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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
a7545850-bde0-4411-a5f9-dd7d7d18df89 | Urteilskopf
86 I 55
11. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. März 1960 i. S. Heinz Ginzel & Co. gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. | Regeste
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
, Art. 6 lit.
B Ziff. 3 Pariser Verbandsübereinkunft.
Die Marke "SPIRALIN" kann den Käufer über die Beschaffenheit von Textilerzeugnissen nicht täuschen. | Sachverhalt
ab Seite 55
BGE 86 I 55 S. 55
A.-
Die Firma Heinz Ginzel & Co. in Dornbirn liess drei in Österreich hinterlegte Fabrik- und Handelsmarken auch beim Internationalen Bureau für den Schutz des gewerblichen Eigentums eintragen, die erste am 15. August 1949 unter Nr. 142.900, die zweite am 15. März 1950 unter Nr. 145.833 und die dritte am 8. Oktober 1959
BGE 86 I 55 S. 56
unter Nr. 224.465. Die Marke Nr. 142.900 besteht aus einer rundlichen und einer länglichen Spirale, die von einem Kreis umschlossen sind. Nr. 145.833 ist die Wortmarke "SPIRAL" und Nr. 224.465 die Wortmarke "SPIRALIN". Die Warenverzeichnisse für die Marken Nr. 142.900 und Nr. 145.833 lauten ähnlich wie für die Marke Nr. 224.465. Für diese ist das Verzeichnis wie folgt gefasst: "Hut- und Putzwaren, künstliche Blumen, Strümpfe und Socken, Tricotwaren, Bekleidungsstücke, Unterwäsche, Kravatten, Korsette, Handschuhe, Hosenträger, Büstenhalter, Gürtel, Lampenschirme, Fäden, Schneidereiartikel, Zwirne, Netze, Schnüre, Textilfasern, Füllware für Matratzen, Packmaterial, Posamenteriewaren, Bänder, Borden, Knöpfe, Spitzen, Stickereien, Teppiche, Matten, Linoleum, Wachstuche, Überzugsmaterial für Böden und Möbel, Möbelüberzüge, Decken, Vorhänge, Fahnen, Zelte, Segel, Säcke, Gewebe und Maschenware, auch unter Beizug von Papier-, Metall-, Kunststoff- und Glasfäden oder -fasern fabriziert, Filz."
Am 21. Dezember 1959 teilte das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum dem Internationalen Bureau mit, die Marke Nr. 224.465 werde in der Schweiz nur für Erzeugnisse aus Leinen geschützt, denn das Publikum könnte durch die Angabe "... lin" getäuscht werden, wenn sie für Waren verwendet würde, die ihr nicht entsprächen.
B.-
Die Firma Heinz Ginzel & Co. führt gemäss
Art. 97 ff. OG
Beschwerde. Sie beantragt dem Bundesgericht, die Verfügung des Eidgenössischen Amtes für geistiges Eigentum aufzuheben und die Marke Nr. 224.465 in der Schweiz in vollem Umfange schützen zu lassen, eventuell die angefochtene Verfügung auf solche Erzeugnisse der Warenliste einzuschränken, die vernünftigerweise aus Reinleinen bestehen könnten, sie also mindestens in bezug auf Hut- und Putzwaren, künstliche Blumen, Strümpfe, Unterwäsche, Kravatten, Korsette, Hosenträger, Büstenhalter, Lampenschirme, Füllware für Matratzen,
BGE 86 I 55 S. 57
Knöpfe, Teppiche, Linoleum, Wachstuch, Fahnen und Filz ungültig zu erklären.
C.-
Das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum beantragt, die Marke Nr. 224.465 für Hutwaren (ausgenommen Mützen), künstliche Blumen, Strümpfe, Socken, Kravatten, Korsette, Hosenträger, Büstenhalter, Lampenschirme, Füllware für Matratzen, Knöpfe, Teppiche (ausgenommen Tischteppiche), Linoleum, Fahnen und Filz ohne Einschränkung schützen zu lassen, im übrigen dagegen die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Schweiz ist gegenüber Österreich durch die in London revidierte Madrider Übereinkunft betreffend die internationale Eintragung der Fabrik- oder Handelsmarken gebunden. Gemäss Art. 5 Abs. 1 dieser Übereinkunft darf sie daher einer beim Internationalen Bureau hinterlegten österreichischen Marke den Schutz nur unter den Voraussetzungen verweigern, unter denen sie nach der in London revidierten Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums eine zur Hinterlegung in der Schweiz angemeldete Marke zurückweisen dürfte. Die Zurückweisung ist unter anderem möglich, wenn die Marke gegen die guten Sitten verstösst, insbesondere wenn sie geeignet ist, das Publikum zu täuschen (Art. 6 lit. B Ziff. 3 Pariser Verbandsübereinkunft).
Das Bundesgesetz betreffend den Schutz der Fabrik- und Handelsmarken gebietet, die Eintragung einer gegen die guten Sitten verstossenden Marke zu verweigern (Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2). Die Rechtsprechung geht dahin, dass diese Voraussetzung unter anderem dann erfüllt ist, wenn die Marke sich eignet, den Käufer irrezuführen, insbesondere ihn über die Beschaffenheit der Ware zu täuschen (
BGE 76 I 169
,
BGE 77 I 79
,
BGE 79 I 253
,
BGE 82 I 50
).
2.
Das Bundesgericht hat entschieden, die Marke "Novelin" könnte beim Durchschnittskäufer zum mindesten im französischen Sprachgebiet die irrige Vorstellung
BGE 86 I 55 S. 58
erwecken, die Textilerzeugnisse, für die sie verwendet würde, seien aus Leinen hergestellt (
BGE 82 I 51
).
Das hat nicht den Sinn, dass jede auf "lin" endende Marke für nichtleinene Textilwaren unzulässig sei. Wie schon in
BGE 82 I 51
erwähnt wurde, gibt es verschiedene Wörter, die wegen ihres Sinnes trotz der Endung "lin" nicht den Gedanken an Leinen aufkommen lassen, z.B. Musselin, Gobelin, Vaselin, Anilin, Naphtalin, Metallin, Periklin und die französischen Wörter moulin, orphelin, tremplin usw. Selbst reine Phantasiebezeichnungen erwecken durch die Endung "lin" nicht notwendigerweise den Anschein, die Gewebe, für die sie als Marke verwendet werden, seien aus Leinen. Es muss stets auf den Eindruck abgestellt werden, den das Wort als Ganzes macht, also ausser auf die Endung "lin" auch auf die Vorstellungen, die durch die übrigen Bestandteile hervorgerufen werden, und auf die Betonung, welche die einzelne Silbe erfährt.
Man ist geneigt, das Wort "Novelin" in die Bestandteile "nove" und "lin" zu zerlegen und zu denken, der erste sei vom lateinischen Wort novum oder von den entsprechenden italienischen bzw. französischen Wörtern nuovo (novo) oder nouveau abgeleitet. Würde demnach "nove" eine Eigenschaft andeuten, so könnte die Silbe "lin", zumal wenn sie betont wird, die Stelle eines Hauptwortes vertreten, so dass sich als Sinn von "Novelin" etwa "neues Leinen" ergäbe. Das Wort "SPIRALIN" erweckt keine ähnlichen Gedankengänge. Dabei kann ausser Betracht bleiben, dass die Beschwerdeführerin schon die Bildmarke Nr. 142.900 und die Wortmarke Nr. 145.833 beim Internationalen Bureau hinterlegt hat. Selbst wer von diesen Marken keine Kenntnis hat, wird das Wort "SPIRALIN", wenn er sich überhaupt eine Vorstellung macht, mit "Spirale" in Beziehung bringen und es, wenn er deutsch oder französisch überlegt, in den Wortstamm "Spiral" und die Phantasieendung "in" zerlegen, nicht in "Spira" und "lin", denn "Spira" vermag keinerlei Gedankenverbindung mit einem im Deutschen oder Französischen
BGE 86 I 55 S. 59
gebräuchlichen Wort herzustellen. Die italienische Sprache freilich kennt ausser dem Wort "spirale" auch "spira". Dieser Ausdruck ist aber wie das deutsche "Spirale" und das französische "spirale" ein Hauptwort und gibt daher der Marke "SPIRALIN" mehr Gewicht als die letzte Silbe, die zu einem unbetonten und sinnlosen Anhängsel herabsinkt.
Die Neigung des durchschnittlichen Käufers, einer versteckten Bedeutung der Marke nachzuspüren, darf bei der grossen Verbreitung, die blosse Phantasiebezeichnungen im heutigen Markenschatz einnehmen, nicht überschätzt werden. Das gilt insbesondere für die Endung "lin". Der Käufer lässt sich durch sie um so weniger leicht zur Auffassung verleiten, der Rohstoff sei aus der Flachspflanze (frz. lin, lat. linum) gewonnen, als diese Silbe mehr und mehr zur Bezeichnung von allerlei Erzeugnissen verwendet wird, die mit Flachs offensichtlich nichts zu tun haben. Auch sind Textilwaren aus Leinen heute weniger verbreitet als früher und kommt daher das Publikum weniger leicht auf den Gedanken, es würden ihm unter einer auf "lin" endigenden Marke solche Erzeugnisse angeboten.
Der Hauptantrag der Beschwerde ist daher gutzuheissen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung des Eidgenössischen Amtes für geistiges Eigentum vom 21. Dezember 1959 aufgehoben, in der Meinung, dass der internationalen Marke Nr. 224.465 in der Schweiz in vollem Umfange Schutz zu gewähren sei. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a75734df-5936-4419-97e6-ebc65a25d7e5 | Urteilskopf
90 II 51
7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. März 1964 i. S. FASAC gegen Spielmann & Co. | Regeste
Unlauterer Wettbewerb.
Klagerecht einer italienischen Handelsgesellschaft. Londoner Fassung 1934 der Pariser Verbandsübereinkunft, Art. 1 Abs. 2 und 2 Abs. 1 (Erw. 2).
Nachahmung von in der Schweiz nicht hinterlegten Stoffzeichnungen mit Hilfe von Mustern, die der Beklagten auf Bestellung hin zur Prüfung im Hinblick auf einen Kauf solcher Stoffe zugesandt worden waren. Verwechselbarkeit der Erzeugnisse der Parteien. Verstoss gegen Treu und Glauben im Sinne von UWG Art. 1 Abs. 1. (Erw. 4-6).
Feststellung der Widerrechtlichkeit nach UWG Art. 2 Abs. 1 lit. a; Fehlen eines rechtlichen Interesses. (Erw. 8).
Verbot künftiger widerrechtlicher Handlungen gemäss UWG Art. 2 Abs. 1 lit. b wegen Wiederholungsgefahr. (Erw. 9).
Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes gemäss UWG Art. 2 Abs. 1 lit. c; Fehlen eines genügenden Grundes für eine solche Anordnung. (Erw. 10).
Schadenersatz; Verschulden der Beklagten im Sinne von UWG Art. 2 Abs. 1 lit. d. (Erw. 11). | Sachverhalt
ab Seite 52
BGE 90 II 51 S. 52
A.-
Die FASAC fabbriche associate studio applicazioni cotone s.p.a. (Aktiengesellschaft) in Mailand entwirft Muster für Baumwollstoffe und erzeugt Stoffe mit diesen Mustern. Im Juni 1962 stellte sie an der INTERSTOFF-Messe in Frankfurt am Main u.a. die - in der Schweiz nicht hinterlegten - Muster Nrn. 1664 und 1680 aus, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Oberfläche der Stoffbahn in rechteckige, einfarbige Grossfelder zerfällt, welche die ganze Breite der Stoffbahn einnehmen, abwechselnd die eine oder andere von zwei verschiedenen Farben aufweisen und durch Querstreifen in Gestalt einer vorgetäuschten Grossnaht (Darstellung eines durch Ösen gezogenen Seils) bezw. eines vorgetäuschten Gürtels (Darstellung eines Gürtels mit Schnalle und Lochung) verbunden sind.
Die Kommanditgesellschaft Geny Spielmann & Co. in Zürich, die sich nach dem Eintrag im Handelsregister mit der Fabrikation von und dem Handel mit Waren der Textil- und Bekleidungsbranche, insbesondere mit der Herstellung von "Damenkonfektion im Modell-Genre" befasst, liess sich nach Besuch der erwähnten Messe von der FASAC die Muster Nrn. 1664 und 1680 zusenden. Stoffe dieser Muster bestellte sie nicht. Dagegen liess sie durch eine andere Firma Stoffe herstellen, die ebenfalls rechteckige, durch die Abbildung einer Grossnaht oder eines Gürtels verbundene Grossfelder in zwei verschiedenen Farben aufweisen, und brachte aus solchen Stoffen angefertigte
BGE 90 II 51 S. 53
Kleidungsstücke (namentlich Strandkleider) als ihre Modelle in den Handel.
B.-
Am 7. Juni 1963 leitete die FASAC beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen Geny Spielmann & Co. Klage ein mit den Begehren:
1. "Es sei festzustellen, dass die Beklagte durch Feilhalten und Verkauf von Stoffmustern, die den Mustern No. 1664 und No. 1680 der Klägerin entsprechen und dadurch gekennzeichnet sind, dass zwei verschiedenfarbige Grossfelder durch einen vorgetäuschten Querstreifen, welcher die Form einer Grossnaht bezw. eines Gürtels hat, gebunden sind, bezw. von aus solchen Stoffen konfektionierten Kleidern, unlautern Wettbewerb begeht.
2. Es sei der Beklagten zu verbieten, die unlautern Handlungen gemäss Rechtsbegehren 1 zu begehen oder dabei sonst mitzuwirken, und es sei ihr zu befehlen, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen, alles unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter wegen Ungehorsams im Falle der Zuwiderhandlung.
3. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin den durch die Handlungen gemäss Begehren 1 erwachsenen und eventuell noch entstehenden Schaden... zu bezahlen..."
Das Handelsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. September 1963 abgewiesen.
C.-
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie erneuert damit die Klagebegehren 1-3 und beantragt eventuell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Ermittlung des Schadens.
Die Beklagte beantragt die Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Verfahrensfrage).
2.
Die Schweiz und Italien sind Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. März 1883 zum Schutze des gewerblichen Eigentums, und zwar gilt zwischen ihnen die am 2. Juni 1934 in London festgelegte Fassung (BS 11 S. 991 ff.). Nach Art. 1 Abs. 2 dieser Fassung der Übereinkunft hat der Schutz des gewerblichen Eigentums u.a. die Unterdrückung des unlautern Wettbewerbs zum Gegenstand. Nach Art. 2 Abs. 1 geniessen die Angehörigen eines jeden der Verbandsländer in allen
BGE 90 II 51 S. 54
andern Ländern des Verbandes in bezug auf den Schutz des gewerblichen Eigentums die Vorteile, welche die betreffenden Gesetze den Einheimischen gegenwärtig gewähren oder in Zukunft gewähren werden, und haben demgemäss den gleichen Schutz wie die Einheimischen und dieselben gesetzlichen Rechtsmittel gegen jeden Eingriff in ihre Rechte. Die Klägerin, eine italienische Handelsgesellschaft, kann also in der Schweiz gleich wie ein Schweizer den Schutz nach UWG beanspruchen.
3.
Die Anwendung des UWG setzt u.a. ein Wettbewerbsverhältnis voraus. Die Beklagte bestreitet vor Bundesgericht mit Recht nicht mehr, dass sie mit der Klägerin im Wettbewerb steht.
4.
Die Klägerin machte im kantonalen Verfahren geltend, das Verhalten der Beklagten, "welche originelle und sehr beachtete Muster der Klägerin zur Ansicht kommen liess, um nachher selbst solche herzustellen bezw. herstellen zu lassen, bezw. aus diesen Stoffen selbst Kleider herzustellen", sei unlauter im Sinne von
Art. 1 UWG
; die Muster der Beklagten seien mit denjenigen der Klägerin "nicht nur verwechselbar, sondern praktisch identisch, so dass die unter besonders unlautern Umständen begangene sklavische Nachahmung die Klagebegehren begründet"; für die Bejahung der entscheidenden Frage, ob die erfolgte Nachahmung im Sinne des UWG unlauter sei, gebe den Ausschlag, "dass die Beklagte ein Muster getreu nachgemacht hat, dem grösste Originalität zuerkannt werden muss, nachdem es dieselbe (gemeint: nachdem sie es) zur Ansicht bestellt hatte." In Übereinstimmung damit führt die Klägerin in der Berufungsschrift aus, die Beklagte habe sich eines Verstosses gegen
Art. 1 UWG
schuldig gemacht, indem sie "unter besondern Umständen" (gemeint: im Anschluss an die von keiner Warenbestellung gefolgte Bestellung von Mustern) "die Nachahmung sehr origineller Stoffzeichnungen zwecks Konkurrenzierung der Klägerin vorgenommen hat"; das hier (d.h. im vorliegenden Falle) gerügte unlautere Element
BGE 90 II 51 S. 55
sei "nicht in der Nachahmung an sich, vielmehr in den Begleitumständen zu suchen und zu finden." Angesichts dieser Stellungnahme der Klägerin ist nur zu prüfen, ob die Beklagte die Muster der Klägerin wirklich nachgeahmt habe und ob, falls dies zutrifft, die erwähnten besondern Umstände die Nachahmung als eine im Sinne von
Art. 1 UWG
unlautere Handlung erscheinen lassen.
5.
Die Klägerin erblickt die für sie nachteiligen Folgen des der Beklagten vorgeworfenen Verhaltens in einer "Marktverwirrung" und einer Schmälerung des Absatzes ihrer eigenen Erzeugnisse. Solche Folgen konnte das Verhalten der Beklagten nur haben, wenn diese die Muster der Klägerin derart nachahmte, dass ihre Stoffe mit denen der Klägerin verwechselt werden können.
Die Kennzeichnungskraft, die das Bundesgericht in
BGE 87 II 56
(vgl. auch
BGE 88 IV 83
) als Voraussetzung derartiger Verwechslungen bezeichnet hat, lässt sich den Erzeugnissen der Klägerin nicht absprechen. Es handelt sich dabei nicht um Massenartikel, sondern um modische Stoffe von ausgeprägter Eigenart. Hiebei bliebe es auch, wenn die Klägerin den Gürtel Modell Nina Ricci abgezeichnet hätte, wie die Beklagte behauptet.
Dagegen trifft entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu, dass die Beklagte die Muster der Klägerin "sklavisch" nachgeahmt, d.h. genau nachgebildet habe. Vielmehr ist der Vorinstanz darin beizustimmen, dass zwischen den Stoffmustern der Parteien Unterschiede bestehen. Das Grossnahtmuster der Klägerin zeigt schräg zur Längsrichtung der Stoffbahn verlaufende Stücke eines gedrehten Seils, das durch gelbe oder grüne Ösen gezogen ist, das Grossnahtmuster der Beklagten parallel zur erwähnten Richtung verlaufende Stücke eines glatten, durch weisse Ösen gezogenen Seils. Der Abstand zwischen den beiden Ösenreihen und den zur gleichen Reihe gehörenden Ösen ist beim Muster der Klägerin kleiner als beim Muster der Beklagten. Das Gürtelmuster der Klägerin stellt einen Gürtel mit zweireihiger Lochung, einer schmalrandigen
BGE 90 II 51 S. 56
rechteckigen Schnalle und einem übergreifenden Endstück mit winkelförmigem Beschlag dar, das entsprechende Muster der Beklagten einen Gürtel mit einreihiger Lochung und breitrandiger quadratischer Schnalle. Die Einfassung der Löcher, die Schnalle und der Beschlag des Endstücks sind beim Muster der Klägerin goldgelb, wogegen die Schnalle und die Einfassung der Löcher beim Muster der Beklagten weiss sind. Auch sind die Löcher und der Abstand zwischen ihnen beim Muster der Beklagten grösser. Ausserdem unterscheiden sich die Erzeugnisse der Parteien durch die Farben der Grossfelder. Die Beklagte hat also die Muster der Klägerin nicht einfach nachgemacht, sondern daran gewisse Änderungen vorgenommen, die bei Gegenüberstellung der betreffenden Erzeugnisse leicht erkennbar sind.
Dies schliesst jedoch die Gefahr der Verwechslung nicht aus. Bei Beurteilung der Verwechselbarkeit bestimmter Erzeugnisse ist im Wettbewerbsrecht auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Vergleichsgegenstände in der Erinnerung des Durchschnittskäufers hinterlassen (
BGE 82 II 350
Erw. 2 a,
BGE 83 II 157
Erw. 2,
BGE 84 II 581
,
BGE 88 IV 81
). Dieser Gesamteindruck wird bei den Stoffen beider Parteien durch die verschiedenfarbigen, die ganze Breite der Stoffbahn einnehmenden Grossfelder und die sie verbindenden Querstreifen in Gestalt einer vorgetäuschten Grossnaht bezw. eines vorgetäuschten Gürtels bestimmt. Die festgestellten Unterschiede treten gegenüber diesen übereinstimmenden, die Muster kennzeichnenden Elementen in der Erinnerung des Durchschnittskäufers zurück. Sie vermögen den Eindruck, dass es sich um die gleichen Waren oder doch um Waren der gleichen Herkunft handle, nicht aufzuheben. Die Verwechslungsgefahr ist daher in Abweichung vom angefochtenen Urteil zu bejahen.
6.
Darüber, wie die Beklagte bei der Herstellung ihrer Stoffe vorging, hat die Vorinstanz ausgeführt:
"Die Klägerin kann nicht behaupten, die Beklagte habe die Muster lediglich kommen lassen, um sie zu kopieren. Das ist
BGE 90 II 51 S. 57
denn auch schon dadurch widerlegt, dass sie an der INTERSTOFF-Messe in Frankfurt a.M. die Stoffe besichtigen konnte und auf Grund ihrer dortigen Besichtigung ohne Schwierigkeit hätte kopieren können, ohne dass es überhaupt der Zusendung der Muster bedurft hätte."
Diese Ausführungen enthalten die für das Bundesgericht verbindliche tatsächliche Feststellung, dass die Beklagte die Muster nicht nur zum Zwecke ihrer Nachahmung bestellte. Die Feststellung, dass die Nachahmung nicht der einzige Zweck der Bestellung war, lässt die Möglichkeit offen, dass die Beklagte mit der Bestellung neben andern Zwecken auch die Absicht verfolgte, die Stoffe der Klägerin allenfalls nachzuahmen. Der Ablauf der Ereignisse - Besichtigung der Stoffe in Frankfurt a.M., Bestellung von Mustern dieser eigenartigen Stoffe, Herstellung von zum Verwechseln ähnlichen Stoffen - begründet die Vermutung, dass die Beklagte bei der Bestellung wenigstens eventuell beabsichtigte, die Stoffe der Klägerin mit Hilfe der Muster nachzuahmen. Die Beklagte vermochte diese Vermutung nicht zu entkräften. Selbst wenn man mit der Vorinstanz annehmen will, die Beklagte hätte die Stoffe der Klägerin schon allein auf Grund der Besichtigung an der Messe in Frankfurt nachmachen können, so wurde die Nachahmung durch die Zusendung der Muster doch wesentlich erleichtert. Die Beklagte muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, eigenartige Erzeugnisse der Klägerin mit Hilfe von Mustern nachgeahmt zu haben, die sie mit der Eventualabsicht dieser Verwendung bestellt hatte. Damit hat sie den wirtschaftlichen Wettbewerb durch ein gegen Treu und Glauben verstossendes Mittel im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 UWG
missbraucht. Sie durfte die Muster redlicherweise nur zum Zwecke der Prüfung im Hinblick auf einen Warenkauf bestellen.
Unlauterer Wettbewerb im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 UWG
wäre der Beklagten im übrigen auch dann vorzuwerfen, wenn man nicht annähme, sie habe schon bei der Bestellung der Muster wenigstens eventuell beabsichtigt, sie nachzuahmen, sondern davon ausginge, sie
BGE 90 II 51 S. 58
habe sich erst nach Erhalt der Muster hiezu entschlossen. Die Beklagte, die sich nach dem unwidersprochenen Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 23. Juni 1962 an der Messe in Frankfurt a.M. ernstlich für den Kauf von Stoffen der Klägerin und bezüglich einzelner dieser Stoffe sogar für die Verleihung des Alleinvertriebs ("esclusiva") in der Schweiz interessiert hatte, musste sich davon Rechenschaft geben, dass die Klägerin die Muster nur im Hinblick auf ein solches Geschäft herausgab und nicht bereit war, sie einem Konkurrenten als Vorlage für eine Nachahmung zur Verfügung zu stellen. Indem sie die Muster bestellte, hat sie sich diesen Bedingungen unterworfen. Die Klägerin durfte bei den gegebenen Umständen nach dem Vertrauensprinzip von ihr erwarten, dass sie von den Mustern keinen weitern Gebrauch machen würde, wenn es nicht zu einer Warenbestellung kommen sollte. Die Verwendung der Muster als Hilfsmittel zur Nachahmung der Stoffe verstiess also gegen Treu und Glauben, selbst wenn sie nicht schon bei der Bestellung beabsichtigt war.
7.
Erfüllt das Verhalten der Beklagten aus den angegebenen Gründen den Tatbestand von
Art. 1 Abs. 1 UWG
, so kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin mit dem Hinweis auf die Modezeitschrift, in welcher die Beklagte aus den nachgeahmten Stoffen hergestellte Kleider als ihre Modelle abbilden liess, und mit der Vorlegung eines Kleides aus solchem Stoffe, das die Bezeichnung "Original Geny Spielmann" trägt, zu Recht geltend machte, die Beklagte habe über ihre eigenen Waren unrichtige oder irreführende Angaben im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 lit. b UWG
gemacht (welche Frage die Vorinstanz nicht geprüft hat).
8.
Der in
Art. 2 Abs. 1 lit. a UWG
vorgesehene Anspruch auf Feststellung der Widerrechtlichkeit, d.h. auf Erlass eines besondern, die Widerrechtlichkeit feststellenden Urteilsspruches, hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Voraussetzung, dass
BGE 90 II 51 S. 59
die klagende Partei an einer solchen Feststellung rechtlich interessiert ist (
BGE 77 II 185
Erw. 4,
BGE 82 II 359
). Ein solches Interesse besteht namentlich dann, wenn die Urteilsveröffentlichung als geboten erscheint, kann aber auch in andern Fällen gegeben sein (vgl. die angeführten Entscheide). Wird jedoch gemäss
Art. 2 Abs. 1 lit. b UWG
auf Unterlassung der Handlungen erkannt, in denen der unlautere Wettbewerb besteht, so fehlt normalerweise ein schutzwürdiges Interesse an einer selbständigen Feststellung der Widerrechtlichkeit.
Im vorliegenden Fall ist die Urteilsveröffentlichung nicht verlangt worden. Anderseits ist gemäss Erwägung 9 hienach der Unterlassungsanspruch zu schützen. Besondere Umstände, die ein rechtliches Interesse daran zu begründen vermöchten, dass zum Unterlassungsbefehl die selbständige Feststellung der Widerrechtlichkeit hinzutrete, sind nicht gegeben. Gegen die Gefahr einer Wiederholung der widerrechtlichen Handlungen, auf welche die Vorinstanz in ihren (trotz Verneinung des unlautern Wettbewerbs angestellten) Erwägungen über die einzelnen Klagebegehren hinweist, schützt der Unterlassungsbefehl. Die verlangte Feststellung ist daher abzulehnen.
9.
Durch einen Befehl auf Unterlassung im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 lit. b UWG
gegen künftige widerrechtliche Handlungen der Beklagten geschützt zu werden, kann die Klägerin nur verlangen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind.
Die Beklagte liess im kantonalen Verfahren behaupten, diese Gefahr bestehe nicht; sie habe der Klägerin schon vor der Klageeinleitung erklärt, weitere Kleider mit den beanstandeten Mustern würden nicht mehr hergestellt und verkauft, weil bereits alle nach diesen Mustern angefertigten Strandkostüme verkauft und ausgeliefert seien und der Betrieb bereits für die Wintersaison 1963/64 arbeite; der Verkauf weiterer Kleider aus solchen Stoffen sei auch deshalb nicht zu befürchten, weil diese Stoffe bereits von der neuen Mode überholt seien. Die Vorinstanz fand,
BGE 90 II 51 S. 60
durch diese Vorbringen werde nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte, die ihre Handlungsweise als rechtmässig ansehe, "die Idee für spätere Jahre wieder aufgreife", d.h. die streitigen Stoffmuster später wieder verwende. Sie bejahte also die Gefahr einer Wiederholung der widerrechtlichen Handlungen. Die Beklagte behauptet mit Recht nicht, diese Annahme verstosse gegen Bundesrecht. Der eingeklagte Unterlassungsanspruch ist daher durch Erlass eines entsprechenden Befehls (Verbots) zu schützen.
10.
Unter der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 lit. c UWG
, die neben der Unterlassung weiterer widerrechtlicher Handlungen Gegenstand des Klagebegehrens 2 ist, versteht die Klägerin nach der Klageschrift die Beseitigung der noch im Handel befindlichen Kleider aus den beanstandeten Stoffen. Für eine dahingehende Anordnung fehlt ein genügender Anlass. Abgesehen davon, dass die Klägerin dieses Begehren nicht näher begründet hat, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte entgegen ihrer Darstellung noch über einen Vorrat an Kleidern aus den streitigen Stoffen verfüge. Vor allem aber wird die Klägerin durch das auf Grund von
Art. 2 Abs. 1 lit. b UWG
zu erlassende Verbot der Herstellung und des Vertriebs solcher Stoffe und Kleider genügend geschützt.
11.
Dass die Beklagte im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 lit. d UWG
schuldhaft gehandelt hat, steht ausser Zweifel. Sie hat die ihr von der Klägerin gelieferten Muster mit der Eventualabsicht bestellt, sie nachzuahmen, und die Muster hierauf vorsätzlich zu diesem Zwecke benützt. Selbst wenn sie nicht geradezu darauf ausgegangen sein sollte, Verwechslungen ihrer eigenen Waren mit den Stoffen der Klägerin herbeizuführen, so konnte und musste sie sich doch davon Rechenschaft geben, dass die mit Hilfe der Muster vorgenommene Nachahmung dieser Stoffe die Gefahr solcher Verwechslungen schuf. Wurde die Klägerin durch die unlautere Handlungsweise der Beklagten in ihren wirtschaftlichen Interessen geschädigt, so hat sie
BGE 90 II 51 S. 61
nach der erwähnten Bestimmung also Anspruch auf Ersatz des Schadens.
Ob die Klägerin einen Schaden erlitt, was die Beklagte bestreitet, und wie hoch er gegebenenfalls sei, hat die Vorinstanz nicht abgeklärt, weil sie zur Auffassung gelangte, es liege kein unlauterer Wettbewerb vor. Da die Beklagte in Wirklichkeit den Tatbestand von
Art. 1 Abs. 1 UWG
schuldhaft setzte, ist die Sache zur Ermittlung des Schadens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Soweit der (von der Klägerin auf etwa Fr. 45'000 geschätzte) Schaden nicht ziffernmässig nachgewiesen werden kann, greift die Regel von
Art. 42 Abs. 2 OR
Platz (
BGE 72 II 399
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons Zürich vom 26. September 1963 aufgehoben.
2.- Der Beklagten wird unter der Androhung von Haft oder Busse nach
Art. 292 StGB
untersagt, Stoffmuster mit den wesentlichen Merkmalen der Muster Nrn. 1664 und 1680 der Klägerin, gekennzeichnet durch verschiedenfarbige Grossfelder und ein sie verbindendes Element in Form eines vorgetäuschten Gürtels oder einer vorgetäuschten Grossnaht (sog. Seilmotiv), sowie daraus angefertigte Kleider und Kleidungsstücke herzustellen, feilzuhalten, zu verkaufen und in Verkehr zu bringen.
3.- Die Sache wird zur Festsetzung der Höhe des von der Klägerin erlittenen Schadens an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a758b307-6351-4248-b2b3-fb5a150b9132 | Urteilskopf
105 IV 37
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1979 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 189 Abs. 2, 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB.
Die langdauernde Reizung einer Patientin an der Klitoris durch den Arzt anlässlich einer gynäkologischen Untersuchung ist objektiv unzüchtig, wenn sie weder medizinisch indiziert noch auf eine allfällige Ungeschicklichkeit des Arztes zurückzuführen ist. | Erwägungen
ab Seite 37
BGE 105 IV 37 S. 37
Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, eine gynäkologische Untersuchung sei nicht objektiv unzüchtig, und zwar auch dann nicht, wenn sie zu einer langdauernden medizinisch nicht indizierten Reizung der Klitoris führe. In Fällen, wo eine Handlung nicht schon objektiv eindeutig sei, gebe der Wunsch nach Erregung oder Befriedigung eigener oder fremder Geschlechtslust den Ausschlag (
BGE 70 IV 209
). Diese Absicht sei von der Vorinstanz weder überprüft noch positiv festgestellt worden. Das Obergericht habe nicht einmal abgeklärt, ob sich der Beschwerdeführer bewusst gewesen sei, dass seine Handlungen zu einer subjektiv empfundenen Reizung der Klitoris geführt hätten. Ohne Beantwortung dieser Frage dürften Art. 189 Abs. 2 und 191 Abs. 2 StGB nicht zur Anwendung gelangen.
Die langdauernde Reizung der Patientinnen an der Klitoris war entgegen der Meinung des Beschwerdeführers objektiv schon deswegen eindeutig unzüchtig, weil sie weder medizinisch indiziert noch die Folge einer bei der Untersuchung unterlaufenen zufälligen Ungeschicklichkeit gewesen ist, denn damit fiel sie ohne weiteres ausserhalb des Bereichs einer gynäkologischen Untersuchungshandlung und verletzte sie nicht bloss in leichtzunehmender, sondern in grober Weise das Sittlichkeitsgefühl. Die Vorinstanz brauchte deshalb nicht im Sinne der vom Beschwerdeführer angezogenen Rechtsprechung nach der von X. mit seiner Handlung verfolgten Absicht zu forschen, um die objektive Unzüchtigkeit seines Verhaltens zu bejahen, noch musste sie prüfen, ob sich der Beschwerdeführer bewusst gewesen sei, dass seine Handlungen zu einer subjektiv empfundenen Reizung der Klitoris geführt hatten. Die Handlung war selbst dann objektiv unzüchtig, wenn der Täter nicht wusste, wie sie von der Frau empfunden wurde. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a759745e-edd2-47f8-869a-c5e1a38291d0 | Urteilskopf
126 II 206
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. März 2000 i.S. Bundesamt für Strassen gegen X. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 16 Abs. 2,
Art. 16 Abs. 3 lit. a,
Art. 31 Abs. 2 SVG
; Führerausweisentzug, Einnicken am Steuer.
Das Einnicken am Steuer (Fahren in übermüdetem Zustand) stellt in der Regel einen obligatorischen Entzugsgrund gemäss
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
dar. | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 126 II 206 S. 207
A.-
X. fuhr am 18. August 1998 um ca. 05.45 Uhr auf dem Normalstreifen der Autobahn A6-Süd von Kiesen Richtung Rubigen. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von zwischen 120 und 130 km/h nickte er plötzlich kurz ein. Als er wieder erwachte, sah er ca. 20 m vor sich einen VW-Bus. Trotz Vollbremsung und Ausweichens nach rechts kam es zu einer Kollision mit dem Heck des voranfahrenden VW-Busses und in der Folge auch mit dem Wildschutzzaun am rechten Fahrbahnrand. Beim Unfall entstand ein Sachschaden von Fr. 25'000.-.
B.-
Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern entzog X. am 6. Januar 1999 den Führerausweis wegen Führens eines Personenwagens in nicht fahrfähigem Zustand (kurzes Einnicken) für die Dauer eines Monats in Anwendung von
Art. 16 Abs. 2 SVG
(SR 741.01).
Eine Beschwerde des Betroffenen wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 24. März 1999 ab.
C.-
Das Bundesamt für Strassen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und X. sei der Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten zu entziehen in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 lit. a i.V.m.
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Rekurskommission zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 16 Abs. 2 SVG
kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Fahrzeuglenker Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat. Hat der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet, ist gemäss
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
der Entzug des Führerausweises obligatorisch. Nach der Rechtsprechung ist der Führerausweis nur dann gestützt auf
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
zu entziehen, wenn dem Fahrzeuglenker ein schweres Verschulden anzulasten ist (
BGE 105 Ib 121
), mithin bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (
BGE 123 IV 88
E. 4a). Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig
BGE 126 II 206 S. 208
handelt. In solchen Fällen bedarf jedoch die Annahme grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen Prüfung (
BGE 118 IV 285
E. 4, S. 290;
BGE 106 IV 49
/50 mit Hinweisen).
Wer angetrunken, übermüdet oder sonst nicht fahrfähig ist, darf kein Fahrzeug führen (
Art. 31 Abs. 2 SVG
). In der Literatur (H.P. HARTMANN, Der Kranke als Fahrzeuglenker, Berlin u.a. 1980, S. 39 f., zitiert in SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, N. 378 f.) werden als wichtige ermüdungsfördernde Faktoren solche unterschieden, die in der Person oder Situation des Fahrzeugführers liegen (Alleinfahrt, Dauerfahrt von Stunden mit ständiger Konzentration, ununterbrochen langsame Fahrt, Bekanntheit der Strecke, vorausgegangene schwere körperliche oder geistige Arbeit, Hunger oder voller Magen, Alkohol, dämpfende Medikamente, Krankheit, Rekonvaleszenz), von vom Fahrzeug ausgehenden (Monotonie von Motorlärm und Vibration, Überheizung, schlechte Lüftung, mangelhafter Sitz- oder Bedienungskomfort) und von strassen- bzw. witterungsbedingten Faktoren (Eintönigkeit der Strasse, Dauerregen, Hitze, Sonne, Nacht, Zwielicht). Charakteristische Symptome von (unterschiedlich starker) Ermüdung lassen sich feststellen im Augen-/Sehbereich (Lidschwere, Trübung des Blickes, Fremdkörperreiz, Konvergenzschwäche mit Schielen und Doppelbildern, Schattensehen, "schwimmende" Strasse), in psychischer Hinsicht (Abschweifen in Gedanken, Dösen, "Autobahn-Hypnose", Gleichgültigkeit, Lustlosigkeit, Unruhe, Aufschrecken, kurze Absenz mit offenen Augen), in der allgemeinen körperlichen Verfassung (Gähnen, Mundtrockenheit mit Durst, Erschrecken mit Schweissausbruch, plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur) und in der Fahrweise (verzögerte Reaktionen, hartes Kuppeln, brüskes Bremsen, Schaltmüdigkeit, Abweichen von der Fahrspur, verlorenes Geschwindigkeitsgefühl).
Angesichts dieser Ermüdungssymptome kann heute bei einem gesunden und nicht aus anderen Gründen fahrunfähigen Fahrzeugführer Einschlafen am Steuer (sog. "Sekundenschlaf") ohne vorherige subjektiv erkennbare Ermüdungserscheinungen ausgeschlossen werden (HARTMANN/SCHAFFHAUSER, a.a.O., S. 40 bzw. N. 381). Zum selben Ergebnis gelangt auch H. JOACHIM: "Unter forensischen Aspekten ist zusammenfassend festzustellen, dass es ein unvorhersehbares Einschlafen am Steuer nach übereinstimmenden Ansichten nur unter aussergewöhnlichen und krankhaften Bedingungen gibt. Eine zunehmende Ermüdung ist zunehmend erkennbar. Die Ermüdungszeichen sind Kraftfahrern bekannt"
BGE 126 II 206 S. 209
(Praxis der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen, herausgegeben von BALDUIN FORSTER, Stuttgart/New York/München 1986, S. 385 ff., insbesondere S. 388; z.T. abweichend JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 34. Auflage, StVZO § 2 N. 9b-d und StGB § 315c N. 14).
Das Verschulden eines Fahrzeugführers, der am Steuer einschläft, ist deshalb in aller Regel als schwer zu bezeichnen. Zutreffend führt SCHAFFHAUSER (a.a.O., S. 211 f. Fn. 1) dazu aus, dass wer während der Fahrt einschlafe, offensichtlich überhaupt keine Möglichkeit mehr habe, auf den Gang des Geschehens einzuwirken. Das Fahrzeug fahre ungeführt, "herrenlos" irgendwohin. Dass solche Phasen in der Regel kurz seien, sei meist der Tatsache zuzuschreiben, dass bald einmal eine Kollision erfolge, in deren Gefolge der Führer erwache. Damit dürfte regelmässig ein qualifizierter Fall einer erhöhten abstrakten Verkehrsgefährdung vorliegen. Auch das Verschulden sei regelmässig als schwer zu qualifizieren. Wer sich so übermüdet ans Lenkrad setze, dass er bei nächster Gelegenheit ohne weitere Vorwarnung einschlafe, handle grobfahrlässig. Wer hingegen in fahrfähigem Zustand losfahre, schlafe regelmässig nicht ohne vorherige subjektiv erkennbare Ermüdungserscheinungen ein. Es erscheine daher als grob pflichtwidrig, solche deutliche Zeichen unbeachtet zu lassen in der Hoffnung, man werde weiterhin wach bleiben. Es gehöre wohl zu den elementarsten und wichtigsten Pflichten des Lenkers, aktiv dafür zu sorgen, dass er wach bleibe, solange er sich im Verkehr bewege.
b) Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdegegner zu Recht vor, er habe weder auf die ersten Ermüdungssymptome reagiert noch etwas dagegen unternommen, als diese in vermehrtem Masse aufgetreten seien. Da die Gefährlichkeit eines Einnickens am Steuer allgemein bekannt sei, und der Beschwerdegegner trotz der vermehrt auftretenden und für ihn erkennbaren Übermüdungsanzeichen seine Fahrt nicht abgebrochen habe, habe die erste Instanz zu Recht auf ein nicht mehr leichtes Verschulden erkannt. Das kurze Einnicken am Steuer stelle in aller Regel eine grobe Verkehrsregelverletzung dar; dass die erste Instanz den vorliegenden Fall nur als mittelschwer qualifiziert habe, müsse deshalb als milde Massnahme bezeichnet werden. Dennoch hat sie die erstinstanzliche Verfügung bestätigt.
Wie das beschwerdeführende Amt zutreffend geltend macht, ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar. Nachdem die Vorinstanz zu Recht davon ausgeht, dass das Einnicken am Steuer in der Regel eine grobe Verkehrsregelverletzung darstellt, hätte sie
BGE 126 II 206 S. 210
entweder eine solche annehmen oder aber darlegen müssen, weshalb das Verschulden des Beschwerdegegners weniger schwer wiege als im Regelfall. Dafür findet sich im angefochtenen Entscheid keine Begründung, weshalb er aufzuheben ist.
In ihrer Vernehmlassung weist die Vorinstanz darauf hin, dass das Bundesgericht auch schon kantonale Entscheide geschützt hat, wo das Einnicken am Steuer als mittelschwerer beziehungsweise als leichter Fall beurteilt worden sei. Der unveröffentlichte Entscheid vom 4. September 1991 i.S. Département de justice et police du canton de Genève gegen S. ging davon aus, es fehlten tatsächliche Feststellungen, wonach der Autofahrer wegen seiner Überarbeitung mit einem plötzlichen Einnicken hätte rechnen müssen oder dass sich bei ihm Ermüdungsanzeichen bemerkbar gemacht hätten. Angesichts der vorerwähnten Literatur muss diese Rechtsprechung als überholt bezeichnet werden. Im unveröffentlichten Entscheid vom 20. Dezember 1991 i.S. Verkehrsamt des Kantons Schwyz gegen B. hatte der Fahrzeuglenker versucht, der Gefahr des Einnickens durch verschiedene - wenn auch ungenügende - Vorkehren vorzubeugen. Deshalb traf ihn auch ein weniger schweres Verschulden als einen Fahrzeuglenker, der bei immer stärker auftretenden Ermüdungsanzeichen nichts Besonderes unternimmt im Vertrauen darauf, es werde schon gut gehen.
Soweit die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung auf die berufliche Sanktionsempfindlichkeit des Beschwerdegegners hinweist, ist zunächst festzuhalten, dass dieser Umstand bei der Beurteilung des Verschuldens, ob ein mittelschwerer oder ein schwerer Fall vorliegt, nicht von Bedeutung ist. Im Weiteren ist offensichtlich, dass der Beschwerdegegner, der in Leissigen wohnt und in Gümligen in einem Schichtbetrieb arbeitet, im Verhältnis zum Durchschnittsfahrer stärker auf den Führerausweis angewiesen ist. Hingegen ist er nicht so schwer betroffen wie ein Fahrzeuglenker, dessen Berufsarbeit ganz oder teilweise im Führen von Motorfahrzeugen besteht. Im Übrigen wäre es für den Beschwerdegegner zumindest teilweise möglich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln die normalen Schichtarbeitszeiten einzuhalten.
Das beschwerdeführende Amt betont zu Recht die Gefährlichkeit, die von übermüdeten Fahrzeuglenkern ausgeht, und dass ein unvorhersehbares Einschlafen am Steuer bei einem gesunden Fahrzeugführer ohne vorherige subjektiv erkennbare Ermüdungserscheinungen ausgeschlossen werden könne. Soweit das Amt deshalb den Tatbestand des Fahrens in übermüdetem Zustand in der Regel als
BGE 126 II 206 S. 211
grobe Verkehrsregelverletzung bezeichnet, ist ihm zuzustimmen. Aus dem Umstand, dass das Fahren in angetrunkenem Zustand einen obligatorischen Entzugsgrund darstellt (
Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG
), kann jedoch nicht geschlossen werden, angesichts der noch grösseren Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer gelte dies erst recht für den Tatbestand des Fahrens in übermüdetem Zustand. Zwar sind beide Tatbestände Varianten fehlender Fahrfähigkeit (
Art. 31 Abs. 2 SVG
). Doch behandelt der Gesetzgeber die beiden Tatbestände unterschiedlich, indem in
Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG
die Übermüdung nicht erwähnt ist und gemäss
Art. 17 Abs. 1 lit. b SVG
nur das Fahren in angetrunkenem Zustand mit einer Mindestentzugsdauer von zwei Monaten geahndet wird. Hätte der Gesetzgeber die beiden Tatbestände gleich behandeln wollen, so hätte er in den erwähnten Bestimmungen nur den Begriff in "angetrunkenem" Zustand durch den Begriff in "fahrunfähigem" Zustand ersetzen müssen. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a75bb0af-b4ba-428f-a8e8-7a24eae9c091 | Urteilskopf
116 Ib 86
10. Estratto della sentenza 19 febbraio 1990 della I Corte di diritto pubblico nella causa D. e. litisconsorti c. Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello e Giudice istruttore sottocenerino (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (
Art. 15 EÜR
und Art. III des Protokolls betreffend die Vollziehung der am 22. Juli 1868 in Bern und in Florenz zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossenen und unterzeichneten Verträge und Übereinkünfte).
a)
Art. 15 Abs. 1 und 2 EÜR
enthält Formvorschriften über die Übermittlung von Rechtshilfeersuchen (E. 5b).
b) Das Fehlen der nach
Art. 15 Abs. 2 EÜR
erforderlichen Dringlichkeit stellt keinen schweren Mangel i.S. von
Art. 2 lit. d IRSG
dar (E. 5c).
c) Tragweite von Art. III des Protokolls betreffend die Vollziehung der am 22. Juli 1868 in Bern und in Florenz zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossenen und unterzeichneten Verträge und Übereinkünfte (E. 5d).
d) Die Verletzung der vom vorgenannten Protokoll an der Zusendung von Rogatorien gestellten formellen Anforderungen zieht grundsätzlich nicht die Abweisung des Rechtshilfeersuchens nach sich (E. 5d). | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 116 Ib 86 S. 87
Nell'ambito del fallimento della società per azioni A, Milano, la Procura della Repubblica di Milano ha aperto, dietro segnalazione del Commissario giudiziale, un procedimento penale contro i membri del consiglio di amministrazione della fallita, sospettati di aver versato provvigioni ingiustificate, creando così un pregiudizio ai creditori. La Procura della Repubblica di Milano, dopo aver inoltrato una prima commissione rogatoria a Ginevra, ha chiesto il 5 aprile 1989 assistenza giudiziaria al Giudice istruttore della giurisdizione sottocenerina in Lugano. Quest'ultimo, con decisione 3 maggio 1989, ha ordinato alla banca B e alla banca C la trasmissione della documentazione relativa ai conti intestati alle società D, E e F. Contro questa decisione le predette società sono insorte con reclamo alla Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello. Questi ricorsi sono stati respinti dalla Camera dei ricorsi penali con decisioni distinte del 17 e del 24 ottobre 1989.
Le società D, E e F hanno impugnato queste decisioni con tempestivi ricorsi di diritto amministrativo, chiedendo al Tribunale federale di annullarle.
Il Tribunale federale ha respinto i ricorsi, in quanto ricevibili.
Erwägungen
Dai considerandi:
5.
a) Le ricorrenti sostengono che la trasmissione diretta della domanda d'assistenza al Giudice istruttore sottocenerino viola l'art. 15 CEAG, poiché non vi è alcuna urgenza; il pagamento della provvigione alla società X. è infatti avvenuto già nel 1982.
b) L'art. 15 cpv. 2 CEAG prevede che, in caso d'urgenza, le commissioni rogatorie possono essere trasmesse direttamente dalle
BGE 116 Ib 86 S. 88
autorità giudiziarie della Parte richiedente a quelle della Parte richiesta. L'interesse pubblico che tende a salvaguardare la procedura ordinaria è comunque preservato dal fatto che le commissioni esperite d'urgenza sono rispedite, corredate dei documenti relativi all'esecuzione, secondo la procedura ordinaria dell'art. 15 cpv. 1 CEAG. Sono inoltre riservate dall'art. 15 cpv. 7 CEAG le disposizioni degli accordi o convenzioni bilaterali in vigore fra le parti contraenti, che prevedono la trasmissione diretta della domanda di assistenza giudiziaria fra le autorità delle parti.
c) Qualora la trasmissione diretta della domanda di assistenza fosse ritenuta un errore, si tratterebbe di un vizio di forma, che secondo la prassi di questo Tribunale non costituisce una deficienza grave giusta l'art. 2 lett. d AIMP, ossia tale da giustificare il rigetto della domanda di assistenza (sentenza inedita del 28 novembre 1989 in re RKB S.A., consid. 5a).
d) Fra la Svizzera e l'Italia vale poi il Protocollo concernente l'esecuzione dei Trattati e delle Convenzioni conchiusi e firmati a Berna e a Firenze il 22 luglio 1868 (RS 0.142.114.541.1). L'art. III di questo protocollo stabilisce che le Corti di appello italiane, il Tribunale federale e il Tribunale supremo di ciascun Stato della Confederazione possono corrispondere direttamente fra loro "per tutto ciò che concerne l'invio e la spedizione di rogatorie, sia nel civile, sia nel criminale". Nel caso in esame la rogatoria non è stata notificata al Tribunale di appello del Cantone Ticino. Tuttavia, ciò potrebbe essere di rilievo, qualora una disposizione del diritto cantonale imponesse al Tribunale di appello del Cantone Ticino di verificare i requisiti formali delle rogatorie, ciò che non è il caso. Il rifiuto di dar seguito alla presente domanda di assistenza, in ragione della sua trasmissione diretta al Giudice istruttore sottocenerino, costituirebbe ad ogni modo un formalismo eccessivo (sentenza del 31 ottobre 1984 in re S. e Banca P., pubblicata in SJ 107/1985 pag. 372 consid. 4).
e) Alla luce delle considerazioni esposte, il quesito a sapere, se nel caso in esame vi sia il requisito dell'urgenza previsto dall'art. 15 cpv. 2 CEAG, può quindi rimanere indeciso. | public_law | nan | it | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a75bda7c-cd99-4591-bf11-2120082ec840 | Urteilskopf
81 IV 150
33. Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1955 i.S. Christen gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 112 StGB
, Mord.
a) Umstände, die eine besondere Gefährlichkeit des Täters offenbaren.
b) Art. 112 geht dem
Art. 113 StGB
vor. | Sachverhalt
ab Seite 150
BGE 81 IV 150 S. 150
A.-
Fritz Christen, geb. 1899, ist deutlich, aber nicht hochgradig debil. Die Schule beendete er nach der sechsten Klasse, da er dreimal wiederholen musste. Beruf erlernte er keinen. Wie schon durch die Mitschüler, wurde er auch durch seine Nebenarbeiter oft ausgelacht. Niemand liebte ihn. Beziehungen zum Weibe vermochte er keine anzuknüpfen. Er überwertete eine Missbildung seines Geschlechtsteils so sehr, dass er sich nur als halber Mensch vorkam. Die chronische Verdrängung seiner agressiven und sexuellen Triebe führte zu einem neurotischen Charakter. Christen entwickelte sich zu einem wortkargen, verschlossenen und misstrauischen Manne, den andere, auch ohne näher mit ihm zu verkehren, als guten Kerl beurteilten. Er war gut beleumdet und hatte sich nie vor dem Strafrichter zu verantworten. Wahrscheinlich wurde schliesslich noch durch den Beginn einer Arteriosklerose sein Hirn verändert.
Am 10. September 1953 gegen 7 Uhr trat Christen von seiner Wohnung an der Dättnauerstrasse in Winterthur-Töss aus den Weg nach dem Kantonsspital an, wo er wegen eines Oberarmbruches eine Nachbehandlung durchmachte. Unterwegs, in der Nähe der Stelle, wo der Kronenrainweg in den Ebnet-Wald führt, traf er die im Jahre 1941 geborene Ursula Weishaupt, die auf dem Wege zur
BGE 81 IV 150 S. 151
Schule war. Nachdem er mit dem Mädchen ungefähr fünfzig Meter weit gegangen war, trat es zu einer Sandkiste in der Nähe des Weges und urinierte. Der Anblick des entkleideten Unterleibes des Kindes gab Christen einen solchen Schock, dass seine chronisch gestauten Triebe ausbrachen. Er stürzte sich auf das Mädchen und warf es nieder, um es am Geschlechtsteil ausgreifen zu können. Indem er ihm mit einer Hand den Mund zuhielt und ihm Schürze und Rock über den Kopf stülpte, hinderte er es am Schreien. Mit dem linken Arm den Nacken des Mädchens umfassend und dessen Gesicht gegen seinen Körper pressend, würgte er das Opfer, schleppte es in ein kleines ausgetrocknetes Bachtobel und liess es dort zu Boden fallen. Hierauf schnitt er dem bewusstlosen Kinde mit einem Taschenmesser vorn auf beiden Seiten die Hosen auf, griff ihm mit dem rechten Mittelfinger in die Scheide und tötete es, indem er ihm mit dem Messer fünf Stiche in den Hals und einen Stich in die linke Schulter versetzte und es würgte. Er deckte die Leiche mit Ästen zu, reinigte sich und ging seines Weges nach dem Kantonsspital, führte unterwegs im Autobus mit einem Dritten ein belangloses Gespräch und bewahrte auch im Spital seine Ruhe. Nachher besuchte er eine Wirtschaft, ass und kehrte auf dem Heimweg noch zwei weitere Male ein.
B.-
Am 17. Februar 1955 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Christen wegen Mordes (
Art. 112 StGB
) zu zwölf Jahren Zuchthaus, abzüglich 491 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft, und stellte ihn für sieben Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
Das Gericht nahm übereinstimmend mit dem Sachverständigen an, der.Angeklagte habe in einem Affektdämmerzustande gehandelt, wobei seine Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht der Tat nicht wesentlich beeinträchtigt, jedoch die Fähigkeit, sich gemäss seiner Einsicht zu verhalten, wegen der sensitiven Debilität und der Störungen im Hirn mindestens mittelstark vermindert gewesen sei (
Art. 11 StGB
). Es führte weiter aus, die Begehung
BGE 81 IV 150 S. 152
der Tat im erwähnten Zustande schliesse den Vorwurf aus, Christen habe mit einer Überlegung getötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder seine Gefährlichkeit im Sinne des
Art. 112 StGB
offenbaren könnte. Ob dagegen die Umstände der Tat eine besonders verwerfliche Gesinnung oder Gefährlichkeit des Täters verrieten, beurteile sich unabhängig von dessen Geisteszustand. Zu diesen Umständen gehörten auch die Beweggründe. Christen erinnere sich nicht mehr an die Einzelheiten seines Verbrechens und wisse auch nicht, warum er Ursula Weishaupt getötet habe. Die Tat sei nach ihrem Verlaufe ein typischer Lustmord. Es müsse angenommen werden, Christen habe entweder in sexueller Ekstase und zur Befriedigung seines plötzlich hervorbrechenden Geschlechtstriebes gehandelt, oder um die Entdeckung seines Sittlichkeitsdeliktes zu verhindern, oder aus beiden Motiven zugleich. Der eine wie der andere Beweggrund offenbare eine besonders verwerfliche Gesinnung. Auch durch das Verhalten nach der Tat, das von einer grossen Kaltblütigkeit und vom Mangel jeder echten Reue zeuge, habe Christen solche Gesinnung bekundet. Die Umstände der Tat zeigten auch seine Gefährlichkeit, nämlich dass er fähig sei, unter den gleichen oder anderen Umständen ein ähnliches Verbrechen zu begehen. Das psychiatrische Gutachten komme überzeugend zum Schluss, das sei möglich. Dass Christen in heftiger Gemütsbewegung getötet habe, führe nicht zur Anwendung der Bestimmung über Totschlag (
Art. 113 StGB
). Wenn eine Tat die Merkmale des Mordes aufweise, der gegenüber der vorsätzlichen Tötung (Art. 111) qualifizierter Tatbestand sei, könnte sie nicht zugleich den privilegierten Tatbestand des Totschlages erfüllen. Eine Tötung in sexueller Erregung sei zudem nicht entschuldbar.
C.-
Christen führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei statt des Mordes des Totschlages, eventuell der vorsätzlichen Tötung, schuldig zu erklären und entsprechend milder zu bestrafen.
BGE 81 IV 150 S. 153
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Entwurf des Bundesrates zum Strafgesetzbuch sah im Täter einen Mörder, wenn er "aus Mordlust, aus Habgier, um die Begehung eines anderen Vergehens zu verdecken oder zu erleichtern, mit besonderer Grausamkeit, heimtückisch, durch Feuer, Sprengstoffe oder andere Mittel, die geeignet sind, Leib und Leben vieler Menschen zu gefährden", vorsätzlich einen Menschen töte (Art. 99). Nach
Art. 112 StGB
dagegen begeht einen Mord, wer "unter Umständen oder mit einer Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder seine Gefährlichkeit offenbaren".
Über diese Abweichung vom Entwurfe darf nicht hinweggesehen werden. Sie wurde von den eidgenössischen Räten beschlossen, weil die kasuistische Aufzählung nicht befriedigte, insbesondere weil befürchtet wurde, sie könnte Lücken aufweisen (Sten Bull, Sonderausgabe, NatR 251, 252, 266, StR 137). Daher geht es nicht an, mit dem Beschwerdeführer den Tatbestand des Mordes nur zu bejahen, wenn die besonders verwerfliche Gesinnung oder die Gefährlichkeit des Täters sich in einer der in Art. 99 des Entwurfes aufgezählten Tatsachen (Mordlust, Habgier, besondere Grausamkeit usw.) äussert. Sie kann sich auch aus anderen Umständen oder Überlegungen des Täters ergeben, wie anderseits die in Art. 99 des Entwurfes aufgezählten Beweggründe und Arten des Vorgehens die Tat nicht notwendigerweise zum Morde machen.
2.
Der deutsche Text des
Art. 112 StGB
verlangt nicht, dass die Gefährlichkeit des Täters einen besonderen Grad erreiche; denn das Wort "besonders" bezieht sich grammatikalisch nur auf "verwerfliche Gesinnung", nicht auch auf "Gefährlichkeit". Der französische Text, lautend: "Si le délinquant a tué dans des circonstances ou avec une préméditation dénotant qu'il est particulièrement
BGE 81 IV 150 S. 154
pervers ou dangereux...", lässt eine andere Auslegung zu. Der italienische Text mit der Wendung "particolare pericolosità o perversità" sodann verlangt ausdrücklich die besondere Gefährlichkeit.
Welche Fassung den Sinn richtig wiedergibt, kann dahingestellt bleiben; denn der Beschwerdeführer hat unter Umständen getötet, die nicht nur seine Gefährlichkeit, sondern seine besondere Gefährlichkeit offenbaren. Sie ergibt sich daraus, dass er über ein zufällig des Weges kommendes zwölfjähriges Mädchen aus dem einzigen Grunde, weil es ahnungslos zur Verrichtung der Notdurft vor ihm die unteren Teile des Körpers entblösste, in einem Affektdämmerzustand einherfiel und es hierauf entweder im Sinnenrausch, oder damit es ihn nicht als Täter der an ihm begangenen Unzucht verraten könne, durch Messerstiche und Würgen tötete. Nach der verbindlichen Feststellung des Obergerichts befindet er sich in einem Geisteszustand, der befürchten lässt, dass seine chronisch gestauten Affekte unter gleichen oder anderen Umständen erneut ausbrechen und ihn zu einer ähnlichen Tat treiben werden. Der Beschwerdeführer verkennt den Sinn des Art. 112, wenn er glaubt, die besondere Gefährlichkeit sei zu verneinen, weil er seinen Zustand nicht verschuldet habe. Ob verschuldet oder nicht, hat diese Geistesverfassung sich in der vom Beschwerdeführer schuldhaft begangenen Tat offenbart. Das genügt, die besondere Gefährlichkeit als (alternatives) Merkmal des Mordes zu bejahen. Dass sie ihre Ursache in der Gesinnung habe, setzt Art. 112 nicht voraus.
Ob die Umstände der Tat ausserdem eine besonders verwerfliche Gesinnung verraten, oder ob diese zu verneinen wäre, weil der Beschwerdeführer im Affektdämmerzustande gehandelt hat, kann dahingestellt bleiben.
3.
Art. 113 StGB
droht dem Täter mildere Strafe an, wenn er in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung tötet.
Das Obergericht verkennt den Sinn dieser Bestimmung,
BGE 81 IV 150 S. 155
wenn es ihren Tatbestand verneint, weil die Entschuldbarkeit davon abhange, was der Täter in der Gemütsbewegung getan hat, eine in geschlechtlicher Erregung begangene Tötung aber nicht entschuldbar sei. Art. 113 setzt nach seinem klaren Wortlaut lediglich voraus, dass die heftige Gemütsbewegung, nicht auch, dass die in ihr begangene Tat entschuldigt werden könne.
Ob der Affektdämmerzustand, in dem die heftige, den Beschwerdeführer zur Tötung treibende Gemütsbewegung bestand, entschuldbar war, da das Mädchen seine den Beschwerdeführer so unerwartet beeindruckenden Körperteile unaufgefordert entblösst hatte, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn die Tat ausser den Tatbestandsmerkmalen des Art. 112 auch jene des Art. 113 aufweisen sollte, wäre der Beschwerdeführer zu Recht nach ersterer Bestimmung verurteilt worden. Der Grundtatbestand der vorsätzlichen Verbrechen und Vergehen gegen das Leben ist in Art. 111 (vorsätzliche Tötung) normiert (Botschaft des Bundesrates zum Entwurf S. 30; Sten Bull, Sonderausgabe, NatR 266). Nur im Verhältnis zu diesem ist Totschlag privilegierter Tatbestand, nicht auch im Verhältnis zum Mord (Art. 112), der qualifizierter Fall ist. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, dem privilegierenden Merkmal den Vorrang vor dem qualifizierenden zu geben. Im Volke gilt sowohl der Lustmörder, der sein Opfer im Sinnenrausch umbringt, als auch der Sittlichkeitsverbrecher, der es lediglich tötet, damit es ihn nicht verraten kann, auch dann als ein mit der vollen Strenge des Gesetzes zu züchtigender Mörder, wenn er in heftiger Gemütsbewegung, möge sie entschuldbar sein oder nicht, gehandelt hat. Hierauf hat in Bezug auf den Lustmord und andere Fälle schon Zürcher in der zweiten Expertenkommission hingewiesen (Prot. 2148). Er hat auch, ohne dass ihm widersprochen worden wäre, betont, dass die Merkmale des Mordes die Annahme eines blossen Totschlages ausschliessen (Prot. 2162). Ein anderes Mitglied der Kommission hat der Bestimmung
BGE 81 IV 150 S. 156
über Mord wenigstens in dem Sinne den Vorrang gegeben, dass es für die Fälle des Mordes die entschuldbare Gemütsbewegung überhaupt verneint hat (Prot. 8 221).
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7617f25-9382-480f-b626-49d9aee3114b | Urteilskopf
137 V 162
22. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. SVA Aargau, Ausgleichskasse gegen H. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_150/2011 vom 3. Mai 2011 | Regeste
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
; kein Wiederaufleben der Hilflosenentschädigung bei erneuter Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen.
Besitzstandsgarantien im Sozialversicherungsrecht setzen eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage voraus.
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
betrifft nicht Sachverhaltsänderungen. Ein Wiederaufleben zufolge Sachverhaltsänderung untergegangener Ansprüche ist gesetzlich nicht vorgesehen, weshalb der vormalige Anspruch auf Hilflosenentschädigung der AHV nicht wieder auflebt, selbst wenn die entsprechenden Voraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt erneut erfüllt werden (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 163
BGE 137 V 162 S. 163
A.
H., geboren 1941, bezog bis zum Erreichen des AHV-Rentenalters am 1. April 2006 eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung für eine Hilflosigkeit schweren Grades, anschliessend richtete die AHV eine Leistung in gleicher Höhe aus. Am 1. November 2008 zog H. von der eigenen Wohnung in die Stiftung X. Die Sozialversicherungsanstalt Aargau, Ausgleichskasse (nachfolgend: SVA), verfügte bei weiterhin unbestrittenem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung schweren Grades zufolge Änderung des Aufenthaltsortes am 26. März 2009 die Anpassung der Hilflosenentschädigung auf den halben Ansatz und forderte zu viel bezogene Leistungen zurück. Ab 1. Oktober 2009 wohnte H. wieder ausserhalb eines Heimes. Die SVA verfügte am 3. Februar 2010, es bestehe weiterhin Anspruch auf den halben Ansatz der Hilflosenentschädigung schweren Grades, weil sich H. im AHV-Alter befinde und der Besitzstand nach Verlassen des Heims nicht wieder aufleben könne. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 11. Mai 2010 fest.
B.
In Gutheissung der hiegegen erhobene Beschwerde des H. hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau den Einspracheentscheid vom 11. Mai 2010 mit Entscheid vom 21. Dezember 2010 auf und sprach H. ab 1. Oktober 2009 den ganzen Ansatz der Hilflosenentschädigung zu.
C.
Die SVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit folgenden Rechtsbegehren:
"Es sei die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gutzuheissen und das Urteil des Versicherungsgerichtes des Kantons Aargau vom 21. Dezember 2010 aufzuheben.
Es sei festzustellen, dass der Beschwerdegegner gemäss Verfügung vom 3. Februar 2010 ab 1. Oktober 2009 Anspruch auf den halben Ansatz der Hilflosenentschädigung hat.
BGE 137 V 162 S. 164
Es sei der vorliegenden Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Es seien die Kosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen."
H., vertreten durch den Rechtsdienst Integration Handicap, schliesst auf Abweisung der Beschwerde; dem Antrag um aufschiebende Wirkung widersetzt er sich nicht. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die Vorinstanz erwog, der Wortlaut des
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
regle nicht, unter welchen Umständen die Besitzstandsgarantie dahinfalle. Auch das systematische Auslegungselement führe nicht weiter. Die bei der historischen Auslegung zu berücksichtigende Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (BBl 2001 3205 ff.), wonach der Betrag einer Assistenzentschädigung der IV auch im AHV-Alter ausgerichtet werde, sofern die entsprechenden Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind (Botschaft, a.a.O., 3249 Ziff. 2.3.1.5.4.1, 3301 Ziff. 4.4.3 ad
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
), spreche nicht dagegen, der versicherten Person nach Beendigung eines Heimaufenthaltes wiederum den ganzen Ansatz der Hilflosenentschädigung zuzusprechen. Nichts anderes ergebe die teleologische Auslegung, zumal der Leitgedanke des
Art. 43
bis
Abs. 2 AHVG
darin bestehe, eine Leistungsverschlechterung im Ablösungsfall zu vermeiden. Der Versicherte habe sowohl vor als auch nach dem Heimaufenthalt die Voraussetzungen für eine schwere Hilflosigkeit erfüllt und der Heimaufenthalt sei nur von vorübergehender Natur gewesen; die Herabsetzung des Ansatzes habe einzig aus der veränderten Wohnsituation resultiert. Schliesslich fehle für die von der Verwaltung vertretene Ansicht eine gesetzliche Grundlage, weshalb die Hilflosenentschädigung des Versicherten nach dessen Heimaufenthalt zu Unrecht beim halben Ansatz belassen worden sei. Korrekterweise lebe die in
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
festgeschriebene Besitzstandsgarantie wieder auf und es bestehe nach Verlassen des Heims wiederum Anspruch auf dieselbe Hilflosenentschädigung wie vor dem Heimaufenthalt.
2.2
Die Beschwerde führende Sozialversicherungsanstalt rügt, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht. Die
BGE 137 V 162 S. 165
Besitzstandsgarantie wirke sich zeitlich auf den Ablösefall (von der IV zur AHV) aus und halte nur so lange an, wie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt seien. Eine zufolge Sachverhaltsänderung erlassene neue Leistungsverfügung beruhe inhaltlich allein auf einer materiell-rechtlichen Anspruchsprüfung, aber nicht mehr auf besitzstandsrechtlichen Überlegungen. Ein Wiederaufleben widerspreche somit dem entscheidenden Gedanken, welcher dem Besitzstand nach
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
zu Grunde liege. Auch in Zusammenhang mit Zusatzrenten gelte nichts anderes. Diese würden ebenfalls nur so lange ausgerichtet, als die bisherigen Anspruchsgrundlagen gegeben seien.
3.
3.1
Nach
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
wird einer hilflosen Person, welche bis zum Erreichen des Rentenalters oder dem Rentenvorbezug eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung bezog, die Entschädigung mindestens im bisherigen Betrag weitergewährt. Unbestrittenermassen hatte die AHV-Stelle den Ansatz der Hilflosenentschädigung des von dieser Besitzstandsgarantie profitierenden Versicherten nach dessen Heimeintritt zu Recht halbiert (
Art. 42
ter
Abs. 2 IVG
). Streitig ist indes, ob er nach dem Austritt aus dem Heim wiederum Anspruch auf eine Verdoppelung des Ansatzes hat. Diesbezüglich ist dem Wortlaut von
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
nichts zu entnehmen.
3.2
Der Bundesrat führte nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid in seiner Botschaft unter dem Titel "Verhältnis zur AHV" (BBl 2001 3249 Ziff. 2.3.1.5.4.1) aus, dass Personen, die bereits vor Eintritt ins AHV-Alter eine Assistenzentschädigung bezogen, denselben Betrag im AHV-Alter weiter erhalten sollten, "solange die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind (Besitzstand)". Daraus lässt sich indes nicht ableiten, nach Wegfall einer Voraussetzung - z.B. für den höheren Ansatz der Hilflosenentschädigung der ausserhalb eines Heimes wohnenden Versicherten - lebe der vormalige Anspruch bei deren erneuter Erfüllung zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf. Sinn und Zweck der Besitzstandsgarantie gemäss
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
ist es, zu verhindern, dass die Versicherten beim Eintritt ins Rentenalter allein wegen der Ablösung der IV durch die AHV eine Leistungskürzung gewärtigen müssen (zu den historischen Hintergründen der Einführung dieser Bestimmung vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 218/04 vom 5. Dezember 2005 E. 6). Dies steht im Einklang mit dem
BGE 137 V 162 S. 166
generellen Wesen von Besitzstandsgarantien, wonach eine (blosse) Rechtsänderung die unter bisherigem Recht erworbenen Rechtspositionen unberührt lassen soll, auch wenn sie dem neuen Recht nicht mehr entsprechen (vgl. z.B. Urteil I 714/06 vom 20. April 2007 E. 3.2; UELI KIESER, Besitzstand, Anwartschaften und wohlerworbene Rechte in der beruflichen Vorsorge, SZS 1999 S. 294 und 299). Im Sozialversicherungsrecht darf ein Besitzstand nur dann und soweit angenommen werden, als er im Gesetz ausdrücklich garantiert ist (
BGE 118 V 1
E. 4a S. 4). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes und weil eine anspruchserhebliche Sachverhaltsänderung (unabhängig davon, ob sie freiwillig erfolgte) nicht mit einer die Besitzstandswahrung auslösenden Rechtsänderung gleichgesetzt werden kann, ist eine einschränkende Auslegung des
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
angezeigt. Auch mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung von Versicherten gibt es keinen Grund, die vom Besitzstand gemäss
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
profitierenden Personen bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse anders zu behandeln als alle anderen Versicherten, die im AHV-Alter Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung erheben und die den Bezügern von Hilflosenentschädigungen der IV nicht gleichzustellen sind (
BGE 102 V 4
). Diese Meinung vertrat im Übrigen auch das BSV im IV-Rundschreiben Nr. 209 vom 1. November 2009 im Hinblick auf die Aufhebung der bis Ende 2010 gültig gewesenen Rz. 8129 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH) auf Ende 2010, auf die sich Vorinstanz und Beschwerdegegner berufen (die indes für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich ist und gestützt auf welche keine über Gesetz und Verordnung hinausgehenden Leistungen eingeführt werden können). Es verhält sich auch, entgegen dem in der Vernehmlassung dargelegten Standpunkt, nicht grundsätzlich anders als beispielsweise beim Wegfall der Voraussetzungen für eine Zusatzrente, bei der ein Wiederaufleben ebenfalls ausgeschlossen ist (hiezu Urteil I 714/06 vom 20. April 2007 E. 3.2, in: SVR 2008 IV Nr. 10 S. 30 ff.; vgl. auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 33/05 vom 14. Juni 2005 E. 4.3). Im Übrigen kennt das Sozialversicherungsrecht auch bei (anderen) Statuswechseln keine wiederauflebbare Besitzstandsgarantie (vgl. z.B. betreffend Zivilstandsänderung Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 321/95 vom 17. Oktober 1996 E. 6c, in: Pra 1997 Nr. 29 S. 159 ff. mit Hinweis auf
BGE 113 V 118
E. 4c; H 197/91 vom 27. März 1992 E. 3a). Das Gesetz bietet somit keine Grundlage für einen Bestandesschutz oder eine Besitzstandsgarantie, wenn nach Erreichen der
BGE 137 V 162 S. 167
Altersgrenze anspruchsrelevante Änderungen eintreten; vielmehr liegt diesfalls gar kein Anwendungsfall von
Art. 43
bis
Abs. 4 AHVG
mehr vor. Ein Wiederaufleben der früheren Besitzstandsleistung scheidet somit aus. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a7629ece-2df1-490d-af8b-8523ae4ddc58 | Urteilskopf
83 IV 135
36. Urteil des Kassationshofes vom 21. Juni 1957 i.S. Bucher gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 49 Ziff. 4 letzter Satz StGB.
Verfehlungen, die keine vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen sind, begründen den Widerruf der bedingt vorzeitigen Löschung eines Busseneintrages im Strafregister nur, wenn darin eine Täuschung des richterlichen Vertrauens liegt.
Verneinung dieses Erfordernisses im Falle einer leichten Übertretung von
Art. 49 MFV
. | Sachverhalt
ab Seite 135
BGE 83 IV 135 S. 135
A.-
Am 1. März 1956 verurteilte das Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt Bucher wegen Widerhandlung
BGE 83 IV 135 S. 136
gegen Art. 45 des BG über Jagd- und Vogelschutz zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 20.-. Die Probezeit setzte es auf ein Jahr fest.
Am 24. September 1956 parkierte Bucher einen Personenwagen während ca. einer halben Stunde unmittelbar vor einem Stopsignal. Er wurde am 5. November 1956 vom Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt wegen Übertretung des
Art. 49 MFV
in eine Busse von Fr. 10.- verfällt.
B.-
Gestützt auf diese Verurteilung widerrief das Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt am 5. Februar 1957 die Anordnung auf vorzeitige Löschung des Urteils vom 1. März 1956.
C.-
Bucher beantragt mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde, die Verfügung des Statthalteramtes sei aufzuheben und die Sache zur Wiederanordnung der ursprünglichen Löschungsbewilligung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof ziet in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 49 Ziff. 4 (letzter Satz) StGB findet Art. 41 Ziff. 3, der den Widerruf des bedingten Strafvollzuges regelt, "sinngemäss" auch Anwendung auf die bedingt vorzeitige Löschung eines Busseneintrages im Strafregister. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 41 Ziff. 3 zieht die während der Probezeit begangene Straftat den Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe nur dann zwingend nach sich, wenn die Tat ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen ist. Die sinngemässe Anwendung dieser Bestimmung auf die bedingt vorzeitige Löschung eines Busseneintrages führt notwendig dazu, dass auch in diesem Fall nur die vorsätzliche Begehung eines Verbrechens oder Vergehens während der Probezeit den Widerruf der Massnahme zwingend zur Folge hat. Dagegen genügt für sich allein nicht die fahrlässige Verübung einer strafbaren Handlung oder die Begehung einer blossen
BGE 83 IV 135 S. 137
Übertretung, wie das Statthalteramt anzunehmen scheint.
2.
Verfehlungen, die keine vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen sind, namentlich fahrlässig begangene strafbare Handlungen sowie Übertretungen, können den Widerruf der bedingt vorzeitigen Löschung eines Busseneintrages ebenso wie den Widerruf des bedingt aufgeschobenen Strafvollzuges begründen, wenn sie das Vertrauen täuschen, das der Richter auf den Verurteilten gesetzt hat (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1). Nach der Rechtsprechung darf eine Täuschung des richterlichen Vertrauens aber nicht leichthin angenommen werden; Natur und Schwere des Fehltritts wie die Umstände, unter denen er begangen wurde, müssen von einer Schwäche zeugen, die der Verurteilte mit Rücksicht auf die Bewährungsprobe hätte meistern können und sollen (
BGE 72 IV 148
,
BGE 75 IV 158
,
BGE 77 IV 3
).
Diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall, den auch das Amtsstatthalteramt als Bagatellfall bezeichnet, nicht zu. Die objektiv leichte, einmalige Verfehlung des falschen Parkierens, zumal sie fahrrlässig begangen wurde und ein grobes Verschulden nicht gegeben ist, rechtfertigt den Vorwurf des Missbrauchs richterlichen Vertrauens nicht. Der angefochtenen Widerrufsverfügung fehlt daher die gesetzliche Grundlage.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Amtsstatthalteramtes Luzern-Stadt vom 5. Februar 1957 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a763be63-00ec-48a3-a044-4c70835b4b23 | Urteilskopf
98 Ia 439
69. Estratto della sentenza 31 ottobre 1972 nella causa X e consorti contro Consiglio di Stato del Cantone Ticino. | Regeste
Art. 34 OG
, Stillstand der Fristen.
Der Grundsatz, wonach die in
Art. 34 OG
vorgesehenen Gerichtsferien das Ende der Fristen nicht beeinflussen, wenn der letzte Tag ausdrücklich auf einen Zeitpunkt nach den Gerichtsferien festgesetzt worden ist, gilt nur für die richterlich bestimmten Fristen, nicht dagegen für die gesetzlich bestimmten (Verdeutlichung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 440
BGE 98 Ia 439 S. 440
Riassunto dei fatti:
X, nato nel 1898, apparteneva il 31 dicembre 1970, al momento della scadenza del suo mandato triennale, che sino ad allora era stato regolarmente rinnovato, da sette anni al consiglio d'amministrazione di un'azienda cantonale indipendente. Il Consiglio di Stato lo riconfermò nella sua carica presidenziale il 24 novembre 1971, ma solamente fino al 31 dicembre 1972. La limitazione si fondava su di un decreto esecutivo emanato dal Consiglio di Stato lo stesso giorno della decisione di riconferma e in virtù del quale i membri dei consigli d'amministrazione delle aziende cantonali completamente indipendenti dall'amministrazione dello Stato e con personalità giuridica propria possono, dopo il 700 anno di età, essere riconfermati nelle loro funzioni solo quando non le abbiano già ricoperte per tre periodi.
Con ricorso di diritto pubblico X ed altri membri del consiglio d'amministrazione dell'azienda hanno impugnato sia la decisione del Consiglio di Stato che il decreto esecutivo, allegando che l'una e l'altro violano i diritti costituzionali e sono arbitrari.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il decreto esecutivo del 24 novembre 1971 su cui si fonda la riconferma limitata di X è stato pubblicato nel "Bollettino ufficiale delle leggi e dei decreti del Cantone Ticino" del 30 novembre 1971. La comunicazione di tale riconferma è giunta al domicilio dell'interessato il 29 novembre 1971 ed è stata trasmessa dalla posta, essendo il destinatario assente, all'azienda da lui presieduta, ove perveniva il 30 novembre 1971. L'atto di ricorso è stato consegnato alla posta l'11 gennaio 1972. Il corso del termine di 30 giorni a contare dalla comunicazione della decisione impugnata, previsto dall'art. 89 cpv. 1 OG per il deposito del ricorso di diritto pubblico, è rimasto sospeso, in virtù dell'art. 34 lett. c OG, dal 18 dicembre al 10 gennaio inclusi. Il termine summenzionato che
BGE 98 Ia 439 S. 441
senza la sospensione disposta dalla legge in relazione con le ferie giudiziarie intorno a Natale sarebbe scaduto durante queste ultime, risulta pertanto osservato, sia per quanto concerne l'impugnazione del decreto esecutivo, sia per quella della rielezione limitata.
Giova al proposito effettuare una precisazione concernente il principio pubblicato in RU 97 I 851, ove si è rilevato che le ferie giudiziarie di cui all'
art. 34 OG
non hanno alcun influsso sulla scadenza dei termini fissati dalla legge o dal giudice, quando il giorno della scadenza sia stato esplicitamente fissato ad una data posteriore. Tale principio appare corretto ove il termine sia assegnato dal giudice, il quale ha una certa latitudine al rispetto e suole tener conto, quando impone un termine a data fissa senza contemporaneo riferimento ad un numero di giorni preciso, dell'esistenza delle ferie giudiziarie. In quanto siano comprovati motivi sufficienti, può inoltre essere chiesta dalle parti, prima della scadenza, la proroga del termine (art. 33 cpv. 2 OG). Diverso è il caso per i termini fissati dalla legge, che sono sempre espressi, almeno per quanto concerne l'organizzazione giudiziaria federale, in un certo numero di giorni. Per tali termini - che sono improrogabili (art. 33 cpv. 1 OG) - la fissazione di una data precisa, riferita ad un giorno determinato del calendario, non è usuale poiché, da un lato, è ancora incerta la data della notifica dell'atto che fa decorrere il termine, e, dall'altro, è necessario che la parte a cui la legge impone il termine possa beneficiare non solamente dell'intero numero di giorni di cui esso consta, bensì pure dell'integrale periodo di sospensione ordinato dalla legge. | public_law | nan | it | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a767519b-3c47-4c40-9ae5-3e663f8c1350 | Urteilskopf
82 II 21
4. Sentenza 6 febbraio 1956 della I Corte civile nella causa Grossi contro Valota. | Regeste
Pactum de non licitando.
1. Schliessen Bewerber bei einer Ausschreibung betreffend den Verkauf eines Waldbestandes zum Abholzen ein pactum de non licitando, um zu erreichen, dass der Zuschlag an den einen von ihnen zu einem niedrigeren als dem sonst gemachten Angebot erfolge, so ist die getroffene Vereinbarung auf Grund von
Art. 20 OR
nichtig.
