beurteilung unerheblich und kann dahingestellt bleiben (ausführlich:
BGE 136 III 401
E. 5.2 mit Hinweisen).
2.2.2
Im Grundsatz kann jedes irgendwie geartete menschliche Verhalten einen Eingriff in Persönlichkeitsrechte bedeuten (vgl. zum Begriff der Verletzung:
BGE 120 II 369
E. 2 S. 371;
BGE 136 III 296
E. 3.1 S. 302). Im Falle privatdetektivlicher Observation kann der Anspruch auf Schutz der Geheim- und der Privatsphäre betroffen sein (zit. Urteil 5C.187/1997 E. 2a), aber auch - soweit das Ergebnis der Observation in Film oder Fotografie festgehalten wird - das Recht am eigenen Bild. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Verletzung des Rechts am eigenen Bild bereits zu bejahen, wenn jemand ohne Zustimmung um seiner Person willen fotografiert oder eine bestehende Aufnahme ohne seine Einwilligung veröffentlicht wird (
BGE 127 III 481
E. 3a/aa S. 492;
BGE 129 III 715
E. 4.1 S. 723), wobei es - hier nicht in Frage stehende - Fälle geben kann, in denen eine Einwilligung nicht unbedingt erforderlich ist (
BGE 136 III 401
E. 5.2.2). Vorausgesetzt ist, dass die abgebildete Person für Dritte erkennbar, also identifizierbar ist (vgl. Urteile 5C.26/2003 vom 27. Mai 2003 E. 2 und 5A_827/2009 vom 27. Mai 2010 E. 3.1, nicht publ. in
BGE 136 III 401
).
2.2.3
Eine Persönlichkeitsverletzung durch privatdetektivliche Observation der versicherten Person kann im überwiegenden privaten und öffentlichen Interesse liegen, d.h. dadurch gerechtfertigt sein, dass weder die Versicherung noch die dahinter stehende Versichertengemeinschaft zu Unrecht Leistungen erbringen müssen (zit. Urteil 5C.187/1997 E. 2b;
BGE 129 V 323
E. 3.3.3 S. 325). Dieses Interesse an einer wirksamen Missbrauchsbekämpfung und der Aufdeckung bzw. Verhinderung von Versicherungsbetrug (vgl.
BGE 135 I 169
E. 5.5 S. 174) ist gegen das Interesse des von der Observation Betroffenen auf Unversehrtheit seiner Persönlichkeit abzuwägen (vgl.
BGE 127 III 481
E. 3a/bb S. 493;
BGE 132 III 641
E. 5.2 S. 648). Die Interessenabwägung beruht auf gerichtlichem Ermessen (
BGE 129 III 529
E. 3.1
BGE 136 III 410 S. 414
S. 531). Zu berücksichtigen ist dabei, dass der von der Observation Betroffene gegenüber der Versicherung einen Anspruch erhebt und deshalb verpflichtet ist, an Abklärungen seines Gesundheitszustands, seiner Arbeitsfähigkeit usw. mitzuwirken, und zu dulden hat, dass allenfalls auch ohne sein Wissen von der Versicherung die objektiv gebotenen Untersuchungen durchgeführt werden (zit. Urteil 5C.187/1997 E. 2b; vgl.
BGE 129 V 323
E. 3.3.3 S. 324 f.;
BGE 135 I 169
E. 5.1 S. 172). Die Zulässigkeit der Observation hängt weiter davon ab, wie schwer und in welche Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird. Dafür entscheidend kann insbesondere sein, inwiefern die Observation durch die Art der Versicherungsleistungen gerechtfertigt ist (z.B. Höhe der Forderung, Pilot- oder Bagatellfall usw.), wo die Observation stattfindet (z.B. in der Öffentlichkeit), wie lange die Observation dauert (z.B. nur tagsüber, befristet auf eine Woche), welchen Inhalt die Observation hat (z.B. von jedermann wahrnehmbare Vorgänge) und ob die zur Observation eingesetzten Mittel (z.B. Film usw.) zur Erreichung ihres Zwecks geeignet und notwendig sind (vgl. zit. Urteil 5C.187/1997 E. 2c sowie zu einzelnen Kriterien:
BGE 129 V 323
E. 3.3.3 S. 324 f. und
BGE 132 V 241
E. 2.5.1 S. 242 f.).
2.3
Im Persönlichkeitsschutzprozess liegt die Beweislast für die Sachumstände, aus denen sich die Verletzung ergibt, beim Kläger als Opfer, während der Beklagte als Urheber der Verletzung die Tatsachen dafür beweisen muss, die das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes erschliessen (statt vieler: PIERRE TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, 1984, S. 86 Rz. 599).
3.
Mit Bezug auf den Beschwerdeführer hat das Obergericht die Persönlichkeitsverletzung als erstellt betrachtet. Gleichwohl bemängelt der Beschwerdeführer die Beurteilung.
3.1
Das Obergericht hat erwogen, die von der Beschwerdegegnerin 5 angeordnete Überwachung des Beschwerdeführers und die Verwertung des Ergebnisses im Prozess stelle eine Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. Privatheit dar, auch wenn sich die Observation auf Tatsachen beschränkt habe, die sich im Gemeinbereich verwirklicht hätten und von jedermann hätten wahrgenommen werden können. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die rein örtlich vorgenommene Auslegung des bundesrechtlichen Sphärenbegriffs und rügt eine Verletzung nicht bloss der Privatsphäre, sondern der Geheim- bzw. Intimsphäre. Denn Überwachungsziel sei gemäss Auftrag der Beschwerdegegnerin 5 an den
BGE 136 III 410 S. 415
Beschwerdegegner 6 gewesen, Anzeichen einer gesundheitlichen (körperlichen oder psychischen) Beeinträchtigung oder von Schmerzen, insbesondere von epileptischen Anfällen und Beschwerden im rechten Arm festzustellen.
3.2
In tatsächlicher Hinsicht steht für das Bundesgericht verbindlich fest, dass Alltagsverrichtungen des Beschwerdeführers wie Einkaufen oder Autowaschen u.Ä. aufgezeichnet wurden. Gegenteiliges behauptet auch der Beschwerdeführer nicht. Es kann ergänzend auf die Feststellungen im Haftpflichtprozess verwiesen werden, wonach die Videoaufnahmen und der dazugehörige Überwachungsbericht belegten, wie der Beschwerdeführer ohne grössere Bewegungseinschränkungen Lasten tragen, einkaufen, Staub saugen sowie Auto waschen und polieren konnte (Urteil 4A_23/2010 vom 12. April 2010 E. 2).
3.3
Auf Grund der obergerichtlichen Feststellungen wurden weder epileptische Anfälle noch andere Verhaltensweisen festgehalten, die zur Geheimsphäre des Beschwerdeführers zu rechnen wären (vgl.
BGE 130 III 28
E. 4.2 S. 33, betreffend Daten über die Gesundheit). Dessen Einwand entbehrt der tatsächlichen Grundlage. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob Lebensvorgänge, die sich zwar im öffentlichen Raum ereignen, trotzdem zum Geheimbereich gehören können, nur weil sie einen persönlichen Gehalt aufweisen (vgl. AEBI-MÜLLER/EICKER/VERDE, a.a.O., S. 21).
3.4
Sämtliche gefilmten Tätigkeiten des Beschwerdeführers haben an öffentlich zugänglichen Orten stattgefunden. Nach der Rechtsprechung dürfen in den Gemein- oder Öffentlichkeitsbereich fallende Tatsachen von jedermann nicht nur ohne weiteres wahrgenommen, sondern grundsätzlich auch weiterverbreitet werden (vgl. zur Abgrenzung der Lebensbereiche:
BGE 97 II 97
E. 3 S. 100 f.;
BGE 130 III 28
E. 4.2 S. 33). Für den besonderen Fall der gezielten Observation kann gleichwohl nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein systematisches Sammeln einer Vielzahl alltäglicher Verrichtungen in der Öffentlichkeit, namentlich durch die Verknüpfung der Informationen, die Privatsphäre des Betroffenen berührt (vgl. AEBI-MÜLLER/EICKER/VERDE, a.a.O., S. 25 f.).
3.5
Insgesamt ist nicht zu beanstanden, dass das Obergericht mit Rücksicht auf sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls angenommen hat, neben dem Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild durch filmische Aufnahmen des Beschwerdeführers könne auch dessen Recht auf Privatsphäre verletzt sein.
BGE 136 III 410 S. 416
4.
Das Obergericht hat die Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Persönlichkeitsrechten durch ein überwiegendes Interesse als gerechtfertigt betrachtet. Es ist davon ausgegangen, das gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte höher zu gewichtende Interesse der Beschwerdegegnerin 5 liege darin, keine nicht geschuldeten Leistungen zu erbringen, um die Gemeinschaft der Versicherten nicht zu schädigen. Das Obergericht hat damit auf die massgebenden Kriterien abgestellt (E. 2.2.3 hiervor). Der Beschwerdeführer wendet dagegen zur Hauptsache eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
ein und rügt nur am Rande eine unrichtige Interessenabwägung.
4.1
Der Rechtfertigungsgrund des überwiegenden Interesses an einer Observation kann darin bestehen, dass weder die Versicherung noch die dahinter stehende Versichertengemeinschaft zu Unrecht Leistungen erbringen müssen. Die Haftpflichtversicherung hat ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen, die regelmässig die Befriedigung begründeter, aber auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche umfassen (vgl. ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 541; ROLAND BREHM, Le contrat d'assurance RC, 1997, S. 148 ff. N. 381 ff.). Die Versichertengemeinschaft hat kein Interesse an einem Prämienanstieg als Folge von Versicherungsleistungen an Unberechtigte (vgl. MEIER/STAEGER, a.a.O., S. 10 Rz. 55 mit Hinweis). Dass das Obergericht dieses Interesse der Versichertengemeinschaft ohne Beweisabnahme und ungeachtet seiner Bestreitung anerkannt habe, rügt der Beschwerdeführer als Verletzung von
Art. 8 ZGB
. Die Rüge ist unbegründet, beruht doch auf allgemeiner Lebenserfahrung, dass mehrere Personen, die sich gegen bestimmte, gleichartige Gefahren finanziell schützen wollen, eine Versichertengemeinschaft bilden und zur Gefahrenabwehr, auf der Idee der Solidarität beruhend, die Versicherungsprämien bezahlen, dass diese Prämien aber sinken oder steigen, je nach dem, ob in der Gefahrengemeinschaft nur gute oder auch viele schlechte Risiken versammelt sind, d.h. Risiken mit kleiner oder grossen Schadenfrequenz und tiefem oder hohem Schadendurchschnitt (vgl. MAURER, a.a.O., S. 39 ff. und S. 74). Dass Prämienhöhe und Versicherungsleistungen zusammenhängen, leuchtet nach der allgemeinen Lebenserfahrung ein und braucht deshalb weder behauptet noch bewiesen zu werden (
BGE 112 II 172
E. I/2c S. 181).
4.2
Eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
rügen die Beschwerdeführer, was ihre Behauptungen angeht, die Überwachung und Ablichtung setze
BGE 136 III 410 S. 417
einen berechtigten und genügenden Anfangsverdacht voraus und ein blosses Datenfishing sei in jedem Fall unberechtigt. Sie werfen dem Obergericht vor, es habe einen rechtsrelevanten Teil des von den Beschwerdegegnern zu behauptenden Rechtfertigungsgrundes entweder nicht abgeklärt oder wiederum
Art. 8 ZGB
verletzt, indem es von einer bestrittenen und zudem noch summarischen Behauptung ausgegangen sei, es liege ohne weiteres ein Anfangsverdacht vor. Der Vorwurf ist unbegründet.
4.2.1
Der Begriff "Anfangsverdacht" betrifft die Strafverfolgung, die bei Vorliegen eines hinreichenden Anfangsverdachts zu eröffnen ist (vgl.
BGE 117 IV 67
E. 2c S. 74). Er wird im Zusammenhang mit dem privatrechtlichen Persönlichkeitsschutz regelmässig nicht verwendet. Gemeint ist damit, dass Anhaltspunkte vorliegen müssen (z.B. widersprüchliches Verhalten des Versicherten, massive Aggravation, Simulation, Selbstschädigung u.Ä.), die Zweifel an den geäusserten gesundheitlichen Beschwerden aufkommen lassen (vgl. DETTWILER/HARDEGGER, Zulässige Video-Überwachung von Suva-Versicherten, HAVE 2003 S. 246 ff., S. 247 Ziff. III/3/a). Die Observation muss - anders gesagt (E. 2.2.3 hiervor) - objektiv geboten sein. Diese objektive Gebotenheit der Observation ist ein wichtiges Element der Interessenabwägung im Persönlichkeitsschutz (E. 4.4 sogleich).
4.2.2
Der Beschwerdeführer hat gegen die Beschwerdegegnerin 5 und die Fahrzeuglenker eine unfallbedingte gesundheitliche Beeinträchtigung und einen dadurch verursachten Haushaltschaden geltend gemacht. Im ersten Prozess über eine Teilklage für die Zeit vom 28. Oktober 2001 bis zum 31. Dezember 2004 hat das Bundesgericht festgehalten, dass Ersatz für Haushaltschaden nur verlangen kann, wer ohne Unfall überhaupt eine Haushaltstätigkeit ausgeübt hätte, und dass zur Substanziierung des Haushaltschadens konkrete Vorbringen zum Haushalt, in dem der Geschädigte lebt, und zu den Aufgaben, die ihm darin ohne den Unfall zugefallen wären, unerlässlich sind (Urteil 4C.166/2006 vom 25. August 2006 E. 5.1). Die sachgerichtliche Annahme, der Beschwerdeführer habe seine angebliche Mitarbeit im Haushalt mangels minimaler Angaben zur hypothetischen Haushaltssituation ungenügend substanziiert, hat das Bundesgericht nicht beanstandet, und die Feststellung der kantonalen Gerichte, seine Behauptungen seien widersprüchlich und damit unglaubwürdig und ungenügend, hat der Beschwerdeführer nicht mit dem zulässigen
BGE 136 III 410 S. 418
Bundesrechtsmittel angefochten (Urteil 4C.166/2006 vom 25. August 2006 E. 6).
4.2.3
Mit diesem ersten Urteil im Haftpflichtprozess ist festgestanden, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht bei der Abklärung des die Versicherungsleistungen begründenden Tatbestands nicht nachgekommen ist und zu den Folgen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen widersprüchliche Behauptungen aufgestellt hat. In Anbetracht dessen bedurfte die Anordnung der Observation vom 15. September 2006 im zweiten, mit Weisungsschein vom 24. August 2006 und Klage vom 25. September 2006 eingeleiteten Haftpflichtprozess betreffend Ersatz des Haushaltschadens ab 1. Januar 2005 für die Zukunft keiner weiteren Begründung. Es hat genügt, dass die Beschwerdegegner 1-5 unter Hinweis auf das erste Verfahren lediglich behauptet haben, es bestünden konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an den behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufkommen liessen (vgl. zu den Anforderungen an die Substanziierung der Sachvorbringen:
BGE 108 II 337
;
BGE 127 III 365
E. 2b S. 368). Das zweite Urteil des Bundesgerichts im Haftpflichtprozess hat denn auch bestätigt, dass begründeter Anlass zur Observation bestand, zumal das Aussageverhalten des Beschwerdeführers nicht als unfallbedingt gelten konnte und seine Vorbringen sowohl bezüglich der vor dem Unfall verrichteten als auch der danach noch möglichen Hausarbeiten als unglaubwürdig betrachtet werden durften (Urteil 4A_23/2010 vom 12. April 2010 E. 2.5 und 2.6).
4.3
Verletzungen von
Art. 8 ZGB
erblickt der Beschwerdeführer weiter in der obergerichtlichen Beurteilung, die eingesetzten Mittel (Bild und Bericht) seien zur Erreichung des Ziels verhältnismässig und geeignet. Das Bundesgericht kann als Rechtsfrage prüfen, ob eine Anordnung verhältnismässig und zweckmässig ist, d.h. als das richtige Mittel zu einem berechtigten Zweck erscheint (vgl.
BGE 122 III 449
E. 3c S. 457;
BGE 126 III 305
E. 4b/aa S. 307). Geht es um die Beantwortung einer Rechtsfrage, hat
Art. 8 ZGB
keine Bedeutung (vgl.
BGE 127 III 248
E. 3a S. 253).
4.4
Zur entscheidenden Interessenabwägung äussert sich der Beschwerdeführer nur am Rande. Die Ausgangslage ist klar. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Eingriff in die Privatsphäre des Beschwerdeführers und die Verletzung dessen Rechts am eigenen Bild (E. 3 hiervor) dadurch gerechtfertigt werden kann, dass die Beschwerdegegnerin 5 als Haftpflichtversicherung nicht zum Schaden der
BGE 136 III 410 S. 419
Versichertengemeinschaft Leistungen erbringt, die der Beschwerdeführer allenfalls zu Unrecht fordert (E. 4.1 soeben). Zu berücksichtigen ist die erhebliche Höhe des geltend gemachten Anspruchs, die der Beschwerdeführer im Weisungsschein und in der Klage auf 2 Mio. Fr. beziffert hat. Die Observation hat in der Öffentlichkeit stattgefunden, zwei bis drei Wochen an zwei bis drei Tagen gedauert und alltägliche Verrichtungen des Beschwerdeführers betroffen. Die eingesetzten Mittel der Observation (Berichte, Fotografien und Film) können als geeignet und notwendig bezeichnet werden, hat doch der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht im Rahmen der objektiv gebotenen Abklärungen seines Gesundheitszustandes nicht genügt. Zur Möglichkeit, ein Gerichtsgutachten einzuholen, hat das Bundesgericht im zweiten Haftpflichtprozess festgehalten, wenn der Beschwerdeführer über die Arbeiten, die er noch verrichten kann, gegenüber dem Gericht unzutreffend aussagt, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass er auch gegenüber Personen, die ihn begutachten sollen, nicht der Wahrheit entsprechende Angaben macht. Dies entwertet allfällige zu seinen Gunsten lautende medizinische Gutachten betreffend das Mass der Beeinträchtigung, so dass die Vorinstanz insoweit ohne Willkür auf weitere Beweismassnahmen verzichten konnte (Urteil 4A_23/2010 vom 12. April 2010 E. 2.5.3). Davon abzuweichen, besteht auf Grund der Vorbringen des Beschwerdeführers kein Anlass. Die Observation und die dabei eingesetzten Mittel erscheinen deshalb zur Klärung der Frage, ob dem Beschwerdeführer Versicherungsleistungen auszurichten sind, als notwendig und geeignet. Insgesamt kann nicht beanstandet werden, dass das Obergericht von einem höherwertigen Interesse der Beschwerdegegner ausgegangen ist und die festgestellten Persönlichkeitsverletzungen als durch überwiegende Interessen gerechtfertigt betrachtet hat.
4.5
Aus den dargelegten Gründen muss die Beschwerde abgewiesen werden, was die widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers im Sinne von
Art. 28 ZGB
angeht.
5.
Mit Bezug auf die Beschwerdeführerin hat das Obergericht festgestellt, dass sie neben dem Beschwerdeführer auf Fotografien zu sehen, nur teilweise erkennbar und für einen Durchschnittsbetrachter schwerlich zu identifizieren sei. Sie sei rein zufällig von der Observation erfasst worden, beziehe sich doch der Überwachungsauftrag und der Observationsbericht ausschliesslich auf den Beschwerdeführer und dessen Aktivitäten. Das Obergericht hat dafürgehalten, die zufällige Ablichtung der Beschwerdeführerin bedeute keinen eigentlichen
BGE 136 III 410 S. 420
Eingriff in deren Persönlichkeit. Die Beschwerdeführerin wendet ein, es liege ein objektiv auf ihre Person individualisierbarer Eingriff vor, der die dem
Art. 28 ZGB
inhärente Unerheblichkeitsgrenze bei weitem überschritten habe.
5.1
Die Beschwerdeführerin verlangt die Berücksichtigung weiterer aktenkundiger Tatsachen zum Beleg dafür, dass keine zufällige Ablichtung stattgefunden habe. Sie sei vielmehr systematisch und über Minuten abgelichtet und gefilmt worden. Die angerufenen Belege stützen ihre Behauptung nicht. Auszugehen ist vom Überwachungsauftrag, der den Beschwerdeführer als Zielperson bezeichnet und sämtliche Überwachungsziele am Beschwerdeführer ausrichtet. Entgegen ihrer Darstellung kann die Beschwerdeführerin auch auf Grund des Observationsberichts nicht als eigentliche Zielperson angesehen werden. Im Observationsbericht vom 17. November 2006 heisst es einleitend, dass Abklärungen bei der Einwohnerkontrolle ergeben hätten, der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin seien an der S. Strasse in Zug angemeldet, und im Observationsbericht vom 5. Februar 2007 heisst es, am 19. Dezember 2006 seien an Klingel und Briefkasten (neu) die Namen des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführerin angeschrieben. Es wurde somit nicht nach der Adresse der Beschwerdeführerin gefahndet, sondern lediglich festgestellt, dass unter der Adresse des Beschwerdeführers auch die Beschwerdeführerin angegeben ist. Wie die Beschwerdeführerin sodann einräumt, wird sie im Observationsbericht nicht als "Ehefrau", sondern als "vermutliche Ehefrau" des Beschwerdeführers bezeichnet. Sie ist zwar mehrfach, teilweise als Person erkennbar, mit dem Beschwerdeführer abgebildet, jedoch bei weitem nicht auf jeder Aufnahme. Mit ihren von der obergerichtlichen abweichenden Würdigung der angerufenen Belege vermag die Beschwerdeführerin keine ausnahmsweise zulässigen Sachverhaltsrügen, namentlich keine offensichtlich unrichtige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu begründen (
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 2 BGG
; vgl.
BGE 135 II 313
E. 5.2.2 S. 322;
BGE 135 V 39
E. 2.2 S. 41).
5.2
Auf Grund der massgebenden Tatsachenfeststellungen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin nicht gezielt observiert wurde, sondern bloss zufällig und gleichsam nur als "Mitfang" in die Observation des Beschwerdeführers geraten ist (vgl. zum Problem: AEBI-MÜLLER/EICKER/VERDE, a.a.O., S. 29). Da sie nicht um ihrer Person willen fotografiert wurde, durfte eine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin am eigenen Bild verneint werden (E. 2.2.2).
BGE 136 III 410 S. 421
Eine Verletzung ihrer Privatsphäre liegt nicht vor, weil die Beschwerdeführerin lediglich bei Alltagsverrichtungen in der Öffentlichkeit abgebildet wurde und bloss zufällig aufgezeichnete Einzelinformationen kein systematisches Sammeln bedeuten (E. 3.4).
5.3
Soweit sie den Persönlichkeitsschutz nach
Art. 28 ZGB
betreffen, erweisen sich die Begehren der Beschwerdeführerin als unbegründet.
6.
Beide Beschwerdeführer rügen Verletzungen von
Art. 10 Abs. 2 BV
(Recht auf persönliche Freiheit), von
Art. 13 BV
(Schutz der Privatsphäre) und von
Art. 8 EMRK
(Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Sie begründen die Verfassungsrügen im Sachzusammenhang mit
Art. 28 ZGB
, die Rüge der EMRK-Verletzung hingegen in einem eigenen Abschnitt mit Hinweis auf das zu
Art. 28 ZGB
Ausgeführte.
6.1
Die Beschwerdeführer wenden ein, die Beschwerdegegnerin 5 unterstehe als Haftpflichtversicherung der staatlichen Aufsicht gemäss dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG; SR 961.01) und sei deshalb nicht als Privatpartei zu betrachten, sondern als Versicherung mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben, die die Grundrechte der Versicherten zu wahren habe. Die Tatsache, dass die Beschwerdegegnerin 5 der Versicherungsaufsicht untersteht, belegt das Gegenteil. Der Versicherungsaufsicht nach dem VAG unterstehen private Versicherungsunternehmen, d.h. Versicherungsunternehmen, deren Ziel der Abschluss privater Versicherungsverträge ist (WEBER/UMBACH, Versicherungsaufsichtsrecht, 2006, § 4 Rz. 3 S. 53). Die Staatsaufsicht ändert an der privatrechtlichen Natur der Beziehung zwischen Haftpflichtversicherung und Versicherten grundsätzlich nichts (vgl. WILLY KOENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1967, S. 18 f.; MAURER, a.a.O., S. 152 f. und S. 556 Anm. 1490b). Grundlage des Persönlichkeitsschutzes ist somit
Art. 28 ZGB
(vgl.
BGE 101 II 177
E. 3 S. 185 ff.;
BGE 134 I 229
E. 3.1 S. 233; AEBI-MÜLLER/EICKER/VERDE, a.a.O., S. 32 f.).
6.2
Was die Achtung des Privatlebens (
Art. 8 EMRK
) angeht, hat das Bundesgericht festgehalten, es ist fraglich, ob und inwieweit diese Bestimmung im Rahmen eines zivilrechtlichen Streites zwischen Privaten überhaupt noch zum Zuge kommen kann, stellen doch gerade die
Art. 28 ff. ZGB
die zivilrechtliche Konkretisierung von
Art. 8 Abs. 1 EMRK
dar. Folglich ist mit den Erwägungen, ob die
BGE 136 III 410 S. 422
Vorinstanz
Art. 28 ff. ZGB
verletzt hat, gleichzeitig auch der ins Privatrecht umgesetzte Teilgehalt von
Art. 8 Abs. 1 EMRK
geprüft worden (Urteil 5C.166/2000 vom 20. Juli 2001 E. 5a, nicht publ. in:
BGE 127 III 481
). Das zitierte Urteil wie auch das in E. 2.1 erwähnte Urteil 5C.187/1997 wurden wegen Verletzung von
Art. 8 EMRK
beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten. Der Gerichtshof hat festgehalten, dass
Art. 8 EMRK
in erster Linie Abwehransprüche gegen staatliche Eingriffe in das Recht auf Achtung des Privatlebens enthält, für dessen wirksamen Schutz aber auch die Ergreifung positiver Massnahmen selbst geboten sein kann. Gemäss den Entscheidungen des Gerichtshofes ist die Schweiz den ihr obliegenden positiven Verpflichtungen nachgekommen, weil der beschwerdeführenden Partei gegen die Beeinträchtigung ihres Privatlebens Rechtsbehelfe zivil- und strafrechtlicher Natur zur Verfügung standen und weil die Gerichte ihre zivilrechtliche Klage nach umfassender Abwägung der auf dem Spiele stehenden Interessen abwiesen (Urteil
Verlière gegen Schweiz
vom 28. Juni 2001,
Recueil CourEDH 2001-VII S. 403
, auch in: VPB 65/2001 Nr. 134 S. 1381, und Urteil
Minelli gegen Schweiz
vom 14. Juni 2005). Auf das zu
Art. 28 ZGB
Ausgeführte (E. 2-5) kann deshalb verwiesen werden. Insoweit kommt
Art. 8 EMRK
hier keine selbstständige Bedeutung zu.
6.3
Das soeben Gesagte gilt auch für die Rügen, die obergerichtliche Auslegung von
Art. 28 ZGB
verstosse gegen Art. 10 Abs. 2 sowie
Art. 13 Abs. 1 und 2 BV
. Mit diesen Vorbringen behaupten die Beschwerdeführer eine verfassungsverletzende Auslegung von
Art. 28 ZGB
, doch werden damit keine Gesichtspunkte geltend gemacht, die nicht schon im Rahmen der privatrechtlichen Rechtsanwendung und Interessenabwägung berücksichtigt worden sind. Weiterungen erübrigen sich, so dass auch diesbezüglich auf die Ausführungen in den E. 2-5 verwiesen werden kann (vgl. Urteil 5C.166/2000 vom 20. Juli 2001 E. 5b, nicht publ. in:
BGE 127 III 481
). | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ac98b9c3-b2c8-4c31-8ace-141355d28495 | Urteilskopf
135 III 14
2. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_284/2008 vom 2. Oktober 2008 | Regeste
aArt. 39 Abs. 1 Ziff. 5,
Art. 171 ff. SchKG
; Änderung des Anwendungsbereichs der Konkursbetreibung und übergangsrechtliche Folgen.
Über das geschäftsführende Mitglied einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist nach dem 1. Januar 2008 kein Konkurs zu eröffnen (E. 3-5). | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 135 III 14 S. 14
In der mit Zahlungsbefehl vom 3. September 2002 gegen X. angehobenen Betreibung Nr. x des Betreibungsamtes Zürich 4 über den Betrag von insgesamt Fr. 2'084'761.65 zuzüglich Zinsen ab Verfall sowie Kosten stellte Y. am 19. November 2007 das Begehren um Fortsetzung der Betreibung. Die Zustellung der Konkursandrohung erfolgte am 3. Dezember 2007. Bis am 10. Dezember 2007 war X.
BGE 135 III 14 S. 15
als Gesellschafter und Geschäftsführer mit Einzelunterschrift für die Z. GmbH im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen. Die Löschung wurde im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 14. Dezember 2007 publiziert.
Am 7. Januar 2008 stellte Y. beim Bezirksgericht Zürich das Begehren um Eröffnung des Konkurses über X. Anlässlich der Hauptverhandlung vom 26. Februar 2008 machte dieser geltend, dass er infolge Aufhebung von
Art. 39 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG
per 1. Januar 2008 nicht mehr der Konkursbetreibung unterliege. Mit Verfügung vom 29. Februar 2008 wurde über X. der Konkurs eröffnet. Das Obergericht des Kantons Zürich wies einen gegen diese Verfügung gerichteten Rekurs des Schuldners am 8. April 2008 ab.
X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) ist mit einer als "Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde" bezeichneten Eingabe vom 30. April 2008 an das Bundesgericht gelangt. Er beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Beschlusses. Y. (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Betreibungsart wird vom Betreibungsbeamten nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens bestimmt (
Art. 38 Abs. 3 SchKG
). Personen, die im Handelsregister eingetragen waren, unterliegen, nachdem die Streichung durch das Schweizerische Handelsamtsblatt bekanntgemacht worden ist, noch während sechs Monaten der Konkursbetreibung (
Art. 40 Abs. 1 SchKG
). Stellt der Gläubiger vor Ablauf dieser Frist das Fortsetzungsbegehren, so wird die Betreibung auf dem Weg des Konkurses fortgesetzt (
Art. 40 Abs. 2 SchKG
). Die Regeln über die Wirkungsdauer des Handelsregistereintrages sollen verhindern, dass ein Schuldner sich zum Schaden der Gläubiger durch eine unerwartete Streichung der Konkursbetreibung entziehen kann. Erfolgt die Streichung im Handelsregister infolge Konkurses des eingetragenen Schuldners, kommt der Schutzgedanke der Nachwirkungsfrist von
Art. 40 SchKG
nicht zum Tragen. Sie gilt zudem nur für natürliche Personen, die ihre Kaufmannseigenschaft verlieren, aber im Übrigen weiter betrieben werden können. Wird hingegen eine juristische Person im Handelsregister gelöscht, so kann gegen sie weder eine Betreibung angehoben noch fortgesetzt werden
BGE 135 III 14 S. 16
(ACOCELLA, Basler Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 1, 3 f. und 9 zu
Art. 40 SchKG
; WERNER BAUMANN, Die Konkurseröffnung nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Diss. Zürich 1979, S. 5 ff.).
4.
Die Beschwerdegegnerin stellte am 19. November 2007 das Begehren um Fortsetzung der Betreibung. Die Zustellung der Konkursandrohung erfolgte am 3. Dezember 2007. Der Beschwerdeführer war bis am 10. Dezember 2007 als geschäftsführendes Mitglied einer GmbH im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen. Die Löschung wurde im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 14. Dezember 2007 publiziert. Damit wurde das Fortsetzungsbegehren nicht nur vor Ablauf, sondern sogar vor Beginn der Nachwirkungsfrist von
Art. 40 Abs. 2 SchKG
gestellt. Die Fortsetzung der Betreibung auf dem Wege des Konkurses hätte einzig auf dem Beschwerdeweg angefochten werden können (
BGE 122 III 295
E. 1 S. 296), welchem Ansinnen kaum Erfolg beschieden gewesen wäre. Dass bis Ende 2007 ein Anlass zum Eingreifen von Amtes wegen bestanden habe, weil die Betreibung unrichtigerweise auf Konkurs fortgesetzt wurde (vgl.
BGE 94 III 65
E. 2 S. 68), behauptet der Beschwerdeführer nicht.
5.
Das Begehren um Eröffnung des Konkurses erfolgte am 7. Januar 2008. Mit Verfügung vom 29. Februar 2008 sprach der zuständige Konkursrichter den Konkurs über den Beschwerdeführer aus. Die Streichung von
Art. 39 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG
trat indes bereits am 1. Januar 2008 in Kraft, ab welchem Zeitpunkt ein vormalig geschäftsführendes Mitglied einer GmbH nicht mehr der Konkursbetreibung unterliegt. Damit stellt sich die Frage, ob diese Neuerung auch für die gegen den Beschwerdeführer bereits laufenden Betreibungsverfahren gilt.
5.1
Die Vorinstanz verneinte dies mit Hinweis auf den ihrer Ansicht nach hier allein massgeblichen Zeitpunkt des Fortsetzungsbegehrens, welcher sich aus
Art. 40 Abs. 2 SchKG
ergebe. Dannzumal war
Art. 39 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG
noch in Kraft und der Beschwerdeführer in der dort aufgeführten Eigenschaft im Handelsregister eingetragen. Die Anwendung des neuen Rechts auf laufende Betreibungsverfahren hätte - so die Vorinstanz - aus Gründen des Vertrauensschutzes intertemporalrechtlich ausdrücklich vorgesehen werden oder klar gewollt sein müssen, was gerade nicht der Fall sei. Öffentliche Interessen für eine Rückwirkung hätten sich ebenfalls
BGE 135 III 14 S. 17
nicht aufgedrängt. Der Gesetzgeber habe Übergangsbestimmungen als nicht notwendig erachtet und daher auf den Erlass solcher verzichtet.
5.2
Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, dass für die materiell-rechtliche Frage der Konkursfähigkeit auf den Zeitpunkt der Konkurseröffnung abzustellen sei und dieselbe an der Konkursverhandlung hätte geprüft werden müssen. Seit dem 1. Januar 2008 fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, gegen ihn als ehemaliges geschäftsführendes Mitglied einer GmbH den Konkurs zu eröffnen. Die Beschwerdegegnerin macht im Wesentlichen geltend, dass für die verfahrensrechtliche Frage, welcher Betreibungsart der Schuldner unterliege, das Fortsetzungsbegehren massgebend sei. In diesem Sinne äussern sich LORANDI/SCHWANDER, nach deren Auffassung diejenigen Entscheidungen über das einzuschlagende Verfahren, welche vor dem 1. Januar 1997 ergangen sind, auch unter dem neuen Recht aufrechtbleiben, wenn dieses eine Änderung über die Konkursfähigkeit mit sich bringt (LORANDI/SCHWANDER, Übergangsbestimmungen des revidierten SchKG, AJP 1996 S. 1465, mit Hinweis auf Art. 2 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur SchKG-Revision von 16. Dezember 1994).
5.3
Der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden, soweit sie im konkreten Fall auf
Art. 40 Abs. 2 SchKG
abstellt. Die Einreichung des Fortsetzungsbegehrens und die Zustellung der Konkursandrohung erfolgten bereits vor der Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt, womit gar kein Nachwirkungstatbestand im Sinne der genannten Bestimmung vorlag. Wie der Beschwerdeführer sodann zu Recht anführt, lässt die Regelung von
Art. 40 Abs. 2 SchKG
zwar die Konkursfähigkeit des Schuldners unter bestimmten Voraussetzungen für sechs Monate weiterdauern, sie begründet aber eine solche nicht. Der Schutzgedanke von
Art. 40 Abs. 2 SchKG
geht überdies dahin, die Gläubiger vor den Folgen unerwarteter Löschungen im Handelsregister zu schützen. Eine Gesetzesrevision kann aber nicht mit einem allenfalls nicht schützenswerten Verhalten des Schuldners verglichen werden, da sie in der Regel bekannt ist, nicht kurzfristig erfolgt und sich dem Verhalten der Parteien ohnehin entzieht. Damit steht fest, dass
Art. 40 Abs. 2 SchKG
nicht nur keine Anwendung im vorliegenden Fall findet, sondern auch keinen Hinweis für die Weitergeltung von
Art. 39 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG
über den 31. Dezember 2007 hinaus geben kann.
BGE 135 III 14 S. 18
5.4
Auf jeden Fall ist der Konkursrichter gehalten, bei der Behandlung des Konkursbegehrens auch die Konkursfähigkeit des Betriebenen zu prüfen (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, § 37 Rz. 31 S. 83). Gelangt er im konkreten Fall zum Schluss, dass im vorangegangenen Verfahren eine nichtige Verfügung erlassen wurde, so überweist er den Fall an die Aufsichtsbehörde zur Beurteilung des Konkursbegehrens (
Art. 173 Abs. 2 SchKG
). Ist der Konkursrichter der Ansicht, dass die Betreibung auf dem Wege der Pfändung oder Pfandverwertung fortzuführen ist, so hat er in gleicher Weise vorzugehen (GIROUD, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 6 zu
Art. 173 SchKG
; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 36 Rz. 23 S. 42). Daraus folgt im Sinne einer allgemeinen Regel, dass die Zustellung der Konkursandrohung eine Änderung des weiteren Verfahrens nicht verhindern kann. Ergibt sich der Wegfall der Konkursfähigkeit, wie im vorliegenden Fall, aus einer gesetzlichen Anordnung und ist nicht eine bisher ergangene Verfügung zu überprüfen, so macht die Überweisung an die Aufsichtsbehörden wenig Sinn. Der Konkursrichter kann die Frage der Konkursfähigkeit selber prüfen, wie er auch eine offensichtliche Nichtigkeit selber feststellen kann (AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, § 36 Rz. 40; vgl. dazu GIROUD, a.a.O.).
5.5
Zu prüfen bleibt damit, ob übergangsrechtliche Gründe für eine weitere Anwendung von
Art. 39 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG
nach seiner Aufhebung am 1. Januar 2008 sprechen.
5.5.1
Der Gesetzgeber sah für die hier in Frage stehende Vorschrift im Gegensatz zu den SchKG-Änderungen vom 16. Dezember 1994, vom 24. März 2000, 19. Dezember 2003 sowie vom 17. Juni 2005 keine eigene Schlussbestimmung vor (vgl. Dreizehnter Titel des SchKG). Hingegen verwies er in Art. 1 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Revision des OR vom 16. Dezember 2005 (nicht publ. E. 2) auf die allgemeine Regel im Schlusstitel des ZGB, soweit nichts anderes vorgesehen sei. Spezielle Anpassungsfristen finden sich in Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 der Übergangsbestimmungen vor allem im Hinblick auf die Statuten der Gesellschaften. Nach
Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB
richten sich die rechtlichen Wirkungen von Tatsachen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts eingetreten sind, auch nachher nach dem bisherigen Recht.
BGE 135 III 14 S. 19
5.5.2
Diese Regel der Nichtrückwirkung für abgeschlossene Sachverhalte erfasst indessen so genannte Dauertatbestände nicht. Solche sind im Gesellschaftsrecht von grosser Bedeutung. Demnach richtet sich die Organisation und die Rechtsstellung der beteiligten Personen vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an grundsätzlich nach neuem Recht (Botschaft zur Revision des OR, BBl 2002 3247 Ziff. 2.4). Soweit sich für den Gesellschafter und im Speziellen den Geschäftsführer der GmbH durch das neue Recht Änderungen in seinen Rechten und Pflichten ergeben, gelten diese somit ab seinem Inkrafttreten. Damit muss auf den gleichen Zeitpunkt ebenfalls die Konkursfähigkeit des geschäftsführenden Gesellschafters wegfallen. Denn von dieser Eigenschaft des Schuldners hängt allein die Frage ab, ob die Zwangsvollstreckung auf dem Wege der Generalexekution durchgeführt werden muss oder nicht (vgl. BAUMANN, a.a.O., S. 1 f.). Dass der geschäftsführende Gesellschafter weiterhin im Handelsregister eingetragen bleibt (
Art. 791 Abs. 1 und
Art. 814 Abs. 6 OR
), ist im Hinblick auf das Konkursverfahren nicht mehr von Belang.
5.5.3
Dem bereits erwähnten Gebot der Nichtrückwirkung folgend bleibt die unter altem Recht ergangene Konkursandrohung selbstredend bestehen, und die Folgen einer allfälligen Zahlung seitens des Schuldners an das Betreibungsamt (
Art. 12 SchKG
) sind nach wie vor gültig. Der Konkursandrohung kommt im Weiteren eine durchaus eigenständige und vom vorangegangenen und allenfalls weiteren Verfahren unabhängige Bedeutung zu. Sie stellt eine ultimative Zahlungsaufforderung dar, da bei Nichtleistung der in Betreibung gesetzten Forderung innert 20 Tagen der Gläubiger den Konkurs verlangen kann (
Art. 160 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG
). Hat die Konkursandrohung nicht zum gewünschten Erfolg geführt, so kann der Gläubiger erst das Konkursbegehren stellen. Dabei handelt es sich um einen nächsten Schritt auf dem Weg zur Konkurseröffnung. Seine Voraussetzungen richten sich - wie die vorangegangen Vorkehren des Gläubigers - nach dem im Zeitpunkt der Vornahme jeweils gültigen Recht. Ausgehend von der eigenständigen Natur des Konkursbegehrens liegt somit kein Fall von Rückwirkung vor. Damit ist nicht zu entscheiden, ob die Aufhebung von
Art. 39 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG
ungeachtet seiner zwingenden Natur um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen im Sinne von
Art. 2 SchlT ZGB
erfolgt ist (vgl. dazu
BGE 133 III 105
E. 2.1.3 S. 109).
BGE 135 III 14 S. 20
5.6
Für die sofortige Anwendung des neuen Rechts sprechen nach dem Gesagten sowohl konkursrechtliche (E. 5.4) wie übergangsrechtliche Überlegungen (E. 5.5). Demzufolge unterlag der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der angefochtenen Konkurseröffnung bereits nicht mehr der Konkursbetreibung, welcher Umstand zur Gutheissung seiner Beschwerde führt. Die Anwendbarkeit des Grundsatzes, dass ein unangefochten in Rechtskraft erwachsenes Konkursdekret für die Konkursbehörden verbindlich ist und von diesen nicht auf seine Gesetzmässigkeit überprüft werden kann (vgl. FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 36 Rz. 27), ist in Bezug auf Konkursdekrete, mit welchen nach dem 1. Januar 2008 über ein geschäftsführendes Mitglied einer GmbH der Konkurs eröffnet wurde, vorliegend nicht zu erörtern. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
aca4354c-b223-435e-85bd-fe2623cabc16 | Urteilskopf
111 Ia 11
4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. Februar 1985 i.S. M. gegen Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, Willkür. Beschlagnahme von Vermögenswerten im Berner Strafprozess.
Es ist nicht willkürlich, Vermögenswerte zu beschlagnahmen, obschon Art. 171a lit. b StrV nur von Gegenständen spricht. | Erwägungen
ab Seite 11
BGE 111 Ia 11 S. 11
Aus den Erwägungen:
3.
Art. 171a lit. b StrV bestimmt, der Beschlagnahme unterlägen "voraussichtlich nach Artikel 58 StGB einzuziehende Gegenstände". In
Art. 58 StGB
war in der ursprünglichen Fassung lediglich von der Einziehung von "Gegenständen" die Rede. Seit der am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Revision, die mit der Schaffung des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht erfolgte, lautet die Bestimmung dahin, dass u.a. "Gegenstände und Vermögenswerte" einzuziehen seien, die durch eine strafbare Handlung hervorgebracht oder erlangt wurden.
Richtig ist, dass das bernische Gesetz über das Strafverfahren der neuen Fassung des StGB nicht angepasst worden ist, obschon dazu bei einer Revision im Jahre 1980 Gelegenheit bestanden hätte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Auslegung von § 171a lit. b StrV durch die Anklagekammer willkürlich wäre. Der Wortlaut ist keineswegs so eindeutig, wie der Beschwerdeführer annimmt. Es lässt sich durchaus die Auffassung vertreten, die angeführte Bestimmung, die als wesentlichen Bestandteil eine Verweisung auf Bundesrecht enthält, habe mit diesem seinen Inhalt geändert. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit, Gegenstände zu beschlagnahmen, nicht aber Vermögenswerte, so unlogisch wäre, dass sie nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen haben kann. Der Kassationshof des Bundesgerichtes hat es denn auch im Zusammenhang mit dem Tatbestand der Veruntreuung abgelehnt, Geld nicht als anvertrautes Gut und damit nicht als Sache zu behandeln (
BGE 81 IV 233
). Im übrigen hat das Strafprozessrecht der Durchsetzung des materiellen Strafrechts zu dienen (vgl.
BGE 111 Ia 11 S. 12
ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., Basel 1984, S. 5). Dass die auf den 1. Januar 1975 in Kraft getretene Revision des StGB gerade die Einziehung von Vermögenswerten erleichtern sollte, geht deutlich aus dem Votum von Bundesrat Furgler im Nationalrat hervor (Amtl.Bull. NR 1973 I S. 497/498). Eine Einziehung durch den Richter ohne vorangehende Beschlagnahme durch den Untersuchungsrichter wäre aber offensichtlich praktisch in den meisten Fällen unwirksam. Aus diesen Gründen hat sich FRITZ FALB dafür ausgesprochen, auch Geldforderungen, die der Einziehung nach
Art. 58 StGB
unterliegen, der vorsorglichen Beschlagnahme nach Art. 171a lit. b StrV zu unterstellen (Das bernische Strafverfahren, Scriptum 1975, S. 352). Das Bundesgericht ist in mehreren Fällen, die den Kanton Zürich betrafen, stillschweigend von der Möglichkeit einer solchen Beschlagnahme ausgegangen, obschon die massgebenden Bestimmungen der zürcherischen Strafprozessordnung (§ 106 in Verbindung mit § 83) ebenfalls nur von "Gegenständen" und nicht auch von Vermögenswerten sprechen (
BGE 103 Ia 8
ff. sowie nicht veröffentlichte Urteile vom 6.4.1981 i.S. S. und vom 20.2.1985 i.S. L.). Wie es sich verhalten würde, wenn die Beschlagnahme im Strafprozessrecht eines Kantons überhaupt nicht vorgesehen wäre, braucht bei dieser Sachlage nicht geprüft zu werden.
Auch der Einwand, die Beschlagnahme diene in Wirklichkeit der Sicherstellung einer Schadenersatzforderung des Privatklägers, geht fehl. Sind die Voraussetzungen der Einziehung (und damit auch diejenigen der Beschlagnahme) erfüllt, so kann es keinen Unterschied ausmachen, ob die öffentliche Hand auch Geschädigte sei; abgesehen davon scheint zwischen dem Privatkläger und dem Kanton Bern, dem die fraglichen Vermögenswerte im Falle der Einziehung zufallen würden, keine Identität zu bestehen.
Aus allen diesen Gründen entgeht die Auslegung von Art. 171a lit. b StrV durch die Anklagekammer der Willkürrüge. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
acab6d64-27f0-4c43-962c-2878ee5f32c5 | Urteilskopf
118 Ib 49
6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Mai 1992 i.S. A. gegen B. und Staatsrat des Kantons Freiburg (Verwaltungsgerichtsbeschwerde). | Regeste
Art. 24 RPG
; Baubewilligungspflicht für einen Drahtmaschenzaun ausserhalb der Bauzone.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid, in dem statt kantonalem Recht richtigerweise
Art. 24 RPG
hätte angewendet werden müssen (E. 1a).
2. Ein Drahtmaschenzaun ausserhalb der Bauzone untersteht der Baubewilligungspflicht (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 118 Ib 49 S. 49
A. ist Eigentümerin des Grundstücks Art. 469 des Grundbuchs der Gemeinde Ueberstorf, während die daran angrenzende Parzelle Art. 468 B. gehört. Diese 2420 m2 grosse Parzelle ist von einem zwei Meter hohen Drahtgitterzaun umgeben, der an Eisenstangen, die auf
BGE 118 Ib 49 S. 50
Betonsockeln stehen, befestigt ist. Diese Sockel sind bodeneben im Grundstück von B. eingelassen. Ihre äusseren Ränder sind ca. 20 cm von der Grundstücksgrenze entfernt.
Am 23. November 1990 reichte A. ein Gesuch um Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands beim Oberamtmann des Sensebezirks ein. Sie begründete dieses Begehren damit, dass die im Boden eingelassenen Betonsockel als Bauwerke im Sinne von Art. 146 des kantonalen Raumplanungs- und Baugesetzes vom 9. Mai 1983 (RPBG) zu betrachten seien, für welche eine Baubewilligung eingeholt werden müsse. Der Oberamtmann des Sensebezirks wies das Wiederherstellungsgesuch am 25. März 1991 ab und hielt in seinem Entscheid fest, das Erstellen der Betonsockel sei keine baubewilligungspflichtige Verrichtung im Sinne von Art. 146 RPBG. Gegen diesen Entscheid gelangte A. an den Staatsrat des Kantons Freiburg, welcher die Verwaltungsbeschwerde am 12. Juli 1991 abwies, soweit sie nicht gegenstandslos geworden war.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 11. September 1991 verlangt A., der Staatsratsentscheid vom 12. Juli 1991 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen des Bundesgerichts an den Staatsrat zurückzuweisen.
Der Instruktionsrichter des Bundesgerichts fragte den Staatsrat mit Schreiben vom 2. März 1992 an, in welcher Nutzungszone gemäss Art. 14 ff. des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) sich der umstrittene Zaun befinde und ob die Einzäunung allenfalls der landwirtschaftlichen Nutzung diene. Am 16. März 1992 schrieb der Staatsrat dem Bundesgericht, dass sowohl das Grundstück der Beschwerdeführerin als auch das Grundstück von B. nach dem Zonenplan der Gemeinde Ueberstorf vom 19. Oktober 1983 in der Landwirtschaftszone liege. Der Beschwerdegegner führe keinen Landwirtschaftsbetrieb, sondern sei Inhaber eines kleineren Malergeschäfts. Auf seinem Grundstück befinde sich das Lager für seinen Gewerbebetrieb; nebenbei halte B. zwei Pferde sowie einige Schafe und Hühner.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
A. hat gegen den Entscheid des Staatsrats des Kantons Freiburg, der als letzte kantonale Instanz die Frage der Baubewilligungspflicht für den umstrittenen Drahtgitterzaun beurteilte, staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht prüft von Amtes
BGE 118 Ib 49 S. 51
wegen und mit freier Kognition, ob und gegebenfalls inwieweit es auf ein Rechtsmittel eintreten kann (
BGE 117 Ia 2
E. 1, 85 E. 1;
BGE 117 Ib 138
E. 1, 156 E. 1,
BGE 116 Ia 79
E. 1, je mit Hinweisen).
a) Der Staatsrat hat im angefochtenen Entscheid die Baubewilligungspflicht für den umstrittenen Drahtgitterzaun ausschliesslich nach kantonalem Recht geprüft. Indessen ergibt sich aus dem Schreiben des Staatsrats vom 16. März 1992 eindeutig, dass es sich beim besagten Zaun um eine zonenwidrige Einfriedung ausserhalb der Bauzone handelt. Ob für die Erstellung eines solchen Zauns eine Baubewilligung eingeholt werden muss, richtet sich nicht allein nach dem kantonalen Recht, sondern ist zunächst gestützt auf
Art. 24 RPG
zu beurteilen. Im vorliegenden Verfahren liegt somit ein Anwendungsfall von
Art. 24 RPG
vor, auch wenn sich der Staatsrat im angefochtenen Entscheid ausschliesslich auf kantonales Recht gestützt hat (s. nicht publizierte Urteile des Bundesgerichts vom 18. Juni 1991 i.S. D., vom 19. Juni 1987 i.S. Kanton Thurgau sowie vom 5. Mai 1982 i.S. Gemeinden Tamins und Trin). Die Frage, ob der Staatsrat
Art. 24 RPG
zu Unrecht nicht angewendet habe, ist nach
Art. 34 Abs. 1 RPG
im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu prüfen (
BGE 117 Ib 11
mit Hinweisen). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an und ist an die Begründung der Parteibegehren nicht gebunden (
Art. 114 Abs. 1 OG
; F. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 211 ff.).
b) Dass allein staatsrechtliche Beschwerde erhoben worden ist, schadet der Beschwerdeführerin nicht, da im vorliegenden Fall auch die Sachurteilsvoraussetzungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erfüllt sind und die eingereichte Rechtsschrift als solche behandelt werden kann (vgl.
BGE 116 Ib 171
f.). Auch die in der Beschwerde erhobene Rüge der Verletzung von Bundesverfassungsrecht kann im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geprüft werden (
BGE 116 Ib 178
E. 1;
BGE 115 Ib 338
E. 2, je mit Hinweisen). Für die staatsrechtliche Beschwerde bleibt somit kein Raum. Die dem Bundesgericht eingereichte Beschwerde ist ausschliesslich als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln.
2.
Nach den
Art. 22 Abs. 1 und 24 RPG
dürfen Bauten und Anlagen inner- und ausserhalb der Bauzonen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet werden. Im vorliegenden Verfahren steht ein zwei Meter hoher Drahtgitterzaun ausserhalb der Bauzone zur Diskussion, welcher in der Landwirtschaftszone gemäss
Art. 16 RPG
nicht zonenkonform ist, da er nicht der landwirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks von B. dient (vgl.
BGE 112 Ib 405
f. E. 3; 111 Ib
BGE 118 Ib 49 S. 52
216 E. 2). Es stellt sich somit hier lediglich die Frage, ob die Zulässigkeit des umstrittenen Zauns in einem raumplanerischen Ausnahmebewilligungsverfahren nach
Art. 24 RPG
geprüft werden muss.
a) Der bundesrechtliche Begriff "Bauten und Anlagen" ist vom Gesetzgeber nicht näher umschrieben worden. Nach der Rechtsprechung gelten als "Bauten und Anlagen" jedenfalls jene künstlich geschaffenen und auf Dauer angelegten Einrichtungen, die in bestimmter fester Beziehung zum Erdboden stehen und die Nutzungsordnung zu beeinflussen vermögen, weil sie entweder den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Dazu gehören auch Fahrnisbauten, welche über nicht unerhebliche Zeiträume ortsfest verwendet werden. Das kantonale Recht darf den Umfang der nach Bundesrecht bewilligungspflichtigen Bauten und Anlagen nicht unterschreiten (
BGE 113 Ib 315
f. E. 2b mit Hinweis).
Das Bundesgericht hat sich bereits in verschiedenen Urteilen zur Baubewilligungspflicht von zonenwidrigen Drahtgitterzäunen ausserhalb der Bauzonen geäussert. Ein Damhirschgehege aus Maschendraht hat es als künstlich geschaffene und auf Dauer angelegte Einrichtung mit bestimmter fester Beziehung zum Erdboden bezeichnet. Ein zwei Meter hohes Gehege mit Stahlrohrpfosten vermöge auch die Nutzungsordnung zu beeinflussen, verändere es doch den Raum durch sein Erscheinungsbild erheblich. In der Lehre würden denn auch Umzäunungen, vor allem wenn sie mit dem Boden fest verbunden seien, zu den baubewilligungspflichtigen Anlagen gezählt (unveröffentlichtes Urteil vom 19. Juni 1987 i.S. Kanton Thurgau, E. 2 mit Hinweisen auf LEUTENEGGER, Das formelle Baurecht der Schweiz, 2. Aufl., S. 92; ZAUGG, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 1985, N 15 zu Art. 1; ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau, N 3 zu § 10). In gleichem Sinne ging das Bundesgericht im unveröffentlichten Entscheid vom 5. März 1982 i.S. Gemeinden Tamins und Trin davon aus, dass ein 1,8 m hohes Rothirschgehege klarerweise eine der Bewilligungspflicht unterliegende Anlage sei. Auch im nicht publizierten Entscheid vom 18. Juni 1991 i.S. D. hat das Bundesgericht die Baubewilligungspflicht für einen zwei Meter hohen Drahtmaschenzaun unter Hinweis auf die erwähnte Literatur ohne weiteres bejaht.
b) Im Hinblick auf die genannte Rechtsprechung und Literatur unterliegt der im vorliegenden Verfahren zur Diskussion stehende zwei Meter hohe Drahtgitterzaun zweifelsfrei der in
Art. 24 RPG
enthaltenen Bewilligungspflicht für nicht zonenkonforme Bauten
BGE 118 Ib 49 S. 53
und Anlagen ausserhalb der Bauzonen. Die Vorinstanz hat Bundesrecht verletzt, indem sie die Frage der Baubewilligungspflicht verneinte. Der angefochtene Entscheid ist daher in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und die Sache antragsgemäss zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, welche die Frage der Standortgebundenheit (
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
) zu prüfen und die nach
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
gebotene Interessenabwägung vorzunehmen haben wird. Falls sich im Ausnahmebewilligungsverfahren ergeben sollte, dass der umstrittene Zaun gemäss
Art. 24 RPG
nicht bewilligt werden kann, wie dies in der bereits erwähnten Angelegenheit i.S. D. zutraf (nicht publiziertes Urteil vom 18. Juni 1991), so wäre entsprechend den Anträgen der Beschwerdeführerin die Frage der Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands ebenfalls gestützt auf
Art. 24 RPG
zu prüfen (vgl.
BGE 111 Ib 226
).
3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid bereits wegen Verletzung von
Art. 24 RPG
aufzuheben ist. ... | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
acb11d58-a2ed-4279-b0ee-9c9010f6695d | Urteilskopf
85 IV 244
63. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 15. Oktober 1959 i.S. Staatsanwaltschaft St. Gallen gegen Staatsanwaltschaft Schwyz. | Regeste
Art. 351, 371 Abs. 2, 372 Abs. 3 StGB.
1. Ist der Beschuldigte vor Erreichung des 18. Altersjahrs straffällig geworden, hat er aber zur Zeit der Beurteilung das 20. Altersjahrüberschritten, so bezeichnet die Anklagekammer den Gerichtsstand (Erw. 1).
2. Wann ist jemand wegen mehrerer an verschiedenen Orten begangener strafbarer Handlungen verfolgt? (Erw. 2).
3. Die Gerichtsbarkeit wird zwischen zwei Kantonen geteilt, weil das im einen Kanton eingeleitete Verfahren nur noch eines formellen Abschlusses bedarf (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 245
BGE 85 IV 244 S. 245
Aus dem Sachverhalt:
Im November 1954 missbrauchte der 1938 geborene Eugen B. ein Kind zu einer beischlafsähnlichen Handlung. Der Jugendrichter des Kantons Schwyz, Kreis III, zog ihn wegen dieser und weiterer Verfehlungen in Untersuchung. Nach Feststellung des Sachverhalts setzte sich der Richter mit der Vormundschaftsbehörde der Wohnsitzgemeinde Reichenburg ins Benehmen, die B. am 2. Dezember 1954 in eine Erziehungsanstalt einwies. Der Richter teilte darauf der Vormundschaftsbehörde mit, es würde sich zwar rechtfertigen, die Verfehlungen des Jugendlichen durch das Gericht beurteilen zu lassen, das jedenfalls gemäss
Art. 91 StGB
auf Anstaltsversorgung erkennen würde; da die Vormundschaftsbehörde diese Massnahme bereits angeordnet habe, lasse es sich jedoch verantworten, ihr die Aufsicht über B. zu überlassen. Am 29. Juli 1958 wurde B. aus der Anstalt entlassen.
BGE 85 IV 244 S. 246
Im Juli 1959 exhibierte B. in Schmerikon und in der Umgebung von Uznach vor einer Frau und einem Kinde. In der deswegen eingeleiteten Untersuchung stellte das Bezirksamt See in Uznach fest, dass das im Kanton Schwyz angehobene Jugendstrafverfahren zu keinem formellen Abschluss gelangt ist. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen ersuchte deshalb die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, die Verfolgung der neuen Unzuchtshandlungen zu übernehmen, weil die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat in diesem Kanton begangen worden sei. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz lehnte die Übernahme ab und verlangte, die Verfolgung sämtlicher Straftaten sei in der Hand der sanktgallischen Behörden zu vereinigen.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Ist der Gerichtsstand unter den Behörden mehrerer Kantone streitig, so kommt es gemäss
Art. 351 StGB
und
Art. 264 BStP
der Anklagekammer des Bundesgerichts zu, den Kanton zu bezeichnen, der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt und verpflichtet ist. Von dieser allgemeinen Regelung sind die Anstände über die Zuständigkeit im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche ausgenommen, welche Streitigkeiten nach
Art. 372 Abs. 3 StGB
vom Bundesrat zu beurteilen sind. Auf Grund dieser Bestimmung hat das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, dem der Bundesrat mit Beschluss vom 16. Juni 1942 die betreffenden Befugnisse übertragen hat, im Falle von Konflikten zwischen den Kantonen dafür zu sorgen, dass die Gerichtsstandsvorschriften der Absätze 1 und 2 richtig ausgelegt werden, und dass sie dort, wo sie anwendbar sind, auch tatsächlich angewendet werden (vgl.
BGE 74 IV 184
; im gleichen Sinne Entscheid des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 13. November 1958 i.S. Bärtsch und darin angeführter Entscheid vom 28. Januar 1955). Da die genannten Gerichtsstandsvorschriften lediglich für das in
Art. 369 ff. StGB
geregelte und kraft Bundesrechts
BGE 85 IV 244 S. 247
Platz greifende Verfahren gegen Kinder und Jugendliche gelten, stellt sich die vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement zu beantwortende Frage der richtigen Auslegung und Anwendung von
Art. 372 Abs. 1 und 2 StGB
indes nur dann, wenn das Verfahren gegen Kinder und Jugendliche von Bundesrechts wegen anwendbar ist.
Nach
Art. 371 Abs. 2 StGB
ist das Verfahren gegen Jugendliche auch anzuwenden, wenn der Beschuldigte, der zur Zeit der Tat ein Jugendlicher war, am Tage der richterlichen Beurteilung das achtzehnte Altersjahr erreicht, das zwanzigste aber noch nicht überschritten hat. Die Anwendung dieses Verfahrens wird dagegen von Bundesrechts wegen nicht gefordert, wenn der Täter bei der richterlichen Beurteilung das zwanzigste Altersjahr überschritten hat. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus
Art. 371 Abs. 2 StGB
und entspricht einer Beschränkung, die der Gesetzgeber bewusst getroffen hat (vgl. Sten.Bull. Sonderausgabe, StR 1931 S. 248, NatR 1934 S. 719/20).
Eugen B. ist mehr als zwanzig Jahre alt. Die Kantone sind daher von Bundesrechts wegen nicht gehalten, ihn im Verfahren gegen Jugendliche zu beurteilen. Die dieses Verfahren betreffenden Gerichtsstandsvorschriften des
Art. 372 Abs. 1 und 2 StGB
gelangen darum im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Bei dieser Sachlage bleibt für eine Überprüfung der richtigen Auslegung und Anwendung dieser Normen durch den Bundesrat bzw. das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement kein Raum. Es greift vielmehr die allgemeine Regel des
Art. 351 StGB
und des
Art. 264 BStP
Platz, wonach die Anklagekammer des Bundesgerichts den Kanton bezeichnet, der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt und verpflichtet ist.
2.
Ein Gerichtsstandskonflikt im Sinne der letztgenannten Bestimmungen liegt nach der Rechtsprechung immer dann vor, wenn jemand wegen mehrerer an verschiedenen Orten begangener strafbarer Handlungen verfolgt wird. Ob jemand verfolgt sei, entscheidet die Anklagekammer unabhängig von der Stellungnahme der kantonalen
BGE 85 IV 244 S. 248
Behörden und von kantonalen Rechtsbegriffen nach bundesrechtlichen Gesichtspunkten (
BGE 68 IV 6
,
BGE 74 IV 187
); sie stellt dabei nicht auf formale Merkmale (Hängigkeit oder Einstellung des Verfahren) ab, sondern darauf, ob nach der Aktenlage eine Strafverfolgung für die betreffende Tat (noch) in Frage komme. Die Anklagekammer kann dementsprechend nicht nur eine formell nicht angehobene Untersuchung, deren Eröffnung sich aufdrängt, bei der Bestimmung des Gerichtsstandes mitberücksichtigen (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 22. Januar 1944 i.S. Verhöramt Trogen gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen), sondern auch eine formell noch nicht abgeschlossene Untersuchung als erledigt betrachten und bei der Bestimmung des Gerichtsstandes ausser Acht lassen (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 9. Mai 1947 i.S. Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern gegen Staatsanwaltschaften der Kantone Zürich und Thurgau; COUCHEPIN, ZStrR 63 S. 105).
Im vorliegenden Falle machen die Behörden der beteiligten Kantone geltend, die Untersuchung über die Verfehlungen, die B. als Jugendlicher im Kanton Schwyz beging, sei abgeschlossen, und die darauf bezüglichen Massnahmen seien vorwegnehmend bereits vollzogen worden. Ein Urteil ist jedoch in der Sache noch nicht gefällt worden. Da
Art. 251 BStP
voraussetzt, dass in derartigen Fällen ein (formeller) Entscheid ergeht, kann die betreffende Strafverfolgung vor dem Erlass eines solchen vom Standpunkt des Bundesrechts aus nicht als beendigt bezeichnet werden. Neben dem erwähnten Verfahren läuft jenes, das die sanktgallischen Behörden gegen B. angehoben haben. Das Vorliegen eines Gerichtsstandskonflikts kann mithin nicht bestritten werden.
3.
Nach
Art. 63 und
Art. 90 ff. sowie
Art. 42 ff. StGB
obliegt es dem Richter, die dem Verschulden und der Persönlichkeit des Täters entsprechende Strafe oder Massnahme zu finden. Um die richtige Erfüllung dieser Aufgabe zu gewährleisten, sehen die Art. 336 (lit. c, d), 344
BGE 85 IV 244 S. 249
und 350 StGB vor, dass eine Mehrheit von strafbaren Handlungen durch ein und denselben Richter zu beurteilen ist. Dies gilt allgemein auch dann, wenn der Täter teils vor und teils nach Erreichung des achtzehnten Altersjahr straffällig geworden ist. Nach welchen Regeln sich diesfalls die örtliche Zuständigkeit bestimmt, kann offen bleiben, da der Grundsatz der einheitlichen Verfolgung und Beurteilung einer Mehrheit strafbarer Handlungen im vorliegenden Falle nicht zur Anwendung gelangen kann.
Im Gegensatz zum Regelfalle stellt sich hier dem Richter nicht die Aufgabe, eine Strafe oder Massnahme für die Taten zu finden, die der Beschuldigte vor Erreichung des achtzehnten Altersjahrs begangen hat, und diese auf die Strafe oder Massnahme abzustimmen, die den Beschuldigten für die später begangenen Verfehlungen trifft. Wegen der strafbaren Handlungen, die er sich als Jugendlicher hatte zuschulden kommen lassen, wurde B. in eine Erziehungsanstalt eingewiesen; diese Massnahme ist bereits vollzogen worden. Es kann sich somit hinsichtlich dieser Delikte nur noch darum handeln, das deswegen eingeleitete Verfahren unter Behebung allfällig ihm anhaftender prozessualer Mängel formell zu einem Abschluss zu bringen. Was zu diesem Behufe vorzukehren ist, hätte in gleicher Weise auch angeordnet werden müssen, wenn B. nicht erneut straffällig geworden wäre; das betreffende Verfahren kann daher ohne Bezugnahme auf die neue Untersuchung zu Ende geführt werden. Bei Beurteilung der neuen Delikte sind anderseits die früheren strafbaren Handlungen und die deswegen angeordneten Massnahmen lediglich als Teil des Vorlebens zu würdigen; es besteht mithin kein Anlass, das betreffende Verfahren mit dem materiell abgeschlossenen früheren Verfahren zu verknüpfen.
Diese Umstände rechtfertigen es, von der in
Art. 263 BStP
enthaltenen Ermächtigung Gebrauch zu machen, die Gerichtsbarkeit zu trennen (
BGE 68 IV 127
;
BGE 69 IV 47
, 86;
BGE 70 IV 90
). Die Zuständigkeit zur Verfolgung und Beurteilung
BGE 85 IV 244 S. 250
ist demgemäss für jede der beiden Gruppen von Delikten gesondert zu regeln. Wegen der Verfehlungen, die B. als Jugendlicher beging, haben die Behörden des Kantons Schwyz, wo der Genannte seinen Wohnsitz hatte, in Anwendung des
Art. 372 Abs. 1 StGB
ein Verfahren eingeleitet; es obliegt den Behörden dieses Kantons, dieses Verfahren formell zu einem Abschluss zu bringen. Die strafbaren Handlungen, die sich B. als Erwachsener in Schmerikon und in der Umgebung von Uznach hat zuschulden kommen lassen, sind von den sanktgallischen Instanzen als den Behörden des Orts, wo die Tat verübt worden ist, zu verfolgen und zu beurteilen (
Art. 346 Abs. 1 StGB
). | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
acb8e25b-1105-46f8-b710-8146521fe331 | Urteilskopf
83 III 108
29. Entscheid vom 29. August 1957 i.S. Büterra-Immobilien A.-G. | Regeste
Wirkungen des Arrestvollzuges.
Die Arrestierung eines Grundstückes erfasst wie dessen Pfändung die während ihrer Dauer anfallenden Früchte und sonstige Erträgnisse auch ohne dahingehendes besonderes Begehren des Gläubigers, und dem Betreibungsamte liegt wie bei der Pfändung die Sorge für die Verwaltung und Bewirtschaftung des Grundstückes ob.
Berücksichtigung des Unterhaltsbedarfs des Schuldners und seiner Familie.
Art. 102 in Verbindung mit
Art. 275 SchKG
. | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 83 III 108 S. 108
A.-
Die Handelsbank Luzern A.-G. erwirkte am 10. Mai 1957 für eine Forderung von Fr. 247'154.-- nebst Zinsen auf Grund von
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
gegen die Rekurrentin einen Arrestbefehl, der unter der Rubrik "Arrestgegenstände" folgende Angabe enthält:
"Die auf die Arrestschuldnerin im Grundbuch eingetragene Liegenschaft Steinhausweg 4 in Zürich 6, sofern arrestierbar und pfändbar, bis zur Deckung der Arrestforderung samt Zins und Kosten."
Das Betreibungsamt Zürich 6, das diesen Arrest vollzog, unterwarf dem Beschlag in analoger Anwendung von
Art. 102 SchKG
auch die künftig fällig werdenden Mieterträgnisse der Liegenschaft und erliess entsprechende Anzeigen an die Mieter und die Pfandgläubiger.
B.-
Auf Beschwerde der Schuldnerin hob die untere Aufsichtbehörde die Beschlagnahme der Mietzinse auf und ordnete den Widerruf der an die Mieter ergangenen
BGE 83 III 108 S. 109
Anzeigen an. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde wies dagegen auf Rekurs der Gläubigerin mit Entscheid vom 23. Juli die Beschwerde der Schuldnerin als unbegründet ab.
C.-
Mit vorliegendem Rekurs an das Bundesgericht hält die Schuldnerin an der Beschwerde fest.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 275 SchKG
wird der Arrest nach den in den Artikeln 91-109 für die Pfändung aufgestellten Vorschriften vollzogen. Somit ist, falls keine speziellen arrestrechtlichen Gründe entgegenstehen, auch
Art. 102 SchKG
anwendbar, wonach die Pfändung eines Grundstückes unter Vorbehalt der den Grundpfandgläubigern zustehenden Rechte auch dessen Früchte und sonstige Erträgnisse erfasst (Abs. 1), das Betreibungsamt den Grundpfandgläubigern sowie gegebenenfalls den Mietern und Pächtern von der erfolgten Pfändung Kenntnis zu geben hat (Abs. 2) und für die Verwaltung und Bewirtschaftung der Liegenschaft sorgt (Abs. 3). Die untere Aufsichtsbehörde hält die Einbeziehung der Früchte und sonstigen Erträgnisse bei Arrestierung einer Liegenschaft für unzulässig, weil nur die im Arrestbefehl aufgeführten Gegenstände (
Art. 274 Ziff. 4 SchKG
) arrestiert werden dürfen, was deren Angaben durch den Gläubiger im Arrestbewilligungsgesuch voraussetzt (
Art. 272 SchKG
). Diese Vorschrift ist freilich beim Vollzug des Arrestes zu beachten; es ergibt sich daraus, dass der in
Art. 91 SchKG
statuierten Anwesenheits- und Auskunftspflicht des Schuldners eine dementsprechend eingeschränkte Bedeutung zukommt (vgl.
BGE 56 III 47
), und dass auch die Bestimmungen von
Art. 95 SchKG
über die Reihenfolge der zu pfändenden Gegenstände sich nur im Rahmen der im Arrestbefehl aufgeführten Gegenstände auswirken können. Gegen die Anwendung von
Art. 102 SchKG
lässt sich jedoch der sich aus
Art. 274 Ziff. 4 SchKG
ergebenden gegenständlichen Beschränkung des Arrestes
BGE 83 III 108 S. 110
nichts entnehmen. Wenn JAEGER (N. 1 B zu
Art. 275 SchKG
) einerseits hervorhebt, dass das Betreibungsamt andere als im Arrestbefehl verzeichnete Gegenstände nicht mit Arrest belegen darf, bemerkt er zu Art. 102 (N. 1) anderseits, dieser Artikel müsse auch in seinem ganzen Umfang auf die provisorische Pfändung und den Arrest Anwendung finden. Dem ist beizustimmen, da die Pfändung eines Grundstückes nach
Art. 102 Abs. 1 SchKG
eben die während ihrer Dauer anfallenden Früchte und sonstige Erträgnisse "erfasst", ohne dass sie noch eigens gepfändet werden müssten oder überhaupt als zusätzliche Pfändungsgegenstände zu gelten hätten. Der gesetzgeberische Grund der soeben erwähnten Vorschrift ist in Abs. 3 daselbst zu finden, wonach das Betreibungsamt während der Dauer der Pfändung für die Verwaltung und Bewirtschaftung der Liegenschaft zu sorgen hat. Darin ist die Ertragsgewinnung mitenthalten, wie denn die Erträge in erster Linie zur Begleichung des Unterhalts- und sonstigen Aufwandes samt den Verwaltungskosten zu dienen haben (vgl. namentlich die
Art. 17 und 22 VZG
). All dies gilt nun auch für den Arrest, der wie die Pfändung eine bis zum Eintritt eines Endigungsgrundes andauernde betreibungsamtliche Gewalt begründet und eine dementsprechend vom Betreibungsamt zu besorgende Verwaltung und Bewirtschaftung mit sich bringt. Daher stellt sich die Ertragsgewinnung auch bei der Arrestierung des Grundstückes als eine Massnahme des Vollzuges und der infolgedessen eintretenden amtlichen Verwaltung dieses einen Vermögensgegenstandes dar, und es liegt darin keine Vermehrung der Arrestgegenstände über den durch
Art. 274 Ziff. 4 SchKG
gezogenen Rahmen hinaus.
2.
Davon geht der vorinstanzliche Entscheid zutreffend aus, und ist ihm auch darin beizustimmen, dass (entgegen einer Entscheidung vom 17. September 1913,
BGE 39 I 489
= Sep.-Ausg. 16 S. 191 = Praxis 2 Nr. 235) auch abgesehen von
Art. 274 Ziff. 4 SchKG
nichts der
BGE 83 III 108 S. 111
Einbeziehung der Erträgnisse bei Arrestierung einer Liegenschaft entgegensteht. Jene Entscheidung bezeichnet es als zu weitgehend, dem Schuldner den Liegenschaftsertrag vorzuenthalten bei blosser Arrestierung des Grundstückes, die keinen irgendwie zuverlässigen Nachweis des Rechtsbestandes der vom Gläubiger geltend gemachten Forderung voraussetzt. Diese Betrachtungsweise geht jedoch an der dem Betreibungsamt obliegenden Sorge für die Verwaltung und Bewirtschaftung der arrestierten Liegenschaft vorbei, womit die Gewinnung und zweckentsprechende Verwendung der Erträgnisse verbunden ist. Eine Frage für sich ist, ob ein Reinertrag dem Schuldner und seiner Familie für den laufenden Bedarf zu überlassen sei.
Art. 102 SchKG
sieht dies nicht vor, die neuere Rechtsprechung bejaht es aber auf Grund von
Art. 22 und 94 VZG
, welche Bestimmungen sich an
Art. 103 Abs. 2 SchKG
anlehnen; übrigens wird der Bedarf des Schuldners in analoger Weise in Bezug auf den Ertrag beweglichen Vermögens berücksichtigt (
BGE 64 III 105
). Für eine weitergehende Beschränkung der Beschlagswirkungen des Arrestes fehlt es dagegen an einer gesetzlichen Grundlage. Insbesondere lässt sich nichts Abweichendes daraus herleiten, dass bei Anhebung einer Betreibung auf Grundpfandverwertung die Miet- und Pachtzinsensperre nach
Art. 806 ZGB
und
Art. 152 Abs. 2 SchKG
nur dann angeordnet wird, wenn der Gläubiger "im Betreibungsbegehren nicht ausdrücklich oder durch Nichtleistung des Kostenvorschusses auf die Ausdehnung der Pfandhaft der Miet- und Pachtzinsforderungen verzichtet hat" (
Art. 91 VZG
). Diese Regelung erklärt sich daraus, dass der Pfandgegenstand ordentlicherweise nicht schon mit der Anhebung der Betreibung, sondern erst nach Stellung des Verwertungsbegehrens in amtliche Verwaltung kommt (
Art. 155 Abs. 1 SchKG
, 101 VZG), während eine solche Verwaltung bei Arrestierung oder Pfändung des Grundstückes ohne weiteres Platz greifen muss.
3.
Der Rekurs der Schuldnerin ist um so weniger
BGE 83 III 108 S. 112
begründet, als die Gläubigerin bei Umschreibung des Arrestgegenstandes ("... Liegenschaft..., sofern arrestierbar und pfändbar") zum Ausdruck gebracht hat, dass sie auf den ganzen pfändbaren Bestand der Liegenschaft greifen wolle ("sofern" bedeutet im Zusammenhang des Satzes "soweit"). Auf Einbezug der Reinerträgnisse zu verzichten, bestand denn auch keine Veranlassung, zumal die Liegenschaft bei einem betreibungsamtlichen Schätzungswert von Fr. 150'000.-- mit Fr. 217'600.-- grundpfändlich belastet ist.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
accb9a1d-2f7a-4b22-bb02-ac733f9da61a | Urteilskopf
124 III 182
32. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 27 janvier 1998 dans la cause T. contre Zurich Assurances (recours en réforme) | Regeste
Art. 59 SVG
und
Art. 75 SVG
. Haftung des Motorfahrzeughalters. Mitverschulden des Geschädigten. Genugtuung.
Der Halter, dessen Motorfahrzeug entwendet worden ist, haftet gegenüber einem Beifahrer, der keine Kenntnis von der widerrechtlichen Entwendung hatte, für das Verschulden des Entwenders (E. 3).
Ob und wieweit ein mitschuldiger Geschädigter für die seelische Unbill, die er infolge des Unfalls erlitten hat, eine Genugtuung beanspruchen kann, beurteilt sich nach
Art. 59 Abs. 1 und 2 SVG
(Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 124 III 182 S. 182
A.-
Le 25 octobre 1993, T., alors âgé de 15 ans et 3 mois, a accepté d'être passager d'une motocyclette conduite par son ami R., âgé de 16 ans et 4 mois. Vers 23h20, le conducteur a perdu le contrôle de la moto; il est décédé des suites de ses blessures. T. a subi diverses lésions, notamment un traumatisme crânien et une fracture à l'os
BGE 124 III 182 S. 183
nasal. Tant le conducteur que le passager de la moto portaient des casques homologués.
La motocyclette était un véhicule volé; elle ne présentait aucune trace de vol et sa clé a été retrouvée sur le contact. Le détenteur de l'engin ne le prêtait jamais à des tiers. Ce dernier, qui était assuré en responsabilité civile auprès de la Zurich Assurances, avait déposé plainte contre inconnu le matin du jour de l'accident. La police n'a toutefois pas pu identifier l'auteur du vol.
Interpellée par le conseil de T., lui indiquant qu'elle devait répondre du dommage matériel et du tort moral subi par son client, la Zurich Assurances a déclaré refuser de couvrir le cas, car la responsabilité civile du détenteur du véhicule n'était pas engagée. Elle a fait valoir que le lésé avait accepté d'être le passager du conducteur en sachant que ce dernier n'était pas titulaire d'un permis de conduire et que, de plus, T. aurait pu savoir, au vu des circonstances, que l'engin avait été volé.
B.-
T. a ouvert action le 14 septembre 1995 contre la Zurich Assurances, concluant au paiement de 15'000 fr., plus intérêts, à titre d'indemnité pour tort moral, et de 1'000 fr. à titre de dommage matériel pour frais et honoraires d'avocat avant procédure.
Par jugement du 26 juillet 1996, le Tribunal de première instance de Genève, considérant que T. avait commis une faute grave au sens de l'art. 59 al. 1 de la loi fédérale sur la circulation routière (LCR; RS 741.01), l'a débouté de toutes ses conclusions. Statuant sur appel de T., la Cour de justice du canton de Genève, par arrêt du 21 février 1997, a confirmé le jugement précité.
C.-
Le Tribunal fédéral a partiellement admis le recours en réforme exercé par T. Il a renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Il convient de traiter en premier lieu de l'application de l'art. 75 LCR, soit de la responsabilité du détenteur d'un véhicule utilisé sans droit. Selon cette disposition, la responsabilité civile du détenteur est pleinement engagée, sauf à l'égard de ceux qui ont fait usage du véhicule et qui savaient dès le début de la course ou pouvaient savoir en prêtant toute l'attention commandée par les circonstances que le véhicule avait été soustrait (al. 1, 3ème phrase). C'est au détenteur volé, soit à son assurance, d'établir que l'usager lésé savait que le véhicule avait été soustrait (art. 8 CC).
BGE 124 III 182 S. 184
La constatation de ce qu'une personne savait ou ignorait à un moment donné relève du fait et lie le Tribunal fédéral (art. 63 al. 2 OJ; POUDRET, COJ II, n. 4.3.2 ad art. 63 OJ, p. 541). C'est donc en vain que l'intimée tente de remettre en cause par une critique purement appellatoire, en se référant même à un témoignage, la constatation de l'arrêt attaqué selon laquelle la défenderesse n'a pas prouvé que T. savait que la moto sur laquelle il avait pris place avait été soustraite. Au reste, les juges cantonaux n'ont retenu aucun élément suffisamment probant qui puisse faire admettre que T. pouvait savoir, en prêtant toute l'attention commandée par les circonstances, que le véhicule avait été soustrait.
Le détenteur, soit son assureur, est entièrement chargé du risque de la soustraction illicite; il est responsable envers T. lésé, passager "innocent", comme si le véhicule n'avait pas été volé ou soustrait (BUSSY & RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, 3e éd., n. 1.2, 2.3 et 5.2 ad art. 75 LCR). Lui sont donc applicables les dispositions des art. 58 ss LCR sur la responsabilité civile du détenteur; en particulier, la faute du voleur ou du conducteur, dans l'accident, lui est imputable (BUSSY & RUSCONI, op.cit., n. 4.2 ad art. 75 LCR).
4.
a) Il ne saurait être contesté que T. lésé a commis une faute, par le fait qu'il a pris place sur la motocyclette, en sachant que son conducteur âgé de seize ans n'avait pas de permis de conduire. Il s'agit dès lors de savoir si cette faute peut entraîner la suppression de tout droit à une indemnité, comme l'a jugé la cour cantonale, ou seulement constituer un facteur de réduction des indemnités allouées.
Selon l'art. 59 al. 1 LCR, le détenteur est libéré de la responsabilité civile s'il prouve que l'accident a été causé par la force majeure ou par une faute grave du lésé ou d'un tiers sans que lui-même ou les personnes dont il est responsable aient commis de faute et sans qu'une défectuosité du véhicule ait contribué à l'accident.
En vertu de cette disposition, le détenteur ne peut ainsi être libéré qu'en cas de faute grave exclusive du lésé (ou de la victime). Or, en l'espèce, il apparaît d'emblée que s'il y a faute du demandeur, laquelle consiste pour l'intéressé à avoir accepté de manière coupable un risque, soit celui de monter sur un véhicule conduit par un conducteur non-titulaire d'un permis, cette faute n'est pas exclusive. En effet, il y a une faute nette et indiscutable du conducteur de l'engin qui, selon le système prévu par l'art. 75 LCR, est une personne dont le détenteur répond. Cette faute est réalisée aussi bien par la conduite sans permis que par la perte de maîtrise du véhicule.
Dans un tel cas, on ne peut donc pas libérer le détenteur de sa
BGE 124 III 182 S. 185
responsabilité et supprimer, en application de l'art. 59 LCR, le droit du lésé à être indemnisé par le détenteur. Tout au plus peut-on faire application de l'al. 2 de l'art. 59 LCR, qui permet au juge de fixer l'indemnité en tenant compte de toutes les circonstances, lorsque le détenteur ne peut se libérer en vertu de l'al. 1 mais prouve qu'une faute du lésé a contribué à l'accident.
b) La cour cantonale n'a cependant pas rendu sa décision de suppression de toute indemnité, pour faute grave du lésé, en recourant à l'art. 59 LCR. Elle s'est référée à l'art. 47 CO, auquel renvoie l'art. 62 LCR, et elle a fait application de l'art. 44 CO. L'art. 62 LCR prévoit que le mode et l'étendue de la réparation ainsi que l'octroi d'une indemnité à titre de réparation morale sont régis par les principes du code des obligations concernant les actes illicites. L'art. 47 CO traite de l'indemnité pour tort moral, et l'art. 44 al. 1 CO dispose que le juge peut réduire les dommages-intérêts, ou même n'en point allouer, lorsque la partie lésée a consenti à la lésion ou lorsque des faits dont elle est responsable ont contribué à créer le dommage, à l'augmenter, ou qu'ils ont aggravé la situation du débiteur.
On doit se demander, d'une part, si l'application de ces dispositions devait bien intervenir en lieu et place de celle de l'art. 59 LCR et, d'autre part, dans l'affirmative, si elle permettait d'aboutir à prononcer la libération du détenteur de sa responsabilité.
c) En ce qui concerne le dommage matériel, on doit admettre, avec la doctrine apparemment dominante, que le principe de la pleine libération du détenteur en cas de faute grave du lésé est entièrement régi par l'art. 59 al. 1 LCR en ce sens qu'elle ne peut intervenir qu'en cas de faute grave exclusive du lésé (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, vol. II/2, 4e éd., n. 569, p. 255). Il n'y a donc plus place pour une libération du détenteur, en application de l'art. 44 CO, en cas de faute du lésé, même grave, qui ne serait pas exclusive. En pareille hypothèse, seule compète au juge la fixation de l'indemnité en tenant compte de toutes les circonstances, conformément à l'art. 59 al. 2 LCR (SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, vol. II, n. 1294 p. 164 et n. 1304 p. 167; RAYMOND GREC, La situation juridique du détenteur de véhicule automobile en cas de collision de responsabilités, thèse Lausanne 1969, p. 55-56). Ainsi l'effet réducteur ou, le cas échéant, libérateur de la faute du lésé se trouve consacré à l'art. 59 al. 1 et 2 LCR, en sorte que le recours à l'art. 44 al. 1 CO est inutile (BUSSY & RUSCONI, op.cit., n. 1.5 ad art. 62 LCR; OFTINGER/STARK, op.cit., vol. II/2, n. 621, p. 274).
BGE 124 III 182 S. 186
d) Ces principes, applicables au dommage matériel, valent-ils aussi en ce qui concerne l'indemnité pour tort moral, dès lors que l'art. 62 al. 1 LCR prescrit que l'indemnité à titre de réparation morale est régie par les principes du code des obligations concernant les actes illicites?
La doctrine et la jurisprudence, en matière de responsabilité civile à raison de la circulation routière, ont généralement fait application des dispositions du code des obligations à l'égard de l'indemnité pour tort moral, soit en particulier de l'art. 44 al. 1 CO. L'idée qui paraît avoir dicté cette application était que l'art. 59 al. 1 LCR n'avait trait qu'au dommage, mais qu'il ne jouait aucun rôle en matière de réparation morale (cf. BUSSY, FJS 912, n. 3).
La jurisprudence la plus récente, malgré une évolution sensible tendant à appliquer à l'indemnité pour tort moral les principes de réduction et de libération qui valent pour le dommage matériel, a persisté à se fonder sur l'art. 44 CO, sans se référer à l'art. 59 LCR. Ainsi en est-il de l'ATF 116 II 733, cité d'ailleurs par la cour cantonale. Cet arrêt a résolument abandonné la jurisprudence, selon laquelle la faute du lésé engendrait la suppression de l'indemnité pour tort moral lorsqu'elle était équivalente à celle du responsable ou plus grave que celle-ci. Partant de la conception que l'allocation d'une indemnité équitable à titre de réparation morale prévue par l'art. 47 CO n'était pas autre chose que la réparation d'un préjudice, le Tribunal fédéral s'est demandé si le rôle assigné à la faute par la jurisprudence devait être maintenu. Et il a considéré que l'ancienne jurisprudence avait perdu sa justification et qu'il n'y avait aucune raison pour que le lésé, même s'il portait une plus grande part de responsabilité dans la survenance de son accident, puisse obtenir une indemnité réduite pour réparer son dommage matériel alors qu'il ne le pourrait pas pour son dommage immatériel. Aussi a-t-il jugé que rien ne s'opposait à l'allocation d'une indemnité pour tort moral même en cas de faute prépondérante du lésé.
La juridiction fédérale a alors pris en considération la faute du lésé dans le cadre de l'art. 44 CO, soit comme facteur de suppression de l'indemnité pour tort moral, à condition qu'elle soit de nature à interrompre le lien de causalité, soit comme facteur de réduction de l'indemnité si elle présentait une intensité moindre. Or, il apparaît que cette manière de voir rejoint celle qui résulte de l'application de l'art. 59 al. 1 et 2 LCR, tant il est vrai que la faute qui est susceptible d'interrompre le lien de causalité n'est pas autre chose que la faute grave exclusive du lésé. Il paraît dès lors raisonnable et cohérent d'admettre que l'art. 59 al. 1 et 2 LCR s'applique aussi bien à la réparation du dommage
BGE 124 III 182 S. 187
matériel qu'à celle du tort moral. Le recours à l'art. 44 CO doit être considéré comme inutile; le renvoi au code des obligations prévu à l'art. 62 LCR vise au reste les dispositions fixant les modalités de la réparation du tort moral, mais les conditions de la responsabilité sont celles qui sont applicables au détenteur et au conducteur, conformément aux art. 58 et 59 LCR (TERCIER, La réparation du tort moral, Journées du droit de la circulation routière, Fribourg 1988, p. 6 et 11/12).
Dès lors, en l'occurrence, qu'il s'agisse du dommage matériel ou du tort moral, la défenderesse, qui assure le détenteur, ne peut pas être libérée de sa responsabilité à défaut de faute grave exclusive du lésé. Tout au plus les dommages-intérêts pourront-ils être réduits en application de l'art. 59 al. 2 LCR.
e) Quoi qu'il en soit, la solution ainsi proposée aboutit pratiquement aux mêmes résultats que ceux auxquels conduisait la jurisprudence fondée sur l'art. 44 CO ou, s'agissant du dommage matériel, sur l'art. 59 al. 2 LCR. La prise en compte du risque inhérent au véhicule automobile ou de la faute du détenteur ou d'une personne dont il répond n'aboutit qu'à une réduction de l'indemnité, et non pas à une suppression (cf. SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, op.cit., vol. II, n. 1423 p. 207 et n. 1434 p. 214). Le cas le plus proche de la présente espèce est celui de l'acceptation du risque par le lésé qui participe à une course dangereuse (en particulier en acceptant d'être passager d'un véhicule dont le conducteur est pris de boisson). Dans de tels cas, seules des réductions de responsabilité ont été admises, mais jamais des libérations (BUSSY/RUSCONI, op.cit., n. 4.3 ad art. 59 LCR et n. 2.4 "faute du lésé" ad art. 62 LCR, p. 575; et les casuistiques données par KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, vol. I, 5e éd., p. 291-294 et OFTINGER/STARK, op.cit., vol. II/2, p. 258-261).
5.
La cour cantonale a donc fait fausse route en supprimant tout droit à indemnité du demandeur. Seule une réduction pouvait entrer en ligne de compte, au vu de la faute du conducteur et du risque inhérent à l'emploi d'un véhicule automobile. Pour déterminer la mesure de la réduction, les juges cantonaux devront mettre en balance d'un côté la faute du demandeur, atténuée subjectivement par le jeune âge du lésé, de l'autre la faute plus lourde du conducteur, qui a conduit sans permis et perdu la maîtrise de la motocyclette, à laquelle s'ajoute le risque spécifique à l'usage d'un véhicule. La cour cantonale devra encore se prononcer sur le préjudice matériel invoqué par T.
Le recours doit donc être admis dans son principe. Il convient d'annuler l'arrêt attaqué et de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
accd1c95-fc31-46dd-a8d9-a46d52ab5a25 | Urteilskopf
124 I 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Februar 1998 i.S. B.S. gegen Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; unentgeltliche Rechtspflege.
Ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege darf nicht allein mit der Begründung abgewiesen werden, dass der Gesuchsteller nicht bedürftig sei, weil er sich den Betrieb und den Unterhalt eines Autos leisten könne. Vielmehr hat der Gesuchsteller - unabhängig von der Verwendung seiner Mittel - als bedürftig zu gelten, wenn er aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse das Existenzminimum nicht decken kann; bei dieser Berechnung sind die Aufwendungen für den nicht lebensnotwendigen Bedarf selbstverständlich nicht zu berücksichtigen. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 124 I 1 S. 2
Im Scheidungsverfahren der Eheleute A.S. und B.S. beantragte B.S. die unentgeltliche Rechtspflege. Mit Entscheid vom 27. August 1997 wies die Instruktionsrichterin des Amtsgerichtes das Gesuch ab. Ein dagegen erhobener Rekurs wurde von der Justizkommission des Obergerichtes des Kantons Luzern mit Entscheid vom 14. Oktober 1997 abgewiesen. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Anspruch einer Prozesspartei auf unentgeltliche Rechtspflege beurteilt sich in erster Linie nach den Vorschriften des kantonalen Prozessrechtes. Im Sinn von Mindestanforderungen leitet das Bundesgericht jedoch einen solchen Anspruch auch unmittelbar aus
Art. 4 BV
ab (
BGE 122 I 203
E. 2 S. 204 m.w.H.). Die Beschwerdeführerin beruft sich sowohl auf eine willkürliche Anwendung von kantonalem Prozessrecht als auch auf eine Verletzung des aus
Art. 4 BV
abgeleiteten bundesrechtlichen Minimalanspruchs; da die Beschwerdeführerin jedoch nicht behauptet, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wie er im kantonalen Recht in
§ 130 ZPO
/LU vorgesehen ist, weiter geht als der bundesrechtliche Minimalanspruch, kann sich die Prüfung im vorliegenden Fall darauf beschränken, ob der direkt aus
Art. 4 BV
hergeleitete Armenrechtsanspruch verletzt worden ist; diesbezüglich steht dem Bundesgericht freie Kognition zu (
BGE 122 I 267
E. 1b S. 270 m.w.H.).
a)
Art. 4 BV
verschafft einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf (
BGE 122 I 8
E. 2a S. 9, 322 E. 2b S. 324, je mit Hinweisen). Als bedürftig gilt ein Gesuchsteller, der die erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur bezahlen kann, wenn er die Mittel angreift, deren er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie bedarf, wobei nicht nur die Einkommenssituation, sondern auch die Vermögensverhältnisse zu beachten sind (
BGE 120 Ia 179
E. 3a S. 181;
BGE 119 Ia 11
E. 3a S. 12). Dabei hat die Rechtsprechung immer wieder betont, dass nicht schematisch auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abgestellt werden darf, sondern die individuellen Umstände zu berücksichtigen sind (
BGE 108 Ia 108
E. 5b S. 109;
BGE 106 Ia 82
f.); auch wenn das Einkommen wenig über dem Betrag
BGE 124 I 1 S. 3
liegt, der für den Lebensunterhalt absolut notwendig ist, kann Bedürftigkeit angenommen werden (ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 164 f.). Auch im Kanton Luzern wird nicht auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abgestellt, sondern von einem erweiterten zivilprozessualen Notbedarf ausgegangen, bei dem ein Zuschlag von 25% beim Grundbetrag gewährt und ausgewiesene privat- und öffentlichrechtliche Verpflichtungen berücksichtigt werden (STUDER/RÜEGG/EIHOLZER, Der Luzerner Zivilprozess, Kriens 1994, N. 3 zu § 130).
b) Im vorliegenden Fall hat die Instruktionsrichterin des Amtsgerichtes in ihrem Entscheid vom 27. August 1997 weder Angaben zum Notbedarf noch solche zu den Einkommensverhältnissen der Beschwerdeführerin und der in ihrer Obhut stehenden Kinder getroffen; nur im parallelen Verfahren betreffend vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses wurde das Existenzminimum auf Fr. 3'528.60 festgesetzt und der Ehemann zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen von Fr. 3'500.-- verpflichtet. Die Verweigerung des Armenrechtes wurde von der Instruktionsrichterin einzig mit dem Hinweis darauf begründet, dass der Beschwerdeführerin ein Fahrzeug zur Verfügung stehe, dem Kompetenzcharakter abzusprechen sei. Ebensowenig sind dem Entscheid des Obergerichtes des Kantons Luzern erschöpfende Angaben zum Notbedarf und zum Einkommen der Beschwerdeführerin zu entnehmen: Auch das Obergericht begründet die Verweigerung des Armenrechtes in erster Linie damit, dass der Beschwerdeführerin ein Auto zur Verfügung stehe und entsprechende Auslagen entstünden, wobei die Gesuchstellerin selbst die Betriebs- und Unterhaltskosten auf Fr. 350.-/Monat und die Garagenmiete auf Fr. 140.-/Monat beziffere; zusätzlich verneint das Obergericht den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege auch mit der Begründung, die Beschwerdeführerin bewohne eine teure Wohnung, deren Mietzins sich auf Fr. 2'035.- inkl. Nebenkosten-Akontozahlungen belaufe.
Beide kantonalen Instanzen haben das Armenrechtsgesuch somit im wesentlichen mit dem Argument abgewiesen, dass die Beschwerdeführerin nicht als bedürftig gelte, da sie für die Kosten der Benützung eines Autos aufkommen könne; auf das Zusatzargument des Obergerichtes, dass die Beschwerdeführerin eine zu teure Wohnung gemietet habe, muss im vorliegenden Verfahren nicht eingegangen werden, weil die Frage des angemessenen Mietzinses Gegenstand eines kantonalen Rekursverfahrens gegen den Massnahmeentscheid vom 27. August 1997 ist, in welchem Verfahren, soweit bekannt,
BGE 124 I 1 S. 4
noch nicht entschieden wurde. Damit reduziert sich das Problem - namentlich unabhängig von der umstrittenen Höhe des anrechenbaren Mietzinses - auf die Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin, auch wenn sie am Rand des betreibungsrechtlichen Notbedarfs lebt, die unentgeltliche Rechtspflege verweigert werden darf, solange sie aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für die Kosten eines Autos aufzukommen vermag.
c) Die Praxis des Kantons Luzern geht dahin, dass der Gesuchsteller nicht als bedürftig gelten könne, wenn er ein Auto ohne Kompetenzcharakter besitze, und zwar ungeachtet davon, was der Vergleich von Einkommen und anrechenbarem Notbedarf ergebe; die Mittel, die er für den Betrieb und den Unterhalt des Autos aufbringe, seien zur Bevorschussung der Prozesskosten einzusetzen, da sie nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gehörten.
Diese Betrachtungsweise ist mit der durch
Art. 4 BV
gewährleisteten Minimalgarantie nicht vereinbar. Im Kanton Luzern wird beim Entscheid über die Bedürftigkeit nicht auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abgestellt, sondern von einem erweiterten zivilprozessualen Notbedarf ausgegangen, der neben den ausgewiesenen privat- und öffentlichrechtlichen Verpflichtungen auch einen Zuschlag von 25% auf dem Grundbedarf umfasst. Eine derartige, im Interesse der Vereinfachung und des Gleichbehandlungsgebots gewählte, weitgehend pauschalierte Berechnungsart lässt im Einzelfall Spielraum für die Finanzierung nicht lebensnotwendiger Bedürfnisse, weil wegen des Zuschlags auf dem Grundbedarf der zivilprozessuale Notbedarf den individuellen Zwangsbedarf übersteigen kann oder vorhandene Mittel teilweise anders als gemäss den im Grundbedarf enthaltenen Einzelelementen verbraucht werden, beispielsweise für Verköstigung weniger als veranschlagt ausgegeben wird. Diese Folge ist als systemimmanent hinzunehmen, umsomehr als durch die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege keinerlei Verpflichtung erwächst, die Mittel nur oder nicht anders denn jenen Elementen entsprechend zu verwenden. Der als bedürftig Ausgewiesene bleibt so oder so prozessarm, ob er die ihm im Rahmen pauschalierter Berechnungen zugestandenen Mittel für den notwendigen oder den nicht als notwendig erachteten Lebensunterhalt, also etwa für den Betrieb eines Autos ohne Kompetenzcharakter, für Sport oder Unterhaltung ausgibt; soweit er sie nicht für lebensnotwendige Bedürfnisse einsetzt, sind sie deshalb auch nicht in den Prozess einzubringen. Bestimmte Kategorien der Mittelverwendung für nicht notwendigen Lebensunterhalt wie die Kosten für
BGE 124 I 1 S. 5
Betrieb und Unterhalt eines Autos herauszugreifen und sie zum alleinigen, die unentgeltliche Rechtspflege ausschliessenden Kriterium zu machen, wäre ohnehin willkürlich.
d) Eine ganz andere Frage ist, ob unter Berücksichtigung des Vermögenswertes eines Fahrzeugs die unentgeltliche Rechtspflege ganz oder teilweise verweigert werden darf, weil die Kosten des Prozessierens aus dem Verkaufserlös bestritten werden könnten. Diese Frage stellt sich im vorliegenden Fall allerdings nicht: Einerseits kann nach den Feststellungen des Obergerichtes nicht davon ausgegangen werden, dass das Fahrzeug im Eigentum der Beschwerdeführerin steht, weil deren Ehemann Halter ist und das Auto zu dessen Geschäftsvermögen zählt; andrerseits handelt es sich beim betreffenden Fahrzeug um einen 11jährigen Ford Sierra mit einem Kilometerstand von 197'000 km, der weitgehend wertlos sein dürfte. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
acd3e254-d78e-46cc-9613-853eb7a67289 | Urteilskopf
119 Ib 81
9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. April 1993 i.S. M. und N. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (Begrenzungsverordnung; SR 823.21) sowie
Art. 8 EMRK
; Anspruch des Kindes eines Ausländers auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung (Familiennachzug).