2. Die dem interessierten Gemeinwesen zustehende Befugnis, den Zuschlag nicht vorzunehmen oder seine Gültigkeit nach
Art. 230 OR
anzufechten, bewirkt nicht, dass die wegen ihres Zweckes nichtige Vereinbarung Gültigkeit erlangt. | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 82 II 21 S. 22
A.-
Nel settembre 1952, l'Amministrazione patriziale di Aurigeno apriva un concorso pubblico per la vendita e il taglio del bosco Lareccio. Pochi minuti prima della scadenza del termine per la presentazione delle offerte, Arrigo Grossi e Luigi Valota, aventi entrambi l'intenzione di concorrere, convenivano che il primo avrebbe desistito dal concorso e che Valota gli avrebbe pagato, qualora il bosco gli fosse stato aggiudicato, una somma di 4000 fr. Valota, che teneva pronte due offerte, consegnava allora quella più bassa. Effettivamente, la delibera veniva poi fatta a Valota, rimasto concorrente unico.
Conformemente alla stipulazione verbale, Grossi chiedeva il pagamento della somma convenuta, ma Valota si rifiutava di dare seguito all'impegno assunto. Con petizione 8 giugno 1953, Grossi lo conveniva di conseguenza in giudizio davanti alla Pretura di Vallemaggia, chiedendo che fosse condannato a pagargli 4000 fr., più 100 franchi per spese cagionate dal rifiuto di Valota di adempiere il contratto. In data 17 marzo 1955 il Pretore ammetteva le conclusioni dell'attore, considerando in sostanza che la stipulazione in questione costituiva un pactum de non licitando valido ed efficace.
Adita dal convenuto, la Camera civile del Tribunale di appello annullava - con sentenza 4 luglio 1955 - il giudizio pretoriale e respingeva pertanto la petizione di Grossi. A sostegno della sua decisione, essa esponeva
BGE 82 II 21 S. 23
segnatamente che il negozio stipulato era nullo perchè contrario ai buoni costumi nel senso dell'art. 20 CO.
B.-
L'attore ha interposto tempestivo ricorso per riforma al Tribunale federale, chiedendo l'annullamento della sentenza del Tribunale di appello e la conferma di quella del Pretore, con spese e ripetibili in sede cantonale e federale a carico di Valota.
Nelle sue osservazioni, il convenuto conclude per la reiezione del gravame, con spese e ripetibili in sede federale a carico di Grossi.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Secondo la dottrina e la giurisprudenza del Tribunale federale, il pactum de non licitando non è senz'altro nullo. Esso è però tale quando miri a influire con manovre illecite o contrarie ai buoni costumi sull'esito di un incanto pubblico giusta l'art. 230 CO, in particolare quando lo scopo della stipulazione consista nell'influire sfavorevolmente sul risultato dell'incanto e nell'attribuire a uno dei contraenti o a un terzo la differenza tra il prezzo di aggiudicazione e il valore effettivo dell'oggetto messo all'asta (RU 39 II 34/35).
Ora, nel suo gravame per riforma il ricorrente allega avantutto che intenzione dei due contraenti non poteva essere quella di danneggiare il patriziato, giacchè essi ignoravano se esistessero altre offerte e nemmeno conoscevano l'importo delle loro rispettive offerte, le quali non dovevano del resto necessariamente essere basse. Senonchè, l'autorità cantonale ha ritenuto, in base alle dichiarazioni delle parti stesse, che scopo dell'intesa era stato di permettere un'offerta inferiore a quella che sarebbe altrimenti stata fatta, e che Valota aveva effettivamente presentato la più bassa delle due offerte che teneva pronte. Questo accertamento della volontà delle parti in base alle loro dichiarazioni rientra nel libero apprezzamento delle prove da parte del giudice cantonale e come tale vincolerebbe il Tribunale federale quand'anche fosse stato desunto da
BGE 82 II 21 S. 24
semplici indizi (RU 66 II 265;
61 II 40
e sentenze ivi citate).
Ma se Valota ha potuto risparmiare la differenza tra il prezzo d'aggiudicazione e la somma che il patriziato avrebbe eventualmente potuto ricavare dall'asta senza l'accordo di cui si tratta, il danno per l'ente pubblico appaltante è evidente e corretta deve dunque essere giudicata l'applicazione alla fattispecie dell'art. 20 CO. Nè giova al ricorrente obiettare che in concreto l'incanto non avrebbe in ogni modo avuto esito migliore e che il patriziato avrebbe dovuto, se danno vi era stato, contestare la validità dell'incanto a norma dell'art. 230 CO. Infatti, la possibilità per l'ente appaltante di tutelare i suoi interessi in virtù di una speciale disposizione dell'ordinamento giuridico non può avere per effetto che un negozio tra concorrenti - illecito per il suo fine - divenga lecito in seguito alla rinuncia di detto ente a invocare il rimedio legale. In tali circostanze, nemmeno la clausola del pubblico concorso secondo cui la delibera sarebbe statta fatta dall'ente appaltante al miglior offerente "se così parrà e piacerà, tenuto conto delle necessarie garanzie" può modificare la situazione del ricorrente. Come l'autorità cantonale ha giustamente rilevato nella sentenza querelata, la possibilità per il patriziato di non deliberare il bosco e la circostanza che esso non abbia contestato la validità dell'aggiudicazione non implicano infatti una conferma e un'approvazione dell'illecito accordo, tanto più che un semplice sospetto non equivale ancora a una prova, il più delle volte difficile da fornire.
2.
Così stando le cose, infondato è anche l'argomento del ricorrente, secondo cui l'art. 20 CO avrebbe un carattere sussidiario rispetto agli
art. 62 e 230
CO. Per ciò che riguarda l'art. 62 CO relativo alla restituzione dell'arricchimento indebito, indipendentemente dal fatto che la natura sussidiaria sarebbe semmai riconosciuta - in concorso con un'azione contrattuale - a quella fondata sull'arricchimento indebito stesso (RU 45 II 541), non si
BGE 82 II 21 S. 25
vede como Valota avrebbe potuto farvi capo dato che il patto illecito de non licitando non fu eseguito. Soltanto se Valota avesse pagato i 4000 franchi, il problema della ripetibilità o meno del versamento nel senso degli
art. 62 sgg
. CO si sarebbe posto.
Per il rimanente, privo d'importanza è il rilievo che la sentenza querelata premierebbe la scorrettezza di Valota. Al contrario, l'accoglimento della petizione non solo consacrerebbe la malizia dei contraenti ai danni del patriziato, ma sancirebbe in generale la possibilità di ledere mediante illecite stipulazioni private gli interessi che l'ordinamento giuridico ha inteso proteggere con le sue norme (cf. art. 230 CO).
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso per riforma è respinto e la querelata sentenza 4 luglio 1955 della Camera civile del Tribunale di appello è confermata. | public_law | nan | it | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a771fbeb-aade-440a-a951-e3c97c25f21e | Urteilskopf
111 II 182
39. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour civile du 2 juillet 1985 dans la cause époux B. contre créanciers cessionnaires de la masse en faillite de Z. S.A. (recours en réforme) | Regeste
Verantwortlichkeitsklage gegen die Mitglieder der Verwaltung einer AG. Wirkungen der Abtretung der bestrittenen Ansprüche durch die Konkursmasse an die Gläubiger.
Die Gläubiger, denen die Ansprüche der Masse abgetreten worden sind, machen einerseits gestützt auf
Art. 260 SchKG
Ansprüche geltend, die der konkursiten Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern der Verwaltung aus deren Verantwortlichkeit zugestanden haben (Klage aus dem Recht der Gesellschaft); anderseits handeln sie gestützt auf
Art. 756 Abs. 2 OR
aus eigenem Recht. Die Einwilligung der Aktionäre in die schädigende Handlung kann der Klage aus dem Recht der Gesellschaft, nicht aber der eigenen Klage der Gläubiger entgegengehalten werden. Im Rahmen der letzteren können die Gläubiger Ersatz des ganzen der Gesellschaft zugefügten Schadens geltend machen. | Erwägungen
ab Seite 182
BGE 111 II 182 S. 182
Extrait des motifs:
3.
Pour déterminer la quotité du dommage dont les demandeurs peuvent réclamer réparation aux défendeurs, il
BGE 111 II 182 S. 183
convient d'examiner, quand bien même ni la cour cantonale ni les recourants n'évoquent cette question, la nature juridique de la présente action. En effet, suivant la portée que l'on reconnaît à cette dernière, le montant du dommage correspond à la perte subie par les demandeurs individuellement dans la faillite de la société - soit à l'addition de leurs diverses créances admises à l'état de collocation totalisant 171'003 fr. 75 en capital - ou à la perte subie par la société elle-même s'élevant, selon une constatation du jugement attaqué non remise en cause dans le présent recours, à 186'176 fr. 20 en capital, somme que la cour cantonale a allouée aux demandeurs.
a) En leur qualité de cessionnaires des droits de la masse en faillite, les créanciers demandeurs agissent à un double titre (cf. FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, n. 94). D'une part, en qualité de cessionnaires des droits de la masse sur la base de l'
art. 260 LP
, ils agissent en vertu des droits que la société en faillite pouvait faire valoir contre ses administrateurs du chef de leur responsabilité (action sociale). D'autre part, en qualité de cessionnaires de l'action en responsabilité sur la base de l'
art. 756 al. 2 CO
, ils agissent à titre personnel pour obtenir réparation du dommage indirect qu'ils ont subi comme créanciers de la société. Ce sont là des actions distinctes, soumises chacune à des règles et à des conditions propres.
b) En application de l'adage "volenti non fit injuria", l'action sociale peut se heurter au principe du consentement donné - fût-ce tacitement ou par actes concluants - par la société elle-même, soit par son assemblée générale, à l'acte incriminé; un tel consentement exclut en effet le caractère illicite de ce dernier à son égard (cf. notamment
ATF 102 II 356
,
ATF 90 II 496
,
ATF 86 III 159
; DE STEIGER, Le droit des sociétés anonymes, p. 301, HIRSCH, in SJ 1967, p. 265). Cet accord de la société à l'acte incriminé se manifeste non seulement lorsque c'est l'assemblée générale comme telle qui y consent, mais également lorsque l'administrateur attaqué a agi avec l'accord de l'ensemble des actionnaires ou de l'actionnaire unique (FORSTMOSER, op.cit., n. 418; cf. ATF
ATF 83 II 56
, 65). Si l'accord des actionnaires à l'acte incriminé peut être opposé à l'action sociale, il ne peut pas l'être à l'action des créanciers (FORSTMOSER, op.cit., n. 419, 422).
En l'espèce, il ressort des faits que les défendeurs, à la fondation de la société, possédaient 48 des 50 actions, qu'ils étaient les propriétaires économiques de la société et qu'ils en avaient seuls la maîtrise.
BGE 111 II 182 S. 184
On doit dès lors admettre que la société savait quels actes accomplissaient - ou omettaient - les deux défendeurs, comme administrateurs, et qu'elle tolérait leur comportement. L'action sociale ne peut, dans ces conditions, être accueillie.
c) En revanche, le consentement de la société ne pouvant être opposé à l'action personnelle intentée par les demandeurs en leur qualité de créanciers cessionnaires de la société faillie sur la base de l'
art. 756 al. 2 CO
, leur action peut être accueillie à ce titre. Il n'est au demeurant pas démontré ni même allégué que les demandeurs auraient eux-mêmes consenti aux actes et manquements reprochés aux défendeurs. Une telle action tend à la réparation du dommage provoqué directement à la société et indirectement aux créanciers et aux actionnaires (cf.
art. 755 CO
;
ATF 93 II 24
consid. 1,
ATF 86 III 158
/159, 82 II 58 consid. 4). Les créanciers auxquels l'administration de la faillite a cédé son droit de rechercher les administrateurs pour leur responsabilité dans la survenance du dommage sont dès lors habilités à réclamer à ces derniers réparation non seulement du dommage indirect qu'ils ont eux-mêmes subi individuellement dans la faillite, mais de tout le dommage provoqué directement à la société du fait des actes illicites reprochés aux défendeurs. C'est là une conséquence du principe posé à l'art. 755 in fine CO qui, en ce qui concerne du moins les créanciers empêchés de faire valoir leurs droits en dehors de la faillite (cf.
art. 758 CO
), doit également trouver application en cas de faillite. On trouve en outre confirmation de ce qui précède dans le texte de l'
art. 756 al. 2 CO
qui renvoie expressément, en ce qui concerne le montant de la réparation obtenu par le ou les cessionnaires de l'action, aux règles de répartition de la LP, plus précisément à l'art. 260 al. 2 aux termes duquel l'éventuel excédent doit être versé à la masse; un tel renvoi s'avérerait en effet inutile s'il ne concernait pas la prétention individuelle du créancier ou de l'actionnaire cessionnaire mais la seule action sociale, du moment que celle-ci est déjà exhaustivement réglée par l'
art. 260 LP
.
Cette manière de voir trouve son fondement dans la jurisprudence (cf.
ATF 93 III 64
consid. c et les arrêts cités). Elle peut néanmoins paraître en contradiction avec l'arrêt publié in
ATF 86 III 154
ss, spécialement 162/163, d'où il ressort en particulier que chaque actionnaire ou créancier qui se fait céder l'action en responsabilité sur la base de l'
art. 756 al. 2 CO
ne peut faire valoir en justice que ses propres prétentions à l'exclusion de celles d'autres créanciers ou actionnaires qui n'ont pas demandé
BGE 111 II 182 S. 185
une telle cession. Cependant, la portée de cette décision est limitée. Il n'y était en effet pas question de déterminer l'objet même de la prétention appartenant au demandeur cessionnaire; il s'agissait seulement d'établir une distinction entre le droit d'action propre de ce dernier et celui d'autres créanciers qui n'intervenaient pas au procès comme cessionnaires de la masse, du point de vue des exceptions tirées du consentement aux agissements du défendeur que celui-ci pouvait opposer à la demande. Cette dernière question ne se pose pas en l'espèce. Aussi ne saurait-on décider ici définitivement du sort des exceptions que pourrait faire valoir le défendeur à l'action en responsabilité intentée par un ou plusieurs créanciers cessionnaires, touchant le consentement ou toute autre faute concurrente d'autres créanciers n'ayant pas demandé eux-mêmes la cession des droits de la masse et ne s'étant pas joints à l'action. Il semble toutefois que cette question, là où elle se pose, devrait être résolue d'une manière spécifique, au stade de la répartition par la masse entre les créanciers, selon l'état de collocation, de l'excédent retiré de l'action, à la lumière notamment de l'
art. 2 CC
.
d) Ainsi donc, les demandeurs sont fondés à réclamer aux défendeurs le montant non pas seulement de leur propre dommage individuel, mais de tout le dommage subi par la société faillie du fait des agissements de ses administrateurs. La cour cantonale a fixé ce dommage à 186'176 fr. 20 plus intérêts, sans que ce montant ait été remis en cause par les parties. C'est dès lors à bon droit que la demande a été admise à concurrence dudit montant. | public_law | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7736aa3-140e-4cea-aeda-7367d8fde956 | Urteilskopf
101 Ia 433
70. Extrait de l'arrêt du 12 novembre 1975 en la cause Benoît contre Juge instructeur du Tribunal cantonal du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör; überspitzter Formalismus
1. Die ihren Prozess selbst und ohne besondere juristische Kenntnisse führende Partei, welche die Folgen eines Nichtleistens des Kostenvorschusses beurteilen soll, muss imstande sein, die ihr mitgeteilten Prozesshandlungen zu begreifen und gemäss den damit verbundenen Pflichten zu handeln (E. 4a und b).
2. Anwendung von Art. 358 Abs. 3 der Neuenburger ZPO vom 7. April 1925. Wenn der Richter eine Partei, der eine letzte Frist zur Leistung des gerichtlich verfügten Kostenvorschusses gesetzt worden ist, einzig deswegen vom Verfahren ausschliesst, weil sie nach Zahlung des verlangten Betrages gewisse Erklärungen an die Gegenpartei unterlassen hat, begeht einen überspitzten Formalismus (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 434
BGE 101 Ia 433 S. 434
Simone Benoit a ouvert action contre André Fornachon devant le Tribunal cantonal de Neuchâtel. Le 17 avril 1975, le greffe de ce tribunal l'a invitée à effectuer une avance de frais jusqu'au 25 avril suivant, ce qu'elle a omis de faire.
Le 28 mai 1975, le Juge instructeur a ordonné le défaut et dit que celui-ci serait signifié conformément à la loi. Le mandataire du défendeur a fait aussitôt notifier à la demanderesse une "notification de défaut" dont les ch. 1 et 3 avaient la teneur suivante:
"1. L'avance de frais ordonnée par Monsieur le Juge instructeur n'ayant pas été payée, à la requête du soussigné, la procédure prévue à l'article 363 CPCN et conformément à la jurisprudence (cf. RJN 3, I, 90), une audience a été appointée ce jour en vue de procéder à l'audition de la demanderesse.
3. En conséquence, à teneur des faits, des dispositions légales et de la jurisprudence susmentionnées, il est juridiquement signifié à Dame Simone Benoit que, faute par elle de se faire relever du défaut dans le délai de trois jours et faute par elle de payer l'avance requise, elle sera exclue de la procédure pendante devant le Tribunal cantonal, le tout sous suite de frais et dépens."
Simone Benoit a aussitôt effectué le versement de 500 fr.
Par ordonnance du 19 juin 1975, le Juge instructeur, constatant que "dans le délai mentionné par l'exploit de signification du défaut, la demanderesse a payé l'avance requise, mais ne s'est pas fait relever du défaut en signifiant le relief à l'autre partie conformément à l'art. 347 al. 2 CPC", l'a exclue de la procédure.
Agissant par la voie du recours de droit public, Simone Benoit requiert le Tribunal fédéral d'annuler l'ordonnance du 19 juin 1975. Elle soutient que cette décision viole l'art. 4 Cst.
Erwägungen
Considérant en droit:
4.
Le Juge instructeur a exclu la demanderesse de la procédure pour ne s'être pas fait relever du défaut en signifiant le relief à l'autre partie conformément à l'art. 347 al. 2 CPCN. La recourante soutient que cette décision viole l'art. 4
BGE 101 Ia 433 S. 435
Cst. à un double titre. Elle relève qu'elle n'a pas été mise en mesure de saisir le sens et la portée des actes de procédure qui lui furent notifiés, d'une part, et que son exclusion de la procédure pour l'inobservation d'une règle qu'aucun intérêt digne de considération ne justifie constitue un formalisme excessif, d'autre part.
a) Selon la jurisprudence, les prescriptions formelles de procédure sont nécessaires pour assurer le déroulement régulier de l'instance et la juste application du droit. Un formalisme excessif que ne justifie aucun intérêt digne de protection et qui aggrave de manière insoutenable l'exécution du droit équivaut à un déni de justice prohibé par l'art. 4 Cst. (RO 95 I 4 et les arrêts cités). Le droit d'être entendu donne à celui qui en bénéficie le droit de s'expliquer avant qu'une décision ne soit prise à son détriment. Dans le cadre d'un procès civil, le respect de ce droit n'est assuré que si la partie à laquelle des actes de procédure sont notifiés est à même de les comprendre et d'agir conformément aux obligations qu'ils impliquent.
L'art. 53 CPCN autorise "toute personne capable d'ester en justice de poursuivre elle-même son procès". Pour que cette disposition ne soit pas lettre morte, il est nécessaire que la partie qui procède elle-même et qui ne dispose pas de connaissances juridiques particulières soit en mesure de saisir le sens et la portée des actes de procédure qu'elle doit accomplir. Une telle exigence doit à tout le moins être posée lorsqu'il s'agit de permettre à la partie d'évaluer les conséquences d'un défaut de versement de l'avance de frais ordonnée par le tribunal.
b) Le sens d'une ordonnance rendue par le Juge instructeur et prononçant le défaut, elle-même suivie d'une signification de défaut par la partie adverse, n'est pas évident pour une personne qui, comme la recourante, n'a pas une formation juridique. Et l'on doit admettre in casu que la recourante pouvait d'autant moins être au clair sur ses obligations que l'exploit de signification de défaut était imprécis. Le chiffre 1 de cet acte, rédigé d'une manière incompréhensible, se référait à l'art. 363 CPCN, disposition qui concerne l'inobservation de ses obligations par le mari condamné à faire l'avance des frais d'un procès en divorce, en séparation de corps ou en séparation de biens. La recourante n'était pas à même de comprendre que, pour se faire relever du défaut, il convenait qu'elle signifie le relief à l'autre partie. La lettre qui lui avait
BGE 101 Ia 433 S. 436
été adressée le 17 avril 1975 par le greffe du Tribunal cantonal ne disait rien des conséquences d'un défaut de versement de l'avance des frais, et l'ordonnance du 28 mai 1975 ne comportait aucune référence aux articles de loi appliqués, se bornant à dire que le juge ordonne le défaut après avoir entendu la demanderesse et que le défaut sera signifié conformément à la loi.
Dans ces conditions, il y a lieu d'admettre que l'ordonnance entreprise, qui exclut la demanderesse de la procédure, viole son droit d'être entendue garanti par l'art. 4 Cst. Il ne suffisait pas de constater en l'espèce que la recourante ne s'était pas fait relever du défaut; il convenait en outre d'examiner si elle avait été clairement informée des obligations de procédure qui lui incombaient. Ce n'est que si tel avait été le cas que la sanction de l'omission d'une signification du relief à l'autre partie aurait pu être prononcée.
c) Même si l'on considérait que la recourante aurait dû saisir le sens de l'exploit de signification de défaut et qu'elle aurait ainsi pu satisfaire aux obligations que celui-ci impliquait, le recours devrait néanmoins être admis.
Le Tribunal fédéral a jugé qu'il est admissible de faire dépendre la marche du procès de l'avance des frais et de subordonner au paiement d'une telle avance la recevabilité d'un moyen de droit (RO 96 I 523 ss). Tant le droit fédéral (cf. art. 150 et 151 OJ) que les lois de procédure cantonales contiennent d'ailleurs des dispositions en ce sens.
En revanche, ni l'autorité cantonale ni l'intimé ne se prononcent en l'espèce sur le but poursuivi par la disposition qui oblige la partie à laquelle un dernier délai a été imparti aux fins d'effectuer une avance de frais ordonnée par le tribunal, à faire certaines déclarations à la partie adverse après le versement du montant réclamé. Une telle disposition ne se justifie par aucun intérêt digne de considération. Elle ne vise certes pas à assurer le déroulement correct de la procédure, le paiement de l'avance y satisfaisant pleinement, et ne peut ainsi avoir d'autre portée que celle d'une simple règle d'ordre.
Il convient d'ailleurs de relever qu'il ne ressort pas clairement de l'art. 358 al. 3 CPCN que la partie doit aviser l'autre partie qu'elle a effectué à temps l'avance de frais ordonnée par le tribunal. On ne voit dès lors pas les raisons pour lesquelles une telle obligation existerait dans le cadre de la procédure de
BGE 101 Ia 433 S. 437
défaut extraordinaire au cours de laquelle un ultime délai de paiement a été fixé. Le juge instructeur est certainement à même d'aviser l'autre partie du versement, si l'on doit considérer qu'un tel avis est nécessaire. L'application stricte des règles de la procédure et du jugement par défaut constitue en l'espèce, où il ne s'agit que du versement de l'avance des frais, un formalisme excessif et, partant, viole l'art. 4 Cst.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a775395b-3c0c-4f86-952c-c03822828177 | Urteilskopf
106 Ib 412
62. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. November 1980 i.S. Aeschlimann gegen Michel und Eidg. Pachtzinskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 103 lit. a OG
, Art. 12 Pachtzinsgesetz (SR 942.10).
Legitimation des Pächters zur Beschwerde gegen die rückwirkende Festsetzung des zulässigen Pachtzinses; die zivilrechtliche Rückforderungsklage nach
Art. 62 ff. OR
wird durch Art. 12 Pachtzinsgesetz ausgeschlossen. | Sachverhalt
ab Seite 413
BGE 106 Ib 412 S. 413
Am 15. März 1964 nahm Alfred Aeschlimann den Hof Eichholz in der Gemeinde Köniz/BE von den Vorgängern der heutigen Eigentümer in Pacht. Dieses Pachtverhältnis wurde nach dem Eigentümerwechsel weitergeführt und am 15. März 1979 infolge Kündigung durch die Verpächter beendet. Der ursprüngliche Pachtzins wurde von der kantonalen Pachtzinsstelle am 27. Februar 1964 genehmigt. Im Laufe der Pacht erhöhten die Parteien diesen Zins mehrmals wegen zusätzlicher Investitionen, infolge Änderung des Pachtzinssatzes und zur Abgeltung nicht erbrachter Naturalleistungen; um die vorgeschriebene behördliche Genehmigung ersuchten sie nicht.
Am 25. Januar 1979 setzte die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern den zulässigen jährlichen Pachtzins seit dem Pachtjahre 1973 fest. Eine Beschwerde des Pächters an die Eidg. Pachtzinskommission hatte keinen Erfolg. Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Pächters nicht ein, soweit dieser die Pachtzinsfestsetzung seit der ersten Erhöhung für das Pachtjahr 1964-1965 verlangt, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Nach Art. 6 des Bundesgesetzes über die Kontrolle der landwirtschaftlichen Pachtzinse vom 21. Dezember 1960 (Pachtzinsgesetz in SR 942.10) unterliegen Entscheide der Eidg. Pachtzinskommission der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, wobei die Bestimmungen der Bundesrechtspflege anwendbar sind.
Art. 103 lit. a OG
erklärt denjenigen als zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, der durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Diese Bestimmung setzt somit - wie der übereinstimmende Artikel 48 VwVG - ein eigenes und aktuelles Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides voraus. Dieses Rechtsschutzinteresse besteht im praktischen Nutzen, den die erfolgreiche Beschwerde dem Beschwerdeführer eintragen würde, bzw. in der Abwendung eines Nachteils, den die angefochtene Verfügung für den Beschwerdeführer zur Folge hat (
BGE 104 Ib 249
E. b, c mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 103 Ib 339
mit Verweisen,
BGE 101 Ib 213
E. a, b).
BGE 106 Ib 412 S. 414
Der Beschwerdeführer verlangt die Festlegung des zulässigen Pachtzinses für die gesamte Pachtdauer seit der ersten, nicht genehmigten Erhöhung im Jahre 1964. Daran hat er ein Interesse, soweit er eine allfällige Differenz zu seinen Gunsten zurückerhalten kann.
b) Soweit ein nicht genehmigter Pachtzins das gesetzlich zulässige Maximum übersteigt, ist er nichtig (
BGE 98 Ia 191
E. c). Der Pächter bezahlt in diesem Umfange eine Nichtschuld und kann den zuviel bezahlten Betrag grundsätzlich nach den Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung (
Art. 62 ff. OR
) vom Verpächter zurückfordern, sofern die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes anwendbar sind und nicht durch das Pachtzinsgesetz ausgeschlossen werden. Das Bundesgericht hatte bisher mit freier Kognition nicht zu entscheiden, ob die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes Anwendung finden (vgl.
BGE 98 Ia 191
E. c, d,
BGE 93 II 107
). Das Pachtzinsgesetz enthält keine ausdrückliche Bestimmung darüber, ob der Pächter einen über das gesetzliche Maximum hinausgehenden Pachtzins zurückfordern kann, den er aufgrund einer nicht genehmigten Vereinbarung mit dem Verpächter bezahlt hat. Das Pachtzinsgesetz bedroht hingegen in den Artikeln 10 ff. Widerhandlungen gegen die Vorschriften über die Bewilligungspflicht mit Strafe. Nach Art. 12 des Gesetzes kann der Richter unter anderem den Beschuldigten, ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit, zur Bezahlung eines dem unrechtmässigen Vorteil entsprechenden Betrages an den für die Pachtzinskontrolle zuständigen Kanton verpflichten. Er kann auch verfügen, dass dieser Vermögensvorteil ganz oder teilweise dem Pächter herauszugeben ist. Bei der Bestimmung des herauszugebenden Vermögensvorteils sind die finanziellen Verhältnisse des zur Herausgabe Verpflichteten zu berücksichtigen.
Gemäss Botschaft des Bundesrates hat der Gesetzgeber mit Art. 12 Pachtzinsgesetz den bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch ausschliessen wollen. Er wollte es dem Strafrichter überlassen abzuklären, unter welchen Umständen die unerlaubte Zahlung zustandegekommen sei und ob Billigkeitsgründe für eine ganze oder teilweise Herausgabe des Vermögensvorteils an den Pächter vorlägen. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die gewöhnlichen Regeln des Obligationenrechtes über die ungerechtfertigte Bereicherung meistens nicht
BGE 106 Ib 412 S. 415
genügten, um die von der Pachtzinskontrolle angestrebte Zielsetzung zu erreichen, da der Pächter als wirtschaftlich schwächere Vertragspartei einerseits in der Regel das Risiko nicht auf sich nehme, den Verpächter auf dem Zivilweg ins Recht zu fassen, und anderseits seine Chancen, einen ihm billigerweise zustehenden Anspruch angesichts der Voraussetzungen des Bereicherungsanspruches (
Art. 63, 66, 67 OR
) durchzusetzen, gering seien (BBl 1960 II 507 f.) Es mag zwar fraglich erscheinen, ob der Schutz des Pächters entsprechend der Zwecksetzung des Pachtzinsgesetzes mit einem Ausschluss der zivilrechtlichen Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung verstärkt werden kann (vgl. JEANPRÊTRE, Le contrôle des fermages agricoles et le droit civil in Mélanges Roger Secrétan, Montreux 1964, S. 145 f., vgl. auch RAVAIOLI, Die landwirtschaftliche Pachtzinskontrolle, Diss. Zürich 1979, S. 78 f.). Der klare Wille des Gesetzgebers, die Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung durch Art. 12 Pachtzinsgesetz auszuschliessen, kommt indessen darin zum Ausdruck, dass auch das Verhalten des Pächters mit Strafe bedroht wird, wenn dieser den Bestimmungen des Gesetzes zuwiderhandelt (Art. 10 Pachtzinsgesetz). Daraus ergibt sich, dass das Pachtzinsgesetz den Pächter als schwächere Vertragspartei nicht unter allen Umständen schützen will, sondern nur insoweit, als dies im Einzelfall gerechtfertigt erscheint. Das Gesetz überlässt es deshalb dem Strafrichter, aufgrund der Umstände im Einzelfall zu bestimmen, ob und in welchem Umfang bereits bezahlte unzulässige Pachtzinse dem Pächter zufallen sollen (Art. 12 Abs. 1, 3 Pachtzinsgesetz). Die zivilrechtliche Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung wird durch Art. 12 Pachtzinsgesetz ausgeschlossen.
c) Der Beschwerdeführer kann dennoch ein schutzwürdiges Interesse haben an der Feststellung, dass vereinbarte Pachtzinse gegen Bundesrecht verstiessen, soweit er nämlich gegebenenfalls aufgrund von Art. 12 Abs. 1 Pachtzinsgesetz beim Strafrichter ein Begehren um Herausgabe unrechtmässiger Vermögensvorteile stellen könnte. Nach Art. 12 Abs. 4 Pachtzinsgesetz kann jedoch die Bezahlung eines dem unrechtmässigen Vermögensvorteil entsprechenden Betrages an den Kanton bzw. die Herausgabe an den Pächter nicht mehr verfügt werden, wenn die Strafverfolgungsverjährung gemäss Art. 10 Abs. 2 Pachtzinsgesetz eingetreten ist. Nach dieser Bestimmung verjährt die Strafverfolgung in fünf Jahren. Soweit demnach
BGE 106 Ib 412 S. 416
Widerhandlungen mehr als fünf Jahre zurückliegen, hat der Pächter mangels Eröffnung eines Strafverfahrens zum vorneherein keine Möglichkeit, über das zulässige Mass hinaus bezahlte Pachtzinsen zurückzuerhalten.
d) Im vorliegenden Fall ist (noch) kein Strafverfahren eröffnet worden. Der Beschwerdeführer hat somit keine Möglichkeit mehr, unrechtmässige Leistungen zurückzuerhalten, soweit diese mehr als fünf Jahre zurückliegen. Er hat deshalb kein Interesse daran, dass der Pachtzins im vorliegenden Verfahren auch für die Periode festgesetzt wird, die länger als fünf Jahre zurückliegt. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb bloss insoweit einzutreten, als sie die Höhe des Pachtzinses während der letzten fünf Jahre zum Gegenstand hat. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a7787887-89d6-41b3-9db0-242c9b514b12 | Urteilskopf
123 I 19
3. Extrait de l'arrêt de la IIème Cour de droit public du 26 février 1997 en la cause A. contre Conseil d'Etat du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Zulassung eines Ausländers zum Anwaltspraktikum.
Art. 31 BV
: der Ausländer mit Jahresaufenthaltsbewilligung - der fremdenpolizeilichen Einschränkungen untersteht - kann sich nicht wie der Ausländer mit Niederlassungsbewilligung auf diese Verfassungsbestimmung berufen, um zum Anwaltspraktikum zugelassen zu werden (E. 2).
Art. 4 BV
: die ungleiche Behandlung bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach zehn bzw. fünf Jahren Aufenthalt ergibt sich aus
Art. 7 Abs. 1 ANAG
oder aus einem Staatsvertrag, d.h. aus Vorschriften, an die das Bundesgericht gemäss
Art. 113 Abs. 3 BV
gebunden ist (E. 3).
Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung steht einer bevorzugten Behandlung von Ausländern aufgrund von internationalen Verpflichtungen nicht entgegen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 123 I 19 S. 19
A., ressortissant du Bénin, né le 10 octobre 1969, est arrivé à Genève en 1987 en compagnie de sa mère, de son frère et de ses soeurs, tous venus rejoindre le père, engagé comme médecin au
BGE 123 I 19 S. 20
Comité International de la Croix-Rouge. Au bénéfice d'une autorisation annuelle de séjour, A. a obtenu son baccalauréat en 1989, puis sa licence en droit de l'Université de Genève en octobre 1995.
Le 26 mars 1996, A. a présenté au Conseil d'Etat du canton de Genève une requête tendant à pouvoir prêter le serment professionnel d'avocat et s'inscrire au tableau des avocats-stagiaires.
Par décision du 17 avril 1996, le Conseil d'Etat a informé l'intéressé qu'il n'entrait pas en matière sur les requêtes d'accès au stage d'avocat émanant de ressortissants étrangers qui n'étaient pas titulaires d'un permis d'établissement.
A. a formé auprès du Tribunal fédéral un recours de droit public pour violation des
art. 31 et 4 Cst.
, ainsi que de la Convention internationale sur l'élimination de toutes les formes de discrimination raciale.
Le Tribunal fédéral a rejeté ce recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Le Tribunal fédéral a admis qu'un étranger établi non soumis à des restrictions particulières de politique économique avait la faculté d'invoquer l'
art. 31 Cst.
(
ATF 108 Ia 148
consid. 2b p. 150), mais il a précisé, dans son arrêt du 22 janvier 1988 (
ATF 114 Ia 307
ss), que la liberté du commerce et de l'industrie dont bénéficiait certaines professions, était limitée par l'
art. 69ter al. 1 Cst.
et la législation en matière de séjour et d'établissement des étrangers. Dans la mesure où un travailleur étranger n'avait pas droit à une autorisation de séjour en vertu de cette législation ou d'un traité international, ni lui, ni son employeur ne pouvaient donc se plaindre d'une violation de l'
art. 31 Cst.
(
ATF 114 Ia 307
consid. 3b p. 312). Le Tribunal fédéral a ensuite relevé que tant l'
art. 69ter Cst.
, que la loi fédérale sur le séjour et l'établissement des étrangers du 26 mars 1931 (LSEE; RS 142.20) distingue le séjour, pour lequel l'autorisation est limitée dans sa durée et souvent liée à certaines conditions (
art. 5 al. 1 LSEE
), de l'établissement qui implique une autorisation de durée indéterminée et inconditionnelle (
art. 6 al. 1 LSEE
). Il n'y avait donc aucune raison d'exclure de la protection de la liberté du commerce et de l'industrie l'étranger au bénéfice d'un permis d'établissement qui, de ce fait, n'était pas soumis à certaines restrictions de police des étrangers (
ATF 116 Ia 237
consid. 2 c et 2d p. 239/240). Sur la base de cette jurisprudence, le Tribunal fédéral est allé jusqu'à admettre que l'exigence de la nationalité suisse pour exercer la
BGE 123 I 19 S. 21
profession d'avocat s'avérait disproportionnée au regard de l'
art. 31 Cst.
lorsque l'étranger avait des connaissances suffisantes de la situation politique et sociale du pays (
ATF 119 Ia 35
ss; arrêt du 27 avril 1993 en la cause B. c. Conseil d'Etat du canton de Genève, publié in SJ 1993 p. 665 ss). Dans ces deux arrêts, il s'agissait toutefois d'étrangers au bénéfice d'un permis d'établissement.
b) La jurisprudence du Tribunal fédéral au sujet de la liberté du commerce et de l'industrie accordée aux étrangers et son évolution depuis 1982 ont été critiquées par la doctrine (PETER SALADIN, Grundrechte im Wandel, Bern 1975, p. 277; GEORG MÜLLER, Handels- und Gewerbefreiheit; Legitimation des Ausländers zur staatsrechtlichen Beschwerde, Bemerkungen zu BGE 108 Ia 148 ff., recht 1983 Nr. 3, p. 109; CHRISTOPH ANDREAS ZENGER, Die Bedeutung der Freiheit wirtschaftlicher Entfaltung für eine freie Berufswahl, Diss. Bern 1985, n. 678 p. 379/380), en particulier par la doctrine récente qui, avec des nuances, tend à vouloir imposer une nouvelle conception de la liberté du commerce et de l'industrie, selon laquelle tous les étrangers devraient pouvoir invoquer de façon générale l'
art. 31 Cst.
(R. RHINOW, Commentaire de la Constitution fédérale ad
art. 31 Cst.
n. 92 à 94; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991, p. 360/361; KLAUS A. VALLENDER, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsverantwortung, Bern 1995, par. 6 n. 6, p. 61) ou qui estime que le problème est avant tout de nature politique et souhaite que la Suisse passe à cette fin des accords internationaux assurant la réciprocité à ses ressortissants (ETIENNE GRISEL, Liberté du commerce et de l'industrie, Berne 1995, vol. I n. 386 p. 144 et vol. II n. 648 p. 90).
Compte tenu du système mis en place par la loi fédérale sur le séjour et l'établissement des étrangers pour les autorisations de séjour, et qui lie le Tribunal fédéral (
art. 113 al. 3 Cst.
), il ne se justifie pas d'élargir encore davantage le cercle des étrangers pouvant bénéficier de la protection découlant de l'
art. 31 Cst.
en supprimant l'exigence du permis d'établissement. En effet, l'étranger au bénéfice d'une autorisation de séjour ne peut pas prendre un emploi librement selon l'
art. 3 al. 3 LSEE
, prescrivant que "l'étranger qui ne possède pas de permis d'établissement ne peut prendre un emploi, et un employeur ne peut l'occuper, que si l'autorisation de séjour lui en donne la faculté." En revanche, l'étranger qui possède une autorisation d'établissement n'est soumis, quant à son activité lucrative, à aucune restriction en matière de police des étrangers (art. 3 al. 10 du règlement d'exécution de la LSEE: RSEE; RS 142.201).
BGE 123 I 19 S. 22
L'étranger au bénéfice d'une autorisation de séjour reste dès lors soumis aux restrictions de l'ordonnance du Conseil fédéral limitant le nombre des étrangers du 6 octobre 1986, selon l'art. 2 lettre b de ce texte (OLE; RS 823.21). En outre, la durée de son autorisation est toujours limitée (
art. 5 al. 1 LSEE
), celle-ci devant être renouvelée chaque année. La reconnaissance de la liberté du commerce et de l'industrie aux étrangers ne disposant que d'une autorisation de séjour reviendrait du reste à restreindre la liberté concédée par la loi fédérale sur le séjour et l'établissement des étrangers aux autorités cantonales (cf. en particulier
art. 3 al. 3 LSEE
). Après l'abandon du critère de la nationalité suisse, l'exigence du permis d'établissement représente ainsi un critère applicable de façon simple et uniforme, qui tient compte du fait que le séjour de l'étranger est durable, puisqu'il a été en principe d'au moins dix ans sans interruption (voir
art. 11 al. 5 RSEE
). Comme on l'a vu plus haut, le titulaire du permis d'établissement est soustrait aux restrictions de police des étrangers quant à son activité lucrative (
art. 3 al. 10 RSEE
), de sorte qu'il est logique de le faire bénéficier de la liberté du commerce et de l'industrie.
Il est vrai que la possession du permis d'établissement ne représente pas une garantie absolue de l'assimilation de l'étranger en Suisse par rapport à l'exercice de la profession d'avocat, notamment dans les cas où il est accordé non pas après dix ans de séjour, mais après un délai de cinq ans, c'est-à-dire lorsqu'il s'agit du conjoint étranger d'un ressortissant suisse (
art. 7 al. 1 LSEE
) ou d'un ressortissant d'un pays européen avec lequel la Suisse a passé un accord international (voir, par ex., Echange de notes du 16 février 1935 avec les Pays-Bas: RS 0.142.116.364; Echange de lettres du 12 avril 1990 avec le Portugal: RS 0.142.116.546). Toutefois, si le permis d'établissement permet à l'étranger d'invoquer l'
art. 31 Cst.
, il reste quant au fond soumis aux exigences relatives à l'accès et l'exercice de la profession en cause, en particulier à la condition de l'assimilation qui sera examinée avec d'autant plus de soin qu'un étranger demeure en Suisse depuis cinq ans seulement.
c) En l'espèce, le recourant est arrivé en Suisse à l'âge de 17 ans et y séjourne depuis environ 9 ans, de sorte qu'il devrait pouvoir présenter une demande de permis d'établissement dans une année. En l'état, le fait qu'il bénéficie d'une autorisation annuelle de séjour, l'empêche toutefois de se prévaloir de l'
art. 31 Cst.
, de sorte que son recours doit être examiné uniquement sous l'angle de l'
art. 4 Cst.
3.
a) Le recourant qualifie la décision attaquée d'arbitraire et se plaint d'une inégalité de traitement par rapport aux ressortissants étrangers
BGE 123 I 19 S. 23
qui sont titulaires d'un permis d'établissement, en particulier vis-à-vis de ceux qui obtiennent ce permis après cinq ans seulement.
b) Une décision viole le principe de l'égalité de traitement lorsqu'elle établit des distinctions juridiques qui ne se justifient par aucun motif raisonnable au regard de la situation de fait à réglementer ou lorsqu'elle omet de faire des distinctions qui s'imposent au vu des circonstances, c'est-à-dire lorsque ce qui est semblable n'est pas traité de manière identique et ce qui est dissemblable ne l'est pas de manière différente (
ATF 121 I 102
consid. 4a p. 104, 129 consid. 3d p. 134;
ATF 119 Ia 123
consid. 2b p. 128).
c) Compte tenu des différences existant entre les autorisations d'établissement (
art. 6 al. 1 LSEE
) et les autorisations de séjour (
art. 5 al. 1 LSEE
), telles que relevées ci-dessus (consid. 2b), leurs bénéficiaires n'ont évidemment pas le même statut en Suisse. Il n'y a donc aucune inégalité de traitement à les traiter différemment suivant l'autorisation dont ils sont titulaires.
Que certains étrangers puissent obtenir l'établissement après cinq ans de séjour seulement tient au fait qu'une loi fédérale (
art. 7 al. 1 LSEE
) ou qu'un traité international passé par la Suisse avec le pays d'origine prévoit un traitement préférentiel et réciproque. Autrement dit, la différence de traitement résulte de textes que le Tribunal fédéral doit appliquer (
art. 113 al. 3 Cst.
). En fait, déterminer les conditions auxquelles le permis d'établissement peut être accordé avant le délai de dix ans est avant tout un problème politique qu'il appartient au législateur de régler, notamment dans le cadre des conventions internationales prévoyant la réciprocité pour les ressortissants suisses.
Dans le cas particulier, il n'y a donc pas d'arbitraire ou d'inégalité de traitement à vouloir réserver aux seuls titulaires du permis d'établissement l'accès des étrangers au stage et à la profession d'avocat. Les griefs que le recourant formule à ce sujet reviennent d'ailleurs à critiquer la jurisprudence qui ne reconnaît le bénéfice de l'
art. 31 Cst.
qu'aux étrangers ayant un permis d'établissement. Or, comme on l'a vu (supra consid. 2), cette jurisprudence repose sur un critère conforme à la législation en matière des étrangers et n'a pas à être modifiée.
4.
Le recourant invoque ensuite la Convention internationale sur l'élimination de toutes les formes de discrimination raciale du 21 décembre 1965, entrée en vigueur pour la Suisse le 29 décembre 1994 (RO 1995 p. 1164 ss), qui vise toute distinction, exclusion, restriction ou préférence fondée sur la race, la couleur, l'ascendance ou l'origine nationale ou ethnique (art. 1er ch. 1).
BGE 123 I 19 S. 24
A cet égard, il faut tout d'abord relever que la Suisse s'est expressément réservée le droit d'appliquer ses dispositions légales relatives à l'admission des étrangers sur le marché du travail (voir réserve portant sur l'art. 2 al. 1er lettre a figurant dans l'arrêté fédéral d'approbation de la Convention du 9 mars 1993: RO 1995 p. 1163, qui fait partie intégrante de la Convention : RO 1995 p. 1189). A cela s'ajoute que l'art. 1er ch. 3 de la Convention prévoit qu'aucune de ses règles "ne peut être interprétée comme affectant de quelque manière que ce soit les dispositions législatives des Etats parties à la Convention concernant la nationalité, la citoyenneté ou la naturalisation, à condition que ces dispositions ne soient pas discriminatoires à l'égard d'une nationalité particulière". Or il est en l'espèce constant que la réglementation ici en cause (
art. 11 al. 5 RSEE
: permis d'établissement après un séjour d'au moins dix ans) ne s'applique pas qu'aux ressortissants du Bénin. L'art. 1er ch. 2 de la Convention n'exclut d'ailleurs pas un traitement préférentiel de ressortissants de certains pays étrangers fondé sur des engagements internationaux (voir Message du Conseil fédéral, FF 1992 III p. 276; ROLAND STRAUSS, Das Verbot der Rassendiskriminierung, Diss. Basel 1991, in Etudes suisses de droit international vol. 72, p. 103/104). | public_law | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a78cf9a5-19cd-4792-bcde-698ddaf025c4 | Urteilskopf
80 III 99
21. Entscheid vom 23. September 1954 i.S. Stebler. | Regeste
Das Amt, in dessen Kreis der Schuldner zur Zeit der ersten gültigen Pfändungsankündigung seinen Wohnsitz hatte, bleibt für das weitere Verfahren zuständig.
Verändert der Schuldner seinen Wohnsitz im Lauf einer Betreibung, so ist von Amtes wegen zu prüfen, ob dies vor oder nach jenem Zeitpunkt geschehen sei.
Art. 53 SchKG
. | Sachverhalt
ab Seite 100
BGE 80 III 99 S. 100
A.-
Gegen den Rekurrenten, ehemaligen Bundesbeamten, wurde in Bern die Betreibung Nr. 25695 angehoben und dort am 26. Januar 1954 das Fortsetzungsbegehren gestellt. Das Betreibungsamt Bern vollzog am 2. Februar 1954 eine Pfändung, die jedoch von der kantonalen Aufsichtsbehörde am 5. April 1954 aufgehoben wurde, mit der Weisung, eine neue Pfändung vorzunehmen. Im April liess das Betreibungsamt Bern den "nunmehr" in Basel wohnenden Schuldner durch das dortige Betreibungsamt einvernehmen, und am 29. Mai 1954 pfändete es in Wabern bei Bern, wo die Familie des Schuldners wohnen geblieben war, in dessen Anwesenheit Wein und Spirituosen, welche die Ehefrau des Schuldners als ihr Eigentum ansprach, und ferner a) eine Darlehensforderung des Schuldners gegen Kurt St. und b) eine von ihm gegenüber dem Bunde geltend gemachte Forderung von Fr. 50'000.-- wegen ungerechtfertigter Entlassung. Es schätzte diese beiden Forderungen nur auf je Fr. 1.-.
B.-
Nach Empfang der Pfändungsurkunde beschwerte sich der Schuldner über das Betreibungsamt Bern mit dem Begehren um Aufhebung der Pfändung; das erwähnte Amt sei anzuweisen, eine neue Pfändung requisitorisch in Basel durchführen zu lassen. Er bemängelte verschiedene Angaben der Pfändungsurkunde wie auch die Ankündigung der am 29. Mai vollzogenen Pfändung; ferner verwies er auf seinen Wohnort Basel; sein gelegentliches Verweilen bei der im übrigen von ihm getrennt in Wabern/Bern lebenden Familie habe den Vollzug einer Pfändung an diesem Orte nicht gerechtfertigt. Er beanstandete die Schätzung der gepfändeten Gegenstände, bezeichnete die beiden gepfändeten Forderungen als unpfändbar und die Pfändung angeblichen Dritteigentums als unzulässig,
BGE 80 III 99 S. 101
zumal er auf andere, in Basel befindliche Aktiven hingewiesen habe.
C.-
Die kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde am 20. August 1954 teilweise gut, indem sie das Betreibungsamt Bern anwies, die Forderung gegen den Bund nur "soweit Lohnguthaben betreffend" zu pfänden und den gepfändeten Betrag anzugeben. Im übrigen wies sie die Beschwerde ab.
D.-
Mit vorliegendem Rekurse hält der Schuldner in vollem Umfang an der Beschwerde fest.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Der Rekurrent anerkennt den Betreibungsort Bern und beschwert sich nur über die Art der Pfändungsankündigung und des Pfändungsvollzuges. Da aber die kantonale Aufsichtsbehörde feststellt, er sei "nunmehr in Basel wohnhaft", muss von Amtes wegen abgeklärt werden, ob er in Basel allenfalls bereits vor der Pfändungsankündigung festen Wohnsitz erworben habe. In diesem Falle wäre das Betreibungsamt Bern zur Fortsetzung der Betreibung nicht mehr zuständig gewesen (Gegenschluss aus
Art. 53 SchKG
), und zwar hätte man es mit einer unbedingt zwingenden Verfahrensnorm zu tun, mit der Folge der Nichtigkeit der vom unzuständigen Betreibungsamt vorgenommenen Pfändungshandlungen (
BGE 68 III 35
). Ob der Rekurrent (dessen Familie, die er "gelegentlich" besucht, in Wabern bei Bern wohnen geblieben ist) in Basel einen festen Wohnsitz im Sinne von
Art. 46 SchKG
(entsprechend
Art. 23 ZGB
) erworben hat, und wann dies allenfalls geschehen ist, lässt sich den vorliegenden Akten nicht mit Sicherheit entnehmen. Das führt zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, welche über den für die Fortsetzung der Betreibung zutreffenden Betreibungsort zu entscheiden und, wenn sich Bern als
BGE 80 III 99 S. 102
unzuständig erweisen sollte, die nichtigen Handlungen des Betreibungsamtes Bern aufzuheben haben wird.
Hiebei ist nicht etwa der Zeitpunkt der Pfändungsankündigung vom 25. Mai 1954, sondern - für das ganze weitere Verfahren - derjenige der ersten Pfändungsankündigung massgebend, es wäre denn, dass sie ihrerseits nichtig war oder wegen Gesetzesverletzung aufgehoben wurde. War die Pfändungsankündigung, die dem Fortsetzungsbegehren vom 25. Januar 1954 Folge gab und zur Pfändung vom 2. Februar 1954 führte, gültig, so kommt es somit nur darauf an, ob der Rekurrent damals seinen Wohnsitz in Bern beibehalten oder schon nach Basel verlegt hatte. Denn der ordentliche Betreibungsort, wie er in dem Zeitpunkt gegeben ist, da es in der betreffenden Betreibung einmal zu einer gültigen Pfändungsankündigung kommt, soll für das ganze weitere Betreibungsverfahren fortbestehen, gleichgültig ob der Schuldner später an einen andern Ort übersiedelt und dann allenfalls neue, ihm wiederum anzukündigende Pfändungen erfolgen. Sollte also hier eine gültige Pfändungsankündigung Ende Januar oder Anfang Februar 1954 ergangen und der Rekurrent erst am 18. Februar nach Basel verzogen sein (wie in einem Brief seiner Ehefrau vom 25. Juli 1954 zu lesen ist), so wäre der Betreibungsort Bern bestehen geblieben.
2.
In diesem Falle konnten, was zu den Rekursvorbringen bemerkt sei, gewöhnliche (d.h. nicht in Wertpapieren verkörperte) Forderungen des Rekurrenten (in dessen Gegenwart) in Bern als dem weiterhin für diese Betreibung zu fingierenden Wohnorte gepfändet werden (vgl. JAEGER, N. 5 zu
Art. 89 SchKG
). Im übrigen ist hier zu den Rekursvorbringen nicht Stellung zu nehmen. Werden sie doch gegenstandslos, falls die in Bern ergangenen Fortsetzungshandlungen sich als nichtig erweisen sollten. Andernfalls wird die kantonale Aufsichtsbehörde sie bei der neuen Beurteilung der Beschwerde zu berücksichtigen haben.
BGE 80 III 99 S. 103
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a78e6053-01c4-46d6-a05b-02fe4f591539 | Urteilskopf
125 V 237
36. Arrêt du 16 mars 1999 dans la cause R. contre Caisse cantonale valaisanne de compensation et Tribunal des assurances du canton du Valais (voir aussi
ATF 125 V 307
) | Regeste
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 AHVG
: Rentenberechtigung.
Kürzung der Witwenrente einer Frau, welche des Totschlags (
Art. 113 StGB
) an ihrem Ehemann schuldig gesprochen und unter Berücksichtigung der in einem entschuldbaren Putativnotstand erfolgten Tatbegehung zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von achtzehn Monaten mit einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden war. | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 125 V 237 S. 237
A.-
R., née en 1953, a épousé X en 1974. Cinq enfants sont nés de cette union, de 1974 à 1985. En 1989, la famille s'est installée en Valais. La mésentente des époux s'est aggravée. L'épouse vivait recluse au domicile conjugal. Les disputes étaient fréquentes. Le mari se montrait brutal et exerçait des sévices sur la personne de sa femme.
Le 30 janvier 1993, le mari s'en est pris violemment à son épouse. Il lui a lancé un couteau de boucher qui l'a atteinte à la cuisse; elle a été hospitalisée du 31 janvier au 8 février 1993 à la suite de l'intervention du frère de la blessée qui avait alerté la police. La patiente présentait un état de malnutrition et de multiples hématomes, d'âge variable, sur tout le corps.
Après cette hospitalisation, l'épouse a encore été frappée par son mari, au moins deux fois; elle a été insultée et menacée de mort.
Le 15 mars 1993, l'époux est rentré énervé de son travail, proférant des méchancetés envers sa femme. En fin de soirée, il l'a approchée, muni d'un revolver, lui déclarant qu'il l'avait acheté pour elle. Lorsque les époux se furent couchés, elle s'aperçut que l'arme était placée sous l'oreiller du mari. Ayant constaté que ce dernier s'était endormi, elle s'est saisie de l'arme et a tiré toute la munition contenue dans le revolver soit 6 coups qui ont causé la mort de la victime.
BGE 125 V 237 S. 238
Condamnée une première fois à la peine de trois ans d'emprisonnement par la justice valaisanne, R. a finalement été condamnée à une peine de dix-huit mois d'emprisonnement, sous déduction de cent nonante-deux jours de détention préventive subie, avec sursis durant trois ans, par jugement du 2 juillet 1996 de la IIe Cour pénale du Tribunal cantonal valaisan, à la suite de la cassation du premier jugement par le Tribunal fédéral. Le pourvoi en nullité formé par la condamnée contre ce second jugement a été rejeté par arrêt du Tribunal fédéral du 29 novembre 1996.
B.-
Par décision du 18 avril 1997, la Caisse cantonale valaisanne de compensation a refusé à R. la rente de veuve qu'elle demandait, au motif qu'elle avait intentionnellement causé la mort de son mari, ce qui était objectivement un acte disproportionné sur le vu des constatations du juge pénal.
C.-
Saisi d'un recours de l'intéressée, le Tribunal cantonal valaisan des assurances l'a rejeté par jugement du 17 décembre 1997, en confirmant les motifs de l'administration.
D.-
R. interjette recours de droit administratif et conclut à l'octroi d'une rente de veuve réduite de 50%, sous suite de dépens.
Alors que la caisse intimée conclut au rejet du recours, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) propose non seulement de l'admettre mais d'allouer une rente de veuve non réduite à la recourante, compte tenu des larges circonstances atténuantes dont elle a bénéficié au pénal et de sa condamnation à une peine avec sursis.
E.-
La Ière Chambre du Tribunal fédéral des assurances a tenu une audience le 16 mars 1999 (...).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen étendu; cf.
ATF 124 V 340
consid. 1a et les références).
2.
Le Tribunal fédéral des assurances a déjà tranché une affaire semblable dans un arrêt du 21 juin 1951 (ATFA 1951 p. 205). Depuis lors, le législateur a introduit dans la LAVS l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS. Aux termes de cette disposition, dans sa teneur - applicable en l'espèce (
ATF 121 V 366
consid. 1b et les arrêts cités) - en vigueur jusqu'au 31 décembre 1996, les rentes peuvent être refusées, réduites ou retirées, temporairement ou définitivement, à la veuve ou à l'orphelin qui a intentionnellement ou par faute grave, ou en commettant un crime ou un délit, causé la mort de l'assuré.
BGE 125 V 237 S. 239
a) En l'espèce, les premiers juges se sont fondés sur le caractère intentionnel de l'homicide commis sur la personne du mari de la recourante pour lui refuser tout droit à une rente de veuve.
Celle-ci conteste ce point de vue en faisant valoir que selon les constatations du juge pénal, elle a agi sous l'empire d'un état de nécessité putatif excusable, c'est-à-dire en croyant par erreur se trouver dans une situation de fait constituant l'état de nécessité au sens de l'
art. 34 CP
. En d'autres termes, la recourante estime que l'administration et les juges cantonaux auraient dû tenir compte, en lui appliquant la sanction prévue à l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS, des circonstances dans lesquelles elle a été amenée à tuer son mari, véritable tyran domestique qui la traitait avec cruauté et qui avait menacé d'attenter à sa vie. Selon le juge pénal, l'état de nécessité putatif était réalisé dans son cas car elle a cru, par erreur, que le danger auquel elle était confrontée était impossible à détourner autrement qu'en tuant son mari pendant son sommeil. La recourante en déduit qu'il serait profondément injuste de lui refuser tout droit à la rente de veuve alors que, par exemple, celui qui commet un accident en état d'ébriété et se retrouve lui-même paralysé se voit octroyer une rente d'invalidité, éventuellement réduite. Elle soutient que le rôle de l'assurance sociale n'est pas de s'ériger en juge moral et "d'appliquer le respect de l'ordre public", mais bien de protéger contre des abus. C'est pourquoi, sans motiver plus avant son point de vue, elle conclut à l'octroi d'une rente de veuve réduite de 50%. En procédure cantonale, elle avait conclu à l'allocation, principalement d'une rente entière et subsidiairement d'une rente réduite de 10%.
b) L'OFAS soutient un autre raisonnement: faisant usage de la liberté d'appréciation que lui laisse l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS - plus large, à cet égard, que l'
art. 38 al. 1 LAA
- il déclare que dans tous les cas d'application de cette disposition légale qui lui sont soumis conformément au ch. m. 3410 de ses directives concernant les rentes (DR), il s'est inspiré des principes sur lesquels, d'après lui, repose la jurisprudence relative à l'
art. 41 LAI
. En vertu de cette jurisprudence, la rente est suspendue pendant l'exécution de la peine privative de liberté puis versée à nouveau dès la remise en liberté. Dès lors, le degré de culpabilité retenu sur le plan pénal constitue la limite pour le refus de prestations. Sur le plan pénal, le degré de culpabilité, de même que la gravité de la faute, constituent des éléments déterminants pour l'appréciation du délit commis. C'est pourquoi, l'OFAS déclare qu'il n'a jamais "infligé une sanction administrative" qui dépasse la durée de la peine privative de liberté car, dit-il, il n'appartient pas aux organes de la sécurité sociale "de continuer
BGE 125 V 237 S. 240
à pénaliser une personne alors même que, d'un point de vue pénal, l'acte commis a été réprimé et la peine exécutée". En l'espèce, la recourante ayant été condamnée à une peine d'emprisonnement avec sursis, il ne se justifie pas, selon la pratique de l'office, de suspendre le versement de la rente de veuve ni, à fortiori, de lui refuser tout droit à cette prestation. Même la solution proposée par la recourante, à savoir une réduction de la rente de 50%, se révèle contraire à cette pratique de l'autorité fédérale de surveillance qui estime, en conséquence, que la rente de veuve à laquelle la recourante a droit doit lui être versée "tout à fait normalement".
3.
L'argumentation de l'OFAS est mal fondée: il n'y a aucune raison de faire dépendre la sanction prononcée à l'égard du survivant d'un assuré en vertu de l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS, de la mesure de la peine qui lui a été infligée, le cas échéant, par l'autorité pénale. Cela reviendrait, en effet, à donner à la réduction des prestations un caractère pénal dont elle est tout à fait dépourvue (
ATF 119 V 249
consid. 4b et les arrêts cités; cf. en ce qui concerne les infractions au droit de la circulation routière JEAN-LOUIS DUC, La faute en relation avec le début et la fin du rapport d'assurance, ainsi qu'avec la survenance du dommage, in: La faute au fil de l'évolution du droit de l'assurance privée, sociale et de la responsabilité civile, Bâle/Francfort-sur-le-Main 1992, p. 126).
De même, la comparaison que prétend faire l'autorité de surveillance entre la suspension du droit à la rente en vertu de l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS et la suspension du droit à la rente d'invalidité durant l'exécution d'une peine privative de liberté, tombe à faux. Le Tribunal fédéral des assurances a, en effet, clairement affirmé que la suspension du droit à la rente d'invalidité pendant l'incarcération de l'assuré résulte de l'existence même de cette incarcération, fût-ce à titre préventif et avant toute condamnation, et non pas de la culpabilité de l'assuré. Car, ainsi que le précise cette jurisprudence, il ne s'agit en aucun cas d'une sorte de peine accessoire, au sens des
art. 51 ss CP
, laquelle n'aurait aucun fondement légal (
ATF 116 V 326
; cf. aussi VSI 1998, p. 188 consid. 2a et les références).
4.
Comme d'autres normes du droit des assurances sociales sanctionnant le comportement fautif de l'ayant droit, l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS, a pour but d'épargner à la communauté des assurés des charges qui pourraient être évitées. Il est formulé de telle manière que les organes d'application de la loi bénéficient d'un large pouvoir d'appréciation. Comme le démontrent les travaux préparatoires, il existe en effet un étroit parallélisme entre
BGE 125 V 237 S. 241
cette disposition de la LAVS et l'
art. 7 al. 1 LAI
(FF 1958 II 1310). Or, aux termes du message du Conseil fédéral relatif à un projet de loi sur l'assurance-invalidité ainsi qu'à un projet de loi modifiant celle sur l'assurance-vieillesse et survivants du 24 octobre 1958, l'
art. 7 LAI
a été rédigé "dans le souci d'offrir aux organes d'exécution une marge d'appréciation aussi large que possible, afin qu'ils puissent, dans cet épineux domaine, tenir compte des particularités du cas d'espèce sans être liés par des règles impératives. La disposition en question revêt par conséquent un caractère non impératif, et les diverses sanctions, qui vont de la réduction temporaire à la suppression définitive, ont été prévues sous une forme toute générale" (FF 1958 II 1187 sv.). Par ailleurs, la proposition du Conseil fédéral - formulée dans la seconde phrase du projet d'
art. 7 al. 1 LAI
et la troisième du projet d'
art. 18 al. 1 LAVS
- de retirer définitivement les rentes dans les cas particulièrement graves (FF 1958 II 1320, 1340) a été rejetée par la Commission du Conseil des Etats (procès-verbal de la séance des 9 et 10 avril 1959, p. 25 ss).
Cela étant, le fait que l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS est rédigé - comme l'
art. 7 al. 1 LAI
- sous la forme d'une norme potestative ("Kann-Vorschrift") ne permet toutefois pas d'inférer que les organes d'exécution ont la liberté de décider si une sanction doit ou non être prononcée. Ceux-ci ont seulement la compétence - c'est-à-dire le droit et l'obligation - de prononcer une sanction lorsque les conditions légales sont réunies (cf.
ATF 111 V 194
sv. consid. 4a).
5.
Selon la jurisprudence rendue à propos de l'
art. 7 al. 1 LAI
, la rente qui est réduite en vertu de cette disposition le reste aussi longtemps qu'il subsiste un rapport de causalité entre la faute de l'assuré et l'invalidité. Une réduction limitée dans le temps n'est admissible qu'exceptionnellement, lorsque, déjà au moment de la fixation de la rente, il est vraisemblable que la cause de l'invalidité consistant dans le comportement gravement fautif de l'assuré n'aura plus d'importance après une période pouvant être déterminée approximativement, parce que d'autres facteurs seront alors au premier plan. Aussi est-t-il logique de faire dépendre la durée de la sanction des conséquences de la faute sur l'atteinte à la santé (
ATF 119 V 248
sv. consid. 4b et les références).
En dépit du parallélisme existant entre les deux dispositions, les
art. 7 al. 1 LAI
et 18 al. 1, seconde phrase LAVS concernent toutefois des états de fait différents, de sorte que la jurisprudence ci-dessus exposée ne peut être
BGE 125 V 237 S. 242
transposée mutatis mutandis à la seconde de ces dispositions. L'
art. 7 al. 1 LAI
repose en effet sur l'idée que l'incapacité de travail découlant de l'atteinte à la santé peut se modifier postérieurement à l'octroi de la rente. Dans ce cas, les conséquences de la faute sur l'atteinte à la santé peuvent, au cours du temps, perdre de leur importance face à l'ensemble des autres facteurs dont découle le dommage. Tel n'est évidemment pas le cas en ce qui concerne l'homicide sur la personne d'un assuré, d'où la nécessité de rechercher d'autres critères pour fixer la sanction adéquate.
6.
a) Même si la qualification pénale joue un rôle important lorsque le comportement à l'origine de l'éventualité assurée est une infraction réprimée par le droit pénal (cf. par ex. en ce qui concerne les infractions au droit de la circulation routière
ATF 120 V 227
consid. 2d,
ATF 119 V 245
consid. 3a), le juge des assurances sociales n'est lié par les constatations et l'appréciation du juge pénal ni en ce qui concerne la désignation des prescriptions enfreintes, ni quant à l'évaluation de la faute commise. Mais il ne s'écarte des constatations de fait du juge pénal que si les faits établis au cours de l'instruction pénale et leur qualification juridique ne sont pas convaincants, ou s'ils se fondent sur des considérations spécifiques du droit pénal, qui ne sont pas déterminantes en droit des assurances sociales (
ATF 111 V 177
consid. 5a et les références; RAMA 1996 no U 263 p. 282 consid. 2a). Aussi, le juge appelé à prononcer une sanction conformément à l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS est-il lié par la qualification pénale en ce sens qu'il ne peut s'écarter du jugement pénal quant à la nature de l'infraction à l'origine du dommage.
b) Cela étant, il n'en demeure pas moins que le juge des assurances sociales n'est pas lié par le jugement pénal en ce qui concerne la sanction. Sur ce plan, il doit observer le principe de proportionnalité (
ATF 108 V 252
consid. 3a et les références; cf. aussi
ATF 122 V 380
consid. 2b/cc,
ATF 119 V 254
consid. 3a et les arrêts cités; ALFRED MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, vol. 1: Allgemeiner Teil, Berne 1979, p. 170). La jurisprudence a précisé la signification de ce principe en posant une double exigence: il faut, d'une part, que le moyen utilisé soit propre à atteindre le but recherché et apparaisse nécessaire au regard de la fin envisagée et, d'autre part, qu'il existe un rapport raisonnable entre le résultat prévu et les restrictions à la liberté qu'il nécessite (
ATF 124 I 115
consid. 4c/aa,
ATF 123 I 121
consid. 4e,
ATF 119 Ia 353
consid. 2a et les références). Or, il est conforme à ce principe de considérer que la qualification d'homicide criminel au sens de l'
art. 9 al. 1 CP
doit conduire, en principe, à la sanction la plus grave de celles qui sont prévues à l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS.
BGE 125 V 237 S. 243
Cette éventualité est réalisée pour les crimes de meurtre (
art. 111 CP
), d'assassinat (
art. 112 CP
), de meurtre passionnel (
art. 113 CP
), d'incitation et d'assistance au suicide (
art. 115 CP
). A cet égard, un meurtre passionnel reste un meurtre même si, par définition, l'auteur bénéficie de circonstances atténuantes propres aux éléments constitutifs de cette infraction. Par conséquent, le meurtre passionnel commis par un auteur dont la responsabilité n'est pas atténuée en application de l'
art. 11 CP
justifie, en principe, la sanction la plus grave de celles prévues à l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS.
Au demeurant, cette solution est conforme au principe selon lequel une assurance - et l'AVS est une assurance, tout particulièrement dans le cas du décès de l'assuré - ne peut couvrir que la conséquence d'événements dont la survenance n'a pas été exclusivement provoquée par la volonté de l'assuré ou du bénéficiaire, c'est-à-dire de l'ayant droit à une rente de survivant (cf. GUSTAVO SCARTAZZINI, Les rapports de causalité dans le droit suisse de la sécurité sociale, thèse Genève, Bâle 1991, p. 318 sv.). Aussi, l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS exprime-t-il un principe général qui vaut pour l'ensemble de l'ordre juridique et d'après lequel il y a abus de droit notamment lorsqu'une institution est utilisée, de façon contraire au droit, pour la réalisation d'intérêts que cette institution n'a pas pour but de protéger (
ATF 122 II 198
consid. 2c/ee et les références; cf. aussi ATFA 1951 p. 209; PIERRE MOOR, Droit administratif, vol. I: Les fondements généraux, 2e éd., Berne 1994, p. 434 s.; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3e éd., Zurich 1998, no 598 p. 145; PASCAL MAHON, Prétentions abusives en matière d'assurance, in: RSA 62/1994 p. 313 s.).
c) Il faut cependant réserver l'hypothèse, où les éléments constitutifs de l'homicide criminel sont certes réunis mais où le crime n'est néanmoins pas punissable parce que l'auteur a agi dans le cadre d'un devoir de fonction au sens de l'
art. 32 CP
, en état de légitime défense au sens de l'
art. 33 CP
ou dans un état de nécessité au sens de l'
art. 34 CP
. Dans ce cas, le refus définitif de la prestation de survivant (rente de veuf, de veuve ou d'orphelin) pourrait, étant donné l'ensemble des circonstances du cas concret, contrevenir à l'exigence d'un rapport raisonnable entre le but visé à l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS et les rigueurs qu'il entraîne pour l'ayant droit.
7.
a) En l'espèce, le juge pénal a reconnu R. coupable de meurtre passionnel (
art. 113 CP
), en raison de l'état de profond désarroi dans lequel elle se trouvait lorsqu'elle a abattu son mari: seule, fréquemment battue,
BGE 125 V 237 S. 244
sans soutien, vivant dans un pays où elle ne pouvait nouer des contacts sociaux en raison de l'attitude égoïste de son époux, elle avait été amenée à agir afin d'échapper à la cruauté de son mari, lequel, pensait-elle, était fermement décidé à la tuer. Par ailleurs, il a jugé que la recourante avait agi en état de nécessité putatif (
art. 19 et 34 CP
), dans la mesure où elle s'était crue, par erreur, confrontée à un danger impossible à détourner autrement que par l'accomplissement d'un meurtre. La cour a considéré que la vie conjugale n'avait été que violence et exactions, peur et menaces, injures et abandon. Aussi, l'apparition, dans un tel contexte, d'une arme à feu, que la victime avait expressément déclaré être destinée à l'exécution de sa femme, permettait d'expliquer que celle-ci avait pu croire, à tort, que le danger était impossible à détourner autrement qu'en tuant son mari. Sur le vu des autres moyens dont elle disposait objectivement pour écarter le danger (la fuite, la demande de protection de la police, des services sociaux, des autorités judiciaires, d'un avocat, de sa famille ou de celle de son mari), son geste a été considéré néanmoins comme disproportionné, de sorte que le juge pénal a nié le caractère non punissable de l'infraction. Il a toutefois atténué la peine, compte tenu du fait que l'erreur était excusable (
ATF 122 IV 7
sv. consid. 4).
b) Vu ce qui précède, un refus pur et simple de la rente de survivant n'apparaît pas justifié dans le cas particulier, bien que la recourante ait été jugée coupable de meurtre passionnel. En effet, sur le vu des constatations de fait du juge pénal - dont il n'existe pas de motif de s'écarter -, l'application de la sanction la plus grave de celles qui sont prévues à l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS apparaît disproportionnée par rapport au but de cette disposition légale. Tout bien pesé, il apparaît que pour mieux tenir compte de la situation personnelle de la recourante, ainsi que des circonstances dans lesquelles elle a été amenée à accomplir son geste, l'octroi d'une rente réduite de 50% est plus apte à atteindre ce but.
En revanche, les circonstances du cas concret ne commandent pas d'assujettir cette réduction à une limitation dans le temps, comme l'autorise l'art. 18 al. 1, seconde phrase LAVS. De telles circonstances pourraient prévaloir notamment dans les éventualités où, étant donné la longue durée prévisible d'octroi de la rente de survivant, le maintien de la réduction entraînerait une sanction trop sévère au regard du principe de proportionnalité. Tel n'est toutefois pas le cas en l'espèce.
8.
(Dépens) | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a799d5b3-37d6-460c-b1ff-39e4449bff5e | Urteilskopf
80 IV 13
4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. April 1954 i.S. Kägi gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 41 Ziff. 1 StGB
.
Voraussetzungen des bedingten Strafvollzuges bei Führen in angetrunkenem Zustande. | Erwägungen
ab Seite 13
BGE 80 IV 13 S. 13
Aus den Erwägungen:
Gemäss
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB
setzt der bedingte Aufschub des Strafvollzuges voraus, dass die Umstände des Falles und die persönlichen Verhältnisse des Täters, insbesondere sein Vorleben und Charakter, erwarten lassen, er werde durch diese Massnahme von weiteren Verbrechen oder Vergehen abgehalten (
BGE 73 IV 77
, 84;
BGE 74 IV 137
;
BGE 76 IV 72
;
BGE 77 IV 68
). Diese Erwartung rechtfertigt sich nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gewöhnlich nicht, wenn der Täter in angetrunkenem Zustande ein Motorfahrzeug führt; denn dadurch bekundet er in der Regel, dass er Leib und Leben anderer gering achtet und ein besonders hemmungsloser Mensch ist. Der Vollzug der Freiheitsstrafe ist in solchen Fällen nur aufzuschieben, wenn bestimmte besondere Umstände den Schluss auf Hemmungs- und Gewissenlosigkeit des Verurteilten als unbegründet erscheinen lassen, so etwa, wenn er sich erst unter dem enthemmenden Einfluss des Alkohols zum Führen eines Motorfahrzeuges entschlossen hat oder durch starkes Drängen anderer zur Tat bewogen worden ist (
BGE 74 IV 138
, 196;
BGE 74 IV 196
;
BGE 76 IV 170
;
BGE 79 IV 68
).
Was der Beschwerdeführer gegen diese Rechtsprechung einwendet, hält nicht stand. Gewiss bedarf nicht jeder einer gleich grossen Alkoholkonzentration, um Zeichen der Angetrunkenheit zu äussern, und wirkt sich ein und derselbe Alkoholgehalt des Blutes bei einem bestimmten
BGE 80 IV 13 S. 14
Menschen auch nicht zu jeder Zeit und unter allen Umständen gleich aus. Solchen Unterschieden ist aber beim Entscheid der Beweisfrage, ob der Angeklagte angetrunken war, Rechnung zu tragen. Hat der Sachrichter auf Angetrunkenheit geschlossen, was übrigens nicht notwendigerweise eine Blutuntersuchung voraussetzt, sondern auch in freier Würdigung anderer Beweise geschehen kann (
Art. 249 BStP
), so ist dem Angeklagten, der in diesem Zustande ein Motorfahrzeug geführt hat, Hemmungs- und Gewissenlosigkeit vorzuwerfen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen. Daran ändert die Tatsache, dass die Angetrunkenheit sich nicht bei jedem Menschen gleich auswirkt, grundsätzlich nichts. Obwohl der Alkohol den einen vorwiegend bloss euphorisch stimmt, den andern ausserdem zu rücksichtslosem Verhalten treibt, ist doch allen Angetrunkenen die Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung erschwert und leidet bei ihnen auch die Fähigkeit, auf Gefahren rasch und zweckmässig zu reagieren. Wer sich antrinkt, obschon er weiss, dass er in diesem Zustande ein Motorfahrzeug führen wird, legt daher Charaktereigenschaften an den Tag, die ihn des bedingten Strafaufschubes grundsätzlich unwürdig machen. Ob er weiss, wieviele Promill Alkohol er in diesem Zustande im Blute hat, ist unerheblich; es genügt, dass grundsätzlich jedem klar ist, wieviel er trinken darf, ohne in seiner Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung und Reaktionsfähigkeit beeinflusst zu werden. Zu einer Änderung der Rechtsprechung besteht umsoweniger Anlass, als der Richter beim Entscheid über den bedingten Strafaufschub nebenbei auch dem Bedürfnis nach Generalprävention Rechnung tragen darf (
BGE 73 IV 80
, 87;
BGE 74 IV 138
;
BGE 79 IV 69
). | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a79c5647-23e5-48c3-a346-66026232cbd7 | Urteilskopf
115 II 361
65. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour Civile du 31 octobre 1989 dans la cause époux C. contre époux P. (recours en réforme) | Regeste
Art. 2 und 3 ZGB
;
Art. 271a OR
. Mietvertrag; Nichtigkeit der Kündigung.
1. Die Verletzung der Verpflichtung des Vermieters, die Kündigung gesondert an den Mieter und an dessen Ehegatten zu richten (
Art. 271a Abs. 1 OR
), hat die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge (E. 4a).
2. Der gute Glaube des Vermieters (
Art. 3 ZGB
) wird im Rahmen von
Art. 271a Abs. 1 OR
nicht geschützt (E. 4b).
3. Der Ehegatte kann die ihm gemäss
Art. 271a Abs. 2 OR
zustehenden Rechte von Bundesrechts wegen in jedem Prozessstadium ausüben. Er handelt nicht rechtsmissbräuchlich (
Art. 2 ZGB
), wenn er sich - sogar erst im Rechtsmittelverfahren - am Prozess beteiligt, um einen Einwand geltend zu machen, der bisher vom Mieter nicht erhoben worden ist (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 362
BGE 115 II 361 S. 362
A.-
Le 14 janvier 1980, un contrat de bail a été conclu entre G. S.A., bailleresse, et Sieur P., preneur. Le bail a pour objet un appartement. Les époux C. ont acheté ultérieurement cet appartement qu'ils destinent à leur servir de logement. Une première résiliation de ce bail a été retirée par les nouveaux propriétaires en raison de sa nullité.
B.-
A la suite d'une seconde résiliation, le preneur déposa une requête tendant à faire constater que le congé n'avait pas été valablement donné et à obtenir, à titre subsidiaire, une première prolongation du bail. Le Tribunal des baux et loyers, par jugement du 20 octobre 1988, l'a débouté des fins de sa demande.
Le 8 mai 1989, statuant sur appel de Sieur P., la Chambre d'appel en matière de baux et loyers de la Cour de justice du canton de Genève admit l'intervention en procédure de Dame P., épouse du demandeur, réforma le jugement attaqué, prononça la nullité du congé et débouta les parties de toutes autres conclusions. Cet arrêt a été rendu en vertu de l'
art. 271a CO
invoqué pour la première fois par le locataire devant la Chambre d'appel.
C.-
Les défendeurs exercent un recours en réforme contre cet arrêt. Ils concluent à ce que la résiliation litigieuse soit reconnue valable. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours et confirmé l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Lorsque les locaux loués au preneur servent de logement à la famille, le bailleur ou l'acquéreur doit signifier séparément au preneur et à son conjoint la résiliation du bail ainsi que toutes les déclarations qui tendent à y mettre fin (
art. 271a al. 1 CO
). L'alinéa 2 de cette disposition permet au conjoint d'exercer les moyens dont le preneur dispose à l'encontre de ces déclarations.
L'
art. 271a CO
a été introduit par la loi fédérale du 5 octobre 1984 modifiant le Code civil (effets généraux du mariage, régime matrimonial et successions), entrée en vigueur le 1er janvier 1988. Le texte de ce nouvel article reprend sans modification le texte correspondant du projet (FF 1979 II 1403). Mesure de protection du logement prise dans l'intérêt de la famille, il n'a d'autre but que la garantie de ce logement (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, n. 82 ad
art. 169 CC
et 271a CO). Il doit assurer, dans l'éventualité d'une résiliation émanant du bailleur, la protection que l'
art. 169 CC
accorde au conjoint (RUOSS, Der
BGE 115 II 361 S. 363
Einfluss des neuen Eherechts auf Mietverhältnisse an Wohnräumen, RDS 107/1988 I p. 94).
Les défendeurs ne contestent pas que les conditions d'une signification du congé au preneur et à son épouse étaient données. Ils critiquent, en revanche, les conséquences attachées par la Chambre d'appel au défaut d'une signification de la résiliation du bail à l'épouse du preneur. Ils tirent argument de l'absence de toute sanction prévue par la loi en cas d'inobservation de l'exigence découlant de l'
art. 271a al. 1 CO
et de l'abus qu'il y aurait à s'en prévaloir en l'espèce.
a) La signification de la résiliation du bail au conjoint du preneur de locaux servant au logement de la famille appartient aux conditions formelles de la résiliation (TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations, p. 161 n. 1253 ss, en particulier, 1259). L'
art. 271a al. 3 CO
constitue une prescription de forme dont l'observation est nécessaire pour que la résiliation puisse déployer ses effets (RUOSS, op.cit., p. 96). L'
art. 271a al. 1 CO
subordonne la validité de toutes déclarations du bailleur tendant à mettre fin au bail à la double signification qu'il impose (dans ce sens, PETITPIERRE/DE MONTMOLLIN/GUINAND/HAUSHEER, Mariage: effets généraux, FJS 105, p. 6; M. ET H. NÄF-HOFMANN, Das neue Ehe- und Erbrecht im Zivilgesetzbuch, 2e éd., p. 22 n. 137; WESSNER, Mietrecht und neues Eherecht, in Mietrechtspraxis 1987/1988, p. 96, du même auteur, Le bail portant sur le logement de la famille: les incidences du nouveau droit matrimonial, 4e Séminaire sur le bail à loyer, Neuchâtel 1986, p. 20). Lorsque les conditions de l'
art. 271a al. 1 CO
sont réunies, le bailleur n'a pas le choix: il doit notifier la résiliation du bail au conjoint du preneur (FRANK, Grundprobleme des neuen Ehe- und Erbrechts der Schweiz, p. 70 n. 38; BERGER, Die Stellung Verheirateter im rechtsgeschäftlichen Verkehr, p. 148; GLOOR, Die Zuteilung der ehelichen Wohnung nach schweizerischem Recht, thèse Zurich 1987, p. 62; DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, p. 109). L'absence de communication au conjoint ou une communication défectueuse a pour conséquence la nullité de la résiliation, même si elle a été notifiée régulièrement au preneur, et peu importe que cette omission ait été fautive ou non (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op.cit., n. 97 ad
art. 169 CC
et 271a CO; REUSSER, Wirkungen der Ehe im allgemeinen II, in Das neue Eherecht, p. 69).
BGE 115 II 361 S. 364
Certes, l'
art. 271a al. 1 CO
ne dit pas quelles sont les conséquences attachées à son inobservation. Même si la signification de la résiliation au conjoint apparaît comme une condition formelle du congé donné au preneur, elle n'en est pas pour autant une condition de forme au sens de l'
art. 11 CO
, de sorte que, contrairement à l'opinion de RUOSS (op.cit., p. 96 note 121), l'
art. 11 al. 2 CO
n'est d'aucun secours pour déterminer les conséquences de l'omission de la double signification du congé lorsqu'elle est prescrite. Cette disposition ne trouverait domaine à application qu'en rapport avec la forme sous laquelle la signification au conjoint doit intervenir. La portée de l'
art. 271a al. 1 CO
doit s'apprécier en fonction d'autres principes.