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1).
2. Aus der Begrenzungsverordnung dürfen keine weiteren Voraussetzungen für einen Familiennachzug abgeleitet werden, als sie sich aus dem Gesetz ergeben (E. 2).
3. Bedeutung für den Familiennachzug, wenn das Kind bereits einmal in der Schweiz niedergelassen war, danach aber jahrelang von der Familie getrennt in der Heimat gelebt hat (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 119 Ib 81 S. 82
Der jugoslawische Staatsangehörige M. reiste im Mai 1967 in die Schweiz ein, lebt seither im Kanton Solothurn und verfügt heute über die Niederlassungsbewilligung. In den Jahren 1984 und 1985 reichte er vier Gesuche um Nachzug seiner beiden Söhne ein. Das Amt für Ausländerfragen des Kantons Solothurn wies diese Gesuche jeweils mit der Begründung ab, die Bewilligung eines Familiennachzugs setze voraus, dass die ganze Familie - die Ehefrau, zwei Söhne und eine Tochter - zusammengeführt werde.
In der Folge stellte M. ein Gesuch um Nachzug aller Familienangehörigen, welches bewilligt wurde. Am 9. Juni 1985 reisten die Ehefrau, die 1967 und 1969 geborenen Söhne sowie die 1975 geborene Tochter N. in die Schweiz nach, wo sie ebenfalls die Niederlassungsbewilligung erhielten.
Am 10. Juli 1986 zog die Tochter N. als einziges Familienmitglied nach Jugoslawien zurück.
Mit Schreiben vom 20. August 1991 ersuchte M. erneut um Nachzug seiner Tochter N., die sich in jenem Zeitpunkt bereits besuchsweise in der Schweiz befand. Das Amt für Ausländerfragen des Kantons Solothurn wies dieses Gesuch am 16. September 1991 ab.
Dagegen erhob M. am 25. September 1991 Beschwerde beim Polizei-Departement des Kantons Solothurn. Dieses wies die Beschwerde am 23. April 1992 ab.
Auch eine Beschwerde vom 7. Mai 1992 an den Regierungsrat des Kantons Solothurn blieb erfolglos. Mit Entscheid vom 25. August 1992 wies dieser die Beschwerde ab.
Zur Begründung führte der Regierungsrat im wesentlichen aus, M. verfüge nicht über genügende finanzielle Mittel für den Unterhalt seiner Familie, weshalb ein Nachzug der Tochter nicht in Frage komme.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 29. September 1992 an das Bundesgericht beantragen M. und N., der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und die Tochter N. sei in die Niederlassungsbewilligung des Vaters M. einzubeziehen. Ausserdem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
BGE 119 Ib 81 S. 83
In ihren Vernehmlassungen vom 27. Oktober beziehungsweise 13. November 1992 schliessen der Regierungsrat des Kantons Solothurn sowie das Bundesamt für Ausländerfragen auf Abweisung der Beschwerde. Der Regierungsrat stellt zudem Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung.
Mit Verfügung vom 5. November 1992 erteilte der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a)
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus gegen die Erteilung oder Verweigerung von fremdenpolizeilichen Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt.
Gemäss
Art. 4 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG; SR 142.20)
entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Der Ausländer beziehungsweise seine allfällig in der Schweiz lebenden Angehörigen haben damit grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher ausgeschlossen, soweit nicht eine Norm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags dem Ausländer oder seinen Angehörigen einen Anspruch auf eine fremdenpolizeiliche Bewilligung einräumt (
BGE 118 Ib 155
E. 1a;
BGE 116 Ib 355
E. 1a).
b) Gemäss dem Wortlaut der früheren Fassung vom 26. März 1931 von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
(BS 1 126/7), welche bei Einreichung des ursprünglichen Nachzugsgesuches noch in Kraft war, hatten die Ehefrau und die noch nicht 18jährigen Kinder eines niedergelassenen Ausländers Anspruch darauf, in dessen Bewilligung einbezogen zu werden, "sofern sie mit ihm in gemeinsamem Haushalte leben werden". Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesnovelle vom 23. März 1990 am 1. Januar 1992 gilt der neue Wortlaut von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, wonach ledige Kinder unter 18 Jahren Anspruch auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung haben, "wenn sie mit ihren Eltern zusammen wohnen" (AS 1991 1043).
BGE 119 Ib 81 S. 84
Im vorliegenden Fall war die nachzuziehende Tochter im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung 15 Jahre und zehn Monate alt; heute ist sie rund 17 1/2jährig. Die Beschwerdeführer haben daher gestützt auf
Art. 17 Abs. 2 ANAG
grundsätzlich einen Anspruch auf Einbezug der Tochter in die Niederlassungsbewilligung der Eltern.
c) Ferner garantiert
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
den Schutz des Familienlebens. Darauf kann sich der Ausländer berufen, der nahe Verwandte mit Anwesenheitsrecht (Schweizer Bürgerrecht oder Niederlassungsbewilligung) in der Schweiz hat; wird ihm selber die Anwesenheit in der Schweiz untersagt, kann dies
Art. 8 EMRK
verletzen. Soweit deshalb eine familiäre Beziehung im beschriebenen Sinn tatsächlich gelebt wird und intakt ist, ist das der zuständigen Behörde durch
Art. 4 ANAG
grundsätzlich eingeräumte freie Ermessen eingeschränkt. In solchen Fällen ist daher die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des um die fremdenpolizeiliche Bewilligung ersuchenden Ausländers zulässig. Das gleiche gilt, wenn dieses Rechtsmittel vom betroffenen Familienmitglied mit Anwesenheitsrecht in der Schweiz eingereicht wird. Nichts kommt darauf an, ob eine Erneuerung oder die erstmalige Erteilung der Anwesenheitsbewilligung in Frage steht (
BGE 118 Ib 157
E. c;
BGE 116 Ib 355
E. b;
BGE 115 Ib 99
f. E. e;
109 Ib 185
ff. E. 2).
Gemäss Rechtsprechung der Instanzen der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie des Bundesgerichts ist im Verhältnis zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern ein eigentliches Zusammenleben nicht unentbehrlich für das Bestehen eines Familienlebens im Sinne von
Art. 8 EMRK
. Voraussetzung bleibt jedoch, dass die familiäre Beziehung tatsächlich gelebt wird und intakt ist, wofür namentlich ein regelmässiger Kontakt genügen kann (
BGE 118 Ib 157
E. c;
115 Ib 100
; mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur zu
Art. 8 EMRK
).
Es ist unbestritten und aktenkundig, dass die nachzuziehende Tochter in regelmässigem Kontakt zu ihren Familienangehörigen stand. Seit Sommer 1991 lebt sie ausserdem bei ihren Eltern in der Schweiz. Die familiäre Beziehung wird somit tatsächlich gelebt und ist intakt.
d) Die Beschwerdeführer können sich demnach sowohl auf
Art. 17 Abs. 2 ANAG
als auch auf
Art. 8 EMRK
berufen, weshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten ist.
2.
a) In materiellrechtlicher Hinsicht ist zu prüfen, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen zur Verwirklichung des Anspruchs auf Familiennachzug erfüllt sind (vgl.
BGE 118 Ib 158
E. 2a).
BGE 119 Ib 81 S. 85
b) Umstritten ist im vorliegenden Fall, ob
Art. 17 Abs. 2 ANAG
einen bedingungslosen Anspruch enthält, wie die Beschwerdeführer annehmen, oder ob die Verwirklichung dieses Anspruchs von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann. Die Vorinstanz geht davon aus, für einen Nachzug müssten auch die Voraussetzungen der Art. 38 ff. der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (Begrenzungsverordnung, BVO; SR 823.21) erfüllt sein, welche jedenfalls in analoger Weise Anwendung auf Niedergelassene finden sollen. Danach ist für die Bewilligung eines Familiennachzugs insbesondere erforderlich, dass Aufenthalt und gegebenenfalls Erwerbstätigkeit des Ausländers als gefestigt erscheinen (
Art. 39 Abs. 1 lit. a BVO
), die Familie zusammen wohnen wird und eine angemessene Wohnung hat (Art. 39 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 2 BVO), der Ausländer genügend finanzielle Mittel für den Unterhalt seiner Familie hat (
Art. 39 Abs. 1 lit. c BVO
) und die Betreuung der Kinder, die noch der elterlichen Obhut bedürfen, gesichert ist (
Art. 39 Abs. 1 lit. d BVO
).
Wie auch die Vorinstanz anerkennt, spricht der Wortlaut von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
gegen die Geltung weiterer Voraussetzungen, wie sie in der Begrenzungsverordnung enthalten sind (so auch PETER KOTTUSCH, Zur rechtlichen Regelung des Familiennachzuges von Ausländern, in: ZBl 90/1989, S. 347). In Anlehnung an eine in der Literatur geäusserte Meinung (KOTTUSCH, a.a.O.) hält sie aber dafür, es sei angesichts des Umstandes, dass die durch Einbezug erlangte Niederlassungsbewilligung die bessere Rechtsstellung verleihe als die Aufenthaltsbewilligung (vgl.
Art. 5 und 6 ANAG
), nicht einzusehen, weshalb beim Niedergelassenen die geringeren Anforderungen genügen sollten, als sie ein Jahresaufenthalter erfüllen muss, damit ihm der Familiennachzug bewilligt wird.
Diese Schlussfolgerung überzeugt jedoch nicht. Zunächst ist nicht ersichtlich, inwiefern sie sich in ihrer ganzen Tragweite, wie die Vorinstanz meint, aus Sinn und Zweck der Regelung des Familiennachzuges ergeben soll. Ausserdem gründet sie einzig auf der Rechtsstellung, die der nachzuziehende Ausländer erwirbt, und lässt diejenige des in der Schweiz weilenden Ausländers ausser acht. Insoweit der niedergelassene Ausländer über eine bessere und gefestigtere Rechtsstellung verfügt als der Jahresaufenthalter, rechtfertigt es sich auch, weniger strenge Anforderungen für den Familiennachzug zu stellen. Der neue Wortlaut von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
sieht im übrigen den Einbezug in die Niederlassungsbewilligung nur noch für die Kinder vor; der Ehegatte hat zunächst bloss einen Anspruch auf
BGE 119 Ib 81 S. 86
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und erst nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren auf eine Niederlassungsbewilligung, währenddem nach alter Gesetzesfassung die Ehefrau ebenfalls direkt in die Niederlassungsbewilligung einbezogen werden konnte. Die grundsätzliche Besserstellung der nachzuziehenden Familienmitglieder eines Niedergelassenen im Vergleich zu denjenigen eines Jahresaufenthalters hat dadurch eine gewisse Abschwächung erfahren.
Auch das Argument,
Art. 17 Abs. 2 ANAG
sei mit Blick auf das Entstehungsjahr des ANAG - 1931 - primär gar nicht auf den Familiennachzug, sondern auf eine einheitliche Rechtsstellung aller Familienangehörigen beim Erwerb der Niederlassungsbewilligung gerichtet, schlägt nicht durch. Spätestens bei der Gesetzesrevision vom 23. März 1990 ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass
Art. 17 Abs. 2 ANAG
genauso den Familiennachzug erfasst und regelt (vgl. Amtl.Bull. 1989 N. 1460 ff.).
Schliesslich stehen der Auffassung der Vorinstanz auch systematische Überlegungen entgegen: Einmal gilt die Begrenzungsverordnung nicht für in der Schweiz niedergelassene Ausländer (
Art. 2 lit. b BVO
), aus welchem Grund die Vorinstanz selbst die Begrenzungsverordnung nur in analoger Weise anwenden will. Die Voraussetzungen der
Art. 38 ff. BVO
sind denn auch auf die Situation eines Jahresaufenthalters zugeschnitten und passen nicht ohne weiteres für Niedergelassene (vgl. insbesondere
Art. 39 Abs. 1 lit. a und
Art. 40 Abs. 1 BVO
). Vor allem aber kann auf Verordnungsstufe nicht ein durch Gesetz eingeräumtes Recht wieder beschnitten werden, wenn das Gesetz selbst nicht auch diese Einschränkung vorsieht. Da der Jahresaufenthalter kein gesetzliches Recht auf Familiennachzug hat, können bei ihm auf Verordnungsstufe entsprechende Voraussetzungen vorgesehen werden. Beim Niedergelassenen hingegen müssen sich zusätzliche Anforderungen an den Familiennachzug aus dem Gesetz selbst ergeben; sie dürfen nicht allein aus der Begrenzungsverordnung abgeleitet werden.
c) Zweck des Familiennachzuges nach
Art. 17 Abs. 2 ANAG
ist es, das familiäre Zusammenleben zu ermöglichen (
BGE 118 Ib 159
E. b;
BGE 115 Ib 101
E. 3a). Der neue Wortlaut von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
verdeutlicht die - schon früher geltende - Ausrichtung des Gesetzes auf die rechtliche Absicherung des Zusammenlebens der Gesamtfamilie; das Gesetz verlangt ausdrücklich, dass die Kinder mit ihren Eltern zusammen wohnen werden (
BGE 118 Ib 159
E. b). Insofern entspricht es der gesetzlichen Regelung, wenn vom
BGE 119 Ib 81 S. 87
niedergelassenen Ausländer verlangt wird, dass er über eine Wohnung verfügt, die dafür taugt, die Gesamtfamilie zu beherbergen. Hingegen ist fraglich, ob auch gefordert werden darf, dass sie der Anforderung von Art. 39 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 2 BVO entsprechen muss; dies kann im vorliegenden Fall aber offenbleiben, da nicht bestritten ist, dass die 3 1/2-Zimmer-Wohnung der in der Schweiz niedergelassenen Eltern genügt, auch die Tochter aufzunehmen, nachdem die - nunmehr erwachsenen - Söhne in der Zwischenzeit von zu Hause ausgezogen sind.
d) Umstritten ist, ob der Familiennachzug von den finanziellen Möglichkeiten der Beteiligten abhängig gemacht werden kann.
Nach Art. 10 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit
Art. 11 Abs. 3 ANAG
kann ein Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen oder heimgeschafft werden, wenn er oder eine Person, für die er zu sorgen hat, der öffentlichen Wohltätigkeit fortgesetzt und in erheblichem Masse zur Last fällt. Ausweisung oder Heimschaffung wegen Fürsorgeabhängigkeit ist auch beim niedergelassenen Ausländer möglich (vgl.
Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG
). Bringt der Nachzug eines Familienangehörigen die Gefahr von Fürsorgeabhängigkeit für die Beteiligten mit sich, kann es sich daher rechtfertigen, von der Erteilung der Niederlassungsbewilligung abzusehen.
Anderseits hat der Nationalrat anlässlich der Revision von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
einen Antrag abgelehnt, wonach der Anspruch auf Familiennachzug ausdrücklich daran gebunden gewesen wäre, dass keine fürsorgerischen Bedenken bestünden (vgl. Amtl.Bull. 1989 N. 1460 ff.). Bundesrat Koller hat dazu festgehalten, dieser Antrag sei mit dem schweizerischen Familienverständnis nicht vereinbar (Amtl.Bull. 1989 N. 1460 f.).
Soweit finanzielle Gründe einem Familiennachzug entgegenstehen sollen, ist deshalb vorauszusetzen, dass für die Beteiligten konkret die Gefahr einer fortgesetzten und erheblichen Fürsorgeabhängigkeit im Sinne von
Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG
besteht und auch die übrigen Voraussetzungen einer Ausweisung oder Heimschaffung erfüllt sind; blosse Bedenken genügen nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung nach
Art. 11 Abs. 3 ANAG
ist auch eine allfällig lange Anwesenheit des in der Schweiz lebenden Ausländers zu berücksichtigen (vgl.
BGE 119 Ib 7
E. 4); für den nachzuziehenden Angehörigen ist dies allerdings nur mittelbar von Belang.
e) Vor Bundesgericht kann auf die differenzierten Darlegungen der Vorinstanz zur finanziellen Lage der Beschwerdeführer abgestellt werden, da diese weder umstritten sind noch geltend gemacht
BGE 119 Ib 81 S. 88
wird, die Verhältnisse hätten sich diesbezüglich in der Zwischenzeit wesentlich verändert.
Das monatliche Einkommen der Eltern, das ausschliesslich aus einer Invalidenrente des Ehemannes von Fr. 1'998.-- und Ergänzungsleistungen von Fr. 1'042.-- besteht, somit total Fr. 3'040.-- beträgt, reicht nur knapp aus, um das betreibungsrechtliche Existenzminimum von Fr. 3'000.-- zu decken. Die Vorinstanz geht von einem massgeblichen fürsorgerischen Minimalbedarf von Fr. 3'271.50 (Lebenshaltungskosten für eine Familie mit einem Kind über 16 Jahren von Fr. 2'450.-- zuzüglich Mietkosten von Fr. 821.50) aus. Zweifelhaft ist allerdings, ob auch beim Familiennachzug nach
Art. 17 Abs. 2 ANAG
auf dieses soziale Existenzminimum, das anscheinend bei der Anwendung von
Art. 39 lit. c BVO
als wesentlich erachtet wird, abgestellt werden darf. Ferner fragt sich, inwiefern mitzuberücksichtigen wäre, dass die zwei Söhne sich bereit erklärt haben, monatlich je Fr. 300.-- an den Unterhalt der Eltern und der Schwester beizutragen; da insofern auch eine gewisse gesetzliche Pflicht (gemäss
Art. 328 ZGB
) besteht, dürfte dies nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl.
BGE 119 Ib 7
E. 3c). Soweit allerdings eine Kürzung der Ergänzungsleistungen um denselben Betrag erfolgte, wie die Vorinstanz geltend macht, würde sich die finanzielle Lage der Beschwerdeführer dadurch nicht verbessern.
Somit trifft zwar zu, dass die finanzielle Lage der Beschwerdeführer so oder so angespannt ist, ob diese aber fortgesetzt und in erheblichem Masse der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen würden, erscheint als zweifelhaft. Im übrigen blieb ungeprüft, ob eine gegen die Beschwerdeführer gerichtete fremdenpolizeiliche Massnahme verhältnismässig wäre.
Wie es sich damit verhält, kann indessen dahingestellt bleiben.
3.
a) Wie das Bundesgericht in
BGE 115 Ib 101
E. 3a festgehalten hat, wird das gesetzgeberische Ziel von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, das familiäre Zusammenleben zu ermöglichen und rechtlich abzusichern (vgl. oben E. 2c), nicht erreicht, wenn der in der Schweiz niedergelassene Ausländer jahrelang von seinem Kind getrennt lebt und dieses erst kurz vor dem Erreichen des 18. Altersjahrs in die Schweiz holt. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn es gute Gründe gibt, aus denen die Familiengemeinschaft in der Schweiz erst nach Jahren hergestellt wird; solche Gründe müssen sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben.
Hat das Kind, das nachgezogen werden soll, bereits einmal in der Schweiz mit einer Niederlassungsbewilligung gelebt und ist es
BGE 119 Ib 81 S. 89
danach wieder definitiv in sein Heimatland zurückgekehrt, besteht eine gewisse Vermutung dafür, dass es den Beteiligten gar nicht um ein familiäres Zusammenleben geht. Die Möglichkeit dazu hätten sie jedenfalls gehabt und nicht genutzt. Etwas anderes kann nur gelten, wenn klare Umstände ersichtlich sind, welche diese Vermutung widerlegen.
b) In den Jahren 1984 und 1985 reichte der Beschwerdeführer 1 viermal ein Nachzugsgesuch für seine beiden Söhne ein, welche damals rund 17 beziehungsweise 15 Jahre alt waren. Erst nachdem diese Gesuche regelmässig mit der Begründung abgelehnt worden waren, zulässig sei nur ein Nachzug der Gesamtfamilie, stellte er den Antrag, es sei die ganze Familie in seine Niederlassungsbewilligung einzubeziehen. Damit gelangte auch die Beschwerdeführerin 2 im Juni 1985 im Alter von rund 9 1/2 Jahren zu einer Niederlassungsbewilligung.
Bereits im Juli 1986, das heisst 13 Monate nach der Einreise und damit im Alter von knapp 11 Jahren, zog die Beschwerdeführerin 2 als einziges Familienmitglied wieder definitiv nach Jugoslawien zurück, wodurch ihre Niederlassungsbewilligung erlosch (
Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG
). Besondere Gründe, welche 1986 eine Rückkehr nahelegten, sind weder ersichtlich, noch werden sie geltend gemacht. Vieles spricht aus heutiger Sicht dafür, dass die Tochter damals nur in die Schweiz gekommen ist, um ihren Brüdern eine Niederlassungsbewilligung zu ermöglichen. Ein familiäres Zusammenleben zwischen den Eltern und der Tochter war für die Beschwerdeführer jedenfalls kein vorrangiges Ziel. Die Tochter sollte vielmehr in Jugoslawien getrennt von ihrer Familie aufwachsen.
Erst als sie kurz vor Vollendung des 16. Lebensjahres stand, reichte der Beschwerdeführer 1 erneut ein Nachzugsgesuch für sie ein. Wiederum stand der Erwerb der Niederlassungsbewilligung in der Schweiz und nicht eine Familienzusammenführung im Vordergrund. Auf dem Gesuchsformular vom 20. August 1991 hat der Beschwerdeführer 1 jedenfalls als Grund für das Nachzugsbegehren "Schulabschluss, dann eine Lehre" angegeben und sich nicht auf familiäre Gründe berufen. Wohl ist inzwischen auch die politische Situation in Bosnien-Herzegowina als Gesichtspunkt hinzugekommen, welcher das Nachzugsgesuch aus der Sicht der Betroffenen als verständlich erscheinen lässt. Das kann aber nicht massgeblich sein; vielmehr kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände an. Und diese lassen nur den Schluss zu, dass es den Beschwerdeführern nie vorrangig um ein familiäres Zusammenleben ging.
BGE 119 Ib 81 S. 90
c) Das Nachzugsgesuch der Beschwerdeführer widerspricht daher dem Zweck von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, weshalb eine Gutheissung und damit ein Einbezug der Beschwerdeführerin 2 in die Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern nicht in Frage kommt. Soweit der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina als Grund für eine - allenfalls vorübergehende - Anwesenheit in der Schweiz angerufen wird, sind die Beschwerdeführer auf andere Rechtsinstitute zu verweisen.
4.
a) Diese Auslegung von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
steht nicht im Widerspruch zu
Art. 8 EMRK
. Der Familienschutz, wie er darin gewährleistet wird, kann zwar unter Umständen einer Entfernungsmassnahme wie einer Ausweisung - und damit einer zwangsweisen Trennung von Angehörigen - entgegenstehen, wenn dadurch die Fortführung des Familienlebens verunmöglicht oder stark beeinträchtigt wird. Die Bestimmung vermittelt jedoch nicht ein absolutes Recht auf Einreise und Aufenthaltsbewilligung von Familienmitgliedern, wenn ein Ausländer selbst die Entscheidung getroffen hat, von seiner Familie getrennt in einem anderen Land zu leben (
BGE 118 Ib 160
E. c mit Hinweisen; vgl. auch STEPHAN BREITENMOSER, Der Schutz der Privatsphäre gemäss
Art. 8 EMRK
, Basel/Frankfurt a.M. 1986, S. 111 f.; LUZIUS WILDHABER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Rz. 416 und 420 zu
Art. 8 EMRK
). Dies muss erst recht gelten, wenn die Beteiligten durch ihr Verhalten klar bekundet haben, dass es ihnen in erster Linie gar nicht um ein gemeinsames Familienleben geht, sondern für die angestrebte Anwesenheitsbewilligung andere Gründe im Vordergrund stehen (
BGE 115 Ib 102
E. 4).
b) Selbst wenn die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung an ein Familienmitglied an sich einen Eingriff in das Recht auf Familienleben gemäss
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
darstellte, verstiesse sie im übrigen in einem Fall wie dem vorliegenden nicht gegen die Menschenrechtskonvention. Nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
ist ein Eingriff in das von Ziff. 1 geschützte Rechtsgut unter gewissen Voraussetzungen statthaft; namentlich sind Massnahmen zulässig, die sich als für das wirtschaftliche Wohl und die öffentliche Ordnung eines Landes notwendig erweisen.
Im vorliegenden Zusammenhang ist eine Zulassungsbeschränkung zu beurteilen, die insbesondere den Schutz des inländischen Arbeitsmarktes sowie des Landes vor Überfremdung bezweckt. Stehen der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung somit gewichtige öffentliche Interessen gegenüber, lässt sich die Verweigerung einer Bewilligung jedenfalls dann nicht beanstanden, wenn die Familientrennung
BGE 119 Ib 81 S. 91
von den Betroffenen selbst freiwillig herbeigeführt worden ist, für die Änderung der bisherigen Verhältnisse keine überwiegenden familiären Interessen bestehen und die Fortführung und Pflege der bisherigen familiären Beziehungen nicht behördlich verhindert wird (vgl.
BGE 118 Ib 161
E. d). Unter diesen Umständen stellt sich die Frage der Zumutbarkeit einer Ausreise der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin 2 nach Jugoslawien gar nicht. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
acd50e02-9f2a-4f1b-9bac-19bdeebd10ab | Urteilskopf
124 V 296
49. Arrêt incident du 18 septembre 1998 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre C. et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 103 lit. b in Verbindung mit
Art. 132 OG
;
Art. 6 und 86 KVG
;
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 27 Abs. 2 KVV
: Befreiung von der obligatorischen Versicherung.
Beschwerdeberechtigung des Bundes.
Die Berechtigung zur Beschwerde gegen kantonale Entscheide betreffend die Befreiung von der obligatorischen Versicherung kommt dem Eidg. Departement des Innern und nicht dem Bundesamt für Sozialversicherung zu. | Sachverhalt
ab Seite 297
BGE 124 V 296 S. 297
A.-
Née en 1976, C., de nationalité canadienne, domiciliée à O., poursuit des études à Lausanne, depuis le 8 octobre 1997, dans le cadre d'une bourse d'échanges. Invitée par l'Organe cantonal de contrôle de l'assurance-maladie et accidents du canton de Vaud (ci-après: OCC) à justifier des conditions d'une exemption de l'affiliation obligatoire à l'assurance-maladie suisse, elle n'y a pas donné suite. En conséquence, par décision du 9 février 1998, l'OCC l'a affiliée d'office à la caisse-maladie SWICA.
B.-
C. a recouru contre cette décision devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud. Elle faisait valoir que si elle n'avait pas été en mesure de répondre aux communications de l'OCC, c'est parce qu'à la suite d'une grève des postes son assureur-maladie canadien n'avait pas reçu le courrier par lequel elle lui demandait d'envoyer les attestations nécessaires.
Elle a produit à l'appui de ses conclusions une lettre et une attestation du 12 janvier 1998 de la compagnie d'assurance canadienne B., à E., ainsi que les conditions générales de la "Travel Insurance Policy" de cette compagnie.
Ayant pris connaissance de ces documents, l'OCC a déclaré dans sa réponse du 3 mars 1998 qu'il était disposé à accéder à la requête de C. et qu'il lui adresserait prochainement une autorisation de dispense officielle.
Par jugement du 9 mars 1998, le Président du Tribunal des assurances du canton de Vaud a déclaré le recours de C. sans objet et a rayé la cause du rôle.
C.-
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) interjette recours de droit administratif contre ce jugement, en concluant à l'annulation de celui-ci et de la décision par laquelle l'OCC a exempté C. de l'assurance-maladie obligatoire.
C. conclut de manière implicite au rejet du recours, faisant notamment valoir qu'elle est couverte par une assurance-maladie publique instituée par la province de l'Ontario, en plus de l'assurance de la compagnie B.
L'OCC conclut au rejet du recours.
BGE 124 V 296 S. 298
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal fédéral des assurances examine d'office la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 121 II 41
consid. 2, ainsi que les arrêts cités, et 250 consid. 1). En l'espèce, le point à trancher est celui de la qualité pour agir de l'OFAS dans un litige de ce genre (
ATF 111 V 151
consid. 1a).
a) Selon l'art. 103 let. b, en liaison avec l'
art. 132 OJ
, a qualité pour recourir le département compétent ou, lorsque le droit fédéral le prévoit, la division compétente de l'administration fédérale, s'il s'agit de décisions émanant de commissions fédérales de recours ou d'arbitrage ou de décisions prises en dernière instance cantonale ou rendues par un organisme visé à l'
art. 98 let
. h OJ.
Saisie d'un recours de l'OFAS dans un litige concernant l'obligation d'une personne de s'affilier à une caisse-maladie conventionnée, la Cour de céans a considéré, dans un arrêt du 30 mai 1984 (
ATF 110 V 127
), que cet office fédéral n'avait pas qualité pour recourir contre le jugement par lequel un tribunal cantonal des assurances avait annulé la décision d'assujettissement d'une personne à l'obligation de s'assurer auprès d'une caisse-maladie conventionnée, en vertu de la législation cantonale sur l'assurance-maladie obligatoire. En effet, bien que rendu par un tribunal cantonal des assurances, un tel jugement ne tombait pas sous le coup des
art. 30bis al. 1 et 30ter LAMA
ni de l'art. 5 al. 3 Ord. V en liaison avec l'
art. 103 let. b OJ
(
ATF 110 V 130
ss consid. 2b).
b) Du point de vue procédural, cette situation n'a pas été modifiée par l'entrée en vigueur, le 1er janvier 1996, de la loi fédérale sur l'assurance-maladie (LAMal) du 18 mars 1994. Aussi est-ce en vain que, dans son recours, l'OFAS invoque l'
art. 27 al. 2 OAMal
afin de justifier sa qualité pour agir. En effet, cette disposition réglementaire, qui autorise l'office fédéral à recourir devant le Tribunal fédéral des assurances contre des jugements cantonaux en matière d'assurance-maladie obligatoire - objet de la première partie de l'ordonnance -, vise exclusivement les jugements rendus par les tribunaux cantonaux des assurances et les tribunaux arbitraux, au sens des
art. 86 et 89 LAMal
. Or, aux termes des
art. 85 et 86 al. 1 LAMal
, seules les décisions rendues sur opposition par un assureur peuvent être attaquées par la voie du recours de droit administratif devant le tribunal cantonal des assurances. En l'espèce, la décision de l'OCC qui est à l'origine de la contestation portée devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud n'est pas une décision de cette sorte. Si le jugement émane de cette juridiction cantonale, c'est
BGE 124 V 296 S. 299
uniquement en vertu des dispositions de droit cantonal et plus particulièrement de l'art. 28 al. 1 de la loi d'application vaudoise de la LAMal (LAVAMal), du 25 juin 1996 (RSV 5.19 A), lequel désigne le Tribunal cantonal des assurances comme autorité de recours contre les décisions de l'OCC.
c) Le droit de recours de l'autorité fédérale, tel qu'il est prévu à l'
art. 103 let. b OJ
, constitue avant tout un moyen de surveillance destiné à sauvegarder l'intérêt public et à assurer une application juste et égale du droit fédéral. Dans un tel cas, le droit de recours de la Confédération est abstrait en ce sens qu'elle n'a pas à justifier d'un intérêt public spécifique à l'annulation de la décision attaquée (
ATF 113 Ib 221
consid. 1b). Cependant, selon la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances, il y a lieu d'admettre, dans le cadre de cette disposition légale, que la qualité pour recourir n'est reconnue qu'aux seules autorités dont l'intérêt à la solution du litige est présumé (
ATF 114 V 242
s. consid. 3b,
ATF 110 V 130
consid. 2a; à propos d'une apparente contradiction entre les arrêts
ATF 113 Ib 221
consid. 1b et 114 V 242 s. consid. 3b, cf. la remarque de RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, 1996, ch. 1025 p. 196).
A la différence de l'arrêt précité du 30 mai 1984 (
ATF 110 V 127
), l'obligation de s'assurer pour les soins en cas de maladie ou d'être assuré par son représentant légal résulte aujourd'hui du droit fédéral (
art. 3 al. 1 LAMal
) et non plus du droit cantonal (
art. 2 al. 1 let. a LAMA
). C'est au Conseil fédéral qu'il appartient de réglementer les exceptions à l'assurance obligatoire pour les personnes domiciliées en Suisse (
art. 3 al. 2 LAMal
) ou, au contraire, l'extension de l'obligation à des personnes qui n'ont pas de domicile en Suisse (
art. 3 al. 3 LAMal
). C'est ce qu'il a fait en édictant les art. 1 à 6 OAMal. Il est dès lors incontestable que la Confédération a un droit de recours contre les décisions cantonales en la matière, en vertu des
art. 103 let. b et 132 OJ
.
d) Conformément à l'
art. 6 LAMal
, c'est aux cantons qu'il incombe de veiller au respect de l'obligation de s'assurer et ils doivent désigner à cette fin une autorité qui affilie d'office toute personne tenue de s'assurer qui n'a pas donné suite à cette obligation en temps utile. En vertu de l'
art. 10 al. 2 OAMal
, cette autorité statue sur les requêtes d'exemption de l'obligation d'assurance visées par les art. 2 al. 2 et 3 (teneur en vigueur du 1er janvier au 31 décembre 1996), ou al. 2 à 5 (teneur en vigueur dès le 1er janvier 1997 [RO 1996 3139]) et 6 al. 3 OAMal.
BGE 124 V 296 S. 300
Si, comme on l'a vu, le Conseil fédéral a expressément délégué à l'OFAS le droit de recourir devant le Tribunal fédéral des assurances contre les jugements rendus par les tribunaux cantonaux des assurances et les tribunaux arbitraux au sens des art. 86 à 89 LAMal (
art. 27 al. 2 OAMal
), il ne lui a en revanche pas conféré ce droit pour recourir contre les décisions prises par les cantons dans le cadre de l'exécution des tâches que leur délègue la législation fédérale, en particulier l'
art. 6 LAMal
. Certes, en vertu de l'ordonnance du Conseil fédéral du 9 mai 1979 réglant les tâches des départements, des groupements et des offices (RS 172.010.15), les offices fédéraux ont notamment pour tâche de surveiller l'exécution de la législation fédérale par les cantons (
art. 1er let
. d), mais cela ne saurait fonder un droit de recourir devant les cours fédérales contre les décisions cantonales, faute d'une autorisation expresse figurant dans la loi, comme l'exige l'
art. 103 let. b OJ
(
ATF 110 V 131
s. consid. 2b).
En conséquence, seul le Département fédéral de l'intérieur a qualité pour agir devant le Tribunal fédéral des assurances selon l'
art. 103 let. b OJ
, puisque c'est à ce département qu'il appartient de développer la sécurité sociale en vue de protéger la population notamment contre les conséquences de la maladie (art. 4 let. b de l'ordonnance précitée du Conseil fédéral du 9 mai 1979). On peut renvoyer sur ce point à l'arrêt
ATF 114 V 243
s. consid. 3c, où se posait une question analogue en matière de prévoyance professionnelle.
2.
Ce serait toutefois faire preuve de formalisme excessif que de déclarer irrecevable pour ce seul motif le recours de droit administratif de l'OFAS. En effet, rien n'empêche le Département fédéral de l'intérieur de donner mandat à l'OFAS d'agir en son nom (
art. 18 PCF
en liaison avec les
art. 29 et 40 OJ
).
Il convient donc d'inviter l'office recourant à produire une procuration de la conseillère fédérale, cheffe du Département fédéral de l'intérieur, lui donnant mandat de recourir au nom de ce département contre le jugement cantonal litigieux. A défaut de cette procuration, son recours sera déclaré irrecevable. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
acd55bd4-52c7-48fa-b295-651b3046102e | Urteilskopf
81 II 467
72. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Oktober 1955 i. S. Zürcher gegen Epelbaum. | Regeste
Unlauterer Wettbewerb.
Verwechselbarkeit von Geschäftsbezeichnungen (Ciné-Studio und ITA-Studio für Kinos), UWG Art. 1 Abs. 2 lit. d.
Studio ist keine gemeinfreie Sachbezeichnung (Erw. 1).
Verwechslungsgefahr (Erw. 2, 3).
Verstoss gegen Treu und Glauben setzt nicht Verschulden voraus (Erw. 4).
Urteilspublikation, Voraussetzungen (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 468
BGE 81 II 467 S. 468
A.-
Der Kläger Epelbaum ist Eigentümer eines in Luzern an der Stadthofstrasse gelegenen Kinotheaters. Bis 1947 führte er es unter der Bezeichnung "Studio Blau-Weiss"; seither benennt er es "Ciné-Studio".
Dem Beklagten gehört das Haus Zürichstrasse 1 in Luzern. In diesem befindet sich ebenfalls ein Kino. Es trug bis 1954 den Namen "Palace". Dann wurde es renoviert, und seit dem 15. Januar 1955 lässt es der Beklagte durch seinen Sohn unter der Bezeichnung "ITA-Studio" betreiben. Den Namensbestandteil "ITA" wählte er, weil in der Liegenschaft seit vielen Jahren die Büros des Immobilien- Treuhandinstituts "ITA" untergebracht sind.
B.-
Mit Klage vom 11. Februar 1955 stellte Epelbaum beim Obergericht des Kantons Luzern das Begehren, es sei dem Beklagten die Verwendung der Geschäftsbezeichnung "Studio-ITA" oder "ITA-Studio" zu verbieten, und es sei das Urteil auf Kosten des Beklagten in vier Luzerner Zeitungen je einmal 1/4-seitig zu publizieren.
Das Obergericht hiess die Klage am 5. Mai 1955 gut; es erlaubte aber lediglich eine 1/8 -seitige Publikation des Dispositives.
C.-
Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Beklagte, es sei die Klage abzuweisen. Eventuell sei die Urteilspublikation nicht zu erlauben.
Der Kläger ersucht um Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wenn das Wort Studio - wie der Beklagte darlegt - ein Ausdruck für bestimmte Kleinkinos mit besondern künstlerischen Qualitäten wäre, dürfte es an sich als
BGE 81 II 467 S. 469
Sachbezeichnung ohne Rücksicht auf die Gefahr von Verwechslungen verwendet werden (
BGE 80 II 173
). Ob der Ausdruck als Beschaffenheitsangabe zu gelten habe, bestimmt sich aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht nach rein lokalen Gesichtspunkten. Entscheidend ist, ob das Wort Studio nach dem Sprachgebrauch, speziell dem deutschschweizerischen, für die beteiligten Kreise den behaupteten besondern Sinn hat (
BGE 80 II 176
Erw. 3).
Die vom Beklagten zitierten Lexika definieren den Begriff Studio nicht einheitlich. Bald umschreiben sie ihn als Atelier von Künstlern und Handwerkern, bald als Atelier für die Herstellung von Filmen, dann als Arbeitsstätte und schliesslich als Wohnraum, der gleichzeitig als Salon, Ess- und Schlafzimmer dient. In Zürich finden sich neben Kino-Studios auch solche für Handdrucke, Kunstgewerbe, Beleuchtung, für Eheberatung, Kräuterkosmetik, Schreibarbeiten, Haarpflege, Tanzunterricht usw.
Der Ausdruck Studio wird im deutschschweizerischen Sprachgebrauch planlos und widerspruchsvoll für alle möglichen Unternehmungen verwendet. Seitdem das Wort infolge der allgemeinen Verbreitung von Radio und Fernsehen ("Studio-Zürich" usw.) allgemein bekannt geworden ist, wurde es häufig in Geschäftsbezeichnungen aufgenommen, um diesen einen interessanten Anstrich zu verleihen. Dennoch haben weder die Geschäftsinhaber noch das Publikum eine klare Vorstellung davon, was dieses Fremdwort zu bedeuten hat. Vor allem trifft nicht zu, dass sich ein Studio-Betrieb von andern, ähnlichen Unternehmungen durch eine gewisse räumliche Beschränktheit und durch vorwiegend künstlerisches Schaffen unterscheidet: Es kann keine Rede davon sein, dass sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Coiffeur-Salon oder das Kräuterkosmetikhaus mit dem Beiwort Studio von den übrigen Firmen des Berufszweiges unterscheidet. Es ist bei der schillernden Bedeutung des Ausdrucks Studio
BGE 81 II 467 S. 470
auch nicht zu erwarten, dass er sich in absehbarer Zeit zu einer festen Sachbezeichnung entwickeln wird.
Auch ausserhalb des allgemeinen Sprachgebrauchs hat sich ein besonderer Begriff des Studio-Kinos nicht herausgebildet. Es fehlt an einer präzisen Definition des sog. Studiofilmes. Die vom Beklagten aus dem Filmlexikon von Reinert übernommene Beschreibung der Studiofilme als Streifen, "deren künstlerische Höhe oder geistige Exclusivität nach der Auswertung in ,intellektuelleren' Kleinkinos, sog. Studios, ruft", ist zu verschwommen um bestimmte Lichtspieltheater zu charakterisieren. Selbst die reichhaltige Kino-Literatur vermittelt keine befriedigende Kennzeichnung des Studio-Kinos. Die vom Beklagten zitierten französischen Lexika Danzet und Larousse bezeichnen übrigens als Studio Ateliers für Filmaufnahmen, nicht dagegen Räume für Filmvorführungen.
Selbst im engern Bereich des Filmgewerbes hat sich die Bezeichnung Studio also keineswegs zu einem Begriff einer bestimmten Art Kinos entwickelt. Der Beklagte kann deshalb das Wort Studio nicht als gemeinfreie und unentbehrliche Sachbezeichnung für sein Theater beanspruchen.
2.
Nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz besteht zwischen den beiden Geschäftsbezeichnungen "Ciné-Studio" und "ITA-Studio" unzweifelhaft Verwechslungsgefahr. Wie die Vorinstanz weiter für das Bundesgericht verbindlich feststellt, sind denn auch tatsächlich Verwechslungen vorgekommen. Der Einwand des Beklagten, die Ursache dieser Verwechslungen liege in der Unaufmerksamkeit der Publikums, kann nicht gehört werden. An die Aufmerksamkeit dürfen dort, wo als beteiligte Verkehrskreise die breite Masse in Betracht fällt, keine hohen Anforderungen gestellt werden.
3.
Die Vorinstanz hat nicht ausdrücklich begründet, weshalb nicht nur mit der Wortstellung "ITA-Studio", sondern auch durch "Studio-ITA" der Tatbestand des unlautern Wettbewerbs gegeben sei. Die Begründung dieser an sich richtigen Einstellung liegt in folgendem.
BGE 81 II 467 S. 471
Die Verwechslungsgefahr ist nicht geringer, wenn "ITA" hinter statt vor das Wort Studio gesetzt wird. "ITA" ist ein nichtssagendes, beziehungsloses Wortgebilde ohne Anlehnung an eine in der Schweiz gebräuchliche Sprache. Es tritt daher gegenüber dem vor allem durch Radio und Fernsehen geläufig gewordenen Ausdruck Studio zurück. Beide Kombinationen unterscheiden sich ungefähr gleich schlecht von der Bezeichnung "Ciné-Studio".
Ausserdem verwendet der Beklagte für seine Inserate und Billete ein Cliché, in welchem Studio und ITA in der Weise kombiniert sind, dass die Buchstaben ITA durch das Wort Studio zu einem beträchtlichen Teil überdeckt werden und schwer lesbar sind, zum mindesten das Wort Studio in den Vordergrund gerückt wird. Würde dem Beklagten die Wortbildung "Studio-ITA" erlaubt, so könnte er dieses Cliché verwenden, obschon augenscheinlich eine Verwechslungsgefahr mit dem Kino des Klägers geschaffen würde.
4.
Der Beklagte glaubt, es könne nicht von unlauterem Wettbewerb gesprochen werden, wenn die Verwechslungsgefahr nicht gewollt oder der Ausbeutungswille des Schädigers nicht nachgewiesen seien. Diese Auffassung ist irrig. Für den Tatbestand des unlautern Wettbewerbs bedarf es weder des bösen Glaubens noch eines Verschuldens auf seiten des belangten Wettbewerbers (
BGE 72 II 398
/9). Die Einsicht des Handelnden in das Unrecht seines Tuns ist nicht Voraussetzung des gesetzlichen Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb (Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. April 1952 i.S. Sais gegen Migros). Der Tatbestand des
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
ist gegeben, wenn eine Handlung, durch welche jemand Verwechslungen mit dem Geschäftsbetrieb eines andern verursacht hat, die durch Treu und Glauben dem wirtschaftlichen Wettbewerb gezogenen Schranken überschreitet.
Die Vorinstanz spricht sich nicht darüber aus, ob ein Verstoss gegen Treu und Glauben vorliege. Die Frage ist
BGE 81 II 467 S. 472
vom Bundesgericht nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu entscheiden, ohne dass die Sache an den kantonalen Richter zurückgewiesen werden müsste.
Die beiden Geschäftsbezeichnungen sind, wie oben dargelegt wurde, miteinander verwechselbar und infolgedessen geeignet, zu Täuschungen des Publikums Anlass zu geben. Der Gebrauch einer täuschenden Bezeichnung verstösst aber objektiv gegen die Grundsätze von Treu und Glauben.
Übrigens behauptet der Beklagte zu Unrecht, subjektiv gutgläubig gewesen zu sein. Eine Notwendigkeit, sein Kino "ITA-Studio" oder "Studio-ITA" zu nennen, bestand für den Beklagten nicht. Wenn er diese Bezeichnung wählte, obgleich sie der Benennung des nahegelegenen Konkurrenzunternehmens sehr nahe kommt, und obschon sich die Mehrheit der Luzerner Kinobesucher durch das Wort Studio auf das Unternehmen des Klägers hingewiesen fühlt (Urteil des Obergerichts S. 10), so drängt sich der Schluss auf, es sei dem Beklagten von Anfang an darum gegangen, Gedankenverbindungen mit dem "Ciné-Studio" auszulösen. Auf alle Fälle aber hat der Beklagte die Gebote eines redlichen wirtschaftlichen Wettbewerbs bewusst verletzt, seitdem er trotz Kenntnis zahlreicher Verwechslungen an seiner Geschäftsbezeichnung festhielt und jede Änderung ablehnte.
Der Beklagte hat deshalb gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstossen. Damit soll nicht gesagt sein, dass dem Kläger der Gebrauch des Wortes Studio allein zustehe. Der Beklagte darf jedoch diesen Ausdruck nicht missbräuchlich zum Schaden eines Konkurrenten verwenden. Es wäre übrigens leicht gewesen, dem Bestreben, künstlerisch und kulturell wertvolle Filme aufzuführen, mit einer andern, sich von der des Klägers unmissverständlich abhebenden Bezeichnung Ausdruck zu verleihen.
5.
Die Vorinstanz hat dem Klagebegehren auf Publikation des Urteils zu Recht entsprochen. Die Urteilspublikation
BGE 81 II 467 S. 473
ist anzuordnen, wenn ein Bedürfnis dafür existiert, dass die durch die unlautere Wettbewerbshandlung geschaffene Störung der Konkurrenzverhältnisse behoben und nachteiligen Auswirkungen auf die Stellung des Betroffenen im wirtschaftlichen Wettbewerb vorgebeugt wird (
BGE 81 II 72
/3,
BGE 79 II 329
). Nachdem der Beklagte während rund 10 Monaten der unstatthaften Geschäftsbezeichnung eine weitgehende Publizität verliehen und in den beteiligten Kreisen beträchtliche Unsicherheit hervorgerufen hat, ist dieses Bedürfnis gegeben.
Unerheblich ist, ob der Beklagte die unerlaubte Wettbewerbshandlung schuldhaft oder gutgläubig begangen habe (
BGE 81 II 72
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 5. Mai 1955 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
acdcbe26-7252-44fd-890a-861c9eeaf574 | Urteilskopf
81 IV 170
38. Urteil des Kassationshofes vom 30. März 1955 i. S. Heiber gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell-A.Rh. | Regeste
Art. 25 Abs. 1, 26 Abs. 1 MFG.
Der Führer eines Motorfahrzeuges darf die rechte Hälfte der Fahrbahn nicht unter allen Umständen ganz für sich beanspruchen. | Sachverhalt
ab Seite 171
BGE 81 IV 170 S. 171
A. - Die von Trogen nach Speicher führende Strasse verläuft beim Restaurant Frohsinn im Bruggmoos in einer unübersichtlichen Rechtsbiegung längs einer auf deren inneren Seite stehenden kleinen Mauer. Wo diese beginnt, ist die Strasse unter Einrechnung des 1 m breiten Raumes, der von einem an ihrem äusseren (linken) Rande verlaufenden Bahngeleise beansprucht wird, 5,8 m breit. Innerhalb einer Strecke von 8 m erweitert sie sich auf 6,6 m.
Am 7. Juli 1953 um 18.20 Uhr fuhr Hans Heiber von Trogen her am Steuer eines Personenwagens mit etwa 35-40 km/Std. in die Biegung ein. Das rechte Hinterrad war am Anfang der Mauer 1,25 m vom rechten Strassenrande entfernt. Auf der anschliessenden Strecke von 4 m vergrösserte sich der Abstand bis auf 1,6 m. Der Wagen ragte auf dieser Strecke etwa 0,4 m in die linke Hälfte des zwischen der Mauer und dem Geleise liegenden Raumes hinein, blieb dagegen etwa 0,1 m rechts der Mittellinie des ganzen (das Geleise mitumfassenden) Strassenkörpers. Auf einer Strecke von weiteren 2 m verkleinerte sich der Abstand vom rechten Strassenrand auf 1,5 m, und nochmals 2 m weiter vorn war der Wagen mit dem rechten Hinterrade noch 1,3 m von diesem Rande entfernt. Nachher lenkte Heiber noch weiter nach rechts und hielt an, denn sein Fahrzeug hatte innerhalb der ersten 8 m, vom Beginn der Mauer an gerechnet, mit der linken Flanke ein von Speicher her kommendes Motorrad gestreift und dessen Führer Willi Pfister sowie die mitfahrende Elfriede Pfister zu Boden geworfen und verletzt. Pfister war so stark links gefahren, weil die Strasse zwischen dem Bahngeleise und in dem daran angrenzenden Teil in schlechtem Zustande und daher holprig war.
B.-
Am 28. Juni 1954 verurteilte das Obergericht des Kantons Appenzell-A.Rh. Heiber wegen Übertretung des Art. 26 Abs. 1 MFG zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 80.-. Es warf ihm vor, er sei zu wenig rechts gefahren.
C.-
Heiber führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
BGE 81 IV 170 S. 172
Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Obergericht zurückzuweisen.
Er macht geltend, der vom Bahngeleise beanspruchte Raum gehöre zur Strasse, da er von Motorfahrzeugen mitbenützt werden könne und nur beim Herannahen eines Zuges freizugeben sei. Dass er sich in schlechtem Zustande befunden habe, ändere nichts; die Führer von Fahrzeugen hätten ihn entsprechend sorgfältig zu befahren gehabt. Da der Beschwerdeführer sich rechts der Mitte der ganzen Strasse befunden habe, habe er Art. 26 MFG nicht übertreten. Er habe einen den örtlichen Verhältnissen angemessenen Abstand vom rechten Strassenrande einhalten müssen, weil ihm dort Fussgänger hätten begegnen können.
D.-
Die Justizdirektion des Kantons Appenzell-A.Rh. verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 26 Abs. 1 MFG hat der Motorfahrzeugführer rechts zu fahren. InBGE 76 IV 61hat der Kassationshof ausgeführt, diese Bestimmung schreibe vor, dass, wo die Breite der Strasse es gestatte, auf der rechten Hälfte gefahren werde, andernfalls soweit rechts als möglich, in beiden Fällen unter Einhaltung eines den örtlichen Verhältnissen angemessenen Abstandes vom rechten Strassenrande. Soweit damit die Benützung der rechten Hälfte der Strasse verlangt wurde - ob unter Umständen auch auf breiten Strassen in der Mitte gefahren werden dürfe, blieb dahingestellt und ist auch heute nicht zu entscheiden -, hiess das nur, dass die linke Hälfte frei zu bleiben habe, nicht auch, dass der Führer stets berechtigt sei, die rechte Hälfte ganz für sich zu beanspruchen.
Dass ihm ein solches Recht nicht unter allen Umständen zusteht, ergibt sich schon aus Art. 25 Abs. 1 Satz 3 MFG, wonach beim Kreuzen ein angemessener Abstand einzuhalten ist. Das wäre nicht möglich, wenn jeder hart der Mittellinie der Strasse entlang fahren würde. Der Führer hat sein Fahrzeug von ihr angemessen fern zu halten, wo
BGE 81 IV 170 S. 173
die Verhältnisse es gestatten. Insbesondere an unübersichtlichen Stellen, wo mit kreuzenden Fahrzeugen zu rechnen ist, die nicht von ferne wahrgenommen werden können, muss zum vornherein der zum Kreuzen notwendige Zwischenraum in der Mitte der Strasse frei gelassen werden.
Aus dem Gebot der Rücksichtnahme auf andere Strassenbenützer und der Vermeidung von Verkehrsunfällen (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 MFG) ergibt sich sodann, dass auch anderen Verhältnissen Rechnung zu tragen ist; die Vorschrift des Rechtsfahrens kann nicht einen Sinn haben, der sich mit diesem Gebote nicht vertrüge. Wenn der Verkehr auf der linken Hälfte der Strasse aus besonderen Gründen unmöglich oder ungebührlich erschwert ist, hat auch der auf der rechten Hälfte Verkehrende das Seine dazu beizutragen, um dem in entgegengesetzter Richtung Fahrenden den Verkehr zu erleichtern. Er hat so weit rechts zu fahren, als ihm angesichts der Verhältnisse auf der rechten Strassenhälfte (Übersichtlichkeit, Möglichkeit des Erscheinens von Fussgängern usw.) zugemutet werden kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er gewisse Gefahren, die starkes Rechtsfahren mit sich bringen könnten, durch Herabsetzen der Geschwindigkeit vermindern oder vermeiden kann. Er hat nicht unter allen Umständen Anspruch darauf, so schnell zu fahren, wie es möglich wäre, wenn die rechte Strassenhälfte nur von ihm, nicht teilweise auch von entgegenkommenden Fahrzeugen benützt werden dürfte.
2.
Der Beschwerdeführer ist zu wenig rechts gefahren. Schon das Gebot, beim Kreuzen einen angemessenen Abstand einzuhalten, erlaubte ihm nicht, sich der Mittellinie der Strasse in der unübersichtlichen Biegung bis auf 10 cm zu nähern, zu seiner Rechten dagegen 1,25 bis 1,6 m freizulassen. Zudem hätte er sich sagen sollen, dass die Führer entgegenkommender Fahrzeuge wegen der Möglichkeit des Erscheinens eines Zuges dazu neigen würden, das Geleise der Strassenbahn in dieser Biegung nicht zu befahren. Auch der schlechte Zustand der Strasse zwischen
BGE 81 IV 170 S. 174
den Schienen und im angrenzenden Raume musste ihm nahe legen, mehr als die linke Hälfte der Strasse für den Gegenverkehr freizulassen. Wie das Obergericht verbindlich feststellt, war der Belag auf dem Bahnkörper so schlecht beschaffen, dass der Motorradfahrer gefährdet gewesen wäre, wenn er diesen Teil der Strasse befahren hätte. Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Benützung des Bahnkörpers auch für Motorwagen Gefahren mit sich gebracht hätte. Dennoch musste der Beschwerdeführer damit rechnen, dass auch solche ihn meiden würden. Es konnte ihm zugemutet werden, ihnen den Raum zur Durchfahrt neben dem Geleise freizulassen. Um Fussgänger, die sich allenfalls am rechten Strassenrand befinden konnten, nicht zu gefährden, hatte er die Geschwindigkeit herabzusetzen. Hätte er das getan, so wäre die Einhaltung eines Abstandes von weniger als 1 m vom rechten Strassenrande durchaus angängig gewesen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ace0f4c6-07fb-4cf4-8c38-480b999db168 | Urteilskopf
120 IV 276
45. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 6 mai 1994 dans la cause B. et C. c. le Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
; Veruntreuung im Zusammenhang mit der definitiven Zuteilung von gezeichneten Aktien.
Die Mitteilung, mit welcher die Emissionsbank einer zeichnenden Bank die Zahl der ihr definitiv zugeteilten Namenaktien und die Zuteilungsbedingungen bekanntgibt, verleiht der zeichnenden Bank eine Forderung auf Übertragung der Titelrechte zu den festgelegten Bedingungen aus kaufähnlichem Innominatvertrag. Angestellte der zeichnenden Bank, die sich die zugeteilten Aktien intern vertragswidrig selbst zuteilen, begehen eine Veruntreuung. | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 120 IV 276 S. 276
A.-
B. est devenu dès le 12 décembre 1986 directeur adjoint et chef du service financier, soit responsable des services de la bourse et de la gestion de l'ABN, dont le siège est à Genève. C. était chef du service de la bourse de la même banque avec rang de fondé de pouvoir depuis le 1er juillet 1985.
En vertu du règlement interne de l'ABN, les collaborateurs de celle-ci n'étaient pas autorisés à effectuer des opérations de bourse à leur profit dans la mesure où il en résulterait un préjudice pour la banque et ses clients.
BGE 120 IV 276 S. 277
La banque S. à Zurich a procédé à l'émission d'actions nominatives, ouverture à la bourse le 13 avril 1987. C. avait été informé de cette émission par une collaboratrice de la banque S. et savait que ces actions prendraient rapidement de la valeur. Il a été avisé téléphoniquement le 10 avril 1987 que l'ABN s'était vu attribuer la veille vingt de ces actions d'une valeur de 3'000 fr. chacune, pour lesquelles elle devait être débitée de 60'000 fr., valeur au 15 avril 1987. Un avis écrit émanant de la banque S. daté du 9 avril 1987 confirmant cette attribution et les conditions de celle-ci, a été envoyé le même jour à l'ABN. Le jour de la réception de cet avis, soit le 13 avril 1987, B., C. et une autre employée travaillant auprès du service de la bourse de l'ABN se sont répartis, à l'insu de leur employeur, les 20 actions attribuées à ABN, soit 7 actions à B., 7 à C. et 6 à l'autre employée. Puis, ils ont demandé le 27 avril 1987 l'enregistrement de ces actions à leur nom. La valeur de ces actions a très rapidement augmenté. Le 9 juin 1987, elles étaient négociées sur le marché à un cours de 7'850 fr.
En raison de ces faits notamment, B. et C. ont été licenciés abruptement pour justes motifs, le 9 juin 1987, par l'ABN qui a déposé plainte pénale le 5 février 1988 et s'est constituée partie civile.
B.-
Le 16 septembre 1992, le Tribunal de police a libéré B. et C. de la prévention de gestion déloyale, mais il les a reconnus coupables respectivement d'abus de confiance qualifié et d'abus de confiance simple. Il les a condamnés respectivement à des peines de trois mois d'emprisonnement avec sursis pendant trois ans et de deux mois d'emprisonnement avec un sursis de même durée. Ce jugement a été confirmé par la Chambre pénale de la Cour de justice le 26 avril 1993. L'autorité cantonale a retenu en substance que l'ABN était devenue l'ayant-droit et la propriétaire des actions à réception de l'avis du 9 avril 1987 lui confirmant l'attribution de vingt actions nominatives de la banque S. sur la base d'un transfert de possession sans tradition. En souscrivant après coup les titres pour eux-mêmes et en demandant leur inscription au registre des actions, les accusés s'étaient appropriés une chose mobilière appartenant à autrui et dont ils n'avaient pas le droit de disposer de manière unilatérale, soit sans en référer aux autres organes de l'ABN.
C.-
B. et C. ont formé contre cet arrêt un recours de droit public qui a été rejeté ce jour. Ils se pourvoient également en nullité en invoquant la violation du code des obligations et celle de l'
art. 140 ch. 1 al. 1 CP
.
BGE 120 IV 276 S. 278
Erwägungen
Extraits des considérants:
2.
D'après l'
art. 140 ch. 1 CP
, commet un abus de confiance celui qui, dans un dessein d'enrichissement illégitime, s'approprie sans droit une chose mobilière appartenant à autrui et qui lui avait été confiée ou celui qui, sans droit emploie à son profit ou à celui d'un tiers une chose fongible, notamment une somme d'argent qui lui avait été confiée.
L'un des éléments de l'infraction est que l'objet ou l'argent que l'auteur s'est approprié sans droit soit une chose confiée. L'auteur acquiert ainsi, grâce à la confiance dont il jouit, la possibilité de disposer du bien d'autrui. Une chose est donc confiée au sens de l'
art. 140 ch. 1 CP
lorsqu'elle est remise ou laissée à l'auteur pour qu'il l'utilise de manière déterminée dans l'intérêt d'autrui, en particulier pour la garder, l'administrer ou la livrer selon des instructions qui peuvent être expresses ou tacites (
ATF 118 IV 32
consid. 2b;
ATF 117 IV 256
consid. 1a et jurisprudence citée).
3.
Les recourants contestent s'être rendus coupables d'abus de confiance au sens de l'
art. 140 ch. 1 al. 1 CP
. Ils prétendent que selon cette disposition l'objet du délit d'appropriation ne peut être qu'un objet corporel, à l'exception des droits et des créances. Invoquant le code des obligations, ils soutiennent que le titre, objet de l'appropriation qui leur est reprochée, n'existait pas au moment de ce que l'autorité cantonale décrit comme l'acte d'appropriation, parce qu'il n'avait pas encore été créé au nom d'une personne déterminée (
art. 974 CO
).
Dans le cas particulier, la cour cantonale a retenu que le 9 avril 1987, l'ABN s'était vu attribuer 20 actions nominatives de S. pour lesquelles elle devait être débitée de 60'000 fr. Partant elle a considéré que par cet avis, l'ABN était devenue l'ayant-droit et la propriétaire de ces titres, cet avis constituant la déclaration prévue à l'
art. 967 al. 2 CO
et qu'il y avait eu un transfert de possession des titres sans tradition.
Point n'est besoin dans le cas particulier d'examiner si les actions nominatives pouvaient être considérées comme déjà créées et si l'ABN en était devenue propriétaire. En effet, les actions nominatives, contrairement à ce que prétendent les recourants, sont des titres à ordre créés par la loi, et non pas des titres nominatifs (
ATF 81 II 197
consid. 4), qui sont transmissibles par endossement ou déclaration de cession donnée sur le document même ou séparément (
ATF 81 II 197
précité).
BGE 120 IV 276 S. 279
Cependant, l'action nominative est émise au nom d'une personne déterminée et elle n'est pas fongible ni susceptible de mélange (cf. notamment LOUIS DALLÈVES, La dématérialisation des papiers-valeurs: un décalage croissant entre droit et réalité, in La société anonyme suisse, 1987, p. 45). Or, dans le cas particulier, l'acte d'appropriation reproché par l'autorité cantonale aux recourants a eu lieu avant qu'une demande d'enregistrement des actions nominatives S. au nom d'une personne (physique ou morale) déterminée ait été adressée à ladite banque, ce qui tend à confirmer la thèse des recourants, mais les faits retenus par l'autorité cantonale ne permettent pas de répondre précisément à cette question. Celle-ci peut cependant rester ouverte, car quand bien même l'autorité cantonale se serait trompée, l'arrêt ne devrait pas être annulé, la condamnation des recourants pour abus de confiance étant de toute manière justifiée pour d'autres motifs. Or, un pourvoi ne peut être admis s'il ne s'agit que de modifier les considérants de la décision attaquée, sans que cela ait une influence sur la déclaration de culpabilité ou la peine prononcée (
ATF 119 IV 145
consid. 2a et c).
4.
L'avis écrit du 9 avril 1987 a pour but d'informer le souscripteur du nombre d'actions qui lui sont attribuées (cf. sur ce point EMCH/RENZ/BÖSCH, Das schweizerische Bankgeschäft, p. 405). Il ne peut être que postérieur à la souscription par laquelle le souscripteur s'est obligé à accepter les titres souscrits et à en payer le prix. Dès l'avis écrit du nombre de titres qui lui sont attribués, le souscripteur acquiert ainsi un droit à la délivrance de ceux-ci. Le contrat entre le souscripteur et la banque ("Zeichnungsstelle", soit, dans le cas particulier, la banque S.) a déjà été qualifié par le Tribunal fédéral de contrat de vente par lequel la banque s'engage à livrer les papiers-valeurs et le souscripteur à payer le prix d'émission (EMCH/RENZ/BÖSCH, op.cit., p. 389). De toute manière il s'agit d'un contrat peut-être innommé mais assimilable à une vente (cf. Schönle, Zürcher Kommentar,
Art. 184 CO
Nos 63-68). Le souscripteur acquiert ainsi contre la banque une créance dont l'objet n'est pas une somme d'argent (
ATF 112 II 444
consid. 2 et 4), mais un fongible aussi longtemps qu'il ne s'agit que d'un droit sur des actions nominatives non encore individualisées par l'inscription de leur propriétaire au registre des actionnaires. De ce point de vue il est donc sans pertinence de savoir si la banque était en droit de devenir propriétaire desdites actions au regard de la législation suisse, puisqu'elle n'a jamais prétendu à leur propriété mais seulement à la titularité du droit - cessible - de les acquérir ou de permettre leur acquisition, moyennant rétribution le cas
BGE 120 IV 276 S. 280
échéant, par les personnes de son choix autorisées par la loi, en exerçant une activité d'intermédiaire qui est le propre des banques.
Or, la jurisprudence admet qu'une créance peut constituer une chose confiée au sens de l'
art. 140 ch. 1 al. 2 CP
(
ATF 118 IV 32
consid. 2a et les références citées). Dès sa naissance, la créance relative à la délivrance des vingt actions nominatives S. faisait partie du patrimoine de l'ABN, qui apparaissait en tant que souscripteur, à qui les actions avaient été attribuées et qui était débitrice de leur valeur. Cette créance ne pouvait donc faire partie du patrimoine des recourants pour lesquels elle devait rester une créance appartenant à autrui, ce qui créait une situation parfaitement analogue à celle prévue au premier alinéa de l'
art. 140 ch. 1 al. 1 CP
, sous la réserve que le bien en question n'était pas celui prévu audit alinéa, mais à l'alinéa 2 de la même disposition (
ATF 118 IV 32
consid. 2b).
De plus, il ressort des faits constatés par l'autorité cantonale qu'en vertu de la réglementation interne de la banque, les recourants ne pouvaient pas disposer dans leur propre intérêt de la créance de la banque vis-à-vis de la banque S., sans en référer aux autres organes de l'ABN, afin que cette dernière puisse prendre une décision sur l'attribution. En demandant l'enregistrement à leur nom des actions nominatives à l'insu de leur employeur, les recourants ont employé dans leur propre intérêt la créance qui leur était confiée, abusant du rapport de confiance qui les liait à leur employeur et privant ainsi ce dernier de ce que cette créance aurait pu lui rapporter.
Par conséquent, la condamnation des recourants pour abus de confiance ne viole pas le droit fédéral et les recours doivent être rejetés. Les frais judiciaires, répartis par moitié, sont mis à la charge des recourants. | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ace127bd-d812-4195-891d-3448768c31c6 | Urteilskopf
93 II 5
2. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 10 mars 1967 dans la cause C. contre X. | Regeste
Vaterschaftsklage.
Begriff der Beiwohnung im Sinne von
Art. 314 Abs. 1 ZGB
. Fall unvollständigen Geschlechtsverkehrs. | Erwägungen
ab Seite 6
BGE 93 II 5 S. 6
2.
... Des faits constatés, il résulte en bref que J.C. et l'intimé n'ont eu que des relations intimes incomplètes. X. a tenté d'introduire sa verge dans le vagin de la jeune fille. Après un certain temps, il y a renoncé à la suite des pleurs de sa compagne, qui disait que cela lui faisait mal. Il n'a pas pénétré la jeune fille. Interrogée à l'audience de jugement du 26 mai 1966, celle-ci a déclaré que son ami n'était pas parvenu à introduire complètement sa verge dans son vagin. Elle a ajouté cependant qu'elle avait été mouillée, selon sa déclaration consignée au procès-verbal et reproduite dans l'état de fait du jugement de première instance.
3.
La jurisprudence relative à l'art. 314 al. 1 CC entend le mot de cohabitation dans le sens le plus large; il suffit de la possibilité que tel rapprochement sexuel donné et constant ait été la cause de la grossesse, pour que la partie demanderesse bénéficie de la présomption légale (RO 45 II 491, 51 II 258, 77 II 30).
Avec raison, l'intimé n'excipe pas de l'usage de moyens anticonceptionnels, qui n'infirme pas les effets juridiques de la cohabitation (arrêts cités). En accord avec la science médicale, la doctrine juridique estime que la preuve de l'immissio penis ou de l'éjaculation (immissio seminis) n'est pas requise de la partie demanderesse; un contact extérieur des organes sexuels peut suffire pour provoquer la fécondation, et partant constituer la cohabitation au sens de l'art. 314 al. 1 CC (EGGER, n. 2 ad art. 314 CC; SILBERNAGEL/WÄBER, n. 7 ibidem; HEGNAUER, n. 15 ad art. 254 CC; W. SCHELLER, Die Einreden des Beklagten im Vaterschaftsprozess, thèse Zurich 1929, p. 17; O. PETER, Das Problem der rechtlichen Feststellung der Vaterschaft, thèse Zurich 1923, p. 23 s.; R. SCHWEIZER, Die Leistung des Beweises im Vaterschaftsprozess unter spezieller Berücksichtigung des Zürcher Prozessrechts, Zurich 1936, p. 5; cf. aussi en droit allemand STAUDINGER (Göppinger), Kommentar zum BGB, 10/11e éd., IV/3 b, livraison 42, Berlin 1966, n. 13 ad § 1717 BGB). La conception est en effet possible, quoique peu probable,
BGE 93 II 5 S. 7
même sans immissio penis, lorsque l'éjaculation ante portas est établie (PODLESCHKA, Das geburtshilfliche Gutachten im Vaterschaftsprozess, Stuttgart 1954, p. 127).
L'arrêt attaqué ne constate pas si, lors du coitus ante portas, l'intimé a atteint l'orgasme. J.C. le prétend, en déclarant qu'elle a été "mouillée". X. n'a pas été interrogé sur ce point. Les juridictions vaudoises ne se sont pas déterminées dans leurs considérants, vraisemblablement parce qu'elles n'ont pas attaché une importance décisive à cette déclaration de la jeune fille. Il n'est toutefois pas nécessaire de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle complète ses constatations de fait. L'éjaculation est en effet la conséquence naturelle des rapports sexuels et les parties demanderesses, en particulier l'enfant, ne sauraient être astreintes à en apporter la preuve (STAUDINGER, op.cit., n. 14 ad § 1717 BGB). De son côté, l'intimé n'a jamais excipé du fait qu'il n'aurait pas éjaculé. Le degré d'intimité atteint par les parties, dans les circonstances de fait établies par l'arrêt déféré, était suffisant pour rendre possible une fécondation. En niant que ces relations intimes aient pu être à l'origine de la grossesse, la Cour cantonale a méconnu la notion de cohabitation et par conséquent violé l'art. 314 al. 1 CC. Les recourants doivent être mis au bénéfice de la présomption instituée par cette disposition légale. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ace208d8-288b-4cd9-a030-2a7787def62d | Urteilskopf
134 IV 53
7. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_43/2007 vom 12. November 2007 | Regeste
Begründungspflicht (
Art. 50 StGB
); Verbindung von bedingter Freiheitsstrafe mit Busse (
Art. 42 Abs. 4 StGB
).
Hat die Staatsanwaltschaft den teilbedingten Vollzug explizit beantragt und lassen frühere Verurteilungen zumindest Zweifel an der Legalbewährung des Täters aufkommen, verletzt die Vorinstanz ihre Begründungspflicht, wenn sie nicht darlegt, weshalb sie den teilbedingten Vollzug als nicht notwendig einstuft (E. 5.1).
Wird eine bedingte Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse verbunden, so haben die beiden Sanktionen in ihrer Summe schuldangemessen zu sein (E. 5.2). | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 134 IV 53 S. 54
A.
X. fuhr am 23. Dezember 2003 in alkoholisiertem Zustand mit seinem Personenwagen mit übersetzter Geschwindigkeit und verursachte einen Selbstunfall, bei welchem ein Mitfahrer getötet und zwei weitere verletzt wurden.
B.
Mit Urteil vom 10. August 2005 sprach das Bezirksgericht Baden X. der fahrlässigen Tötung (
Art. 117 StGB
), der fahrlässigen Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 1 StGB
), der groben Missachtung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit (
Art. 32 Abs. 2 SVG
und Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11] i.V.m.
Art. 90 Ziff. 2 SVG
) und des Führens eines Personenwagens in fahrunfähigem Zustand (
Art. 31 Abs. 2 SVG
und
Art. 2 VRV
i.V.m.
Art. 91 Abs. 1 SVG
) schuldig und verurteilte ihn zu 2
1
/
2
Jahren Gefängnis.
C.
Die von X. gegen diesen Entscheid erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 11. Januar 2007 im Schuldpunkt ab. Im Strafpunkt hiess es die Berufung dagegen teilweise gut und verurteilte X. zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, und zu einer Busse von Fr. 1'000.-.
D.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. Januar 2007 sei aufzuheben und die Freiheitsstrafe sei teilbedingt auszusprechen, dies mit einem zu verbüssenden Anteil von 10 Monaten. Eventualiter sei die Sache zur Anordnung des teilbedingten Strafvollzugs an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht und der Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Beschwerde. Eventualiter stellt der Beschwerdegegner den Antrag, die Sache sei zur ergänzenden Begründung des Urteils an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Im zu beurteilenden Fall stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:
5.1
Die Vorinstanz hat sich im angefochtenen Urteil nicht mit der Frage des teilbedingten Vollzugs auseinandergesetzt, obwohl der Beschwerdegegner vorbestraft ist wegen Missachtens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowie Nichttragens des Sicherheitsgurtes und wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln und obgleich
BGE 134 IV 53 S. 55
ihm der Führerausweis innert kurzer Zeit insgesamt vier Mal entzogen worden ist. Vorliegend kann offengelassen werden, ob das Gericht sich bei Freiheitsstrafen im überschneidenden Anwendungsbereich von
Art. 42 und 43 StGB
bei zweifelsfreier Bejahung der Voraussetzungen des bedingten Vollzugs in jedem Fall ausdrücklich mit
Art. 43 StGB
zu befassen hat oder ob sich dessen Nicht-Anwendung nicht auch stillschweigend ergeben kann. In Fällen jedenfalls, in welchen die Staatsanwaltschaft den teilbedingten Vollzug explizit beantragt und frühere Verurteilungen zumindest Zweifel an der Legalbewährung des Täters aufkommen lassen, hat es zu begründen, weshalb es den teilbedingten Vollzug als nicht notwendig einstuft.
Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich nicht, ob die Vorinstanz die Möglichkeit des teilbedingten Strafvollzugs überhaupt in Betracht gezogen hat. Vielmehr ist ebenso denkbar, dass sie - trotz des ausdrücklichen Antrags der Beschwerdeführerin - in Verkennung der Rechtslage von der falschen Annahme ausgegangen ist, dass sich bei Bejahung der Voraussetzungen des bedingten Strafvollzugs die Frage des teilbedingten Vollzugs im vorliegenden Fall gar nicht stellt.
Im Ergebnis hat die Vorinstanz folglich die ihr obliegende Begründungspflicht verletzt. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben. Bei ihrer Neubeurteilung wird die Vorinstanz zu prüfen haben, ob der teilweise Vollzug der Freiheitsstrafe für die Erhöhung der Bewährungsaussichten des Beschwerdegegners unumgänglich erscheint.
5.2
Die Aufhebung des angefochtenen Entscheids ist überdies aus einem weiteren Grund geboten:
Die Vorinstanz hat im Rahmen ihrer Ausführungen zur Strafzumessung geschlossen, sie erachte eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten als dem Verschulden des Beschwerdegegners angemessen. Alsdann hat sie gefolgert, in Anbetracht des schwerwiegenden Verschuldens sei gestützt auf
Art. 42 Abs. 4 StGB
zusätzlich eine Busse nach
Art. 106 StGB
in der Höhe von Fr. 1'000.- auszufällen.
Wie dargelegt, darf im Rahmen der Strafkombination von
Art. 42 Abs. 4 StGB
die unbedingte Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse nicht zu einer Straferhöhung führen oder eine zusätzliche Strafe ermöglichen. Bewertet das Gericht ein Strafmass von 20 Monaten als insgesamt schuldangemessen und erachtet es in Anwendung von
Art. 42
BGE 134 IV 53 S. 56
Abs. 4 StGB
eine Strafenkombination als sachgerecht, so haben die beiden Sanktionen in ihrer Summe schuldangemessen zu sein. Hieraus folgt, dass bei Verhängung einer Busse von Fr. 1'000.- eine bedingte Freiheitsstrafe von weniger als 20 Monaten auszusprechen ist.
Die Vorinstanz hat demnach
Art. 42 Abs. 4 StGB
unrichtig angewendet. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ace65990-b9d3-4862-bd75-27a7e6d469d1 | Urteilskopf
124 V 368
62. Urteil vom 30. September 1998 i.S. B. gegen SWICA Gesundheitsorganisation und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 67,
Art. 72 Abs. 2 KVG
;
Art. 110 KVV
: Beginn der Taggeldleistungspflicht.
Art. 72 Abs. 2 KVG
unterscheidet zwischen der Entstehung des Anspruchs und dem Leistungsbeginn.
Art. 110 KVV
schiebt nicht die Entstehung des Taggeldanspruchs, die in
Art. 72 Abs. 2 Satz 1 KVG
geregelt ist, hinaus, sondern befreit die Krankenkasse von der an sich bestehenden Taggeldleistungspflicht. | Sachverhalt
ab Seite 368
BGE 124 V 368 S. 368
A.-
B., geboren 1955, war bis 31. Mai 1996 bei der SWICA Gesundheitsorganisation, Winterthur, kollektiv für ein Taggeld von 90% des versicherten Lohnes ab dem 61. Tag bei Krankheit und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Per 1. Juni 1996 trat er infolge Stellenwechsels in die Einzelversicherung "Salaria" der SWICA über, wo ebenfalls eine Wartefrist von 60 Tagen vereinbart wurde. Seit 19. Februar 1996 war er wegen einer Berufskrankheit (chronisch-rezidivierendes Ekzem an beiden Händen) zu 100% arbeitsunfähig und erhielt dafür von der SUVA bis zum Behandlungsabschluss am 19. Juni 1996 ein Taggeld von 163 Franken. In der Folge war er wegen Krankheit weiterhin vollumfänglich arbeitsunfähig.
Mit Verfügung vom 12. November 1996 teilte die SWICA B. mit, die 60tägige Wartefrist habe am 20. Juni 1996 zu laufen begonnen und am 18. August 1996 geendet; das Krankengeld werde ab 19. August 1996 ausbezahlt. Diese Verfügung bestätigte die SWICA mit Einspracheentscheid vom 10. Februar 1997.
BGE 124 V 368 S. 369
B.-
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 28. Mai 1997 ab.
C.-
B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, ihm sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids ein Krankentaggeld ab 20. Juni 1996 zuzusprechen; (...).
Während die SWICA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung deren Gutheissung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 67 Abs. 1 KVG
kann, wer in der Schweiz Wohnsitz hat oder erwerbstätig ist und das 15., aber noch nicht das 65. Altersjahr zurückgelegt hat, bei einem Versicherer nach
Art. 68 KVG
eine Taggeldversicherung abschliessen. Die Taggeldversicherung kann als Kollektivversicherung abgeschlossen werden (
Art. 67 Abs. 3 KVG
). Das Gesetz enthält in
Art. 72 KVG
Bestimmungen insbesondere zum Anspruchsbeginn (Abs. 2), zur Dauer des Anspruchs (Abs. 3) sowie zur Kürzung der Leistung bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit (Abs. 4) und bei Überentschädigung (Abs. 5). Nach Abs. 2 dieses Artikels entsteht der Taggeldanspruch, wenn die versicherte Person mindestens zur Hälfte arbeitsunfähig ist (Satz 1). Ist nichts anderes vereinbart, so entsteht der Anspruch am dritten Tag nach der Erkrankung (Satz 2). Der Leistungsbeginn kann gegen eine entsprechende Herabsetzung der Prämie aufgeschoben werden (Satz 3). Wird für den Anspruch auf Taggeld eine Wartefrist vereinbart, während welcher der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, so kann die Mindestbezugsdauer des Taggeldes um diese Frist verkürzt werden (Satz 4).
b) Gemäss Kollektivvertrag Nr. 199 1401 ist die Wartefrist (von 60 Tagen) pro Kalenderjahr nur einmal zu bestehen und wird an die Leistungsdauer angerechnet. Sie ist nicht neu zu bestehen, wenn innerhalb eines Monats nach Wiederaufnahme der Arbeit eine Wiedererkrankung mit mindestens 25%iger Arbeitsunfähigkeit eintritt. Diese Bestimmung deckt sich mit Art. 8 Abs. 1 der Zusatzbedingungen Taggeldversicherung Salaria, Ausgabe 1996 (nachfolgend: Zusatzbedingungen), wo zusätzlich festgehalten wird, dass die Wartefrist am Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit beginnt. Der Anspruch auf Taggeld beginnt mit dem Tag, für welchen der behandelnde Arzt oder Chiropraktor den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, die einen Lohn-
BGE 124 V 368 S. 370
und Erwerbsausfall zur Folge hat, bescheinigt (Art. 5 Abs. 1 Zusatzbedingungen). Nach Art. 27 lit. a Satz 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), Ausgabe 1996, der den Übertritt von der Kollektiv- in die Einzelversicherung regelt, werden die Übertretenden im gleichen Umfang versichert, wie sie vorher in der Kollektivversicherung versichert waren.
2.
Es steht nach den Akten fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer ab 19. Februar 1996 zunächst wegen einer Berufskrankheit und später wegen einer anderen Krankheit zu 100% arbeitsunfähig war und daher, gestützt auf den Kollektivvertrag bzw. ab 1. Juni 1996 auf die Einzelversicherung, grundsätzlich Anspruch auf die vereinbarten Versicherungsleistungen hatte. Umstritten ist einzig der Beginn des Leistungsanspruchs.
a) Dem klaren Wortlaut nach unterscheidet
Art. 72 Abs. 2 KVG
zwischen der Entstehung des Anspruchs und dem Leistungsbeginn. Während nach Satz 1 dieser Bestimmung der Taggeldanspruch mit der mindestens hälftigen Arbeitsunfähigkeit entsteht, kann der Leistungsbeginn nach Satz 3 aufgeschoben werden. Wohl schränkt Satz 2 diese Regelung insofern ein, als der Anspruch erst am dritten Tag nach der Erkrankung entsteht, wenn nichts anderes vereinbart ist. Diese Bestimmung findet indessen im vorliegenden Fall keine Anwendung, da nach Art. 5 Abs. 1 der Zusatzbedingungen der Anspruch auf Taggeld mit dem Tag beginnt, für welchen der behandelnde Arzt oder Chiropraktor den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, die einen Lohn- und Erwerbsausfall zur Folge hat, bescheinigt. Nach dem Gesagten steht fest, dass nach
Art. 72 Abs. 2 KVG
nicht der Taggeldanspruch an sich, sondern lediglich der Leistungsbeginn aufgeschoben, d.h. eine sogenannte Wartefrist vereinbart werden kann. Diese beginnt mit der Entstehung des Taggeldanspruchs zu laufen. Diese Betrachtungsweise deckt sich im übrigen auch mit der in den Zusatzbedingungen der Beschwerdegegnerin festgehaltenen Regelung, wonach die Wartefrist am Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit zu laufen beginnt (Art. 8 Abs. 1).
b) Von den Bestimmungen über die Entstehung des Anspruchs und den Leistungsbeginn sind die Koordinationsregeln nach
Art. 110 ff. KVV
zu unterscheiden, die der Bundesrat gestützt auf
Art. 78 KVG
erlassen hat. Entgegen der von der Vorinstanz bestätigten Ansicht der SWICA enthält insbesondere
Art. 110 KVV
keine Ausführungen zum Anspruch auf Versicherungsleistungen der Krankenversicherung. Dieser Artikel (in der bis
BGE 124 V 368 S. 371
31. Juli 1998 gültig gewesenen Fassung) stellt vielmehr eine Rang- oder Prioritätenordnung auf: Wenn in einem Versicherungsfall Leistungen der Krankenversicherung mit gleichartigen Leistungen der Unfallversicherung nach dem Unfallversicherungsgesetz (UVG), der Militärversicherung oder der Invalidenversicherung zusammentreffen, gehen die Leistungen dieser anderen Sozialversicherungen vor. Die Krankenversicherung muss somit nicht leisten (Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 118 f.). Bereits die Wortwahl dieses Artikels schliesst eine Auslegung im Sinne der Beschwerdegegnerin aus: Leistungen der Krankenversicherung und einer anderen Sozialversicherung können nur zusammentreffen, wenn darauf bereits ein Anspruch besteht. Dieser Artikel regelt damit allein - aber immerhin - die Vorleistungspflicht der anderen Sozialversicherungen.
c) Zusammenfassend schiebt
Art. 110 KVV
nicht die Entstehung des Taggeldanspruchs, die in
Art. 72 Abs. 2 Satz 1 KVG
geregelt ist, hinaus, sondern befreit die Krankenkasse von der an sich bestehenden Taggeldleistungspflicht.
3.
Werden die in Erw. 2 gewonnenen Erkenntnisse auf den vorliegenden Fall angewendet, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ab 20. Juni 1996 Taggeldleistungen der SWICA beanspruchen kann.
Er war seit 19. Februar 1996 infolge Berufskrankheit, die ebenfalls unter den Krankheitsbegriff des
Art. 2 Abs. 1 KVG
fällt (vgl. Maurer, a.a.O., S. 119), zu 100% arbeitsunfähig. An diesem Tag entstand grundsätzlich der Anspruch auf Taggelder und begann die 60tägige Wartefrist gemäss Kollektivvertrag zu laufen. Letztere endete am 20. April 1996, womit der Leistungsbeginn an sich auf den 21. April 1996 fiel. Da die SUVA aufgrund von
Art. 110 KVV
zu diesem Zeitpunkt noch Taggelder von 163 Franken ausrichtete, war die SWICA ihrerseits von der Leistungspflicht befreit. Zum Zeitpunkt, als die SUVA ihre Zahlungen wegen Abschlusses der Behandlung der Berufskrankheit einstellte (20. Juni 1996), war die Wartefrist von 60 Tagen gemäss Versicherungspolice längst abgelaufen, so dass die SWICA dem Beschwerdeführer ab 20. Juni 1996 für die weiterdauernde, aber nun nicht mehr berufskrankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit das vereinbarte Taggeld zu erbringen hat.
Nichts an diesem Ergebnis zu ändern vermag der Umstand, dass der Beschwerdeführer während bestehender Krankheit von der Kollektiv- in die Einzelversicherung wechselte, wird doch der Besitzstand beim Übertritt von der Kollektiv- in die Einzelversicherung der SWICA gewahrt (Art. 27 lit. a Satz 1 AVB). | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ace8d917-de0d-40bd-b2ac-ba463a7a7375 | Urteilskopf
137 III 311
47. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre Fondation Y. (recours en matière civile)
4A_145/2011 du 20 juin 2011 | Regeste
Örtliche Zuständigkeit; Gerichtsstand für arbeitsrechtliche Klagen (
Art. 24 GestG
); objektive Klagenhäufung (
Art. 7 Abs. 2 GestG
); auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützte Klagen.
Das System der teilzwingenden Gerichtsstände (
Art. 21 ff. GestG
) schliesst nicht aus, dass der Arbeitnehmer gestützt auf
Art. 7 Abs. 2 GestG
eine Klage gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber an einem anderen Gerichtsstand erhebt als an einem der alternativ anwendbaren teilzwingenden Gerichtsstände von
Art. 24 GestG
(E. 3 und 4).
Anwendungsvoraussetzungen von
Art. 7 Abs. 2 GestG
(E. 5.1.1); Beurteilung der Voraussetzungen im konkreten Fall (E. 5.1.2).
Gerichtsstand für eine Klage, die sich auf zwei Anspruchsgrundlagen stützt (E. 5.2.1). Nachdem der zu beurteilende Rechtsstreit einzig auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zurückgeht, hat das Bundesgericht die gleichzeitig auf eine vertragliche und eine deliktische Haftung des Arbeitgebers gestützte Klage des Arbeitnehmers dem besonderen Gerichtsstand von
Art. 24 GestG
unterstellt (E. 5.2.2). | Erwägungen
ab Seite 312
BGE 137 III 311 S. 312
Extrait des considérants:
3.
3.1
Le recourant n'a pas introduit son action devant le tribunal neuchâtelois compétent
ratione loci
pour trancher les litiges en matière de droit du travail en vertu de l'
art. 24 LFors
(RO 2000 2355), c'est-à-dire au siège de l'intimée (...), qui était aussi le lieu où il accomplissait habituellement son travail, mais dans le canton de Fribourg, devant le tribunal d'arrondissement de son propre domicile. Pour ce faire, il s'est prévalu de l'
art. 7 al. 2 LFors
en liaison avec les
art. 12 let. a et 25 LFors
: la première de ces trois dispositions a trait au
BGE 137 III 311 S. 313
cumul objectif d'actions; elle prévoit que, si plusieurs prétentions présentant un lien de connexité sont élevées contre un même défendeur, chaque tribunal compétent pour connaître de l'une d'elles est compétent relativement à l'ensemble des prétentions; les deux autres permettent au demandeur d'introduire devant le tribunal de son domicile une action fondée sur une atteinte à la personnalité, resp. sur un acte illicite.
Selon le recourant, les différentes prétentions qu'il élève à l'encontre de l'intimée constituent un cumul entre des actions fondées sur le contrat de travail (indemnités pour congé abusif et vacances non prises, délivrance d'un certificat de travail) et une action à double fondement, contractuel et délictuel (réparation du préjudice et du tort moral découlant de l'atteinte à sa personnalité antérieure à son licenciement). Invoquant l'
art. 7 al. 2 LFors
, qu'il dit être applicable tant au cumul d'actions qu'à une action à double fondement, le recourant soutient que le tribunal de son domicile, compétent pour connaître de l'action en responsabilité délictuelle qu'il a choisi d'exercer au titre de l'action à double fondement, l'est aussi pour juger toutes les autres prétentions découlant du contrat de travail qu'il lui a soumises.
3.2
Le point de vue du recourant n'a été partagé par aucune des deux juridictions fribourgeoises qui se sont occupées de l'affaire. Celles-ci ont cependant rejeté l'exception d'incompétence pour des motifs différents.
Les premiers juges ont retenu, en résumé, que la compétence à raison du lieu relevait de l'
art. 24 LFors
dès lors que toutes les prétentions élevées par le recourant découlaient exclusivement des rapports de travail noués avec l'intimée. Il en allait, en particulier, ainsi des prétentions liées au harcèlement psychologique que le travailleur aurait subi avant de se faire licencier par l'intimée, prétentions que l'intéressé n'aurait très vraisemblablement pas fait valoir en justice s'il n'avait pas reçu son congé. L'
art. 328 CO
permettait, d'ailleurs, de prendre en compte de telles atteintes à la personnalité du travailleur sans qu'il fût nécessaire de mettre en oeuvre les
art. 28 ss CC
. Aussi, pour le Tribunal civil, tenter de rattacher les prétentions y relatives à la matière extracontractuelle revenait à user d'un artifice juridique en vue de contourner l'
art. 24 LFors
et à seule fin d'attraire l'intimée devant le juge du domicile du recourant par le détour de l'
art. 7 al. 2 LFors
.
BGE 137 III 311 S. 314
Considérant le cas sous un autre angle, la cour cantonale s'est interrogée sur le point de savoir si le caractère partiellement impératif, au sens de l'
art. 21 al. 1 let
. d LFors, des fors de l'
art. 24 LFors
était compatible avec l'application de l'
art. 7 al. 2 LFors
. Elle a répondu à cette question par la négative, à l'instar de ce qu'elle a estimé être l'avis majoritaire au sein de la doctrine, en précisant que cette réponse visait aussi l'hypothèse d'une action introduite par la partie dite faible, i.e. le travailleur. Partant, pour les juges d'appel, en cas de cumul d'actions et/ou d'action à double fondement, seul le tribunal du for prévu par l'
art. 24 LFors
serait compétent pour connaître de l'ensemble des prétentions élevées. Le recourant aurait donc dû intenter son action dans le canton de Neuchâtel, en application de cette disposition, au lieu de saisir les tribunaux fribourgeois, incompétents à raison du lieu.
4.
Il convient d'examiner d'abord la question soulevée par les juges d'appel. En effet, si la réponse que ceux-ci lui ont apportée devait être jugée conforme au droit fédéral, la décision d'incompétence attaquée ne pourrait qu'être confirmée, que la solution retenue par les juges de première instance fût correcte ou non.
4.1
4.1.1
L'
art. 24 LFors
règle la question du for des actions fondées sur le droit du travail; il prévoit que le tribunal du domicile ou du siège du défendeur ou le tribunal du lieu où le travailleur accomplit habituellement son travail est compétent pour connaître de telles actions (al. 1). Le législateur fédéral a rangé cette disposition dans la catégorie des fors partiellement impératifs, instituée par l'
art. 21 LFors
. Ces fors découlent du concept de procès civil à caractère social (Message du 18 novembre 1998 concernant la LFors, FF 1999 2603 ch. 163) et visent à assurer la protection de la partie dite faible au contrat, tel le travailleur (
art. 21 al. 1 let
. d LFors), en lui interdisant de renoncer à l'avance ou par acceptation tacite (
Einlassung
) aux fors prévus par la section 5 du chapitre 3 de la LFors; en revanche, ils ne s'opposent pas à une élection de for conclue après la naissance du différend (
art. 21 al. 2 LFors
). Au demeurant, vis-à-vis du cocontractant de la partie dite faible, par ex. l'employeur, ces fors sont de nature dispositive: ainsi, la partie dite forte peut y renoncer à l'avance (arrêt 4C.29/2006 du 21 mars 2006 consid. 4.1 et les auteurs cités; YVES DONZALLAZ, Commentaire de la loi fédérale sur les fors en matière civile, 2001, p. 470) ou accepter tacitement un
BGE 137 III 311 S. 315
autre for (PATRICIA DIETSCHY, Les conflits de travail en procédure civile suisse, 2010, n° 101).
Le système des fors partiellement impératifs a été repris dans le CPC (RS 272), qu'il s'agisse du principe de la renonciation aux fors légaux (art. 35) ou de la compétence à raison du lieu en matière d'actions relevant du droit du travail (art. 34 al. 1).
4.1.2
En l'espèce, le travailleur a assigné son ex-employeur devant le juge de son domicile, dans le canton de Fribourg, alors qu'il aurait dû introduire son action dans le canton de Neuchâtel où se trouvent les deux fors alternatifs de l'
art. 24 al. 1 LFors
. Il est constant que la Fondation recherchée n'a pas accepté, même tacitement, de renoncer à ces fors et qu'il n'existait pas non plus une élection de for en faveur du tribunal du domicile du travailleur qui aurait pu lui être opposée. Au regard de la disposition citée, il se justifiait donc d'admettre l'exception d'incompétence
ratione loci
soulevée par l'intimée.
4.2
Il en irait différemment si, comme il le soutient, le recourant pouvait se prévaloir du for dérivé institué par l'
art. 7 al. 2 LFors
et que les conditions d'application de cette disposition fussent réalisées
in casu
.
Les juges d'appel ont exclu, par principe, l'applicabilité de cette règle de for, quand bien même l'action avait été introduite par le travailleur, soit la partie faible au contrat. Ils n'ont pas fourni de justification particulière pour étayer leur décision, mais se sont contentés d'invoquer l'autorité de la doctrine, laquelle irait dans le même sens qu'eux. Or, les auteurs cités dans le corps de l'arrêt ne professent nullement de manière univoque l'opinion que leur prête la cour cantonale, voire, pour une majorité d'entre eux, s'en écartent résolument. Ainsi, PETER REETZ soutient que les règles générales en matière de for, tel l'
art. 7 LFors
, ont le pas, notamment, sur les fors partiellement impératifs (in Kommentar zum schweizerischen Zivilprozessrecht, Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen [GestG], 2001, n° 16 ad
art. 7 LFors
). BALZ GROSS explique que les personnes protégées par l'
art. 21 LFors
peuvent se prévaloir sans aucune restriction de l'
art. 7 LFors
lorsqu'elles intentent une action à une personne non protégée par la règle semi-impérative (in Gerichtsstandsgesetz, Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, 2001, n° 39 i.f. ad
art. 21 LFors
). De même, THOMAS MÜLLER précise qu'il n'est pas possible de priver la partie faible au
BGE 137 III 311 S. 316
contrat d'un for partiellement impératif par le biais de l'
art. 7 LFors
, laissant ainsi entendre,
a contrario
, qu'il n'en va pas de même pour l'autre partie (in Gerichtsstandsgesetz, Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, 2001, n° 47 ad
art. 7 LFors
p. 171; dans le même sens, cf. ISAAK MEIER, Anspruchs- und Normenkonkurrenz im Gerichtsstandsgesetz, in Symposien zum schweizerischen Recht, Zum Gerichtsstand in Zivilsachen, 2002, p. 55 ss, 71). Quant à FRANZ KELLERHALS et à ANDREAS GÜNGERICH, ils ne prennent pas directement position sur la question controversée, sinon pour emboîter le pas à THOMAS MÜLLER et se distancier de PETER REETZ en tant qu'il prône l'application inconditionnelle de l'
art. 7 LFors
, même en défaveur de la partie faible au contrat (in Gerichtsstandsgesetz, Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, 2
e
éd. 2005, n° 24 ad
art. 7 LFors
). En définitive, seul YVES DONZALLAZ semble favorable à la solution adoptée par l'autorité intimée lorsqu'il soutient qu'en l'absence d'une acceptation tacite ou d'une prorogation anticipée, les fors partiellement impératifs des
art. 22 ss LFors
sont exclusifs (op. cit., n° 22 ad
art. 21 LFors
p. 477; voir aussi: n
os
5-7 ad Section 5 p. 464 ss et n° 15 ad
art. 21 LFors
p. 474).
S'agissant des références à la doctrine relative au nouveau droit, faites dans l'arrêt déféré, elles ne sont pas non plus propres à corroborer l'opinion des juges d'appel. En effet, tant MARC WEBER que NOËLLE KAISER JOB reprennent l'avis contraire, exprimé par THOMAS MÜLLER sous l'empire de l'ancien droit (in Commentaire bâlois, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, n° 28 ad
art. 15 CPC
, resp. n° 12 ad
art. 35 CPC
), tout comme le font THOMAS SUTTER-SOMM et RAFAEL KLINGLER, non cités dans ledit arrêt (in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, n° 22 ad art. 15CPC). Deux autres auteurs, enfin, considèrent - l'un expressément, l'autre de manière implicite - que la partie faible au contrat est en droit d'assigner la partie forte au for de la connexité visé par l'
art. 15 al. 2 CPC
(MATTHIAS COURVOISIER, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, n° 9 ad
art. 35 CPC
; DIETSCHY, op. cit., n
o
117).
Le système des fors partiellement impératifs, on l'a vu, a pour objectif de protéger la partie faible au contrat. C'est la raison pour laquelle il restreint la possibilité que pourrait avoir l'autre partie, étant donné sa position dominante, de contraindre son cocontractant à conclure une élection de for et à renoncer par avance à un for prévu par la loi. Dans la même perspective, il cherche à éviter que la partie
BGE 137 III 311 S. 317
faible, qui ne dispose souvent pas des connaissances juridiques nécessaires, singulièrement en matière procédurale, puisse se laisser attraire tacitement devant un for autre que ceux que prévoient les
art. 22 ss LFors
. Cela étant, on ne discerne pas en quoi il serait contraire à la
ratio legis
de l'
art. 21 LFors
de permettre à la partie faible au contrat d'invoquer l'
art. 7 al. 2 LFors
pour intenter action à son cocontractant à un autre for que l'un des fors partiellement impératifs prévus par la LFors. Lui offrir une possibilité de choix supplémentaire pour agir en justice n'irait certes pas à l'encontre du but protecteur du système en question. Inversement, lui interdire pareille option au seul motif qu'elle fait partie de la catégorie des personnes sociologiquement plus faibles mentionnées à l'
art. 21 al. 1 LFors
reviendrait à la désavantager par rapport à d'autres sujets de droit n'y figurant pas. Il serait ainsi difficilement justifiable qu'une personne physique victime d'un acte illicite soit privée de la possibilité de saisir le tribunal de son domicile du seul fait qu'elle est liée à l'auteur de cet acte par un contrat de travail (sous réserve de la réalisation des conditions de l'
art. 7 al. 2 LFors
).
Par conséquent, il y a lieu d'admettre, contrairement à l'avis de l'autorité précédente, que le recourant était en droit de se prévaloir de l'
art. 7 al. 2 LFors
.
Il reste à examiner si les conditions d'application de cette disposition étaient réalisées en l'espèce et, plus généralement, si le recourant était en droit de faire valoir ses prétentions à un autre for qu'à l'un des fors alternatifs de l'
art. 24 LFors
, ce que les premiers juges ont nié.
5.
5.1
5.1.1
Aux termes de l'
art. 7 al. 2 LFors
, "lorsque plusieurs prétentions qui présentent un lien de connexité entre elles sont élevées contre un même défendeur, chaque tribunal compétent pour connaître de l'une d'elles est compétent".
L'application de cette disposition, reprise à l'
art. 15 al. 2 CPC
avec quelques modifications textuelles, suppose l'existence d'un "cumul d'actions"(
Klagenhäufung
), comme son titre marginal l'indique, et, plus précisément, d'un cumul objectif, puisque les actions doivent être dirigées contre le même défendeur. Il y a cumul objectif lorsque divers objets sont simultanément réclamés, que ce soit en vertu de la même cause juridique ou sur la base de fondements juridiques
BGE 137 III 311 S. 318
distincts, par opposition à une réclamation unique s'appuyant sur plusieurs causes juridiques (concours d'actions, action à double fondement, réunion de plusieurs chefs de responsabilité dans la mêmepersonne, selon les différentes expressions utilisées par la doctrine de langue française; en allemand:
Anspruchskonkurrenz
ou
Anspruchsnormenkonkurrenz
).
Les diverses prétentions doivent se trouver dans un rapport de connexité. Selon la jurisprudence (
ATF 129 III 80
consid. 2.2 p. 84), cette notion est comparable à celle qui figure à l'art. 22 al. 3 de la Convention du 16 septembre 1988 concernant la compétence judiciaire, la reconnaissance et l'exécution des réclamations en matière civile et commerciale (Convention de Lugano; la disposition citée a été reprise à l'art. 28 al. 3 de la Convention de Lugano révisée le 30 octobre 2007 [CL; RS 0.275.12]). Sont donc connexes les demandes liées entre elles par un rapport si étroit qu'il y a intérêt à les instruire et à les juger en même temps afin d'éviter des solutions qui pourraient être inconciliables si les causes étaient jugées séparément. Cette condition est réalisée dès lors que les prétentions reposent pour l'essentiel sur les mêmes faits ou fondements juridiques (DIETSCHY, op. cit., n° 116).