Selon une jurisprudence constante et qui s'applique également aux déclarations de volonté se rapportant à la modification ou à la résiliation d'un contrat, lorsque la loi ne consacre pas expressément la nullité d'un acte violant une disposition légale, cette nullité ne doit être admise que si elle résulte du sens et du but de la disposition en cause, c'est-à-dire si elle est appropriée à l'importance de l'effet combattu (
ATF 107 II 193
/194 consid. 3 et les arrêts cités; cf. aussi
ATF 109 II 59
consid. 2b,
ATF 111 II 53
, 387 consid. 2d,
ATF 114 II 280
/281 consid. 2a). L'
art. 271a al. 1 CO
n'a pas été édicté dans le but de régler les relations contractuelles entre les parties à un contrat de bail, mais pour assurer contre une résiliation du bailleur la protection du logement de la famille déjà garantie dans les rapports entre conjoints par l'
art. 169 CC
. Cette dernière disposition constitue une mesure de protection de l'union conjugale qui n'a pas été placée dans la compétence du juge mais qui s'applique en vertu de la loi à tous les époux. Cette mesure a été prise en raison de la nécessité d'assurer le logement familial. La conséquence est que les
art. 169 CC
et 271a al. 1 CO constituent du droit impératif (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op.cit., n. 8-10 ad
art. 169 CC
et 271a CO). Il découle de ce qui précède que la seule sanction qui puisse assurer la sauvegarde de la protection du logement de la famille, "affaire vitale" pour elle (DESCHENAUX/STEINAUER, op.cit., p. 94), contre une résiliation émanant du bailleur, et permettre une application régulière, réelle et efficace des dispositions légales édictées dans ce but (
ATF 111 II 387
consid. 2d), est la nullité d'un congé qui ne les respecte pas.
b) Lorsque les défendeurs font état de la signature du contrat avec le demandeur seulement, de l'absence de mention de l'épouse sur le contrat et du fait que la résiliation est intervenue alors que
BGE 115 II 361 S. 365
le nouveau droit n'était en vigueur que depuis un peu plus d'un mois, ils se prévalent en réalité de leur bonne foi, même s'ils n'invoquent pas expressément l'
art. 3 CC
. Ils perdent de vue que, s'agissant de l'application des
art. 169 CC
et 271a al. 1 CO, la bonne foi du tiers ne bénéficie d'aucune protection (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op.cit., n. 10, 59 et 97 ad
art. 169 CC
et 271a CO; cf. aussi DESCHENAUX/STEINAUER, op.cit., p. 107).
c) Les défendeurs reprochent au demandeur et à l'intervenante un comportement qui les empêcherait d'invoquer l'inobservation de l'
art. 271a al. 1 CO
sans commettre un abus de droit au sens de l'
art. 2 CC
. Selon la jurisprudence, l'abus de droit peut consister en une utilisation contraire à son but d'une institution juridique en vue de satisfaire à des intérêts que cette institution n'a pas pour objet de protéger (
ATF 113 II 8
consid. 3b, 73 consid. 3, 109 II 159,
ATF 107 II 171
consid. 2a). La Chambre d'appel n'a pas examiné cette question. Les défendeurs avaient pourtant invoqué l'abus de droit d'une manière toute générale dans leur mémoire de réponse à l'appel mais sans indiquer quelles circonstances étaient constitutives, selon eux, d'un tel abus. Les éléments qu'ils invoquent dans leur recours apparaissent ainsi comme nouveaux et, dans la mesure où ils s'écartent des constatations de fait de l'arrêt attaqué, ils sont irrecevables (
art. 55 al. 1 let
. c, 63 al. 2 OJ). Cette question n'a d'ailleurs pas à être examinée plus à fond, la critique des recourants étant de toute façon mal fondée. Le fait que le conjoint a eu connaissance de la résiliation du bail ne saurait être retenu, la loi ne tenant pas une telle connaissance pour suffisante mais exigeant que la résiliation soit signifiée séparément au conjoint du preneur. De même, il importe peu que le conjoint introduise action lui-même, intervienne au procès ou même ne se manifeste pas en procédure. Les droits conférés au conjoint par l'
art. 271a al. 2 CO
n'ont une raison d'être que si le preneur néglige de prendre les mesures tendant à pouvoir continuer à occuper le logement familial ou ne fait valoir qu'incomplètement les droits dont il dispose à cet effet. Cette disposition n'oblige pas le conjoint à agir, elle ne lui donne qu'une faculté. Il peut l'exercer à n'importe quel stade de la procédure (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op.cit., n. 109 ad
art. 169 CC
et 271a CO). Il n'y a ainsi pas abus de sa part à intervenir, fût-ce au stade du recours, pour faire valoir un moyen que le preneur n'aurait, jusqu'à ce moment, pas invoqué. En agissant ainsi, il ne fait qu'exercer une prétention découlant du droit matériel fédéral (cf. l'ouvrage cité, n. 109). Quant aux
BGE 115 II 361 S. 366
reproches faits au preneur de n'avoir ni recherché un autre appartement ni accepté ceux qui lui étaient proposés, non seulement ils ont trait à la procédure antérieure, mais à une procédure à laquelle le preneur résistait à bon droit puisque les défendeurs l'ont retirée et admettent dans le recours en réforme que le congé qu'ils avaient alors donné était, lui aussi, frappé de nullité. Ils sont manifestement dépourvus de tout fondement.
Il n'est pas nécessaire de se prononcer ici sur la portée que pourraient avoir, sous l'angle de la nullité d'un congé donné en violation de l'
art. 271a al. 1 CO
, des circonstances telles que le fait pour le preneur et son conjoint de libérer le logement familial (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op.cit., n. 97 ad
art. 169 et 271a CO
; REUSSER, op.cit., p. 70; contra: RUOSS, op.cit., p. 96) ou celui d'avoir dissuadé le bailleur de procéder à la double signification. Il suffit de constater qu'en l'espèce on ne voit pas en quoi, en se prévalant de la nullité de la résiliation du bail, le preneur et son conjoint tenteraient de détourner l'
art. 271a al. 1 CO
de son but qui est d'assurer le maintien du logement familial. Les défendeurs, qui perdent de vue ce but, ne le disent d'ailleurs pas. Le moyen tiré de l'abus de droit n'est ainsi pas fondé. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7a030a7-2647-4f0d-ac6b-157629cf61e6 | Urteilskopf
138 IV 148
21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Baden und Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
1B_254/2012 vom 24. Mai 2012 | Regeste
Telefonische Mitteilung des Haftentscheids an die Staatsanwaltschaft, wenn keine Untersuchungshaft angeordnet wird; Art. 222, 225 Abs. 1 und
Art. 226 Abs. 2 und 5 StPO
;
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 31 BV
;
Art. 5 EMRK
.
Beantragt die Staatsanwaltschaft für eine beschuldigte Person die Anordnung bzw. Verlängerung von Untersuchungshaft, kann ihr das Zwangsmassnahmengericht einen negativen Entscheid telefonisch mitteilen, wenn die Staatsanwaltschaft nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilnimmt. Einen gesetzlichen Anspruch darauf hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht. Die vorläufige Fortdauer der Haft, bis die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz über die vorsorgliche Inhaftierung während des Beschwerdeverfahrens entscheiden kann, ist in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen rechtmässig (E. 3.1-3.4). | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 138 IV 148 S. 149
Am 27. März 2012 wurde X. festgenommen. Gleichentags beantragte die Staatsanwaltschaft Baden beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, der Beschuldigte sei für die vorläufige Dauer von drei Monaten, d.h. bis zum 27. Juni 2012 in Untersuchungshaft zu versetzen. Das Zwangsmassnahmengericht wies diesen Antrag am 28. März 2012 ab und verfügte, X. sei aus der Haft zu entlassen. Der nicht an der Gerichtsverhandlung teilnehmenden Staatsanwaltschaft eröffnete es diesen Entscheid unverzüglich telefonisch. Daraufhin erhob die Staatsanwaltschaft innerhalb von weniger als zwei Stunden Beschwerde ans Obergericht des Kantons Aargau. Sie beantragte die Genehmigung der Untersuchungshaft und die Erteilung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde bzw. die vorläufige Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Am 29. März 2012 ordnete die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz vorsorglich die vorläufige Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft an. Am 11. April 2012 hiess das Obergericht die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gut, hob die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 28. März 2012 auf und ordnete über X. die Untersuchungshaft für die Dauer von drei Monaten, d.h. bis zum 27. Juni 2012 an.
Gegen diesen Entscheid hat X. am 30. April 2011 Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sofort aus der Haft zu entlassen.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Staatsanwaltschaft sei nicht berechtigt gewesen, gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 28. März 2012 Beschwerde ans Obergericht zu erheben, weil sie nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilgenommen habe. Demzufolge hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde nicht eintreten dürfen.
BGE 138 IV 148 S. 150
3.1
Nach
Art. 222 StPO
(SR 312.0) kann die verhaftete Person Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten. Dasselbe Beschwerderecht steht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der Staatsanwaltschaft zu. Das Bundesgericht hat zusammenfassend erwogen, aufgrund der in
Art. 111 BGG
statuierten Einheit des Verfahrens müsse derjenige, der zur Beschwerde ans Bundesgericht berechtigt sei, sich am Verfahren vor allen kantonalen Instanzen als Partei beteiligen können. Dazu verlange das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Strafjustiz, dass die Staatsanwaltschaft ein Beschwerderecht gegen einen die Haft aufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts besitze (
BGE 137 IV 230
E. 1 S. 232 mit Hinweisen).
3.2
Gemäss
Art. 226 Abs. 5 StPO
ist die beschuldigte Person unverzüglich freizulassen, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet. Dieses Recht auf unverzügliche Freilassung ergibt sich aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit (
Art. 10 Abs. 2 BV
), welches gestützt auf die
Art. 31 BV
und
Art. 5 EMRK
in strafrechtlichen Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden kann (vgl. auch
Art. 36 BV
). Verfügt das Zwangsmassnahmengericht die sofortige Freilassung, obwohl nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ein Haftgrund nach
Art. 221 StPO
besteht, kann das die Fortführung des Strafverfahrens indessen erschweren oder gar vereiteln. Um dies zu verhindern, besteht ein Interesse, dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Beschwerde an die Beschwerdeinstanz nach
Art. 393 StPO
zumindest vorübergehend die Freilassung verhindern kann (
BGE 137 IV 230
E. 2.1 S. 233,
BGE 137 IV 237
E. 2.1 S. 241). Zur Gewährleistung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft ist erforderlich, die Freilassung des Beschuldigten aufzuschieben, bis die Beschwerdeinstanz über die Fortdauer der Haft während des Beschwerdeverfahrens im Sinne von
Art. 388 lit. b StPO
wenigstens superprovisorisch entscheiden kann (
BGE 137 IV 237
E. 2.4 S. 244).
Vor dem Hintergrund des Anspruchs des Beschuldigten auf unverzügliche Freilassung gemäss
Art. 226 Abs. 5 StPO
muss die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids und grundsätzlich vor dem Zwangsmassnahmengericht ankündigen. Die Ankündigung hat zur Folge, dass die Haft nach dem Freilassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts bis zur sofortigen Beschwerdeerhebung durch die Staatsanwaltschaft
BGE 138 IV 148 S. 151
fortbesteht. Um dem Erfordernis der unverzüglichen Beschwerdeerhebung im Anschluss an die Ankündigung nachzukommen, muss die Staatsanwaltschaft spätestens drei Stunden nach der Ankündigung beim Zwangsmassnahmengericht eine (wenigstens kurz) begründete Beschwerdeschrift einreichen und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragen. Diesfalls ist das Zwangsmassnahmengericht gehalten, den Beschuldigten weiter in Haft zu belassen und die Beschwerde mit dem Dossier und seiner allfälligen Stellungnahme verzugslos der Beschwerdeinstanz zu übermitteln (
BGE 138 IV 92
E. 3.3 S. 97).
Nach dem Eingang der Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz hat deren Verfahrensleitung die erforderlichen Anordnungen im Sinne von
Art. 388 StPO
zu erlassen. Solche Anordnungen müssen aus Gründen der Dringlichkeit meist ohne Anhörung der betroffenen Person als superprovisorische Verfügung ergehen. Sie sind anschliessend nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zu bestätigen oder zu ändern. Eine von der Staatsanwaltschaft unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids, aber vor der tatsächlichen Entlassung des Beschuldigten eingereichte Beschwerde hat somit zur Folge, dass die Untersuchungshaft vorläufig weiterbesteht, bis die zuständige Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz (superprovisorisch) über weitere Massnahmen im Sinne von
Art. 388 StPO
entscheiden kann. Es handelt sich dabei in der Regel um eine Verlängerung der Haft um einige Stunden, was im Interesse der Erreichung des Untersuchungszwecks bei bestehenden Haftgründen und zur Gewährleistung eines wirksamen Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft mit
Art. 226 Abs. 5 StPO
vereinbar erscheint (
BGE 138 IV 92
E. 3.4 S. 98).
3.3
Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau teilt der Staatsanwaltschaft einen negativen Entscheid, nämlich die Nichtanordnung der beantragten Untersuchungshaft, praxisgemäss vorab telefonisch mit, wenn die Staatsanwaltschaft wie vorliegend nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilnimmt (vgl.
Art. 225 Abs. 1 StPO
). Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass die StPO eine telefonische Eröffnung des (negativen) Haftanordnungsentscheids nicht ausdrücklich vorsieht. Die nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilnehmende Staatsanwaltschaft hat denn auch keinen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihr ein solcher Entscheid vorab telefonisch mitgeteilt wird. Dies schliesst allerdings nicht aus, dass sich die beteiligten Behörden
BGE 138 IV 148 S. 152
hinsichtlich des Vorgehens in solchen Fällen untereinander absprechen. Sofern der Entscheid der nicht persönlich an der Verhandlung vertretenen Staatsanwaltschaft wie von
Art. 226 Abs. 2 StPO
vorgeschrieben (zusätzlich) unverzüglich schriftlich eröffnet wird, steht einer vorgängigen telefonischen Mitteilung nichts entgegen. Dieses Vorgehen ermöglicht es der Staatsanwaltschaft, ihre Beschwerde sofort anzukünden, selbst wenn sie nicht persönlich an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht vertreten ist. Die vorläufige Fortdauer der Untersuchungshaft ist in einem solchen Fall mit
Art. 226 Abs. 5 StPO
vereinbar, sofern die Abwesenheit der Staatsanwaltschaft an der Verhandlung nicht zu Verzögerungen führt. Insbesondere muss die Staatsanwaltschaft auch bei einem solchen Vorgehen spätestens drei Stunden nach der (mündlichen) Eröffnung des Entscheids gegenüber der beschuldigten Person beim Zwangsmassnahmengericht eine (wenigstens kurz) begründete Beschwerdeschrift einreichen und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragen (vgl. E. 3.2 hiervor).
3.4
Vorliegend hat die nicht persönlich an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht vertretene Staatsanwaltschaft, nachdem ihr die Nichtanordnung der Untersuchungshaft vorab telefonisch mitgeteilt worden ist, innerhalb von drei Stunden nach der (mündlichen) Eröffnung des Entscheids gegenüber dem Beschwerdeführer eine begründete Beschwerdeschrift eingereicht und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragt. Dieses Vorgehen hat zu keinen weiteren Verzögerungen geführt und ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden. Damit erweist sich die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz hätte nicht auf die Beschwerde eintreten dürfen, als unbegründet. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7a5f49b-3e4c-4c26-9556-9db503cddb8c | Urteilskopf
82 II 159
23. Arrêt de la Ire Cour civile du 24 avril 1956 dans la cause Joseph Bradbury and Sons Ltd. contre Villars. | Regeste
Art. 42 aPatG,
Art. 5 UWG
.
1. Für die Frage der Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Klageerhebung massgebend (Erw. 2 a).
2. Art. 42 aPatG gilt auch für Klagen auf Feststellung, auf Unterlassung und auf Zerstörung beschlagnahmter Gegenstände (Erw. 2 b).
3. Begehungsort i.S. von Art. 42 aPatG und 5 UWG ist nicht nur der Ort, wo der Täter gehandelt hat, sondern auch der Ort des Erfolgseintritts. Wie verhält es sich bei mehreren Tätern? (Erw. 2 c, 3).
4. Bei Wohnsitz des Beklagten im Ausland ist der schweizerische Richter nur zuständig zur Beurteilung von Handlungen, die in der Schweiz begangen worden sind oder hier einen Erfolg gezeitigt haben (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 160
BGE 82 II 159 S. 160
A.-
Julio Villars est titulaire du brevet suisse no 266 726, qui concerne un appareil de levage pour véhicules, appelé "lift Vilver".
La maison Bradbury and Sons Ltd. (ci-après Bradbury), à Braintree (Grande-Bretagne), fabrique également de tels appareils. En 1955, elle en livra deux à la maison Grossenbacher & Co. A.-G., à Berne, qui en exposa un à Genève, au Salon de l'automobile de 1955. A la demande de Villars, qui prétendait que l'appareil fabriqué par Bradbury était une imitation servile de sa propre machine, l'engin exposé à Genève fut saisi, le 9 mars 1955, par mesure provisionnelle.
B.-
Le 21 avril 1955, Villars a fait assigner Grossenbacher & Co. A.-G. et Bradbury devant la Cour de justice de Genève. Il concluait à la validation de la saisie provisionnelle et, en outre, demandait notamment à la juridiction cantonale de constater que Bradbury avait, avec l'aide de Grossenbacher & Co. A.-G., indûment fabriqué et vendu le lift Bradbury, imitation du lift Vilver; d'interdire à Bradbury et Grossenbacher de continuer à fabriquer, utiliser ou mettre en circulation le lift Bradbury en Angleterre et en Suisse; de les condamner solidairement à lui payer 100 000 fr. de dommages-intérêts; de constater que la maison Bradbury avait commis des actes de concurrence déloyale en donnant des indications inexactes ou fallacieuses sur sa marchandise, en prenant des mesures destinées ou propres à faire naître une confusion avec les marchandises ou l'entreprise de Villars, en exploitant les secrets ou procédés qu'elle avait appris contrairement à
BGE 82 II 159 S. 161
la bonne foi et en exposant au Salon de Genève l'appareil de levage Bradbury; d'ordonner la cessation de ces actes et la suppression de l'état de fait qui en résultait; de condamner Bradbury à lui payer 20 000 fr. pour ces actes de concurrence déloyale et d'ordonner la destruction de l'appareil saisi ainsi que la publication de l'arrêt.
La maison Bradbury a excipé de l'incompétence des tribunaux suisses pour connaître de l'action dirigée contre elle et a conclu à ce que le demandeur fût débouté, dans cette mesure, des fins de son action. Subsidiairement, elle a offert de prouver qu'elle fabriquait les appareils litigieux à Braintree (Angleterre), que c'est dans cette localité qu'elle avait vendu deux appareils à Grossenbacher & Co. A.-G., que celle-ci s'était chargée du transport à partir du port anglais et avait monté le lift à Genève, qu'ainsi, elle n'avait elle-même commis en Suisse aucun acte qui pût créer un for dans ce pays.
Par jugement incident du 10 janvier 1956, la Cour de justice de Genève a rejeté l'exception d'incompétence.
C.-
Contre cette décision, la maison Bradbury recourt en réforme au Tribunal fédéral en reprenant les conclusions qu'elle a formulées dans l'instance cantonale. Elle prétend que la juridiction genevoise a violé les art. 5 LCD et 42 LBI.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En vertu de l'art. 49 OJ, on peut former un recours en réforme contre les décisions incidentes prises séparément du fond par les juridictions visées à l'art. 48 al. 1 et 2 OJ, pour violation des prescriptions de droit fédéral au sujet de la compétence à raison de la matière ou du lieu. En l'espèce, la décision attaquée a été rendue par le tribunal suprême du canton de Genève et le recourant prétend que cette juridiction a violé les prescriptions sur la compétence contenues dans les lois fédérales sur les brevets d'invention et la concurrence déloyale. Dès lors, les conditions exigées par l'art. 49 OJ sont remplies et le recours de Bradbury est recevable.
BGE 82 II 159 S. 162
2.
a) Villars reproche en premier lieu à Bradbury d'avoir violé les droits qui lui compètent en vertu de son brevet et il fonde, dans cette mesure, son action sur l'art.42 al. 2 et 3 de la loi fédérale sur les brevets d'invention du 21 juin 1907. C'est avec raison qu'il invoque cette loi. En effet, pour juger la question de la compétence, il faut se reporter au moment de l'introduction de l'action. Or, en avril 1955, la loi de 1907 était encore applicable, la nouvelle loi sur les brevets d'invention du 25 juin 1954 n'étant entrée en vigueur que le 1er janvier 1956.
b) Le texte de l'art. 42 LBI de 1907 ne par le que des "demandes en indemnité". Mais cette disposition s'applique aussi aux actions en constatation, en cessation d'un acte et en destruction d'objets saisis en Suisse. Le législateur n'a pu vouloir que, pour le même état de fait, on doive intenter deux procès devant des juges différents pour peu que l'on ne conclue pas uniquement à l'allocation de dommages-intérêts (cf. WEIDLICH et BLUM, Das schweizerische Patentrecht, II, ad art. 42 rem. 3 b al. 1, et, pour le droit allemand, REIMER, Patentgesetz, II, ad § 47 rem. 98). Aussi bien les règles de for que contient la nouvelle loi du 25 juin 1954 s'appliquent-elles expressément à toutes les actions que peut intenter le titulaire du brevet (cf. art. 72 et suiv., en particulier art. 75). De même, le Tribunal fédéral a jugé, sous l'empire de l'ancienne loi des 29 juin 1888/23 septembre 1893, que le titulaire du brevet pouvait intenter des actions en constatation de droit ou en cessation du trouble bien que l'art. 25 de cette loi ne parlât que d'"indemnités civiles" (RO 29 II 355). Du reste, Bradbury paraît admettre cette interprétation extensive de l'art. 42 LBI de 1907.
c) La recourante prétend cependant qu'elle n'a eu aucune activité en Suisse, de sorte que, si elle a violé les droits de Villars, elle n'a pu le faire qu'en Angleterre; dès lors, Genève ne serait pas le lieu de la commission selon l'art. 42 LBI de 1907.
L'art. 42 LBI institue des fors identiques pour l'action
BGE 82 II 159 S. 163
pénale et l'action civile (cf. SCHURTER et FRITZSCHE, Das Zivilprozessrecht der Schweiz, I, p. 460/1). Or, selon un principe fondamental du droit pénal, une infraction est réputée commise tant au lieu où l'auteur a agi qu'au lieu où le résultat s'est produit (cf. art. 7 CP). Ce même principe doit donc s'appliquer également au for de l'action civile institué par l'art. 42 LBI de 1907. Du reste, on admet de façon générale que, lorsque la loi de procédure civile crée un for au lieu de commission de l'acte illicite, l'action peut être intentée non seulement à l'endroit où l'auteur a agi, mais aussi au lieu où l'acte a sorti effet (cf. LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3e éd., ad art. 26 rem. 5; SCHÖNKE, Zivilprozessrecht, 5e éd., p. 133).
Il suffit donc, pour que la recourante puisse être actionnée à Genève, qu'elle ait contribué par ses actes à ce qu'un de ses appareils fût exposé au Salon de Genève, c'est-à-dire à ce qu'il y fût mis en vente selon l'art. 38 LBI. Peu importe que les actes eux-mêmes aient été commis à l'étranger; de même, il est indifférent que la recourante ne se soit pas occupée du transport en Suisse.
Or il est certain que l'exposition de l'appareil à Genève n'a pu avoir lieu sans la collaboration de Bradbury. A cet égard, il importe peu de savoir si la recourante est intervenue comme coauteur ou comme complice. Car le complice commet aussi un acte illicite selon le droit civil et le for de la commission lui est également applicable (cf. STEIN/JONAS/SCHÖNKE, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 17e éd., ad § 32 rem. III/3). En outre, on pourrait retenir un acte de complicité même si Bradbury n'avait agi que par négligence. Mais il n'est pas douteux qu'elle savait que les appareils vendus à Grossenbacher & Co. A.-G. étaient destinés à la Suisse.
La recourante relève enfin qu'aux termes de l'art. 42 LBI de 1907, sont compétents pour juger les plaintes les tribunaux du lieu où le délit a été commis ou du domicile du délinquant et, si plusieurs personnes sont impliquées
BGE 82 II 159 S. 164
dans l'affaire, du domicile de l'un des délinquants; elle en conclut que, si l'acte illicite est le fait de plusieurs personnes, l'action ne peut être intentée qu'au domicile de l'une d'elles. Mais cette interprétation est erronée. Il est manifeste, en effet, que l'art. 42 permet toujours d'introduire l'action au lieu de la commission. C'est seulement le second des fors alternatifs prévus par l'art. 42 qui, en cas de pluralité d'auteurs, est remplacé par le for du domicile de l'un d'eux. Du reste, le texte allemand de cette disposition ne laisse aucun doute sur ce point.
3.
La maison Bradbury est aussi actionnée en vertu de la loi sur la concurrence déloyale. L'art. 5 de cette loi permet de porter l'action devant le juge du lieu où l'acte a été commis, si le défendeur n'a pas de domicile en Suisse. Or cette disposition entend également, par lieu de la commission, tant l'endroit où l'auteur de l'atteinte a agi que le lieu où le résultat s'est produit. La recourante soutient, il est vrai, que le résultat qui s'est produit à Genève ne procède pas de ses propres actes, mais de ceux de Grossenbacher & Co. A.-G. Cependant il importe peu, au regard de l'art. 5 LCD, qu'elle ait dû agir par un intermédiaire; elle n'ignorait pas que la livraison à Grossenbacher & Co. A.-G. aurait pour effet que ses appareils de levage seraient mis en vente en Suisse. Dès lors, l'action fondée sur la loi sur la concurrence déloyale pouvait également être intentée à Genève.
4.
La Cour de justice paraît cependant avoir considéré qu'elle était compétente pour statuer sur toutes les conclusions du demandeur. Cette opinion est erronée. (Lorsque le défendeur est domicilié à l'étranger, réd.) les tribunaux suisses ne peuvent connaître de violations de brevets ou d'actes de concurrence déloyale, en vertu des art. 42 LBI et 5 LCD, que dans la mesure où ces actes ont été commis ou ont sorti effet en Suisse. Il en résulte que la Cour de justice de Genève ne saurait prendre des mesures visant la fabrication des appareils de levage en Angleterre; elle ne pourrait donc l'interdire. De même, elle n'est pas compétente
BGE 82 II 159 S. 165
pour se prononcer sur les ventes effectuées hors de Suisse et ne saurait, par exemple, allouer des dommagesintérêts au demandeur pour de tels actes.
En revanche, si un juge suisse est saisi en vertu des art. 42 LBI et 5 LCD, il est compétent pour connaître de tous les actes du défendeur qui ont été commis ou ont produit un résultat en Suisse. Les fors institués par ces dispositions sont en effet des fors de droit fédéral et on ne saurait exiger du demandeur qu'il intentât un procès dans chaque canton où les actes incriminés ont été commis ou ont sorti effet.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
Le recours est rejeté dans le sens des motifs. | public_law | nan | fr | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7aa3df9-6330-49ce-a756-05939fd43f23 | Urteilskopf
118 Ia 473
63. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1992 i.S. F. gegen R. und Regierungsrat des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Regelung des persönlichen Verkehrs eines mit der Mutter des Kindes nicht verheirateten Vaters. Bundesrechtliche Rechtsmittel. Anforderungen an das kantonale Verfahren (
Art. 275 Abs. 1 ZGB
und
Art. 44 OG
;
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
,
Art. 361 ZGB
und
Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB
;
Art. 64 EMRK
).
1. Treffen die vormundschaftlichen Behörden Anordnungen über den persönlichen Verkehr des Vaters mit dem Kind, so kann dieses dagegen nicht Berufung beim Bundesgericht einlegen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).
2. Die vom Bundesrat zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK 1988 abgegebene "auslegende Erklärung" stellt einen unzulässigen Vorbehalt dar. Die Kantone müssen deshalb die Zuständigkeiten im Vormundschaftsbereich so regeln, dass Anordnungen über den persönlichen Verkehr wenigstens im Rechtsmittelverfahren durch ein Gericht beurteilt werden können (E. 5 bis E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 474
BGE 118 Ia 473 S. 474
A.-
Am 19. Juni 1988 gebar Sandra F. die Tochter Elisabeth. Mit Urteil vom 4. Dezember 1989 wurde R. als Vater des Kindes Elisabeth festgestellt und seine Unterhaltspflicht geregelt.
B.-
Mit Eingabe vom 14. Juni 1990 ersuchte R. die Vormundschaftsbehörde Frauenfeld um Einräumung eines Besuchsrechts gegenüber der Tochter Elisabeth. Mit Entscheid vom 7. Mai 1991 wies die Vormundschaftsbehörde dieses Gesuch ab. Am 9. Juli 1991 schützte der Bezirksrat Frauenfeld diesen Beschluss auf Beschwerde von R. hin.
Eine gegen diesen Entscheid von R. eingereichte Vormundschaftsbeschwerde wurde am 28. April 1992 vom Regierungsrat des Kantons Thurgau gutgeheissen, und es wurde ein Besuchsrecht von einem halben Tag pro Monat festgesetzt. Zur Durchführung des Besuchsrechts wurde dem Kind Elisabeth ein Beistand nach
Art. 308 Abs. 2 ZGB
ernannt.
C.-
Das Kind Elisabeth gelangt mit Berufung an das Bundesgericht.
R. beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei.
Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat sich zur Berufung nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht nimmt die Berufung als staatsrechtliche Beschwerde entgegen und heisst sie gut, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Die Berufung richtet sich gegen einen Entscheid, der den persönlichen Verkehr des Vaters mit der minderjährigen Tochter regelt. Gemäss
Art. 275 Abs. 1 ZGB
ist dafür die Vormundschaftsbehörde zuständig. Entsprechend hat vorliegend der Regierungsrat als obere vormundschaftliche Aufsichtsbehörde entschieden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist gegen solche Entscheide
BGE 118 Ia 473 S. 475
die Berufung nicht gegeben (
BGE 107 II 499
). Die Berufungsklägerin hat dennoch - der Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid folgend - Berufung eingereicht. Sie sieht in der genannten bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Verletzung von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Für den Fall, dass das Bundesgericht ihre Auffassung nicht teilen sollte, beantragt sie, die Berufung als staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen.
a)
Art. 44 OG
hält fest, dass die Berufung in nicht vermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeiten (contestations civiles; cause civili) zulässig ist, sowie in einzeln aufgeführten Zivilsachen, die nicht zur streitigen Gerichtsbarkeit gehören. Der im Gesetz aufgeführte Katalog der berufungsfähiges Fälle der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich abschliessend.
In
BGE 107 II 499
hat das Bundesgericht entschieden, die Regelung des Besuchsrechts durch die Vormundschaftsbehörde sei den nichtstreitigen Zivilsachen zuzurechnen und eine Berufung sei mangels Aufnahme in den Katalog von
Art. 44 OG
nicht gegeben.
b) Wie die Beschwerdeführerin vorbringt, ist dieser Entscheid in der Literatur auf Kritik gestossen.
HEGNAUER geht davon aus, dass der Ausschluss der Berufung
Art. 4 BV
und
Art. 14 EMRK
verletze, weil es eine durch nichts zu rechtfertigende Rechtsungleichheit sei, wenn die Besuchsrechtsfrage im Zusammenhang mit einem Scheidungs- oder Abänderungsverfahren vom Bundesgericht auf Berufung hin überprüft werde, das gleiche aber bei einer Besuchsrechtsregelung ausserhalb der Scheidung nicht möglich sei (HEGNAUER, Berner Kommentar, 1991, N 95 zu
Art. 275 ZGB
).
Diese Kritik richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber. Das Bundesgericht kann demgegenüber dieser Kritik ausschliesslich im Rahmen von
Art. 113 Abs. 3 BV
Rechnung tragen. Nur soweit die behauptete Grundrechtsverletzung nicht durch den Gesetzgeber vorgeschrieben wird, ist eine Änderung der Rechtsprechung möglich. Dies verkennt auch HEGNAUER nicht. Er hält aber den Begriff der "Zivilrechtsstreitigkeit" für genügend offen, um in verfassungskonformer Auslegung auch die Anordnungen über den persönlichen Verkehr dazu rechnen zu können.
POUDRET (Commentaire OG, Bd. II, Bern 1990, Titre II n. 1.2.24) erachtet die dogmatischen Erwägungen des Bundesgerichts für nicht stichhaltig. Die Abgrenzung erfolge nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aufgrund von drei Elementen. Es müsse nämlich ein kontradiktorisches Verfahren vorliegen, das sich zwischen zwei oder
BGE 118 Ia 473 S. 476
mehreren Parteien abspiele und auf die endgültige oder dauerhafte Regelung von Rechten abziele (insbesondere:
BGE 107 II 505
;
BGE 115 II 239
). Die ersten beiden Elemente seien aber nicht ausschlaggebend, so dass nur das dritte für die Abgrenzung massgebend sein könne. Es sei insbesondere ohne weiteres möglich, dass eine Zivilrechtsstreitigkeit ohne Gegenpartei oder mit deren Einverständnis ausgetragen werde (POUDRET, Titre II. n. 1.1). Mit der Regelung des Besuchsrechts entscheide die Vormundschaftsbehörde über ein subjektives Recht des entsprechenden Elternteils, auch wenn sich dieser Anspruch nicht notwendigerweise gegen den andern Elternteil richte. Von daher handle es sich bei den entsprechenden Verfahren um streitige Gerichtsbarkeit. Für den Ausschluss der Berufungsfähigkeit bleibe als einziges Argument, dass der Gesetzgeber bewusst die Regelung des Besuchsrechts durch die vormundschaftlichen Behörden nicht in den Ausnahmekatalog von
Art. 44 OG
aufgenommen habe (POUDRET, Titre II, n. 1.2.24).
c) Die Abgrenzung der streitigen von der freiwilligen Gerichtsbarkeit erweist sich in der Tat als nicht einfach. Mit dem Ausnahmekatalog von
Art. 44 OG
zeigt der Gesetzgeber indessen auf, welche Art behördlicher Anordnungen in diesem Zusammenhang der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen sind. Es handelt sich um behördliche Anordnungen, die, ohne über den Bestand zu entscheiden, der Ausübung oder Erhaltung eines Rechts oder Interesses dienen (
BGE 104 II 165
; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, Diss. Lausanne 1964, S. 13 ff.). Dieser Charakter wird nicht dadurch verändert, dass durch den Einspruch einer Drittperson faktisch ein Zweiparteienverfahren entsteht (MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, Rz. 54).
Gemäss
Art. 275 Abs. 1 ZGB
trifft die Vormundschaftsbehörde die nötigen "Anordnungen über den persönlichen Verkehr". Nach dem dritten Absatz der gleichen Bestimmung kann ohne entsprechende Anordnungen der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen jener Person ausgeübt werden, der die elterliche Gewalt beziehungsweise die Obhut zusteht. Die Vormundschaftsbehörde hat somit die Massnahmen zu treffen, die nötig sind, um das Recht überhaupt ausüben zu können. Sie muss das Recht auf persönlichen Verkehr konkretisieren. Es geht aber ebenso um die für die Durchsetzung nötigen Massnahmen. Die Vormundschaftsbehörde hat Vorkehren zu treffen, die den für die Ausübung des Besuchsrechts nötigen Rahmen schaffen. In diesem Zusammenhang kann sie
BGE 118 Ia 473 S. 477
jedoch ausnahmsweise genötigt sein, das Recht auf persönlichen Verkehr zu verweigern oder zu entziehen, weil mit seiner Ausübung das Interesse des Kindes gefährdet wird. Grundsätzlich hat die Vormundschaftsbehörde aber nicht über den Bestand eines Anspruches auf persönlichen Verkehr zu befinden. Die behördliche Intervention ist durch die Besonderheit nötig, dass dieses Recht gegen den Willen des anderen Elternteils nicht ohne behördliche Hilfe ausgeübt werden darf. Die Anordnung der Vormundschaftsbehörde hat von daher stark vollstreckungsrechtlichen Charakter, so dass es sich rechtfertigen kann, sie nicht zu den Zivilrechtsstreitigkeiten zu rechnen, auch wenn dies nicht ganz zu befriedigen vermag. Ausschlaggebend ist indessen ein Vergleich mit den anderen im Ausnahmekatalog von
Art. 44 OG
aufgeführten Gegenständen. Namentlich Art. 44 Buchst. d OG zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber für die Frage der Berufungsfähigkeit diese Art von Entscheiden der vormundschaftlichen Behörden nicht den Zivilrechtsstreitigkeiten zugerechnet hat und das Rechtsmittel der Berufung nicht gewähren wollte. Andernfalls hätte der stärker in die Rechtsstellung der Eltern eingreifende und zudem in jedem Fall von einer kantonalen Gerichtsbehörde überprüfbare (vgl.
Art. 314 Ziff. 1 ZGB
) Entzug der elterlichen Gewalt nicht in den Ausnahmekatalog von
Art. 44 OG
aufgenommen werden müssen. Dieser gesetzgeberische Entscheid bindet das Bundesgericht (
Art. 113 Abs. 3 BV
), so dass die Frage der dogmatisch richtigen Einordnung der Anordnungen über den persönlichen Verkehr für den Ausgang des Verfahrens ohne Bedeutung bleiben muss.
Insofern ist auch die Kritik HEGNAUERS nicht beachtlich, der die Berufungsfähigkeit aus
Art. 4 BV
und der EMRK ableiten will (HEGNAUER, a.a.O. N 95 zu
Art. 275 ZGB
).
Auf die Eingabe kann nicht als Berufung eingetreten werden.
3.
Die Beschwerdeführerin beantragt, die Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen, falls die Sache nicht berufungsfähig sei. Dies ist ohne weiteres möglich, da die Frist mit der rechtzeitigen Einreichung beim Regierungsrat gewahrt worden ist (Art. 32 Abs. 4 Buchst. a OG) und die Eingabe grundsätzlich auch den an eine staatsrechtliche Beschwerde zu stellenden Anforderungen genügt.
4.
Für den Fall der Umwandlung der Berufung in eine staatsrechtliche Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin vor, der angefochtene Entscheid verletze
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, weil ausschliesslich Verwaltungsbehörden über den persönlichen Verkehr entschieden
BGE 118 Ia 473 S. 478
hätten. Zudem habe der Regierungsrat die Art. 273 f. ZGB willkürlich angewendet.
5.
a) Dass behördliche Verfügungen über den persönlichen Verkehr zwischen einem Vater und seiner minderjährigen Tochter zu den Entscheiden "über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen" im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
zählen, steht aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausser Zweifel (Urteil vom 8. Juli 1987 i.S. W. gegen Vereinigtes Königreich, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 121, EuGRZ 1990, S. 542 f., Ziff. 72 ff.). Es kann auch nicht bestritten werden, dass das bisherige Verfahren ausschliesslich vor Verwaltungsbehörden stattgefunden hat. Nach der Behördenorganisation des Kantons Thurgau ist der Gemeinderat als Waisenamt für alle Obliegenheiten der Vormundschaftsbehörde zuständig (§ 8 Ziff. 5 EG ZGB TG). Der Bezirksrat ist die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde erster (§ 14 Ziff. 1 EG ZGB TG) und der Regierungsrat jene zweiter Instanz (§ 16 Buchst. C. Ziff. 1 EG ZGB TG). Diese Behörden genügen den Anforderungen von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht.
Wohl ist die Bezeichnung der Behörde mit Blick auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ohne Bedeutung. Es kommt auf die tatsächliche Ausgestaltung der entsprechenden Behörde an. Diese muss unparteiisch (impartial) und unabhängig (indépendant/independent) sein sowie eine gesetzliche Grundlage (établi par la loi/established by law) aufweisen. Zudem hat das Verfahren vor diesem Gericht so organisiert zu sein, dass die Sache "... in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird" (
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
). Schliesslich muss es die rechtserheblichen Tatsachen selber erheben, die Rechtssätze auf diesen in einem rechtsstaatlichen Verfahren ermittelten Sachverhalt anwenden und für die Parteien bindende Entscheidungen in der Sache fällen (MIEHSLER/VOGLER, Internationaler EMRK-Kommentar, N 287 zu
Art. 6 EMRK
). Auch wenn dem Regierungsrat weder die gesetzliche Grundlage noch die Unparteilichkeit abgesprochen werden kann, so fehlt es doch an der Unabhängigkeit. Während für die richterlichen Behörden § 51 der Verfassung des Kantons Thurgau vom 16. März 1987 (im folgenden: KV TG [SR 131.228]) die Unabhängigkeit ausdrücklich festhält, fehlt eine entsprechende Bestimmung für den Regierungsrat. Dieser untersteht vielmehr in umfassender Weise der Aufsicht des Grossen Rates (§ 37 KV TG). Da er schon aus diesem Grund nicht als Gericht im Sinne von
Art. 6 Abs. 1 EMRK
angesehen werden kann, erübrigt es
BGE 118 Ia 473 S. 479
sich zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die an ein gerichtliches Verfahren zu stellenden Anforderungen erfüllt worden sind, namentlich ob der Regierungsrat als entscheidende Behörde tatsächlich selber von den Akten Kenntnis genommen sowie die Sache beurteilt und nicht einfach den durch einen Beamten getroffenen Entscheid genehmigt hat.
Ein Weiterzug des regierungsrätlichen Entscheides an ein kantonales Gericht ist schon aufgrund von
Art. 361 ZGB
ausgeschlossen.
b) Mit Blick auf
Art. 113 Abs. 3 BV
fragt es sich indessen, ob das Bundesgericht überhaupt die Behördenorganisation überprüfen darf oder ob der Gesetzgeber sich verbindlich für die Freiheit der Kantone entschieden hat.
Art. 361 ZGB
sieht vor, dass die Kantone die Vormundschaftsbehörde sowie eine oder zwei Aufsichtsbehörden bestimmen. Handelt das Gesetz weder ausdrücklich vom Richter noch ausdrücklich von einer Verwaltungsbehörde, so sind die Kantone nach
Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB
frei, ob sie ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde als zuständig bezeichnen wollen. Wo das Gesetz demgegenüber von einem "Richter" spricht, dürfen die Kantone nur eine gerichtliche Behörde einsetzen, und wo es von einer "Verwaltungsbehörde" handelt, muss es eine solche sein (BECK, Berner Kommentar, 1932, N 2 zu
Art. 54 SchlT ZGB
). Dabei handelt es sich um eine Auslegungsregel, die besagt, dass das ZGB in dieser Frage wörtlich auszulegen sei. Darüber hinaus kommt
Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB
aber keine selbständige Bedeutung zu.
Fraglich kann somit nur sein, ob der Gesetzgeber mit
Art. 361 ZGB
bestimmt habe, dass den Kantonen die Wahl zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden im Vormundschaftswesen offenstehen müsse. Auch dieser Bestimmung kann aber nur entnommen werden, dass das ZGB die Kantone nicht in ihrer Organisationsfreiheit beschränkt. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, es könne sich keine Einschränkung aus anderen Rechtssätzen ergeben. Soweit solche anderen Rechtssätze nach
Art. 113 Abs. 3 BV
für das Bundesgericht gleichfalls verbindlich sind, ist auf dem Wege der Auslegung eine Lösung zu suchen.
aa) Aus
Art. 361 ZGB
in Verbindung mit
Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB
ergibt sich, dass das Bundesrecht weder als Vormundschaftsbehörde noch als Aufsichtsbehörde ein Gericht vorschreibt. Mit Bezug auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fragt sich nur, ob eine dieser Behörden ein Gericht sein muss. Aus der EMRK lässt sich jedoch keinesfalls schliessen, dies müsse immer die Aufsichtsbehörde oder immer die Vormundschaftsbehörde sein. Diese organisatorische Freiheit
BGE 118 Ia 473 S. 480
verbleibt in jedem Fall den Kantonen. Insofern kann aber auch gar kein Widerspruch zwischen
Art. 361 ZGB
und
Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB
einerseits und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
andererseits erblickt werden. Selbst wenn die EMRK eine umfassende richterliche Überprüfung vorschreiben sollte, behält der im ZGB enthaltene Grundsatz Gültigkeit, dass die Kantone sowohl bei der Bezeichnung der Vormundschaftsbehörde als auch bei der Bezeichnung der Aufsichtsbehörden frei sind, ob sie diese als Gerichte ausgestalten wollen oder als Verwaltungsbehörden. Aus der EMRK ergäbe sich nur die zusätzliche Regel, dass die Kantone nicht alle Behörden als blosse Verwaltungsbehörden ausgestalten können. Das widerspricht dem ZGB nicht; dieses bestimmt nicht, es müsse den Kantonen freistehen, alle vormundschaftlichen Behörden gleichzeitig als blosse Verwaltungsbehörden ausgestalten zu können. Mangels eines Widerspruchs zwischen Gesetzesrecht und Staatsvertrag bleibt vorliegend
Art. 113 Abs. 3 BV
ohne Einfluss.
bb) Selbst wenn man einen Widerspruch zum ZGB annehmen wollte, stünde
Art. 113 Abs. 3 BV
einer Anwendung von
Art. 6 EMRK
nicht entgegen. Als späteres Recht ginge der Staatsvertrag dem früheren Gesetzesrecht ohne weiteres vor (vgl.
BGE 111 Ib 71
; HALLER, Kommentar BV, Basel/Zürich/Bern 1987, N 217 zu
Art. 113 BV
). Ob ein Staatsvertrag nicht schon aufgrund der Normenhierarchie dem Gesetz vorgeht, müsste somit auch bei dieser Betrachtungsweise nicht geklärt werden (vgl.
BGE 111 Ib 71
).
Art. 113 Abs. 3 BV
kann das Bundesgericht somit in keinem Fall daran hindern zu prüfen, ob aufgrund von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
die Kantone wenigstens eine vormundschaftliche Behörde als Gericht mit umfassender Kognition ausgestalten müssen.
6.
a) Die Schweiz hat 1974 bei der Ratifizierung der EMRK eine auslegende Erklärung zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
abgegeben, nach der für den schweizerischen Bundesrat die in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
enthaltene Garantie eines gerechten Prozesses, "sei es in bezug auf Streitigkeiten über zivilrechtliche Rechte und Pflichten, sei es in bezug auf die Stichhaltigkeit der gegen eine Person erhobenen strafrechtlichen Anklage, nur" bezwecke, "dass eine letztinstanzliche richterliche Prüfung der Akte oder Entscheidungen der öffentlichen Gewalt über solche Rechte und Pflichten oder über die Stichhaltigkeit einer solchen Anklage stattfindet" (AS 1974 2173).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 29. April 1988 i.S. Belilos (Série A, Nr. 132 = EuGRZ 1989, S. 21 ff.) zu dieser Erklärung ausgeführt, dass diese einen durch
BGE 118 Ia 473 S. 481
Art. 64 Ziff. 1 EMRK
verbotenen "Vorbehalt allgemeiner Art" enthalte, da die Formulierung "letztinstanzliche richterliche Prüfung der Akte oder Entscheidungen der öffentlichen Gewalt über solche Rechte und Pflichten oder über die Stichhaltigkeit einer solchen Anklage" es nicht erlaube, die Tragweite der von der Schweiz übernommenen Verpflichtung genau festzulegen. Es sei weder genau ersichtlich, welche Arten von Streitsachen von der auslegenden Erklärung erfasst werden sollen, noch ob sich die letztinstanzliche richterliche Prüfung ausschliesslich auf Rechtsfragen oder auch auf Tatfragen beziehen soll. Aus diesem Grund kam der Europäische Gerichtshof zum Schluss, dass es sich bei der auslegenden Erklärung um einen nach
Art. 64 Abs. 1 EMRK
unzulässigen Vorbehalt allgemeiner Art handle (Urteil Belilos, Ziff. 55).
In der Folge dieses Entscheides hat der Bundesrat die auslegende Erklärung von 1974 in zwei Punkten "verdeutlicht" beziehungsweise geändert. Zum einen bezieht sie sich nur noch auf "Streitigkeiten über zivilrechtliche Rechte und Pflichten" und nicht mehr auch auf "die Stichhaltigkeit der gegen eine Person erhobenen strafrechtlichen Anklage". Zum andern hat der Bundesrat eine nicht abschliessende Liste mit kurzer Inhaltsangabe all jener eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen der auslegenden Erklärung beigefügt, die von dieser betroffen seien. Dabei finden sich auch § 14 Ziff. 1 und § 16 Buchst. C. Ziff. 1 EG ZGB TG (Zuständigkeit des Bezirksrates und des Regierungsrates als vormundschaftliche Aufsichtsbehörden). Mit Bezug auf die Zuständigkeit des Gemeinderates als Vormundschaftsbehörde liegt ein offensichtliches Versehen vor, indem § 7 Ziff. 5 EG ZGB TG aufgeführt wird, statt § 8 Ziff. 5 EG ZGB TG.
Soweit diese Erklärung des Bundesrates besagt, dass eine letztinstanzliche gerichtliche Überprüfung den Anforderungen von
Art. 6 Abs. 1 EMRK
genüge, stimmt die Auslegung mit jener überein, die auch der Europäische Gerichtshof dieser Bestimmung beimisst. Demgegenüber widerspricht die Beschränkung der richterlichen Prüfungsbefugnis auf die Rechtsanwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 8. Juli 1987 i.S. W. Ziff. 82; Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 121). Insofern handelt es sich nicht nur um eine auslegende Erklärung, sondern um einen eigentlichen Vorbehalt.
b) Die Zulässigkeit dieses Vorbehaltes ist in der Lehre umstritten (vgl. insbesondere GUILLOD, Les garanties de procédure en droit tutélaire, ZVW 1991, S. 52; SCHWEIZER, Auf dem Weg zu einem
BGE 118 Ia 473 S. 482
schweizerischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht, ZBl 1990, S. 214 f.; STEFAN OETER, Die "auslegende Erklärung" der Schweiz zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und die Unzulässigkeit von Vorbehalten nach
Art. 64 EMRK
, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1988, S. 522; GÉRARD COHEN-JONATHAN, Les réserves à la CEDH, Revue générale de droit international public, 1989, S. 313 f.; THOMAS SCHMUCKLI, Die Fairness in der Verwaltungsrechtspflege, Diss. Freiburg 1990, S. 120 f.). Das Bundesgericht hatte bis anhin keine Gelegenheit, diese Frage zu entscheiden (vgl.
BGE 115 Ia 70
ff., wo sich die Frage letztlich nicht stellte, weil die entsprechende Gesetzgebung des Kantons Waadt vom Vorbehalt nicht erfasst wird; Urteile vom 3. April 1992 i.S. S. und Mitbeteiligte [ZBl 94/1993, S. 39 ff.] E. 4, wo sich die entsprechende Verpflichtung schon aus dem Raumplanungsgesetz ergab). In
BGE 117 Ia 192
hat das Bundesgericht nur festgestellt, es bestehe keine Veranlassung, von der Erklärung abzuweichen.
Das Bundesgericht kann sich mit Bezug auf die Gültigkeit der auslegenden Erklärung nicht auf
Art. 113 Abs. 3 BV
berufen. Diese Bestimmung verbietet nur die Kontrolle der eidgenössischen Gesetze und der allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüsse. Das Bundesgericht ist aber frei bei der Prüfung von Bundesbeschlüssen, die nicht dem Referendum unterstanden haben, wie dies für die Genehmigung der Konvention einschliesslich der Vorbehalte zutrifft (
BGE 106 Ib 186
;
104 Ib 423
; AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, Basel 1984, Rz. 187 ff.; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Neuchâtel 1967, Rz. 450, 1311 und 1518). Die Änderung der auslegenden Erklärung ist 1988 nicht vom Parlament genehmigt, sondern ausschliesslich vom Bundesrat beschlossen worden. Sie kann vom Bundesgericht auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden.
c) Wie dargestellt, genügt es nach der Strassburger Rechtsprechung indessen, wenn es sich bei der letzten nationalen mit der Sache befassten Instanz um ein Gericht handelt, das eine umfassende Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hat. Über die Gültigkeit des Vorbehaltes muss vorliegend somit nur befunden werden, sofern der Beschwerdeführerin nicht die Möglichkeit offengestanden hat, das Bundesgericht in einem Verfahren anzurufen, das eine umfassende Überprüfung erlaubt hätte. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Beschwerdeführerin dies auch getan hat. Es muss genügen, wenn sie die entsprechende Möglichkeit gehabt hätte. Der Beschwerdeführerin stand als einziges Rechtsmittel die staatsrechtliche Beschwerde offen.
BGE 118 Ia 473 S. 483
Eine mit Bezug auf den Sachverhalt auf den Blickwinkel der Willkür beschränkte gerichtliche Überprüfung genügt aber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte den Anforderungen von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht (MIEHSLER/VOGLER, N 307 zu
Art. 6 EMRK
; vgl. Urteil EGMR vom 8. Juli 1987 i.S. R., Ziff. 87, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 121; Urteil i.S. W., EuGRZ 1990, S. 544, Ziff. 82;
BGE 115 Ia 70
E. 2c und 410;
117 Ia 386
E. c). Dies jedenfalls, wenn nicht nur die Rechtsanwendung, sondern auch die Sachverhaltsfeststellungen umstritten sind.
Dass das Bundesgericht die Anwendung von
Art. 6 Abs. 1 EMRK
frei prüft (
BGE 117 Ia 388
), hilft nicht weiter, da sich hier die freie Prüfung nur auf die Verfahrensgarantien, nicht aber auf den materiellen Gehalt des angefochtenen Entscheides bezieht.
Ein Entscheid über die Anordnung oder den Entzug des persönlichen Verkehrs stellt sowohl für den das Besuchsrecht begehrenden Elternteil als auch für das Kind einen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben im Sinne von
Art. 8 EMRK
dar (Urteil W., Ziff. 59 ff.;
BGE 115 Ib 4
ff.). Gleichzeitig handelt es sich um einen schweren Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit. Dieses erfasst nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen (
BGE 112 Ia 162
mit Hinweisen). Dazu gehört zweifellos auch das Recht auf den persönlichen Umgang mit seinen Nächsten beziehungsweise das Recht, mit diesen nicht verkehren zu müssen. Soweit es um schwere Eingriffe in die persönliche Freiheit geht, kommt dem Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren - wie auch bei Eingriffen in die Eigentumsgarantie - mit Bezug auf die Rechtsanwendung nicht nur eine auf Willkür beschränkte Kognition zu (
BGE 117 Ia 395
). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht - unabhängig davon, ob es sich um einen leichten oder einen schweren Eingriff handelt - nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (
BGE 117 Ia 74
mit Hinweisen;
BGE 115 Ia 70
E. 2c am Ende; vgl. auch
BGE 117 Ia 386
; AUER, S. 262 Rz. 487).
Der Beschwerdeführerin stand somit kein Rechtsbehelf zur Verfügung, der es erlaubt hätte, nicht nur die Rechtsanwendung, sondern auch die Sachverhaltsfeststellung von einem Gericht umfassend prüfen zu lassen.
BGE 118 Ia 473 S. 484
7.
Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Eingabe geltend, der Regierungsrat habe die Frage, ob das Besuchsrecht das Kindeswohl gefährde, nicht genügend abgeklärt. Sie stellt den Eventualantrag, die Sache zu weiteren Abklärungen an den Regierungsrat zurückzuweisen. Der Sachverhalt ist somit umstritten, und die Beschwerdeführerin fordert auch mit Bezug auf diesen ein
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
entsprechendes Verfahren. Die staatsrechtliche Beschwerde kann vorliegend das Fehlen einer gerichtlichen Prüfung im kantonalen Verfahren somit nur heilen, sofern die auslegende Erklärung des Bundesrates zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gültig ist.
Gemäss
Art. 64 EMRK
kann jeder Staat "bei Unterzeichnung der Konvention oder bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde bezüglich bestimmter Vorschriften der Konvention einen Vorbehalt machen, soweit ein zu dieser Zeit in seinem Gebiet geltendes Gesetz nicht mit der betreffenden Vorschrift übereinstimmt". Vorbehalte allgemeiner Art sind indessen nicht zulässig, und jeder Vorbehalt muss mit einer kurzen Inhaltsangabe des betreffenden Gesetzes verbunden werden. Es erscheint unter verschiedenen Gesichtspunkten fraglich, ob der vom Bundesrat 1988 angebrachte und als auslegende Erklärung bezeichnete Vorbehalt diesen Voraussetzungen genügt.
a) Während der anlässlich der Ratifizierung 1974 angebrachte Vorbehalt vom Parlament zusammen mit der EMRK genehmigt worden ist, hat der Bundesrat die neue Formulierung der auslegenden Erklärung beschlossen, ohne sie dem Parlament zur Genehmigung vorzulegen. In der Lehre wird dieses Vorgehen vereinzelt als unzulässig bezeichnet, weil der neue Vorbehalt einen Staatsvertrag abändere und damit von der Bundesversammlung genehmigt werden müsse (THOMAS SCHMUCKLI, a.a.O., S. 120 f.).
Hat der Bundesrat mit seiner auslegenden Erklärung 1988 nur einen bereits bestehenden Vorbehalt verdeutlicht, geht diese Argumentation an der Sache vorbei, weil dann gar keine Änderung vorliegt. Sie vermag aber auch nicht zu überzeugen, falls die Erklärung von 1988 einen neu begründeten Vorbehalt darstellt. Wohl gelten für die Änderung völkerrechtlicher Verträge grundsätzlich die gleichen Regeln wie für deren Abschluss. Doch erfolgt eine Änderung nicht notwendigerweise im gleichen Verfahren wie der ursprüngliche Vertragsschluss. Vielmehr richtet sich das Verfahren und die Zuständigkeit nach der Tragweite der Vertragsänderung (ALDO LOMBARDI, Die Gestaltung des künftigen EWR-Rechts: Grundzüge des Verfahrens im EWR und im schweizerischen Recht, AJP 1992, S. 1339 f. mit Verweisen). Insbesondere kann der Bundesrat alleine handeln,
BGE 118 Ia 473 S. 485
wenn die Änderung keine neuen Pflichten begründet und keinen Verzicht auf Rechte bewirkt (HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, Zürich 1980, S. 190) oder wenn es sich um eine blosse Kündigung handelt (AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Neuchâtel 1967, N 1556). Die Erklärung, eine bestimmte staatsvertragliche Verpflichtung gelte für die Schweiz nicht, schafft für die Schweiz weder neue Pflichten, noch wird auf bestehende Rechte verzichtet. Die Zuständigkeit des Bundesrates ist somit ohne jeden Zweifel gegeben.
b)
Art. 64 Abs. 1 EMRK
sieht vor, dass die Vertragsstaaten anlässlich der Unterzeichnung oder anlässlich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde einen Vorbehalt anbringen können. Die Schweiz hat 1974 die EMRK ratifiziert; die geltende Fassung der auslegenden Erklärung stammt von 1988.
aa) Stellt die Erklärung von 1988 nur eine Präzisierung und Einschränkung des 1974 angebrachten Vorbehalts dar, ist gegen dieses Vorgehen nichts einzuwenden. Auch wenn dies weder
Art. 64 EMRK
noch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969 [SR 0.111] ausdrücklich regeln, so ist doch davon auszugehen, dass eine Neufassung eines bestehenden Vorbehaltes in der Regel jederzeit möglich sein muss, wenn damit ein bestehender Vorbehalt bloss eingeschränkt wird. Dadurch wird die völkerrechtliche Verpflichtung des entsprechenden Staates nicht vermindert, sondern in Übereinstimmung mit dem Vertragswerk vergrössert.
bb) In seinem Entscheid in Sachen Belilos hat der EGMR den von der Schweiz 1974 angebrachten Vorbehalt für den Bereich des Strafrechts als unwirksam erklärt (EuGRZ 1989, S. 21 ff.). Zum Bereich des Zivilrechts hat sich der Europäische Gerichtshof nicht geäussert. Die Gründe, die zur Unwirksamkeit des (ursprünglichen) Vorbehaltes im Bereich des Strafrechts geführt haben, lassen sich aber ohne weiteres auf das Zivilrecht übertragen.
Der Gerichtshof sah in der auslegenden Erklärung einen gegen Art. 64 Abs. 1 zweiter Satz EMRK verstossenden Vorbehalt allgemeiner Art. Die Wörter "letztinstanzliche richterliche Prüfung der Akte oder Entscheidungen der öffentlichen Gewalt über solche Rechte und Pflichten oder über die Stichhaltigkeit einer solchen Anklage stattfindet" erlaubten es nicht, die Tragweite der von der Schweiz übernommenen Verpflichtung genau festzulegen. Es sei nicht ersichtlich, ob sich die letztinstanzliche Prüfung nur auf Rechts- oder auch auf Tatfragen beziehe und welche Streitsachen im einzelnen gemeint seien (Urteil Belilos, Ziff. 55 = EuGRZ 1989, S. 29).
BGE 118 Ia 473 S. 486
Inwiefern diesbezüglich im Bereich des Zivilrechts etwas anderes gelten soll als im Bereich des Strafrechts, ist nicht zu sehen.
Zudem sah der Gerichtshof auch einen Verstoss gegen
Art. 64 Abs. 2 EMRK
als gegeben an. Der schweizerische Vorbehalt erwähne weder die einzelnen Normen, die
Art. 6 Abs. 1 EMRK
widersprächen, noch enthalte er eine kurze Inhaltsangabe der betreffenden Gesetze.
Art. 64 Abs. 2 EMRK
stelle aber nicht eine blosse Formsache dar. Die Nennung der Gesetze mit kurzer Inhaltsangabe sei für die Rechtssicherheit wichtig und diene den anderen Vertragsstaaten und den Konventionsorganen, um abzuschätzen, wie weit die völkerrechtliche Verpflichtung des Staates gehe, der den Vorbehalt angebracht habe. Der schweizerische Vorbehalt genüge diesen Anforderungen nicht und sei auch deshalb unwirksam (Urteil Belilos, Ziff. 56 ff. = EuGRZ 1989, S. 29 f.). Auch diese Argumentation lässt sich ohne Zweifel auf den Zivilrechtsbereich übertragen. Die auslegende Erklärung von 1974 erwähnte weder die von ihr betroffenen Straf- noch die entsprechenden Zivilrechtsnormen.
cc) Die vom Bundesrat anlässlich der Ratifizierung angebrachte auslegende Erklärung zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
konnte somit weder im strafrechtlichen noch im zivilrechtlichen Bereich Wirkungen entfalten. Daraus ergibt sich, dass die auslegende Erklärung von 1988 nicht als Einschränkung, Neuformulierung oder Präzisierung des bis anhin bestehenden Vorbehaltes angesehen werden kann, sondern einen erst nachträglich angebrachten Vorbehalt darstellt.
c) Die Konvention sieht nicht vor, dass auch nachträglich noch ein Vorbehalt angebracht werden könne. Mit Blick auf
Art. 64 EMRK
, der für die Abgabe eines Vorbehalts den Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung oder der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde vorsieht, muss bezweifelt werden, dass ein nachträglicher Vorbehalt noch zulässig ist (DIETER BRÄNDLE, Vorbehalte und auslegende Erklärungen zur europäischen Menschenrechtskonvention, Diss. Zürich 1978, S. 23 f.; SCHWEIZER, a.a.O., S. 215; vgl. auch Art. 19 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge [SR 0.111], das auf die EMRK allerdings keine Anwendung findet). Entsprechend hält GUILLOD (a.a.O., S. 52) fest, dass die Schweiz 1988 die Konvention kündigen und mit dem neuen Vorbehalt wieder hätte ratifizieren müssen.
aa) Es erscheint allerdings fraglich, ob ein entsprechendes Vorgehen nötig wäre, wenn damit tatsächlich ein Vorbehalt in der Art der auslegenden Erklärung von 1988 hätte angebracht werden können. Kann dieses Ziel mit einer Kündigung und neuerlichen
BGE 118 Ia 473 S. 487
Ratifizierung erreicht werden, so ist nicht einzusehen, warum der einfachere Weg eines nachträglichen Vorbehaltes nicht zulässig sein soll. Es wäre diesfalls auch zu erwägen, ob die Abgabe der auslegenden Erklärung als Kündigung mit gleichzeitiger neuer Ratifikation gedeutet werden könnte.
bb)
Art. 65 EMRK
sieht grundsätzlich die Möglichkeit einer Kündigung vor, aber erst nach einer Wirksamkeitsdauer der Konvention für den entsprechenden Staat von fünf Jahren und nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten. Während der Kündigungsfrist bleiben die Verpflichtungen aus der Konvention bestehen (
Art. 65 Abs. 2 EMRK
). Die Kündigung mit Neuratifikation unter Vorbehalt bedeutete somit, dass die Schweiz ihre Gesetzgebung nicht der Konvention anpassen und damit ihre staatsvertraglichen Pflichten bis zur Wirksamkeit des Vorbehaltes verletzen wollte. Dass der Bundesrat aber bewusst eine Konventionsverletzung vornehmen wollte, ist - selbst wenn diese Verletzung nur vorübergehend wäre - nicht anzunehmen. Überdies erschiene es fraglich, ob der Bundesrat für ein solches Vorgehen allein zuständig wäre, ginge es doch um eine Neuratifikation und damit auch formell um eine neue Übernahme völkerrechtlicher Verpflichtungen. Von daher kann der nachträglichen auslegenden Erklärung nicht der Sinn einer Kündigung mit neuer Ratifizierung beigemessen werden.
cc) Es wäre zudem fraglich, ob ein solches Vorgehen mit dem Geist der Konvention überhaupt vereinbar wäre. Gemäss Art. 19 Buchst. c des Wiener Übereinkommens [SR 0.111] sind Vorbehalte unzulässig, die mit dem Ziel und dem Zweck des entsprechenden Vertrages unvereinbar sind.
Art. 64 Abs. 1 EMRK
sieht aber vor, dass ein Vorbehalt nur bezüglich Gesetzen angebracht werden kann, die zum Zeitpunkt der Ratifizierung im entsprechenden Staat gelten. Ein Vorbehalt zugunsten erst künftig zu erlassender Gesetze ist somit nicht möglich. Dies zeigt, dass die EMRK nur die Möglichkeit vorsieht, die völkerrechtliche Bindung mit der Zeit zu verstärken, indem Vorbehalte zurückgezogen werden, dass es aber nicht möglich sein soll, später die Wirksamkeit einzelner Bestimmungen der EMRK ausser Kraft zu setzen. Mit diesem Gedanken der Integration wäre es nicht vereinbar, die Konvention bloss deshalb zu kündigen, um sie sofort wieder mit einem Vorbehalt zu ratifizieren.
Schliesslich müsste ein solches Vorgehen wohl auch als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Die Kündigung hat den Zweck, die völkerrechtliche Verpflichtung zu beenden. Eine Kündigung mit der Absicht, den Vertrag sofort wieder zu ratifizieren, verfolgt aber
BGE 118 Ia 473 S. 488
gar nicht diesen Zweck, sondern dient nur dem Anbringen eines nachträglichen Vorbehaltes. Es läge eine zweckfremde Rechtsausübung vor.
d) Es erweist sich somit, dass die auslegende Erklärung des Bundesrates von 1988 als Vorbehalt nicht wirksam ist, weil ein solcher nicht erst nach der Ratifikation der Konvention angebracht werden kann und bis 1988 kein entsprechender gültiger Vorbehalt bestanden hat. Damit erübrigt es sich zu prüfen, ob die neue Formulierung der Erklärung noch immer zu unbestimmt gehalten ist (vgl. SCHWEIZER, a.a.O., S. 215). | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a7b201d0-79f1-41f1-bd73-a9fa4d2a2051 | Urteilskopf
110 Ib 229
39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Oktober 1984 i.S. X. AG gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Warenumsatzsteuer auf dem Eigenverbrauch von Fotokopien (
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
).
1. Voraussetzungen des steuerbaren Eigenverbrauchs nach
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
(E. 2).
2. Die gewerbsmässige Herstellung kann nur im Geschäftsbetrieb der Unternehmung erfolgen (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 110 Ib 229 S. 230
Die X. AG betreibt eine Warenhauskette mit verschiedenen Filialen in der ganzen Schweiz. In diesen Filialen hat sie unter anderem Fotokopierapparate aufgestellt, die von den Kunden selbst durch Münzeinwurf bedient werden können. Die aus dem Betrieb dieser Apparate vereinnahmten Entgelte wurden von der X. AG als Hersteller-Umsätze deklariert und versteuert.
In der von den Filialen räumlich und organisatorisch getrennten Zentralverwaltung der X. AG wird auf einer separaten Anlage, die vom Personal der X. AG bedient wird, für den eigenen Bedarf jährlich eine beträchtliche Menge Fotokopien hergestellt. Die Eidgenössische Steuerverwaltung machte gegenüber der X. AG die Warenumsatzsteuer auf dem Eigenverbrauch dieser Fotokopien geltend.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der X. AG gegen den Einsprache-Entscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung gut aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 13 Abs. 1 lit. a WUStB
unterliegen der Warenumsatzsteuer unter Vorbehalt von Art. 14 die Lieferung im Inlande und der Eigenverbrauch von Waren durch den Grossisten. Eigenverbrauch liegt unter anderem vor, wenn der Grossist Waren, die er in seinem Geschäftsbetrieb gewerbsmässig hergestellt hat, anders verwendet als zum Wiederverkauf oder als Werkstoff für die gewerbsmässige Herstellung von Waren oder Bauwerken (
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
). Als gewerbsmässige Herstellung gilt jede Verarbeitung, Bearbeitung, Zusammensetzung, Instandstellung, Veredelung oder sonstige Umgestaltung einer Ware oder eines Bauwerkes, wenn der Geschäftsbetrieb des Herstellers die Herstellung für fremde Rechnung, die Veräusserung, Vermietung oder Verpachtung solcher Waren oder Bauwerke zum Zwecke hat (Art. 10 Abs. 2, zweiter und dritter Satz WUStB), d.h. wenn im Geschäftsbetrieb des Grossisten eine anhaltende Bereitschaft zu Herstellungsarbeiten dieser Art besteht (
BGE 108 Ib 42
/3 E. 2b; kritisch zu dieser Bundesgerichtspraxis in einem hier nicht strittigen Punkt, KELLER, Die warenumsatzsteuerliche Belastung von Leistungen zwischen wirtschaftlich eng verbundenen Unternehmungen, ASA 51, 232/3, Anm. 20; vgl. auch METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer, N. 394 ff., insbes. 401). Als Ware ist zu betrachten, was Gegenstand eines Fahrniskaufes (
Art. 187 OR
)
BGE 110 Ib 229 S. 231
oder eines Energielieferungsvertrages sein kann (
Art. 17 WUStB
).
Stellt ein Grossist eine Ware ausschliesslich für den eigenen Gebrauch her, so hat er nur das nötige Material steuerbelastet zu beziehen (
Art. 14 Abs. 1 lit. a und
Art. 15 Abs. 3 WUStB
) oder ausnahmsweise die Warenumsatzsteuer auf dem steuerfrei eingekauften und verwendeten Material zu entrichten (
Art. 16 Abs. 1 lit. a WUStB
; METZGER, a.a.O., N. 399). Denn in diesem Fall führt er die Herstellung nicht gewerbsmässig durch. Stellt der Grossist in seinem Geschäftsbetrieb aber gleichartige Ware gewerbsmässig her, so schuldet er die Lieferungssteuer auf dem Entgelt der gelieferten, d.h. veräusserten oder für fremde Rechnung hergestellten Waren und die Eigenverbrauchssteuer auf dem Wert der für den eigenen Bedarf gefertigten Produkte (METZGER, a.a.O., N. 400; KELLER, a.a.O., 231/2; AMONN, Der Eigenverbrauch in der eidgenössischen Warenumsatzsteuer, Diss. Bern 1957, S. 57).
In der Praxis wird die Gewerbsmässigkeit und damit die Pflicht, den Eigenverbrauch von Material und Arbeit auch hinsichtlich der für den eigenen Bedarf ausgeführten Herstellungen gleicher Art abzurechnen und zu versteuern, allerdings erst dann angenommen, wenn die für Dritte ausgeführten Reparaturen mehr als 5% des Gesamtaufwandes erreichen; machen solche Arbeiten für Dritte weniger als 5% aus, so werden nur sie als Lieferungen besteuert (METZGER, a.a.O., N. 400). Das Bundesgericht hat diese in der Praxis angewendete Toleranzgrenze nicht in Zweifel gezogen (ASA 49, 495/6 E. 3c; 38, 514 E. 1; 37, 54). Die Praxis kennt im weiteren eine Toleranzgrenze von 33 1/3% bei Lieferungen an wirtschaftlich eng verbundene Unternehmen und offenbar von 20% bei gewissen Lieferungen an die Eidgenossenschaft im Rüstungsbereich. Diese beiden Toleranzgrenzen sind indessen im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung.
3.
Im vorliegenden Fall ist offenkundig, dass die auf den Maschinen der Beschwerdeführerin angefertigten Fotokopien im Sinne des Art. 10 Abs. 2 zweiter Satz WUStB hergestellt werden und dass die von den Kunden der Beschwerdeführerin unter Zuhilfenahme der in den Filialen aufgestellten Münzautomaten angefertigten Kopien während der 5 1/4 geprüften Jahre mehr als 5% des Gesamtaufwandes für sämtliche in der Unternehmung hergestellten Kopien ausmachten.
a) Die Beschwerdeführerin hat in ihren Selbstveranlagungen das Entgelt dafür als Entgelt für steuerpflichtige Lieferungen
BGE 110 Ib 229 S. 232
abgerechnet und geht selber davon aus, diese Kopien für fremde Rechnung hergestellt oder veräussert zu haben. Es kann nicht bezweifelt werden, dass sie dabei gewerbsmässig tätig war. Soweit die Beschwerdeführerin allenfalls auf denselben in den Filialen aufgestellten und den Kunden zugänglichen Münzautomaten Kopien für den Eigenbedarf hergestellt hätte, würde sie dementsprechend auch die Eigenverbrauchssteuer gemäss
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
schulden. Dies ist im vorliegenden Fall nicht bestritten.
b) Die Beschwerdeführerin bestreitet indessen die Steuerpflicht auf dem Eigenverbrauch der in der Zentralverwaltung ausschliesslich für firmeneigene Zwecke angefertigten Fotokopien. Sie macht geltend, dass die Zentralverwaltung kein Betrieb sei und ihren Aktivitäten jede Gewerbsmässigkeit fehle. Demgegenüber hält die Eidgenössische Steuerverwaltung in ihrer Vernehmlassung fest, der Grundsatz der Einheit des Unternehmens, welcher für die Frage der Gewerbsmässigkeit der Herstellung massgebend sei, besage, dass Herstellungsvorgänge, die im einen Werksbetrieb gewerbsmässig ausgeführt werden, auch dann gewerbsmässig seien, wenn sie in einem andern Betrieb des gleichen Unternehmens vorgenommen werden. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Aktivitäten in der Zentralverwaltung könnten definitionsgemäss nicht gewerbsmässig sein, beruhe daher auf einer Verkennung der warenumsatzsteuerlichen Rechtslage.
aa) Der Eigenverbrauchssteuer unterliegen nach
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
die im Geschäftsbetrieb gewerbsmässig hergestellten Waren. Gemäss Art. 10 Abs. 2 dritter Satz WUStB können nur im Geschäftsbetrieb Waren gewerbsmässig hergestellt werden. Der Warenumsatzsteuerbeschluss unterscheidet demnach für die Umschreibung des steuerpflichtigen Eigenverbrauches zwischen dem Grossisten, der als Steuersubjekt die Unternehmung als Ganzes verkörpert, und dem vom Grossisten geführten Geschäftsbetrieb. Diese Unterscheidung im Bereiche der Hersteller-Eigenverbrauchssteuer ist für das Warenumsatzsteuerrecht nicht aussergewöhnlich; eine ähnliche Unterscheidung hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Frage der Steuerpflicht bei der Veräusserung von Betriebsmitteln getroffen (
BGE 73 I 258
ff.; ASA 17, 522 ff.; vgl. auch ASA 50, 659; METZGER, a.a.O., N. 138 f.). Im übrigen lassen sich auch im Handelsrecht (vgl. PATRY, Grundlagen des Handelsrechts, Schweizerisches Privatrecht, Band VIII/1, S. 92/93) und in der Betriebswirtschaftslehre (vgl. z.B. Handwörterbuch des Steuerrechts und der Steuerwissenschaften, C.H. Beck'sche
BGE 110 Ib 229 S. 233
Verlagsbuchhandlung, 2. Aufl., München und Bonn 1981, 1. Band, S. 250/251) die Begriffe der Unternehmung und des Betriebes unterscheiden. Während etwa unter einer Unternehmung die dauerhaft organisierte, rechtlich, finanziell und administrativ selbständige Einheit verstanden wird, in der wirtschaftliche Aufgaben zum Zwecke der Erfolgserzielung erfüllt werden, gehören zum Betrieb diejenigen Teile einer Unternehmung, in denen die eigentliche Leistungserstellung oder Produktion erfolgt. Legt man diese Unterscheidung
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
zugrunde, so unterliegen der Eigenverbrauchssteuer Waren nicht schon dann, wenn sie in der als Grossist grundsätzlich steuerpflichtigen Unternehmung hergestellt werden; die Herstellung hat vielmehr, um warenumsatzsteuerrechtlich massgebend zu sein, im eigentlichen Betrieb der Unternehmung zu erfolgen.
bb) Die organisatorisch und räumlich klar abgetrennte Zentralverwaltung eines Grossunternehmens, die ausschliesslich für eigene, administrative Zwecke Fotokopien anfertigt, stellt unter diesen Umständen keinen Teil des Geschäftsbetriebs, aber auch keinen selbständigen Geschäftsbetrieb im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
dar, in dem Waren gewerbsmässig hergestellt werden. Alles, was in der Verwaltung auf ihren eigenen Geräten angefertigt wird und ausschliesslich der Verwaltung zur Erfüllung der ihr eigenen Aufgaben dient, unterliegt somit der Hersteller-Eigenverbrauchssteuer nicht.
cc) An dem vom Bundesgericht mehrfach bestätigten und für das geltende Warenumsatzsteuerrecht fundamentalen Grundsatz der Einheit der Unternehmung (vgl. ASA 50, 663/664 E. 4b; 43, 336 E. 2; 33, 391 E. 2a; 31, 517 E. 2; METZGER, a.a.O., N. 714; WELLAUER, Warenumsatzsteuer, N. 697), auf den sich die Eidgenössische Steuerverwaltung beruft, ist prinzipiell festzuhalten. Gliedert sich somit der Geschäftsbetrieb einer Unternehmung in mehrere Betriebszweige, so beurteilt sich die Frage der gewerbsmässigen Herstellung anhand des gesamten Geschäftsbetriebes. Daher bildet etwa die Reparaturwerkstätte einer Bauunternehmung, in der vorwiegend eigene Maschinen instand gestellt werden, auch dann einen Bestandteil des Geschäftsbetriebes, wenn dieser Werkstätte im Rahmen der gesamten Unternehmung nur eine geringe Bedeutung zukommt. Der Grundsatz der Einheit der Unternehmung erlaubt es indessen nicht,
Art. 16 Abs. 1 lit. b WUStB
ausdehnend auszulegen und der Hersteller-Eigenverbrauchssteuer auch Waren zu unterwerfen, die nicht in dem als
BGE 110 Ib 229 S. 234
Geschäftsbetrieb anzusehenden Unternehmensteil, sondern in der Verwaltung der Unternehmung ausschliesslich für eigene Zwecke angefertigt werden.
dd) Aus diesen Erwägungen ist die Beschwerde gutzuheissen. Es erübrigt sich daher, auf die weiteren Einwendungen der Beschwerdeführerin einzugehen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a7b437bb-1f95-401d-b6eb-b5546c0217ea | Urteilskopf
120 Ib 70
12. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 26 janvier 1994 dans la cause Association Suisse contre les Nuisances de l'Aviation et consorts contre Grand Conseil de la République et canton de Genève (recours de droit administratif et de droit public). | Regeste
Art. 9 USG
,
Art. 5 UVPV
; Umweltverträglichkeitsprüfung.
Die Rüge, das Fehlen einer Umweltverträglichkeitsprüfung in einem Verfahren betreffend Erstellung eines Nutzungsplanes verletze
Art. 9 USG
, ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben (E. 1b).
Genehmigung einer Flughafenzone und Umweltverträglichkeitsprüfung; massgebliches Verfahren für die Schaffung oder Änderung eines Flughafens (E. 2).
Akteneinsicht (E. 3).
Art. 86 Abs. 1 OG
; Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde.
Im Rahmen der Nutzungsplanung gehört die Beschwerde im Sinne von
Art. 33 Abs. 2 RPG
zu den Rechtsmitteln des kantonalen Rechts, die zur Erschöpfung des Instanzenzugs ergriffen werden müssen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 71
BGE 120 Ib 70 S. 71
En vertu d'un arrêté législatif pris le 4 juillet 1958 par le Grand Conseil de la République et Canton de Genève, les terrains appartenant à l'Etat de Genève et compris dans le périmètre de l'aéroport de Genève-Cointrin sont classés en zone industrielle. Le 1er août 1987 est entrée en vigueur la loi cantonale d'application de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire (LaLAT); elle prévoit que le territoire du canton est réparti en "zones ordinaires" (art. 18 LaLAT), parmi lesquelles figurent les zones à bâtir, l'une d'elles étant la "zone aéroportuaire" (art. 19 al. 5 LaLAT). Le Conseil d'Etat de la République et canton de Genève a dès lors élaboré un projet de loi "modifiant le régime des zones de construction sur le territoire des communes de Bellevue, Grand-Saconnex, Meyrin et Vernier (création de la zone aéroportuaire)", le nouveau régime devant en particulier remplacer celui découlant de l'arrêté de 1958. Ce projet de loi, accompagné d'un plan du périmètre - qui comprend aussi des terrains dont la commune de Vernier est propriétaire -, a été mis à l'enquête publique; l'Association Suisse contre les Nuisances de l'Aviation (ASNA) et l'Association Transport et Environnement (ATE) ont formé opposition, en demandant notamment que le projet soit soumis à une étude de l'impact sur l'environnement (EIE). Par ailleurs, après l'enquête publique, le conseil municipal de Vernier a été invité à faire part de son préavis, au même titre que les autorités des trois autres communes concernées; il a donné un avis favorable, en demandant cependant qu'une étude d'impact soit réalisée. La commission d'aménagement du Grand Conseil, chargée d'étudier le projet de loi, s'est prononcée sur les critiques des deux associations précitées; elle a proposé, dans son rapport du 19 août 1992, de rejeter l'opposition. Dans sa séance du 18 septembre 1992, le Grand Conseil, suivant les
BGE 120 Ib 70 S. 72
conclusions de sa commission, a adopté la loi portant création de la zone aéroportuaire.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, l'Association Suisse contre les Nuisances de l'Aviation, l'Association Transport et Environnement ainsi que la commune de Vernier ont demandé au Tribunal fédéral d'annuler la loi portant sur la création de la zone aéroportuaire. En outre, agissant seule par la voie du recours de droit public et invoquant sa qualité de propriétaire de terrains touchés par la modification du régime des zones, la commune de Vernier a également demandé l'annulation de cette loi. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours de droit administratif, dans la mesure où il était recevable; à cet égard, il a en particulier retenu que l'Association Transport et Environnement avait qualité pour recourir, se dispensant d'examiner si tel était également le cas de l'Association Suisse contre les Nuisances de l'Aviation et de la commune de Vernier. Le Tribunal fédéral a par ailleurs déclaré irrecevable le recours de droit public.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office et avec une pleine cognition la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 119 Ib 56
consid. 1, 64 consid. 3a, 179 consid. 1 et les arrêts cités).
b) aa) L'acte attaqué, adopté sous la forme d'une loi cantonale, est d'un point de vue matériel un plan d'affectation au sens des
art. 14 ss LAT
(RS 700); la création et la modification de "zones ordinaires" (cf. art. 18 ss LaLAT) sont en effet, en droit genevois, soumises à une procédure de type législatif (art. 15 ss LaLAT; cf.
ATF 113 Ia 266
). En vertu du principe énoncé à l'
art. 34 al. 3 LAT
, seule la voie du recours de droit public est ouverte contre les décisions sur les plans d'affectation prises par les autorités cantonales de dernière instance.
Toutefois, lorsque certaines dispositions d'un plan d'affectation - en règle générale: d'un plan d'affectation spécial - équivalent à des décisions fondées sur le droit fédéral de la protection de l'environnement - le plan contenant alors ces décisions -, la voie du recours de droit administratif est exceptionnellement ouverte à cet égard; la clause d'exclusion de l'
art. 99 let
. c OJ ne s'applique pas à des recours dirigés contre de telles décisions (
ATF 118 Ib 11
consid. 2c, 66 consid. 1c et les arrêts cités).
BGE 120 Ib 70 S. 73
bb) L'
art. 9 LPE
(RS 814.01) institue l'"étude de l'impact sur l'environnement", que l'autorité compétente doit effectuer avant de prendre une décision sur la planification et la construction ou la modification d'installations pouvant affecter sensiblement l'environnement; cette exigence ne concerne que les installations désignées par le Conseil fédéral dans l'annexe à l'ordonnance sur l'étude de l'impact sur l'environnement (
art. 9 al. 1 LPE
,
art. 1er OEIE
[RS 814.011]). Cette annexe à l'ordonnance fédérale désigne en outre, pour plusieurs de ces installations, la "procédure décisive", soit la procédure d'autorisation, d'approbation ou d'octroi de concession dans laquelle l'étude d'impact est effectuée (
art. 5 al. 1 et 2 OEIE
). Aux termes de l'
art. 5 al. 3 OEIE
, si la procédure décisive n'est pas déterminée dans l'annexe, elle doit être définie par le droit cantonal; dans tous les cas où les cantons prévoient l'établissement d'un plan d'affectation spécial (ou: "plan d'affectation de détail"), c'est cette procédure qui est considérée comme procédure décisive, à condition qu'elle permette de procéder à une étude d'impact exhaustive.
C'est par la voie du recours de droit administratif que le grief de violation de l'
art. 9 LPE
- et des dispositions fédérales d'exécution - doit être présenté, en particulier lorsqu'il est allégué que l'autorité cantonale aurait dû ordonner une étude d'impact, le cas échéant dans le cadre de l'établissement d'un plan d'affectation (cf.
ATF 118 Ib 66
consid. 1d; arrêt du 25 avril 1991, consid. 1d non publié aux
ATF 117 Ib 35
ss, mais reproduit in: URP/DEP 1991 p. 327).
2.
Les recourantes soutiennent qu'une étude de l'impact sur l'environnement aurait dû être effectuée dans le cadre de la procédure d'adoption de la loi attaquée, créant une zone à bâtir en relation avec un aéroport existant; elles font en substance valoir que la procédure de planification devrait être considérée comme une "procédure décisive" au sens de l'
art. 5 OEIE
dès lors que la concession octroyée par l'autorité fédérale pour la création ou l'exploitation de cette infrastructure, selon l'art. 37 al. 1 de la loi fédérale sur la navigation aérienne (LNA; RS 748.0), présenterait certaines irrégularités.
La création et la modification, au sens de l'
art. 2 OEIE
, d'un aéroport - celui de Genève-Cointrin notamment - sont soumises à une étude d'impact et la procédure décisive, selon l'ordonnance du Conseil fédéral, est celle de l'octroi de la concession, au sens de l'art. 37 al. 1 LNA, par le Département fédéral des transports et communications et de l'énergie (ch. 14.1 de l'annexe à l'OEIE; cf.
art. 5 al. 1 OEIE
). Il n'appartient donc pas aux cantons de régler différemment cette question et l'
art. 5 al. 3 OEIE
,
BGE 120 Ib 70 S. 74
qui réserve la procédure du plan d'affectation spécial, ne s'appliquerait de toute manière pas à un aéroport. En cas de modification, au sens de l'
art. 2 al. 1 OEIE
, d'une telle installation, les autorités cantonales ne pourraient donc pas exiger que l'étude d'impact prévue par le droit fédéral soit effectuée dans le cadre d'une procédure cantonale d'établissement d'un plan d'affectation spécial.
Au demeurant, la création de la zone aéroportuaire n'est pas liée directement à un projet de construction, à l'instar d'un plan d'affectation de détail dont l'élaboration peut être requise préalablement à la réalisation de certaines installations, en raison de leurs incidences sur la planification locale ou sur l'environnement (cf.
ATF 118 Ib 503
consid. 5b,
ATF 117 Ib 270
consid. 2, 502 consid. 4d,
ATF 116 Ib 50
consid. 3a). Cette zone, régie par l'art. 19 al. 5 LaLAT, est une des zones à bâtir du territoire du canton de Genève; la loi attaquée, qui est une mesure de planification, concrétise la disposition légale générale entrée en vigueur en 1987. Or, l'
art. 9 LPE
ne s'applique pas aux procédures d'adoption ou d'adaptation des plans généraux d'affectation, le droit fédéral n'ayant pas prévu d'étude d'impact sur l'environnement à ce stade (cf. HERIBERT RAUSCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 9, Zurich 1989, n. 29 et 38; YVES NICOLE, L'étude d'impact dans le système fédéraliste suisse, thèse Lausanne 1992, p. 188/189). Sur ce point, les moyens des recourantes sont donc mal fondés.
3.
Les recourantes se plaignent d'une violation de leur droit d'être entendues garanti par l'
art. 4 Cst.
, car elles n'auraient pas eu accès à l'ensemble du dossier de l'autorité cantonale. Un tel grief est en principe recevable dans le cadre du recours de droit administratif.
Les recourantes font en premier lieu valoir que le procès-verbal des délibérations de la commission parlementaire chargée d'examiner le projet de loi litigieux aurait dû, à la suite de leur demande, leur être communiqué par les autorités cantonales. Dans sa réponse au présent recours, l'Etat de Genève soutient que la législation cantonale s'oppose à la communication officielle de tels documents. Il ne se justifie toutefois pas d'examiner plus précisément cette question, car les recourantes admettent qu'elles ont pu se procurer le procès-verbal en temps utile, par une autre voie; elle l'ont d'ailleurs produit en annexe à leur mémoire adressé au Tribunal fédéral. Le refus opposé par les autorités cantonales, pour autant qu'il fût contraire à l'
art. 4 Cst.
, ne les a pas entravées
BGE 120 Ib 70 S. 75
dans l'exercice de leurs droits, en l'occurrence dans la faculté de se pourvoir devant le Tribunal fédéral.
Les recourantes se plaignent encore de n'avoir pas eu connaissance des échanges de correspondance entre les autorités genevoises et les autorités fédérales (offices fédéraux de l'aménagement du territoire, de l'aviation civile ainsi que de l'environnement, des forêts et du paysage). Dans les cas où une étude d'impact doit être effectuée, les avis de diverses autorités ou services spécialisés figurent dans le "rapport d'impact" (cf.
art. 9 OEIE
) ou dans le dossier de la "décision finale" au sens de l'
art. 20 OEIE
et ils peuvent être consultés à certaines conditions. En l'espèce, aucune étude d'impact n'étant exigée, on ne voit pas sur quelle base les autorités cantonales auraient dû requérir un avis formel des offices fédéraux précités en vue de la création de la zone aéroportuaire; au reste, les recourantes n'expliquent pas en quoi une éventuelle correspondance avec ces offices, par exemple en relation avec l'exploitation de l'aéroport, aurait été déterminante, compte tenu de leurs griefs, pour la procédure de planification en cause. Dans ces conditions, le droit d'être entendu des recourantes n'a pas été violé (cf.
ATF 117 Ia 90
consid. 5b,
ATF 117 Ib 481
consid. 7b).
4.
La commune de Vernier a en outre formé un recours de droit public en sa qualité de propriétaire de terrains compris dans le périmètre de la zone aéroportuaire.
Selon la règle générale de l'
art. 86 al. 1 OJ
, le recours de droit public n'est recevable qu'à l'encontre de décisions prises en dernière instance cantonale. En ce qui concerne les procédures relatives aux plans d'affectation, le "recours" cantonal au sens de l'
art. 33 al. 2 LAT
- en droit genevois, il s'agit de la procédure d'opposition selon l'art. 16 al. 5 LaLAT (cf.
ATF 114 Ia 233
consid. 2b,
ATF 108 Ib 479
consid. 3) - fait partie des moyens de droit cantonal qui doivent avoir été épuisés (
ATF 118 Ia 165
consid. 2b,
ATF 116 Ia 78
consid. 1b).
La commune de Vernier n'a pas formé opposition dans les formes prescrites avant l'adoption de la loi attaquée et elle n'était pas partie à la procédure cantonale. Certes, à l'issue de l'enquête publique, elle a adressé un préavis à l'autorité cantonale; ce faisant, elle n'a toutefois pas agi en sa qualité de propriétaire foncier touché, mais comme collectivité publique, nécessairement consultée en application de l'art. 16 al. 3 LaLAT. Elle n'a donc pas épuisé les moyens de droit cantonal à sa disposition. Dans ces conditions, son recours de droit public est irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a7bbbb4c-4a6c-4a1c-88af-c54770d358c7 | Urteilskopf
104 Ib 119
21. Urteil vom 12. Juli 1978 i. S. Hartmann gegen Gemeinde Luzern und Regierung des Kantons Graubünden | Regeste
Verfahren; rechtliches Gehör.
1. Ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid über die Verweigerung einer Bewilligung nach Art. 4 Abs. 3 BMR unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit dieser kann auch eine Verletzung des verfassungsmässigen Gehörsanspruchs gerügt werden. Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1).
2. Tragweite des aus
Art. 4 BV
folgenden Anspruchs der Parteien auf Teilnahme an einem Augenschein. Voraussetzungen, unter denen die Verwaltungsorgane einen Augenschein unangemeldet oder ohne Beizug der Parteien vornehmen dürfen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 104 Ib 119 S. 120
Peter Hartmann stellte beim Departement des Innern und der Volkswirtschaft des Kantons Graubünden das Gesuch, es sei ihm für die Erstellung einer Hütte auf seiner in der Gemeinde Luzern gelegenen Bergwiese, die sich in einem provisorischen Schutzgebiet im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d BMR befindet, die nach Art. 4 Abs. 3 BMR erforderliche Bewilligung zu erteilen. Das Departement wies das Gesuch ab. Peter Hartmann reichte hiegegen bei der Regierung des Kantons Graubünden Beschwerde ein. Der Departementssekretär des beschwerdebeklagten Departementes besichtigte daraufhin mit zwei Beamten der kantonalen Planungsstelle und dem Baufachchef der Gemeinde Luzein das Grundstück des Beschwerdeführers, ohne diesen zum Augenschein einzuladen. Unter Hinweis auf die an diesem Augenschein gemachten Feststellungen beantragte das Departement des Innern und der Volkswirtschaft in seiner Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde. Die Regierung wies die Beschwerde in der Folge ab, wobei sie sich in der Begründung ihres Entscheides auf die tatsächlichen Feststellungen stützte, welche die Vorinstanz bei ihrem nachträglichen Augenschein gemacht hatte. Peter Hartmann führt gegen den Entscheid der Regierung wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(rechtliches Gehör) "staatsrechtliche Beschwerde". Das Bundesgericht behandelt die Eingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde und heisst diese gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 84 Abs. 2 OG
ist eine staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann. Der angefochtene Entscheid der Regierung des Kantons Graubündens stützt sich auf Art. 4 Abs. 3 BMR, d.h. auf öffentliches Recht des Bundes, und unterliegt, da alle weitern Voraussetzungen nach Art. 97 ff OG erfüllt sind, der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (vgl.
BGE 100 Ib 399
ff). Mit dieser kann nach
Art. 104 OG
die "Verletzung von Bundesrecht" gerügt werden. Dieser Beschwerdegrund umfasst auch die Rüge der Verletzung von Bundesverfassungsrecht, soweit sie eine Angelegenheit betrifft,
BGE 104 Ib 119 S. 121
die in die Sachzuständigkeit der eidgenössischen Verwaltungsrechtspflegeinstanz fällt (
BGE 102 Ib 67
;
BGE 99 V 57
E. 3 und 60 f;
BGE 96 I 90
und 187). Die Rüge, der angefochtene Entscheid der Regierung des Kantons Graubünden sei unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruches (
Art. 4 BV
) zustandegekommen, kann daher mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht werden; für eine entsprechende staatsrechtliche Beschwerde besteht aufgrund von
Art. 84 Abs. 2 OG
kein Raum. Die Eingabe des Beschwerdeführers ist als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln (
BGE 98 Ib 88
E. 1a).
2.
a) Der Beschwerdeführer rügt, dass er zu dem vom Departement des Innern und der Volkswirtschaft durchgeführten Augenschein nicht eingeladen worden sei. Dass sich die kantonale Behörde damit willkürlich über kantonale Verfahrensvorschriften hinweggesetzt habe, wird nicht behauptet. Es kann sich daher nur fragen, ob der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende minimale bundesrechtliche Gehörsanspruch verletzt worden ist. Danach hat der Bürger, vorbehältlich gewisser Ausnahmen, auch im Verwaltungsprozess das Recht, an den Beweiserhebungen der Verwaltungsorgane teilzunehmen (
BGE 104 Ia 71
E. 3b;
BGE 99 Ia 46
/47;
BGE 91 I 92
). Das gilt insbesondere für die Durchführung von Augenscheinen. Wohl ist es Behörden oder einzelnen Behördemitgliedern und Beamten nicht verwehrt, sich informell an Ort und Stelle zu begeben, um über einen an sich feststehenden Sachverhalt ein besseres, unmittelbares Bild zu erhalten (IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 82 B/III/c/1 S. 509;
BGE 99 Ia 47
f. E. 3b und e). Dient jedoch die Ortsbesichtigung dem Zweck, einen streitigen, unabgeklärten Sachverhalt festzustellen, so müssen die beteiligten Privaten zum Augenschein beigezogen werden. Ein solcher Augenschein darf nur dann unter Ausschluss einer Partei erfolgen, wenn schützenswerte Interessen Dritter oder des Staates oder eine besondere zeitliche Dringlichkeit dies gebieten (
BGE 91 I 92
) oder wenn der Augenschein seinen Zweck überhaupt nur erfüllen kann, wenn er unangemeldet erfolgt (
BGE 104 Ia 71
E. 3b; IMBODEN/RHINOW, a.a.O.). In derartigen Ausnahmefällen gilt der Gehörsanspruch als gewahrt, wenn die betreffende Partei nachträglich zum Beweisergebnis Stellung nehmen kann (
BGE 104 Ia 71
E. 3b).
b) Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz (bzw. das die Beschwerde instruierende kantonale Finanz- und Militärdepartement)
BGE 104 Ib 119 S. 122
selber keinen Augenschein durchgeführt, wiewohl der Beschwerdeführer einen solchen beantragt hatte. Hingegen hat der Departementssekretär des erstinstanzlich verfügenden Departementes des Innern und der Volkswirtschaft im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens mit zwei kantonalen Beamten und einem Behördemitglied der Gemeinde das Grundstück des Beschwerdeführers besichtigt, um sich dadurch für die Vernehmlassung an die Regierung "eine verbesserte Grundlage" zu verschaffen. Dass der Beschwerdeführer zu diesen "zusätzlichen Erhebungen" des beschwerdebeklagten Departementes nicht beigezogen wurde, ist unbestritten.
Der fragliche Augenschein beruhte somit nicht auf einer Anordnung der Instanz, welcher die Leitung des kantonalen Beschwerdeverfahrens oblag, sondern es handelte sich um eine ausserhalb dieses Verfahrens erfolgte Vorkehr des beschwerdebeklagten Departementes, welches sich zur Ausarbeitung einer fundierten Vernehmlassung über den Sachverhalt besser ins Bild setzen wollte. Ein solches Vorgehen ist an sich nicht unzulässig. Doch versteht sich, dass die Rechtsmittelinstanz bei ihrem Entscheid nicht auf die an einem solchen "internen" Augenschein gemachten Feststellungen abstellen darf; denn dies liefe auf eine Verletzung des Teilnahmerechtes der Parteien hinaus. Sie darf ihren Entscheid nur auf solche Beweise stützen, die in korrekter, den Gehörsanspruch der Parteien wahrender Form erhoben worden sind. Indem die Regierung des Kantons Graubünden bei ihrem Beschwerdeentscheid in wesentlichen Punkten (Qualität des Bodens, Zerfall der alten Hütte, Zufahrtsmöglichkeiten) auf die in der Vernehmlassung des beschwerdebeklagten Departementes enthaltene Sachverhaltsschilderung abstellte und damit das Ergebnis des amtsinternen, ohne Gewährung des Teilnahmerechtes durchgeführten Augenscheines zum Beweismittel erhob, verstiess sie gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs.
c) Ob die kantonalen Instanzen unter den gegebenen Umständen zur Vornahme eines Augenscheines überhaupt verpflichtet gewesen wären (vgl.
BGE 100 Ib 400
f,
BGE 99 Ia 47
f), ist ohne Belang. Wenn eine Behörde zu diesem Beweismittel greifen will, hat sie dies in den verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Formen zu tun und die Grundsätze des rechtlichen Gehörs zu beachten (ZBI 79/1978 S. 42; IMBODEN/RHINOW, a.a.O. Nr. 82 B/III/c/2, S. 509, in Abweichung von
BGE 96 I 332
).
BGE 104 Ib 119 S. 123
d) Eine Heilung der Gehörsverletzung im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht, wie sie in gewissen Fällen möglich ist (
BGE 98 Ib 171
, 176), fällt hier ausser Betracht. Der angefochtene Entscheid ist in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob Aussicht besteht, dass die Vorinstanz nach erneuter Prüfung des Falles in einem korrekten Verfahren anders entscheiden wird (
BGE 98 Ia 8
, 134, 339;
BGE 96 I 22
). | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a7bd3323-8689-4457-96e8-2446df06ad8e | Urteilskopf
109 Ib 223
39. Estratto della decisione del 23 giugno 1983 della I Corte di diritto pubblico nella causa Gelli c. Ufficio federale di polizia (opposizione a una domanda d'estradizione - domanda di concessione della libertà provvisoria) | Regeste
Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen, Auslieferungsgesetz vom 22. Januar 1892 (AuslG) und BG über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG).
Kriterien für die provisorische Entlassung aus der Auslieferungshaft nach dem alten AuslG und dem neuen IRSG; Anwendung auf den konkreten Fall. | Sachverhalt
ab Seite 224
BGE 109 Ib 223 S. 224
Il cittadino italiano Licio Gelli, trovato in possesso di documenti d'identità falsi, fu fermato a Ginevra il 13 settembre 1982 e posto in detenzione a titolo estradizionale nel carcere di Champ-Dollon, su ordine dell'Ufficio federale di polizia (UFP) emesso a richiesta dell'Interpol di Roma. L'Ambasciata d'Italia a Berna ha chiesto la sua estradizione con nota del 22 settembre 1982. La domanda si fonda su tre mandati di cattura del Giudice istruttore presso il Tribunale di Roma ed un ordine di cattura del Procuratore della Repubblica di Milano per una serie di imputazioni di cui, ove occorra, si dirà in seguito. Gelli si è opposto all'estradizione.
Con istanza 29 marzo 1983 dei suoi difensori, il ricercato ha chiesto all'UFP la concessione della libertà provvisoria. Nell'allegato si espone in sostanza:
- che gran parte delle imputazioni non possono dar luogo ad estradizione per il carattere politico dei reati, per intervenuta amnistia o per pregressa revoca del mandato di cattura o perché i fatti sono oggettivamente falsi, e che per le cinque superstiti imputazioni fa difetto il requisito della doppia incriminabilità;
- che una decisione non potrà esser presa a breve termine per la complessità del caso e la necessità di nuove determinazioni dei difensori;
- che la salute del ricercato, sessantaquattrenne, si degrada e che
BGE 109 Ib 223 S. 225
una volta liberato egli dovrà esser ricoverato in clinica, già essendosi provveduto per la cura medica e la sicurezza personale;
- che la domanda dev'esser decisa non più in applicazione del cessato
art. 25 LEstr
, che faceva dell'arresto la regola, della libertà l'eccezione, ma dell'
art. 47 AIMP
, disposizione che consacra, almeno per il ricercato al beneficio - come Gelli - della presunzione d'innocenza (
art. 6 par. 2 CEDU
), il principio inverso;
- che nelle concrete circostanze la liberazione si impone in virtù degli
art. 47 e 50 cpv. 3 AIMP
, delle esigenze generali poste ad ogni carcerazione preventiva ed infine del principio per cui l'arresto estradizionale non può soggiacere a condizioni meno rigorose di quelle richieste per un arresto preventivo nello Stato richiedente;
- che secondo le disposizioni della legge italiana, i limiti massimi della detenzione preventiva sono superati per tutte le imputazioni, fuorché per quella di bancarotta fraudolenta aggravata, il cui limite massimo è di un anno;
- che per quest'ultima imputazione, tuttavia, è fornita la prova dell'alibi e che osta all'estradizione la massima "ne bis in idem";
- che pertanto l'arresto in vista dell'estradizione deve cessare perché, fosse estradato, il ricercato dovrebbe esser immediatamente scarcerato in Italia, dal momento che il carcere estradizionale dev'esser computato ed il limite massimo di sei mesi è superato;
- che, per le ragioni suesposte proprie del diritto italiano, dovrebbe esser applicabile anche l'
art. 5 par. 3 CEDU
, che normalmente non è riferibile al carcere estradizionale;
- che comunque la protrazione del carcere estradizionale è ingiustificata in applicazione dell'art. 5 par. 1 lett. f CEDU, non per abusi di potere che fossero imputabili all'UFP, ma perché gravi rimproveri si debbono muovere allo Stato richiedente che avrebbe mantenuto mandati d'arresto nonostante amnistia, presentato richieste d'estradizione per reati politici o amnistiati, sostenuto accuse manifestamente prive di fondamento e presentato incarti lacunosi, con la conseguenza di un'intollerabile protrazione della procedura e dell'arresto.
L'UFP ha trasmesso l'istanza al Tribunale federale il 19 maggio 1983 con un memoriale in cui esprime parere sfavorevole e ha fatto successivamente pervenire copia delle sue osservazioni alla memoria d'opposizione prodotta dal ricercato il 7 febbraio 1983. I difensori hanno ulteriormente inoltrato al Tribunale federale copia della nota 17 maggio 1983, con la quale l'Ambasciata d'Italia ha ritirato la domanda d'estradizione per talune imputazioni
BGE 109 Ib 223 S. 226
coperte da amnistia, nonché copia di un complemento d'opposizione all'estradizione del 3 giugno 1983.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
a) La Convenzione europea d'estradizione (CEEstr), applicabile ai rapporti italo-svizzeri, contiene solo alcune disposizioni circa l'arresto provvisorio. Essa si limita a consacrare il diritto della Parte richiedente di domandarlo ed a sancire l'obbligo della Parte richiesta di decidere su tale domanda, avvertendo la Parte richiedente dell'esito (art. 16 par. 1 e 3). Applicabile è esclusivamente il diritto della Parte richiesta (art. 16 par. 1 e art. 22). Dopo aver stabilito i termini, trascorsi i quali l'arresto provvisorio potrà e, rispettivamente, dovrà cessare se la domanda d'estradizione non è presentata col prescritto corredo (art. 16 par. 4, prima frase), la Convenzione precisa (ivi, seconda frase) che, tuttavia, la liberazione provvisoria è sempre possibile "in quanto la Parte richiesta prenda tutte le misure da essa ritenute necessarie per evitare la fuga". Nessuna disposizione contiene invece la CEEstr circa la carcerazione estradizionale tra il momento della presentazione della domanda e la decisione: applicabile è quindi unicamente il diritto dello Stato richiesto, compatibilmente col rispetto degli obblighi di consegna del ricercato che derivano dalla Convenzione (decisioni inedite 7 novembre 1975 in re Morlacchi, 11 settembre 1979 in re Tetteroo, 15 febbraio 1980 in re Groppelli; SCHULTZ, Gesetzgebung und Rechtsprechung der Schweiz im internationalen Strafrecht 1978-1981, Annuaire Suisse de droit international 1982, pag. 262).
b) Gelli è stato arrestato in via provvisoria dall'UFP in virtù degli
art. 17 e 18 LEstr
; la presentazione entro i termini della domanda d'estradizione ha trasformato, secondo la prassi vigente sotto l'impero della cessata legge, l'arresto provvisorio in arresto definitivo in vista dell'estradizione. La nuova legge, entrata in vigore il 1o gennaio 1983, ha esplicitamente confermato questa prassi. L'ordine d'arresto emesso in applicazione dell'
art. 47 cpv. 1 AIMP
, come risulta dalla relazione con l'
art. 50 cpv. 1 AIMP
, può essere e solitamente è un ordine d'arresto provvisorio: esso diventa definitivo e giustifica in linea di principio il mantenimento d'ufficio ("ohne besondere Verfügung") della carcerazione per tutta la durata della procedura (
art. 51 cpv. 1 AIMP
), purché la domanda e i documenti a sostegno pervengano in tempo utile e l'estradizione non sia manifestamente inammissibile.
BGE 109 Ib 223 S. 227
c) Dal confronto del cessato
art. 25 cpv. 1 LEstr
con il testo dell'
art. 47 AIMP
, l'istante pretende desumere un profondo mutamento della situazione, nel senso che, sotto il vecchio diritto, il carcere sarebbe stato la regola, la libertà provvisoria l'eccezione, mentre nel nuovo diritto varrebbe il principio opposto.
Questo modo di considerare le cose non può esser condiviso. L'argomentazione dell'istante poggia principalmente sul tenore letterale del testo francese dell'
art. 25 cpv. 1 LEstr
, per cui la libertà provvisoria "pourra être accordée si cette mesure paraît être exigée par les circonstances" e fa leva sul carattere effettivamente restrittivo del termine "exigée". Quest'argomento meramente terminologico perde però ogni peso, non appena si consultino i testi - indubbiamente meno rigidi - tedesco e italiano ("wenn diese Massregel den Umständen nach geboten erscheint", "se le circostanze siano tali da giustificare questa misura").
In realtà, l'entrata in vigore dell'AIMP, sotto questo profilo, non ha sostanzialmente mutato la situazione. Il principio resta quello dell'ordine di arresto (art. 47 cpv. 1 prima frase), anche se l'Ufficio può prescindervi ("davon absehen", "y renoncer") se sono adempiute le due condizioni elencate alla lettera a, oppure se è fornita la prova dell'alibi di cui alla lettera b. È vero che tale elenco non può esser considerato esaustivo, com'è dimostrato dall'impiego del termine "segnatamente" ("namentlich", "notamment") che precede l'enumerazione, nonché dal fatto che, nel successivo cpv. 2, si allude ad "altri motivi" senza ulteriore precisazione: questi motivi concretano pur sempre delle eccezioni alla regola dell'arresto. Che il carcere, comunque, sia il principio e la libertà provvisoria l'eccezione è d'altronde esplicitamente ribadito nell'
art. 50 cpv. 3 AIMP
- disposizione qui determinante - secondo cui "la scarcerazione può essere eccezionalmente ordinata in qualsiasi stadio della procedura qualora ciò sembri opportuno secondo le circostanze" ("wenn dies nach den Umständen angezeigt erscheint", "si les circonstances le justifient"). Ad analoga conclusione porta anche il già ricordato testo dell'
art. 51 cpv. 1 AIMP
, per cui la carcerazione estradizionale dura, per principio, quanto dura la procedura.
È questa la ragione per cui - come rileva SCHULTZ, op.cit., pag. 271 - i criteri giurisprudenziali sviluppati dal Tribunale federale per l'interpretazione dell'
art. 25 LEstr
possono servire anche per quella dell'
art. 50 cpv. 3 AIMP
. Si osservi che gli obblighi internazionali assunti dalla Svizzera rispetto agli Stati
BGE 109 Ib 223 S. 228
membri della Convenzione europea sono immutati, ed in particolare che, se è vero che per la concessione della libertà provvisoria fa stato unicamente il diritto svizzero, il quale determina anche le eventuali misure sostitutive (
art. 16 par. 4 CEEstr
), la Svizzera è tenuta, come quello stesso articolo espressamente rammenta, ad evitare la fuga e a vegliare di non porsi per fatto proprio nell'impossibilità di rispettare gli impegni convenzionali (decisioni inedite 7 novembre 1975 in re Morlacchi e 11 ottobre 1982 in re Federici). Ne viene, per questo elemento di natura convenzionale, che le condizioni di concessione della libertà provvisoria sono in genere più rigorose che per la liberazione dal carcere a fini istruttori (decisione inedita 28 ottobre 1977 in re Wirth, consid. 1a). V'è tanto meno motivo di scostarsi da quei criteri giurisprudenziali, che sono riassunti nell'articolo di SCHULTZ (op.cit., pagg. 271/72), dal momento che taluni di essi sono stati addirittura inclusi nella nuova legge: così quello dell'intollerabilità della carcerazione (art. 47 cpv. 2), quello della manifesta inammissibilità dell'estradizione (art. 51 cpv. 1) o quello dell'alibi immediatamente fornito (art. 47 cpv. 1 lett. b).
3.
Premessi questi principi generali, si possono fare le considerazioni seguenti sugli argomenti ulteriori addotti nell'istanza:
a) (...)
b) Anche se si volesse ammettere - senza con ciò per nulla anticipare o compromettere il giudizio di merito - che buona parte dei fatti imputati all'istante non possano fondare l'estradizione per il loro carattere politico assoluto o che una consegna del ricercato sia esclusa per decadenza dei mandati di cattura o per amnistia (cfr. però su quest'ultima questione
DTF 102 Ia 319
/20 consid. 2b), resterebbero pur sempre alcune imputazioni di non poco momento, per le quali - contrariamente a quanto richiesto dall'
art. 51 cpv. 1 AIMP
- l'estradizione non appare "manifestamente inammissibile". D'altro canto, occorre in questo contesto ribadire che la presentazione di un'istanza di liberazione condizionale non può e non deve avere per effetto di costringere il Tribunale federale ad anticipare un esame approfondito del merito.
c) L'istante sottace il rischio che, liberato, egli possa sottrarsi all'estradizione (
art. 47 cpv. 1 lett. a AIMP
; cfr. decisioni inedite 3 ottobre 1977 in re Panovski e Letnikovski, consid. 4; 11 ottobre 1982 in re Federici). Ora, tale rischio esiste e non può essere affatto
BGE 109 Ib 223 S. 229
minimizzato: l'istante non ha alcun vincolo particolare con la Svizzera, dispone di larghi mezzi e vanta relazioni numerose che gli possono facilitare la partenza. Né può esser dimenticato che - al momento del fermo - egli viaggiava sotto false generalità corroborate da documenti di legittimazione falsi. Date le condizioni patrimoniali del ricercato e gli interessi in gioco è perlomeno dubbio che l'imposizione di una cauzione - anche elevata - costituisca efficace incentivo a non abbandonare la Svizzera.
d) Come già si è rilevato, tanto l'arresto a fini estradizionali quanto l'eventuale concessione della libertà provvisoria sono rette esclusivamente dal diritto svizzero. Il giudice dell'estradizione, contrariamente all'opinione dell'istante, non deve quindi esaminare se nel concreto caso, ove il ricercato fosse incarcerato in Italia in virtù dei mandati di cattura della magistratura italiana, sarebbero superati secondo il diritto italiano i limiti massimi della custodia (= detenzione) preventiva (art. 272 CPPI), né tantomeno deve decidere se nel calcolo di tali massimi, secondo il diritto italiano, si debba tener conto - come l'istante pretende - anche del carcere a fini estradizionali sofferto in Svizzera. D'altronde si osservi che la carcerazione a fini estradizionali è retta esclusivamente dall'AIMP anche per riguardo al diritto processuale cantonale, e che né l'UFP né il giudice dell'estradizione avrebbero da prendere in considerazione disposizioni di diritto processuale penale cantonale che, alla stregua dell'art. 272 CPPI, garantissero all'arrestato a fini istruttori la liberazione, trascorso un determinato periodo massimo.
Per il rilievo che in materia estradizionale può avere il principio di reciprocità (cfr.
art. 8 AIMP
), giova però ricordare che la Corte di cassazione italiana ha costantemente ribadito che al carcere ordinato in Italia su richiesta del Ministero di grazia e giustizia in vista dell'estradizione ad uno Stato estero (art. 663 CPPI) non si applicano le norme ordinarie relative alla custodia preventiva, e segnatamente non si applicano quelle relative alla durata massima (art. 272 CPPI) poiché "l'applicazione, peraltro analogica, di tali norme dettate a tutt'altro scopo potrebbe frustrare le finalità del procedimento speciale in parola, diretto a realizzare gli impegni internazionali assunti dagli Stati ai fini della repressione della delinquenza e della consegna dell'estradando allo Stato richiedente" (cfr.: Cassazione, 13 febbraio 1980, Vallon, in Repertorio del Foro italiano 1981, voce "Libertà personale
BGE 109 Ib 223 S. 230
dell'imputato", n. 68; Cassazione, 14 maggio 1976, Zippo, in Foro italiano 1978 II pagg. 212/14; Cassazione, 14 febbraio 1972, Klicker, in Repertorio del Foro italiano 1973, voce "Estradizione", n. 11; inoltre, in senso conforme, MANZINI, Trattato di diritto processuale penale italiano, 1967, vol. I, pag. 165 nota 12). Si può quindi constatare che, sotto questo profilo importante ai fini della reciprocità, v'è concordanza fra la giurisprudenza italiana e quella svizzera, nel rispetto delle disposizioni della CEEstr.
Con riferimento alle adduzioni dell'istante, giova infine rilevare che nella recente sentenza Tedeschi del 6 febbraio 1979 (Giustizia penale 1980 III pagg. 633/34; Repertorio del Foro italiano 1980, voce "Libertà personale dell'imputato", n. 51) la Corte di cassazione italiana, scostandosi da taluni precedenti (21 ottobre 1977, Morlacchi, in Giustizia penale 1978 III pagg. 618/19) ed in conferma di altri (4 marzo 1974, Comitini, in Giustizia penale 1975 III pag. 235), ha giudicato che "la custodia preventiva subita all'estero a fini estradizionali, mentre deve essere computata nella pena definitivamente inflitta in Italia [cfr. per la Svizzera gli
art. 14 AIMP
e 69 CP], non è valutabile ai fini della custodia preventiva da subire in Italia, stante la diversa finalità delle due forme di limitazione della libertà personale: pertanto, il tempo trascorso "in vinculis" all'estero non può esser calcolato per stabilire se si debba far luogo alla scarcerazione per decorso dei termini" (cfr. anche, seppur in materia solo analoga, la sentenza 18 luglio 1973 della Corte costituzionale italiana, La Mattina, in Foro italiano 1973 I pagg. 2957/58).
Si rilevi d'altronde che, se stesse la tesi dell'istante e se egli potesse beneficiare in considerazione del carcere a fini estradizionali sofferto in Svizzera di una decisione italiana di scarcerazione, ciò equivarrebbe ad una decadenza del mandato di cattura che costituisce una delle premesse dell'estradizione (
art. 12 par. 2 lett. a CEEstr
; sentenza 2 marzo 1983 in re Federici, consid. 4): in simile situazione non si tratterebbe quindi più di accordare all'estradando la libertà provvisoria, ma di constatare addirittura la decadenza della procedura di estradizione medesima. Che un simile risultato sarebbe inaccettabile in relazione con gli impegni e le finalità consacrate dalla CEEstr, non occorre dimostrare.
e) (...)
f) Resta quindi da esaminare se la liberazione provvisoria non debba essere ordinata in ragione della durata della procedura. Il
BGE 109 Ib 223 S. 231
principio della proporzionalità, che si applica anche in materia estradizionale (SCHULTZ, Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, SJZ [RSJ] 1981, pagg. 93/94), esige infatti che il carcere in vista d'estradizione sia contenuto entro i limiti determinati dalle necessità della procedura e dalle particolarità della fattispecie, e non venga protratto inutilmente dalle autorità dei due Stati (decisioni inedite 7 novembre 1975 in re Morlacchi, 10 settembre 1981 in re Bartolai, 6 ottobre 1981 in re Carron; SCHULTZ, op.cit., in Annuaire suisse de droit international, pag. 272). Ciò è d'altronde richiesto anche dall'art. 5 par. 1 lett. f CEDU: come la Commissione europea dei diritti dell'uomo ha riconosciuto, una detenzione a fini estradizionali inizialmente giustificata secondo la predetta disposizione può divenire illegittima, se la procedura non è condotta con la diligenza doverosa (decisione 6 ottobre 1976, Lynas c. Svizzera, in "Décisions et Rapports" 1977, n. 6, pagg. 141 segg., 153; decisione 12 dicembre 1977, X. c. Regno Unito, ibidem, 1978, n. 12, pagg. 207 segg., 211/12).
L'istante stesso riconosce che negligenze non possono esser rimproverate all'UFP. Per contro, egli intende censurare l'atteggiamento delle autorità dello Stato richiedente. Per quanto è dato di vedere in base agli atti attualmente in possesso del Tribunale federale, non può affermarsi che lo Stato richiedente abbia trascinato la procedura: in particolare, le autorità italiane hanno con sollecitudine fornito le informazioni loro richieste dall'UFP ed hanno altresì provveduto a trasmettere entro breve termine le decisioni giudiziarie che comportavano il ritiro della domanda d'estradizione per taluni capi d'imputazione. Né il fatto che la domanda si estenda anche ai delitti politici assoluti contemplati nei mandati di cattura ha minimamente provocato - data la chiarezza della situazione - un prolungamento della procedura: lo stesso UFP, infatti, ha avvertito subito il ricercato che per tali reati l'estradizione è esclusa. Per altro verso, non può invece essere ignorato che parecchie proroghe sono state richieste ed ottenute dallo stesso collegio di difesa del ricercato e che sono stati presentati memoriali d'opposizione particolarmente voluminosi. Non può quindi affermarsi che, allo stato attuale, la carcerazione sia illegittima e non possa esser ulteriormente protratta. D'altra parte, ci si deve attendere che gli atti siano quanto prima trasmessi al Tribunale federale: quand'anche si dovesse render necessaria una nuova presa di posizione del
BGE 109 Ib 223 S. 232
ricercato, si può dunque prevedere la possibilità di una decisione entro termini non eccessivamente lontani. In contrario caso, la questione dovrà invece esser riesaminata.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale decide:
La domanda di concessione della libertà provvisoria è respinta. | public_law | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a7bd98ed-5e75-446c-b88b-1e6f99d693d8 | Urteilskopf
101 Ia 201
35. Arrêt du 19 septembre 1975 dans la cause L. contre B. et Cour de justice du canton de Genève. | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 174 SchKG
.
Art. 174 Abs. 1 SchKG
. Die Praxis einer Berufungsinstanz, welche die Berücksichtigung von erst nach dem Konkurserkenntnis eingetretenen Tatsachen an objektive Voraussetzungen knüpft und die bei der Überprüfung dieser Voraussetzungen den Grundsatz der Gleichbehandlung befolgt, ist mit
Art. 4 BV
vereinbar (Erw. 1).
Formelle Rechtsverweigerung (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 101 Ia 201 S. 201
A.-
Par jugement du 29 avril 1975, le Tribunal de première instance de Genève a prononcé la faillite de L. Ce jugement faisait suite à un commandement de payer No 479403, pour 754 fr. 65 avec intérêt à 5% dès le 1er août 1974, notifié à la requête de B., ainsi qu'à une commination de faillite du 7 mars 1975.
BGE 101 Ia 201 S. 202
B.-
L. a appelé de ce jugement le 12 mai 1975. Il avait payé le 7 mai à l'Office des poursuites le montant de la créance, plus les intérêts et les frais, soit en tout 858 fr. 95, ainsi que la somme de 40 fr. pour frais de faillite. Le 12 mai 1975, il s'est acquitté auprès du Greffe de la Cour de justice des frais d'appel par 99 fr. B. a écrit le 22 mai à la Cour de justice que le débiteur ayant réglé sa dette, elle retirait sa réquisition de faillite et demandait en conséquence l'annulation de l'audience prévue pour le 30 mai.
Par arrêt du 30 mai 1975, la Cour de justice du canton de Genève a déclaré irrecevable l'appel formé par L. contre le jugement du 29 avril 1975, "attendu qu'à l'audience du 31 janvier 1975 l'appelant a été avisé qu'il ne sera plus procédé, à l'avenir, à une nouvelle rétractation de sa faillite".
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, L. conclut à l'annulation du jugement du 29 avril et de l'arrêt du 30 mai 1975. Il invoque une violation des art. 4, 58 et 59 Cst.
A sa demande, le Président de la Cour de céans a accordé l'effet suspensif au recours.
D.-
Dans sa réponse au recours de droit public, la Cour de justice expose en fait que "selon une pratique qu'elle a toujours considérée comme extralégale", elle a déjà prononcé à quatre reprises, du 26 avril 1974 au 31 janvier 1975, la "rétractation" de la faillite de L., ce dernier ayant payé sa dette en capital, intérêts et frais et le créancier s'étant déclaré d'accord avec cette annulation. La pratique régulièrement suivie par la Cour de justice depuis plusieurs années consiste à limiter le nombre des appels admissibles pendant la durée d'une année à quatre ou cinq suivant les cas. C'est ainsi que L. a été avisé le 31 janvier 1975 "qu'il ne serait plus procédé à des rétractations de sa faillite". Conformément à cet avertissement, l'autorité cantonale a refusé d'annuler la faillite prononcée le 29 avril 1975, considérant qu'elle n'avait pas l'obligation de tenir compte des faits survenus après le jugement de première instance. En droit, la Cour de justice précise que c'est par suite d'une erreur que l'appel a été déclaré irrecevable, alors qu'il aurait dû être jugé mal fondé. Quant à la pratique sur laquelle repose l'arrêt attaqué, l'autorité cantonale estime que si elle "présente un caractère un peu arithmétique, il n'en reste pas moins que la répétition de comminations puis de requêtes en faillite suivies de prononcés dans un certain délai
BGE 101 Ia 201 S. 203
dénote l'incapacité du débiteur à faire face à ses affaires et le caractère durable de ses difficultés de trésorerie ou de sa négligence qui n'est pas excusable". Il n'y a donc, dit la Cour de justice, "aucun arbitraire à avoir refusé la rétractation de la faillite".
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
A l'appui du grief de violation de l'art. 4 Cst., le recourant fait notamment valoir que l'autorité cantonale devait, selon sa propre jurisprudence, tenir compte du paiement de la dette - en capital, intérêts et frais - et du retrait de la réquisition de faillite intervenue après le jugement du 29 avril 1975.
a) Cette argumentation pose la question de la prise en considération, par l'autorité judiciaire visée à l'art. 174 al. 1 LP, de faits postérieurs au jugement qui lui est déféré. Le Tribunal fédéral a déjà examiné cette question à plusieurs reprises. Il l'a laissée ouverte dans l'arrêt RO 36 I 386 ss, après avoir relevé que la LP ne renfermait aucune disposition expresse sur la recevabilité des "nova" dans la procédure de faillite; il a toutefois prononcé que l'autorité judiciaire supérieure devait tenir compte de toutes les circonstances existant au moment du jugement de première instance et invoquées devant elle, et cela même si le premier juge n'en avait pas eu connaissance. Dans l'arrêt RO 76 I 273 ss, il a jugé qu'on ne saurait faire dépendre la prise en considération de faits survenus après le jugement de faillite de l'octroi ou du refus de l'effet suspensif en application de l'art. 174 al. 2 LP (p. 280 s.), rappelant que selon la jurisprudence, il n'était en tout cas pas arbitraire de refuser de manière générale de tenir compte de faits nouveaux (p. 282). En 1965, le Tribunal fédéral a considéré comme tout à fait adéquate la solution de l'autorité cantonale thurgovienne consistant à admettre l'annulation du prononcé de faillite ensuite de paiement postérieur du débiteur, si celui-ci ne se trouvait que momentanément dépourvu de liquidités, s'il n'était pas poursuivi pour des sommes importantes et si le retard pouvait être attribué à une inadvertance (RO 91 I 2 s.). Dans l'arrêt 92 I 190, le Tribunal fédéral a rappelé que la LP ne disait pas, du moins pas expressément, si l'autorité de recours pouvait ou non prendre en considération des faits postérieurs au jugement de première instance; ni
BGE 101 Ia 201 S. 204
l'exclusion générale des "nova", ni l'admission de certains d'entre eux ne doivent être taxées d'arbitraire.
Dans sa réponse au recours, le Cour de justice fait valoir que sa pratique ne peut être qualifiée d'arbitraire au regard de cette jurisprudence.
b) On doit admettre, conformément à la jurisprudence qui vient d'être rappelée, que la pratique d'une autorité cantonale supérieure au sens de l'art. 174 al. 1 LP est compatible avec l'art. 4 Cst., lorsqu'elle subordonne la prise en considération de faits postérieurs au prononcé de la faillite - tels le paiement de la dette et le retrait de la réquisition de faillite - à des conditions objectives et que son application respecte le principe de l'égalité de traitement.
2.
Il n'est pas nécessaire d'examiner en l'espèce si la pratique dont fait état la Cour de justice dans sa réponse au recours satisfait à ces exigences. La jurisprudence "extralégale" sur laquelle se fonde l'autorité cantonale n'est en effet pas évoquée dans l'arrêt attaqué. Celui-ci se borne à faire valoir qu'"à l'audience du 31 janvier 1975 l'appelant a été avisé qu'il ne sera plus procédé, à l'avenir, à une nouvelle rétractation de sa faillite". Cet avis ne fait l'objet d'aucune pièce figurant au dossier, si bien qu'on en ignore la teneur exacte. Certes, la Cour de justice affirme que sa pratique, constante depuis de nombreuses années, "est connue des intéressés". Mais elle déclare par ailleurs que cette pratique "ne correspond pas à son point de vue juridique" et cite à cet égard un arrêt du 12 décembre 1947: selon cet arrêt, la procédure de faillite est soustraite à l'action du créancier qui en a provoqué l'ouverture dès le prononcé du juge, et on ne peut tenir compte devant l'instance de recours que de faits antérieurs au prononcé de la faillite; le retrait de la demande et le paiement de la dette postérieurs au prononcé de la faillite sont ainsi inopérants (SJ 1948 p. 222 s.). Quant à l'arrêt du 24 mai 1963 invoqué par le recourant (SJ 1964 p. 383), on peut en déduire que la Cour de justice admet l'annulation du jugement de faillite lorsque le débiteur peut justifier à la première audience de l'instance d'appel du retrait de toutes les réquisitions de faillite.
Il résulte de la coexistence de cette jurisprudence publiée contradictoire et d'une pratique "extralégale" divergente une incertitude qui ne permettait pas au recourant de savoir sur
BGE 101 Ia 201 S. 205
quelle base juridique son appel était écarté. Cette incertitude n'est pas dissipée par l'arrêt non motivé de la Cour de justice: cet arrêt n'invoque aucune disposition légale ni aucun précédent judiciaire, et on ignore dans quels termes l'avertissement verbal dont il fait état a été donné au recourant, et notamment si celui-ci a été informé de la pratique dans laquelle cet avertissement s'inscrivait. En statuant de la sorte, l'autorité cantonale a commis un déni de justice formel qui entraîne l'annulation de sa décision.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule l'arrêt de la Cour de justice du canton de Genève du 30 mai 1975. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a7be9fc8-dcee-4f6c-bb08-1563ac26ee79 | Urteilskopf
103 V 145
34. Urteil vom 23. September 1977 i.S. G. gegen 6 Krankenkassen und Schiedsgericht gemäss
Art. 25 KUVG | Regeste
Das nach
Art. 25 KUVG
bezeichnete Schiedsgericht des Kantons Luzern ist Vorinstanz im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
(Erw. 1).
Art. 25 Abs. 4 KUVG
.
- Auf Forderungen, die nicht Gegenstand des Schlichtungs- oder Vermittlungsverfahrens waren, darf das Schiedsgericht nicht eintreten (Erw. 2).
- Die nach kantonalem Prozessrecht zulässige Änderung des Rechtsbegehrens im schiedsgerichtlichen Verfahren ist nicht bundesrechtswidrig (Erw. 2a).
Art. 23 KUVG
.
- Bestätigung der Rechtsprechung betreffend Rückforderungspflicht der Krankenkassen bei Überarztung und betreffend Durchschnittsmethode (Erw. 3 und 5).
- Verjährung des Rückforderungsanspruchs: sinngemässe Anwendung von
Art. 47 Abs. 2 AHVG
im Verhältnis Krankenkasse/Arzt als zwingendes Bundesrecht (Erw. 4).
- Keine Verzugszinsen auf den von einer Krankenkasse zu Unrecht zurückbehaltenen Rechnungsabzügen (Erw. 7b). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 103 V 145 S. 146
A.-
Dr. med. G. führt eine Allgemeinpraxis. Mit Schreiben vom 3. Oktober 1969 beanstandete der Kantonalverband Luzerner Krankenkassen für die ihm angeschlossenen Kassen seine Rechnungstellung. Der Einladung des Kantonalverbandes vom 28. November 1969 zu einem Einigungsversuch auf den 5. Dezember 1969 leistete Dr. G. keine Folge.
Darauf wies der Kantonalverband die heute am Recht stehenden Krankenkassen an, Dr. G. künftig bloss 60% seiner Rechnungsbeträge auszubezahlen und die übrigen 40% als bestritten zurückzubehalten. Am 23. Februar 1970 ersuchte der Kantonalverband die Paritätische Vertrauenskommission der Ärztegesellschaft des Kantons Luzern und des Kantonalverbandes (PVK), die im Jahre 1968 gestellten Rechnungen zu überprüfen und um 40% zu kürzen. Eine am 10. Juni 1970 von der PVK über dieses Gesuch geführte Verhandlung brachte keine Einigung.
B.-
Am 3. September 1970 beschwerte sich der Kantonalverband gestützt auf Art. 16 Abs. 6 des zwischen ihm und der Kantonalen Ärztegesellschaft am 5. Februar 1963 abgeschlossenen Vertrages (nachfolgend Vertrag genannt) bei der PVK, indem er für die Kassen verlangte, dass die Behandlungsrechnungen, die Dr. G. seit dem 1. Mai 1969 eingereicht hatte, im Durchschnitt aller Rechnungen um 25% herabgesetzt würden.
Der Schlichtungsvorschlag der PVK vom 9. September 1970 ging dahin, die seit dem 1. Mai 1969 eingereichten Behandlungsrechnungen um 25% zu "kürzen"; der Gesamtbetrag der "Rückerstattung" betrage somit Fr. 31'460.--. Ferner
BGE 103 V 145 S. 147
schlug die PVK vor, die von den Kassen erhobene Beanstandung von 25% der Rechnungsbeträge bis auf weiteres in Kraft zu lassen und über eine Freigabe der gesperrten Beträge nach Vorliegen der Behandlungsfallstatistik 1970 zu befinden. Dr. G. lehnte diesen Schlichtungsvorschlag mit Schreiben vom 12. Oktober 1970 ab. Anderseits verhielt der Kantonalverband die Kassen, den bisherigen Rückbehalt von 40% entsprechend dem Schlichtungsvorschlag auf 25% zu reduzieren.
C.-
In der Folge gelangte Dr. G. klageweise an das Schiedsgericht gemäss
Art. 25 KUVG
des Kantons Luzern. Er liess beantragen, der Kantonalverband bzw. die ihm angeschlossenen Kassen seien zu verpflichten, ihm die zurückbehaltenen Restbeträge der seit dem 1. Mai 1969 eingereichten Rechnungen im vollen Umfang samt Zins auszubezahlen; der Rückbehalt auf den Rechnungen sei sofort aufzuheben.
Der Kantonalverband reichte für die Krankenkassen Widerklage ein. Er verlangte die Abweisung der Klage und die Kürzung der zwischen dem 3. April und 31. Dezember 1969 eingereichten Rechnungen um 25%; ferner sei den Kassen ein Anspruch auf Rückforderung von 25% auf den voll bezahlten Behandlungsrechnungen dieser Abrechnungsperiode zuzuerkennen. Diesen Antrag modifizierte der Kantonalverband in seiner Duplik dahin, dass der Rückforderungsanspruch von 25% auf den voll bezahlten Rechnungen der Jahre 1968 und 1969, "soweit sie im Schlichtungsverfahren der PVK einbezogen waren", anerkannt werde.
Mit Entscheid vom 30. April 1975 hat das Schiedsgericht die Klage abgewiesen (Dispositivziffer 1) und die Widerklage in dem Sinne gutgeheissen, dass es Dr. G. verpflichtete, den Krankenkassen 25% der zwischen dem 3. April und 31. Dezember 1969 eingereichten, voll bezahlten Behandlungsrechnungen zurückzuerstatten (Dispositivziffer 2a), und dass es die Kassen ermächtigte, die in den Jahren 1968 und 1969 eingereichten, noch nicht voll bezahlten Behandlungsrechnungen um 25% zu kürzen (Dispositivziffer 2b).
D.-
Dr. G. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des schiedsgerichtlichen Entscheides seien die Kassen zu verpflichten, ihm die zurückbehaltenen Restbeträge der seit dem 1. Mai 1969 eingereichten Behandlungskostenrechnungen im vollen Umfang und mit Zins auszuzahlen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz
BGE 103 V 145 S. 148
zurückzuweisen. Dem Schiedsgericht wird willkürliche Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie Verletzung von
Art. 23 und 25 Abs. 4 KUVG
vorgeworfen. Im übrigen lässt sich die Beschwerdebegründung wie folgt zusammenfassen: Im Schlichtungsverfahren vor der PVK seien von den Kassen Rechnungen des Jahres 1968 unterbreitet worden, obschon die Verhältnisse jenes Jahres nicht Gegenstand des Schlichtungsvorschlages gewesen seien. Diese samt den bis zum 3. April 1969 eingegebenen Rechnungen seien abweichend von der Vorschrift des Art. 16 Abs. 6 des Vertrages nicht innerhalb von 6 Monaten seit ihrem Eingang bei den Kassen beanstandet worden. Eine wesentliche Voraussetzung zu ihrer Überprüfung sei somit nicht erfüllt gewesen. Dem Schiedsverfahren über die im Jahre 1969 eingereichten Rechnungen sei kein Vermittlungsverfahren vorausgegangen. Ferner habe Dr. G. für den von den Krankenkassen im Schlichtungsverfahren vor der PVK am 3. September 1970 abgeänderten Anträgen nicht Stellung nehmen können. Deshalb hätte das Schiedsgericht auf die Sache nicht eintreten dürfen, abgesehen davon, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt worden sei.
Art. 23 KUVG
statuiere keine Rückforderungspflicht der Krankenkassen; werde sie wie im vorliegenden Fall im Vertrag zwischen Ärzten und Krankenkassen nicht vereinbart, so bestehe auch kein Rückforderungsrecht seitens der Krankenkassen. Die Vorinstanz habe auch dadurch
Art. 23 KUVG
nicht richtig angewandt, dass sie zur Ermittlung der Überarztung auf die sog. Durchschnittsberechnungsmethode abstellte, weil diese Methode der rechtlich garantierten Behandlungsselbständigkeit des Arztes zu Wenig Rechnung trage, ungeeignet und abzulehnen sei. Sollte die Methode dennoch als anwendbar erklärt werden, so sei zu beachten, dass Dr. G. nicht Allgemeinpraktiker sei, sondern zur Kategorie "Beinleiden mit Röntgen" gehöre. Bei Anwendung der Durchschnittsvergleichsmethode müssten die Rechnungen des Dr. G. mit den Rechnungen der Ärzte dieser Kategorie verglichen werden. Im übrigen stimme die von den Kassen vorgenommene Durchschnittsberechnung für 1969 ohnehin nicht.
Die Krankenkassen und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
BGE 103 V 145 S. 149
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da der Streit nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand hat, ist vom Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid auf einer Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, beruht (
Art. 104 OG
).
Nach
Art. 105 Abs. 2 OG
ist das Eidg. Versicherungsgericht an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung gebunden, wenn Rekurskommissionen oder kantonale Gerichte als Vorinstanzen entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt haben. Damit soll das Eidg. Versicherungsgericht in jenen Fällen vor zeitraubenden Ermittlungen verschont werden, in denen die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen bereits durch ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Instanz vollständig überprüft werden können (
BGE 97 I 480
). Diese umfassende Überprüfungsbefugnis steht dem nach
Art. 25 KUVG
bezeichneten Schiedsgericht des Kantons Luzern zu, weshalb das Eidg. Versicherungsgericht unter dem in
Art. 105 Abs. 2 OG
formulierten Vorbehalt an die vom Schiedsgericht vorgenommene Sachverhaltsfeststellung gebunden ist (vgl.
BGE 98 V 158
und
BGE 99 V 193
).
2.
Es steht fest, dass der Kantonalverband am 23. Februar 1970 die PVK ersucht hat, die Rechnungen des Jahres 1968 zu überprüfen und um 40% zu kürzen, dass der Verband ferner in seiner Beschwerde vom 3. September 1970 der PVK beantragte, es seien die seit dem 1. Mai 1969 eingereichten Rechnungen zu kürzen, und dass er in seiner Duplik vom 10. Februar 1973 gegenüber dem Schiedsgericht eine Rückforderung von 25% auf den Rechnungen der Jahre 1968 und 1969 geltend machte. Dr. G. beanstandet, dass das Schiedsgericht auf das am 3. September 1970 abgeänderte, von der PVK im Schlichtungsvorschlag übernommene Begehren eingetreten ist, obschon bloss über das Gesuch vom 23. Februar 1970 ein Schlichtungsverfahren durchgeführt worden sei; zudem habe er keine Gelegenheit gehabt, zur Beanstandung der ab 1. Mai 1969 eingereichten Rechnungen Stellung zu nehmen.
BGE 103 V 145 S. 150
Bei der Beurteilung dieses Einwandes ist von
Art. 25 Abs. 4 KUVG
auszugehen, der vorschreibt, dass der schiedsgerichtlichen Behandlung eines Streitfalles ein Vermittlungsverfahren vorausgehen muss, sofern nicht schon eine vertraglich eingesetzte Schlichtungsinstanz geamtet hat. Die Durchführung eines Schlichtungs- oder Vermittlungsverfahrens ist nach dieser zwingenden bundesrechtlichen Vorschrift unabdingbare Voraussetzung des schiedsgerichtlichen Verfahrens. Gegenstand des Schiedsgerichtsverfahrens können also nur solche Honorarforderungen sein, die schon Gegenstand eines Vermittlungs- oder Schlichtungsverfahrens gewesen sind. Wird dagegen dem Schiedsgericht ein Begehren zum Entscheid vorgelegt, über das kein Schlichtungsverfahren durchgeführt Wurde, so darf es jenes Begehren materiell nicht beurteilen.
a) Es ist unbestritten, dass die im Jahre 1968 von Dr. G. eingereichten Rechnungen Gegenstand des Schlichtungsverfahrens waren, um das der Kantonalverband am 23. Februar 1970 ersucht hatte. Insofern konnten jene Rechnungen auch Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens sein. Der Umstand, dass der Kantonalverband sein ursprüngliches Begehren vom 23. Februar 1970 um Kürzung der Rechnungen 1968 nicht schon in seiner Widerklage, sondern erst duplikweise am 10. Februar 1973 erneuerte, steht dem nicht entgegen. Denn diese Änderung des Widerklagebegehrens war gemäss § 30 der luzernischen Verordnung über das Schiedsverfahren nach
Art. 25 KUVG
zulässig und verstösst auch nicht gegen zwingende bundesrechtliche Vorschriften.
b) Anders verhält es sich bezüglich der seit dem 1. Mai 1969 eingereichten Rechnungen, welche der Kantonalverband mit seiner am 3. September 1970 an die PVK gerichteten Beschwerde beanstandet hat. Wohl bezog sich der Schlichtungsvorschlag vom 9. September 1970 auf diese Rechnungen. Aus den Akten ergibt sich aber, dass diesem Vorschlag kein eigentliches Schlichtungsverfahren vorausgegangen ist in dem Sinn, dass Dr. G. sich innert angemessener Frist zur Beschwerde des Kantonalverbandes hätte vernehmen lassen können, wie dies in § 4 Ziff. 4 des Reglementes der PVK vorgeschrieben ist. Da die Beschwerde am 3. September 1970 eingereicht wurde, hatte Dr. G. nicht bereits an der Sitzung vom 10. Juni 1970, zu der er vom Präsidenten der PVK eingeladen worden War, Stellung nehmen können. Übrigens
BGE 103 V 145 S. 151
schrieb der Präsident der PVK in jener Einladung ausdrücklich, es gehe um die Stellungnahme zu den Anträgen vom 23. Februar 1970. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass zwischen dem Beschwerdedatum (3. September 1970) und dem Datum des Schlichtungsvorschlages (9. September 1970) praktisch keine Möglichkeit bestand, Dr. G. zur Beschwerde Stellung nehmen zu lassen. Es ergibt sich somit, dass über die Rechnungsstellung des heutigen Beschwerdeführers ab 1. Mai 1969 kein Schlichtungsverfahren durchgeführt worden ist, bei dem die Vorschrift des rechtlichen Gehörs beachtet worden wäre. Demnach konnten jene Rechnungen gemäss
Art. 25 Abs. 4 KUVG
und den obigen Darlegungen nicht Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens sein.
In seiner Duplik vom 10. Februar 1973 beantragte der Kantonalverband generell die Kürzung der in den Jahren 1968 und 1969 eingereichten Rechnungen. Es sollten also auch jene Rechnungen gekürzt werden, die Dr. G. in der Zeit vom 1. Januar bis 30. April 1969 den Kassen eingereicht hatte. Auch über die Rechnungen dieser Periode hat nie ein Schlichtungsverfahren stattgefunden, so dass sie ebenfalls nicht Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens sein konnten.
Gesamthaft ist festzustellen, dass das Schiedsgericht auf die Forderungen des Kantonalverbandes, soweit sie die Rechnungsstellung des Jahres 1969 umfassten, nicht hätte eintreten dürfen.
3.
Somit ist heute materiell-rechtlich nur noch zu den im Jahre 1968 eingereichten Rechnungen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer meint dazu in grundsätzlicher Hinsicht, dem
Art. 23 KUVG
lasse sich keine Rückerstattungspflicht des Arztes bzw. kein Rückforderungsanspruch der Kassen entnehmen. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.
Nach
Art. 23 KUVG
haben sich u.a. die Ärzte in der Behandlung, in der Verordnung und Abgabe von Arzneimitteln sowie in der Anordnung und Durchführung von wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen und Analysen auf das durch das Interesse des Versicherten und den Behandlungszweck erforderliche Mass zu beschränken. Diese Bestimmung verpflichtet die Ärzte zur wirtschaftlichen Behandlungsweise und stellt damit eine Schutzvorschrift für die Versicherten und die Kassen dar, die gemäss
Art. 3 Abs. 3 KUVG
die
BGE 103 V 145 S. 152
Krankenversicherung nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit zu betreiben haben. Die Kassen müssen ferner Sicherheit dafür bieten, dass sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen können (
Art. 3 Abs. 4 KUVG
). Zur Verwirklichung des Prinzips der Gegenseitigkeit und zur Garantie ihrer Leistungsfähigkeit haben sie dafür zu sorgen, dass die Ärzte der Vorschrift wirtschaftlicher Behandlungsweise nachkommen. Dieser Aufgabe könnten die Kassen nicht hinreichend gerecht werden, wenn es ihnen bloss gestattet wäre, eine unwirtschaftliche Behandlung im voraus abzulehnen, was ohnehin praktisch selten genug zutreffen dürfte. Vielmehr muss ihnen die Möglichkeit offenstehen, Zahlungen für pflicht- und rechtswidrige Behandlung zu verweigern. Folgerichtig dürfen bereits erbrachte Leistungen zurückgefordert werden, wenn sich nachträglich ergibt, dass sie vom Arzt zu Unrecht bezogen worden sind. Andernfalls wäre
Art. 23 KUVG
- auch abgesehen von Art. 24 über den Ausschluss von Ärzten - weitgehend illusorisch. Die Kassen sind, mit andern Worten, gegenüber der Gesamtheit ihrer Versicherten gehalten, unrechtmässig erfolgte Leistungen wieder einzutreiben, damit der von Art. 23 zwingend geforderte gesetzliche Zustand verwirklicht und gegebenenfalls wiederhergestellt wird. - Indirekt geht übrigens auch
Art. 25 Abs. 3 KUVG
davon aus, dass der Kasse ein Rückforderungsanspruch gegenüber den Ärzten zusteht, bestimmt er doch, dass das Schiedsgericht auch zuständig ist, wenn das Honorar vom Versicherten geschuldet wird, und dass die Kasse zur selbständigen Prozessführung ermächtigt ist, ohne Rücksicht darauf, ob die Rechnung vom Versicherten als Honorarschuldner bereits bezahlt worden ist.
Das Eidg. Versicherungsgericht hat auch heute keine Veranlassung, von dieser Praxis (RSKV 1970 S. 82, bestätigt durch
BGE 98 V 158
und
BGE 99 V 193
abzuweichen.
4.
Eine andere Frage ist es, wie weit zurück die Krankenkassen bereits bezahlte Honorare von einem Arzt zurückfordern können. Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 16 Abs. 6 des Vertrages, wonach die Krankenkassen Arztrechnungen nur innerhalb von sechs Monaten seit Eingang beanstanden können. Als die Kassen die Rechnungen des Jahres 1968 am 23. Februar 1970 gegenüber der PVK beanstandeten, sei diese Frist schon längst abgelaufen gewesen. Auch in diesem Punkt kann dem Beschwerdeführer nicht gefolgt werden.
BGE 103 V 145 S. 153
Da das Rückforderungsrecht bzw. die Rückforderungspflicht der Kassen grundsätzlich Bundesrecht beschlägt, kann es nicht im Belieben der Kassen stehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie von diesem Recht Gebrauch machen wollen. Auch könnte durch vertragliche Abmachungen zwischen Krankenkassen und Ärzten diese Rückforderungspflicht weitgehend illusorisch gemacht oder rechtsungleich gehandhabt werden. Deshalb drängt sich eine für den ganzen Bereich des sozialen Krankenversicherungswesens einheitliche Regelung auf.
Nach
Art. 47 Abs. 1 AHVG
sind unrechtmässig bezogene Renten und Hilflosenentschädigungen der AHV zurückzuerstatten. Abs. 2 dieses Artikels bestimmt, dass der Rückforderungsanspruch mit Ablauf eines Jahres verjährt, nachdem die Ausgleichskasse davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit Ablauf von 5 Jahren seit der einzelnen Rentenzahlung. Wird der Rückforderungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend. Diese Rückerstattungsordnung gilt kraft gesetzlicher Vorschrift auch in der Invalidenversicherung, bei den Ergänzungsleistungen, in der Arbeitslosenversicherung, der Erwerbsersatzordnung und bei den Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern (
Art. 49 IVG
,
Art. 27 ELV
,
Art. 35 AlVG
,
Art. 20 EOG
,
Art. 18 Abs. 3 FLG
). Die Rechtsprechung hat ihre Anwendung auch auf die Krankenversicherung ausgedehnt (
BGE 102 V 101
, EVGE 1969 S. 40 und 1967 S. 14, unveröffentlichtes Urteil vom 3. Juli 1973 i.S. Rimensberger). Und die gleiche Regelung findet sich nun auch im Entwurf zu einem neuen Bundesgesetz über die Unfallversicherung. Im grundlegenden, in EVGE 1967 S. 14 publizierten Urteil ging es allerdings um die Frage der Rückforderung im Verhältnis der Krankenkassen zum Versicherten und nicht zum behandelnden Arzt. Indessen rechtfertigt es sich, diese Rückerstattungsordnung auch dann anzuwenden, wenn nicht der Versicherte, sondern der Arzt von der Krankenkasse nicht geschuldete Leistungen bezogen hat. Das bedeutet also, dass der Rückforderungsanspruch der Krankenkassen gegenüber dem Arzt nach Ablauf eines Jahres verjährt, nachdem die Kasse davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von 5 Jahren, seitdem ihr die einzelne Rechnung eingereicht worden ist. Darum ist Art. 16
BGE 103 V 145 S. 154
Abs. 6 des Vertrages, wonach Arztrechnungen nur innerhalb von 6 Monaten seit ihrem Eingang bei der PVK angefochten werden können, bundesrechtswidrig.
Es fragt sich, wann im vorliegenden Fall die einjährige Verjährungsfrist bezüglich der im Jahre 1968 eingereichten Rechnungen des Dr. G. zu laufen begonnen hat. Grundlage für die Behauptung, der Beschwerdeführer habe sich im Jahre 1968 unökonomischer Behandlungsweise bedient, war für die am Recht stehenden Krankenkassen der statistische Vergleich der durchschnittlichen Behandlungskosten des Beschwerdeführers mit den Behandlungskosten anderer Allgemeinpraktiker des Kantons Luzern im Jahre 1968. Die Behandlungskostenstatistik des Kantons Luzern für das Jahr 1968 war im März 1969 noch nicht erstellt, geschweige denn zur Kenntnis der Kantonalverbände gelangt. Daher war die einjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, als der Kantonalverband am 23. Februar 1970 die PVK ersuchte, die Rechnung des Dr. G. für das Jahr 1968 zu überprüfen und zu kürzen. Durch dieses Begehren ist die Verjährungsfrist rechtsgültig unterbrochen worden.
5.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird ferner eingewendet, der Vergleich von Durchschnittszahlen sei zum Nachweis der Überarztung nicht geeignet.
Auch dazu hat sich das Eidg. Versicherungsgericht schon wiederholt geäussert und erklärt, dass der statistische Vergleich der durchschnittlichen Behandlungskosten eines Arztes mit denjenigen anderer Ärzte jedenfalls dann nicht willkürlich sei, wenn sich das Vergleichsmaterial hinreichend ähnlich zusammensetze und der Vergleich sich über einen genügend langen Zeitraum erstrecke. Dann würden sich nämlich bloss zufällige Unterschiede mehr oder weniger ausgleichen. Wenn zudem - wie im vorliegenden Fall - von den Fachleuten des Schiedsgerichts erklärt wird, "der Antrag der Beklagten liege an der untern Grenze" und ein weiteres Entgegenkommen könnten die Kassen ihren Versicherten gegenüber wohl kaum noch verantworten, so besteht noch grössere Gewähr, dass das Ergebnis des Beweisverfahrens nicht zu Ungunsten des Beschwerdeführers willkürlich ist. Und wenn überdies die fachlich geprüften Krankenscheine mit dem statistischen Ergebnis im wesentlichen übereinstimmen, so kann die vom Schiedsgericht angewandte Beweismethode des Durchschnittsvergleichs
BGE 103 V 145 S. 155
umso weniger als willkürlich bezeichnet werden (
BGE 99 V 196
,
BGE 98 V 161
; RSKV 1970 S. 88). Die Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen auch in diesem Punkt nicht zu einer Änderung der Rechtsprechung zu führen.
6.
Für den Fall, dass die Durchschnittsberechnungsmethode auch vorliegend als anwendbar erklärt wird, verlangt der Beschwerdeführer, nicht als Allgemeinpraktiker behandelt zu Werden; vielmehr müssten seine eigenen Rechnungen mit jenen der Kategorie "Beinleiden mit Röntgen", die einen relativ hohen Durchschnitt erreichten, verglichen Werden. Er verweist auf das bei den Akten befindliche Verzeichnis der Behandlungsfälle des Jahres 1969, wo die Beinerkrankungen mit einem "B" bezeichnet seien.
Das erwähnte Verzeichnis umfasst rund 1100 Behandlungsfälle, von denen 71 mit einem "B" bezeichnet sind. In rund 20 von diesen 71 Fällen lautet die Diagnose aber gar nicht auf ein Beinleiden, sondern auf Schwangerschaft, Herzleiden, Lumbalgie, Cystitis, Arteriosklerose, Nervenleiden, Klimakterium, psychisches Leiden, Adipositas, Hypertonie, Ekzem, Diabetes, Rückenleiden, Kreislaufbeschwerden, Halsleiden, Anämie usw. Demnach entfallen von den Behandlungsfällen des Jahres 1969 nur etwa 4 1/2% auf Beinleiden. Daraus kann nicht auf eine rechtlich erhebliche Spezialisierung auf "Beinleiden mit Röntgen" geschlossen werden. Ähnlich dürfte es sich im Jahre 1968 verhalten haben.
Wenn der Beschwerdeführer aber geltend machen wollte, es seien bei der Durchschnittsberechnungsmethode auch die - wahrscheinlich bei jeder Arztpraxis vorhandenen - Specifica zu berücksichtigen, so hätte dieser Einwand etwas für sich, wenn ihm nicht schon hinreichend Rechnung getragen wäre. Obschon der Beschwerdeführer nach der vorinstanzlichen Berechnung den kantonalen Durchschnitt im Jahre 1968 um 90% überschritten hat, liess es das Schiedsgericht bei der von den Krankenkassen verlangten Herabsetzung der Rechnungen um 25% bewenden. Die Differenz zwischen dem um 25% reduzierten Behandlungskostendurchschnitt des Dr. G. und dem kantonalen Durchschnitt dient dazu, Behandlungsverteuerungen, die auf individuell-ärztlichem Verhalten beruhen, zu honorieren und damit die ärztliche Behandlungsfreiheit, wie sie in
Art. 22ter Abs. 3 KUVG
gewährleistet ist, zu respektieren.
BGE 103 V 145 S. 156
7.
a) Aus den obigen Darlegungen ergibt sich, dass Dr. G. der in
Art. 23 KUVG
normierten Vorschrift zur wirtschaftlichen Behandlungsweise nicht nachgelebt hat. Auf Einzelheiten der masslichen Ermittlung der Überarztung braucht im Hinblick auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid nicht näher eingegangen zu werden.
Die Kassen sind daher berechtigt, den Gesamtbetrag der Rechnungen, die ihnen Dr. G. im Jahre 1968 eingereicht hat, um 25% zu kürzen. In diesem Umfang steht ihnen ein Rückforderungsrecht gegenüber dem Beschwerdeführer zu.
b) Anders verhält es sich mit den Rechnungen des Jahres 1969, worüber die Vorinstanz - Wie gesagt - nicht hätte befinden dürfen. Da Kürzungen auf diesen Rechnungen prozessual offenbar nicht mehr geltend gemacht werden können, sind die Beträge, soweit auf diesen Rechnungen zurückbehalten, dem Beschwerdeführer auszuzahlen.
Bezüglich des Begehrens um Ausrichtung von Verzugszinsen ist darauf hinzuweisen, dass es im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich keine Verzugszinsen gibt, sofern sie nicht gesetzlich vorgesehen sind (
BGE 101 V 117
Erw. 3). Abweichungen von dieser Regel rechtfertigen sich ausnahmsweise dann, wenn besondere Umstände vorliegen. Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, so dass ein Anspruch auf Verzugszinsen verneint werden muss.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im folgenden Sinn teilweise gutgeheissen: a) Die Ziff. 1 und 2a des vorinstanzlichen Dispositivs werden aufgehoben; b) Ziff. 2b des vorinstanzlichen Dispositivs wird dahin abgeändert, dass die Krankenkassen für berechtigt erklärt werden, sämtliche im Jahre 1968 eingereichten Behandlungsrechnungen um 25% zu kürzen; c) soweit von den im Jahre 1969 eingereichten Rechnungen Rückbehalte vorgenommen wurden, sind sie von den Kassen dem Beschwerdeführer ohne Verzugszinsen auszuzahlen. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a7c0092f-07ad-4c0b-8ba9-629964a5ea3a | Urteilskopf
141 IV 269
35. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_676/2014 vom 30. Juli 2015 | Regeste
Art. 386 Abs. 2 und 3 StPO
; Rückzug eines Rechtsmittels; Willensmängel.
Der Rückzug eines Rechtsmittels unter der Bedingung, dass die Gegenpartei ihr eigenes Rechtsmittel ebenfalls zurückziehe, ist zulässig (E. 2.1).
Ein im Sinne von
Art. 386 Abs. 3 StPO
mit Willensmängeln behafteter Rechtsmittelrückzug ist nicht endgültig und kann widerrufen werden. Der Widerruf ist an diejenige Instanz zu richten, gegenüber welcher der Rückzug des Rechtsmittels erklärt wurde. Diese hat zu prüfen, ob der Rückzug wirksam ist (E. 2.2.3). | Sachverhalt
ab Seite 270
BGE 141 IV 269 S. 270
A.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X. am 29. Mai 2013 wegen qualifizierter Geldwäscherei, mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 7 i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG) und Unterlassung der Buchführung zu einer Freiheitsstrafe von 41 Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 30.-. (...)
X. und die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich erhoben gegen dieses Urteil Berufung. (...) Mit E-Mail vom 27. Mai 2014 zogen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch X. ihre Berufungen zurück. Das Obergericht schrieb das Verfahren als durch Rückzug der Berufungen erledigt ab.
B.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. Mai 2014 sei aufzuheben und die Sache zur Durchführung des Berufungsverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, nach Intervention und auf Veranlassung von Oberrichter A. sei er entgegen seinem eigentlichen inneren Willen gezwungen worden, die Berufung zurückzuziehen. (...)
2.
2.1
Nach der Rechtsprechung muss der Rückzug eines Rechtsmittels klar, ausdrücklich und unbedingt erfolgen (
BGE 119 V 36
E. 1b mit Hinweis). Zulässig ist der Rückzug des Rechtsmittels unter der Bedingung, dass die Gegenpartei ihr eigenes Rechtsmittel ebenfalls zurückziehe (PETER REETZ, in: Kommentar zur Schweizerischen
BGE 141 IV 269 S. 271
Zivilprozessordnung, Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 40 der Vorbemerkungen zu
Art. 308-318 ZPO
; FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 5 zu
§ 264 ZPO
/ZH). Wie im Fall der Anschlussberufung (
Art. 401 Abs. 3 StPO
) ermöglicht dies einer Partei, ihre Berufung zurückzuziehen, ohne die Gefahr eingehen zu müssen, dass eine andere Partei ihr eigenes Rechtsmittel aufrechterhält und eine reformatio in peius möglich bleibt.
2.2
2.2.1
Der Rückzug des Rechtsmittels ist endgültig, es sei denn, die Partei sei durch Täuschung, eine Straftat oder eine unrichtige behördliche Auskunft zu ihrer Erklärung veranlasst worden (
Art. 386 Abs. 3 StPO
). Willensmängel sind von demjenigen, der sich darauf beruft, nachzuweisen (Urteil 2C_292/2014 vom 18. August 2014 E. 2.1). In welcher Form diese geltend zu machen sind, regelt
Art. 386 Abs. 3 StPO
nicht ausdrücklich. In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass dies sinnvollerweise nur im Rahmen einer offenen Rechtsmittelfrist gegen die Verfahrensabschreibung geschehen könne. Später komme nur noch die Revision in Betracht (ZIEGLER/KELLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu
Art. 386 StPO
).
2.2.2
Nach
Art. 410 Abs. 1 StPO
kann die Revision verlangen, wer durch ein rechtskräftiges Urteil, einen Strafbefehl, einen nachträglichen richterlichen Entscheid oder einen Entscheid im selbstständigen Massnahmenverfahren beschwert ist. Urteile sind Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird; die anderen Entscheide ergehen in der Form eines Beschlusses oder einer Verfügung (
Art. 80 Abs. 1 StPO
). Gegen Letztere ist die Revision nicht zulässig (THOMAS FINGERHUTH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 17 zu
Art. 410 StPO
mit Hinweisen). Dies betrifft auch die Abschreibung des Verfahrens infolge Rückzugs eines Rechtsmittels.
2.2.3
Nach dem Rückzug des Rechtsmittels ist die Situation nicht anders, als wäre dieses nie erhoben worden (RICHARD CALAME, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 4 zu
Art. 386 StPO
). Das Verfahren vor der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz wird mit dem Rückzug unmittelbar beendet und der Abschreibungsbeschluss hat lediglich deklaratorischen
BGE 141 IV 269 S. 272
Charakter (
BGE 109 V 234
E. 3 mit Hinweisen). Die in
Art. 386 Abs. 3 StPO
erwähnten Willensmängel werden typischerweise auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bekannt oder ihre Wirkung dauert darüber hinaus an. Ihre Geltendmachung nach diesem Zeitpunkt muss daher, obwohl die Revision nach
Art. 410 Abs. 1 StPO
unzulässig ist, möglich bleiben.
Art. 386 Abs. 3 StPO
statuiert lediglich, dass der Rückzug eines Rechtsmittels endgültig ist, es sei denn, bestimmte Willensmängel lägen vor. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein im Sinne von
Art. 386 Abs. 3 StPO
mit Willensmängeln behafteter Rechtsmittelrückzug nicht endgültig ist und widerrufen werden kann. Im Sinne dieser Bestimmung hat die Partei, deren Rückzugserklärung sich als unwirksam erweist, einen Anspruch darauf, dass ihr Rechtsmittel von der zuständigen Berufungs- oder Beschwerdeinstanz in der Sache behandelt wird. Ein solcher Widerruf ist daher - unabhängig von der Beschwerdefrist ans Bundesgericht - an diejenige Instanz zu richten, gegenüber welcher der Rückzug des Rechtsmittels erklärt wurde. Ohne Belang ist, ob dies vor oder nach dem Erlass eines Abschreibungsbeschlusses erfolgt, zumal Letzterem bloss deklaratorische Wirkung zukommt. Widerruft eine Partei ihren Rückzug, ist das Rechtsmittelverfahren neu aufzunehmen. Erachtet die Beschwerde- oder Berufungsinstanz, der Rückzug sei wirksam, ist auf das Rechtsmittel - wie bei einer verspäteten Eingabe - nicht einzutreten. Soweit vor Bundesgericht ein Abschreibungsbeschluss angefochten und - wie vorliegend - geltend gemacht wird, der Rückzug des Rechtsmittels sei nach
Art. 386 Abs. 3 StPO
unwirksam, ist auf die Beschwerde mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht einzutreten (
Art. 80 Abs. 1 BGG
). Hätte das Bundesgericht über die behaupteten Willensmängel zu befinden, müsste es sich wie ein Sachgericht zur Beweiswürdigung äussern und sein Ermessen in Beweisfragen über dasjenige des Sachgerichts setzen. Dies widerspricht dem Grundsatz, wonach das Bundesgericht in Tatfragen nur prüft, ob die Vorinstanz das Willkürverbot verletzt hat (Urteil 6B_389/2012 vom 6. November 2012 E. 4.4). | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7c174a8-3bcd-4e3f-9ec9-3c26529cc70f | Urteilskopf
101 Ia 19
6. Sentenza 26 febbraio 1975 nella causa X S.A. contro Stato del Cantone Ticino | Regeste
Verjährung öffentlichrechtlicher Geldforderungen.
Sind öffentlichrechtliche Geldforderungen stets als verjährbar anzusehen? (Frage offengelassen, E. 4a).
Im Tessiner Steuersystem kann die Verjährung der Steuerschuld auch während des Veranlagungsverfahrens eintreten (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 101 Ia 19 S. 19
All'inizio del 1967 l'Amministrazione cantonale ticinese delle contribuzioni (in seguito: ACC) inviava alla X. S.A. il formulario per la dichiarazione d'imposta cantonale per l'anno 1967. Riempito dalla contribuente, in data 20 giugno 1967, il formulario pervenne all'ACC il 26 giugno 1967.
Già il 23 giugno 1967 la X. S.A. aveva pagato un'acconto di fr. 51'120.--, richiestole con bolletta provvisoria del 31 maggio 1967.
Il 18 dicembre 1973 l'ACC notificò alla contribuente la tassazione per l'anno 1967. Essa stabiliva in fr. 347'581.10 l'imposta cantonale per quell'anno, e, dedotti l'acconto versato e gli sconti su tale importo, in fr. 295'438.70 il saldo richiesto.