Il faut en outre - autres conditions usuellement admises et désormais codifiées à l'
art. 90 CPC
- que le même tribunal soit compétent à raison de la matière, relativement à toutes les prétentions, et que celles-ci soient soumises à la même procédure (DONZALLAZ, op. cit., n° 32 ad
art. 7 LFors
; KELLERHALS/GÜNGERICH, op. cit., n
os
9 à 11 ad
art. 7 LFors
; MÜLLER, op. cit., n
os
36/37 ad
art. 7 LFors
), ce qui n'ira pas toujours de soi, notamment dans les cantons ayant institué des juridictions spécialisées pour régler les conflits en matière de droit du travail (cf., pour le nouveau droit: MARK LIVSCHITZ, in Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), 2010, n° 10 ad ad
art. 90 CPC
).
5.1.2
En l'espèce, le recourant élève trois prétentions déduites directement des rapports de travail noués avec l'intimée (paiement relatif à un solde de vacances, indemnité pour congé abusif et délivrance d'un certificat de travail). Ces prétentions relevant exclusivement du droit du travail, il ne pourrait pas les soumettre au tribunal de son domicile, puisque la loi ne prévoit pas un tel for pour ce type de prétentions (cf. consid. 4.1.2 ci-dessus). Cependant, il les a couplées avec les deux prétentions résiduelles (dommages-intérêts et indemnité pour réparation du tort moral afférents à un harcèlement
BGE 137 III 311 S. 319
psychologique subi avant son licenciement) qui seraient fondées, non seulement sur le contrat de travail, mais encore sur une atteinte illicite à sa personnalité (
art. 28 CC
et 41 CO), prétentions qu'il aurait choisi de soumettre au juge de son domicile conformément aux
art. 12 let. a et 25 LFors
(sur le champ d'application de ces deux dispositions en fonction de la nature de l'action, au sens de l'
art. 28a CC
, choisie par le lésé, cf. ANDREAS MEILI, in Commentaire bâlois, Zivilgesetzbuch, vol. I, 4
e
éd. 2010, n° 16 ad
art. 28a CC
et les références). A supposer que ce dernier for lui soit ouvert, ce qu'il y aura lieu d'examiner ci-après (cf. consid. 5.2), les conditions d'application de l'
art. 7 al. 2 LFors
seraient sans conteste réalisées: il existe, en effet, un lien de connexité indubitable entre les cinq prétentions élevées par le recourant à l'encontre de la même partie défenderesse. Au demeurant, le Tribunal civil serait compétent
ratione materiae
à l'égard de chacune d'elles pour rendre un unique jugement au terme d'une même procédure; de fait, la valeur litigieuse des prétentions ressortissant exclusivement au contrat de travail dépasse déjà la limite de 30'000 fr.; or, au-delà de cette limite, la compétence de jugement du Tribunal des prud'hommes était exclue, selon le droit applicable à l'époque de l'introduction de l'action, au profit de celle du Tribunal d'arrondissement (art. 26 al. 3 de la loi fribourgeoise du 22 novembre 1972 sur la juridiction des prud'hommes, abrogée par l'
art. 170 let
. f de la loi du 31 mai 2010 sur la justice [RSF 130.1],en vigueur depuis le 1
er
janvier 2011); d'autre part et pour la même raison, la procédure simple et rapide de l'ancien
art. 343 al. 2 CO
, en soi applicable
ratione temporis
vu l'
art. 404 al. 1 CPC
(cf. l'
art. 243 al. 1 CPC
pour les procédures ouvertes après le 31 décembre 2010), n'entre pas en ligne de compte en l'occurrence.
5.2
5.2.1
Le droit suisse reconnaît, en principe, au lésé un concours (alternatif) entre les prétentions résultant d'un acte qui est à la fois illicite et contraire à une obligation contractuelle. Le lésé bénéficie ainsi du régime qui lui est le plus favorable. Ce sera souvent celui de la responsabilité contractuelle, mais il se peut aussi que la victime de l'acte illicite préfère se mettre au bénéfice de la responsabilité délictuelle pour des raisons tenant notamment au for de son action (LUC THÉVENOZ, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, n° 13 ad Intro.
art. 97-109 CO
). La question du for applicable en cas de pluralité de fondements d'une même prétention n'en demeure pas moins des plus controversées en doctrine.
BGE 137 III 311 S. 320
Sur deux points, la réponse à lui apporter ne devrait guère soulever de difficultés majeures. Il s'agit, en premier lieu, d'exclure la possibilité que le tribunal saisi ne puisse connaître que de l'élément de la demande reposant sur le fondement (délictuel ou contractuel) pour lequel sa compétence
ratione loci
est donnée, le demandeur étant renvoyé à agir devant un autre tribunal pour faire examiner la même prétention sous son autre fondement; le tribunal saisi doit se voir reconnaître le droit de considérer la prétention litigieuse sous tous les fondements susceptibles de l'étayer. Il importe, en second lieu, de faire respecter les fors partiellement impératifs de la LFors, pour les motifs sus-indiqués (cf. consid. 4.2), de sorte que, vis-à-vis de la partie faible au contrat, tel le travailleur, seuls ces fors-là (en l'occurrence ceux de l'
art. 24 LFors
) pourront s'appliquer, sans égard au concours d'actions. En d'autres termes, l'employeur soi-disant victime d'un acte illicite du travailleur dans l'exécution du contrat de travail ne pourra pas attraire le défendeur devant le for de son domicile (i.e. le domicile du lésé) en invoquant l'
art. 25 LFors
. Pour le reste, les opinions émises sur la question litigieuse se caractérisent par la plus grande diversité.
Les uns estiment que le demandeur peut choisir à sa guise le for rattaché à l'un ou l'autre fondement. Les tenants de cette solution la justifient du reste par des motifs variés. Certains la déduisent directement du principe
iura novit curia
, lequel commande au juge saisi d'examiner la prétention litigieuse sous tous ses fondements possibles (KURTH/BERNET, in Gerichtsstandsgesetz, Kommentar zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, 2
e
éd. 2005, n° 26 ad
art. 25 LFors
). D'autres considèrent qu'elle va dans le sens de l'
art. 7 al. 2 LFors
, relatif au cumul objectif d'actions, dont ils proposent une application extensive; selon eux, du moment qu'une pluralité de fors est offerte dans le cas où diverses prétentions sont émises, le même principe devrait s'appliquer, à plus forte raison, lorsqu'une seule prétention repose sur divers fondements (MEIER, op. cit., ibid.; FLAVIO ROMERIO, Anmerkungen zu Art. 25 und 27 GestG, in Symposien zum schweizerischen Recht, Zum Gerichtsstand in Zivilsachen, 2002, p. 75 ss, 78). On évoque aussi, à l'appui de ladite solution, le souci d'éviter que la victime d'un acte illicite soit moins bien traitée du seul fait que cet acte est intervenu dans le cadre de rapports contractuels, et l'on met en doute que l'auteur de l'acte illicite puisse exiger de bénéficier du for de son domicile de ce seul fait (DONZALLAZ, op. cit., n° 11 ad
art. 25 LFors
). D'aucuns,
BGE 137 III 311 S. 321
enfin, se contentent de se rallier à ce qu'ils estiment être l'avis majoritaire, tout en concédant que l'opinion inverse repose, elle aussi, sur de bons arguments (SUTTER-SOMM/HEDINGER, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, n° 15 ad
art. 36 CPC
). Au demeurant, certains des partisans de cette solution, que l'on pourrait qualifier de libérale, réservent l'hypothèse dans laquelle le choix du for constituerait un abus de droit (ROMERIO, op. cit., ibid.; KURTH/BERNET, op. cit., n° 27 ad
art. 25 LFors
); ils préconisent, en outre, pour parer aux manoeuvres contraires à la bonne foi, une application moins automatique de la théorie des faits dits de double pertinence, qui veut que les allégations de la partie demanderesse soient déterminantes pour trancher la question de la compétence (cf.
ATF 137 III 32
consid. 2.3 et 2.4).
D'autres auteurs, moins nombreux, considèrent que le for contractuel l'emporte toujours et est seul applicable (HEINRICH HEMPEL, in Kommentar zum schweizerischen Zivilprozessrecht, Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen[GestG], 2001, n° 16 ad art. 25LFors;
le même
, in Commentaire bâlois, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, n° 16 ad
art. 36 CPC
) ou, ce qui reviendra souvent au même, qu'il y a lieu de déterminer le for en fonction de l'aspect prépondérant de la prétention (DIETSCHY, op. cit., n° 107). Pour HEMPEL, la doctrine majoritaire ne tient pas suffisamment compte de la différence fondamentale existant entre un contrat et un acte illicite et, singulièrement, de ce que les rapports noués sur la base du premier résultent d'un acte conscient et volontaire des parties, contrairement à ce qui est le cas pour le second. L'auteur ne voit donc pas pourquoi l'on priverait une partie du for que le législateur a institué spécialement pour le jugement des différends issus du contrat en cause, au seul motif que la violation contractuelle remplirait aussi les conditions de l'acte illicite. A son avis, ce qui est déterminant et facile à établir, en définitive, c'est de savoir si l'acte illicite est à l'origine de la relation juridique qui s'est nouée entre les parties contre leur gré ou si cet acte est venu se greffer sur une relation juridique préexistante, fondée sur un contrat. Pour sa part, DIETSCHY propose d'appliquer la même solution qu'en matière de contrat mixte. Elle met l'accent sur le fondement principal de la prétention en cause, parce que c'est lui qui détermine le véritable objet du litige; à son avis, retenir l'accessoire comme déterminant pourrait amener le demandeur à fonder sa prétention sur une autre cause également, dans le seul but d'utiliser le for qui s'y rattache.
BGE 137 III 311 S. 322
Il paraît difficile de trancher définitivement, en faisant abstraction du type de concours d'actions considéré, entre les deux solutions antagonistes en présence, qui comportent chacune des avantages et des inconvénients, et sont sujettes à de nombreux tempéraments ou exceptions. Il serait d'autant plus délicat de le faire que cela pourrait commander un réexamen plus général de la théorie du concours d'actions, qui n'est d'ailleurs pas restée incontestée (cf., parmi d'autres: FRANZ WERRO, La responsabilité civile, 2005, n° 1494 ss). La sécurité du droit dût-elle en pâtir, mieux vaut donc privilégier une approche circonstancielle, qui tienne compte de la nature des responsabilités invoquées et des éléments factuels allégués par le demandeur.
5.2.2
La cause en litige a trait à un contrat de travail, au sens des
art. 319 ss CO
. Pour des motifs de politique sociale, entre autres considérations, le législateur fédéral a jugé bon de régler spécifiquement la compétence à raison du lieu en matière d'actions fondées sur un tel contrat (
art. 24 al. 1 LFors
). De surcroît, il a attribué à cette réglementation un caractère semi-impératif, afin d'éviter que le travailleur ne se voie privé du for prévu par la loi (
art. 21 let
. d LFors). Un grand nombre de cantons ont, en outre, introduit des juridictions spéciales en matière de droit du travail, à savoir des tribunaux de prud'hommes. De plus, certains des différends en ce domaine sont soumis à une procédure simplifiée et à la maxime inquisitoire sociale (ancien
art. 343 al. 2 et 4 CO
; art. 243 al. 1 et 247 al. 2 let. b ch. 2 CPC). De ces constatations, on peut inférer, sur un plan plus général, une volonté affirmée du pouvoir législatif de soumettre ce type de contrat à un traitement procédural particulier et, si possible, unifié. Pareille impression est du reste corroborée par la jurisprudence et la doctrine relatives à l'ancien
art. 343 al. 1 CO
. Il en appert le souci de voir la contestation en matière de contrat de travail tranchée dans son intégralité au for et selon les règles établis à cette fin, même lorsque la prétention litigieuse repose sur un double fondement, contractuel et délictuel, pour peu que le différend prenne sa source dans les rapports de travail (arrêt 4C.440/1995 du 6 mai 1997 consid. 7, in Jahrbuch des schweizerischen Arbeitsrechts [JAR]1998 p. 306; ADRIAN STAEHELIN, Commentaire zurichois, 1996, n° 7 ad
art. 343 CO
; JÜRG BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2
e
éd. 1996, n° 1 ad
art. 343 CO
p. 460; ULLIN STREIFF/ADRIAN VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6
e
éd. 2006, n° 5 ad
art. 343 CO
p. 917 i.f.). Il y a là de solides arguments en faveur de la solution qui fait
BGE 137 III 311 S. 323
prédominer, en règle générale, le for contractuel. Il s'agit aussi d'éviter que le fondement délictuel de l'action, qui sera souvent accessoire par rapport au fondement contractuel, ne serve qu'à attirer la partie défenderesse devant le tribunal du domicile du demandeur (
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). Il ne paraît pas inconciliable, enfin, de renvoyer le travailleur à agir devant le for contractuel en cas de concours d'actions, à l'instar de l'employeur, tout en lui permettant d'assigner ce dernier devant le for de l'
art. 25 LFors
, en vertu de l'
art. 7 al. 2 LFors
, lorsqu'il élève contre lui diverses prétentions dont l'une repose sur un acte illicite commis en dehors du cadre des rapports de travail.
Appliquées au cas particulier, ces réflexions commandent de confirmer, sinon les motifs, du moins la décision d'irrecevabilité pour défaut de compétence
ratione loci
prise pas la II
e
Cour d'appel. Le différend qui divise les parties prend racine dans les seuls rapports de travail noués par elles. Dès lors, il paraît raisonnable de le soumettre au tribunal chargé de connaître des actions relatives au contrat de travail, conformément à l'
art. 24 LFors
, soit à la juridiction neuchâteloise compétente. Force est, d'ailleurs, de relever le caractère artificiel de la construction juridique échafaudée par le recourant à l'effet d'établir la compétence des tribunaux fribourgeois, dans la mesure où cette construction repose sur la combinaison de la règle touchant le cumul objectif d'actions et de celle que l'intéressé voudrait poser pour l'action à double fondement (ou concours d'actions). Ce caractère artificiel est illustré également par le fait que le recourant entend soumettre le même comportement de l'employeur - le prétendu harcèlement psychologique - à un régime juridique distinct (responsabilité délictuelle/responsabilité contractuelle) en fonction du critère purement contingent que constitue le moment où ce comportement a sorti ses effets (avant ou après le licenciement). Il n'est, au demeurant, pas certain que l'on ait véritablement affaire, ici, à une action à double fondement, s'il faut admettre, avec TERCIER/FAVRE/EIGENMANN (Les contrats spéciaux, 4
e
éd. 2009, n° 3521) qu'il y a de bons motifs pour appliquer la règle spéciale de l'
art. 328 CO
lorsqu'elle est invoquée concurremment avec la règle générale de l'
art. 28 CC
.
Cela étant, il y a lieu de rejeter le recours. | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
acf48cfa-e4fe-4482-9265-f77a7781d19b | Urteilskopf
104 V 64
13. Urteil vom 13. April 1978 i. S. W. gegen Ausgleichskasse des Kantons Aargau und Obergericht des Kantons Aargau | Regeste
Anspruch auf Kinderrente während der Ausbildung (
Art. 22ter Abs. 1 und
Art. 25 Abs. 2 AHVG
).
- Zumutbarer Einsatz als Bestandteil systematischer Berufsvorbereitung (Erw. 1-3).
- Ausbildungscharakter eines Abendkurses. Ist dem Besucher eines Abendkurses zuzumuten, gleichzeitig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine Kinderrente ausschliessen würde (Erw. 4)? | Sachverhalt
ab Seite 64
BGE 104 V 64 S. 64
A.-
Dr. W. bezieht eine einfache AHV-Altersrente. Bis Juni 1976 erhielt er auch eine Kinderrente für den am 4. Februar 1954 geborenen Sohn Adrian. Dieser hatte bis zum 21. April 1974 eine Drogistenlehre absolviert. Die Kinderrente wurde Dr. W. deshalb über den Monat April 1974 hinaus gewährt, weil er erklärt hatte, dass sein Sohn keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und sich im zweiten Bildungsweg bei der Akademikergemeinschaft auf die Matura vorbereite.
Am 13. Mai 1975 teilte Dr. W. der Ausgleichskasse des Kantons Aargau mit, sein Sohn werde am 10. Juni 1975 in einen dreimonatigen Vorkurs der kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene eintreten und, sofern er die Voraussetzungen erfülle, im Herbst an dieser Schule studieren. Darauf zahlte die Ausgleichskasse die Kinderrente weiter aus, verlangte aber von Dr. W. am 19. September 1975 einen Ausweis über die bevorstehende Aufnahme des in Aussicht gestellten Studiums.
BGE 104 V 64 S. 65
Es ergab sich, dass Adrian in die Maturitätsschule nicht aufgenommen worden war, nach den Angaben seines Vaters deshalb, weil seine Sprachkenntnisse nicht genügten. Dr. W. teilte der Ausgleichskasse ferner mit, Adrian werde deshalb vom 17. November 1975 bis April 1976 einen Kurs bei der Alliance française in Paris besuchen.
Vom 14. Juni 1976 hinweg folgte Adrian wiederum dem Vorkurs (Abendschule) an der kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene. Die Ausgleichskasse sistierte jedoch ab Juli 1976 die Kinderrente und machte Dr. W. mit Schreiben vom 6. Juli 1976 darauf aufmerksam, dass der Besuch von Abendschulen nicht unter den AHV-rechtlichen Begriff der Ausbildung falle und sie die Kinderrente für die Zeiten vom 1. Mai 1974 bis 30. November 1975 sowie vom 1. Mai bis 30. Juni 1976 unter Umständen zurückfordern müsse. Hierauf gab Dr. W. der Ausgleichskasse am 12./20. Juli 1976 erstmals bekannt, dass sein Sohn sich schon während der Lehre auf die eidgenössische Matura vorbereitet habe, um nachher ein Studium aufzunehmen. Er sei bei der Lehrabschlussprüfung durchgefallen, habe diese ein Jahr später wiederholt und am 15. April 1975 bestanden und somit während des Jahres 1975 zu Hause den Lehrstoff der Drogistenschule wiederholen müssen.
Er habe ihm mit dem Verzicht darauf, von ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu fordern, die Chancen für ein akademisches Studium erleichtern wollen, obschon der Sohn nach seiner Meinung für dessen Bewältigung keine spezielle Eignung besitze. Auf diese Auskünfte hin hob die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 22. Juli 1976 die Kinderrente rückwirkend ab 30. April 1976 bzw. 30. April 1975 auf mit der Begründung, die Ausbildung sei am 15. April 1975 (Lehrabschlussprüfung) zu Ende gegangen. Der zuviel bezogene Rentenbetrag sei zurückzuerstatten. Die Kasse fügte bei, für die Zeit des Auslandaufenthalts vom 1. Dezember 1975 bis 30. April 1976 habe Anspruch auf die Kinderrente bestanden.
B.-
Gegen die Verfügung vom 22. Juli 1976 reichte Dr. W. Beschwerde ein mit dem Begehren, die Rückforderung sei aufzuheben und die Kinderrente sei ab 30. April 1976 weiter auszurichten.
Das Obergericht des Kantons Aargau vertrat die Auffassung, Adrian habe sich vom 15. April 1975 bis November 1975 und ab Mitte April 1976 nicht systematisch auf die
BGE 104 V 64 S. 66
eidgenössische Matura vorbereitet; sonst hätte er bereits im November 1975 in die Tagesschule der kantonalen Maturitätsschule aufgenommen werden können. Zudem hätte er den Vorkurs ohne weiteres auch neben einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit besuchen können. Unerheblich sei, dass der Beschwerdeführer seinen Sohn nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verhalten habe, sondern für ihn aufgekommen sei. Die Rückforderung der Ausgleichskasse bestehe daher zu Recht. Am 19. November 1976 hat die Vorinstanz die Beschwerde abgewiesen.
C.-
Dr. W. erneuert mit der gegen diesen Entscheid erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde sein vorinstanzlich gestelltes Begehren.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung pflichten den Darlegungen im angefochtenen Entscheid bei und beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
In tatbeständlicher Hinsicht ist zunächst folgendes festzuhalten:
Adrian W. absolvierte bis zum 21. April 1974 die Drogistenlehre. Vom Oktober 1971 bis Juli 1974 bezog er von der Akademikergemeinschaft 42 Monatspensen, bearbeitete aber lediglich deren vier; nach Juli 1974 bestand keinerlei Kontakt mehr zur Akademikergemeinschaft (Auskunft der Akademikergemeinschaft gegenüber der Ausgleichskasse vom 1. Juli 1976). Vom Juli 1974 bis November 1974 absolvierte Adrian die Rekrutenschule. Am 15. April 1975 bestand er die Lehrabschlussprüfung, und vom 10. Juni bis 4. Oktober 1975 besuchte er erstmals den Vorkurs der kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene. Vom 15. November 1975 bis April 1976 weilte er zum Besuch des Französischkurses der Alliance française in Paris, und am 14. Juni 1976 begann er zum zweiten Mal den Vorkurs der kantonalen Maturitätsschule, den er in der Folge bestand, so dass er im Herbst 1976 in die eigentliche Maturitätsschule (Tagesschule) aufgenommen werden konnte.
2.
Streitig ist lediglich, ob der Beschwerdeführer für die Monate Mai bis November 1975 sowie vom Mai 1976 hinweg Anspruch auf Kinderrente habe.
BGE 104 V 64 S. 67
Über das 18. Altersjahr hinaus besteht der Anspruch auf Kinderrente zur AHV-Altersrente nur dann, wenn das Kind noch in Ausbildung begriffen ist (Art. 22ter Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 25 Abs. 2 AHVG
). Als in Ausbildung begriffen gelten Kinder, die während einer bestimmten Zeit Schulen oder Kurse besuchen oder der beruflichen Ausbildung obliegen. Unter beruflicher Ausbildung ist jede Tätigkeit zu verstehen, welche die systematische Vorbereitung des Kindes auf eine künftige Erwerbstätigkeit zum Ziel hat und während welcher das Kind mit Rücksicht auf den vorherrschenden Ausbildungscharakter ein wesentlich geringeres Erwerbseinkommen erzielt, als ein Erwerbstätiger mit abgeschlossener Berufsbildung orts- und branchenüblich erzielen würde. Das Arbeitsentgelt gilt dann als wesentlich geringer als dasjenige eines Vollausgebildeten, wenn es nach Abzug der besondern Ausbildungskosten um mehr als 25% unter dem ortsüblichen Anfangslohn für voll ausgebildete Erwerbstätige der entsprechenden Branche liegt (
BGE 102 V 163
und 210).
3.
Wer sich in der kantonalen Maturitätsschule auf die eidgenössische Maturitätsprüfung vorbereiten will, hat notwendigerweise einen Vorkurs zu besuchen. Die Absolventen, die diesen Vorkurs bestehen, können anschliessend in die eigentliche Maturitätsschule aufgenommen werden. Der Vorkurs dient also der Prüfung, ob sich der Aufnahmebewerber für die Maturitätsschule eignet. Deshalb bezweckt nicht nur die eigentliche Maturitätsschule, sondern auch der Vorkurs im Sinne der Rechtsprechung die systematische Vorbereitung auf die künftige Erwerbstätigkeit. An dieser Zweckbestimmung vermag der Umstand, dass der Vorkurs als Abendschule organisiert ist, nichts zu ändern. Insofern kann der Vorinstanz, die den Besuch von Abendkursen grundsätzlich nicht als Ausbildung im Sinne des AHVG betrachtet, nicht beigepflichtet werden.
Eine andere Frage ist es, ob Adrian sich im Vorkurs systematisch auf die Maturitätsschule bzw. auf einen künftigen Beruf vorbereitet, mit andern Worten, ob er mit dem notwendigen und ihm zumutbaren Einsatz und Willen sich im Vorkurs dieser systematischen Vorbereitung gewidmet hat. Die Vorinstanz verneint dies deshalb, weil Adrian wegen mangelnder Leistung nicht schon im Herbst 1975, sondern erst ein Jahr später in die Maturitätsschule aufgenommen
BGE 104 V 64 S. 68
worden ist. Sie schliesst also aus dem schulischen Misserfolg im November 1975 und der dadurch bedingten Verlängerung des Studiums auf unsystematische Berufsvorbereitung.
Gewiss genügt es für die systematische Berufsvorbereitung nicht, dass eine Person rein formell die dafür nötigen Schulen und Praktika absolviert. Die systematische Vorbereitung im Sinne der Rechtsprechung verlangt darüber hinaus, dass die betreffende Person die Ausbildung mit dem ihr objektiv zumutbaren Einsatz betreibt, um sie innert nützlicher Frist erfolgreich hinter sich zu bringen. Benötigt sie aber eine überdurchschnittlich lange Ausbildungszeit oder kommt es gar zu einem Misserfolg, so darf aus diesen Umständen allein nicht geschlossen werden, die betreffende Person habe sich in der Ausbildung zu wenig eingesetzt. Denn Misserfolg und lange Ausbildungszeit können auch auf mangelnder Begabung beruhen und schliessen alsdann einen hinreichenden Einsatz in der Ausbildung nicht aus. Sie können aber Indizien für die Einsatzbereitschaft sein, die indessen zusammen mit dem gesamten übrigen Sachverhalt gewürdigt werden müssen.
Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die um ein Jahr verspätete Aufnahme in die Maturitätsschule auf mangelnden Einsatz des Adrian im Vorbereitungskurs 1975 zurückzuführen wäre. Nach den glaubwürdigen Darlegungen des Beschwerdeführers hat sein Sohn deshalb nicht schon im Herbst 1975 in die Maturitätsschule übertreten können, weil seine Sprachkenntnisse damals nicht genügten, ein Mangel, der durch den Französischkurs vom Frühjahr 1976 offenbar behoben wurde, so dass die Aufnahme in die Maturitätsschule im Herbst 1976 möglich geworden ist. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Adrian schon die Lehrabschlussprüfung erst beim zweiten Anlauf bestanden hat und dass der Beschwerdeführer selber die Auffassung vertrat, sein Sohn sei für das Studium nicht besonders geeignet. Alle diese Umstände weisen eher darauf hin, dass nicht so sehr fehlender Fleiss als vielmehr mangelnde Begabung den verspäteten Eintritt in die Maturitätsschule verursacht hat. Darum könnte die Kinderrente allein deshalb, weil Adrian den Vorkurs wegen ungenügender Leistung einmal wiederholen musste, nicht verweigert werden.
4.
Der Kinderrentenanspruch setzt nach der Rechtsprechung aber nicht nur die systematische Vorbereitung auf die
BGE 104 V 64 S. 69
künftige Erwerbstätigkeit voraus. Kumulativ wird verlangt, dass der Sohn oder die Tochter, für die eine Kinderrente verlangt wird, "mit Rücksicht auf den vorherrschenden Ausbildungscharakter" ein um mehr als 25% geringeres Arbeitsentgelt erhält, als eine voll ausgebildete Person orts- und branchenüblich erreichen würde. Das bedeutet, dass die Ausbildung die Ursache für den wesentlich geringeren Verdienst sein muss.
Der Sinn der Abendschulen besteht in erster Linie darin, Erwerbstätigen Gelegenheit zu geben, sich ohne oder mindestens ohne vollständige Aufgabe ihrer Tätigkeit beruflich zu bilden. Für eine Person, die - wie Adrian - überhaupt noch nie erwerbstätig gewesen ist, stellt sich angesichts der oben dargelegten Rechtsprechung zum Kinderrentenanspruch die Frage, ob ihr zugemutet werden muss, während der Dauer der Abendschule eine Tätigkeit aufzunehmen, die ihr erlauben würde, ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen. Alsdann wäre nämlich klargestellt, dass die Zeit der Abendkurse trotz deren Ausbildungscharakter nicht als Ausbildungszeit im Sinne der Rechtsprechung gelten könnte. So weit geht im vorliegenden Fall sogar die Ausgleichskasse nicht. Diese mutet Adrian lediglich die Aufnahme einer Halbtagsbeschäftigung zu, wie ihrem Schreiben vom 6. Juli 1976 an den Beschwerdeführer und ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort zu entnehmen ist. Dabei übersieht sie aber, dass Adrian bei Aufnahme einer halbtägigen Erwerbstätigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach keinen rentenausschliessenden Verdienst erzielen würde. Indessen kann die Frage nach der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit im vorliegenden Fall aus den nachstehenden Überlegungen offen bleiben.
In dem in ZAK 1967 S. 550 publizierten Urteil hat das Eidg. Versicherungsgericht die Ausbildung als nicht rechtserheblich unterbrochen erachtet, weil zwischen Matura und Hochschulstudium volle zwei Semester lagen, während denen der Sohn teils obligatorischen Militärdienst leistete, teils deshalb zwischen zwei Militärdiensten die Hochschule nicht besuchte, weil der Militärdienst ihm den Besuch während des ganzen Semesters ohnehin nicht erlaubt hätte. Dabei liess das Gericht dahingestellt, ob in der Zwischenzeit möglicherweise eine bescheidene Erwerbstätigkeit ausgeübt worden ist. In analoger Weise rechtfertigt es sich heute, die relativ kurze Zeitspanne zwischen der Lehrabschlussprüfung im April 1975
BGE 104 V 64 S. 70
und dem Beginn des Französischkurses bei der Alliance française im November 1975, der von Verwaltung und Vorinstanz als Ausbildung im Sinne der Rechtsprechung anerkannt wird, nicht als erheblichen Unterbruch der Ausbildung zu betrachten. Dasselbe gilt für die Zeit nach Beendigung des Französischkurses im April 1976, da feststeht, dass Adrian im Herbst 1976 nach bestandenem Vorkurs in die eigentliche Maturitätsschule aufgenommen worden ist.
Der Anspruch auf Kinderrente bestand somit auch während der Monate Mai bis November 1975 und wiederum ab Mai 1976, weshalb die am 22. Juli 1976 verfügte Rentenaufhebung und Rentenrückforderung aufzuheben sind.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 19. November 1976 sowie die Kassenverfügung vom 22. Juli 1976 aufgehoben. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
acf901ef-7e2f-464f-bc75-73c09ed5279b | Urteilskopf
123 V 128
22. Arrêt du 30 juin 1997 dans la cause Mutuelle Valaisanne, caisse-maladie contre S. et Tribunal cantonal des assurances, Sion | Regeste
Art. 80 und 85 KVG
,
Art. 130 UVV
: Einspracheverfahren im Krankenversicherungsbereich.
- Form der Einsprache.
- Anwendung der von der Rechtsprechung im Unfallversicherungsbereich entwickelten Grundsätze.
- Verpflichtung des Versicherers, den Versicherten, dessen Einsprache nicht genügend begründet oder unklar ist, darauf aufmerksam zu machen. | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 123 V 128 S. 128
A.-
Par décision du 5 août 1996, la Mutuelle Valaisanne a mis fin au versement d'indemnités journalières à S., au motif qu'à partir de cette date, il ne subissait plus d'incapacité de travail. La Mutuelle Valaisanne rendait l'assuré attentif au fait qu'en cas de désaccord, il pouvait faire opposition dans les 30 jours dès communication de la décision; l'opposition devait être écrite et motivée.
BGE 123 V 128 S. 129
Les 28 août et 4 septembre 1996, l'employeur a adressé à la Mutuelle Valaisanne, pour le compte de S., deux certificats médicaux du Docteur P., selon lequel le prénommé était incapable de travailler à 50%, du 2 mai au 27 août 1996, et à 100% dès le 28 août 1996. Le 9 septembre 1996, l'assuré a formé opposition écrite et motivée.
La Mutuelle Valaisanne a considéré, le 18 octobre 1996, que l'opposition motivée était tardive et que l'envoi des certificats médicaux ne constituait pas une opposition. Elle a dès lors refusé de rendre une décision sur opposition.
B.-
Par jugement du 22 janvier 1997, le Tribunal cantonal des assurances du canton du Valais a admis le recours déposé par S. Il a renvoyé la cause à la Mutuelle Valaisanne pour instruction complémentaire éventuelle et décision sur opposition dans le sens des considérants. Les juges cantonaux ont considéré en bref que si l'opposition formelle écrite était tardive, l'envoi des certificats médicaux devait en revanche être considéré comme valant opposition.
C.-
La Mutuelle Valaisanne interjette recours de droit administratif contre ce jugement; elle en demande l'annulation et le rétablissement de sa décision du 5 août 1996.
S. conclut à l'admission (recte: au rejet) du recours, sous suite de frais et dépens.
L'Office fédéral des assurances sociales a renoncé à se déterminer.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le litige porte sur la régularité de l'opposition formée par S.
a) Contrairement au point de vue soutenu par l'assuré, le Tribunal cantonal a considéré que l'opposition écrite motivée, adressée le 9 septembre 1996, était tardive.
b) Aux termes de l'
art. 85 al. 1 LAMal
, toute décision peut être attaquée, dans les trente jours, par voie d'opposition auprès de l'assureur qui l'a notifiée. La LAMal ne prévoit pas de période de suspension des délais de procédure; elle ne contient pas davantage de renvoi aux dispositions de la procédure administrative, particulièrement aux art. 20 à 24 PA; enfin, la loi fédérale sur la procédure administrative ne fait pas entrer dans son champ d'application les litiges entre les caisses-maladie et leurs assurés (
art. 1er PA
a contrario). Dès lors, le délai de trente jours prévu à l'
art. 85 al. 1 LAMal
pour faire opposition ne peut être, ex lege, suspendu. Sur ce point, le jugement cantonal doit être confirmé.
BGE 123 V 128 S. 130
2.
La recourante soutient d'abord que l'opposition doit être formulée par écrit pour en déduire que, faute par l'assuré de respecter cette obligation, sa décision entre en force.
Les
art. 80 et 85 LAMal
qui traitent de l'opposition ne contiennent pas de prescriptions à cet égard. Il en va de même des conditions générales de la caisse recourante qui se limitent à reproduire le texte de la loi (art. 32 et 33 des conditions générales d'assurance). On ne peut dès lors déduire de ces textes l'existence d'une obligation de recourir à la forme écrite, comme condition de validité de l'acte. Par ailleurs, les travaux législatifs (commission d'experts, commissions parlementaires et chambres fédérales) ne permettent pas de considérer qu'en instaurant la procédure d'opposition dans la LAMal, le législateur a voulu prescrire la forme écrite pour y procéder. Le message du Conseil fédéral concernant la révision de l'assurance-maladie du 6 octobre 1991 fait référence tant à la LPGA (en réalité au projet de Loi fédérale sur la partie générale du droit des assurances sociales) dont les articles topiques ne fixent pas la forme écrite pour la procédure d'opposition (
art. 58 LPGA
) qu'à la procédure en vigueur en matière d'assurance-accidents où la forme écrite ne constitue que l'une des modalités de l'opposition (
art. 130 OLAA
). On ne peut davantage en conclure que la LAMal imposerait de recourir à la forme spéciale écrite pour former opposition.
Pour la doctrine, la procédure d'opposition ne pose pas d'exigences quant à la forme. Celle-ci peut être faite aussi bien oralement que par discussion avec l'assureur, dans le but d'en faciliter l'accès à l'assuré (MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, p. 163).
On ne voit pas comment, dans ces conditions, il y aurait encore lieu de considérer que la loi comporte une lacune authentique qui appellerait une intervention du juge en application des principes généraux de l'
art. 1er al. 2 CC
(
ATF 118 V 173
, consid. 2b). Le texte de la loi n'exige en effet nullement qu'une règle soit posée pour en permettre l'application.
La conclusion des juges cantonaux qui n'ont pas tenu la forme écrite spéciale comme obligatoire dans la procédure d'opposition s'avère ainsi conforme au droit.
3.
La recourante soutient enfin que, pour être prise en considération, l'opposition doit être motivée dans les trente jours, par application analogique de l'
art. 130 OLAA
.
a) Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances rendue en matière d'assurance-accidents, l'opposition constitue une sorte de procédure de reconsidération qui confère à l'autorité ayant statué la
BGE 123 V 128 S. 131
possibilité de réexaminer sa décision avant que le juge ne soit éventuellement saisi. Il s'agit d'un véritable "moyen juridictionnel" ou "moyen de droit" (ATF
ATF 118 V 185
consid. 1a et les références). A ce titre, l'opposition doit être motivée, faute de quoi elle manque son but, lequel est d'obliger l'assureur à revoir sa décision de plus près (
ATF 118 V 186
consid. 2b). En d'autres termes, il doit être possible de déduire des moyens de l'opposant une argumentation dirigée contre le dispositif de la décision et susceptible de mener à sa réforme ou à son annulation (
ATF 102 Ib 372
consid. 6; RCC 1988 p. 486 sv. consid. 3a; GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents, p. 285). Il appartient à l'assuré de déterminer l'objet et les limites de sa contestation, l'assureur devant alors examiner l'opposition dans la mesure où sa décision est entreprise (
ATF 119 V 350
consid. 1b).
Il n'y a pas de raison de ne pas appliquer à la procédure d'opposition en matière d'assurance-maladie les principes susmentionnés élaborés en relation avec l'assurance-accidents. En effet, les développements précédents résultent d'un concept général de la procédure administrative et ne sont pas spécifiques au domaine de l'assurance-accidents.
b) Cela étant, les exigences de forme relatives à l'opposition ne sauraient être plus sévères que celles qui ont trait à la recevabilité du recours devant l'autorité cantonale. A cet égard, l'art. 87 let. b seconde phrase LAMal prévoit que, si l'acte ne contient pas notamment un exposé succinct des motifs, le tribunal impartit un délai convenable à son auteur pour combler les lacunes (comp. GHÉLEW/RAMELET/RITTER, op.cit. p. 285). Aussi bien, par analogie avec la disposition légale précitée, l'assureur-maladie doit-il impartir à l'assuré un délai convenable pour que celui-ci remédie au défaut de motivation de son opposition. Ainsi, il incombe dans tous les cas à l'assureur d'interpeller l'assuré dont l'opposition ne serait pas suffisamment motivée ou claire avant d'en tirer des conséquences définitives (MAURER, op.cit. p. 163; GHÉLEW/RAMELET/RITTER, op.cit. p. 285). Le comportement contraire de l'assureur relèverait en effet du formalisme excessif, proche du déni de justice, dès lors que la stricte application d'une règle de procédure - au demeurant non écrite - ne se justifie par aucun intérêt digne de protection (comp. RAMA 1988 no U 60 p. 442 ss consid. 2a, 2b et 2c).
c) Dans le cas d'espèce, l'assuré a fait envoyer, dans le délai de trente jours, deux certificats médicaux destinés, selon leur contenu, à démontrer que, contrairement à la décision de la recourante qui le considérait comme
BGE 123 V 128 S. 132
totalement rétabli, il souffrait encore d'une incapacité de travail partielle, voire totale. Selon le principe de la confiance, applicable en matière administrative, l'envoi de ces certificats ne pouvait être compris par la recourante que comme la manifestation - imparfaitement formulée - d'une opposition à sa décision. Dans ces circonstances, la recourante avait l'obligation d'interpeller son assuré, avant de pouvoir considérer sa décision comme définitive, ce que les juges cantonaux ont admis à bon droit.
Sur le vu de ce qui précède, le recours doit dès lors être rejeté.
(Dépens) | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad07e97a-b0f4-467a-a5aa-7559137d2786 | Urteilskopf
98 II 15
4. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. März 1972 i.S. Stalder gegen Mathis. | Regeste
Grundlagenirrtum.
1.
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 und 220 OR
. Kauf von Bauland, das nachträglich wegen Lawinengefahr mit einem Bauverbot belegt wird. Irrtum über einen künftigen Sachverhalt? Rechte des Käufers. Gefahrtragung (Erw. 1 und 2).
2.
Art. 31 OR
. Gewährleistung und Grundlagenirrtum. Erheblichkeit der Lawinengefahr. Entdeckung des Irrtums über die Gefahr. Missbräuchliche Berufung auf den Irrtum verneint (Erw. 3).
3.
Art. 975 Abs. 1 ZGB
. Nach dieser Bestimmung kann auch klagen, wer im Grundbuch zu Unrecht als Eigentümer eingetragen ist und an der Beseitigung des Eintrages ein schutzwürdiges Interesse hat (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 98 II 15 S. 16
A.-
Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 16. März 1964 kaufte Frau Stalder von Arnold Mathis südwestlich von Samedan, im Gebiete von Ariefa, 618 m2 Wiesland zu Fr. 40.- den m2. Sie wollte dort ein Ferienhaus erstellen lassen. Die Parzelle wurde am 23. Juni 1964 als Nr. 1508 auf den Namen der Käuferin im Grundbuch eingetragen. Vorher gehörte sie zu einem Grundstück von 6500 m2, das Mathis 1962 als Bauland erworben hatte. Mathis hatte sich damals bei der Gemeinde nach der Bebaubarkeit des Landes erkundigt und dabei erfahren, dass nach einem Zonenplan, den der Kreisförster Bisaz im November 1960 gestützt auf Erfahrungen erstellt hatte, der grösste Teil des Grundstückes ausserhalb des im Januar 1951 von Lawinen erfassten Gebietes lag.
Je eine Parzelle unmittelbar unterhalb derjenigen von Frau Stalder verkaufte Mathis an Lilly Wirth und Julius Rüegger, die im Frühjahr 1964 bzw. 1965 die Baubewilligung erhielten und dann auf ihrem Grundstück ein Ferienhaus errichten liessen. Ein weiteres Nachbargrundstück südwestlich der Parzelle Nr. 1508 wurde ebenfalls überbaut.
Im Frühjahr 1965 wandte Frau Stalder sich wegen des geplanten Baues an die Gemeinde Samedan. Diese antwortete ihr am 3. Mai 1965, dass sie im Falle eines Gesuches innert 2-3 Wochen mit einer Baubewilligung rechnen könnte. Frau Stalder sah vom Gesuch jedoch noch ab.
Im Herbst 1966 erstellte Kreisförster Bisaz im Auftrage der Gemeinde einen Lawinenzonenplan, der für die Bewilligung von Baugesuchen massgebend sein sollte. Nach diesem Plan erfasste die Zone, für welche Bisaz wegen Lawinengefahr ein gänzliches Bauverbot vorschlug, auch die Parzellen der Frau Stalder, der Lilly Wirth und des Julius Rüegger. Der Kreisförster begründete seinen Vorschlag damit, dass die nächste Umgebung der 1951 von Lawinen erfassten Gebiete ebenfalls als gefährdet zu betrachten sei. Frau Stalder erfuhr davon im Juni 1967 insbesondere durch Mathis, der ihr empfahl, das Baugesuch sogleich einzureichen, was sie am 10. Juli tat. Ihr Gesuch wurde am 11. August 1967 von der Gemeinde jedoch abgelehnt; auf
BGE 98 II 15 S. 17
Beschwerde hin wurde es bis zum Entscheid über den Lawinenzonenplan, gegen den Frau Stalder Einsprache erhob, zurückgestellt. Die Gemeinde und auf Rekurs hin am 14. Juli 1969 auch der Kleine Rat des Kantons Graubünden wiesen die Einsprache ab. Der Kleine Rat stützte sich vor allem auf ein Gutachten des eidgenössischen Institutes für Schnee- und Lawinenforschung Weissfluhjoch-Davos vom 12. September 1968. Über die Lawinengefahr im Gebiet der Ariefa führte das Institut insbesondere aus, die Gefahrenzone erscheine wegen der Seltenheit von Lawinengängen als weit gezogen; gleichwohl sollte das Gebiet nicht zur Bebauung freigegeben werden, da sonst die Gemeinde bei jedem grösseren Schneefall zu Sicherheitsmassnahmen gezwungen wäre. Mit verstärkter Bauweise könnten nur Sachschäden verhütet werden; der Verkehr von und zu den Häusern, auch der öffentliche, bliebe ungeschützt.
B.-
Am 11. September 1969 teilte Frau Stalder dem Mathis mit, dass sie den Kaufvertrag vom 16. März 1964 wegen Grundlagenirrtums für unverbindlich halte und den Betrag von Fr. 25'560.-- zurückfordere. Mathis widersetzte sich dem Begehren. Frau Stalder klagte daraufhin die Forderung nebst Zins ein. Sie verlangte zudem, dass der Richter das Grundbuchamt Samedan anweise, den Beklagten als Eigentümer der Parzelle Nr. 1508 einzutragen.
Das Kantonsgericht von Graubünden wies die Klage am 15. Juli 1971 ab. Es nahm an, die Klägerin hätte wie ihre Nachbarn Wirth und Rüegger bereits im Sommer 1964 oder 1965 bauen können, denn das Bauverbot sei erst mehrere Jahre nach Abschluss des Vertrages erlassen worden. Gemäss
Art. 220 OR
gehe die Gefahr aber mit der Übernahme des Grundstücks auf den Käufer über. Die Klägerin müsse die Folgen des Verbotes deshalb selber tragen, zumal der Beklagte sich im Jahre 1966 anerboten habe, die Parzelle zurückzukaufen. Unter diesen Umständen könne sie sich nicht auf Grundlagenirrtum im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
berufen.
C.-
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil die Berufung erklärt. Sie wiederholt ihre Klagebegehren, setzt die Forderung aber auf Fr. 25'060.45 herab und verlangt den Zins erst vom 15. September 1969 an. Sie macht geltend, das angefochtene Urteil verkenne das Wesen des Grundlagenirrtums sowie die gesetzliche Regelung über die Gefahrtragung beim Kauf.
Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
BGE 98 II 15 S. 18
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin die streitige Parzelle als Bauland erworben. Der Beklagte, der in Chur ein Architekturbüro und Baugeschäft betreibt, hat die Parzelle auch als solches verkauft. Er gab sie schon in seiner Offerte vom 25. November 1963 als Bauland aus und sicherte der Klägerin zu, dass das Grundstück vollständig erschlossen sei. Einer Mitteilung der Brandversicherungsanstalt Graubünden vom 17. Mai 1962 konnte er freilich entnehmen, dass das Grundstück in einer Zone lag, die laut einem Plan der Anstalt vom 16. Dezember 1950 als lawinengefährdet galt und von der Versicherung solange ausgeschlossen werden sollte, bis Schutzbauten gegen Lawinen errichtet würden. Die Gemeinde stellte bei der Erteilung von Baubewilligungen, wie der Beklagte wusste, jedoch nicht auf diesen Plan ab. Der Beklagte war beim Abschluss des Vertrages wie die Klägerin vielmehr überzeugt, dass die Liegenschaft überbaut werden dürfe. Die Parteien waren noch 1966 dieser Meinung. Das erhellt daraus, dass der Beklagte im Mai 1966 (umsonst) versuchte, das veräusserte Bauland von der Klägerin zurückzukaufen, aber nicht um sie vor Schaden zu bewahren, wie das Kantonsgericht anzunehmen scheint, sondern um durch Zusammenlegen mehrerer Parzellen selber ein grösseres Bauvorhaben zu verwirklichen.
Die Annahme der Vertragsparteien, die Parzelle Nr. 1508 dürfe überbaut werden, erwies sich jedoch als falsch, da die Behörden das Grundstück nach Prüfung der Lawinengefahr durch Sachverständige dem gefährdeten Gebiet zurechneten. Die irrige Vorstellung über die Bebaubarkeit war beiden Parteien gemeinsam. Sie war Voraussetzung dafür, dass die Klägerin sich für das Grundstück interessierte und der Beklagte es als Bauland verkaufte. Die Parteien unterstellten somit einen Sachverhalt, der für sie die Grundlage des Vertrages bildete und von der Klägerin nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr auch als gegeben vorausgesetzt werden durfte. Ein solcher Irrtum ist wesentlich im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
(
BGE 84 II 519
und
BGE 97 II 46
mit Hinweisen).
2.
Das Bundesgericht hat es wiederholt abgelehnt, einen Irrtum über einen künftigen Sachverhalt nach
Art. 24 Ziff. 4 OR
zu berücksichtigen (vgl. insbesondere
BGE 91 II 280
Erw. 3; fernerBGE 45 II 322,
BGE 47 II 315
/6,
BGE 53 II 139
,
BGE 66 I 312
Erw. 9).
BGE 98 II 15 S. 19
Unter gewissen Voraussetzungen hat es diese Möglichkeit in anderen Urteilen dagegen bejaht (
BGE 79 II 275
,
BGE 95 II 409
), was in der Lehre kritisiert worden ist (MERZ, ZbJV 1967 S. 17, 1971 S. 127). Zu dieser Kritik Stellung zu nehmen, erübrigt sich jedoch im vorliegenden Fall, denn entgegen der Annahme des Kantonsgerichtes ist der Umstand, dessentwegen der Klägerin die Baubewilligung verweigert wurde, nicht nach Abschluss des Vertrages eingetreten. Richtig ist bloss, dass die streitige Parzelle erst nach Vertragsabschluss in die Lawinenzone einbezogen und mit einem Bauverbot belegt worden ist. Der Grund für den Einbezug und das Verbot, nämlich die Lawinengefahr, bestand indes schon vorher. Wegen ihrer Lage im Auslaufgebiet und Wirkungsbereich bekannter Lawinen musste die Parzelle bei grösseren Schneefällen seit jeher als gefährdet gelten. Sie wurde nach den bei den Akten liegenden Zonenplänen, die auf Erfahrungen beruhen, im Januar 1951 denn auch von Lawinen erfasst. Dass die Gemeinde 1967, nach Abgrenzung der Lawinengebiete durch den Kreisförster, die Gefährdung für grösser hielt als in den früheren Jahren und ihre Bauordnung der neuen Erkenntnis anpasste, macht den Irrtum der Klägerin über die Bebaubarkeit der Parzelle daher nicht zu einem solchen über einen künftigen Sachverhalt. In ihren einleitenden Erwägungen ist die Vorinstanz übrigens nicht anderer Meinung, sieht sie den Grund für die Verweigerung der Baubewilligung doch selber darin, dass die Gemeinde die Lawinengefahr 1967 anders beurteilte als früher. Auf die nachträgliche Anpassung des Zonenplanes an die Gefahr kann umsoweniger etwas ankommen, als die Gemeinde schon nach Art. 48 Abs. 1 des bündnerischen Forstgesetzes (FG) vom 6. Oktober 1963 verpflichtet war, den Bau von Wohnhäusern in lawinengefährdeten Gebieten zu verhindern.
Daher geht die Vorinstanz auch mit der Annahme fehl, die Klägerin hätte die Baubewilligung erhalten, wenn sie sich wie ihre Nachbarn bereits 1964/65 dafür interessiert hätte. Das Kantonsgericht übersieht, dass die Gemeinde die Baugesuche der Lilly Wirth und des Julius Rüegger zu Unrecht bewilligte, da sich deren Parzellen nachträglich ebenfalls als gefährdet erwiesen. Dass die Klägerin sich Zeit liess und das Baugesuch erst 1967 einreichte, schadet ihr daher nicht. Entscheidend ist, dass die Lawinengefahr im Gebiete der Ariefa schon vor Abschluss des Vertrages bestand, aber erst zwischen 1966 und
BGE 98 II 15 S. 20
1969, als Sachverständige sich dazu äusserten, in ihrem ganzen Ausmass erkannt wurde. Die Sachverständigen weisen mit Recht darauf hin, dass man früher selbst grossen Lawinen wenig Beachtung schenkte, weil das Gebiet nicht überbaut war. Unter diesen Umständen kann der Klägerin auch nicht vorgeworfen werden, sie hätte sich schon vor dem Kauf über eine allfällige Gefahr Rechenschaft geben sollen, zumal ihr das Grundstück von einem Fachmann des Baugewerbes als völlig erschlossenes Bauland angeboten wurde. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall denn auch von dem in
BGE 95 II 407
veröffentlichten, wo es um eine an sich überbaubare, aber noch nicht baureife Parzelle ging.
Fehl geht die Vorinstanz ferner mit ihrem Hinweis auf
Art. 220 OR
. Die gesetzliche Vermutung über die Gefahrtragung gilt nur für den Fall, dass die Kaufsache zwischen dem Vertragsabschluss und dem Übergang zufällig untergeht oder an Wert verliert (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 1 und 5 zu
Art. 185 OR
; BECKER N. 1 und 3 zu Art 185 sowie N. 1 zu
Art. 220 OR
). Das Bauverbot der Gemeinde war keine Wertverminderung in diesem Sinne, denn die streitige Parzelle war schon vor dem Vertragsabschluss durch Lawinen gefährdet und deshalb nach
Art. 48 Abs. 1 FG
nicht bebaubar.
Entgegen der Annahme des Kantonsgerichtes verwirkte die Klägerin ihr Recht, sich auf Grundlagenirrtum zu berufen, auch nicht dadurch, dass sie im Mai 1966 dem Wunsch des Beklagten, der die Parzelle zurückkaufen wollte, nicht entsprach. Damals waren beide Parteien noch überzeugt, dass die Parzelle überbaut werden könne. Daran zu zweifeln, hatte insbesondere die Klägerin keinen Anlass. Die Absicht des Beklagten, das Grundstück zur Verwirklichung eines grösseren Bauvorhabens wieder zu erwerben, musste sie in ihrer Meinung, dass die Gemeinde die Baubewilligung erteilen werde, vielmehr bestärken.
3.
Der Beklagte macht unter Hinweis auf MERZ (Sachgewährleistung und Irrtumsanfechtung, in Festschrift für Theo Guhl, S. 86) und VON BÜREN (Schweiz. Obligationenrecht, S. 201) geltend, die Klägerin könne sich nicht auf Grundlagenirrtum, sondern höchstens auf Gewährleistungsrecht berufen; der Gewährleistungsanspruch sei aber schon vor Einleitung der Klage verjährt. Das Bundesgericht hat die Berufung auf Gewährleistung und Grundlagenirrtum indessen während Jahrzehnten
BGE 98 II 15 S. 21
so oft als zulässig bezeichnet (s. insbes.
BGE 82 II 420
Erw. 6 und
BGE 88 II 412
je mit Zitaten), dass diese Lösung heute eine Norm des Gewohnheitsrechts darstellt (OFTINGER, Bundesgerichtspraxis zum Allg. Teil des OR, S. 103). Hervorzuheben ist bloss, dass das Gewährleistungsrecht und die Irrtumsvorschriften nicht gleiche Tatbestände regeln und Ansprüche gewähren, die auf verschiedenem Rechtsgrund beruhen und unter verschiedenen Voraussetzungen entstehen, mag der Berechtigte mit den beiden Rechtsbehelfen auch den gleichen Zweck verfolgen.
Der Beklagte wendet ferner ein, die Lawinengefahr sei unerheblich, der Irrtum über die Gefahr folglich unbeachtlich. Der Einwand scheitert indes an den tatsächlichen Feststellungen des Kantonsgerichtes, das sich der Auffassung des eidg. Institutes für Schnee- und Lawinenforschung angeschlossen hat. Nach den Erhebungen des Institutes ist das Gebiet der Ariefa von drei Lawinenzügen bedroht, wobei die Wirkungsbereiche sich namentlich im Falle von Staublawinen teilweise überschneiden. Mit verstärkter Bauweise könnten höchstens Sachschäden verhütet, nicht aber Menschen auf den Zugängen zu den gefährdeten Grundstücken geschützt werden. Dass Auslaufgebiete und Wirkungsbereiche von Lawinen schwierig abzugrenzen sind, ist dem Institut nicht entgangen; es hat jedoch mit Recht auf die Gefahr bei grösseren Schneefällen abgestellt, mögen solche im obern Engadin auch selten sein.
Nicht gefolgt werden kann dem Beklagten auch darin, dass die Klägerin sich zu spät auf Irrtum berufen habe. Gewiss erfuhr sie bereits im Sommer 1967, dass ihr Baugesuch wegen Lawinengefahr abgelehnt werden könnte und die Gemeinde dann wider ihr Erwarten auch so entschied. Wenn die Klägerin daraufhin diesen Entscheid und den Lawinenzonenplan anfocht, bevor sie sich auf Irrtum berief, so gereicht ihr das jedoch nicht zum Nachteil. Eine nähere Abklärung der Lawinengefahr im Rechtsmittelverfahren lag nicht bloss nahe, sondern auch im Interesse beider Vertragsparteien. Die Gefahrenzone war zudem nur mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln. Dies ergibt sich daraus, dass der Kleine Rat ein einlässliches Gutachten für notwendig hielt. Erst als die Klägerin am 24. Juli 1969 von dessen Entscheid Kenntnis erhielt, stand für sie zweifelsfrei fest, dass das Grundstück wegen Lawinengefahr nicht für ein Ferienhaus taugte, mit einer Baubewilligung folglich nicht mehr zu
BGE 98 II 15 S. 22
rechnen war. Den Vertrag schon vorher wegen Irrtums unverbindlich zu erklären, konnte der Klägerin nicht zugemutet werden, zumal sie sich nicht mit einer bedingten Anfechtung begnügen durfte und im Falle einer Änderung des Planes zu ihren Gunsten die Erklärung nicht hätte widerrufen können (
BGE 72 II 403
Erw. 2). Lief die einjährige Frist des
Art. 31 OR
aber erst vom 24. Juli 1969 an, so war die Erklärung der Klägerin vom 11. September 1969, den Vertrag als unverbindlich behandeln zu wollen, nicht verspätet.
Dass die Berufung auf Grundlagenirrtum gegen Treu und Glauben verstosse, lässt sich nicht sagen. Ein solcher Verstoss liegt insbesondere nicht darin, dass die Klägerin sich erst nach dem Entscheid des Kleinen Rates entschlossen hat, den Vertrag anzufechten. Indem sie den Vertrag in seinem Bestand aufrechterhielt, bis das Ausmass der Lawinengefahr geklärt war, handelte sie vielmehr nach Treu und Glauben. Wie es sich verhält, wenn die Bebauung eines Grundstückes durch gesetzgeberische Massnahmen (z.B. der Raumplanung), die nach Abschluss des Kaufvertrages in Kraft treten, verunmöglicht wird, kann offen bleiben. Hier war die Bebaubarkeit wegen der Gefährdung schon bei Vertragsabschluss nicht gegeben, weshalb auf die nachträgliche Änderung des Zonenplanes nichts ankommt.
4.
Die Unverbindlichkeit des Kaufvertrages hat zur Folge, dass der Beklagte das Grundstück zurückzunehmen und der Klägerin den bezahlten Kaufpreis zurückzuerstatten hat. Die Forderung der Klägerin von Fr. 25'060.45 ist der Höhe nach nicht bestritten. Der Beklagte hat sie ab 15. September 1969, als er von der Anfechtungserklärung und der Forderung der Klägerin Kenntnis erhielt, mit 5% zu verzinsen.
Das Begehren der Klägerin, die streitige Parzelle im Grundbuch wieder auf den Namen des Beklagten einzutragen, ist der Sache nach eine Berichtigungsklage im Sinne von
Art. 975 ZGB
, denn der Registereintrag vom 23. Juni 1964 erfolgte gestützt auf ein ungültiges Rechtsgeschäft. Nach dieser Bestimmung ist zur Klage jedoch nur befugt, wer durch den Eintrag in seinen dinglichen Rechten verletzt ist. Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Gleichwohl rechtfertigt es sich, ihr Klagerecht zu bejahen; sie ist im Grundbuch zu Unrecht als Eigentümerin eingetragen worden und hat ein schutzwürdiges Interesse daran, den ungerechtfertigten Eintrag beseitigen zu lassen (
BGE 67 II 156
). Die
BGE 98 II 15 S. 23
analoge Anwendung von
Art. 975 ZGB
auf Fälle wie den vorliegenden wird von der Lehre denn auch ohne Bedenken befürwortet (HOMBERGER, N. 16 zu
Art. 965 ZGB
und dort angeführtes Schrifttum; vgl. ferner ZR 22 Nr. 5, ZBGR 3 S. 101 f.).
Der Beklagte hat das Begehren der Klägerin um Änderung des Grundbucheintrages in der Berufungsverhandlung übrigens für den Fall, dass die Klage aus Grundlagenirrtum geschützt werden sollte, ausdrücklich anerkannt. Dem Begehren ist daher zu entsprechen, das Grundbuchamt Samedan folglich anzuweisen, den Beklagten wieder als Eigentümer der Parzelle Nr. 1508 einzutragen. Eine Hinterlegung oder Sicherstellung des vom Beklagten zu leistenden Betrages ist nicht anzuordnen, da die Klägerin die Änderung des Grundbucheintrages nicht von solchen Bedingungen abhängig macht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtes Graubünden vom 15. Juli 1971 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 25'060.45 nebst 5% Zins seit 15. September 1969 zu bezahlen.
2.- Das Grundbuchamt Samedan in St. Moritz wird angewiesen, den Beklagten Arnold Mathis als Eigentümer der Parzelle Nr. 1508 in Samedan einzutragen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad0a3e25-749e-437b-a554-32dc6c406889 | Urteilskopf
139 V 225
30. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_984/2012 vom 6. Juni 2013 | Regeste
Art. 61 lit. a und c ATSG
; Kostentragung eines gerichtlich eingeholten Gutachtens im Verfahren der Unfallversicherung.
Die Kosten für ein Gutachten, welches das kantonale Gericht bei festgestellter Abklärungsbedürftigkeit im Sinne von
BGE 137 V 210
anstelle einer Rückweisung selber einholt, können auch im Verfahren der Unfallversicherung dem Versicherungsträger auferlegt werden (E. 4.3). | Erwägungen
ab Seite 226
BGE 139 V 225 S. 226
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Die Vorinstanz hat die Überbindung der Kosten des Gerichtsgutachtens mit Berufung auf
BGE 137 V 210
begründet. Sie hat ausgeführt, das von Prof. Dr. med. F. und PD Dr. med. A. erstellte Gerichtsgutachten vom 30. April 2012 habe den Eindruck bestätigt, den die übrigen medizinischen Akten erweckt hätten, und sei daher für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich gewesen, weshalb die Kosten dafür von der SUVA zu tragen seien.
4.2
In
BGE 137 V 210
hat das Bundesgericht erwogen, bei festgestellter Abklärungsbedürftigkeit, so namentlich bei nicht ausreichender Beweiswertigkeit der Abklärungsergebnisse aus dem Verwaltungsverfahren in rechtserheblichen Punkten, habe das angerufene kantonale Versicherungsgericht grundsätzlich selber eine medizinische Begutachtung anzuordnen (E. 4.4.1.3 bis 4.4.1.5). Wo zur Durchführung der vom Gericht als notwendig erachteten Beweismassnahme an sich eine Rückweisung in Frage käme, eine solche indessen mit Blick auf die Wahrung der Verfahrensfairness entfalle, seien die Kosten der Begutachtung durch eine medizinische Abklärungsstelle der IV (MEDAS) - so das Bundesgericht weiter - den IV-Stellen aufzuerlegen und nach der tarifvertraglichen Regelung zu berechnen. Die Vergütung der Kosten von MEDAS-Abklärungen als Gerichtsgutachten durch die IV-Stelle sei mit
Art. 45 Abs. 1 ATSG
(SR 830.1) durchaus vereinbar, da der Versicherungsträger gemäss dieser Bestimmung bei Nichtanordnen einer Massnahme deren Kosten dennoch zu übernehmen habe, wenn die Massnahmen für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich gewesen seien oder Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen gebildet hätten (E. 4.4.2).
4.3
Diese Erwägungen des Bundesgerichts betreffen die Vergütung der Kosten von MEDAS-Abklärungen als Gerichtsgutachten durch die IV-Stellen. Sie gelten indes sinngemäss auch für Gerichtsgutachten, welche das kantonale Gericht bei festgestellter Abklärungsbedürftigkeit in einem Verfahren der Unfallversicherung anstelle einer Rückweisung selber einholt, sind doch sowohl im Abklärungsverfahren der Invalidenversicherung wie auch in demjenigen der Unfallversicherung grundsätzlich dieselben Verfahrensbestimmungen, namentlich
Art. 43-49 ATSG
massgebend (vgl.
BGE 138 V 318
E. 6.1.2 S. 322). Die Kosten eines Gerichtsgutachtens können somit
BGE 139 V 225 S. 227
dem Unfallversicherer auferlegt werden, wenn die Abklärungsergebnisse aus dem Verwaltungsverfahren in rechtserheblichen Punkten nicht ausreichend beweiswertig sind, und zur Durchführung der vom Gericht als notwendig erachteten Beweismassnahme an sich eine Rückweisung in Frage käme, eine solche indessen mit Blick auf die Wahrung der Verfahrensfairness entfällt (vgl.
BGE 137 V 210
E. 4.4.1 und 4.4.2 S. 263 ff.).
4.4
Die Überbindbarkeit der Kosten eines Gerichtsgutachtens auf den Unfallversicherer im Sinne von
BGE 137 V 210
wird von der SUVA nicht grundsätzlich bestritten. Sie macht jedoch geltend, im vorliegenden Fall habe das eingeholte Gutachten der Vorinstanz dazu dienen sollen, Argumente pro und contra Unfallkausalität zu generieren, um anschliessend die aktenkundige Kontroverse in der einen oder andern Richtung beantworten und begründen zu können. Es sei somit um einen Akt der Beweiswürdigung gegangen, wie es
Art. 61 lit. c ATSG
vorsehe, nicht um eine Lückenfüllung zu einem medizinischen Sachverhalt.
5.
Zu prüfen ist, aus welchem Grund die Vorinstanz das Gerichtsgutachten eingeholt hat. Im kantonalen Verfahren zwischen Unfall- und Krankenversicherer materiell zu beurteilen war die Frage, ob die Operation vom 12. Januar 2010 der Behandlung eines auf den Unfall vom 21. November 2008 zurückzuführenden Leidens gedient hat, was eine Leistungspflicht der obligatorischen Unfallversicherung zur Folge hätte.
5.1
Zur massgebenden Frage der Unfallkausalität enthalten die Akten mehrere sich widersprechende medizinische Berichte.
5.1.1
Der behandelnde Dr. med. H., Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, führte im Bericht vom 4. Februar 2010 aus, bei den Beschwerden, welche zur Operation vom 12. Januar 2010 geführt hätten, handle es sich um eine posttraumatische Gonarthrose. Bereits anlässlich der Arthroskopie vom 8. Januar 2009 habe sich am Femurcondylus ein unterminierter Knorpellappen im Sinne eines traumatischen Knorpelflakes sowie eine VKB-Läsion Grad I und II neben einem medialen Meniscusriss gefunden, während dieser Knorpelschaden bei der früher durchgeführten Arthroskopie vom 11. März 2005 noch nicht vorhanden gewesen sei.
5.1.2
Demgegenüber hielt der SUVA-Kreisarzt Dr. med. G. im Bericht vom 12. Februar 2010 fest, weder im Operationsbericht vom
BGE 139 V 225 S. 228
8. Januar 2009 noch in demjenigen vom 12. Juni 2009 werde eine posttraumatische Knorpelschädigung beschrieben, sondern vielmehr eine Chondromalazie erwähnt. Erstmals anlässlich der Operation vom 12. Januar 2010 sei die Chondromalazie als posttraumatisch qualifiziert worden. Bei der Chondromalazie handle es sich definitionsgemäss um eine Knorpelerweichung. Es liege daher eine Erkrankung und nicht eine Unfallfolge vor.
5.1.3
In der anlässlich des von der Assura erhobenen Einspracheverfahrens eingeholten ärztlichen Stellungnahme des Dr. med. M., SUVA Versicherungsmedizin, vom 18. August 2010 legte der Facharzt im Wesentlichen dar, ein Knorpelschaden an der Patellarückfläche sei bei den Eingriffen vom 16. Januar 2003, 11. März 2005, 8. Januar und 12. Juni 2009 erwähnt worden, wobei am 8. Januar 2009 neu auch ein Knorpelschaden am medialen Femurkondylus festgestellt und in einem weiteren Eingriff vom 12. Januar 2010 behandelt worden sei. Wann diese Knorpelläsion am Femur entstanden sei, sei unklar. Von der Beschreibung her könnte es sich um eine traumatische Knorpellappenbildung oder um eine Knorpelabtrennung handeln, welche zeitlich praktisch ausschliesslich vom Unfallereignis vom 21. November 2008 stammen könnte. Knorpelläsionen seien indessen - so der Facharzt - sehr häufig Befunde bei Arthroskopien, ohne dass ein spezifisches einzelnes Ereignis dafür eruiert werden könne, so dass eine zuverlässige Aussage nicht möglich sei. Grundsätzlich könnte es sich auch um eine degenerative Veränderung handeln. Sogar eine Knorpelschädigung bei einer der vorangegangenen Arthroskopien sei möglich. Schliesslich wiege der Patient deutlich über 100 kg, was ihn überdies in eine hohe Risikogruppe für Knorpelläsionen und letztlich für die Entwicklung einer Gonarthrose einstufe.
Gestützt auf diese versicherungsinterne medizinische Beurteilung vom 18. August 2010 verneinte die SUVA mit Einspracheentscheid vom 8. September 2010 eine Leistungspflicht für den operativen Eingriff vom 12. Januar 2010, da die der Operation zugrunde liegenden Beschwerden nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf ein Unfallereignis zurückzuführen seien. Die beschriebene blosse Möglichkeit des Zusammenhangs genüge für die Begründung eines Leistungsanspruchs nicht.
5.1.4
Zusammen mit der gegen den Einspracheentscheid erhobenen Beschwerde reichte die Assura einen Bericht ihres Vertrauensarztes Dr. med. B. vom 28. September 2010 ein. Darin qualifizierte Dr. med.
BGE 139 V 225 S. 229
B. die ärztliche Begutachtung der SUVA als in sich nicht widerspruchsfrei. Bei der postulierten, rein degenerativen Genese der Gonarthrose - so der Vertrauensarzt - sollte auch auf der Gegenseite eine mindest ähnliche Pathologie vorhanden sein, da bei den repetitiven Meniskusläsionen auf der rechten Seite eine schmerzbedingte Entlastung und somit auf der Gegenseite eine zunehmende Belastung hätte stattfinden müssen. Im Übrigen sei es eher unwahrscheinlich, dass ein 28-jähriger Mann nach einem ausgewiesenen Unfall bereits degenerativ bedingte Knorpelläsionen gehabt haben soll.
5.2
Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen, sind rechtsprechungsgemäss ergänzende Abklärungen vorzunehmen (
BGE 135 V 465
E. 44. S. 470; vgl. auch Urteil 8C_397/2012 vom 14. März 2013 E. 5.1). Solche Zweifel an den Beurteilungen der Dres. med. G. und M. vermochte der Bericht des Dr. med. B. vom 28. September 2010 zu begründen. Zu Recht hat somit die Vorinstanz in Anbetracht der widersprüchlichen Aktenlage ein Gerichtsgutachten zur Frage der Unfallkausalität eingeholt. Die beigezogenen Gutachter Prof. Dr. med. F. und PD Dr. med. A. kamen denn auch zum Schluss, die der Operation vom 12. Januar 2010 zugrunde liegenden Beschwerden seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 21. November 2008 ausgelöst worden (Gutachten vom 30. April 2012). Entgegen den Ausführungen der SUVA ist die Vorinstanz nicht bereits vor Einbezug, sondern vielmehr unter Berücksichtigung des Gerichtsgutachtens in der Beweiswürdigung zum Ergebnis gelangt, der Unfall vom 21. November 2008 sei zumindest eine Teilursache für die Beschwerden gewesen. Missverständlich ist in diesem Sinne die Formulierung des kantonalen Gerichts, das Gerichtsgutachten habe den Eindruck bestätigt, den die übrigen medizinischen Akten erweckt hätten, weicht doch die Meinung der gerichtlich beigezogenen Gutachter entscheidend von derjenigen der versicherungsinternen Ärzte ab und deckt sich im Ergebnis mit derjenigen des Vertrauensarztes der Assura.
5.3
Zusammenfassend hat die Vorinstanz in Anbetracht der in rechtserheblichen Punkten widersprüchlichen und nicht ausreichend beweiswertigen Aktenlage zu Recht ein Gerichtsgutachten eingeholt und die Kosten dafür der SUVA auferlegt. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad0acabe-514f-480d-a950-6f8362bcc433 | Urteilskopf
99 Ia 19
3. Auszug aus dem Urteil vom 21. Januar 1973 i.S. X. AG gegen Y. und Appellationshof (III. Zivilkammer) des Kantons Bern | Regeste
Art. 265 Abs. 2 SchKG
. Betreibung aufgrund eines Konkursverlustscheins; neues Vermögen.
Arbeitsverdienst als neues Vermögen im Sinne von
Art. 265 Abs. 2 SchKG
. Verhältnis zum betreibungsrechtlichen Notbedarf im Sinne von
Art. 93 SchKG
. | Erwägungen
ab Seite 19
BGE 99 Ia 19 S. 19
Aus den Erwägungen:
3.
a) Nach
Art. 265 Abs. 2 SchKG
kann aufgrund eines Konkursverlustscheins eine neue Betreibung nur angehoben werden, wenn der Schuldner zu neuem Vermögen gekommen ist. Nach dem Sinn dieser Vorschrift soll sich der Schuldner nach Durchführung des Konkurses eine neue Existenz aufbauen d.h. finanziell erholen können. Das ist erst der Fall, wenn er nach Schluss des Konkurses neue Aktiven erworben hat, denen keine neuen Passiven gegenüberstehen, weshalb unter dem "neuen Vermögen" nur das "Nettovermögen" zu verstehen ist (H. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. II, S. 187; ZBJV 75/1939, S. 631/2). Dass Y. kein "Nettovermögen" im engern Sinn besitzt, ist unbestritten.
b) In der Praxis ist seit langem anerkannt, dass auch der Arbeitsverdienst neues Vermögen darstellen kann. Während früher angenommen wurde, dieser bilde erst dann neues Vermögen im Sinne des
Art. 265 Abs. 2 SchKG
, wenn er kapitalisiert und so zu eigentlichem Vermögen geworden sei, wird er heute allgemein schon insoweit zum neuen Vermögen gerechnet, als er das zur Führung eines standesgemässen Lebens Notwendige übersteigt und Ersparnisse zu machen erlauben würde (
BGE 79 I 115
mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung; SJZ 58/1962, S. 320; ZBJV 93/1957, S. 273). Verfügt der Schuldner über das betreibungsrechtliche Existenzminimum, so besitzt er somit noch nicht notwendigerweise neues Vermögen im Sinne von
BGE 99 Ia 19 S. 20
Art. 265 Abs. 2 SchKG
(
BGE 53 III 27
). Massgebend ist vielmehr, ob er standesgemäss leben, sich nach dem Konkurs eine neue Existanz aufbauen und zusätzlich Ersparnisse beiseite legen kann. Der Natur der Sache nach liegt der Entscheid darüber weitgehend im Ermessen des Richters.
c) Nach dem angefochtenen Urteil ist auf das Arbeitseinkommen abzustellen, das der Schuldner während Jahresfrist vor Anhebung der Betreibung erzielt hatte. Die Beschwerdeführerin erblickt darin Willkür. Sie macht geltend, diese Betrachtungsweise könne bewirken, dass unter Umständen Einkommensanteile als pfändbar erklärt würden, die allenfalls nicht einmal mehr für eine gewöhnliche Betreibungsforderung gepfändet werden könnten, wenn sich das Einkommen des Schuldners in der Zeit zwischen der Zustellung des Zahlungsbefehls und dem Urteil (bzw. der Pfändung) vermindert habe. Dieser Einwand ist indessen nicht geeignet, den angefochtenen Entscheid als unhaltbar erscheinen zu lassen. Welches Kapital (Reinvermögen) und welcher Teil des Arbeitsverdienstes neues Vermögen darstellen, hat zwar allein der Richter zu entscheiden, und nur in diesem Umfang ist eine gestützt auf einen Konkursverlustschein angehobene Betreibung zulässig (
BGE 79 I 116
). Anderseits lässt sich sehr wohl die Ansicht vertreten, der Richter befinde nur darüber, welcher Lohnanteil unter dem Gesichtspunkt des
Art. 265 Abs. 2 SchKG
gepfändet werden könne, während es im Betreibungsverfahren Sache des Betreibungsbeamten sei, den Betrag gestützt auf
Art. 93 SchKG
niedriger anzusetzen, wenn wegen des inzwischen gesunkenen Einkommens in das Existenzminimum eingegriffen würde (vgl.
BGE 65 III 25
: "all'infuori dei beni previsti degli
art. 92 e 93
LEF"; H. FRITZSCHE, a.a.O. S. 188; ZR 46/1947, S. 58 ff.). Diese Lösung scheint sich aufzudrängen, weil es sonst, etwa im Falle eintretender Invalidität des Schuldners und damit verbundenen starken Einkommensrückgangs zur Pfändung des ganzen Lohnes kommen könnte, was dem Sinn des Gesetzes offenbar widersprechen würde. Der Entscheid des Richters über das Vorhandensein neuen Vermögens schliesst demnach die Anwendung der
Art. 92 und 93 SchKG
im Betreibungsverfahren nicht notwendigerweise aus. Deshalb geht auch der Einwand der Beschwerdeführerin fehl, dem Schuldner stünden keine Rechtsmittel zur Verfügung, wenn in der Betreibung in seinen Notbedarf eingegriffen würde. Er könnte sich wegen Verletzung von
Art. 93 SchKG
mit der betreibungsrechtlichen Beschwerde zur Wehr setzen.
BGE 99 Ia 19 S. 21
Im übrigen ist zu beachten, dass nach dem Wortlaut von
Art. 265 Abs. 2 SchKG
die Betreibung nur angehoben werden kann, wenn der Schuldner zu neuem Vermögen gelangt ist. Wenn in ausdehnender Auslegung dieser Vorschrift in bestimmtem Umfang auch der Arbeitsverdienst als "Vermögen" behandelt wird, so kann dies offenbar nur in dem Sinne geschehen, dass jener Teil des früheren Einkommens als "Vermögen" angesehen wird, den der Schuldner als Ersparnis hätte zurücklegen können. Das neue Vermögen muss mit andern Worten bei Anhebung der Betreibung bereits vorhanden sein (H. FRITZSCHE, a.a.O., S. 188). Konnte der Schuldner aus seinem Einkommen vor Anhebung der Betreibung Ersparnisse zurücklegen, so setzt der Richter den entsprechenden, als neues Vermögen in Betracht fallenden Betrag fest. Dieser kann - wie erwähnt - unter Vorbehalt der
Art. 92 und 93 SchKG
gepfändet werden. Diese Rechtsauffassung, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt, lässt sich mit sachlichen Gründen vertreten (vgl. ZBJV 108/1972, S. 321; ZR 46/1947, S. 58 ff.; 54/1955, S. 319). Wenn der Schuldner bei den finanziellen Verhältnissen (Einkommen und Auslagen), wie sie vor Anhebung der Betreibung bestanden, Ersparnisse hätte zurücklegen können, wird es so gehalten, wie wenn er tatsächlich zu neuem Vermögen gekommen wäre (SJZ 56/1960, S. 209 Nr. 194). Alsdann kann aufgrund des Konkursverlustscheines eine neue Betreibung angehoben werden. Wie erwähnt, kann in dieser freilich nur gepfändet werden, was der Richter als neues Vermögen bezeichnet hat, allenfalls nicht einmal das, wenn
Art. 93 SchKG
entgegensteht.
Die Rechtsprechung zu
Art. 265 Abs. 2 SchKG
kann allerdings nicht als gefestigt und klar bezeichnet werden. Es scheint, dass in der Praxis vielfach auf das Einkommen abgestellt wird, das der Schuldner im Zeitpunkt des richterlichen Entscheids über die Frage des neuen Vermögens erzielt (
BGE 53 III 27
: "laufendes Einkommen"; H. FRITZSCHE, a.a.O. S. 188, 2. Abs.; vgl. SJZ 58/1962, S. 320 f.). Das mag sich aus den praktischen Schwierigkeiten erklären, die sich ergeben können, wenn auf Einkommen und Auslagen einer zeitlich zurückliegenden Periode abgestellt wird. Wie ausgeführt, lässt sich indessen mit guten Gründen annehmen, nur mit früherem, nicht mit dem laufenden Einkommen habe der Schuldner neues Vermögen bilden können, so dass es folgerichtig sei, auf jenes abzustellen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ad0cc724-6e51-45a9-856b-c61f89705f35 | Urteilskopf
115 V 244
34. Arrêt du 17 août 1989 dans la cause X contre Caisse de pensions de l'Etat de Neuchâtel et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 73 BVG
: Rechtspflege. Zuständigkeit der in dieser Vorschrift bezeichneten Behörden zur Beurteilung einer Streitigkeit, welche den vorobligatorischen Vorsorgebereich betrifft und die Nachzahlung von teilweise nach dem 1. Januar 1985 fällig gewordenen Renten zum Gegenstand hat (Erw. 1).
Art. 392 Ziff. 1 und 418 ZGB
: Vertretungsbeistandschaft. Umfang der Befugnisse eines Beistandes, der im Namen des Vertretenen zu wählen hat, ob die Vorsorgeeinrichtung ihre Leistung in Rentenform oder als Kapitalabfindung zu erbringen hat (Erw. 3).
Art. 6
§ 1 EMRK
: Anforderung an ein faires Verfahren sowie Öffentlichkeit der Verhandlung.
- Die Verletzung der EMRK kann mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden (Erw. 4b).
- Das Neuenburger Verwaltungsgericht ist keine "Verwaltungsbehörde" im Sinne des schweizerischen Vorbehalts zu Art. 6
§ 1 EMRK
(Erw. 4b).
- Betrifft die Streitigkeit zwischen einer Vorsorgeeinrichtung und ihrem Mitglied zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von Art. 6
§ 1 EMRK
? Frage offengelassen (Erw. 4c).
- Begriff der öffentlichen Verhandlung (Erw. 4d/aa). | Sachverhalt
ab Seite 245
BGE 115 V 244 S. 245
A.-
a) Le 4 février 1983, le Département de l'agriculture du canton de Neuchâtel a révoqué X, fonctionnaire au service de l'Etat depuis 1951. Cette décision a été confirmée par le Conseil d'Etat, puis, sur recours de l'intéressé, par le Tribunal administratif neuchâtelois (jugement du 4 novembre 1983).
b) Le 23 décembre 1983, la Caisse de pensions de l'Etat de Neuchâtel a écrit à X qu'il avait le choix, en tant qu'affilié, entre les deux solutions suivantes: ou bien demeurer assuré jusqu'au 30 septembre 1983 (date à partir de laquelle il pourrait prétendre une pension de retraite complète sur la base de son dernier traitement assuré) et toucher ensuite une pension de 3'081 fr. 75 par mois puis, dès le 1er janvier 1984, de 3'269 fr. 15; ou bien obtenir une indemnité de sortie complète, en capital, de 164'323 fr. 65, intérêts moratoires non compris (cotisations personnelles de l'assuré et cotisations de l'Etat en sa faveur).
X a refusé de choisir entre ces deux possibilités, parce qu'il persistait à contester sa révocation, bien qu'il n'eût pas attaqué le jugement du Tribunal administratif. Aussi bien le Ministère public a-t-il, sur demande de la Caisse de pensions, requis de l'Autorité tutélaire du district de Neuchâtel qu'elle envisage des mesures tutélaires. Par décision du 14 août 1984, cette autorité a désigné Me Y, en qualité de curateur ad hoc de X, aux fins de répondre à la demande de la Caisse de pensions du 23 décembre 1983.
Le 24 septembre 1984, l'Autorité tutélaire de surveillance a rejeté le recours formé par X contre cette décision. Saisi d'un recours en réforme, le Tribunal fédéral l'a rejeté par arrêt du 7 février 1985 (
ATF 111 II 10
).
c) Avant l'issue de cette procédure déjà, l'autorité tutélaire avait, le 12 octobre 1984, autorisé Me Y à opter, au nom de son pupille, pour le versement d'une pension de retraite mensuelle. Par lettre du 15 octobre 1984, Me Y avait donc informé la Caisse de
BGE 115 V 244 S. 246
pensions de ce choix et il l'avait invitée à lui faire parvenir un décompte des prestations arriérées.
Le 8 mars 1985, Me Y a écrit à la Caisse de pensions que le Service cantonal de l'assistance entendait exiger le remboursement d'avances consenties à X par les services sociaux de la commune de C. et qu'un "paiement direct par vos soins ... paraîtrait opportun". Dans une lettre du 15 mars suivant, adressée à la Caisse de pensions, le Service cantonal de l'assistance a chiffré à 52'263 francs le montant total des avances en cause.
Par lettre du 4 avril 1985, la Caisse de pensions a fourni à Me Y un décompte détaillé dont il ressortait que l'assuré percevrait, après déduction de la somme de 52'263 francs (et de celle de 1'878 fr. 90 au titre de cotisations), un montant de 4'453 fr. 65 pour la période du 1er octobre 1983 au 31 mars 1985. Le curateur a accepté ce décompte. Le 15 avril 1985, la Caisse de pensions a versé à la commune de C. le montant de 52'263 francs.
d) Le 5 février 1986, X a requis de la Caisse de pensions diverses informations au sujet de l'affectation de cette somme. Par la suite, il a demandé que celle-ci lui soit versée en mains propres, faisant valoir que le paiement à la commune de C. avait été effectué sans droit. La Caisse de pensions a rejeté cette demande par une "décision" du 6 juin 1988.
B.-
Par jugement du 16 août 1988, le Tribunal administratif neuchâtelois, compétent en matière de litiges relatifs à la prévoyance professionnelle selon la LPP, a rejeté le "recours" porté devant lui par l'assuré.
C.-
Contre ce jugement, X, représenté par Me Z, interjette un recours de droit administratif dans lequel il conclut au paiement par la Caisse de pensions de la somme de 52'263 francs avec intérêts à 5 pour cent l'an dès le 15 avril 1985.
La Caisse de pensions conclut au rejet du recours, ce que propose aussi l'Office fédéral des assurances sociales.
Le Tribunal administratif a également présenté des observations sur le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'
art. 73 LPP
, chaque canton désigne un tribunal qui connaît, en dernière instance cantonale, des contestations opposant institutions de prévoyance, employeurs et ayants droit (al. 1). Les décisions des tribunaux cantonaux peuvent être
BGE 115 V 244 S. 247
déférées au Tribunal fédéral des assurances par la voie du recours de droit administratif (al. 4).
Cette disposition est entrée en vigueur le 1er janvier 1985 (cf.
art. 98 al. 2 LPP
en relation avec l'art. 1er al. 1 de l'ordonnance sur la mise en vigueur et l'introduction de la LPP). Elle s'applique, d'une part, aux institutions de prévoyance enregistrées de droit privé ou de droit public - aussi bien en ce qui concerne les prestations minimales obligatoires qu'en ce qui concerne les prestations s'étendant au-delà (
art. 49 al. 2 LPP
) et, d'autre part, aux fondations de prévoyance en faveur du personnel non enregistrées (
art. 89bis al. 6 CC
;
ATF 114 V 104
consid. 1a et la jurisprudence citée). Pour ce qui est de la compétence ratione temporis des autorités mentionnées à l'
art. 73 LPP
, le Tribunal fédéral des assurances a jugé que celles-ci étaient seulement habilitées à connaître de litiges dont l'origine est un événement survenu après l'entrée en vigueur de la LPP (naissance d'une prétention ou d'une créance). Mais il n'est pas nécessaire, pour fonder cette compétence, que les faits invoqués à l'appui de la prétention ou créance se soient entièrement produits sous l'empire du nouveau droit de la prévoyance professionnelle, c'est-à-dire après le 1er janvier 1985 (
ATF 114 V 34
consid. 1a,
ATF 113 V 293
ss et 200 consid. 1b); admettre le contraire entraînerait une division inadmissible des voies de droit (MEYER, Die Rechtswege nach dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVG], RDS 106/1987 I p. 627 s.; VIRET, La jurisprudence du TFA en matière de prévoyance professionnelle: Questions de procédure, RSA 1989 p. 91).
b) Le recourant, au bénéfice d'une pension de retraite depuis le 1er octobre 1983, n'a pas été soumis au régime de l'assurance obligatoire des salariés selon la LPP (art. 2 en relation avec les
art. 7 ss LPP
). Cette pension de retraite provient ainsi d'un capital entièrement accumulé avant le 1er janvier 1985. En conséquence, le litige porte exclusivement sur la partie pré-obligatoire de la prévoyance professionnelle. Cette partie de l'assurance relève elle-même de la prévoyance plus étendue selon l'
art. 49 al. 2 LPP
(
ATF 114 V 35
in initio), et ressortit donc aussi, en principe, aux autorités désignées par l'
art. 73 LPP
.
L'intimée est d'autre part régie par la loi du 21 octobre 1980 concernant la Caisse de pensions de l'Etat de Neuchâtel (RSN 152.551), révisée par une loi du 18 novembre 1987. Avant cette révision, le Grand Conseil neuchâtelois avait, par un décret
BGE 115 V 244 S. 248
du 25 février 1985 (RLN XI 5), chargé le Conseil d'Etat d'adapter provisoirement ladite loi à la LPP, avec effet au 1er janvier 1985, ce que le gouvernement cantonal avait fait par un arrêté du 25 mars 1985 (RLN XI 22), dont l'art. 1er al. 2 stipulait: "La Caisse de pensions met en application le régime de l'assurance obligatoire aux termes de la loi fédérale sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité." Dès lors, du moment que les institutions de prévoyance désireuses de participer au régime de l'assurance obligatoire sont tenues de se faire inscrire au registre de la prévoyance professionnelle auprès de l'autorité de surveillance dont elles relèvent (
art. 48 al. 1 LPP
), il y a lieu d'admettre, dans le cas particulier, que l'intimée a fait l'objet d'un tel enregistrement (provisoire, conformément à l'
art. 5 OPP 1
) à partir du 1er janvier 1985. Le présent litige a donc bien opposé, dès son origine, une institution de prévoyance à un ayant droit, au sens de l'
art. 73 LPP
.
La compétence ratione temporis des autorités prévues par cette disposition doit aussi être reconnue en l'espèce, cela pour l'entier du litige, car le montant de 52'263 francs est constitue, pour une part, de rentes échues postérieurement au 1er janvier 1985 (1er janvier au 31 mars 1985).
Il suit de là que le recours de droit administratif est recevable.
2.
(Pouvoir d'examen)
3.
a) Sous réserve d'une mise en gage pour financer la propriété d'un logement (
art. 40 LPP
), le droit aux prestations ne peut être cédé ni mis en gage aussi longtemps que celles-ci ne sont pas exigibles (
art. 39 al. 1 LPP
). Tout acte juridique contraire a cette disposition est nul (
art. 39 al. 3 LPP
;
ATF 114 V 41
consid. 3b). Une réglementation semblable a été introduite dans la législation neuchâteloise par l'arrêté du Conseil d'Etat du 25 mars 1985 (art. 82 al. 1 et 4), puis reprise lors de la révision du 18 novembre 1987 (art. 82 al. 1 et 3).
Le recourant ne se prévaut pas, et cela à juste titre, de l'une ou l'autre de ces dispositions, attendu que les prestations en cause (rentes arriérées) étaient exigibles au moment où elles ont été payées à la commune de C. Cela indépendamment du fait que l'
art. 39 LPP
n'entrerait de toute façon pas en ligne de compte. En effet, cet article n'est pas mentionné à l'
art. 49 al. 2 LPP
, qui énumère de manière pratiquement exhaustive (les quelques exceptions ne concernant pas la mise en gage ou la cession) les règles de la LPP applicables à la prévoyance plus étendue (RIEMER,
BGE 115 V 244 S. 249
Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, note 42 ad § 1, p. 39).
b) Il faut dès lors examiner si la caisse intimée était en droit d'opérer le versement litigieux sur la base du seul consentement donné par le curateur du recourant.
aa) Les premiers juges se demandent si Me Y n'a pas outrepassé le mandat spécial dont il était investi en autorisant la Caisse de pensions à rembourser les avances fournies par la commune de C. Ils considèrent cependant que la Caisse de pensions n'avait, de son côté, aucune raison de mettre en doute la validité de cette autorisation. Au demeurant, ajoute la juridiction cantonale, il incombait au recourant, s'il n'était pas d'accord avec les actes de son curateur, de saisir l'autorité tutélaire. Les premiers juges constatent, au surplus, que le recourant savait que les avances consenties étaient remboursables, de sorte qu'il pouvait s'attendre à ce que sa commune de domicile en demande la restitution; implicitement, il a accepté les mesures prises par son curateur et son attitude ultérieure relève d'un abus de droit qui ne saurait être protégé.
Le recourant se prévaut quant à lui des décisions de l'autorité tutélaire des 14 août et 12 octobre 1984, en soulignant que le mandat du curateur se limitait au choix de l'une ou l'autre des possibilités offertes par la Caisse de pensions dans sa demande du 23 décembre 1983, à savoir le versement d'une rente ou d'un capital; il ne conférait, en particulier, aucun pouvoir quant à l'utilisation des rentes échues.
bb) Aux termes de l'
art. 392 ch. 1 CC
, l'autorité tutélaire institue une curatelle lorsqu'un majeur ne peut, pour cause de maladie, d'absence ou d'autres causes semblables, agir dans une affaire urgente, ni désigner lui-même un représentant. Il s'agit d'un cas de curatelle de représentation, qui est une mesure à caractère provisoire et qui n'affecte pas l'exercice des droits civils (RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, p. 123, note 2, et p. 125, notes 6 à 8; GROSSEN, Les personnes physiques, Traité de droit civil suisse, tome II, 2, p. 40). L'objet d'une telle mesure résulte de l'
art. 418 CC
, selon lequel le curateur investi d'un mandat spécial l'exécute conformément aux instructions de l'autorité tutélaire. La mission du curateur dépend ainsi du genre de la curatelle et de la nature particulière de l'affaire à traiter (RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, p. 139, note 55). L'autorité tutélaire est tenue de définir spécialement le mandat du curateur à l'égard d'une
BGE 115 V 244 S. 250
affaire déterminée (SCHNYDER/MURER, note 31 ad art. 392). Le curateur institué en vertu de l'
art. 392 ch. 1 CC
agit à l'égard des tiers comme représentant de la personne empêchée; son pouvoir de représentation découle de la loi, au même titre que celui du tuteur, et ne dépend pas de la volonté de la personne représentée, comme c'est le cas dans le cadre de la représentation volontaire selon les
art. 32 ss CO
(SCHNYDER/MURER, note 18 ad art. 392). Aussi bien la personne protégée doit-elle se laisser opposer les actes de son curateur, sauf à relever qu'elle peut - dès lors que la curatelle n'influe pas sur la capacité civile - les prévenir ou les contrecarrer par ses propres actes (STETTLER, Droit civil. Représentation et protection de l'adulte, p. 123, No 269; SCHNYDER/MURER, note 19, en relation avec la note 20, ad art. 392; EGGER, note 7 ad art. 417; RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, p. 138, note 51, et p. 123, note 2, avec un renvoi aux
ATF 79 I 186
et
ATF 77 II 13
).
En d'autres termes, le curateur représente valablement la personne assistée pendant la durée de son mandat; dans cette mesure, sa situation est comparable à celle d'un représentant privé (RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, p. 138, note 51 in fine). Selon EGGER, les pouvoirs du curateur peuvent être définis expressément par l'autorité tutélaire dans ses instructions ou résulter d'actes concluants. De leur côté, les tiers sont tenus de s'assurer de l'existence et de l'étendue de tels pouvoirs (note 2 in fine ad art. 418 avec un renvoi aux art. 33 al. 3 et 34 al. 3 CO). Cette conception fait indéniablement référence aux règles sur la procuration dite "apparente" ("Anscheinsvollmacht" ou "Duldungsvollmacht" selon la terminologie allemande; voir à ce sujet: GUHL/MERZ/KUMMER, Obligationenrecht, 6e éd., p. 152 s., ch. 3; GAUCH/SCHLUEP/TERCIER, Partie générale du droit des obligations, 2e éd., tome I, p. 190). Avec cette différence que les pouvoirs apparents découlent, dans le présent contexte, du comportement de l'autorité tutélaire et non de celui du "représenté" lui-même.
cc) En l'espèce, il faut concéder au recourant que, pris à la lettre, le mandat du curateur se limitait à l'exercice du choix entre le versement d'une rente ou d'un capital. Mais, d'autre part, en 1984 déjà, la commune de C. avait informé la Caisse de pensions de l'existence de sa créance. De surcroît, après avoir appris que l'intéressé avait recouru devant le Tribunal fédéral contre la décision de l'Autorité tutélaire de surveillance du 24 septembre
BGE 115 V 244 S. 251
1984, elle lui avait écrit, le 15 janvier 1985, une lettre recommandée dont la teneur essentielle était la suivante: "En attendant la décision de cette autorité (le Tribunal fédéral), nous continuerons à vous servir des secours d'assistance. Nous tenons cependant à attirer votre attention sur le fait que vous ne sauriez toucher à la fois des secours et des indemnités de la Caisse de pensions pour la même période. Si donc le Tribunal fédéral rejette votre recours, nous ferons valoir notre droit au remboursement des secours." Enfin, il apparaît que le recourant a reçu copie du décompte adressé par la Caisse de pensions à Me Y le 4 avril 1985, dont il ressortait, précisément, que la somme de 52'263 francs serait déduite des rentes échues au 31 mars précédent. D'autre part, il existait malgré tout un rapport de connexité assez étroit entre le choix du curateur quant au genre de prestations à verser et l'utilisation de ces prestations. Le recourant devait donc supposer que, le moment venu, le curateur prendrait aussi position au sujet des prétentions de la commune et que, vraisemblablement, il ne s'y opposerait pas. Car un tel remboursement allait de soi, compte tenu du montant considérable des rentes échues et du fait que les avances étaient en principe, de par leur nature même, remboursables. Or, à l'époque du paiement, le recourant n'a soulevé aucune objection, alors qu'il aurait pu valablement le faire dés l'instant où sa capacité civile n'était pas restreinte. Cette attitude peut être considérée comme un accord implicite de sa part sur le versement en mains des services sociaux et l'on doit admettre, dans ces conditions, que les actes du curateur lui sont entièrement opposables. Le jugement entrepris, qui se prononce dans le même sens, apparaît dès lors bien fondé.
Ainsi donc, il est superflu de se demander si le curateur eût été tenu, en l'espèce, de solliciter de l'autorité tutélaire des instructions supplémentaires, lorsqu'il a reçu le décompte du 4 avril 1985 ou, éventuellement, déjà lorsqu'il a appris du service cantonal de l'assistance que les avances en cause devaient être restituées aux services sociaux (voir sa lettre du 8 mars 1985 à la Caisse de pensions). Bien qu'il faille admettre, sur un plan général, que le curateur a l'obligation de requérir de telles instructions lorsque les mesures à prendre dépassent le cadre du mandat dont il a été investi (EGGER, note 2, en relation avec la note 5, ad art. 418; cf. aussi STETTLER, op.cit., p. 127, No 283).
De même, il n'y a pas lieu de rechercher si, de son côté, la Caisse de pensions ne devait pas s'assurer de l'étendue des pouvoirs du
BGE 115 V 244 S. 252
curateur ou si elle était fondée à considérer, sur le vu des seules apparences, que ce dernier avait reçu l'autorisation explicite de disposer des rentes arriérées.
4.
Le recourant fait valoir, sur le plan formel, que l'autorité cantonale a violé le principe de la publicité des débats énoncé par l'art. 6
§ 1 CEDH
et, d'autre part, que son procès n'a pas été équitable au sens de la même disposition.
a) L'art. 6
§ 1 CEDH
est ainsi libellé:
"Toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonnable, par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle. Le jugement doit être rendu publiquement, mais l'accès de la salle d'audience peut être interdit à la presse et au public pendant la totalité ou une partie du procès dans l'intérêt de la moralité, de l'ordre public ou de la sécurité nationale dans une société démocratique, lorsque les intérêts des mineures ou la protection de la vie privée des parties au procès l'exigent, ou dans la mesure jugée strictement nécessaire par le tribunal, lorsque dans des circonstances spéciales la publicité serait de nature à porter atteinte aux intérêts de la justice."
Faisant usage du droit que l'
art. 64 CEDH
confère aux Parties contractantes, la Suisse a formulé, à ce sujet, les réserve et déclaration interprétative suivantes:
"Article 6. Le principe de la publicité des audiences proclamé à l'article 6, paragraphe 1, de la Convention ne sera pas applicable aux procédures qui ont trait à une contestation relative à des droits et obligations de caractère civil ou au bien-fondé d'une accusation en matière pénale et qui, conformément à des lois cantonales, se déroulent devant une autorité administrative.
Le principe de la publicité du prononcé du jugement sera appliqué sans préjudice des dispositions des lois cantonales de procédure civile et pénale prévoyant que le jugement n'est pas rendu en séance publique mais est communiqué aux parties par écrit.
Article 6, paragraphe 1. Pour le Conseil fédéral suisse, la garantie d'un procès équitable figurant à l'article 6, paragraphe 1, de la Convention, en ce qui concerne les contestations portant sur des droits et obligations de caractère civil, vise uniquement à assurer un contrôle judiciaire final des actes ou décisions de l'autorité publique qui touchent à de tels droits ou obligations. Par "contrôle judiciaire final", au sens de cette déclaration, il y a lieu d'entendre un contrôle judiciaire limité à l'application de la loi, tel qu'un contrôle de type cassatoire."
Le texte ci-dessus de la déclaration interprétative du Conseil fédéral, relative à la garantie d'un procès équitable, a modifié, avec
BGE 115 V 244 S. 253
effet au 29 avril 1988, une déclaration du même genre (formulée lors de la ratification de la convention) que la Cour européenne des droits de l'homme avait jugée non valide, parce que, exprimée de manière trop générale, elle ne permettait pas de mesurer la portée des engagements de la Suisse (arrêt Belilos du 29 avril 1988, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 132). En relation avec cette modification (RO 1988 p. 1264), le Conseil fédéral a fait dresser par l'Office fédéral de la justice, en date du 27 décembre 1988, la liste des dispositions législatives fédérales et cantonales couvertes, dès le 29 avril 1988, par la nouvelle déclaration (en ce qui concerne les dispositions de droit fédéral visées, voir RO 1989 p. 276). Aucune loi fédérale d'assurance sociale ne figure dans cette liste. Pour le canton de Neuchâtel, seul est mentionné l'art. 12 al. 1 ch. 1 de la loi concernant l'introduction du code civil suisse du 22 mars 1910 (RSN 211.1); la procédure devant le Tribunal administratif n'est pas couverte par la déclaration interprétative.
b) Dans leurs observations sur le recours, les premiers juges soutiennent que les griefs tirés d'une violation de la CEDH ne sont susceptibles d'être invoqués que par la voie du recours de droit public. En outre, selon eux, le principe de la publicité des audiences serait inapplicable à la procédure devant le Tribunal administratif, qui serait une "autorité administrative" visée par la réserve relative à l'
art. 6 CEDH
.
Ces objections ne sont pas fondées. D'une part, une violation de la CEDH est une violation du droit fédéral qui peut être invoquée par la voie du recours de droit administratif, conformément à l'
art. 104 let. a OJ
(cf.
ATF 103 V 192
consid. 2a). D'autre part, dans le canton de Neuchâtel, le Tribunal administratif est rattaché, en tant que section, au Tribunal cantonal (
art. 17 al. 1 let
. g de la loi d'organisation judiciaire neuchâteloise; RSN 161.1), qui est sans conteste une autorité judiciaire. En fait, la réserve n'est pas applicable à telle ou telle autorité en raison de son organisation, mais bien plutôt des fonctions qu'elle exerce. Ainsi un tribunal cantonal (ou un tribunal administratif qui lui est rattaché) doit-il être considéré comme une autorité administrative lorsqu'il exerce des fonctions administratives proprement dites, p.ex. en matière disciplinaire (
ATF 109 Ia 217
,
ATF 108 Ia 316
; voir aussi, à propos de ces arrêts: WILDHABER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, note 632 ad
art. 6 CEDH
). Or tel n'est à
BGE 115 V 244 S. 254
l'évidence pas le cas lorsqu'il est appelé à se prononcer, comme en l'espèce, sur un litige opposant une institution de prévoyance à un ayant droit.
c) Il faut néanmoins se demander si la présente procédure met en cause des droits et obligations de caractère civil au sens de l'art. 6
§ 1 CEDH
.
Dans ce contexte, le Tribunal fédéral des assurances a laissé indécise, en 1977, la question de l'applicabilité de cette disposition aux tribunaux administratifs en général (
ATF 103 V 190
). Ce qui est toutefois décisif, en ce domaine, c'est la nature même des droits et obligations invoqués et non pas tant le genre de procédure - administrative ou civile - qui est ouverte au justiciable. Sur ce point, les organes de la convention se prononcent librement, sans égard aux conceptions du droit national de l'Etat défendeur (
ATF 109 Ia 216
et les références citées; KNAPP, Précis de droit administratif, 3e éd., p. 128). Ainsi la Cour européenne des droits de l'homme a-t-elle reconnu l'applicabilité de l'art. 6
§ 1 CEDH
dans deux affaires relevant de l'assurance sociale, l'une portant sur le versement d'allocations d'assurance-maladie selon la législation hollandaise (arrêt Feldbrugge du 29 mai 1986, Série A, vol. 99), l'autre sur le droit à une pension complémentaire de veuve de l'assurance-accidents selon le régime de la sécurité sociale allemande (arrêt Deumeland du 29 mai 1986, Série A, vol. 100): dans les deux cas, elle a estimé que la nature personnelle et patrimoniale du droit contesté, le rattachement de celui-ci aux rapports de travail, ainsi que les affinités avec une assurance de droit commun, l'emportaient sur les aspects de droit public considérés (caractère de la législation, caractère obligatoire de l'assurance, prise en charge de la protection sociale par la puissance publique).
Sur un plan général, la tendance prévaut de plus en plus de considérer les litiges en matière de "droits sociaux" comme étant des contestations de caractère civil selon l'art. 6
§ 1 CEDH
(voir notamment: COHEN-JONATHAN, La Convention européenne des droits de l'homme, p. 399 ss; MATSCHER, La notion de "décision d'une contestation sur un droit ou une obligation (de caractère civil)" au sens de l'art. 6 § 1 de la Convention européenne des Droits de l'Homme, in: Protection des Droits de l'Homme: la dimension européenne, Mélanges Wiarda, p. 397, note 10; FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, p. 117, note 23; MIEHSLER, Internationaler Kommentar zur
BGE 115 V 244 S. 255
Europäischen Menschenrechtskonvention, note 174 ad
art. 6 CEDH
; voir aussi, en ce qui concerne la jurisprudence française, les arrêts de la Cour de cassation, Chambre sociale, du 18 janvier 1988, précédés des conclusions de l'avocat général, in: Droit social 1989, p. 246 ss).
d) La qualification, sous l'angle du droit conventionnel, du présent litige (relatif à la prévoyance professionnelle pré-obligatoire et mettant en cause une institution de prévoyance de droit public) peut cependant demeurer indécise, car il apparaît de toute façon que les exigences de procédure invoquées ont été respectées.
aa) Le principe de la publicité des débats vise non seulement la présence des parties aux débats judiciaires, mais aussi celle du public en général. Il protège les justiciables contre une justice secrète échappant au contrôle de la population; de manière plus large, il permet à celle-ci de contrôler l'application régulière de la loi. Il contribue aussi à préserver la confiance des citoyens dans les tribunaux (
ATF 113 Ia 416
consid. 2c et les références citées; PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, p. 159, Nos 722 ss). Selon la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme (arrêt Sutter du 22 février 1984, Série A, vol. 74), les modalités d'application de ce principe dépendent des particularités de l'instance dont il s'agit; il faut prendre en compte l'ensemble du procès qui s'est déroulé dans l'ordre juridique interne; en particulier, l'absence d'un prononcé en séance publique n'est pas constitutive d'une violation du droit conventionnel s'il existe d'autres possibilités pour le public de prendre connaissance du jugement (possibilité pour toute personne justifiant d'un intérêt de consulter le texte intégral des arrêts, publication des arrêts importants dans un recueil officiel).
Selon l'art. 2 de la loi neuchâteloise d'introduction à la LPP du 5 octobre 1987 (RSN 824.0), le Tribunal administratif statue en instance cantonale unique sur les contestations au sens de l'
art. 73 LPP
, conformément à cette disposition et à celles de la loi sur la procédure et la juridiction administratives du 27 juin 1979 (LPJA; RSN 152.130). L'art. 55 LPJA a la teneur suivante:
"1 Le Tribunal administratif peut ordonner, d'office ou sur demande des parties, des débats avec plaidoiries.
2 Les audiences sont publiques.
3 Le huis clos peut être prononcé si des intérêts privés ou publics
BGE 115 V 244 S. 256
importants l'exigent."
Il y a lieu de constater que cette disposition garantit suffisamment le principe de la publicité. La garantie de l'art. 6
§ 1 CEDH
ne confère pas des droits allant au-delà. On ne saurait en déduire que - en dehors des exceptions prévues par la convention - des débats publics doivent en toute circonstance être ordonnés d'office, quand bien même les parties y renonceraient. Or le recourant, qui se contente d'affirmer que son procès "n'a pas été public", n'a pas fait usage, en procédure cantonale, de la faculté que lui conférait l'art. 55 al. 1 LPJA. Il est donc réputé avoir renoncé à la tenue d'une audience publique et ne saurait dès lors prétendre, après coup, être victime d'une violation du principe invoqué.
bb) Quant à l'exigence d'un procès équitable, il importe de souligner que, sur ce point, l'
art. 6 CEDH
ne va pas au-delà des garanties minimales qui peuvent être déduites de l'
art. 4 Cst.
L'entrée en vigueur de la convention n'a pas modifié le rôle de cette disposition constitutionnelle; les garanties d'un procès équitable énoncées à l'
art. 6 CEDH
en présentent simplement un nouveau champ d'interprétation (
ATF 114 Ia 181
,
ATF 109 Ia 178
et 232 consid. 5a).
En l'occurrence, on ne voit pas en quoi la juridiction cantonale aurait méconnu ces garanties. Le recourant ne l'indique, du reste, pas davantage. A ce propos, le seul reproche concret qu'il adresse aux premiers juges est de ne pas "avoir examiné la question principale, à savoir l'étendue des pouvoirs du curateur". Mais il s'agit-là d'un grief qui porte sur l'application du droit de fond et qui - supposé fondé - ne relèverait pas, en soi, de l'
art. 4 Cst.
Au demeurant, la question soulevée ne méritait pas un examen particulièrement approfondi, du moment que, comme on l'a vu, les actes du curateur étaient - quelle que fût, sur le plan formel, l'étendue de ses pouvoirs - de toute manière opposables au recourant.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad207c34-4e0a-437d-b396-923533954a76 | Urteilskopf
119 V 385
55. Auszug aus dem Urteil vom 29. Juni 1993 i.S. Gemeinde Z. gegen Kantonale Ausgleichskasse des Wallis und Kantonales Versicherungsgericht, Sitten | Regeste
Art. 5 Abs. 4 AHVG
,
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
.
- Ob von einem Arbeitgeber ausgerichtete Lohnzulagen als beitragsfreie Haushaltszulagen zu qualifizieren sind, ist nicht generell-abstrakt nach der einschlägigen Besoldungs- oder Zulagenordnung, sondern konkret nach Massgabe von Gesetz, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zu beurteilen.
- Die in casu an alle Arbeitnehmer mit eigenem Haushalt entrichtete Zulage ist in jenen Fällen von der Beitragspflicht befreit, in denen die Bezüger
- verheiratet sind oder
- ledig, verwitwet oder geschieden sind und mit Kindern zusammenleben.
- Insofern Rz. 2121 letzter Satz der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung über den massgebenden Lohn (WML), gültig ab 1. Januar 1987, dem widerspricht, erweist sich diese Verwaltungsweisung als gesetzes- und verordnungswidrig. | Erwägungen
ab Seite 386
BGE 119 V 385 S. 386
Aus den Erwägungen:
4.
a) Was die 1986 bis 1988 ausgerichteten Déplacementspesen anbelangt, ist Verwaltung und Vorinstanz beizupflichten, dass sie zum beitragspflichtigen Erwerbseinkommen gehören. Sie sind gestützt auf eine frühere Arbeitgeberkontrolle schon 1984 und 1985 zum massgebenden Lohn gerechnet worden. Gemäss Darstellung in der vorinstanzlichen Replik vom 28. März/2. April 1991 sind die vormals ausgerichteten Déplacemententschädigungen jedem Arbeitnehmer ausbezahlt worden. Demgegenüber hätten auf die am 1. Januar 1989 neu eingeführten Haushaltszulagen nur jene Angestellten Anspruch, welche einen eigenen Haushalt führten. Aus dieser Umschreibung der Anspruchsberechtigung für die neuen gewährten Zulagen ist indirekt zu schliessen, dass den zuvor entrichteten pauschalen Déplacementspesen der Charakter von Familienzulagen im Sinne von Haushaltszulagen abgeht. Eine Entschädigung, deren Ausrichtung nicht an der Führung und den Kosten eines eigenen Haushaltes anknüpft, sondern jedem Arbeitnehmer ausgerichtet wird, kann nicht unter den Begriff der Sozialleistung im Sinne von
Art. 5 Abs. 4 AHVG
und
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
fallen. Diesbezüglich ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
b) Anders verhält es sich mit den Haushaltszulagen, wie sie die Gemeinde Z. seit 1. Januar 1989 ihren Arbeitnehmern entrichtet. Mit
BGE 119 V 385 S. 387
der sozialen Ausrichtung, die damit verbunden ist, hat sich die Rechtsnatur dieser Zulage im Vergleich zur abgelösten pauschalen Déplacementspesenvergütung wesentlich gewandelt. Der Charakter einer Familienzulage in Gestalt einer Haushaltszulage nach
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
kann der neuen Entschädigung nicht mehr abgesprochen werden. An dieser allgemeinen sozialen Ausrichtung vermag der Umstand, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten (immer noch) weiter gezogen ist, als durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung festgelegt, nichts zu ändern. Es kommt hiebei auf den allgemeinen Charakter der Zulage an, die überdies noch besonderen Anforderungen (zusätzliche, feste Leistung zum Lohn, von diesem unabhängig und für alle Anspruchsberechtigten von gleicher Höhe in orts- oder branchenüblichem Rahmen) genügen muss, welche vorliegend unbestritten erfüllt sind. Es gebietet sich daher, in all jenen Fällen, wo Haushaltszulagen ausgerichtet werden an verheiratete Arbeitnehmer oder an ledige, verwitwete oder geschiedene Arbeitnehmer, die mit Kindern zusammenleben, diese Sozialleistungen als beitragsbefreit zu betrachten. Insofern Rz. 2121 letzter Satz WML dem widerspricht, erweist sich diese Verwaltungsweisung als gesetzes- und verordnungswidrig.
Die bundesamtliche Argumentation mit dem gleichen Beitragsobjekt ist nicht stichhaltig. Nach KÄSER (Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, Rz. 3.1) wird mit dem Beitragsobjekt die Grundlage der Beitragsbemessung umschrieben, bei erwerbstätigen Versicherten das Erwerbseinkommen. Ob von einem Arbeitgeber ausgerichtete Haushaltszulagen in den massgebenden Lohn einzubeziehen oder davon auszunehmen sind, ist nicht generell-abstrakt nach der einschlägigen Besoldungs- oder Zulagenordnung, sondern konkret nach Massgabe von Gesetz, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zu beurteilen. Die AHV-rechtliche Beitragsbefreiung gilt zwar nur, aber immerhin für Haushaltszulagen, "soweit ihnen der Charakter von Familienzulagen beizumessen ist" (
BGE 110 V 233
Erw. 3c). Dies bedingt im Einzelfall eine Abklärung, ob die Befreiungsvoraussetzungen gegeben sind. Möglicherweise stehen hinter den Ausführungen des BSV Praktikabilitätsüberlegungen, die jedoch nicht durchschlagend sind. Die Gemeinde Z. als Arbeitgeberin ist übrigens zur Mitwirkung bei der Abklärung verpflichtet. Die Beschwerdeführerin beruft sich nicht zu Unrecht auf
BGE 110 V 229
bzw. den Kollektiv-Arbeitsvertrag der Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG, dessen Familienzulagenordnung nebst eigentlichen, beitragsbefreiten Sozialleistungen auch
BGE 119 V 385 S. 388
Familienzulagen beinhaltete, die im Sinne der AHV-Gesetzgebung als solche nicht anerkannt werden konnten; dieser Fall gab Anlass zur Rückweisung zwecks Individualisierung, bei welchen Arbeitnehmern der Tatbestand der Beitragsbefreiung erfüllt sei (Erw. 4b und c).
c) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird schliesslich gerügt, die Vorinstanzen legten
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
bzw. die WML so aus, dass bei verheirateten Arbeitnehmern/-innen die Haushaltszulage nur dann nicht zum massgebenden Lohn addiert werde, wenn auch diese mit Kindern im gemeinsamen Haushalt lebten. Der Relativsatz "die mit Kindern zusammenleben" werde mithin nicht nur auf die ledigen, verwitweten oder geschiedenen Arbeitnehmer bezogen, sondern auch auf die verheirateten. Diese Auslegung widerspreche inhaltlich der Wegleitung sowie auch der Praxis gemäss
BGE 110 V 229
. Dort habe das Eidg. Versicherungsgericht diesbezüglich ausgeführt, den Charakter einer Familienzulage erhalte die Haushaltszulage erst dadurch, dass der Arbeitnehmer mit Familienangehörigen einen gemeinsamen Haushalt führe, was bei unverheirateten Arbeitnehmern mit Kindern nur der Fall sei, wenn sie mit einem oder mehreren Kindern zusammenlebten (S. 233 Erw. 3c). Die Verwaltungspraxis, dergemäss Haushaltszulagen an ledige, verwitwete oder geschiedene Arbeitnehmer von der Beitragspflicht nur befreit seien, wenn der Bezüger mit Kindern zusammenlebe, erweise sich nicht als gesetzes- oder verordnungswidrig (S. 234 Erw. 3c). Hieraus erhelle aber, dass das Erfordernis des gemeinsamen Zusammenlebens mit Kindern nur für ledige, verwitwete oder geschiedene Arbeitnehmer erforderlich sei, während verheiratete Arbeitnehmer, welche mit ihrem Partner in einem gemeinsamen Haushalt lebten, selbstredend auch dann in den Genuss der beitragsfreien Haushaltszulage gelangen könnten, wenn sie nicht oder nicht mehr mit gemeinsamen Kindern zusammenlebten. Der Ehepartner sei mithin anstelle der Kinder "Familienangehöriger" im Sinne des Gesetzes bzw. der Wegleitung. Es sei daher unzulässig gewesen, bei dieser Personengruppe, welche im Zeitpunkt der Veranlagung mindestens zwölf Arbeitnehmer umfasst habe, die Haushaltszulagen beitragsrechtlich nachzuerfassen.
Dieser Einwand der Beschwerdeführerin ist insoweit begründet, als kein Zweifel besteht, dass eine Haushaltszulage, die einem verheirateten, mit dem Ehepartner einen gemeinsamen Haushalt führenden Arbeitnehmer ausgerichtet wird, auch dann beitragsfrei ist, wenn das Paar nicht oder nicht mehr mit Kindern zusammenlebt. Abweichendes hat übrigens das kantonale Gericht nicht angenommen,
BGE 119 V 385 S. 389
sollen doch auch nach seiner Auffassung Haushaltszulagen zusätzliche Aufwendungen abgelten, wenn der Arbeitnehmer "mit Frau oder Kindern im gleichen Haushalt lebt" (S. 5 des vorinstanzlichen Entscheides vom 12. Juni 1992). Etwas anderes lässt sich jedenfalls
BGE 110 V 233
f. Erw. 3c nicht entnehmen. Für die Richtigkeit dieses Rechtsstandpunktes spricht im übrigen auch die Grundkonzeption, welche der Regelung der Haushaltungszulage nach
Art. 3 Abs. 1 lit. a FLG
sowie der Haushaltungsentschädigung in der Erwerbsersatzordnung (
Art. 4 Abs. 1 EOG
) und in der Invalidenversicherung (
Art. 23 IVG
) zugrunde liegt (vgl.
BGE 110 V 234
Erw. 3c). Entgegen der bundesamtlichen Vernehmlassung unterliegen daher Haushaltszulagen nicht nur dann nicht der Beitragspflicht, wenn der Bezüger "einen eigenen Haushalt führt und mit Kindern zusammenlebt".
d) Verwaltung und Vorinstanz haben, weil sie den Familien- bzw. Haushaltszulagencharakter generell verneinen, bei den einzelnen Zulagenempfängern die Voraussetzungen der Beitragsbefreiung nicht abgeklärt. Im Hinblick auf die rechtlich erforderliche differenzierte Betrachtungsweise ist somit der Sachverhalt vorliegend unvollständig festgestellt. Die Sache ist daher im Sinne der Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese nach ergänzenden Abklärungen zu den 1989 ausgerichteten Zulagen über die Nachforderung neu verfüge. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad24e39a-9fc2-45c1-8e88-c317e65a684e | Urteilskopf
125 I 257
24. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour de droit public du 24 juin 1999 dans la cause J.H. contre Président du Tribunal cantonal du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 8 EMRK
und Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes; persönliche Freiheit; Anspruch auf Einsicht in archivierte Vormundschaftsakten.
Grundsätze, die für den Anspruch auf Einsicht in archivierte Vormundschaftsakten unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs, der persönlichen Freiheit und des
Art. 8 EMRK
gelten (E. 3a und 3b). Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung (E. 3c).
Abwägung der vorliegenden Interessen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 257
BGE 125 I 257 S. 257
Le 12 février 1958, la Justice de paix du cercle d'Yverdon (ci-après: la Justice de paix) a, en application de l'art. 311 aCC, désigné le Tuteur général du canton de Vaud (ci-après: le Tuteur général)
BGE 125 I 257 S. 258
comme curateur de l'enfant à naître de P.H., célibataire née le 15 décembre 1940. Selon cette décision, le curateur avait pour mission de «sauvegarder les droits de cet enfant quant à sa paternité, sa pension alimentaire et son éducation». Le curateur était d'ores et déjà autorisé à «ouvrir action en paternité contre le père présumé et à recourir devant toute instance». Le procès-verbal relatant l'interrogatoire de la future mère, le 25 janvier 1958, désignait un dénommé A. comme le père présumé de l'enfant.
Entendu le 26 juillet 1958, A. a contesté être le père de l'enfant. Tout en reconnaissant avoir entretenu des relations sexuelles avec P.H. durant la période allant de novembre 1956 à février 1958, puis une dernière fois en avril 1958, il a indiqué que leur liaison s'était distendue notamment après le 27 novembre 1957, date à laquelle P.H. lui avait adressé une lettre de rupture et avoué avoir eu des relations avec d'autres hommes à l'époque de la conception.
Le 5 novembre 1958, P.H. a admis avoir entretenu des relations sexuelles en mars 1958 avec un dénommé B.
Le 18 décembre 1958, P.H. a donné le jour à J.H.
Entendu le 1er février 1959, B. a nié être le père de l'enfant. Le 24 février 1959, il a cependant admis avoir entretenu des relations sexuelles avec P.H. dans la nuit du 15 au 16 mars 1958.
Entendu le 24 février 1959, un dénommé C. a reconnu avoir entretenu des relations sexuelles avec P.H. les 22, 28 et 29 mars 1958.
Le 6 mars 1959, P.H. a confirmé les déclarations de B. et de C.
Le 7 mars 1959, le Tuteur général a présenté, au nom de P.H. et de J.H., une demande d'assistance judiciaire en matière civile, en vue d'ouvrir contre B. une action en paternité au sens de l'art. 307 aCC.
Le 3 avril 1959, le Bureau d'assistance judiciaire du Département de justice et police du canton de Vaud a rejeté la requête, car «il apparaît que le procès ne serait pas engagé par une personne raisonnable plaidant à ses propres frais».
Le 21 mai 1959, le Tuteur général a proposé à la Justice de paix l'abandon de l'action en paternité: compte tenu d'une période de conception fixée à mi-mars 1958, le père de l'enfant pouvait être aussi bien A., B. que C., sans que l'un d'eux ne puisse cependant être désigné avec une certitude suffisante; une action en paternité était dans ces conditions dépourvue d'emblée de toute chance de succès.
Le 20 juin 1959, la Justice de paix a relevé le Tuteur général de sa fonction de curateur au sens de l'art. 311 aCC et l'a désigné comme tuteur de J.H., qui a été placé dans une famille d'accueil.
BGE 125 I 257 S. 259
P.H. est décédée en 1998.
Le 18 mars 1998, J.H. a demandé au Tuteur général le droit de consulter le dossier établi à son sujet.
Le 31 août 1998, il a réitéré sa requête, en expliquant que la consultation de son dossier lui était nécessaire pour les besoins du traitement psychiatrique qu'il suivait.
Le 30 octobre 1998, le Tribunal cantonal a autorisé la consultation du dossier pour la période allant du 3 avril 1959 au 4 juin 1968. En revanche, il a interdit la consultation des pièces antérieures au 3 avril 1959 et de la détermination du 21 mai 1959, la communication de ces documents pouvant porter atteinte aux intérêts des personnes citées.
Le 12 novembre 1998, J.H. est revenu à la charge, en demandant à pouvoir consulter la partie cachée de son dossier.
Le 11 mars 1999, le Tribunal cantonal a rejeté la requête, en confirmant qu'il n'autorisait pas la consultation des pièces antérieures au 3 avril 1959, ni la communication du 21 mai 1959, au motif que cela pouvait léser les intérêts éminemment personnels des personnes mentionnées dans l'enquête en recherche de paternité.
Le Tribunal fédéral a admis le recours de droit public formé par J.H. contre cette décision, qu'il a annulée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Pour le recourant, le refus de l'autoriser à consulter les pièces du dossier antérieures au 3 avril 1959, ainsi que la communication du 21 mai 1959, violerait son droit d'être entendu garanti par l'
art. 4 Cst.
, ainsi que l'
art. 8 CEDH
.
a) La portée du droit d'être entendu et les modalités de sa mise en oeuvre sont tout d'abord déterminées par la législation cantonale, dont le Tribunal fédéral revoit l'application sous l'angle restreint de l'arbitraire (
ATF 124 I 241
consid. 2 p. 242/243;
ATF 124 II 49
consid. 3a p. 51;
ATF 122 I 153
consid. 3 p. 158;
ATF 121 I 225
consid. 2a p. 227, 230 consid. 2b p. 232, et les arrêts cités). Il examine en revanche librement si les garanties minimales consacrées par le droit constitutionnel fédéral ont été respectées (
ATF 124 I 241
consid. 2 p. 242/243;
ATF 124 II 49
consid. 3a p. 51;
ATF 122 I 153
consid. 3 p. 158, et les arrêts cités). Le recourant n'invoquant pas la violation de règles du droit cantonal régissant son droit d'être entendu, c'est à la lumière de l'
art. 4 Cst.
qu'il convient d'examiner son grief (
ATF 124 I 49
consid. 3a p. 51;
ATF 119 Ia 136
consid. 2c p. 138, 260 consid. 6 p. 260/261, et les arrêts cités).
BGE 125 I 257 S. 260
b) Le droit de consulter le dossier, déduit directement de l'
art. 4 Cst.
, peut être exercé non seulement au cours d'une procédure, mais aussi de manière indépendante, hors de toute procédure, par exemple pour consulter, comme en l'espèce, un dossier archivé. Dans ce dernier cas, le requérant doit faire valoir un intérêt digne de protection à l'exécution de cette mesure (
ATF 122 I 153
consid. 6a p. 161). Le droit de consulter le dossier archivé peut toutefois être supprimé ou limité dans la mesure où l'intérêt public ou l'intérêt prépondérant de tiers exigent que tout ou partie des documents soient tenus secrets (
ATF 122 I 153
consid. 6a p. 161, et les arrêts cités). Dans cette hypothèse, conformément au principe de la proportionnalité, l'autorité doit autoriser l'accès aux pièces dont la consultation ne compromet pas les intérêts en cause (
ATF 122 I 153
consid. 6a p. 161, et les arrêts cités).
Le droit de consulter le dossier contenant des données personnelles ressortit aussi au droit constitutionnel non écrit de la liberté personnelle, qui ne tend pas seulement à assurer la liberté de mouvement ou à protéger l'intégrité personnelle, mais garantit aussi, de manière générale, le respect de la personnalité (
ATF 124 I 40
consid. 3a p. 42, 85 consid. 2 p. 86/87, 170 consid. 2b p. 171/172, 336 consid. 4a p. 338;
ATF 123 I 112
consid. 4a p. 118;
ATF 122 I 153
consid. 6b/bb p. 162/162, 279 consid. 3 p. 288, 360 consid. 5a p. 362, et les arrêts cités). L'établissement, le traitement et la conservation de données personnelles par l'administration constitue une atteinte à la liberté personnelle (
ATF 122 I 153
consid. 6b/bb p. 163), admissible, à l'instar de toute restriction à cette liberté, que si elle repose sur une base légale, est ordonnée dans l'intérêt public et respecte le principe de la proportionnalité; la liberté personnelle, en tant qu'institution fondamentale de l'ordre juridique, ne saurait toutefois être complètement supprimée ou vidée de son contenu par les restrictions légales qui peuvent lui être apportées dans l'intérêt public (
ATF 124 I 40
consid. 3a p. 42, 80 consid. 2c p. 81, 170 consid. 2b p. 171/172, 176 consid. 5a p. 177, 203 consid. 2b p. 204/205, 336 consid. 4c p. 340, et les arrêts cités).
L'établissement, le traitement et la conservation de données personnelles entre aussi dans le champ d'application de l'
art. 8 CEDH
(arrêts de la Cour européenne des droits de l'homme du 7 juillet 1989, Gaskin c. Royaume-Uni, Série A, vol. 160, par. 37 et du 26 mars 1987, Leander c. Suède, Série A, vol. 116, par. 48;
ATF 122 I 153
consid. 6b/cc p. 163/164, et les références citées). Dans l'arrêt Gaskin, la Cour européenne des droits de l'homme, sans vouloir
BGE 125 I 257 S. 261
affirmer de manière abstraite l'existence d'un droit général, tiré de l'
art. 8 CEDH
, à consulter des données et renseignements détenus par l'administration au sujet de la vie privée et familiale des citoyens (arrêt précité, par. 37), a néanmoins admis que la personne, prise en charge dès sa prime enfance, après le décès de sa mère, par les services sociaux étatiques, et placée chez divers parents nourriciers (arrêt précité, par. 10), dispose d'un intérêt primordial, protégé par l'art. 8 de la Convention relative aux droits de l'enfant, à connaître les renseignements recueillis par l'administration, afin d'être en mesure de connaître et comprendre son enfance et ses années de formation (arrêt précité, par. 49). A cet intérêt légitime s'oppose celui de l'Etat, lié à la confidentialité des dossiers officiels si l'on souhaite recueillir des informations objectives et dignes de foi, ainsi que l'intérêt de tiers, notamment des informateurs (arrêt précité, par. 49). Un système qui subordonne le droit de consulter le dossier à l'assentiment des informateurs cités dans ce dossier, est en principe compatible avec l'
art. 8 CEDH
, s'il charge un organe indépendant de décider de la remise des informations dont la consultation est demandée et qu'un informateur refuse d'y consentir (arrêt précité, par. 49; pour un commentaire, cf. Ulrike Elisabeth Binder, Die Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. Dezember 1989 auf Rechtsfragen im Bereich der medizinisch assistierten Fortpflanzung, Francfort-sur-le-Main, 1998, p. 92-96).
c) Indépendamment du droit de consulter le dossier, il convient aussi de prendre en compte, dans ce contexte, le droit de l'enfant de connaître son ascendance.
aa) Avant l'adoption de normes spécifiques dans ce domaine, la jurisprudence avait abordé, sans le trancher, le point de savoir si le droit de connaître son ascendance découlait directement de la liberté personnelle.
Dans l'arrêt X., concernant un état de fait analogue à la présente affaire, le Tribunal fédéral, après avoir rappelé les limites du droit constitutionnel non écrit de la liberté personnelle, avait considéré que la reconnaissance du droit de consulter le dossier de tutelle archivé, le cas échéant indépendamment d'une procédure pendante, dépendait d'une pesée d'intérêt à faire sous l'angle de l'
art. 4 Cst.
, examen dans lequel il convenait aussi de prendre en compte les intérêts de toutes les parties en présence, y compris ceux liés à la protection de la liberté personnelle de tiers (
ATF 112 Ia 97
consid. 5b p. 100-102; cf. à ce propos THOMAS COTTIER, Die Suche nach der
BGE 125 I 257 S. 262
eigenen Herkunft: Verfassungsrechtliche Aspekte. Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Heft 6, Bâle, 1987, p. 27-29, qui déduit pour sa part un tel droit de la liberté personnelle, p. 39-48; dans le même sens, du même auteur, Kein Recht auf Kenntnis des eigenen Vaters?, Recht 1986 p. 135ss).
Dans l'arrêt K. et consorts, concernant l'arrêté saint-gallois sur les interventions dans la procréation humaine, le Tribunal fédéral avait renoncé à préciser si l'enfant issu d'une procréation médicalement assistée disposait d'un droit, fondé sur la liberté personnelle, à connaître l'identité du donneur de sperme, tout en mettant en doute le droit de ce dernier de prétendre à un anonymat absolu (
ATF 115 Ia 234
consid. 6d p. 254-256; critique à cet égard: SUZETTE SANDOZ/OLIVIER MEXIN, Liberté personnelle et procréation médicalement assistée: quelles limites au pouvoir créateur du juge constitutionnel?, RDS 1995 I p. 453ss; CYRIL HEGNAUER, Künstliche Fortpflanzung und persönliche Freiheit, ZBl 1991 p. 341ss).
bb) Dans l'intervalle est entrée en vigueur pour la Suisse, le 26 mars 1997, la Convention relative aux droits de l'enfant, conclue à New York le 20 novembre 1989 (ci-après: la Convention; RS 0.107). A teneur de l'art. 7 al. 1 de la Convention, l'enfant est enregistré aussitôt à sa naissance et a dès celle-ci le droit à un nom, le droit d'acquérir une nationalité et, dans la mesure du possible, le droit de connaître ses parents et d'être élevé par eux. L'art. 7 al. 1 de la Convention est directement applicable (STEPHAN WOLF, Die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes und ihre Umsetzung in das schweizerische Kindesrecht, RJB 1998 p. 113ss, 131); partant, il peut être invoqué devant les tribunaux.
Le peuple et les cantons ont en outre accepté, le 17 mai 1992, l'
art. 24novies Cst.
, régissant les techniques de procréation et le génie génétique. A teneur de l'
art. 24novies al. 2 let
. g Cst., l'accès d'une personne aux données relatives à son ascendance est garanti (cf.
art. 119 al. 2 let
. g nCst.). Dès lors, à l'instar de l'enfant adopté auquel le secret de l'adoption (
art. 268b CC
) n'est pas opposable au regard des
art. 28 CC
et 7 al. 1 de la Convention (Cyril Hegnauer, Droit suisse de la filiation, 4ème éd., Berne, 1998, 13.11; Philippe Meier/Martin Stettler, Droit civil VI/1, L'établissement de la filiation, Fribourg, 1998, no 384-388), l'enfant issu d'une procréation médicalement assistée a le droit de connaître son ascendance, qui comprend le droit d'accéder aux données y relatives (STETTLER, op.cit., no 377-383; BINDER, op.cit., p. 148-151; WOLF, op.cit., p. 131; INGEBORG SCHWENZER, Die UN-Kinderrechtskonvention
BGE 125 I 257 S. 263
und das schweizerische Kindesrecht, PJA 1994 p. 817ss, 820/821). Le projet de loi sur la procréation médicalement assistée (LPMA), concrétisant l'
art. 24novies al. 2 let
. g Cst., assure à l'enfant issu d'une procréation médicalement assistée le droit d'obtenir des renseignements sur le donneur de sperme (
art. 27 LPMA
; cf. le Message du Conseil fédéral du 24 juin 1996 relatif à l'initiative populaire «pour la protection de l'être humain contre les techniques de reproduction artificielle - initiative pour une procréation respectant la dignité humaine» et à la loi fédérale sur la procréation médicalement assistée - LPMA, FF 1996 III p. 197ss, p. 268/269).
cc) De l'
art. 24novies al. 2 let
. g Cst., mis en relation avec l'art. 7 al. 1 de la Convention, certains auteurs tirent un droit général de l'enfant - quel que soit son mode d'engendrement, et non pas seulement en cas de procréation médicalement assistée - de connaître son ascendance comme aspect de la liberté personnelle et comme droit constitutionnel inaliénable et imprescriptible (Marina Mandofia Berney/Olivier Guillod, Liberté personnelle et procréation assistée. Quelques réflexions, RSJ 1993 p. 205ss).
Il n'est pas nécessaire de trancher ce point en l'espèce. Le recourant invoque uniquement les
art. 4 Cst.
et 8 CEDH sous l'angle du droit à la consultation du dossier de tutelle. Il ne se prévaut ni de la liberté personnelle, ni de l'art. 7 al. 1 de la Convention. Il ne prétend pas davantage disposer, indépendamment des normes qu'il invoque, d'un droit, opposable à l'Etat, d'obtenir le dévoilement de l'identité, consignée dans le dossier de l'autorité de tutelle, des hommes dont l'un d'entre eux pourrait être son père naturel.
4.
L'accès au dossier en pareil cas dépend d'une soigneuse pesée des intérêts en présence (
ATF 115 Ia 234
consid. 6d p. 255;
ATF 112 Ia 97
consid. 5b p. 100/101; s'agissant de la consultation du dossier médical, cf.
ATF 122 I 153
consid. 6a p. 161 et les arrêts cités). Le Tribunal fédéral examine librement si l'intérêt public ou privé opposé l'emporte sur celui du requérant (
ATF 112 Ia 97
consid. 5b p. 101). L'
art. 4 Cst.
n'est pas violé sous cet aspect si l'autorité a pesé correctement les intérêts en présence et notamment si elle a suffisamment tenu compte de l'intérêt du requérant, tiré de sa liberté personnelle (
ATF 112 Ia 97
consid. 5b p. 102). Pour en décider, le Tribunal fédéral statue sur la base du dossier intégral - y compris les pièces dont la consultation a été refusée au recourant (cf.
ATF 122 I 153
consid. 3 in fine p. 158/159, et les arrêts cités).
a) L'intérêt que fait valoir le recourant est exclusivement d'ordre thérapeutique. Selon un certificat médical établi le 15 novembre
BGE 125 I 257 S. 264
1998 par le Dr G., psychiatre et psychothérapeute, le recourant souffre depuis l'été 1997 d'un «état dépressif avec somatisations sévères ayant entraîné de graves troubles cardiaques qui ont justifiés (sic) l'indication à une prise en charge psychothérapeutique». Selon ce certificat, «l'organisation de l'identité» du recourant serait «particulièrement lacunaire». La «question de ses origines, de son inscription dans une filiation et une histoire», serait devenue pour le recourant «l'objet d'une importante souffrance identitaire engendrant des mouvements de compensation dangereux sur le plan de sa vie somatique accompagnés par une dépression enkystée». Le Dr G. a estimé essentiel que le recourant puisse accéder à tout dossier, source ou document «lui permettant une historicisation personnelle afin de consolider son socle identitaire, ceci dans un but thérapeutique pour lui permettre de recouvrer de manière durable un équilibre psychosomatique».
Il n'y a pas de motifs de mettre en doute le diagnostic du Dr G., ni le lien de causalité qu'il établit entre les souffrances physiques et psychiques endurées par le recourant, d'une part, et le secret pesant sur l'identité de son père, d'autre part. L'autorité intimée ne conteste pas la réalité de l'intérêt allégué par le recourant. Or, la jurisprudence accorde une importance primordiale au fait que celui qui veut consulter le dossier de tutelle pour connaître l'identité de son père naturel formule cette requête non par simple curiosité, soif de vérité, appât de lucre ou désir de revanche, mais en raison d'une véritable souffrance pouvant conduire à la maladie (
ATF 112 Ia 97
consid. 6b in fine p. 102). Sur le vu du certificat médical du 15 novembre 1998, l'existence d'un tel intérêt ne prête pas à discussion en l'occurrence.
Pour le surplus, le recourant ne poursuit aucun but économique. L'action en paternité que l'ancien droit reconnaissait à l'enfant naturel (art. 307 al. 2 aCC) devait être intentée au plus tard un an après la naissance (art. 308 aCC). En l'espèce, il est constant que ce délai de prescription (cf. CYRIL HEGNAUER, Berner Kommentar,
art. 302-327 CC
, 1969, N. 11 ad art. 308) a expiré sans avoir été utilisé, le Tuteur général ayant renoncé à ouvrir l'action en raison du rejet, le 3 avril 1959, de la requête d'assistance judiciaire présentée dans ce but.
Enfin, il convient de tenir compte, dans l'appréciation de l'intérêt du recourant à obtenir la consultation du dossier, de ce qu'il s'agit là pour lui du seul moyen d'obtenir les renseignements qu'il recherche. Personne ne peut l'informer à ce sujet: sa mère est décédée,
BGE 125 I 257 S. 265
emportant dans sa tombe un secret dont la famille d'accueil du recourant n'a pas eu connaissance. Quant aux fonctionnaires des autorités de tutelle et de justice de paix qui auraient pu informer le recourant - pour autant que celui-ci puisse les identifier et les interroger -, ils étaient de toute manière liés par le secret de fonction, y compris après la fin de celle-ci. Le recourant agit ainsi en dernier recours; le rejet de sa requête le priverait définitivement de tout espoir de découvrir ce qu'il cherche à savoir.
Dans ces circonstances, son intérêt à pouvoir consulter l'intégralité du dossier est fondamental, sérieux et actuel.
b) Il n'est pas exclu que dans certains cas, la protection même des intérêts d'un requérant puisse commander de lui refuser tout ou partie de l'accès à son dossier (cf.
ATF 122 I 153
consid. 6c/cc, p. 166/167, avec un aperçu des vues doctrinales sur la question). En l'occurrence toutefois, les autorités cantonales n'ont pas évoqué un tel intérêt, qui n'est pas discernable de prime abord. Il n'y a donc pas lieu de s'y arrêter.
c) Parmi les intérêts opposés à celui du recourant, il faut considérer en premier lieu celui de sa mère. Même à l'égard de son enfant, celle-ci peut exiger que ne soient pas découverts des faits qui relèvent de sa propre sphère privée, garantie par la liberté personnelle. On pourrait aisément comprendre qu'elle ne tienne pas à ce que soient ravivés les souvenirs d'un comportement qui, dans les circonstances et les termes de l'époque, a dû lui être reproché comme une méconduite (cf.
ATF 112 Ia 97
consid. 6e p. 106). La préservation de l'image de la mère, de son estime de soi et de celle de son enfant, pourrait, selon les circonstances, justifier de garder secrets des renseignements de nature à porter atteinte à leur équilibre respectif et mutuel. En l'espèce toutefois, l'autorité n'avait pas à prendre en compte un tel intérêt, la mère du recourant étant décédée dans l'intervalle.
d) Le Tribunal cantonal a justifié le rejet de la requête exclusivement au regard des intérêts de tiers, soit ceux de A., B. et C. Une fois écarté l'intérêt économique - une action en paternité étant désormais exclue définitivement - cet intérêt, auquel le Tribunal cantonal a reconnu un caractère prépondérant, se résume à celui du droit des tiers de ne pas voir dévoilé leur passé strictement personnel sans motif impérieux (cf.
ATF 112 Ia 97
consid. 6c-g p. 102-106). En d'autres termes, il conviendrait de prémunir ces hommes contre l'irruption soudaine dans leur existence, quarante ans plus tard, d'un enfant dont l'un d'eux est probablement le père.
BGE 125 I 257 S. 266
aa) Cette appréciation méconnaît certains éléments établis, ressortant du dossier.
La demande du recourant tend uniquement à connaître les faits entourant les circonstances de sa conception. Sans l'exclure, cela n'implique pas nécessairement que le recourant veuille repérer A., B. et C. (à supposer que cela soit possible), les rencontrer ou leur demander des comptes. Au demeurant, A., B. et C. n'ignorent pas l'existence du recourant, à défaut de son identité précise: au moment de son interrogatoire, A. savait que la mère du recourant était enceinte; quant à B. et C., ils ont été entendus après la naissance du recourant. Même si aucun d'eux n'a voulu assumer la paternité du recourant et si aucune action en justice n'a pu être intentée contre eux à cette fin, ces hommes ne sauraient ignorer l'éventualité que le recourant vienne un jour frapper à leur porte.
bb) Il reste à examiner si les intérêts de A., B. et C., ainsi précisés, l'emportent sur celui du recourant. Cette évaluation - rendue difficile par le fait que l'on ignore tout de ce qu'il est advenu de ces personnes depuis l'époque des faits -, repose en partie sur des conjectures. On ne saurait reprocher pour autant au Tribunal cantonal d'avoir statué sans avoir donné l'occasion à ces personnes de se prononcer sur la demande présentée par le recourant. Il serait en effet excessif d'exiger en pareil cas de l'autorité qu'elle procède à des recherches de grande ampleur pour retrouver la trace de personnes peut-être disparues depuis longtemps, lorsque cette autorité estime d'emblée, de manière abstraite, que l'intérêt de ces personnes s'oppose à la révélation d'informations touchant à leur sphère privée.
A supposer que le recourant, informé de leur identité et des quelques indications biographiques se trouvant au dossier, se mette à la recherche de A., B. et C. et parvienne à les retrouver, il ne pourrait de toute manière rien obtenir d'eux, ni argent, ni réparation d'aucune sorte, ni aide thérapeutique. Toute démarche visant à établir une filiation, par le truchement d'un examen scientifique, par exemple, serait exclue d'emblée sans leur consentement. Quant à l'atteinte éventuelle à leur paix familiale que pourraient redouter A., B. et C., elle paraît réduite par l'écoulement du temps et le fait qu'à l'époque, ces hommes étaient célibataires. A supposer qu'ils aient ultérieurement fondé une famille, ils pourraient tout au plus encourir de la part de leurs proches la critique d'avoir gardé secret un épisode antérieur de leur vie.
Enfin, on ne saurait écarter complètement l'hypothèse que A., B. et C. aient intérêt au dévoilement de leur identité. Bien qu'à l'époque, ils
BGE 125 I 257 S. 267
aient refusé d'assumer une paternité éventuelle, il n'est pas absolument exclu qu'ils puissent aujourd'hui éprouver du soulagement à connaître le recourant, ou même être satisfaits à l'idée d'avoir une descendance.
Tout bien pesé, l'intérêt lié à la préservation de la sphère privée de A., B. et C., paraît, sur le vu des circonstances d'espèce, devoir céder le pas devant celui du recourant à une consultation de l'intégralité du dossier.
Le grief de violation de l'
art. 4 Cst.
, mis en relation avec la liberté personnelle et l'art. 7 al. 1 de la Convention, est ainsi bien fondé. | public_law | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad2cdd22-c43a-4e1b-bd87-a166ecda45ad | Urteilskopf
86 II 213
36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1960 i.S. R. | Regeste
Berufungsverfahren. Fehlen eines Berufungsbeklagten, von dem eine Berufungsantwort (
Art. 61 OG
) einzuholen wäre. Fall, dass die Vormundschaftsbehörde bei der Entziehung der elterlichen Gewalt (oder bei der Entmündigung) nicht Antragstellerin, sondern in erster Instanz entscheidende Behörde war.
Entziehung der elterlichen Gewalt wegen Verletzung der Pflicht, die Kinder in einem Beruf ausbilden zu lassen und sie gebührend zu beaufsichtigen (
Art. 275, 276 und 285 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 86 II 213 S. 214
A.-
Der Giessereiarbeiter R. in T., der seit dem 15. September 1955 verwitwet ist, hat vier Kinder: Max, geb. 1943, Franz, geb. 1944, Robert, geb. 1945 und Charlotte, geb. 1949. Die Knaben befanden sich nach dem Tode der Mutter längere Zeit im staatlichen Erziehungsheim L., während das Mädchen bei den Grosseltern väterlicherseits untergebracht ist.
Nachdem Max und Franz im Frühling 1959 aus der Schule entlassen worden waren, brachte R. alle drei Knaben (auch den noch schulpflichtigen Robert) in Stellen im Welschland unter. Im August 1959 telephonierte der Jugendfürsorger von Yverdon und Umgebung den Gemeindebehörden von T., die beiden Knaben Franz und Robert seien bei einem Landwirt "versorgt" und "möchten dort weg"; Franz möchte eine Lehre antreten, doch verweigere ihm dies sein Vater; die Knaben müssten den ganzen Tag schwer arbeiten und sähen keine Zukunft. Offenbar auf eine Erkundigung hin teilte der Vorsteher des Erziehungsheims L. der Vormundschaftsbehörde T. mit Schreiben vom 15. September 1959 u.a. mit, die Knaben Max und Franz hätten nach dem Schulaustritt einen Beruf erlernen wollen, wozu sie nach dem Ergebnis der Prüfung durch die Berufsberatungsstelle auch fähig gewesen seien; in Zusammenarbeit mit Postverwalter-Stellvertreter H. und der Fabrikfürsorgerin S. seien Lösungen gefunden worden, die für R. auch finanziell tragbar gewesen seien; dieser habe aber alle Vorschläge abgelehnt und Max und Robert bei Bauern, Franz in einem Bierdepot untergebracht. (Nach andern Angaben, auf welche die Vorinstanz in diesem Punkte abstellt, brachte R. schliesslich auch Franz bei einem Bauern unter.)
B.-
Die Vormundschaftsbehörde eröffnete R. am 15. Oktober 1959 die eingegangenen Berichte und suchte ihn von der Bedeutung einer Berufslehre für seine Söhne zu überzeugen. Schliesslich erklärte sich R. damit einverstanden, die Knaben einen Beruf erlernen zu lassen und die Ratschläge H.s anzunehmen. Er hielt jedoch sein
BGE 86 II 213 S. 215
Versprechen nicht. Als er deswegen auf den 3. Dezember 1959 zu einer Aussprache vor den Oberamtmann von Olten-Gösgen geladen wurde, erschien er nicht. Die Vormundschaftsbehörde beschloss darauf am 3. Dezember 1959, für die vier Kinder eine "Aufsichtsbeistandschaft im Sinne von
Art. 283 ZGB
" zu errichten. Hiegegen beschwerte sich R. beim Oberamtmann. Da die darauf folgenden Verhandlungen wiederum ergebnislos verliefen, wies der Oberamtmann die Vormundschaftsbehörde an, R. zu einer Verhandlung im Sinne von § 92 des solothurnischen Einführungsgesetzes zum ZGB (wonach die Vormundschaftsbehörde vor der Entziehung der elterlichen Gewalt die "angeschuldigten Eltern" einzuvernehmen hat) vorzuladen. Diese fand am 28. Januar 1960 statt. Nachdem R. neuerdings alle konkreten Vorschläge für die Berufsausbildung seiner Söhne abgelehnt hatte, beschloss die Vormundschaftsbehörde gleichen Tags, ihm gemäss
Art. 285 ZGB
die elterliche Gewalt über seine vier Kinder zu entziehen.
Am 8. April 1960 hat der Regierungsrat des Kantons Solothurn die Beschwerde R.s gegen diesen Entscheid abgewiesen.
C.-
Hierauf hat R. die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit den Anträgen:
"1. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 8. April 1960, sowie die Beschlüsse der Vormundschaftsbehörde T. vom 3. Dezember 1959 (Errichtung einer Beistandschaft) und vom 28. Januar 1960 (Entzug der elterlichen Gewalt) seien aufzuheben.
2. Der Entzug der elterlichen Gewalt und die Errichtung der Beistandschaft seien aufzuheben.
3. Eventuell sei die Sache zur Ergänzung der tatbeständlichen Feststellungen und zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen."
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Soweit sich die Berufung gegen die Errichtung einer Beistandschaft für die Kinder richtet, ist darauf
BGE 86 II 213 S. 216
schon deshalb nicht einzutreten, weil über diesen Punkt kein Entscheid der obern kantonalen Behörde im Sinne von
Art. 48 OG
vorliegt. Im übrigen ist der Beschluss über die Errichtung einer "Aufsichtsbeistandschaft im Sinne von
Art. 283 ZGB
" durch die nachher erfolgte Entziehung der elterlichen Gewalt implicite aufgehoben worden.
2.
... (Die Berufung ist rechtzeitig erklärt worden.) 3. - Unter Vorbehalt von
Art. 60 OG
, wonach eine Berufung unter Umständen ohne Einholung einer Antwort erledigt werden kann, wird nach
Art. 61 OG
die Berufungsschrift dem Berufungsbeklagten mitgeteilt und ist dieser befugt, binnen zwanzig Tagen eine Antwort einzureichen. Diese Vorschrift kann im vorliegenden Falle nicht angewendet werden, weil kein Berufungsbeklagter vorhanden ist. Bei der Entziehung der elterlichen Gewalt, für welche gemäss
Art. 285 und 288 ZGB
in Verbindung mit Art. 54 des Schlusstitels des ZGB die Kantone die sachliche Zuständigkeit und das Verfahren ordnen, ist nach solothurnischem Recht (§ 92 des EG zum ZGB) die Vormundschaftsbehörde nicht antragstellende, sondern in erster Instanz entscheidende Behörde. Die Vormundschaftsbehörde T. ist also im vorliegenden Falle nicht Partei und kann folglich das in
Art. 61 OG
dem Berufungsbeklagten eingeräumte Recht zur Erstattung einer Antwort nicht beanspruchen, wie sie auch nicht berechtigt gewesen wäre, gegen einen nach ihrer Auffassung unrichtigen Entscheid der obern kantonalen Behörde die Berufung oder Anschlussberufung an das Bundesgericht zu erklären (vgl.
BGE 46 II 3
,
BGE 82 II 216
oben; fernerBGE 50 II 97Erw. 2,
BGE 56 II 345
Erw. 1 und
BGE 83 II 187
, wo in Angelegenheiten im Sinne von Art. 86 Ziff. 1-3 des frühern bzw. Art. 44 lit. a-c des geltenden OG die Befugnis zur Ergreifung der zivilrechtlichen Beschwerde bzw. der Berufung solchen Behörden zugestanden wurde, die am kantonalen Verfahren als Gegenpartei des Bürgers beteiligt waren). Als Berufungsbeklagter kann im vorliegenden
BGE 86 II 213 S. 217
Fall aber auch nicht etwa ein privater Drittinteressent gelten, da im kantonalen Verfahren kein solcher als Partei zugelassen worden war. Die Einholung einer Berufungsantwort kommt daher nicht in Frage, sondern in derartigen Fällen ist nur die Vorinstanz befugt, sich (in Form von Gegenbemerkungen im Sinne von
Art. 56 OG
) zur Berufung zu äussern. Wenn nicht bei jeder Berufung ein Berufungsbeklagter vorhanden ist, so erklärt sich dies ohne weiteres daraus, dass die Berufung nicht bloss in Zivilrechtsstreitigkeiten (Art. 44 am Anfang,
Art. 45 lit. a und
Art. 46 OG
) ergriffen werden kann, sondern auch in gewissen andern Zivilsachen (Art. 44 lit. a-c,
Art. 45 lit. b OG
), die von den kantonalen Behörden nicht oder jedenfalls nicht notwendigerweise in einem kontradiktorischen Zweiparteienprozess zu behandeln sind.
4.
In der Sache selbst steht fest, dass der Vorsteher des Erziehungsheims L. für die Knaben Max und Franz auf den Zeitpunkt ihrer Schulentlassung Lehrstellen gefunden hatte (für Max als Bauschlosser, für Franz als Optiker), die den Vater finanziell nur wenig belastet hätten, dass R. aber diese Vorschläge trotz stundenlangem Zureden ablehnte, den Kindern den Wunsch nach beruflicher Ausbildung auszureden suchte und schliesslich alle drei Knaben (auch den noch schulpflichtigen, der nach Auffassung des Heimleiters dringend des weitern Schulunterrichts in seiner Muttersprache bedurft hätte) im Welschland in Hilfsstellen unterbrachte, welche dann die beiden ältern Knaben (oder auf jeden Fall Franz) eigenmächtig wechselten. Als dann ungünstige Berichte aus dem Welschland eintrafen, konnte R. zwar mit viel Mühe dazu gebracht werden, dass er sich einverstanden erklärte, seine Söhne eine Berufslehre machen zu lassen und den Rat eines erfahrenen Mannes anzunehmen, hielt aber sein Versprechen nicht und lehnte alle weitern Vorschläge, die ihm unterbreitet wurden, rundweg ab, ohne dagegen sachliche Einwendungen erheben zu können. Damit hat er die ihm nach
Art. 276 ZGB
obliegende Pflicht, für die
BGE 86 II 213 S. 218
Ausbildung der Kinder in einem Berufe zu sorgen, gröblich verletzt.
R. will dies freilich nicht gelten lassen, weil er sich seinerseits bemüht habe, für seine Kinder Lehrstellen zu finden, und weil er anderseits als ungelernter Arbeiter gar nicht verpflichtet sei, seine Kinder in einem Beruf ausbilden zu lassen. Diese Einwendungen sind jedoch unbehelflich.
a) Richtig ist zwar, dass R. im Spätherbst 1958 mit der Bezirks-Berufsberatungsstelle Olten in Verbindung trat und sich für ausgeschriebene Schmiede- bzw. Schlosserlehrstellen interessierte, und dass er dann im April 1959 mit dem Inhaber eines Bierdepots in Leysin unterhandelte, der eine kaufmännische Lehrstelle anbot, und im August 1959 (also um die Zeit, da der Jugendfürsorger von Yverdon und Umgebung sich an die Gemeindebehörden von T. wandte) in der "Feuille d'Avis de Lausanne" ein Inserat erscheinen liess, wonach er für einen Knaben von 14 Jahren und einen solchen von 15 Jahren (also offenbar für Robert und Franz) "une bonne place libre" bzw. "une place" mit Gelegenheit zum Besuch von Kursen oder zum Absolvieren einer Handelslehre suchte. Diese Bemühungen führten aber nicht zu einem positiven Ergebnis. Ob R. schon vor dem Eingreifen der Vormundschaftsbehörde oder erst später mit den Personalchefs G. und Z. von der SBB- bzw. PTT-Verwaltung in Basel Fühlung genommen habe, kann dahingestellt bleiben; denn wenn er wirklich den ernsten Willen gehabt hätte, seinen Söhnen passende Lehrstellen zu verschaffen, hätte er nur den Vorschlägen des Vorstehers des Erziehungsheims L. zu folgen brauchen, der die Fähigkeiten und Neigungen der Knaben besser als er selber kannte und eine für ihn auch finanziell tragbare Lösung gefunden hatte. Eine Anstellung bei der Post, wie Z. sie offenbar hätte vermitteln sollen, ist R. übrigens bei der Verhandlung vom 28. Januar 1960 vorgeschlagen und von ihm abgelehnt worden. Seine ganze Haltung in dieser Angelegenheit ist also unzweifelhaft nicht durch
BGE 86 II 213 S. 219
irgendwelche sachliche Erwägungen, sondern durch reinen Eigensinn und, wie die Vorinstanz annimmt, durch Eigennutz bestimmt worden.
b) Um darzutun, dass er nicht verpflichtet sei, seine Kinder einen Beruf erlernen zu lassen, beruft sich R. auf den Kommentar EGGER (N. 7 zu Art. 273 und N. 6 zu
Art. 275 ZGB
), wo es unter anderem heisst, die Eltern seien berechtigt, die Dienste der Kinder "nicht nur soweit erzieherisch geboten, sondern soweit als erzieherisch angängig in Anspruch zu nehmen"; sie seien zu einer ihren Verhältnissen entsprechenden Erziehung verpflichtet; es solle eine Erziehung sein, die den Kindern die Fortführung der elterlichen Lebensstellung ermögliche. Aus diesen Zitaten lässt sich jedoch keineswegs ableiten, dass ein ungelernter Arbeiter wie R. nicht gehalten sei, seinen Kindern eine berufliche Ausbildung zuteil werden zu lassen. Mit der Frage der Berufsausbildung befasst sich
Art. 276 ZGB
. Diese Bestimmung sieht die Ausbildung der Kinder in einem Beruf nach Anordnung der Eltern vor und weist die Eltern an, soweit möglich auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Neigungen der Kinder Rücksicht zu nehmen. EGGER betont in N. 1 zu Art. 276 die grosse Bedeutung der beruflichen Tüchtigkeit für den einzelnen Menschen wie für die Öffentlichkeit und stellt im Anschluss daran fest: "Deshalb anerkennt das ZGB... einen Anspruch der Kinder auf berufliche Ausbildung. Die Eltern handeln pflichtwidrig und schuldhaft, wenn sie ihnen diese Ausbildung vorenthalten." Dieser Auffassung ist wenigstens für den Fall beizupflichten, dass die Gewährung einer solchen Ausbildung den Eltern bei gutem Willen finanziell möglich ist. Da die Knaben Max und Franz festgestelltermassen einen Beruf zu erlernen wünschten und nach dem Ergebnis einer Prüfung durch den Berufsberater hiezu geeignet waren, und da diese Ausbildung dem Vater nur geringe, für ihn tragbare Kosten verursacht hätte, handelte R. pflichtwidrig,
BGE 86 II 213 S. 220
indem er seinen Söhnen den Antritt der Lehre nicht erlaubte. Sein Hinweis darauf, dass es unbeanstandet hingenommen werde, wenn "Leute in viel besserer Situation ihre Kinder in die Fabrik schicken", kann hieran nichts ändern. Manche Kinder können mangels Eignung oder Neigung beruflich nicht so gefördert werden, wie es an sich wünschbar und angesichts der wirtschaftlichen Lage der Eltern möglich wäre, und im übrigen können die Missbräuche anderer, auch wenn sie ungeahndet bleiben, nicht zur Rechtfertigung eigener grober Fehler dienen.
5.
Neben dem Widerstand gegen die berufliche Ausbildung der Söhne Max und Franz fällt R. auch zur Last, dass er die ins Welschland versetzten Knaben allzusehr sich selber überliess und den eigenmächtigen Stellenwechsel duldete, wodurch er die Knaben ernstlichen Gefahren aussetzte. Auch darin liegt eine schwere Verletzung der Erzieherpflichten.
6.
Das geschilderte Verhalten R. stellt eine grobe Pflichtvernachlässigung im Sinne von
Art. 285 ZGB
dar. Es bedeutet daher keine Bundesrechtsverletzung, dass die Vorinstanzen ihm in Anwendung dieser Bestimmung die elterliche Gewalt entzogen haben.
Richtig ist freilich, dass die Behörden nur dann zur Entziehung der elterlichen Gewalt schreiten dürfen, wenn mildere Massnahmen nichts fruchten (vgl.
BGE 38 II 454
,
BGE 42 II 97
). Diesem Grundsatz haben jedoch die Vorinstanzen nicht zuwidergehandelt. Die elterliche Gewalt wurde R. erst entzogen, nachdem alle andern Versuche, den Kindern zu einer angemessenen beruflichen Ausbildung zu verhelfen und sie vor dem verderblichen Einfluss eines ungebundenen Lebens zu bewahren, an der verfehlten Haltung R. gescheitert waren.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der Entscheid des Regierungsrates
BGE 86 II 213 S. 221
des Kantons Solothurn vom 8. April 1960 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad2cf3d4-7e48-4f6e-a338-b621f38e64fc | Urteilskopf
110 IV 52
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1984 i.S. O. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden und Schweizerische Bundesanwaltschaft (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 1 BG über das Kriegsmaterial, Art. 2 Vo zum BG über das Kriegsmaterial.
Für die Bezeichnung von Waffen als Kriegsmaterial im Sinne von Art. 1 des BG über das Kriegsmaterial ist unerheblich, inwieweit diese in der Schweizer Armee bzw. Armeen umliegender Staaten (noch) verwendet werden. | Sachverhalt
ab Seite 52
BGE 110 IV 52 S. 52
Ohne im Besitze einer Grundbewilligung gemäss Art. 4 BG über das Kriegsmaterial (KMG) zu sein, handelte O. in den Jahren 1978 bis 1980 wiederholt mit Waffen. Bis 19. April 1980 verkaufte er ca. 60 bis 70 Karabiner 11, Karabiner 31 und Langgewehre. Obwohl die Polizei ihn an der Waffenbörse Luzern auf die geltenden Bestimmungen aufmerksam machte, setzte er vom 20. April bis 27. Oktober 1980 erneut 10 Karabiner über einen ihm bekannten patentierten Waffenhändler ab.
Das Kantonsgericht des Kantons Nidwalden verurteilte O. am 7. März 1984 wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Beschaffung bzw. Vertriebs von Kriegsmaterial, ohne im Besitze der erforderlichen
BGE 110 IV 52 S. 53
Bewilligung zu sein, zu einer Busse von Fr. 500.- sowie zur Ablieferung des erzielten Gewinnes. Diesen Entscheid ficht O. mit eidg. Nichtigkeitsbeschwerde an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer erblickt eine Verletzung von Bundesrecht in der vorinstanzlichen Auffassung, wonach es sich bei den von ihm gehandelten Karabinern 11, Karabinern 31 und Langgewehren um Kriegsmaterial gemäss
Art. 1 KMG
und Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 der Verordnung über das Kriegsmaterial (VKM) handelte. Die genannten Waffen stellten, weil von der Schweizer Armee sowie allen andern Armeen nicht mehr gebraucht, keine Kampf-, sondern bloss Sportwaffen (im Sinne von
Art. 2 lit. b VKM
) und damit kein Kriegsmaterial dar. Es sei nicht Sinn und Zweck des Kriegsmaterialgesetzes, den Kauf und Verkauf von bei der Schweizer Armee "ausrangierten" und in einigen Kantonen ohne Bewilligung erhältlichen Waffen zu verbieten.
Gemäss
Art. 1 KMG
gelten als Kriegsmaterial nicht bloss Waffen, welche bei der Schweizer Armee im fraglichen Zeitpunkt zum Einsatz kommen, sondern auch solche, welche als Kampfmittel verwendet werden können. Dementsprechend nimmt
Art. 2 lit. b VKM
nur diejenigen alten Waffen von den Bestimmungen über das Kriegsmaterial aus, für welche keine verwendbare Munition mehr hergestellt wird oder im öffentlichen Handel erhältlich ist. Der Beschwerdeführer macht selbst nicht geltend, dass dies für die von ihm gehandelten Waffen zutreffe. Die Ansicht aber, wonach die "bei der Armee ausrangierten" Karabiner und Langgewehre als Sportwaffen im Sinne von
Art. 2 lit. b VKM
zu gelten hätten und damit kein Kriegsmaterial mehr darstellten, findet keine Stütze im Gesetz und in der Verordnung; aus der Aufzählung in
Art. 2 VKM
sowie aus dem Wortlaut in lit. b dieser Bestimmung, wonach Sportwaffen für den Fachmann als solche erkennbar sein müssen und in gleicher Ausführung nicht auch Kampfwaffen sein dürfen, ergibt sich, dass Kampfwaffen (Kriegsmaterial) nicht automatisch zu Sportwaffen werden, wenn sie in der Schweizer Armee keine Verwendung mehr finden. Im übrigen ist nach dem oben Dargelegten nicht ersichtlich, weshalb die Einstufung der Karabiner und Langgewehre als Kriegsmaterial Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen soll, könnten die genannten Waffen doch ohne weiteres als Kampfmittel (z.B. in ausländischen Konfliktsgebieten)
BGE 110 IV 52 S. 54
verwendet werden. Aus dem angeblich in einigen Kantonen möglichen Kauf und Verkauf von Karabinern ohne Bewilligung lässt sich für die Ansicht des Beschwerdeführers nichts herleiten. Die Vorinstanz hat die fraglichen Waffen deshalb zu Recht als Kriegsmaterial im Sinne des KMG und der VKM bezeichnet. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ad2e4b67-bbfe-4519-94cd-8eb1973e9ff0 | Urteilskopf
92 II 323
48. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. November 1966 i.S. Strub gegen Springer. | Regeste
Grundstückkauf, Formmangel, Rechtsmissbrauch;
Art. 216 OR
,
Art. 2 ZGB
.
Nichtigkeit des Vertrages wegen Beurkundung eines andern als des wirklich vereinbarten Kaufpreises (Erw. 2).
Unbeachtlichkeit des Formmangels wegen rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung desselben? (Erw. 3-6). | Sachverhalt
ab Seite 323
BGE 92 II 323 S. 323
A.-
Der Kläger Strub verkaufte mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 29. Dezember 1961 dem Beklagten Dr. Springer, seinem Nachbarn, zwei Grundstücke im Masse von 405 m2 und ca 92 m2, die an die Liegenschaft des Beklagten angrenzten. Die Parteien vereinbarten einen Kaufpreis von Fr. 75.- pro m2; verurkundet wurde jedoch nur ein Preis von Fr. 35.-.
Der Beklagte liess durch den Kläger auf den verkauften beiden Grundstücken Gartenarbeiten ausführen. Im Frühjahr 1963 kam es zwischen den Parteien zum Streit, da der Beklagte eine ihm vom Kläger gestellte Rechnung im Betrage von Fr. 2952.35 als übersetzt erachtete. Mit Schreiben vom 12. März 1963 forderte der Beklagte vom Kläger die Rückerstattung der Schwarzzahlung von Fr. 22'000.-- und setzte ihm hiefür Frist an bis zum 15. April 1963; er behauptete, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei der Empfänger einer Schwarzzahlung zur Rückerstattung verpflichtet. Der Kläger kam der Zahlungsaufforderung jedoch nicht nach.
Am 14. Mai 1963 verlangte der Beklagte vom Kläger die sofortige Beseitigung von Sträuchern und Bäumen auf den
BGE 92 II 323 S. 324
verkauften Grundstücken. Daraufhin schlug der Kläger mit Schreiben seines Anwalts vom 31. Mai 1963 dem Beklagten vor, den Kaufvertrag aufzuheben, ansonst er Klage auf Feststellung der Nichtigkeit desselben einreichen werde. Ein längerer Briefwechsel der Parteien zwecks gütlicher Beilegung des Streites führte zu keinem Erfolg.
B.-
Mit Klage vom 22. Dezember 1964 verlangte der Kläger, es sei die Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1961 festzustellen und es seien die gestützt auf diesen Vertrag vorgenommenen Grundbucheintragungen zu löschen.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage, weil die Berufung des Klägers auf den Formmangel rechtsmissbräuchlich sei.
C.-
Das Bezirksgericht Zürich schützte mit Urteil vom 3. November 1965 die Klage.
Das Obergericht des Kantons Zürich hiess mit Urteil vom 11. Februar 1966 die Berufung des Beklagten gut und wies die Klage mit der Begründung ab, die Geltendmachung des Formmangels durch den Kläger stelle einen Rechtsmissbrauch dar.
D.-
Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt, mit der er die Gutheissung der Klage beantragt.
Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Da die Parteien im Kaufvertrag vom 29. Dezember 1961 einen Kaufpreis von Fr. 35.- pro m2 haben beurkunden lassen, während der in Wirklichkeit vereinbarte und bezahlte Preis Fr. 75.- pro m2 betrug, ist nach gefestigter Rechtsprechung davon auszugehen, dass der abgeschlossene Kaufvertrag nichtig ist (
BGE 84 IV 164
,
BGE 86 II 37
, 231, 260, 400 Erw. 1,
BGE 87 II 30
,
BGE 90 II 156
, 296). Das nimmt an sich auch die Vorinstanz an. Sie vertritt jedoch die Meinung, es handle sich dabei nicht um eine Nichtigkeit im gewöhnlichen Sinne, sondern um eine Ungültigkeit eigener Art, die zwar jedermann gegenüber wirke, aber der Geltendmachung durch eine Vertragspartei bedürfe und daher nicht von Amtes wegen zu berücksichtigen sei. Diese Auffassung ist jedoch in
BGE 86 II 401
f. mit einlässlicher Begründung abgelehnt worden. Daran ist festzuhalten; dass die These von der besonderen Natur der Ungültigkeit auch seither
BGE 92 II 323 S. 325
im Schrifttum wieder aufgenommen worden ist (MEIER-HAYOZ ZGB Art. 657 N. 130), gibt nicht Anlass, auf die oben erwähnte Rechtsprechung zurückzukommen.
3.
Die Formnichtigkeit ist jedoch, wie das Bundesgericht in der erwähnten Rechtsprechung weiter entschieden hat, im Verhältnis unter den Parteien unbeachtlich und die Berufung darauf unstatthaft, wenn sie gegen Treu und Glauben verstösst und daher einen offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
darstellt.
Unter welchen Voraussetzungen insbesondere die Geltendmachung der auf unwahrer Beurkundung des Kaufpreises beruhenden Formnichtigkeit als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, stellt ein rechtspolitisch und praktisch gleichermassen wichtiges Problem dar; weder der Rechtsprechung noch der Lehre ist es bis anhin gelungen, dafür eine allseitig befriedigende Lösung zu finden (vgl. hiezu insbesondere MERZ, ZGB Art. 2, N. 461 -510). Die Gründe hiefür sind mannigfacher Art. Die vorbehaltlose und unbefristete Anerkennung der üblichen zivilrechtlichen Auswirkungen der Nichtigkeit unrichtig beurkundeter Grundstück-Kaufverträge würde zu grössten praktischen Schwierigkeiten und zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit führen. Anderseits bieten auch das Rechtsempfinden und die Rechtsethik keine Anhaltspunkte für ein taugliches Kriterium der missbräuchlichen Geltendmachung der Nichtigkeit des Vertrages. In der Regel haben mit der Falschbeurkundung beide Parteien gleich oder fast gleich verwerflich gehandelt; es hält deshalb schwer, zu bestimmen, welchem von ihnen - wenigstens moralisch - eher der Anspruch auf den Vorteil aus der Nichtigerklärung bezw. aus der Aufrechterhaltung des Vertrages zuzubilligen sei. Aus dieser Situation erklärt sich denn auch der vom Bundesgericht in seiner Rechtsprechung eingenommene Standpunkt, dass die Frage der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf den Formmangel nicht nach starren Regeln entschieden werden könne, sondern sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles beantworten lasse.
Unter den Umständen, die zu berücksichtigen sind, kommt der erfolgten freiwilligen Erfüllung des Kaufvertrages durch die Parteien überragende Bedeutung zu (
BGE 90 II 157
und dort erwähnte Entscheide). Sie schliesst zwar die Berücksichtigung der Nichtigkeit des Vertrages nicht notwendigerweise aus,
BGE 92 II 323 S. 326
lässt aber die Anrufung des Formmangels doch als rechtsmissbräuchlich erscheinen, wenn nicht die Würdigung aller übrigen Umstände, namentlich das Verhalten der Parteien bei und nach Vertragsschluss, aus dem Gesichtswinkel von Treu und Glauben eindeutig zum gegenteiligen Schlusse führt.
Zu Unrecht erblickt die Minderheit des Obergerichts in dieser Auffassung eine "Aufweichung des Gesetzestextes". Die dargelegte Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbotes des
Art. 2 Abs. 2 ZGB
drängt sich vielmehr aus Gründen der Rechtssicherheit auf. Diese gebietet, dass im Bereich des Grundeigentums ein mit Zustimmung aller Beteiligten endgültig geschaffener Rechtszustand nicht ohne Not rückgängig gemacht wird, sondern wenn möglich aufrecht erhalten bleibt, auch wenn er auf ein formnichtiges Rechtsgeschäft zurückgeht. Die uneingeschränkte Berücksichtigung des Formmangels in so gelagerten Fällen würde zu unübersehbaren Schwierigkeiten und Unsicherheiten führen, zumal eine zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit des Formmangels fehlt, er also jederzeit 10, 20 und mehr Jahre nach Vertragsschluss angerufen werden könnte.
Mit diesen Überlegungen sollen die im Grundstückhandel häufig anzutreffenden übeln Machenschaften im Zusammenhang mit der Verurkundung des Kaufpreises keineswegs beschönigt oder gar entschuldigt werden. Indessen können sie unter der Herrschaft der gegenwärtigen Rechtsordnung wirksamer mit den Mitteln des Strafrechtes und des Steuerrechtes, als mit jenen des Zivilrechts bekämpft werden.
4.
Im vorliegenden Falle ist der Kaufvertrag vom 29. Dezember 1961 von beiden Parteien aus freien Stücken erfüllt worden. Der Kläger hat dank der Schwarzzahlung von Fr. 40.- pro m2 neben dem beurkundeten Betrag von Fr. 35.- den Kaufpreis erhalten, den er zur Zeit des Vertragsabschlusses als angemessen erachtete und forderte, nämlich Fr. 75.- pro m2. Der Kläger hat ferner die gestützt auf den Kaufvertrag auf den Beklagten übertragenen Eigentumsrechte faktisch anerkannt, indem er im Jahre 1962 auf dem verkauften Land umfangreiche Gartenarbeiten im Auftrage des Beklagten ausführte und diesem am 15. Januar 1963 für "die Gestaltung der Gartenanlage der neu gekauften Parzellen" Rechnung in der Höhe von Fr. 2952.35 stellte. Er hat sich also mit der Veräusserung der zwei Parzellen endgültig abgefunden und sein Verhalten während längerer Zeit hierauf ausgerichtet.
BGE 92 II 323 S. 327
Diese Umstände sprechen für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse; dies um so mehr, als ein einleuchtendes schutzwürdiges Motiv für die nachträgliche Kehrtwendung des Klägers nicht ersichtlich ist. Namentlich kann keine Rede davon sein, dass der Kläger irgendwie auf den Wiedererwerb des Eigentumsrechtes angewiesen ist oder ohne ihn einen nicht zumutbaren Vermögensverlust erleidet.
Der Kläger hat, wie aus einem von ihm im kantonalen Verfahren vorgelegten Schreiben vom 19. Januar 1966 ersichtlich ist, dem Beklagten vorgeschlagen, ihm die eine der beiden streitigen Parzellen, nämlich diejenige im Ausmass von 405 m2, erneut zu verkaufen, jedoch zu einem von Fr. 75.- auf Fr. 115.-- pro m2 erhöhten Preis, d.h. insgesamt zu Franken 46'575.-- statt zu Fr. 30'375.--. Dem Kläger geht es also einzig darum, die Wertsteigerung, welche das Land seit dem Abschluss des mangelhaften Vertrages erfahren hat, zu seinen Gunsten auszubeuten und dafür einen um Fr. 16'200.-- höheren Kaufpreis zu erzielen. Dieses Vorgehen ist rechtsmissbräuchlich. Zu Unrecht glaubt sich der Kläger darauf berufen zu können, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Verkäufer nicht rechtsmissbräuchlich handle, wenn er sich auf einen Formmangel beruft, um die Liegenschaft anderweitig vorteilhafter absetzen zu können. Denn in den Fällen
BGE 86 II 262
und
BGE 90 II 29
, die der Kläger dabei im Auge hat, waren die Kaufverträge im Gegensatz zum vorliegenden Falle noch nicht erfüllt, so dass ein wesentlich anderer Sachverhalt zu beurteilen war.
Dem Umstande, dass der Kläger den Kaufvertrag in Unkenntnis des Formmangels erfüllt hat, kommt entgegen der Auffassung der Berufung keine rechtserhebliche Bedeutung zu; denn der Kläger hat nach der Aufklärung durch seinen damaligen Anwalt im Frühjahr 1963 nicht unverzüglich die Aufhebung des Vertrages angestrebt, sondern den Rechtsweg gegen den Beklagten erst rund 11/4 Jahre später beschritten.
5.
Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Einrede, die Geltendmachung des Formmangels sei rechtsmissbräuchlich, in der Regel demjenigen versagt, der sich selber vertragswidriges, gegen Treu und Glauben verstossendes Verhalten vorwerfen lassen muss (
BGE 84 II 376
; MERZ, ZGB Art. 2 N. 477). Der Kläger macht geltend, dem Beklagten sei aus diesem Grunde die Berufung auf Rechtsmissbrauch nicht zuzubilligen;
BGE 92 II 323 S. 328
denn er habe selber rechtsmissbräuchlich gehandelt, indem er mit seinem Schreiben vom 12. März 1963 die geleistete Schwarzzahlung zurückverlangt habe mit der unzutreffenden Behauptung, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hierauf Anspruch zu haben.
Dieses Vorgehen des Beklagten ist von der Vorinstanz mit Grund als verwerfhich bezeichnet worden, weil er sich als Rechtskundiger darüber klar sein musste, dass seine Behauptung in Wirklichkeit nicht zutraf. Dieses Verhalten gibt jedoch nicht dazu Anlass, ihm die Einrede des Rechtsmissbrauches gegenüber der Klage zu verwehren. Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts hat sich der Kläger durch das Schreiben des Beklagten nicht ernstlich beeindrucken lassen und hat darauf überhaupt nicht reagiert, und in der Folge ist keine der Parteien auf die Frage einer solchen Rückerstattung je zurückgekommen. Das erwähnte Begehren hat insbesondere auch nicht etwa die Einleitung der vorliegenden Klage ausgelöst.
6.
Die dargelegten Überlegungen führen zum Schlusse, dass die Annahme der Vorinstanz, die Geltendmachung des Formmangels des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1961 durch den Kläger stelle einen Rechtsmissbrauch dar, nicht gegen Bundesrecht verstösst. Die Berufung des Klägers ist deshalb als unbegründet abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 11. Februar 1966 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad2fe17b-a700-4683-b203-ad322690d218 | Urteilskopf
119 III 118
34. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 23 août 1993 dans la cause K. (recours LP) | Regeste
Konkursverfahren; Abberufung eines Mitgliedes des nach
Art. 237 Abs. 3 SchKG
eingesetzten Gläubigerausschusses.
1. Keine Beschwerdelegitimation eines Mitglieds des Gläubigerausschusses: Einerseits ist seine Befugnis, als Gläubigervertreter zu handeln, nicht ausgewiesen, anderseits kann es wegen des Kollegialprinzips als Mitglied des Gläubigerausschusses nicht allein auftreten (E. 1).
2. Prüfungsbefugnis der kantonalen Aufsichtsbehörde und des Bundesgerichts bezüglich der Bestellung des Gläubigerausschusses. Im vorliegenden Fall hat die kantonale Aufsichtsbehörde das ihr zustehende Ermessen weder überschritten noch missbraucht, indem sie ein Mitglied des Gläubigerausschusses wegen Missachtung des Kollegialprinzips und vorsätzlicher Verletzung der Schweigepflicht abgesetzt hat (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 119 III 118 S. 119
Dans le cadre de la faillite de X. Holding, la première assemblée des créanciers a décidé la constitution d'une commission de surveillance de cinq membres selon l'
art. 237 al. 3 LP
. K. fut désigné pour en faire partie. Il avait proposé sa candidature en indiquant qu'il était secrétaire d'une association de défense des investisseurs et qu'il avait déjà de l'expérience dans la protection des obligataires; il ne représentait qu'un seul obligataire pour l'instant, mais il avait des contacts avec des obligataires en général.
Les membres de la commission de surveillance ont contresigné une lettre qui, soulignant le caractère particulier de la faillite de X. Holding, insistait sur le secret de fonction auquel ils étaient soumis et précisait qu'ils ne pourraient utiliser à des fins propres ou divulguer des informations ou documents reçus en leur qualité de commissaires. Lors d'une réunion commune entre l'administration spéciale et la commission de surveillance, K. fut interpellé à propos de démarches effectuées en sa qualité de membre de la commission de surveillance auprès d'un établissement bancaire C., bien que l'affaire traitée fût sans lien avec X. Holding. On lui reprocha également
BGE 119 III 118 S. 120
d'avoir pris des contacts avec une banque W., chef de file d'un emprunt obligataire émis par X. Holding, et d'en avoir pris d'autres individuellement, sans en référer à ses collègues mais en sa qualité de membre de la commission de surveillance, notamment avec l'autorité cantonale de surveillance. Aussi l'administration spéciale invita-t-elle K. à démissionner de la commission de surveillance. Requise par celui-ci de lui envoyer diverses pièces, "dont il avait besoin dans l'exercice de ses fonctions", elle s'y refusa et opposa par ailleurs une fin de non-recevoir à sa demande de paiement d'honoraires.
K. a porté plainte à l'autorité cantonale de surveillance, disant agir tant en sa qualité de "membre individuel de la commission de surveillance" que de "représentant des créanciers de X. Holding en faillite". Il estimait que, pour un membre de la commission de surveillance, "avoir des contacts directs avec des créanciers particuliers n'(était) pas seulement conforme à la loi mais exigé par celle-ci"; que l'administration spéciale n'avait pas "un monopole légal pour les contacts à l'extérieur, et tout particulièrement pour ce qui (était) des contacts entre des créanciers et des membres de la Commission de surveillance". Il admettait avoir cherché à consulter plusieurs créanciers, y compris l'établissement bancaire C. et la banque W., en raison des tentatives de l'administration spéciale de s'immiscer dans les "travaux, fonctions et prérogatives de la Commission de surveillance". Agissant de son côté par la voie d'une dénonciation, l'administration spéciale a demandé à l'autorité cantonale de surveillance de prononcer la révocation de K. Elle faisait valoir en substance que ce dernier avait abusé de ses pouvoirs et violé le principe de la collégialité en prenant des contacts intempestifs avec certains créanciers ou tiers, sans en référer à ses collègues, ni à l'administration spéciale. L'autorité cantonale de surveillance a déclaré la plainte de K. irrecevable et prononcé la révocation de celui-ci de la commission de surveillance.
K. a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. C'était à tort, selon lui, que l'autorité cantonale avait admis sa compétence pour modifier la composition de la commission de surveillance; seule l'assemblée des créanciers aurait été habilitée à se prononcer à ce sujet. Elle aurait par ailleurs abusé de son pouvoir d'appréciation. La Chambre des poursuites et des faillites a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
BGE 119 III 118 S. 121
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
L'autorité cantonale de surveillance a déclaré la plainte de K. irrecevable aussi bien en tant que celui-ci prétendait agir comme représentant des créanciers de X. Holding que dans la mesure où il se fondait sur sa qualité de membre individuel de la commission de surveillance.
a) Selon les constatations de l'autorité cantonale, qui lient en principe le Tribunal fédéral (
art. 63 al. 2 OJ
applicable par analogie en vertu du renvoi de l'art. 81 de la même loi), le recourant s'est borné à déclarer, lors de la première assemblée des créanciers du 17 février, qu'il représentait un seul obligataire; sa plainte du 28 avril n'a pas apporté de précisions sur ce point; sa réponse en instance cantonale mentionnait qu'il avait reçu un "mandat supplémentaire" d'un créancier "particulièrement engagé" (Z.). Cela étant, l'autorité cantonale a retenu que K. avait uniquement établi représenter les intérêts de l'obligataire Z. dans la faillite de X. Holding; la procuration produite ne faisant nullement état de la procédure pendante, le plaignant ne pouvait être considéré comme agissant pour le compte dudit obligataire. Au demeurant, quand bien même cette procuration aurait couvert la procédure de plainte, la recevabilité de celle-ci n'en restait pas moins douteuse, car la plainte n'était pas dirigée contre une mesure de l'administration de la faillite affectant les intérêts, de droit et de fait, de Z. L'autorité cantonale s'est appuyée à cet égard sur la doctrine (P.-R. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 56).
Sur ce point, le recourant ne démontre nullement en quoi consisterait la prétendue violation du droit fédéral (cf.
art. 79 al. 1 OJ
). Son grief de violation de l'
art. 4 Cst.
est d'emblée irrecevable car, conformément à l'
art. 43 al. 1 OJ
, applicable par renvoi de l'
art. 81 OJ
, une éventuelle violation d'un droit constitutionnel ne peut être invoquée que dans un recours de droit public (
ATF 113 III 88
,
ATF 107 III 12
consid. 1). Le fait que K. aurait aussi agi personnellement en qualité de créancier est nouveau et, comme tel, irrecevable en vertu de l'
art. 79 al. 1 OJ
. Il repose notamment sur un courrier postérieur à la décision attaquée; le recourant admet par ailleurs qu'il aurait pu être révélé "auparavant", devant l'autorité cantonale de surveillance. Les conclusions qu'il tire de sa prétendue qualité de créancier n'ont dès lors pas à être examinées.
b) L'autorité cantonale a soigneusement et clairement expliqué pourquoi le plaignant n'avait pas qualité pour agir comme membre
BGE 119 III 118 S. 122
individuel de la commission de surveillance. Elle s'est fondée pour cela sur la jurisprudence et la doctrine, qui soulignent le caractère collégial de la commission de surveillance, dont les compétences appartiennent à l'organe compris comme un tout (
ATF 51 III 163
; BRIGIT HÄNZI, Die Konkursverwaltung nach schweizerischem Recht, thèse Zurich 1979, p. 63) et qui ne peut agir que comme une communauté conjointe, ses membres séparément n'ayant aucun droit de s'immiscer dans la gestion de l'administration de la masse (C. JAEGER, Commentaire de la LP, n. 9 ad art. 237), sous réserve d'une délégation de pouvoirs de la collectivité (
ATF 40 III 228
).
L'argument essentiel invoqué par le recourant à l'encontre de ce point de vue est qu'il est lui-même créancier et qu'en cette qualité il pouvait se plaindre du tarif horaire accordé aux membres de l'administration spéciale et de l'absence de rémunération pour les membres de la commission de surveillance. Le moyen reposant sur un fait nouveau irrecevable (cf. consid. a in fine ci-dessus), il n'y a pas lieu de s'y arrêter davantage. Au reste, l'exposé de l'autorité cantonale sur la question est convaincant et l'on peut y renvoyer (
art. 36a al. 3 OJ
), notamment en ce qui concerne la différence qu'il y a lieu de faire par rapport à l'
ATF 51 III 163
, où le Tribunal fédéral a certes reconnu à chaque membre de la commission le droit de porter plainte, mais contre des actes d'administration qui, bien que nécessitant le concours de ladite commission, avaient été accomplis sans le consentement de celle-ci ou sans que le membre plaignant ait eu son mot à dire. Une telle hypothèse n'était pas réalisée dans la présente espèce.
4.
Lorsqu'elle statue sur un recours ou, comme en l'espèce, sur une dénonciation concernant la désignation et la composition de la commission de surveillance, l'autorité de surveillance doit revoir ces questions du point de vue de l'opportunité et substituer, le cas échéant, sa propre appréciation à celle de l'assemblée des créanciers. Le Tribunal fédéral ne peut que rechercher si l'autorité de surveillance a, sur ce point, excédé son pouvoir d'appréciation ou si elle en a abusé (
ATF 97 III 126
consid. 5).
Selon les constatations de la décision attaquée, K. a pris de sa propre initiative, alors qu'il était lié par l'obligation de collégialité, des contacts avec plusieurs créanciers de la masse en faillite de X. Holding, en particulier avec un établissement bancaire (C.) ayant avec X. Holding des relations "délicates"; à cet effet, il s'est prévalu de façon ambiguë de sa qualité de membre de la commission de surveillance; à un autre établissement (banque W.), il a "proposé sa collaboration dans le contexte de la faillite de X. Holding". D'autres
BGE 119 III 118 S. 123
faits démontraient encore que K. faisait fi du principe de la collégialité de la commission de surveillance. Il avait par ailleurs fait part de son intention de persister dans la voie qu'il avait ouverte, soit de se mettre en rapport avec les créanciers "afin qu'ils puissent se déterminer sur la façon dont leurs intérêts (étaient) traités". De surcroît, K. s'était déclaré soumis au devoir de discrétion propre à un organe compétent en matière d'exécution forcée et exerçant des charges publiques; il s'était engagé à ne pas utiliser à des fins propres ou divulguer des informations ou documents qu'il pourrait avoir reçus en sa qualité de membre de la commission de surveillance (lettre de l'administration spéciale du 30 mars 1993); ne prétendant nullement avoir contresigné celle-ci sous l'empire d'une contrainte ou avoir été victime d'un autre vice de volonté, il devait être considéré comme lié par son engagement; or il avait délibérément violé son obligation de discrétion en communiquant à la banque W. le texte de la dénonciation de l'administration spéciale et en intervenant auprès d'un autre établissement bancaire (Y.) à propos d'une éventuelle participation de celui-ci à la rémunération de la commission de surveillance (recte: participation "aux frais de l'association des créanciers qu'il disait représenter").
En retenant, dans ces circonstances, que K. avait gravement manqué aux devoirs liés à sa position de membre de la commission de surveillance et que sa révocation paraissait non seulement opportune mais encore nécessaire, l'autorité cantonale de surveillance n'a commis ni excès ni abus de son pouvoir d'appréciation. Le recourant n'en fait en tout cas pas la démonstration. Que la réponse de l'établissement bancaire Y. ne parle pas expressément de la commission de surveillance, mais simplement de "l'association des créanciers" que K. disait représenter, n'est pas de nature à conduire à d'autres conclusions, compte tenu du flou de la requête de celui-ci, l'auteur de la réponse avouant n'en avoir "pas exactement saisi l'objet", et du fait que les termes utilisés dans le contexte de ladite réponse pouvaient très bien faire penser à la commission de surveillance ("der Gläubigerausschuss, la delegazione dei creditori"). Quoi qu'il en soit, la démarche auprès de l'établissement bancaire Y. n'a pas été jugée décisive à elle seule. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ad3d0434-f98f-4c8c-b056-d2a5cbfd2ed6 | Urteilskopf
100 II 298
43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. November 1974 i.S. Maurer gegen Feltscher. | Regeste
Art. 333 ZGB
; Verantwortlichkeit des Familienhauptes
Die Beaufsichtigungspflicht im Sinne von
Art. 333 ZGB
umfasst nicht nur die Pflicht zur eigentlichen Überwachung des Unmündigen, sondern auch zur Ergreifung aller Massnahmen, die geeignet sind, den Minderjährigen an der Verursachung eines Schadens zu hindern. Insbesondere hat das Familienhaupt dafür zu sorgen, dass einem Minderjährigen, dem ein gefährliches Instrument zum Gebrauch überlassen wird, die nötigen Anleitungen gegeben werden, damit er sich des Instruments ohne Gefährdung Dritter bedienen kann. Ein solches gefährliches Instrument stellt ein Luftgewehr dar, das einem 15-jährigen Knaben überlassen wird (Erw. 3).
Art. 46 OR
Bei der Abschätzung der künftigen Erwerbseinbusse eines verunfallten Kindes sind alle Umstände, insbesondere auch die beruflichen Aussichten des Kindes, zu berücksichtigen. Annahme eines Invaliditätsgrades von 25% bei einem 15-jährigen Knaben, der durch einen Unfall ein Auge verloren hat (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 299
BGE 100 II 298 S. 299
A.-
Stefan Maurer, geboren 1955, und Anton Mittner schossen am Nachmittag des 7. April 1970 südlich der Ortschaft Felsberg in der in einer Mulde beim Rhein gelegenen Kehrichtdeponie mit ihren Luftgewehren auf Ratten. Gegen 18 Uhr kamen Markus Feltscher, geboren 1957, und ein weiterer Knabe mit Abfällen in die Kehrichtgrube. Sie sahen lediglich Anton Mittner, der in der Mitte der Grube auf Ratten lauerte, während sie den in der Nähe in einem Gebüsch verharrenden Stefan Maurer nicht bemerkten. Dieser seinerseits sah die beiden ankommenden Knaben, schenkte ihnen jedoch keine weitere Aufmerksamkeit. Als er dann einen Schuss gegen eine Ratte abgab, prallte die Kugel an einem harten Gegenstand ab und traf den 5-10 Meter neben der eigentlichen Flugbahn stehenden Markus Feltscher ins rechte Auge. Die Verletzung hatte den Verlust des Auges zur Folge. Der behandelnde Arzt führte in seinem Gutachten vom 30. Juli 1970 unter anderem aus:
"Nach schwerer Schussverletzung des Auges Erblindung desselben. Der Bulbus ist geschrumpft. Für die Zukunft bleibt zu fürchten, dass das Wachstum der knöchernen Augenhöhle zurückbleibt und eine Gesichtsasymetrie resultiert. Mit einer Bulbus-Schalenprothese wird das kosmetische Aussehen zu bessern sein. Halbjährliche Kontrollen werden nötig sein wegen der latenten Gefahr der sympathischen Ophtalmie im linken gesunden Auge.
Die Verletzung ist als schwere Körperverletzung zu bezeichnen.
Invaliditätsgrad: Dauerinvalidität vorläufig mit 30% anzusetzen."
BGE 100 II 298 S. 300
Der von der Versicherungsgesellschaft Union beigezogene Gutachter kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen und bezifferte die Dauerinvalidität des verletzten Knaben ebenfalls auf 30%.
B.-
Mit Leitschein vom 1. Februar 1972 und Prozesseingabe vom 21. Februar 1972 verlangte Markus Feltscher beim Bezirksgericht Imboden, Stefan Maurer, der Vater des Schädigers, sei zu verpflichten, ihm Fr. 136 528.-- nebst 5% Zins von Fr. 111 688.-- seit 7. April 1970 zu zahlen. Die Forderung setzte sich zusammen aus einer kapitalisierten Rente in der Höhe von Fr. 111 688.-- sowie Fr. 4840.-- für künftige Arztkosten und Fr. 20 000.-- für Genugtuung.
Das Bezirksgericht Imboden hiess die Klage am 14. März 1973 gut, indem es dem Kläger eine aufgeschobene Invalidenrente von Fr. 124 125.-- sowie Fr. 4718.-- für regelmässige ärztliche Kontrolluntersuchungen und Fr. 7685.-- als Genugtuung, total also Fr. 136 528.--, nebst 5% Zins von Fr. 111 688.-- seit dem Datum der Urteilsfällung zusprach.
Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wurde vom Kantonsgericht von Graubünden am 25. März 1974 abgewiesen.
C.-
Gegen diesen Entscheid erhebt der Beklagte Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, die Klage sei abzuweisen, eventuell sei sie im Fr. 30 000.-- (inklusive Genugtuung) übersteigenden Betrag abzuweisen, subeventuell sei bei Bejahung der Haftpflicht nach
Art. 333 ZGB
gestützt auf
Art. 46 Abs. 2 OR
von Amtes wegen infolge völliger Ungewissheit der Verminderung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten zugunsten des Klägers ein Rektifikationsvorbehalt ins Urteil aufzunehmen des Inhalts, dass die Bemessung der Ersatzpflicht für eventuell doch beeinträchtigte Erwerbsfähigkeit nach getroffener Berufswahl des Verletzten Gegenstand einer zweiten Schadenersatzklage sein solle.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist, und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Nach
Art. 333 ZGB
haftet für Schäden, die von einem unmündigen Hausgenossen verursacht worden sind, das
BGE 100 II 298 S. 301
Familienhaupt, sofern es nicht darzutun vermag, dass es das übliche und durch die Umstände gebotene Mass von Sorgfalt in der Beaufsichtigung beobachtet hat. Die mangelhafte Beaufsichtigung des Unmündigen durch das Familienhaupt wird gesetzlich vermutet. Der Beklagte hat zu beweisen, dass er die den Umständen angemessene Aufsicht ausgeübt hat (
BGE 57 II 131
; EGGER, N. 12 und 14 und SILBERNAGEL, N. 9, 14 und 16 f. zu
Art. 333 ZGB
).
Das Mass der dem Familienhaupt obliegenden Sorgfaltspflicht in der Beaufsichtigung eines unmündigen Hausgenossen richtet sich nicht nach abstrakten Prinzipien, sondern nach den konkreten Verhältnissen des einzelnen Falles. Die Rechtsprechung stellt als Kriterium für das durch die Umstände gebotene Mass von Sorgfalt zunächst darauf ab, ob eine schädigende Haltung des Hausgenossen überhaupt voraussehbar gewesen sei oder nicht. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so kann dem Familienhaupt das Ungenügen einer über das übliche Mass hinausgehenden Überwachung nicht zum Vorwurf gemacht werden (
BGE 79 II 353
und
BGE 74 II 196
).
Besteht Grund für die Annahme, dass der Unmündige durch sein Verhalten einem Dritten Schaden zufügen könnte, so richtet sich das dem Familienhaupt obliegende übliche und durch die Umstände gebotene Mass von Sorgfalt nach den örtlichen, sozialen und persönlichen Verhältnissen, insbesondere den lokalen Gegebenheiten, dem Alter und Charakter des Unmündigen und der Natur des Instrumentes, mit dem möglicherweise ein Schaden verursacht werden kann. Die Beaufsichtigungspflicht im Sinne von
Art. 333 ZGB
umfasst nicht nur die Pflicht zur eigentlichen Überwachung des Unmündigen, sondern auch die Pflicht zur Ergreifung aller Massnahmen, die geeignet sind, den Minderjährigen an der Verursachung eines Schadens zu hindern (
BGE 95 II 259
/60,
BGE 79 II 353
und
BGE 57 II 129
). Insbesondere hat das Familienhaupt dafür zu sorgen, dass einem Minderjährigen, dem ein gefährliches Instrument zum Gebrauch überlassen wird, die nötigen Anleitungen gegeben werden, damit er sich des Instrumentes ohne Gefährdung Dritter bedienen kann (
BGE 43 II 147
). Es geht nicht an, einem Unmündigen ein gefährliches Instrument zu überlassen und ihn damit frei schalten und walten zu lassen (
BGE 62 II 74
).
b) Dass ein Luftgewehr bei unkorrekter Handhabung
BGE 100 II 298 S. 302
schwere Verletzungen verursachen kann, beweisen der Unfall und die Tatsache, dass durch derartige Schusswaffen schon wiederholt ähnliche schwere Unfälle herbeigeführt wurden (vgl. dazu
BGE 57 II 564
,
BGE 44 II 8
,
BGE 41 II 419
,
BGE 32 II 460
). Man kann sich fragen, ob ein Luftgewehr angesichts seiner Gefährlichkeit einem 15-jährigen Knaben überhaupt zum unbeaufsichtigten Gebrauch überlassen werden dürfe. Das Bundesgericht beurteilte diese Frage in früheren Entscheiden verschieden, wobei die Natur der Waffe nicht immer dieselbe war: In
BGE 32 II 461
nahm es mit den Vorinstanzen an, der Berufungskläger hätte nicht gestatten dürfen, dass sein 15-jähriger Sohn in seiner Abwesenheit eine sogenannte Windbüchse benütze. In
BGE 41 II 92
führte es aus: ein Flobert-Luftdruckgewehr "Diana" stelle keine gefährliche Waffe, sondern ein harmloses Spielzeug dar und werde in den Geschäften selbst an kleine Kinder verkauft, die nicht in Begleitung ihrer Eltern seien. In
BGE 43 II 146
liess es grundsätzlich offen, ob einem Fünfzehnjährigen ein Flobert-Gewehr zum unbeaufsichtigten Gebrauch überlassen werden dürfe. Die Frage muss auch heute nicht abschliessend beantwortet werden. Wird sie bejaht, so ist doch immerhin für jedermann voraussehbar, dass schwere Unfälle entstehen können, wenn der Unmündige die Waffe nicht richtig handhabt. Um diese Unfälle nach Möglichkeit zu verhüten, ist deshalb unter allen Umständen erforderlich, dass das Familienhaupt dem Unmündigen die notwendigen Anweisungen über den Gebrauch der Waffe sowie die erforderlichen Aufklärungen über die Gefährlichkeit und die Massnahmen zur Verhütung von Unfällen gibt oder geben lässt.
Nach den tatsächlichen Festellungen der Vorinstanz, die für das Bundesgericht verbindlich sind und die es seinem Entscheid zugrunde zu legen hat (
Art. 63 Abs. 2 OG
), überliess der Beklagte seinem Sohne die Waffe ohne oder mit ungenügenden Instruktionen, und dies obschon er wusste, dass sein Sohn sich mit der Waffe frei bewegte und in der jedermann zugänglichen Kehrichtdeponie auf Ratten schoss. Damit verletzte er die ihm obliegende Aufsichtspflicht im Sinne von
Art. 333 ZGB
.
c) Was der Beklagte dagegen vorbringt, dringt nicht durch. Soweit er geltend macht, er habe seinem Sohn Weisungen erteilt und Vorsichtsmassnahmen getroffen, richtet er sich
BGE 100 II 298 S. 303
gegen verbindliche vorinstanzliche Feststellungen, was gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
nicht zulässig ist. Wohl hat das Bundesgericht ausgeführt, dass Kinder in ihrer Bewegungsfreiheit nicht allzu sehr eingeschränkt werden dürfen und von einem gewissen Alter an keiner ständigen Überwachung mehr bedürfen (
BGE 95 II 259
/60). Dem Beklagten mag auch zugestanden werden, dass sein Sohn gesund ist, einen guten Ruf geniesst, einer ehrbaren Familie entstammt, einen gewissen Grad von Reife besitzt und durch den zwei Jahre früher verursachten Schiessunfall, wobei er einen jüngern Bruder durch einen Streifschuss am Kopf verletzt hatte, bceindruckt worden war. Das alles war aber noch kein hinreichender Grund für die Annahme, dass sein Sohn nun alle Gefahren kenne, die mit dem Umgang eines Luftgewehres verbunden sind. Der Beklagte wäre demnach in seiner Eigenschaft als Familienhaupt verpflichtet gewesen, den Sohn über diese Gefahren umfassend aufzuklären. Der frühere Vorfall liess eine solche Aufklärung und eine eindringliche Ermahnung besonders notwendig erscheinen. Wenn der Beklagte unter diesen Umständen keine Instruktionen erteilte, keine weiteren Vorsichtsmassnahmen traf und ernsthafte Ermahnungen unterliess, verletzte er seine Aufsichtspflicht.
Der Umstand, dass in der Schweiz für 15-jährige Knaben Kleinkaliber-Kurse und für Siebzehnjährige Jungschützenkurse durchgeführt werden, entlastet den Beklagten nicht. Die jungen Schützen erhalten in diesen Kursen die erforderlichen Instruktionen und Aufklärungen, während der Beklagte es im vorliegenden Fall unterliess, für die nötige Belehrung besorgt zu sein. Dass andere Knaben ähnliche Gewehre besassen und in der Mülldeponie ebenfalls auf Ratten schossen und dass im Kanton Graubünden Jagd und Jagdleidenschaft weit verbreitet und im Volk tief verwurzelt sind, befreite den Beklagten nicht von seiner Aufsichts- und Aufklärungspflicht. Ob andere Familienväter, deren Söhne in der Kehrichtdeponie gelegentlich ebenfalls auf Ratten schossen, ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen seien, steht hier nicht zur Diskussion.