Contro questa tassazione la X. S.A. insorse con reclamo 9 gennaio 1974, sollevando l'eccezione di perenzione, rispettivamente di prescrizione e, contro la sfavorevole decisione dell'ACC, essa si aggravò il 19 giugno 1974 alla Camera di diritto tributario del Tribunale di appello (in seguito: Camera), riproponendo gli stessi argomenti.
Con sentenza del 5 settembre 1974 la Camera ha respinto il ricorso.
BGE 101 Ia 19 S. 20
Con ricorso di diritto pubblico per violazione dell'
art. 4 Cost.
, la X. S.A. impugna questa decisione, e chiede al Tribunale federale di annullarla insieme con la tassazione notificata il 18 dicembre 1973.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Di ultima istanza, la decisione impugnata, che ha confermato la tassazione, è anche finale. Contro di essa è quindi aperto il ricorso per violazione dell'
art. 4 Cost.
(
art. 87 OG
).
Solo la conclusione di annullamento della decisione della Camera di diritto tributario, ultima istanza cantonale munita di piena cognizione e che applica il diritto d'ufficio, è ricevibile.
2.
L'art. 22 della legge cantonale di procedura tributaria (LPT) lega all'osservanza di un termine perentorio il diritto di iniziare una procedura di tassazione. Come rileva l'autorità cantonale, questa regolamentazione è analoga a quella prevista dall'art. 98 DIN, con la sola differenza che nel sistema ticinese il termine è di cinque, nel diritto federale di tre anni. Come il DIN, la legge cantonale nulla dispone circa il tempo, entro cui una tassazione tempestivamente iniziata debba essere conclusa né circa un eventuale estinzione della procedura durante il suo stesso corso.
D'altro canto, la prescrizione quinquennale del credito di imposta, prevista dall'
art. 94 cpv. 1 LPT
, decorre solo dalla notifica della tassazione definitiva, se essa è stata intimata al contribuente dopo la fine del periodo fiscale; altrimenti, dalla fine dell'anno cui l'imposta si riferisce. Alla prescrizione si applicano per analogia le disposizioni del CO (
art. 94 cpv. 2 LPT
); essa è interrotta da ogni atto di esazione e sospesa fintanto che il contribuente non ha domicilio in Svizzera o non vi può per altri motivi essere escusso (art. 94 cpv. 3).
3.
Dai combinati disposti degli
art. 22 e 94 LPT
la Camera, nell'impugnata decisione, ha tratto la conclusione che una volta iniziata tempestivamente la procedura di tassazione, la pretesa fiscale dello Stato è sottratta a qualsiasi prescrizione o perenzione, sino al momento della tassazione definitiva, dalla cui notifica soltanto decorre il termine di prescrizione del credito d'imposta.
BGE 101 Ia 19 S. 21
Tale modo di vedere è censurato siccome arbitrario dalla ricorrente. Essa fa valere che devesi ammettere, nel sistema fiscale ticinese, l'esistenza di una lacuna, giacché non è compatibile con i principi sanciti dall'
art. 4 Cost.
rendere imprescrittibile la pretesa fiscale dello Stato sinché dura la procedura di tassazione, indipendentemente dall'assoluta inerzia degli organi fiscali. Ciò posto, la ricorrente sostiene che la Camera avrebbe dovuto accertare il verificarsi della prescrizione o perenzione, dato che l'autorità fiscale è rimasta completamente inerte per oltre cinque anni.
4.
Se ci si fonda - come la Camera - unicamente sulla lettera dei combinati disposti degli
art. 22 e 94 LPT
, si giunge effettivamente alla conclusione che durante la procedura di tassazione, purché tempestivamente iniziata, e fino all'emanazione della tassazione definitiva, il trascorrere del tempo non è suscettibile di esercitare alcun effetto estintivo sulla pretesa fiscale né sulla procedura.
a) La giurisprudenza del Tribunale federale ha costantemente ritenuto che le pretese pecuniarie di diritto pubblico soggiacciono di regola alla prescrizione, anche nel silenzio del diritto positivo, tanto che si tratti di pretese dell'ente pubblico verso i privati (
DTF 71 I 208
;
DTF 78 I 89
consid. 4;
DTF 83 I 218
segg.;
DTF 93 I 397
, 672;
DTF 94 I 517
consid. 1;
DTF 98 Ib 355
), quanto nel caso inverso (
DTF 71 I 47
;
DTF 78 I 191
segg.;
DTF 85 I 183
consid. 3;
DTF 95 I 516
).
Il principio della prescrittibilità anche nel silenzio del diritto positivo è generalmente ammesso nella giurisprudenza amministrativa cantonale (cfr.
DTF 97 I 628
; IMBODEN, Schw. Verwaltungsrechtsprechung, III ed. n. 121 II; GRISEL, Droit Administratif suisse, pag. 347, 2). Solo la prassi bernese faceva eccezione: con sentenza 12 ottobre 1970 del Tribunale amministrativo bernese (in ZBl, Vol. 72 (1971) pag. 329 segg.) questa giurisprudenza è però stata mutata, e la prescrittibilità ammessa.
Controverso nella dottrina più antica (sono note le tesi opposte di BLUMENSTEIN (Steuerrecht, pag. 300 segg.) e di FLEINER (Institutionen, pag. 437; cfr. anche gli autori citati da Zweifel, Zeitablauf als Untergangsgrund öffentlich-rechtlicher Ansprüche, pag. 62 segg. e passim), in quella più recente il principio della prescrittibilità è generalmente riconosciuto (Imboden, op.cit., n. 121; Grisel, op.cit., 347; HAGMANN, Die Verjährung
BGE 101 Ia 19 S. 22
im Verwaltungsrecht des Kantons Solothurn, Festgabe Max Obrecht, pag. 211 e autori citati).
In una sentenza ormai antica, il Tribunale federale ha tuttavia rifiutato di considerare siccome contraria all'
art. 4 Cost.
una decisione che, in assenza di espressa disposizione di legge, dichiarava imprescrittibile un credito per imposte arretrate (
DTF 29 I 420
). Uguale opinione si ritrova nella sentenza 17 novembre 1954 in re A. F-B. contro Basilea-Campagna, non pubblicata nella Raccolta Ufficiale, ma apparsa in Basellandschaftliche Steuerpraxis, I, pag. 127 e segg. (129 consid. 3).
Ci si può chiedere se questa giurisprudenza possa essere mantenuta. Come si evince dalle citate sentenze del Tribunale federale, la regola della prescrittibilità di principio delle pretese pecuniarie di diritto pubblico è dettata da ragioni di sicurezza del diritto e da esigenze di tutela giuridica (
DTF 85 I 183
consid. 3;
DTF 94 I 517
) che appaiono irrinunciabili in uno Stato fondato sul diritto, e la cui lesione sembra pertanto dover essere considerata inammissibile e quindi contraria all'
art. 4 Cost.
La questione di principio può tuttavia rimanere aperta nella fattispecie perché il rifiuto dell'autorità cantonale di ammettere l'esistenza di una lacuna colmabile appare, avuto riguardo alla struttura del sistema fiscale ticinese, insostenibile già sulla scorta della giurisprudenza attuale.
b) Allorquando una legge fiscale riconosce l'istituto della prescrizione, ma si limita a regolare quella del credito di imposta accertato mediante tassazione (cosiddetta prescrizione dell'esazione, Bezugsverjährung), è insostenibile, e quindi contrario all'
art. 4 Cost.
, pretendere che nelle more della procedura di tassazione la pretesa fiscale dell'ente pubblico sia sottratta a qualsiasi prescrizione. Questa massima (
DTF 94 I 517
consid. 1), relativa ad un caso concernente il Canton San Gallo, torna applicabile anche nella presente causa.
È vero che, oltre la prescrizione del credito di imposta stabilito con la tassazione (
art. 94 LPT
), la legge ticinese - diversamente da quella di San Gallo - ha anche limitato nel tempo il diritto di iniziare una procedura di tassazione (
art. 22 LPT
), con una disposizione sostanzialmente identica a quella dell'art. 98 DIN.
A torto, però, l'impugnata sentenza invoca questa circostanza
BGE 101 Ia 19 S. 23
e adduce, a sostegno della tesi dell'imprescrittibilità, la giurisprudenza del Tribunale federale relativa all'art. 98 DIN (ASA 41, pag. 182 segg.;
DTF 97 I 437
), giurisprudenza secondo la quale, una volta iniziata tempestivamente in ossequio a quel disposto, la procedura di tassazione non è più legata ad alcun termine.
L'autorità cantonale commette infatti l'errore di raffrontare due norme che, se sono sostanzialmente identiche, sono però inserite in due sistemi fiscali completamente diversi per quanto riguarda l'istituto della prescrizione.
Infatti, mentre la legge ticinese regola la prescrizione del credito d'imposta accertato (Bezugsverjährung,
art. 94 LPT
), la legge federale istituisce la prescrizione della pretesa fiscale derivante dall'assoggettamento (Anspruchsverjährung, art. 128 DIN), e la fa di norma decorrere dal termine generale di scadenza (art. 114 cpv. 1 DIN), e ciò per l'intero importo che risulterà dovuto, anche se il contribuente non ha ricevuto che una tassazione provvisoria (
DTF 75 I 174
segg., in part. 179:
DTF 97 I 176
/77).
Se quindi la procedura di tassazione per l'imposta per la difesa nazionale, tempestivamente iniziata ai sensi dell'art. 98 DIN, non è più ulteriormente soggetta, giusta la legge e la citata giurisprudenza, ad alcun termine, ciò non significa che il contribuente sia indifeso contro qualsiasi inazione protratta nel tempo degli organi di tassazione, poiché la prescrizione della pretesa fiscale corre anche durante la procedura di tassazione, come d'altronde può evincersi dalla sentenza
DTF 97 I 437
citata dall'ACC.
Il sistema dell'imposta per la difesa nazionale è quindi scevro di quelle lacune che sussistono nei sistemi che prevedono soltanto la prescrizione del credito d'imposta, lacune che, giusta la citata sentenza
DTF 94 I 517
consid. 1, non possono essere senza arbitrio ignorate, e che il giudice amministrativo non può rifiutarsi di colmare (cfr. in proposito: Commissione di ricorso di Soletta, decisioni del 21 aprile 1969 e del 10 novembre 1969, in Bericht an den Kantonsrat 1969, n. 2 e 5; KÄNZIG, Wehrsteuer, ad art. 128 n. 2 e Ergänzungsband, ad art. 128 n. 2).
L'impugnata decisione, che pretende imprescrittibile la pretesa fiscale nelle more della procedura di tassazione senza riguardo alcuno all'eventuale prolungata inazione degli organi
BGE 101 Ia 19 S. 24
fiscali, in un sistema che ammette e regola esplicitamente la prescrizione dell'esazione, contravviene pertanto all'
art. 4 Cost.
c) Nella citata sentenza
DTF 94 I 517
consid. 1, il Tribunale federale ha inoltre osservato che la tesi dell'imprescrittibilità nelle more della procedura di tassazione è a maggior ragione insostenibile per motivi di eguaglianza di trattamento allorquando la legislazione cantonale limita nel tempo la possibilità di perseguire le infrazioni fiscali, perché non è ammissibile riservare al contravventore un trattamento più favorevole di quello di cui beneficia il contribuente corretto. Anche questo motivo ricorre nel caso in esame, poiché - come si vedrà oltre - la legge ticinese istituisce un termine di vera e propria prescrizione in materia di imposte suppletorie e di multe fiscali.
Anche sotto questo profilo l'impugnata decisione viola l'
art. 4 Cost.
5.
Ciò non comporta ancora necessariamente l'accoglimento del ricorso. Il Tribunale federale annulla infatti una decisione cantonale solo se essa è arbitraria nel suo risultato.
Occorre pertanto esaminare se, ammessa la prescrittibilità di principio della pretesa fiscale, la Camera non potesse senza arbitrio negare il verificarsi della prescrizione.
a) È pacifico in causa che nessun atto di procedura è stato compiuto tra il momento, in cui la dichiarazione fiscale è stata inoltrata (26 giugno 1967) ed il giorno (18 dicembre 1973) in cui la tassazione è stata notificata alla ricorrente. Questo lasso di tempo è di quasi sei anni e mezzo; superiore ai cinque anni è il lasso, anche se, per l'inizio del decorso della prescrizione, si assume il 31 dicembre 1967, data della fine del periodo fiscale cui l'imposta si riferisce.
Se si ammette, con la ricorrente, un termine di prescrizione di cinque anni, la prescrizione si è verificata.
b) Nel silenzio del diritto positivo per stabilire la durata (e l'inizio) del termine di prescrizione di pretese fondate sul diritto pubblico occorre riferirsi alle norme che il legislatore ha previsto per casi analoghi (
DTF 78 I 89
consid. 4, 191/92;
DTF 83 I 218
segg.;
DTF 85 I 183
consid. 3;
DTF 93 I 397
). In mancanza di tali norme, o in presenza di soluzioni contraddittorie o casuali, il giudice amministrativo deve stabilire il termine come se fosse un legislatore (
DTF 98 Ib 356
segg., consid. 2b e c).
c) A ragione la ricorrente sostiene che solo il termine
BGE 101 Ia 19 S. 25
quinquennale può esser preso in considerazione. Non solo tale termine è quello stabilito per la prescrizione del credito d'imposta tassato (
art. 94 LPT
). Ciò che appare essenziale - per la ragione indicata sopra al consid. 4c - è che un termine di cinque anni è previsto dalla legge per le imposte suppletorie (
art. 60 LPT
) e che tale termine è di prescrizione vera e propria, giacché può essere interrotto da ogni atto d'inchiesta o di accertamento ed è suscettibile di sospensione (
art. 72 e 73 LPT
).
Se ne deve concludere che la Camera non poteva pertanto che accertare il compiuto decorso del termine di prescrizione, nessun atto di accertamento essendo intervenuto, dopo la fine del periodo fiscale, durante un lasso di tempo maggiore di cinque anni, ed essendo pacifico che il decorso della prescrizione non è stato sospeso.
d) Nelle osservazioni, l'ACC espone le ragioni che, a parere suo, avrebbero giustificato di tenere in sospeso la procedura, o comunque il ritardo nella notifica della tassazione.
Esse non sono però pertinenti.
Anzitutto, nessuna formale decisione di sospensione della procedura è stata presa e notificata alla contribuente. Che fra la contribuente e il fisco pendesse poi una vertenza relativa alla valutazione fiscale degli immobili agricoli per l'imposta cantonale 1965/66, non ha impedito all'ACC di procedere alla tassazione o comunque ad altri atti interruttivi della prescrizione. D'altronde, quella vertenza si concluse comunque con sentenza esecutiva della Camera di diritto tributario del 22 maggio 1970. Un ricorso di diritto pubblico interposto dalla X. S.A. al Tribunale federale fu da questo respinto già il 7 ottobre 1970, cioè parecchio tempo prima del compiersi della prescrizione. Che infine il legale della ricorrente, per una contribuente diversa, abbia risollevato lo stesso problema della valutazione dei beni agricoli per l'imposta cantonale e, insieme, per l'imposta comunale (d'altronde, con successo per quest'ultimo tributo, cfr. sentenza 14 novembre 1973), non giustifica l'inazione degli organi fiscali, né concreta un rimprovero di malafede nei confronti della ricorrente.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Nella misura in cui è ricevibile il ricorso è accolto e l'impugnata decisione annullata. | public_law | nan | it | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a7c1dba6-05b8-4c37-8901-f082bf9280af | Urteilskopf
105 IV 208
55. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 15 août 1979 dans la cause D. contre Département de justice et police du canton du Valais (pourvoi en nullité) | Regeste
1.
Art. 14 Abs. 4 SSV
.
Diese Bestimmung schreibt nicht allgemein vor, dass alle in einer Strasse geltenden Vorschrifts- oder Hinweissignale bei jeder Verzweigung wiederholt werden müssen (E. 1b).
2.
Art. 27 Abs. 1 SVG
.
Wer in eine durch das Signal Nr. 314 gekennzeichnete Einbahnstrasse einfährt, darin sein Fahrzeug wendet und in der verbotenen Gegenrichtung zurückkehrt, ist auch strafbar, wenn er das am Ende der Einbahnstrasse aufgestellte Signal Nr. 202 nicht wahrnehmen konnte (E. lb).
3.
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
.
Diese Bestimmung kommt nur zur Anwendung, wenn selbst eine geringfügige Busse als stossend empfunden würde. Das trifft nicht zu, wenn ein wichtiges Signal wie Nr. 314 (Einbahnstrasse) missachtet wird (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 105 IV 208 S. 209
A.-
La route de Sion, à Sierre, est une chaussée à sens unique qui ne peut être empruntée que dans le sens Sion-Brigue. Un signal "sens unique" (314) est apposé à son entrée, et répété après son intersection avec la route du Lamberson à droite et le chemin de la Fontaine à gauche, dans le sens Sion-Brigue. Plus loin, toujours dans le même sens, débouche à gauche le chemin des Liddes; le signal 314 n'est pas répété après ce débouché. La route de Sion se termine au moment où elle rejoint la route de l'Hôpital.
Dans le sens Brigue-Sion, un signal "sens interdit" (202) est apposé à l'entrée de la route de Sion, au carrefour qu'elle forme avec la route de l'Hôpital. Ce signal n'est pas répété après le débouché du chemin des Liddes, à droite dans le sens Brigue-Sion. Il est en revanche à nouveau apposé après l'intersection de la route de Sion avec la route du Lamberson d'une part et avec le chemin de la Fontaine, d'autre part.
Le 7 octobre 1978, D., au volant de son automobile, a emprunté la route de Sion dans le sens autorisé Sion-Brigue. Il a dépassé l'intersection avec la route du Lamberson et le chemin de la Fontaine, puis le débouché, alors à sa gauche, du chemin des Liddes, peu après lequel il a parqué son véhicule. Un peu plus tard, après avoir repris son véhicule, il a fait un tourner sur route avant de remonter la route de Sion dans le sens Brigue-Lausanne. Après avoir dépassé le débouché du chemin des Liddes et peu avant d'arriver à l'intersection avec le chemin de la Fontaine et avec la route du Lamberson, il est entré en collision avec la voiture de M., qui roulait normalement en sens inverse.
B.-
Le 15 novembre 1978, le Département de justice et police du canton du Valais a condamné D. à une amende de
BGE 105 IV 208 S. 210
50 fr., pour avoir circulé au volant de sa voiture dans une rue en sens interdit, gêné la marche d'un usager prioritaire et causé ainsi un accident.
Le Conseil d'Etat du canton du Valais a rejeté le 4 avril 1979 le recours de D.; il a retenu à la charge du condamné une infraction à l'
art. 27 al. 1 LCR
et, faisant application de l'
art. 90 al. 1 LCR
, il n'a pas considéré le cas comme de peu de gravité au sens de l'
art. 100 ch. 1 al. 2 LCR
.
C.-
D. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à l'acquittement et, subsidiairement, au renvoi de la cause à l'autorité cantonale, pour nouvelle décision; très subsidiairement, il conclut à l'exemption de toute peine en vertu de l'
art. 100 ch. 1 al. 2 LCR
.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le recourant conteste avoir violé les art. 27 al. 1 et 90 al. 1 LCR. Il soutient que la signalisation est incomplète, et se réfère à l'
art. 14 al. 4 OSR
ainsi qu'à un arrêt zurichois publié au JdT 1969 I 404 (et au RSJ 1968 p. 295, n. 163). Il invoque l'absence de signalisation à la hauteur du débouché du Chemin des Liddes sur la route de Sion (ni signal 314 dans le sens Sion-Brigue, ni signal 202 dans le sens Brigue-Sion). Et il fait valoir qu'en raison de cette lacune, le parcours qu'il a ensuite effectué en sens interdit depuis le lieu de son stationnement jusqu'à ce débouché n'aurait pas dû être puni puisque l'on ne saurait lui reprocher d'avoir, en l'absence du signal 202, poursuivi son chemin jusqu'à l'intersection avec le chemin de la Fontaine et avec la route du Lamberson. Il serait d'autant moins punissable qu'il ne connaît pas la ville de Sierre. Le recourant se réfère encore à la situation de celui qui, venant du chemin des Liddes, aurait parqué son véhicule au même endroit que lui et serait reparti ensuite comme lui en sens interdit, mais qui aurait été, lui, parfaitement en état de se disculper.
b) Il n'est nullement certain que l'
art. 14 al. 4 OSR
impose à l'autorité l'obligation de répéter après chaque intersection tous les signaux de prescription ou d'indication s'appliquant à une chaussée ou à une rue. En effet, il dispose que "les signaux annonçant des règles spéciales à observer par les conducteurs, telles que les dépassements interdits, ne s'appliquent aux embranchements que s'ils y sont répétés", et que "ce
BGE 105 IV 208 S. 211
principe est également valable pour les interdictions de s'arrêter et de stationner, mais non pas pour la limitation de vitesse à l'intérieur des localités". La rédaction de cette disposition apparaît d'emblée comme peu heureuse, puisqu'au lieu de se référer à la terminologie employée dans l'OSR pour désigner les différentes catégories de signaux, elle use d'une autre désignation, accompagnée d'exemples ne permettant pas de faire une véritable généralisation. Ensuite, elle parle d'"embranchements" ("abzweigende Strassen"; "strade che si diramano") et non pas d'"intersections" ("Verzweigungen", "intersezioni"), ni de "croisées", "bifurcations" ou "débouchés" ("Kreuzungen", "Gabelungen", "Einmündungen"; "crocevie", "biforcazioni", "sbocchi"), comme à l'
art. 1 al. 8 OCR
. On peut néanmoins en inférer que l'obligation de répétition de la signalisation, contenue à l'
art. 14 al. 4 OSR
, n'existe que relativement à la voie qui quitte, en s'en différenciant, la chaussée ou la rue comportant le signal visé. Cette interprétation est d'ailleurs celle de l'arrêt zurichois invoqué par le recourant, où l'obligation de répéter la signalisation d'une interdiction de dépasser a été posée non pas pour le tronçon frappé de l'interdiction et que le conducteur avait quitté, mais pour la rue latérale qu'il avait empruntée. On peut ainsi fortement douter que le recourant, qui n'a jamais quitté la route de Sion, puisse valablement se fonder sur l'
art. 14 al. 4 OSR
pour soutenir que la signalisation figurant à l'entrée de cette rue devait être répétée à chaque intersection ou débouché. Il n'y a cependant pas lieu d'examiner ce point plus avant, qui ne pourrait concerner, à la rigueur, que le tronçon compris entre le débouché du chemin des Liddes et le lieu de stationnement du recourant, mais en aucun cas le tronçon situé entre la route du Lamberson et le chemin des Liddes. Or le recourant a indiscutablement contrevenu à la signalisation existante en parcourant, en direction de Sion, ce dernier tronçon.
En effet, la route de Sion, pour celui qui, comme l'a d'abord fait le recourant, se dirige vers Brigue, comporte à son entrée un signal "sens unique" (314), qui est répété après l'intersection avec la route du Lamberson. Comme le précise l'
art. 34 al. 4 OSR
, ce signal désigne une rue qui ne peut être empruntée que dans la direction indiquée. Ce signal contient donc une indication dont le recourant avait l'obligation de tenir compte, car il n'a pas seulement pour but d'indiquer à l'usager que les
BGE 105 IV 208 S. 212
règles de l'
art. 37 OCR
lui sont applicables, mais également de signaler expressément que la circulation en sens inverse est interdite. Ce signal a évidemment également pour fonction d'éviter tout retour des usagers en sens inverse, notamment lorsqu'ils n'ont pas dépassé la hauteur du signal correspondant, "sens interdit" (202), placé à l'autre extrémité des chaussées à sens unique (
art. 16 al. 2 OSR
). Dès lors, en reprenant en sens inverse, même après un arrêt d'un certain temps effectué au-delà du débouché du chemin des Liddes, le tronçon situé entre cette route et la route du Lamberson, le recourant n'a pas respecté le signal qui lui avait indiqué que ce tronçon ne pouvait être emprunté que dans un sens. C'est ainsi à juste titre qu'il a été reconnu coupable de violation de l'
art. 27 al. 1 LCR
, pour n'avoir pas respecté le signal 314.
Le recourant ne saurait établir de parallèle entre sa situation et celle d'un usager qui, venant du chemin des Liddes, aurait stationné au même endroit que lui, pour emprunter ensuite également sur la route de Sion le tronçon en sens interdit situé entre le chemin des Liddes et la route du Lamberson. En effet, une telle hypothèse suppose l'absence de la signalisation adéquate pour l'usager venant du chemin des Liddes (c'est-à-dire du signal 222; cf.
art. 22 al. 2 OSR
), alors que, dans le cas du recourant, la signalisation sur les tronçons qu'il a empruntés en roulant en direction de Brigue était adéquate et comportait bien le signal ad hoc, no 314.
Enfin, le recourant se méprend totalement lorsqu'il semble déduire de l'arrêt zurichois précité l'existence d'une règle générale selon laquelle l'obligation découlant d'un signal routier pour les usagers roulant dans un sens ne pourrait être opposée à ceux venant d'en face. Un tel principe peut certes valoir pour certaines prescriptions, comme l'interdiction de dépasser, mais en aucun cas pour des prescriptions qui, comme celle ressortant du signal 314, ont précisément pour but d'indiquer comment est réglementée la circulation en sens inverse.
2.
a) Le recourant fait ensuite valoir que si une négligence devait être retenue contre lui, elle ne serait que minime, et devrait entraîner en sa faveur l'application de l'
art. 100 ch. 1 al. 2 LCR
et l'exemption de toute peine.
b) L'exemption de toute peine prévue par l'
art. 100 ch. 1 al. 2 LCR
présuppose l'existence non pas d'un cas léger, mais de très peu de gravité, et le juge n'a que la possibilité - et non l'obligation -
BGE 105 IV 208 S. 213
de faire abstraction de toute peine. Il faut que l'inculpé ait eu des motifs suffisants de transgresser les règles de la circulation. Le Tribunal fédéral ne peut intervenir sur ce point que si la juridiction cantonale a outrepassé son pouvoir d'appréciation. Le juge ne peut faire abstraction d'une peine que si une amende, même minime, apparaît comme choquante en raison de sa sévérité parce qu'inadaptée aux circonstances (
ATF 91 IV 152
consid. 3).
Or ce n'est que dans des circonstances tout à fait particulières que l'inobservation d'un signal routier peut être considérée comme un cas de très peu de gravité. La signalisation revêt en effet une importance primordiale dans la circulation, notamment lorsqu'elle est destinée à prévenir des situations dangereuses. Or le signal 314 est précisément un signal important, destiné d'une part à conférer des droits précis et une confiance particulière aux usagers circulant dans le bon sens, et d'autre part à éviter le danger constitué par un retour en sens inverse.
Admettre trop facilement comme un cas de très peu de gravité l'omission de tenir compte d'un tel signal ne pourrait que nuire sérieusement à la sécurité de la circulation.
En l'espèce, compte tenu du fait que le recourant a rencontré en tout cas deux fois le signal 314 lorsqu'il a effectué son premier parcours sur la route de Sion, l'inattention ou la négligence dont il a fait preuve peut, sans aucun excès du pouvoir d'appréciation, ne pas être qualifiée comme de très peu de gravité. L'autorité cantonale n'a donc en rien violé l'
art. 100 ch. 1 al. 2 LCR
.
Le pourvoi doit donc également être rejeté sur ce point. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7c25944-5a57-48a3-a443-f43bc10c7326 | Urteilskopf
113 II 15
4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Januar 1987 i.S. A., B. und K. gegen Z. (Berufung) | Regeste
Ausschluss aus der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer (
Art. 649b ZGB
).
1. Die Klage auf Ausschluss aus der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer betrifft eine vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von
Art. 46 OG
(E. 1).
2. Voraussetzungen für den Ausschluss eines Miteigentümers aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft. Ein Ausschluss kommt nur als ultima ratio in Betracht, wenn alle andern möglichen und zumutbaren Massnahmen zur Beseitigung der Störungen wirkungslos geblieben sind (E. 3 und 6). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 113 II 15 S. 16
A.-
Die Liegenschaft Strasse X. 1/3 in Y. ist als Stockwerkeigentum ausgestaltet. Die Gemeinschaft umfasst die Eigentümer von vierzehn Wohnungen und Garagen. Die beiden Brüder A. und B. Z. erwarben am 1. August 1981 die im ersten Stock des Hauses gelegene 5 1/2-Zimmerwohnung sowie den dazugehörenden Autoabstellplatz zu Eigentum, nachdem sie bereits zwei Jahre als Mieter in der Wohnung gelebt hatten. Daselbst wohnt auch ihre Schwester mit ihrem im Jahre 1978 geborenen Sohn. Die Rechte und Pflichten der Stockwerkeigentümer werden in einem Reglement, in einer Hausordnung und in verschiedenen Beschlüssen der Eigentümerversammlungen geregelt.
Seit anfangs 1982 traten zwischen einigen Miteigentümern und den Gebrüdern Z. immer häufiger Auseinandersetzungen auf, wobei den letztgenannten zahlreiche Verletzungen der Gemeinschaftsordnung vorgeworfen wurden. Am 28. Oktober 1982 verlangten zehn von insgesamt vierzehn Miteigentümern die Einberufung einer ausserordentlichen Eigentümerversammlung, in welcher über die Einleitung einer Klage auf Ausschluss von A. und B. Z. aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft gemäss
Art. 649b ZGB
zu beschliessen sei. An dieser Versammlung vom 10. November 1982 wurde mit elf Ja-Stimmen und einer Nein-Stimme bei drei Enthaltungen die Einleitung einer solchen Klage beschlossen.
B.-
Mit Klage vom 27. April 1983 verlangten drei Miteigentümer, A., B. und K., den Ausschluss der Gebrüder Z. aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft Strasse X. 1/3. Das Bezirksgericht hiess diese Klage nach Durchführung eines umfassenden Beweisverfahrens am 8. November 1984 gut. Die Beklagten wurden aus der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer Strasse X. 1/3 ausgeschlossen und verpflichtet, ihre Eigentumswohnung bis zum
BGE 113 II 15 S. 17
1. August 1985 zu veräussern. Im Unterlassungsfalle wurde ihnen die öffentliche Versteigerung ihrer Wohnung nach den Vorschriften über die Zwangsverwertung von Grundstücken angedroht.
Gegen dieses Urteil reichten die Beklagten beim Kantonsgericht Berufung ein mit dem Antrag auf Abweisung der Klage. Eine Vergleichsverhandlung verlief ergebnislos. Mit Urteil vom 18. März 1986 hiess das Kantonsgericht die Berufung gut und wies die Klage ab.
C.-
Die Kläger erheben Berufung beim Bundesgericht und beantragen, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Ausschlussklage zu schützen. Eventuell sei die Streitsache zur Neubeurteilung und zum Schutze der Ausschlussklage an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagten stellen Antrag auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Anspruch auf Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft wegen schwerer Pflichtverletzung berührt ausser persönlichen und gesellschaftsrechtlichen Interessen vor allem auch erhebliche vermögenswerte Interessen des betroffenen Wohnungseigentümers. Der Anspruch auf Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft ist deshalb als vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von
Art. 46 OG
zu betrachten (vgl.
BGE 105 Ia 25
und ZBGR 63(1982), S. 371 E. 1). Das Kantonsgericht und die Prozessparteien stimmen darin überein, dass der Streitwert auf über Fr. 15'000.-- zu bemessen ist. Dieser Schätzung ist zuzustimmen. Auf die Berufung ist daher einzutreten.
2.
Nach
Art. 649b ZGB
kann ein Miteigentümer durch richterliches Urteil aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, wenn durch sein Verhalten oder das Verhalten von Personen, denen er den Gebrauch der Sache überlassen oder für die er einzustehen hat, Verpflichtungen gegenüber allen oder einzelnen Mitberechtigten so schwer verletzt werden, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann. Es ist unbestritten, dass diese Bestimmung nicht nur für gewöhnliches Miteigentum, sondern ebenso für Stockwerkeigentum im Sinne der
Art. 712a ff. ZGB
gilt. Ebenso ist unbestritten, dass die formelle Voraussetzung der Klage auf Ausschluss der Beklagten, nämlich
BGE 113 II 15 S. 18
die Ermächtigung durch einen Mehrheitsbeschluss aller Miteigentümer im Sinne von
Art. 649b Abs. 2 ZGB
, erfüllt ist. Streitig ist nur, ob die materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss der Beklagten aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft gegeben sind und ob sie demgemäss im Sinne von
Art. 649b Abs. 3 ZGB
verpflichtet werden können, ihren Stockwerkanteil, d.h. die von ihnen bewohnte 5 1/2-Zimmerwohnung, in angemessener Frist zu veräussern oder diesen Anteil zur Zwangsversteigerung zu bringen.
3.
Wie die Beklagten in ihrer Berufungsantwort zutreffend ausführen, zeigt das vorliegende Verfahren die Schwierigkeit menschlichen Zusammenlebens unter einem Dach bei gemeinschaftlichem Eigentum auf. Es obliegt der Stockwerkeigentümergemeinschaft, in ihrem Reglement, der Hausordnung und mit ihren Versammlungsbeschlüssen den Rahmen zu schaffen, innerhalb welchem das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und verschiedener Lebensart sich möglichst reibungslos abspielen kann. Jeder Stockwerkeigentümer ist ganz allgemein verpflichtet, sich so zu verhalten, dass ein ungestörtes, friedliches Zusammenleben möglich wird; er hat das Seine dazu beizutragen, dass Konflikte erst gar nicht entstehen und, soweit solche bestehen, sie in einer Art und Weise behoben werden können, wie das für vernünftige, wohlerzogene und rechtdenkende Menschen selbstverständlich ist. Zu den im Reglement, in der Hausordnung und durch Versammlungsbeschlüsse näher konkretisierten Pflichten eines jeden Stockwerkeigentümers gehört es daher, nicht nur das Eigentum und die Persönlichkeit jedes andern zu respektieren (MEIER-HAYOZ, N. 8 zu
Art. 649b und c ZGB
), sondern auch Bestimmungen über Ruhezeit und Ordnung in und um das Haus einzuhalten. Das Zusammenleben in einer Stockwerkeigentümergemeinschaft läuft im Grunde nach ähnlichen Spielregeln ab, wie sie in einer Demokratie selbstverständlich sind. Dort wie hier gilt es, sich gegenseitig bei allem Unterschied der Lebensart, der Lebensauffassung und der Bedürfnisse zu achten, Toleranz zu üben, sich aber auch einmal gefassten Beschlüssen zu unterziehen, damit das friedliche Zusammenleben erleichtert wird.
Über die Massnahmen, die getroffen werden müssen, wenn sich ein Stockwerkeigentümer über seine Pflichten gegenüber der Gemeinschaft hinwegsetzt, spricht sich der Gesetzgeber im einzelnen nicht aus. Er sieht in
Art. 649b Abs. 1 ZGB
lediglich den Ausschluss aus der Gemeinschaft, somit eine Art Radikallösung, vor. Der Ausschluss, der etwa als privatrechtliche Enteignung bezeichnet
BGE 113 II 15 S. 19
wird, kann nach dem Willen des Gesetzgebers und angesichts der Schwere des Eingriffs in die Rechte des betroffenen Miteigentümers nur erfolgen, wenn die Pflichtverletzung so schwer ist, dass die Fortsetzung der Gemeinschaft den übrigen Miteigentümern nicht mehr zugemutet werden kann. Die Rechtsprechung hatte bisher erst wenig Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen, wann diese Voraussetzung der schweren Pflichtverletzung gegeben und unter welchen Umständen die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zumutbar ist. In
BGE 94 II 22
wird wegleitend davon gesprochen, dass ein andauernd unverträgliches, streitsüchtiges, gewalttätiges und arglistiges Verhalten des Miteigentümers zum Ausschluss berechtigen kann, wenn dadurch ein friedliches Zusammenleben und ein nachbarlicher Verkehr, wie er unter Hausgenossen Brauch und Sitte ist, verhindert wird (vgl. auch den nicht publizierten Entscheid vom 5. Februar 1979 in ZBGR 63 (1982), S. 372, MEIER-HAYOZ, N. 8 zu
Art. 649b und c ZGB
, und das Reglement der StWE Strasse X. 1/3). In einer Stockwerkeigentümergemeinschaft kann angesichts des engen Zusammenlebens insbesondere andauernd lautes, lärmiges Verhalten ruhige und der Ruhe bedürftige Mitbewohner erheblich stören und zu einer Quelle ständigen Ärgers und von schweren Zerwürfnissen werden, die eine Fortdauer der Gemeinschaft bei Unmöglichkeit einer Besserung als unzumutbar erscheinen lässt.
Die Schwere der in
Art. 649b ZGB
vorgesehenen Massnahme zeigt indessen, dass nicht leichthin zum Ausschluss aus der Gemeinschaft gegriffen werden darf. Zur gegenseitigen Pflicht der Mitbewohner gehört, dass sich die Betroffenen vorerst weniger gravierender Mittel bedienen, um zu einem modus vivendi gelangen zu können. Zu denken ist an Aussprachen, an eine neutrale Vermittlung oder allenfalls an weniger weitreichende rechtliche Massnahmen, wie das Kantonsgericht unter Hinweis auf die Lehre durchaus zutreffend ausgeführt hat. Erst wenn sich zeigt, dass der störende Miteigentümer sich offenkundig nicht an eine ein friedliches Zusammenleben ermöglichende Ordnung zu halten bereit findet oder er sich ungeachtet berechtigter Mahnungen oder Aufforderungen über Versammlungsbeschlüsse, Vermittlungsversuche oder andere geeignete Vorkehren andauernd hinwegsetzt, ist ein Ausschluss im Sinne von
Art. 649b Abs. 1 ZGB
, dann aber ohne langes Zögern (vgl. ZBGR 63 (1982), S. 373 E. 4b), anzuordnen. Insofern lässt sich die Auffassung des Kantonsgerichts, ein Ausschluss aus der Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer komme
BGE 113 II 15 S. 20
als eine höchst schwerwiegende Massnahme, die die dingliche Rechtsstellung des Miteigentümers im Verhältnis zu derjenigen des Alleineigentümers empfindlich beschränkt, nur als ultima ratio in Betracht, vor Bundesrecht halten.
4.
Das Kantonsgericht hat gestützt auf die zahlreichen Aussagen der im erstinstanzlichen Verfahren angehörten Zeugen folgende Verstösse der Beklagten gegen allgemeine und reglementarische Verpflichtungen festgestellt:
a) Insgesamt neun Zeugen haben die Beklagten und ihre Mitbewohner als Verursacher unzumutbarer Lärmimmissionen bezeichnet. Über Lärm wurde vor allem geklagt, weil er am Mittag und am Abend zwischen 20.00 und 22.00 Uhr aufgetreten sei, somit zu Zeiten, die nach dem Reglement und nach einem Versammlungsbeschluss als Ruhezeiten gelten. Das Kantonsgericht hat ausgeführt, es dürfe angesichts des Gesamtbildes aller Zeugenaussagen davon ausgegangen werden, dass der durch die Beklagten und ihre Mitbewohner verursachte Lärm das übliche und unvermeidbare Mass eindeutig überschritten habe, selbst wenn berücksichtigt werde, dass bei Beurteilung der Intensität des Lärms durch die Zeugen einzelne Übertreibungen vorgekommen seien und zum Teil Überempfindlichkeiten mitgespielt hätten. Das Kantonsgericht hat auch den Umstand mitberücksichtigt, dass es sich bei den Beklagten um eine Familie mit einem Kleinkind handelt und damit eine gewisse Geräuschentwicklung unvermeidbar ist.
Es steht demnach fest, dass der Vorwurf übermässiger Lärmimmissionen nachgewiesen ist. Das ist eine nicht leichtzunehmende Pflichtverletzung, wie das Kantonsgericht zutreffend ausführt. Damit wurden die schützenswerten Interessen der Mitbewohner auf ein ruhiges, ungestörtes Wohnen deutlich missachtet, obwohl dieser Beeinträchtigung der Mitbewohner bei etwas Rücksicht nach erfolgter Reklamation leicht abzuhelfen gewesen wäre.
b) Das Kantonsgericht betrachtet auch als nachgewiesen, dass den Beklagten verschiedene Verstösse gegen Versammlungsbeschlüsse anzulasten seien. So haben sie im Garten resp. auf der Spielwiese nicht die Ordnung eingehalten, die sich die Gemeinschaft mit Beschluss vom 10. März 1982 selbst auferlegt hat. Sie haben trotz Verbots auf der Rasenfläche wiederholt Fussball gespielt. Sie haben ferner die Haustür verschiedentlich nicht abgeschlossen und ihren Wagen auf den für Besucher reservierten Parkplätzen abgestellt. Und sie haben in Missachtung der Hausordnung
BGE 113 II 15 S. 21
im Frühling 1983 im Treppenhaus und damit in einem Teil der gemeinschaftlichen Räume eine Kindergarderobe angebracht.
Diese Pflichtverletzungen laufen freilich im einzelnen auf Bagatellen hinaus. Ihnen kommt lediglich in der festgestellten Häufigkeit ein gewisses Gewicht zu.
c) Fest steht im weiteren, dass B. Z. am 9. Juli 1983 vor dem Eingang zum Haus Strasse X. 1 eine Mausefalle aufgestellt und mehrere Tage dort stehen gelassen hat. Das wurde von einigen Miteigentümern als provozierend und störend empfunden. Ferner ist unbestritten, dass die Beklagten am 9. August 1983 von 22.00 bis 22.05 Uhr auf der Rasenfläche Feuerwerk abgebrannt haben, ohne zuvor die Mitbewohner zu benachrichtigen. Nach Auffassung des Kantonsgerichts liegt darin zwar eine Verletzung der Konsultationspflicht, nicht dagegen ein rücksichtsloses oder bewusst provokatives Verhalten.
Desgleichen verneint die Vorinstanz, dass im Zusammenhang mit weiteren Vorfällen (beim Skifahren auf der Strasse X. oder beim Autowaschen auf dem Garagevorplatz eines Mitbewohners) eine bewusste Provokation nachgewiesen sei.
d) Erwiesen ist ferner, dass der Verwalter der Stockwerkeigentümergemeinschaft vor Einleitung der Klage verschiedentlich mit Zurechtweisungen und der Aufforderung an die Beklagten gelangt ist, die Beschlüsse bezüglich Lärm und Ordnung einzuhalten. Ebenso wandten sich einzelne Miteigentümer direkt an die Beklagten, um wegen einzelner Verstösse gegen Versammlungsbeschlüsse zu reklamieren. Die Beklagten haben trotzdem ihr pflichtwidriges Verhalten fortgesetzt. Der Vorwurf der Kläger, sie seien uneinsichtig, ist demnach grundsätzlich berechtigt. Das Kantonsgericht stellt indessen auch fest, bezüglich des schwersten Vorwurfs, der Lärmimmission, habe mit Ausnahme des Klägers 1 bis relativ kurz vor Einleitung des Ausschlussverfahrens kein Hausmitbewohner reklamiert. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass - mit wenigen Ausnahmen - die verschiedenen Schreiben der Miteigentümer an die Mitbewohner auch den Beklagten zugestellt worden seien. Sodann erfahre der Vorwurf der Uneinsichtigkeit eine gewisse Abschwächung durch die Aussagen zweier Zeugen. Beide hätten erklärt, dass sie einmal bei den Beklagten reklamiert hätten, worauf diese mit der Störung aufgehört hätten. Eine Zeugin habe erklärt, sie habe anlässlich eines Gesprächs mit B. Z. und dessen Schwester den Eindruck gehabt, sie könne mit ihnen wie
BGE 113 II 15 S. 22
mit ihren Kindern sprechen und diese würden ihre Bitte um Einsicht und Toleranz gegenüber andern akzeptieren. Ein weiterer Zeuge habe ebenfalls vor Einleitung der Klage eine gütliche Lösung für möglich gehalten.
Das Kantonsgericht erachtet gestützt auf das Beweisergebnis und die Akten die zahlreichen Verstösse gegen die Gemeinschaftsordnung, insbesondere die wiederholten Lärmimmissionen, mit Recht in nicht leichtzunehmender Weise als pflichtwidrig. Sie haben den Mitbewohnern eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Wohnqualität gebracht. Vergleicht man indessen den Sachverhalt, welcher den Entscheiden
BGE 94 II 18
ff. und ZBGR 63 (1982), S. 370 ff. zugrunde lag, mit dem hier zu beurteilenden, so kann der Vorinstanz keine Bundesrechtsverletzung angelastet werden, weil sie es ablehnte, von einer so schweren Pflichtverletzung zu sprechen, dass den übrigen Mitbewohnern die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zugemutet werden könne.
6.
Es ist nach dem Ausgeführten von den Feststellungen im angefochtenen Urteil auszugehen und gestützt darauf zu prüfen, ob das Kantonsgericht die Voraussetzungen eines Ausschlusses zu Unrecht verneint habe, wie die Kläger behaupten. Diese werfen dem Kantonsgericht in rechtlicher Beziehung vor, es habe überspitzt strenge Anforderungen an einen Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft gestellt, die zumindest im Wortlaut des Gesetzes keinerlei Stütze fänden. Es sei darin weder von einer ultima ratio noch von vorausgegangenen zahlreichen, erfolglos gebliebenen Mahnungen, Aufforderungen usw. die Rede. Vielmehr genüge es, dass nach den gesamten Umständen den Mitberechtigten die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht zugemutet werden könne. Dabei müsse es ausreichen, wenn der Richter zur Überzeugung gelange, dass alle andern möglichen und zumutbaren Massnahmen wie Mahnungen, Aufforderungen usw. von den Klägern zu Recht als zum vornherein aussichtslos hätten betrachtet werden müssen und können. Das treffe vorliegendenfalls offenkundig zu. In Anbetracht der Charakterstruktur der Beklagten wären namentlich Klagen aus Art. 679, 641 Abs. 2 und/oder 928 ZGB klarerweise völlig unwirksam gewesen. Zu Unrecht werde zudem den Klägern angelastet, sie hätten zu eigentlichen Schlichtungs- bzw. Vermittlungsversuchen nicht Hand geboten.
a) Was diesen letzten Einwand anbetrifft, hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass der Einleitung der Ausschlussklage Aufforderungen des Verwalters und einzelner
BGE 113 II 15 S. 23
Miteigentümer an die Beklagten und Zurechtweisungen vorausgegangen seien, die erfolglos geblieben seien. Diese Mahnungen hätten sich vor allem auf die Lärmimmissionen und die Unordnung im Garten bezogen. Bis relativ kurz vor Einleitung der Klage habe sich nur der Kläger 1 über Lärm aus der Wohnung der Beklagten, die Hauptbelästigung, beschwert. Die Briefe an die Mitbewohner indessen seien den Beklagten mit wenigen Ausnahmen nicht zugegangen. Eigentliche, zumutbare Schlichtungs- und Vermittlungsversuche seien aber unterlassen worden - trotz eines entsprechenden Vorschlags der Arbeitgeber der Beklagten. Unter diesen Umständen trifft es offenkundig nicht zu, dass der kantonale Richter zur Auffassung gelangt ist oder hätte gelangen müssen, dass "alle andern möglichen und zumutbaren Massnahmen von den Klägern zu Recht als zum vornherein aussichtslos" betrachtet werden konnten. Der kantonale Richter verletzt jedenfalls nicht Bundesrecht, wenn er den Klägern zumutet, die eine oder andere weniger gravierende Massnahme zu ergreifen, bevor die Ausschlussklage eingereicht wird. Wie eingangs festgehalten wurde, konnte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht diese Klage als ultima ratio auffassen (vgl. ZBGR 63 (1982), S. 373 mit Hinweis auf
BGE 94 II 23
). Im vorliegenden Fall wäre trotz der festgestellten mehrfachen Aufforderungen und Zurechtweisungen, die ergebnislos blieben, den Klägern zuzumuten gewesen, vorerst allenfalls ein Schlichtungsverfahren oder ein gegenüber der Ausschlussklage weniger einschneidendes behördliches Eingreifen zu veranlassen.
b) Die Feststellung im angefochtenen Urteil, dass die übermässigen Lärmimmissionen und die zahlreichen weiteren Verstösse gegen Reglement, Hausordnung und Versammlungsbeschlüsse nachgewiesen seien und dass sie für die Mitbewohner eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung ihrer Wohnqualität bewirkt haben, erleichtert freilich den Entscheid über die Zumutbarkeit des weiteren Verbleibens der Beklagten in der Gemeinschaft nicht. Hinzu kommt, dass die Beklagten offensichtlich mangelnde Rücksichtnahme auf die legitimen Bedürfnisse der Mitbewohner und "eine gewisse Uneinsichtigkeit" an den Tag gelegt haben. Man muss deshalb davon ausgehen, dass hier ein Grenzfall vorliegt. In einem solchen darf aber ohne Verletzung von Bundesrecht der Schluss gezogen werden, die Pflichtverletzungen seien noch nicht als so schwer zu betrachten, dass die Fortsetzung der Gemeinschaft für die Miteigentümer geradezu unzumutbar sei. Abgesehen vom
BGE 113 II 15 S. 24
Lärm sind die übrigen Pflichtverletzungen zwar störend, aber doch zu unwichtig, als dass darin schon ein ausserordentlich schwerer Verstoss gegen die Gemeinschaft liegen würde, was Voraussetzung der Ausschlussklage ist. Dass die Beklagten es geradezu darauf angelegt hätten, den Mitbewohnern das Zusammenleben unerträglich zu machen, sie bewusst zu provozieren oder sie sonst zu schädigen, zu beleidigen oder zu verletzen, ergibt sich weder aus dem angefochtenen Urteil noch den Akten. Es trifft demnach auch nicht zu - wie die Kläger meinen -, dass bei Abweisung der Berufung ein erfolgreiches Ausschlussverfahren in der Praxis kaum je denkbar wäre. Dass dem keineswegs so ist, zeigen gerade die zitierten Entscheide in
BGE 94 II 18
ff. und ZBGR 63 (1982), S. 370 ff., denen doch viel gewichtigere Sachverhalte zugrunde lagen. Immerhin haben sich die Beklagten sagen zu lassen, dass ihnen weder das Urteil des Kantonsgerichts noch das vorliegende einen Freibrief für weitere, fortgesetzte Pflichtwidrigkeiten ausstellt. Die "Hemmschwelle" zum erfolgreichen Ausschluss ist angesichts der festgestellten Anzeichen von Uneinsichtigkeit nahezu erreicht, auch wenn sich noch nicht sagen lässt, der Bogen sei bereits überspannt.
Die Berufung erweist sich nach dem Ausgeführten als unbegründet und ist demzufolge abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7c6ca1a-490d-4dc6-ac6a-19a0fe2d31c1 | Urteilskopf
94 IV 44
12. Entscheid der Anklagekammer vom 1. Februar 1968 i.S. Verhöramt des Kantons Zug gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 264 BStP
,
Art. 351 StGB
.
1. Ein Kanton, der sich um die Abklärung der Zuständigkeit bemüht, darf bei der Festsetzung des Gerichtsstandes nicht benachteiligt werden.
2. Ebensowenig darf die vorläufige Vereinigung der Untersuchung in der Hand einer Behörde leichthin als Anerkennung der Zuständigkeit ausgelegt werden.
3. Eine Abweichung von den gesetzlichen Gerichtsstandsbestimmungen ist nur von Fall zu Fall möglich. | Sachverhalt
ab Seite 45
BGE 94 IV 44 S. 45
A.-
Der deutsche Staatsangehörige Peter Nörenberg ist beschuldigt, folgende Straftaten begangen zu haben:
a) am 13./14. Juni 1967 in Zollikon (ZH) einen Diebstahl an Gebrauchsgegenständen, die Tusulin in seinem Auto zurückgelassen hatte;
b) am 17./18. Juni 1967 in Küsnacht (ZH) einen ähnlichen Diebstahl zum Nachteil von Polla;
c) am 21./22. Juni 1967 in Baar (ZH) einen Einbruchdiebstahl zum Nachteil der Garage Herzog;
d) am 3./4. Juli 1967 in Bäch (SZ) einen Einbruchdiebstahl zum Nachteil der Garage Knecht;
e) am 16. Juli 1967 in Walchwil (ZG) einen Einbruchdiebstahl zum Nachteil der Zugersee-Garage;
f) am 16. Juli 1967 in Altdorf einen Autodiebstahl;
g) am 12./13. August 1967 in Affoltern a.A. (ZH) einen Einbruchdiebstahl zum Nachteil der Albis-Garage;
h) am 13. August 1967 in Zürich eine Widerhandlung gegen Verkehrsvorschriften;
i) am 13./14. August 1967 in Goldau (SZ) einen Einbruchdiebstahl zum Nachteil der Garage Odermatt;
k) am 19. August 1967 in Lauerz (SZ) einen Benzindiebstahl;
l) an einem unbekannten Tage im Sommer 1967 auf einem Camping-Platz im Tessin einen Diebstahl an Gebrauchsgegenständen.
Nörenberg hat zudem Ende Juli oder anfangs August 1967 in Italien je einen Fahrzeug- und Versicherungsausweis gefälscht.
BGE 94 IV 44 S. 46
B.-
Am 6. September 1967 wurde Nörenberg dem Verhöramt des Kantons Zug zugeführt, das ihn insbesondere wegen der in diesem Kanton begangenen Einbruchdiebstähle in Untersuchung zog. Als das Verhöramt erfuhr, dass der in Zollikon verübte Diebstahl den zürcherischen Behörden bereits am 14. Juni 1967 angezeigt wurde, ersuchte es die Bezirksanwaltschaft Zürich, die Strafverfolgung gestützt auf
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zu übernehmen. Die Bezirksanwaltschaft ging auf das Begehren jedoch nicht ein, da Nörenberg den Diebstahl in Zollikon bestreite, der Schwerpunkt seiner strafbaren Tätigkeit in der Innerschweiz liege und das Verfahren in Zug schon weit fortgeschritten sei. Das Verhöramt wandte sich daraufhin an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, die die Zuständigkeit der zürcherischen Behörden ebenfalls verneinte. Anfangs Januar 1968 vernahm das Verhöramt, dass der in Küsnacht begangene Diebstahl der Zürcher Kantonspolizei am 20. Juni 1967 angezeigt wurde. Es gelangte alsdann mit einem weitern Begehren an die zürcherischen Behörden, die an ihrer Weigerung, die Strafverfolgung zu übernehmen, aber festhielten.
C.-
Mit Eingabe vom 19. Januar 1968 ersucht das Verhöramt die Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Zürich mit der weitern Verfolgung und Beurteilung Nörenbergs zu beauftragen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, das Gesuch abzuweisen.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
Es ist unbestritten, dass der gesetzliche Gerichtsstand zur Verfolgung Nörenbergs sich im Kanton Zürich befindet. Streitig ist bloss, ob ausnahmsweise aus Zweckmässigkeitsgründen von der gesetzlichen Ordnung abzuweichen sei. Die Gesuchsgegnerin hält eine Abweichung für geboten, weil das Verhöramt des Kantons Zug die Untersuchung bereits so gut wie abgeschlossen habe und eine Abtretung des Verfahrens im heutigen Zeitpunkt zu einer erheblichen Verzögerung führen würde, die besonders im Hinblick darauf, dass der Angeschuldigte sich seit dem 21. August 1967 in Haft befinde, nicht verantwortet werden könne.
Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass ein Kanton, der sich um die Abklärung der Zuständigkeit bemüht, bei der Festsetzung
BGE 94 IV 44 S. 47
des Gerichtsstandes nicht benachteiligt werden darf. Solange die Frage der Zuständigkeit offen oder, wie hier, sogar streitig ist, bleibt jeder Kanton verpflichtet, die sein Gebiet betreffenden Tatsachen soweit zu erforschen, als es der Entscheid über den Gerichtsstand erfordert (
BGE 81 IV 73
Erw. 4). Auch darf die vorläufige Vereinigung der Untersuchung in der Hand einer Behörde nicht leichthin als Anerkennung der Zuständigkeit ausgelegt werden; selbst wenn die Behörde bei der Ermittlung der Tatsachen, die für die Festlegung des Gerichtsstandes von Bedeutung sind, verhältnismässig viel Zeit beansprucht oder im Interesse der raschen Abwicklung des Strafverfahrens darüber hinausgeht, darf ihr das nicht zum Nachteil gereichen (
BGE 73 IV 144
,
BGE 86 IV 132
Nr. 33). Würde anders entschieden, so könnte ein Kanton die Möglichkeit, die weitere Verfolgung und Beurteilung zu übernehmen, gerade dadurch beeinflussen, dass er entgegen seiner Pflicht, bei der Ermittlung des Gerichtsstandes mitzuwirken, untätig bleibt. Dies müsste sich nicht nur auf die Abklärung künftiger Fälle, sondern auch auf die Zusammenarbeit der Behörden ungünstig auswirken.
Dass der Kanton Zürich in Fällen wie dem vorliegenden Gegenrecht halten will, hilft darüber nicht hinweg. Das gilt umsomehr, als eine Abweichung von den gesetzlichen Gerichtsstandsbestimmungen nur von Fall zu Fall möglich ist (vgl. PANCHAUD, Schweiz. Juristische Kartothek, Karte 899 S. 10 Ziff. 3). Ebensowenig hilft der Gesuchsgegnerin, dass die Anklagekammer des Bundesgerichts eine Änderung des Gerichtsstandes zu vermeiden pflegt, wenn das Untersuchungsverfahren, wie hier, nahezu abgeschlossen ist (
BGE 71 IV 62
). Die Gesuchstellerin hat die zürcherischen Behörden schon mit Schreiben vom 13. November 1967 darauf aufmerksam gemacht, dass der gesetzliche Gerichtsstand sich im Kanton Zürich befindet. Dass Nörenberg den Diebstahl in Zollikon bestritt, stand dem nicht entgegen. Der Angeschuldigte trug bei seiner Verhaftung verschiedene Gegenstände auf sich, die aus dem Wagen Tusulins stammten. Das war nach den Akten Grund genug, ihn auch deswegen in Untersuchung zu ziehen, was die zürcherischen Behörden hätte veranlassen sollen, die Tat bei der Anwendung des
Art. 350 Ziff. 1 StGB
zu berücksichtigen. Der Umstand, dass das Verhöramt die Untersuchung fortsetzte und noch zweimal an den Kanton Zürich gelangte, bevor es die
BGE 94 IV 44 S. 48
Anklagekammer anrief, kann seinem Gesuch ebenfalls nicht schaden, zumal es ihm weiterhin besonders darum ging, eine sichere Grundlage zur Festsetzung des Gerichtsstandes zu schaffen. Der Einwand der Bezirksanwaltschaft sodann, das Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit Nörenbergs befinde sich in der Innerschweiz, war von vorneherein nicht geeignet, die Zuständigkeit der Zuger Behörden zu begründen. Der Gerichtsstand bestimmt sich nach Kantonen, nicht nach Landesgegenden. Schliesslich lässt sich auch nicht sagen, dass die Aburteilung Nörenbergs erheblich verzögert werde, wenn der Kanton Zürich zuständig erklärt wird. Gewiss müssen die Geschädigten noch in Gegenwart des Angeschuldigten als Zeugen einvernommen werden (vgl. § 10 Abs. 2 und 14 Abs. 1 zürch. StPO). Die zürcherischen Behörden können sich dabei jedoch weitgehend auf die Untersuchungsergebnisse des Zuger Verfahrens stützen, in dem die meisten Fälle bereits abgeklärt wurden; sie brauchen die Untersuchung also keineswegs von vorne aufzunehmen.
Liegen somit keine triftigen Gründe vor, die ein Abweichen von der gesetzlichen Ordnung rechtfertigen würden, so muss das Gesuch des Verhöramtes gutgeheissen werden.
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Das Gesuch wird gutgeheissen, und die Behörden des Kantons Zürich werden zuständig erklärt, Peter Nörenberg für alle ihm zur Last gelegten Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7c771c4-cd63-45df-84ca-9c7aed40b234 | Urteilskopf
114 Ia 395
68. Estratto della sentenza 29 giugno 1988 della I Corte di diritto pubblico nella causa F. X. c. Gran Consiglio della Repubblica e Cantone del Ticino (ricorso di diritto pubblico). | Regeste
Art. 82 lit. b und c des Tessiner Gemeindeorganisationsgesetzes vom 10. März 1987; Unvereinbarkeit des Amtes eines Mitglieds der Gemeindeexekutive mit dem Richteramt, bzw. jenes Amtes mit der Funktion des Geistlichen.
1. Legitimation zur Stimmrechtsbeschwerde (
Art. 85 lit. a OG
).
a) Grundsatz und Besonderheit im Zusammenhang mit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte des Bürgers (E. 3a).
b) Die Unvereinbarkeit eines politischen Mandats mit bestimmten Funktionen oder bestimmten Ämtern kann im Rahmen einer gestützt auf
Art. 85 lit. a OG
erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde geltend gemacht werden und zwar steht dieses Rechtsmittel nicht nur dem gewählten Bürger zu, der unmittelbar von der Unvereinbarkeitsklausel betroffen ist, sondern auch andern Bürgern, die sich damit gegen die Nichtbeachtung einer solchen Klausel oder unmittelbar gegen eine Norm, die eine solche Unvereinbarkeitsklausel einführt, zur Wehr setzen wollen (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 3b).
2. Kassatorische Natur und Pflicht zur Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. a OG
(E. 4).
3. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts im Bereich der abstrakten Normkontrolle (E. 5).
4. Unterscheidung zwischen Unvereinbarkeit und Unwählbarkeit; Fälle, in denen diese Unterscheidung von rein theoretischer Bedeutung ist; Zweck der Unvereinbarkeitsklausel (E. 6).
5. Prüfung der in Art. 82 lit. b und c des Gemeindeorganisationsgesetzes geregelten Unvereinbarkeit.
a) Die Unvereinbarkeit des Amtes eines Mitglieds der Gemeindeexekutive mit dem Richteramt beruht auf ernsthaften und sachlichen Gründen und beschränkt die politischen Rechte des Bürgers nicht in unzulässiger Weise (E. 7).
b) Hingegen beruht die Vorschrift, die die Unvereinbarkeit des geistlichen Standes mit dem Gemeindeexekutivamt regelt, nicht auf einem überwiegenden und entsprechend nachgewiesenen öffentlichen Interesse und verletzt die Rechtsgleichheit; sie lässt sich auch nicht mit
Art. 75 BV
rechtfertigen (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 397
BGE 114 Ia 395 S. 397
In data 2 luglio 1985, il Consiglio di Stato del Cantone Ticino ha sottoposto al Gran Consiglio il progetto di revisione della legge organica comunale del 1o marzo 1950. Per ciò che qui interessa, codesto progetto ha mantenuto la ripartizione esistente dei poteri locali fra l'assemblea comunale o il consiglio comunale ed il municipio, la cui organizzazione e le cui attribuzioni erano definite dal capitolo IV, agli art. 81 e segg. Organo esecutivo e amministrativo del Comune, incaricato di rappresentarlo verso i terzi, il municipio doveva comporsi in linea di principio di 5 o 7 membri ed il Consiglio di Stato conservava la facoltà di ridurre questo numero a 3 o di portarlo a 11 per tener conto di circostanze particolari. Il disegno di legge (art. 82) manteneva pure l'istituto dei supplenti, ma soltanto per i municipi di 3 membri, ed il loro numero era limitato a 2; negli altri Comuni, il regolamento comunale poteva prevedere i supplenti in numero non superiore ai 2/3 dei membri del municipio. Nel progetto di legge, la questione delle incompatibilità per carica era trattata dall'art. 83, il quale prescriveva che la carica di municipale non poteva essere assunta dai Consiglieri di Stato e dal Cancelliere dello Stato, dagli ecclesiastici, dai docenti di nomina comunale e dai dipendenti dal Comune e delle sue aziende. Questo disposto riprendeva il testo dell'art. 63 della legge del 1950, rinunciando tuttavia ad istituire un'incompatibilità per i medici condotti (lett. d) ed i cittadini che non risiedono in modo costante nel Comune (lett. a).
BGE 114 Ia 395 S. 398
La nuova legge organica comunale è stata adottata dal Gran Consiglio della Repubblica e Cantone del Ticino il 10 marzo 1987. Il Parlamento ha fissato il numero massimo dei municipali la cui carica è obbligatoria a 7 (art. 80) ed ha aderito al progetto del Consiglio di Stato per la carica di supplente (art. 81). Sul tema dell'incompatibilità per carica, esso ha fatto propria la proposta della Commissione della legislazione, contenuta nel rapporto del 14 gennaio 1987 (pagg. 15 e 57), e l'ha estesa ai giudici di un tribunale, ai procuratori pubblici, ai giudici istruttori e al magistrato dei minorenni, con la sola eccezione dei giudici di pace (art. 82).
La citata legge è stata pubblicata sul Foglio ufficiale n. 32 del 21 aprile 1987 ed il termine per l'esercizio del diritto di referendum, che non è stato utilizzato, è scaduto infruttuoso il 21 maggio successivo. Con decreto del 30 giugno 1987, il Consiglio di Stato ha quindi disposto la pubblicazione della legge nel Bollettino ufficiale n. 28 del 7 luglio 1987 e ne ha stabilito l'entrata in vigore a contare dalla data di pubblicazione: per l'art. 82 lettere b e c, relative all'incompatibilità della carica di municipale con lo stato ecclesiastico e la funzione giudiziaria, l'entrata in vigore è stata differita al 24 aprile 1988.
Il lic. iur. F. X., domiciliato a G., è insorto contro le lettere b e c dell'art. 82 della nuova legge con ricorso di diritto pubblico del 19 maggio 1987, chiedendo al Tribunale federale di annullarle e protestando spese e ripetibili.
Il Consiglio di Stato del Cantone Ticino, per sé e in rappresentanza del Gran Consiglio, ha concluso alla reiezione del gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto: I. In ordine
3.
a) Il ricorso di diritto pubblico per violazione dei diritti costituzionali del cittadino (
art. 84 cpv. 1 lett. a, 87 OG
) - allorché l'atto in contestazione è come nella fattispecie un decreto - è aperto a qualsiasi persona fisica o giuridica che è colpita dalla regolamentazione impugnata nei suoi interessi giuridicamente protetti o che, con un minimo di verosimiglianza, potrebbe un giorno esser toccata da questa regolamentazione e subire un certo pregiudizio: ai fini dell'ammissibilità del gravame secondo l'
art. 88 OG
, basta pertanto che la persona fisica o giuridica sia
BGE 114 Ia 395 S. 399
virtualmente lesa nei suoi diritti costituzionali (
DTF 112 Ia 32
consid. 2a,
DTF 110 Ia 10
consid. 1a,
DTF 106 Ia 357
consid. 1a,
DTF 104 Ia 152
consid. 2a; Rep. 1985 pag. 74).
Sotto il profilo della legittimazione ricorsuale, il ricorso per violazione dei diritti costituzionali del cittadino si distingue da quello proposto per la lesione di diritti politici (
art. 85 lett. a OG
). Secondo la giurisprudenza, infatti, qualsiasi cittadino che possiede l'esercizio di codesti diritti nel Cantone che ha emanato l'atto impugnato può proporre un ricorso di diritto pubblico concernente il suo diritto di voto o relativo alle elezioni e votazioni cantonali, indipendentemente dalle norme del diritto costituzionale cantonale e del diritto federale sulle quali si fondano, e questo particolare rimedio può esser d'altronde esperito anche se il ricorrente non ha alcun interesse personale e giuridico all'annullamento dell'atto poiché la potestà ricorsuale si determina in questo campo alla sola luce dell'
art. 85 lett. a OG
(
DTF 112 Ia 224
consid. 1a,
DTF 105 Ia 359
/60 consid. 4a,
DTF 104 Ia 229
consid. 1b, 355 consid. 1c,
DTF 99 Ia 728
segg. consid. 1; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, pagg. 262/63; AUER, Les droits politiques dans les cantons suisses, pagg. 80/81).
b) Nel caso in rassegna, il ricorrente ha impugnato una norma che istituisce delle incompatibilità per carica, ma che non sancisce l'ineleggibilità di ecclesiastici e magistrati (art. 82 lett. b e c LOC). Ora, il Tribunale federale ha ritenuto per anni che il cittadino che non può esercitare il suo mandato politico in virtù di una regola sull'incompatibilità non può prevalersi dell'
art. 85 lett. a OG
e può invocare soltanto l'
art. 4 Cost.
per arbitrio e disparità di trattamento, onde la sua legittimazione dev'essere esaminata sotto il profilo dell'
art. 88 OG
: a sostegno di questo assunto, il Tribunale federale aveva sostanzialmente addotto che le regole sulle incompatibilità non scalfiscono il diritto di eleggere e di essere eletto, e non impediscono quindi che una persona venga proposta come candidato e venga - se del caso - validamente eletta (cfr. ZBl 61/1960 pag. 197 consid. 3; BUFFAT, Les incompatibilités, tesi Losanna 1987, pag. 220). In queste circostanze il ricorrente - che è licenziato in diritto - sarebbe senz'altro legittimato ad impugnare la norma che istituisce l'incompatibilità dei magistrati (art. 82 lett. b), ma non potrebbe invece ricorrere contro l'esclusione dei sacerdoti (art. 82 lett. c), essendo infatti inverosimile o come minimo poco probabile ch'egli intraprenda un giorno la vita ecclesiastica e si porti poi candidato alla carica di
BGE 114 Ia 395 S. 400
municipale (cfr. Rep. 1985 pag. 75 consid. cc): sotto questo profilo il ricorrente non potrebbe dunque prevalersi di una virtuale lesione dei suoi interessi giuridicamente protetti ed il ricorso sarebbe inammissibile in virtù dell'
art. 88 OG
.
La giurisprudenza appena esposta è stata però progressivamente abbandonata ed il Tribunale federale ammette ora che la nozione di incompatibilità dev'essere considerata come un derivato del diritto di voto e di eleggibilità poiché le relative clausole possono produrre, in sostanza, gli stessi effetti di quelle che sanciscono l'ineleggibilità: esso ha così dedotto che il problema della compatibilità di un mandato politico con determinate funzioni ufficiali può essere sollevato nell'ambito di un ricorso di diritto pubblico fondato sull'
art. 85 lett. a OG
e che questa via è aperta non solo al cittadino eletto che si trova in un caso di incompatibilità, ma anche agli altri cittadini che si aggravano contro il mancato rispetto delle relative clausole o che insorgono direttamente contro un atto normativo che istituisce regole di incompatibilità (
DTF 91 I 262
consid. 2; sentenza 8 maggio 1963 in re Konservativ-christlich-soziale Volkspartei Grenchen e Pfister, consid. 1 e 2 non pubblicati in
DTF 89 I 75
segg.; sentenza 30 marzo 1979 in re Roulin, consid. 2; sentenza 22 settembre 1982 in re Pellaton, consid. 1a; sentenza 9 febbraio 1983 in re Sutter e Schneider, consid. 1b; sentenza 27 novembre 1985 in re Gex-Fabry, consid. 1a; sentenza 28 gennaio 1987 in re Brunner e Holenweg, consid. 1a; BUFFAT, op.cit., ibidem). Questa giurisprudenza - che non è stata invero sempre seguita (cfr. ad es. la sentenza 8 marzo 1977 in re Planchamp, consid. 2) - merita conferma. In effetti il diritto di voto dei cittadini protetto dall'
art. 85 lett. a OG
- che comprende quello di eleggere e di essere eletto (
DTF 91 I 192
consid. 1a, 262 consid. 2; sentenza Brunner e Holenweg citata, consid. 1a) comporta anche il diritto di esigere che le autorità scelte dal popolo non siano composte da persone che non possono praticamente assumere la carica per un motivo d'incompatibilità: l'elettore può quindi pretendere che una persona che non può esercitare il proprio mandato per tal motivo non lo eserciti effettivamente dopo esser stata eletta (cfr.
DTF 91 I 262
consid. 2). Ora questo assunto, interpretato a contrario, conferisce all'elettore il diritto di esigere che un candidato eletto non venga indebitamente privato della facoltà di esercitare il suo mandato elettivo attraverso clausole d'incompatibilità che sono sprovviste di giustificazioni oggettive: ne consegue che le regole
BGE 114 Ia 395 S. 401
sulle incompatibilità limitano, in pratica, il diritto di elettorato attivo e passivo e toccano quindi direttamente il diritto di voto dei cittadini tutelato dall'
art. 85 lett. a OG
.
c) Se ne deve concludere che il ricorrente - iscritto nei cataloghi civici del Comune di G. e cittadino attivo nel Cantone giusta gli art. 13 e segg. Cost./TI - è virtualmente leso nei suoi diritti politici dalle contestate clausole di incompatibilità ed è quindi legittimato ad impugnarle con il ricorso di diritto pubblico previsto dall'
art. 85 lett. a OG
.
4.
Secondo la giurisprudenza, anche i ricorsi per violazione dei diritti politici sottostanno all'obbligo di motivazione e possono tendere soltanto all'annullamento puro e semplice dell'atto impugnato (
DTF 112 Ia 225
consid. 1c,
DTF 107 Ia 219
consid. 1b; RDAT 1982 n. 1 consid. 1a). Ora, il gravame di F. X. soddisfa i requisiti formali dell'
art. 90 cpv. 1 lett. b OG
e rispetta anche la natura cassatoria del rimedio esperito: esso è quindi ricevibile nel suo complesso ed il Tribunale federale può esaminarne il merito. II. Questioni di merito
5.
Il ricorso di diritto pubblico è rivolto in casu contro le lettere b e c dell'art. 82 LOC, che istituiscono un'incompatibilità fra la carica di municipale e quella di magistrato dell'ordine giudiziario, rispettivamente fra codesta carica e lo stato ecclesiastico: secondo il ricorrente queste clausole di incompatibilità sarebbero inficiate d'arbitrio, lesive del principio d'uguaglianza e contrarie alle norme della Costituzione cantonale che disciplinano l'esercizio dei diritti politici (art. 13, 17, 18, 19bis e 21). In queste circonstanze il Tribunale federale controlla liberamente la conformità delle disposizioni impugnate con il diritto costituzionale cantonale e federale che il ricorrente ha invocato e, avuto riguardo al loro testo chiaro ed univoco, non deve nemmeno esaminare in codesto ambito se esse siano suscettibili d'essere interpretate ed applicate conformemente alla Costituzione: ne consegue che se le censure ricorsuali fossero fondate, il Tribunale federale dovrebbe annullare le predette norme ed accogliere il ricorso poiché il loro senso letterale che non è impreciso, ambiguo o lacunoso - non potrebbe comunque essere modificato attraverso un'interpretazione conforme (DTF
BGE 114 Ia 395 S. 402
111 Ia 24/25 consid. 2, 109 Ia 74 consid. 3, 106 Ia 137/38 consid. 3a, 105 Ib 125 consid. 3).
6.
a) L'esercizio dei diritti politici trova il suo fondamento in un diritto pubblico soggettivo legato alla struttura democratica della Confederazione ed è quindi garantito dal diritto costituzionale federale (WINZELER, Die politischen Rechte des Aktivbürgers nach schweizerischem Bundesrecht, tesi Basilea 1983, pagg. 251, 36 segg., 70 segg.). Questo diritto fondamentale non comporta soltanto quello di partecipare alle elezioni e votazioni (elettorato attivo), ma anche quello di essere eletto alle cariche pubbliche la cui designazione del titolare compete al popolo sovrano (elettorato passivo). Alla stregua di qualsiasi libertà individuale, il diritto di voto dev'essere regolato nel rispetto del principio d'uguaglianza e può essere limitato soltanto per ragioni preminenti d'interesse pubblico, ossequiando il precetto della proporzionalità (cfr. AUER, Problèmes fondamentaux de la démocratie suisse, RDS 1984 II pagg. 40/41). Ora, le due disposizioni avversate restringono incontestabilmente i diritti politici dei cittadini a cui esse si riferiscono poiché limitano la loro facoltà di accedere alla carica di municipale, in maniera più o meno assoluta, attraverso una clausola di incompatibilità che non lascia in pratica a codesti cittadini una vera libertà di scelta.
b) L'incompatibilità - che si distingue dall'ineleggibilità, vale a dire dall'incapacità di ricoprire un determinato ufficio - costituisce un impedimento relativo per l'esercizio della carica elettiva poiché la sola conseguenza ch'essa comporta è quella di obbligare il candidato eletto a scegliere fra questa carica e la sua precedente funzione o occupazione (HASELBART, Die Unvereinbarkeit im schweizerischen Staatsrecht, tesi Friborgo 1945 pag. 5 segg.; FRANK, Die Unvereinbarkeit von Bundesbeamten und Nationalratsmandat, tesi Zurigo 1948, pag. 58 segg.; ANDRE GRISEL, Traité de droit administratif, vol. I, pag. 168; BUFFAT, op.cit., pag. 29). Quando proibiscono alla stessa persona di accedere a cariche dello stesso livello all'interno dei tre poteri dello Stato, le clausole di incompatibilità tendono ad assicurare il rispetto della separazione dei poteri; per contro, quando si applicano a funzioni poste a livelli diversi o all'interno dello stesso potere, le regole sull'incompatibilità sono finalizzate ad evitare le concentrazioni di potere, a prevenire gli influssi pregiudizievoli al buon funzionamento degli organi dello Stato e a preservare l'indipendenza di questi organi e dei loro membri.
BGE 114 Ia 395 S. 403
Per la verità, vi sono casi speciali d'incompatibilità ove la distinzione con quelli d'ineleggibilità è meno evidente poiché la libertà di scelta lasciata al candidato eletto fra la carica elettiva e la sua funzione anteriore è in effetti puramente teorica (BEELER, Personelle Gewaltentrennung und Unvereinbarkeit in Bund und Kantonen, tesi Zurigo 1983, pagg. 6/7; BUFFAT, op.cit., pag. 30). Ciò vale in modo particolare per i religiosi che appartengono alla confessione cattolica poiché una norma che istituisce un'incompatibilità fra lo stato ecclesiastico ed un pubblico ufficio priva di fatto l'interessato della possibilità di accedere alla carica che egli vorrebbe ricoprire: l'ordinazione - che conferisce lo statuto religioso nella Chiesa apostolica romana - è infatti un atto i cui effetti non possono essere sospesi in virtù del diritto canonico, onde l'ecclesiastico che risultasse eletto ad una carica legalmente incompatibile con la sua condizione dovrebbe, in assenza di un premesso peraltro eccezionale rilasciato dall'Ordinario della diocesi competente, rinunciare alla carica o abbandonare definitivamente l'abito talare (cfr. Codex iuris canonici, auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatus, 1983, can. 285 § 4, che riprende il can. 139
§ 4 del
pregresso Codice Gasparri del 1917; BURCKHARDT, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, 3a ediz., pagg. 649/51).
c) Fatte queste premesse, si deve dunque esaminare se le incompatibilità create dall'art. 82 lett. b e c LOC rispettano il principio d'uguaglianza e sono sorrette da un interesse pubblico eminente, ovverosia, in altre parole, se esse non limitano in maniera inammissibile l'esercizio del diritto di voto dei cittadini attivi nell'ambito delle elezioni comunali.
7.
a) L'art. 82 lett. b LOC - che prevede l'incompatibilità fra la carica di municipale e quella di giudice di un tribunale, di procuratore pubblico, di giudice istruttore e magistrato dei minorenni, con esclusione dei giudici di pace - costituisce un'innovazione nel diritto elettorale ticinese. Questa clausola non è stata proposta dal Consiglio di Stato nel suo progetto del 2 luglio 1985, ma è stata voluta dalla Commissione della legislazione (rapporto del 14 gennaio 1987, pag. 15), ed il Gran Consiglio l'ha confermata - come risulta dalle osservazioni del Governo al ricorso di diritto pubblico - "per avvalorare l'indipendenza dei magistrati giudiziari, sottraendoli ai condizionamenti dipendenti dall'esercizio di funzioni politiche"; il legislatore cantonale ha inoltre tenuto conto delle critiche formulate in passato per il fatto
BGE 114 Ia 395 S. 404
che pretori e giudici d'appello abbiano ricoperto la carica di municipale e addirittura di sindaco. Aggiungasi infine che, durante i dibattiti parlamentari, l'
art. 82 lett. b del
disegno di legge è stato oggetto di una proposta di stralcio, che venne respinta con 21 voti favorevoli e 35 contrari (Raccolta dei verbali del Gran Consiglio, sessione ordinaria autunnale 1986, pagg. 1123, 1130/32).
b) Gli art. 21 e 22 della Costituzione ticinese fanno fede della preoccupazione del costituente di vigilare all'indipendenza formale dei magistrati dell'ordine giudiziario. Il primo di questi disposti lascia alla legge il compito di definire le incompatibilità professionali o per altre cariche per i giudici e i funzionari giudiziari, mentre il secondo stabilisce che le nomine popolari dei magistrati giudiziari non possono aver luogo contemporaneamente al rinnovo del Gran Consiglio e del Consiglio di Stato, nel palese intento di sottrarle al clima sovente teso che può caratterizzare le elezioni politiche. Ora, l'art. 67 della legge organica giudiziaria del 24 novembre 1910 enumera i casi d'incompatibilità per i funzionari giudiziari, compresi i procuratori pubblici e i giudici istruttori ed esclusi i supplenti, e dispone in modo particolare che essi non possono assumere cariche federali o cantonali o impieghi con onorari annui fissi (cpv. 2 lett. b): ne consegue secondo logica che, in base all'art. 21 della Costituzione cantonale, il legislatore ticinese poteva completare questa lista delle incompatibilità per quanto concerne le cariche comunali nella relativa legge organica e che, ciò facendo, esso non ha manifestamente ecceduto la propria competenza ed è rimasto nei limiti tracciati dalla norma costituzionale di delegazione.
c) È pacifico che le regole volte ad assicurare l'indipendenza effettiva dei magistrati giudiziari nei confronti del potere politico e ad evitare ogni apparente interdipendenza fra questo potere ed il potere giudiziario siano sorrette da un interesse pubblico eminente; lo stesso dicasi per quelle norme che impongono ai magistrati dell'ordine giudiziario di dedicarsi esclusivamente all'esercizio della loro funzione. La scelta dei mezzi che consentono di raggiungere questi obiettivi è peraltro largamente improntata a criteri d'opportunità e dipende spesso da circostanze locali: ne consegue che il Tribunale federale, chiamato a verificare questa scelta quale giudice costituzionale, deve comunque imporsi un certo riserbo poiché esso non può interferire nella larga libertà d'azione di cui i Cantoni dispongono e non deve sostituire il proprio apprezzamento a quello del legislatore cantonale (cfr.
BGE 114 Ia 395 S. 405
DTF 112 Ia 244
consid. 4a,
DTF 109 Ia 259
consid. 4,
DTF 100 Ia 268
consid. 3a). Ora, di questo particolare riserbo il Tribunale federale deve far prova quando il mezzo adottato dal legislatore cantonale per garantire l'indipendenza dei magistrati è una clausola d'incompatibilità fra talune funzioni giudiziarie e determinate cariche pubbliche o private poiché i Cantoni, in virtù della loro competenza in materia d'organizzazione, possono definire liberamente le incompatibilità che colpiscono i membri delle loro autorità (cfr. il messaggio 30 novembre 1987 del Consiglio federale per il conferimento della garanzia federale alle Costituzioni rivedute dei Cantoni di Glarona e del Giura, FF 1988 I pag. 220 n. 124 e pag. 237 n. 162): ciononostante, una regola sull'incompatibilità che tende in pratica a limitare l'eleggibilità di determinati cittadini deve poggiare su motivazioni serie e difendibili poiché essa sarebbe nel contrario caso arbitraria o rappresenterebbe comunque un impedimento ingiustificato al diritto di voto.
d) L'istituzione di un'incompatibilità fra la magistratura giudiziaria permanente e la carica di municipale è senz'altro sorretta da argomenti seri ed oggettivi, ove appena si pensi all'impegno personale non indifferente che richiede oggi una siffatta carica anche nei Comuni di piccola e di media importanza. D'altra parte non va scordato che la presenza di magistrati giudiziari nei municipi ha dato adito in passato a critiche e che questo fatto - addotto in risposta dal Governo - non è stato contestato dalla parte ricorrente. Certo, la legge non ha esteso questa incompatibilità per carica ai consiglieri comunali (art. 43 cpv. 2 LOC) e l'ha espressamente esclusa per i giudici di pace (art. 82 lett. b). Ma su questi due punti la soluzione adottata dal legislatore ticinese non appare solo comprensibile ma anche rispettosa del principio di proporzionalità: basti osservare a tal riguardo che il consiglio comunale è l'organo rappresentativo dell'assemblea comunale di cui fanno parte tutti i cittadini attivi del Comune (art. 11 LOC) e che i giudici di pace esercitano una funzione giudiziaria a titolo accessorio e non dispongono d'un potere decisionale equiparabile a quello dei giudici d'appello, dei pretori, dei procuratori pubblici, dei giudici istruttori e del magistrato dei minorenni.
Ciò premesso, giova poi rilevare a titolo di raffronto che la soluzione prevista dall'art. 82 lett. b LOC non costituisce manifestamente un'eccezione nel diritto positivo svizzero e che la
BGE 114 Ia 395 S. 406
maggior parte delle legislazioni cantonali limita l'accesso dei magistrati giudiziari ad altre cariche pubbliche, siano esse politiche o amministrative (cfr.
art. 11 cpv. 1 n. 1 Cost./BE
;
art. 62 Cost./NE
;
art. 133 Cost./GE
; art. 48 della legge friburghese sull'organizzazione giudiziaria; art. 20 della legge vodese sull'organizzazione giudiziaria; § 108 n. 2-5 e 11 della legge elettorale zurighese; art. 108 della legge vallesana sulle elezioni e votazioni). D'altra parte, anche il costituente ed il legislatore federale hanno stabilito che i giudici del Tribunale federale non possono occupare alcun'altra carica al servizio della Confederazione o di un Cantone e - come generalmente ammesso - di un Comune (AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, vol. II, n. 1612 e 1488; BUFFAT, op.cit., pag. 70), né possono esercitare qualsiasi altra professione o industria (
art. 108 cpv. 3 Cost.
,
art. 3 cpv. 1 OG
).
e) Ne discende che al legislatore ticinese - che s'è verosimilmente ispirato alle soluzioni adottate dal legislatore federale e da quello di altri Cantoni per assicurare un migliore esercizio della funzione giudiziaria e rafforzare l'indipendenza dei magistrati - non si può certo rimproverare di aver istituito un'incompatibilità che non poggia su ragioni serie ed oggettive e di aver limitato in modo inammissibile i diritti politici dei cittadini: la censura d'anticostituzionalità rivolta contro l'art. 82 lett. b LOC appare quindi manifestamente infondata e, come tale, dev'essere respinta.
8.
L'art. 82 lett. c LOC - che proibisce agli ecclesiastici di assumere la carica di municipale - riprende il disposto dell'art. 63 lett. c della cessata legge organica del 1o marzo 1950.
a) Nel Cantone Ticino l'accesso dei preti cattolici alle cariche pubbliche è stato oggetto nel secolo scorso di gravi controversie. L'art. 5 della Costituzione cantonale del 4 luglio 1830, nel suo testo originale (Nuova raccolta generale delle leggi e dei decreti del Cantone Ticino dal 1803 al 1886, vol. I, pag. 19 segg.), li escludeva dal potere esecutivo e da quello giudiziario, con la sola eccezione prevista dall'art. 23 § 14 che ammetteva un ecclesiastico a sedere nel Consiglio di Stato. Dopo la rivoluzione radicale del 1839, il Governo elaborò un vasto progetto di riforma costituzionale che prevedeva, fra l'altro, il divieto per gli ecclesiastici di accedere a cariche pubbliche: questo progetto - nella sua definitiva formulazione modificata dal Gran Consiglio, nel senso che un sacerdote per distretto poteva nondimeno far parte del potere
BGE 114 Ia 395 S. 407
legislativo cantonale - cadde però a forte maggioranza nella votazione popolare dell'8 gennaio 1843 (Bollettino delle leggi e dei decreti del Cantone Ticino, vol. XVIII, pag. 223; ZORZI, Le relazioni tra la Chiesa e lo Stato nel Cantone Ticino, tesi Basilea 1946, pagg. 80/82; Dictionnaire historique et bibliographique de la Suisse, vol. VI, pag. 506 segg.). Il problema dell'accesso dei membri del clero ai pubblici uffici venne ripreso con la riforma costituzionale del 1o-4 marzo 1855 che stabilì all'art. 7 l'impossibilità per gli esercenti professione ecclesiastica, secolari e regolari, di essere elettori ed eleggibili alle cariche costituzionali (Nuova raccolta, vol. I, pagg. 27/28; ZORZI, op.cit., pag. 82): questa norma ottenne la garanzia dell'Assemblea federale il 17 luglio 1855 (RU 1854-57, vol. V, pagg. 129/30; cfr. anche il messaggio del Consiglio federale del 29 giugno 1855, in FF franc. 1855 II pag. 409 segg.). Adito dai sacerdoti Vincenzo Pedrini di Giornico e Lorenzo Forni di Personico, che s'erano visti rifiutare la loro iscrizione nei cataloghi civici dei rispettivi Comuni, il Tribunale federale invitò però il Governo ticinese ad accogliere tale richiesta, rilevando in sostanza che la limitazione posta al diritto di voto dei ricorrenti in ragione della loro appartenenza allo stato ecclesiastico era "assolutamente incompatibile" con l'
art. 49 cpv. 4 Cost.
: per contro il Tribunale federale lasciò aperta "la questione a vedere se e fin dove competa agli ecclesiastici, in base ai dispositivi della Costituzione federale, il diritto di elettori non solo, ma quello eziandio di eleggibili, dal momento che i ricorrenti non trovansi ancora nelle condizioni di fatto per le quali possano insinuare analoga querela o dimanda" (sentenza del 1o febbraio 1875 in DTF 1. 273 segg.). L'art. 7 della Costituzione ticinese del 1855 venne abrogato con la riforma parziale del 20 novembre 1875 (Nuova raccolta, vol. I, pag. 30).
b) L'art. 82 lett. c LOC trova la sua lontana origine in una risoluzione governativa del 16 gennaio 1842, approvata dal Gran Consiglio il 17 maggio 1845 (Bollettino, vol. XXI, pag. 24), ove espressamente si dichiara che "la qualità di sacerdote non è compatibile con quella di municipale". Questa regola è poi stata codificata dall'art. 46 lett. c della legge comunale del 13 giugno 1854 (Nuova raccolta, vol. I, pag. 458 segg.; Bollettino, vol. XXX, pag. 43 segg.) ed è stata ripresa nella legge organica comunale del 1o marzo 1950 (art. 63 lett. c), ove si parlò tuttavia di "ecclesiastici" e non più di "sacerdoti" per tener conto dei ministri del culto che non appartengono alla Chiesa cattolica apostolica
BGE 114 Ia 395 S. 408
romana. La formulazione di codesto articolo è peraltro identica a quella dell'art. 82 lett. c della legge del 1987, qui contestato.
Alla luce della considerazioni appena espresse, l'incompatibilità fra lo stato ecclesiastico e la carica di municipale appare manifestamente come un retaggio delle forti tensioni fra Chiesa e potere politico che hanno contraddistinto la storia del Cantone Ticino nel secolo scorso. Questo trattamento differenziato di un'intera categoria di persone può sembrare invero paradossale, ove appena si consideri che già la riforma costituzionale del 20 novembre 1875 sanciva l'uguaglianza di diritti per tutti i cittadini svizzeri domiciliati nel Cantone (art. 3): esso si può tuttavia facilmente comprendere se ci si situa nel contesto storico-politico di quegl'anni, che erano caratterizzati da un'evoluzione delle istituzioni verso la loro laicizzazione, considerata come un presupposto fondamentale della democrazia repubblicana, e dalla volontà di assicurare l'edificazione dello Stato democratico e liberale, evitando ogni ingerenza della Chiesa cattolica nell'esercizio del potere politico (cfr. ZORZI, op.cit., pagg. 74 seg., 81; v. inoltre le considerazioni espresse dal Governo ticinese davanti alle autorità federali a proposito della riforma costituzionale del 1o-4 marzo 1855, in FF franc. 1855 II pagg. 423/24).
c) Nel suo messaggio del 2 luglio 1985 relativo alla revisione della LOC, il Consiglio di Stato ha ricordato questa evoluzione della questione ecclesiastica nel diritto costituzionale ticinese ed ha peraltro espresso le proprie esitazioni circa l'opportunità di mantenere nella nuova normativa l'incompatibilità dei sacerdoti, che esso ha anche definito "di dubbia validità se vista sotto l'ottica dell'
art. 4 Cost.
" (pag. 107). Nonostante ciò, e per ragioni rimaste oscure, il Governo cantonale ha comunque riproposto nel disegno di legge la stessa regola (art. 83 lett. b) e, senza por mente al fatto che la nozione di ecclesiastico non comprende soltanto i preti cattolici ma anche i pastori della Chiesa riformata ed i ministri di altri culti e confessioni, si è limitato a rilevare che nell'ordinamento della Chiesa romana i sacerdoti non possono assumere cariche laiche senza il consenso del Vescovo e che la situazione nel Cantone Ticino è oggi tale "per cui è molto probabile che l'Ordinario non darà mai il proprio consenso a un parroco per assumere la carica di municipale" (messaggio citato, ibidem).
Sull'incompatibilità degli ecclesiastici è invece silente il rapporto 14 gennaio 1987 della Commissione della legislazione, che ha
BGE 114 Ia 395 S. 409
infatti ripreso la regola prospettata dal Consiglio di Stato senza particolare commento (pag. 57). Per contro, durante il dibattito in Gran Consiglio, l'art. 82 lett. c del disegno di legge è stato oggetto di una proposta di stralcio con relativa discussione: questa proposta è stata però respinta con 24 voti favorevoli, 34 contrari e 2 astensioni (Raccolta dei verbali del Gran Consiglio, sessione ordinaria autunnale 1986, pagg. 1123/1130).
Nelle sue osservazioni al ricorso di diritto pubblico il Consiglio di Stato non ha fornito argumentazioni supplementari di rilievo, ma si è limitato a riaffermare la libertà d'apprezzamento che compete al legislatore cantonale in tema di incompatibilità nonché l'analogia esistente fra codesta norma e l'art. 75 della Costituzione federale, sottolineando ancora una volta il particolare statuto del sacerdote nell'ordinamento della Chiesa cattolica.
b) Alla luce delle considerazioni che precedono tratte dai lavori legislativi e dagli atti delle autorità cantonali, si deve come minimo dedurre che la decisione di mantenere l'incompatibilità degli ecclesiastici nella nuova legge non è stata presa dopo un'analisi seria e approfondita della situazione attuale del Cantone ed in particolare dei rapporti che sussistono oggi fra Chiesa e potere politico: la regola dell'art. 82 lett. c LOC sembra invece esser stata mantenuta poiché essa era praticamente in vigore da più di un secolo e poiché nessuno ha mai eccepito la sua anticostituzionalità (cfr. Raccolta citata dei verbali del Gran Consiglio, pag. 1128). Ma questa maniera aprioristica di considerare le cose non può essere condivisa: in effetti, qualsiasi norma restrittiva dei diritti fondamentali del cittadino dev'essere riposta in discussione ove le circostanze che avevano giustificato in passato la sua adozione siano mutate col tempo e non sussistano più allorquando la competente autorità è chiamata a pronunciarsi di nuovo nell'ambito dell'emanazione di un atto normativo di portata generale o di un atto amministrativo individuale e concreto (cfr.
DTF 107 Ia 59
segg.; sentenza 22 settembre 1982 in re Association Club Montagne Jura).
e) A sostegno del proprio assunto, il ricorrente non si prevale d'una violazione della libertà di coscienza e di credenza ed in particolare dell'
art. 49 cpv. 4 Cost.
, ma si duole unicamente d'una lesione del principio d'uguaglianza. Sotto questo profilo, violano l'
art. 4 Cost.
quegli atti legislativi che fanno delle distinzioni inammissibili, non sorrette cioè da alcuna corrispondenza nella diversità delle fattispecie che la disciplina normativa vuole
BGE 114 Ia 395 S. 410
regolare, e quelli che - all'opposto - omettono di fare delle distinzioni laddove la diversità delle circonstanze da sottoporre alla norma impone invece di distinguere e che danno luogo quindi ad una parificazione inammissibile: per ammettere la violazione dell'
art. 4 Cost.
occorre tuttavia che la distinzione che il legislatore ha fatto appaia insostenibile, rispettivamente, nel caso inverso, che appaia insostenibile il rifiuto di distinguere, ossia l'assimilazione (
DTF 112 Ia 196
consid. 2b,
DTF 109 Ia 254
/55 consid. 4b, 327/28 consid. 4,
DTF 108 Ia 114
consid. 2b; Rep. 1986 pagg. 227/28 consid. 7). Questo principio vincola il legislatore cantonale in tutti i campi della sua attività normativa e dev'essere pertanto rispettato anche quando esso disciplina il diritto di elettorato attivo e passivo.
f) Le persone appartenenti allo stato ecclesiastico - preti cattolici, pastori della Chiesa evangelica riformata o ministri del culto di altre confessioni - sono ovviamente cittadini a pieno titolo ed una loro discriminazione nell'esercizio e nel godimento dei diritti politici potrebbe quindi essere imposta soltanto da motivi preminenti d'interesse pubblico. Ora, se questi motivi d'interesse pubblico sussistevano nel secolo scorso e fors'anche in un passato meno remoto, nessuno pretende più che la partecipazione del clero alla vita politica rappresenti ancora oggi un pericolo per lo Stato o possa eventualmente turbare la pace e l'ordine pubblico. Il Cantone Ticino accorda del resto agli ecclesiastici l'esercizio dei diritti politici attivi senza restrizioni fin dalla riforma costituzionale del 20 novembre 1875, consecutiva alla citata sentenza 1o febbraio 1875 del Tribunale federale, e non limita in nessun modo il loro accesso alle cariche pubbliche esecutive, legislative e giudiziarie d'ogni livello: la regola posta dall'art. 82 lett. c LOC costituisce infatti la sola eccezione attualmente contemplata dal diritto ticinese poiché gli ecclesiastici possono prender parte alle assemblee comunali e sedere quindi nei consigli comunali (cfr. art. 11 e 43 LOC; inoltre art. 9 e 36 LOC 1950).
Premesso questo, si deve poi rilevare che il legislatore ticinese ed il Consiglio di Stato non hanno nemmeno preteso che la partecipazione di religiosi alla gestione dei municipi potrebbe turbare la pace confessionale e sociale o comportare un'influenza eccessiva delle Chiese negli affari comunali, né hanno comunque portato argomenti che potrebbero giustificare il trattamento discriminatorio tuttora riservato ad un'intera categoria di cittadini. Ora, la questione di sapere se la candidatura di un
BGE 114 Ia 395 S. 411
ministro del culto ad una carica pubblica ed il susseguente esercizio di questa carica, spesso delicata, siano fonte di eventuale pregiudizio per le istituzioni della Chiesa o possano nuocere alla loro reputazione dev'essere valutata dalle autorità ecclesiastiche, alle quali gli organi dello Stato non si debbono sostituire (cfr. sentenza 22 settembre 1982 in re Pellaton, già citata, relativa all'art. 92 della legge ecclesiastica vodese del 25 maggio 1965): una limitazione posta da codesti organi alla candidatura di un ecclesiastico o alla sua entrata in funzione potrebbe infatti giustificarsi soltanto se il mantenimento della pace e dell'ordine pubblico dovesse richiedere l'intervento legislativo o amministrativo dello Stato. In ogni caso, tenendo conto dell'autonomia organizzativa che la Costituzione cantonale riconosce alla Chiesa cattolica e alla Chiesa evangelica riformata (art. 1 cpv. 2), lo statuto dell'ecclesiastico nel diritto ticinese non ha manifestamente alcun rapporto con quello del pubblico funzionario, le cui attività accessorie o cariche pubbliche possono invece essere limitate dallo Stato nel suo stesso interesse, specie se esse sono incompatibili con la posizione di dipendente o possono nuocere all'adempimento dei doveri di servizio (cfr. art. 15 e 16 della legge sull'ordinamento degli impiegati dello Stato e dei docenti del 24 novembre 1987).
g) Se ne deve concludere che il trattamento discriminatorio riservato agli ecclesiastici ticinesi dall'art. 82 lett. c LOC non è più sorretto da un interesse pubblico sufficiente e appare quindi lesivo, nelle circonstanze concrete, dell'
art. 4 Cost.
La situazione oggettiva è infatti profondamente mutata nel Cantone non solo rispetto al secolo scorso, ma persino al non così lontano 1922, quando il Tribunale federale ebbe a dichiarare conforme alla Costituzione la regola dell'art. 100 § 2 della legge organica del 1854 - riformato il 6 dicembre 1855 (Bollettino, vol. XXXI, pag. 469) - che sanciva l'incompatibilità fra la carica di segretario municipale e la qualità di sacerdote (
DTF 48 I 24
segg.); a tal riguardo, va tuttavia precisato che non poche disposizioni citate in questa sentenza per avvalorare le conclusioni a cui essa è pervenuta sono state nel frattempo abrogate o modificate in modo radicale. Vero è, per contro, che altre legislazioni cantonali ed in particolare quella di Ginevra hanno mantenuto clausole d'incompatibilità o d'ineleggibilità analoghe non solo per le elezioni del Gran Consiglio e del Consiglio di Stato (
art. 72 e 104 Cost./GE
), ma anche per quelle dei municipali e del sindaco (
art. 153 lett. a, 155 cpv. 2 Cost./GE
; art. 103 cpv. 2 della legge
BGE 114 Ia 395 S. 412
sull'esercizio dei diritti politici del 15 ottobre 1982): sennonché, chiamato in concreto a constatare che l'art. 82 lett. c LOC non è compatibile col principio d'uguaglianza in difetto d'un interesse pubblico preponderante debitamente dimostrato, il Tribunale federale non ha da esaminare se disposizioni consimili vigenti in altri Cantoni siano lesive anch'esse dell'
art. 4 Cost.
, avuto riguardo alle particolarità delle loro situazioni politiche e alle circostanze locali.
h) Per il Consiglio di Stato, la norma ticinese che esclude gli ecclesiastici dai municipi non potrebbe essere dichiarata anticostituzionale dal momento che la stessa Costituzione federale impedisce a chi non è laico d'essere membro del Consiglio nazionale (art. 75) e pertanto, in virtù del richiamo contenuto negli art. 96 e 108, di far parte del Consiglio federale e del Tribunale federale (cfr. anche l'
art. 18 cpv. 3 LDP
): in altre parole, non si potrebbe quindi pretendere che il legislatore ticinese istituisca una disciplina più egualitaria di quella istaurata a suo tempo dal costituente federale. Questo argomento, per il problema che qui interessa, non cade in acconcio.
L'
art. 75 Cost.
- che riprende l'analogo disposto contenuto nella Costituzione del 1848 (art. 64) - non consacra infatti alcun principio costituzionale direttamente applicabile ai Cantoni: trattasi in realtà d'una semplice regola organica adottata nell'interesse dello Stato federale, che appare invero come un retaggio storico delle lotte politico-religiose del secolo scorso. Del resto, la compatibilità di questa norma con i principi fondamentali dello Stato democratico è stata revocata in dubbio in più di un'occasione ed è pure stata discussa in Parlamento ancora negli anni settanta, durante il dibattito relativo all'abrogazione degli articoli confessionali sui gesuiti ed i conventi (cfr. FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, pagg. 484/85; DUBS, Le droit public de la Confédération Suisse, vol. II, pag. 73; BROGGINI, Stato e Chiesa nella Costituzione, in 1874-1974 Cent'anni di Costituzione, pag. 7 segg., 16; ETIENNE GRISEL, in Commentaire de la Constitution fédérale, n. 21 segg., all'art. 75; AUBERT, op.cit., vol. II, n. 1265; BUFFAT, op.cit., pagg. 171/72; messaggio del Consiglio federale relativo alla revisione della Costituzione federale, del 17 giugno 1870, in FF franc. 1870 II pag. 777 segg. 805; rapporto del Consiglio federale concernente l'
art. 75 Cost.
, mozioni Knellwolf e Daucourt, del 4 aprile 1921, in FF franc. 1921 I pag. 547 segg.; messaggio del Consiglio federale concernente
BGE 114 Ia 395 S. 413
l'abrogazione degli articoli costituzionali sui gesuiti ed i conventi, del 23 dicembre 1971, in FF 1972 I pag. 93 segg.; Boll.uff. CN 1972 pagg. 526 e 1376 segg.; inoltre rapporto finale del gruppo di lavoro per la preparazione di una revisione totale della Costituzione federale, del 29 settembre 1972, vol. VI, pag. 528). Ne consegue che la presenza dell'art. 75 nella Costituzione del 1874 non può costituire un valido riferimento o un punto d'appoggio per il legislatore cantonale chiamato a disciplinare l'eleggibilità dei cittadini alle cariche pubbliche o a istituire clausole d'incompatibilità fra codeste cariche e altre funzioni o occupazioni: la norma dell'art. 82 lett. c LOC, per le ragioni che si sono esposte sopra, permane dunque lesiva del principio d'uguaglianza e dev'essere annullata.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso di diritto pubblico è parzialmente accolto e l'art. 82 lett. c della legge organica comunale del 10 marzo 1987 è annullato; per il resto, il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a7cf1371-c747-437c-bcdb-7bc0900c9f04 | Urteilskopf
120 II 118
25. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. April 1994 i.S. E. gegen X. Banking Corp. (Berufung) | Regeste
Art. 328 Abs. 1 OR
. Einsichtsrecht des Arbeitnehmers in seine Personalakte; Anwendbarkeit des Bundesgesetzes über den Datenschutz.
Nichtanwendbarkeit des Datenschutzgesetzes im vorliegenden Fall, in dem das angefochtene Urteil vor dessen Inkrafttreten ergangen ist (E. 2).
Bejahung eines grundsätzlichen Rechts des Arbeitnehmers auf Einsicht in seine Personalakte. Verneinung eines Einsichtsrechts in bestimmte Urkunden im konkreten Fall (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 118
BGE 120 II 118 S. 118
E. war vom 1. Mai 1983 bis 23. Oktober 1987 Angestellter der Zürcher Niederlassung der X. Banking Corp., zuletzt in der Stellung eines stellvertretenden Geschäftsführers. Im Jahre 1984 eröffnete er für einen in England ansässigen Kunden ein Konto, auf das innerhalb eines Monates durch vier Zahlungen in englischen Pfundnoten ein Betrag von über neun Millionen Franken einbezahlt wurde. Im Herbst 1986 ergab sich aus einem englischen Rechtshilfeersuchen, dass das Geld aus einem Goldraub stammte, der im Jahre 1983 in England begangen worden war.
Darauf liess die Bank die Umstände, die zur Kontoeröffnung und Einzahlung des Geldes geführt hatten, unter anderem durch englische Privatdetektive untersuchen. In diesem Zusammenhang wurde E. während vier Tagen, vom 20. bis 23. Oktober 1987, unter Protokollierung seiner Aussagen befragt. Am letzten Tag der Befragung wurde er fristlos entlassen. Nach Auffassung der Bank waren ihm Geldwäscherei und schwerwiegende Nachlässigkeiten vorzuwerfen.
BGE 120 II 118 S. 119
In der Folge leitete E. beim Arbeitsgericht Zürich zwei Prozesse gegen seine frühere Arbeitgeberin ein. Im einen verlangte er Lohnfortzahlung, Genugtuung und die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses; im andern Ersatz für Schaden, der ihm aus dem Verhalten der Bank entstanden sei. Im ersten Prozess beantragte er im Rahmen des Beweisverfahrens, die Beklagte sei zur Vorlegung bestimmter Urkunden zu verpflichten, aus denen sich ergebe, dass die fristlose Entlassung ungerechtfertigt erfolgt sei. Dieses Begehren wurde für unzulässig erklärt und der Kläger auf den Weg der selbständigen Klage verwiesen mit der Begründung, die Editionspflicht im Zivilprozess dürfe nicht dazu dienen, aus den zu edierenden Urkunden erst die Grundlagen für Behauptungen zu gewinnen; dazu stehe das materiellrechtliche Editionsverfahren zur Verfügung.
Dementsprechend reichte E. am 30. Januar 1991 beim Arbeitsgericht Zürich eine dritte Klage ein mit den Anträgen, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm uneingeschränkte Einsicht in seine Personalakte zu gewähren und ihm daraus bestimmte Urkunden vorzulegen. Bei diesen Urkunden handelte es sich um zwei Berichte des erwähnten englischen Detektivbüros vom November 1987 und Frühling 1988 sowie um Protokolle über Befragungen von anderen Angestellten der Beklagten im Zusammenhang mit der Abklärung der dem Kläger vorgeworfenen Beteiligung an Geldwäscherei. Mit Urteil vom 9. Juli 1992 wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Der Kläger appellierte an das Obergericht des Kantons Zürich, das sein Rechtsmittel am 18. Juni 1993 abwies und das erstinstanzliche Urteil bestätigte.
Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nachdem das angefochtene Urteil bereits gefällt war, ist am 1. Juli 1993 das Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) in Kraft getreten. Damit ist eine neue Bestimmung ins Obligationenrecht eingefügt worden (Art. 328b), die vorschreibt, der Arbeitgeber dürfe Daten über den Arbeitnehmer nur bearbeiten, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind. Im übrigen gelten nach diesem Artikel - auch für Arbeitsverhältnisse - die Bestimmungen des DSG. Von Bedeutung wäre im vorliegenden Fall namentlich
Art. 8 DSG
, welcher das Auskunftsrecht gegenüber dem Inhaber einer Datensammlung regelt.
BGE 120 II 118 S. 120
Obschon keine der Parteien sich auf das DSG beruft, ist als Rechtsfrage von Amtes wegen zu prüfen (
Art. 63 Abs. 3 OG
), ob dessen Bestimmungen auf den vorliegenden Fall anwendbar sind. Dagegen spricht zunächst, dass die im Berufungsverfahren vorzubringende Rüge, der kantonale Richter habe mit dem angefochtenen Entscheid Bundesrecht verletzt (
Art. 43 OG
), an sich voraussetzt, dass die angerufene Bestimmung im Zeitpunkt der Fällung des kantonalen Urteils bereits in Kraft war. Das Rechtsmittel der Berufung dient nicht dazu, eine erstmalige Beurteilung des Sachverhalts durch das Bundesgericht nach neuem Recht zu ermöglichen. Vorbehalten bleibt allerdings unter anderem die Prüfung, ob die Prozessvoraussetzungen gegeben sind (vgl.
BGE 116 II 209
E. 2b S. 211 ff.). Zudem verpflichtet der bereits erwähnte Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen das Bundesgericht nicht zu untersuchen, ob der streitige Anspruch allenfalls aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen, die erst nach dem Erlass des angefochtenen Urteils in Kraft getreten sind, als begründet anzusehen ist, wenn die Sachvorbringen im kantonalen Verfahren nicht auf diese Anspruchsgrundlage ausgerichtet waren (vgl.
BGE 115 II 464
E. 1 S. 465). Das DSG fällt deshalb für die Beurteilung der vorliegenden Streitsache ausser Betracht. Zum gleichen Ergebnis führen auch die folgenden intertemporalrechtlichen Überlegungen. Dem DSG selbst lässt sich nichts zur Frage entnehmen, ob es auf Fälle wie den vorliegenden anwendbar ist. Es enthält zwar Übergangsbestimmungen (Art. 38), die aber lediglich Sonderfragen betreffen und sich nicht zur allgemeinen Frage der zeitlichen Anwendbarkeit des Gesetzes äussern. Gleich verhält es sich mit der Verordnung zum DSG (VDSG, SR 235.11; vgl.
Art. 37 VDSG
). Unter diesen Umständen wird nach der Praxis des Bundesgerichts auf die im Schlusstitel zum ZGB niedergelegten intertemporalrechtlichen Prinzipien zurückgegriffen (
BGE 116 III 120
E. 3a S. 124,
BGE 94 II 240
E. 8 S. 245 mit Hinweisen). Abzustellen ist im vorliegenden Fall auf die Grundregel von
Art. 1 SchlT ZGB
, wonach die rechtlichen Wirkungen von Tatsachen, die sich vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes ereignet haben, nach bisherigem Recht zu beurteilen sind. Nicht zur Anwendung kommen die davon abweichenden Regeln von
Art. 2 - 4 SchlT ZGB
, denn deren Voraussetzungen sind nicht gegeben. So fällt
Art. 4 SchlT ZGB
darum ausser Betracht, weil ein grundsätzliches Einsichtsrecht des Klägers bereits nach bisherigem Recht gegeben ist, wie die folgenden Erwägungen zeigen werden. Dieser Gesichtspunkt ist sodann auch in bezug auf
Art. 2 und 3 SchlT ZGB
von entscheidender Bedeutung.
BGE 120 II 118 S. 121
Da
Art. 328 Abs. 1 OR
, aus dem das Einsichtsrecht in die Personalakte abgeleitet wird, schon nach bisherigem Recht zwingenden Charakter hat (
Art. 362 OR
) und dieses Einsichtsrecht inhaltlich im wesentlichen dem Auskunftsrecht gemäss Art. 8 f. DSG entspricht, drängt es sich nicht auf, gestützt auf
Art. 2 oder 3 SchlT ZGB
von einer Rückwirkung des neuen Rechtes auszugehen (vgl. dazu
BGE 119 II 46
ff.; zum Verhältnis zwischen
Art. 2 und 3 SchlT ZGB
: BROGGINI, SPR, Bd. I, S. 447 ff.).
3.
Das Obergericht hat die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, einerseits gehörten die streitigen Unterlagen nicht zur Personalakte des Klägers und andererseits liege von seiner Seite kein berechtigtes Interesse vor, das nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Einsichtsrecht rechtfertigen würde. Mit der Berufung wird der Vorinstanz in beiden Punkten eine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen.
a) Das Recht des Arbeitnehmers auf Einsicht in seine Personalakte ist im Obligationenrecht nicht ausdrücklich verankert. In Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Lehre ist ein solches Recht jedoch als Ausfluss des Persönlichkeitsschutzes des Arbeitnehmers (
Art. 328 Abs. 1 OR
) anzuerkennen (so REHBINDER, Berner Kommentar, N. 16 zu
Art. 328 OR
; STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5. Aufl., N. 9 zu
Art. 328 OR
; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, N. 6 zu
Art. 328 OR
; BERNHARD FREI, Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers nach OR Art. 328 Abs. 1. Unter besonderer Berücksichtigung des Personaldatenschutzes, Diss. Bern 1981, S. 145 ff.; ROLF HUBER, Rechtsprobleme der Personalakte, Diss. Zürich 1984, S. 147 ff.; a.A. BRAND ET AL., Der Einzelarbeitsvertrag im Obligationenrecht, N. 9 zu
Art. 328 OR
). Das Einsichtsrecht ist als Teil des informationellen Selbstbestimmungsrechtes zu verstehen (ROLF HUBER, a.a.O., S. 40; TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, S. 67 Rz. 460), das auch der Datenschutzgesetzgebung des Bundes zugrundeliegt (vgl. Botschaft des Bundesrates zum DSG, BBl 1988 II S. 417 ff.).
Die Bejahung des Rechts des Klägers auf Einsicht in seine Personalakte liegt auch dem angefochtenen Urteil zugrunde. Das Obergericht hat seine Entscheidung indessen auf die Frage beschränkt, ob das Einsichtsrecht auch die Urkunden umfasse, welche der Kläger mit seinem Rechtsbegehren umschreibt. Diese Einschränkung wird mit der Berufung nicht beanstandet. Das wäre im übrigen gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
unzulässig, da
BGE 120 II 118 S. 122
grundsätzlich das kantonale Recht darüber bestimmt, ob ein allgemein formuliertes Rechtsbegehren um Einsicht in die Personalakte zulässig ist oder die Urkunden, in welche der Arbeitnehmer Einsicht nehmen will, im einzelnen bezeichnet werden müssen (vgl. dazu
BGE 116 II 215
E. 4 S. 219). Demgemäss beschränkt sich auch das Verfahren vor Bundesgericht auf die vorinstanzlich geprüfte Frage.
b) Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass die streitigen Urkunden zu seiner Personalakte gehörten. Dies ist vom Obergericht mit der Begründung verneint worden, die Urkunden oder Unterlagen seien im Zusammenhang mit einer weitläufigen Untersuchung bestimmter Geschäftsvorgänge erstellt worden und spielten nach der vom Kläger sinngemäss anerkannten Behauptung der Beklagten beim Entscheid darüber, ob die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses ungerechtfertigt erfolgt sei, keine Rolle. In diesem Zusammenhang wird im angefochtenen Urteil zudem festgehalten, soweit die streitigen Urkunden nach dem 23. Oktober 1987 verfasst worden seien, hätten sie ohnehin nicht Grundlage des Entlassungsentscheides bilden können.
Die Beurteilung des Obergerichts ist nicht zu beanstanden. Der Begriff der Personalakte wird im Obligationenrecht weder verwendet noch umschrieben. Das Einsichtsrecht des Arbeitnehmers wird - wie bereits erwähnt - von der Lehre zu Recht aus dem Persönlichkeitsschutz abgeleitet. Dieser Zusammenhang muss auch bei der Umschreibung des Begriffs der Personalakte wegleitend sein. Abzustellen ist deshalb auf den Persönlichkeitsschutz als konkretisierungsbedürftige Generalklausel. Untauglich ist demgegenüber der Ansatz, der sich zuerst an der Anerkennung eines allgemeinen Einsichtsrechts in die Personalakte orientiert, dann den Begriff der Personalakte definiert und so das Einsichtsrechts des Arbeitnehmers in eine bestimmte Urkunde ableiten will. Stattdessen ist vielmehr direkt zu prüfen, ob der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers ein Recht auf Einsicht in ein bestimmtes Dokument oder in bestimmte Arten von Urkunden verleiht.
In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass in der Berufungsschrift nicht näher ausgeführt wird, weshalb es für den Schutz der Persönlichkeit des Klägers erforderlich sein soll, Einsicht in die streitigen Urkunden zu erhalten. Die Protokolle, die über seine Befragung vom 20. bis 23. Oktober 1987 angefertigt worden sind, hat er unstreitig einsehen können. Sie befinden sich nebst dem Grossteil der darin erwähnten Urkunden bei den Akten des noch hängigen Prozesses betreffend fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses, wie im angefochtenen Urteil
BGE 120 II 118 S. 123
festgestellt wird. Weder aus dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz noch aus
Art. 328 Abs. 1 OR
lässt sich jedoch ableiten, dass ein Arbeitnehmer Anspruch hat auf Einsicht in sämtliche Unterlagen über eine vom Arbeitgeber veranlasste bzw. durchgeführte Untersuchung von Geschäftsvorgängen, an denen er auf irgendeine Weise beteiligt war. Das Einsichtsrecht in die Personalakte hat wie das Auskunftsrecht gemäss
Art. 8 DSG
instrumentalen Charakter (vgl. BBl 1988 II 452; zum Akteneinsichtsrecht allgemein:
BGE 113 Ia 257
E. 4c S. 264). Es soll dem Betroffenen die Möglichkeit geben, sich zu vergewissern, ob in seiner Personalakte Angaben vorhanden sind, die seine Persönlichkeitsrechte verletzen, weil sie falsch sind oder keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Eine solche Bedeutung der streitigen Urkunden wird vom Kläger jedoch gerade nicht geltend gemacht. Seine Behauptung, er kenne den Inhalt der Dokumente nicht und wisse nicht, was darin über seine Person enthalten sei, kann unter den gegebenen Umständen nicht genügen, um ihm ein Einsichtsrecht zu verschaffen. Aus der Umschreibung der Art der Dokumente geht hervor, dass sie nicht Angaben zur Person des Klägers, sondern Äusserungen über bestimmte Geschäftsvorgänge während seiner Anstellungszeit enthalten müssen. Im angefochtenen Urteil wird im übrigen darauf hingewiesen, der Kläger habe in seinen Rechtsschriften selbst anerkannt, dass das weitere Aktenmaterial ihn nicht belasten könne. Soweit er aber in den Dokumenten entlastende Sachverhaltselemente vermutet, ist es unwahrscheinlich, dass diese seine Persönlichkeitsrechte verletzen können. Besondere Umstände, die ausnahmsweise aufgrund von
Art. 328 Abs. 1 OR
eine Handlungspflicht des Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers begründen könnten (dazu REHBINDER, N. 2 zu
Art. 328 OR
), werden schliesslich vom Kläger nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
c) Aus der vorangehenden Erwägung ergibt sich ohne weiteres, dass auch die zweite vom Kläger erhobene Rüge unbegründet ist. Denn besteht bereits wegen der Art der streitigen Dokumente kein aus dem Persönlichkeitsschutz ableitbares Einsichtsrecht des Klägers, so muss das unabhängig vom Zeitpunkt gelten, in dem die Einsicht verlangt wird. Die vom Obergericht bejahte Frage, ob nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Einsichtsrecht nur dann zu gewähren ist, wenn der ehemalige Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Einsicht hat, ist deshalb an sich nicht entscheiderheblich. Es rechtfertigt sich aber trotzdem, kurz dazu Stellung zu nehmen.
BGE 120 II 118 S. 124
Soweit ein behauptetes Einsichtsrecht nur aus dem Persönlichkeitsschutz und nicht aus einer besonderen Bestimmung abgeleitet wird, die einen unbedingten Anspruch auf Einsicht gibt, wird immer ein Interesse an der Einsichtnahme vorausgesetzt, das gegen die Interessen abgewogen werden muss, die von seiten anderer an der Verweigerung der Einsicht bestehen (vgl. dazu HUBER, a.a.O., S. 40; zur Akteneinsicht gegenüber dem Staat:
BGE 113 Ia 1
E. 4a S. 4, 257 E. 4a S. 261 f.). So kann beispielsweise zur Befriedigung blosser Neugier keine Akteneinsicht verlangt werden. Zudem findet das Persönlichkeitsrecht des Gesuchstellers stets seine Schranke an den Persönlichkeitsrechten anderer Beteiligter. Zu Recht verlangt deshalb die Lehre insbesondere für die Einsicht in die Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein berechtigtes Interesse des ehemaligen Arbeitnehmers (REHBINDER, N. 16 zu
Art. 328 OR
; HUBER, a.a.O., S. 166). Wie bereits festgehalten wurde, sind die streitigen Urkunden indessen nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht geeignet, den Standpunkt des Klägers in den beiden anderen Prozessen zu stützen. Mangels tatsächlicher Feststellungen ist schliesslich auch die Behauptung des Klägers unbeachtlich, bei den streitigen Urkunden befänden sich Niederschriften von eigenen Telefongesprächen, welche die Beklagte habe abhören lassen. Das Obergericht hat somit zu Recht auch ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Einsicht in die streitigen Urkunden verneint. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7d93d84-99a4-4497-970c-5d44eb781550 | Urteilskopf
106 IV 403
98. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. September 1980 i.S. V. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 29, 93 Ziff. 2 SVG
; Probefahrten.
Automechaniker dürfen mit defekten oder soeben reparierten Autos, auch nicht voll verkehrstauglichen, kurze Probefahrten zur Überprüfung anders nicht kontrollierbarer Funktionen unternehmen. Voraussetzung ist untergeordnete Natur der möglichen Defekte und Ausschluss jeder Unfallgefahr durch entsprechende Vorsichtsmassnahmen. | Erwägungen
ab Seite 404
BGE 106 IV 403 S. 404
Aus den Erwägungen:
3.
Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die im kantonalen Nichtigkeitsverfahren bestätigt wurden, handelt es sich bei der behaupteten Probefahrt des Beschwerdeführers um eine reine Schutzbehauptung, d.h. um eine Unwahrheit.
In Wirklichkeit nahm der Beschwerdeführer von den auf dem Garagenvorplatz abgestellten alten Wagen den vordersten, montierte die Händlerschilder und fuhr weg, um ein in Panne geratenes Kundenfahrzeug von St. Gallen nach Neftenbach zu schleppen. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass eine solche Fahrt nicht als Probefahrt einzustufen ist. Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände werden damit hinfällig.
4.
Selbst wenn es sich um eine Probefahrt gehandelt hätte, könnte von einer Verletzung von Bundesrecht keine Rede sein. Zwar wird einem Automechaniker zuzubilligen sein, mit defekten oder soeben reparierten Autos Fahrten zu unternehmen, um auf diese Weise gewisse Funktionen, die sich nicht anders kontrollieren lassen, zu überprüfen. Das wird auch dann zulässig sein müssen, wenn anzunehmen ist, dass beim Fahrzeug keine volle Verkehrstauglichkeit besteht.
Voraussetzung für solche Probefahrten ist jedoch stets, dass die Fahrt nicht zu einer Verkehrsgefährdung führt. Erforderlich
BGE 106 IV 403 S. 405
ist m.a.W., dass die möglichen Defekte untergeordneter Natur sind und durch entsprechende Vorsichtsmassnahmen (z.B. besonders langsames Fahren, Benützen einer einsamen Strasse, Warnen durch Begleitfahrzeuge usw.), soweit ausgeglichen werden können, dass sie keine Unfallgefahr darstellen.
Ist jedoch ein Fahrzeug verkehrsuntauglich oder bedarf es zur Abklärung des Defektes keiner Probefahrt, so ist eine solche unzulässig. Beides trifft vorliegend zu. Durchgerostete wesentliche Teile der Trägerkonstruktion können erfahrungsgemäss jederzeit zu einem Unfall führen. Nach den beiden Experten waren diese Mängel ohne Probefahrt sofort erkennbar. Eine Bremse, bei der ein Rad ungebremst bleibt, ist gefährlich und der Defekt in der Garage oder auf einem Garagenvorplatz feststellbar. Eine Probefahrt von ca. 140 km war bei dieser Sachlage unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Die Bestrafung des Beschwerdeführers erfolgte daher zurecht. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7ddd12c-7eaa-405d-bd9d-9e5da5e5c208 | Urteilskopf
83 II 249
38. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. April 1957 i.S. Neuapostolische Gemeinde der Schweiz gegen Apostolische Gemeinde. | Regeste
Namenswahl eines Vereins. Klage eines andern Vereins auf Unterlassung der Führung dieses Namens.
1. Passivlegitimation (Erw. 1).
2. Ablehnung des Firmenschutzes nach
Art. 944 ff. OR
, Zuerkennung des Persönlichkeits- und insbesondere des Namensschutzes nach
Art. 27 ff. ZGB
(Erw. 2).
3. Bedeutung einer gebräuchlichen Kurzbenennung (Erw. 3, a). Unzulässigkeit der Wahl eines zu Verwechslungen Anlass bietenden Vereinsnamens (Erw. 3, b).
4. Schutzwürdiges Interesse an der Klage. Der neue Name soll sich deutlich unterscheiden, auch wenn der Name des Klägers dem allgemeinen Sprachgut entnommene Elemente enthält (Erw. 4 und 5).
5. Dem Urteil auf Unterlassung ist von Amtes wegen die Strafandrohung nach
Art. 292 StGB
beizufügen.
Art. 40 OG
und 76 BZP (Erw. 6).
6. Änderung des Namenseintrages im Handelsregister. Verfahren. Art. 60 und 61 HRV (Erw. 7).
7. Urteilspublikation. Voraussetzungen nach
Art. 28 Abs. 1 ZGB
und
Art. 49 OR
(Erw. 8). | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 83 II 249 S. 250
A.-
Die "Neuapostolische Gemeinde der Schweiz", Zürich (Klägerin), ist ein Verein im Sinne von
Art. 60 ZGB
. Sie besteht unter diesem Namen seit etwa 50 Jahren und wurde am 27. April 1910 im Handelsregister von Zürich eingetragen. Ihr Zweck ist nach den Statuten die Religionspflege auf Grund der Einrichtungen der Urkirche. Sie ist Glied einer internationalen, über etwa 20 Länder verbreiteten, hierarchisch organisierten "Neuapostolischen Kirche", deren Oberhaupt, der "Stammapostel", zur Zeit in Frankfurt a.M. residiert. Intern gliedert sich die Klägerin in Bezirke, Unterbezirke und Gemeinden, die jedoch nur Organe des Gesamtvereins ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind. Die Leitung der Gemeinschaft wird in geistlichen und weltlichen Dingen entscheidend vom einzelzeichnungsberechtigten Hauptleiter, dem Bezirksapostel der Schweiz, bestimmt.
B.-
Die bestehende internationale Gemeinschaft der "Neuapostolischen Kirche" ist aus einem Schisma der "Katholisch-apostolischen" oder "Alt-apostolischen Gemeinde" hervorgegangen, die heute noch, auch in der Schweiz, Anhänger hat, aber keine grosse Tätigkeit mehr entfaltet. Auch die neue Organisation blieb von weitern
BGE 83 II 249 S. 251
Abspaltungen, namentlich in Deutschland, den Niederlanden und dem Saargebiet, nicht verschont.
In der Schweiz kam es 1954 zur Spaltung. Der Stammapostel, J.G. Bischoff, hatte zu Weihnachten 1951 eine Botschaft erlassen, die als Dogma an allen Gemeindefeiern unablässig verkündet werden solle: Christus werde noch zu seinen, des Stammapostels, Lebzeiten wieder erscheinen; er, Bischoff, habe persönlich die Verheissung erhalten, er werde nicht sterben. Otto Güttinger, Bezirksleiter der Klägerin in Zofingen, entfachte mit seinen Zweifeln an dieser Botschaft einen Glaubensstreit. Die schweizerische Hauptleitung rief den renitenten Bezirrksleiter zur Ordnung und enthob ihn, da er sich weder von ihr noch vom Stammapostel selbst "zurechtbringen" liess, am 10. Juni 1954 seines Amtes. Mit ihm wurden zwei seiner Anhänger, Ernst Haupt und Rudolf Plüss, aus dem klägerischen Verein ausgeschlossen.
C.-
Die Gemassregelten schritten unverzüglich zur Gründung eines eigenen Vereins mit Sitz in Zofingen, der laut Statuten vom 26. September 1954 "die Religionspflege im Sinne der urchristlichen Einrichtungen und Lehrsätze" bezweckt, und den sie unter dem Namen "Apostolische Gemeinde" am 19. November 1954 im Handelsregister des Kantons Aargau eintragen liessen.
D.-
Die Klägerin verlangte das Verbot des Namens "Apostolische Gemeinde". Sie erhob Klage gegen den neuen Verein und gegen dessen Gründer Güttinger, Haupt und Plüss "und Konsorten". Zur Begründung berief sie sich auf
Art. 28 und 29 ZGB
, sowie auf
Art. 944 ff. OR
, insbesondere
Art. 956 OR
, in Verbindung mit
Art. 50 OR
, und auf
Art. 2 ZGB
. Sie machte geltend, der angefochtene Name stifte Verwirrung und führe zu Verwechslungen, was bereits durch irrtümliche Postzustellungen erwiesen sei, aber auch ohne dies offensichtlich wäre. Die Verwechslungsgefahr sei um so grösser, als für den klägerischen Verein längst der Kurzname "Apostolische Gemeinde"
BGE 83 II 249 S. 252
geläufig geworden sei. Die Aufnahme der gleichen Bezeichnung sei eine eindeutige Namensanmassung und verletze auch das Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Als Verein von rund 35'000 Mitgliedern und von erheblichem, grösstenteils in Grundstücken angelegtem Vermögen habe die Klägerin aber auch wirtschaftliche Interessen zu wahren. Sie müsse daher auch des Firmenschutzes gemäss
Art. 956 OR
teilhaftig sein. - Urheber der Gefährdung seien sowohl der beklagte Verein als die miteingeklagten Gründer und Leiter desselben, Otto Güttinger insbesondere als Einzelunterschrift führender Präsident und Herausgeber der Vereinszeitschrift. Die Klage müsse deshalb auch gegen die Einzelpersonen als zulässig und notwendig erachtet werden.
Die Beklagten bestritten in erster Linie die Passivlegitimation der genannten natürlichen Personen und der weitern - ungenannten - "Konsorten". Sodann lehnten sie die Anwendbarkeit der Bestimmungen über den Firmenschutz ab. Die Klägerin könne sich einzig auf personenrechtliche Normen (
Art. 28 und 29 ZGB
) berufen, und dass diese verletzt seien, werde ebenfalls bestritten. Das zum Nachweis der Verwechslungsgefahr inszenierte "Manöver" mit den Postzustellungen sei nicht schlüssig. Der beklagte Verein habe in sechs Städten, wo von der Klägerin mit "Vorstand der Apostolischen Gemeinde" adressierte Briefe an die klägerischen Geschäftsstellen gelangten, damals noch gar keinen Vorstand gehabt; an andern Orten sei die Postverwaltung noch ungenügend orientiert gewesen. Es handle sich somit nur um eine anfängliche, nach kurzer Zeit hinwegfallende Unklarheit. Entscheidend sei, dass beiden Namenselementen des beklagten Vereins der Charakter von Sachbezeichungen zukomme, die im Lebenskreis solcher Religionsgemeinschaften Allgemeingut seien, und die daher keine Gemeinschaft für sich allein in Anspruch nehmen könne. Der beklagte Verein sei auf die Kennzeichnungen "apostolisch" und "Gemeinde" ebenso angewiesen wie der klägerische.
BGE 83 II 249 S. 253
Diese Namenselemente gehörten im Hinblick auf die (beiden Vereinen gemeinsame) religiöse Lehre und auf den Kreis der Mitglieder und Interessenten notwendigerweise zur sachlichen Benennung der Organisation. Die Klägerin selbst habe diese Elemente anlässlich ihrer Trennung von der "Alt-Apostolischen Gemeinde" beibehalten. Um so weniger könne sie ein Alleingebrauchsrecht auf den Grundbegriff "apostolische Gemeinde" als Kurzbenennung erworben haben.
E.-
Das Bezirksgericht Zofingen wies die Klage ab, ebenso das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 30. November 1956. Gegenüber den eingeklagten natürlichen Personen wurde die Klage schon wegen mangelnder Passivlegitimation als unbegründet erachtet. Sodann verneinte das Obergericht, dass die Klägerin, als idealer Verein, sich auf den obligationenrechtlichen Firmenschutz berufen könne. Im weitern folgte es im wesentlichen der Argumentation der Beklagten und gelangte zum Schlusse, nach der gegebenen Sachlage und in Abwägung der gegenseitigen Interessen sei der Anspruch der Klägerin abzulehnen.
F.-
Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hält die Klägerin an ihren Begehren vollumfänglich fest und beantragt demgemäss:
"1) Es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und den Berufungsbeklagten die weitere Verwendung des Namens "Apostolische Gemeinde" oder einer sonstigen mit dem Namen der Berufungsklägerin verwechselbaren Bezeichnung für den Religionsverein der Berufungsbeklagten, sowie für ihre Tätigkeit und Propaganda zu verbieten unter solidarischer Verantwortlichkeit und unter Androhung der Straffolgen gemäss
Art. 292 StGB
im Falle des Ungehorsams, vorbehältlich der weiteren Rechte gemäss
Art. 29 und 28 ZGB
, sowie
Art. 49 OR
;
2) Das zuständige Handelsregisteramt sei richterlich anzuweisen, die Aufnahme des Namens "Apostolische Gemeinde" zur Benennung oder näheren Bezeichnung oder Umschreibung des von den H.H. O. Güttinger und Konsorten neugegründeten religiösen Vereins im Handelsregister zu verweigern, bzw. einen schon erfolgten Eintrag zu löschen;
3) Die Beklagten seien solidarisch zu verpflichten, das in diesem Prozess ergehende Urteil auf ihre eigenen Kosten in ganzseitigem Format in dem von O. Güttinger herausgegebenen
BGE 83 II 249 S. 254
"Herold", sowie in je viertelseitigem Format in einer von der Klägerin zu bezeichnenden Tageszeitung der deutschen Schweiz, der Westschweiz und des Tessins 1 Mal zu publizieren;
unter K. u. E. F., mit Solidarhaft sämtlicher Berufungsbeklagten für alle drei Instanzen."
Die Beklagten tragen auf Abweisung sämtlicher Berufungsbegehren unter Kosten- und Entschädigungsfolgen an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Soweit sich die Klage gegen Güttinger, Haupt, Plüss und Konsorten richtet, hat das Obergericht sie mit Recht wegen mangelnder Passivlegitimation abgewiesen. Ziel der Klage ist das Verbot der Führung des Namens, den sich der beklagte Verein beigelegt hat, samt Nebenfolgen dieses Verbotes. Eine solche Klage kann richtigerweise nur gegen den Träger des Namens erhoben werden, also hier nur gegen den als "Apostolische Gemeinde" benannten Verein. Dieser selbst ist verpflichtet, den allenfalls gegen ihn ergehenden Entscheid zu vollziehen. Er handelt dabei wie in anderer Hinsicht durch seine zuständigen Organe, was aber nicht rechtfertigt, einzelne Gründer oder Vorstandsmitglieder miteinzuklagen. Es geht eben nicht um deren eigene Angelegenheit, sondern um eine Sache des Vereins, für den sie nur in dessen Namen zu handeln haben. Vollends fallen die nicht näher bezeichneten "Konsorten" ausser Betracht.
Der Hinweis auf
Art. 50 OR
auf S. 3 der Berufungsschrift entbehrt des Grundes. Da kein Schadenersatzanspruch geltend gemacht ist, stellt sich die Frage einer persönlichen Verantwortlichkeit der als Organe handelnden Personen nach
Art. 55 Abs. 3 ZGB
und einer solidarischen Haftung nicht.
2.
Gegenüber dem somit einzig zur Sache passiv legitimierten Verein hat das Obergericht die Anwendbarkeit des von der Klägerin angerufenen Firmenschutzrechtes gemäss ständiger Rechtsprechung abgelehnt (BGE
BGE 83 II 249 S. 255
BGE 34 II 114
ff. und
BGE 80 II 284
). Dem ist beizustimmen; denn Gegenstand des Firmenschutzes können nur die "Geschäftsfirmen" sein, auf die sich der ganze 31. Titel des OR (Art. 944-956) bezieht, wie denn der speziell den "Schutz der Firma" betreffende
Art. 956 OR
von der "Firma eines einzelnen Geschäftsinhabers oder einer Handelsgesellschaft oder Genossenschaft" spricht. Diesen geschäftlichen Unternehmungen stehen die Vereine der
Art. 60 ff. ZGB
("die sich einer... religiösen... oder andern nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen") gegenüber, die eben um ihres Zweckes willen keine "Geschäftsfirma" haben können, selbst wenn sie für ihren - idealen - Zweck ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben und daher nach
Art. 61 Abs. 2 ZGB
zur Eintragung verpflichtet sind, ohne dass jedoch der Erwerb der juristischen Persönlichkeit von der Eintragung abhinge (
BGE 48 II 170
). Im vorliegenden Fall ist übrigens nicht festgestellt, dass die Klägerin zur Erreichung ihres Zweckes ein solches Gewerbe betreibe, sodass dahinsteht, ob sie zur Eintragung verpflichtet war. Wie dem auch sei, ist die Annahme einer "Geschäftsfirma" mit dem Charakter eines Vereins um seines idealen Hauptzweckes willen nicht vereinbar. Dementsprechend verlangt die Verordnung über das Handelsregister ganz allgemein bei Vereinen und Stiftungen (Art. 97 lit. b und 101 lit. b) nicht die Eintragung einer Firma, sondern eines Namens. Auch eine analoge Anwendung des Firmenrechts ist abzulehnen, weil unnötig, da den Vereinen wie allen juristischen Personen der Schutz der Persönlichkeit im allgemeinen und des Namens im besondern zukommt, womit alle gerechtfertigten Interessen zur Geltung gebracht werden können (Art. 53 in Verbindung mit den
Art. 27-29 ZGB
; ausser den eingangs angeführten UrteilenBGE 42 II 317; HAFTER, 2. Aufl., N. 17 zu Art. 52 und N. 6 zu
Art. 61 ZGB
; HIS, N. 28/9 zu Art. 944 und N. 3, 76 und 83 zu
Art. 956 OR
; AISSLINGER, Der Namensschutz nach
Art. 29 ZGB
, S. 50 ff.). Nichts Abweichendes folgt aus dem in BGE 82 II
BGE 83 II 249 S. 256
152 ff. beurteilten firmenrechtlichen Streite zwischen zwei Genossenschaften.
3.
Somit bleibt zu prüfen, ob der beklagte Verein mit seiner Namenswahl die Persönlichkeitsrechte der Klägerin (
Art. 28 Abs. 1 und
Art. 29 Abs. 2 ZGB
) in unzulässiger Weise verletzt habe. Das ist entgegen der Ansicht der kantonalen Instanzen zu bejahen.
a) Der beklagte Verein hat sich zwar nicht den vollen Namen der Klägerin beigelegt, sondern nur die darin enthaltenen Elemente "Apostolische Gemeinde" übernommen. Doch sind dies die hauptsächlichsten, den Tätigkeitsbereich der Klägerin massgebend bezeichnenden und im Gedächtnis der mit ihr in Verbindung tretenden Kreise am eindrücklichsten haftenden Namensbestandteile. Die Klägerin hat diese Wortverbindung ausserdem als im Lauf der Zeit für sie allgemein in Gebrauch gekommene Kurzbezeichnung in Anspruch genommen. Sollte dies in den für sie massgebenden Volkskreisen wirklich zutreffen, so könnte allenfalls von der Anmassung eines im Verkehr geltenden zweiten Namens gesprochen werden. Wollte man aber auch den Kurznamen nicht als "eigentlichen" Namen gelten lassen, so wäre doch im Sinne von
Art. 28 ZGB
die Individualsphäre der Klägerin verletzt (
BGE 40 II 605
/6,
BGE 52 II 398
,
BGE 80 II 281
). Mit Unrecht hat das Obergericht diesen Sachverhalt nicht abgeklärt, in der Erwägung, das Aufkommen eines solchen Kurznamens würde nur beweisen, dass beim Publikum gar kein Bedürfnis nach Unterscheidung der verschiedenen "Apostolischen" Glaubensgemeinschaften bestehe, und jedenfalls habe der beklagte Verein es nicht zu verantworten, wenn die Mitglieder der Klägerin in der Öffentlichkeit einfach als "die Apostolischen" bezeichnet werden. Allerdings hat der beklagte Verein nichts dazu beigetragen, dass längst vor seiner Gründung, wie die Klägerin behauptet, jener Kurzname für sie gebräuchlich geworden ist. Er hat aber dieser Sachlage, wenn sie zutreffen sollte, Rechnung zu tragen und die Individualsphäre der Klägerin zu achten. Und der Umstand, dass
BGE 83 II 249 S. 257
gelegentlich von "Apostolischen" ohne Bezugnahme auf eine bestimmte Gemeinschaft gesprochen wird, ändert nichts daran, dass die Klägerin eine vom beklagten Verein zu unterscheidende juristische Person ist und in ihren Persönlichkeitsrechten nicht durch eine zu Verwechslungen Anlass gebende Namenswahl des beklagten Vereines verletzt werden darf. Im geschäftlichen Verkehr, wie auch bei Anwerbung neuer Mitglieder, bei öffentlichen Sammlungen, in Aufrufen und Inseraten usw. spielt es denn auch eine entscheidende Rolle, mit welchem dieser Glaubensvereine man es zu tun hat. Wie es sich mit dem behaupteten Kurznamen verhalte, wäre daher in tatbeständlicher Hinsicht noch abzuklären, wozu die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden müsste, sofern die Klage nicht ohnehin, aus andern Gründen, zu schützen ist.
b) Das trifft nun aber zu, da der vom beklagten Verein gewählte Name offensichtlich in hohem Masse dazu geeignet ist, Verwirrung zu stiften. Es sind denn auch schon eine Reihe von Verwechslungen vorgekommen, z.B. bei der Post, die an die "Apostolische Gemeinde" adressierte Sendungen der Klägerin abgegeben hat. Auch das Postpersonal ist zu den beteiligten Verkehrskreisen zu rechnen (vgl.
BGE 61 II 123
,
BGE 73 II 113
). Es mag sein, dass sich solch unrichtige Zustellungen in Zukunft durch Orientierung der Postverwaltung in gewissem Masse vermeiden lassen. Dennoch ist mit derartigen Vorkommnissen weiterhin ernstlich zu rechnen, zumal die beiden Vereine, in erster Linie die Klägerin, mit ihren örtlichen Organisationen über die ganze Schweiz hin verbreitet sind. Aber auch abgesehen von der Gefahr, dass zutreffend an die Erstbeklagte adressierte Sendungen versehentlich der Klägerin zugestellt werden, ist die Wahrscheinlichkeit häufiger Verwechslungen, wenn auch vielleicht nicht bei Angehörigen der beiden Vereinigungen selbst, so doch beim Publikum, an das sich diese bei Sammlungen, Werbeaktionen usw. wenden, und überhaupt bei Aussenstehenden in Betracht zu ziehen. Daraus kann sich auch etwa ergeben,
BGE 83 II 249 S. 258
dass jemand eine für die Klägerin bestimmte Sendung an die "Apostolische Gemeinde" des betreffenden Ortes adressiert, sodass sie auch bei grösster Sorgfalt der Post nicht an den wahren Destinatär gelangt. Solch nahe Verwechslungsgefahr steht aber der Namenswahl der Erstbeklagten entgegen, ohne dass bereits vorgekommene Verwechslungen nachgewiesen zu sein brauchten (
BGE 80 II 145
/6).
4.
Ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch ergibt sich ohne weiteres daraus, dass sich die Tätigkeitsgebiete der beiden Vereine in sachlicher und territorialer Hinsicht decken. Dass der Erstbeklagten ohne Rücksicht hierauf gestattet sei, die charakteristischen Hauptelemente des klägerischen Namens in gleicher Wortverbindung und ohne jeden Zusatz zu übernehmen, kann den Vorinstanzen nicht zugegeben werden. Freilich sind jene Elemente dem allgemeinen Sprachschatz entnommen und drücken Sachbegriffe aus, weshalb die Klägerin, die sie ja auch dem Namen einer ältern Religionsgemeinschaft entnommen hat, sie nicht schlechthin zu ausschliesslichem Gebrauch für sich in Anspruch nehmen darf. Indessen sind als sprachliches Gemeingut zunächst nur die einzelnen Wörter "apostolisch" und "Gemeinde" zu betrachten. Der durch ihre Verbindung wiedergegebene Gesamtbegriff lässt sich dagegen auch anders ausdrücken, indem z.B. für "apostolisch" "urrkirchlich" und für "Gemeinde" "Vereinigung" gesagt wird. "Apostolisch" ist kein eindeutiger, nur gerade Glaubensgemeinschaften von der Art der Parteien kennzeichnender Sachbegriff; man denke an die allbekannten Wendungen "apostolischer Segen", "Apostolischer Stuhl" (weitere Beispiele im Grossen Brockhaus, Band I). Auch das Wort "Gemeinde" ist beziehungsreich und kann nicht als technischer Ausdruck für Glaubensvereinigungen gelten, wie sie hier in Frage stehen. Es ist der Erstbeklagten somit sehr wohl möglich, eine andere, sich vom Namen der Klägerin deutlich abhebende Benennung zu wählen. Freilich
BGE 83 II 249 S. 259
darf sie sich "apostolisch" nennen, woran ihr anscheinend liegt, um ihre Verwandtschaft mit andern Gemeinschaften des "apostolischen" Kreises erkennbar zu machen. Doch müsste im übrigen für eine auch Aussenstehenden auffallende Abweichung des Gesamtnamens von dem der Klägerin gesorgt werden, sei es durch Verwendung eines andern, sich scharf unterscheidenden Namens für "Gemeinde", sei es, allenfalls in Verbindung mit dieser Abweichung, durch ein einprägsames Beiwort zu "apostolisch".
Diese Betrachtungsweise stimmt mit der Rechtsprechung überein, wonach eine juristische Person zwar allgemeine Sachbegriffe nicht für ihren Namen monopolisieren darf, der Träger eines aus solchen Elementen zusammengesetzten Namens aber in seiner individuellen Benennung in der Weise geschützt ist, dass er die Wahl desselben oder eines ähnlichen Namens durch ein anderes Rechtssubjekt, sofern sich daraus eine erhebliche Verwechslungsgefahr ergibt, nicht zu dulden braucht (vgl.
BGE 58 II 316
,
BGE 80 II 281
ff.). Dass ein bestehender Name, wenn er einzig aus solchen im betreffenden Lebensgebiet allgemein gebräuchlichen Wortelementen gebildet ist ("Katholische Kirchgemeinde", "Schweizerischer Anwaltsverband"), von einer andern Organisation ohne deutlich unterscheidende Zusätze übernommen werden dürfte, trifft nicht zu. Wer als erster seinen Namen unter Verwendung derartiger auf seine Tätigkeit hinweisender Begriffe geprägt hat, ist vor einer Verwirrung stiftenden Nachahmung zu schützen.
5.
Auch wenn die Erstbeklagte ihren Namen in entsprechender Weise ändert, lässt sich allerdings kaum vermeiden, dass im Volk bisweilen von den "Apostolischen" oder von der "Apostolischen Gemeinde" lediglich zur Bezeichnung der Glaubensrichtung gesprochen wird, wie sie sowohl der "Katholisch-apostolischen" oder "Altapostolischen Gemeinde" wie auch der Klägerin, der Erstbeklagten und vielleicht noch andern als selbständige Vereine organisierten Glaubensvereinigungen eigen ist
BGE 83 II 249 S. 260
(vgl. oben Erw. 3, a). Daraus lässt sich jedoch nichts für die freie Verwendbarkeit der blossen Wortverbindung "Apostolische Gemeinde" als Name der Erstbeklagten herleiten. Auch wenn man es (was, wie bereits ausgeführt, unabgeklärt geblieben ist) nicht mit einer im Volksmund gerade nur für die Klägerin geläufigen Kursbenennung zu tun hat, darf nun nicht ein neuer Glaubensverein daraus seinen vollen Namen machen. Aus dem Vorliegen einer Sachbezeichnung für die beiden Parteien gemeinsame Glaubensrichtung ist nur zu folgern, dass die Worte "Apostolische Gemeinde" auch von der Erstbeklagten als Bestandteil oder Untertitel ihres Namens verwendet werden dürfen. Das ändert aber nichts daran, dass sich ihr Name in Bild und Klang von dem der Klägerin deutlich unterscheiden muss.
Dieser wird mit Unrecht vorgehalten, sie habe die beiden Namenselemente seinerzeit ebenfalls von einer ältern, noch fortbestehenden Vereinigung übernommen. Das geschah mit Zusätzen, die geeignet waren, Verwechslungen vorzubeugen. Wenn die Erstbeklagte sich dagegen die erwähnte Wortverbindung ohne jeden Zusatz als Namen beilegt, wird in nicht näher orientierten Kreisen sogar der Eindruck erweckt, es handle sich um eine der Klägerin übergeordnete, die verschiedenen "apostolischen" Vereinigungen umfassende Organisation.
Der neue Verein hat umso mehr Veranlassung, jeder Verwirrung vorzubeugen, wenn er sich im Streit vom alten losgelöst hat und als Konkurrenzorganisation ins Leben tritt. Es ist in diesem Fall eine Rechts- und auch eine Anstandspflicht, die Opposition auch im Namen deutlich kundzutun und nicht die Werbung von Interessenten mit einer irreführenden Benennung zu betreiben.
Die Klage ist somit gegenüber dem beklagten Verein im Hauptpunkt - Verbot des angerufenen Namens - zu schützen. Die Klägerin wird in ihren persönlichen Verhältnissen dadurch erheblich verletzt, dass der beklagte Verein sich einen dem ihrigen zum Verwechseln ähnlichen Namen
BGE 83 II 249 S. 261
zugelegt hat. Damit ist die Anwendung von
Art. 28 Abs. 1 ZGB
begründet, auch wenn nicht geradezu eine Namensanmassung im Sinne von
Art. 29 Abs. 2 ZGB
vorliegt, wie es inbezug auf den nach Darstellung der Klägerin von ihr erworbenen Kurznamen zutreffen könnte.
6.
Die Klägerin beantragt, das Verbot mit einer Strafandrohung nach
Art. 292 StGB
für den Fall des Ungehorsams zu verbinden. Obwohl dieses Begehren in der Berufungsschrift nicht eigens begründet wird, ist ihm zu entsprechen. Denn in Urteilen, die Private zum Unterlassen einer Handlung verpflichten, ist Ungehorsamsstrafe für jede Widerhandlung von Amtes wegen anzudrohen (
Art. 76 BZP
, der als ergänzende Norm auch im Berufungsverfahren anzuwenden ist;
Art. 40 OG
, dessen Hinweis nun auf den BZP vom 4. Dezember 1947 zu beziehen ist). Hätte es somit in diesem Punkte keines Antrages bedurft, so liegt im Fehlen einer Begründung vollends kein Verfahrensmangel.
7.
Auf das Begehren um Anweisungen an das Handelsregisteramt ist dagegen mangels Begründung nicht einzutreten (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Es kann deshalb offen bleiben, ob sich eine zureichende Begründung hätte finden lassen und die Änderung des Registereintrages nicht ohnehin erst allenfalls im Verfahren des Urteilsvollzuges geltend gemacht werden könne. Zweifellos darf der beklagte Verein den unrechtmässig angenommenen Namen nicht im Register stehen lassen. Immerhin braucht er nicht die Löschung schlechthin nachzusuchen, sondern kann, wenn er unverzüglich einen rechtmässigen Namen annimmt, gleich die entsprechende Änderung des Eintrages verlangen. Sollte er dies verzögern, so steht der Klägerin frei, gestützt auf das heutige Urteil beim Handelsregisteramt ein Einschreiten gemäss Art. 60 HRV zu veranlassen. Denn nach Art. 61 HRV greift dieses zur zwangsweisen Herbeiführung von Änderungen und Löschungen vorgesehene Verfahren auch dann Platz, "wenn eine Firma nicht oder nicht mehr den Vorschriften entspricht", und das
BGE 83 II 249 S. 262
muss sinngemäss auch für eingetragene Vereins- und Stiftungsnamen gelten.
8.
Auch die von der Klägerin beantragte Urteilspublikation versteht sich nicht von selbst, weshalb dieser Antrag ebenfalls gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
einer Begründung bedurft hätte. Das Recht auf eine solche Massnahme ist in einem nach Art. 28/29 ZGB zu schützenden Anspruch nicht ohne weiteres mitenthalten. Als Genugtuung könnte sie nur unter den besonderen Voraussetzungen von
Art. 49 OR
in Frage kommen (vgl.
BGE 42 II 315
,
BGE 45 II 105
,
BGE 48 II 16
). Daneben kann freilich eine Bekanntmachung auch zu anderm Zweck erfolgen: zur Behebung eines allgemein verbreiteten Irrtums, also einer fortdauernden Störung, gemäss
Art. 28 Abs. 1 ZGB
, was auch bei Schuldlosigkeit des Verletzers angeordnet werden könnte (
BGE 80 II 148
/9 mit Zitaten; VON TUHR, OR, § 48 IV). Zu dieser Massnahme ist aber, da sie in manchen Fällen geeignet wäre, das Ansehen eines schuldlosen Verletzers in der Öffentlichkeit empfindlich zu beeinträchtigen, nur dann zu greifen, wenn Art und Mass der Verletzung sie als geboten erscheinen lässt. Es hätte somit dargetan werden müssen, dass die angefochtene Namenswahl bereits öffentliches Aufsehen - und zwar angesichts des Berufungsbegehren 3 in allen Landesteilen - erregt und eine nur durch Urteilspublikation behebbare Verwirrung angerichtet hätte. An einer solchen Antragsbegründung fehlt es gänzlich.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin teilweise gutgeheissen und das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 30. November 1956 in dem Sinn abgeändert, dass dem beklagten Verein der Gebrauch des Namens "Apostolische Gemeinde" untersagt wird unter der Androhung, dass die verantwortlichen Organe des Vereins im Widerhandlungsfalle gemäss
Art. 292 StGB
mit Haft oder mit Busse bestraft werden könnten.
BGE 83 II 249 S. 263
Im übrigen wird die Berufung, soweit darauf eingetreten werden kann, abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7df6bc1-2101-4fe4-b9f6-10fcada11977 | Urteilskopf
139 II 145
12. Extract da la sentenzia da la I. partiziun da dretg public concernent il cas Touring Club Svizra cunter A. e cunparticipads sco er Vischnanca da Sumvitg e Departament da giustia, segirezza e sanadad dal chantun Grischun (recurs da dretg public)
1C_160/2012 dals 10 da december 2012 | Regeste a
Integraziun d'ina via principala en ina zona da tempo 30 (art. 2a al. 6 ed art. 108 OSV).
A basa dal recurs d'abitants da la vischnanca ha la Dretgira administrativa dal chantun Grischun lubì dad integrar la via principala tras Sumvitg en ina zona da tempo 30, cunter la voluntad da l'autoritad chantunala cumpetenta. Quest proceder è stà admissibel, perquai che l'integraziun da la via principala en la zona da tempo 30 n'era betg mo pussaivla tenor l'art. 2a al. 6 ensemen cun l'art. 108 OSV, mabain imperativa (consid. 2-5).
Il cas vegn returnà al departament per che quel possia anc decider davart la realisaziun concreta da questa integraziun e per ch'el possia lura publitgar las decisiuns en il Fegl uffizial chantunal (consid. 6 e 7).
Regeste b
Einbezug einer Hauptstrasse in eine Tempo-30-Zone (
Art. 2a Abs. 6 und
Art. 108 SSV
).
Auf Beschwerde von Einwohnern bewilligte das Verwaltungsgericht Graubünden den Einbezug der Hauptstrasse von Sumvitg in eine Tempo-30-Zone, gegen den Willen der zuständigen kantonalen Behörde. Dieses Vorgehen war zulässig, weil der Einbezug der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone nach Art. 2a Abs. 6 i.V.m.
Art. 108 SSV
nicht nur möglich, sondern geboten war (E. 2-5).
Rückweisung der Sache an das Departement, damit dieses noch über das Wie, d.h. die konkrete Umsetzung, entscheiden und die Publikation im Amtsblatt vornehmen kann (E. 6 und 7). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 139 II 145 S. 146
A.
Ils 28 da favrer 2009 è vegnida inoltrada a la suprastanza communala da Sumvitg ina petiziun pertutgant l'introducziun d'ina zona da tempo 30.
La vischnanca da Sumvitg ha incumbensà ils planisaders dal territori ed inschigners dal traffic Hartmann & Sauter, Cuira, da rediger ina expertisa tenor l'art. 108 al. 4 da l'ordinaziun federala dals 5 da settember 1979 davart la signalisaziun da vias (OSV; CS 741.21). L'expertisa riva a la conclusiun che las premissas per introducir ina zona da tempo 30 sajan ademplidas. Ils 20 d'avrigl 2010 ha la suprastanza communala da Sumvitg dumandà l'autoritad chantunala cumpetenta da realisar ina zona da tempo 30 a Sumvitg.
B.
La Cumissiun chantunala per tempos maximals differenziads (numnada silsuenter: la cumissiun) ha refusà d'introducir ina zona da tempo 30 sin la via principala H19, ha dentant acceptà la dumonda inoltrada per l'ulteriur territori communal.
Cun la disposiziun dals 21 da schaner 2011 ha il Departament da giustia, segirezza e sanadad dal Grischun (numnà silsuenter: il departament) acceptà la dumonda da la vischnanca per ils trajects entaifer il vitg, el ha dentant refusà d'includer er la via principala H19. Questa decisiun è vegnida publitgada ils 27 da schaner 2011 en il Fegl uffizial chantunal.
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Cunter questa disposiziun han tschintg abitants da Sumvitg inoltrà in recurs tar la Dretgira administrativa dal chantun Grischun. Quella ha realisà ils 9 da settember 2011 ina visita al lieu. Anc il medem di ha ella approvà il recurs ed ha lubì a la vischnanca da Sumvitg da realisar ina zona da tempo 30 sin la via principala H19.
C.
Ils 19 da mars 2012 han la secziun grischuna dal Touring Club Svizra (TCS) e sia gruppa regiunala Surselva inoltrà in recurs da dretg public cunter questa decisiun tar il Tribunal federal. Ellas pretendan ch'i saja dad abrogar la sentenzia contestada e che la fatschenta duaja vegnir returnada a l'instanza precedenta, respectivamain a l'autoritad che la ha lubida, per ina ulteriura investigaziun da cumprovas.
(...)
F.
Suenter ina audiziun da las partidas involvidas è vegnì definì cun la disposiziun dals 4 da matg 2012 il rumantsch grischun sco lingua da la procedura (art. 54 al. 1 da la Lescha davart il Tribunal federal LTF).
(extract)
Erwägungen
Extract dallas consideraziuns:
2.
Las partidas recurrentas crititgeschan sco emprim punct che la Dretgira administrativa n'avess betg dastgà lubir sezza ch'il tschancun da la via principala vegnia integrà en la zona da tempo 30. Tenor la regulaziun clera da las cumpetenzas chantunalas saja cumpetent per ina tala lubientscha exclusivamain il departament (art. 6 s. da la lescha introductiva dal chantun Grischun dals 11 da zercladur 2008 tar la lescha federala davart il traffic sin via [LItLTV; DG 870.100], ensemen cun l'art. 2 lit. b da l'ordinaziun respectiva dals 8 da december 2008 [ORtLltLTV; DG 870.110]).
2.1
Las partidas adversarias renvieschan percunter sin l'art. 56 al. 3 da la lescha chantunala dals 31 d'avust 2006 davart la giurisdicziun administrativa (LGA; DG 370.100), tenor la quala la Dretgira administrativa po decider sezza, sch'ella abroghescha ina disposiziun contestada e sche la fatschenta è madira per ina decisiun. Quai saja il cas en la fatschenta respectiva, cunquai ch'i saja avant maun ina expertisa persvadenta e cunquai ch'i haja dà ina visita al lieu tras l'instanza da dretg administrativ.
2.2
Sco che las partidas recurrentas demussan correctamain è il departament cumpetent per disposiziuns en connex cun il traffic sin las
BGE 139 II 145 S. 148
vias chantunalas (art. 6 al. 1 LItLTV); las vischnancas dastgan reglar (cun l'accord u la lubientscha preliminara dal Chantun) il traffic local sin las vias communalas; exclusas restan dentant las limitaziuns da tempo che restan en la cumpetenza dal departament (art. 7 al. 1 LItLTV).
La formulaziun dal dispositiv da dretg administrativ ("lubientscha" da la petiziun da la vischnanca da Sumvitg pertutgant l'introducziun d'ina zona da tempo 30 sin la via principala H19) po vegnir malchapida, cunquai ch'i na sa tracta precisamain betg d'ina disposiziun en la cumpetenza da la vischnanca cun ina lubientscha preliminara dal Chantun.
Tenor la pratica decida dentant il departament tenor ina petiziun da la vischnanca pertutgada davart l'introducziun da zonas da tempo 30 e davart l'integraziun da vias principalas en talas (cf. cifras 4.2 e 4.4 da la Norma chantunala davart las mesiras per calmar il traffic entaifer ils vitgs, acceptada da la regenza ils 15 da mars 2005). Tenor questa norma ha er il departament formulà en sia disposiziun dals 21 da schaner 2011 che la petiziun da la vischnanca da Sumvitg pertutgant l'introducziun d'ina zona da tempo 30 sin l'entir territori vegnia "lubida" (cun excepziun da la via principala).
A basa da questas constataziuns è er da chapir la "lubientscha" da la Dretgira administrativa dad integrar la via principala H19 en la zona da tempo 30 a Sumvitg. Per questa lubientscha era en princip cumpetent il departament; la Dretgira administrativa dastga dentant decider sezza en chaussa, sch'ella abroghescha ina decisiun dal departament e sche la fatschenta e madira per ina decisiun (art. 56 al. 3 LGA).
Quai è sulettamain il cas, sche l'integraziun da la via principala H19 en la zona da tempo 30 a Sumvitg n'è betg mo lubida tenor l'art. 2a al. 6 ensemen cun l'art. 108 OSV, mabain perfin
imperativa
(cf. er sutvart consid. 3-6). Mo en quel cas fiss il departament obligà da permetter la petiziun da la vischnanca da Sumvitg senza ch'el avess la libertad da decider sez, sche quella duai vegnir realisada u betg (davart la maniera sco che la via principala duai vegnir integrada cf. sutvart consid. 6).
2.3
Igl è bain da dar raschun al Uffici federal da vias (UVIAS) che la decisiun materiala da la Dretgira administrativa ha gì per consequenza che la via giudiziala è vegnida scursanida per persunas (sco las partidas recurrentas) che eran cunter l'integraziun da la via
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principala en la zona da tempo 30 e che n'eran betg vegnidas envidadas a la procedura davant la Dretgira administrativa. Dentant n'han las partidas recurrentas betg crititgà ch'ellas n'èn betg vegnidas envidadas a la procedura administrativa. Cunquai ch'i sa tracta d'ina contestaziun dal dretg fundamental, na sto ella betg vegnir examinada uffizialmain dal Tribunal federal (cf. art. 106 al. 2 LTF).
3.
3.1
Las partidas recurrentas èn da l'avis che la Dretgira administrativa haja surpassà sias cumpetenzas e violà il princip da la separaziun da las pussanzas dond a ses giudicament la valur d'in giudicament dal departament.
Ellas pretendan che l'art. 108 OSV regleschia bain definitivamain las premissas per introducir ina zona da tempo 30 sin ina via principala; dentant n'existia nagin dretg accusabel d'introducir ina tala zona, quai signifitga che las autoritads chantunalas han ina gronda libertad d'interpretaziun. Questa libertad haja tenor il dretg grischun il departament sco autoritad cumpetenta e stoppia vegnir respectada da la Dretgira administrativa che haja sulettamain la cumpetenza da controllar ils fatgs ed il dretg (art. 51 al. 1 LGA).
La norma chantunala davart las mesiras per calmar il traffic entaifer ils vitgs, acceptada da la regenza, cuntegnia divers criteris per giuditgar petiziuns pertutgant l'introducziun da zonas da tempo 30 e prevedia quatter categorias: ina introducziun "recumandada", "plitost recumandada", "plitost da refusar" e "da refusar imperativamain". Sco criteri imperativ definescha la norma l'uschenumnada valur V
85
avant l'introducziun da la zona da tempo 30, quai vul dir il tempo che 85 % dals vehichels mesirads na surpassan betg. Questa valur na dastga betg surpassar 42 km/h sin vias principalas. Cunquai che quest criteri na vegnia betg ademplì a Sumvitg, haja il departament desistì d'examinar sch'i èn ademplidas ulteriuras premissas e surtut er d'analisar l'expertisa. El na saja n'er betg s'exprimì davart la realisaziun concreta (p.ex. l'entschatta e la fin da la zona da tempo 30 sin la via principala a Sumvitg; regulaziuns da la precedenza; eventuals passadis da peduns; mesiras da construcziun; eventualas fasas d'emprova tenor l'art. 107 al. 2
bis
OSV).
La Dretgira administrativa haja constatà en sia sentenzia che la valur V
85
na dastgia avair nagina relevanza per l'introducziun d'ina zona da tempo 30, ma servia sulettamain per definir a basa dal tempo charrà en media, sche mesiras da construcziun èn necessarias e sche gea
BGE 139 II 145 S. 150
quantas e qualas. Sut questas circumstanzas avess ella gì dad abrogar la disposiziun contestada perquai ch'il departament n'ha betg duvrà sia libertad d'interpretaziun e la fatschenta avess gì da vegnir returnada al departament per in nov giudicament. Enstagl haja ella decidì sezza en chaussa e dà a ses giudicament la valur d'in giudicament dal departament.
3.2
Las partidas adversarias pretendan percunter che mo ina divergenza cun las concluciuns formuladas en l'expertisa - che vegn resguardada sco cumpletta er dal departament - avess pretendì ina argumentaziun qualifitgada. La Dretgira administrativa haja refusà ils arguments dal departament cunter la petiziun pertutgant l'introducziun d'ina zona da tempo 30 sin la via chantunala ed haja suandà l'expertisa; perquai haja ella giuditgà che la refusa da la petiziun communala per il tschancun da la via principala violeschia il dretg. En quel senn n'haja ella betg surpassà sias cumpetenzas.