Daraus, dass sich der Unfall in einer Mülldeponie zutrug, kann der Beklagte ebenfalls nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die Deponie war jedermann zugänglich, so dass dort jederzeit mit dem unerwarteten Auftauchen Dritter gerechnet werden musste. Das war ein Grund mehr, die dort nach Ratten jagenden
BGE 100 II 298 S. 304
Kinder eindringlich auf die Gefahren ihres Verhaltens aufmerksam zu machen.
Der Beklagte macht schliesslich geltend, die Unterlassung der nötigen Aufklärung habe den Unfall nicht adäquat verursacht; denn sein Sohn habe nicht in der Richtung der Kinder gezielt und ein Geschoss könne auch bei bester und sorgfältigster Instruktion abprallen. Zur Aufklärung über die Gefahren des Schiessens gehört jedoch auch der Hinweis auf die Gefährdung durch mögliche Prellschüsse. Der Beklagte hätte seinem Sohn deshalb nicht nur verbieten müssen, direkt auf Personen zu zielen, sondern er hätte ihn auch eindringlich ermahnen müssen, nie auf ein Ziel zu schiessen, wenn sich so nahe bei diesem Personen befinden, dass sie allenfalls durch Splitter oder Querschläger verletzt werden können. Die Unterlassung dieser Mahnung war für den Unfall kausal. Der Beklagte ist deshalb im Sinne von
Art. 333 ZGB
für die Folgen des Unfalles haftbar.
Die Vorinstanz hat ein Selbstverschulden des Klägers verneint, und ihr Urteil ist diesbezüglich nicht angefochten. Den Beklagten trifft demnach die volle Haftung.
4.
a) Der Beklagte wirft der Vorinstanz sodann vor, sie habe den Schaden falsch berechnet. Das Bundesgericht kann in diesem Zusammenhang prüfen, ob das letzte kantonale Gericht bei der Frage der Einschätzung der Verminderung der Erwerbsfähigkeit von richtigen Gesichtspunkten ausgegangen sei und nicht bestimmte Faktoren zu Unrecht ausser acht gelassen bzw. mitberücksichtigt habe; denn dies sind Rechtsfragen. Es kann ferner prüfen, ob nicht trotz nachgewiesener Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit angesichts besonderer Umstände eine materielle Schädigung nicht oder nur in geringerem Umfange vorliege (
BGE 72 II 206
mit Verweisungen).
Im Falle einer Köperverletzung ist der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens des Verletzten Rechnung zu tragen (
Art. 46 Abs. 1 OR
). Der Schaden muss in einem solchen Fall regelmässig auf Grund der Lebenserfahrung ermittelt werden; denn es steht nie zum vorneherein sicher fest, wie sich das Einkommen eines Geschädigten bei voller Arbeitsfähigkeit in Zukunft entwickeln würde und wie hoch es wegen der Verminderung der Erwerbsfähigkeit tatsächlich sein wird. Auch die Folgen der Verletzung können unsicher sein, welchem Umstand
Art. 46 Abs. 2 OR
ausdrücklich Rechnung trägt (
BGE 86 II 45
f).
BGE 100 II 298 S. 305
Erleidet ein Kind eine Körperverletzung, die einen bleibenden körperlichen Nachteil zur Folge hat, so ist seine spätere Erwerbseinbusse nur schwer abzuschätzen. Das darf den Richter aber nicht hindern, diese Schätzung unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände trotzdem vorzunehmen. Dabei darf sich die noch verbleibende Ungewissheit nicht zu Ungunsten des Klägers auswirken. Sie muss vielmehr vom Beklagten, der für das schädigende Ereignis einzustehen hat, in Kauf genommen werden (
BGE 95 II 264
und
BGE 81 II 518
).
b) Als Ausgangspunkt für ihre Berechnungen stellte die Vorinstanz auf den Invaliditätsgrad ab, was vom Beklagten ausdrücklich als richtig anerkannt wird. Die beiden sachverständigen Ärzte schätzten in den bei den Akten liegenden Gutachten die Invalidität des Klägers im Endzustand auf 30%. Die beiden Vorinstanzen nahmen jedoch im Hinblick auf seine Jugendlichkeit und die dadurch bedingte grössere Anpassungsfähigkeit nur eine Invalidität von 25% an. Der Beklagte hält auch das noch für zu viel und behauptet, die Einäugigkeit vermöge eine Beschäftigung weder zu verunmöglichen noch zu beeinträchtigen. Da der Kläger noch in jugendlichem Alter stehe, müsse er wegen des Unfalles keinen Berufswechsel vornehmen und könne jede allfällige finanzielle Schlechterstellung selbst vermeiden. Die Einäugigkeit habe in der Regel keine ins Gewicht fallende Leistungsverminderung zur Folge. Dass beim Kläger das noch gesunde Auge durch seine Beanspruchung leide oder vorzeitig abgenutzt werde, sei nicht bewiesen. Der noch junge und anpassungsfähige Kläger habe eine ganze Anzahl von Berufen zur Auswahl, in denen er durch die Einäugigkeit nicht beeinträchtigt werde und keine Lohneinbusse erleide. Ein Erwerbsausfall sei demnach weder ausgewiesen noch anzunehmen und deshalb nicht zu ersetzen.
Wohl hat das Bundesgericht in
BGE 95 II 265
ausgeführt, Kinder seien viel anpassungsfähiger als Erwachsene; je jünger ein Kind sei, wenn es eine Verstümmelung erleide, umso leichter werde es sich den Gegebenheiten anpassen und versuchen, die Beeinträchtigung so gut als möglich zu überwinden; die Ausbildung könne entsprechend dem körperlichen Mangel geleitet und der Beruf so gewählt werden, dass der Mangel die Erwerbsfähigkeit möglichst wenig beeinflusse.
Der Verlust eines Auges bedeutet aber auch für Kinder eine sehr schwere Beeinträchtigung, die tiefgreifende Folgen nach
BGE 100 II 298 S. 306
sich zieht. Der Kläger ist dadurch schon in seiner Berufswahl eingeengt. Es bleiben ihm alle Berufe verschlossen, in denen an optischen Geräten, welche binokulares stereoskopisches Sehen voraussetzen, gearbeitet werden muss. Er wird nie das Pilotenbrevet und den Führerausweis für Chauffeure der Kategorie I und II erwerben können. Zivile und staatliche Stellen, welche die Diensttauglichkeit voraussetzen, werden ihm nicht zugänglich sein.
Sodann wird die Einäugigkeit den Kläger im beruflichen und gesellschaftlichen Leben dauernd beeinträchtigen. Eine momentane Störung des gesunden Auges bedeutet für ihn bereits den sofortigen Sehausfall. Die Unfallgefahr wird dadurch stets erhöht sein, wogegen der Kläger sich durch eine Brille nur teilweise wird schützen können. Er muss seine Augenprothese regelmässig herausnehmen, die Augenhöhle pflegen und von Zeit zu Zeit eine neue Prothese anfertigen lassen. Der Abschluss von Lebens- und Unfallversicherungen wird dem Kläger nur zu höheren Tarifen möglich sein, und die Aufnahme in Pensionskassen kann ihm Schwierigkeiten bereiten. Seine Einäugigkeit kann ihn auch im freien Wettbewerb benachteiligen, weil körperlich Unversehrte den Sehbehinderten oft vorgezogen werden. Die ständige Behinderung kann zu erhöhten psychischen Belastungen führen, und unter Umständen kann die Einäugigkeit sogar die Heiratsmöglichkeit des Klägers beeinträchtigen.
Wenn die Vorinstanz bei Berücksichtigung aller dieser Umstände von einem Invaliditätsgrad von 25% ausging, kann dies nicht beanstandet werden, umso weniger als das vom Beklagten im Berufungsverfahren eingelegte Gutachten bei Verlust eines Auges allgemein sogar einen Invaliditätsgrad von 30% annimmt. Dieses Gutachten gelangt im Rahmen einer allgemeinen Invaliditätseinschätzung zu folgenden Werten: 10% für bleibende Nachteile durch Seheinbusse, 10% zusätzlich bei Verlust des Auges und 10% Risikoanteil (Invaliditätsrisiko), wobei es diese Zahlen als Mittelwerte bezeichnet, die von Fall zu Fall etwas differieren können. In
BGE 43 II 144
ff. gingen die Gerichte von einer dauernden Erwerbsunfähigkeit von 22-25% aus bei einem Kind, dessen Auge durch ein Luftdruckgewehr beschädigt wurde; der Unfall hatte eine erhebliche Beeinträchtigung der Sehschärfe zur Folge. In
BGE 81 II 161
ff. wurde die Invalidität eines Kindes, das durch einen
BGE 100 II 298 S. 307
Eisenbahnunfall als bleibende Nachteile eine beträchtliche kosmetische Entstellung des Gesichts, ein Auswärtsschielen des linken Auges und eine starke linksseitige Schwachsichtigkeit erlitten hatte, auf 20% veranschlagt. Da im vorliegenden Fall der Kläger das Auge verloren hat, liegt die Annahme eines Invaliditätsgrades von 25% durchaus im Rahmen der bisherigen Praxis. Eine Verletzung von Bundesrecht stellt diese Annahme jedenfalls nicht dar. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad3d7194-adcf-4944-a114-38ce38bafb78 | Urteilskopf
112 Ib 55
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Januar 1986 i.S. S. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Auslieferung wegen Subventionsbetruges.
Art. 5 EAÜ
und
Art. 3 Abs. 3 IRSG
.
1. Subventionsbetrug fällt nicht unter die Tatbestände gemäss
Art. 3 Abs. 3 IRSG
, die von der Rechtshilfe grundsätzlich ausgenommen sind (E. 5d/aa).
2. Der Tatbestand des Subventionsbetruges wird durch denjenigen der Steuerhinterziehung nicht konsumiert (E. 5d/bb).
3. Beidseitige Strafbarkeit beim Subventionsbetrug (E. 5d/cc). | Erwägungen
ab Seite 56
BGE 112 Ib 55 S. 56
Aus den Erwägungen:
5.
d) Der Beschwerdeführer macht geltend, beim Vorwurf des Subventionsbetruges handle es sich um denjenigen eines Fiskaldeliktes, für welches die Auslieferung nicht zulässig sei.
aa) Nach
Art. 5 EAÜ
wird in Abgabe-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen "die Auslieferung unter den Bedingungen dieses Übereinkommens nur gewährt, wenn dies zwischen Vertragsparteien für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist". Zwischen der Schweiz und der BRD bestehen keine solchen Vereinbarungen. Geht man vom Wortlaut der angeführten Bestimmung aus, so hält es allein schon deshalb schwer, den Subventionsbetrug in eine der hier genannten Gruppen einzugliedern. Bereits dieses Argument spricht dafür, dass diese Betrugsart auslieferungsrechtlich nicht privilegiert werden sollte.
Für die Auslegung des Begriffs der Fiskaldelikte ist im übrigen das Recht des ersuchten Staates massgebend. Der hier in Betracht fallende
Art. 3 Abs. 3 IRSG
bestimmt, dass einem Ersuchen dann nicht entsprochen wird, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt.
Auch hier ist wiederum festzustellen, dass der Subventionsbetrug unter keine der nach dieser Bestimmung von der Rechtshilfe ausgenommenen Gruppen fällt. Eine "Verkürzung fiskalischer Abgaben" liegt dann vor, wenn der Private dem Staat nicht das leistet, was er ihm aufgrund der massgebenden Abgabegesetze schuldet (vgl. dazu HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 464 f.). Beim Subventionsbetrug dagegen veranlasst der Private den Staat zu einer Leistung, die ohne täuschende Machenschaften nicht erhältlich wäre. Hierin liegt ein so wesentlicher Unterschied, dass nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe dies übersehen und den Subventionsbetrug gewissermassen stillschweigend zu den Abgabedelikten gerechnet. Zusätzlich ist auf die Botschaft des Bundesrates zum IRSG zu verweisen, die nicht den geringsten Hinweis darauf enthält, dass auch dieses Delikt ausgeschlossen werden sollte (BBl 1976 II 454 f.). Ein Versehen oder eine Gesetzeslücke kann ausgeschlossen werden.
Es könnte sich allerdings fragen, ob nicht ein Fiskaldelikt im weiteren Sinn vorliege, nämlich ein Verstoss gegen eine währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahme. In der Botschaft zum IRSG
BGE 112 Ib 55 S. 57
werden als Beispiele für wirtschaftspolitische Massnahmen, deren Verletzung Auslieferung und Rechtshilfe ausschliesst, etwa die Beschränkungen des freien Zahlungsverkehrs und protektionistische Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote angeführt. Der Bundesrat fügte bei, der Umschreibung des Gesetzes möge eine gewisse Unbestimmtheit anhaften, doch sei es angesichts der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse am Platze, der Rechtsprechung einen gewissen Spielraum zu lassen. Sodann wird beispielsweise bemerkt, Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung des einzelnen, die zum Schutz von Treu und Glauben im Verkehr aufgestellt worden seien, sollten von der Rechtshilfe (gemeint: im weiteren Sinn) nicht ausgeschlossen sein, obschon ihnen vielleicht eine Art wirtschaftspolitischer Charakter nicht abgesprochen werden könne. Ihrer Zielsetzung nach würde der Ausschluss dieser Strafsachen geradezu dem Sinn und Zweck der Rechtshilfe als einem Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität zuwiderlaufen (BBl 1976 II 455).
bb) Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, der Tatbestand des Subventionsbetruges sei im Sinne einer unechten Gesetzeskonkurrenz in demjenigen der Steuerhinterziehung inbegriffen, für welche die Auslieferung nicht bewilligt und keine Rechtshilfe gewährt werden dürfe. Nach den Regeln über die unechte Gesetzeskonkurrenz müsse daher die Auslieferung auch hinsichtlich des Subventionsbetruges unterbleiben.
Besteht zwischen Auslieferungsdelikten und fiskalischen Tatbeständen Konnexität, so ist nicht ausschlaggebend, auf welcher Gruppe das Schwergewicht liegt; die Auslieferung für die gemeinrechtlichen Tatbestände ist zu bewilligen unter der Bedingung, dass der Verfolgte für die Fiskaldelikte nicht bestraft werden darf und dass diese auch nicht als Strafschärfungsgrund berücksichtigt werden dürfen. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall der unechten Gesetzeskonkurrenz, d.h. dann, wenn der Tatbestand eines Nichtauslieferungsdeliktes denjenigen des Auslieferungsdeliktes nach allen Seiten umfasst, so dass das Auslieferungsdelikt im Nichtauslieferungsdelikt aufgeht (
BGE 110 Ib 188
E. 3c mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer geht indessen nicht von dieser speziell für das Auslieferungsrecht gefassten Begriffsbestimmung der unechten Gesetzeskonkurrenz aus, sondern ist - mit Hinweis auf strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung - der Meinung, eine solche liege dann vor, wenn "der Tatbestand nicht mit allen einzelnen Merkmalen, wohl aber wertmässig, dem Verschulden und Unrecht nach, in anderen enthalten ist, so dass die eine Bestimmung die andere konsumiert".
BGE 112 Ib 55 S. 58
Bereits die Differenz auf der begrifflichen Ebene lässt vermuten, dass der Einwand des Beschwerdeführers unbegründet ist. Konkret macht er geltend, der Subventionsbetrug sei wertmässig im Delikt der Steuerhinterziehung, für das er in Deutschland ebenfalls verfolgt werde, enthalten, so dass die Steuerhinterziehung den Subventionsbetrug konsumiere. Steuerhinterziehung begeht, wer durch unwahre Angaben oder Verletzung von Verfahrensvorschriften dem Staat Steuern vorenthält (vgl. dazu z.B. Art. 129 des BRB über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9. Dezember 1940; ERNST HÖHN, Steuerrecht, 4. Auflage, Bern/Stuttgart 1981, S. 419; WERNER DE CAPITANI, Internationale Rechtshilfe - eine Standortbestimmung, ZSR NF Bd. 100, II, S. 365 ff., 398). Demgegenüber führt der Private beim Subventionsbetrug den Staat unter Verwendung von Täuschungsmitteln, in der Regel von falschen Urkunden, hinters Licht in der Absicht, ihn zu einer Leistung zu veranlassen, die sonst nicht erhältlich wäre. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Subventionsbetrug im Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht aufgeht. Insbesondere qualifiziert sich jener gegenüber diesem dadurch, dass nicht nur falsche Angaben gemacht werden, sondern spezifische täuschende Machenschaften erfolgen. Auch dieser Einwand des Beschwerdeführers erweist sich somit als unbegründet.
cc) Subventionsbetrug ist in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Er stellt einen Sonderfall des allgemeinen Betrugstatbestandes dar und enthält dieselbe Strafdrohung (§§ 326 und 264 dtStGB). Es bleibt zu prüfen, ob der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Subventionsbetrug zum Nachteil des Landes Berlin auch in der Schweiz strafbar wäre. Trifft dies nicht zu, so fehlt es an der für eine Auslieferung erforderlichen beidseitigen Strafbarkeit im Sinne von
Art. 2 Ziff. 1 EAÜ
(
BGE 108 Ib 298
E. 7a mit Hinweisen; H. SCHULTZ, a.a.O., S. 324).
Nach schweizerischem Recht fällt Subventionsbetrug zum Nachteil der Eidgenossenschaft unter Art. 14 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR); die Strafdrohung ist leichter als diejenige für Betrug nach
Art. 148 StGB
, geht aber immer noch bis zur Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis verbunden mit Busse. Allerdings wird dem Beschwerdeführer in Deutschland nicht Subventionsbetrug zulasten des Bundes, sondern zum Nachteil eines Landes vorgeworfen. Aufgrund eines neueren Urteils des Bundesgerichts steht fest - nachdem in dieser Hinsicht einige Unklarheit herrschte (vgl.
BGE 110 IV 24
ff.;
108 IV 180
ff.; DETLEF KRAUSS, Die strafrechtliche Problematik der Erschleichung kantonaler Subventionen, in Festschrift für Frank Vischer zum 60. Geburtstag, Zürich 1983, S. 47 ff.) -,
BGE 112 Ib 55 S. 59
dass Subventionsbetrug zum Nachteil eines Kantons jedenfalls dann gemäss
Art. 148 StGB
strafbar ist, wenn die Elemente dieses Straftatbestandes vorliegen (
BGE 112 IV 20
ff.). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, bestimmte Tatbestandselemente des gemeinrechtlichen Betrugs seien nicht gegeben. In bezug auf den Vorwurf des Subventionsbetruges ist deshalb auch die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt.
Die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen gegen seine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland zur Verfolgung wegen Subventionsbetrugs erweisen sich somit alle als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ad3d7f83-b33d-4418-98e5-9f03e9cbb1ca | Urteilskopf
135 III 324
47. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. et B. contre C. (recours en matière civile)
5A_634/2008 du 9 février 2009 | Regeste
Exequatur eines ausländischen Urteils; Zulässigkeit eines unabhängigen und einseitigen Exequaturverfahrens im Sinn von Art. 31 ff. des Lugano-Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
Der Gläubiger, der über ein ausländisches Urteil verfügt, das zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt, kann vor dem Rechtsöffnungsrichter das Exequatur dieses Urteils in einem unabhängigen und einseitigen Verfahren im Sinne von
Art. 31 ff. LugÜ
verlangen, ohne vorgängig die Betreibung einzuleiten (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 325
BGE 135 III 324 S. 325
A.
Par jugement du Tribunal de Kastoria (Grèce) du 3 mai 2007, C. a été condamné à verser à A. et B. le montant de 149'246,51 euros chacun, cette condamnation étant provisoirement exécutoire à raison de 50'000 euros pour chacun. C. a formé appel et la cause est pendante devant la Cour d'appel de Macédoine Occidentale.
Le 16 octobre 2007, le Président de service du Tribunal de Kastoria a donné mandat d'exécuter le jugement en ce qui concerne la disposition provisoirement exécutoire.
B.
Le 26 novembre 2007, A. et B. ont déposé une requête d'exequatur du jugement du 3 mai 2007 devant le Tribunal de première instance de Genève, concluant à son exécution à concurrence de 50'000 euros pour chacun d'eux. Ils ont produit une copie du jugement grec et le procès-verbal de notification de celui-ci.
Par décision du 8 avril 2008, le Tribunal de première instance a déclaré le jugement grec du 3 mai 2007 exécutoire en Suisse, à concurrence de 50'000 euros pour chacun des demandeurs, écartant toutes les objections soulevées par le défendeur.
Sur recours de ce dernier, la Cour de justice du canton de Genève a, par arrêt du 7 août 2008 communiqué le 12 du même mois,
BGE 135 III 324 S. 326
annulé le jugement de première instance et déclaré la requête d'exequatur irrecevable, au seul motif qu'une procédure d'exequatur indépendante, sans poursuite préalable, n'était pas possible.
C.
Le 15 septembre 2008, A. et B. ont interjeté un recours en matière civile au Tribunal fédéral, concluant à l'annulation de l'arrêt de la cour cantonale et à la confirmation du jugement de première instance.
L'intimé a conclu au rejet du recours, dans la mesure de sa recevabilité. La cour cantonale s'est référée aux considérants de son arrêt.
Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé l'arrêt attaqué et renvoyé la cause à la cour cantonale pour instruction et nouvelle décision.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Aux termes de l'
art. 30a LP
, les traités internationaux et les dispositions de la loi fédérale sur le droit international privé (LDIP) sont réservés. La Suisse et la Grèce sont toutes deux parties à la Convention concernant la compétence judiciaire et l'exécution des décisions en matière civile et commerciale conclue à Lugano le 16 septembre 1988 (RS 0.275.11; ci-après: Convention de Lugano ou CL). Il y a donc lieu d'examiner si, lorsqu'il s'agit d'un jugement étranger portant condamnation à payer une somme d'argent, cette convention autorise le créancier à requérir l'exequatur de ce jugement étranger dans une procédure indépendante et unilatérale au sens des
art. 31 ss CL
devant le juge de la mainlevée (art. 32 ch. 1 concernant la Suisse [let. a] CL), sans passer par la poursuite préalable (réquisition de poursuite, commandement de payer, opposition et requête de mainlevée). A cet effet, le Tribunal fédéral dispose d'un libre pouvoir d'examen (arrêts 5P.494/1997 du 20 février 1998 consid. 2 et 5A_479/2007 du 17 octobre 2007 consid. 1.2, non publié in
ATF 133 III 694
).
3.1
Les principes d'interprétation de la Convention de Lugano ont été exposés par le Tribunal fédéral dans plusieurs arrêts (
ATF 131 III 227
consid. 3.1;
ATF 129 III 626
consid. 5.2 p. 631 ss;
ATF 124 III 382
consid. 6c-e p. 394 ss;
ATF 123 III 414
consid. 4 p. 420 s.). Comme tout traité, ladite convention doit être interprétée de bonne foi suivant le sens ordinaire à attribuer aux termes du traité dans leur contexte et à la lumière de son objet et de son but (art. 31 al. 1 de la Convention de Vienne du 23 mai 1969 sur le droit des traités [RS 0.111]).
BGE 135 III 324 S. 327
3.2
Le Tribunal fédéral s'est déjà exprimé à plusieurs reprises sur la question litigieuse.
Dans deux arrêts non publiés de 1998, il s'est incidemment rallié à l'admissibilité d'une procédure d'exequatur indépendante et unilatérale (arrêt 5P.494/1997 déjà cité, consid. 3; arrêt 5P.15/1998 du 10 mars 1998 consid. 3a). Dans l'
ATF 125 III 386
, il a constaté que la doctrine était divisée sur la question de la possibilité d'une telle procédure, mais il a pu se dispenser de la trancher dès lors que l'exequatur du jugement étranger avait été requis, dans le cas particulier, après poursuite préalable (consid. 3a; cf. aussi arrêts 5P.253/2001 du 13 septembre 2001 consid. 2a et 5P.275/2002 du 20 novembre 2002 consid. 2.3). Récemment, il a reconnu incidemment l'admissibilité de la procédure d'exequatur indépendante et unilatérale au sens des
art. 31 ss CL
(5A_79/2008 du 6 août 2008 consid. 4.1).
L'arrêt 5P.65/1991 du 25 juin 1991, in SJ 1991 p. 611 et JdT 1993 II 123, dont la cour cantonale déduit que le Tribunal fédéral a exclu que les cantons aient la possibilité de prévoir une procédure spéciale d'exequatur à côté de la procédure de mainlevée (consid. 3b), n'est pas pertinent: d'une part, il concerne l'exécution d'une sentence arbitrale soumise à la Convention de New York; d'autre part, la procédure d'exequatur indépendante et unilatérale pour l'exécution de sommes d'argent découle directement des
art. 31 ss CL
, et non du droit cantonal.
3.3
La caractéristique la plus importante de la procédure d'exequatur indépendante selon les
art. 31 ss CL
est son caractère unilatéral. En effet, en vertu de l'
art. 34 al. 1 CL
, la juridiction saisie statue sans que la partie contre laquelle l'exécution est demandée puisse, en cet état de la procédure, présenter d'observations. Selon le système voulu par la Convention de Lugano, le créancier profite donc d'un effet de surprise, puisque la procédure n'est pas contradictoire et qu'elle n'est pas précédée du commandement de payer, ce qui lui permet de demander des mesures conservatoires sur les biens de la partie contre laquelle l'exécution est demandée en vertu de l'
art. 39 CL
, notamment un séquestre (
ATF 131 III 660
consid. 4.1 p. 663; 5A_79/2008 déjà cité, consid. 2.2), et d'empêcher ainsi que son débiteur ne soustraie ses biens à l'exécution. Le débiteur n'a pas de droit à être entendu (
art. 29 al. 2 Cst.
) à ce stade de la procédure (4P.48/2002 du 4 juin 2002 consid. 2d).
BGE 135 III 324 S. 328
La Convention de Lugano exige ainsi une procédure indépendante et unilatérale, et on ne saurait déduire de l'
art. 32 ch. 1 CL
concernant la Suisse (let. a), disposition qui désigne l'autorité à laquelle doit être adressée la requête de déclaration exécutoire ou d'exequatur ("le juge de la mainlevée... dans le cadre de la procédure régie par les
art. 80-81 LP
"), que la possibilité de requérir l'exequatur sans passer par la poursuite préalable serait exclue. Le juge de la mainlevée étant le juge de l'exécution en matière de prestations pécuniaires, il était logique que cette compétence lui soit attribuée, même si les règles de la procédure - contradictoire - de mainlevée doivent céder devant les exigences de la Convention de Lugano. Le fait que l'exequatur puisse être requis à titre incident dans le cadre de la procédure de mainlevée des
art. 80-81 LP
ne saurait faire échec à la procédure unilatérale instaurée par les
art. 31 ss CL
.
C'est en faveur de l'existence de ces deux possibilités - une décision d'exequatur prononcée à titre incident par le juge de la mainlevée qui est saisi de la requête de levée de l'opposition et une décision d'exequatur dans une procédure indépendante et unilatérale - que s'est exprimé l'Office fédéral de la justice dans ses observations de 1991 (FF 1991 IV 306 ss, spéc. 310/311 et 314).
L'admissibilité d'une procédure d'exequatur indépendante et unilatérale est défendue par la majorité de la doctrine (YVES DONZALLAZ, La Convention de Lugano [...], vol. II, 1997, § 1924 ss et les citations; MATTHIAS STAEHELIN, in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. I, 1998, n
os
27 ss ad
art. 30a LP
; ALESSANDRA CAMBI FAVRE-BULLE, La mise en oeuvre en Suisse de l'art. 39 al. 2 de la Convention de Lugano, RSDIE 1998 p. 335 ss, spéc. 357 ss, auteurs cités dans l'
ATF 125 III 386
; WALTER A. STOFFEL, Voies d'exécution, 2002, n. 172 ss, en particulier n. 190 ss; BERNARD DUTOIT, Guide pratique de la compétence des tribunaux et de l'exécution des jugements en Europe, 2007, n. 268 ss p. 84 ss et les citations; BUCHER/BONOMI, Droit international privé, 2
e
éd. 2004, n. 322;
contra
: PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. I, 1999, n
os
62 ss ad
art. 30a LP
; BERTOSSA/GAILLARD/GUYET/SCHMIDT, Commentaire de la loi de procédure civile genevoise, 1994, n° 2 ad
art. 472B LPC
; PAOLO MICHELE PATOCCHI, La reconnaissance et l'exécution des jugements étrangers selon la Convention de Lugano du 16 septembre 1988, in Espace judiciaire européen, 1992, p. 146/147).
BGE 135 III 324 S. 329
La Convention de Lugano révisée, signée le 30 octobre 2007 et actuellement soumise à ratification, prévoit les deux possibilités. Pour l'exécution de sommes d'argent, la procédure indépendante et unilatérale des
art. 31 ss CL
sera de la compétence du tribunal cantonal de l'exécution, qui prononcera à la fois l'exequatur et le séquestre requis (nart. 271 al. 1 ch. 6 LP; projet d'arrêté fédéral portant approbation et mise en oeuvre de la Convention de Lugano révisée; Rapport explicatif du 30 mai 2008, n. 2.7).
Saisi de cette procédure d'exequatur indépendante et unilatérale, le juge de la mainlevée doit déclarer exécutoire en Suisse le jugement étranger dans une procédure non contradictoire, sans entendre le débiteur, selon les règles spécifiques des
art. 31 ss CL
. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ad3f1e6d-beb4-45b3-bd39-8ced1c7db569 | Urteilskopf
121 I 306
42. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 novembre 1995 dans la cause L. contre Ministère public du canton de Neuchâtel (recours de droit public) | Regeste
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
,
Art. 4 BV
; Recht auf Einvernahme von Be- und Entlastungszeugen.
Die Einvernahme eines V-Mannes darf in der Regel nicht verweigert werden, es sei denn, sichere Anhaltspunkte würden ausschliessen, dass er eine wichtigere Rolle gespielt hat, als aus den Akten ersichtlich ist (E. 1).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, Recht auf öffentliche Verhandlung.
Falls die Geheimhaltung eines V-Mannes nicht mit anderen Mitteln möglich ist, kann dessen Einvernahme unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 307
BGE 121 I 306 S. 307
A.-
Par jugement du 17 novembre 1994, la Cour d'assises du canton de Neuchâtel a condamné L., pour infraction grave à la loi fédérale sur les stupéfiants, à la peine de 11 ans de réclusion.
Statuant le 2 mai 1995, la Cour de cassation neuchâteloise a rejeté le pourvoi formé par le condamné.
B.-
Contre cet arrêt, L. a formé un recours de droit public au Tribunal fédéral. Invoquant une violation du droit à l'interrogatoire des témoins à charge et à décharge garanti par les
art. 6 par. 3 let
. d CEDH et 4 Cst., ainsi qu'une violation du droit à la publicité des débats garanti par l'
art. 6 par. 1 CEDH
, il conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée et sollicite par ailleurs l'assistance judiciaire.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le recourant invoque une violation du droit à l'interrogatoire des témoins à charge et à décharge, qui est garanti aussi bien par l'
art. 6 par. 3 let
. d CEDH, que par l'
art. 4 Cst.
Il fait valoir en substance qu'il a été mis en contact avec l'agent infiltré B. par l'entremise d'un prénommé P., qui était lui-même mis en oeuvre par la police. Il allègue que P. l'a incité à agir et que l'interrogatoire de cette personne pourrait être utile afin d'apprécier la gravité de sa faute et, en conséquence, de fixer la peine. Il explique qu'il a constamment demandé cet interrogatoire, mais sans succès.
BGE 121 I 306 S. 308
Il résulte de l'arrêt attaqué que la cour cantonale a estimé que cet interrogatoire ne pouvait rien ajouter au dossier, que le rôle de P. avait été trop limité, qu'aucun élément du jugement attaqué ne permettait de penser que les rapports avec cette personne avaient influencé la condamnation du recourant et qu'il était suffisamment établi que celui-ci était de toute manière prêt à trafiquer des stupéfiants.
b) Selon l'
art. 6 par. 3 let
. d CEDH, tout accusé a notamment le droit d'interroger ou faire interroger les témoins à charge et obtenir la convocation et l'interrogatoire des témoins à décharge dans les mêmes conditions que les témoins à charge. La jurisprudence a admis que le même droit découle de l'
art. 4 Cst.
(
ATF 120 Ia 48
consid. 2b/aa,
ATF 118 Ia 457
consid. 2b, 462 consid. 5a, 116 Ia 289 consid. 3,
ATF 114 Ia 179
consid. a). Il s'agit d'une règle concrétisant le droit à un procès équitable garanti par l'
art. 6 par. 1 CEDH
(
ATF 116 Ia 289
consid. 3b).
Les éléments de preuve doivent en principe être produits en présence de l'accusé lors d'une audience publique, en vue d'un débat contradictoire (ATF
ATF 118 Ia 327
consid. 2b/aa). Cette règle tend à assurer l'égalité des armes entre l'accusateur public et la défense (
ATF 104 Ia 314
consid. 4b; ARTHUR HAEFLIGER, Die EMRK und die Schweiz, Berne 1993, p. 194).
L'accusé ne peut en principe exiger qu'une seule fois d'exercer le droit d'interroger ou de faire interroger des témoins (
ATF 120 Ia 48
consid. 2b/aa,
ATF 118 Ia 457
consid. 2b/aa,
ATF 116 Ia 289
consid. 3a,
ATF 113 Ia 412
consid. 3c; MARK E. VILLIGER, Handbuch der EMRK, Zürich 1993, p. 279 no 472). Peu importe à quel stade de la procédure cette possibilité lui est offerte (
ATF 116 Ia 289
consid. 3a; VILLIGER, op.cit., loc.cit.), de sorte que l'accusé ne peut pas exiger d'exercer son droit déjà au stade de l'instruction.
Pour ce qui est des témoins à décharge cités par la défense, la doctrine admet qu'il suffit que le tribunal entreprenne toutes les démarches adéquates pour assurer leur comparution (THEO VOGLER, Internationaler Kommentar zur EMRK, Cologne 1992, p. 224 no 570).
L'
art. 6 par. 3 let
. d CEDH n'exclut pas de refuser l'interrogatoire d'un témoin parce que la déposition sollicitée n'est pas pertinente ou parce que les faits sont déjà établis à la suite d'une appréciation anticipée des preuves (cf. FROWEIN/PEUKERT, EMRK/Kommentar, Kehl 1985, art. 6 no 138). Un interrogatoire ne peut être exigé que s'il doit porter sur des faits pertinents et si le témoignage est un moyen de preuve apte à les établir
BGE 121 I 306 S. 309
(cf. HAEFLIGER, op.cit., p. 196 et 150;
ATF 115 Ia 8
consid. 2b). L'interrogatoire peut également être refusé par une appréciation anticipée des preuves, c'est-à-dire si le juge parvient sans arbitraire à la constatation, sur la base des éléments déjà recueillis, que l'administration de la preuve sollicitée, même si elle conduit à un résultat favorable au requérant, ne peut plus modifier sa conviction (HAEFLIGER, op.cit., p. 196;
ATF 115 Ia 97
consid. 5b).
L'exercice du droit à l'interrogatoire des témoins est soumis aux dispositions de la loi de procédure applicable, qui peut exiger que des demandes soient faites en posant des conditions de forme et de délai; il peut être renoncé, expressément ou tacitement, au droit à l'interrogatoire des témoins; une telle renonciation ne rend pas nulles les dépositions recueillies en cours d'enquête et ne donne aucun droit à ce qu'elles soient répétées (
ATF 105 Ia 396
consid. 3b, 104 Ia 314 consid. 4c; cf. VILLIGER, op.cit., p. 279 no 472).
Lorsque l'accusé sollicite l'audition d'un agent infiltré, la Cour européenne des droits de l'homme a estimé que l'interrogatoire de cette personne devait être possible, dans la mesure où il est utile pour établir les faits pertinents, mais qu'il pouvait se dérouler de manière à prendre en compte l'intérêt légitime des autorités de police, dans une affaire de trafic de stupéfiants, à préserver l'anonymat de leur agent pour pouvoir non seulement le protéger mais aussi l'utiliser encore à l'avenir (arrêt Lüdi, vol. 238 no 49). La jurisprudence du Tribunal fédéral a donc admis qu'un agent de police infiltré pouvait être interrogé, après s'être assuré qu'il n'y avait pas de substitution de personne, de manière à n'être ni vu, ni reconnu par sa voix (
ATF 118 Ia 331
consid. 2c).
c) En l'espèce, le recourant a constamment sollicité l'audition du prénommé P., mais sans l'obtenir. Il n'est pas prétendu que sa requête n'aurait pas répondu aux exigences de la procédure cantonale. Il a donc régulièrement manifesté la volonté d'exercer son droit et n'y a en aucune façon renoncé.
La jurisprudence admet que le juge doit prendre en compte, dans un sens atténuant, le rôle joué par un agent infiltré dans la mesure où la faute de l'accusé apparaît diminuée parce que l'agent l'a poussé à l'acte ou lui en a facilité la commission (
ATF 118 IV 115
consid. 2,
ATF 116 IV 294
consid. 2b/aa et bb; CORBOZ, L'agent infiltré, RPS 1993 p. 338 ss). Il était donc pertinent de savoir quel avait été exactement le rôle et l'influence du prénommé P., dont le recourant soutient qu'il était un agent infiltré. Sa déposition était apte à l'établir.
BGE 121 I 306 S. 310
La cour cantonale n'invoque aucun élément qui lui permettrait, par une appréciation anticipée des preuves, d'affirmer d'emblée que la déclaration de P. ne serait pas crédible ou que les faits sur lesquels il doit déposer sont d'ores et déjà établis de manière certaine.
Il est vrai que le rôle du prénommé P. semble avoir été très modeste et l'on peut raisonnablement douter que son audition puisse modifier la décision rendue. Cependant, en l'absence d'éléments de preuve sérieux, on ne peut pas préjuger des déclarations d'un témoin. Rien ne permet d'exclure que l'interrogatoire du témoin révèle qu'il a joué un rôle plus important qu'il n'apparaît en l'état du dossier. Or, l'accusé a précisément le droit d'interroger le témoin direct des faits en vue d'apporter, le cas échéant, une telle preuve. Même s'il est d'ores et déjà suffisamment établi que le recourant était prêt à l'action et que le prénommé P. n'a pas pu jouer le rôle d'agent provocateur, cela ne permet pas de déduire, par une appréciation anticipée des preuves, qu'il n'a pas facilité le passage à l'acte d'une manière telle qu'elle doive être prise en considération au stade de la fixation de la peine. Il est vrai que P. n'est pas un témoin à charge, puisqu'il n'est pas invoqué à l'encontre du recourant, mais il constitue un témoin à décharge dans la mesure où l'accusé entend démontrer qu'il a joué un rôle diminuant sa propre faute.
Quant au souci légitime d'assurer la sécurité d'un agent infiltré, il peut être suffisamment pris en considération en procédant à l'interrogatoire de la même manière que dans le cas de l'agent infiltré B.
Il n'est pas prétendu qu'il serait impossible d'entendre P. pour toute autre raison.
Dans ces circonstances, en refusant toute occasion d'interroger P., l'autorité cantonale a violé le droit constitutionnel invoqué.
2.
a) Le recourant invoque également une violation du droit à la publicité des débats, garanti par l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Il fait valoir que le public a été exclu sans raison suffisante de la salle d'audience lors de l'interrogatoire de l'agent infiltré B., qui se trouvait dans une autre pièce et qui était entendu par un moyen technique de communication.
Il résulte de l'arrêt attaqué que le huis clos a été limité à cette seule audition et qu'il était motivé par le fait que cet interrogatoire avait lieu dans les locaux de la police, afin de permettre au témoin de venir et repartir discrètement.
b) L'
art. 6 par. 1 CEDH
prévoit notamment que toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue publiquement par un tribunal qui décidera du
BGE 121 I 306 S. 311
bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle. Cette formulation montre clairement qu'il s'agit d'un droit de l'accusé dont il peut se prévaloir, et non pas d'un droit du public ou de la presse ou encore d'une norme d'organisation relevant exclusivement de l'intérêt public.
Le principe de la publicité des débats tend à garantir à l'accusé et aux autres participants au procès un traitement correct et conforme à la loi; les débats sont publics d'une part à l'égard de la population et de la presse qui, sous réserve d'exceptions, peuvent suivre directement le procès et, d'autre part, à l'égard des parties qui peuvent assister à l'ensemble des débats devant le tribunal; ainsi est assurée la transparence de la justice qui constitue un principe fondamental d'un Etat de droit; la publicité des débats n'est pas conçue seulement comme un droit des particuliers, mais aussi comme une condition de la confiance à l'égard de la justice; dans une démocratie, le peuple dispose d'un certain droit de regard sur le fonctionnement des pouvoirs de l'Etat et la publicité des débats, en particulier par l'action de la presse, permet l'exercice de ce droit pour ce qui est de la manière dont la justice est rendue (
ATF 119 Ia 99
consid. 4a,
ATF 119 Ib 311
consid. 6b).
Selon l'
art. 6 par. 1 CEDH
, l'accès de la salle d'audience peut être interdit à la presse et au public pendant la totalité ou une partie du procès dans l'intérêt de la moralité, de l'ordre public ou de la sécurité nationale dans une société démocratique, lorsque les intérêts des mineurs ou la protection de la vie privée des parties au procès l'exige, ou dans la mesure jugée strictement nécessaire par le tribunal, lorsque dans des circonstances spéciales la publicité serait de nature à porter atteinte aux intérêts de la justice.
Selon la jurisprudence, le principe de la publicité ne peut être écarté que si des motifs de sécurité de l'Etat, de moralité, d'ordre public ou de protection d'intérêts privés prépondérants l'exigent absolument (
ATF 119 Ia 98
consid. 4a,
ATF 117 Ia 387
consid. 3 et les arrêts cités). Suivant la nature du litige et le pouvoir d'examen de l'autorité, la publicité peut être exclue dans une instance de recours (
ATF 121 I 30
consid. 5e et les références citées). Suivant les circonstances, il peut être justifié de n'exclure que le public, et non la presse (
ATF 117 Ia 387
consid. 3). L'accusé ne peut déduire de l'
art. 6 CEDH
aucun droit d'échapper à la publicité des débats (
ATF 119 Ia 99
consid. 2a,
ATF 119 Ib 311
consid. 6b), mais un tel droit peut éventuellement découler de l'
art. 8 CEDH
ou de la garantie de la liberté personnelle (
ATF 119 Ib 311
consid. 6b). L'accusé peut cependant renoncer à la publicité des débats et son droit peut se
BGE 121 I 306 S. 312
périmer s'il ne l'invoque pas conformément au principe de la bonne foi (
ATF 121 I 30
consid. 5f et les références citées, ainsi que les
ATF 119 Ia 99
consid. 4, 221 consid. 5).
Le grief est de nature formel, de sorte que la violation du principe de la publicité entraîne l'annulation de la décision attaquée, sans qu'il y ait lieu de se demander si la publicité aurait modifié l'issue du litige (cf.
ATF 117 Ia 491
consid. c).
c) Le recourant ne conteste pas, à juste titre, les mesures qui ont été prises pour que l'agent infiltré soit interrogé, après s'être assuré qu'il n'y avait pas de substitution de personne, de manière à n'être ni vu, ni reconnu par sa voix (cf.
ATF 118 Ia 327
consid. 2c).
La seule question soulevée est de savoir s'il y avait des raisons suffisantes, au vu des principes qui viennent d'être rappelés, d'exclure le public de la salle d'audience où se trouvait l'accusé.
Comme on l'a vu, le principe de la publicité des débats peut être écarté pour des motifs impérieux touchant à la sécurité, la moralité, l'ordre public ou la protection d'intérêts privés prépondérants; l'autorité doit alors choisir la solution qui permet de sauvegarder ces intérêts en portant l'atteinte la plus faible au principe de la publicité des débats. Dans ces conditions, il est possible de restreindre ou même d'exclure la publicité des débats sans violer l'
art. 6 par. 1 CEDH
.
En l'espèce, l'autorité cantonale a justifié le huis clos par le fait que l'audition de l'agent infiltré, qui s'exprimait par le biais d'un système de micros et de haut-parleurs depuis une pièce adjacente à celle dans laquelle se trouvaient la cour, les prévenus, leurs mandataires et le Ministère public, avait lieu dans un autre bâtiment que celui où s'était déroulé le reste du procès; le choix de ce lieu avait été déterminé par la volonté de permettre au témoin d'arriver et de repartir discrètement, de manière à ne pas compromettre son anonymat. Ces motifs ne suffisent pas à justifier l'exclusion de toute publicité pour cette audition. En effet, on ne saisit pas, à la lecture de l'arrêt attaqué, pourquoi la sauvegarde de l'anonymat de l'agent infiltré, qui est en soi manifestement un intérêt digne de protection susceptible de faire admettre une restriction au principe de la publicité, ne pouvait être garantie que par le prononcé du huis clos. Une telle mesure ne serait admissible que s'il n'était pas concevable que le témoin s'exprime depuis un endroit où son arrivée et son départ pouvaient se faire en toute discrétion mais soit auditionné depuis un local permettant d'accueillir la cour, les parties et le public. La cour
BGE 121 I 306 S. 313
cantonale n'a pas mentionné que la salle dans laquelle se trouvaient la cour et les parties pour auditionner l'agent infiltré ne permettait pas d'accueillir le public; il n'est pas dit non plus dans l'arrêt attaqué qu'il aurait été excessivement compliqué de concevoir une organisation permettant, par exemple, au témoin de déposer depuis le local dans lequel il l'a fait alors que la cour, les parties et le public l'auditionnaient depuis la salle dans laquelle s'est déroulé le reste du procès.
Dès lors, si les motifs invoqués par l'autorité cantonale sont pertinents, la motivation de l'arrêt attaqué n'est pas suffisante pour que l'on puisse admettre que l'exclusion du public était justifiée car elle apparaissait nécessaire pour garantir l'anonymat de l'agent infiltré. Dans cette mesure, l'arrêt attaqué viole donc le droit à la publicité des débats. Comme ce grief est de nature formel, il n'y a pas à se demander si cette violation est susceptible de modifier l'issue du litige. Le recours doit donc être admis.
3.
Frais. | public_law | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad4371ac-2ce2-4a7d-9a55-e5ed0a8458de | Urteilskopf
97 II 108
17. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Juni 1971 i.S. Verband Archimedes gegen Hilfskasse der Studierenden des Abend-Technikums Zürich. | Regeste
Verein; Verbindlichkeit von Generalversammlungsbeschlüssen (
Art. 63 Abs. 2 ZGB
).
Die Vereinssatzungen dürfen die von der Rechtsordnung gesetzten Grenzen nicht überschreiten. Eine Statutenbestimmung, welche Dritten ein Einspracherecht gegenüber sämtlichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinsmitglieder einräumt, ist mit der Vereinsautonomie nicht vereinbar; sie verstösst gegen die guten Sitten und ist daher nichtig. | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 97 II 108 S. 109
A.-
Der Verband "Archimedes" der Absolventen und Studierenden Schweizerischer Abendtechniken errichtete im Jahre 1930 zusammen mit der Lehrergenossenschaft Juventus, deren Rechtsnachfolgerin die Institut Juventus AG ist, eine Unterstützungskasse. Diese wurde am 20. November 1948 als Verein gemäss
Art. 60 ff. ZGB
neu gegründet. Am 9. Juni 1954 wurde ihr Name in Hilfskasse der Studierenden des Abend-Technikums Zürich abgeändert. Das Abend-Technikum Zürich wird von der Institut Juventus AG geführt.
Nach Art. 4 ihrer Statuten ist die Mitgliedschaft bei der Hilfskasse für alle regulär am Abend-Technikum Zürich Studierenden obligatorisch. Die Hilfskasse bezweckt laut Art. 2 der Statuten die Unterstützung von Studierenden des Abend-Technikums Zürich, die aus irgendwelchen Gründen eine finanzielle Hilfe zur Fortsetzung oder zum Abschluss ihres Studiums benötigen. Als Unterstützungsbeiträge kommen, sofern es die Mittel der Kasse erlauben, einmalige Beiträge an Veranstaltungen wie Vorträge, Exkursionen, ferner Erweiterungen von Laboratoriumseinrichtungen etc., die den Ausbildungszwecken der Studierenden des Abend-Technikums dienen, in Frage (Art. 3 der Statuten). Die Mittel der Hilfskasse bestehen aus den Semesterbeiträgen der Kassenmitglieder, einem Beitrag des Abend-Technikums Zürich in der gleichen Höhe wie die von den Mitgliedern einbezahlte Beitragssumme je Semester und dem Erlös aus Kapital, Veranstaltungen und Schenkungen sowie dem Gründungsfonds in der Höhe von Fr. 1000.-- (Art. 7 der Statuten). Die auf diese Weise geäufneten Mittel belaufen sich heute auf rund Fr. 100 000.--.
Die Hilfskasse besitzt die üblichen Vereinsorgane, namentlich
BGE 97 II 108 S. 110
die Generalversammlung der Mitglieder und den Vorstand (Art. 8 der Statuten). Der Generalversammlung obliegen insbesondere die Abnahme des Jahresberichtes und der Jahresrechnung, die Änderung der Statuten, die Wahlen sowie die Genehmigung der unter Art. 3 der Statuten fallenden Kassenleistungen, welche den Betrag von Fr. 500.-- übersteigen (Art. 11 und 24 der Statuten).
B.-
Die Statuten des Vereins Hilfskasse wurden bereits am 10. Juli 1948 von einer ausserordentlichen Generalversammlung des Verbandes Archimedes und am 20. November 1948 auch von der Schulleitung des Abend-Technikums Zürich genehmigt. Die Schulleitung und der Verband Archimedes, beide Nichtmitglieder des Vereins Hilfskasse, liessen sich in dessen Statuten als Gründerparteien bestimmte Befugnisse einräumen. So sind sie berechtigt, im fünfköpfigen Vorstand der Hilfskasse je zwei Vertreter und einen Ersatzmann zu stellen (Art. 13 der Statuten). Das Geschäftsreglement des Vorstandes der Hilfskasse unterliegt ebenfalls der Genehmigung durch die beiden Gründerparteien, d.h. die Schulleitung und den Verband Archimedes (Art. 15 der Statuten). Laut Art. 12 der Statuten treten die Beschlüsse der Generalversammlung der Hilfskasse erst in Kraft, wenn innerhalb eines Monats, nach erfolgter schriftlicher Mitteilung an die Gründerparteien, von denselben kein Einspruch erhoben wird. Der Verein Hilfskasse kann auch nur mit Zustimmung der beiden Gründerparteien aufgelöst werden (Art. 25 der Statuten). Die Liquidation der Kasse erfolgt erst fünf Jahre nach dem Auflösungsbeschluss. Dabei wird das Vermögen der Kasse auf beide Gründerparteien zur weiteren Verwendung im Sinne dieser Kasse hälftig geteilt (Art. 28 der Statuten).
C.-
Der Verband Archimedes und die Institut Juventus AG schlossen am 8. März 1967 eine Vereinbarung über die Auflösung des Vereins Hilfskasse und beabsichtigten, ihren Auflösungsantrag den Kassenmitgliedern im Wintersemester 1968/69 zur Genehmigung zu unterbreiten.
Die 35. ordentliche Generalversammlung der Hilfskasse vom 24. August 1967 beschloss zunächst die Erteilung eines Kredites von Fr. 12 500.--, um dem Abend-Technikum Zürich gemäss seinem Antrag ein Laborgerät zu schenken. Auf Antrag eines Studierenden wurde dann aber dieser Kredit auf Fr. 25 000.-- erhöht. Der Mehrbetrag sollte für den Ankauf noch unbestimmter
BGE 97 II 108 S. 111
Laboreinrichtungen verwendet werden. Das Begehren des Verbandes Archimedes, die Schenkung erst anlässlich der Liquidation der Hilfskasse zu vollziehen, wurde abgelehnt. Im Protokoll der Generalversammlung vom 24. August 1967 wurde festgehalten, dass die gefassten Beschlüsse gemäss Art. 12 der Statuten den beiden Gründerparteien schriftlich bekannt gegeben werden müssen. Der Vorstand des Verbandes Archimedes erhielt diese Mitteilung am 12. September 1967. Der Verband hatte aber bereits mit einer Zuschrift vom 6. September 1967 gegen die Beschlüsse der Generalversammlung Einsprache erhoben. Am 14. September 1967 bestätigte er diese Einsprache gegenüber der Hilfskasse.
Trotz dieser Einsprache beschloss der Vorstand des Vereins Hilfskasse am 23. November 1967, den Betrag von Fr. 12 500.-- für die Anschaffung einer Fernsehanlage und eines Sigmatic-Baukastens auszulegen und bezüglich des Restbetrages von Fr. 12 500.-- den Rektor des Abend-Technikums Zürich zu beauftragen, an der nächsten Vorstandssitzung einen Vorschlag betreffend den Ankauf von Laboreinrichtungen zu unterbreiten. In seiner 37. ordentlichen Generalversammlung vom 11. September 1968 beschloss der Verein Hilfskasse seine Auflösung.
D.-
Mit vorsorglicher Verfügung vom 11. Januar 1968 verbot der Einzelrichter im summarischen Verfahren der Hilfskasse die ganze oder teilweise Auszahlung der in der Generalversammlung vom 24. August 1967 beschlossenen Beiträge von insgesamt Fr. 25 000.-- und setzte dem Verband Archimedes Frist zur Klage. Dieser erhob rechtzeitig Klage mit dem Begehren, dem beklagten Verein Hilfskasse sei unter Strafandrohung zu untersagen, der Institut Juventus AG bzw. der Laboratoriumsstiftung Abend-Technikum Zürich die vom Vorstand des Beklagten am 23. November 1967 beschlossene Auszahlung von Fr. 12 500.-- zu machen.
Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage mit Urteil vom 11. Juni 1970 ab. Eine hiegegen erhobene Berufung wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 23. Oktober 1970 abgewiesen. Zur Begründung führte das Obergericht im wesentlichen aus, beim Beklagten handle es sich um einen selbständigen Verein, der nicht einem umfassenderen Verein eingegliedert sei. Die beiden Gründerparteien, die indessen den Verein nicht allein gegründet hätten, seien nicht Vereinsmitglieder, sondern Dritte geblieben. Wenn ihnen in Art. 12 der Statuten ein Einspracherecht
BGE 97 II 108 S. 112
gegenüber allen Beschlüssen der Generalversammlung der Mitglieder eingeräumt werde, so gehe dies weit über den Schutz, den selbst die Mitglieder des Vereins nach
Art. 75 ZGB
geniessen, hinaus und widerspreche dem Grundsatz der Vereinsautonomie. Die Statuten könnten nicht einerseits die Vereinsversammlung als oberstes Organ bezeichnen und ihr anderseits die Selbstbestimmung auf dem Umweg über ein Einspracherecht Dritter nehmen. Art. 12 der Statuten der Hilfskasse sei daher nichtig.
E.-
Auf eine vom Verband Archimedes erhobene kantonalrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde ist das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. Februar 1971 nicht eingetreten.
F.-
Der Verband Archimedes führt Berufung an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des Urteils des Obergerichts und erneuert sein bereits vor den kantonalen Instanzen gestelltes Begehren.
G.-
Der Beklagte beantragt Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der Klage wird die Untersagung der Auszahlung eines Betrages von Fr. 12'500.-- verlangt. Es ist somit eine vermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von
Art. 46 OG
gegeben, wobei sich das Rechtsbegehren ausdrücklich auf eine bestimmte Geldsumme bezieht, was für die Bestimmung des Streitwertes massgebend ist (
Art. 36 Abs. 1 OG
). Da ein einziger vermögensrechtlicher Anspruch eingeklagt ist, stellt der Betrag von Fr. 12'500.-- das im Rechtsstreit stehende Vermögensinteresse dar (vgl. analogBGE 78 II 183lit. b). Die Frage der Gültigkeit statutarischer Bestimmungen, insbesondere von Art. 12 der Statuten des Beklagten, bildet lediglich ein Motiv für den Entscheid über das Rechtsbegehren. Die Klage ist auch nicht auf die Anfechtung von Beschlüssen der Generalversammlung gerichtet, bei denen das Gesamtinteresse des beklagten Vereins massgebend wäre (vgl. hiezu das unveröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 5. Februar 1960 i.S. R. c. R., Erw. 1). Bei einem Streitwert von Fr. 12'500.-- ist die Berufung gemäss
Art. 46 OG
zulässig.
2.
Unbestritten ist, dass die beklagte Hilfskasse sich in aller Form rechtens als Verein nach
Art. 60 ff. ZGB
konstituiert hat, die erforderliche Organisation und entsprechende Organe
BGE 97 II 108 S. 113
(
Art. 64 ff. ZGB
) besitzt und gemäss
Art. 60 ZGB
Rechtspersönlichkeit erlangt hat. An dieser Rechtslage ändert auch die Tatsache nichts, dass Dritte, nämlich der klagende Verband Archimedes und die Schulleitung des Abend-Technikums Zürich, die Vereinsstatuten ebenfalls genehmigten und dem Vorstand angehören, was mangels eines statutarischen Verbotes zulässig ist (
BGE 73 II 1
ff.).
Als rechtmässig gegründeter juristischer Person kommt dem Beklagten die Vereinsautonomie zu (vgl.
BGE 73 II 2
oben; EGGER, Kommentar, N. 3 zu
Art. 63 ZGB
). Ihrem wesentlichen Gehalt nach besteht die Vereinsautonomie in der Macht, gemäss Gesetz zur Regelung der Verhältnisse des Vereins und seiner Betätigung Normen zu schaffen. Die Festlegung der Satzungen oder der Vereinsstatuten gehört zu den wichtigsten Erscheinungsformen der Autonomie auf dem Gebiete des Privatrechts (KLANG/PISKO, Kommentar zum ABGB, 2. Aufl., Bd. I/1, Vorbemerkungen zu §§ 2-13, S. 57 ff. Ziff. IV).
Ebenso anerkannt wie dieses Recht statutarischer Regelung ist aber auch, dass diese Regelung nur im Rahmen der gesetzlichen Grenzen verbindlich erfolgen kann (KLANG/PISKO, a.a.O.). Wie dieses Recht zum Erlass von Satzungen theoretisch begründet wird, ob mit gesetzlicher Verleihung, dem Selbstbestimmungsrecht oder der Vertragsfreiheit, kann offen bleiben. In jedem Falle können die Satzungen nur innerhalb des gesetzlichen Rahmens begründet werden, wie das in
Art. 63 Abs. 2 ZGB
auch zum Ausdruck kommt. Vorbehalten bleiben somit auch gegenüber den Satzungen oder Vereinsstatuten zwingendes Recht und die guten Sitten (EGGER, N. 3 und 4 zu
Art. 63 ZGB
; RGR-Komm. zum BGB, 11. Aufl., Anm. 3 zu § 25, 1. Satz). Statutarische Bestimmungen, welche diese Schranken überschreiten, können daher keinen Bestand haben.
3.
Die Vereinsautonomie hat zur Folge, dass der Verein ein bedeutendes Mass an Selbständigkeit und Unabhängigkeit besitzt. Das Recht, seine Angelegenheiten selbst zu verwalten, wird als für den Bestand des Vereins wesentlich betrachtet (RGR-Komm. zum BGB, 11. Aufl., Anm. 6 zu § 25). Die Autonomie bedingt daher auch, dass die freie Willensbildung grundsätzlich gewährleistet sein muss. Es hätte keinen Sinn, dem Verein die Freiheit der innern Gestaltung (EGGER, N. 3 zu
Art. 63 ZGB
) zuzugestehen, gleichzeitig aber grundlegende Beschränkungen der freien Willensbildung zuzulassen. Das ganze Vereinsrecht
BGE 97 II 108 S. 114
ist auf die Gewährleistung grundsätzlich selbständiger Willensbildung angelegt: so die Bestimmungen über die Vereinsversammlung als oberstes Organ des Vereins (
Art. 64 ZGB
), das Stimmrecht der Mitglieder und den Entscheid der Mehrheit (Majoritätsherrschaft,
Art. 67 Abs. 1 und 2 ZGB
), die Regelung der Beschlussfassung (
Art. 66-68 ZGB
). Daraus ist zu schliessen, dass der Verein seiner Selbständigkeit nicht soll beraubt werden können (HEINI, Schweizerisches Privatrecht, Bd. II, S. 522).
Der Kläger macht nun geltend, Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts von Vereinen seien sehr häufig, vor allem im Verhältnis von Ober- und Unterverbänden und im Verhältnis zu öffentlichen Körperschaften. Der vorliegende Fall sei mit diesen Erscheinungen nicht identisch, aber nahe verwandt; denn der beklagte Verein diene der Verfolgung eines Zweckes, welcher den Gründerparteien und dem Beklagten gemeinsam sei.
Gewiss sind Bindungen, auch statutarische, des Vereins zulässig. Indessen gestattet die Freiheit der Vereinsgründung und seiner inneren Ausgestaltung nicht irgendwelche Bindungen. Selbst EGGER, auf den sich der Kläger beruft, betont, dass die allgemeinen Anforderungen der Rechtsordnung auch gegenüber rechtsgeschäftlichen Bindungen vorbehalten bleiben (N. 17 in fine zu Art. 53 und N. 3 zu
Art. 63 ZGB
). Der beklagte Verein hat aber, wie ein Vergleich von Art. 2 und 3 mit Art. 11 d und 12 der Statuten ergibt, die Verfolgung seines Zweckes vollständig in das Belieben der beiden Gründerparteien gestellt. Die Verbindlichkeit sämtlicher Beschlüsse der Generalversammlung wird in Art. 12 zum vorneherein und ohne Einschränkung von der Zustimmung Dritter abhängig gemacht, während dies Sache der Generalversammlung als oberstem Vereinsorgan wäre (vgl. hiezuBGE 67 I 346). Durch diese statutarische Regelung wird die entscheidende, gesetzlich gewährleistete Funktion der Mitglieder in der Betätigung des Vereins praktisch zur Bedeutungslosigkeit herabgedrückt. Hieran ändert die Behauptung, der klagende Verband Archimedes verfolge ähnliche Zwecke wie der Verein Hilfskasse, nichts. Sie ist übrigens zum grössten Teil unrichtig, wie ein Vergleich der Statuten des Verbandes Archimedes und der Hilfskasse zeigt. Art. 12 der Statuten der Hilfskasse besagt bedeutend mehr als die Einräumung blosser Gründervorteile, ohne dass auf die weiteren statutarischen Bindungen des Beklagten an die Gründerparteien eingegangen zu werden braucht. Die Wirksamkeit von Art. 12 der Statuten
BGE 97 II 108 S. 115
würde die Bevormundung des beklagten Vereins, den Verzicht auf die Freiheit der Entscheidung und damit die Aufgabe des Selbstbestimmungsrechts bedeuten. Der Standpunkt des Klägers, es bestehe kein Bedürfnis danach, sachlich begründete Selbstbeschränkungen zu verbieten und die Vereinsautonomie in dieser Weise in Fesseln zu legen, erscheint in diesem Zusammenhang geradezu als abwegig. Eine solche Abhängigkeit von Dritten bedeutet eine unzulässige Knebelung des Vereins und damit einen Verstoss gegen die guten Sitten (RGR-Komm. zum BGB, a.a.O.). Art. 12 der Statuten der Hilfskasse ist demnach nichtig und das Vetorecht des Klägers unbeachtlich.
4.
Der Kläger beruft sich demgegenüber auf den Umstand, dass die Generalversammlung des beklagten Vereins am 24. August 1967 ausdrücklich beschlossen hat, das Einspracherecht der Gründerparteien gegenüber der vorgesehenen Leistung an das Abend-Technikum vorzubehalten und Art. 12 der Statuten zu beachten. Er will daraus ableiten, dass der fragliche Beschluss der Generalversammlung ein bedingter und daher nie rechtswirksam geworden sei. Die Frage der Rechtsgültigkeit von Art. 12 der Statuten stelle sich deshalb im vorliegenden Prozess gar nicht. Die Ausführungen der Vorinstanz, mit welchen dieser Standpunkt zurückgewiesen werde, seien bundesrechtswidrig; denn sie würden gegen
Art. 151 OR
verstossen. Die Klage sei schon aus diesem Grunde gutzuheissen. Ein bedingungsloser Beschluss sei auch später nicht gefasst worden und wäre im Liquidationsstadium, in welches der beklagte Verein eingetreten sei, auch nicht mehr zulässig.
Auch diese Berufungsbegründung geht fehl. Wie bereits dargelegt, ist die Festlegung eines uneingeschränkten Vetorechtes eines Dritten gegenüber Generalversammlungsbeschlüssen in den Vereinssatzungen als Verstoss gegen die guten Sitten nichtig (vgl.
Art. 20 Abs. 1 OR
). Diese Nichtigkeit wirkt ex tunc; sie ist daher absolut und total (BECKER, Kommentar, N. 8 ff., insbesondere N. 9 und 10 zu
Art. 20 OR
). Da der streitigen Statutenbestimmung unter diesen Umständen jegliche Wirkung versagt werden muss, kann sie auch keinen Einfluss auf die Rechtsgültigkeit des fraglichen Generalversammlungsbeschlusses vom 24. August 1967 ausüben, wie der Kläger glaubt. Seine Annahme beruht auf einem Trugschluss (vgl. dazu KLANG/PISKO, a.a.O., S. 61, Text vor N. 81). Sie ist auch noch aus einem weiteren Grunde abzulehnen. Kennzeichen der Bedingung,
BGE 97 II 108 S. 116
namentlich auch einer vorbehaltenen Genehmigung, ist die Schaffung eines Schwebezustandes (BECKER, N. 2 und 3 zu den Vorbemerkungen zu
Art. 151-157 OR
). Angesichts der Nichtigkeit von Art. 12 der Statuten kann aber gar kein Schwebeverhältnis entstehen. Unter diesen Umständen braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob ein bedingter Generalversammlungsbeschluss nicht auch im Hinblick auf
Art. 157 OR
unwirksam wäre. Ebenso entfällt die Rüge des Klägers, die Ausführung des Generalversammlungsbeschlusses vom 24. August 1967 sei nicht mehr möglich, weil die Hilfskasse in das Liquidationsstadium eingetreten sei, bevor die angebliche Bedingung sich erfüllt habe.
Aus dem Ausgeführten ergibt sich, dass die kantonalen Instanzen das Begehren des Klägers mit Recht abgewiesen haben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad452171-a958-4ceb-bd74-948fed836f3e | Urteilskopf
90 IV 130
27. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 18 juin 1964 dans la cause Erb contre Ministère public du canton de Neuchâtel. | Regeste
Fortgesetztes Delikt.
1. Begriff (Erw. 1).
2. Mit dem Urteil über ein solches Delikt ist die Strafverfolgung grundsätzlich beendet, selbst wenn der Richter nicht von allen Handlungen, die demselben Willensentschluss entsprangen, Kenntnis erhielt; erforderlich ist aber, dass er wirklich ein fortgesetztes Delikt ahnden wollte. Vorbehalten bleibt der Fall, wo anzunehmen ist, dass der Richter eine strengere Strafe ausgesprochen hätte, wenn ihm die auf denselben Willensentschluss zurückgehenden Handlungen alle bekannt gewesen wären (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 90 IV 130 S. 130
A.-
Le 7 novembre 1961, l'Office vétérinaire du canton de Neuchâtel a informé Erb, agriculteur à Couvet, que des
BGE 90 IV 130 S. 131
mesures spéciales de protection devaient être observées dès ce jour pour son exploitation, des cas de brucellose ayant été décelés dans son troupeau. Une de ces mesures devait consister à isoler le troupeau et à ne pas emprunter, pour se rendre dans les prés, un chemin utilisé par d'autres troupeaux.
Erb a néanmoins mis en estivage, dans le pâturage des Riaux, quinze génisses provenant de son exploitation. De ce fait, le Tribunal de police du district du Val-de-Travers lui a infligé une amende de 100 fr., le 9 juillet 1962.
B.-
Entre les mois de mai et de juin 1962, Erb a conduit une partie de son troupeau, de Couvet à la Montagne Giroud (St-Sulpice) et l'a fait pâturer sur le "communal" des Bayards. En juillet et en août de la même année, il a livré au laitier David, à Couvet, du lait qui contenait des bacilles de Bang.
Statuant sur ces faits, le 19 décembre 1963, le Tribunal de police du district du Locle a frappé Erb d'une amende de 2000 fr. en vertu des art. 40 et 41 de la loi fédérale du 13 juin 1917 sur les mesures à prendre pour combattre les épizooties et de l'
art. 38 LCDA
(cette dernière infraction ayant été commise par négligence).
Le 25 mars 1964, la Cour de cassation pénale neuchâteloise a rejeté un recours du condamné.
C.-
Erb s'est pourvu en nullité contre cet arrêt. Il conclut à libération.
La Cour de cassation pénale a rejeté le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Sur le transfert d'une partie du troupeau à la Montagne Giroud et au "communal" des Bayards, le recourant ne nie pas l'infraction elle-même, mais la tient pour la continuation de celle qui a fait l'objet du jugement du 9 juillet 1962. Il en conclut que la condamnation prononcée contre lui, sur ce point, le 19 décembre 1963, violerait le principe ne bis in idem. Il tire donc argument de la doctrine
BGE 90 IV 130 S. 132
dite du délit continué ou successif, lequel consiste dans la répétition d'actes délictueux analogues ou identiques, qui lèsent le même genre d'intérêts protégés par le droit et procèdent d'une décision unique portant dès le début sur la pluralité des actes (RO 68 IV 99;
72 IV 184
;
78 IV 154
;
83 IV 159
;
88 IV 65
, consid. 3). Dans un tel cas, on admet qu'il n'y a pas concours réel, mais bien une seule infraction, sanctionnée par un seul jugement.
C'est par erreur que, suivant la cour cantonale, le recourant, à ce propos, emploie le terme de délit continu. Bien que la cour de céans s'en soit servie dans le même sens (RO 40 I 307), il est ici impropre. Le délit continu ou prolongé est une infraction unique dont l'exécution dure un certain temps; il s'oppose au délit instantané.
2.
Aucune disposition du droit fédéral ne consacre expressément la catégorie du délit continué ou successif, qui a été introduite par la jurisprudence. Mais elle repose tout entière sur des considérations d'équité, aux fins d'écarter, dans certains cas, les conséquences trop rigoureuses des règles sur le concours réel. Lorsque, par son application, on assimile les actes successifs de l'auteur à un délit unique, le jugement dont ce dernier est l'objet, une fois passé en force, épuise l'action pénale, même si le tribunal n'a pas eu connaissance de tous les agissements de l'inculpé. Par conséquent, ceux qui ne sont découverts que plus tard ne sauraient en principe donner lieu à une nouvelle poursuite (RO 40 I 309, consid. 3; RITTLER, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts, 1954, p. 347; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, partie générale, p. 270; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzduch, 2e éd. 1964, nos 327 ss., en particulier no 328, c 1; D. u. U. MANN, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 1963, p. 252). Il faut cependant réserver le cas où il apparaît que le premier juge aurait fixé une peine plus sévère s'il les avait connus; il en ira ainsi en particulier lorsqu'ils sont plus nombreux que ceux dont la condamnation déjà prononcée a pu faire état (v. CLERIC,
BGE 90 IV 130 S. 133
Leitfaden der strafrechtlichen Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, 1925, p. 72).
Toutefois, pour que le premier jugement couvre des actes inconnus du tribunal, il faut que ce dernier ait entendu réprimer un délit continué ou successif. Autrement, on ne voit pas comment sa décision pourrait emporter la force de chose jugée pour des agissements qu'elle n'entend pas viser.
En l'espèce, lorsque le Tribunal de police du Val-de-Travers s'est prononcé sur l'infraction constituée par la mise en estivage de quinze génisses aux Riaux, il ne savait rien du transfert d'une autre partie du troupeau à la Montagne Giroud et au "communal" des Bayards, transfert qui n'avait alors pas encore été dénoncé au Ministère public neuchâtelois. Aussi sa décision concerne-t-elle uniquement l'infraction dont il était saisi. Elle ne s'opposait pas à ce qu'Erb fût condamné derechef pour une seconde infraction, même analogue à la première et commise à la même époque.
Erb ne serait fondé à invoquer le principe ne bis in idem que si l'on était en présence d'un délit successif, c'est-à-dire si le jugement du 9 juillet 1962 avait constaté qu'en conduisant (ou en faisant conduire) quinze génisses aux Riaux, il était déjà résolu, non pas en général et abstraitement, mais par tels actes concrets, à transgresser à nouveau les instructions de l'Office vétérinaire. Or rien, dans ce jugement, ne permet de croire que tel ait été le cas, que la seconde infraction ait procédé de la même décision que la première et n'en soit ainsi que la continuation. Il s'agit donc en réalité de deux infractions indépendantes, dont la répression doit être distincte.
.....
3.
..... | null | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ad48ac1e-9e01-4368-9c8c-d263187d9513 | Urteilskopf
117 Ia 116
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. März 1991 i.S. X. gegen Gebrüder K. sowie Kantonsgericht des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
. Rechtsverweigerung; Verfahrenserledigung ohne förmliche Verfügung.
Es stellt keine Rechtsverweigerung dar, wenn trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung in der Strafprozessordnung des Kantons Schwyz auf die Erledigung von adhäsionsweise geltend gemachten Zivilansprüchen die Vorschriften der Zivilprozessordnung nicht analog angewendet werden. Ebensowenig verletzt es
Art. 4 BV
, wenn auf die Adhäsionsklage inzident nicht eingetreten wird, ohne dass diesbezüglich ein ausdrücklicher förmlicher Entscheid ergeht. | Sachverhalt
ab Seite 116
BGE 117 Ia 116 S. 116
Die Gebrüder K. stellten beim Bezirksamt March (Kanton Schwyz) gegen X. Strafanzeige wegen Zweckentfremdung von
BGE 117 Ia 116 S. 117
Sozialversicherungsbeiträgen, die sie als Arbeitnehmer geleistet hatten. Im Laufe der Untersuchung erklärten die Gebrüder K., als Geschädigte im Strafverfahren Parteirechte ausüben und adhäsionsweise zivilrechtliche Ansprüche geltend machen zu wollen. Sie wurden zur Hauptverhandlung auf 21. November 1988 als Geschädigte bzw. Zivilkläger vor das Bezirksgericht March vorgeladen. Dieses beschloss durch Zwischenentscheid am selben Tag, dass die Gebrüder K. als Partei im Strafprozess gegen X. nicht zugelassen würden. Gleichzeitig beschloss das Bezirksgericht March, dass eine ausserrechtliche Entschädigung an die Zivilkläger nicht zugesprochen werde und wies darauf hin, dass gegen diesen Zwischenentscheid innert 10 Tagen seit Zustellung beim Kantonsgericht Schwyz schriftlich Beschwerde eingereicht werden könne.
Nachdem feststand, dass der Zwischenentscheid vom 21. November 1988 unangefochten geblieben war, wurde zur Fortsetzung der Hauptverhandlung am 13. Februar 1989 vorgeladen und gleichen Tags X. der Zweckentfremdung von Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer schuldig erklärt. Dieser Schuldspruch wurde durch das Kantonsgericht Schwyz am 18. Januar 1990 bestätigt, und auf Anschlussberufung hin wurde X. mit einer Busse von Fr. 500.-- bestraft.
Daraufhin beantragte X. beim Bezirksgericht March, auf die Adhäsionsklage sei nicht einzutreten bzw. es sei der Beschluss dieses Gerichtes vom 21. November 1988 in diesem Sinne zu ergänzen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Gebrüder K.; der Eingabe wurde eine Kostennote von Fr. 6'550.-- beigelegt. Das Bezirksgericht March wies am 30. April 1990 den Antrag von X. ab und auferlegte ihm die Kosten. Ein dagegen von X. beim Kantonsgericht Schwyz erhobener Rekurs wies dieses am 19. September 1990 ab. Gegen den Beschluss des Kantonsgerichtes führt X. staatsrechtliche Beschwerde, insbesondere wegen Verletzung des Rechtsverweigerungsverbotes. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Tritt eine Behörde auf eine ihr unterbreitete Sache nicht ein, obschon sie darüber entscheiden müsste, begeht sie gemäss bundesgerichtlicher Praxis eine formelle Rechtsverweigerung, die als Verletzung von
Art. 4 BV
gerügt werden kann (BGE 113
BGE 117 Ia 116 S. 118
Ia 430 f. E. 3;
BGE 107 Ib 164
E. 3b). In welcher Form und in welchem Umfang die entsprechenden Ansprüche zu gewährleisten sind, lässt sich nicht generell, sondern nur im Hinblick auf den einzelnen Fall beurteilen. In diesem Sinne ist Flexibilität ein wesentliches Merkmal des Gehörsanspruches (vgl.
BGE 112 Ia 110
E. 2b;
BGE 104 Ia 214
).
b) Der Beschwerdeführer anerkennt, dass die Verordnung über den Strafprozess im Kanton Schwyz vom 28. August 1974 (StPO) über die Verfahrenserledigung von Adhäsionsklagen nichts Näheres bestimmt. Er hält aber dafür, dass in diesen Fällen § 93 Ziff. 3 und § 161 Abs. 2 der Zivilprozessordnung des Kantons Schwyz vom 25. Oktober 1974 (ZPO) analog zur Anwendung gelangen sollten. Die Erledigung der adhäsionsweise geltend gemachten Ansprüche der privaten Beschwerdegegner habe deshalb eines ausdrücklichen Nichteintretensentscheides bedurft. Die kantonalen Instanzen hätten sich in willkürlicher und rechtsverletzender Weise ausdrücklich geweigert, den Mangel des fehlenden förmlichen Nichteintretensentscheides zu heilen.
Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich nicht zwingend, dass für die Erledigung von adhäsionsweise geltend gemachten Zivilansprüchen mangels einer ausdrücklichen Ordnung in der kantonalen Strafprozessordnung analog die entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Anwendung kommen müssen (vgl. dazu auch JÜRG DOMENIG, Die Adhäsionsklage im Bündner Strafprozess, Diss. ZH 1990, S. 41 ff.). Der Umstand, dass die kantonale Strafprozessordnung für zwei bestimmte Fragen im Zusammenhang mit privatrechtlichen Ansprüchen die sinngemässe Anwendung der Zivilprozessordnung besonders vorsieht, nämlich in
§ 20 Abs. 2 StPO
betreffend die Handlungs- und Prozessfähigkeit und in
§ 138 StPO
für die Rechtsmittel, zeigt gerade, dass der Schwyzer Gesetzgeber die Vorschriften der ZPO nicht schlechthin auf die adhäsionsweise geltend gemachten Zivilansprüche zur Anwendung bringen wollte. Die Tatsache, dass insbesondere
§ 161 Abs. 2 ZPO
nicht zur Anwendung gelangte, schadet deshalb nichts und vermag insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zu begründen.
Mit seinem Beschluss vom 21. November 1988 hat das Bezirksgericht March die Zivilansprüche durch Prozessurteil abschliessend erledigt, indem es die beiden privaten Beschwerdegegner mangels Vermögensschaden ausdrücklich nicht als Partei im Strafprozess zugelassen hat. Entsprechendes geht auch aus Ziff. 3 des
BGE 117 Ia 116 S. 119
Dispositives des betreffenden Beschlusses hervor, wo ebenso ausdrücklich festgehalten wird, eine ausserrechtliche Entschädigung an die Zivilkläger werde nicht zugesprochen. Beides wird im Beschluss ausführlich begründet. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der Beschwerdeführer nach seinem Versäumnis, ein Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 21. November 1988 einzulegen, sein Ziel nicht mehr mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichtes vom 19. September 1990 erreichen. Vielmehr wurde schon mit Beschluss vom 21. November 1988 über die Nichtzusprechung einer Entschädigung, um welche es dem Beschwerdeführer heute offensichtlich geht, zumindest sinngemäss endgültig entschieden. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ad498d18-3bc9-4443-9e44-d650a8e314c1 | Urteilskopf
80 I 74
14. Urteil vom 26. Februar 1954 i.S. Riegel gegen Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. | Regeste
Schweizerbürgerrecht:
1. Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts richten sich nach dem bei Eintritt des massgebenden Tatbestandes geltenden Recht.
2. Gültigkeit einer 1877 in Grönland vor einem Missionar der Herrnhuter Brüdergemeinde abgeschlossenen Ehe zwischen einem deutschen Staatsangehörigen und einer gebürtigen Schweizerin.
3. Bürgerrecht eines 1878 in Grönland geborenen Kindes aus dieser Ehe. | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 80 I 74 S. 75
A.-
Der Vater des Beschwerdeführers, Johann Gottlieb Adolf Riegel, geboren am 2. Februar 1845 in Stettin, war preusischer Staatsangehöriger. Er wanderte im Jahre 1873 nach Grönland aus, um dort als Missionar der Herrnhuter Brüdergemeinde zu wirken. Die Mutter des Beschwerdeführers, Katharina Stamm, geboren am 27. November 1844 in Thayngen, war vor ihrer Verheiratung Schweizerin. Sie liessen sich am 17. Juni 1877 in Neu-Herrnhut bei Gotthaab in Grönland von einem Missionar der Herrnhuter Brüdergemeinde kirchlich trauen. Eine bürgerliche Eheschliessung hat unbestrittenermassen nicht stattgefunden. Dieser Ehe entspross der heutige Beschwerdeführer, der am 6. September 1878 in Umanak (Grönland) geboren wurde. Er verehelichte sich am 11. März 1919 mit Käthe Hermine Amalie Margarete Schrader. Aus dieser Ehe gingen 2 Kinder hervor: die am 28. Juli 1921 geborene Tochter Eva Renate und der am 18. August 1923 geborene Sohn Fritz Adolf.
B.-
Der Beschwerdeführer macht geltend:
a) dass die von seinen Eltern eingegangene Ehe ungültig sei. Aus diesem Grunde habe er als aussereheliches Kind seiner Mutter zu gelten. Da seine Mutter infolge Ungültigkeit der Ehe Schweizerin geblieben sei, sei er gemäss Art. 1 lit. b des Bürgerrechtsgesetzes mit der Geburt Schweizerbürger geworden;
b) dass sein Vater im Zeitpunkt der Eingehung der Ehe staatenlos gewesen sei. Er habe daher weiterhin auch gemäss Art. 5 Abs. 1 des Bürgerrechtsgesetzes das Schweizerbürgerrecht seiner Mutter mit der Geburt erworben.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen hat mit Entscheid vom 15. Mai 1953 festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht Bürger der Gemeinde Thayngen, des Kantons Schaffhausen und der schweizerischen Eidgenossenschaft sei. Die Voraussetzungen, unter denen der Beschwerdeführer das Schweizerbürgerrecht erworben haben will, träfen nicht zu.
BGE 80 I 74 S. 76
D.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende rechtzeitig und formrichtig eingereichte Beschwerde mit dem Antrag:
Es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und es sei von Amtes wegen festzustellen, dass der Gesuchsteller und Beschwerdeführer Schweizerbürger sei. Zur Begründung macht der Beschwerdeführer wie in der Vorinstanz geltend, dass die Ehe seiner Eltern ungültig sei und dass sein Vater im Zeitpunkt der Eheschliessung staatenlos gewesen sei. Auf Einzelheiten wird, soweit nötig, in den Erwägungen zurückgekommen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
Erwägungen
in Erwägung:
1.
Mit der Beschwerde wird geltend gemacht, der angefochtene Entscheid des Regierungsrates von Schaffhausen verstosse gegen
Art. 4 BV
und verletze Art. 1, litt. b, ev. Art. 5, Abs. 1 des BG. vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts (BRG).
Beschwerden gegen Entscheide über den Bestand oder Nichtbestand des Schweizerbürgerrechts sind vom Bundesgericht auf Grund freier Überprüfung zu beurteilen, nicht nur unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte von Willkür und Verletzung klaren Rechtes. Der Berufung auf
Art. 4 BV
kommt daher in diesem Verfahren keine Bedeutung zu.
Art. 1 und 5 BRG können durch den Entscheid des Regierungsrates nicht verletzt sein, weil dem BRG keine rückwirkende Kraft zukommt. Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts richten sich nach dem bei Eintritt des massgebenden Tatbestandes geltenden Recht (Art. 57, Abs. 2 BRG). Hier handelt es sich um Tatbestände, die auf die Jahre 1873, 1877 und 1878 zurückgehen. Die Beschwerde ist daher als Rüge der Verletzung des für diese Tatbestände geltenden Bundesrechtes entgegenzunehmen.
BGE 80 I 74 S. 77
2.
Sachlich stimmen allerdings die in Art. 1, lit. b und Art. 5, Abs. 1 ausgesprochenen Grundsätze mit der früheren, ursprünglich auf Gewohnheitsrecht beruhenden Ordnung des Bürgerrechts der Kinder einer gebürtigen Schweizerin überein. Die Entscheidung hängt daher davon ab, ob die Ehe der Eltern des Beschwerdeführers tatsächlich - wie in der Beschwerde behauptet wird - ungültig war und ob der Vater des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Eheschliessung (1877) tatsächlich staatenlos war.
3.
Für die Form der Eheschliessung gilt heute im internationalen Privatrecht und galt auch schon zur Zeit der Eheschliessung der Eltern des Beschwerdeführers (1877) der Grundsatz locus regit actum, d.h. die Eheschliessung wird auch im Heimatstaat als gültig anerkannt, wenn sie nach den Formen des Landes des tatsächlichen Eheabschlusses gültig vollzogen wurde. (Für das damalige preussische Recht: BAR: Internationales Privatrecht S. 324/25; für die Schweiz: Art. 25 Abs. 3 des BG betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe, vom 24. Dezember 1874).
Die Ehe der Eltern des Beschwerdeführers wird daher von den deutschen und den schweizerischen Behörden als gültig anerkannt, wenn sie nach dem zur Zeit der Eheschliessung in Grönland geltenden Recht abgeschlossen worden ist. Unbestritten ist, dass die Eheschliessung in einem Gebiete Grönlands stattfand, das damals der dänischen Gebietshoheit unterstand. Die Ehe muss daher als gültig abgeschlossen angesehen werden, wenn sie den s. Zt. in Grönland geltenden Formen entsprach.
a) Der Regierungsrat hat im wesentlichen auf Auskünfte abgestellt, die beim dänischen Justizministerium eingezogen worden waren und aus denen unzweideutig hervorgeht, dass die in Grönland durch Geistliche der Herrnhuter Mission geschlossenen Ehen zwischen Angehörigen der Mission - um solche handelt es sich hier - zulässig und anerkannt waren und über diese Ehen besondere Register geführt wurden.
BGE 80 I 74 S. 78
Die Feststellung findet ihre Bestätigung in der Literatur, aus der entnommen werden kann, dass nach skandinavischem Zivilrecht seit Jahrhunderten die Ehe im allgemeinen vor dem Pfarrer der Kirchgemeinde geschlossen wurde und die zivilrechtliche Gültigkeit der Ehe im wesentlichen von der Beachtung gewisser Formen abhing (LEHR: Elément de droit civil scandinave, Danemark, Norvège, Suède, Ausg. 1901, S. 293 f.; vgl. auch GLASSON, Mariage civil, II. Aufl. 1880, S. 433). Für Grönland speziell wird in BERGMANN: Intern. Ehe- und Kindschaftsrecht, II. Aufl. 1938, S. 83, festgestellt, dass auch nach Erlass des dänischen Gesetzes vom 30. Juni 1922 über die Eingehung und Auflösung der Ehe kein kodifiziertes Eherecht bestand; "in der Praxis werden die für die evangelischlutherische Kirche geltenden Vorschriften beachtet". Für die Zeit vor Erlass dieses Gesetzes ergibt sich sodann aus LESKE und LÖWENFELD: Rechtsverfolgung im internationalen Verkehr, Bd. IV, Eherecht, S. 441, ausserdem, dass Ausnahmen von den kirchlichen Formen (Aufgebot, Trauung in der Kirche) auf Grund königlicher Bewilligungen sehr leicht gemacht wurden, "sodass die Trauung ohne Aufgebot, zu Hause und durch einen beliebigen Pfarrer vorgenommen werden kann". Die kirchliche Trauung war die Regel. Die bürgerliche Ehe wurde nur als Nothilfe anerkannt in Fällen, in denen kein Pfarrer verpflichtet war, die Brautleute zu trauen, was etwa bei Verschiedenheit der Konfession vorkommen konnte (LESKE-LÖWENFELD, a.a.O. S. 440), hier aber gerade nicht zutraf.
b) Nach einer bei den Akten liegenden Bescheinigung der Brüder-Unität in Herrnhut, vom 22. Juni 1946, sind die Eheleute Riegel-Stamm am 17. Juni 1877 durch den Missionar der Brüder-Unität Carl Julius Spindler in dessen Wohnstube in Gegenwart mehrerer Zeugen kirchlich getraut worden. Die Trauung ist im Trauregister der Evangelischen Brüderkirche in Neu-Herrnhut (Grönland) (Missionskirchenbuch B. S. 21 Nr. 19) eingetragen. Der Eintrag ist durch einen von der Herrnhuter Missions-
BGE 80 I 74 S. 79
Direktion ausgefertigten Auszug aus dem Trauregister nachgewiesen.
Es besteht kein ersichtlicher Grund, der die Annahme rechtfertigen würde, ein dergestalt verurkundeter Eheschluss unter Angehörigen der nämlichen Konfession leide an einer Ordnungswidrigkeit, die den Eintritt der staatsrechtlichen Folgen verhindert hätte, die einer in Grönland unter dänischer Gebietshoheit stattfindenden kirchlichen Trauung regelmässig zukommen.
Die hievon abweichenden Äusserungen, auf die der Beschwerdeführer sein Begehren stützt, beruhen z.T. auf ungenügender Kenntnis der massgebenden Rechtsordnung, z.T. auch auf reinen Vermutungen. Dies gilt sowohl von den Erklärungen des Missionars i. R. Friedrich Gärtner, wie auch von den gutachtlichen Äusserungen von Oberregierungsrat Dr. Franz Massfeller. Sie wären übrigens auch kaum vereinbar mit der Haltung der dänischen Behörden, die gegen die Eheschliessungen vor den Geistlichen der Herrnhuter Mission nicht eingeschritten sind. Ob nicht auch die Missionsleitung der Brüdergemeinde gezwungen gewesen wäre, gegen Eheschliessungen einzuschreiten, die - wie jetzt behauptet wird - mit der staatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sein sollen, mag dahingestellt bleiben.
c) Die nach dänischem Recht gültig abgeschlossene Ehe ist nach Art. 25, Abs. 3 des BG vom 24. Dezember 1874 betr. den Zivilstand und die Ehe in der Schweiz als Ehe anzuerkennen. Der Einwand, die am 17. Juni 1877 geschlossene Ehe der Eltern des Beschwerdeführers sei nach schweizerischem Rechte unwirksam, ist daher unbegründet.
4.
Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, seine Mutter habe trotz der Heirat das schweizerische Bürgerrecht beibehalten und dasselbe sei auch auf ihn übergegangen, weil sein Vater im Zeitpunkt der Eheschliessung staatenlos gewesen sei. Dieser habe vor seiner Ausreise nach Grönland im Jahre 1873 in verbindlicher Weise auf das deutsche Bürgerrecht verzichtet.
BGE 80 I 74 S. 80
a) Nach § 13, Ziff. 1 und 3 des deutschen Gesetzes vom 1. Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit (die anderen Gründe kommen hier nicht in Betracht) geht die Staatsangehörigkeit nur verloren:
"1.) durch Entlassung auf Antrag (§§ 14 ff.);
..........
3.) durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande (§ 21);
.........."
Die Entlassung wird durch eine von der höhern Verwaltungsbehörde des Heimatstaates ausgefertigte Entlassungsurkunde erteilt (§ 14). Die Entlassungsurkunde bewirkt mit dem Zeitpunkte der Aushändigung den Verlust der Staatsangehörigkeit (§ 18, Abs. 1). Nach § 15 muss die Entlassung gewährt werden, wenn der Gesuchsteller nachweist, dass er in einem andern deutschen Bundesstaat die Staatsangehörigkeit erworben hat. Trifft diese Voraussetzung nicht zu (z.B. bei Verlassen des Reichsgebietes), so wird die Entlassung von dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen hinsichtlich der Wehrpflicht abhängig gemacht (§ 15, Abs. 2). In der Wehrpflicht liegende Gründe, die hier einer Entlassung entgegengestanden hätten, sind nicht nachgewiesen.
Der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Aufenthalt im Auslande tritt ein, wenn Deutsche das Reichsgebiet verlassen und sich 10 Jahre lang ununterbrochen im Auslande aufhalten. Die Frist wird vom Zeitpunkte des Austrittes aus dem Bundesgebiet oder, wenn der Austretende sich im Besitz eines Reisepapieres oder Heimatscheines befindet, von dem Zeitpunkte des Ablaufs dieser Papiere an gerechnet. Sie wird unterbrochen durch die Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulates (§ 21, Abs. 1). Der Verlust der Staatsangehörigkeit erstreckt sich zugleich auf die Ehefrau und auf die unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder, soweit sie sich beim Ehemann, beziehungsweise Vater befinden (§ 21, Abs. 2). Deutsche, welche ihre Staatsangehörigkeit durch
BGE 80 I 74 S. 81
zehnjährigen Aufenthalt im Auslande verloren haben und in das Reichsgebiet zurückkehren, erwerben die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in welchem sie sich niedergelassen haben, durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde ausgefertigte Aufnahmeurkunde, welche auf Nachsuchen erteilt werden muss (§ 21, Abs. 5).
b) Eine Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit ist nicht nachgewiesen. Der Beschwerdeführer behauptet, sein Vater habe bei Verlassen des Landes auf seine deutsche Staatsangehörigkeit verzichtet, und er beruft sich dafür auf verschiedene Zeugnisse, besonders auf dasjenige des Missionars i. R. Gärtner, der von dem Verzicht gesprächsweise Kenntnis erhalten habe. Ein Verzicht auf die Staatsangehörigkeit war aber nach der massgebenden Gesetzgebung wirkunglos, solange die Entlassung aus dem Staatsverbande nicht verfügt und dem Gesuchsteller eröffnet worden war. Nur die Aushändigung der Entlassungsurkunde bewirkt den Verlust der Staatsangehörigkeit (§ 18, Abs. 1). Es liegen aber weder Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vater des Beschwerdeführers je im Besitze einer Entlassungsurkunde gewesen wäre, noch führten von amteswegen vorgenommene Erhebungen zu Feststellungen, die die Annahme zu rechtfertigen vermöchten, der Vater des Beschwerdeführers sei bei seiner Ausreise nach Grönland aus seiner angestammten Staatsangehörigkeit entlassen worden.
Dass er bei seiner Rückkehr nach Deutschland um die Jahrhundertwende von den deutschen Behörden nicht als deutscher Staatsangehörige anerkannt wurde, lässt lediglich darauf schliessen, dass er in jenem Zeitpunkt nicht mehr Deutscher war. Es besagt aber nichts über den Zeitpunkt des Verlustes des angestammten Bürgerrechts; vor allem nicht, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit schon bei der Ausreise nach Grönland eingetreten war. Der Verlust kann eine Folge zehnjähriger Landesabwesenheit (§ 21, Abs. 1) gewesen sein.
Die Aufnahme in die deutsche Staatsangehörigkeit fand
BGE 80 I 74 S. 82
in Sachsen statt, wo er sich damals niederliess, also so, wie es eine ausdrückliche Anordnung des Gesetzes (§ 21, Abs. 5) vorsieht für den Fall, dass die deutsche Staatsangehörigkeit durch Landesabwesenheit verloren ging.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer selbst von den deutschen Behörden um die Jahrhundertwende als Nichtdeutscher behandelt wurde, bedeutet nicht, dass er von Geburt Nichtdeutscher war. Denn wenn sein Vater - wie nach der heutigen Aktenlage anzunehmen ist - die angestammte Staatsangehörigkeit durch zehnjährige Landesabwesenheit, also im Jahre 1883 verlor, so erstreckte sich der Verlust auch auf den in jenem Zeitpunkte minderjährigen Sohn (§ 21, Abs. 2).
Da ein Nachweis dafür fehlt, dass der Vater des Beschwerdeführers bei seiner Ausreise nach Grönland die Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit erwirkt hat und daher schon im Jahre 1878 nicht mehr Deutscher war, kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer ohne Annahme des angestammten Bürgerrechtes seiner Mutter von Geburt staatenlos gewesen wäre und deswegen von Geburt Schweizerbürger ist. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad52b648-1843-43e3-9585-272bcfc8855b | Urteilskopf
86 IV 113
30. Urteil des Kassationshofes vom 20. Mai 1960 i. S. Nuolf gegen Statthalteramt Affoltern a.A. | Regeste
Art. 45 Abs. 2 MFV
.
Links der Sicherheitslinie darf erst dann überholt werden, wenn der Überholende sich vergewissert hat, dass ein zwingender Grund vorliegt, der die Übertretung der Vorschrift rechtfertigt. | Sachverhalt
ab Seite 113
BGE 86 IV 113 S. 113
A.-
Am 9. Oktober 1959, kurz vor Mittag, fuhr ein Lastenzug die Westrampe der Albispasstrasse Richtung Riedmatt hinunter. Vor der Abzweigung nach Rifferswil-Mettmenstetten hielt der Fahrzeugführer bei der Scheune des Landwirtes Künzi auf der rechten Seite der 7 m breiten, auf diesem Teilstück mit einer Sicherheitslinie versehenen Strasse an, um den dort anwesenden Strassenwärter Gerber nach dem Weg zu fragen. Der unmittelbar hinter dem Lastenzug folgende Lastwagen Schweizer hielt ebenfalls an. Klara Nuolf, die hinter dem Lastwagen ein Personenauto führte, überholte kurz darauf den Lastwagen und den Lastenzug auf der linken Strassenhälfte.
BGE 86 IV 113 S. 114
B.-
Das Statthalteramt Affoltern büsste Klara Nuolf mit Fr. 40.- mit der Begründung, sie habe Art. 26 Abs. 3 MFG und
Art. 45 Abs. 2 MFV
verletzt, indem sie an einer unübersichtlichen Strassenbiegung überholt und die Sicherheitslinie überfahren habe.
C.-
Der Einzelrichter des Bezirksgerichtes Affoltern, der auf Einsprache der Gebüssten am 27. Februar 1960 zu urteilen hatte, nahm eine Übertretung von Art. 26 Abs. 3 MFG nicht an, bestätigte aber die Busse von Fr. 40.- wegen Widerhandlung gegen
Art. 45 Abs. 2 MFV
.
D.-
Klara Nuolf führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, sie sei gänzlich freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach
Art. 45 Abs. 2 MFV
sind die Fahrzeugführer verpflichtet, in Strassen mit Sicherheitslinien rechts dieser Linie zu fahren. Von diesem Gebot darf nach ständiger Rechtsprechung nur aus zwingenden Gründen abgewichen werden, z.B. wenn ein anderes Fahrzeug wegen einer Panne die rechte Fahrbahn versperrt (
BGE 79 IV 84
Erw. 3) oder wenn ein sonstwie aufgestelltes Fahrzeug die nachfolgenden Führer zwingt, die Sicherheitslinie zu überfahren (
BGE 81 IV 300
/1).
Die Beschwerdeführerin beruft sich zu Unrecht auf diese Rechtsprechung. Ein Zwang, an Sicherheitslinien die dem Gegenverkehr vorbehaltene Strassenseite zu beanspruchen, besteht nur, wenn dem Führer, der auf ein Hindernis stösst, nicht zugemutet werden kann, mit der Weiterfahrt auf der rechten Fahrbahn solange zuzuwarten, bis diese wieder frei ist. Er hat sich daher, bevor er die Sicherheitslinie überfährt, zu vergewissern, ob ein Grund vorliege, der das Abweichen vom Gebot des Rechtsfahrens zu rechtfertigen vermag. Das trifft z.B. zu, wenn die Weiterfahrt durch ein aufgestelltes Fahrzeug behindert wird, was voraussetzt, dass dessen Führer sich entfernt hat oder ausserhalb des Wagens einer Beschäftigung nachgeht, die voraussichtlich
BGE 86 IV 113 S. 115
einige Minuten in Anspruch nimmt. Die Beschwerdeführerin hatte keine solchen Anhaltspunkte. Nach ihrer eigenen Darstellung hat sie den Lastenzug und hinter diesem den Lastwagen Schweizer anhalten gesehen, aber nicht festgestellt, dass einer dieser Führer sein Fahrzeug verliess. Sie war zugegebenermassen überhaupt nicht im Bild, was vorne vor sich ging und wie lange der Halt dauern werde. Abgesehen hievon bekümmerte sie sich auch nicht darum, obschon ihr möglich und zuzumuten gewesen wäre, zuerst abzuklären, weshalb die beiden Lastwagen anhielten, zum mindesten ein Warnsignal zu geben, um festzustellen, ob der Führer des Lastenzuges daraufhin seine Fahrt fortsetze oder durch ein Zeichen zum Vorfahren zu erkennen gebe, dass sein Halt länger andaure. Überholte somit die Beschwerdeführerin die Lastwagen ohne Rücksicht auf die Ursache und Dauer ihres Haltes, so bestand für sie kein zwingender Grund zum Überfahren der Sicherheitslinie, selbst wenn angenommen wird, sie habe vorher ein bis zwei Minuten hinter dem Lastwagen angehalten, was übrigens nicht eindeutig festgestellt und nach den Akten zweifelhaft ist. Die Übertretung von
Art. 45 Abs. 2 MFV
war unter den gegebenen Umständen nicht gerechtfertigt.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ad55ba8b-0a53-4df6-9f0c-60bba12a8dc8 | Urteilskopf
109 V 23
4. Auszug aus dem Urteil vom 2. März 1983 i.S. Jud gegen Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 4 und 28 IVG
.
- Bedeutung der Invaliditätsschätzungen von SUVA und Militärversicherung für die Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung (Erw. 2a, Bestätigung und Präzisierung der Praxis).
- Eine unterschiedliche Beurteilung kann sich u.a. daraus ergeben, dass die Renten der SUVA praxisgemäss abgestuft oder befristet werden können, wogegen in der Invalidenversicherung eine antizipierte Invaliditätsbemessung grundsätzlich nicht zulässig ist (Erw. 2b). | Erwägungen
ab Seite 23
BGE 109 V 23 S. 23
Aus den Erwägungen:
2.
a) Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt ausgeführt hat, stimmt der Invaliditätsbegriff in der Invalidenversicherung mit demjenigen in der obligatorischen Unfallversicherung und in der Militärversicherung grundsätzlich überein. In allen drei Bereichen bedeutet er die durch einen versicherten Gesundheitsschaden verursachte durchschnittliche Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem für den Versicherten in Betracht fallenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. Folglich muss die Invaliditätsschätzung, auch wenn sie für jeden Versicherungszweig grundsätzlich selbständig vorzunehmen ist, in der Invalidenversicherung, in der obligatorischen Unfallversicherung und in der
BGE 109 V 23 S. 24
Militärversicherung, bezogen auf den gleichen Gesundheitsschaden, zum gleichen Ergebnis führen (
BGE 106 V 88
Erw. 2b). Nach den Verwaltungsweisungen (Rz. 288.1 der Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit, gültig ab 1. Januar 1979) dürfen die Invalidenversicherungs-Kommissionen demgemäss keinen höheren (und folgerichtig auch keinen niedrigeren) Invaliditätsgrad annehmen als die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) oder die Militärversicherung, sofern nicht ein anderer Gesundheitsschaden zu beurteilen ist.
Die genannte Verwaltungsweisung beinhaltet indessen nicht mehr als eine Koordinationsregel zuhanden der Durchführungsorgane der Invalidenversicherung. Auch bei gleichem Gesundheitsschaden ist der Entscheid der SUVA oder der Militärversicherung für die Invalidenversicherung nicht verbindlich. Ungeachtet des übereinstimmenden Invaliditätsbegriffes kann die unterschiedliche gesetzliche Regelung oder Rechtspraxis zu einer abweichenden Invaliditätsbemessung führen. Dies kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass die Renten der SUVA nach geltendem Recht nur beschränkt (
Art. 80 Abs. 2 KUVG
), diejenigen der Invalidenversicherung aber gemäss
Art. 41 IVG
grundsätzlich jederzeit revidierbar sind (EVGE 1968 S. 190,
BGE 106 V 89
oben). Eine unterschiedliche Beurteilung kann sich auch dann rechtfertigen, wenn die SUVA gemäss Gerichts- und Verwaltungspraxis die Rente bereits anlässlich ihrer Festsetzung abstuft oder befristet (
BGE 106 V 50
), wogegen in der Invalidenversicherung eine antizipierte Invaliditätsschätzung grundsätzlich nicht zulässig ist (
BGE 97 V 58
). Schliesslich kann ein Entscheid der SUVA oder der Militärversicherung dann für die Invalidenversicherung nicht massgebend sein, wenn die Invaliditätsschätzung auf einem Rechtsfehler oder einer nicht vertretbaren Ermessensausübung beruht. Für derartige Fälle sehen die Verwaltungsweisungen zu Recht vor, dass das Bundesamt für Sozialversicherung, welchem die Invalidenversicherungs-Kommission die Sache zu unterbreiten hat, von der Invaliditätsschätzung durch SUVA oder Militärversicherung abweichen kann.
b) Mit der Verfügung vom 15. Januar 1980 hat die SUVA dem Beschwerdeführer eine Rente aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 50% ab 7. September 1979 und von 40% ab 1. Oktober 1980 zugesprochen. Sie stützte sich dabei auf die erwähnte Praxis, wonach die Rente abgestuft oder befristet werden kann, wenn bereits anlässlich der Rentenfestsetzung vorauszusehen ist, dass sich die
BGE 109 V 23 S. 25
Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die Erwerbsfähigkeit zufolge Anpassung und Angewöhnung des Versicherten an die Unfallfolgen in absehbarer Zeit vermindern oder ausgleichen werden. Weil die SUVA im Zeitpunkt der Rentenherabsetzung keine Neuüberprüfung des Anspruchs vorgenommen hat, ist der Invaliditätsgrad von den Invalidenversicherungs-Organen im Rentenrevisionsverfahren zu Recht unabhängig vom Entscheid der SUVA festgesetzt worden. Die Invalidenversicherungs-Kommission hat die Sache allerdings entgegen den Verwaltungsweisungen nicht dem Bundesamt für Sozialversicherung unterbreitet; dies bleibt jedoch ohne Einfluss auf die Beurteilung der vorliegenden Streitfrage. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad620cc8-c81d-4eed-8e8a-15ef9db0c973 | Urteilskopf
140 IV 123
17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_126/2014 vom 16. Mai 2014 | Regeste
Art. 67a IRSG
,
Art. 46 UNCAC
; unaufgeforderte Übermittlung von Informationen.
Die Staatsanwaltschaft darf nicht nur dann unaufgefordert Informationen an ausländische Strafverfolgungsbehörden übermitteln, wenn sie auch selbst ein Strafverfahren eröffnet. Ist sie aufgrund einer gesetzlich vorgeschriebenen Anzeige der Meldestelle für Geldwäscherei rechtmässig mit der Sache befasst, so ist eine unaufgeforderte Übermittlung nach
Art. 67a IRSG
und
Art. 46 UNCAC
insofern zulässig (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 124
BGE 140 IV 123 S. 124
A.
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (im Folgenden: Staatsanwaltschaft Zürich) übermittelte am 1. März 2012 den kolumbianischen Behörden unaufgefordert Informationen über die Geschäftsbeziehungen von drei Privatpersonen und einer Stiftung bei der Bank Credit Suisse AG (im Folgenden: CS AG), dies nachdem sie selbst von einer Meldung im Sinne von
Art. 305
ter
Abs. 2 StGB
der CS AG an die Meldestelle für Geldwäscherei informiert worden war. Das Schreiben der Staatsanwaltschaft Zürich bezog sich auf die Geschäftsbeziehungen von D., A., B. und der Stiftung C., Curaçao, Niederlande. Die Staatsanwaltschaft Zürich erkundigte sich bei den kolumbianischen Behörden, ob sie gestützt auf die Angaben ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz richten wollten. Sollte ein solches bzw. ein allfälliges Fristerstreckungsgesuch nicht bis zum 4. Juni 2012 eintreffen, gehe man indessen davon aus, dass auf Rechtshilfe verzichtet werde.
Die Staatsanwaltschaft Zürich erstreckte die Frist in der Folge bis am 1. Oktober 2012. Am 18. Oktober 2012 erliess sie eine Nichtanhandnahmeverfügung. Zur Begründung führte sie aus, dass trotz der Fristverlängerung noch kein Rechtshilfeersuchen eingegangen sei und dass sich mangels Informationen über den Hintergrund der gemeldeten Transaktionen die deliktische Herkunft der in der Schweiz verwalteten Vermögenswerte nicht beweisen lasse. Daher falle auch Geldwäscherei (
Art. 305
bis
StGB
) als Nachtat ausser Betracht. Bezüglich des Tatbestands der Geldwäscherei fehle zudem die Zuständigkeit, da die Kontoeröffnung und die Anordnung der Transfers von Curaçao aus, im Auftrag des in Bogotá wohnhaften wirtschaftlichen Berechtigten D., erfolgt sei. Die Untersuchung sei deshalb nicht anhand zu nehmen, wobei eine spätere Eröffnung bzw. Bearbeitung im Rahmen des Rechtshilfevollzugs vorbehalten bleibe.
Zwei Tage zuvor, am 16. Oktober 2012, hatte die kolumbianische Botschaft den Schweizer Behörden ein Rechtshilfeersuchen der
BGE 140 IV 123 S. 125
7. Sonderstaatsanwaltschaft in Bogotá, Kolumbien, vom 11. Juli 2012 übermittelt, inklusive deutscher Übersetzung (diese datierend vom 24. September 2012). Darin ersuchte die Sonderstaatsanwaltschaft im Wesentlichen um Edition diverser Unterlagen zu den Geschäftsbeziehungen Nr. x-5 (angeblich lautend auf D.) und Nr. y-9 (lautend auf A.) bei der CS AG in Zürich.
Mit Eintretensverfügung vom 22. März 2013 entsprach die Staatsanwaltschaft Zürich dem Rechtshilfeersuchen und wies die CS AG an, sämtliche Bankdokumente (namentlich Eröffnungsunterlagen, Konto- und Depotauszüge, Korrespondenzen, interne Aktennotizen, Kundengeschichte sowie Einzelbelege zu Ein- und Ausgängen) der erwähnten Geschäftsbeziehungen zu edieren. Mit Schreiben vom 5. April 2013 kam die CS AG der Anordnung nach. Dabei wies sie darauf hin, dass die Bankbeziehung unter der Stammnummer x-5 nicht auf D. laute, sondern auf die Stiftung C. Mit ergänzender Editionsverfügung vom 12. April 2013 ersuchte die Staatsanwaltschaft Zürich die CS AG um Zustellung von Detailbelegen zu sechs spezifischen Transaktionen, welche die CS AG ebenfalls aufforderungsgemäss herausgab.
Am 13. Mai 2013 erliess die Staatsanwaltschaft Zürich die Schlussverfügung. Sie ordnete die rechtshilfeweise Herausgabe der edierten Bankunterlagen zu Konto Nr. y-92 (lautend auf A.) und Konto Nr. x-52 (lautend auf die Stiftung C.) an.
Gegen die Schlussverfügung erhoben A., B. und die Stiftung C. Beschwerde ans Bundesstrafgericht. Mit Entscheid vom 25. Februar 2014 wies dieses das Rechtsmittel ab.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 10. März 2014 beantragen A., B. und die Stiftung C., der Entscheid des Bundesstrafgerichts und die Schlussverfügung der Staatsanwaltschaft Zürich seien aufzuheben und das Gesuch um Rechtshilfe sei abzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Kolumbien und die Schweiz sind Vertragsstaaten des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2003 gegen Korruption (SR 0.311.56; nachfolgend: UNCAC). Dieses enthält in
BGE 140 IV 123 S. 126
Kapitel III einen Gesetzgebungsauftrag an die Vertragsstaaten, der sich auf mit Korruption zusammenhängende Straftatbestände bezieht. Dazu gehört nach
Art. 23 UNCAC
auch der hier zur Diskussion stehende Tatbestand der Geldwäscherei (vgl.
Art. 305
bis
StGB
sowie die Botschaft vom 21. September 2007 zum UNO-Übereinkommen gegen Korruption, BBl 2007 7358 Ziff. 1.5 und 7383 f. Ziff. 2.3.1.9).
Art. 46 UNCAC
hat die Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten zum Gegenstand. Danach leisten diese einander so weit wie möglich Rechtshilfe bei Ermittlungen, Strafverfolgungsmassnahmen und Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den Straftaten nach dem Übereinkommen (Abs. 1). Um Rechtshilfe kann unter anderem zum Zweck der Überlassung von Informationen und Beweismitteln ersucht werden (Abs. 3 lit. e).
Art. 46 UNCAC
regelt weiter die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen ohne vorheriges Ersuchen (Abs. 4 und 5) sowie die beidseitige Strafbarkeit (Abs. 9) und zählt die erforderlichen Angaben eines Rechtshilfeersuchens (Abs. 15 und 16) sowie mögliche Rechtshilfeverweigerungsgründe (Abs. 21) auf.
Das Rechtshilfegesetz (IRSG; SR 351.1) und die Rechtshilfeverordnung (IRSV; SR 351.11) sind anwendbar, wenn die UNCAC zu ei-ner Frage keine Regelung enthält (Art. 1 Abs. 1 Ingress IRSG) oder das innerstaatliche Recht vorbehält. Sie sind ebenfalls anwendbar, wenn das innerstaatliche Recht für die Rechtshilfe günstiger ist (
BGE 136 IV 82
E. 3.1 S. 84 mit Hinweisen).
(...)
5.
5.1
Die Beschwerdeführer argumentieren, die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen gemäss
Art. 67a IRSG
setze die Eröffnung einer Strafuntersuchung in der Schweiz voraus. Dieses Erfordernis sei hier nicht erfüllt. Die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen an die kolumbianischen Strafverfolgungsbehörden und die daraufhin angeordnete Rechtshilfe seien somit gesetzeswidrig.
5.2
Die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen wird im vorliegenden Fall neben
Art. 67a IRSG
auch von
Art. 46 Abs. 4 und 5 UNCAC
geregelt. Die beiden Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:
Art. 46 UNCAC
- Rechtshilfe
(...)
4. Unbeschadet des innerstaatlichen Rechts können die zuständigen Behörden eines Vertragsstaats einer zuständigen Behörde in einem anderen Vertragsstaat ohne vorheriges Ersuchen Informationen im
BGE 140 IV 123 S. 127
Zusammenhang mit Strafsachen übermitteln, wenn sie der Auffassung sind, dass diese Informationen der Behörde dabei behilflich sein könnten, Ermittlungen und Strafverfahren durchzuführen oder erfolgreich abzuschliessen, oder den anderen Vertragsstaat dazu veranlassen könnten, ein Ersuchen nach diesem Übereinkommen zu stellen.
5. Die Übermittlung von Informationen nach Absatz 4 erfolgt unbeschadet der Ermittlungen und des Strafverfahrens in dem Staat, dessen zuständige Behörden die Informationen bereitstellen.
(...)
Art. 67a IRSG
- Unaufgeforderte Übermittlung von Beweismitteln und Informationen
1
Eine Strafverfolgungsbehörde kann Beweismittel, die sie für ihre eigene Strafuntersuchung erhoben hat, unaufgefordert an eine ausländische Strafverfolgungsbehörde übermitteln, wenn diese Übermittlung aus ihrer Sicht geeignet ist:
a. ein Strafverfahren einzuleiten; oder
b. eine hängige Strafuntersuchung zu erleichtern.
2
Die Übermittlung nach Absatz 1 hat keine Einwirkung auf das in der Schweiz hängige Strafverfahren.
3
Die Übermittlung von Beweismitteln an einen Staat, mit dem keine staatsvertragliche Vereinbarung besteht, bedarf der Zustimmung des Bundesamtes.
4
Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Beweismittel, die den Geheimbereich betreffen.
5
Informationen, die den Geheimbereich betreffen, können übermittelt werden, wenn sie geeignet sind, dem ausländischen Staat zu ermöglichen, ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz zu stellen.
6
Jede unaufgeforderte Übermittlung ist in einem Protokoll festzuhalten.
Art. 46 Abs. 4 UNCAC
begünstigt die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen. Diese ist jedoch nach dem Wortlaut in jedem Fall fakultativ. Zudem wird das Landesrecht mit der Formulierung "[u]nbeschadet des innerstaatlichen Rechts" (in der gemäss
Art. 71 Abs. 2 UNCAC
verbindlichen französischen Version: "[s]ans préjudice du droit interne") vorbehalten. Aus den Materialien ergeben sich keine Hinweise darauf, dass damit nur für die Rechtshilfe günstigere innerstaatliche Vorschriften gemeint wären. Dies widerspräche dem Wortlaut, der sich auf sämtliches Landesrecht bezieht (so hinsichtlich der analogen Bestimmung von Art. 18 Abs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 15. November 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität [SR 0.311.54] die Botschaft vom
BGE 140 IV 123 S. 128
26. Oktober 2005 über die Genehmigung des UNO-Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, BBl 2005 6734 Ziff. 2.2.16; vgl. auch UN Doc. A/AC.261/3 [Part III] vom 27. Dezember 2001 S. 5 Fn. 7, wonach der Text von
Art. 46 Abs. 4 UNCAC
auf einen Vorschlag von Österreich, den Niederlanden und Kolumbien zurückgeht). Mitzuberücksichtigen ist in diesem Zusammenhang
Art. 46 Abs. 21 lit. d UNCAC
, wonach Rechtshilfe insbesondere dann verweigert werden kann, wenn es dem Rechtshilferecht des ersuchten Vertragsstaats zuwiderliefe, dem Ersuchen stattzugeben. Diese letztgenannte Bestimmung bezieht sich auf die Rechtshilfe an sich und umfasst damit das gesamte, dem Entscheid über die Gewährung der Rechtshilfe vorangehende Verfahren, auch wenn dieses nicht mit einem Ersuchen, sondern einer unaufgeforderten Übermittlung von Informationen eingeleitet wurde.
Im Folgenden ist somit zu untersuchen, ob die unaufgeforderte Übermittlung an die kolumbianischen Strafverfolgungsbehörden nach der in
Art. 46 Abs. 4 UNCAC
vorbehaltenen Regelung von
Art. 67a IRSG
angesichts der späteren Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft Zürich rechtmässig war.
5.3
Das Bundesstrafgericht hat sich in seinem Entscheid RR.2012.311 vom 11. Juli 2013 (welcher mithin nach der hier zur Diskussion stehenden Schlussverfügung vom 13. Mai 2013 erging) einlässlich mit der Problematik auseinandergesetzt. Es hielt fest, nur wenn ein nach schweizerischer Beurteilung genügender Verdacht vorliege, könne angenommen werden, dass die informierte ausländische Behörde ebenfalls ein Strafverfahren einleiten könnte. Das Gleiche müsse auch für Informationen und/oder Beweismittel gelten, die zur Erleichterung eines ausländischen Strafverfahrens weitergeleitet werden sollten (
Art. 67a Abs. 1 lit. a und b IRSG
). Bereits daraus ergebe sich die klare Absicht des Gesetzgebers, die unaufgeforderte Übermittlung nur nach Eröffnung einer Strafuntersuchung zuzulassen. Eine restriktive Handhabung von
Art. 67a IRSG
sei auch deshalb angezeigt, weil es sich um einen Rechtfertigungsgrund nach
Art. 14 StGB
handle. In Fällen, wo ein Straftatbestand oder eine Prozessvoraussetzung nach Schweizer Recht eindeutig nicht erfüllt sei und daher auch keine Strafuntersuchung gegen die betroffene Person eröffnet werden könne (
Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO
), dürften weder Beweismittel noch Informationen gestützt auf
Art. 67a IRSG
an ausländische Behörden herausgegeben werden. Liege ein schweizerisches Strafverfolgungsinteresse offensichtlich nicht vor, so sei es unverhältnismässig, zwecks
BGE 140 IV 123 S. 129
Durchsetzung rein ausländischer Strafverfolgungsinteressen Beweismittel oder Informationen unaufgefordert an ausländische Behörden weiterzuleiten.
5.4
Ein Teil der Literatur fordert, ausgehend vom Wortlaut von
Art. 67a IRSG
, ebenfalls die vorgängige Eröffnung einer Strafuntersuchung (ALEXANDER M. GLUTZ VON BLOTZHEIM, Die spontane Übermittlung, 2010, S. 76 ff.; BIANCHI/HEIMGARTNER, Die Rückerstattung von Potentatengeldern, AJP 2012 S. 363; PETER POPP, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, 2001, Rz. 534; ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 3. Aufl. 2009, S. 382 Rz. 415). GLUTZ VON BLOTZHEIM argumentiert, wenn Abs. 2 von
Art. 67a IRSG
keine Einwirkung auf ein hängiges Strafverfahren zulasse, so werde ein solches gleichzeitig vorausgesetzt. Eine Eröffnung wiederum erfordere gemäss
Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO
einen hinreichenden Tatverdacht auf eine in der Schweiz strafbare Handlung (a.a.O., S. 81). Zudem enthalte
Art. 67a IRSG
keinen Hinweis auf die Datenbeschaffung, weshalb diese nicht unabhängig von einer schweizerischen Strafuntersuchung und direkt gestützt auf
Art. 67a IRSG
zulässig sei (a.a.O., S. 78). ZIMMERMANN führt aus, der Gesetzgeber habe mit Abs. 2 verhindern wollen, dass leichtfertig bzw. nur deshalb ein schweizerisches Strafverfahren eingeleitet werde, um das ausländische Verfahren zu unterstützen.
Ein anderer Teil der Literatur ist der Ansicht, dass
Art. 67a IRSG
bereits vor der Eröffnung einer Strafuntersuchung anwendbar ist (PAOLO BERNASCONI, Förderung der internationalen Zusammenarbeit dank der schweizerischen Normen zur Bekämpfung der Geldwäscherei, Automatic Paper and Assets Tracing, in: Strafrecht und Wirtschaftsrecht, Köln 2008, S. 1480 f.; THIERRY AMY, Entraide administrative internationale en matière bancaire, boursière et financière, 1998, S. 492). BERNASCONI geht für den Bereich der Geldwäschereibekämpfung davon aus, dass die mit einer Mitteilung der Meldestelle für Geldwäscherei befasste schweizerische Strafbehörde direkt zu einer unaufgeforderten Übermittlung nach
Art. 67a IRSG
schreiten kann (a.a.O.).
HAFFTER verlangt, ohne ausdrücklich auf die Frage der Eröffnung einer Strafuntersuchung einzugehen, dass an den erforderlichen Tatverdacht hohe Anforderungen zu stellen seien, habe der Gesetzgeber die spontane Rechtshilfe doch restriktiv und insbesondere im Kampf gegen die internationale organisierte Wirtschaftskriminalität eingesetzt wissen wollen (ANDREAS HAFFTER, Internationale Zusammenarbeit in
BGE 140 IV 123 S. 130
Strafsachen im Spannungsfeld zwischen Denunziation und Verbrechensbekämpfung: Zur Problematik der spontanen Rechtshilfe [
Art. 67a IRSG
], AJP 1999 S. 118; ähnlich: STEPHANIE EYMANN, Die strafprozessuale Kontosperre, 2009, S. 193; LEA UNSELD, Internationale Rechtshilfe im Steuerrecht, 2011, S. 196 f.). EYMANN stellt das Erfordernis einer eigenen Strafuntersuchung ins Licht des Verbots von sogenannten fishing expeditions: Im Rahmen einer Untersuchung aufgefundene Informationen und Beweismittel, die mit dem innerstaatlichen Verfahren in keinem Zusammenhang stehen, dürften nicht übermittelt werden (a.a.O., S. 183).
5.5
5.5.1
Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung unter Hinweis auf die Botschaft des Bundesrats festgehalten, dass
Art. 67a IRSG
zurückhaltend anzuwenden ist. Die Bestimmung will nicht die Denunziation fördern und einen unkontrollierten Informationsfluss an das Ausland ermöglichen (
BGE 125 II 238
E. 5a S. 245). Sie unterwirft deshalb die unaufgeforderte Übermittlung von Beweismitteln und Informationen in Abs. 2 bis 6 einer Reihe von einschränkenden Vorgaben. Dazu gehört, dass die Übermittlung nach Abs. 2 keine Einwirkung auf das in der Schweiz hängige Strafverfahren hat, welches weder sistiert noch sonstwie behindert werden soll (
BGE 125 II 238
E. 5a S. 245,
BGE 125 II 356
E. 12b S. 267; vgl. zum Ganzen auch die Botschaft vom 29. März 1995 betreffend die Änderung des Rechtshilfegesetzes und des Bundesgesetzes zum Staatsvertrag mit den USA über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen sowie den Bundesbeschluss über einen Vorbehalt zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, BBl 1995 III 24 Ziff. 241).
5.5.2
Das Bestreben des Gesetzgebers, den Informationsfluss ans Ausland zu regulieren, spiegelt sich in den zitierten Literaturmeinungen, wonach ein schweizerisches Strafverfahren nicht quasi als Vorwand für die unaufgeforderte Übermittlung eingeleitet werden dürfe (ZIMMERMANN, a.a.O.) und Beweismittel aus sogenannten fishing expeditions nicht zu übermitteln seien (EYMANN, a.a.O.). Den beiden Autoren zufolge ist demnach zu verhindern, dass das schweizerische Strafverfahren vorgeschoben und sein Zweck umgangen wird. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass bei der unaufgeforderten Übermittlung von Informationen das schweizerische Strafverfolgungsinteresse nicht im Vordergrund steht. Ihr Hauptzweck ist es, die Einleitung oder den Fortschritt eines ausländischen Strafverfahrens zu befördern (
BGE 125 II 238
E. 4b S. 244).
BGE 140 IV 123 S. 131
In diesem Sinne ist die vorinstanzliche Feststellung zu relativieren, es sei unverhältnismässig, zwecks Durchsetzung rein ausländischer Strafverfolgungsinteressen Beweismittel oder Informationen unaufgefordert an ausländische Behörden weiterzuleiten. Zu bedenken ist auch, dass
Art. 67a IRSG
im Jahr 1997 und damit lange vor der eidgenössischen Strafprozessordnung in Kraft getreten ist. Von Bundesrechts wegen war damals, anders als heute (vgl.
Art. 309 Abs. 3 StPO
), nicht vorgeschrieben, die Untersuchung förmlich mit Verfügung zu eröffnen (HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 76 Rz. 5 S. 392).
5.5.3
Gerade der vorliegende Fall zeigt zudem, dass nicht nur dann, wenn die schweizerische Staatsanwaltschaft gestützt auf einen hinreichenden Tatverdacht eine Strafuntersuchung einleitet, angenommen werden kann, dass dies auch die informierte ausländische Behörde tut. Die Staatsanwaltschaft Zürich behielt aus diesem Grund in ihrer Nichtanhandnahmeverfügung die Bearbeitung eines Rechtshilfeersuchens ausdrücklich vor. Das Bundesstrafgericht selbst ging in der Folge - und dies, wie bereits ausgeführt, zu Recht - von einem Verdacht auf Geldwäscherei aus. Dies erhellt, dass nicht in jedem Fall erst die Strafuntersuchung den erforderlichen Deliktsverdacht hervorbringt.
Daraus folgt, dass ein Rechtshilfeverfahren und ein allfälliges auf denselben Sachverhalt gestütztes schweizerisches Strafverfahren im Grundsatz voneinander unabhängig sind. Dies ist im Übrigen auch die Hauptaussage von
Art. 67a Abs. 2 IRSG
, wonach die unaufgeforderte Übermittlung keine Einwirkung auf das in der Schweiz hängige Strafverfahren hat (vgl. LAURENT MOREILLON UND ANDERE, Commentaire romand, Entraide internationale en matière pénale, 2004, N. 8 zu
Art. 67a IRSG
). Vorliegend bildet einzig das Rechtshilfeverfahren Prozessgegenstand. Es ist dagegen nicht zu beurteilen, ob die Staatsanwaltschaft zu Recht eine Nichtanhandnahmeverfügung erlassen hat.
5.5.4
Schliesslich lässt sich auch nicht behaupten, die Staatsanwaltschaft Zürich habe ausserhalb der strafprozessualen Vorschriften im Sinne einer "entraide sauvage" (vgl. dazu POPP, a.a.O., Rz. 90 und 530) Informationen ans Ausland übermittelt.
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Meldung der CS AG an die Meldestelle für Geldwäscherei. Die Meldestelle ihrerseits benachrichtigte die Staatsanwaltschaft Zürich, wozu sie rechtlich
BGE 140 IV 123 S. 132
verpflichtet war. Nach Art. 23 Abs. 4 lit. b des Bundesgesetzes vom 10. Oktober 1997 über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG; SR 955.0) erstattet die Meldestelle der zuständigen Strafverfolgungsbehörde unverzüglich Anzeige, wenn sie den begründeten Verdacht schöpft, dass Vermögenswerte aus einem Verbrechen herrühren. Die Staatsanwaltschaft Zürich war somit aufgrund einer gesetzlich zwingend vorgesehenen Anzeige rechtmässig mit der Sache befasst. Der von GLUTZ VON BLOTZHEIM geäusserte Einwand,
Art. 67a IRSG
enthalte keinen Hinweis auf die Datenbeschaffung, weshalb diese nicht unabhängig von einer schweizerischen Strafuntersuchung und direkt gestützt auf
Art. 67a IRSG
zulässig sei, läuft damit ins Leere. Die "Datenbeschaffung" der Staatsanwaltschaft Zürich findet ihre Grundlage vorliegend nicht in
Art. 67a IRSG
, sondern in
Art. 23 Abs. 4 lit. b GwG
.
5.5.5
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft Zürich durch die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen
Art. 67a IRSG
nicht verletzt hat. Eine sich an Sinn und Zweck orientierende Auslegung dieser Bestimmung ergibt, dass die darin enthaltenen Hinweise auf eine Strafuntersuchung bzw. ein Strafverfahren in der Schweiz nicht generell im Sinne einer unabdingbaren Voraussetzung für die unaufgeforderte Übermittlung zu verstehen sind. Entscheidend ist nach dem Ausgeführten insbesondere, dass die Staatsanwaltschaft Zürich aufgrund einer gesetzlichen Meldepflicht rechtmässig mit der Sache befasst war und von einem hinreichenden Tatverdacht ausgehen durfte. Die Informationen waren zudem geeignet, Kolumbien zu ermöglichen, ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz zu stellen (
Art. 67a Abs. 5 IRSG
). Ob die Staatsanwaltschaft gestützt auf die betreffenden Angaben gehalten gewesen wäre, eine Untersuchung zu eröffnen, ist nach dem Ausgeführten nicht zu beurteilen. Die Rüge der Beschwerdeführer, aufgrund der Nichtanhandnahmeverfügung sei die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen an die kolumbianischen Strafverfolgungsbehörden und eine darauf gestützte Rechtshilfe gesetzeswidrig, ist unbegründet. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ad623f97-a6b8-4cd9-944f-93a992e336f9 | Urteilskopf
112 V 248
43. Arrêt du 5 septembre 1986 dans la cause Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail contre Office cantonal neuchâtelois du travail et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel concernant Ackermann | Regeste
Art. 65 ff. AVIG
,
Art. 90 Abs. 1 AVIV
: Einarbeitungszuschüsse.
- Hat der Bundesrat den Bereich des
Art. 65 AVIG
übermässig eingeschränkt, indem er die Fälle der Versicherten, deren Vermittlung im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung schwierig ist, erschöpfend aufzählt? Frage in casu offengelassen.
- Begriff der "schlechten beruflichen Voraussetzungen" im Sinne des
Art. 90 Abs. 1 lit. c AVIV
. Solche Voraussetzungen können auch jungen Arbeitnehmern zuerkannt werden, insbesondere jenen unter ihnen, die einen Beruf erlernt oder ausgeübt haben, der den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes nicht oder nicht mehr entspricht. | Sachverhalt
ab Seite 248
BGE 112 V 248 S. 248
A.-
Patricia Ackermann, née en 1960, domiciliée au Locle, a obtenu en 1981 un certificat fédéral de capacité
BGE 112 V 248 S. 249
de dessinatrice d'intérieur. Elle n'a jamais pu exercer cette profession, faute d'avoir trouvé un emploi. De 1981 à 1984, elle a travaillé comme dessinatrice en bâtiments. A la recherche d'un emploi depuis le mois de mai 1985, elle a présenté, le 5 juin suivant, une demande d'allocations d'initiation au travail en précisant que cette mesure comprendrait le dessin, la vente et le secrétariat pour l'agence- ment de cuisines. Selon l'employeur concerné, l'entreprise M. à La Chaux-de-Fonds, l'initiation au travail devait débuter le 1er septembre 1985 et durer six mois; le salaire effectif convenu serait de 1'200 fr. pour les deux premiers mois, 1'800 fr. pour chacun des deux mois suivants et 2'400 fr. pour les deux derniers, soit, conformément à l'
art. 66 LACI
, respectivement 40%, 60% et 80% du salaire normal prévu dès le 1er mars 1986 (3'000 fr. par mois).
Sur la base de ces renseignements, l'Office cantonal neuchâtelois du travail a rendu une décision, le 9 septembre 1985, par laquelle il a accordé à l'assurée les allocations prétendues, considérant, notamment, que cette dernière se trouvait "dans des conditions professionnelles défavorables par sa formation dans une branche très touchée par la récession.
B.-
Saisis de recours successifs de l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (OFIAMT), le Département cantonal neuchâtelois de l'économie publique (décision du 22 novembre 1985), puis le Tribunal administratif du canton de Neuchâtel (jugement du 5 février 1986), les ont rejetés.
C.-
L'OFIAMT interjette recours de droit administratif contre le prononcé cantonal de dernière instance, dont il demande l'annulation. L'Office cantonal neuchâtelois du travail conclut au rejet du recours. Quant à Patricia Ackermann, elle n'a pas fait usage de la faculté qui lui était offerte de se déterminer à son sujet.
Erwägungen
Considérant en droit
1.
(Pouvoir d'examen:
art. 132 OJ
.)
2.
Aux termes de l'
art. 65 LACI
, des allocations peuvent être versées aux assurés dont le placement est difficile, qui sont mis au courant dans une entreprise et reçoivent, de ce fait, un salaire réduit lorsque:
a. Ils remplissent la condition fixée à l'
art. 60 al. 1 let. b LACI
;
b. Le salaire réduit durant la mise au courant correspond au moins au travail fourni et
BGE 112 V 248 S. 250
c. Qu'au terme de cette période, l'assuré peut escompter un engagement aux conditions usuelles dans la branche et la région, compte tenu, le cas échéant, d'une capacité de travail durablement restreinte.
Selon l'
art. 66 LACI
, les allocations d'initiation au travail couvrent la différence entre le salaire effectif et le salaire normal que l'assuré peut prétendre au terme de sa mise au courant compte tenu de sa capacité de travail, mais tout au plus 60 pour cent du salaire normal (al. 1). Elles sont versées pour six mois au maximum et réduites tous les deux mois d'un tiers du montant initial (al. 2). L'
art. 67 LACI
prévoit d'autre part que la demande d'allocations doit être présentée à l'autorité cantonale (al. 1) et que la caisse choisie par l'assuré ne peut verser les prestations qu'avec l'assentiment de cette autorité (al. 2).
Le Conseil fédéral a précisé ce qu'il fallait entendre par "assurés dont le placement est difficile", à l'
art. 90 al. 1 OACI
, dont la teneur est la suivante:
"Un assuré est réputé difficile à placer lorsque, compte tenu de la situation du marché du travail, il a de grandes difficultés à trouver un emploi en raison de:
a. Son âge avancé;
b. Son handicap physique ou mental ou
c. Ses mauvais antécédents professionnels."
3.
a) La seule question litigieuse est de savoir si l'on est en l'espèce en présence d'une assurée dont le placement est difficile au sens des
art. 65 LACI
et 90 al. 1 OACI. En effet, le recourant ne conteste pas, et cela avec raison, que l'intéressée remplit les autres conditions d'octroi d'allocations d'initiation au travail, définies sous let. a à c de l'
art. 65 LACI
. En outre, il est constant que ni l'âge avancé ni un quelconque handicap physique ou mental ne peuvent être invoqués dans le cas particulier. Aussi l'OFIAMT soutient-il, à l'appui de son recours de droit administratif, que l'assurée ne peut se prévaloir de "mauvais antécédents professionnels" au sens de l'
art. 90 al. 1 let
. c OACI, contrairement à l'opinion de l'Office cantonal neuchâtelois du travail et des autorités cantonales de recours.
Selon le recourant, cette notion vise une catégorie bien particulière d'assurés. Il s'agit, notamment, des personnes qui ont appris et (ou) exercé une profession qui, pour une raison ou une autre (par exemple l'introduction de nouvelles technologies, de nouveaux procédés de production ou de gestion) a pratiquement
BGE 112 V 248 S. 251
disparu, est en voie de disparition, a perdu de son importance ou a subi (ou est en train de subir) des transformations. Tel est le cas, par exemple, des personnes au chômage qui, pendant de nombreuses années, ont été affectées à des tâches spécialisées au sein de la même entreprise et qui, de ce fait, rencontrent de graves difficultés à trouver un emploi. En revanche, de "mauvais antécédents professionnels" ne sauraient, par principe, être reconnus à des assurés qui sont au bénéfice d'une formation professionnelle achevée et qui éprouvent des difficultés à s'insérer dans le monde du travail en raison de leur manque d'expérience pratique ou de difficultés conjoncturelles ou structurelles que connaît leur région de domicile. A défaut, les allocations en cause se transformeraient en un instrument de promotion industrielle et commerciale, ce que le législateur n'a précisément pas voulu; une telle opération doit bien plutôt être réalisée, non par l'assurance-chômage, mais par le biais de la loi sur l'aide en matière d'investissements dans les régions de montagne ou de l'arrêté fédéral instituant une aide financière en faveur des régions dont l'économie est menacée.
b) Les art. 65 à 67 LACI font partie du chapitre 6 de la loi dont l'art. 59 al. 1 pose le principe selon lequel l'assurance encourage par des prestations en espèces la reconversion, le perfectionnement et l'intégration professionnels des assurés dont le placement est impossible ou très difficile pour des raisons inhérentes au marché de l'emploi. A propos de l'art. 63 (qui est devenu l'
art. 65 LACI
dans la version définitive adoptée par les Chambres fédérales), le Conseil fédéral a exposé ce qui suit dans son message concernant une nouvelle loi fédérale sur l'assurance-chômage obligatoire et l'indemnité en cas d'insolvabilité (FF 1980 III 622):
"En octroyant des allocations d'initiation au travail à des assurés dont le placement est difficile, et qui sont mis au courant dans une entreprise en vue d'un engagement définitif et reçoivent, par conséquent, un salaire réduit, on vise à améliorer les chances de ces personnes sur le marché de l'emploi. On escompte que ces allocations d'initiation au travail constitueront un moyen efficace pour atténuer l'un des problèmes les plus difficiles du placement, qui entraîne également des frais considérables pour l'assurance-chômage. Toutefois, de telles prestations doivent être liées à des conditions sévères et rester limitées, afin d'éviter une sous-enchère sur les salaires ainsi qu'un subventionnement d'employeurs.
On a également renoncé à définir dans la loi la notion de difficile à placer. Il s'agit, en effet, d'une notion composite comprenant des critères subjectifs et objectifs. Ce qui importe, d'une part, c'est la situation personnelle de l'assuré, c'est-à-dire l'ampleur des difficultés qu'il connaît.
BGE 112 V 248 S. 252
Mais, d'autre part, il y a lieu de définir aussi la difficulté au placement d'après la situation du marché de l'emploi. Afin de conserver dans ce domaine toute la souplesse requise, seule l'ordonnance pourra apporter des précisions."
Ainsi donc, il y a lieu de considérer que les allocations d'initiation au travail peuvent être accordées si le placement de l'assuré est fortement entravé et pour autant qu'il existe une indication en rapport avec le marché du travail: cette double condition doit permettre d'éviter que des prestations soient fournies à des fins qui n'auraient aucun rapport avec l'assurance-chômage, dont le but n'est pas d'assumer, de manière générale, les frais occasionnés par la mise au courant de salariés et qui incombent normalement à tout employeur.
c) La loi ne contient pas de norme de délégation spéciale du législateur qui autoriserait expressément le Conseil fédéral à fixer les conditions dont dépend le droit aux allocations d'initiation au travail. Aussi l'
art. 90 al. 1 OACI
se fonde-t-il sur la délégation générale de compétence figurant à l'
art. 109 LACI
et qui charge l'autorité exécutive d'édicter les dispositions nécessaires à l'exécution de la loi. De telles dispositions ne sauraient donc poser de nouvelles règles qui restreindraient les droits des assurés ou leur imposeraient des obligations, même si ces règles sont conformes au but de la loi (
ATF 98 Ia 287
et les références citées; GRISEL, Traité de droit administratif, p. 83; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, supplément 1967-1982 No 1520; cf. également
ATF 109 V 247
). On peut dès lors se demander si, en énumérant exhaustivement les cas d'assurés difficiles à placer, le Conseil fédéral n'a pas restreint à l'excès la portée de l'
art. 65 LACI
.
Cette question peut toutefois demeurer indécise en l'espèce, car l'interprétation que donne l'office recourant de la disposition réglementaire en cause apparaît de toute façon, quant à elle, trop restrictive. En effet, s'il est vrai que, par définition, les termes "mauvais antécédents professionnels" ne sauraient guère s'appliquer à de jeunes travailleurs à la recherche d'un premier emploi et qui sont souvent victimes de leur inexpérience, rien ne permet de soutenir que cette notion exclut d'emblée d'autres catégories de jeunes salariés, en particulier ceux qui ont appris - ou exercé - une profession qui ne répond pas - ou plus - aux nécessités du marché de l'emploi. Cette interprétation est d'ailleurs confirmée par le texte allemand de l'
art. 90 al. 1 let
. c OACI qui utilise
BGE 112 V 248 S. 253
l'expression "schlechte berufliche Voraussetzungen", termes qui sont à l'évidence plus larges que ceux de la version française de l'ordonnance. En tout cas, l'examen des travaux préparatoires, en particulier du message précité, ne démontre pas que le législateur ait envisagé une telle exclusion, quand bien même il a voulu lier l'octroi des allocations litigieuses à des conditions sévères.
D'autre part, contrairement à l'opinion du recourant, on ne saurait faire abstraction, le cas échéant, des difficultés conjoncturelles et structurelles propres à une région déterminée. Admettre une solution différente conduirait, le plus souvent, à renoncer à la mise en oeuvre de mesures préventives au profit de l'exigence d'un changement de domicile. Or, la mobilité géographique est un objectif qui peut aller à l'encontre des aspirations légitimes d'un assuré, pour des raisons familiales par exemple (
ATF 111 V 400
). En outre, elle peut entrer en conflit avec les objectifs de la politique régionale, en accélérant le dépeuplement de certaines régions du pays et en renforçant la concentration démographique et économique déjà excessive dans d'autres régions, objectifs dont le législateur a tenu compte lors de l'élaboration de la loi (FF 1980 III 536).
d) En l'occurrence, il y a lieu d'admettre que l'assurée peut prétendre le versement d'allocations d'initiation au travail. Selon les indications fournies par l'Office cantonal neuchâtelois du travail, les débouchés dans la profession - apprise par l'intéressée - de dessinatrice d'intérieur sont "rares voire inexistants"; en outre, l'assurée a de faibles chances de retrouver un emploi en qualité de dessinatrice en bâtiments, compte tenu de la crise que connaît l'industrie du bâtiment dans la région du Jura neuchâtelois. On doit dès lors considérer, sur la base de ces renseignements, que le placement de l'assurée dans l'une ou l'autre des professions susmentionnées était, en mai 1985, difficile, voire impossible à plus ou moins brève échéance, cela pour des raisons inhérentes au marché de l'emploi. De plus, on peut affirmer que ces difficultés avaient aussi pour origine de "mauvais antécédents professionnels" au sens de l'
art. 90 al. 1 let
. c OACI: d'une part, l'assurée a appris un métier pour lequel il n'existe pratiquement pas d'offres d'emploi; d'autre part, après l'obtention d'un certificat fédéral de capacité, elle a travaillé dans une profession qui ne correspondait pas exactement à sa formation, de sorte qu'elle se trouve d'emblée disqualifiée, en tant que dessinatrice en bâtiments, sur un marché du travail qui est déjà fortement resserré.
BGE 112 V 248 S. 254
Enfin, l'autorité cantonale inférieure de recours a procédé à diverses mesures d'instruction d'où il ressort qu'il n'y a eu en l'espèce ni sous-enchère sur le salaire, ni subventionnement de l'employeur. Le risque d'abus, qui préoccupe à juste titre l'office recourant, peut donc être considéré comme écarté en l'espèce.
e) En conclusion, l'Office cantonal neuchâtelois du travail n'a pas excédé son pouvoir d'appréciation en statuant comme il l'a fait; considérée sous l'angle de l'opportunité, la décision administrative en cause était justifiée et le recours de droit administratif se révèle ainsi mal fondé.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad6a7097-0598-4881-9284-7174e8954b71 | Urteilskopf
137 II 284
23. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_89/2010 / 2C_106/2010 vom 10. Februar 2011 | Regeste
Art. 36 FINMAG
,
Art. 23
quater
Abs. 1 BankG
;
Art. 3 KAG
,
Art. 3 KKV
und N. 9 ff. des Rundschreibens der FINMA 2008/8 "Öffentliche Werbung im Sinne der Gesetzgebung über die kollektiven Kapitalanlagen"; Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten und Begriff der öffentlichen Werbung beim Anbieten oder Vertreiben einer kollektiven Kapitalanlage.
Zur Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten ist nicht erforderlich, dass eine bestimmte Gesetzesverletzung bereits feststeht (E. 4). Neben der Werbung, die sich an qualifizierte Anleger richtet und damit grundsätzlich als nicht öffentlich gilt (
Art. 3 Satz 3 KAG
), verbleibt im Rahmen des Begriffs "Publikum" (
Art. 3 Satz 1 KAG
) ein zusätzlicher, beschränkter Raum für nicht öffentliches Handeln. Richtet sich das Angebot bzw. die Werbung qualitativ oder quantitativ an einen eng umschriebenen Personenkreis, liegt keine Öffentlichkeit bzw. kein "Publikum" vor (E. 5.1-5.3). | Sachverhalt
ab Seite 285
BGE 137 II 284 S. 285
Die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) ermittelte ab Februar 2008 gegen die "Baumann"-Gruppe wegen illegaler Aktivitäten am Finanzmarkt. Am 27. August 2008 stellte sie fest, dass Ambros Baumann und verschiedene seiner Einzelfirmen gewerbsmässig Publikumseinlagen entgegengenommen und damit gegen das Bundesgesetz vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG; SR 952.0) verstossen haben. Die EBK eröffnete über den Nachlass von Ambros Baumann und über seine Einzelfirmen den bankenrechtlichen Konkurs. Der Untersuchungsbeauftragte war in seinem Bericht vom 30. Juni 2008 zum Schluss gekommen, dass zwischen 2000 und 2007 rund 604 Anleger im Rahmen von sogenannten "Treuhandverträgen" bei der "Baumann"Gruppe mindestens Fr. 72'602'000.- investiert hätten und die Herkunft von weiteren Fr. 32'622'000.- bisher noch nicht identifiziert sei. Den Forderungen stünden Aktiven von bloss rund Fr. 6'565'000.- gegenüber. Die Verfügung wurde rechtskräftig.
Ambros Baumann und dessen Einzelfirmen unterhielten ein umfangreiches Vermittlernetz. Am 29. Oktober 2008 stellte die Eidgenössische Bankenkommission unter anderem fest, dass X. in diesem Rahmen gegen das Banken-, das Kollektivanlagen- und das Börsengesetz verstossen habe und ihm verboten werde, unter jeglicher Bezeichnung selbst oder über dritte Publikumseinlagen gewerbsmässig entgegenzunehmen bzw. kollektive Kapitalanlagen zu vertreiben oder für solche bzw. für die Entgegennahme von Publikumseinlagen oder eine andere den Banken vorbehaltene Tätigkeit zu werben. Mit Urteil vom 14. Dezember 2009 hiess das Bundesverwaltungsgericht die von X. hiergegen gerichtete Beschwerde teilweise gut und hob die angefochtene Verfügung insofern auf, als die EBK darin zum Schluss gekommen war, dass X. eine kollektive Kapitalanlage öffentlich angeboten und vertrieben habe.
BGE 137 II 284 S. 286
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) als Nachfolgeorganisation der EBK beantragt vor Bundesgericht, den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben, soweit er den Vertrieb von kollektiven Kapitalanlagen im Sinne des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2006 über die kollektiven Kapitalanlagen (Kollektivanlagengesetz, KAG; SR 951.31) betrifft. X. hat den vorinstanzlichen Entscheid ebenfalls angefochten (2C_106/2010). Das Bundesgericht weist die Beschwerde der FINMA ab und heisst jene von X. teilweise (im Entschädigungspunkt) gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers sind schliesslich auch die Einsetzung des Untersuchungsbeauftragten und die Kostenregelung im angefochtenen Entscheid nicht zu beanstanden, soweit diese Fragen hier überhaupt zu prüfen sind, nachdem der Abschreibungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2008 bezüglich der superprovisorischen Einsetzung des Untersuchungsbeauftragten nicht angefochten wurde und die entsprechende vorsorgliche Massnahme vom 19. August 2008 mit der Verfügung der EBK vom 29. Oktober 2008 dahin gefallen ist.
4.2
4.2.1
Liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine bewilligungspflichtige Geschäftstätigkeit ausgeübt werden könnte, ist die Bankenkommission bzw. heute die FINMA befugt und verpflichtet (
BGE 115 Ib 55
E. 3 S. 58;
BGE 105 Ib 406
E. 2 S. 408 f.), die zur weiteren Abklärung erforderlichen Informationen einzuholen und die nötigen Anordnungen zu treffen. Für die Einsetzung eines Beobachters bzw. eines Untersuchungsbeauftragten (vgl.
Art. 23
quater
Abs. 1 BankG
in seiner Fassung vom 3. Oktober 2003 [AS 2004 2767]) ist nicht erforderlich, dass eine bestimmte Gesetzesverletzung bereits feststeht; es genügt, dass objektive Anhaltspunkte für eine solche sprechen, wobei der Sachverhalt nur durch die Kontrolle vor Ort bzw. durch die Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten mit den entsprechenden Befugnissen abschliessend geklärt werden kann. Der durch die EBK zu beseitigende Missstand liegt in diesem Verfahrensstadium in der unklaren Ausgangslage, die es zu bereinigen gilt (
BGE 132 II 382
E. 4.2;
BGE 130 II 351
E. 2.2 S. 355;
BGE 126 II 111
E. 4c S. 118; vgl. auch ANDRÉ TERLINDEN, Der Untersuchungsbeauftragte
BGE 137 II 284 S. 287
der FINMA als Instrument des Finanzmarktenforcements, 2010, S. 160 ff., S. 215 ff.). Die EBK bzw. die FINMA sind dabei an die allgemeinen Verfassungs- und Verwaltungsgrundsätze gebunden (
BGE 130 II 351
E. 2.2 S. 355). Wie jedes staatliche Handeln muss auch die finanzmarktrechtliche Einsetzung des Untersuchungsbeauftragten - wegen der damit einhergehenden Konsequenzen (vgl.
BGE 126 II 111
E. 5b/bb S. 121; siehe auch die Grundsätze 3 und 6 des Papiers "Enforcement-Policy" der FINMA vom 17. Dezember 2009; TERLINDEN, a.a.O., S. 244) - verhältnismässig sein (vgl.
Art. 5 Abs. 2 BV
;
BGE 136 II 43
E. 3.3.). Im Rahmen der mit ihren Anordnungen verbundenen Interessenabwägungen hat die Aufsichtsbehörde der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass die betroffenen natürlichen oder juristischen Personen im Resultat allenfalls tatsächlich keiner unterstellungspflichtigen Tätigkeit nachgehen und die vorsorglichen Massnahmen sie in materiell ungerechtfertigter Weise massiv beeinträchtigen können. Sie muss deshalb jeweils rasch auf erste Resultate der Abklärungen reagieren (
BGE 126 II 111
E. 5b/bb S. 121; vgl. den Grundsatz 4 des Papiers "Enforcement-Policy" der FINMA vom 17. Dezember 2009).
4.2.2
Das Instrument des Untersuchungsbeauftragten ist heute in
Art. 36 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG; SR 956.1)
geregelt: Danach kann die Aufsichtsbehörde eine unabhängige und fachkundige Person damit beauftragen, bei einer oder einem Beaufsichtigten einen aufsichtsrechtlich relevanten Sachverhalt abzuklären oder von ihr angeordnete aufsichtsrechtliche Massnahmen umsetzen zu lassen (Abs. 1). Sie umschreibt in der Einsetzungsverfügung die Aufgaben der oder des Untersuchungsbeauftragten und legt gleichzeitig fest, in welchem Umfang die oder der Untersuchungsbeauftragte anstelle der Organe der Beaufsichtigten handeln darf (Abs. 2). Die Beaufsichtigten haben der oder dem Untersuchungsbeauftragten Zutritt zu ihren Räumlichkeiten zu gewähren sowie alle Auskünfte zu erteilen und Unterlagen offenzulegen, welche zur Erfüllung der entsprechenden Aufgabe erforderlich sind (Abs. 3). Der Beaufsichtigte muss die Kosten des Untersuchungsbeauftragten tragen und auf Anordnung der FINMA hin, einen entsprechenden Kostenvorschuss leisten (Abs. 4). Diese Regelung entspricht inhaltlich dem hier noch anwendbaren
Art. 23
quater
BankG
(BBl 2006 2829 Ziff. 2.3.2 S. 2884; TERLINDEN, a.a.O., S. 64) und findet auch auf Finanzintermediäre Anwendung, die in Verletzung
BGE 137 II 284 S. 288
finanzmarktrechtlicher Bestimmungen bewilligungslos tätig sind (vgl.
BGE 136 II 43
E. 3.1 mit Hinweisen).
4.2.3
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter dem OG (BS 3 531) war die Einsetzung eines Beobachters bzw. eines Untersuchungsbeauftragten ohne vorgängige Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht direkt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar (vgl. TERLINDEN, a.a.O., S. 248 ff.). Die EBK müsse - so das Gericht in
BGE 126 II 111
ff. - bei Gefahr im Verzug die entsprechende Massnahme superprovisorisch anordnen, dem Betroffenen hierauf das rechtliche Gehör gewähren und hernach erneut verfügen. Gegen diesen zweiten (Zwischen-)Entscheid sei dann die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Begründet wurde dies damit, dass nur so vermieden werden könne, dass im erstinstanzlichen Verfahren durch die EBK systematisch der Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet werde und das Bundesgericht sich mit neuen Einwänden beschäftigen müsse, die das erstinstanzliche Verfahren zu beeinflussen bzw. zu verkürzen oder zu beenden geeignet gewesen wären. Die EBK dürfe als erstinstanzliche Behörde nicht darauf vertrauen, dass von ihr missachtete Verfahrensrechte systematisch nachträglich unter Erweiterung seiner Kognition durch das Bundesgericht geheilt würden, andernfalls die für das erstinstanzliche Verfahren vorgesehenen prozessualen Garantien ihren Sinn verlören (
BGE 126 II 111
E. 6b/aa S.123 f.). Das Bundesgericht präzisierte diese Rechtsprechung in der Folge dahin, dass die EBK nicht verpflichtet sei, die zweite Verfügung von Amtes wegen zu erlassen, sondern der Betroffene sich in zumutbarer Weise um diese bemühen und seinen Willen diesbezüglich klar zum Ausdruck bringen müsse. Wer die Einsetzung des Beobachters bzw. Untersuchungsbeauftragten nicht infrage stellen wolle, habe ein Interesse daran, dass von der EBK kein unnötiger Aufwand betrieben werde, weshalb ausdrücklich um den Erlass der entsprechenden anfechtbaren Verfügung zu ersuchen sei (
BGE 130 II 351
E. 3.2 S. 356 f.; Urteile 2A.65/2002 vom 22. Mai 2002 E. 2.2.2, in: EBK-Bulletin 43/2003 S. 15 ff.; 2A.179/2001 vom 31. Mai 2001 E. 3a/bb, in: EBK-Bulletin 42/2002 S. 45 ff.).
4.2.4
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung ursprünglich unter dem neuen Recht übernommen (vgl. etwa das Urteil B-5839/2008 vom 19. September 2008). Inzwischen hat es seine Praxis im Entscheid B-2727/2009 vom 27. Mai 2009 mit Blick auf die ihm zustehende volle Kognition (
Art. 49 VwVG
[SR 172.021]; PETER NOBEL, Schweizerisches Finanzmarktrecht und internationale
BGE 137 II 284 S. 289
Standards, 3. Aufl. 2010, § 7 N. 173; TERLINDEN, a.a.O., S. 254) relativiert. Die Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten erfolge als selbständig anfechtbarer Zwischenentscheid, wobei regelmässig Gefahr in Verzug sei; sie bewirke überdies einen nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil. Da ein Beschwerdeweg mit voller Kognition offenstehe und keine andere Bestimmung des Bundesrechts einen Anspruch auf vorherige Anhörung gewährleiste, sei die entsprechende (superprovisorische) Zwischenverfügung direkt und selbständig anfechtbar. Es hat diese Rechtsprechung in der Folge in dem Sinn präzisiert, dass die Anfechtung der superprovisorischen Massnahme die Ausnahme bilden müsse und zunächst bei der FINMA um rechtliches Gehör zu ersuchen sei. Nur wenn sich eine Rechtsverzögerung oder -verweigerung abzeichne, stehe die Beschwerde bereits gegen die superprovisorische Anordnung offen (vgl. das Urteil B-7038/2009 vom 20. November 2009 E. 1.12 ff.; MAURENBRECHER/TERLINDEN, in: Basler Kommentar, Börsengesetz, Finanzmarktaufsichtsgesetz, Watter/Vogt [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 80 zu
Art. 36 FINMAG
). Wie es sich damit verhält, braucht hier nicht abschliessend entschieden zu werden (vgl. zur Problematik des rechtlichen Gehörs in diesem Fall: TERLINDEN, a.a.O., S. 255 ff.), da vorliegend das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über den Endentscheid der EBK angefochten und die Einsetzung der Untersuchungsbeauftragten in diesem Rahmen so oder anders wegen der damit verbundenen Kostenpflicht zu prüfen ist (vgl.
Art. 93 Abs. 3 BGG
).
4.2.5
Der Untersuchungsbericht zur "Baumann"-Gruppe hatte ergeben, dass diese über zahlreiche "Vermittler" zu den für die Fortsetzung ihres "Schneeball"-Systems erforderlichen Publikumseinlagen kam. Die Rolle des Beschwerdeführers und seines Sohnes waren dabei unklar, konnten aber aufgrund der ersten Abklärungen (Pool-Konto, hohe Provisionszahlungen, unklare Finanzflüsse usw.) nicht von vornherein als unbedeutend oder von untergeordneter Natur qualifiziert werden. Blosse Befragungen des Beschwerdeführers und seines Sohnes waren nicht geeignet, den Sachverhalt rechtsgenügend zu erstellen, da der genaue Umfang ihrer Verstrickung in die Geschäfte der "Baumann"-Gruppe erst noch abzuklären war. Zwar erklärte sich der Beschwerdeführer bereit, hierbei mitzuwirken, und ersuchte er die EBK vor Einsetzung der Untersuchungsbeauftragten auch um einen Sitzungstermin, doch beschränkte dies die Ermittlungsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde nicht. Die EBK musste sich nicht mit dem zufriedengeben, was der Beschwerdeführer
BGE 137 II 284 S. 290
allenfalls bereit war, ihr zu kommunizieren. Der erste Untersuchungsbericht hatte einen objektiv begründeten Anfangsverdacht dafür geliefert, dass der Beschwerdeführer stärker in die Aktivitäten verwickelt sein könnte als andere Vermittler. Diesen Verdacht galt es anschliessend zu prüfen, was einerseits die Anhörung des Betroffenen durch die Untersuchungsbeauftragten voraussetzte, andererseits aber auch die unabhängige Analyse der Finanzflüsse über seine Konten nahe legte.
4.2.6
Die EBK hielt sich beim Entscheid, die Untersuchungsverfahren aufzuspalten und die Aktivitäten des Beschwerdeführers und seines Sohnes über die bereits aus der "Baumann"-Untersuchung vorliegenden Resultate hinaus zu vertiefen, im Bereich ihres technischen Ermessens (vgl. hierzu
BGE 132 II 382
E. 4 und 5;
BGE 130 II 351
E. 2.2; TERLINDEN, a.a.O., S. 218 ff.). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bestanden zahlreiche offene Fragen bezüglich der Vermittler und des Verbleibs der Anlagegelder. Nachdem der Y. Fund zudem ähnliche Strukturen aufwies wie derjenige von Ambros Baumann, waren auch diesbezüglich weitere Untersuchungen gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer konnte sich sowohl vor der EBK als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht zu den verschiedenen Ermittlungsergebnissen vollumfänglich äussern, weshalb nicht ersichtlich ist, inwiefern durch dieses Vorgehen sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sein könnte (vgl.
BGE 130 II 351
E. 3.3 S. 357 ff.).
4.2.7
Der Untersuchungsbeauftragte 1 hat nicht gegen den Beschwerdeführer, sondern im Zusammenhang mit dem Nachlass von Ambros Baumann ermittelt. Erst als ersichtlich wurde, dass auch den Beschwerdeführer persönlich aufsichtsrechtliche Vorwürfe treffen könnten, wurde am 1. Juli (bzw. am 19. August) 2008 ein weiteres Enforcementverfahren eröffnet, in dem ihm Parteistellung zukam und er alle seine Rechte gegenüber der verfügenden Behörde wahrnehmen konnte. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Untersuchungsbeauftragten hätten ihn nicht hinreichend angehört, verkennt er, dass nicht diese zu entscheiden hatten; die definitive Sachverhaltsfeststellung und die rechtliche Würdigung oblagen abschliessend der EBK (
BGE 130 II 351
E. 3.3.2 mit Hinweisen; NOBEL, a.a.O., § 7 N. 135). Der Untersuchungsbeauftragte hat den Sachverhalt objektiv nach allen Seiten hin abzuklären und der Aufsichtsbehörde eine möglichst klare Entscheidgrundlage zu liefern (URS ZULAUF, Finanzmarktenforcement, Verfahren der FINMA,
BGE 137 II 284 S. 291
Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht [GesKR] 2009 S. 46 ff., dort S. 49 f.; NOBEL, a.a.O., § 7 N. 128). Bei der Einsetzung des Untersuchungsbeauftragten und der Umschreibung von dessen Aufgaben verfügt die Aufsichtsbehörde über ein gewisses Ermessen (POLEDNA/MARAZZOTTA, in: Basler Kommentar, Bankengesetz, Watter und andere [Hrsg.], 2005, N. 8 zu
Art. 23
quater
BankG
; TERLINDEN, a.a.O., S. 218 ff.). Richtig ist, dass die Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten und die damit verbundenen Anordnungen - wie bereits ausgeführt - schwer in die Geschäftstätigkeiten der Beaufsichtigten eingreifen können, weshalb sie nicht leichthin zu verfügen sind; indessen ist nicht ersichtlich, warum sie - wie der Beschwerdeführer einwendet - (absolut) unzulässig erscheinen sollen, wenn eine möglicherweise unbewilligte Tätigkeit eingestellt wurde (was meistens nicht sicher ist), der Betroffene mehr oder weniger bereit ist, bei den Abklärungen mitzuwirken, oder die Ermittlungen nicht "zukunftsgerichtet" erscheinen.
4.2.8
Entscheidend sind immer die Umstände und Verdachtsmomente im Einzelfall. Diese legten vorliegend, wo Millionen von Anlagegeldern verschwunden waren, ergänzende Abklärungen bei den Hauptvermittlern der "Baumann"-Gruppe nahe. Das Vorgehen in zwei Etappen aufgrund des jeweiligen Erkenntnisstandes entsprach - entgegen der Kritik des Beschwerdeführers - gerade dem Gebot der Verhältnismässigkeit. Soweit er geltend macht, die EBK und die Vorinstanz hätten die Zwischenverfahren verzögert, um unbehindert ermitteln und möglichst schnell in der Sache verfügen zu können, bestehen hierfür keinerlei Hinweise. Es lag gerade auch in seinem Interesse, dass die Aufsichtsbehörde ihr Verfahren möglichst straff führte und die sich abzeichnenden weiteren Verfahrensschritte jeweils rechtzeitig vorbereitete.
(...)
5.
5.1
Die FINMA macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe die Anteile des Y. Funds nicht
öffentlich
angeboten und/oder vertrieben und deshalb auch nicht gegen das
Kollektivanlagengesetz
verstossen. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgehalten, dass die Auslegung der FINMA, wonach jede Werbung, welche sich nicht ausschliesslich an qualifizierte Anleger richte, als öffentlich zu betrachten sei, sich als zu "pauschal" erweise. Hätte der Gesetzgeber eine solche Rechtsfolge gewollt, hätte er dies ausdrücklich so festlegen
BGE 137 II 284 S. 292
müssen. Der Begriff "Publikum" in
Art. 3 Satz 1 KAG
deute auf eine grössere Zahl von Adressaten hin. Im Sinne eines Umkehrschlusses ergebe sich hieraus, dass Werbung, die sich an eine Person oder einige wenige Personen richte, nicht als "öffentliche" gelten könne. Eine solche liege nur vor, wenn sich die Werbung "nicht an einen eng umschriebenen Kreis von Personen" wende.
5.2
5.2.1
Ausländische Kollektivanlagen unterstehen den Bestimmungen des KAG (Art. 119 ff.), wenn für sie in oder von der Schweiz aus öffentlich geworben wird (FRANCO TAISCH, Finanzmarktrecht, 2. Aufl. 2010, Kapitel 3, N. 31). Wer öffentlich Anteile einer (in- oder ausländischen) kollektiven Kapitalanlage anbietet oder vertreibt, bedarf hierfür einer Bewilligung der FINMA (
Art. 19 KAG
[Vertriebsträger]; zu den weiteren Situationen, in denen die Rechtsfolgen nach KAG sich an eine öffentliche Werbung knüpfen: TAISCH, a.a.O., Kapitel 3, N. 72). Nach
Art. 3 KAG
gilt als öffentliche Werbung "jede Werbung, die sich an das Publikum richtet" (Satz 1). Nicht als Werbung zu qualifizieren ist namentlich die von den beaufsichtigten Finanzintermediären erstellte Publikation von Preisen, Kursen und Inventarwerten (Satz 2). "Die Werbung gilt als nicht öffentlich, wenn sie sich ausschliesslich an qualifizierte Anleger gemäss Artikel 10 Absatz 3" wendet (Satz 3).
5.2.2
Der Bundesrat hat diese Regelung in
Art. 3 der Verordnung vom 22. November 2006 über die kollektiven Kapitalanlagen präzisiert (KKV; SR 951.311)
. Danach liegt keine öffentliche Werbung vor, wenn sich diese "ausschliesslich an qualifizierte Anlegerinnen und Anleger im Sinne von Artikel 10 Absätze 3 und 4 des Gesetzes richtet und nur die für diesen Markt üblichen Werbemittel eingesetzt werden" (Abs. 1). Die Publikation von Preisen, Kursen, Inventarwerten und Steuerdaten in den Medien von in der Schweiz nicht zum öffentlichen Vertrieb zugelassenen ausländischen kollektiven Kapitalanlagen stellt keine öffentliche Werbung dar, sofern die Publikation keine Kontaktangabe enthält (Abs. 2). Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht hat den Begriff der öffentlichen Werbung ihrerseits im für die richterlichen Behörden unverbindlichen (vgl.
BGE 121 II 473
E. 2b mit Hinweisen; NOBEL, a.a.O., § 7 N. 60) "Rundschreiben 2008/8: Öffentliche Werbung im Sinne der Gesetzgebung über die kollektiven Kapitalanlagen" ergänzt (vgl. THÉVENOZ/ZULAUF, BF 2009, Regulierung und Selbstregulierung der Finanzmärkte in der Schweiz, 2009, B-08.08): Als
Werbung
soll demnach die
BGE 137 II 284 S. 293
Verwendung von Werbemitteln jeder Art gelten, deren Inhalt dazu dient, bestimmte kollektive Kapitalanlagen anzubieten oder zu vertreiben. Geht die Initiative vom Kunden aus, liegt keine Werbung vor (FINMA-RS 08/8 N. 6 ff.). Jede Art von Werbung gilt nach dem Rundschreiben als
öffentlich
, falls sie sich nicht
ausschliesslich
an qualifizierte Anleger richtet (FINMA-RS 08/8 N. 9 ff.).
5.3
5.3.1
Diese Auslegung erweist sich als zu streng und ist - wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat - durch
Art. 3 KAG
nicht gedeckt: Die Verwendung des Begriffs der "öffentlichen Werbung" ist im Zusammenhang mit dem Schutzzweck des Gesetzes zu verstehen. Das KAG stuft den Anlegerschutz je nach Schutzbedürftigkeit der Investoren ab. Es sieht dementsprechend vor, dass jede Werbung als nicht öffentlich gilt, die sich ausschliesslich an qualifizierte Anleger richtet (
Art. 3 Satz 3 KAG
). Deren reduziertes Schutzbedürfnis rechtfertigt eine weniger weitgehende finanzmarktrechtliche Kontrolle als jenes der Publikumsanleger (teleologisches Element). Würde der Auslegung der FINMA gefolgt, machte
Art. 3 Satz 1 KAG
, wonach als öffentliche Werbung jede Werbung gilt, "die sich an das Publikum richtet", keinen Sinn mehr. Der Gesetzgeber hätte sich in diesem Fall damit begnügen können, festzuhalten, dass jegliche Werbung, die sich nicht an qualifizierte Anleger wendet, zu einer Unterstellung unter das KAG führt, soweit dieses hierfür eine "öffentliche" Werbung voraussetzt. Der erste Satz von
Art. 3 KAG
stellt die Grunddefinition dar; die zwei anschliessenden Sätze sehen gesetzliche Ausnahmen zu dieser vor: Satz 2 bezüglich des Begriffs der Werbung, Satz 3 hinsichtlich jenem der Öffentlichkeit (grammatikalisches und systematisches Auslegungselement).
5.3.2
Nichts anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der FINMA aus der Entstehungsgeschichte der Norm (objektiv und subjektiv historische Auslegung): Der Bundesrat hielt in seiner Botschaft fest, dass als öffentliche Werbung, ohne Rücksicht auf die Form, jede Werbung zu gelten habe, die sich nicht an einen eng umschriebenen Kreis von Personen richte, was mit der bisherigen Praxis der Aufsichtsbehörde und der Rechtsprechung des Bundesgerichts übereinstimme (BBl 2005 6395 ff., dort S. 6438). Richtig ist, dass der vom ihm vorgeschlagene Gesetzestext in der Folge im Parlament abgeändert wurde; dies geschah jedoch gerade in der Absicht, den Begriff der öffentlichen Werbung und damit die Anwendbarkeit des
BGE 137 II 284 S. 294
KAG mit seinen einschneidenden Regeln nicht zu weit zu fassen. Mit der Vorinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass neben der Werbung, die sich an qualifizierte Anleger richtet und damit als "nicht öffentlich" gilt, im Rahmen des Begriffs "Publikum" ein zusätzlicher, beschränkter Raum für nicht öffentliches Handeln verbleibt. Richtet sich das Angebot bzw. die Werbung an einen eng umschriebenen Personenkreis, liegt keine Öffentlichkeit bzw. kein "Publikum" im Sinne von
Art. 3 Satz 1 KAG
vor. Der Kreis der Beworbenen kann dabei - wie bisher - entweder
qualitativ
aufgrund bestimmter Beziehungen oder aber
quantitativ
(zahlenmässig) beschränkt sein, wobei jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls den Ausschlag geben (vgl. RENÉ BÖSCH, in: Basler Kommentar, Kollektivanlagengesetz, Watter und andere [Hrsg.], 2009, N. 26 ff.zu
Art. 3 KAG
; siehe auch NOBEL, a.a.O., § 12 N. 23; URSINA BRACK, Formen kollektiver Kapitalanlagen nach dem KAG, 2009, S. 31 ff.; FRANZ HASENBÖHLER [Hrsg.], Recht der kollektiven Kapitalanlagen,2007, N. 116 ff.; zum AFG: LENOIR/PUDER, Öffentliche Werbung im Sinne der Anlagefondsgesetzgebung, AJP 2006 S. 981 ff.; CATRINA LUCHSINGER GÄHWILER, Der Vertrieb von Fondsanteilen, 2004, S. 108 ff.; ARMIN KÜHNE, Bewilligungspflicht gemäss Anlagefondsgesetz, 2002, S. 64 ff.; MATTHIAS KUSTER, Zum Begriff der Öffentlichkeit und Gewerbsmässigkeit im Kapitalmarktrecht [OR, BankG, BEHG und AFG], SZW 1997 S. 10 ff.).
5.3.3
Im vorliegenden Fall haben sich 14 Personen mit einem Bankdepot und einem Investitionsvolumen von rund Fr. 6 Mio. am Y. Fund beteiligt. Unter den Investoren sind der Beschwerdeführer und sein Sohn selber sowie verschiedene Verwandte und Bekannte von diesen, zudem eine Firma und zwei Drittpersonen. Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, ist es ausserhalb der Verwandtschaft des Beschwerdeführers und seines Sohnes eher zufällig zu zwei Gesprächen über die Anlagemöglichkeit in den Y. Fund gekommen. Die anderen Investoren standen zum Beschwerdeführer über ihre familiären Verhältnisse in einer besonderen Beziehung, weshalb - wie das Bundesverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - aufgrund der konkreten Umstände in qualitativer Sicht insgesamt noch von einem begrenzten Personenkreis ausgegangen werden kann. Seine Feststellung, dass der Beschwerdeführer somit nicht gegen das KAG verstossen habe, verletzt deshalb - entgegen der Ansicht der Finanzmarktaufsicht - kein Bundesrecht.
BGE 137 II 284 S. 295
5.4
Unbegründet ist auch die Kritik der FINMA, das Bundesverwaltungsgericht habe dem Beschwerdegegner im Rahmen seines Obsiegens zu Unrecht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.- zuerkannt. Nach
Art. 64 Abs. 1 VwVG
kann der ganz oder teilweise obsiegenden Partei von Amtes wegen oder auf Begehren eine Entschädigung für ihr erwachsene notwendige und verhältnismässig hohe Kosten zugesprochen werden. Der Beschwerdegegner hat vor dem Bundesverwaltungsgericht bezüglich der Unterstellung unter das KAG und das BEHG obsiegt. Die entsprechende Rechtsvertretung war für ihn mit nicht unbedeutenden (Vertretungs-)Kosten verbunden, weshalb ihm die Vorinstanz zu Recht eine reduzierte Parteientschädigung zugesprochen hat. Diese ist indessen mit Fr. 1'000.-, wie X. vor Bundesgericht zu Recht einwendet, zu gering ausgefallen: X. hat bezüglich der Nichtanwendbarkeit sowohl des KAG wie des BEHG obsiegt. Die ihm zugesprochene Summe entspricht lediglich rund 4 Stunden Arbeit eines Rechtsanwalts, was zur Instruktion des Falles im Rahmen seines Obsiegens offensichtlich nicht ausreichte. Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist in diesem Punkt aufzuheben und dem Beschwerdeführer für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 6'000.- zuzusprechen (vgl.
Art. 67 BGG
). | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad6dd2ca-7463-4901-9263-77c1b5988700 | Urteilskopf
140 II 305
28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Swissperform gegen Association Suisse des Radios Numériques (ASROC) und Mitb. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_783/2013 vom 27. Februar 2014 | Regeste
Art. 15 und 16 WPPT
,
Art. 190 BV
,
Art. 60 URG
; Begriff der "Angemessenheit" bzw. des wirtschaftlich angemessenen Entgelts für die Nutzung von Leistungsschutzrechten (Gemeinsamer Tarif S Sender [2011-2013]).
Dem Gesetzgeber ist es mit Blick auf die Unbestimmtheit der Regelung in
Art. 15 und
Art. 16 WPPT
nicht verwehrt, den Begriff der Angemessenheit aufgrund einer politischen Wertung gesetzlich auf ein Verhältnis von zehn (Urheberrechte) zu drei (Leistungsschutzrechte) festzulegen, wie er dies in
Art. 60 Abs. 2 URG
getan hat (E. 5 und 6).
Der Vorbehalt, dass die Berechtigten "bei einer wirtschaftlichen Verwaltung ein angemessenes Entgelt" erhalten sollen (Art. 60 Abs. 2 zweiter Halbsatz URG), lässt Abweichungen hiervon bzw. von der Dreiprozentgrenze in einer Gesamtwertung allenfalls zu, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, dass tatsächlich kein angemessenes Entgelt aus einem Tarif resultiert. Die sogenannte "Wettbewerbssimulationsmethode" ist nur bedingt geeignet, die Angemessenheit einer Tarifregelung zu würdigen (E. 6.5).
Der Umstand, dass beim derzeitigen Stand der Kenntnisse die Leistungsschutzrechte in anderen europäischen Ländern teilweise höher abgegolten werden ("Ländervergleichsmethode"), lässt den Gemeinsamen Tarif S Sender (2011-2013) in der von der ESchK genehmigten Fassung nicht als bundesrechtswidrig erscheinen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 140 II 305 S. 306
A.
A.a
Mit Eingaben vom 25. und 31. Mai 2010 beantragten die beiden konzessionierten Verwertungsgesellschaften für Urheber- und Leistungsschutzrechte Swissperform und Suisa der Eidgenössischen Schiedskommission für Urheberrechte und verwandte Schutzrechte (im Folgenden: Schiedskommission oder ESchK), einen neuen "Gemeinsamen Tarif (GT) S Sender" mit Geltung vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 (nachfolgend GT S [2011-2013]) zu genehmigen. Während für den alten GT S Sender (1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2009, verlängert bis zum 31. Dezember 2010) für die Nutzung von Leistungsschutzrechten noch der "Zusatztarif Swissperform zum Gemeinsamen Tarif S für die Vervielfältigung von Darbietungen und Aufnahmen von Werken nicht theatralischer Musik zu Sendezwecken" galt, erfasst der neue GT S (2011-2013) auch die Nutzung der Leistungsschutzrechte.
BGE 140 II 305 S. 307
A.b
(...)
Die Verwertungsgesellschaften schlugen für die Nutzung der verwandten Schutzrechte in Sendern mit Werbeeinnahmen in Ziffer 7.2 folgenden weiteren Zuschlag vor:
"Die gemäss Ziffer 13.2 sowie Ziffer 16 in Verbindung mit Ziffer 7.1 auf Basis der massgeblichen Werbeeinnahmen gemäss Ziffer 8.1, Lemma 1 in Verbindung mit Ziffer 8.2 und 9 berechneten Vergütungen für die verwandten Schutzrechte erhöhen sich um 50 %."
Am 27. Oktober 2010 beantragte die Swissperform eventualiter neu, Ziffer 7.2 wie folgt zu formulieren:
"(...) Die gemäss Ziffer 13.2 sowie Ziffer 16 in Verbindung mit Ziffer 7.1 auf Basis der massgeblichen Werbeeinnahmen gemäss Ziffer 8.1, Lemma 1 in Verbindung mit Ziffer 8.2 und 9 berechneten Vergütungen für die verwandten Schutzrechte erhöhen sich für das Jahr 2011 um 10 %, für das Jahr 2012 um 20 % und ab dem Jahr 2013 um 30 %."
A.c
Mit Beschluss vom 4. November 2010 genehmigte die ESchK den GT S (2011-2013) mit Ausnahme der vorgeschlagenen Ziffer 7.2 und kleinen (hier nicht mehr umstrittenen) Änderungen.
B.
Die Swissperform gelangte hiergegen mit dem Antrag an das Bundesverwaltungsgericht, die Ziffer 7.2 in der von ihr am 27. Oktober 2010 vorgeschlagenen Fassung in den Tarif aufzunehmen, was dieses mit Urteil vom 2. Juli 2013 (B-2612/2011) ablehnte (...).
C.
Die Swissperform beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und Ziffer 7.2 - wie von ihr am 27. Oktober 2010 vorgeschlagen - in den Tarif S aufzunehmen; allenfalls sei dieser im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab und bestätigt die genehmigte Fassung des GT S (2011-2013).
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
In rechtlicher Hinsicht macht die Beschwerdeführerin geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe den Begriff des "angemessenen Entgelts" (
Art. 60 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte [URG; SR 231.1]
) bundesrechtswidrig verstanden: Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beurteile sich die Angemessenheit nicht primär nach der Wettbewerbssimulationsmethode, sondern nach den in nicht
BGE 140 II 305 S. 308
regulierten Märkten erzielten Preisen sowie hilfsweise nach demjenigen Ertrag, den andere an der Schaffung des gleichen Produkts Beteiligte für ihren Beitrag erzielten. Daraus ergebe sich, dass die Vergütung für die verwandten Schutzrechte gegenüber jenen für Urheberrechte erhöht werden müsse. Mit dem Beharren auf einer einzig zulässigen Beweismethode habe die Vorinstanz das Untersuchungsprinzip verletzt und überspitzt formalistisch die freie Beweiswürdigung ausgeschlossen. Sie habe auch den Auslandsvergleich und die Intensität des Zusammenhangs zwischen Einnahmengenerierung und Nutzung der tariflichen Leistung nicht hinreichend gewichtet. Sodann rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Völkerrecht, indem die Vorinstanz zugelassen habe, dass Leistungsschutzrechte im Unterschied zu den Urheberrechten regelmässig erheblich weniger Vergütung erzielten, als ihrem wirtschaftlichen Wert entspreche. Dadurch sei Art. 15 Abs. 1 des WIPO-Vertrags vom 20. Dezember 1996 über Darbietungen und Tonträger (WPPT; SR 0.231.171.1) verletzt. Eine Abweichung vom wirtschaftlichen Wert wäre nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen Erklärung gemäss
Art. 15 Abs. 3 WPPT
zulässig; eine solche habe die Schweiz aber nicht abgegeben. Die aus der Relation von 10:3 resultierende Ungleichbehandlung von Urheber- und Leistungsschutzberechtigten verstosse gegen
Art. 16 WPPT
, der - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - unmittelbar angewendet werden müsse. Eine völkerrechtskonforme Auslegung des Gesetzes verbiete es, an die Leistungsschutzberechtigten für eine Abweichung von der im Gesetz vorgesehenen Relation überhöhte Beweisanforderungen zu stellen.
6.
6.1
Werden zu gewerblichen Zwecken veröffentlichte Tonträger unmittelbar oder mittelbar für eine Sendung oder öffentliche Wiedergabe benutzt, so haben nach
Art. 15 Abs. 1 WPPT
ausübende Künstler und Tonträgerhersteller Anspruch auf eine "einzige angemessene Vergütung" (ebenso Art. 12 des Internationalen Abkommens vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller und der Sendeunternehmen [SR 0.231.171; nachfolgend: RA], abgesehen vom Aspekt der Vervielfältigung, vgl. dazu Urteil 2A.256/1998 vom 2. Februar 1999 E. 3c, in: sic! 1999 S. 255, sowie BBl 2006 3389 ff., 3431 f. zu Art. 24b). Jede Vertragspartei kann erklären, dass sie die Bestimmungen in Absatz 1 nur in Bezug auf bestimmte Nutzungsarten anwenden, deren Anwendung in einer anderen Weise einschränken oder sie überhaupt nicht zur Anwendung
BGE 140 II 305 S. 309
bringen werde (
Art. 15 Abs. 3 WPPT
). Nach
Art. 16 Abs. 1 WPPT
können (in Analogie zu Art. 10 des WIPO-Urheberrechtsvertrags vom 20. Dezember 1996 [WCT; SR 0.231.151] und Art. 9 Abs. 2 der in Paris revidierten Berner Übereinkunft vom 24. Juli 1971 zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst [RBÜ; SR 0.231.15]; vgl. BBl 2006 3389 ff., 3413 zu Art. 10, 3419 zu Art. 15) die Vertragsparteien in ihren Rechtsvorschriften in Bezug auf den Schutz der ausübenden Künstler und der Hersteller von Tonträgern Beschränkungen und Ausnahmen gleicher Art vorsehen, wie sie in ihren Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit dem Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst vorgesehen sind. Nach Absatz 2 begrenzen sie die Beschränkungen und Ausnahmen in Bezug auf die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte auf bestimmte Sonderfälle, die weder die normale Verwertung der Darbietung oder des Tonträgers beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen der ausübenden Künstler oder Tonträgerhersteller unzumutbar verletzen (sog. "Dreistufentest", vgl.
BGE 133 III 473
E. 6.1 S. 485 f.). Die Beschwerdeführerin leitet hieraus ab, dass die Vergütungen für Leistungsschutzrechte denjenigen für Urheberrechte entsprechen oder jedenfalls angenähert werden müssen oder Unterschiede zumindest nur mit einer besonderen Begründung gemäss Dreistufentest zulässig sind (ähnlich BARRELET/EGLOFF, Das neue Urheberrecht, 3. Aufl. 2008, N. 6a zu
Art. 60 URG
; BREM/SALVADÉ/WILD, in: Urheberrechtsgesetz [URG], Müller/Oertli [Hrsg.], 2. Aufl. 2012, N. 15 zu
Art. 60 URG
; REHBINDER/VIGANO, URG, 3. Aufl. 2008, N. 3 zu
Art. 24b URG
).
6.2
Nach der Systematik von
Art. 15 WPPT
sind Erklärungen im Sinne von Absatz 3 nur erforderlich, soweit von den Grundsätzen von Absatz 1 abgewichen wird, also soweit keine "angemessene Vergütung" vorgesehen ist. Desgleichen liegt eine Beschränkung oder Ausnahme im Sinne von
Art. 16 WPPT
nur vor, wenn die Rechte an sich eingeschränkt werden oder wenn gemäss
Art. 15 Abs. 3 WPPT
der Vergütungsanspruch eingeschränkt oder ausgeschlossen würde (ANKE BEINING, Der Schutz ausübender Künstler im internationalen und supranationalen Recht, 2000, S. 122). Solange eine "angemessene" Vergütung im Sinne von
Art. 15 Abs. 1 WPPT
ausgerichtet wird, kommt
Art. 16 WPPT
nicht zur Anwendung. Wenn die Beschwerdeführerin den Zuschlag gemäss der strittigen Ziffer 7.2 mit
Art. 16 WPPT
begründet, setzt sie bereits voraus, dass ohne diesen die Vergütung nicht als angemessen gelten kann. Genau dies ist
BGE 140 II 305 S. 310
aber umstritten. Es ist deshalb in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sich die Vergütung als angemessen im Sinne von
Art. 15 Abs. 1 WPPT
erweist. Ist dies der Fall, stellt sich die Frage nach der Tragweite von
Art. 16 WPPT
nicht.
6.3
Solange das Völkerrecht mehrere Lösungen zulässt, ist es dem Gesetzgeber regelmässig unbenommen, national eine hiermit kompatible Regelung umzusetzen. Auch das Postulat der harmonisierenden Auslegung von Völkerrecht und Landesrecht kann alsdann nicht dazu führen, dass eine bestimmte der mehreren völkerrechtlich zulässigen Lösungen als für die Auslegung des Landesrechts einzig massgebend betrachtet wird, solange die nationale Regelung sich im Ergebnis als mit dem übergeordneten Recht vereinbar erweist. Weder Art. 12 RA noch
Art. 15 WPPT
enthalten nähere Ausführungen dazu, was unter "angemessen" zu verstehen ist. Den nationalen Gesetzgebern steht damit bei der Umsetzung der entsprechenden völkerrechtlichen Vorgabe ein relativ erheblicher Gestaltungsspielraum zu (
BGE 133 II 263
E. 7.3.3). Der blosse Umstand, dass sowohl Urheber- als auch Leistungsschutzrechte geschützt werden, bedeutet nicht zwingend, dass beiden der gleiche Wert beigemessen werden muss: Der Wert der Leistungsschutzrechte ist unabhängig von demjenigen der Urheberrechte, und die Relation zwischen Urheber- und Leistungsschutzrechten variiert je nach den Umständen (so auch das von der Beschwerdeführerin eingereichte Gutachten von DANIEL GERVAIS, Compatibilité de l'article 60 de la Loi suisse sur le droit d'auteur avec les conventions internationales, Oktober 2010, Rz. 13 und 53). In diesem Rahmen ist es zwar eine mögliche Lösung, den Leistungsschutzrechten prinzipiell einen gleichen oder ähnlichen Wert beizumessen wie den Urheberrechten, doch ist dies nicht zwingend. Die Leistungsschutzrechte wurden historisch denn auch viel später anerkannt als die Urheberrechte.
6.4
Die Regelung in
Art. 59 Abs. 1 und
Art. 60 URG
schreibt in Übereinstimmung mit
Art. 15 Abs. 1 WPPT
vor, dass die Tarife
angemessen
sein müssen. Nach
Art. 60 Abs. 2 URG
beträgt die Entschädigung "in der Regel höchstens" 10 bzw. 3 %, doch haben die Berechtigten bei einer wirtschaftlichen Verwaltung ein "angemessenes Entgelt" zu erhalten. Das Bundesgericht hat bereits im Urteil "Leerkassettentarif" in eingehender Auseinandersetzung mit Wortlaut und Entstehungsgeschichte dargelegt, dass es sich bei den Sätzen von 10 bzw. 3 % in
Art. 60 Abs. 2 URG
nicht um eine Regelbestimmung, sondern um eine Höchstgrenze handelt, die nur (aber immerhin)
BGE 140 II 305 S. 311
unter der in Absatz 2 (2. Halbsatz) vorgesehenen Voraussetzung überschritten werden darf, d.h. wenn die genannten Prozentsätze nicht zu einem angemessenen Entgelt für die Berechtigten führen (2A.142/1994 vom 24. März 1995 E. 10 und 11, in: SMI 1996 III S. 437 und JdT 1995 I S. 277). Dabei hat es selber auf die gesetzliche Relation von 10:3 zwischen Urheber- und verwandten Rechten abgestellt (E. 10e). Es besteht kein Anspruch darauf, dass die 10%- bzw. 3%-Grenze in jedem Tarif ausgeschöpft wird (E. 10b und c sowie 11e; BARRELET/EGLOFF, a.a.O., N. 18 zu
Art. 60 URG
; BREM/SALVADÉ/WILD, a.a.O., N. 17 zu
Art. 60 URG
; FRANÇOIS DESSEMONTET, Le droit d'auteur, 1999, S. 487; GOVONI/STEBLER, Die Bundesaufsicht über die kollektive Verwertung von Urheberrechten, in: SIWR Bd. II/1, von Büren/David [Hrsg.], 2. Aufl. 2006, S. 409 ff., 499 f.).
6.5
Als entscheidend erweist sich unter diesen Umständen, was als "angemessen" zu gelten hat.
Art. 60 Abs. 1 URG
enthält dazu einige Kriterien, doch ergeben sich daraus keine konkreten Prozentsätze. Der Begriff der angemessenen Entschädigung kann unterschiedlich interpretiert werden: Er kann als Gegensatz zu einer "vollen" Entschädigung zu verstehen sein (vgl. z.B.
BGE 139 IV 261
E. 2.2 zu
Art. 135 StPO
;
BGE 137 III 185
E. 5 zu
Art. 122 ZPO
;
BGE 129 II 154
E. 3.4.2 zu
Art. 124 BV
; siehe zur Bedeutung für die Urheberrechtsentschädigungen MARBACH/RIVA, Zur sogenannten 10%-Regel im Urheberrecht, in: Die Verwertung von Urheberrechten in Europa, Reto M. Hilty [Hrsg.], 1995, S. 59 ff., 70 ff.). Er kann aber auch im Sinne eines "pretium iustum" ausgelegt werden, d.h. als eine Entschädigung, die ein angemessenes Einkommen erlaubt. Bei dieser Vorgabe könnte berücksichtigt werden, dass die Urhebertätigkeit in der Regel ausschliesslich durch Urheberrechtsvergütungen entschädigt wird, während Interpreten und Tonträgerhersteller daneben oft über weitere Einnahmenquellen verfügen. Schliesslich kann die angemessene Vergütung verstanden werden als das Entgelt, das unter Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt erzielt werden könnte (so bereits das Urteil des Bundesgerichts A.313/1984 etc. vom 7. März 1986 E. 7b; BREM/SALVADÉ/WILD, a.a.O., N. 5 zu
Art. 60 URG
; GOVONI/STEBLER, a.a.O., S. 493; REHBINDER/VIGANO, a.a.O., N. 8 zu
Art. 24c URG
; VINCENT SALVADÉ, Tarifs de droits d'auteur: contrôle des abus ou abus de contrôle?, Medialex 2003 S. 93 ff., 101). Allerdings ist das Abstellen auf einen tatsächlichen Marktpreis kaum möglich, da aufgrund der obligatorischen kollektiven Verwertung ein Markt, der zu Vergleichszwecken herangezogen werden könnte, eben gerade
BGE 140 II 305 S. 312
nicht besteht (zit. Urteil vom 7. März 1986 E. 8a; Urteil A.565/1986 vom 11. Mai 1988 E. 6a, in: SMI 1989 I S. 80; MARBACH/RIVA, a.a.O., S. 72 f.; MONIKA STÖHR, Gesetzliche Vergütungsansprüche im Urheberrecht, 2007, S. 143). Bei einer fiktiven Marktsimulation wäre zu berücksichtigen, dass das System der kollektiven Verwertung den praktischen Schwierigkeiten Rechnung trägt, mit denen das Erfassen von Massennutzungen urheberrechtlich geschützter Werke verbunden ist: Da sich diese Nutzungen der Kontrolle des Urhebers weitestgehend entziehen, wäre für ihn eine individuelle Geltendmachung kaum oder nur schwer möglich (
BGE 125 III 141
E. 4a S. 143; vgl. auch RETO M. HILTY, Urheberrecht, 2011, S. 335 f., 339; MANFRED REHBINDER, Urheberrecht, 16. Aufl. 2010, S. 281, 341 f.; VINCENT SALVADÉ, Les droits à rémunération instaurés par la loi fédérale sur le droit d'auteur et les droits voisins, sic! 5/1997 S. 448 ff., 451). Die Alternative zum tarifmässigen Entgelt der kollektiven Verwertung wäre für den Rechteinhaber im praktischen Ergebnis somit oft nicht ein höheres, individuell ausgehandeltes Entgelt, sondern eine geringere oder gar keine Vergütung. Das Ermitteln eines fiktiven Wettbewerbspreises erscheint damit eher hypothetisch. Das von der Beschwerdeführerin propagierte Abstellen auf Preise auf Vergleichsmärkten wiederum wirft seinerseits die Frage auf, welche Märkte zum Vergleich herangezogen werden sollen und inwiefern die massgeblichen Verhältnisse dort tatsächlich als vergleichbar gelten können.
6.6
In Anbetracht all dieser Unvollkommenheiten kann es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein, den Begriff der Angemessenheit aufgrund einer politischen Wertung gesetzlich zu konkretisieren und dabei auch den Leistungsschutzrechten einen anderen Wert beizumessen als den Urheberrechten. Die gesetzliche 10:3-Relation bewegt sich im Rahmen der grossen Bandbreite der völkerrechtlichen Vorgabe (vgl. oben E. 6.3) und ist für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 190 BV
). Das Gesetz selber sieht zwar ausdrücklich die Möglichkeit einer Abweichung von den Regelhöchstsätzen vor; ebenso kann im Einzelfall die Relation von 10:3 durchbrochen werden, wenn besondere Gründe hierfür sprechen. Eine Auslegung, die zur Folge hat, dass generell von dieser Relation abgewichen wird, wäre indessen nicht mehr gesetzeskonform, ohne mit Blick auf den grossen Beurteilungsspielraum in
Art. 15 Abs. 1 WPPT
völkerrechtlich geboten zu sein.
BGE 140 II 305 S. 313
7.
Bei Berücksichtigung dieser Zusammenhänge erscheint die Beurteilung der Vorinstanzen hinsichtlich der geforderten Ergänzung des GT S (2011-2013) nicht bundesrechtswidrig:
7.1
Unbegründet ist namentlich die Rüge, das Bundesverwaltungsgericht habe die Intensität des Zusammenhangs zwischen Einnahmengenerierung und Nutzung der tariflichen Leistungen nicht hinreichend gewürdigt. Der genehmigte Tarif berücksichtigt mit der Abstufung gemäss Ziffer 13 ohne weiteres die Kriterien gemäss
Art. 60 Abs. 1 lit. b und c URG
. Mit dem Hinweis auf einen Unterschied zwischen werbefinanzierten und mitgliederbeitragsfinanzierten Radiosendern beanstandet die Beschwerdeführerin im Wesentlichen, dass der Tarif einen Werbeakquisitionskostenabzug vorsieht. Mit Recht hat die ESchK festgestellt, dass dieser Abzug allenfalls in einer künftigen Tarifversion generell diskutiert werden könne, es aber im Lichte der gesetzlichen Regelung, namentlich der 10:3-Relation, nicht gerechtfertigt erscheine, diesen Abzug nur für die Leistungsschutzrechte (nicht aber für die Urheberrechte) mit einem besonderen Zuschlag zu kompensieren. Der Antrag der Beschwerdeführerin läuft darauf hinaus, für die hier umstrittenen Nutzungen diese Relation generell in Frage zu stellen und ist mit den gesetzlichen Vorgaben deshalb nicht vereinbar (vgl. oben E. 6.6).
7.2
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf nicht regulierte Märkte - und zwar einerseits auf den Online-Markt und andererseits auf die Situation vor der Unterstellung des Vervielfältigungsrechts unter die kollektive Verwertung (Revision des URG vom 5. Oktober 2007, in Kraft ab 1. Juli 2008). In Bezug auf den Online-Markt ist jedoch nicht dargetan, dass es sich dabei tatsächlich um einen vergleichbaren Markt handelt, so dass die dort allenfalls erzielten Abgeltungen beim derzeitigen Kenntnisstand nicht ausschlaggebend sind. Bezüglich der Situation vor dem 1. Juli 2008 beruft sich die Beschwerdeführerin auf eine Aussage im angefochtenen Urteil, wonach die ESchK in ihrer Vernehmlassung darauf verweise, dass Leistungsschutzrechte im früheren, unregulierten schweizerischen Sendemarkt höher entschädigt worden seien. Daraus ergibt sich aber nicht, ob und in welchem Umfang bzw. unter welchen Rahmenbedingungen für die hier strittigen Nutzungen höhere Preise resultiert haben. Eine Unangemessenheit des GT S (2011-2013) in der genehmigten Fassung ist damit wiederum nicht rechtsgenügend dargetan.
7.3
Schliesslich beanstandet die Beschwerdeführerin, der Vergleich mit dem Ausland sei zu wenig berücksichtigt worden. Da die
BGE 140 II 305 S. 314
Abgeltung - konventionsrechtlich vorgeschrieben - dem wirtschaftlichen Wert entsprechen soll, sei schwer verständlich, weshalb die Entgelte in anderen Ländern bis zum Doppelten der in der Schweiz bezahlten betrügen.
7.3.1
Wie ausgeführt (oben E. 6.3) ist
Art. 15 Abs. 1 WPPT
offen formuliert und legt keine bestimmte Methode für die Beurteilung der Angemessenheit fest. Es ist daher denkbar, dass unterschiedliche nationale Gesetzgebungen den Begriff der Angemessenheit abweichend voneinander konkretisieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Vergleiche mit ausländischen Tarifen zwar zulässig und sinnvoll; sie haben aber bloss eine beschränkte Aussagekraft, da die nationalen Gesetzgebungen unterschiedliche Kriterien vorgeben und auch die tatsächlichen Umstände differieren können (vgl. E. 8.6.4 des angefochtenen Urteils); vor dem Hintergrund der Schwierigkeit, das angemessene Entgelt zu bestimmen, erscheint der Vergleich mit ausländischen Tarifen dennoch als eines der wenigen greifbaren und berechenbaren Kriterien, vorausgesetzt er wird in einer Weise durchgeführt, die den massgebenden Unterschieden Rechnung trägt (zit. Urteil 2A.142/1994 E. 11c-e; vgl. auch DIETER MEIER, Das Tarifverfahren nach schweizerischem Urheberrecht, 2012, S. 78 Rz. 168).
7.3.2
Die Vorinstanz hat die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Daten zum Auslandsvergleich eingehend gewürdigt. Sie hat berücksichtigt, dass gemäss der von ihr vorgelegten Studie in den meisten (aber nicht allen) europäischen Ländern die Vergütungen für Leistungsschutzrechte höher sind als gemäss dem hier zur Diskussion stehenden Tarif. Sie hat festgehalten, dass es aufgrund der vielen Parameter indessen schwierig erscheine, festzustellen, ob und inwiefern die Zahlen untereinander verglichen werden könnten. Diese Einschätzung ist nicht offensichtlich unrichtig und für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass tendenziell und durchschnittlich die in EU- und EWR-Ländern bezahlten Vergütungen höher sind als diejenigen in der Schweiz, kann angesichts der völkerrechtlich zulässigen gesetzlichen Regelung von
Art. 60 Abs. 2 URG
(vgl. oben E. 6.6), des fachlichen Ermessens der ESchK (nicht publ. E. 2.2) und der ungenügenden Datengrundlage der GT S (2011-2013) in der vorliegend genehmigten Form nicht als rechtswidrig bezeichnet werden. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ad6f5059-e1f4-4161-8b97-ee2bd548caac | Urteilskopf
126 V 119
22. Urteil vom 12. April 2000 i. S. Ersatzkasse UVG gegen H. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 68 Abs. 1,
Art. 72 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 1 UVG
;
Art. 22a VwVG
: Fristenstillstand.
Der in
Art. 22a VwVG
geregelte Fristenstillstand ist auf die Frist zur Einsprache gegen Verfügungen sämtlicher Unfallversicherer anwendbar. | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 126 V 119 S. 119
A.-
Mit Verfügung vom 4. Juli 1996 erachtete die Ersatzkasse UVG eine unfallbedingte weitere Behandlung der H. als nicht notwendig und lehnte eine Leistungspflicht über den 13. Oktober 1995 (Geld- und Sachleistungen) ab. Am 5. September 1996 erhob H. Einsprache, auf welche die Ersatzkasse UVG mit Entscheid vom 11. Dezember 1996 wegen Verspätung nicht eintrat.
BGE 126 V 119 S. 120
B.-
Auf Beschwerde der H. hin hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. April 1999 den Nichteintretensentscheid vom 11. Dezember 1996 auf und wies die Sache an die Ersatzkasse UVG zurück, damit diese über die Einsprache vom 5. September 1996 materiell entscheide.
C.-
Die Ersatzkasse UVG lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei der Einspracheentscheid vom 11. Dezember 1996 zu bestätigen.
H., Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eingeschränkte Kognition; vgl.
BGE 125 V 34
Erw. 1b)
2.
a) Die Verfügung der Ersatzkasse UVG, bei welcher es sich um eine privatrechtliche Stiftung handelt (
Art. 72 Abs. 1 UVG
,
Art. 80 ZGB
), ist der früheren Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin nach der verbindlichen Feststellung des kantonalen Gerichts am 5. Juli 1996 zugestellt worden. Die Einsprachefrist von 30 Tagen gemäss
Art. 105 Abs. 1 UVG
lief am Montag, 5. August 1996, ab. Soweit der in
Art. 22a VwVG
(lit. b: vom 15. Juli bis und mit 15. August) geregelte Fristenstillstand auf Verfügungen der Ersatzkasse UVG Anwendung findet, ist die am 5. September 1996 der Post übergebene Einsprache als rechtzeitig zu betrachten, andernfalls wäre sie verspätet.
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in
BGE 124 V 372
die Frage der Anwendbarkeit von
Art. 22a VwVG
auf nicht dem VwVG unterstellte Unfallversicherer offen gelassen, die Gründe, die für oder gegen eine Anwendbarkeit der Fristenstillstandsbestimmung sprechen, indessen eingehend dargelegt (vgl. dazu auch die Urteilsbesprechung von UELI KIESER in AJP 1999 S. 339 f.).