3.3
Il departament punctuescha che tschancuns da las vias principalas possian vegnir integradas en ina zona da tempo 30 sulettamain en cas excepziunals e tar premissas localas spezialas (art. 2a al. 5 e 6 OSV). La Regenza dal chantun Grischun haja limità questa pussaivladad en sia norma sin centers da vitgs en ils quals il tempo saja gia bass. La regenza na veglia betg sustegnair mesiras da construcziun sin vias impurtantas per betg impedir il traffic.
3.4
Il UVIAS declera en sia consultaziun che l'integraziun d'in tschancun da la via principala en ina nova zona da tempo 30 pretendia en princip duas disposiziuns: per l'ina ina disposiziun per il tempo 30 sin vias lateralas e per l'autra ina disposiziun davart l'integraziun da la via principala. Per tuttas duas disposiziuns saja ultra da quai necessaria ina expertisa. Questa differenziaziun vegnia a la curta en l'expertisa da Hartmann & Sauter.
Concernent l'integraziun da vias principalas renviescha l'art. 2a al. 6 OSV bain a las premissas generalas per zonas da tempo 30 tenor l'art. 108 OSV. Tuttina sajan necessarias pretensiuns pli severas per vias principalas che per vias lateralas en zonas abitadas: La reducziun dal tempo sin ina via principala na possia betg avair la suletta finamira da meglierar il bainstar dals utilisaders da la via pli flaivels, mabain stoppia er permetter dad abolir in veritabel manco da segirezza. Er tar l'examinaziun da l'adequatezza stoppian tut ils criteris (adequatezza, necessitad ed opportunitad) vegnir valitads pli restrictivamain. I saja er da resguardar ch'ils chantuns vegnan
BGE 139 II 145 S. 151
subvenziunads tenor il dretg federal per lur rait da vias principalas, perquai possian vegnir pretendidas expensas pli autas per mesiras da construcziun alternativas sin vias principalas che sin vias lateralas. Sche l'examinaziun da l'admissibladad vegnia realisada en quest senn possia excepziunalmain vegnir integrà in tschancun da la via principala en ina zona da tempo 30, surtut er sche quella passia centralmain tras ina zona da tempo 30 che la circumdescha e sche l'integraziun s'imponia damai per raschuns da praticabilitad.
Il UVIAS è d'accord cun la Dretgira administrativa che la valur V
85
na saja betg fitg adequata per examinar, sch'i saja necessari dad integrar in tschancun da la via principala en ina zona da tempo 30. Quest criteri saja relevant surtut per sclerir cun tge mesiras da construcziun che la zona da tempo 30 saja d'accumpagnar.
Sch'i dettia dentant ina libertad d'intepretaziun concernent il giudicament, duai questa libertad vegnir nizzegiada da l'autoritad executiva che sa chatta localmain il pli datiers. Ina disposiziun da traffic possia vegnir pretendida giudizialmain da terzs cunter la voluntad da l'autoritad cumpetenta be, sch'ella è propi imperativamain necessaria.
4.
Il tempo maximal general per vehichels entaifer ils vitgs è vegnì fixà dal Cussegl federal a 50 km/h (art. 4a al. 1 lit. a da l'ordinaziun dals 13 da november 1962 davart las reglas dal traffic sin via [ORT; CS 741.11] ensemen cun l'art. 32 al. 2 da la lescha federala dals 19 da december 1958 davart il traffic sin via [LTV; CS 741.01]). Quest tempo maximal po vegnir augmentà u reducì da l'autoritad cumpetenta a basa d'ina expertisa (art. 32 al. 3 LTV ed art. 108 OSV). Tenor l'art. 108 al. 5 OSV pon vegnir decretads entaifer ils vitgs tempos maximals pli bass che 50 km/h en pass da mintgamai 10 km/h (lit. d); ultra da quai èsi pussaivel (tenor la lit. e) dad introducir ina zona da tempo 30 ubain ina zona da scuntrada cun tempo 20.
4.1
Zonas da tempo 30 designeschan vias en quartiers u en zonas abitadas sin las qualas i sto vegnir charrà spezialmain attentamain e cun respect e sin las qualas vala il tempo maximal da 30 km/h (art. 22a OSV). Ellas èn regladas pli en detagl en l'ordinaziun dal DATEC dals 28 da settember 2001 davart las zonas da tempo 30 e davart las zonas da scuntrada (CS 741.213.3).
4.1.1
Las zonas da tempo 30 èn per princip limitadas a vias lateralas da caracter tant cumparegliabel sco pussaivel (art. 2a al. 5 OSV).
Il Cussegl federal ha declerà en quest connex che las experientschas en Svizra ed a l'exteriur cun zonas da tempo 30 hajan mussà che la
BGE 139 II 145 S. 152
signalisaziun da las zonas haja l'effect giavischà mo sin vias en abitadis da caracter cumparegliabel, dentant betg sin vias da transit sco en emprima lingia las vias principalas signalisadas che han ina autra funcziun e ston perquai vegnir concepidas da nov. Tar talas vias cun traffic da transit sajan ils automobilists per regla surdumandads, sche mesiras da traffic vegnian statuidas cun ina signalisaziun da zona per in grond territori e per tut las vias entaifer il vitg, damai vias da caracter fitg divers (Missiva dal Cussegl federal tar l'iniziativa dal pievel "per dapli segirezza en il traffic local grazia a la spertadad maximala da 30 km/h cun excepziuns [Vias per tuts]", FF 2000 2896 cifra 3.4 [versiun tudestga]).
Sche limitaziuns dal tempo èn necessarias per la segirezza dal traffic sin vias principalas ubain sin vias lateralas da transit, vegnan ellas per regla ordinadas tenor l'art. 108 al. 5 lit. d OSV (e betg introducind ina zona da tempo 30 tenor la lit. e) e signalisadas cun in signal "tempo maximal". Quest signal vala - sch'el na vegn betg repetì - fin a la proxima bifurcaziun (cf. la missiva, al lieu inditgà).
4.1.2
Excepziunalmain ed en cas da cundiziuns localas spezialas po er vegnir integrà in tschancun da la via principala en ina zona da tempo 30, surtut en il center d'in vitg u en in territori da citad veglia (art. 2a al. 6 OSV), quai vul dir en lieus nua ch'i dat ils pli blers peduns. Sco ch'il UVIAS declera en sia consultaziun è quai pensà per cas nua ch'il tempo duai vegnir reducì a 30 km/h sin ina via principala che cunfina directamain cun ina zona da tempo 30. En tals cas na fissi betg pratitgabel da signalisar la transiziun cun revocar la zona da tempo 30 ed ordinar il tempo 30 ubain viceversa.
En quest cas concret passa il tschancun da la via principala che duai vegnir integrà en la zona da tempo 30 precis tras il center da Sumvitg e vegn circumdà da tuttas duas varts da la zona da tempo 30 (gia lubida dal departament). En quest senn èn per princip avant maun cundiziuns localas spezialas tenor il senn da l'art. 2a al. 6 OSV che pon giustifitgar dad integrar ina via principala en ina zona da tempo 30, a cundiziun ch'i sajan er avant maun las autras premissas.
4.1.3
Ultra da quai èsi da dar raschun al UVIAS ch'i sto vegnir differenzià tranter l'introducziun d'ina zona da tempo 30 e l'integraziun d'ina via principala en ina tala zona. Dentant èsi admissibel da cumbinar tuttas duas disposiziuns en in unic decret, quai vul dir da crear ina nova zona da tempo 30 che cuntegna da l'entschatta er in tschancun da la via principala, a cundiziuns che las premissas per integrar ina via principala èn ademplidas.
BGE 139 II 145 S. 153
4.2
Tut ils criteris per reducir il tempo maximal general ubain per introducir ina zona da tempo 30 vegnan enumerads en l'art. 108 al. 2 OSV definitivamain: in privel po vegnir renconuschi mo difficilmain u memia tard e na po betg vegnir eliminà autramain (lit. a); tscherts utilisaders da la via dovran ina protecziun speziala che na po betg vegnir garantida autramain (lit. b); sin tschancuns cun bler traffic po vegnir optimada la circulaziun dal traffic (lit. c) ubain i pon vegnir reducidas immissiuns exageradas (canera, substanzas nuschaivlas) en il senn da las leschas davart l'ambient (lit. d).
4.3
La prescripziun da tempos maximals differents è admissibla sulettamain a basa d'ina expertisa preliminara. Questa sto demussar che la mesira è necessaria, adequata ed opportuna e ch'i na dat naginas mesiras preferiblas (art. 32 al. 3 LTV ensemen cun l'art. 108 al. 4 OSV e l'art. 3 da l'ordinaziun dal DATEC dals 28 da settember 2001 davart las zonas da tempo 30 e davart las zonas da scuntrada [CS 741.213.3]; cf. er la DTF 136 II 539 consid. 3.2 p. 547 s. cun referenzas). Igl è decisiv che l'autoritad cumpetenta disponia da las infurmaziuns necessarias per giuditgar, sch'ina premissa da l'art. 108 al. 2 OSV è ademplida e, sche la mesira è necessaria, adequata ed opportuna per cuntanscher la finamira respectiva (art. 108 al. 4 OSV; cf. per l'entira sentenzia 1C_206/2008 dals 9 d'october 2008 consid. 2.2).
5.
Quest cas concret sa differenziescha da las constellaziuns giuditgadas fin ussa dal Tribunal federal, en las qualas igl era d'examinar, sche l'autoritad chantunala cumpetenta ha ordinà ina zona da tempo 30 confurm al dretg federal resp. sch'ella ha integrà en maniera admissibla in tschancun da la via principala. Sco declerà survart (consid. 2) è en quest cas vegnida ordinada l'integraziun da la via principala H19 en la zona da tempo 30 da la Dretgira administrativa suenter il recurs da persunas ch'abiteschan a Sumvitg, e quai
cunter
la voluntad da las autoritads chantunalas cumpetentas.
Limitaziuns dal traffic da quest gener stattan regularmain en connex cun examinaziuns cumplexas dals interess existents, tar las qualas las autoritads cumpetentas han ina gronda libertad concepziunala (DTF 136 II 539 consid. 3.2 p. 548 cun referenzas). En quest senn po vegnir supponì che la libertad d'interpretaziun sa reduceschia cumplettamain be en cas d'in privel
gravant
ubain d'in basegn da protecziun spezialmain stringent en il senn da l'art. 108 al. 2 lit. a e b OSV. Sch'i bastass er ina da las premissas numnadas en las lit. c e d po per entant restar avert. Ultra da quai sto l'integraziun d'ina via
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principala en ina zona da tempo 30 esser opportuna, necessaria ed adequata. La situaziun sto vegnir examinada cun
criteris severs
; en quest connex po vegnir renvià a las decleraziuns respectivas dal UVIAS.
Sche questas premissas bastan, examinescha il Tribunal federal en princip libramain. El agescha dentant en maniera discreta cur che il giudicament dependa d'ina examinaziun da las cundiziuns localas che las autoritads cumpetentas enconuschan meglier ch'il Tribunal federal (cf. DTF 129 I 337 consid. 4.1 p. 344). Ils fatgs constatads da l'instanza precedenta en liants per il Tribunal federal, sch'els n'èn betg evidentamain incorrects e sch'els na sa basan betg sin ina violaziun dal dretg en il senn da l'art. 95 LTF (
art. 105 e 97
al. 1 LTF).
5.1
En l'expertisa vegn constatà che la via tras la vischnanca da Sumvitg n'ha per gronda part nagin u mo dad ina vart in passape confurm a la norma relativa da l'Associaziun dals professiunals da las vias e dals transports (VSS) SN 640 070 (cun ina largezza minimala dad 1,5 m). Quai haja per consequenza che blers peduns che chaminan lung la via tras la vischnanca èn periclitads extraordinariamain. Pertutgads èn surtut persunas pli veglias, geniturs cun uffants en charrins tant sco uffants da scolina e scolars che ston chaminar tar la fermativa dal bus da scola a la sortida al vest da la vischnanca ubain viceversa. Ultra da quai datti lung la via tras la vischnanca en plirs lieus passagis impurtants per ils peduns (access a la baselgia, a la butia, etc.).
Tar las mesiraziuns en ils mais schaner e favrer da l'onn 2010 saja vegnì mesirà en media in tempo da 35-40 km/h; la valur V
85
importia 40-50 km/h. En ils tschintg onns 2004-2008 sajan vegnids registrads da la polizia trais accidents (cun duas persunas blessadas ed in donn material da Fr. 12'000) en la zona previsa da tempo 30 entaifer la vischnanca da Sumvitg.
A basa da questas constataziuns ha l'expertisa concludì che las premissas per introducir ina zona da tempo 30 a Sumvitg sajan dadas tenor las prescripziuns da l'art. 108 OSV e tenor ils criteris centrals da la Norma chantunala davart las mesiras per calmar il traffic entaifer ils vitgs: En media saja il tempo actual memia aut e stoppia vegnir reducì; lung la via tras la vischnanca manchian passapes - mintgatant cumplettamain, mintgatant sajan els memia stretgs tenor la norma respectiva; la via vegnia frequentada dals scolars per ir a scola ed i dettia plirs passadis impurtants per peduns che na sajan betg protegids.
BGE 139 II 145 S. 155
5.2
En la sentenzia contestada è la Dretgira administrativa da l'avis che l'expertisa saja cumpletta, stringenta e persvadenta. Las observaziuns da la situaziun dal traffic fatgas tras la dretgira en la visita al lieu hajan confermà las conclusiuns da l'expertisa e demussà en maniera impressiunanta quant necessaria ch'ina zona da tempo 30 saja. La via saja per part fitg stretga, dus vehichels gronds na possian betg cruschar. Sin gronds tschancuns da la via mancan da tuttas duas vart passapes. Nua ch'i dat passapes na correspundian quels betg a la norma dad 1,5 m largezza (tenor VSS SN 640 070), mabain sajan pli stretgs. Bleras entradas da chasas dettian directamain sin la via. Persunas cun uffants en charrins u persunas en sutgas cun rodas sajan per part sfurzadas da sa mover exclusivamain sin la via e sajan uschè expostas al traffic. Er ils peduns stoppian sviar sin via per cruschar l'in l'auter. Ils deficits da segirezza vegnian anc rinforzads da la vesida limitada tras las pitschnas distanzas.
5.3
Il departament aveva sa basà per sia disposiziun en emprima lingia sin la valur V
85
. El na s'è dentant betg exprimì sulettamain davart quest criteri, mabain è stà d'accord cun la cumissiun ch'i na dettia nagins deficits da segirezza veritabels e cumprovabels cun cifras davart accidents. Ils passadis sajan cleramain differents da quels a Mustér perquai che la via vegnia utilisada en maniera diversa (naginas butias, pli pauc traffic da clients). El ha punctuà ch'ils accidents sajan capitads en la zona da la bifurcaziun da la via principala cun las vias da transit vers S. Benedetg resp. vers Cumpadials. Questa zona sa chattia entaifer la zona da tempo 30 pretendida che duai er vegnir lubida.
En sia consultaziun davant la Dretgira administrativa ha il departament presupponì che la via tras la vischnanca disponia almain vers la val d'in passape elevà; quai ha el pretendì a basa da las fotografias en l'expertisa.
5.4
Las partidas adversarias fan l'objecziun ch'i dettia davant diversas chasas sulettamain urs elevads da la via cun ina largezza varianta. Quests sajan savens uschè stretgs ch'ils peduns na possian betg cruschar, quai vul dir ch'ina persuna stoppia sviar sin la via tar cruschadas. Quai succedia mintgatant nunspetgadamain uschia che automobilists avischinants na vesian betg quai ad ura. Questa situaziun na possia betg vegnir curregida auter che cun ina reducziun dal tempo: La via tras il center da la vischnanca da Sumvitg saja gia ussa memia stretga, en il lieu il pli stretg, nua ch'i na dettia nagin
BGE 139 II 145 S. 156
passape, sa chattia in edifizi dal 16avel tschientaner cun ina fatschada decorada da frescos e protegì da la Confederaziun e dal Chantun.
5.5
Tenor il UVIAS na vegn la situaziun privlusa excepziunala betg argumentada avunda en l'expertisa; il lectur stoppia concluder sez a basa da las bleras mesiraziuns da tempo, da las datas davart accidents e dals plans annexs. Betg sclerids avunda na sajan n'er ils custs per ina correctura alternativa dal deficit da segirezza (cun mesiras da construcziun). Malgrà tut possia vegnir deducì dals plans che la via principala stretgentada tras la posiziun da las chasas na possia betg vegnir sanada senza custs considerabels e senza modifitgar l'aspect dal vitg.
Tar l'evaluaziun effectiva da l'adequatezza d'ina tala zona sajan vegnids resguardads sulettamain ils custs per introducir ina zona da tempo 30 e la perdita da paucas secundas per mintga singul automobilist; dentant fissan stadas decisivas surtut las consequenzas sin l'entir sistem, surtut sin la funcziunalitad da la via.
La Dretgira administrativa haja bain argumentà pli concisamain che l'expertisa en sia sentenzia, tuttina restian avertas tschertas dumondas, surtut davart pussaivlas alternativas da construcziuns en las zonas dals passapes.
5.6
En l'expertisa vegn la situaziun dals passapes lung la via tras la vischnanca da Sumvitg documentada cun in plan e cun fotografias. Da questa documentaziun resulta ch'i na dat da
nagina
vart da la via in passape nuninterrut, mabain ch'i mancan (er vers la val) singuls tschancuns dal passape u ch'els èn pli stretgs che 1,5 m. Sch'ins considerescha ultra da quai la stretgezza da la via, las curtas distanzas visiblas ed il tempo mesirà relativamain aut dals vehichels ston ins presumar cun la Dretgira administrativa in grond deficit da segirezza per ils peduns.
Dentant èsi vair che questa situaziun privlusa na sa reflectescha fin ussa betg en accidents da traffic: Sco ch'i resulta dal rapport da la polizia chantunala dals 11 da mars 2011 èn ils trais accidents menziunads en l'expertisa capitads en connex cun lavurs da construcziun (2 accidents) ed en connex cun in vehichel ch'è charrà enavos. Els n'avevan damai nagin connex cun la via stretga. Sch'i dat dentant gronds deficits da segirezza en il traffic sin via na dastga betg vegnir spetgà fin ch'i capitan ils emprims accidents, mabain i ston vegnir realisadas mesiras preventivas per meglierar la segirezza dal traffic.
BGE 139 II 145 S. 157
5.7
Igl è evident che la limitaziun dal tempo sin 30 km/h augmentass la segirezza sin la via tras la vischnanca da Sumvitg, surtut per ils peduns. Contestabel èsi dentant, sch'i dess forsa er mesiras pli miaivlas or da la perspectiva dal traffic.
L'expertisa constatescha che la construcziun dals passapes mancants na fiss betg adequata, betg mo per raschuns finanzialas mabain er pervi da las grondas intervenziuns en l'abitadi ed en l'aspect dal vitg (demoliziun entira u parziala d'edifizis). Questa constataziun vegn sustegnida dals plans e da las fotografias annexas a l'expertisa e da las observaziuns da la Dretgira administrativa en sia visita al lieu. Tenor las observaziuns da la Dretgira administrativa na permetta la via gia oz betg la cruschada da dus gronds vehichels e na po perquai betg vegnir reducida per construir passapes pli lartgs.
Sut questas circumstanzas na datti naginas mesiras da construcziun per meglierar la situaziun dals peduns. Autras pussaivladads da separar ils peduns ed il traffic (p.ex. in sviament ubain in tunnel) na fissan betg mo fitg charas, ma pretendessan er decisiuns politicas. Perquai na pon ellas betg vegnir resguardadas sco mesiras da construcziun pli miaivlas.
5.8
Tant l'expertisa sco la Dretgira administrativa èn da l'avis che l'integraziun da la via principala en la zona da tempo 30 na chaschunia betg dischavantatgs gronds u predominants per il traffic. Surtut resultass per ils automobilists ina perdita da temp da mo var 5 secundas (en congual cun la media dal tempo actual).
Natiralmain ha il UVIAS raschun che la perdita da temp da mintga singul automobilist n'è betg in argument suffizient, mabain ch'i sto vegnir resguardada la funcziun da la via principala en l'entira rait da traffic. Dentant na datti nagins motivs evidents pertge che l'integraziun da la via principala tras Sumvitg en la zona da tempo 30 reduceschia la prestaziun da la rait da traffic regiunala u disturbia la funcziun da la via principala sco via da transit; quai na vegn n'er betg pretendì da las partidas recurrentas.
5.9
Il fatg che la valur V
85
sin il tschancun da la via principala surpassa 42 km/h mussa ch'i pudessan esser necessarias mesiras da construcziun accumpagnantas che sustegnan ch'il tempo 30 vegnia respectà. Percunter n'excluda el betg che la via principala vegnia integrada en la zona da tempo 30. En quest connex po vegnir renvià a las decleraziuns persvadentas da l'instanza precedenta che na vegnan messas en dumonda ni da las partidas recurrentas ni dal UVIAS.
BGE 139 II 145 S. 158
5.10
Suenter tut questas constataziuns èsi cler che l'integraziun dal tschancun da la via principala en la zona da tempo 30 è l'unica mesira che permetta da reducir il grond privel per peduns en il center da Sumvitg. Il departament n'era damai betg mo cumpetent da lubir (en princip) la petiziun da la vischnanca, mabain el era obligà da far quai. Sut questas circumstanzas fissi in maldiever da la libertad d'interpretaziun, sch'i vegniss valità dapli l'interess d'in traffic da transit senza obstachels sco l'integritad fisica dals abitants da Sumvitg. La Dretgira administrativa è perquai stada autorisada dad ordinar enstagl dal departament che la via principala vegnia integrada en la zona da tempo 30.
6.
Percunter stoi vegnir dà raschun a las partidas recurrentas ed al UVIAS ch'il departament sto anc survegnir la pussaivladad da s'exprimer davart la maniera sco che la via principala duai vegnir integrada en la zona da tempo 30.
L'expertisa propona che la via principala H19 duai vegnir integrada en la zona da tempo 30 a partir da la fermada dal bus da scola (a la sortida al vest dal vitg) fin a la bifurcaziun cun la via da transit vers Fontauna Sut en l'ost dal vitg. La zona da tempo 30 duai vegnir signalisada en quests lieus cun tavlas e cun marcaziuns sin la surfatscha da la via. Las reglas da precedenza actualas ed il passadi da peduns marcà en vischinanza da la sortida al vest da la zona sut la chasa da scola duain vegnir mantegnids. Sch'ina controlla (suenter in onn) mussia ch'il tempo 30 vegnia respectà memia pauc, stuessan vegnir ordinadas en accord cun la polizia chantunala ubain ulteriuras marcaziun ubain autras mesiras da construcziun adattadas.
La Dretgira administrativa ha lubì la petiziun da la vischnanca cun las mesiras proponidas da l'expertisa senza pigliar posiziun.
Las partidas recurrentas ed il UVIAS rendan attent cun dretg a la libertad d'interpretaziun da l'autoritad chantunala pertutgant la realisaziun concreta da la zona da tempo 30 integrond la via principala (delimitaziun; mesiras dal dretg da traffic tenor l'art. 4 da l'Ordinaziun davart las zonas da tempo 30; concepziun da la via e dals passapes, etc.). Perquai sto la fatschenta vegnir returnada al departament per che questas dumondas possian vegnir decididas.
7.
Las partidas recurrentas ed il UVIAS crititgeschan cun raschun che l'integraziun da la via principala H19 en la zona da tempo 30 lubida da la Dretgira administrativa n'è betg vegnida publitgada en il Fegl uffizial (tenor l'art. 107 al. 1 OSV ensemen cun l'art. 1 lit. c da la
BGE 139 II 145 S. 159
lescha chantunala dals 19 d'october 2011 davart las collecziuns da leschas e davart il fegl uffizial [lescha da publicaziun, LPubl; DG 180.110]). Tgi che fiss stà responsabel per questa publicaziun - la Dretgira administrativa ubain l'Uffizi per il traffic sin via (sco che las partidas adversarias pretendan) - po entant restar avert: Cunquai che la sentenzia contestada vegn en mintga cas abrogada e cunquai che la fatschenta vegn returnada al departament per ina nova decisiun en chaussa, po la publicaziun necessaria vegnir evasa suenter questa decisiun.
8.
A basa da tut questas constataziun è il recurs dad acceptar parzialmain. La cifra 1 da la sentenzia contestada sto vegnir abrogada e la fatschenta è da returnar al departament, per che quel possia decider davart la maniera sco che la via principala H19 duai vegnir integrada en la zona da tempo 30 en il center da la vischnanca da Sumvitg e per che quel possia lura publitgar sia decisiun en il Fegl uffizial chantunal. Percunter en da refusar tut ils puncts dal recurs en ils quals las partidas recurrentas mettan da princip en dumonda l'integraziun da la via principala en la zona da tempo 30. (...)
Deutscher Text:
A.
Am 28. Februar 2009 wurde dem Gemeindevorstand Sumvitg eine Petition für die Einführung einer Tempo-30-Zone eingereicht.
Die Gemeinde Sumvitg beauftragte die Raumplaner und Verkehrsingenieure Hartmann & Sauter, Chur, mit der Erstellung eines Gutachtens i.S. von
Art. 108 Abs. 4 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21)
. Diese kamen im Gutachten "Tempo 30 Zone Sumvitg" vom April 2010 (im Folgenden: Gutachten) zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Einführung von Tempo 30 erfüllt seien. Am 20. April 2010 ersuchte der Gemeindevorstand Sumvitg die zuständige kantonale Behörde um die Einführung einer Tempo-30-Zone in Sumvitg.
B.
Die kantonale Kommission für differenzierte Höchstgeschwindigkeiten (im Folgenden: die Kommission) lehnte die Einführung von Tempo-30 auf der Hauptstrasse H19 ab, befürwortete das Gesuch dagegen für das übrige beantragte Gemeindegebiet.
Mit Verfügung vom 21. Januar 2011 genehmigte das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit des Kantons Graubünden (im Folgenden: das Departement) das Gesuch der Gemeinde innerorts,
BGE 139 II 145 S. 160
lehnte jedoch den Einbezug der Hauptstrasse H19 ab. Der Entscheid wurde am 27. Januar 2011 im Kantonsblatt veröffentlicht.
Gegen diese Verfügung gelangten fünf Einwohner von Sumvitg mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses führte am 9. September 2011 einen Augenschein durch. Gleichentags hiess es die Beschwerde gut und erteilte der Gemeinde Sumvitg die Bewilligung, auf der Hauptstrasse H19 eine Tempo-30-Zone einzuführen.
C.
Gegen diesen Entscheid haben der Touring Club Suisse (TCS) Sektion Graubünden und dessen Regionalgruppe Surselva am 19. März 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur weiteren Beweiserhebung und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz bzw. an die Genehmigungsbehörde zurückzuweisen.
(...)
F.
Nach Anhörung der Beteiligten wurde mit Verfügung vom 4. Mai 2012 Rumantsch Grischun als Verfahrenssprache festgelegt (
Art. 54 Abs. 1 BGG
).
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerinnen rügen zunächst, das Verwaltungsgericht hätte nicht selbst den Einbezug des Hauptstrassenabschnitts in die Tempo-30-Zone genehmigen dürfen. Hierfür sei nach der klaren kantonalen Zuständigkeitsregelung ausschliesslich das Departement zuständig (Art. 6 f. des Bündner Einführungsgesetzes vom 11. Juni 2008 zum Bundesgesetz über den Strassenverkehr [EGzSVG; BR 870.100] i.V.m. Art. 2 lit. b der dazugehörigen Verordnung vom 8. Dezember 2008 [RVzEGzSVG; BR 870.110]).
2.1
Die Beschwerdegegner verweisen dagegen auf Art. 56 Abs. 3 des Bündner Gesetzes vom 31. August 2006 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG; BR 370.100), wonach das Verwaltungsgericht im Falle der Aufhebung der angefochtenen Verfügung selbst entscheiden kann, sofern die Sache spruchreif ist. Dies sei vorliegend aufgrund des schlüssigen Gutachtens und des verwaltungsgerichtlichen Augenscheins der Fall gewesen.
2.2
Wie die Beschwerdeführerinnen zutreffend darlegen, ist das Departement für Anordnungen des Verkehrs auf Kantonsstrassen
BGE 139 II 145 S. 161
zuständig (Art. 6 Abs. 1 EGzSVG); die Gemeinden dürfen (mit Zustimmung bzw. vorgängiger Genehmigung des Kantons) den örtlichen Verkehr auf Gemeindestrassen regeln; davon ausgenommen sind jedoch Geschwindigkeitsbeschränkungen, die in der Kompetenz des Departements bleiben (Art. 7 Abs. 1 EGzSVG).
Die Formulierung des verwaltungsgerichtlichen Dispositivs ("Genehmigung" des Gesuchs der Gemeinde Sumvitg um Einführung einer Tempo-30-Zone auf der Hauptstrasse H19) ist insofern missverständlich, als es gerade nicht um eine Anordnung im Zuständigkeitsbereich der Gemeinde mit vorgängiger Genehmigung des Kantons geht.
Das Departement entscheidet jedoch praxisgemäss über die Einführung von Tempo-30-Zonen und den Einbezug von Hauptstrassen in solche Zonen auf Gesuch der betroffenen Gemeinde (vgl. Ziff. 4.2 und 4.4 der kantonalen Richtlinie "Verkehrsberuhigung innerorts", von der Regierung genehmigt am 15. März 2005). Demgemäss formulierte auch das Departement in seiner Verfügung vom 21. Januar 2011, das Gesuch der Gemeinde Sumvitg um Einführung einer flächendeckenden Tempo-30-Zone werde (ohne Einbezug der Hauptstrasse) "genehmigt".
Vor diesem Hintergrund ist die vom Verwaltungsgericht erteilte "Genehmigung" als Anordnung des Einbezugs der Hauptstrasse H19 in die Tempo-30-Zone von Sumvitg zu verstehen. Hierzu ist zwar grundsätzlich das Departement zuständig; das Verwaltungsgericht kann jedoch bei Aufhebung eines Departementsentscheids selbst in der Sache entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist (Art. 56 Abs. 3 VRG).
Dies ist nur der Fall, wenn der Einbezug der Hauptstrasse H19 in die Tempo-30-Zone von Sumvitg nach Art. 2a Abs. 6 i.V.m.
Art. 108 SSV
nicht nur zulässig, sondern
geboten
ist (vgl. dazu unten E. 3-6). Nur in diesem Fall wäre das Departement verpflichtet, dem Gesuch der Gemeinde Sumvitg stattzugeben, ohne dass ihm hinsichtlich des Ob noch ein Ermessensspielraum zustehen würde (zum Wie vgl. unten E. 6).
2.3
Zwar ist dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) zuzustimmen, dass der reformatorische Entscheid des Verwaltungsgerichts zu einer Verkürzung des Rechtswegs für Personen führte, die (wie die Beschwerdeführerinnen) gegen den Einbezug der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone waren und nicht zum Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht beigeladen worden sind. Allerdings haben die
BGE 139 II 145 S. 162
Beschwerdeführerinnen ihre fehlende Beteiligung am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gerügt. Da es sich um eine grundrechtliche Rüge handelt, ist sie vom Bundesgericht nicht von Amtes wegen zu prüfen (vgl.
Art. 106 Abs. 2 BGG
).
3.
3.1
Die Beschwerdeführerinnen sind der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe seine Kognition überschritten und das Gewaltenteilungsprinzip verletzt, indem es sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Departements gesetzt habe.
Sie machen geltend, dass
Art. 108 SSV
zwar abschliessend die Voraussetzungen regle, unter denen Tempo-30-Zonen auf Hauptstrassen eingeführt werden könnten; dagegen bestehe kein justiziabler Anspruch auf die Einführung einer solchen Zone, d.h. den zuständigen kantonalen Behörden verbleibe ein grosser Ermessensspielraum. Dieser stehe nach Bündner Recht dem Departement als zuständiger Behörde zu und müsse vom Verwaltungsgericht respektiert werden, das lediglich zur Sachverhalts- und Rechtskontrolle befugt sei (Art. 51 Abs. 1 VRG).
Die von der Regierung genehmigte Richtlinie "Verkehrsberuhigung innerorts" enthalte verschiedene Kriterien zur Beurteilung von Gesuchen um Einführung von Tempo-30-Zonen und sehe vier Abstufungen vor: Einführung "empfehlenswert", "eher empfehlenswert", "eher abzulehnen" und "zwingend abzulehnen". Als zwingendes Kriterium definiere die Richtlinie den sogenannten V
85
-Wert vor Einführung der Tempo-30-Zone, d.h. die Geschwindigkeit, die von 85 % der gemessenen Fahrzeuge nicht überschritten werde. Dieser Wert dürfe bei Hauptstrassen 42 km/h nicht überschreiten. Da dieses Kriterium in Sumvitg nicht eingehalten werde, habe das Departement darauf verzichtet, das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zu prüfen und habe sich insbesondere nicht mit dem Gutachten befasst. Es habe sich auch nicht zu Fragen der konkreten Umsetzung geäussert (z.B. Beginn und Ende der Tempo-30-Zone auf der Hauptstrasse in Sumvitg; Regelung des Vortrittsrechts, allfällige Anordnung von Fussgängerstreifen; bauliche Massnahmen; allfällige Einführung einer Versuchsphase nach
Art. 107 Abs. 2
bis
SSV
).
Das Verwaltungsgericht habe in seinem Urteil festgehalten, dass der V
85
-Wert für die Einführung einer Tempo-30-Zone keine Rolle spielen dürfe, sondern nur dazu diene, aufgrund der mittleren gefahrenen Geschwindigkeit die Notwendigkeit, die Zahl und die Art der
BGE 139 II 145 S. 163
baulichen Massnahmen festzulegen. Unter diesen Umständen hätte es die angefochtene Verfügung wegen Ermessensunterschreitung aufheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Departement zurückweisen müssen. Statt dessen habe es in der Sache selbst entschieden und damit sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Departements gesetzt.
3.2
Die Beschwerdegegner machen dagegen geltend, eine Abweichung von den Schlussfolgerungen des - auch nach Auffassung des Departements vollständigen - Gutachtens hätte einer qualifizierten Begründung bedurft. Das Verwaltungsgericht habe die vom Departement angeführten Gründe für die Abweisung des Gesuchs um Einführung von Tempo-30 auf der Kantonsstrasse verworfen und sei dem Gutachten gefolgt; es sei deshalb zum Ergebnis gelangt, dass die Verweigerung des kommunalen Gesuchs für den Hauptstrassenabschnitt eine Rechtsverletzung darstelle. Insofern habe es seine Kognition nicht überschritten.
3.3
Das Departement betont, dass Hauptstrassenabschnitte nur ausnahmsweise bei besonderen örtlichen Gegebenheiten in eine Tempo-30-Zone einbezogen werden dürften (
Art. 2a Abs. 5 und 6 SSV
). Die Regierung des Kantons Graubünden habe dies in ihrer Richtlinie auf Ortszentren beschränkt, in denen die gefahrene Geschwindigkeit bereits gering sei. Auf verkehrsorientierten Strassen wolle die Bündner Regierung zwecks Erhaltung des Verkehrsflusses nicht Hand bieten für bauliche Massnahmen.
3.4
Das ASTRA legt in seiner Vernehmlassung dar, dass der Einbezug eines Hauptstrassenabschnitts in eine neu zu schaffende Tempo-30-Zone im Prinzip zweierlei Anordnungen erfordere: einerseits die Anordnung der Tempo-30-Zone auf den Nebenstrassen, andererseits den Einbezug der Hauptstrasse, wobei für beide ein Gutachten erforderlich sei. Diese Differenzierung komme beim Gutachten Hartmann & Sauter etwas zu kurz.
Zwar verweise
Art. 2a Abs. 6 SSV
für den Einbezug von Hauptstrassen auf die allgemeinen Voraussetzungen für Tempo-30-Zonen gemäss
Art. 108 SSV
. Dennoch seien bei einer Hauptstrasse strengere Anforderungen zu stellen als bei siedlungsorientierten Nebenstrassen: Die Temporeduktion auf der Hauptstrasse dürfe nicht bloss die Erhöhung des Wohlbefindens der schwächeren Verkehrsteilnehmer bezwecken, sondern müsse der Behebung eines eigentlichen Sicherheitsmankos dienen. Auch bei der Verhältnismässigkeitsprüfung sei
BGE 139 II 145 S. 164
auf allen Stufen (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit i.e.S.) eine restriktivere Beurteilung geboten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Kantone für ihr Hauptstrassennetz bundesrechtlich subventioniert werden, weshalb ein höherer Aufwand für bauliche Alternativmassnahmen auf Haupt- als auf Nebenstrassen verlangt werden könne. Werde die Zulässigkeitsprüfung in diesem Sinne vorgenommen, sei es möglich, dass ausnahmsweise ein Hauptstrassenabschnitt in eine Tempo-30-Zone einbezogen werden dürfe, namentlich dann, wenn sie zentral durch eine umliegende Tempo-30-Zone verlaufe und der Einbezug sich aus Praktikabilitätsgründen aufdränge.
Das ASTRA stimmt dem Verwaltungsgericht zu, dass der V
85
-Wert wenig geeignet sei, um die Erforderlichkeit des Einbezugs eines Hauptstrassenabschnitts in eine Tempo-30-Zone zu klären. Dieses Kriterium sei primär für die Frage relevant, ob die Tempo-30-Zone mit baulichen Unterstützungsmassnahmen zu flankieren sei.
Soweit jedoch ein Ermessensspielraum bei der Beurteilung bestehen bleibe, sollte dieser von der örtlich näheren zuständigen Vollzugsbehörde ausgefüllt werden. Eine Verkehrsanordnung könne von Dritten, gegen den Willen der zuständigen Anordnungsbehörde, nur dann gerichtlich eingefordert werden, wenn sie wirklich zwingend erforderlich sei.
4.
Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge in Ortschaften wurde vom Bundesrat auf 50 km/h festgelegt (Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11] i.V.m. Art. 32 Abs. 2 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 [SVG; SR 741.01]). Sie kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde aufgrund eines Gutachtens herab- oder heraufgesetzt werden (
Art. 32 Abs. 3 SVG
und
Art. 108 SSV
). Gemäss
Art. 108 Abs. 5 SSV
können auf Strassen innerorts tiefere Höchstgeschwindigkeiten als 50 km/h in Abstufungen von je 10 km/h angeordnet werden (lit. d); zudem besteht (nach lit. e) die Möglichkeit, eine Tempo-30-Zone oder eine Begegnungszone mit Tempo-20 einzuführen.
4.1
Tempo-30-Zonen kennzeichnen Strassen in Quartieren oder Siedlungsbereichen, auf denen besonders vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren werden muss und die Höchstgeschwindigkeit 30 km/h beträgt (
Art. 22a SSV
). Sie sind in der Verordnung des UVEK vom 28. September 2001 über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen (SR 741.213.3) näher geregelt.
BGE 139 II 145 S. 165
4.1.1
Tempo-30-Zonen sind grundsätzlich auf Nebenstrassen mit möglichst gleichartigem Charakter beschränkt (
Art. 2a Abs. 5 SSV
).
Der Bundesrat führte dazu aus, Erfahrungen mit Tempo-30-Zonen im In- und Ausland hätten gezeigt, dass die Zonensignalisation nur auf siedlungsorientierten Strassen mit gleichartigen Merkmalen die gewünschte Wirkung entfalten, nicht aber auf verkehrsorientierten Strassen, wie insbesondere signalisierte Hauptstrassen, die eine andere Funktion hätten und entsprechend auszugestalten seien. Bei solchen Strassen mit Durchgangsverkehr seien die Autofahrer im Allgemeinen überfordert, wenn Verkehrsmassnahmen mit einer Zonensignalisation grossflächig für alle Innerortsstrassen, d.h. für ganz unterschiedliche Strassenkategorien, angeordnet würden (Botschaft des Bundesrats vom 13. März 2000 zur Volksinitiative "für mehr Verkehrssicherheit durch Tempo 30 innerorts mit Ausnahmen [Strassen für alle]", BBl 2000 2896 Ziff. 3.4).
Sind Geschwindigkeitsbegrenzungen aus Gründen der Verkehrssicherheit auf Hauptstrassen oder verkehrsorientierten Nebenstrassen notwendig, werden sie grundsätzlich nach
Art. 108 Abs. 5 lit. d SSV
(und nicht durch Zuweisung zu einer Tempo-30-Zone nach lit. e) angeordnet und mit dem Signal "Höchstgeschwindigkeit" angezeigt. Dieses gilt - wenn das Signal nicht wiederholt wird - nur bis zur nächsten Verzweigung (vgl. Botschaft, a.a.O.).
4.1.2
Ausnahmsweise und bei besonderen örtlichen Gegebenheiten kann auch ein Hauptstrassenabschnitt in eine Tempo-30-Zone einbezogen werden, namentlich in einem Ortszentrum oder in einem Altstadtgebiet (
Art. 2a Abs. 6 SSV
), d.h. an Orten, an denen das Fussgängeraufkommen am grössten ist. Wie das ASTRA in seiner Vernehmlassung erläutert, ist an Fälle gedacht, in denen eine Hauptstrasse, auf der die Geschwindigkeit auf 30 km/h herabgesetzt werden soll, unmittelbar an eine Tempo-30-Zone angrenzt. Hier wäre es unpraktikabel, bei den Übergängen jeweils die Tempo-30-Zone aufheben und Tempo 30 anordnen zu müssen und umgekehrt.
Vorliegend verläuft der Abschnitt der Hauptstrasse, der in die Tempo-30-Zone einbezogen werden soll, mitten durch das Ortszentrum von Sumvitg und wird auf beiden Seiten von der (bereits vom Departement gutgeheissenen) Tempo-30-Zone umschlossen. Insofern liegen grundsätzlich besondere örtliche Gegebenheiten i.S. von
Art. 2a Abs. 6 SSV
vor, bei denen der Einbezug der Hauptstrasse in eine Tempo-30-Zone in Betracht kommen kann, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
BGE 139 II 145 S. 166
4.1.3
Dem ASTRA ist zuzustimmen, dass zwischen der Einführung einer Tempo-30-Zone und dem Einbezug einer Hauptstrasse in diese Zone zu unterscheiden ist. Allerdings ist es zulässig, beide Anordnungen in einer Verfügung zusammenzufassen, d.h. eine neue Tempo-30-Zone zu schaffen, die von vornherein auch einen Hauptstrassenabschnitt umfasst, sofern die Voraussetzungen für den Einbezug der Hauptstrasse erfüllt sind.
4.2
Die Gründe, die eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit bzw. eine Tempo-30-Zone erforderlich machen können, werden in
Art. 108 Abs. 2 SSV
abschliessend aufgezählt: Eine Gefahr ist nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben (lit. a); bestimmte Strassenbenützer bedürfen eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes (lit. b); auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung kann der Verkehrsablauf verbessert werden (lit. c) oder eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) kann vermindert werden (lit. d).
4.3
Die Anordnung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten ist nur gestützt auf ein vorgängig zu erstellendes Gutachten zulässig. Dieses hat aufzuzeigen, dass die Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig ist und keine anderen Massnahmen vorzuziehen sind (
Art. 32 Abs. 3 SVG
i.V.m.
Art. 108 Abs. 4 SSV
und Art. 3 der Verordnung des UVEK vom 28. September 2001 über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen [SR 741.213.3]; vgl. dazu
BGE 136 II 539
E. 3.2 S. 547 f. mit Hinweisen). Entscheidend ist, dass die zuständige Behörde die erforderlichen Informationen besitzt, um zu beurteilen, ob eine der Voraussetzungen von
Art. 108 Abs. 2 SSV
erfüllt ist und ob die Massnahme im Hinblick auf das betreffende Ziel nötig, zweck- und verhältnismässig ist (
Art. 108 Abs. 4 SSV
; vgl. zum Ganzen Urteil 1C_206/2008 vom 9. Oktober 2008 E. 2.2).
5.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den bisher vom Bundesgericht beurteilten Konstellationen, in denen zu beurteilen war, ob die zuständige kantonale Behörde eine Tempo-30-Zone bundesrechtskonform angeordnet bzw. zulässigerweise einen Hauptstrassenabschnitt einbezogen hatte. Wie oben (E. 2) dargelegt, wurde hier der Einbezug der Hauptstrasse H19 in die Tempo-30-Zone vom Verwaltungsgericht auf Beschwerde von Einwohnern Sumvitgs angeordnet, und zwar
gegen
den Willen der zuständigen kantonalen Behörde.
BGE 139 II 145 S. 167
Verkehrsbeschränkungen der hier in Frage stehenden Art sind regelmässig mit komplexen Interessenabwägungen verbunden, bei denen die zuständigen Behörden über einen erheblichen Gestaltungsspielraum verfügen (
BGE 136 II 539
E. 3.2 S. 548 mit Hinweisen). Insofern ist eine Ermessensschrumpfung auf Null nur in Fällen anzunehmen, in denen eine
schwerwiegende
Gefahr bzw. ein besonders gewichtiges Schutzbedürfnis i.S. von
Art. 108 Abs. 2 lit. a und b SSV
vorliegen. Ob auch einer der in lit. c und d genannten Gründe genügen würde, kann vorliegend offenbleiben. Zudem muss der Einbezug einer Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone geeignet, erforderlich und verhältnismässig i.e.S. sein. Dabei ist ein
strenger Massstab
anzulegen; hierfür kann auf die zutreffenden Ausführungen des ASTRA verwiesen werden.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Es übt jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die zuständigen Behörden besser kennen als das Bundesgericht (vgl.
BGE 129 I 337
E. 4.1 S. 344). Es ist an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden, soweit dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht (
Art. 105 und 97 Abs. 1 BGG
).
5.1
Im Gutachten wird festgehalten, dass die Ortsdurchfahrt von Sumvitg über bedeutende Strecken über gar kein oder nur ein einseitiges Trottoir gemäss der einschlägigen VSS Norm SN 640 070 (mit einer Mindestbreite von 1,5 m) verfügt. Dies habe zur Folge, dass viele Fussgänger, die sich entlang der Ortsdurchfahrt bewegen, ausserordentlich gefährdet seien. Dazu gehörten vor allem ältere Leute, Eltern mit Kleinkindern im Kinderwagen sowie die Kindergärtner und Schüler, welche zur Haltestelle des Schulbusses am westlichen Dorfende bzw. umgekehrt laufen müssten. Hinzu komme, dass es längs der Ortsdurchfahrt an mehreren Stellen wichtige Querungen für Fussgänger gebe (Zugang Kirche, Dorfladen etc.).
Bei den Messungen im Januar/Februar 2010 sei eine mittlere Geschwindigkeit von 35-40 km/h gemessen worden; der V
85
-Wert liege im Bereich von 40-50 km/h. In den fünf Jahren 2004-2008 hätten sich drei polizeilich registrierte Unfälle (mit zwei Verletzten und einem Sachschaden von Fr. 12'000) im Bereich der vorgesehenen Tempo-30-Zone im Innerortsbereich von Sumvitg ereignet.
Das Gutachten kam deshalb zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen gemäss
Art. 108 SSV
und die zentralen Kriterien gemäss der
BGE 139 II 145 S. 168
kantonalen Richtlinie Verkehrsberuhigung innerorts für die Einführung von Tempo 30 im Sumvitg erfüllt seien: Das heutige Geschwindigkeitsniveau sei hoch und müsse reduziert werden; an der Ortsdurchfahrt fehlten Trottoirs ganz oder sie seien gemäss der einschlägigen Norm ungenügend; parallel zur Strasse verlaufe ein wichtiger Schulweg und es gebe mehrere ungeschützte Fussgängerquerungen.
5.2
Im angefochtenen Entscheid hielt das Verwaltungsgericht das Gutachten für vollständig, schlüssig und überzeugend. Die Verkehrssituation am gerichtlichen Augenschein habe die Schlussfolgerungen des Gutachtens bestätigt und auf eindrückliche Weise die Notwendigkeit einer Tempo-30-Zone bewiesen. Das Strassentrassee sei teilweise sehr eng und verunmögliche die Kreuzung grosser Fahrzeuge. Über längere Abschnitte fehle auf beiden Strassenseiten ein Trottoir gänzlich. Wo es ein Trottoir gebe, entspreche es nicht der Norm von 1,5 m Breite (gemäss VSS SN 640 070), sondern sei enger. Viele Hauseingänge führten direkt auf die Strasse. Personen mit Kinderwagen oder Menschen im Rollstuhl seien teilweise gezwungen, sich ausschliesslich auf der Strasse zu bewegen und seien so dem Verkehr ausgesetzt. Auch um einander zu kreuzen, müssten Fussgänger auf die Strasse ausweichen. Die Sicherheitsdefizite würden durch die kurzen Sichtdistanzen noch verstärkt.
5.3
Das Departement hatte sich in seiner Verfügung in erster Linie auf den V
85
-Wert gestützt. Es äusserte sich aber nicht nur zu diesem Kriterium, sondern ging mit der Kommission davon aus, dass keine eigentlichen Sicherheitsdefizite erkennbar und durch Unfallzahlen belegbar seien. Die Querungen unterschieden sich aufgrund des Nutzungscharakters der Strasse (fehlende Geschäfte, Menge des Publikumsverkehrs) klar von denjenigen in Disentis. Es hielt fest, dass sich die Verkehrsunfälle im Verzweigungsbereich Hauptstrasse H19/Verbindungsstrasse nach S. Benedtg bzw. nach Cumpadials ereignet hätten, der sich innerhalb der beantragten und auch zu genehmigenden Tempo-30-Zone befinde.
In seiner Vernehmlassung vor Verwaltungsgericht ging das Departement davon aus, dass die Ortsdurchfahrt zumindest auf der Talseite über eine erhöhte Gehweganlage verfüge; hierfür verwies es auf die Fotoaufnahmen im Gutachten.
5.4
Die Beschwerdegegner wenden ein, dass sich vor verschiedenen Häusern lediglich schrammbordähnliche, von der Fahrbahn
BGE 139 II 145 S. 169
abgehobene Bereiche von wechselnder Breite befänden. Diese seien oft so schmal, dass sie die Kreuzung von Fussgängern nicht zuliessen, d.h. bei Begegnungen müsse eine Person auf die Fahrbahn ausweichen. Dies geschehe mitunter unvermittelt und sei für herannahende Autofahrer nicht rechtzeitig erkennbar. Anders als mit reduzierter Geschwindigkeit lasse sich die Gefahr nicht beheben: Die Fahrbahn der Hauptstrasse sei im Ortszentrum von Sumvitg schon zu schmal; am eigentlichen Engpass, wo es überhaupt kein Trottoir gebe, befinde sich ein unter Denkmalschutz des Bundes und des Kantons stehendes Gebäude aus dem 16. Jahrhundert mit freskengeschmückter Fassade.
5.5
Nach Auffassung des ASTRA wird die erhöhte Gefährdungssituation im Gutachten nicht genügend begründet; der Leser müsse sich dies aufgrund der umfangreichen Geschwindigkeitsmessdaten, Unfallzahlen und Pläne selber zusammenreimen. Unklar blieben auch die Kosten einer alternativen (baulichen) Behebung des Sicherheitsdefizits. Immerhin könne aufgrund der Pläne vermutet werden, dass die durch die Häuserausrichtung verengte Hauptstrasse kaum ohne erhebliche Kosten und ohne Veränderung des Ortsbildes saniert werden könnte.
Bei der eigentlichen Verhältnismässigkeitsprüfung seien nur die Kosten für die Einrichtung der Tempo-30-Zone und der Zeitverlust von wenigen Sekunden des einzelnen Verkehrsteilnehmers berücksichtigt worden; massgebend wären jedoch v.a. die Auswirkungen auf das Gesamtsystem, namentlich auf die Funktionalität der Strasse, gewesen.
Das Verwaltungsgericht habe zwar in seinem Urteil konziser argumentiert als das Gutachten; dennoch blieben gewisse Fragen - namentlich zu möglichen baulichen Alternativen im Trottoirbereich - unbeantwortet.
5.6
Im Gutachten ist die Trottoirsituation in der Ortsdurchfahrt von Sumvitg mit Plan und Fotos dokumentiert. Daraus ergibt sich, dass auf
keiner
Seite der Ortsdurchfahrt ein durchgängiges Trottoir vorhanden ist, sondern (auch auf der Talseite) einzelne Trottoirabschnitte ganz fehlen oder eine ungenügende Breite von weniger als 1,5 m aufweisen. Berücksichtigt man zusätzlich die geringe Breite der Fahrbahn, die kurzen Sichtweiten und die relativ hohe gemessene Geschwindigkeit der Fahrzeuge, ist mit dem Verwaltungsgericht von einem erheblichen Sicherheitsdefizit für Fussgänger auszugehen.
BGE 139 II 145 S. 170
Allerdings trifft es zu, dass diese Gefahrensituation sich bisher nicht in Verkehrsunfällen niedergeschlagen hat: Wie sich aus dem Bericht der Kantonspolizei vom 11. März 2011 ergibt, ereigneten sich die drei im Gutachten erwähnten Unfälle im Zusammenhang mit Bauarbeiten (2 Unfälle) sowie einer Rückwärtsfahrt (1 Unfall), waren also nicht auf die ungenügenden Gehwege zurückzuführen. Bestehen jedoch erhebliche Sicherheitsdefizite im Strassenverkehr, darf nicht zugewartet werden, bis sich die ersten Unfälle ereignet haben, sondern es müssen präventive Massnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit getroffen werden.
5.7
Es ist unstreitig, dass die Herabsetzung der Geschwindigkeit auf 30 km/h die Sicherheit insbesondere der Fussgänger in der Orts-durchfahrt von Sumvitg erhöhen würde. Streitig ist dagegen, ob es aus Sicht des Strassenverkehrs mildere Massnahmen gibt.
Das Gutachten geht davon aus, dass der Bau der fehlenden Trottoirs nicht nur aus Kostengründen unverhältnismässig, sondern auch mit grossen Eingriffen in die Siedlung und das Dorfbild verbunden wäre (Abbruch bzw. Teilabbruch von Gebäuden). Diese Aussage wird durch die im Gutachten liegenden Pläne und Fotos und die Feststellungen des Verwaltungsgerichts am Augenschein bestätigt. Die Fahrbahn lässt nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts schon heute die Kreuzung grosser Fahrzeuge nicht zu und kann daher nicht zugunsten breiterer Trottoirs reduziert werden.
Unter diesen Umständen sind keine baulichen Massnahmen zur Verbesserung der Gehwegsituation ersichtlich. Andere Möglichkeiten der Trennung des Fussgänger- und des Autoverkehrs (z.B. Umgehungsstrasse, Tunnellösung) wären nicht nur mit sehr hohen Kosten verbunden, sondern würden Entscheide auf politischer Ebene voraussetzen, weshalb sie nicht als mildere bauliche Massnahmen in Betracht gezogen werden mussten.
5.8
Sowohl das Gutachten als auch das Verwaltungsgericht gehen davon aus, dass der Einbezug der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone nicht mit gewichtigen oder gar überwiegenden Nachteilen für den Strassenverkehr verbunden wäre. Insbesondere ergäbe sich für die Automobilisten ein Zeitverlust von nur ca. 5 Sekunden (verglichen mit der heutigen mittleren Geschwindigkeit).
Zwar ist dem ASTRA zuzustimmen, dass nicht allein auf den Zeitverlust für den einzelnen Autofahrer abgestellt werden darf, sondern die Funktion der Hauptstrasse im gesamten Verkehrsnetz berücksichtigt werden muss. Es gibt jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür,
BGE 139 II 145 S. 171
dass der Einbezug der Hauptstrasse von Sumvitg in die vorgesehene Tempo-30-Zone die Leistungsfähigkeit des Verkehrsnetzes in der Region oder die Funktion der Hauptstrasse als Durchgangsstrasse beeinträchtigen könnte; dies wird auch von den Beschwerdeführerinnen nicht dargelegt.
5.9
Der Umstand, dass der V
85
-Wert auf dem Hauptstrassenabschnitt über 42 km/h liegt, weist darauf hin, dass flankierende bauliche Massnahmen zur Einhaltung von Tempo 30 nötig sein könnten. Dagegen schliesst er den Einbezug der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone nicht aus. Hierfür kann auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden, die weder von den Beschwerdeführerinnen noch vom ASTRA in Frage gestellt werden.
5.10
Ist nach dem Gesagten der Einbezug des Hauptstrassenabschnitts das einzige Mittel, um die gravierende Gefährdung von Fussgängern im Ortskern von Sumvitg zu reduzieren, war das Departement nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, das Gesuch der Gemeinde (im Grundsatz) zu bewilligen. Es wäre ermessensmissbräuchlich, unter diesen Umständen den Interessen am möglichst ungehinderten Durchgangsverkehr Vorrang vor der physischen Integrität der Bewohner von Sumvitg zu geben. Das Verwaltungsgericht war daher berechtigt, den Einbezug der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone an Stelle des Departements anzuordnen.
6.
Dagegen ist den Beschwerdeführerinnen und dem ASTRA zuzustimmen, dass dem Departement noch Gelegenheit gegeben werden muss, sich zum Wie des Einbezugs der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone zu äussern.
Das Gutachten schlägt vor, die Hauptstrasse H19 ab der Schulbus-Haltestelle (im Westen) bis zur Kreuzung mit der Verbindungsstrasse nach Fontauna Sut (im Osten) in die Tempo-30-Zone einzubeziehen und an diesen Stellen mit Signaltafeln sowie Bodenmarkierungen zu signalisieren. Die heutige Vortrittsregelung sowie der markierte Fussgängerstreifen in der Nähe des westlichen Zonentors unterhalb des Schulhauses seien zu belassen. Zeige die (nach einem Jahr durchzuführende) Nachkontrolle, dass Tempo 30 zu wenig eingehalten werde, müssten in Absprache mit der Kantonspolizei entweder zusätzliche Markierungen angeordnet oder andere geeignete gestalterische Massnahmen getroffen werden.
Das Verwaltungsgericht genehmigte das Gesuch der Gemeinde mit den vom Gutachten vorgeschlagenen Massnahmen, ohne dazu Stellung zu nehmen.
BGE 139 II 145 S. 172
Die Beschwerdeführerinnen und das ASTRA machen zu Recht geltend, dass ein Ermessensspielraum der zuständigen kantonalen Behörde hinsichtlich der konkreten Umsetzung der Tempo-30-Zone bei Einbezug der Hauptstrasse besteht (Begrenzung, verkehrsrechtliche Massnahmen i.S. von Art. 4 der Verordnung über die Tempo-30-Zonen; Gestaltung des Strassenraums etc.). Die Sache ist deshalb zum Entscheid über diese Fragen an das Departement zurückzuweisen.
7.
Die Beschwerdeführerinnen und das ASTRA beanstanden zu Recht, dass der vom Verwaltungsgericht bewilligte Einbezug der Hauptstrasse H19 in die Tempo-30-Zone von Sumvitg nicht im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht wurde (gemäss
Art. 107 Abs. 1 SSV
i.V.m. Art. 1 lit. c des Bündner Gesetzes vom 19. Oktober 2011 über die Gesetzessammlungen und das Amtsblatt [Publikationsgesetz, PuG; BR 180.100]). Ob hierfür das Gericht oder (wie die Beschwerdegegner meinen) das Strassenverkehrsamt zuständig gewesen wäre, kann vorliegend offenbleiben: Da der angefochtene Entscheid ohnehin aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an das Departement zurückgewiesen wird, kann die gebotene Publikation im Anschluss an dessen Entscheid erfolgen.
8.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist in Disp.-Ziff. 1 aufzuheben und die Sache an das Departement zurückzuweisen, damit dieses noch über das Wie des Einbezugs der Hauptstrasse H19 in die Tempo-30-Zone im Ortskern von Sumvitg entscheiden und anschliessend die Publikation im kantonalen Amtsblatt vornehmen kann. Dagegen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit die Beschwerdeführerinnen den Einbezug der Hauptstrasse in die Tempo-30-Zone grundsätzlich in Frage stellen. (...) | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7e550da-21ed-4363-96e0-2f7718c1ffcd | Urteilskopf
104 Ib 129
23. Urteil vom 29. September 1978 i.S. X. gegen Eidg. Militärdepartement | Regeste
Verfahren. Beamtenrecht; vorläufige Dienstenthebung gemäss
Art. 52 BtG
.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Auslegung des
Art. 100 lit. a OG
; Ausschlussgrund hier verneint (E. 1).
2. Die vorläufige Dienstenthebung gemäss
Art. 52 BtG
ist nicht als Zwischenverfügung, sondern als Endverfügung einzustufen (E. 2).
3. Die vorläufige Dienstenthebung gemäss
Art. 52 BtG
darf nicht ohne vorgängige Anhörung des Betroffenen erfolgen. Auslegung von
Art. 30 Abs. 2 lit. e VwVG
. (E. 3-7). | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 104 Ib 129 S. 129
X. wurde durch Verfügung des Eidg. Militärdepartements (EMD) vom 28. Februar 1978 in Anwendung von
Art. 52 BtG
mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres vorläufig vom Dienst enthoben. Gleichzeitig wurden ihm für die Dauer der Enthebung vom Dienst die Bezüge (Besoldung, Ortszuschlag und
BGE 104 Ib 129 S. 130
Zulagen) um 25% gekürzt. In der Verfügung wurde festgestellt, dass er in seiner gegenwärtigen dienstlichen Stellung als Sicherheitsrisiko betrachtet werden müsse. Ferner wurde ihm die Einleitung eines Verfahrens zur Auflösung des Dienstverhältnisses im Sinne von
Art. 55 BtG
angekündigt. In der Begründung wurde dem Betroffenen mitgeteilt, dass der Direktor der Zentralstelle für Gesamtverteidigung mit Schreiben vom 10. Februar 1978 beim EMD den Antrag auf Einleitung eines Verfahrens zur Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen sowie auf vorsorgliche Enthebung vom Dienst gestellt habe, mit der Begründung, dass die Bundesanwaltschaft in einem Amtsbericht vom 7. Februar 1978 X. als Sicherheitsrisiko bezeichnet habe. Diese Feststellung zwinge die Vorgesetzten zur Prüfung der Frage, inwiefern sich dieses Sicherheitsrisiko auf die dienstliche Stellung und Tätigkeit des betreffenden Beamten auswirken könnte. Ohne dass X. im jetzigen Zeitpunkt konkret ein pflichtwidriges Verhalten im dienstlichen Bereich zum Vorwurf gemacht werde, bestehe aufgrund der durch die Bundesanwaltschaft beschafften Unterlagen und im Hinblick auf den Pflichtenkreis des Bediensteten die Befürchtung, sein künftiges Verhalten könnte die Staatssicherheit nachteilig berühren. Dieses potentielle Sicherheitsrisiko sei so rasch und gut als möglich auszuschalten.
X. ficht die vorläufige Dienstenthebung und die damit verbundene Kürzung der Bezüge mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Er beantragt, die Verfügung des EMD sei aufzuheben, eventuell nur insofern, als sie eine Kürzung der Salärbezüge vorsieht. Er rügt in erster Linie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (
Art. 4 BV
,
Art. 29 VwVG
), weil die angefochtene Verfügung ohne seine vorherige Anhörung erfolgt sei. Materiell hält er die Massnahme für unverhältnismässig.
Das EMD beantragt die Abweisung der Beschwerde. Mit Präsidialverfügung vom 19. April 1978 wurde der Beschwerde hinsichtlich der Kürzung der Bezüge aufschiebende Wirkung zuerkannt. Da die Zuständigkeit für die Beurteilung der Beschwerde zweifelhaft war, wurde ein Meinungsaustausch mit dem Bundesrat durchgeführt (
Art. 96 Abs. 2 OG
).
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 100 lit. a OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Verfügungen "auf dem Gebiete
BGE 104 Ib 129 S. 131
der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes, der Neutralität, des diplomatischen Schutzes und der übrigen auswärtigen Angelegenheiten". Der Beschwerdeführer wurde vorläufig des Dienstes enthoben, weil er angeblich ein Sicherheitsrisiko darstellt. Es fragt sich, ob sich diese Verfügung dadurch nicht als eine Massnahme zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit des Landes im Sinne von
Art. 100 lit. a OG
kennzeichnet.
Als Verfügungen zur Wahrung der äusseren Sicherheit und der Neutralität sowie der inneren Sicherheit gelten eigentliche "actes de gouvernement", ferner beispielsweise Verfügungen, die aufgrund des BRB betreffend politische Reden von Ausländern vom 24. Februar 1948 (AS 1948, 119) oder aufgrund des BRB betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial vom 29. Dezember 1948 (AS 1948, 1282) erlassen werden (Botschaft über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde vom 24. September 1965, BBl 1965 II S. 1306). In der Praxis wurde gestützt auf
Art. 100 lit. a OG
die Zuständigkeit des Bundesgerichts verneint für die Frage, ob die im Bundesarchiv verwahrten Dienstakten aus dem Zeitraum 1938 bis 1945 zur wissenschaftlichen Benutzung freigegeben werden konnten, soweit die Benutzung davon abhing, ob Interessen der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes, der Neutralität, des diplomatischen Schutzes und der übrigen auswärtigen Angelegenheiten beeinträchtigt würden (vgl. VPB 40/1976, Nr. 12, E. 1).
Die vorläufige Dienstenthebung gemäss
Art. 52 BtG
ist zunächst eine Massnahme auf dem Gebiet des Beamtenrechts. Als solche unterliegt sie an sich der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie setzt voraus, dass dienstliche Gründe ihre Anordnung rechtfertigen. Als "dienstliche Gründe" werden im vorliegenden Fall Sicherheitsinteressen angeführt. Insofern stellt sich die Massnahme hier auch als eine Anordnung auf dem Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes dar. Im Hinblick auf den Rechtsweg fragt sich, ob dem beamtenrechtlichen oder dem sicherheitspolizeilichen Aspekt der Verfügung mehr Gewicht beizulegen ist. Anlässlich der 1968 erfolgten Revision des OG wurde dem Rechtsschutzinteresse der Beamten bei Auflösung des Dienstverhältnisses besondere Bedeutung zugemessen. Die eidgenössischen Räte haben den Rechtsschutz der Bundesbeamten gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates ausgedehnt und bewusst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde generell bei Auflösung des Dienstverhältnisses zugelassen.
BGE 104 Ib 129 S. 132
Zwar steht dem Bundesgericht in der Regel gegenüber solchen Verfügungen nur die Rechtskontrolle und nicht eine eigentliche Ermessenskontrolle zu (vgl.
Art. 104 OG
). Der besondere Rechtsschutz wurde indessen in erster Linie in der Überprüfung durch die von der Verwaltung unabhängige Instanz gesehen und nicht im Umfang der Überprüfungsbefugnis (Protokolle der Kommission des Nationalrats, 2. Sitzung vom 17./18. Januar 1966 S. 39 ff.; 4. Sitzung vom 6./7. September 1966 S. 65 ff.). Im Hinblick auf die Auswirkungen, welche die angefochtene Verfügung auf die beamtenrechtliche Stellung des Beschwerdeführers hat, kommt diesem Aspekt auch im vorliegenden Fall erhebliche Bedeutung zu. Überdies würde selbst die Annahme der Zuständigkeit des Bundesrates nicht verhindern, dass das Bundesgericht solche Fragen gleichwohl im Rahmen einer ihm auf dem Klageweg unterbreiteten vermögensrechtlichen Streitigkeit, insbesondere im Rahmen der Verschuldensfrage, zu beurteilen hätte (vgl.
BGE 103 Ib 263
E. 2b;
Art. 60 BtG
;
Art. 10 VG
). Es erscheint daher als gerechtfertigt, dem beamtenrechtlichen Aspekt mehr Gewicht beizulegen als demjenigen der Überprüfung der Sicherheitsfrage, welche das Bundesgericht naturgemäss nur mit Zurückhaltung vornehmen kann, soweit es dabei um die Abschätzung eigentlicher Sicherheitsrisiken geht.
Art. 100 lit. a OG
ist in diesem Sinn auf Massnahmen, die ausschliesslich die innere und äussere Sicherheit des Landes betreffen, zu beschränken und die Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde ist dementsprechend zu bejahen. Diese Auslegung des
Art. 100 lit. a OG
entspricht auch der vom Bundesrat im Meinungsaustausch vertretenen Auffassung.
2.
Der Beschwerdeführer hat gemäss Rechtsmittelbelehrung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht, hält aber dafür, das richtige Rechtsmittel wäre die Verwaltungsbeschwerde innert zehn Tagen an den Bundesrat gewesen, da eine Zwischenverfügung vorliege; er hat deshalb vorsorglich diese zehntägige Frist eingehalten. Das EMD stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, wenn die vorläufige Dienstenthebung mit einem Hauptverfahren, d.h. einem Verfahren auf Auflösung des Dienstverhältnisses, verbunden werde, sei sie als Zwischenverfügung zu betrachten; wenn aber, wie im vorliegenden Fall, das Hauptverfahren erst anschliessend daran eingeleitet werde, habe sie als Endentscheid zu
BGE 104 Ib 129 S. 133
gelten. In beiden Fällen sei indessen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde das gegebene Rechtsmittel.
Die Zuständigkeit des Bundesgerichts, nicht des Bundesrates, ergibt sich schon aus der vorangehenden Erwägung 1. Zu prüfen bleibt, ob eine Endverfügung oder eine Zwischenverfügung vorliegt.
Ein Endentscheid kann binnen dreissig Tagen, eine Zwischenverfügung nur binnen zehn Tagen seit Eröffnung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (
Art. 106 OG
). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine Zwischenverfügung setzt ferner voraus, dass die Verfügung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (
BGE 97 I 478
;
BGE 99 Ib 416
).
Hinsichtlich der gleichlautenden Bestimmung der vorläufigen Dienstenthebung eines Angestellten (
Art. 75 AngO
) hat das Bundesgericht angenommen, die Anordnung, die in jenem Fall im Rahmen eines noch nicht abgeschlossenen Entlassungsverfahrens getroffen wurde, sei eine Zwischenverfügung (nicht veröffentlichtes Urteil S. vom 14. Mai 1975). An dieser, im zitierten Urteil nicht näher begründeten Auffassung ist indessen nicht festzuhalten. Vielmehr erscheint es als gerechtfertigt, die vorläufige Dienstenthebung hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde einer Endverfügung gleichzusetzen.
Die vorläufige Dienstenthebung gemäss
Art. 52 BtG
kann vor oder während einem Verfahren auf definitive (administrative oder disziplinarische) Auflösung des Dienstverhältnisses verfügt werden. Es ist aber nicht denkbar, dass sie unabhängig von einem solchen Verfahren angeordnet werden kann (vgl. auch STRAUSS, Die vorläufige Dienstenthebung nach Art. 52 des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten vom 30. Juni 1927, ZBl 46/1945 S. 275 f.). Selbst wenn nicht ein einheitliches Verfahren stattfindet, besteht demnach in bezug auf Gegenstand und Ziel jedenfalls ein enger Sachzusammenhang zwischen den beiden Verfahren, welcher an sich die Annahme einer Zwischenverfügung rechtfertigen könnte (vgl.
BGE 98 Ia 443
). Andererseits kann aber das Verfahren der definitiven Auflösung des Dienstverhältnisses unabhängig von einer Anfechtung der vorläufigen Dienstenthebung weitergeführt werden. Es besteht somit nicht die Gefahr, dass jenes Verfahren durch eine selbständige Anfechtung der vorläufigen Dienstenthebung unnötig verschleppt wird. Damit entfällt ein
BGE 104 Ib 129 S. 134
entscheidender prozessökonomischer Gesichtspunkt, welcher der im Gegensatz zur Endverfügung bloss beschränkten Anfechtbarkeit einer Zwischenverfügung zugrunde liegt. Zudem stellt die Massnahme in der Regel, obwohl sie nur provisorischen Charakter hat, einen empfindlichen Eingriff in die Rechtssphäre des betroffenen Dienstnehmers dar (vgl.
BGE 99 Ia 24
E. c), weshalb eine zum vorneherein feststehende, uneingeschränkte Anfechtbarkeit der Massnahme auch von der Bedeutung der Sache und von der Rechtssicherheit der Betroffenen her als sachgerecht erscheint. Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, die vorläufige Dienstenthebung nicht als Zwischenverfügung einzustufen, sondern einer Endverfügung gleichzustellen.
3.
Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie, das EMD habe ihm das rechtliche Gehör verweigert, da die vorläufige Dienstenthebung ohne seine vorgängige Anhörung verfügt worden sei. Das EMD hält die Verwaltung zu einer solchen vorgängigen Anhörung nicht für verpflichtet.
Nach
Art. 30 Abs. 1 VwVG
, der auf das Verfahren vor dem EMD Anwendung findet (Art. 1 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit
Art. 3 VwVG
), hört die Behörde die Parteien an, bevor sie verfügt. In Ausnahmefällen, die in
Art. 30 Abs. 2 lit. a bis e VwVG
erschöpfend aufgezählt sind (
BGE 100 Ib 5
E. 2), kann sie davon absehen.
Im vorliegenden Fall fällt nur der Ausnahmetatbestand gemäss
Art. 30 Abs. 2 lit. e VwVG
näher in Betracht. Danach kann auf die vorherige Anhörung im erstinstanzlichen Verfahren verzichtet werden, "wenn Gefahr im Verzuge ist, den Parteien die Beschwerde gegen die Verfügung zusteht und ihnen keine andere Bestimmung des Bundesrechts einen Anspruch auf vorgängige Anhörung gewährleistet".
4.
Sind die beiden ersten in
Art. 30 Abs. 2 lit. e VwVG
genannten Bedingungen kumulativ zu verstehen, so darf die Anhörung nur unterbleiben, wenn Gefahr im Verzug ist und den Parteien die Beschwerde gegen die Verfügung zusteht, und auch dies nur dann, wenn nicht eine Sondervorschrift einen Anspruch auf vorgängige Anhörung unabhängig von
Art. 30 Abs. 2 VwVG
gewährleistet.
Sind dagegen die beiden ersten Bedingungen alternativ zu verstehen, so darf die Anhörung unterbleiben, entweder wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn der Partei die Beschwerde
BGE 104 Ib 129 S. 135
gegen die Verfügung zusteht und keine Sondervorschrift einen Anspruch auf vorgängige Anhörung gewährleistet.
Die Formulierung geht auf die Beratungen der eidgenössischen Räte zurück (Protokoll der ständerätlichen Kommission vom 7./8. Februar 1967 S. 58, Amtl. Bull. 1967 S 179; Protokoll der nationalrätlichen Kommission vom 1./2. Februar 1968 S. 9 ff., Amtl. Bull. 1968 N 318). Doch geben die Protokolle keinen klaren Hinweis für die Auslegung der Norm.
Auf den ersten Blick liegt die Vermutung nahe, dass die erste Bedingung: "Wenn Gefahr im Verzuge ist", genügen sollte, um ohne Anhören handeln zu können; dann wäre aber auch die zweite Bedingung eine selbständige Bedingung; es könnte also in allen Fällen, wo die Beschwerdemöglichkeit gegeben ist, ohne Anhören der Partei gehandelt werden, wenn nicht eine Sondervorschrift das Anhören vorschreibt. Dadurch würde indessen der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 29 ff. VwVG
weitgehend seiner Tragweite beraubt, was nicht der Sinn der Bestimmung sein kann. Es ist daher davon auszugehen, dass die beiden ersten Bedingungen kumulativ erfüllt sein müssen.
5.
Weiter fragt sich, ob die Möglichkeit, die Verfügung auf dem Rechtsmittelweg anzufechten, die Pflicht der Behörde zur vorgängigen Anhörung der Parteien nur auszuschliessen vermag, wenn die Verwaltungsbeschwerde als Rechtsmittel in Frage steht, oder auch wenn die Verfügung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann (vgl.
BGE 100 Ib 5
E. 2).
Der Wortlaut der Bestimmung ("die Beschwerde", "le recours", "il ricorso") und deren systematische Stellung im VwVG sprechen dafür, dass nur die Anfechtung durch die Verwaltungsbeschwerde gemeint ist. In einem Fall, wie dem vorliegenden, wo der Entscheid in weitem Ausmass vom Ermessen der Behörde abhängt, lässt sich zudem die Annahme, darunter falle auch die Anfechtungsmöglichkeit durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, auch vom Sinn der Bestimmung her nicht rechtfertigen, da dem Bundesgericht nur eine beschränkte Ermessenskontrolle zukommt (
Art. 104 lit. a OG
; Überschreitung und Missbrauch des Ermessens), und es mithin die im Rechtsmittelverfahren durch die Gewährung des rechtlichen Gehörs hinzukommenden Aspekte nur in diesem beschränkten Rahmen noch nachträglich berücksichtigen könnte.
BGE 104 Ib 129 S. 136
Daraus folgt, dass das EMD, selbst wenn Gefahr im Verzug gewesen sein sollte, die vorläufige Dienstenthebung des Beschwerdeführers nur nach dessen Anhörung hätte verfügen dürfen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Verfügung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechten kann, sowie der Umstand, dass dem Beamten im anschliessenden Hauptverfahren auf vorzeitige Entlassung aus dem Bundesdienst das rechtliche Gehör gewährt wird, enthebt die Verwaltung nicht von der Anwendung des
Art. 30 Abs. 2 VwVG
mit Bezug auf die vorläufige Dienstenthebung. Ist Gefahr im Verzug und verlangt das öffentliche Interesse eine sofortige Massnahme, so kann der Beamte vor seiner Anhörung höchstens im Rahmen einer superprovisorischen Massnahme sofort vom Dienst entfernt werden; nach deren Anordnung muss ihm aber möglichst rasch das rechtliche Gehör mit Bezug auf die als anfechtbare Verfügung zu erlassende vorläufige Dienstenthebung gemäss
Art. 52 BtG
gewährt werden. Der Umstand, dass das Bundesgericht gegenüber den Kantonen im Rahmen der staatsrechtlichen Rechtsprechung wegen Verletzung von
Art. 4 BV
weniger strenge Anforderungen stellt (
BGE 99 Ia 22
), ist bei der Auslegung des VwVG, das nicht auf die aus
Art. 4 BV
abgeleiteten minimalen Verfahrensregeln beschränkt ist, ohne Bedeutung.
6.
Auch wenn die vorläufige Dienstenthebung wesensgemäss nicht endgültigen Charakter hat, ist die Massnahme für den betroffenen Beamten von einschneidender Tragweite. Angesichts des provisorischen Charakters der Massnahme mag es für die Gewährung des rechtlichen Gehörs immerhin genügen, wenn der vorgesetzte Beamte, der zur Antragsstellung oder zum Entscheid über die vorläufige Dienstenthebung zuständig ist, den Beamten kommen lässt, ihm mündlich seine Absichten und deren Motive eröffnet und ihm Gelegenheit gibt, mündlich seine Gegenargumente zu Protokoll zu geben. Dabei müssen die gegen den Beamten erhobenen Vorwürfe so konkretisiert werden, dass der Betroffene die Vorfälle, die Anlass zu den Vorwürfen gegeben haben, näher erklären kann. Bloss allgemeine Vorwürfe oder eine pauschale Mitteilung vermögen dem Anspruch nicht zu genügen (vgl. auch das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 20. April 1977, E. 2b, in ZBl 79/1978 S. 400).
Im vorliegenden Fall sind nicht einmal diese Mindestanforderungen hinsichtlich des rechtlichen Gehörs innegehalten
BGE 104 Ib 129 S. 137
worden. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist daher begründet.
7.
Es bleibt zu prüfen, ob damit die Sache an das EMD zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs zurückzuweisen ist, oder ob der Mangel des rechtlichen Gehörs allenfalls im vorliegenden Verfahren, in dem der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift und der Replik zu Wort gekommen ist, geheilt werden kann (vgl.
BGE 100 Ib 5
E. 2). Das Bundesgericht bejaht eine solche Heilung des Mangels, wenn eine reine Rechtsfrage zu entscheiden ist und die Rückweisung an die Vorinstanz einen prozessualen Leerlauf bedeuten würde (
BGE 100 Ib 5
E. 2). Im vorliegenden Fall ist indessen nicht eine reine Rechtsfrage zu entscheiden, sondern über eine Massnahme zu befinden, deren Anordnung massgeblich vom Ermessen der Verwaltung abhängt. Es ist bereits aus diesem Grund sinnvoll, die Vorinstanz zu verpflichten, aufgrund der Vorbringen des Beschwerdeführers ihre Auffassung unter Gewährung des rechtlichen Gehörs zu überprüfen. Hinzu kommt, dass das EMD denselben Sachverhalt für das inzwischen weitergelaufene Verfahren betreffend Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen abzuklären hat. Es dürfte demnach inzwischen über das behauptete Sicherheitsrisiko mehr bekannt sein, so dass auch im Hinblick auf
Art. 52 Abs. 2 BtG
die Sache für das Bundesgericht nicht spruchreif ist.
Aus diesen Gründen ist es ausgeschlossen, den Mangel im vorliegenden Verfahren zu heilen. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die Verfügung des EMD vom 28. Februar 1978 wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Das EMD hat sich unter Gewährung des rechtlichen Gehörs nochmals über die vorläufige Dienstenthebung des Beschwerdeführers auszusprechen.
8.
Nachdem der angefochtene Entscheid bereits wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist, erübrigt sich eine Stellungnahme zu den materiellen Rügen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und die Verfügung des Eidgenössischen Militärdepartements vom 28. Februar 1978 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a7e6ce70-f245-4081-a337-3e6d8dfa4f10 | Urteilskopf
125 V 266
42. Urteil vom 29. Juni 1999 i.S. Krankenkasse Hermes gegen P. und Versicherungsgericht des Kantons Wallis | Regeste
Art. 102 Ziff. 5 BV
; Art. 7 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 96 KVG
;
Art. 9 Abs. 3 KVV
.
Da das Gesetz die nähere Regelung der Vollstreckung von Kassenforderungen nicht an den Bundesrat delegiert hat und
Art. 9 Abs. 3 KVV
, welcher das in
Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG
statuierte Recht auf Wechsel des Versicherers einschränkt, den einer Vollzugsnorm gesetzten Rahmen überschreitet, ist diese Verordnungsbestimmung gesetzwidrig. | Sachverhalt
ab Seite 266
BGE 125 V 266 S. 266
A.-
P. hatte bei der Krankenkasse Hermes die obligatorische Krankenpflegeversicherung sowie verschiedene Zusatzversicherungen abgeschlossen. Mit Schreiben vom 30. September 1997 liess er seine Mitgliedschaft auf den 31. Dezember 1997 kündigen. Die Kasse bestätigte den Erhalt der Kündigung und wies den Versicherten darauf hin, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung auf den 31. Dezember 1997 gekündigt werden könne; Voraussetzung bilde jedoch die Beibringung der
BGE 125 V 266 S. 267
Versicherungsbestätigung seiner neuen Krankenkasse und die vollständige Bezahlung fälliger Prämien sowie eventueller Kostenbeteiligungen bis zu diesem Datum. Andernfalls bleibe die Mitgliedschaft aufrechterhalten. Am 14. November 1997 leitete die Kasse gegen den Versicherten die Betreibung für die ausstehenden Prämien der Monate Juli bis September 1997 im Betrag von Fr. 467.40 ein. Der Versicherte erhob keinen Rechtsvorschlag. Die Krankenkasse Y informierte die Krankenkasse Hermes am 18. Dezember 1997 über die Aufnahme von P. für die Grundversicherung und die Zusatzversicherungen auf den 1. Januar 1998. Am 5. Februar 1998 teilte die Krankenkasse Hermes dem Versicherten mit, dass der Übertritt zu einer anderen Kasse für die obligatorische Krankenpflegeversicherung infolge der Prämienrückstände derzeit nicht möglich sei. P. bestritt einen Prämienrückstand und bestand auf dem Kassenaustritt per 31. Dezember 1997 (Schreiben vom 4. März 1998). Am 4. März 1998 leitete die Kasse gegen den Versicherten die Betreibung für die Prämien der Monate Oktober bis Dezember 1997 über Fr. 467.40 ein, wobei dieser keinen Rechtsvorschlag erhob und den ausstehenden Betrag am 20. März 1998 überwies.