Für die Beantwortung der umstrittenen Frage ist davon auszugehen, dass die übrigen registrierten Versicherer und die Ersatzkasse UVG - im Unterschied zur Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) - nicht dem VwVG unterstellt worden sind (
Art. 96 UVG
in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 2 lit. e und
Art. 3 lit. a VwVG
;
BGE 115 V 299
Erw. 2b; vgl. auch RKUV 1994 Nr. U 194 S. 209 Erw. 2b). Die sich an und für sich daraus ergebende Nichtanwendbarkeit von
Art. 22a VwVG
entspricht der in verschiedenen Sozialversicherungszweigen herrschenden Rechtslage, wo es
BGE 126 V 119 S. 121
eidgenössische, kantonale oder private Durchführungsstellen gibt, auf welche das VwVG, kantonales Verwaltungsverfahrensrecht oder lediglich die allgemeinen, aus der Bundesverfassung oder aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
abgeleiteten Verfahrensgrundsätze anwendbar sind (
BGE 125 V 401
; MEYER-BLASER, Die Rechtspflege in der Sozialversicherung, in: BJM 1989 S. 21 f.; UELI KIESER, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, Zürich 1999, S. 126 ff., insbes. S. 134 Rz. 296). Was den Bereich der Unfallversicherung anbelangt, hat der Gesetzgeber in
Art. 96 UVG
die Verfahrensbestimmungen des UVG auch für diejenigen Versicherer anwendbar erklärt, die nicht dem VwVG unterstehen. In den folgenden Artikeln (Art. 97 ff.) hat er einen Mindeststandard aufgestellt, z.B. in
Art. 97 Abs. 1 UVG
(Fristwahrung),
Art. 97 Abs. 2 UVG
(Fristwiederherstellung),
Art. 99 UVG
(Verfügung) und
Art. 105 Abs. 1 UVG
(30-tägige Einsprachefrist), welche für alle Versicherer - SUVA und übrige registrierte Unfallversicherer - gelten. Gerade keinen solchen Mindeststandard hat der Gesetzgeber für den Fristenstillstand vorgesehen, was im Übrigen mit der Rechtslage hinsichtlich des kantonalen Beschwerdeverfahrens übereinstimmt: Dort ist die Regelung des Fristenstillstandes den Kantonen überlassen, was zur Folge hat, dass eine Partei im kantonalen Gerichtsverfahren, je nach örtlichem Gerichtsstand, vom Fristenstillstand profitieren kann oder nicht. Dementsprechend hat das Eidg. Versicherungsgericht
Art. 22a VwVG
auf die kantonalen Beschwerdeverfahren als nicht anwendbar erklärt (
BGE 116 V 265
; RKUV 1994 Nr. U 194 S. 208; für den Bereich der Krankenversicherung [
Art. 86 Abs. 1 KVG
]: nicht veröffentlichtes Urteil C. vom 9. April 1998).
c) Diese Rechtslage ist unter dem Gesichtswinkel der verfassungsmässigen Rechtsgleichheit (
Art. 8 Abs. 1 BV
) als unbefriedigend zu betrachten, weil die Anwendbarkeit des Fristenstillstandes nach
Art. 22a VwVG
ausschliesslich vom Umstand abhängig gemacht wird, welcher Unfallversicherer die mit Einsprache anfechtbare Verfügung erlassen hat, und diese prozessuale Eigenheit den Rechtsuchenden in der Regel nicht bekannt ist. Dies erscheint umso bedenklicher, als der Gesetzgeber mit dem Erlass der Verfahrensvorschriften nach
Art. 96 ff. UVG
- im Unterschied zu anderen Sozialversicherungszweigen - bereits auf der Stufe des Verwaltungsverfahrens einen gewissen Mindeststandard setzen wollte. Insbesondere strebte er mit
Art. 97 UVG
"die Gleichbehandlung der Arbeitgeber und Versicherten hinsichtlich der Fristen bei allen
BGE 126 V 119 S. 122
Versicherungsträgern" an (Botschaft des Bundesrates vom 18. August 1976, BBl 1976 III 222). Nicht nur fasste er den Wortlaut von
Art. 97 UVG
entsprechend den
Art. 20 Abs. 3,
Art. 21 und
Art. 24 VwVG
, sondern er vertrat auch die Auffassung - obgleich dies im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden hat - dass die Art. 20 Abs. 1 und 2,
Art. 22 und
Art. 23 VwVG
sinngemäss anwendbar sein sollen (bundesrätliche Botschaft, a.a.O.). Nach seinem klaren Willen sollte mithin gerade im Bereich der Fristen im Verwaltungsverfahren vor den Versicherern eine einheitliche und rechtsgleiche Regelung im Sinne eines Mindeststandards gelten. Nach Inkrafttreten des UVG wurde im Zusammenhang mit der Teilrevision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 4. Oktober 1991, in Kraft seit 15. Februar 1992 (AS 1992 S. 288), neu
Art. 22a VwVG
über den Stillstand der Fristen ins VwVG eingefügt und damit erstmals in diesem Gesetz eine Fristenstillstandsregelung getroffen. Diese Gesetzesänderung geht auf einen parlamentarischen Vorstoss in Form eines Postulats durch Nationalrätin Josi Meier zurück (Amtl.Bull. 1979 N 352 f.), wonach zum Schutze der Rechtsuchenden für die in bundesrechtlich geordneten Verwaltungsverfahren vorgesehenen gesetzlichen Fristen ein Stillstand (Gerichtsferien) vorzusehen sei, der zeitlich an die entsprechenden Bestimmungen des OG anknüpfe. Anlässlich dieser Gesetzesrevision unterblieb eine Angleichung von
Art. 97 UVG
an die neue Rechtslage. Dass dies bewusst geschehen sein könnte, lässt sich den Materialien nicht entnehmen. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass für andere Sozialversicherungszweige angesichts der in
Art. 96 AHVG
enthaltenen generellen Verweisung auf die
Art. 20-24 VwVG
eine Gesetzesanpassung nicht nötig war (vgl. dazu auch
BGE 122 V 65
und ZAK 1992 S. 154). Unter diesen Umständen ist auf eine vom Gericht nach Massgabe des
Art. 1 Abs. 2 ZGB
zu füllende echte Gesetzeslücke (zu diesem Begriff vgl.
BGE 125 V 11
f. Erw. 3 mit Hinweisen) zu schliessen. Angesichts der vom Gesetzgeber mit
Art. 97 UVG
angestrebten Gleichbehandlung der Rechtsuchenden im Bereich des Fristenwesens ist die Anwendung von
Art. 22a VwVG
im Verfahren vor sämtlichen Unfallversicherern zu bejahen, wie dies auch im Schrifttum (GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], S. 264 und 338) und in der kantonalen Rechtsprechung (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Waadt vom 15. März 1994, publiziert in SVR 1995 UV Nr. 18 S. 49 f.) vertreten wird.
BGE 126 V 119 S. 123
d) Nach dem Gesagten ist die Einsprache der Beschwerdegegnerin rechtzeitig, wie das kantonale Gericht zutreffend entschieden hat.
3.
(Gerichtskosten) | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad700599-90eb-4f3b-a9e6-d59f96dda1bb | Urteilskopf
136 I 285
27. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause X. contre Service des migrations du canton de Berne (recours en matière de droit public)
2C_505/2009 du 29 mars 2010 | Regeste
Art. 8 EMRK
; Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung der ausländischen Mutter gestützt auf ihre Beziehung zu ihrem Kind, das schweizerischer Staatsangehöriger ist.
Gesichtspunkte, die in die Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen einzubeziehen sind. Einzig ein Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung von einer gewissen Schwere kann das Recht des Schweizer Kindes überwiegen, in seinem Heimatland mit dem Elternteil zu verbleiben, der sich um es sorgt (E. 5.2). Das deliktische Verhalten der Beschwerdeführerin, das im Wesentlichen in engem Zusammenhang mit ihrem illegalen Aufenthalt in der Schweiz steht, erreicht nicht diesen Schweregrad (E. 5.3). | Sachverhalt
ab Seite 286
BGE 136 I 285 S. 286
Ressortissante de la République démocratique du Congo (ci-après: le Congo) née en 1978, X. est entrée illégalement en Suisse le 14 janvier 2001 et a déposé une demande d'asile qui a été rejetée le 8 mars 2001. Le renvoi prononcé à son encontre est entré en force en mai 2001.
X. a fait l'objet de différentes condamnations.
- Le 27 août 2003, elle a été condamnée dans le canton de Bâle-Ville à 15 jours de prison et 500 fr. d'amende pour entrée illégale en Suisse, sans visa ni documents de voyage valables et malgré un renvoi entré en force.
- En septembre 2005, elle a été condamnée en France à 3 mois de prison après être entrée dans ce pays sous une fausse identité pour y déposer une demande d'asile.
- A deux reprises, les 2 novembre 2006 et 29 juin 2007, elle a été condamnée dans le canton de Soleure pour avoir circulé sans titre de transport valable.
Le 31 mai 2007, X. a donné naissance à un fils, Y., qui a été reconnu, le 3 décembre 2007, par Z., ressortissant suisse d'origine congolaise, de sorte que cet enfant a acquis la nationalité suisse. Le 29 janvier 2008, les parents de Y. ont signé une convention d'entretien prévoyant que le droit de garde et l'autorité parentale soient attribués à la mère et que le père verse une contribution mensuelle d'entretien de 357 fr. à quoi s'ajouteraient les allocations pour enfant. Le 16 février 2009, ils ont signé une convention réglant le droit de visite du père.
Le 11 décembre 2007, X. a requis l'octroi d'une autorisation de séjour au titre du regroupement familial. Par décision du 27 mars 2008, le Service des migrations du canton de Berne a rejeté la demande. Le 15 janvier 2009, la Direction de la police et des affaires militaires du canton de Berne a rejeté le recours de X. contre la décision précitée du 27 mars 2008. X. a alors porté sa cause devant la Cour des affaires de langue française du Tribunal administratif du canton de Berne (ci-après: le Tribunal administratif), qui a rejeté le recours par jugement du 10 juin 2009.
A l'encontre du jugement du Tribunal administratif du 10 juin 2009, X. a déposé au Tribunal fédéral un recours en matière de droit public, subsidiairement un recours constitutionnel subsidiaire. Elle conclut en substance à l'annulation du jugement attaqué. Elle conclut aussi à l'octroi en sa faveur d'une autorisation de séjour en Suisse,
BGE 136 I 285 S. 287
subsidiairement, au renvoi du dossier "à l'autorité cantonale" pour nouvelle décision lui accordant une autorisation de séjour en Suisse et, plus subsidiairement, au renvoi du dossier au Tribunal administratif pour complément d'instruction.
Le Tribunal fédéral a admis le recours en matière de droit public, dans la mesure où il était recevable, et annulé le jugement attaqué. Il a déclaré irrecevable le recours constitutionnel subsidiaire.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
5.
(...)
5.2
Le Tribunal fédéral s'est déjà prononcé sur le droit de séjour en Suisse du parent étranger fondé sur la protection de la relation parent/enfant garantie par l'
art. 8 CEDH
, lorsque ce parent a le droit de garde ou l'autorité parentale sur son enfant suisse (cf.
ATF 135 I 143
consid. 2.2 et 2.3 p. 147 s.,
ATF 135 I 153
consid. 2.2.1 p. 156 et la jurisprudence citée). Il a récemment précisé les critères à prendre en considération, en soulignant la nécessité de tenir davantage compte à l'avenir des droits découlant de la nationalité suisse de l'enfant et de la Convention du 20 novembre 1989 relative aux droits de l'enfant (RS 0.107;
ATF 135 I 153
consid. 2.2.2 p. 156 s.). Le Tribunal fédéral a cependant rappelé que l'on ne pouvait déduire de ces dispositions une prétention directe à l'obtention d'une autorisation de séjour, mais que celles-ci devaient être prises en compte lors de la pesée des intérêts découlant de l'
art. 8 par. 2 CEDH
(
ATF 135 I 153
consid. 2.2.2 in fine p. 157 et la jurisprudence citée).
Pour déterminer si l'on peut contraindre un enfant suisse à suivre son parent à l'étranger, il faut tenir compte non seulement du caractère admissible de son départ, mais aussi de motifs d'ordre et de sécurité publics qui peuvent justifier cette conséquence. Ainsi, lors de la pesée des intérêts au sens de l'
art. 8 par. 2 CEDH
, le fait que le parent étranger qui cherche à obtenir une autorisation de séjour a adopté un comportement illégal est à prendre en compte dans les motifs d'intérêt public incitant à refuser l'autorisation requise (arrêt 2C_697/2008 du 2 juin 2009 consid. 4.1; cf. aussi
ATF 135 I 153
consid. 2.2.4 p. 158). Cependant, seule une atteinte d'une certaine gravité à l'ordre et à la sécurité publics peut l'emporter sur le droit de l'enfant suisse de pouvoir grandir dans sa patrie avec le parent qui a le droit de garde et l'autorité parentale sur lui.
BGE 136 I 285 S. 288
5.3
En l'occurrence, la recourante est arrivée en Suisse en janvier 2001, après avoir quitté son pays à plus de 22 ans; même si elle craint des difficultés de réinsertion sociale, elle a des racines dans sa patrie où elle a vécu l'essentiel de sa vie. Quant à l'enfant Y., il est encore très jeune, à un âge (un peu plus de 2 ans quand le jugement attaqué est intervenu) où il peut facilement s'adapter (cf. arrêts 2C_2/2009 du 23 avril 2009 consid. 3.3.1 et 2C_372/2008 du 25 septembre 2008 consid. 3.3). Comme le Tribunal administratif l'a relevé, le fait que les conditions de vie et d'éducation soient meilleures en Suisse ne suffit pas pour empêcher Y. de suivre à l'étranger sa mère qui détient le droit de garde et l'autorité parentale sur lui, même s'il s'agit d'éléments importants dans la pesée des intérêts (cf. arrêt 2C_2/2009 du 23 avril 2009 consid. 3.3.1).
Le départ de l'enfant Y. aurait des répercussions sur les liens l'unissant à son père, relation qu'il convient d'examiner. Sur le plan économique, il ressort du jugement attaqué que Z. a signé une convention d'entretien le 29 janvier 2008 seulement, soit quelque 8 mois après la naissance de son fils. En outre, il a été constaté que Z. n'avait pas tenu ses engagements financiers en ce qui concernait aussi bien le versement de la pension alimentaire que celui des allocations familiales. Sur le plan affectif, le Tribunal administratif a retenu que Y. n'avait jamais vécu avec son père et qu'il n'avait jamais été envisagé qu'ils cohabitent, puisque Z. vivait avec sa femme et leur fille. D'ailleurs le droit de visite du père sur son fils n'avait été réglé que tardivement, par une convention du 16 février 2009, date du dépôt du recours de X. au Tribunal administratif. Au demeurant la relation établie entre le père et son très jeune fils, à raison d'une douzaine d'heures par semaine, n'avait rien d'extraordinaire. Au regard de ces éléments, c'est à juste titre que le Tribunal administratif a considéré que Z. n'avait pas tissé des liens économiques et affectifs particulièrement forts avec l'enfant Y. Toutefois, un éventuel départ de cet enfant pour suivre sa mère au Congo affecterait sensiblement l'exercice du droit de visite du père, ce qui serait regrettable pour Y.
Pour ce qui est de la recourante, on soulignera qu'elle est entrée illégalement en Suisse et que la décision de renvoi la concernant est définitive depuis le mois de mai 2001. Hormis quelques infractions mineures à la loi fédérale du 4 octobre 1985 sur les transports publics en vigueur jusqu'au 31 décembre 2009 (LTP; RO 1986 1974),
BGE 136 I 285 S. 289
l'intéressée a enfreint la loi fédérale du 26 mars 1931 sur le séjour et l'établissement des étrangers en vigueur jusqu'au 31 décembre 2007 (LSEE; RS 1 113), ce qui lui a valu une condamnation à 15 jours de prison et 500 fr. d'amende. En France, elle a été condamnée à une peine de prison pour être entrée dans ce pays sous une fausse identité afin de déposer une demande d'asile. Force est cependant de constater que, si la recourante a eu une attitude répréhensible à plusieurs reprises, elle n'a pas commis d'infractions portant gravement atteinte à l'ordre et à la sécurité suisses. Pour l'essentiel, le comportement délictueux de l'intéressée est en relation étroite avec l'illégalité de son séjour en Suisse et tombe sous le coup de dispositions pénales du droit des étrangers, soit de droit pénal administratif. Les infractions commises en l'espèce n'atteignent pas le degré de gravité qui, selon la jurisprudence (
ATF 135 I 153
consid. 2.2.4 p. 158), fait primer l'intérêt public au respect de l'ordre et de la sécurité sur l'intérêt privé de l'enfant suisse à pouvoir vivre dans son pays avec le parent qui s'occupe de lui. Il apparaît dès lors que, dans la pesée qu'il a faite des intérêts en présence, le Tribunal administratif a violé le principe de la proportionnalité et, par conséquent l'
art. 8 CEDH
. C'est donc à tort qu'il a confirmé le refus d'autorisation de séjour prononcé à l'endroit de la recourante. | public_law | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad7275eb-bb26-485e-92b3-cc7536465428 | Urteilskopf
117 Ia 497
75. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Dezember 1991 i.S. R. gegen Gemeinde Oberschrot und Staatsrat des Kantons Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Anspruch auf rechtliches Gehör.
Findet nach einer Plankorrektur eine nochmalige Planauflage statt, so wird der Anspruch betroffener Grundeigentümer auf rechtliches Gehör grundsätzlich nicht verletzt (E. 2a).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
;
Art 22ter BV
; gerichtliche Überprüfung von Zonenplänen, die von einer Gemeindeexekutive erlassen wurden.
Der Kognitionsbeschränkung des Bundesgerichtes hinsichtlich der Sachverhaltsüberprüfung kommt vorliegend keine Bedeutung zu, da sich aufgrund des Augenscheins und der Instruktionsverhandlung ergibt, dass der Sachverhalt, soweit er für die Beurteilung der fraglichen Zonierungsfrage erheblich ist, nicht bestritten ist (E. 2c und d). Die richterliche Zurückhaltung bei der Beurteilung des Planungsermessens widerspricht
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht (E. 2e). | Sachverhalt
ab Seite 498
BGE 117 Ia 497 S. 498
R. ist Eigentümer der Grundstücke Art. Nr. 412aa, 607, 608, 609 und 610, alle Grundbuch Oberschrot. Die letztgenannten vier Parzellen hatte er von Grundstück Nr. 412aa abparzellieren lassen. Sie grenzen an das heute überbaute Quartierplangebiet "Sahli" an, waren jedoch zu keiner Zeit einer Bauzone zugeteilt.
Im Zuge der Ausarbeitung einer den Anforderungen des Bundesrechts und des kantonalen Rechts entsprechenden Ortsplanung legte der Gemeinderat Oberschrot einen neuen Zonenplan öffentlich auf. Nach diesem Plan lagen die Grundstücke Art. Nr. 607-610 in der Wohnzone mit schwacher Besiedlungsdichte. Gegen diese Erweiterung des Quartierplangebietes "Sahli" erhoben angrenzende
BGE 117 Ia 497 S. 499
Liegenschaftseigentümer Einsprache. Bei der Prüfung ihrer Einwendungen stellte der Gemeinderat im Anschluss an eine mit den Einsprechern durchgeführte Verhandlung fest, dass die Grundstücke Art. Nr. 607-610 vom Gemeindeplaner irrtümlich einer Wohnzone zugewiesen worden seien. Der Gemeinderat ordnete die Korrektur des Fehlers an, ohne R. hievon Kenntnis zu geben. Doch legte der Gemeinderat den bereinigten Zonenplan neu öffentlich auf. Gemäss korrigiertem Plan liegen die Grundstücke Art. Nr. 607-610 in der Landwirtschaftszone.
R. erhob gegen diese Zuweisung seiner Grundstücke Einsprache. Der Gemeindevertreter orientierte ihn hierauf an einer Einspracheverhandlung über den dem Planer der Gemeinde unterlaufenen Fehler und legte dar, dass der Gemeinderat schon im Jahre 1988 beschlossen hatte, den schützenswerten Hügelzug "Uf der Egg", zu welchem die Parzellen von R. gehören, nicht weiter überbauen zu lassen. Einzig im Fall der Erben D. sei entsprechend deren Begehren eine Ausnahme gemacht worden. Zu Gunsten deren Parzellen hatte R. ein Wegrecht eingeräumt, nach seiner Darstellung allerdings nur in der Meinung, dass auch seine Parzellen Art. Nr. 607-610 der Bauzone zugewiesen würden.
Der Staatsrat des Kantons Freiburg genehmigte am 6. Juli 1990 den Zonenplan und wies das Begehren von R. um Einweisung seiner Parzellen in eine Bauzone ab.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragte R., der Beschluss des Staatsrates sei aufzuheben. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der Beschwerdeführer bringt vor, im kantonalen Verfahren sei sein verfassungsmässiger Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Hinsichtlich des Anspruches auf rechtliches Gehör im Zusammenhang mit der Festsetzung von Nutzungsplänen hat das Bundesgericht entschieden, wenn ein Antrag auf Umzonung einer Parzelle erstmals in der Gemeindeversammlung gestellt werde, könne ohne Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör auf eine nochmalige Planauflage verzichtet werden, wenn sich der betroffene Grundeigentümer vor der Beschlussfassung an der Versammlung habe äussern können und wenn davon auszugehen sei, dass dieser sich nicht unvorbereitet mit dem betreffenden Antrag habe auseinandersetzen müssen
BGE 117 Ia 497 S. 500
(
BGE 111 Ia 166
ff. E. 2b). Vorliegend hat der Gemeinderat den am 30. September 1988 aufgelegten Zonenplan aufgrund von Einwendungen Dritter geändert, ohne den Beschwerdeführer zuvor anzuhören.
Auch wenn es angebracht gewesen wäre, dem Beschwerdeführer von den Einsprachen, die seine Grundstücke betroffen haben, Kenntnis zu geben und ihn an die mit den Einsprechern geführte Verhandlung einzuladen, so ist doch festzuhalten, dass der Gemeinderat das in Art. 80 des kantonalen Raumplanungs- und Baugesetzes vom 9. Mai 1983 (RPBG) vorgesehene Einspracheverfahren eingehalten hat. Dem Beschwerdeführer ist auch nicht die Möglichkeit genommen worden, seinen Standpunkt dem Gemeinderat darzulegen. Zufolge der Plankorrektur wurde der bereinigte Zonennutzungsplan am 3. Februar 1989 erneut öffentlich aufgelegt. Der Beschwerdeführer konnte somit Einsprache erheben und sich mit der Auffassung des Gemeinderates, die ihm ausserdem an einer Einspracheverhandlung vom Vertreter der Gemeinde mündlich erläutert wurde, auseinandersetzen. Der Vorwurf, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, wäre nur begründet, wenn der Gemeinderat die Plankorrektur im Bereiche der Liegenschaften des Beschwerdeführers vorgenommen hätte, ohne eine nochmalige Planauflage anzuordnen und ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, seinen Standpunkt vorzutragen.
Nachdem dem Beschwerdeführer aber Gelegenheit geboten worden ist, im Rahmen der zweiten Planauflage seinen Standpunkt darzulegen, ist nicht einzusehen, inwiefern ihm durch die vom Gemeinderat angeordnete Plankorrektur im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör ein Rechtsnachteil entstanden sein soll. Der Vorwurf, der Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, ist somit unbegründet.
b) Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang darauf, er habe zugunsten der Parzellen D. (Art. Nr. 685 und 686) auf dem ihm gehörenden Strassengrundstück "Sahli" ein Wegrecht nur in der Meinung begründet, seine Liegenschaften Art. Nr. 607-610 würden in eine Bauzone eingewiesen. Dies habe er aufgrund des am 30. September 1988 aufgelegten Planes annehmen dürfen.
Ein solcher Zusammenhang ist aktenmässig nicht belegt. Einzig die zeitliche Abfolge der Wegrechtsgewährung und der ersten Planauflage bzw. der ersten Einspracheverhandlung könnte für die
BGE 117 Ia 497 S. 501
Auffassung des Beschwerdeführers sprechen. Doch ist das Wegrecht vorbehaltlos gewährt worden. Auch hat der Gemeinderat dem Beschwerdeführer keine Zusicherung auf Einzonung seiner Grundstücke erteilt; der Beschwerdeführer macht dies auch nicht geltend. Im übrigen müsste ein Zusammenhang zwischen der Einräumung eines Wegrechtes für die Überbauung der beiden Parzellen D. und der Einzonung der an der oberen Begrenzung des Quartiers "Sahli" gelegenen Grundstücke des Beschwerdeführers als planerisch nicht sachgerecht bezeichnet werden. Allenfalls hätte der Gemeinderat aufgrund seiner Verantwortung für die Erschliessung der von der Gemeinde ausgeschiedenen Wohnbauzonen die nötigen Schritte einleiten müssen, um die Erschliessung der Parzellen D. auch gegen den Willen des Beschwerdeführers herbeizuführen (Art. 5 des eidgenössischen Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974, SR 843 (WEG); Art. 19 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, SR 700 (RPG); Art. 22 der Verordnung über die Raumplanung vom 2. Oktober 1989, SR 700.1 (RPV); Art. 86 ff. RPBG).
c) Der Beschwerdeführer begehrt, das Bundesgericht möge seine Beschwerde in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht frei prüfen, um die von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
geforderte gerichtliche Überprüfung sicherzustellen. Diese Forderung kann sich nur auf die Rechte des Beschwerdeführers beziehen, somit auf die Frage, ob aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Einzonung seiner Grundstücke in eine Bauzone besteht. In diesem Zusammenhang ist auf den Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über einen von einer Gemeindeexekutive erlassenen Bebauungsplan hinzuweisen, welcher für einen Grundeigentümer Beschränkungen der Überbaubarkeit seiner Parzelle bewirkte; der Gerichtshof hat in diesem Urteil die Bestimmung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
für anwendbar erklärt (Urteil MATS JACOBSSON vom 28. Juni 1990, Série A vol. 180-A, Ziff. 34, = Revue universelle des droits de l'homme (RUDH) 1990 S. 434 (436)). Eine weitergehende Überprüfung der gesamten Ortsplanung von Oberschrot ist aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
jedoch nicht herzuleiten. In seinen Rechten betroffen ist der Beschwerdeführer nur, soweit seine Grundstücke in Frage stehen.
d) In tatsächlicher Hinsicht ist festzustellen und durch den Augenschein sowie die Instruktionsverhandlung bestätigt worden, dass der für die Beurteilung der umstrittenen Zonierungsfrage
BGE 117 Ia 497 S. 502
erhebliche Sachverhalt nicht bestritten ist. Dementsprechend kommt der Beschränkung der Kognition des Bundesgerichts hinsichtlich der Überprüfung von Sachverhaltsfragen (
BGE 115 Ia 372
E. 3 und 385 f. E. 3 mit Hinweisen) im vorliegenden Falle keine Bedeutung zu.
e) In rechtlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer richtigerweise nicht geltend, die Einweisung seiner Parzellen Nr. 607-610 in die Landwirtschaftszone stütze sich nicht auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Diese ist klarerweise in den
Art. 14 ff. RPG
sowie in den Art. 33 ff. RPBG gegeben. Die unter Umständen nur begrenzte Überprüfung der gesetzlichen Grundlage, die sich aus dem Umfang des Verfassungsschutzes gemäss
Art. 22ter BV
ergibt (
BGE 113 Ia 448
E. 4a), ist somit im vorliegenden Falle im Hinblick auf die von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verlangte umfassende Rechtskontrolle ebenfalls ohne Belang. Es braucht daher nicht abschliessend beurteilt zu werden, ob und inwieweit das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 22ter BV
der geforderten richterlichen Rechtsanwendungskontrolle genügt (
BGE 114 Ia 19
E. 2c).
Im vorliegenden Falle ist diese Kontrolle gewährleistet, hängt doch der Ausgang der Sache von der Interessenabwägung ab. Massgebend ist, ob ausreichende öffentliche Interessen die Einweisung der in Frage stehenden Parzellen in die Landwirtschaftszone zu rechtfertigen und die entgegenstehenden privaten Interessen des Beschwerdeführers an einer Nutzung seines Landes als Bauland zu überwiegen vermögen. Diese Frage überprüft das Bundesgericht umfassend; es auferlegt sich lediglich Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht. Dies gilt insbesondere bei der Überprüfung von Zonengrenzen. Das Bundesgericht, das selbst nicht oberste Planungsinstanz ist, hat den Beurteilungs- und Ermessensspielraum, welcher den kommunalen und kantonalen Instanzen hinsichtlich der Grenzziehung zusteht, zu beachten (
BGE 115 Ia 385
f. E. 3 mit Hinweisen).
Die richterliche Zurückhaltung bei der Beurteilung des Ermessens, das den Planungsbehörden und dem Gemeinderat zusteht, widerspricht der EMRK nicht; sie steht der verlangten umfassenden Rechtsanwendungskontrolle nicht entgegen. So verlangt
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
keine Ermessenskontrolle (
BGE 115 Ia 191
f. E. 4b mit Hinweisen; EBERHARD SCHMIDT-ASSMANN, Verfahrensgarantien
BGE 117 Ia 497 S. 503
im Bereich des öffentlichen Rechts mit Blick auf
Art. 6 Abs. 1 EMRK
, in: Schriften des österreichischen Instituts für Menschenrechte, Band 1, 1989, S. 89 ff., S. 106 f.). Ob die zuständige Behörde ihren Beurteilungs- und Ermessensspielraum pflichtgemäss ausgeübt hat oder ob Ermessensüberschreitung oder -missbrauch vorliegt, ist Rechtsfrage und wird vom Verfassungsrichter ohne Beschränkung seiner Kognition geprüft (
BGE 107 Ia 38
E. 3c).
f) Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass zu Beginn des Jahres 1992 das vom Kanton Freiburg mit Gesetz vom 24. April 1990 geschaffene kantonale Verwaltungsgericht seine richterliche Funktion aufnehmen wird. Mit Gesetz vom 25. September 1991 zur Anpassung der kantonalen Gesetzgebung an das Gesetz über die Organisation des Verwaltungsgerichts und an das Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege wurde das Raumplanungs- und Baugesetz vom 9. Mai 1983 in dem Sinne geändert, dass über Einspracheentscheide des Gemeinderates der Oberamtmann urteilt. Dessen Entscheide können mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden (Art. 80a RPBG). Somit wird ab 1992 auf kantonaler Ebene eine umfassende richterliche Kontrolle umstrittener Zonierungsstreitigkeiten gegeben sein. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ad745ab4-ce82-42b6-b055-46669260dd33 | Urteilskopf
118 Ia 488
64. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. November 1992 i.S. B. gegen Anwaltsprüfungskommission des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
sowie
Art. 40 OG
i.V.m.
Art. 72 BZP
; aktuelles praktisches Interesse als Voraussetzung der Anfechtung eines Prüfungsentscheides mittels staatsrechtlicher Beschwerde.
1. Hat ein Examenskandidat die Prüfung im zweiten Versuch bestanden, verfügt er nicht mehr über ein aktuelles praktisches Interesse an einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen den ersten negativen Prüfungsentscheid. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Frage der Widerrechtlichkeit Bestandteil eines selbständigen Haftungsprozesses sein kann, selbst im Hinblick auf die allfällige Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen (E. 1).
2. Auch wenn die fehlende Legitimation in der Sache die Rüge der formellen Rechtsverweigerung nicht ausschliesst, befreit dies nicht davon, dass wenigstens ein aktuelles praktisches Interesse an der formellen Rüge bestehen muss (E. 2).
3. Kostenregelung, wenn die staatsrechtliche Beschwerde infolge nachträglichen Wegfalls des Interesses abzuschreiben ist (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 489
BGE 118 Ia 488 S. 489
Im Oktober 1991 absolvierte B. den schriftlichen Teil der Anwaltsprüfung des Kantons Luzern. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1991 teilte ihm die Anwaltsprüfungskommission des Kantons Luzern mit, dass der schriftliche Teil der Prüfung nicht bestanden und in allen vier Fächern (ZGB/OR, StGB/StPO, SchKG, Verwaltungsrecht) zu wiederholen sei.
Am 28. November 1991 erhob B. staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Im wesentlichen beantragt er, die ungenügenden Bewertungen in den Fächern ZGB/OR und Verwaltungsrecht sowie die Auflage der Prüfungskommission, die schriftlichen Prüfungen in allen Fächern zu wiederholen, seien aufzuheben.
BGE 118 Ia 488 S. 490
In ihrer Vernehmlassung vom 21. Januar 1992 schliesst die Anwaltsprüfungskommission auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
Auf Begehren von B. ordnete der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts am 5. Februar 1992 einen zweiten Schriftwechsel an. In Replik vom 27. März 1992 und Duplik vom 15. Mai 1992 halten die Parteien im wesentlichen an ihren Standpunkten fest. Die Anwaltsprüfungskommission wies zudem darauf hin, dass B. in der Zwischenzeit die Anwaltsprüfung des Kantons Luzern bestanden habe und ihm vom Obergericht das Anwaltspatent erteilt worden sei.
Auf schriftliche Anfrage des Instruktionsrichters vom 15. Juli 1992 hin teilte B. dem Bundesgericht am 27. August 1992 mit, dass er vollumfänglich an seiner Beschwerde festhalte. Dabei nahm er eingehend zur Frage Stellung, ob er überhaupt noch über ein aktuelles Interesse an der Beschwerde verfüge.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 88 OG
muss der Beschwerdeführer ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids beziehungsweise an der Überprüfung der von ihm erhobenen Rügen haben, damit auf die Beschwerde eingetreten werden kann (
BGE 116 Ia 150
E. 2a;
BGE 116 II 729
E. 6;
BGE 114 Ia 90
E. 1b). Ein aktuelles praktisches Interesse fehlt insbesondere dann, wenn der Nachteil auch bei Gutheissung der Beschwerde nicht mehr behoben werden kann (
BGE 116 II 729
E. 6). Liegt das praktische Interesse im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung vor, fällt es aber nachträglich weg, ist die Beschwerde als erledigt abzuschreiben (
Art. 72 BZP
in Verbindung mit
Art. 40 OG
).
b) Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer in der Zeit seit Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde die Anwaltsprüfung wiederholt und bestanden hat, fragt sich, ob er noch über ein aktuelles praktisches Interesse an der staatsrechtlichen Beschwerde verfügt. Unmittelbar hätte die Gutheissung dieser Beschwerde nur eine bessere Ausgangslage des Beschwerdeführers im damaligen Prüfungsverfahren beziehungsweise im Hinblick auf eine allfällige Examenswiederholung bewirken können. Nach inzwischen bestandener Prüfung ist jedoch nicht mehr von Belang, welche Bewertungen ihm in den früheren schriftlichen Examen zuteil wurden. Ebensowenig
BGE 118 Ia 488 S. 491
kommt es heute noch darauf an, ob bei einer erneuten Prüfung die schriftlichen Examen in allen Fächern oder nur teilweise zu wiederholen wären. Gemessen an der unmittelbaren Auswirkung der staatsrechtlichen Beschwerde auf die Prüfungssituation des Beschwerdeführers ist damit sein Interesse an der Beschwerde grundsätzlich weggefallen.
c) Der Beschwerdeführer wendet allerdings ein, er habe wegen des angefochtenen Entscheids seine Tätigkeit als Anwalt erst fünf Monate später aufnehmen können. Während dieser Zeit habe er wegen Verdienstausfalls einen Schaden erlitten; zudem habe er die Prüfungsgebühr erneut bezahlen müssen. Er habe ein aktuelles Interesse daran, dass für ein allfällig anderes Verfahren die Widerrechtlichkeit des Prüfungsentscheides festgestellt würde.
Im Interesse der Prozessökonomie kann es jedoch nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, eine Rechtsfrage mit einem Feststellungsurteil rein theoretisch zu entscheiden, wenn dieselbe Frage Bestandteil eines selbständigen Haftungsprozesses zu bilden vermag (vgl.
BGE 110 Ia 141
ff. E. 2). Dafür könnte höchstens insoweit ein praktisches Interesse bestehen, als die Frage der Widerrechtlichkeit im Haftungsprozess selbst nicht mehr gestellt werden dürfte, beziehungsweise als ein solches Verfahren voraussetzen würde, dass alle Möglichkeiten zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Aktes, der die Haftung begründen soll, vorweg ergriffen worden sind.
Da sich die nach Haftungsrecht massgebliche Widerrechtlichkeit indes nicht mit der im staatsrechtlichen Verfahren ausschliesslich rügbaren Verfassungswidrigkeit deckt, kann das Ergebnis eines staatsrechtlichen Verfahrens schon von vorneherein nicht den gänzlichen Ausschluss der Widerrechtlichkeitsfrage im Schadenersatzprozess bewirken. Es erscheint weiter als zweifelhaft, ob eine allfällig vorgesehene Einschränkung der Überprüfbarkeit im Haftungsprozess auch dann gelten kann, wenn die ursprüngliche Verfügung rechtskräftig wurde, weil sie aus prozessualen Gründen gar nicht mehr angefochten werden konnte (vgl.
BGE 110 Ia 142
f.).
Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, kann jedoch offenbleiben, denn der Beschwerdeführer behauptet gar nicht und legt dementsprechend auch nicht dar, dass die Widerrechtlichkeit im Schadenersatzverfahren nicht mehr überprüft werden könnte. Er belegt somit sein angebliches praktisches Interesse an der staatsrechtlichen Beschwerde wegen eines möglichen späteren Haftungsprozesses nicht.
BGE 118 Ia 488 S. 492
2.
a) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er habe jedenfalls insofern ein aktuelles Interesse an der Behandlung der Beschwerde, als er eine formelle Rechtsverweigerung rüge.
Zwar trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein aktuelles Interesse grundsätzlich gegeben ist, wenn eine formelle Rechtsverweigerung geltend gemacht wird. Diese Rechtsprechung, die im Zusammenhang mit Fällen ergangen ist, bei denen auf ein kantonales Rechtsmittel nicht eingetreten wurde (
BGE 113 Ia 250
E. 3;
BGE 108 Ib 124
/5 E. 1a;
BGE 103 Ia 16
E. b), bedeutet aber nicht, dass das aktuelle Interesse immer und ohne weitere Prüfung zu bejahen ist, wenn eine formelle Rechtsverweigerung gerügt wird.
Die aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Rechte gelten nicht um ihrer selbst willen. Sie können daher nur geltend gemacht werden, wenn der Beschwerdeführer im Verfahren rechtlich geschützte Interessen verfolgt oder soweit ihm kantonale Verfahrensvorschriften Rechte im Verfahren einräumen (vgl.
BGE 110 Ia 75
E. a). Diese Berechtigung besteht dann, wenn dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung zukommt. Diesfalls kann sich der Beschwerdeführer unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst auf eine Verletzung der Verfahrensgarantien berufen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (
BGE 114 Ia 312
/3 E. c). Das befreit ihn jedoch nicht davon, wenigstens über ein aktuelles Interesse an den formellen Rügen zu verfügen. Dieses bestimmt sich nach der Zielsetzung der erhobenen Beschwerde und ist zu messen an der möglichen Auswirkung und Tragweite einer allfälligen Gutheissung.
b) Der Beschwerdeführer trägt vor, in den mit "ungenügend" beurteilten Fächern OR/ZGB und Verwaltungsrecht sei ihm eine eigentliche Begründung vorenthalten worden. Das Recht auf eine genügende Begründung eines Entscheides leitet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts aus
Art. 4 BV
ab. Es bezweckt in erster Linie, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache weiterziehen kann (
BGE 117 Ia 3
/4 E. 3a;
BGE 117 Ib 86
;
BGE 114 Ia 242
).
Ist aber das Interesse an der Überprüfung der Benotung im vorliegenden Fall in der Zwischenzeit erloschen, kommt der Frage der genügenden Begründung in diesem Punkt ebenfalls keine Bedeutung mehr zu (vgl.
BGE 117 Ia 95
E. 4a). Das Bundesgericht hat zwar schon festgehalten, die Begründungspflicht diene auch der wirksamen Selbstkontrolle der Behörde (
BGE 112 Ia 109
E. b), doch kann der Beschwerdeführer daraus kein massgebliches eigenes Interesse ableiten.
BGE 118 Ia 488 S. 493
c) Zu den mit "genügend" bewerteten Fächern ZPO/SchKG und StGB/StPO rügt der Beschwerdeführer, es sei ihm die Einsicht in die Akten verweigert worden. Auch der Anspruch auf Akteneinsicht leitet sich aus
Art. 4 BV
ab. Er gilt grundsätzlich nicht nur in einem hängigen, sondern darüber hinaus auch ausserhalb eines formellen Verfahrens. Namentlich kann der unmittelbar Betroffene unabhängig von einem abgeschlossenen oder bevorstehenden Verfahren einen Anspruch auf Akteneinsicht haben. Dieser verfassungsrechtliche Anspruch hängt allerdings davon ab, dass der Rechtssuchende ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen kann (
BGE 113 Ia 4
E. 4a, 261/2 E. 4a).
Im vorliegenden Fall vermag der Beschwerdeführer das Prüfungsergebnis nicht mehr zu beeinflussen. Er befindet sich daher in einer vergleichbaren Lage, wie wenn er Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens nehmen möchte. Es fragt sich, inwiefern er unter diesen Umständen ein schutzwürdiges Interesse an der Akteneinsicht haben könnte.
Für einen eigentlichen Anspruch kaum genügen dürfte sein allgemeines Interesse, sich nachträglich über die genaueren Bewertungen der abgelegten Examen zu informieren. Dies wäre in seinem Fall nicht anders, als wenn zum Beispiel ein Prüfungsabsolvent die Unterlagen nach bestandenem Examen, und ohne dass die Ergreifung eines Rechtsmittels beabsichtigt oder überhaupt noch möglich ist, einsehen will. In Betracht zu ziehen wäre ein schutzwürdiges Interesse allenfalls insoweit, als der Beschwerdeführer die Akteneinsicht im Hinblick auf ein eventuelles Schadenersatzverfahren anstrebt. Wie es sich damit verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben.
Der Beschwerdeführer macht nämlich gar nicht geltend, er hätte unabhängig vom ergriffenen Rechtsmittel Einsicht in die Akten nehmen wollen. Seine Argumentation steht ausschliesslich in engem Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt der ins Auge gefassten und bezweckten Überprüfung des Examensentscheides. Ist sein Interesse daran aber weggefallen, so kann er auch nicht mehr ein solches an einer Akteneinsicht haben, die nichts anderes als ein Vorstadium zum Rechtsmittelverfahren bildet (vgl.
BGE 117 Ia 95
E. 4a).
Sollte der Beschwerdeführer der Akteneinsicht für einen allfälligen Haftungsprozess bedürfen, was er im vorliegenden Verfahren allerdings nicht geltend macht, so kann er immer noch ein entsprechendes Gesuch im Rahmen des Schadenersatzverfahrens stellen.
3.
a) Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die
BGE 118 Ia 488 S. 494
aufgeworfene Frage jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht und sie im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich überprüft werden könnte (
BGE 117 Ia 194
E. 1a;
116 Ia 150
E. 2a;
BGE 116 II 729
E. 6;
BGE 114 Ia 90
/91 E. 5b).
b) Nach Ansicht des Beschwerdeführers könnten sich die Fragen der Begründungspflicht sowie der Notengebung jederzeit erneut stellen; ausserdem sei ihre Beantwortung von grundsätzlicher Bedeutung. Da der Beschwerdeführer selbst die Anwaltsprüfung nicht mehr absolvieren muss, kann dies allerdings höchstens bei anderen künftigen Kandidaten bedeutsam werden. Die gleiche Situation kann sich aber auch bei ihnen nur dann ergeben, wenn sie nicht von einer Prüfungswiederholung ausgeschlossen sind. Selbst wenn eine Examenswiederholung zulässig ist, verbleibt einem potentiellen Beschwerdeführer indessen die Möglichkeit, den Rechtsmittelentscheid abzuwarten, bevor er sich erneut der Prüfung stellt. Entscheidet er sich dafür, schon früher ein weiteres Mal zum Examen anzutreten, kann er sich nicht darauf berufen, die verfassungsgerichtliche Überprüfung des angefochtenen Examensentscheides könne nicht rechtzeitig erfolgen.
c) Damit kann im vorliegenden Fall nicht vom Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses abgesehen werden. Da dieses aber nachträglich weggefallen ist, muss die Beschwerde als erledigt abgeschrieben werden.
4.
a)
Art. 40 OG
in Verbindung mit
Art. 72 BZP
bestimmt, dass bei diesem Verfahrensausgang über die Prozesskosten mit summarischer Begründung auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes zu entscheiden ist. Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Lässt sich dieser im konkreten Fall nicht feststellen, so sind allgemeine prozessrechtliche Kriterien heranzuziehen: Danach wird jene Partei kosten- und entschädigungspflichtig, welche das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst hat oder in welcher die Gründe eingetreten sind, die dazu geführt haben, dass der Prozess gegenstandslos geworden ist (unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 5. Juni 1989 i.S. B. und vom 11. Juli 1988 i.S. B., jeweils E. 2). Die Regelung bezweckt, denjenigen, der in guten Treuen Beschwerde erhoben hat, nicht im Kostenpunkt dafür zu bestrafen, dass die Beschwerde infolge nachträglicher Änderung
BGE 118 Ia 488 S. 495
der Umstände abzuschreiben ist, ohne dass ihm dies anzulasten wäre.
Im vorliegenden Fall erhielt der Beschwerdeführer vom Instruktionsrichter unter Hinweis auf eine mögliche Kostenersparnis Gelegenheit, die Beschwerde zurückzuziehen. Er hat dies nicht getan und auch nicht um Abschreibung im Verfahren gemäss
Art. 72 BZP
ersucht. Vielmehr bestand er auf einem Entscheid, der nun insofern zu seinen Ungunsten ausgeht, als das von ihm behauptete aktuelle Interesse verneint werden muss. Bei diesem Ausgang wird er bereits kostenpflichtig (
Art. 156 Abs. 1 OG
), und es fragt sich, ob noch Anlass zu einer summarischen Prüfung der Lage vor dem Hinfall des aktuellen Interesses besteht. Aber auch diese Prüfung, bei der jedenfalls nicht auf alle Rügen einzeln und detailliert einzugehen ist, führt nicht zu einer andern Kostenteilung.
b) Was die Fragen der Begründungspflicht und der Akteneinsicht betrifft, so erscheint zwar als fraglich, ob es zulässig ist, vom Prüfungskandidaten eine Erklärung zu verlangen, dass er den Prüfungsentscheid anfechten wolle, bevor er eine Begründung erhält. Gemäss Angaben der Anwaltsprüfungskommission ist dies allerdings nur Voraussetzung für eine schriftliche Begründung; eine mündliche wird hingegen bereits auf Anfrage hin erteilt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, vom Kandidaten entsprechende Anstrengungen zu verlangen. Weder in der Beschwerdeschrift noch in der Replik macht der Beschwerdeführer geltend, er habe dies getan. Ein entsprechendes Vorbringen in der Vernehmlassung vom 27. August 1992, in der er sich nur zur Frage des aktuellen Interesses zu äussern hatte, ist verspätet und kann nicht gehört werden.
c) In materieller Hinsicht auferlegt sich das Bundesgericht bei der Überprüfung von Examensleistungen besondere Zurückhaltung, weil derartige Bewertungen nicht nur Spezialkenntnisse voraussetzen, sondern auch Kenntnisse hinsichtlich des vermittelten Stoffes, der Persönlichkeit des Kandidaten, der Leistungen der übrigen Kandidaten usw. Das Bundesgericht untersucht daher nur, ob sich die Prüfungsbehörde von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, so dass der Entscheid unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als nicht mehr vertretbar erscheint (ZBl 90/1989, S. 313 E. 4a;
BGE 106 Ia 2
ff.). Diese Zurückhaltung auferlegt sich das Bundesgericht auch dann, wenn es aufgrund seiner Fachkenntnisse zu einer weitergehenden Überprüfung in der Lage wäre (vgl.
BGE 113 Ia 290
E. 4b).
Die Erfahrung zeigt, dass Rechtsmitteln gegen Examensentscheide aufgrund dieser Zurückhaltung nur selten Erfolgt beschieden ist.
BGE 118 Ia 488 S. 496
In diesem Sinne könnte nur dann angenommen werden, das vorliegende Verfahren wäre zugunsten des Beschwerdeführers ausgegangen, wenn ein rechtlich massgeblicher Fehler der Prüfungsbehörde bei der Lektüre der Unterlagen geradezu ins Auge spränge beziehungsweise unübersehbar wäre. Dies trifft im vorliegenden Fall indessen nicht zu.
d) Infolgedessen ist die Gebühr für das bundesgerichtliche Verfahren dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ad759948-2b05-4d8b-9612-1927176342b3 | Urteilskopf
98 IV 264
54. Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1972 i.S. Bienz gegen Polizei-Inspektorat des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 3 Abs. 4 SVG
.
1. Der Strafrichter ist unter gewissen Voraussetzungen zur Überprüfung der Rechtsbeständigkeit - unter Ausschluss der Angemessenheit - einer Verwaltungsverfügung (in casu Parkreservation) befugt (Erw. 2).
2. Bei der Prüfung der Voraussetzungen zur Aufhebung oder Einschränkung von Parkfeldern ist ein strenger Massstab anzulegen (Erw. 4 und 5).
3. Andere in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe rechtfertigen keine Reservation von Parkplätzen, sondern lediglich Geschwindigkeitsbeschränkungen, Überholverbote, Fahrverbote, Parkverbote in Wohnquartieren, bei Schulen, Spitälern usw. (Erw. 5 d).
Art. 82 Abs. 1 SSV
.
Vorzug der Massnahme, die mit den geringsten Verkehrsbeschränkungen den angestrebten Zweck erreicht (Erw. 4 und 5 e). | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 98 IV 264 S. 265
A.-
In Basel wird seit Jahren während der Mustermesse und andern in deren Räumen durchgeführten Ausstellungen ein Teil der in der Umgebung verfügbaren Parkplätze gegen Entgelt an Aussteller überlassen und für sie reserviert. Andere Ausstellungsstädte gehen ähnlich vor.
B.-
Am 4. Februar 1972 parkierte Erich Bienz seinen Wagen am Riehenring in Basel auf einem Platz, der für die Dauer der Fachmesse IFM für Aussteller reserviert und entsprechend signalisiert war. Der Polizeigerichtspräsident verurteilte Bienz am 7. Juli 1972 in Anwendung der
Art. 27 und 90 SVG
zu einer Busse von Fr. 20.-. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 25. Juli 1972 die Verurteilung.
C.-
Bienz führt Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof mit folgendem Antrag:
"a) Es sei richterlich festzustellen, dass die Anordnung des Polizeidepartements dem geltenden Bundesrecht widerspricht und daher nichtig ist.
b) Es sei der Verzeigte demgemäss von der Anklage des vorschriftswidrigen Parkierens auf Allmend freizusprechen."
BGE 98 IV 264 S. 266
Das Appellationsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
2.
Die Beschwerde rügt eine Verletzung der Art. 27 und 90 in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 4 SVG
.
Gegen Verfügungen, welche Verkehrsbeschränkungen im Sinne von
Art. 3 Abs. 4 SVG
anordnen, sind die Rechtsmittel des Verwaltungsrechts gegeben; gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide kann Beschwerde an den Bundesrat geführt werden (Art. 3 Abs. 4 letzter Satz SVG). Der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe an das Appellationsgericht geltend gemacht, er habe gegen entsprechende Parkplatzreservierungen bereits am 13. Februar 1970, am 13. April und am 8. Juni 1970 Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt erhoben, bis zum 10. Juni 1972 aber noch keinen einzigen Entscheid erhalten, der den Weiterzug an den Bundesrat erlaubt hätte. Weder das Appellationsgericht noch das Polizeigerichtspräsidium treten dieser Behauptung entgegen. Ersteres bestätigte sie indirekt unter Bezugnahme auf die Beschwerdeschrift durch die Erklärung, die Appellation sei weder das vom Gesetz vorgesehene Mittel, um der "Verzögerungstaktik der Basler Regierung" ein Ende zu setzen, noch um die Behörden zum Bau vermehrter Parkgelegenheiten in Gebiet der Mustermesse zu veranlassen.
Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben. Dem wegen Übertretung eines an einen unbestimmten Benützerkreis gerichteten Parkverbots - also einer Allgemeinverfügung - in ein Strafverfahren verwickelten Beschwerdeführer steht unter gewissen Voraussetzungen ein Anspruch auf vorfrageweise Prüfung der Rechtsbeständigkeit der Verfügung durch den Strafrichter zu, unter Ausschluss der Prüfung der Angemessenheit (
BGE 98 IV 106
ff.).
In
BGE 98 IV 106
wurde die Überprüfung einer Individualverfügung durch den Strafrichter ausgeschlossen für den Fall, dass ihre Gesetzmässigkeit bereits von einem Verwaltungsgericht bestätigt worden ist. Dieser gänzliche Ausschluss rechtfertigt sich, weil der individuell Betroffene am verwaltungsgerichtlichen Verfahren stets beteiligt ist und nur er später in einem Strafverfahren angeschuldigt werden kann.
Allgemeinverfügungen richten sich dagegen an einen unbestimmten Personenkreis. War der nunmehr Angeschuldigte am
BGE 98 IV 264 S. 267
vorausgehenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt und wurden dort die von ihm im Strafverfahren erhobenen Einwände gegen die Rechtsbeständigkeit der Allgemeinverfügung nicht beurteilt, so steht insoweit der Verwaltungsgerichtsentscheid einer Überprüfung der Verfügung durch den Strafrichter nicht entgegen.
Ist die Verfügung der Kontrolle eines Verwaltungsgerichts überhaupt entzogen, so kann der Strafrichter sie immer vorfrageweise überprüfen.
Konnte der Betroffene die Rechtsbeständigkeit der Verfügung auf dem Rechtsmittelweg überprüfen lassen, machte er jedoch von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch oder steht der verwaltungsgerichtliche Entscheid zur Zeit der strafrichterlichen Beurteilung noch aus, so darf der Strafrichter die Verfügung nur auf offensichtliche Gesetzesverletzung einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens überprüfen (
BGE 98 IV 110
/11).
Gemäss Auskunft der Vorinstanz sind nach § 11 Ziff. 7 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Basel-Stadt jene Entscheide der Beurteilung durch das Verwaltungsgericht entzogen, die in Vollziehung bundesrechtlicher Vorschriften getroffen wurden. Im vorliegenden Fall konnte also ein Entscheid des Regierungsrates über die Beschwerde gegen die Reservierung von Parkplätzen nicht an das Appellationsgericht als Verwaltungsgericht weitergezogen werden. Das hat zur Folge, dass dem Kassationshof in casu nach der oben angeführten Rechtssprechung freie Rechtskognition unter Ausschluss der Überprüfung der Angemessenheit zukommt.
3.
Art. 3 Abs. 2 SVG
ermächtigt die Kantone, für bestimmte Strassen Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs zu erlassen. Art. 3 Abs. 3 umschreibt den Umfang zulässiger Fahrverbote. Nach
Art. 3 Abs. 4 SVG
können "andere Beschränkungen oder Anordnungen... erlassen werden, soweit die Sicherheit, die Erleichterung oder die Regelung des Verkehrs, der Schutz der Strasse oder andere in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe dies erfordern".
Es ist unbestritten, dass die Reservierung von Parkplätzen von der zuständigen kantonalen Behörde im ordentlichen Verfahren erlassen und veröffentlicht wurde. Der Beschwerdeführer macht ausschliesslich geltend, die materiellen Voraussetzungen gemäss
Art. 3 Abs. 4 SVG
seien nicht erfüllt.
BGE 98 IV 264 S. 268
4.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts beziehen sich die Verkehrsregeln des SVG auf den gesamten Verkehr mit Motorfahrzeugen und Fahrrädern auf öffentlichen Strassen und Plätzen, also nicht nur auf den rollenden, sondern auch auf den ruhenden Verkehr (
BGE 94 IV 30
,
BGE 89 I 535
E. 3 mit Verweisungen). Soweit der Kanton grundsätzlich die Strassen dem Verkehr offen hält, das Parkieren aber allgemein oder für gewisse Benützer verbietet oder beschränkt, müssen die Voraussetzungen des
Art. 3 Abs. 4 SVG
erfüllt sein (Entscheid des Bundesrates i.S. Verkehrsliga beider Basel gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt vom 23. Dezember 1968 S. 5/6, wiedergegeben in ZBl 70/1969 S. 473 ff).
In früheren Jahren rechtfertigte sich eine grosszügige Auslegung dieser Voraussetzungen. Strassen und Plätze reichten aus, um den rollenden wie den ruhenden Verkehr aufzunehmen. Für Ausstellungen und Festveranstaltungen standen regelmässig Bauplätze, Wiesen, Fabrikhöfe usw. in unmittelbarer Nähe für das vorübergehende Parkieren zur Verfügung, ohne dass die Anwohner bei der Aufstellung ihrer eigenen Fahrzeuge in Verlegenheit gerieten.
Heute liegen die Dinge anders. Der stark angewachsene rollende Verkehr lässt sich nur noch flüssig halten, indem vor immer mehr Verzweigungen Einspurstrecken geschaffen und in städtischen Verhältnissen oftmals die Verkehrsströme auf längeren Strecken in mehreren Kolonnen geführt werden. Den öffentlichen Verkehrsmitteln werden in den meisten grösseren Städten eigene Fahrspuren auf den Strassen zugewiesen, die von anderen Fahrzeugen nicht befahren werden dürfen. Die für diese Entwicklung notwendige seitliche Verbreiterung der Fahrbahn geht regelmässig auf Kosten der früheren Parkstreifen entlang der Trottoirs.
Die in den grösseren Ortschaften stets wachsende Bevölkerungszahl führt dazu, im Interesse der Fussgänger das Parkieren auf Trottoirs zu beschränken, neue Fussgängerstreifen zu schaffen (in deren Nähe nicht stationiert werden darf), freie Plätze zu überbauen oder in Grünzonen umzuwandeln, auf denen auch ausnahmsweise keine Motorfahrzeuge aufgestellt werden dürfen.
Die Motorisierung wächst absolut und im Verhältnis zur Kopfzahl. Der Kreis der Personen, die regelmässig grössere Distanzen vom Wohnort und Arbeitsplatz und zurück im
BGE 98 IV 264 S. 269
Motorfahrzeug zurücklegen, erweitert sich ständig. Parkflächen sind eigentliche Mangelware geworden.
Der Parkplatznot wird auf verschiedene Art entgegengetreten. "Während früher das Parkieren auf öffentlichem Grund in der Regel unbeschränkt geduldet werden konnte, muss es heute bedingt durch die Entwicklung des Motorfahrzeugverkehrs einer möglichst grossen Anzahl von Fahrzeugen ermöglicht werden, was durch Parkzeitbeschränkungen erreicht wird" (Entscheid des Bundesrates a.a.O. S. 6). Das Aufstellen der Fahrzeuge während eines halben oder eines ganzen Tages oder über Nacht kann nicht mehr als gewöhnlicher Gemeingebrauch angesprochen werden (
BGE 89 I 539
). Blaue und rote Zonen, Parkingmeter und Abgaben für "Laternengaragen" sollen einer möglichst grossen Zahl von Autobesitzern Stationierungsmöglichkeiten verschaffen. Verschiedene Städte machen die Erteilung von Baubewilligungen von der gleichzeitigen Schaffung genügenden privaten Parkraums abhängig (Aufzählung in
BGE 97 I 798
). Das Bundesgericht anerkennt, dass die öffentlichen Strassen vom ruhenden Verkehr weitgehend entlastet werden müssen, dass aber ein völliges Verbot des Parkierens auf den Strassen angesichts der ungenügend vorhandenen privaten Abstellmöglichkeiten auch den fliessenden Verkehr zum Erliegen bringen würde (
BGE 97 I 797
). Das öffentliche Interesse an der Schaffung privaten Parkraums ist so gross, dass es zulässig erscheint, erhebliche Ersatzabgaben zu verlangen, wenn bei privaten Neubauten nicht gleichzeitig Parkgelegenheit auf privatem Grund geschaffen werden kann (
BGE 97 I 802
).
Bei dieser Sachlage kommt den noch vorhandenen Parkflächen auf öffentlichen Strassen und Plätzen eine grössere Bedeutung zu, als noch vor wenigen Jahren. Bei der Prüfung der Voraussetzungen zur Aufhebung oder Einschränkung solcher Parkfelder im Sinne von
Art. 3 Abs. 4 SVG
ist ein strenger Massstab anzulegen. Das gilt ganz besonders dort, wo bestehende Parkflächen, die normalerweise dank Parkzeiten von kurzer Dauer von vielen Automobilisten belegt werden können, der Benützung durch die Allgemeinheit entzogen und während Tagen oder gar Wochen einzelnen privilegierten Kategorien vorbehalten werden sollen.
Bei allen solchen Beschränkungen ist zudem gemäss
Art. 82 Abs. 1 SSV
stets auch darauf zu achten, dass die Massnahme
BGE 98 IV 264 S. 270
gewählt wird, die mit den geringsten Verkehrsbeschränkungen den angestrebten Zweck erreicht.
5.
Die Vorinstanz bejaht das Vorliegen der Voraussetzung des
Art. 3 Abs. 4 SVG
für die angefochtene Parkplatzregelung. Der Kassationshof hat zu entscheiden, ob sie dabei von zutreffenden rechtlichen Überlegungen ausgegangen ist oder ob ihr Urteil, wie die Beschwerde geltend macht, Bundesrecht verletzt.
a) Weder die Polizeibehörden noch die Gerichte des Kantons Basel-Stadt haben die Taxe von Fr. 40.- ins Feld geführt, die von jedem Aussteller für die Überlassung eines reservierten Parkplatzes zu bezahlen ist. Mit Recht. Die Erhebung einer solchen Abgabe für die Benützung eines Allmendparkplatzes erscheint im Hinblick auf
Art. 37 Abs. 2 BV
an sich schon als rechtlich fragwürdig, gleichgültig, ob sie als Miete, Kostenbeitrag an die Überwachung oder als Gebühr für die Signalisierung bezeichnet wird. Jedenfalls darf für die Entscheidung über die Aufhebung des allgemeinen Parkrechts zugunsten der Aussteller diese Abgabe nicht ins Gewicht fallen.
b) Das Appellationsgericht betrachtet die Parkplatzreservation als Beitrag an die Sicherheit im Strassenverkehr, weil dadurch verhindert werden könne, dass die meist ortsfremden Messeaussteller auf der Suche nach einem freien Parkplatz in der Umgebung der Messehallen umherfahren und dadurch eine zusätzliche und unnötige Verkehrsbelastung hervorrufen. Da solche Fahrer ihre Aufmerksamkeit vorwiegend der Parkplatzsuche widmen, stellten sie erfahrungsgemäss eine besondere Gefährdung des Verkehrs dar, weshalb die verfügte Reservation offensichtlich der Sicherheit und Erleichterung des Strassenverkehrs diene. Ferner sprächen auch die örtlichen Verhältnisse durchaus für eine derartige Anordnung, da eine hinreichende Anzahl geeigneter Abstellmöglichkeiten in der näheren Umgebung der Messehallen einfach nicht vorhanden sei.
Diese Begründung hält nicht stand.
c) Im Falle der jährlich stattfindenden Mustermesse ist es notorisch, dass zahlreiche Aussteller mit Regelmässigkeit jedes Jahr der Messe die Treue halten. Sie kennen nicht nur die Messehallen, sondern auch deren Umgebung recht genau. Wer zum erstenmal an der Muster- oder an einer anderen Messe ausstellt, kennt sich jedenfalls am zweiten oder dritten Tag im Quartier aus. Die auswärtigen Messebesucher dagegen kommen meist nur für einen Tag, zum grossen Teil nur alle paar Jahre. Ihre Zahl
BGE 98 IV 264 S. 271
ist täglich um ein Vielfaches grösser als diejenige der Aussteller. Was vom Appellationsgericht für die Reservierung der nahe der Messe gelegenen Parkplätze zugunsten der Aussteller vorgebracht wird, gilt daher in vermehrtem Masse für die auswärtigen Besucher. Trotzdem werden diesen die messenahen Parkplätze vorenthalten und auch nicht etwa andere Parkplätze reserviert. Die appellationsgerichtliche Begründung für eine Privilegierung der Messeaussteller gegenüber den Messebesuchern hält also vor
Art. 3 Abs. 4 SVG
nicht stand. Die Parkplatzreservierung in der Nähe der Messegebäude zugunsten zahlungswilliger Aussteller dient deren Bequemlichkeit, nicht der Verkehrssicherheit. Eine Parkplatzreservierung auf öffentlichen Strassen und Plätzen ist für einen solchen Zweck unzulässig.
Aber nicht nur die Bevorzugung der Messeaussteller gegenüber den Messebesuchern, sondern auch diejenige gegenüber den ortsansässigen Automobilisten lässt sich nicht mit der Argumentation der Vorinstanz begründen, wonach diese Reservierung im Interesse der Sicherheit des Strassenverkehrs liege. Wer auf Parkplatzsuche herumfahren muss, wird durch das ständige Ausschauen nach einem freien Platz von der vollen Konzentration auf den Verkehr abgelenkt und zugleich zu einem Hindernis der flüssigen Verkehrsabwicklung, weil er langsamer fahren muss und gelegentlich immer wieder einmal bei einem zu knappen Parkplatz anhält. Dabei macht es jedoch keinen Unterschied, ob der Fahrer ortskundig ist oder nicht. Die Beeinträchtigung des Verkehrs bleibt sich gleich, ob die Messeleute oder die Einheimischen ihre Parkrunden drehen. Die angefochtene Reservierung einer grossen Zahl von Parkplätzen, die für den Beschwerdeführer umso schwerer wiegt, als sie sich über Tage oder gar Wochen erstrecken kann, bedeutet also lediglich, dass nicht die zahlenden Aussteller, sondern das übrige Ausstellungspersonal und die ortsansässigen Automobilisten, deren Kunden und Freunde zeitraubende Fahrten auf der Suche nach einem freien Platz unternehmen müssen, was mit nicht geringerer Belastung für die Sicherheit und Flüssigkeit des Strassenverkehrs verbunden ist.
d) Appellationsgericht und Beschwerdeführer betonen, dass in der Nähe der Messegebäude keine genügenden Einstellhallen oder andere Abstellmöglichkeiten vorhanden sind. Die Vorinstanz sieht in diesem Umstand "in den örtlichen Verhältnissen
BGE 98 IV 264 S. 272
liegende Gründe" im Sinne von
Art. 3 Abs. 4 SVG
, die eine Reservation von Parkplätzen rechtfertigen sollen. Auch diese Begründung geht fehl. Gedacht ist an Geschwindigkeitsbeschränkungen, Überholverbote, Fahrverbote für Lastwagen, Einbahnverkehr usw. für enge und unübersichtliche Strassen, an Einschränkungen für den Motorfahrzeugverkehr und das Parkieren in Wohnquartieren, bei Schulen, Spitälern, etc. (s. BADERTSCHER/SCHLEGEL, Strassenverkehrsgesetz, 2. A. S. 11 Ziff. 4).
e) Das angefochtene Urteilverletzt Bundesrecht auch dadurch, dass es völlig ausser acht lässt, ob und welche anderen Massnahmen (z.B. Einführung der blauen oder roten Zone, Verbesserung des Pendelverkehrs zwischen Parkplätzen am Stadtrand und den Messegebäuden, Bau neuer Parkhäuser) den mit der Verkehrsbeschränkung angestrebten Zweck zu erreichen vermöchten und ob diese nicht im Sinne des
Art. 82 Abs. 1 SSV
den Vorzug verdienten.
f) Damit ist nicht gesagt, dass die Reservierung von Parkplätzen für besondere Zwecke mit
Art. 3 Abs. 4 SVG
schlechthin unvereinbar sei. Angesichts der ständig wachsenden Knappheit der Parkplätze ist eine solche Reservation mit hinreichender Begründung durchaus denkbar. Die Vergünstigung muss aber, sofern die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, allen Beteiligten - im vorliegenden Fall den Ausstellern und den Besuchern - zugutekommen. Mit der von der Vorinstanz gegebenen Begründung könnten beispielsweise Parkplätze für eine geringe Zahl auswärtiger Teilnehmer eines Kongresses reserviert werden, wenn in der Umgebung für die ansässige Bevölkerung noch ausreichender Parkraum verfügbar bleibt.
g) Für die Reservierung von Parkplätzen in Nähe der Messegelände zugunsten der Aussteller lässt sich nur ein stichhaltiges Argument anführen: Die Aussteller müssen im Gegensatz zu den Besuchern mindestens zu Beginn und am Ende der Messe, in gewissen Fällen (z.B. Gastwirtschaftsbetriebe) auch ein- bis zweimal täglich Waren zu- und wegführen. Hiefür benötigen sie aber nicht einen individuell reservierten Standplatz für die ganze Messedauer. Es genügt, dass in der Nähe der Eingänge eine Anzahl von Plätzen für kurzfristiges Aufstellen von Ausstellerfahrzeugen reserviert sind, und eventuell eine weitere Anzahl von Plätzen für bestimmte Tagesstunden dem Lieferantenverkehr vorbehalten bleiben. Die Erfordernisse und
BGE 98 IV 264 S. 273
Möglichkeiten entsprechen denen der Belieferung städtischer Ladengeschäfte, Gewerbebetriebe usw. Für die unerlässliche Überwachung des vorgeschriebenen raschen Wechsels ist weniger Personal erforderlich, als heute für die Kontrolle der ausgedehnten Reservierungen.
6.
Die angefochtene Reservierung von Parkplätzen ist also mit der von der Vorinstanz gegebenen Begründung nicht aufrechtzuerhalten. Die Bestrafung wegen Übertretung einer rechtswidrigen Verwaltungsverfügung ist nicht zulässig. Die Beschwerde ist deshalb zu schützen und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an das Appellationsgericht zurückzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur Freisprechung im Sinne der Erwägungen an die kantonale Behörde zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ad792ec3-f6e1-484b-8d02-b76532c71afb | Urteilskopf
117 Ia 365
57. Estratto della sentenza 26 novembre 1991 della I Corte civile nella causa X e Y c. Z e II Camera civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Revisionsgesuch gegen einen Schiedsspruch: Art. 41 ff. Schiedsgerichtskonkordat. Unterscheidung zwischen Schiedsspruch und Schiedsgutachten.
1. Von Lehre und Rechtsprechung erarbeitete Grundsätze zum Unterschied zwischen den beiden Rechtsinstituten (E. 5 und 6). Ein Revisionsgesuch im Sinne von Art. 41 ff. des Konkordates kann nur gegen einen Schiedsspruch erhoben werden (E. 7).
2. Vorliegen eines Schiedsspruchs im konkreten Fall bejaht (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 365
BGE 117 Ia 365 S. 365
A.-
I fratelli L e Z possedevano - presumibilmente nella forma della società semplice - il "Gruppo B. Ticino", che aveva svariate partecipazioni in numerose società estere, in particolare italiane, attive essenzialmente nel settore dell'edilizia e in quello dell'impiantistica industriale. A L, decesso nel 1968, sono subentrati i figli X e Y. In seguito, fra i soci sono sorte gravi divergenze sfociate, il 2 settembre 1986, nella sottoscrizione di un "compromesso arbitrale", mediante il quale è stata stipulata la cessione della parte del "Gruppo B. Ticino" dei fratelli allo zio. La Società Svizzera di Revisione (Revisuisse) è stata
BGE 117 Ia 365 S. 366
incaricata di determinare il prezzo della cessione. Secondo l'accordo la designazione del collegio arbitrale e del suo presidente era lasciata alla Revisuisse. Sede dell'arbitrato era Lugano. La procedura - nella misura in cui l'accordo o gli arbitri non disponevano diversamente - era retta dal Concordato sull'arbitrato (CIA). Le spese dell'arbitrato erano assunte dalla L. S.A., una società del "Gruppo B. Ticino". La convenzione prevedeva poi diverse norme di procedura e alcuni criteri di valutazione e inoltre l'esplicita rinuncia al deposito del lodo e alla sua intimazione tramite l'autorità giudiziaria, sostituita dalla comunicazione mediante lettera raccomandata (art. 35 CIA). Le parti si impegnavano ad accettare senza riserve la valutazione del collegio arbitrale. L'esecuzione della decisione era garantita dal deposito presso la Revisuisse di tutte le azioni possedute da X e Y. Da parte sua, Z consegnava ai venditori un impegno di pagamento di primaria banca svizzera di versare alla Revisuisse il prezzo che sarebbe stato stabilito dalla stessa. Questa si impegnava, a sua volta, a consegnare ai venditori il prezzo stabilito entro sessanta giorni dall'intimazione della decisione. Con il trasferimento delle azioni e il pagamento del prezzo di vendita, le parti dichiaravano estinta "per saldo" ogni e qualsiasi eventuale pretesa. Da ultimo, l'accordo autorizzava l'acquirente a cedere a terzi diritti e obblighi che ne derivavano.
Al momento della stipulazione del "compromesso arbitrale", entrambe le parti erano assistite da legali; i venditori X e Y erano inoltre consigliati da una società fiduciaria che, in precedenza, aveva già allestito per loro conto una valutazione del "Gruppo B. Ticino".
B.-
La Revisuisse ha poi scelto tre membri della propria direzione come arbitri. Il collegio arbitrale ha condotto un'ampia procedura di valutazione nell'ambito della quale alle parti è stata concessa la facoltà di esprimersi oralmente e per scritto e di partecipare alle sedute e ai sopralluoghi. Prima della chiusura dell'istruttoria le parti hanno potuto presentare al collegio arbitrale le loro ultime osservazioni. La decisione - denominata "lodo" - è stata resa il 25 giugno 1987 e il prezzo per la cessione delle azioni fissato in fr. 61'908'000.--; essa è stata eseguita nei modi e nelle forme previste dall'accordo.
C.-
Il 26 febbraio 1991 X e Y hanno presentato al Tribunale di appello del Cantone Ticino una domanda di revisione, chiedendo l'annullamento del lodo del 25 giugno 1987 e il rinvio del caso al tribunale
BGE 117 Ia 365 S. 367
arbitrale per nuovo giudizio. Essi adducevano, in sintesi, che nel frattempo era risultato che agli arbitri era stata sottaciuta l'esistenza di documentazione relativa a valori ingenti con la conseguenza che la valutazione da essi compiuta era di circa fr. 177'222'000.-- inferiore al valore reale. Con sentenza del 6 marzo 1991, la II Camera civile del Tribunale di appello - statuendo in base alla procedura di esame preliminare - ha dichiarato la domanda di revisione inammissibile. A suo avviso, la decisione del 25 giugno 1987 non costituiva un lodo, ma bensì un referto di un arbitratore, al quale il CIA non era applicabile.
D.-
Contro questa decisione X e Y hanno interposto il 10 aprile 1991 ricorso di diritto pubblico, chiedendo al Tribunale federale di annullarla.
Erwägungen
Dai considerandi:
5.
Con il ricorso viene fatta valere - con richiamo all'
art. 84 cpv. 1 lett. b OG
- la violazione di disposizioni del CIA. Tale censura deve essere esaminata liberamente e con pieno potere cognitivo (
DTF 115 Ia 215
consid. 2a in fine).
a) La Corte cantonale ha ritenuto, a ragione, che il CIA è applicabile solo ai lodi arbitrali veri e propri e non ai cosiddetti referti di arbitratori (sentenza del Tribunale federale nella causa Cloetta, parzialmente pubblicata in SJ 105/1983 pag. 541, consid. 1g con riferimento a LALIVE, in: DUTOIT/KNOEPFLER/LALIVE/MERCIER, Répertoire de droit international privé suisse, vol. 1, Berna 1982, pag. 241 segg.; cfr. inoltre JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse de l'arbitrage, Berna 1984, introduzione pag. 35 n. 64 e n. 234 ad art. 1; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, Zurigo 1980, pag. 17 seg. n. 4; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, Losanna 1989, pag. 26 segg. nota 1.2. ad art. 1; in senso analogo:
DTF 107 Ia 320
). Nella fattispecie ciò non è contestato né dai ricorrenti, né dalla controparte.
b) Nella sentenza pubblicata in
DTF 107 Ia 318
segg., il Tribunale federale, riferendosi alla dottrina dominante (cfr. oltre alle opere ivi citate JOLIDON, op.cit. e LALIVE, op.cit.) ha esaminato in modo circostanziato la distinzione fra il lodo arbitrale e il referto di un arbitratore. In linea di principio, l'arbitratore deve accertare fatti giuridicamente rilevanti, mentre l'arbitro è invece chiamato a risolvere una lite: tuttavia anche l'arbitratore può essere tenuto
BGE 117 Ia 365 S. 368
a pronunciarsi su questioni giuridiche. Decisivo è il carattere intrinseco della decisione vincolante che viene emessa, il lodo implica infatti un verdetto giudiziale ("Richterspruch"). D'altra parte, la denominazione usata dalle parti non è determinante e la distinzione fra i due istituti deve fondarsi sul contenuto del contratto secondo la volontà delle parti nonché sul modo con cui il mandatario (arbitro o arbitratore) ha inteso ed ha eseguito l'incarico affidatogli. Una semplice procedura informale, senza scambi di allegati e domande di condanna di una parte, come pure la circostanza che l'arbitro non sia stato incaricato di statuire sulle spese e ripetibili, fanno propendere per il semplice referto di un arbitratore (cfr.
DTF 107 Ia 321
segg. consid. 5a e b).
Gli altri criteri riportati nell'accennata sentenza non hanno alcuna rilevanza per il caso concreto. Ulteriori criteri distintivi sono invece menzionati da RÜEDE/HADENFELDT (op.cit., pag. 17 n. 4), WIGET (in: STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, Zurigo 1982, n. 3 al § 258), JOLIDON (op.cit., n. 234 ad art. 1), LALIVE (op.cit., pag. 241 segg. n. 2-14) e LALIVE/POUDRET/REYMOND (op.cit., pag. 26 segg. nota 1.2.) segnatamente con riferimento a decisioni cantonali. Quasi tutti gli autori sottolineano che in singoli casi la distinzione può rivelarsi particolarmente ardua.
6.
Secondo gli autori citati e in base alla giurisprudenza cantonale da essi riportata, nei seguenti casi è possibile concludere per l'esistenza di un referto di un arbitratore:
- quando devono essere accertate solo questioni di fatto;
- quando occorre statuire su questioni parziali;
- quando in una procedura pendente davanti ad un tribunale ordinario, le parti si accordano per una perizia e si impegnano a riconoscerla in modo vincolante;
- quando in una lite concernente una società deve essere stabilito il valore reale del patrimonio sociale (cfr. tuttavia la decisione del Tribunale cantonale vodese riportata da JOLIDON, op.cit., pag. 64,
DTF 107 Ia 247
segg. e la decisione inedita del Tribunale federale del 24 aprile 1980 nella causa B., dove in casi analoghi è stata invece ammessa implicitamente l'esistenza di un lodo arbitrale);
- quando deve essere stabilito in modo vincolante il valore di vendita di un commercio;
- quando deve essere accertata l'entità di una successione ed eseguita la sua stima;
BGE 117 Ia 365 S. 369
- quando la ripartizione delle spese di procedura è regolata in anticipo;
- quando l'esperto deve preventivamente sottoporre alle parti un progetto e allestire poi la versione finale del referto tenendo conto delle osservazioni delle parti;
- quando un terzo è incaricato di completare o modificare un contratto.
L'istituzione di un vero e proprio tribunale arbitrale è invece ammessa nei seguenti casi:
- quando viene dichiarato applicabile un codice di procedura civile o il CIA;
- quando la decisione contiene l'indicazione delle parti, l'esposizione delle questioni litigiose e il dispositivo;
- quando le parti riconoscono la decisione come titolo per il rigetto dell'opposizione;
- quando si tratta di statuire su una questione giuridica riguardante l'interpretazione di una clausola di un contratto di vendita;
- quando la decisione risolve definitivamente la lite;
- quando si vuole l'effetto di cosa giudicata di una sentenza;
- quando le reciproche pretese delle parti sono stabilite in modo definitivo.
Analoghi criteri sono pure applicati nel diritto germanico (SCHLOSSER, in: Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 20a edizione, Tubinga 1988, note introduttive al § 1025, pag. 82 segg.; BAUMBACH/LAUTERBACH/ALBERS/HARTMANN, Zivilprozessordnung, 49a edizione, Monaco 1991, pag. 1932) e nel diritto italiano per la distinzione fra arbitrato rituale e arbitrato irrituale o libero (CARPI/COLESANTI/TARUFFO, Commentario breve al Codice di procedura civile, Padova 1984, nota 7 ad art. 806; MARANI, In tema di arbitrato, arbitraggio, perizia contrattuale, in: Rivista trimestrale di diritto e procedura civile 37/1983, pag. 610 segg.).
7.
La differenza fra lodo arbitrale ed il referto di un arbitratore risiede nel fatto che, mentre il lodo arbitrale passa formalmente e materialmente in giudicato e può essere modificato se sono adempiute le condizioni per una domanda di revisione, il referto di un arbitratore, anche se statuisce sulle questioni di fatto e di diritto in modo vincolante per le parti, può invece essere invalidato solo con una causa ordinaria nella quale occorre provare ch'esso sia manifestante ingiusto, iniquo, arbitrario, allestito senza alcuna cura, errato o sia viziato da errore sostanziale, inganno o minaccia (
DTF 71 II 295
,
DTF 67 II 148
). A causa di
BGE 117 Ia 365 S. 370
questa portata diversa, alcuni autori sostengono che l'eventuale incertezza di interpretazione deve essere risolta nel senso che le parti hanno inteso prevedere un referto di un arbitratore e non un lodo arbitrale (RÜEDE/HADENFELDT, op.cit., pag. 17 lett. d; SCHLOSSER, op.cit., nota 23 vor § 1025 IV; principio applicato nella prassi giudiziaria italiana cfr. CARPI/COLESANTI/TARUFFO, op.cit., nota 7 ad art. 806). La presente fattispecie dimostra comunque come tale opinione non sia completamente fondata: presumibilmente i ricorrenti preferiscono ottenere un riesame della decisione pronunciata il 25 giugno 1987 dal gremio designato dalla Revisuisse che dover iniziare una causa ordinaria contro il resistente nel Principato di Monaco.
8.
Se si applicano i criteri appena esposti al caso concreto, le circostanze che non si trattava di statuire su questioni giuridiche, ma unicamente di valutare il patrimonio sociale per determinare la parte spettante ai ricorrenti e che, in base all'accordo del 2 settembre 1986, i costi della procedura sono stati assunti dalla L. S.A., farebbero propendere per un referto di arbitratori. Tali circostanze non sono comunque decisive. Infatti, fra le parti non erano assolutamente litigiose questioni giuridiche: le quote di partecipazione degli interessati nella società erano già stabilite all'inizio e le parti erano d'accordo che Z avrebbe ripreso la quota dei fratelli X e Y. Litigioso e, da stabilire, era unicamente il valore dell'intero patrimonio sociale onde fissare l'ammontare della partecipazione ceduta. Di nessun rilievo è poi la circostanza che le parti hanno fissato in anticipo la ripartizione delle spese di procedura, perché tale operazione è ammissibile sia in un lodo arbitrale vero e proprio che in una causa pendente davanti ad un tribunale ordinario.
Decisive nella specie sono le altre circostanze. In base all'accordo del 2 settembre 1986, una volta fissato il valore del patrimonio sociale e l'ammontare della partecipazione ceduta a Z, la vertenza fra le parti era definitivamente conclusa. In tale accordo, che le parti hanno concluso con l'assistenza di legali, si parla poi di "arbitri", di "compromesso arbitrale", di "arbitrato" e di "lodo", e si fa più volte riferimento al CIA e si dichiarano applicabili le sue disposizioni. Ora, se si prende in considerazione, come stabilito nella sentenza pubblicata in
DTF 107 Ia 318
segg., il contenuto del contratto secondo la volontà delle parti, la natura giuridica della decisione e la maniera con cui i mandatari hanno inteso l'incarico loro affidato, la decisione del 25 giugno 1987
BGE 117 Ia 365 S. 371
costituisce un lodo arbitrale. Certo, le denominazioni usate dalle parti non sono determinanti, ma quando degli avvocati usano le espressioni "arbitri" e "arbitrato" e dichiarano applicabili le disposizioni del CIA ciò può solo significare che era loro intenzione istituire un vero e proprio tribunale arbitrale. Anche i mandatari hanno manifestamente inteso il loro incarico in tale senso. La decisione del 25 giugno 1987 è denominata "lodo". Essa contiene la composizione del collegio arbitrale, la designazione delle parti in causa, la descrizione della fattispecie, l'esposizione dei motivi come pure un vero e proprio dispositivo. È pur vero che esso non condanna espressamente Z a versare il prezzo di cessione stabilito in fr. 61'908'000.-- a X e Y, ma ciò non era necessario atteso che l'esecuzione del verdetto arbitrale era già garantita dalle clausole del compromesso arbitrale. Di conseguenza, la questione di sapere se il lodo arbitrale poteva passare formalmente e materialmente in giudicato, non ha più alcuna importanza. Esso è stato infatti eseguito dalla Revisuisse nei modi e nelle forme previste dal compromesso arbitrale del 2 settembre 1986: Z ha ricevuto le azioni oggetto della cessione e a X e Y è stato versato il prezzo di vendita stabilito. D'altra parte, la procedura davanti al tribunale arbitrale si è svolta nelle forme di un processo: alle parti è stata concessa più volte la possibilità di esprimersi verbalmente e per iscritto su tutte le questioni litigiose e di assistere all'assunzione delle prove da parte del tribunale arbitrale e, infine, prima della chiusura della procedura esse hanno ancora potuto determinarsi per iscritto.
Discende da queste considerazioni che, contrariamente a quanto ritenuto dalla Corte cantonale, la decisione del 25 giugno 1987 deve essere considerata un lodo arbitrale. Di conseguenza, la domanda di revisione ai sensi degli art. 41 segg. CIA era per principio ammissibile e la Corte cantonale avrebbe dovuto esaminarne le condizioni. Il ricorso deve quindi essere accolto e la decisione impugnata annullata. | public_law | nan | it | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ad797ef0-e893-442d-83e7-4618eb76c791 | Urteilskopf
118 IV 416
71. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. November 1992 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
. Betäubungsmitteldelikte von Ausländern im Ausland.
Der Schweizer Richter ist zur Beurteilung von Betäubungsmitteldelikten, die von Ausländern im Ausland begangen wurden, in der Regel erst dann zuständig, wenn er sich davon überzeugt hat, dass der Tatortstaat nicht um die grundsätzlich zulässige Auslieferung des Täters wegen dieser Delikte ersucht; die schweizerischen Behörden sind zu solchen Abklärungen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. Nur wenn es nicht möglich ist, den Standpunkt des ausländischen Staates innert einer angemessenen Frist zu erhalten, kann und muss sich der Schweizer Richter ausnahmsweise auch ohne vorgängige Abklärung dieser Frage für zuständig erklären (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 416
BGE 118 IV 416 S. 416
A.-
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach in zweiter Instanz am 23. Januar 1992 den britischen Staatsangehörigen H. der wiederholten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 lit. a und c, Art. 19 Ziff. 4 und Art. 19a Ziff. 1 dieses Gesetzes
BGE 118 IV 416 S. 417
schuldig und bestrafte ihn mit sechseinhalb Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 602 Tagen Untersuchungshaft. Das Verfahren betreffend Betäubungsmittelkonsum vor dem 23. Januar 1990 wurde infolge Verjährung eingestellt. Das Verfahren betreffend Erwerbshandlungen zum Eigenkonsum im Ausland wurde eingestellt, da
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
nur für Widerhandlungen im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 und 2, nicht aber für solche gemäss
Art. 19a BetmG
Anwendung finde. Die Landesverweisung für die Dauer von zehn Jahren sowie die Einziehung gemäss dem Entscheid des Bezirksgerichts Zofingen vom 23. Mai 1991 waren im Berufungsverfahren unbestritten geblieben.
B.-
Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er stellt überdies ein Begehren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Vorinstanz erachtet die schweizerische Zuständigkeit zur Beurteilung des Verkaufs von 3000 LSD-Trips durch den Beschwerdeführer im Mai 1990 in Amsterdam gestützt auf
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
als gegeben. Sie beruft sich lediglich in bezug auf den Verkauf der Drogen zur Begründung ihrer Zuständigkeit auf diese Bestimmung. Der Beschwerdeführer geht indessen zu Recht davon aus, auch für die Beurteilung des Kaufs der 3000 LSD-Trips im Mai 1990 in Amsterdam könne die schweizerische Zuständigkeit nur aus dieser Bestimmung abgeleitet werden.
b) Die Vorinstanz hält zur Begründung ihrer Zuständigkeit gemäss
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
unter Berufung auf
BGE 116 IV 244
ff. zunächst folgendes fest:
"Auch wenn das Bundesgericht nicht verlangt, dass 'un juge suisse doive
se déclarer automatiquement compétent pour tous les délits mondiaux commis
à l'étranger', um die Ausweitung zu einem reinen Universalitätsprinzip zu
verhindern, darf der Schweizer Richter darauf verzichten, den Standpunkt
betreffend Auslieferung des Staates, in welchem das Delikt begangen wurde,
zu erfragen. 'S'il n'est pas possible de l'obtenir dans un délai
raisonnable', muss sich der Richter hingegen zuständig erklären."
BGE 118 IV 416 S. 418
Im Berufungsverfahren "rechtfertige" sich der Verzicht auf das Einholen der Willensäusserung aus Holland oder auf das Abwarten des Ausgangs eines allfälligen Auslieferungsverfahrens "umso mehr", als der Beschwerdeführer sich bereits seit eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft befinde und es geboten sei, das Strafverfahren innert nützlicher Frist abzuschliessen. Es sei deshalb festzuhalten, dass die erste Instanz zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen der Nicht-Auslieferung des Beschwerdeführers bejaht und daher die angeklagte Tat in Anwendung des Weltrechtsprinzips beurteilt habe. Da die Tat eingestanden sei, müsse der entsprechende Schuldspruch der ersten Instanz bestätigt werden.
c) Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, nach den Erwägungen in
BGE 116 IV 244
ff. zum Begriff des Ausgeliefertwerdens im Sinne von
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
sei der schweizerische Richter nicht gehalten, "... à accepter sa compétence avant de connaître l'avis de l'Etat étranger sur le territoire duquel les infractions ont été perpétrées" (S. 251). Nach diesem Entscheid müsse der Richter seine Zuständigkeit für die Auslandstat eines Ausländers nur dann anerkennen, wenn es nicht möglich sei, in einer vernünftigen Frist die Stellungnahme des Tatortstaates zu erlangen (S. 251). Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt. Ein Versuch, abzuklären, ob die Niederlande die Strafverfolgung betreffend den Kauf und Verkauf von 3000 LSD-Trips in Amsterdam übernehmen werden, sei nie unternommen worden. Aus dem Schweigen der holländischen Behörden könne deshalb nicht geschlossen werden, dass sich der Beschwerdeführer für diese Tat nicht doch noch in den Niederlanden werde verantworten müssen. Nachdem die aus der stellvertretenden Strafrechtspflege resultierende Verpflichtung, im Ausland begangene Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen, subsidiärer Natur sei (
BGE 116 IV 248
, 2. Absatz), seien die aargauischen Gerichte zur Beurteilung des vom Beschwerdeführer in Amsterdam getätigten Kaufs und Verkaufs von 3000 LSD-Trips nicht zuständig. Das angefochtene Urteil sei daher in bezug auf diese Anklagepunkte wegen Verletzung von
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
aufzuheben und der Beschwerdeführer insoweit von Schuld und Strafe freizusprechen.
2.
a) Nach
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
ist der Täter gemäss den Ziffern 1 und 2 dieses Artikels auch strafbar, wenn er die Tat im Ausland begangen hat, in der Schweiz angehalten und nicht ausgeliefert wird, und wenn die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Diese Bestimmung enthält eine zwischen dem reinen Universalitäts- oder
BGE 118 IV 416 S. 419
Weltrechtsprinzip und der Übernahme der Strafverfolgung nach
Art. 85 IRSG
liegende Regelung (
BGE 116 IV 249
E. 3c). Der schweizerische Richter beurteilt die im Ausland begangenen Delikte eines Ausländers in der Regel erst, wenn er sich davon überzeugt hat, dass nicht um die grundsätzlich zulässige Auslieferung ersucht wird. Nur wenn es nicht möglich ist, den Standpunkt des ausländischen Staates, auf dessen Gebiet die strafbare Handlung begangen wurde, innert einer angemessenen Frist zu erhalten, kann und muss sich der schweizerische Richter ausnahmsweise auch ohne vorgängige Abklärung dieser Frage als zuständig erklären. Unter Vorbehalt dieser Ausnahme (dass eine Antwort innert angemessener Frist nicht zu erhalten ist) müssen die schweizerischen Behörden also abklären, ob der Tatortstaat die Auslieferung des Täters verlangt, und darf sich der Schweizer Richter nicht ohne vorgängige diesbezügliche Abklärungen zuständig erklären (
BGE 116 IV 251
).
b) Die aargauischen Behörden haben den Standpunkt der niederländischen Behörden zur Frage der Auslieferung des Beschwerdeführers unstreitig nicht abgeklärt. Die Voraussetzungen, unter denen der Schweizer Richter auch ohne vorgängige diesbezügliche Abklärungen seine Zuständigkeit gemäss
Art. 19 Ziff. 4 BetmG
bejahen darf, sind nicht erfüllt. Nichts spricht dafür, dass eine Antwort von seiten der niederländischen Behörden innert angemessener Frist nicht zu erwarten war. Dass der Beschwerdeführer sich im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Entscheides bereits während 602 Tagen in Untersuchungshaft befunden hatte und es geboten war, das Verfahren innert nützlicher Frist abzuschliessen, ist insoweit unerheblich. Die erforderlichen Abklärungen bei den niederländischen Behörden hätten schon lange vorher getroffen werden können.
c) Die Vorinstanz war somit zur Zeit der Ausfällung des angefochtenen Entscheides zur Beurteilung des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Kaufs und Verkaufs von 3000 LSD-Trips in Amsterdam nicht zuständig, da der Standpunkt der Behörden des Tatortstaates betreffend Auslieferung nicht abgeklärt worden war und die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auf solche Abklärungen verzichtet werden kann, nicht erfüllt sind. Der angefochtene Entscheid ist daher in Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde insoweit aufzuheben. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ad7cf9f0-12f7-4c14-950c-872bdca61464 | Urteilskopf
88 I 31
6. Auszug aus dem Urteil vom 21. März 1962 i.S. Rohner und Konsorten gegen Regierungsrat des Kantons St. Gallen. | Regeste
Gesetzesdelegation.
Sofern es der gesetzgebenden Gewalt nicht durch eine Verfassungsbestimmung untersagt ist, darf sie die Befugnis zur Rechtsetzung, wenn auch nicht allgemein, so doch für eine bestimmte Materie, an ein anderes Staatsorgan weitergeben (delegieren)und dieses ermächtigen, durch Rechtsverordnung an Stelle des Gesetzgebers Recht zu schaffen. Im Rahmen der Delegation kann das andere Staatsorgan auch ermächtigt werden, von der allgemeinen gesetzlichen Regelung der Materie abzuweichen.
Die Art. 45, 46 lit. e, 47, 54, 65 und 101 der st. gall. KV verbieten diese Gesetzesdelegation nicht. | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 88 I 31 S. 32
Aus dem Tatbestand:
Das st. gallische Gesetz über die Staats- und Gemeindesteuern vom 17. April 1944 (StG) bestimmt in Art. 166 (Abs. 1 in der Fassung des Nachtragsgesetzes vom 26. Dezember 1960):
"Der Regierungsrat wird ermächtigt, über die Besteuerung im Verhältnis zu anderen Kantonen und zum Auslande besondere Vorschriften zu erlassen, mit andcrn Kantonen oder Staaten Gegenrechtserklärungen auszutauschen und insbesondere für Personen ohne dauernden Wohnsitz im Kanton eine Quellensteuer auf steuerpflichtigen Einkünften aus dem Kanton einzuführen.
Er ist dabei an die Vorschriften dieses und anderer Steuergesetze nicht gebunden."
Gestützt hierauf erliess der Regierungsrat des Kantons St. Gallen am 11. Dezember 1961 eine Verordnung über die Quellensteuer, welche unter anderm gewisse Ausländer, die sich im Kanton aufhalten, für ihre Arbeitseinkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit einer von den Arbeitgebern
BGE 88 I 31 S. 33
am Lohn abzuziehenden Quellensteuer unterwirft.
Gegen diese Verordnung haben zwei Arbeitgeberverbände sowie eine Anzahl Firmen und Arbeitnehmer staatsrechtliche Beschwerde erhoben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Beschwerdeführer beantragen in erster Linie Aufhebung der ganzen Quellensteuerverordnung, weil der Regierungsrat zum Erlass von Rechtsverordnungen nicht befugt und
Art. 166 StG
, der ihn dazu ermächtigt, selbst verfassungswidrig sei. Damit werfen sie die Frage nach der Zulässigkeit der Gesetzesdelegation auf, d.h. nach dem Recht des Gesetzgebers, die Befugnis zur Rechtsetzung an ein anderes Staatsorgan weiterzugeben und dieses zu ermächtigen, durch Rechtsverordnung anstelle des Gesetzgebers Recht zu schaffen. Diese Frage ist vorweg zu beurteilen; denn wenn die gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist, so ist die angefochtene Verordnung schon wegen der Art ihres Zustandekommens aufzuheben, ohne dass die Verfassungsmässigkeit ihres Inhalts geprüft zu werden braucht.
Die in der Lehre herrschende Auffassung bejaht die Zulässigkeit der Gesetzesdelegation, sofern sie nicht durch eine Verfassungsbestimmung untersagt ist (BURCKHARDT, Komm. der BV, S. 666; FLEINER, Institutionen, 8. Aufl., S. 71, und Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 414; RUCK, Schweiz. Verwaltungsrecht, I. Band, 2. Aufl., S. 63; abweichend GIACOMETTI, der die Gesetzesdelegation nur für möglich hält, wenn die Verfassung sie ausdrücklich zulässt: Staatsrecht der Kantone, S. 493, Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 800 und ausführlich in Allg. Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 158 ff.). Die Rechtsprechung des Bundesgerichts steht von jeher auf dem Boden der herrschenden Lehre und lässt die Gesetzesdelegation zu, soweit sie nicht durch eine Verfassungsbestimmung untersagt ist - wenn nicht allgemein, so doch für bestimmte Materien (
BGE 32 I 112
,
BGE 41 I 502
,
BGE 88 I 31 S. 34
67 I 27, 74 I 114). Die Kritik GIACOMETTIS vermag keine Änderung hieran zu begründen. Wohl ist der Grundsatz der Gewaltentrennung in der Schweiz Gemeingut und gilt nicht nur in den Kantonen, deren Verfassung ihn ausdrücklich aufstellt, sondern auch im Bund und in den übrigen Kantonen, wo er sich aus der tatsächlichen Verteilung der gesetzgebenden, richterlichen und vollziehenden Gewalt auf verschiedene Organe ergibt; doch ist er weder dort noch hier konsequent durchgeführt, sondern die Verfassungen selbst enthalten zahlreiche Ausnahmen davon. Der blosse allgemeine Grundsatz schliesst deshalb nicht aus, dass der Gesetzgeber seine Gewalt indirekt ausübt, indem er seine Befugnis einem anderen Organ des Staates delegiert; um das zu verhindern, bedarf es vielmehr eines unzweideutigen Verbotes. Dem Referendumsrecht der Stimmbürger ist Genüge getan, wenn das Gesetz, das die Delegation ausspricht, der Volksabstimmung untersteht.
Die Frage, ob nach dem Staatsrecht des Kantons St. Gallen, insbesondere nach den auch heute wieder angerufenen Art. 45, 46 lit. e, 47, 54 und 65 KV, allgemein verbindliche Rechtssätze nur in der Form des Gesetzes oder auch durch gesetzlich ermächtigte Verordnung erlassen werden können, ist in
BGE 30 I 719
offen gelassen worden. Dagegen wurde sie beantwortet in dem nicht veröffentlichten Urteil vom 13. Mai 1948 i.S. Grossenbacher. Hier wird festgestellt, dass die st. gallische Kantonsverfassung keine Vorschrift enthält, die verbietet, die laut Art. 47 und 54 KV dem Grossen Rat in Verbindung mit dem Volk zustehende Gesetzgebungskompetenz an ein anderes Organ zu übertragen. Insbesondere sei die materielle Regelung des Steuerwesens nicht ausschliesslich dem Gesetzgeber vorbehalten; wieso dieser die vollziehende Behörde nicht sollte ermächtigen können, über eine bestimmte Materie eine Verordnung zu erlassen, die ihn binde, sei unerfindlich. Der Grundsatz der "Gesetzmässigkeit der Steuern" verstehe das Wort Gesetz im
BGE 88 I 31 S. 35
materiellen, nicht im formellen Sinne, sodass jeder allgemein verbindliche Rechtssatz, der von einem staatsrechtlich zuständigen Organ erlassen worden sei, darunter falle, also auch der in Gestalt einer Verordnung gekleidete (Erw. 3). Ein Verstoss gegen den in Art. 101 KV aufgestellten Grundsatz der Gewaltentrennung stehe ausser Frage, weil dieser nur im Rahmen der Verfassung gewährleistet sei und daher nicht verletzt sein könne, wenn eine Behörde im Rahmen ihrer verfassungsmässigen Zuständigkeit handle (Erw. 4).
Gegen diese Feststellungen vermögen die Argumente der heutigen Beschwerdeführer nicht aufzukommen. Dass die Quellensteuerverordnung Rechte und Pflichten von Privaten allgemein und bleibend bestimmt und deshalb gemäss Art. 54 Abs. 2 KV ihrem Inhalt nach ein Gesetz darstellt, ist unbestritten. Der Erlass von Gesetzen ist nach Art. 54 Abs. 1 Sache des Grossen Rates, unter Vorbehalt des verfassungsmässigen Souveränitätsrechtes des Volkes. Hierunter ist dessen Mitwirkung an der Gesetzgebung durch das fakultative Referendum zu verstehen, die sich aus Art. 45, 46 lit. e und 47 KV ergibt. Das schliesst -jedoch nicht aus, dass der Grosse Rat seine Befugnis zur Gesetzgebung über bestimmte Materien oder Gegenstände - auch die in Art. 54 Abs. 2 genannten - dem Regierungsrat überträgt, der dann darüber eine Rechtsverordnung erlässt. Freilich gilt der Vorbehalt des Souveränitätsrechtes des Volkes auch dafür, nämlich für diese Delegation; die Rechte der Stimmbürger werden gewahrt dadurch, dass sie gegen das Gesetz, das die Delegation enthält, insbesondere gegen diese selbst, das Referendum ergreifen können, wenn sie damit nicht einverstanden sind.
Ob der Regierungsrat, der durch die Delegation an die Stelle des Gesetzgebers tritt und dessen Befugnisse ausübt, wie dieser selbst Gesetze abändern könne, braucht in dieser Allgemeinheit nicht entschieden zu werden. Sicher kann der Gesetzgeber, der ihn zur Ordnung einer bestimmten Materie ermächtigt, in diese Delegation auch seine Befugnis
BGE 88 I 31 S. 36
einschliessen, dabei von der allgemeinen gesetzlichen Regelung dieser Materie abzuweichen; eine solche ausdrückliche Bestimmung ist auf alle Fälle im Rahmen der Delegation gültig. Hiegegen lässt sich nichts aus Art. 65 Satz 2 KV herleiten, wonach Massregeln zur Vollziehung der Gesetze nie veränderte oder neue Bestimmungen über die Hauptsache enthalten dürfen. Er bezieht sich eindeutig nur auf den in Art. 65 geordneten Vollzug, gilt also wohl für Vollziehungsverordnungen, nicht aber für gesetzesvertretende Rechtsverordnungen.
Dem entspricht auch die ständige Praxis im Kanton St. Gallen, wo seit dem Inkrafttreten der Verfassung vom 30. August 1890 zahlreiche Rechtsverordnungen erlassen wurden. Der Regierungsrat zählt in seiner Antwort auf die Beschwerden nicht weniger als 24 Gesetze aus den Jahren 1894-1961 auf, die den Regierungsrat zum Erlass allgemein verbindlicher Vorschriften ermächtigen, und bemerkt, dass es nur die wichtigsten Fälle seien. Wenn es sich auch dabei mehr um den Erlass ergänzender Bestimmungen zu teils rudimentären Gesetzen handelt, so gehen sie doch offensichtlich weit über den blossen Vollzug "ohne veränderte oder neue Bestimmungen über die Hauptsache" hinaus und stellen Rechtsverordnungen dar. In einem Falle war die Delegation mit der ausdrücklichen Entbindung von den Vorschriften der geltenden Steuergesetze verbunden - nämlich in
Art. 166 Abs. 2 StG
(der von dem III. Nachtragsgesetz nicht berührt wurde und auch von den heutigen Beschwerdeführern nicht beanstandet wird). Nicht nur der Grosse Rat und der Regierungsrat handhabten die Verfassung in diesem Sinne, sondern auch das Kantonsgericht hat die Zulässigkeit von Rechtsverordnungen ausdrücklich bejaht und als "ohne weiteres klar" bezeichnet (Entscheidungen des Kantonsgerichts, 1925, Nr. 2 und 1938, Nr. 23).
Die in
Art. 166 StG
enthaltene Gesetzesdelegation ist mithin nicht verfassungswidrig. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad7ed668-19be-434f-bc65-f3ec0947db1e | Urteilskopf
105 V 1
1. Auszug aus dem Urteil vom 15. Januar 1979 i.S. Achermann gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Ende der Beitragspflicht und Beginn des Anspruchs auf die Altersrente.
- Das Diskriminierungsverbot des
Art. 14 EMRK
gilt nur in bezug auf die in der Konvention ausdrücklich genannten Rechte und Freiheiten. Es enthält kein über die Konvention hinausgehendes allgemeines Rechtsgleichheitsgebot.
- Die unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau in
Art. 3 Abs. 1 und
Art. 21 Abs. 1 AHVG
ist nicht konventionswidrig. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 105 V 1 S. 1
A.-
Anton Achermann vollendete am 22. August 1976 das 62. Altersjahr. Am 17. Januar 1977 ersuchte er die Ausgleichskasse des Kantons Luzern um Befreiung von der Beitragspflicht sowie um Ausrichtung einer Altersrente, beides rückwirkend auf den 22. August 1976. Er berief sich dabei auf
Art. 4 BV
und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Mit Verfügung vom 21. Januar 1977 lehnte die Ausgleichskasse beide
BGE 105 V 1 S. 2
Begehren ab, wobei sie darauf hinwies, dass sie an
Art. 3 Abs. 1 und
Art. 21 Abs. 1 AHVG
, welche Beitragspflicht und Rentenanspruch altersmässig umschreiben, gebunden sei.
B.-
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 16. Mai 1977 ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert der Versicherte seine Begehren. Zur Begründung verweist er auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sich aus
Art. 4 BV
und
Art. 14 EMRK
ergebe.
Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
In materieller Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Versicherten gemäss
Art. 3 Abs. 1 AHVG
"bis zum letzten Tag des Monats, in welchem Männer das 65. und Frauen das 62. Altersjahr vollendet haben", beitragspflichtig sind. Im weiteren bestimmt
Art. 21 Abs. 1 AHVG
, dass - sofern kein Anspruch auf eine Ehepaar-Altersrente besteht - "Anspruch auf eine einfache Altersrente haben...
a) Männer, welche das 65. Altersjahr zurückgelegt haben;
b) Frauen, welche das 62. Altersjahr zurückgelegt haben".
a) Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, diese gesetzliche Regelung verletze den verfassungsmässigen Grundsatz der Rechtsgleichheit gemäss
Art. 4 BV
. Demgegenüber ist jedoch festzuhalten, dass die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemein verbindlichen Beschlüsse sowie die von ihr genehmigten Staatsverträge vom Richter nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft werden können (
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114 bis Abs. 3 BV
). Da es dem Eidg. Versicherungsgericht demnach nicht zusteht, die im AHVG festgelegte unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau bezüglich Ende der Beitragspflicht und Beginn der Altersrentenberechtigung am Grundsatz der Rechtsgleichheit zu messen, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung des
Art. 4 BV
unbegründet. Daran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Urteil des Bundesgerichts vom 12. Oktober 1977 (
BGE 103 Ia 517
ff.) nichts zu ändern, wonach Männern und Frauen bei gleichwertiger
BGE 105 V 1 S. 3
Arbeit das gleiche Entgelt auszurichten sei, ging es in jenem Fall doch um ein kantonales Besoldungsreglement, das auf seine Verfassungsmässigkeit hin überprüft werden durfte.
b) Im weiteren macht der Beschwerdeführer geltend, dass die Regelungen der
Art. 3 Abs. 1 und
Art. 21 Abs. 1 AHVG
gegen die EMRK verstossen.
Diese Konvention wurde von der Schweiz am 3. Oktober 1974 ratifiziert und trat am 28. November 1974 für deren Gebiet in Kraft (AS 1974 II S. 2151). Damit wurden die materiellen Garantien des Abschnittes I der EMRK - mit Ausnahme des Art. 13 - in der Schweiz direkt anwendbar; die Konvention erlangte in der internen Rechtsordnung zumindest Gesetzesrang (
BGE 103 V 192
Erw. 2a, 102 Ia 481 Erw. 7a,
BGE 101 IV 253
; J.-P. MÜLLER, Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz, ZSR 94/1975 I S. 380, 382 ff.; SCHINDLER, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Schweiz, ZSR 94/1975 I S. 366 ff.; WILDHABER, Die Europäische Menschenrechtskonvention, ZBl 76/1975 S. 275; Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz? ZBJV 105/1969 S. 259 ff., 267; BBl 1974 I S. 1059, 1968 II S. 1070 ff.). Ihrer Natur nach haben die von der EMRK geschützten Rechte aber einen verfassungsrechtlichen Inhalt. Der von der Konvention gebotene Schutz hat indessen nur insoweit selbständige Bedeutung, als er den von den Verfassungen und Gesetzen des Bundes und der Kantone gewährten Schutz übersteigt (
BGE 103 V 193
Erw. 2b in fine,
BGE 101 Ia 69
Erw. 2c,
BGE 101 IV 253
; vgl. auch WILDHABER, ZBl 76/1975 S. 275 f.).
Laut
Art. 14 EMRK
ist "der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ... ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist". Dieses Diskriminierungsverbot enthält keinen selbständigen und allgemeinen Rechtsgleichheitssatz (WILDHABER, Die materiellen Rechte der Konvention mit Ausnahme der Artikel 5 und 6, ZSR 94/1975 I S. 538; ZBl 76/1975 S. 274; GURADZE, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 188 f.; PARTSCH, Die Rechte und Freiheiten der Europäischen
BGE 105 V 1 S. 4
Menschenrechtskonvention, S. 90). Aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung ergibt sich, dass dieses Diskriminierungsverbot nur in bezug auf die in der Konvention ausdrücklich genannten Rechte und Freiheiten gilt (WILDHABER, ZSR 94/1975 I S. 511; PARTSCH, a.a.O., S. 91; SCHORN, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, S. 281).
Art. 14 EMRK
hat deshalb lediglich akzessorische Bedeutung, indem er die diskriminierende Auslegung oder Anwendung der in der EMRK oder in den Zusatzprotokollen aufgezählten Rechte und Freiheiten untersagt, während die Diskriminierung in Rechtsgebieten, die durch die Konvention bzw. die Zusatzprotokolle nicht geschützt sind, nicht als Konventionsverletzung gerügt werden kann (WILDHABER, ZSR 94/1975 I S. 539; GURADZE, a.a.O., S. 188 f.; PARTSCH, a.a.O., S. 91).
Die EMRK und die - von der Schweiz nur zum Teil ratifizierten - Zusatzprotokolle enthalten weder eine allgemeine Vorschrift über die rechtsgleiche Behandlung von Mann und Frau noch eine im vorliegenden Fall anwendbare Bestimmung über die Altersgrenzen beim Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen bzw. bei der Verpflichtung zu entsprechenden Beiträgen.
Art. 3 Abs. 1 und
Art. 21 Abs. 1 AHVG
stehen demnach nicht in einem Widerspruch zur EMRK, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch in diesem Punkt unbegründet ist. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ad8acb68-64d8-4f5d-915e-831a5c7d6ce8 | Urteilskopf
122 III 150
31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Mai 1996 i.S. Reto und Christina M. gegen Guido und Frida R. (Berufung) | Regeste
Art. 731 Abs. 3 ZGB
; Ersitzung einer Grunddienstbarkeit.
Gehört ein Grundstück zum unverteilten Nachlass, ist eine Ersitzung des Alleineigentums durch einen Erben ausgeschlossen. Fällt eine Eigentumsersitzung ausser Betracht, kann nach
Art. 731 Abs. 3 ZGB
auch eine Ersitzung einer Grunddienstbarkeit nicht in Frage kommen. Daran ändert nichts, dass die Eigentumsersitzung im Grundbuch vollzogen wurde (E. 2).
Ein Teil eines ungültigen Erbteilungsvertrages kann als Dienstbarkeitsvertrag selbständigen Bestand haben, wenn dieser Teil hinsichtlich Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen an einen Dienstbarkeitsvertrag entspricht (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 151
BGE 122 III 150 S. 151
A.-
Auf den Grundstücken Parzellen Nr. 204 und 205 in Flims-Dorf steht ein altes Bündner Haus, welches seinerzeit Placidus S. gehörte. Bei seinem Tod im Jahr 1912 hinterliess Placidus S. vier Töchter. Am 18. Januar 1913 schlossen die vier Töchtern des Placidus S. die folgende Vereinbarung ab:
"Entelgienscha
Denter las soras S. ei sentelgiu il savundont.
1. L'Agnes ha il dretg da cumprar anavos la mezzadat dil
curtgin della purteglia engiu, per fr. Duamilli sche quei
daventa enteifer il temps da Diesch onns.
2. Tiers la part casa dadens sauda.
a. La stiva cun combra,
b. la combra sura gronda cun la combra visavi,
c. la combra sisum davart dadens e la combra da carn,
d. ils dus tschalèrs della part dadens cun comunabel della
gudiment veulta (Vorplatz),
e. il locus (Abtritt) sut,
f. igl "Estrich" dadens,
g. la part pastrin della "fanteuna Gliott"
h. ils vaus en casa e la veulta vegnen gudi comunablamein
[ganze Litera durchgestrichen]
h. il nuel sut,
i. en clavau la foppa et ils dus ladritschs gronds entadim
cun ina teuna da paglia oradim clavau davart dadens,
3. La part dador compeglia
tut ils locals ch'ein sura buc manai si.
BGE 122 III 150 S. 152
4. Ils vaus en casa e la veulta, sco era il curtgin e tut posses
enturn ils bagetgs vegnien gudi comunablamein.
Quella partgida eis fatgia en preschienscha e cun cuntentienscha dellas
suttascrittas soras S. entras igl incombensan
Flem, ils 18 da Schanèr 1913
(sig. Y.)
N.B. Per partiala midada e definaziun da quei chei cunteneu sut Ziff.1
ei fatg ina speziala entelgienscha denter las soras Agnes, Anna e
Christina, tenor la quala il temps ei fixaus definitiv sin quindisch onns.
L'Agnes sa dentont haver il platz mo per seza baghegiar sin quel.
[Letzter Satz durchgestrichen.]
Flem, ils 18 da Schanèr 1913
(sig. Anna S.
Christina S.
Maria C.-S.
Agnes S.)."
In der Folge wurde der Hausteil West von Christina R.-S. und der Hausteil Ost von Anna M.-S. übernommen; im seinerzeitigen Kauf- und Pfandprotokoll der Gemeinde Flims wurde diesbezüglich nichts verurkundet. Kurz vor Einführung des Liegenschaften- und Servitutenregisters am 1. Mai 1956 wurden kraft einer Verfügung des Kreisamtes Trins vom 7. Februar 1955 "im Ersitzungsverfahren" Christina R.-S. als Eigentümerin der Parzelle 204 (Hausteil West) und Anna M.-S. als Eigentümerin der Parzelle 205 (Hausteil Ost) im Grundbuch Flims eingetragen.
Nach dem Tod von Christina R.-S. ging der Hausteil West im Jahr 1973 durch Erbteilung auf Guido R. über; seit 1980 steht dieser Hausteil infolge Begründung des Ehegüterstandes der Gütergemeinschaft im gemeinschaftlichen Eigentum von Guido und Frida R. In bezug auf den Hausteil Ost wurden nach dem Tod von Anna M.-S. die Geschwister Reto und Christina M. im Jahr 1973 aufgrund eines Erbteilungsvertrages als Miteigentümer eingetragen.
B.-
Im Erdgeschoss des Hauses befinden sich zwei Hauseingänge, nämlich der Nordeingang im Hausteil Ost und der Westeingang im Hausteil West. Die beiden Eingänge sind durch einen Korridor verbunden, der auf der Grenze zwischen den Hausteilen West und Ost durch eine Verbindungstür unterbrochen wird. Von jenem Teil des Korridors, welcher sich im Hausteil Ost befindet, führt eine erste Treppe hinunter in die Veulta und eine zweite Treppe hinauf ins erste Obergeschoss. Eine dritte, sehr schmale und steile Treppe
BGE 122 III 150 S. 153
führt direkt von der Stube des Hausteils West in ein darüber liegendes Schlafzimmer. Zwischen den Parteien herrscht Streit darüber, ob die Bewohner des Hausteils West den Korridor im Hausteil Ost benützen dürfen, um über den Hauseingang im Norden ins Freie und um über die beiden ersterwähnten Treppen ins erste Obergeschoss bzw. in die Veulta gelangen zu können; umstritten ist ferner, ob den Bewohnern des Hausteils West ein Nutzungsrecht an der Veulta zustehe. In bezug auf die Nutzung der Durchgänge im Haus und der Veulta bestehen im Grundbuch keine Eintragungen. Die Eheleute Guido und Frida R. machen geltend, ihnen stünden entsprechende Rechte kraft ausserordentlicher Ersitzung einer Grunddienstbarkeit zu.
C.-
Mit Urteil vom 14. Dezember 1994 stellte das Bezirksgericht Imboden fest, dass zugunsten des Grundstückes der Eheleute Guido und Frida R. und zulasten des Grundstückes der Geschwister Reto und Christina M. eine Grunddienstbarkeit "in Form eines Durchgangsrechtes durch die Korridore und die Veulta sowie eines Nutzungsrechtes an der Veulta" bestehe; das Grundbuchamt Flims/Trin wurde angewiesen, eine entsprechende Grunddienstbarkeit im Liegenschaften- und Servitutenregister einzutragen. Eine dagegen von den Geschwistern Reto und Christina M. erhobene Berufung wurde vom Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil vom 17. Oktober 1995 abgewiesen.
D.-
Mit Berufung vom 31. Januar 1996 beantragen die Geschwister Reto und Christina M. dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichtes von Graubünden vom 17. Oktober 1995 aufzuheben und die Klage auf Feststellung des Bestehens und auf Eintragung einer Dienstbarkeit zulasten ihres Grundstückes abzuweisen.
Die Eheleute Guido und Frida R. beantragen dem Bundesgericht die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei; das Kantonsgericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Kantonsgericht geht in seiner Begründung davon aus, dass die Mutter des Klägers 1 - Christina R.S. - die Parzelle Nr. 204 (Hausteil West) durch Ersitzung erworben habe. Während der Dauer der Eigentumsersitzung habe Christina R.-S. auch den Korridor und die Veulta im Hausteil Ost unangefochten und ununterbrochen als Dienstbarkeitsberechtigte benutzt. Gestützt auf Art. 731 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 662 Abs. 1 ZGB
BGE 122 III 150 S. 154
schliesst das Kantonsgericht daraus, dass Christina R.-S. nicht nur das Eigentum am Grundstück Nr. 204 mit dem darauf stehenden Hausteil West, sondern auch die Dienstbarkeit zur Nutzung der genannten Gebäudeteile des Hausteils Ost vor dem 1. Mai 1956 ersessen habe. Die Beklagten halten die Auffassung des Kantonsgerichtes in verschiedener Hinsicht für bundesrechtswidrig. Sie wenden im wesentlichen ein, die Ersitzung einer Dienstbarkeit scheitere bereits daran, dass während der angeblichen Ersitzungsdauer nur ein Grundstück und nicht deren zwei - nämlich ein belastetes und ein berechtigtes - bestanden hätten. Abgesehen davon sei das (altrechtliche) Kauf- und Pfandprotokoll mit negativer Rechtskraft ausgestattet, weshalb Grunddienstbarkeiten nur durch Registereintrag und nicht auch durch (ausserordentliche) Ersitzung rechtsgültig entstehen könnten.
a) Gemäss
Art. 731 Abs. 3 ZGB
ist die Ersitzung einer Dienstbarkeit nur zu Lasten von Grundstücken möglich, an denen das Eigentum ersessen werden kann. Für die hier zu beurteilende Frage der Ersitzung einer Dienstbarkeit ist daher vorweg zu prüfen, ob die Ersitzung des Eigentums durch Christina R.-S. und Anna M.-S. an den jeweiligen Hausteilen möglich war.
Gehört ein Grundstück zum unverteilten Nachlass, ist eine Ersitzung des Alleineigentums durch einen Erben ausgeschlossen, da der Erbteilungsanspruch einer Ersitzung zum vornherein entgegensteht (
BGE 116 II 267
mit weiteren Hinweisen). In bezug auf das seinerzeit Placidus S. gehörende Grundstück fand keine rechtsgültige Teilung statt. Einerseits kann die anscheinend nach der Vereinbarung vom 18. Januar 1913 erfolgte Übertragung der beiden Haushälften in den Eigenbesitz von Christina R.-S. und Anna M.-S. nicht als Realteilung qualifiziert werden. Für den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Grundeigentum gilt das absolute Eintragungsprinzip, weshalb ein Erbe durch blosse Besitzübertragung kein Alleineigentum erwerben kann (
BGE 102 II 197
E.3 S. 203 ff.). Andererseits kann die von den damaligen Erbinnen am 18. Januar 1913 unterzeichnete Vereinbarung, die zwar als Erbteilung konzipiert war - sie wird ausdrücklich als das bezeichnet ("partgida") -, nicht als gültiger Teilungsvertrag im Sinne von
Art. 634 ZGB
qualifiziert werden, da ihr nicht zu entnehmen ist, welchen der vier Erbinnen die beiden Hausteile zuzuweisen sind. Damit entbehrt sie eines unabdingbaren Elementes (
BGE 100 Ib 121
E. 2 S. 124 mit Hinweis). Daher stand das Grundstück des Placidus S. (bzw. standen im Falle einer vorgängigen Parzellierung die beiden Grundstücke Nr. 204 und 205) bis zur kreisamtlichen Ersitzungsverfügung im Gesamteigentum
BGE 122 III 150 S. 155
der vier Töchter des Placidus S. (
Art. 602 Abs. 1 ZGB
). Weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus den Akten ergibt sich, ob vor der kreisamtlichen Ersitzungsverfügung - und gegebenenfalls wann - das Grundstück in die beiden Parzellen 204 und 205 aufgeteilt wurde. Ist aber ein Grundstück der Ersitzung nicht zugänglich, folgt aus
Art. 731 Abs. 3 ZGB
ohne weiteres, dass auch die Ersitzung einer Dienstbarkeit zulasten eines solchen Grundstückes nicht möglich ist. Die Ersitzung der in Frage stehenden Dienstbarkeit war daher nicht möglich.
b) Daran ändert auch der Hinweis des Kantonsgerichtes nichts, das der Grundbucheintrag gemäss
Art. 9 ZGB
den Nachweis für die Eigentumsersitzung erbringe. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann dieser Bestimmung keineswegs entnommen werden, dass mit der Verurkundung der Ersitzung des Eigentums die Frage der ausserordentlichen Ersitzung von Grunddienstbarkeiten präjudiziert werde.
Art. 9 ZGB
bezieht sich nur auf den Beweis von Tatsachen, während sich die Rechtswirkungen des Grundbucheintrages nicht aus
Art. 9 ZGB
, sondern aus den
Art. 972 ff. ZGB
ergeben; diesen Bestimmungen kann für die mit der Anwendung von
Art. 731 Abs. 3 ZGB
verbundene Fragestellung nichts entnommen werden. Im übrigen handelt es sich bei der im Auskündungsverfahren gemäss
Art. 662 Abs. 3 ZGB
ergangenen Verfügung des Kreisamts Trins vom 7. Februar 1955, Anna M.-S. und Christina R.-S. als Eigentümerinnen der beiden Grundstücke 204 und 205 im Grundbuch einzutragen, nicht um einen Entscheid, der bei der Anwendung von
Art. 731 Abs. 3 ZGB
zu berücksichtigen ist. Das Auskündungsverfahren ist ein nichtstreitiges Verfahren, in welchem die Voraussetzungen der Ersitzung nicht geprüft werden, sondern nur allfällige Mängel am Ersitzungstatbestand mangels Einsprache geheilt werden (HEINZ REY, Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, Band I, Bern 1991, N. 1634 ff.; PETER LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches Privatrecht V/1, Basel 1977, S. 155). Wenn die Behörde aber keine Kognition zur Prüfung der materiellen Rechtsfragen hat, kann ihr Entscheid auch keine Bindungswirkung in einem späteren Verfahren haben, in dem der Richter über volle Kognition verfügt (OSKAR VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechtes, 4. Auflage, Zürich 1995, 8. Kapitel, Rz. 75). Der kreisamtlichen Ersitzungsverfügung kommt somit keine präjudizielle Wirkung zu.
c) Der Vollständigkeit halber ist schliesslich festzuhalten, dass eine Ersitzung der Grunddienstbarkeit auch für den Zeitraum nach Erlass der
BGE 122 III 150 S. 156
kreisamtlichen Ersitzungsverfügung ausser Betracht fällt. Erkennt ein Kanton bis zur Einführung des eidgenössischen Grundbuches einzelne Wirkungen auch den kantonalen Publizitätseinrichtungen zu (
Art. 48 SchlT ZGB
), so kommt dem provisorischen Grundbuch für die Zeit nach Inkrafttreten desselben - trotz fehlender Bereinigung der altrechtlichen Verhältnisse - die negative Grundbuchwirkung zu (
BGE 114 II 318
E.4 S. 322 ff.). Zwar versagt das Kantonsgericht Graubünden in ständiger Praxis den in bezug auf Bestand oder Nichtbestand von Dienstbarkeiten unzuverlässigen Kauf- und Pfandprotokollen die negative Grundbuchwirkung. Hingegen erkennt es den Liegenschafts- und Servitutenregistern hinsichtlich der Dienstbarkeiten die negative Rechtskraft zu, weil diese Register bereits wie das eidgenössische Grundbuch nach dem Realfolienprinzip aufgebaut sind und ihrer Einführung ein umfassendes Bereinigungs- und Einspracheverfahren vorausgegangen ist (PKG 1991, Nr. 16; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 6. November 1992, publiziert in ZGBR 75/1994, S. 80 ff.). Das Liegenschafts- und Servitutenregisters trat für die Gemeinde Flims am 1. Mai 1956 in Kraft.
3.
Ist die Ersitzung der beanspruchten Grunddienstbarkeiten ausgeschlossen, stellt sich die Frage, ob deren Eintragung nicht direkt gestützt auf die von den Töchtern des Placidus S. getroffene Vereinbarung vom 18. Januar 1913 verlangt werden kann. Dabei steht namentlich dessen Ziff. 4 im Vordergrund. Darin wurde vereinbart, die Durchgänge im Haus und die Veulta gemeinsam zu benutzen. Zu prüfen ist dabei einerseits, ob Ziff. 4 als selbständiger Teil der Vereinbarung vom 18. Januar 1913 Bestand haben kann; anderseits ist zu beurteilen, ob sie den Anforderungen an Form und Inhalt eines Dienstbarkeitsvertrages genüge. Zu diesen Fragen hat sich die Vorinstanz zwar nicht geäussert; doch wendet das Bundesgericht das Bundesrecht von Amtes wegen an und hat insoweit die Befugnis, den verbindlich festgestellten Sachverhalt im Rahmen von
Art. 43 OG
frei zu würdigen (
Art. 63 Abs. 3 OG
).
a) Der von den Töchtern des Placidus S. am 18. Januar 1913 schriftlich geschlossene Vertrag war als Erbteilungsvertrag konzipiert; als solcher war er indessen nicht gültig, weil ihm nicht zu entnehmen ist, wem die beiden Hausteile zu Alleineigentum zuzuweisen sind (siehe E. 2a). Es stellt sich die Frage, ob die Vereinbarung einer gemeinsamen Nutzung bestimmter Teile des Hauses - für sich allein genommen - Bestand haben kann, war sie doch mit der gleichzeitig vorgesehenen erbrechtlichen Teilung des ursprünglichen
BGE 122 III 150 S. 157
Grundstückes und der Zuweisung der zu bildenden Parzellen zu Alleineigentum verbunden.
Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Erbinnen und Gesamteigentümerinnen mit der in Ziff. 4 der Vereinbarung getroffenen Regelung im Hinblick auf die Teilung ("partgida") und Parzellierung der Liegenschaft die gemeinsame Nutzung ("gudi comunablamein") bestimmter Teile des Hauses durch deren Alleineigentümer ordnen wollten. Die Zuweisung der beiden Hausteile bzw. der Parzellen, auf der diese stehen, zu Alleineigentum erfolgte zwar nicht aufgrund der Vereinbarung vom 18. Januar 1913, sondern durch Verfügung im amtlichen Auskündungsverfahren. Der Umstand allein, dass keine Erbteilung zustande gekommen ist und in der Folge die Zuweisung der beiden Hausteile zu Alleineigentum schliesslich unter einem andern Titel als von den Vertragsparteien ursprünglich vorgesehen erfolgte, kann der Verbindlichkeit der 1913 vereinbarten Nutzungsordnung nicht entgegenstehen. Es gibt keine Anhaltspunkte, die Vereinbarung so auszulegen, dass sie dann nicht gelten sollte, wenn die Eigentumszuweisung nicht wie vorgesehen aufgrund des Erbteilungsvertrages, sondern eines anderen Titels erfolgen würde. Für die Vereinbarung der in Frage stehenden Nutzungsordnung konnte daher nur entscheidend sein, dass die aufzuteilende Liegenschaft ins Alleineigentum übergehen würde, nicht aber, kraft welchen Titels dies geschehen würde. Im Ergebnis wurde mit der Eigentumseinweisung im amtlichen Auskündungsverfahren denn auch keine andere Rechtslage - nämlich Zuweisung der beiden Hausteile zu Alleineigentum - bewirkt als jene, für welche die Vertragsparteien seinerzeit die gemeinsame Nutzungsordnung für bestimmte Teile des Hauses vereinbart hatten. Ziff. 4 der Vereinbarung vom 18. Januar 1913 hat somit als selbständiger Vertrag Bestand.
b) Zu prüfen ist des weiteren, ob die Vereinbarung den gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich Form und Inhalt eines Dienstbarkeitsvertrages entspricht. Ziff. 4 entspricht ohne weiteres der gesetzlichen Formvorschrift gemäss
Art. 732 ZGB
, da die Vereinbarung schriftlich abgefasst ist und die Unterschrift aller durch sie verpflichteten Gesamteigentümerinnen trägt. In bezug auf den Inhalt des Dienstbarkeitsvertrages ist zunächst festzuhalten, dass Grunddienstbarkeiten zwei Grundstücke - ein berechtigtes und ein belastetes - voraussetzen. Freilich ist nicht erforderlich, dass diese bereits bei Abschluss des Vertrages bestehen; vielmehr kann ein Grunddienstbarkeitsvertrag auch im Hinblick auf erst noch zu bildende Grundstücke vereinbart werden; vorausgesetzt ist allerdings, dass aufgrund
BGE 122 III 150 S. 158
des Vertrages das belastete und das berechtigte Grundstück bestimmt oder bestimmbar sind (
BGE 44 II 394
S. 397; PETER LIVER, Zürcher Kommentar, N. 17 zu
Art. 732 ZGB
). Weiter müssen dem Dienstbarkeitsvertrag der Inhalt und der Umfang der Dienstbarkeit zu entnehmen sein, wobei an die Umschreibung des Inhalts keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind (
BGE 87 I 311
E. 1 S. 313 f.; P. LIVER, N. 25 zu
Art. 732 ZGB
). Schliesslich muss der Dienstbarkeitsvertrag auch eine Willenseinigung über die dingliche Natur des zu begründenden Rechts enthalten (P. LIVER, N. 32 zu
Art. 732 ZGB
).
Die zwischen den Töchtern des Placidus S. am 18. Januar 1913 abgeschlossene Vereinbarung genügt den Anforderungen an den Inhalt eines Grunddienstbarkeitsvertrages. Die beteiligten Grundstücke sind zumindest bestimmbar, da der Hausteil West genau bezeichnet wird und die übrigen Räume dem Hausteil Ost zugewiesen werden. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die den beiden Schwestern im Auskündungsverfahren zu Eigentum zugewiesenen Grundstücke, soweit das Wohnhaus betreffend, anders gebildet wurden als gemäss der in der Vereinbarung vom 18. Januar 1913 vorgesehenen räumlichen Ausscheidung. Auch der Inhalt der Dienstbarkeit lässt sich der Vereinbarung genügend klar entnehmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, wie die Nutzung seit der im Anschluss an die Übertragung zu Eigenbesitz der Hausteile West und Ost auf die beiden Schwestern Christina R.-S. und Anna M.-S. seit 1913 tatsächlich erfolgte; den vom Kantonsgericht im Zusammenhang mit der Behandlung der Ersitzungsfrage getroffenen verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen ist zu entnehmen, dass der Nordeingang, der Korridor und die Veulta von den Bewohnern des Hausteils West im Bewusstsein genutzt wurden, dass ihnen diese Nutzung dauernd und ohne Einschränkung zustehe. Schliesslich ist der Vereinbarung auch eine Willenseinigung über die dingliche Natur des zu begründenden Rechts zu entnehmen. Es wurde nicht etwa bloss ein gegenseitiges Benutzungsrecht zugunsten bestimmter Personen vereinbart; vielmehr einigten sich die Parteien im Hinblick auf die Teilung des Hauses unter Zuweisung der dabei zu bildenden Teile zu Alleineigentum - mithin im Bewusstsein, dass die beiden Hausteile verschiedenen Eigentümern gehören würden - auf die gemeinsame Nutzung der Durchgänge im Haus und der Veulta.
c) Dies kann nichts anderes heissen, als dass der jeweilige Eigentümer des Hauses West - heute auf Parzelle 204 - berechtigt ist, das Haus Ost - heute auf Parzelle 205 - zu betreten bzw. dass ihm eine Grunddienstbarkeit nach
BGE 122 III 150 S. 159
Massgabe der Ziff. 1 des Dispositivs des Urteils des Bezirksgerichtes Imboden vom 14. Dezember 1994 eingeräumt wurde. Gestützt auf die Ziff. 4 der Vereinbarung vom 18. Januar 1913 können die Kläger daher die Eintragung der Grunddienstbarkeit verlangen. Das angefochtene Urteil erweist sich somit im Ergebnis als richtig. Die Berufung wird deshalb abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ad8af997-6a26-4d88-959f-b38a76ce29ab | Urteilskopf
80 I 288
47. Arrêt du 28 mai 1954 dans la cause Manini contre Sommer et le Département fédéral de l'économie publique. | Regeste
1. Milchverkaufsbewilligung (Art. 21 Milchstatut): Zuständigkeit des Bundesgerichts. Umfang der Prüfungsbefugnis. Anwendbares Recht (Erw. 1-3).
2. Art. 21, Abs. 2 Milchst.: Voraussetzungen für die Bewilligung der Verlegung einer Milchverkaufsstelle. Hat sich die Behörde auf die Überprüfung der in Frage stehenden öffentlichen Interessen zu beschränken oder kann sie auch die privaten Interessen des Eigentümers des Hauses, in welchem sich die Milchverkaufsstelle befindet, und des Mieters, der die Milchverkaufsstelle betreibt, berücksichtigen und gegen einander abwägen und, wenn die Interessen des Hauseigentümers als wichtiger befunden werden als diejenigen des Mieters, prüfen, ob die Hauseigentümerinteressen durch eine Verlegung desMilchverkaufs stark in Mitleidenschaft gezogen werden? (Die Frage bleibt offen.) (Erw. 4 und 5.)
3. Prüfung und Abwägung der sich im konkreten Falle gegenüberstehenden Interessen (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 289
BGE 80 I 288 S. 289
A.-
André Sommer est directeur-gérant de la société coopérative des Laiteries réunies de Sion-Bramois. Cette société s'occupe de recueillir le lait des producteurs et de le distribuer pour la vente aussi bien à ses propres succursales qu'aux autres laitiers, dits "laitiers privés", qui, à Sion, sont au nombre de cinq, parmi lesquels notamment Joséphine Manini.
Depuis 1933 et jusqu'en novembre 1950, Joséphine Manini a exploité, à Sion, la "Laiterie Modèle", dans des locaux qu'elle louait à la rue St-Théodule. En novembre 1950, André Sommer a acheté le bâtiment où se trouvaient ces locaux, pour un prix de 50 000 fr. en chiffre rond. Il a bénéficié d'un prêt de 51 000 fr. accordé par les Laiteries réunies, auxquelles il a reconnu un droit d'emption sur l'immeuble pour le prix de 50 000 fr. également.
Le 30 novembre 1950, Sommer a résilié le bail dont jouissait Joséphine Manini. Le 5 janvier 1951, celle-ci a loué de nouveaux locaux à Emma Gaspoz à la rue de Conthey, à trente-cinq mètres de son ancienne laiterie. Le 8 janvier 1951, se conformant aux règles applicables en la matière, elle a demandé à la Division de l'agriculture du Département fédéral de l'économie publique (ci-après Division de l'agriculture) l'autorisation de transférer son
BGE 80 I 288 S. 290
débit de lait de la rue St-Théodule à la rue de Conthey. Sur ces entrefaites, le 26 janvier 1951, Sommer a sollicité un rendez-vous de Joséphine Manini afin de pouvoir "élaborer un contrat de bail en commun".
B.-
Par décision du 3 février 1951, la Division de l'agriculture a refusé à Joséphine Manini l'autorisation de transfert qu'elle avait sollicitée. Elle a relevé tout d'abord que Sommer était "disposé à proroger, jusqu'à nouvel avis, le bail prévoyant un loyer de 190 fr., et à passer un nouveau contrat en bonne et due forme avec la locataire"; elle a fait valoir ensuite que le transfert était "contraire au plan d'assainissement du commerce du lait".
Le 19 février 1951, Joséphine Manini a demandé à la Division de l'agriculture de revenir sur cette décision en lui accordant l'autorisation de transfert. Le 27 février 1951, elle a transformé cette requête en un recours au Département fédéral de l'économie publique contre le prononcé du 3 février 1951. L'instruction de ce recours est demeurée en suspens jusqu'en janvier 1953. Dans l'intervalle, Sommer a déclaré son intention de procéder à un nouvel aménagement des locaux pour satisfaire aux exigences du Service d'hygiène. Le 26 mai 1951, la Division de l'agriculture a autorisé un transfert provisoire de la laiterie afin de permettre l'exécution des travaux et "dans l'idée qu'une fois les rénovations terminées, les ventes ne pourraient en aucun cas être permises ailleurs" que dans le local de la rue St-Théodule. Joséphine Manini s'est installée dans les locaux de la rue de Conthey pendant le courant de l'année 1951. En 1951 et 1952, Sommer, qui n'avait pas encore signé de bail avec Joséphine Manini, a fait procéder, dans son immeuble de la rue St-Théodule, à des travaux de transformation que le Service cantonal du contrôle des denrées alimentaires a reconnus suffisants en novembre 1952. Puis il a offert à nouveau de conclure un bail avec Joséphine Manini, moyennant un loyer mensuel de 250 fr., au lieu de 190 fr. Joséphine Manini a refusé cette offre, qui lui était faite par l'intermédiaire de
BGE 80 I 288 S. 291
la Division de l'agriculture. Au demeurant, dès le 2 janvier 1953, Sommer a demandé pour lui-même, et à titre subsidiaire, l'autorisation de débiter du lait à la rue St-Théodule. Le 24 janvier 1953, Joséphine Manini a requis la Division de l'agriculture "d'homologuer le transfert de la laiterie dans les nouveaux locaux". Le 31 janvier 1953, la Division de l'agriculture a répondu en révoquant, avec effet dès le 15 février 1953, l'autorisation provisoire de transfert qu'elle avait accordée le 26 mai 1951.
C.-
Le 7 février 1953, Joséphine Manini a confirmé au Département de l'économie publique le recours qu'elle avait déposé en février 1951 et qui tendait à ce que l'autorité fédérale l'autorise à transférer sa laiterie de la rue St-Théodule à la rue de Conthey.
Par décision du 29 janvier 1954, le Département fédéral de l'économie publique a rejeté le recours et confirmé le refus d'autoriser le transfert prononcé par la Division de l'agriculture. Ses motifs sont en bref les suivants:
La Division de l'agriculture a statué sous l'empire de l'ordonnance du 30 avril 1937 sur la production, le commerce et l'utilisation du lait. Le Département doit se prononcer après l'entrée en vigueur du nouvel arrêté du 29 septembre 1953 sur le statut du lait. Il n'y a toutefois pas à rechercher quel est le droit applicable, car les principes du nouveau droit sont les mêmes que ceux de l'ancien. Il faut examiner la demande de transfert tout d'abord sous l'angle de l'intérêt public en vue duquel le commerce du lait est réglementé, puis tenir compte en second lieu des intérêts privés du propriétaire et du locataire. En ce qui concerne l'intérêt public, il n'y a pas de raison majeure de refuser l'autorisation de transfert, mais il n'y en a pas non plus de l'accorder. Dès lors tout dépend des intérêts privés en présence. Sur ce plan, Joséphine Manini ne peut se prévaloir aujourd'hui de la résiliation du bail par Sommer, ni des conditions du nouveau bail qu'il propose, ni du mauvais état de locaux, ni enfin d'une prétendue mainmise des Laiteries réunies sur son commerce. Le refus de
BGE 80 I 288 S. 292
l'autorisation de transfert ne compromet en rien les intérêts qu'elle peut avoir à cet égard. En effet, Sommer a rénové les locaux, qui correspondent maintenant aux exigences de l'hygiène. Il a retiré la résiliation et offre un bail dont les conditions n'ont rien d'excessif et présentent toute garantie pour Joséphine Manini à l'égard des Laiteries réunies. En revanche Sommer a, dans cette affaire, des intérêts importants qui ne peuvent être sauvegardés que par le refus de l'autorisation de transfert. Si Joséphine Manini quittait la rue St-Théodule pour la rue de Conthey, Sommer ne pourrait installer dans ses locaux une nouvelle laiterie mais devrait les affecter à une autre destination. Cela n'irait pas sans des frais importants et d'autant moins justifiés que les locaux viennent d'être rénovés pour une laiterie. C'est pourquoi les intérêts du propriétaire doivent en l'espèce l'emporter sur ceux de la locataire et l'autorisation de transfert être refusée.
D.-
Contre cette décision, Joséphine Manini interjette un recours de droit administratif au Tribunal fédéral auquel elle demande l'annulation du prononcé attaqué et l'autorisation définitive de transférer son débit de lait de la rue St-Théodule à la rue de Conthey.
Avec le Département fédéral de l'économie publique, la recourante considère qu'il faut tenir compte en première ligne de l'intérêt public et en second lieu seulement des intérêts privés. Avec lui, elle admet également que l'intérêt public n'est pas en cause. Il convient dès lors d'examiner les intérêts privés, encore que ceux-ci ne puissent pas, ditelle, constituer la seule base de la décision administrative. Les intérêts en présence sont d'une part ceux d'un propriétaire d'immeuble, d'autre part ceux d'un locataire, concessionnaire d'un débit de lait. Si le propriétaire d'un immeuble où se trouve un commerce court certains risques, il les connaît d'avance. Quand il achète le bâtiment il peut y parer en en tenant compte dans le prix qu'il offre. Quand il procède à l'aménagement nécessaire au commerce, il peut prendre ses précautions en prévoyant un amortissement
BGE 80 I 288 S. 293
convenable. En revanche le locataire, qui est à la merci d'un changement de propriétaire, ignore si son bail sera renouvelé et s'il pourra trouver de nouveaux locaux en cas de résiliation. Il ne peut jouir d'aucune protection de la part de l'autorité administrative. En l'espèce, Sommer a acheté l'immeuble de la rue St-Théodule puis il a résilié le bail. D'autre part, le Service cantonal du contrôle des denrées alimentaires a estimé insuffisants les anciens locaux. Placée devant ces deux faits, la recourante a loué le magasin de la rue de Conthey. Si par la suite et sans avoir encore passé de nouveau contrat avec elle, Sommer a fait des frais importants pour transformer ses locaux en une laiterie conforme aux exigences de l'hygiène, il l'a fait à ses risques et périls, puisqu'il savait qu'elle avait conclu un bail avec un tiers. Outre cela, il est manifeste que la recourante est la victime des Laiteries réunies qui, agissant par l'intermédiaire de leur directeur-gérant, cherchent à s'emparer de son commerce. Ce sont dès lors ses intérêts qui doivent l'emporter. Le Département ne peut l'obliger à conclure un nouveau bail avec Sommer et encore moins lui en imposer les conditions.
Le Département et Sommer concluent, avec suite de frais et dépens, au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La loi fédérale du 3 octobre 1951 sur l'agriculture (LAg) ouvre la voie du recours de droit administratif au Tribunal fédéral contre le refus ou le retrait des autorisations qu'elle institue (art. 107). De même, l'art. 38 de l'arrêté fédéral du 29 septembre 1953 sur le statut du lait (ASL) prévoit un recours de droit administratif au Tribunal fédéral contre toute décision de la dernière autorité cantonale et du Département fédéral de l'économie publique concernant le refus ou le retrait d'autorisation.
En l'espèce, l'opération à laquelle la recourante a procédé est le transfert de son débit de lait. En vertu de l'art. 21, le transfert d'un débit de lait est soumis à autorisation.
BGE 80 I 288 S. 294
La décision attaquée, rendue par le Département fédéral de l'économie publique, refuse cette autorisation. Elle est dès lors susceptible d'un recours de droit administratif au sens des art. 102 ss OJ. La compétence du Tribunal fédéral n'est donc pas contestable. Elle n'est du reste pas contestée.
2.
S'agissant d'un recours de droit administratif, le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral est réglé par les art. 104, 105 et 109 OJ. Le Tribunal fédéral peut rechercher si la décision attaquée repose sur des constatations de fait inexactes ou incomplètes. Il revoit librement l'application du droit et, s'il ne peut aller au delà des conclusions des parties (sauf en matière d'impôts), il n'est pas lié en revanche par les motifs qu'elles invoquent.
3.
Jusqu'au 31 décembre 1953, le régime des autorisations concernant les débits de lait était réglé par l'ordonnance du 30 avril 1937 sur la production, le commerce et l'utilisation du lait, plus spécialement par l'art. 12 de cette ordonnance. Depuis le 1er janvier 1954, il est soumis exclusivement aux prescriptions de l'ASL, en particulier de l'art. 21 ASL. C'est ce qui résulte de l'art. 49 ASL et de la déclaration du Conseil fédéral du 30 décembre 1953 (ROLF 1953, p. 1152). Ce changement de législation n'atteignant pas la recourante dans des droits acquis, le présent litige doit dès lors être examiné à la seule lumière des règles posées par la LAG et l'ASL. Il porte d'ailleurs uniquement sur le refus de l'autorisation définitive de transfert prononcé en premier ressort le 3 février 1951 et par la juridiction de recours le 29 janvier 1954. L'autorisation provisoire accordée le 26 mai 1951 pour la durée des travaux et révoquée le 31 janvier 1953 une fois les réparations terminées, n'est pas en cause.
4.
En vertu de l'art. 26 LAg, l'Assemblée fédérale a le droit, en tenant compte des intérêts de l'économie nationale, de prendre des mesures destinées tant à assurer un bon ravitaillement du pays en lait et en produits laitiers qu'à faciliter la vente du lait à des prix équitables. Elle
BGE 80 I 288 S. 295
peut en particulier édicter des prescriptions "qui, eu égard aux conditions locales, permettent de recueillir et de distribuer le lait de consommation de manière rationnelle et à peu de frais, notamment en empêchant d'ouvrir des débits en nombre excessif et en organisant la distribution du lait par quartier".
En application de ces dispositions et conformément à leur lettre et à leur esprit, l'art. 21 ASL prévoit que certaines opérations relatives à un débit de lait sont subordonnées à une autorisation. Il fixe en outre les conditions auxquelles l'autorisation est délivrée. C'est ainsi que l'ouverture ou le transfert d'un débit de lait, c'est-à-dire son déplacement d'un lieu dans un autre, sont soumis à une autorisation, qui "doit être délivrée lorsqu'elle répond à un besoin des consommateurs et que son usage ne risque pas d'empêcher la distribution rationnelle et économique du lait".
Il n'est pas contesté qu'en l'espèce ces diverses conditions sont réunies. Elles l'étaient déjà en ce qui concerne le débit de la rue St-Théodule. Or le débit de la rue de Conthey, qui se trouve à trente-cinq mètres seulement du premier, est situé dans le même quartier exactement. C'est pourquoi, à s'en tenir aux termes de l'art. 21 ASL, l'autorisation de transfert aurait dû être délivrée à la recourante.
5.
Néanmoins, le Département fédéral de l'économie publique a refusé cette autorisation. Il estime en effet qu'en cas de transfert, l'autorité ne doit pas se borner à examiner les nécessités de l'intérêt public; elle doit mettre aussi en balance les intérêts privés du propriétaire de l'immeuble où se trouve le débit et ceux du laitier locataire; si les intérêts du propriétaire apparaissent plus dignes de protection que ceux du locataire, il faut qu'elle recherche s'ils seraient gravement compromis par le transfert. Le Département fonde son opinion sur un passage du message du Conseil fédéral ainsi conçu:
"Le permis ne confère pas à son titulaire la possibilité de se prévaloir d'un droit personnel, et il ne peut par conséquent être
BGE 80 I 288 S. 296
transmis librement. Lors du transfert ou de la remise d'un débit, par exemple, il peut être nécessaire parfois de tenir compte de façon équitable aussi bien des intérêts du détaillant que de ceux du propriétaire de l'immeuble. Si un commerçant transfère son débit de lait d'une maison dans une autre, le propriétaire de l'immeuble qu'il a quitté ne peut pas reprendre simplement le magasin à son compte ou en confier la gérance à un tiers" (FF 1953 I 500).
On peut se demander toutefois si l'opinion du Département est compatible avec le texte de l'art. 21 ASL et si elle ne revient pas à donner au message du Conseil fédéral une portée qu'il n'a pas. Il est vrai qu'elle trouverait un appui dans les textes si elle devait être examinée à la lumière des règles de l'ancien droit. En effet, ainsi que cela résulte de l'art. 12 de l'ordonnance de 1937, l'autorité jouissait alors d'un large pouvoir d'appréciation, pourvu qu'elle n'accordât pas d'autorisation quand il n'y avait pas de besoin ou quand le ravitaillement normal en lait frais en aurait été compromis. Dans la mesure où elle pouvait accorder l'autorisation, elle avait aussi la faculté de la refuser si des motifs d'opportunité s'imposaient à elle.
Il semble cependant qu'il n'en va plus de même aujourd'hui et que l'ASL a renversé la situation en ce sens que l'autorité administrative n'a plus le pouvoir de statuer en opportunité dans un certain champ préalablement limité par le législateur. Le texte apparemment impératif de l'art. 21 al. 2 ASL permet en effet de dire que l'ASL fixe non les conditions minima qui doivent être réunies pour que l'autorisation puisse être accordée, mais bien, exhaustivement et limitativement, toutes les conditions qui, une fois réalisées, doivent entraîner l'octroi de l'autorisation. Dans ce système, les conditions de l'art. 21 al. 2 ASL étant remplies, l'autorité ne pourrait prendre en considération d'autres facteurs pour refuser l'autorisation si ce n'est dans les limites de la notion de besoin. C'est seulement si ces exigences n'étaient pas satisfaites que l'autorité pourrait tenir compte d'autres éléments pour accorder néanmoins l'autorisation, et c'est dans ce sens uniquement que
BGE 80 I 288 S. 297
devrait être interprété le passage du message du Conseil fédéral sur lequel le Département appuie sa manière de voir.
Toutefois, quoi qu'il en soit, cette question peut demeurer aujourd'hui indécise. En effet, si l'on met en balance les intérêts privés des parties en présence, ceux de la recourante doivent l'emporter, ce qui entraîne l'octroi de l'autorisation.
6.
A ce propos, il convient de rappeler qu'André Sommer, qui a acheté la maison de la rue St-Théodule en novembre 1950, était directeur-gérant des Laiteries réunies de Sion-Bramois, qui lui ont accordé leur aide financière pour cette opération et possèdent un droit d'emption sur l'immeuble. Ainsi, il n'est nullement exclu que la société des Laiteries réunies ne devienne, un jour ou l'autre, propriétaire du bâtiment. Or, elle poursuit à l'égard des "laitiers privés" une politique commerciale dont elle a précisé le but en déclarant que "la défense des intérêts de la production et du consommateur l'oblige à être un élément toujours plus complet pour un service public général afin de supprimer les intermédiaires inutiles entre la production et la consommation". Cela signifie qu'elle tend à se substituer peu à peu aux "laitiers privés". Si la recourante n'obtenait pas l'autorisation de transférer son débit de lait, elle risquerait de devenir locataire de la grande entreprise; elle serait en tout cas locataire de celui qui dirige cette société et qui poursuit les mêmes buts. Elle se trouverait à son égard dans un rapport de dépendance et perdrait ainsi une partie notable de sa liberté. Elle serait à la merci d'une résiliation du bail, d'un loyer excessif et, en général, de tous les conflits qui peuvent surgir entre locataires et propriétaires, surtout lorsqu'ils ont des intérêts commerciaux opposés et que la disparition de l'un est à l'avantage de l'autre. Cette situation fausserait le jeu de la libre concurrence. Elle serait contraire à l'esprit de l'ASL qui, ainsi que le Conseil fédéral le précise dans son message, n'a pas voulu donner le monopole du commerce
BGE 80 I 288 S. 298
du lait aux grandes entreprises, parce que l'expérience montre "que c'est l'exploitation familiale de moyenne importance qui, du point de vue des frais, travaille dans les conditions les plus favorables". Ces seules considérations suffisent à faire admettre que les intérêts de la recourante doivent primer ceux d'André Sommer et qu'ils seraient gravement compromis si l'autorisation de transfert était refusée.
Sans doute, André Sommer a-t-il engagé des frais importants pour remettre les locaux de la laiterie en état et pour satisfaire aux exigences du service de l'hygiène. Mais il a entrepris ces travaux alors qu'il n'avait pas conclu de nouveau bail avec la recourante et que l'autorité administrative n'avait pas encore statué sur l'autorisation de transfert. Il a donc agi à ses risques et périls. On ne saurait non plus reprocher à la recourante l'attitude qu'elle a eue pendant la procédure. Elle ne s'est pas opposée en particulier aux réparations que Sommer se proposait de faire, mais entendait surtout avoir l'assurance que les installations dont elle était propriétaire ne seraient pas sans autre éliminées. Enfin elle pouvait, sans que cela fût critiquable, louer les locaux de la rue de Conthey puis, ensuite seulement, présenter une demande de transfert; si elle avait sollicité l'autorisation avant d'avoir les locaux, elle aurait pu craindre que l'administration ne considère sa requête comme sans objet; au surplus ce nouveau bail ne liait pas l'autorité.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
admet le recours, annule la décision attaquée et accorde à Joséphine Manini l'autorisation de transfert de la "Laiterie Modèle". | public_law | nan | fr | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad8bc7b6-be44-4469-84a9-5b3a19ddbcdc | Urteilskopf
112 Ib 460
71. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 7 octobre 1986 dans la cause E. contre canton de Vaud (procès direct) | Regeste
Verantwortlichkeit des Staates für ungerechtfertigte Inhaftierung (
Art. 67 StPO
des Kantons Waadt).
Höhe der Genugtuungssumme. | Sachverhalt
ab Seite 460
BGE 112 Ib 460 S. 460
A.-
Soupçonné d'avoir participé à l'enlèvement d'un citoyen de l'Equateur, E. a été arrêté le 17 mai 1983, sur ordre du Juge informateur de l'arrondissement de La Côte, avant d'être relaxé le 29 juillet 1983. L'instruction, ouverte sur dénonciation des autorités de l'Equateur, a conduit à un non-lieu prononcé le 24 septembre 1984.
Au moment de son arrestation, E., père d'une fille née le 5 décembre 1982, était étudiant à l'Ecole polytechnique fédérale de Lausanne. Des mesures furent prises pour qu'il puisse passer son premier examen propédeutique, nonobstant sa détention, ce qu'il fit avec succès. Après sa libération, E. reprit les cours et réussit le deuxième examen.
B.-
Par la voie d'une action directe au sens de l'art. 42 OJ, E. demande au Tribunal fédéral de condamner l'Etat de Vaud au paiement de 28'000 francs avec intérêts.
Admettant partiellement la demande, le Tribunal fédéral alloue à E. le montant de 10'000 francs plus intérêts.
BGE 112 Ib 460 S. 461
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
c) S'agissant de la réparation du tort moral, le demandeur émet une prétention de 20'000 francs.
bb) E. a été détenu pendant 74 jours. Les circonstances particulières du cas, si elles ne justifient pas une véritable réduction, représentent néanmoins un élément que le juge doit prendre en considération pour fixer le montant de l'indemnité. La détention a été relativement peu connue dans le milieu estudiantin fréquenté par le demandeur; un professeur en avait eu vent, parce qu'un examen avait été organisé en prison; un camarade d'E. relate, en revanche, que personne parmi les élèves n'était au courant de cette affaire. D'un autre côté, la détention a certainement été pénible en raison de sa durée.
Tout bien pesé, il apparaît équitable de fixer globalement l'indemnité pour tort moral à 9'000 francs.
Au total, le dommage subi par le demandeur, du fait de sa détention injustifiée, s'élève donc à 10'000 francs, montant qui portera intérêt à 5% l'an dès la date moyenne du 20 juin 1983. | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ad8d654a-655a-4513-b780-c86f5679beea | Urteilskopf
121 I 93
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. März 1995 i.S. K. gegen Generalprokurator-Stellvertreterin und II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 32 Abs. 3 und 4 lit. a,
Art. 89, 96 Abs. 1 OG
; Beschwerdefrist.
Die Frist ist auch dann gewahrt, wenn eine staatsrechtliche Beschwerde innerhalb von 30 Tagen seit der Eröffnung oder Mitteilung der Verfügung an gerechnet, bei der kantonalen Behörde, welche den Entscheid gefällt hat, eingereicht worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 121 I 93 S. 93
Am 26. September 1994 reichte K. bei der II. Strafkammer des Berner Obergerichts "z.H. des Schweiz. Bundesgerichts" staatsrechtliche Beschwerde ein, welche der Präsident der II. Strafkammer dem Bundesgericht am 29. September 1994 zustellte. Mit Brief vom 7. Oktober 1994 teilte der Anwalt von K. dem Bundesgericht mit, dass er die staatsrechtliche Beschwerde versehentlich bei einer unzuständigen Behörde eingereicht habe. Er ersucht das Bundesgericht, auf die innert der Frist an die falsche Behörde eingereichte staatsrechtliche Beschwerde einzutreten.
BGE 121 I 93 S. 94
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (
BGE 120 Ia 165
E. 1 S. 166 mit Hinweisen). Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Beschwerdefrist eingehalten worden ist.
a) Gemäss
Art. 89 OG
muss die staatsrechtliche Beschwerde binnen 30 Tagen, von der nach kantonalem Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung der Verfügung an gerechnet, dem Bundesgericht schriftlich eingereicht werden.
Art. 32 Abs. 3 OG
verlangt allgemein:
"Prozessuale Handlungen sind innerhalb der Frist vorzunehmen. Eingaben
müssen spätestens am letzten Tag der Frist der zuständigen Behörde
eingereicht oder zu deren Handen der schweizerischen PTT oder einer
schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben
werden."
In
Art. 32 Abs. 4 lit. a OG
wird zudem folgendes statuiert:
"Bestimmt das Gesetz nichts anderes, so gilt die Frist als gewahrt:
a. wenn eine beim Gericht einzulegende Eingabe rechtzeitig bei einer
anderen Bundesbehörde oder bei der kantonalen Behörde, welche den Entscheid
gefällt hat, eingereicht worden ist;"
Nach dem Wortlaut dieser bei der Revision vom 4. Oktober 1991 eingefügten Bestimmung wahrt die Einreichung beim Berner Obergericht die Beschwerdefrist.
b) Im vierten Titel des OG, in den Artikeln betreffend die staatsrechtliche Beschwerde, bestimmt
Art. 96 Abs. 1 OG
, der bei der Revision vom 4. Oktober 1991 unverändert blieb:
"Ist eine Beschwerde rechtzeitig beim Bundesgericht, beim Bundesrat oder
bei einer besondern eidgenössischen Instanz der Verwaltungsrechtspflege
eingereicht worden, so gilt die Beschwerdefrist als eingehalten, auch wenn
die Beschwerde in die Zuständigkeit einer andern dieser Behörden fällt; die
Beschwerde ist dieser von Amtes wegen zu übergeben."
Deshalb fragt es sich, wie sich dieser Artikel zur neuen Bestimmung von
Art. 32 Abs. 4 lit. a OG
("Bestimmt das Gesetz nichts anderes, ...") verhält.
c) In der alten Fassung lautete
Art. 32 Abs. 3 OG
:
"Eine Frist gilt nur dann als eingehalten, wenn die Handlung innerhalb
derselben vorgenommen wird. Schriftliche Eingaben müssen spätestens am
letzten Tag der Frist an die Stelle, bei der sie einzureichen sind, gelangt
oder zu deren Handen der schweizerischen Post übergeben sein. ..."
BGE 121 I 93 S. 95
Das Bundesgericht hatte dazu in ständiger Praxis entschieden, dass eine staatsrechtliche Beschwerde nur dann rechtzeitig ist, wenn sie vor Ablauf der Beschwerdefrist beim Bundesgericht eingelangt oder von der kantonalen Behörde wenigstens vor Ablauf der Frist der Post übergeben worden war (
BGE 103 Ia 53
E. 1 S. 54 mit Hinweisen).
Diese Praxis kann seit der Revision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 4. Oktober 1991, in Kraft seit 15. Februar 1992, nicht mehr aufrechterhalten werden. Im neuen Absatz 4 lit. a von
Art. 32 OG
wird nunmehr vorgesehen, dass die einzulegende Eingabe innerhalb der Frist bei der kantonalen Behörde, welche den Entscheid gefällt hat, eingereicht worden ist. Es kommt somit nicht mehr darauf an, ob die sachlich unzuständige Behörde die Eingabe mindestens noch innert Frist der Post zu übergeben vermag (
BGE 118 Ia 241
E. 3c S. 243).
d) Der Wortlaut von
Art. 96 Abs. 1 OG
geht weniger weit, aber in dieselbe Richtung, wie der neue
Art. 32 Abs. 4 lit. a OG
. Dieser erlaubt, die Frist auch durch Einreichung bei der kantonalen Vorinstanz zu wahren.
Art. 96 Abs. 1 OG
bestimmte schon bisher, durch Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde bei einer unzuständigen Instanz der Bundesverwaltungsrechtspflege sei die Frist gewahrt.
Die neue gesetzliche Ordnung konkretisiert einen seit langem im Bereich der Rechtsmittelfristen vorherrschenden Gedanken, dass nämlich der Rechtsuchende nicht ohne Not um die Beurteilung seines Rechtsbegehrens durch die zuständige Instanz gebracht werden soll. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der sich auf die gesamte Rechtsordnung bezieht (
BGE 118 Ia 241
E. 3b und c S. 243 f. mit Hinweisen, insbesondere auf
BGE 103 Ia 53
E. 1 S. 55). Soweit
Art. 32 Abs. 4 lit. a OG
von anderen gesetzlichen Bestimmungen spricht, können damit nur grosszügigere Regelungen gemeint sein (vgl.
Art. 107 OG
); d.h. die neue Bestimmung von
Art. 32 Abs. 4 OG
stellt eine Minimalbestimmung dar. Aufgrund der Entstehungsgeschichte des neuen
Art. 32 OG
drängt sich eine solche Auslegung der Fristbestimmungen zugunsten der Beschwerdeführenden auf: Ziel der Reform dieses Artikels war die Abschaffung einer übertriebenen Formstrenge (vgl. Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, 97. Jahrgang, 1987, S. 351 f., auch wenn sich die dort beratene Fassung nicht durchsetzen konnte; vgl. auch JEAN-FRANÇOIS POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Vol. I, S. 226 f., N. 5.4). Die Kommission des Ständerates war von der vom Nationalrat
BGE 121 I 93 S. 96
beschlossenen grosszügigen Formulierung, wonach die Frist auch als eingehalten gilt, wenn die Beschwerde bei einer unzuständigen Instanz eingereicht wurde, abgewichen und hatte die Einschränkung durchgesetzt, wonach die Beschwerde zumindest bei der kantonalen Behörde eingereicht werden müsse, welche den Entscheid gefällt hat. Damit will der Gesetzgeber, angesichts der grossen Zahl kantonaler Behörden, verhindern, dass die Beschwerde bei irgendwelcher kantonalen Stelle eingereicht werden kann. Es genügt jedoch, wenn die Beschwerde bei irgendeiner Bundesbehörde eingereicht wird (vgl. POUDRET, a.a.O., S. 226 unten).
Auch aus einer systematischen Auslegung des Gesetzes ist zu schliessen, die neuere Bestimmung von
Art. 32 Abs. 4 lit. a OG
werde nicht durch den älteren
Art. 96 Abs. 1 OG
eingeschränkt. Die Problematik der Beschwerdeeinreichung beim Bundesgericht stellt sich nämlich hauptsächlich für die staatsrechtliche Beschwerde. Sowohl für die Berufung (vgl.
Art. 54 OG
) wie auch für die Nichtigkeitsbeschwerde (
Art. 272 ff. BStP
), und schliesslich auch für Rekurse in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (
Art. 78 OG
) sind die Rechtsmittel bei denjenigen Behörden einzureichen, die den angefochtenen Entscheid gefällt haben. Für die Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht statuiert
Art. 107 Abs. 1 OG
, dass die Beschwerdefrist auch dann als gewahrt gilt, wenn der Beschwerdeführer gegen die Verfügung fristgerecht an eine unzuständige Behörde gelangt ist. Der neue
Art. 32 Abs. 4 lit. a OG
würde somit seine hauptsächliche Bedeutung verlieren, wenn er nicht auf die Frist zur Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde angewendet werden könnte.
Die dargelegte Auslegung des Gesetzes respektiert auch die Prinzipien von Treu und Glauben bzw. der Verhältnismässigkeit, kann sie doch u.a. auch eine "Prozessfalle" verhindern in den Fällen, in welchen mehrere Rechtsmittel gleichzeitig ergriffen, jedoch bei verschiedenen Behörden eingereicht werden müssen.
Die 30tägige Beschwerdefrist wurde somit eingehalten. Da auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind, kann auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ad97ab4f-1d84-435b-b57b-b9f2399fedce | Urteilskopf
109 II 33
9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Februar 1983 i.S. H. gegen M.H. AG (Berufung) | Regeste
Art. 343 Abs. 1 OR
.
Diese Gerichtsstandsvorschrift berechtigt den Arbeitgeber, am Ort des Betriebes gegen seinen ehemaligen Arbeitnehmer wegen Verletzung eines vertraglichen Konkurrenzverbotes zu klagen. | Erwägungen
ab Seite 33
BGE 109 II 33 S. 33
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte hält daran fest, dass vorliegend
Art. 343 Abs. 1 OR
nicht anwendbar sei und dass deshalb den Gerichten des Kantons Thurgau die örtliche Zuständigkeit fehle. Da die Vorinstanzen darüber keine selbständigen Zwischenentscheide fällten, kann die Rüge mit der Berufung gegen den Endentscheid erhoben werden (
Art. 48 Abs. 3 und 49 OG
). Nachdem die kantonalen Instanzen die Unzuständigkeitseinrede aufgrund des Bundesrechts verworfen haben, ist der Einwand der Klägerin, diese wäre nach kantonalem Recht verspätet gewesen, nicht zu hören (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
Für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis gilt wahlweise der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten oder des Ortes des Betriebs oder des Haushalts, für den der Arbeitnehmer Arbeit leistet (
Art. 343 Abs. 1 OR
). Die Vorinstanzen wenden zu Recht diese Bestimmung auf die vorliegende Klage an. So steht ausser
BGE 109 II 33 S. 34
Frage, dass ein Streit um das arbeitsvertragliche Konkurrenzverbot (
Art. 340 ff. OR
) zu den Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis zählt (ARTHUR HAEFLIGER, Das Konkurrenzverbot im neuen schweizerischen Arbeitsvertragsrecht, 2. Aufl., S. 83; Obergericht Zürich in ZR 79/1980 Nr. 44) und dass die Gerichtsstandsbestimmung auch nach Beendigung des Arbeitsvertrags Geltung behält (BRÜHWILER, Handkommentar zum Einzelarbeitsvertrag, S. 255; SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, 2. Aufl., S. 329 N. 2; HAEFLIGER, S. 84).
Obschon
Art. 343 OR
vorab den Schutz des Arbeitnehmers bezweckt, gilt er und namentlich der Wahlgerichtsstand von Absatz 1 auch zugunsten des Arbeitgebers (SCHWEINGRUBER, S. 330; BRÜHWILER, S. 255; HAEFLIGER, S. 84). Der Klägerin stand daher frei, ob sie am Wohnsitz des Beklagten in Boniswil/AG oder an ihrem eigenen Sitz in Bischofszell/TG klagen wollte. Dass der Beklagte als Vertreter im Aussendienst nicht ständig an diesem Ort arbeitete, ändert nach dem klaren Gesetzestext nichts (deutsch: "Betrieb, für den der Arbeitnehmer Arbeit leistet", französisch: "pour lequel"; dazu namentlich STREIFF, Leitfaden zum neuen Arbeitsvertragsrecht, 3. Aufl., S. 169, N. 2). Eine Verletzung des
Art. 343 Abs. 1 OR
scheidet demnach aus. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ada0fb0c-c08a-4667-893d-cf3e91a2d032 | Urteilskopf
109 III 7
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Februar 1983 i.S. F. AG gegen G. und Rekursrichter für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantonsgerichts St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Verhältnis zwischen dem Rechtsvorschlag im eigentlichen Sinne und der Einrede des mangelnden neuen Vermögens nach
Art. 265 Abs. 3 SchKG
.
1. Hebt die Rekursinstanz einen Rechtsöffnungsentscheid auf, weil das beschleunigte Verfahren über die Einrede des mangelnden neuen Vermögens nicht zuvor durchgeführt worden ist, handelt sie nicht willkürlich (E. 2 und 3).
2. Erhebt der Schuldner "Rechtsvorschlag da kein neues Vermögen vorhanden", so ist zu vermuten, dass er nur das Vorhandensein neuen Vermögens, nicht aber die Schuld bestreite (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 109 III 7 S. 8
Am 23. April 1981 stellte das Konkursamt Werdenberg der H. AG für deren Forderung im Betrage von Fr. 3'188.10 gegenüber G. einen Konkursverlustschein aus und vermerkte darin, dass der Gemeinschuldner die Forderung anerkannt habe. Diese Forderung wurde in der Folge der F. AG abgetreten, die dem Schuldner am 16. August 1982 hiefür einen Zahlungsbefehl (Betreibung Nr. 4709) zustellen liess. Mit einem am 23. August 1982 beim Betreibungsamt eingegangenen Schreiben erhob der Schuldner in verschiedenen Betreibungen Rechtsvorschlag, so auch gegen den "Zahlungsbefehl Nr. 4009", und zwar mit folgender Formulierung: "Rechtsvorschlag da kein neues Vermögen vorhanden." Obwohl das Betreibungsamt es für möglich hielt, dass es sich bei der Angabe der Betreibungsnummer um einen Verschrieb des Schuldners handelte und der entsprechend begründete Rechtsvorschlag sich somit gegen die Betreibung Nr. 4709 richtete, teilte es der Gläubigerin auf der für diese bestimmten Ausfertigung des Zahlungsbefehls lediglich mit, der Schuldner habe Rechtsvorschlag erhoben; die Mitteilung der Begründung "da kein neues Vermögen vorhanden" unterblieb. Hierauf stellte die Gläubigerin beim Gerichtspräsidenten von Werdenberg das Gesuch um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung gestützt auf den Konkursverlustschein. Diesem Gesuch wurde entsprochen, und die
BGE 109 III 7 S. 9
provisorische Rechtsöffnung wurde mit Entscheid vom 6. Oktober 1982 erteilt.
Gegen diesen Entscheid erhob der Schuldner Berufung an den Rekursrichter für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantonsgerichts St. Gallen. Darin machte er geltend, er habe gegen den Zahlungsbefehl mit der Begründung Rechtsvorschlag erhoben, dass er nicht zu neuem Vermögen gekommen sei; die Rechtsöffnung hätte deshalb nicht gewährt werden dürfen. Mit Entscheid vom 23. November 1982 hiess der Rekursrichter die Berufung gut und hob den Rechtsöffnungsentscheid auf. Die F. AG erhebt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, den Entscheid des Rekursrichters wegen Willkür aufzuheben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 265 Abs. 3 SchKG
ist über die Einrede des mangelnden neuen Vermögens vom Richter im beschleunigten Verfahren, somit also nicht im summarischen Rechtsöffnungsverfahren, zu entscheiden. Wenn ein Schuldner sowohl Rechtsvorschlag im gewöhnlichen Sinne als auch die Einrede des mangelnden neuen Vermögens erhoben hat, darf die Betreibung nicht fortgesetzt werden, bis die beiden Hindernisse in den hiefür vorgesehenen getrennten Verfahren beseitigt worden sind. Wird die Betreibung trotzdem fortgesetzt, steht dem Schuldner die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde zur Verfügung (
BGE 103 III 35
E. 3 mit Verweisen).
Der Rechtsöffnungsrichter hatte somit an sich keinen Anlass, sich darum zu kümmern, ob der Schuldner die Einrede des mangelnden neuen Vermögens anlässlich der Erklärung des Rechtsvorschlags erhoben habe, sondern er hätte den Schuldner diesbezüglich an die Aufsichtsbehörde verweisen können. Es fragt sich, ob die Auffassung des Rekursrichters, es obliege ihm, die Parteien soweit als möglich so zu stellen, wie wenn das Versehen des Betreibungsamtes nicht passiert wäre, nicht nur als unrichtig, sondern geradezu als unhaltbar und daher als willkürlich zu betrachten sei.
3.
Der Rekursrichter kann sich für seine Auffassung auf die von ihm angeführten Zitate im Kommentar JAEGER stützen (Bd. I, 3. Aufl., insbesondere N. 10 zu Art. 82 und N. 7 zu
Art. 80 SchKG
). Die Meinung JAEGERS, wonach die Rechtsöffnung zu verweigern sei, solange über die Einrede des mangelnden neuen
BGE 109 III 7 S. 10
Vermögens noch kein Entscheid des Richters im beschleunigten Verfahren vorliege, ist allerdings durch die seitherige Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht bestätigt worden. Es gibt indessen durchaus Gründe, die dafür sprechen, dass über die Erteilung der Rechtsöffnung so lange nicht entschieden wird, bis ein Urteil über die Einrede des mangelnden neuen Vermögens vorliegt. Das beschleunigte Verfahren sollte logischerweise vor dem Rechtsöffnungsverfahren durchgeführt werden, da es dabei um die Frage geht, ob die Betreibung überhaupt rechtsgültig angehoben werden kann, währenddem im Rahmen der Rechtsöffnung über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Betreibung zu entscheiden ist (so ausdrücklich
BGE 35 I 804
E. 1). Lässt sich der angefochtene Entscheid aber mit dieser Überlegung rechtfertigen, so erweist er sich mindestens nicht als völlig unhaltbar und damit nicht als willkürlich. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn sich der Rekursrichter nicht darauf beschränkt hätte, den Rechtsöffnungsentscheid aufzuheben, sondern wenn er den Rechtsöffnungsrichter angewiesen hätte, das Rechtsöffnungsgesuch abzuweisen. Ein solcher Entscheid hätte nicht getroffen werden dürfen, ohne dass über den Anspruch der Gläubigerin auf Erteilung der Rechtsöffnung materiell geurteilt worden wäre.
4.
Gegen die beantragte Aufhebung des angefochtenen Entscheids spricht noch eine weitere Überlegung. Es fragt sich nämlich, ob der Schuldner mit seinem Rechtsvorschlag die Forderung oder deren Fälligkeit überhaupt habe bestreiten oder ob er nicht bloss die Einrede des mangelnden neuen Vermögens habe erheben wollen. Entgegen der Auffassung des Rekursrichters muss nämlich angenommen werden, der Schuldner habe nur das Vorhandensein neuen Vermögens bestreiten wollen. Dafür spricht vor allem das Wörtchen "da" ("Rechtsvorschlag da kein neues Vermögen vorhanden"), womit zum Ausdruck gebracht wurde, dass der Rechtsvorschlag nur aus diesem Grund erhoben wurde (vgl.
BGE 103 III 34
f. E. 2). Falls das Betreibungsamt im konkreten Fall zu dieser Überzeugung gelangen und es der Beschwerdeführerin gelingen sollte, die vom Schuldner erhobene Einrede im anzuhebenden gerichtlichen Verfahren zu beseitigen, müsste sie den Rechtsöffnungsrichter gar nicht mehr anrufen, um die Fortsetzung der Betreibung erwirken zu können. Sollte die Gläubigerin oder der Schuldner dieser Betrachtungsweise nicht zustimmen, wäre es Sache der Aufsichtsbehörden, auf entsprechende Beschwerde hin darüber zu entscheiden.
BGE 109 III 7 S. 11
Der angefochtene Entscheid erweist sich mithin mindestens im Ergebnis nicht als willkürlich, so dass die Beschwerde abzuweisen ist. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ada57ea7-e33a-45cc-8a5a-21d00279200c | Urteilskopf
119 V 317
46. Urteil vom 4. November 1993 i.S. Kantonaler Krankenkassen-Verband Schaffhausen gegen Kantonale Ärztegesellschaft Schaffhausen und Schiedsgericht nach
Art. 25 KUVG
des Kantons Schaffhausen | Regeste
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
: Frage der Tarifstreitigkeit. Der auf abstrakte Feststellung der Rechtslage lautende Entscheid eines kantonalen Schiedsgerichts nach
Art. 25 KUVG
über die generelle Anwendbarkeit einer zwischen Krankenkassen und Ärzten vereinbarten tarifvertraglichen Indexklausel unter der Geltung des dringlichen Bundesbeschlusses über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung vom 13. Dezember 1991 stellt keine Verfügung über einen Tarif im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
dar, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen zulässig ist (E. 2).
Art. 25 Abs. 1 KUVG
: Prüfung der Prozessvoraussetzungen des schiedsgerichtlichen Verfahrens.
- Dem Ärzte- und dem Krankenkassenverband kommt in einem Verfahren vor dem kantonalen Schiedsgericht auf Feststellung der Anwendbarkeit einer zwischen den Verbänden vereinbarten tarifvertraglichen Indexklausel die Aktiv- und Passivlegitimation zu (E. 4).
- Der dargelegte Streitgegenstand bildet eine Tarifvertragsstreitigkeit nach
Art. 16 und
Art. 22 Abs. 1 KUVG
, wofür das kantonale Schiedsgericht sachlich zuständig ist (E. 5).
Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a des dringlichen BB über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der KV vom 13. Dezember 1991. Dieser Bundesbeschluss ist nicht anwendbar auf vor seinem Inkrafttreten am 14. Dezember 1991 durch die Kantonsregierungen bereits genehmigte Tarifverträge (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 319
BGE 119 V 317 S. 319
A.-
a) Zwischen der Kantonalen Ärztegesellschaft Schaffhausen und dem Kantonalen Krankenkassen-Verband Schaffhausen besteht seit dem 1. Januar 1968 ein auf der Grundlage von
Art. 16 KUVG
abgeschlossener "Kollektivvertrag" mit zugehörigem "Tarif der ärztlichen Leistungen". Mit Wirkung ab 1. Januar 1987 erhielt Art. 6 dieses Tarifes folgende neue Fassung:
"Der vorliegende Tarif stellt ab 1.1.1987 einen
TP(Taxpunkt)-Tarif dar.
Der TP-Wert beträgt ab 1.1.87 75 Rappen.
50% der Teuerung werden jeweils auf den 1.1. des
nachfolgenden Jahres automatisch ausgeglichen, sofern der
Landesindex der Konsumentenpreise (LIKP) des Monats Dezember seit
der letztmals erfolgten Ausgleichung um 5% angestiegen ist.
Als Berechnungsformel gilt:
(neuer Indexstand LIKP)/(alter Indexstand LIKP)
[letzte Anpassung]
Ein Ausgleich der restlichen 50% erfolgt jeweils auf den
nachfolgenden 1. Juli, entsprechend dem Ergebnis der auf
Verlangen eines Vertragspartners zu führenden Verhandlungen."
Wie der Grundvertrag wurde auch diese Änderung des Art. 6 Tarif vom Regierungsrat des Kantons Schaffhausen am 13. Januar 1987 mit Wirkung ab 1. Januar 1987 genehmigt.
b) Am 13. Dezember 1991 verabschiedete die Bundesversammlung u.a. einen am darauffolgenden Tag in Kraft tretenden, längstens bis 31. Dezember 1992 geltenden dringlichen Bundesbeschluss über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung. Diesen Bundesbeschluss nahm der Kassenverband
BGE 119 V 317 S. 320
zum Anlass, den vertraglich vorgesehenen automatischen Ausgleich von 50% der massgeblichen Teuerungsrate den Ärzten mit Wirkung ab 1. Januar 1992 nicht mehr zu gewähren, was deren Gesellschaft nicht hinnahm, indem sie ihre Mitglieder mit Zirkular vom 2. April 1992 aufforderte, mit Wirkung ab 1. Januar 1992 einen Taxpunktwert von 85 (statt wie bisher 83) Rappen zu verrechnen. Nachdem der Kassenverband seinerseits in einem Rundschreiben vom 8. April 1992 seine Mitglieder aufgefordert hatte, Arztrechnungen nur insoweit zu akzeptieren, als ihnen ein Taxpunktwert von 83 Rappen zugrundeliege, unterbreitete die Ärztegesellschaft die Angelegenheit dem Regierungsrat. Mit unangefochten gebliebenem Entscheid vom 2. Juni 1992 trat der Regierungsrat auf die Eingabe der Ärztegesellschaft "um Erhöhung des Taxpunktwertes beim Arzttarif von 83 auf 85 Rappen (...) mangels Zuständigkeit nicht ein". Dabei ging der Regierungsrat von der Überlegung aus, dass weder ein vertragsloser Zustand vorliege, noch eine Genehmigung erforderlich sei, da diese bereits mit dem erwähnten Beschluss vom 13. Januar 1987 zur Teuerungsregelung gemäss Art. 6 Tarif erfolgt sei; streitig sei einzig und allein die Frage, ob die Vertragsbestimmung über den hälftigen Teuerungsausgleich angesichts des dringlichen Bundesbeschlusses noch anwendbar sei oder nicht; für die Beurteilung dieser Frage sei nach den geltenden Vorschriften das kantonale Schiedsgericht gemäss
Art. 25 KUVG
zuständig.
c) Demgemäss wandte sich die Ärztegesellschaft mit Eingabe vom 10. Juni 1992 an das Kantonale Schiedsgericht Schaffhausen nach
Art. 25 KUVG
. Dieses konstituierte sich, nachdem das Verfahren vor der paritätischen Vermittlungskommission als vertraglich eingesetzter Schlichtungsinstanz erfolglos verlaufen war. Im Rahmen des zweifachen Schriftenwechsels vor dem Schiedsgericht hielten die Parteien an ihren unterschiedlichen Standpunkten fest.
Das Schiedsgericht bejahte seine sachliche Zuständigkeit, die Aktiv- und Passivlegitimation der beiden Verbände sowie insbesondere auch deren schützenswertes Interesse an der Feststellung der Rechtslage und prüfte im folgenden die Auswirkungen des dringlichen Bundesbeschlusses auf die tarifvertragliche Vereinbarung. Aus dem Fehlen spezieller übergangsrechtlicher Bestimmungen, aus dem Text des Art. 1 Abs. 2 lit. a Bundesbeschluss sowie aus den Materialien (Botschaft des Bundesrates vom 6. November 1991) und unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) vom 20. Dezember 1991 schloss das Schiedsgericht, man könne nicht von einer direkten materiellen Wirkung des
BGE 119 V 317 S. 321
Bundesbeschlusses auf vor dem 14. Dezember 1991 genehmigte Tarifverträge und damit auch auf den Art. 6 des Schaffhauser Tarifes sprechen. Insbesondere verwarf das Schiedsgericht die vom Kassenverband vertretene Auffassung, dass die (automatische) Taxpunktwert-Erhöhung eine genehmigungspflichtige Abänderung des Tarifvertrages sei: "Der vorgesehene Anpassungsmechanismus wurde damit anhand eines objektiv bestimmbaren Kriteriums festgelegt; die darauf beruhenden Taxpunktwert-Erhöhungen stellen keine formelle Änderung der bestehenden Vereinbarung, sondern lediglich deren Anwendung dar." Nicht auszuschliessen sei freilich, dass der Regierungsrat die 1987 erteilte Genehmigung aufgrund veränderter Verhältnisse in Wiedererwägung ziehen würde, wozu er nach der Auffassung einer Minderheit des Schiedsgerichtes gar verpflichtet gewesen wäre. Nachdem jedoch der regierungsrätliche Nichteintretensentscheid vom 2. Juni 1992 zufolge Nichtanfechtung in Rechtskraft erwachsen sei, müsse nach einhelliger Auffassung des Schiedsgerichtes vom genehmigten Tarif ausgegangen und dieser angewendet werden. Diese Erwägungen führten das Schiedsgericht, da die Erhöhung in zahlenmässiger Hinsicht unbestritten war, zu folgender Entscheidung:
"1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte (Kassenverband)
auch während der Geltungsdauer des Bundesbeschlusses über
befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der
Krankenversicherung vom 13. Dezember 1991 zur Einhaltung des von
den Parteien vereinbarten und vom Regierungsrat des
Kantons Schaffhausen am 13. Januar 1987 genehmigten Artikels 6
des Tarifvertrages verpflichtet ist. Der Taxpunktwert ist demnach
rückwirkend auf den 1. Januar 1992 bis auf weiteres um 2 Rappen
von 83 auf 85 Rappen zu erhöhen.
..."
B.-
Der Kassenverband führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen auf Aufhebung des schiedsgerichtlichen Entscheides, auf Feststellung, dass der dringliche Bundesbeschluss vollumfänglich auf den Schaffhauser Tarifvertrag anwendbar sei, dass gestützt darauf der Taxpunktwert auf den 1. Januar 1992 nicht erhöht werden könne; eventualiter auf Feststellung, dass gestützt auf die dringlichen Bundesbeschlüsse vom 13. Dezember 1991 der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen das Begehren um Erhöhung des Taxpunktwertes "hätte überprüfen und ihm zustimmen müssen". In prozessualer Hinsicht wird um Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels ersucht.
BGE 119 V 317 S. 322
Zur Begründung verweist der Kassenverband auf die Steigerungsrate von 7,98% der direkten Arztkosten pro versichertes Mitglied im Rahmen ambulanter Behandlung, welcher Wert auf 13,44% ansteige, wenn man die Anpassung des Taxpunktwertes dazurechne; demgegenüber hätte nach dem dringlichen Bundesbeschluss (Art. 1 Abs. 1) die Kostensteigerung maximal 7,80% betragen dürfen. Gestützt auf diese Berechnungsgrundlagen sei eine Erhöhung der Tarife für die ärztliche ambulante Behandlung auf kollektivvertraglicher Grundlage nicht zulässig. Zum Argument des Schiedsgerichtes, es gehe nicht um eine genehmigungspflichtige Änderung des Kollektivvertrages, sondern einzig um dessen Anwendung, macht der Verband geltend, dabei werde übersehen, dass die in Frage stehende Indexklausel nicht nur auf den Tarif, der ein wesentlicher Vertragsbestandteil sei, sondern auch auf die durchaus als gefährlich zu bezeichnende Kostenentwicklung im Gesundheitswesen einen direkten Einfluss habe. Gerade darauf habe aber der Gesetzgeber einwirken wollen, indem er mit den dringlichen Bundesbeschlüssen vom 13. Dezember 1991 auf veränderte Situationen reagierte. Es könne daher nicht angehen, mit einer solch starren Regelung, wie sie die Indexklausel darstelle, die Umsetzung von dringlichem Bundesrecht innert nützlicher Frist zu verhindern oder gar generell zu vereiteln. Dass die Taxpunktwert-Erhöhung eine genehmigungspflichtige Vertragsänderung sei, ergebe sich auch aus einer Stellungnahme des Eidg. Departementes des Innern vom 9. Dezember 1992 an das Bundesamt für Justiz. Das Festhalten an den Indexklauseln laufe den materiellen Zielen der bundesrechtlichen Sofortmassnahmen zuwider, was unter dem Gesichtspunkt der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nicht hingenommen werden könne.
Die Ärztegesellschaft schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten sei. U. a. führt die Ärztegesellschaft aus, das Verhalten des Kassenverbandes, der seit der Genehmigung von Art. 6 des Tarifvertrages - somit seit Anfang 1987 - bei keiner der bisher gestützt auf diese Bestimmung erfolgten Taxpunktanpassungen ein Genehmigungsgesuch an den Regierungsrat gestellt habe, zeige, dass auch er stets die Auffassung der Ärzteschaft geteilt habe, weitere regierungsrätliche Genehmigungen seien nicht mehr nötig.
Das BSV schliesst in dem Sinne auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, als es die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides mangels sachlicher Zuständigkeit des Schiedsgerichtes, eventuell die Rückweisung der Sache an dieses zu ergänzender
BGE 119 V 317 S. 323
Abklärung und neuem Entscheid, beantragt. Hinsichtlich des Eventualantrages verweist das Bundesamt auf einen anderweitige Parteien betreffenden bundesrätlichen Beschwerdeentscheid "in Sachen Taxpunktwert für ambulante Spitalbehandlungen" vom 12. Mai 1993, den es auszugsweise ins Recht legt. Grundsätzlich betrachtet das BSV die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des schaffhausischen Krankenkassenverbandes als unzulässig.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 110 Abs. 4 OG
findet ein weiterer Schriftenwechsel nach Eingang von Beschwerde und Vernehmlassungen nur ausnahmsweise statt. Dieser ist nach den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs zu gewähren, wenn in der Vernehmlassung der Gegenpartei oder der Mitbeteiligten neue tatsächliche Behauptungen aufgestellt werden, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres aktenkundig ist und die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sind. Was allfällige neue rechtliche Argumente anbetrifft, ist zu berücksichtigen, dass das Eidg. Versicherungsgericht das richtige Recht von Amtes wegen anzuwenden hat. Der blosse Umstand, dass in einer Vernehmlassung zusätzlich zu den im angefochtenen Entscheid angeführten Gründen weitere diesen stützende Argumente vorgebracht werden, rechtfertigt daher noch keine Gewährung des Replikrechts. Anders verhält es sich, wenn das Eidg. Versicherungsgericht der Auffassung ist, der angefochtene Entscheid lasse sich mit der ursprünglichen Begründung zwar nicht halten, wohl aber mit einer andern, erstmals in einer Vernehmlassung dargelegten (
BGE 94 I 662
E. 1b; RKUV 1985 Nr. K 646 S. 239 E. 3b; unveröffentlichte E. 2a des in
BGE 116 II 605
auszugsweise wiedergegebenen Urteils).
Da im Lichte dieser Grundsätze weder die Vernehmlassung der Ärztegesellschaft noch diejenige des BSV einen zweiten Schriftenwechsel rechtfertigen, ist der entsprechende Antrag des beschwerdeführenden Kassenverbandes abzuweisen.
2.
Das BSV hält die gegen den Entscheid des Schiedsgerichtes erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Hinweis auf
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
für unzulässig. Laut dieser Bestimmung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Verfügungen über Tarife. Nach der Rechtsprechung ist das genannte Rechtsmittel allerdings nur unzulässig gegen Verfügungen, welche den Erlass oder
BGE 119 V 317 S. 324
die Genehmigung als Ganzes zum Gegenstand haben, oder wenn unmittelbar einzelne Tarifbestimmungen als solche angefochten werden. Entscheidend dafür ist, dass die Gesichtspunkte, welche der Strukturierung eines Tarifes zugrunde liegen, als nicht oder schwerlich justiziabel betrachtet werden. Hingegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen gegen Verfügungen, welche in Anwendung eines Tarifes im Einzelfall ergangen sind (
BGE 116 V 133
E. 2a mit Hinweisen).
Anfechtungsgegenstand der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist der Entscheid des Schiedsgerichtes, welches eine letztinstanzliche richterliche kantonale Behörde im Sinne von Art. 128 in Verbindung mit
Art. 98 lit. g OG
darstellt. Dessen Entscheid ist keine Verfügung über einen Tarif im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
. Denn das Schiedsgericht hat mit seinem Entscheid nicht gestaltend in das zwischen den Parteien vereinbarte Tarifvertragswerk, sei es insgesamt, sei es in bezug auf eine einzelne Position, eingegriffen. Vielmehr hat das Schiedsgericht - in Form eines auf abstrakte Feststellung lautenden Erkenntnisses - entschieden, wie Art. 6 des Tarifvertrages unter der Geltung der dringlichen Bundesbeschlüsse und insbesondere mit Wirkung ab 1. Januar 1992 generell anzuwenden sei. Mit anderen Worten: Das Schiedsgericht hat, in Anwendung und Auslegung von Art. 6 Tarifvertrag und nach dessen vorfrageweiser Prüfung auf seine Vereinbarkeit mit dem dringlichen Bundesrecht, einen auf Feststellung der Rechtslage lautenden Entscheid getroffen. Das hat mit einer Tarifstreitigkeit im Sinne von
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG
nichts zu tun, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist.
3.
Ist nach dem Gesagten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten, stellt sich nunmehr die Frage, ob das Schiedsgericht seinerseits die Eintretensvoraussetzungen des vorinstanzlichen Verfahrens richtig behandelt hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung prüft das Eidg. Versicherungsgericht von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse des Verfahrens (
BGE 119 V 12
E. 1b mit Hinweisen). Dies gilt auch hinsichtlich des Verfahrens vor den kantonalen Schiedsgerichten, welche gemäss
Art. 25 Abs. 1 KUVG
Streitigkeiten zwischen Kassen einerseits und Ärzten, Apothekern, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen, Laboratorien oder Heilanstalten anderseits entscheiden (
BGE 111 V 346
E. 1a; RKUV 1993 Nr. K 917 S. 111 E. 1b). Hat die Vorinstanz übersehen, dass es an einer Prozessvoraussetzung fehlte, und hat sie materiell entschieden, ist dies im Rechtsmittelverfahren
BGE 119 V 317 S. 325
von Amtes wegen zu berücksichtigen mit der Folge, dass der angefochtene Entscheid aufzuheben ist (
BGE 115 V 130
E. 1,
BGE 114 V 327
E. 4b, je mit Hinweisen; RKUV 1993 Nr. K 917 S. 111 E. 1b; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 73 mit weiteren Hinweisen).
4.
a) Zu prüfen ist zunächst, ob das Schiedsgericht zu Recht die Aktiv- und Passivlegitimation der beiden als Klägerin und Beklagter auftretenden Verbände angenommen hat. Die Vorinstanz begründete dies wesentlich mit dem Hinweis, dass es vorliegend nicht um die Beurteilung eines konkreten Einzelfalles (streitiges Abrechnungsverhältnis zwischen einem Vertragsarzt und einer Vertragskasse) gehe, sondern um eine grundsätzliche Frage der Auslegung und Anwendung des zwischen den Verbänden abgeschlossenen Kollektivvertrages, worüber die beiden Organisationen divergierende Beschlüsse gefasst hätten. Als unmittelbaren Vertragsparteien aber komme der Klägerin und dem Beklagten im Streit um die Auslegung und Anwendung der vereinbarten Tarifindexierung - auch in Berücksichtigung von
BGE 111 V 346
E. 1b - ohne Zweifel die Aktiv- bzw. Passivlegitimation zu. Da die Verbände selbst keine Leistungen fordern könnten oder schuldeten, liege ein genügendes Interesse für die Behandlung des von der Klägerin gestellten Feststellungsbegehrens und der entsprechenden Gegenanträge des Beklagten vor. Im übrigen seien die Parteien auch nach den für das Verwaltungsrechtspflegeverfahren von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Verbandsbeschwerde zur Klage aktiv- oder passivlegitimiert, da alle ihre Mitglieder betroffen und die Organisationen statutarisch zur Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder berufen seien.
b) Diese Bejahung der Aktiv- und Passivlegitimation hält sich im Ergebnis in dem durch die Rechtsprechung (
BGE 111 V 347
E. 1c,
BGE 110 V 347
mit Hinweisen; RKUV 1987 Nr. K 729 S. 179 E. 3) abgesteckten Rahmen: Wohl leuchtet das vom Schiedsgericht zur Verbandsbeschwerde Ausgeführte insofern nicht ohne weiteres ein, als die dazu ergangenen Grundsätze gemäss Lehre und Rechtsprechung im Bereich der Legitimation zur Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 48 lit. a VwVG
,
Art. 103 lit. a OG
) entwickelt worden sind (vgl. etwa
BGE 113 Ib 365
E. 2a mit Hinweis; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 159 ff.). Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen nachträglicher (Beschwerdeverfahren) und ursprünglicher (Klageverfahren) Verwaltungsrechtspflege liegt darin, dass in der ersten jede durch eine
BGE 119 V 317 S. 326
Verfügung besonders betroffene (berührte) Person oder Institution zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert ist, sofern sie sich über ein schutzwürdiges Interesse ausweist. Dieses kann durchaus auch rein faktischer Natur sein (
BGE 114 V 201
). In der ursprünglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit dagegen ist, wie im Zivilprozess, zur Klage berechtigt nur der Aktivlegitimierte, d.h. derjenige, welcher rechtlich Träger des einzuklagenden Anspruches ist. Hätte nun ein einzelner Vertragsarzt anstelle der Ärztegesellschaft das Begehren an das Schiedsgericht erhoben, es sei mit Wirkung ab 1. Januar 1992 generell ein Taxpunktwert von 85 Rappen zu vergüten, so wäre ein solches Feststellungsgesuch zweifellos am fehlenden Erfordernis des schutzwürdigen Interesses gescheitert. So hielt das Eidg. Versicherungsgericht im nicht veröffentlichten Urteil Medizinische Gesellschaft Basel vom 31. Januar 1991 der im schiedsgerichtlichen Verfahren als Klägerin auftretenden Krankenkasse entgegen, sie vermöge sich über kein schützenswertes Interesse an einem auf abstrakte Feststellung der Rechtslage lautenden Entscheid auszuweisen, weil sie ohne weiteres im Rahmen einer konkreten Abrechnungsstreitigkeit einen Leistungsprozess vor Schiedsgericht einleiten oder provozieren könnte. Dies zeigt, dass die Ärztegesellschaft mit ihrem Feststellungsbegehren an das Schiedsgericht einen Rechtsanspruch eingeklagt hat, den der einzelne Vertragsarzt von vornherein nicht wahrnehmen könnte. Damit hat die heutige Beschwerdegegnerin als Klägerin im vorinstanzlichen Verfahren einen aus dem Tarifvertrag hervorgehenden originären Rechtsanspruch verfolgt, und sie hat nicht, gleichsam als Stellvertreterin für die einzelnen Vertragsärzte handelnd, um einen derivativen Rechtsanspruch prozessiert. Ihren originären Rechtsanspruch auf Feststellung der Rechtslage im Rahmen des Tarifvertrages, den sie selber mit der Gegenseite abgeschlossen hat, wahrnehmen und gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen zu können, muss die Ärztegesellschaft berechtigt sein. In bezug auf diesen Feststellungsantrag - und nur auf diesen - ist die Aktivlegitimation der Beschwerdegegnerin als Klägerin im kantonalen Verfahren (und damit auch die Passivlegitimation des Kassenverbandes) mit dem Schiedsgericht zu bejahen.
5.
Das BSV hält ferner die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes für in sachlicher Hinsicht nicht gegeben. Dem kann mit der Vorinstanz nicht beigepflichtet werden, da es vorliegend um eine Tarifvertragsstreitigkeit nach
Art. 16 und 22 Abs. 1 KUVG
geht, welche unter die Schiedsgerichtsbarkeit gemäss
Art. 25 KUVG
fällt. Anders verhielte es sich nur, wenn eine genehmigungspflichtige Abänderung
BGE 119 V 317 S. 327
eines Tarifvertrages zur Debatte stünde, welche nach
Art. 22 Abs. 3 und
Art. 22quinquies KUVG
in die Zuständigkeit der Kantonsregierungen und des Bundesrates fallen würde. Von einer solchen genehmigungspflichtigen Abänderung des Tarifvertrages in seiner erneuerten Fassung vom 15. Dezember 1986/13. Januar 1987 kann nicht die Rede sein. Dass der Bundesrat anscheinend die gegenteilige Auffassung vertreten hat (vgl. den erwähnten, vom BSV auszugsweise zu den Akten gegebenen Beschwerdeentscheid vom 12. Mai 1993), ist für das Eidg. Versicherungsgericht nicht verbindlich. Was der Krankenkassenverband bestreitet, ist vielmehr die Rechtsfolge, welche sich aus der früher vereinbarten, längst genehmigten Indexklausel des Tarifvertrages ergibt. Nur (geänderte) tarifvertragliche Bestimmungen unterliegen jedoch der Genehmigungspflicht, nicht die aus Vertragsbestimmungen sich ergebenden Rechtsfolgen - eine Selbstverständlichkeit, von welcher der beschwerdeführende Kassenverband während Jahren selber ausging, wie die Beschwerdegegnerin zutreffend einwendet.
6.
Damit bleibt die materiellrechtliche Frage zu prüfen, ob das Inkrafttreten des dringlichen Bundesbeschlusses über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung am 14. Dezember 1991 die sich aus der tarifvertraglichen Indexklausel ergebende Erhöhung des Taxpunktwertes untersagt.
a) Gemäss Art. 1 Abs. 1 des Bundesbeschlusses dürfen die Tarife und Preise für Leistungen der Krankenversicherung nur so weit erhöht werden, dass der Anstieg der durchschnittlichen Behandlungskosten je versicherte Person und Jahr voraussichtlich höchstens einen Drittel über dem Anstieg des Landesindexes der Konsumentenpreise liegt. Wenn nach den letzten verfügbaren Angaben der Anstieg der Behandlungskosten je versicherte Person und Jahr bereits um mehr als einen Drittel über der Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise liegt, untersagt die zuständige Behörde eine Erhöhung der Tarife und Preise. Nach Abs. 2 lit. a der genannten Bestimmung prüft die für die Genehmigung von Tarifverträgen zuständige Kantonsregierung, ob eine beantragte Tariferhöhung aufgrund der durchschnittlichen Behandlungskosten im Anwendungsbereich des Tarifvertrages zulässig ist.
b) Der dringliche Bundesbeschluss sieht weder eine Rückwirkung in Form der Aufhebung bereits vor seinem Inkrafttreten erfolgter regierungsrätlicher Genehmigungen noch eine unmittelbare Wirkung auf früher genehmigte Tarife vor. Wie das Schiedsgericht im angefochtenen Entscheid zutreffend ausführte, kommt darin der
BGE 119 V 317 S. 328
gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, die Ziele des Bundesbeschlusses im Bereiche der Arzttarife lediglich schrittweise, auf dem Wege der Genehmigung neuer oder abgeänderter Tarifverträge zu verwirklichen. Zum gleichen Ergebnis gelangt die Vorinstanz richtigerweise aufgrund der Botschaft des Bundesrates vom 6. November 1991, in welcher dieser ausdrücklich festhielt, die vor Inkrafttreten des Bundesbeschlusses verfügten Genehmigungen würden nicht in Frage gestellt. Damit trage man insbesondere den seitens der Kantone geäusserten Bedenken bezüglich Rechtssicherheit und Respektierung kantonaler Kompetenzen Rechnung (BBl 1991 IV 923). Zur Begründung der Dringlichkeit des Bundesbeschlusses wurde in der Botschaft weiter festgestellt, bis zum Ablauf der Referendumsfrist oder bis zu einer allfälligen Volksabstimmung könnten Tariferhöhungen bewilligt werden, die nicht mehr rückgängig zu machen seien (BBl 1991 IV 928). In einem Rundschreiben des BSV vom 20. Dezember 1991 wurden sodann die Kantonsregierungen im Hinblick auf den Vollzug des neuen Bundesrechts dahingehend orientiert, dass Verträge, die vor dem 14. Dezember 1991 genehmigt worden seien, unabhängig vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens durch den Bundesbeschluss nicht berührt würden. Schliesslich ist dem Schiedsgericht auch insofern beizupflichten, als es seine Rechtsauffassung durch die bundesrätliche Botschaft zum neuen Massnahmenprogramm 1993-94 (vom 19. August 1992) bestätigt sieht, wurde doch dort festgehalten, die Kostenentwicklung im Bereich der ambulanten Behandlung sei u.a. deshalb nicht gestoppt worden, weil in einigen Kantonen die Tarifvereinbarungen Indexklauseln beinhalteten, welche eine Anpassung des Taxpunktwertes ohne formelle Vertragsänderung zuliessen (BBl 1992 V 936).
Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage vermögen die geschilderten kassenseitigen Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu keiner anderen Betrachtungsweise zu führen. Der in Frage stehende dringliche Bundesbeschluss steht der Anwendung der am 13. Januar 1987 genehmigten tarifvertraglichen Indexklausel und somit der Erhöhung des schaffhausischen Taxpunktwertes auf 85 Rappen per 1. Januar 1992 nicht entgegen.
7.
(Kosten und Parteientschädigung) | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
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