Am 27. März 1998 verfügte die Kasse, die Kündigung werde auf das Ende desjenigen Monats eingetragen, in dem sämtliche Ausstände bezahlt seien. Am 30. März 1998 beglich P. den Prämienrückstand der Monate Juli bis September 1997. Mit Einsprache vom 24. April 1998 beantragte er die Anerkennung der Kündigung auf den 31. Dezember 1997 und sicherte die Zahlung allfälliger Ausstände zu. Am 27. Mai 1998 erbrachte er eine letzte Geldleistung. Im Einspracheentscheid vom 5. Juni 1998 hielt die Kasse - unter Hinweis darauf, dass die Prämien für das vierte Quartal 1997 erst am 20. März 1998 (auf dem Betreibungsweg), der Selbstbehalt von Fr. 23.40 erst am 29. Mai 1998 und die Prämien für das Jahr 1998 überhaupt noch nicht beglichen worden seien - an der Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses bis zum Ende des Monats, in dem sämtliche ausstehenden Prämien und Kostenbeteiligungen bezahlt seien, fest.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonale Versicherungsgericht des Wallis gut, soweit es darauf eintrat, indem es P. unter Aufhebung des Einspracheentscheides vom 5. Juni 1998 den Wechsel des Krankenversicherers per 31. Dezember 1997 gestattete und feststellte, für die obligatorische Grundversicherung des Jahres 1998 seien der Krankenkasse Hermes keine Prämien geschuldet (Entscheid vom 7. Oktober 1998).
BGE 125 V 266 S. 268
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Kasse, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei festzustellen, dass der Versicherungswechsel erst auf das Ende desjenigen Monats vorzunehmen sei, in dem sämtliche Prämien und Selbstbehalte bis zum betreffenden Monat vollständig bezahlt seien.
P. schliesst auf Abweisung, das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen sind der Bestand des die obligatorische Krankenpflege betreffenden Versicherungsverhältnisses über den 31. Dezember 1997 hinaus sowie die Verpflichtung des Beschwerdegegners zur Bezahlung von Prämien für das erste Halbjahr 1998 zuzüglich Mahnspesen, nachdem die Vorinstanz die Prüfung zulässigerweise auf die Prämienzahlungspflicht ausgedehnt hat (
BGE 122 V 244
Erw. 2a,
BGE 117 V 295
Erw. 2a,
BGE 112 V 99
Erw. 1a,
BGE 110 V 51
Erw. 3c mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 122 V 36
Erw. 2a).
2.
a) Jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz muss sich für Krankenpflege versichern (
Art. 3 Abs. 1 KVG
). Sie kann unter den Versicherern frei wählen (
Art. 4 Abs. 1 KVG
). Unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist kann die versicherte Person den Versicherer auf das Ende eines Kalendersemesters wechseln (
Art. 7 Abs. 1 KVG
), wobei das Versicherungsverhältnis beim bisherigen Versicherer erst endet, wenn ihm der neue Versicherer mitgeteilt hat, dass die betreffende Person bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes versichert ist (
Art. 7 Abs. 5 Satz 1 KVG
). Sobald der bisherige Versicherer die Mitteilung erhalten hat, informiert er die betroffene Person, ab welchem Zeitpunkt sie nicht mehr bei ihm versichert ist (
Art. 7 Abs. 5 Satz 3 KVG
).
Die Vollstreckung der finanziellen Verpflichtungen der Versicherten gegenüber dem Versicherer (Prämien gemäss
Art. 61 ff. KVG
und Kostenbeteiligung nach
Art. 64 KVG
) sowie die Folgen der Nichterfüllung sind weder formellgesetzlich geregelt noch beauftragt das Gesetz den Bundesrat, hierzu und zum Wechsel des Versicherers nähere Bestimmungen zu erlassen. Nach
Art. 96 KVG
ist der Bundesrat aber mit dem Gesetzesvollzug beauftragt; er erlässt die Ausführungsbestimmungen.
BGE 125 V 266 S. 269
b) Im Zusammenhang mit dem Zahlungsverzug der Versicherten bestimmt
Art. 9 Abs. 3 KVV
, dass der bisherige Versicherer säumige Versicherte, die den Versicherer wechseln wollen, erst dann aus dem Versicherungsverhältnis entlassen darf, wenn die ausstehenden Prämien oder Kostenbeteiligungen vollständig bezahlt sind. Im Übrigen hat der Versicherer das Vollstreckungsverfahren einzuleiten, falls Versicherte fällige Prämien oder Kostenbeteiligungen trotz Mahnung nicht bezahlen (
Art. 9 Abs. 1 KVV
). Nach Ausstellung eines Verlustscheines und Meldung an die Sozialhilfebehörde kann der Versicherer die Übernahme der Kosten für die Leistungen aufschieben, bis die ausstehenden Prämien oder Kostenbeteiligungen vollständig bezahlt sind; nach deren Begleichung hat der Versicherer die Kosten für die Leistungen während der Zeit des Aufschubes zu übernehmen (
Art. 9 Abs. 2 KVV
). Kann das Vollstreckungsverfahren gegen Versicherte, auf welche die schweizerische Gesetzgebung über die Sozialhilfe nicht anwendbar ist, nicht durchgeführt werden oder hat es keine Zahlung der Prämien oder Kostenbeteiligung zur Folge, kann der Versicherer nach schriftlicher Mahnung und Hinweis auf die Folgen des Zahlungsverzuges das Versicherungsverhältnis beenden (
Art. 9 Abs. 4 KVV
).
3.
a) Nach Ansicht der Vorinstanz ist
Art. 9 Abs. 3 KVV
mit dem gesetzlich verankerten Grundsatz der freien Wahl des Versicherers nicht vereinbar. Weder die gesetzlichen Bestimmungen zum Wechsel des Versicherers noch diejenigen zur Prämienzahlungs- und Kostenbeteiligungspflicht der Versicherten würden dem Bundesrat die Befugnis geben, den Versicherungswechsel an zusätzliche Bedingungen zu knüpfen. Eine solche könne auch aus dem allgemeinen Vollzugsauftrag nicht abgeleitet werden. Die vom Bundesrat getroffene Lösung sei nicht sachgerecht, da sie Versicherte, die sich in guten Treuen über ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherer stritten, zur Zahlung des in Frage stehenden Betrages oder zum Verzicht auf den Kassenwechsel zwingen würde. Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche stehe den Versicherern die ordentliche Zwangsvollstreckung offen. Die Doppelversicherung sei vom Gesetzgeber nicht gewollt, und Schwierigkeiten bezüglich der Prämienzahlungspflicht sowie Streitigkeiten zwischen den Versicherern über die Leistungspflicht seien voraussehbar.
b) Die Beschwerdeführerin hält die fragliche Verordnungsbestimmung für gesetzmässig. Sie beruft sich dabei auf den in
Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG
statuierten Grundsatz der Gegenseitigkeit und Gleichbehandlung der Versicherten, der bedeute, dass die Versicherten als Gegenleistung für den
BGE 125 V 266 S. 270
Versicherungsschutz ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Versicherer nachzukommen hätten. In RKUV 1997 Nr. KV 12 S. 301 habe das Eidg. Versicherungsgericht
Art. 9 Abs. 3 KVV
nicht als gesetzwidrig erachtet, weshalb die Bestimmung bis zu einem gegenteiligen Gerichtsentscheid anwendbar sei. Das BSV weist zusätzlich darauf hin, dass eine entsprechende Regelung bereits in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung III zum KUVG - ohne ausdrückliche Delegationsnorm im KUVG - enthalten war.
4.
In der Literatur äussern sich EUGSTER ausführlich und DUC beiläufig zur Gesetzmässigkeit von
Art. 9 Abs. 3 KVV
, während MAURER die Gesetzmässigkeit von
Art. 9 Abs. 4 KVV
anzweifelt, jedoch zu Abs. 3 desselben Artikels keine Ausführungen macht (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 39 und Fn. 77, 78 sowie Fn. 827; DUC, Non-paiement des primes de l'assurance-maladie obligatoire et suspension du droit aux prestations selon la LAMal; compensation dans le cadre de la LAMal, in: LAMal-KVG, Recueil de travaux en l'honneur de la Société suisse de droit des assurances, Lausanne 1997, S. 464 ff.; MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel 1996, S. 41).
EUGSTER erblickt im Bereich der Sanktionen beim Prämienzahlungsverzug eine echte Lücke und erachtet den Eingriff in
Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG
zu deren effizienten Behebung als notwendig, da sich sonst eine säumige Person durch einen Versichererwechsel der Leistungssperre oder einer möglichen Verrechnung von Leistungsansprüchen mit ausstehenden Prämien entziehen könnte. Der Eingriff müsse indessen im Einzelfall verhältnismässig sein und sei insbesondere nur zulässig, wenn er sich zur Sicherstellung eines lückenlosen Versicherungsschutzes als notwendig erweise. Säumnis im Sinne von
Art. 9 Abs. 3 KVV
sei bei Verzug anzunehmen, was eine rechtzeitige Mahnung vor Ablauf des Kündigungstermins verlange; Kostenbeteiligungen, die kurz vor oder gar erst nach dem Kündigungstermin fällig werden, könnten demnach nicht zum Anlass für eine Verweigerung des Versichererwechsels genommen werden. Ferner habe der Versicherer die versicherte Person vor Ablauf des Kündigungstermins auf die Unzulässigkeit des Versichererwechsels bei weiterer Säumnis hinzuweisen (EUGSTER, a.a.O., Rz. 39 und Fn. 77, 78 sowie Fn. 827).
DUC wirft die Frage der Gesetzmässigkeit von
Art. 9 KVV
im Hinblick auf das
BGE 125 V 266 S. 271
Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage auf und bejaht das Vorliegen einer echten Lücke, die auf dem Verordnungsweg habe gefüllt werden dürfen. Die Gesetzmässigkeit der Leistungssperre bei Prämienverzug gemäss
Art. 9 Abs. 2 KVV
zweifelt er indessen in dem Sinne an, dass die Lücke analog den Bestimmungen des VVG - ohne rückwirkende Leistungspflicht bei nachträglicher Prämienzahlung - hätte gefüllt werden müssen. Die Regelungen von
Art. 9 Abs. 3 und 4 KVV
bezeichnet er als "pour le moins curieuses", geht aber nicht näher auf sie ein (DUC, a.a.O., S. 464 ff.).
5.
a) Mit dem Verbot des Versichererwechsels im Säumnisfall gemäss
Art. 9 Abs. 3 KVV
wird ein indirekter Druck auf die einen Wechsel des Versicherers anstrebende versicherte Person hervorgerufen, vor dem Wechsel ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber ihrem derzeitigen Versicherer nachzukommen. Gleichzeitig wird die Freiheit des Versichererwechsels gemäss
Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG
erschwert. Die Praxis zeigt, dass zur Klärung von Kassenforderungen gelegentlich längere Zeit benötigt wird, während der die Wirksamkeit der Kündigung fraglich ist und gegebenenfalls immer weitere Prämien fällig werden, die - bei Gültigkeit der Verordnungsbestimmung - die Wirksamkeit der Kündigung weiter verzögern. Durch diesen Mechanismus kann das Kündigungsrecht nicht nur für kurze Zeit hinausgeschoben werden.
Das Verbot des Versichererwechsels im Säumnisfall stellt eine verwaltungsrechtliche Sanktion dar, mit der die Erfüllung der Pflicht zur Prämienzahlung und Kostenbeteiligung gemäss
Art. 62 ff. KVG
erzwungen werden soll (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 235 Rz. 913).
b) Zu den wichtigsten Zielen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 gehören die Einführung des Krankenpflegeversicherungsobligatoriums und die Eindämmung der Kostensteigerung im Gesundheitswesen, der unter anderem durch den Wettbewerb unter den Versicherern begegnet werden soll. Im System der Mehrfachträgerschaft des Versicherungsobligatoriums gewährleisten verschiedene Bestimmungen die rechtliche und faktische Freiheit des Versichererwechsels. Faktische Freiheit besteht etwa durch die Unabhängigkeit der Prämienhöhe vom Eintrittsalter (
Art. 61 KVG
).
Art. 7 KVG
regelt die rechtliche Freiheit des Versichererwechsels einerseits durch Statuierung von Kündigungsfristen und -terminen (Abs. 1 und 2), anderseits durch die Bestimmung, dass das Versicherungsverhältnis nur bei Bestätigung eines neuen
BGE 125 V 266 S. 272
Versicherungsverhältnisses endet (Abs. 5). Während Kündigungsfristen und -termine den administrativen Ablauf vereinfachen, bezweckt
Art. 7 Abs. 5 KVG
die Vermeidung von - mit dem Versicherungsobligatorium unverträglichen - Versicherungslücken (Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 93 ff., insbesondere 144; Amtl.Bull. 1992 S 1287, 1993 N 1729, 1993 S 1048).
c) Vorerst ist zu prüfen, ob
Art. 7 KVG
dahingehend zu verstehen ist, dass weiter gehende als in dieser Bestimmung enthaltene Kündigungseinschränkungen unzulässig sind, weil die gesetzgebenden Behörden diesbezüglich qualifiziert geschwiegen haben, womit jede Lückenfüllung gesetzwidrig wäre.
Das Verbot des Versichererwechsels bei Säumnis - bis zur Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen - gemäss
Art. 9 Abs. 3 KVV
widerspricht offensichtlich dem Gesetzeszweck der Vermeidung von Versicherungslücken (
Art. 7 Abs. 5 KVG
) nicht (sondern birgt vielmehr das Risiko der Doppelversicherung in sich). Es steht hingegen in einem Spannungsverhältnis zu der bei Berücksichtigung von Fristen und Terminen gewährleisteten Kündigungsfreiheit gemäss
Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG
.
Nachdem die Frage der Gesetzmässigkeit von
Art. 9 Abs. 3 KVV
in RKUV 1997 Nr. KV 12 S. 298 nicht aufgeworfen worden war, hatte sich das Eidg. Versicherungsgericht hinsichtlich Einschränkungen der Kündigungsfreiheit bisher nur zur Gesetzmässigkeit von
Art. 94 Abs. 2 KVV
zu äussern, wonach bei einer Versicherung mit wählbarer Franchise der Wechsel zu einem anderen Versicherer frühestens ein Jahr nach dem Beitritt zu dieser besonderen Versicherungsform, unter Einhaltung der in
Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG
festgesetzten Kündigungsfristen auf das Ende eines Kalenderjahres möglich ist. Das Gericht erachtete die Verordnungsbestimmung als gesetzmässig; der Bundesrat habe die ihm in
Art. 62 Abs. 2 KVG
delegierte Befugnis zur Zulassung weiterer Versicherungsformen nicht überschritten, zumal eine längere Versicherungsdauer wegen der Eigenart dieser Versicherungsform erforderlich sei (RKUV 1998 Nr. KV 39 S. 378 Erw. 3c).
Art. 7 KVG
schliesst damit weiter gehende Kündigungsbeschränkungen nicht von vornherein aus.
6.
a) Zu entscheiden ist aber vorliegend, ob der Bundesrat zum Zwecke der Vollstreckung der Prämienzahlungs- und Kostenbeteiligungspflicht der Versicherten deren Kündigungsfreiheit einschränken durfte. Wie bereits
BGE 125 V 266 S. 273
erwähnt (Erw. 2a), enthalten die Art. 61 bis 64 KVG wie auch
Art. 7 KVG
keine Delegationsbestimmung, die den Bundesrat in diesem Bereich zum Erlass gesetzesergänzender (GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 95 ff.) bzw. gesetzesvertretender (HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 27 Rz. 107 f.) Rechtsverordnungen ermächtigen würde. Darin unterscheidet sich der vorliegende von dem in RKUV 1998 Nr. KV 39 S. 375 ff. beurteilten Fall (Erw. 5c).
b) Die Kompetenz des Bundesrates zum Erlass von Vollziehungsverordnungen ist in der allgemeinen, von
Art. 102 Ziff. 5 BV
eingeräumten Vollzugskompetenz enthalten (HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 27 Rz. 110).
Art. 96 KVG
wiederholt diese Vollzugskompetenz, indem er den Bundesrat mit dem Erlass der Ausführungsbestimmungen beauftragt. Fraglich ist, ob der Bundesrat mit der Regelung in
Art. 9 Abs. 3 KVV
im Rahmen der Gesetzesausführung geblieben ist.
Ausführungsverordnungen sollen Gesetzesbestimmungen verdeutlichen, soweit nötig das Verfahren regeln und (echte) Lücken ausfüllen. Sie dürfen nicht im Vergleich zum Gesetz zusätzliche Beschränkungen auferlegen, selbst wenn diese mit dem Gesetzeszweck im Einklang stehen; Ansprüche, die aus dem Gesetz hervorgehen, kann eine Vollzugsverordnung nicht beseitigen (GYGI, a.a.O., S. 93 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 27 Rz. 109).
c) Die Erfüllung der Prämienzahlungs- und der Kostenbeteiligungspflicht durch die Versicherten ist für die Finanzierung der Krankenpflegeversicherung (
Art. 60 ff. KVG
) und damit den Gesetzesvollzug unentbehrlich. Hinsichtlich der Sanktionen, mit denen die Erfüllung dieser verwaltungsrechtlichen Pflichten erzwungen wird (HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 235 ff.), bestimmt
Art. 88 Abs. 2 KVG
, dass die gemäss
Art. 88 Abs. 1 KVG
vollstreckbaren Verfügungen und Einspracheentscheide, die auf Geldzahlung (oder Sicherheitsleistung) gerichtet sind, vollstreckbaren Urteilen im Sinne von
Art. 80 SchKG
gleichstehen. Nach dem Willen der gesetzgebenden Instanzen haben die Versicherer ihre Geldforderungen auf dem Weg der Zwangsvollstreckung gemäss SchKG durchzusetzen. Weitere Formen des Verwaltungszwangs sind formellgesetzlich nicht vorgesehen.
Im Hinblick auf die Möglichkeit der Vollstreckung gemäss SchKG weist die gesetzliche Ordnung keine echte Lücke auf, die mit einer Vollziehungsverordnung gefüllt werden müsste. Das Fehlen weiterer
BGE 125 V 266 S. 274
gesetzlicher Vollzugsmassnahmen wäre als unechte Lücke zu bezeichnen, zu deren Schliessung der Bundesrat (mit der Begründung der Lückenfüllung) nicht berufen ist. Im Übrigen wäre auch bei Annahme einer echten Lücke fraglich, ob diese im Sinne eines Aufschubes des Kündigungsrechts gefüllt werden dürfte, nachdem die übrigen Sozialversicherungsgesetze mit Mehrfachträgerschaft (UVG, BVG) eine vergleichbare Bestimmung nicht kennen (vgl.
BGE 119 V 298
; vgl. auch die in Erw. 4 erwähnte Auffassung von DUC, a.a.O., S. 464 ff., wonach die Regelung des VVG übernommen werden sollte, da die obligatorischen Versicherungen als Kollektivversicherungen mit Beitragspflicht der Arbeitgeberschaft ausgestaltet sind und die Berücksichtigung dieser sozialversicherungsrechtlichen Regelungen im Bereich der Individualversicherung gemäss KVG nicht angezeigt ist).
d) Kasse und BSV erblicken die erforderliche gesetzliche Grundlage im Grundsatz der Gegenseitigkeit, der gemäss
Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG
auch im neuen Recht gilt. Tatsächlich erachtete das Eidg. Versicherungsgericht die in Kassenstatuten vorgesehene Leistungseinstellung für die Dauer des Prämienverzugs als mit dem Gegenseitigkeitsprinzip vereinbar (
BGE 111 V 318
; RKUV 1990 Nr. K 847 S. 252). Diese Frage ist hier für das neue Recht nicht zu entscheiden. Die vorliegend zu beurteilende Sanktion unterscheidet sich jedenfalls wesentlich von der Leistungssperre bei Prämienverzug, die einen Rückbehalt der Leistung bis zum Erbringen der Gegenleistung bedeutet. Bei der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Prämienverzug fehlt es an diesem sachlichen Zusammenhang, und es ist nicht einzusehen, inwiefern die Fortdauer des Versicherungsverhältnisses säumiger Versicherter die Gleichbehandlung der Versicherten gewährleistet. Das Gegenseitigkeitsprinzip reicht nicht als gesetzliche Grundlage jeglicher verwaltungsrechtlicher Sanktion aus.
e) Inwieweit Sanktionen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, ist in der Doktrin umstritten. So wird die Auffassung vertreten, es sei keine gesetzliche Grundlage erforderlich, wenn die Sanktion nur eine Verpflichtung darstelle, die an die Stelle derjenigen trete, welche die Pflichtigen nicht erfüllt hätten, um zum selben Resultat zu gelangen (z.B. verfügter Abbruch einer Baute und Abbruch auf dem Weg der Ersatzvornahme); anders verhalte es sich aber, wenn die Sanktion eine neue Verpflichtung begründe, welche nicht darauf hinziele, den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen (MOOR, Droit administratif, Bd. II, S. 65 ff.; HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 237 Rz. 918).
BGE 125 V 266 S. 275
Während nach der Rechtsprechung die Statuierung von Strafnormen in Vollziehungsverordnungen nicht gänzlich ausgeschlossen ist (RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Nr. 8 B IIc, S. 22, und GYGI, a.a.O., S. 94, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung), bedürfen administrative Rechtsnachteile wie Bewilligungs- und Leistungsentzüge einer formellgesetzlichen Grundlage (RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Nr. 49 B VII, S. 156 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; KNAPP, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, S. 439).
f) Das Verbot des Versichererwechsels gemäss
Art. 9 Abs. 3 KVV
dürfte am ehesten als administrativer Rechtsnachteil zu qualifizieren sein, indem die säumigen Versicherten bis zur Erfüllung ihrer Pflichten das Kündigungsrecht verlieren. Hiefür wäre eine formellgesetzliche Grundlage erforderlich. Die Frage der Einordnung kann aber vorliegend offen bleiben. Entscheidend ist nämlich, dass die verordnungsmässige Sanktionsbestimmung das in
Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG
statuierte Recht, unter Einhaltung der entsprechenden Fristen und Termine den Versicherer zu wechseln, einschränkt, obwohl das Gesetz die nähere Regelung der Vollstreckung der Kassenforderungen nicht an den Bundesrat delegiert hat.
Da das KUVG die Regelung des Kündigungsrechts der statutarischen Bestimmung der Kassen überliess, hat der Hinweis des Bundesamtes auf den vergleichbaren Art. 7 Abs. 2 Vo III zum KUVG - dessen Gesetzmässigkeit vom Eidg. Versicherungsgericht nie zu beurteilen war - unter dem neuen Recht keine durchdringende Bedeutung.
Zufolge Fehlens einer Delegationsnorm überschreitet somit der streitige
Art. 9 Abs. 3 KVV
den einer Vollziehungsbestimmung gesetzten Rahmen, wie das kantonale Gericht zu Recht entschieden hat.
7.
Der Beschwerdegegner hat der Kasse die Kündigung unter Einhaltung der in
Art. 7 Abs. 1 KVG
statuierten Fristen und Termine mitgeteilt, und die neue Kasse hat die Beschwerdeführerin über die Aufnahme des Beschwerdegegners auf den 1. Januar 1998 informiert. Der Umstand, dass er die Prämien für das zweite Halbjahr per Ende 1997 noch nicht bezahlt hatte, hindert nach dem Gesagten die Wirksamkeit der Kündigung auf den 1. Januar 1998 nicht. Demzufolge schuldet er der Kasse ab diesem Zeitpunkt auch keine Prämien mehr.
8.
(Kosten und Parteientschädigung) | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a7e917b2-c551-4b25-9f2d-5827184c15cc | Urteilskopf
121 III 256
51. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 2 juin 1995 dans la cause C. contre A. (recours en réforme) | Regeste
Grundstückkauf; Schuldübernahme; Hypothekarzins (
Art. 832 und 834 ZGB
; Art. 175, 176, 183 und 220 OR).
Dem Erwerber eines pfandbelasteten Grundstückes, der die Schuldpflicht übernimmt, obliegt die Zahlung der Schuldzinsen vom Zeitpunkt an, an dem er den Nutzen der Sache hat. | Sachverhalt
ab Seite 257
BGE 121 III 256 S. 257
A.-
C. était propriétaire, sur la parcelle 7695 de la commune de Sion, des PPE 30780 et 30781. Elles étaient grevées de deux hypothèques en faveur de la Banque cantonale du Valais (ci-après: BCV).
Par acte du 23 mars 1990 notarié X., C. a vendu ses immeubles à A. pour le prix de 550'000 fr. Aux termes de l'acte, il était payable par la reprise des hypothèques existantes, le solde devant être versé "au retour de l'acte". Le contrat prévoyait en outre que "la prise de possession est immédiate". En fait, elle avait déjà eu lieu le 1er mars 1990.
Le 2 avril 1990, la BCV a informé l'acheteuse qu'elle lui accordait le prêt sollicité, soit 500'000 fr. Pour solder le prix d'achat, A. a versé 50'000 fr. à C. le 12 juillet 1990, soit pratiquement "au retour de l'acte".
Le transfert de propriété a été opéré au registre foncier le 29 mai 1990.
Postérieurement à la passation de l'acte de vente, C. a continué à verser des intérêts à la BCV jusqu'aux 20 et 30 juin 1990, soit 8'573 fr. 05. Le 5 juillet suivant, C. a vainement réclamé ce montant à A.
B.-
Le 26 avril 1991, C. a introduit une action en paiement de cette somme contre A. La défenderesse a conclu au rejet de la demande.
Par jugement du 4 janvier 1994, le Tribunal cantonal du canton du Valais a condamné la défenderesse à payer 2'222 fr. au demandeur.
C.-
Le demandeur recourt en réforme contre ce jugement. Il reprend ses conclusions. La défenderesse conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) La vente d'un immeuble n'emporte pas par elle-même changement du débiteur de la dette garantie par le gage immobilier. Ce principe est
BGE 121 III 256 S. 258
consacré à l'
art. 832 al. 1 CC
, lequel dispose que l'aliénation de l'immeuble hypothéqué n'apporte, sauf convention contraire, aucun changement à l'obligation du débiteur et à la garantie. Toutefois, d'après l'
art. 832 al. 2 CC
, l'acquéreur peut se charger de la dette, ce qui a pour effet de libérer le débiteur primitif à moins que le créancier ne lui déclare par écrit, dans l'année, qu'il entend ne pas renoncer à ses droits contre lui. Si l'acquéreur se charge de la dette, le conservateur du registre en avise le créancier (
art. 834 al. 1 CC
).
La reprise de la dette par l'acquéreur de l'immeuble suppose la conclusion de deux contrats, savoir, d'une part, une promesse du nouveau débiteur de libérer l'ancien (
art. 175 CO
; reprise de dette interne) et, d'autre part, une convention entre le reprenant et le créancier (gagiste) aux termes de laquelle ce dernier accepte le nouveau débiteur (art. 176 s. CO; reprise de dette externe). Les
art. 832 et 834 CC
, qui sont réservés par l'
art. 183 CO
, modifient partiellement les conditions de la reprise de dette externe (cf. STEINAUER, Les droits réels, III, n. 2822).
b) La reprise de dette interne est le contrat passé entre le débiteur et le reprenant - possible - en vertu duquel celui-ci promet au débiteur de reprendre sa dette (cf.
art. 175 al. 1 CO
; SPIRIG, Commentaire zurichois, n. 2 ad
art. 175 CO
; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht. Allgemeiner Teil, II, 5e éd. 1991, n. 3691). Contrairement à ce que la note marginale de l'
art. 175 CO
pourrait suggérer, ce contrat ne produit pas à lui seul le transfert de la qualité de débiteur (SPIRIG, op.cit., n. 3 ad
art. 175 CO
). La promesse ne constitue que les préliminaires de la reprise de dette externe (ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 601; SPIRIG, op.cit., n. 6 ad
art. 175 CO
). Pour le créancier gagiste, la convention de reprise interne est une res inter alios acta (
ATF 110 II 340
consid. 1a et la référence). Ses droits demeurent intacts (ENGEL, op.cit., p. 600). On est ainsi en présence d'une reprise de l'exécution de l'obligation (Erfüllungsübernahme;
ATF 110 II 340
consid. 1a cité).
La reprise de dette externe, soit le contrat passé entre le reprenant et le créancier (
art. 176 al. 1 CO
), a pour effet de libérer l'ancien débiteur; le reprenant devient, quant à lui, le nouveau débiteur de la dette (GAUCH/SCHLUEP, op.cit., n. 3703). La dette demeure la même (GAUCH/SCHLUEP, op.cit., n. 3715 s.). Il n'en va pas différemment lorsqu'il est question de la reprise d'une dette garantie par une hypothèque (cf.
art. 832 al. 2 CC
; cf. aussi STEINAUER, op.cit., n.
BGE 121 III 256 S. 259
2823a). Dans cette hypothèse toutefois, l'aliénateur ne sera en règle générale libéré qu'après le transfert de la propriété; à défaut d'une clause contractuelle expresse, il ne peut pas exiger de l'être au moment même de ce transfert (
ATF 57 II 315
consid. 1, en particulier p. 319 s.).
c) Il résulte de ces principes que la reprise de dette, interne et externe, et, partant, les
art. 832 et 834 CC
, règlent uniquement le transfert de la qualité de débiteur (cf. GAUCH/SCHLUEP/TERCIER, Partie générale du droit des obligations, II, 2e éd. 1982, n. 2254) et les conséquences de ce transfert, soit, en d'autres termes, les droits et les obligations de l'ancien, puis du nouveau débiteur vis-à-vis du créancier. Quant à une éventuelle action récursoire du reprenant ou du débiteur qui a désintéressé le créancier, celle-ci est exclusivement fonction de leurs relations internes (cf. SPIRIG, op.cit., n. 83 ad
art. 175 CO
).
Ainsi, la question de savoir si le demandeur peut réclamer à la défenderesse les intérêts qu'il a payés au créancier gagiste, jusqu'aux 20 et 30 juin 1990, doit être tranchée au regard des seuls rapports qui les lient, savoir le contrat de vente et les circonstances dans lesquelles il a été conclu. A la différence de la présente cause, le contrat de vente n'avait pas été conclu dans l'ATF 57 cité, sur lequel la cour cantonale s'est basée. Dans cet arrêt, le Tribunal fédéral n'avait donc pas à examiner le problème qui se pose en l'espèce, mais seulement celui de la résolution, selon l'
art. 107 CO
, d'une promesse de vente par la partie qui avait promis d'acheter et de son droit de répéter ce qu'elle avait déjà payé.
4.
a) Selon l'
art. 220 CO
, lorsqu'un terme a été fixé conventionnellement pour la prise de possession de l'immeuble vendu, les profits de la chose sont présumés ne passer à l'acquéreur que dès l'échéance de ce terme. Les profits comprennent les fruits naturels et civils, les loyers et les fermages (COMMENT, Vente d'immeubles III. Les effets de la vente, in FJS 226, p. 2). Bien que cette disposition ne parle pas des charges, soit notamment des charges foncières, des intérêts hypothécaires et des impôts fonciers, il est admis qu'elles sont la contrepartie des profits (OR-KOLLER, n. 7 ad
art. 220 CO
; COMMENT, loc.cit.). Dans le doute, il faut partir de l'idée que ces charges incombent à l'acheteur dès l'instant où il a droit aux profits (OR-KOLLER, loc.cit.; SCHUMACHER, Die Haftung des Grundstückverkäufers, in Der Grundstückkauf, p. 227 n. 559). S'il n'y a pas coïncidence entre la prise de possession et l'inscription au registre foncier, la première est déterminante (CAVIN, La vente. L'échange. La
BGE 121 III 256 S. 260
donation, in Traité de droit privé suisse, VII/I/1, p. 133; KELLER/SIEHR, Kaufrecht, 3e éd. 1995, p. 137). Lorsqu'un terme a été fixé et qu'aucune réglementation n'a été adoptée pour le transfert des profits, ceux-ci ne passent à l'acquéreur qu'à partir de la prise de possession, et non pas déjà dès la conclusion du contrat (KELLER/SIEHR, loc.cit.; OR-KOLLER, op.cit., n. 1 ad
art. 220 CO
; cf. aussi TERCIER, Les contrats spéciaux, 2e éd. 1995, n. 617 et 695).
b) En l'espèce, les parties sont convenues d'une prise de possession immédiate alors même qu'elle était intervenue antérieurement. Cette circonstance est sans incidence car le demandeur n'a pas réclamé à la défenderesse le paiement des intérêts hypothécaires pour la période allant de la prise effective de possession à celle indiquée dans le contrat. En conséquence, les intérêts hypothécaires doivent être supportés par la défenderesse dès la signature du contrat, le 23 mars 1990, puisqu'à ce moment elle bénéficiait des profits de l'immeuble.
Il n'est pas nécessaire d'examiner les autres moyens soulevés par le demandeur, le recours devant être admis pour les raisons qui viennent d'être exposées. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a7ea204f-453a-4211-9564-4ac5d68c430f | Urteilskopf
101 II 346
58. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 16 septembre 1975 dans la cause Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents contre dame U. et dame C. | Regeste
Automobilhaftpflicht.
Art. 36 Abs. 4 SVG
. Pflichten des Führers, der sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen will (Erw. 1c-d).
Art. 45 Abs. 3 OR
. Festsetzung des für die Berechnung der Entschädigung massgebenden Verdienstes des Versorgers.
Art. 47 OR
. Bestimmung der Genugtuungssumme unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Opfers.
Art. 60 Abs. 1 und 2 SVG
. Teilung der Haftung, Rückgriffsklage des Verantwortlichen, der einen Dritten abgefunden hat. (Erw. 1e, 9). | Sachverhalt
ab Seite 347
BGE 101 II 346 S. 347
A.-
Un accident de la circulation s'est produit le 11 février 1965 vers 20 h. 40 sur la route de Frontenex à Genève. X., âgé de 18 ans et demi, qui circulait sur cette artère en direction de la ville, au volant de la voiture de sa mère, à une vitesse de 80 à 100 km/h, a violemment heurté l'arrière gauche de la voiture conduite par U. Celui-ci venait de quitter le bord droit de la route de Frontenex, où il stationnait à l'intersection de cette route avec la rue des Vollandes, et achevait d'engager son véhicule dans la circulation, en direction de la ville. Grièvement blessé, U. est décédé le 17 février 1965. Son épouse, passagère du véhicule, a été sérieusement blessée.
Les époux U., tous deux nés en 1923, avaient deux enfants, nés en 1951 et 1956.
B.-
En 1967, dame U., agissant pour elle-même et ses enfants mineurs, a ouvert action contre l'Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents, qui assurait la responsabilité civile du détenteur de la voiture X., en paiement de diverses sommes à titre de dommages-intérêts pour préjudice matériel, perte de soutien et tort moral. Elle a formé en 1968 une deuxième demande pour son propre dommage, issu des lésions corporelles consécutives à l'accident. Les deux causes ont été jointes. En 1971, Mlle U., devenue majeure et mariée, a agi personnellement sous le nom de dame C.
La défenderesse a conclu à ce qu'il lui fût donné acte des versements déjà opérés en faveur des demandeurs, au déboutement de ceux-ci de toutes autres conclusions et, à titre récursoire, à la condamnation de l'hoirie U. "à relever et garantir la Mutuelle vaudoise à concurrence de 50% de l'indemnité que celle-ci pourrait encore être condamnée à payer à dame U. pour son préjudice personnel".
Par jugement du 23 novembre 1971, le Tribunal de première instance de Genève a alloué diverses indemnités à dame U., pour elle-même et son fils P. ainsi que pour son dommage personnel, et à dame C. Il a en outre condamné l'hoirie U. "à relever et garantir la défenderesse à concurrence de 20% de l'indemnité" allouée à dame U. pour son préjudice personnel, soit à payer à la défenderesse 4'755 fr. 70 avec intérêt, ce montant étant imputable sur les sommes dues aux demandeurs. Le tribunal a considéré que la responsabilité de l'accident incombait pour 80% au conducteur X. et pour 20% à l'automobiliste U. et a dès lors admis dans cette proportion
BGE 101 II 346 S. 348
l'action récursoire de la défenderesse, selon l'art. 60 al. 2 LCR.
Par arrêt du 20 décembre 1974, la Cour de justice du canton de Genève a réformé ce jugement, considérant que l'éventuelle erreur d'appréciation commise par U. n'était pas de nature à justifier un partage des responsabilités, et que partant la défenderesse répondait entièrement du dommage.
C.-
La défenderesse recourt en réforme au Tribunal fédéral en reprenant ses conclusions libératoires, acte lui étant donné de ses versements et de ce qu'elle a "remboursé le recours de la Caisse nationale, à raison de la capitalisation des rentes de perte de soutien versées par cette institution aux ayants droit de feu U., soit 111'185 fr. 40". Au cas où elle devrait payer une indemnité pour le préjudice personnel de dame U., la défenderesse demande que l'hoirie U. soit condamnée "à la relever et garantir à concurrence d'une part équivalente à celle qui sera retenue à charge de feu U., en raison de sa faute concomitante, pour le partage des responsabilités", les montants ainsi arrêtés étant imputés sur les indemnités encore dues aux intimés. Subsidiairement, elle propose le renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour nouveau jugement dans le sens des considérants.
Les intimés concluent au rejet du recours.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
A l'appui de son opinion selon laquelle l'erreur d'appréciation "éventuelle" commise par U. ne serait pas fautive, la Cour de justice considère que ce conducteur ne pouvait apercevoir la voiture de X. qu'après avoir accompli une bonne part de sa manoeuvre; se trouvant sur une artère urbaine où la vitesse est limitée à 60 km/h, il n'avait pas à présumer que le véhicule qu'il voyait arriver ne respectait pas cette limitation et roulait beaucoup trop vite, d'autant plus que la nuit rendait l'appréciation de la vitesse difficile.
La recourante conteste ce point de vue et estime que les fautes commises par le conducteur U. justifient une répartition par moitié des responsabilités. Cet automobiliste n'aurait en
BGE 101 II 346 S. 349
effet pas pris les précautions nécessaires pour quitter un stationnement irrégulier, aurait engagé son véhicule dans la circulation sans s'arrêter au moment où son champ visuel embrassait l'artère prioritaire et aurait coupé la route à la voiture X., dont il aurait mal apprécié la vitesse et la proximité alors que l'obscurité lui commandait une prudence particulière.
a) Les fautes de l'automobiliste X. sont incontestées. Il a tout d'abord, selon les termes de l'arrêt déféré, roulé "beaucoup trop vite", eu égard à la limitation de 60 km/h valable s'agissant d'une artère urbaine, ainsi qu'aux conditions de la route et du moment. Il ressort du jugement de première instance, dont l'autorité cantonale déclare faire sien en principe l'état de fait, que "X. devait circuler à une vitesse de 80 à 100 km/h", le premier juge reprenant cette estimation dans ses considérants. La vitesse de X. n'a donc pas pu être établie avec précision, mais elle se situe, selon une constatation souveraine des juridictions cantonales, entre un minimum de 80 km/h et un maximum de 100 km/h. Dans la mesure où les parties remettent en cause cette appréciation, leurs allégations sont irrecevables en instance de réforme (art. 55 al. 1 litt. c, 63 al. 2 OJ).
X. a en outre détourné son attention de la route, ayant aperçu sur sa droite la voiture d'une connaissance; c'est ce moment d'inattention qui l'a empêché de réagir plus tôt pour tenter d'éviter la collision avec la voiture U.; l'exclamation de son passager: "fais attention" prouve que celui-ci a vu l'obstacle avant le conducteur.
Ces fautes, objectivement et subjectivement graves, sont manifestement en rapport de causalité avec l'accident et ses conséquences.
c) Aux termes de l'art. 36 al. 4 LCR, le conducteur qui veut engager son véhicule dans la circulation ne doit pas entraver - plus exactement: gêner (cf. le terme allemand "behindern"; art. 14 al. 1 OCR; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, n. 4.1 ad art. 36 LCR) - les autres usagers de la route, qui bénéficient de la priorité. Réintroduire dans le flot de la circulation un véhicule en stationnement nécessite certaines précautions élémentaires, eu égard à la priorité des autres usagers et à la fluidité du trafic. La loi de 1958 a entériné sur ce point les principes que la jurisprudence
BGE 101 II 346 S. 350
avait dégagés de l'art. 25 LA et qui restent valables. Le conducteur qui entreprend une telle manoeuvre doit s'assurer consciencieusement que la chaussée est libre; il est partant tenu de regarder la route derrière lui, avec toute l'attention commandée par les circonstances, non seulement avant de démarrer, mais encore durant toute la manoeuvre; si la vue est masquée ou insuffisante, il lui incombe d'avancer prudemment jusqu'à ce qu'il soit certain que la voie est libre, de façon à pouvoir s'arrêter immédiatement pour respecter la priorité d'un usager qui surgirait alors (RO 83 IV 33 s., 84 IV 109, 89 IV 142 s.). Ces précautions s'imposent d'autant plus de nuit, l'appréciation des distances et des vitesses étant beaucoup plus difficile que de jour. Celui qui veut engager son véhicule dans la circulation doit tenir compte de la vitesse effective des véhicules prioritaires, et non de celle que leurs conducteurs devraient observer; il doit en outre considérer qu'il ignore de combien de temps il dispose et a besoin pour sa manoeuvre (RO 79 II 214 s., 82 II 538, 83 IV 35, 95 II 341).
d) Selon les constatations du premier juge, adoptées par l'arrêt déféré, la voiture d'U. a parcouru jusqu'au point de choc environ 13 mètres en 5 secondes, en décrivant un S à cause de la présence d'une voiture en stationnement; s'il roulait à 80 km/h, X. devait se trouver à 110 mètres lorsque la voiture d'U. a démarré; il ne pouvait la voir que durant les trois dernières secondes de la manoeuvre; quant à U., pendant ce même laps de temps, soit alors qu'il engageait effectivement sa voiture sur la route de Frontenex, il "devait et pouvait constater s'il y avait ou non un véhicule qui arrivait de Frontenex". Il ressort de ces constatations que la victime n'a pas observé les mesures de précaution qu'exige l'art. 36 al. 4 LCR, avant d'engager son véhicule dans la circulation. La difficulté d'estimer, de nuit, la vitesse du véhicule prioritaire et le temps qu'il mettrait à atteindre l'endroit d'où partait le conducteur U. devait inciter ce dernier à une prudence accrue. Il devait tenir compte de la vitesse effective de la voiture de X. et non de celle que son conducteur aurait dû observer. S'il l'a vue arriver, il lui incombait d'interrompre sa manoeuvre et de lui céder le passage. S'il ne l'avait pas aperçue, il répondrait alors d'une inattention manifeste. Dans l'une et l'autre hypothèse, la faute de la victime revêt un certain degré de gravité. Elle est en relation de causalité adéquate avec l'accident.
BGE 101 II 346 S. 351
e) Quant à la répartition des responsabilités, il y a lieu de considérer que la vitesse nettement excessive et l'inattention de l'automobiliste X. sont les causes prépondérantes de l'accident et de la gravité de ses conséquences. Mais le premier juge a quelque peu sous-estimé la faute de la victime en admettant qu'elle relevait "avant tout d'une erreur d'appréciation". Cette faute justifie un partage des responsabilités à raison de trois quarts à la charge du détenteur de la voiture X. et d'un quart pour celui du véhicule U.
3.
La Cour de justice a arrêté à 54'000 fr. le gain annuel moyen que la victime aurait probablement obtenu durant les 20 ans à venir, en se fondant sur le salaire de 53'600 fr. de son successeur, 7 ans après le décès. Elle a retenu ce montant pour calculer la perte de soutien de dame U., puis elle a fixé les sommes déterminantes pour les indemnités dues aux enfants à 35'000 fr. pour dame C. et à 40'000 fr. pour P. U., en considérant qu'il s'agissait de déterminer le gain probable du soutien entre la date de l'accident et celle de la majorité de ces deux demandeurs. La recourante propose de réduire ces chiffres à 27'000 fr. pour la veuve et à 25'000 fr. pour les enfants, eu égard au salaire de 21'600 fr. du défunt au moment de l'accident.
a) Selon les constatations du jugement de première instance - reprises par l'autorité cantonale -, la victime travaillait depuis dix ans environ dans l'entreprise Z. (fabrique de cadrans). Elle occupait depuis 1961 le poste de chef de fabrication et gagnait 1'800 fr. par mois au moment de son décès; elle aurait gagné 2'200 fr. jusqu'à fin 1965 et 2'500 fr. dès 1966, en qualité de chef de fabrication unique après le départ d'un sieur S. en juillet 1965. Pour remplacer U., l'entreprise a engagé sieur D., avec un salaire mensuel de 2'110 fr. Ce dernier a obtenu un traitement annuel de base de 36'000 fr. en 1969 et de 38'400 fr. en 1970, gratifications non comprises. Considérant d'une part la stagnation de la conjoncture, qui touche notamment toute l'industrie rattachée à l'horlogerie, d'autre part les qualités professionnelles et de caractère du défunt, le premier juge a arrêté un gain annuel moyen de 45'000 fr. pour la veuve et respectivement de 34'500 fr. et de 38'250 fr. pour les enfants.
b) Le Tribunal fédéral admet que le dommage issu de la perte de soutien doit être calculé au jour du décès, et que le
BGE 101 II 346 S. 352
juge doit faire preuve de retenue dans la prise en considération de faits postérieurs (RO 97 II 131 et les arrêts cités, 99 II 211). Il a jugé à propos de l'estimation du gain futur du soutien qu'on ne peut se fonder sans autre sur les salaires moyens au jour du jugement rendu en dernière instance cantonale (supérieurs à ceux de l'époque du décès), ni sur les revenus qui ne sont alors que prévisibles pour l'avenir; les salaires peuvent aussi diminuer; les circonstances existantes au moment du jugement ne sauraient être appréciées de façon unilatérale, dans l'intérêt d'une seule partie (RO 97 II 131 in fine).
c) Bien que la Cour de justice relève qu'"il convient de faire preuve de retenue dans l'estimation d'augmentations futures éventuelles de salaire", son appréciation est contraire à la jurisprudence précitée. En se fondant sur le salaire du successeur du défunt, sept ans après le décès de celui-ci, l'autorité cantonale a méconnu plusieurs éléments, qui commandaient de corriger cette base de calcul. Elle n'a pas suffisamment tenu compte du traitement de la victime au moment de l'accident, soit 21'600 fr. Son successeur a d'emblée gagné 300 fr. par mois de plus. Si l'on considère la lente progression du salaire du défunt avant l'accident, ainsi que l'évolution de la situation économique dans l'horlogerie, les prévisions de la Cour de justice tablant sur un salaire moyen supérieur de 150%, pour la veuve, à celui de l'époque du décès, sont nettement trop favorables à la demanderesse, même compte tenu de l'avancement professionnel probable du soutien.
La recourante fait en outre valoir, avec raison, que l'appréciation des juridictions cantonales revient à lui faire supporter trois facteurs cumulés de renchérissement: d'une part on capitalise au 11 février 1965 un salaire deux fois ou deux fois et demie plus élevé que le salaire effectif à cette date; d'autre part cette capitalisation se fait au taux de 3,5% des tables de Stauffer/Schaetzle; enfin la débitrice doit encore payer, sur le capital ainsi obtenu, un intérêt de 5% du 11 février 1965 à la date du jugement. Le taux de capitalisation de 3 1/2% par an constitue à l'heure actuelle, pour le bénéficiaire du capital, une compensation du renchérissement de près de 4% par an (STAUFFER/SCHAETZLE, Die Berücksichtigung der Teuerung bei der Bestimmung von Invaliditäts- und Versorgungsschäden, in RSJ 1975 p. 120; cf. aussi RO 96 II 447). La capitalisation au jour du décès de la rente pour perte de soutien
BGE 101 II 346 S. 353
entraîne en outre, en faveur du lésé, le paiement de l'intérêt légal dès ce jour (STAUFFER/SCHAETZLE, loc.cit.). Compte tenu de ces facteurs, les montants retenus par les juridictions cantonales comme salaires futurs probables du soutien déterminants pour les indemnités dues à la veuve et aux enfants sont excessifs au regard du revenu de 21'600 fr. au moment du décès.
Un montant annuel moyen de 37'500 fr., correspondant à une majoration de 73%, tient équitablement compte de toutes les circonstances, y compris les perspectives d'avancement de la victime.
Pour les enfants nés en 1951 et 1956, âgés de 14 et 9 ans lors de l'accident, la perte de soutien à indemniser a pris fin ou prendra fin à leur majorité, ce qui est incontesté. La durée des rentes temporaires à capitaliser est ainsi de 6 et 11 ans. Si l'on prend comme base de calcul le gain de 21'600 fr. en 1965, qui aurait passé à 30'000 fr. dès 1966, et que l'on tient compte d'une part de l'augmentation moyenne de l'indice des prix à la consommation jusqu'à l'échéance des rentes, d'autre part de la compensation du renchérissement dérivant du taux de capitalisation de 3 1/2%, on peut arrêter les gains annuels moyens déterminants à 30'000 fr. pour dame C. (1965 à 1971) et, pour P. U., à 33'500 fr. de 1972 à 1976.
4.
Quant à la part du revenu du défunt que celui-ci aurait normalement consacrée aux membres de sa famille, la Cour de justice déclare admettre "celle qui a été retenue par le Tribunal, soit 30% pour dame U. et 15% pour chacun de ses enfants mineurs, puis, dès la majorité de la fille aînée, 35% pour l'épouse et 20% pour le fils mineur, et, après la majorité de ce dernier, 40% pour l'épouse"; elle adopte cependant pour la veuve un taux moyen de 30%. La recourante fait valoir que la part du revenu que le soutien consacrait à son épouse et à ses enfants doit être déterminée non pas sur son revenu brut, mais sur son revenu net, c'est-à-dire compte tenu des impôts, et cela plus particulièrement dès l'instant où les enfants devenus majeurs ne constituent plus pour la veuve des "charges de famille" au sens fiscal. Elle ne conteste toutefois les taux de répartition adoptés par l'autorité cantonale que dans l'hypothèse d'un revenu élevé du soutien tel que celui de 45'000 fr. ou de 54'000 fr. retenu par les juridictions cantonales.
BGE 101 II 346 S. 354
Cette hypothèse n'est pas réalisée, vu le revenu de 37'500 fr. pris comme base de calcul de la perte de soutien. On peut ainsi considérer les taux de répartition du revenu arrêtés par l'autorité cantonale comme n'étant plus litigieux en instance de réforme. Ils sont d'ailleurs conformes à la jurisprudence du Tribunal fédéral et ne peuvent qu'être confirmés. Cela étant, l'argument tiré de la part du revenu revenant au fisc est sans objet. On peut relever que le mode de calcul proposé par la recourante serait une source de complications et d'incertitudes supplémentaires, les personnes soutenues assurant par ailleurs, après le décès, les charges fiscales afférentes à leur revenu.
6.
La recourante a remboursé à la Caisse nationale, conformément à l'art. 100 LAMA, la valeur capitalisée, selon les tables de mortalité, des rentes de veuve et d'orphelin versées par cet établissement aux intimés, soit 110'663 fr. (83'943 fr. pour la veuve, 8'871 fr. pour dame C. et 17'849 fr. pour P. U., plus 500 fr. à titre de participation aux frais funéraires et 22 fr. 40, frais de rapports et de transport). Considérant que, suivant la nouvelle jurisprudence (RO 95 II 585 ss), les rentes versées par la Caisse nationale doivent être capitalisées selon les tables d'activité et non plus selon les tables de mortalité, le Tribunal de première instance a réduit de 110'663 fr. à 99'225 fr. les prestations imputables à ce titre. La Cour de justice a retenu le même montant en se référant aux motifs du premier juge.
La recourante conteste cette réduction; elle fait valoir que le calcul abstrait de la perte de soutien se fait au jour du décès et qu'il convient d'imputer les prestations effectivement payées par elle, selon les normes alors applicables.
Cette argumentation est fondée. La défenderesse a remboursé la somme de 110'663 fr. à la Caisse nationale conformément à un décompte de cet établissement du 14 avril 1965, établi en application des tables de mortalité de Stauffer/Schaetzle. Ce faisant, elle se conformait à la jurisprudence alors en vigueur, selon laquelle il fallait imputer sur les dommages-intérêts dus au lésé la valeur actuelle de la rente viagère versée par la Caisse nationale, capitalisée à l'aide des tables de mortalité (R0 81 II 46 ss consid. 3, 86 II 154 s.). Ce n'est qu'en 1969 que le Tribunal fédéral a modifié cette jurisprudence et prononcé que la subrogation de l'art. 100 LAMA, qui a pour objet les droits du lésé contre le tiers civilement
BGE 101 II 346 S. 355
responsable de l'accident, ne pouvait viser que la rente servie par la Caisse nationale durant la période d'activité professionnelle probable et que cette rente devait en conséquence être capitalisée selon les tables d'activité de Stauffer/Schaetzle (RO 95 II 588 ss consid. 5). Dans leurs premières conclusions, du 16 mai 1967, les demandeurs admettaient eux-mêmes l'imputation du "montant de 111'185 fr. 40 pour lequel la Caisse nationale a exercé son recours". La défenderesse ayant effectivement et conformément à la jurisprudence alors en vigueur versé à la Caisse nationale 110'663 fr., il serait inéquitable d'imputer sur ce qu'elle doit aux demandeurs une somme inférieure, eu égard à une jurisprudence postérieure. Le montant déductible doit donc être porté à 111'163 fr. (110'663 fr. + 500 fr.), la somme de 22 fr. 40 relative à des frais administratifs n'entrant pas en considération.
8.
L'arrêt déféré a alloué aux demandeurs des indemnités pour tort moral, en raison du décès de leur mari et père, de 15'000 fr. pour dame U. et de 10'000 fr. pour chacun des enfants. Il a en outre accordé à dame U. une indemnité de 5'000 fr. pour le tort moral issu de son préjudice personnel. Invoquant la faute concurrente de la victime, la recourante demande la réduction des indemnités consécutives au décès à 7'500 fr. pour la veuve et à 3'500 fr. pour chacun des enfants. Elle ne remet en revanche pas en question la somme de 5'000 fr. relative au préjudice personnel de dame U.
Les indemnités allouées en raison du décès de U. atteindraient la limite supérieure, encore admissible eu égard au pouvoir appréciateur de l'autorité cantonale, si aucune faute n'était imputable à la victime. Or on a vu (consid. 1d à e) que celle-ci répondait d'une faute revêtant un certain degré de gravité, et justifiant un partage des responsabilités à raison d'un quart/trois quarts. Compte tenu de cette faute, les sommes octroyées aux demandeurs pour le tort moral consécutif au décès de leur mari et père sont excessives. Il convient de les ramener à 11'000 fr. pour la veuve et à 6'000 fr. pour chaque enfant.
9.
La recourante reprend ses conclusions récursoires contre l'hoirie U., à concurrence de la part de responsabilité dérivant de la faute concurrente du défunt, et cela pour les dommages-intérêts destinés à réparer le préjudice personnel du tiers qu'est dame U., au sens de l'art. 60 al. 1 LCR. Dans
BGE 101 II 346 S. 356
ses conclusions, elle demande à être "autorisée à imputer sur les indemnités qu'elle serait condamnée à verser encore aux intimées" les montants correspondant à ladite part de responsabilité.
a) Selon l'art. 60 al. 1 et 2 LCR (teneur antérieure au 1er août 1975), les détenteurs de véhicules automobiles solidairement responsables du dommage subi par un tiers le supportent à parts égales, à moins que des circonstances spéciales, notamment la faute de l'un ou de l'autre, ne justifient un autre mode de répartition.
En l'espèce, la part de responsabilité afférente à la faute du conducteur U. a été arrêtée à 25% (consid. 1e). La recourante jouit donc d'une action récursoire contre les ayants cause de l'automobiliste défunt, à concurrence du quart des dommages-intérêts qu'elle doit à dame U. pour son préjudice personnel.
b) Les juridictions cantonales n'indiquent pas quels sont les héritiers de U., ni si la succession a été acceptée. Les demandeurs, héritiers légaux du défunt (art. 457 et 462 CC), se sont toutefois présentés comme ses ayants cause en procédure. Rien ne permet d'admettre que le défunt aurait été notoirement insolvable, ce qui entraînerait une présomption de répudiation de la succession (art. 566 al. 2 CC). En concluant au rejet des prétentions récursoires de la défenderesse, les demandeurs n'ont pas allégué avoir répudié la succession. La veuve serait d'ailleurs déchue de la faculté de répudier en vertu de l'art. 571 al. 2 CC, pour s'être immiscée dans les affaires de la succession, en réclamant notamment en justice la réparation du dommage matériel du de cujus et le remboursement des frais funéraires et en acceptant les dommages-intérêts y relatifs. Il y a dès lors lieu d'admettre que les demandeurs sont les héritiers de U. et que, comme tels, ils répondent solidairement envers la défenderesse des dettes de la succession issues de l'accident (art. 603, 639 CC).
c) Les prétentions récursoires de la recourante sont dirigées contre "les deux intimées", soit dame U, agissant pour elle-même et son fils mineur P., et dame C. En demandant à être "autorisée à imputer lesdits montants sur les indemnités qu'elle serait condamnée à verser encore aux intimées", la recourante manifeste sa volonté de compenser la créance alléguée avec sa dette éventuelle envers les intimées. Il y a lieu de faire droit à cette demande et de l'autoriser à déduire des
BGE 101 II 346 S. 357
dommages-intérêts dont elle est débitrice envers les demandeurs le quart des indemnités allouées à dame U. pour son préjudice personnel, y compris le tort moral. Ces indemnités s'élèvent à 2'671 fr. 55, 4'432 fr. et 6'000 fr. (frais médicaux et incapacité de travail temporaire, consid. 7 in initio), 11'675 fr. (invalidité permanente, consid. 7c) et 5'000 fr. (tort moral, consid. 8, soit en tout 29'778 fr. 55, dont le quart représente 7'444 fr. 60. Cette somme porte intérêt à 5% dès une date moyenne, fixée au 1er janvier 1972. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7ea59f2-adff-4026-9c60-adb9d7ea4735 | Urteilskopf
96 I 557
87. Auszug aus dem Urteil vom 25. November 1970 i.S. Achermann gegen Grossen Rat des Kantons Luzern. | Regeste
Eigentumsgarantie.
Begriff der Eigentumsgarantie; Verhältnis der Institutsgarantie zur Bestandesgarantie. Voraussetzungen für die Zulässigkeit von öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen.
Sieht ein kantonales Forstgesetz einen Waldabstand von 20 m vor, so ist für diese Eigentumsbeschränkung ein hinreichendes öffentliches Interesse vorhanden (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 557
BGE 96 I 557 S. 557
A.-
Der Grosse Rat des Kantons Luzern beschloss am 4. Februar 1969 ein neues Forstgesetz (FG), dessen § 22 wie folgt lautet:
"Gegenüber Wäldern haben Neubauten einen Abstand von mindestens 20 m einzuhalten.
Kleinere Abstände dürfen im Baubewilligungsverfahren nur mit Zustimmung des Staatswirtschaftsdepartementes bewilligt werden, wenn die Sicherheit der Bewohner und eine genügende Besonnung der Wohn- und Arbeitsräume gewährleistet sind und die forstwirtschaftlichen Interessen dies gestatten.
Der Abstand wird ab einer Entfernung von 2 m von der Stockverbindungslinie der Randbäume gemessen.
BGE 96 I 557 S. 558
Vorbehalten bleibt § 15 des Baugesetzes für die Einwohnergemeinde Luzern".
Das Gesetz wurde am 15. Februar 1969 im Luzerner Kantonsblatt veröffentlicht und in der Folge vom Bundesrat genehmigt.
B.-
Am 7. März 1969 reichte Anton Achermann gegen das Gesetz eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie ein mit dem Antrag, § 22 des Luzerner Forstgesetzes vom 4. Februar 1969 sei als verfassungswidrig aufzuheben. Zur Begründung machte er im wesentlichen folgendes geltend: Das Forstgesetz wolle laut § 1 "der Erhaltung des Waldes dienen, die Nutz-, Schutz- und Wohlfahrtswirkung des Waldes erhöhen und seine Bewirtschaftung fördern". Es habe mithin die "Schutzinteressen des Waldes" zu wahren, weshalb ihm ausschliesslich eine forstpolizeiliche Zielsetzung innewohne. Ein Gebäudeabstand von 20 m, wie er in
§ 22 FG
vorgeschrieben werde, sei unter forstpolizeilichen Gesichtspunkten nicht erforderlich. In Wirklichkeit diene diese Bestimmung dazu, um "auf dem Umweg über die Forstgesetzgebung und in missbräuchlicher Anwendung derselben" baupolizeiliche Beschränkungen einzuführen, welche durch keinerlei öffentliche Interessen gedeckt seien.
§ 22 FG
verstosse deshalb gegen die Eigentumsgarantie.
C.-
Der Grosse Rat des Kantons Luzern beantragte in seiner Vernehmlassung vom 14. September 1970, die Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Privateigentum ist nur im Rahmen der Rechtsordnung gewährleistet (
BGE 96 I 126
mit Verweisungen). Als Institutsgarantie belässt die Eigentumsgarantie dem Gesetzgeber - ähnlich wie der in
Art. 4 BV
verankerte Grundsatz der Rechtsgleichheit und das sich daraus ergebende Willkürverbot - bei der Umschreibung der Eigentumsfreiheit einen weiten Ermessensspielraum. Sie gilt als verletzt, wenn der Gesetzgeber Normen aufstellt, namentlich Eigentumsbeschränkungen erlässt, welche das Privateigentum als fundamentale Einrichtung der schweizerischen Rechtsordnung aushöhlen (
BGE 88 I 255
,
BGE 90 I 37
,
BGE 93 I 137
,
BGE 96 I 126
; vgl. P. SALADIN, Grundrechte im Wandel, S. 122 ff.). Im vorliegenden Fall kann indessen nicht ernstlich
BGE 96 I 557 S. 559
behauptet werden, die angefochtene Bestimmung, welche eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung zum Gegenstand hat, sei in diesem Sinne verfassungswidrig. Die Rügen des Beschwerdeführers gehen denn auch nicht in diese Richtung, sondern können sinngemäss nur dahin verstanden werden,
§ 22 FG
verletze die Eigentumsgarantie in ihrer Erscheinungsform als Bestandesgarantie, d.h. als verfassungsmässigen Schutz der konkreten individuellen Eigentumsrechte. Nach der Rechtsprechung sind öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen mit der Bestandesgarantie vereinbar, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und, sofern sie in der Wirkung einer Enteignung gleichkommen, gegen Entschädigung erfolgen (
BGE 95 I 553
Erw. 3 mit Verweisungen).
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, ein Gebäudeabstand von 20 m sei nicht gerechtfertigt. Damit wird sinngemäss die Rüge erhoben,
§ 22 FG
sei durch kein hinreichendes öffentliches Interesse gedeckt. Diese Frage prüft das Bundesgericht nach seiner neueren Rechtsprechung grundsätzlich frei (
BGE 94 I 134
Erw. 7, 340/41,
BGE 95 I 554
Erw. 3 b).
Das Bundesgericht hat bereits in den Urteilen vom 10. Juni 1966 i.S. Zwyssig und vom 3. April 1968 i.S. Gsell, Erw. 5 (veröffentlicht in ZBl 70 /1969 S. 43 ff.) hinsichtlich eines Waldabstandes von 20 bzw. 25 m das Bestehen eines hinreichenden öffentlichen Interesses und damit die Verfassungsmässigkeit einer solchen Eigentumsbeschränkung bejaht. Es hat ausgeführt, der Abstand zum Wald diene vorweg dem Schutz der waldnahen Bauten und ihrer Bewohner gegen Schädigung durch Windwurf und gegen ungünstige klimatische Einflüsse (Luftfeuchtigkeit). Ferner habe die Bevölkerung verschiedene Interessen am Wald selbst, welche mit den forstpolizeilichen nicht identisch seien; die Erhaltung des Waldes als klimatischer Faktor in der Landschaft, als Regulator des Wasserhaushalts, als Träger einer bestimmten Flora und Fauna sowie als Erholungsraum für die Bevölkerung sei wesentlich. Auch Interessen des Landschaftsschutzes liessen einen genügenden Abstand zwischen Bauten und Wald als wünschbar erscheinen. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Dem kantonalen Gesetzgeber steht mithin bei der Festsetzung des zu beachtenden Gebäudeabstandes ein erheblicher Ermessensspielraum offen, zumal dabei nicht allein nach forstpolizeilichen Gesichtspunkten vorgegangen zu werden braucht. Der Einwand des Beschwerdeführers,
BGE 96 I 557 S. 560
zur Verhinderung von Waldbränden sowie zur Ermöglichung des Holzschlags vom Waldrand aus genüge ein Gebäudeabstand von weniger als 20 m, dringt deshalb nicht durch. Das Vorgehen des luzernischen Gesetzgebers steht vielmehr durchaus im Einklang mit den Schlussfolgerungen einer Expertenkommission des Schweiz. Forstvereins, welche aufgrund einer umfassenden Prüfung der Frage einen Bauabstand von mindestens 30 m empfiehlt (vgl. "Spezielle Probleme im öffentlichen Forstrecht", Beiheft Nr. 39 zu den Zeitschriften des Schweiz. Forstvereins, 1966, S. 71). In
BGE 96 I 129
wird zudem festgehalten, das die meisten Kantone für Wohnbauten einen Abstand von 30-40 m als Regel vorschreiben. Der Vorwurf, der Erlass von
§ 22 FG
sei durch kein hinreichendes öffentliches Interesse gedeckt, erweist sich daher als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a7faf529-4a88-4f66-915d-7095deafae46 | Urteilskopf
117 V 27
4. Arrêt du 1er mars 1991 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre F. et Tribunal cantonal jurassien | Regeste
Art. 3 Abs. 4 lit. g und Abs. 4bis ELG
,
Art. 19 Abs. 2 ELV
,
Art. 17 Abs. 1 lit. a ELKV
: Behinderungsbedingte Mehrkosten (Ergänzungsleistungen).
-
Art. 17 Abs. 1 lit. a ELKV
ist gesetzwidrig, insofern danach gefragt wird, ob die notwendige Hilfe einer Drittperson im Haushalt bereits durch eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung gedeckt ist (Erw. 4).
- Die Rente der Invalidenversicherung ist keine Leistung der IV im Sinne von
Art. 17 Abs. 1 ELKV
(Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 27
BGE 117 V 27 S. 27
A.-
Ruth F., née en 1952, est atteinte de sclérose en plaques. L'assurance-invalidité l'a mise au bénéfice d'une rente entière d'invalidité ainsi que, notamment, d'une allocation pour impotent (impotence de faible degré) et d'une prestation complémentaire.
En 1989, la prénommée a demandé à l'assurance-invalidité de lui rembourser des factures de Pro Senectute relatives aux frais d'aide au ménage et aux frais de transport, par 651 fr. 25 au total.
BGE 117 V 27 S. 28
Par décision du 4 juillet 1989, la Caisse de compensation du canton du Jura a refusé d'intervenir, au motif que les frais précités étaient inférieurs aux allocations pour impotent à verser en 1989, lesquelles s'élevaient à 1'800 francs (12x150) et devaient être portées en déduction des frais remboursables dans le cadre des prestations complémentaires.
B.-
La Chambre des assurances du Tribunal cantonal de la République et canton du Jura, par jugement du 17 novembre 1989, a admis le recours formé par Ruth F. contre cet acte administratif, décidé que l'assurée avait droit au remboursement des frais d'aide au ménage pour 1989 selon les factures produites et renvoyé le dossier à la caisse pour qu'elle calcule ces frais. La juridiction cantonale a considéré, en bref, que l'allocation pour impotent de l'assurance-invalidité concerne l'accomplissement des actes ordinaires de la vie et non pas la tenue du ménage, de sorte qu'elle ne saurait financer l'aide nécessaire y relative apportée par un tiers.
C.-
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande l'annulation, en concluant au rétablissement de la décision administrative litigieuse. Il fait valoir en substance que sont réputés frais supplémentaires résultant de l'invalidité - dont le remboursement incombe aux prestations complémentaires - les frais de tenue du ménage qui ne sont pas couverts par une rente de l'assurance-invalidité ou par une allocation pour impotent, et que ces frais sont couverts par le montant de l'allocation pour impotent lorsqu'il existe une étroite connexité entre l'accomplissement des actes ordinaires de la vie et la tenue du ménage.
Ruth F. conclut implicitement au rejet du recours. De son côté, la Caisse de compensation du canton du Jura, se référant à sa réponse au recours cantonal, n'a pas d'observations particulières à formuler.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En procédure fédérale, seul est litigieux le point de savoir si l'aide au ménage apportée à l'intimée par Pro Senectute peut être déduite du revenu déterminant pour les prestations complémentaires, comme frais supplémentaires résultant de l'invalidité.
Le jugement entrepris ne se prononce que sur le droit de l'assurée au remboursement de ses frais d'aide au ménage, sans que ces frais puissent être départagés des frais de transport. Le jugement
BGE 117 V 27 S. 29
étant attaqué par l'OFAS, lequel ne soulève aucun grief sur ce point, la question des frais de transport ne se pose pas.
2.
Sont déduits du revenu déterminant pour les prestations complémentaires, les frais supplémentaires d'entretien général résultant de l'invalidité et dûment établis jusqu'à concurrence d'un montant annuel maximum de 3'600 francs par personne (
art. 3 al. 4 let
. g LPC).
Le Conseil fédéral a été chargé par le législateur de préciser les frais de home, de médecin, de dentiste, de pharmacie, de soins et de moyens auxiliaires ainsi que les cotisations d'assurance-maladie et les frais supplémentaires résultant de l'invalidité qui peuvent être déduits (art. 3 al. 4bis seconde phrase LPC). L'autorité exécutive a délégué cette compétence au Département fédéral de l'intérieur. Ce dernier a été chargé de déterminer quels sont les frais de médecin, de dentiste, de pharmacie, de soins et de moyens auxiliaires, ainsi que les frais supplémentaires résultant de l'invalidité, qui peuvent être déduits (
art. 19 al. 2 OPC-AVS/AI
). L'ordonnance relative à la déduction des frais de maladie et des frais résultant de l'invalidité en matière de prestations complémentaires (OMPC), du 20 janvier 1971, repose sur cette subdélégation de compétence.
Selon l'
art. 17 al. 1 let. a OMPC
, en vigueur depuis le 1er janvier 1987, l'aide nécessaire apportée par un tiers dans la tenue du ménage, pour autant qu'elle ne soit pas donnée par une personne vivant dans le même ménage, est réputée faire partie des frais supplémentaires résultant de l'invalidité si elle est dûment prouvée, pour autant qu'elle ne soit pas couverte par une prestation de l'AVS ou de l'AI ou par une allocation pour impotent de l'assurance-accidents.
3.
L'
art. 3 al. 4 let
. g LPC a été introduit par la novelle du 4 octobre 1985, en vigueur depuis le 1er janvier 1987. Il s'agit là d'une disposition légale ayant pour origine une proposition du Conseiller aux Etats Andermatt (procès-verbal de la séance de la Commission du Conseil des Etats du 29 janvier 1985, p. 23 s.). Elle ne figurait pas, en effet, dans le projet du Conseil fédéral de modification de la loi, conformément au message de celui-ci adressé à l'Assemblée fédérale concernant la deuxième révision de la LPC, du 21 novembre 1984 (FF 1985 I 111 et 134).
Comme cela ressort des travaux parlementaires, le Conseil des Etats et le Conseil national ont décidé d'introduire l'
art. 3 al. 4 let
. g LPC, afin que les frais supplémentaires d'entretien général résultant de l'invalidité soient déduits du revenu déterminant pour
BGE 117 V 27 S. 30
les prestations complémentaires, dans la mesure ou ils comprennent en particulier les frais non déjà couverts par une allocation pour impotent et où ils consistent p.ex. dans l'aide nécessaire apportée par un tiers dans la tenue du ménage (BO CE 1985 289 DOBLER; BO CN 1985 1395 notamment ZEHNDER).
A cet égard, le Conseil fédéral s'était opposé devant la Commission du Conseil des Etats puis devant le Conseil des Etats à l'introduction de l'
art. 3 al. 4 let
. g LPC (procès-verbal de la séance de ladite commission du 29 janvier 1985, EGLI, p. 24; BO CE 1985 289 EGLI). Il se fondait en effet sur le message précité du 21 novembre 1984, selon lequel la demande - présentée par l'Association suisse de politique sociale - visant à introduire une déduction supplémentaire couvrant les frais supportés par un invalide en raison d'une infirmité ou d'une maladie, avait été clairement rejetée dans la procédure de consultation. Après que le Conseil des Etats eut décidé d'introduire cette disposition légale et de modifier simultanément l'
art. 3 al. 4bis LPC
, le Conseil fédéral ne s'est plus opposé à l'introduction de l'
art. 3 al. 4 let
. g LPC. Au contraire, il a proposé devant la Commission du Conseil national que lui soit confiée la définition des frais supplémentaires résultant de l'invalidité, telle qu'entreprise dans un premier projet d'ordonnance (procès-verbal de la séance de cette commission du 9 septembre 1985, EGLI, p. 7). Le Conseiller national Gautier ayant fait la proposition de biffer l'
art. 3 al. 4 let
. g nouveau LPC, la majorité de la Commission du Conseil national s'est prononcée en faveur de la proposition du Conseil des Etats et du Conseil fédéral (procès-verbal susdit, p. 9). C'est dans le sens de la décision du Conseil des Etats que le Conseil national a décidé d'introduire l'
art. 3 al. 4 let
. g LPC et de modifier l'
art. 3 al. 4bis LPC
(BO CN 1985 1397 et 1399).
4.
Il résulte de ce qui précède que la volonté du législateur est de déduire du revenu déterminant pour les prestations complémentaires les frais supplémentaires d'entretien général résultant de l'invalidité, dans la mesure où ceux-ci comprennent en particulier les frais non déjà couverts par une allocation pour impotent et où ils consistent p.ex. dans l'aide nécessaire apportée par un tiers dans la tenue du ménage (voir aussi
ATF 115 V 360
consid. 2c).
a) L'OFAS est d'avis que, lorsqu'il existe une étroite connexité entre l'accomplissement des actes ordinaires de la vie et la tenue du ménage, l'
art. 17 al. 1 let. a OMPC
commande que le montant de l'allocation pour impotent de l'assurance-invalidité soit porté
BGE 117 V 27 S. 31
en déduction des frais dus à l'aide nécessaire apportée par un tiers dans la tenue du ménage. En conséquence, selon le recourant, ce n'est que si et dans la mesure où ceux-ci dépassent le montant de l'allocation pour impotent qu'ils sont réputés frais supplémentaires résultant de l'invalidité.
b) Pour les raisons qui suivent, la Cour de céans ne saurait partager le point de vue de l'OFAS.
On rappellera tout d'abord que l'allocation pour impotent de l'assurance-invalidité est accordée à l'assuré qui, en raison de son invalidité, a besoin de façon permanente de l'aide d'autrui ou d'une surveillance personnelle pour accomplir les actes ordinaires de la vie (
art. 42 al. 2 LAI
). Selon la jurisprudence, sont déterminants pour l'octroi de l'allocation pour impotent les six actes ordinaires suivants: se vêtir et se dévêtir; se lever, s'asseoir, se coucher; manger; faire sa toilette (soins du corps); aller aux W.-C.; se déplacer à l'intérieur ou à l'extérieur, établir des contacts (
ATF 113 V 19
consid. a et les références).
Il est donc manifeste que les actes ordinaires de la vie déterminants pour l'octroi de l'allocation pour impotent ne consistent pas dans la tenue du ménage proprement dite. Certes est-il concevable que l'aide pratique apportée à l'impotent - telle qu'elle est administrée par autrui pour permettre à l'assuré d'accomplir certains actes ordinaires de la vie - relève aussi de la tenue du ménage. On ne sait pas pour autant, toutefois, jusqu'où s'étend la tenue du ménage, cette notion n'étant pas définie à l'
art. 17 al. 1 let. a OMPC
.
Bien plus, c'est précisément parce que les frais supplémentaires d'entretien général résultant de l'invalidité constituent une notion extensible que le Conseil fédéral a été chargé à l'
art. 3 al. 4bis LPC
de préciser ces frais (procès-verbal de la séance de la Commission du Conseil des Etats du 2 mai 1985, proposition de l'OFAS). Or, force est de constater que, telle qu'elle figure à l'
art. 17 al. 1 let. a OMPC
, l'aide nécessaire apportée par un tiers dans la tenue du ménage est également une notion extensible. On ignore, en effet, dans quelle mesure elle coïncide avec l'aide d'autrui dont l'assuré a besoin pour accomplir les actes ordinaires de la vie. L'OFAS, dans son recours de droit administratif, propose de se fonder sur le critère de la connexité étroite entre, d'une part, l'accomplissement des actes ordinaires de la vie pris en compte lors de l'octroi de l'allocation et, d'autre part, la tenue du ménage. Cependant, l'aide nécessaire apportée par un tiers dans la tenue du ménage
BGE 117 V 27 S. 32
n'en demeure pas moins une notion extensive, en ce sens qu'il suffit que la tenue du ménage soit en connexité étroite avec l'accomplissement d'un acte ordinaire de la vie pour que les frais d'aide dans la tenue du ménage soient couverts par le montant intégral de l'allocation pour impotent. Or, une telle pratique pénalise les assurés fortement handicapés, dans la mesure où elle se fonde sur le montant de l'allocation pour impotent - lequel est fonction du degré d'impotence (
art. 42 al. 3 LAI
) - et non pas sur les frais effectivement couverts par l'allocation. Cela va du reste à l'encontre de la ratio legis, la déduction des frais supplémentaires résultant de l'invalidité étant destinée à aider financièrement les assurés gravement handicapés par leur atteinte à la santé, notamment lorsqu'ils sont affectés par un degré d'invalidité élevé (procès-verbal de la séance de la Commission du Conseil des Etats du 29 janvier 1985, ANDERMATT, p. 24; BO CN 1985 1395 ETIQUE).
Dans ces conditions, l'
art. 17 al. 1 let. a OMPC
, dans sa teneur actuelle, est contraire à l'
art. 3 al. 4 let
. g LPC.
5.
Selon l'OFAS, la couverture financière de l'aide apportée par Pro Senectute dans la tenue du ménage de l'intimée était entièrement assurée par le versement de la rente de l'assurance-invalidité à laquelle elle a droit.
On ne saurait suivre le recourant dans son raisonnement, la rente de l'assurance-invalidité allouée à l'intimée n'entrant pas en considération dans le cadre de l'
art. 17 al. 1 OMPC
. En effet, la rente de l'assurance-invalidité compense uniquement la perte de gain subie par l'assuré en raison de son atteinte à la santé (
ATF 112 V 130
consid. 2d,
ATF 102 V 96
/97). Elle ne couvre donc que la diminution de la capacité de gain, mais non pas les frais résultant de l'invalidité. Peu importe que, lors de l'évaluation de l'invalidité, l'empêchement de l'assuré d'accomplir ses travaux habituels ait été pris en compte, selon que son statut est celui d'une personne sans activité lucrative (
art. 27 RAI
) ou celui d'un assuré exerçant une activité lucrative à temps partiel (
art. 27bis RAI
).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté au sens des considérants. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a80062f6-3fb7-470f-b159-c451d2cfbf25 | Urteilskopf
81 I 394
62. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1955 i.S. Peugeot gegen Poseidon A.-G. und Graubünden, Kleiner Rat. | Regeste
Handelsregister.
Legitimation zur verwaltungsgerichtlichen Beschwerde (Erw. 1). Unzulässigkeit der Nebenintervention (Erw. 2).
Prüfungsbefugnis der Registerbehörden. Aufhebung einer Verfügung wegen Verstosses gegen Art. 32 Abs. 2 HRV (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 394
BGE 81 I 394 S. 394
Aus dem Tatbestand:
Im Handelsregister des Kantons Graubünden ist seit 1933 die Poseidon A.-G. eingetragen. Ihr gesamtes Aktienkapital von Fr. 500'000.-- wurde von dem französischen Automobilfabrikanten Robert Peugeot zur Verfügung gestellt. Als Gründer und Verwaltungsratsmitglieder traten drei Strohmänner schweizerischer Nationalität auf.
Robert Peugeot starb 1945. Als gesetzliche Erben hinterliess er die Ehefrau und verschiedene Nachkommen, worunter die heutige Beschwerdeführerin Marthe Peugeot. Zu seiner unverteilten Erbmasse gehört auch die Poseidon A.-G. Wegen Streitigkeiten zwischen Marthe Peugeot und den übrigen Miterben bestellten die französischen Behörden der Erbengemeinschaft einen Erbenvertreter. Die Meinungsverschiedenheiten der Erben betrafen u.a. auch die Frage der Weiterführung der Poseidon A.-G. Während
BGE 81 I 394 S. 395
Marthe Peugeot die Liquidation der Gesellschaft verlangte, widersetzen sich die übrigen Erben einer solchen.
Am 22. Januar 1953 hielt Marthe Peugeot, die sich als Inhaberin sämtlicher Aktien der Poseidon A.-G. betrachtete, eine Universalversammlung der Gesellschaft ab, an der die bisherige Verwaltung abberufen und die Liquidation der Gesellschaft beschlossen wurde. Dieser am 24. Januar 1953 im Handelsregister von Graubünden eingetragene Beschluss wurde von der abberufenen Verwaltung gerichtlich angefochten. Das Kantonsgericht Graubünden hiess mit Urteil von 23. /24. Juli 1954 die Klage gut und stellte fest, dass an der angefochtenen Universalversammlung vom 22. Januar 1953 kein Beschluss zustandegekommen sei und dass somit dem Handelsregistereintrag vom 24. Januar 1953 ein Nichtbeschluss zu Grunde liege. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft, da die dagegen von der Gesellschaft erhobene Berufung ans Bundesgericht am 3. März 1955 zurückgezogen wurde.
In der Zwischenzeit, am 19. August 1954, hatte der Erbenvertreter eine neue Generalversammlung der Poseidon A.-G. abgehalten, an der er sämtliche Aktien vertrat. Diese Generalversammlung ernannte Rechtsanwalt Martin-Achard von Genf zum Geschäftsführer und stellte weiter fest, dass der im Handelsregister eingetragene Liquidationsvermerk nur gelöscht werden könnte, wenn das Urteil, wonach ein Auflösungsbeschluss nicht vorliege, rechtskräftig wäre. Da dies nicht der Fall sei, werde der Liquidationsvermerk bestätigt und beibehalten.
Marthe Peugeot verlangte, dass der nach ihrer Auffasssung in diesem Generalversammlungsbeschluss enthaltene neue Liquidationsbeschluss im Handelsregister eingetragen werde. Das Handelsregisteramt Graubünden wies dieses Begehren jedoch ab, weil die bereits eingetragene Tatsache der Auflösung nicht nochmals eingetragen werden könne.
Nachdem infolge Rückzugs der Berufung das oben erwähnte Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 23. /24. Juli 1954 rechtskräftig geworden war, hielt der
BGE 81 I 394 S. 396
Erbenvertreter am 5. März 1955 eine weitere Generalversammlung der Poseidon A.-G. ab, an der die Streichung des Liquidationsvermerks beschlossen und das Weiterbestehen der Gesellschaft festgestellt wurde. Zum einzigen Verwaltungsrat wurde Rechtsanwalt Martin-Achard ernannt, der am 8. März 1955 diese Generalversammlungsbeschlüsse zur Eintragung im Handelsregister anmeldete. Hiegegen erhob Marthe Peugeot unter Berufung auf Art. 32 Abs. 2 HRV Einsprache.
Der Kleine Rat von Graubünden, den der Handelsregisterführer um Weisungen für die Behandlung des Geschäfts ersuchte, ordnete mit Beschluss vom 9. Mai 1955 die Vornahme der von der Poseidon A.-G. nachgesuchten Eintragung an und wies Marthe Peugeot an den zuständigen Richter.
Das Handelsregisteramt führte die erhaltene Weisung am 10. Mai 1955 aus.
Gegen den Beschluss des Kleinen Rates vom 9. Mai 1955 erhob Marthe Peugeot verwaltungsgerichtliche Beschwerde mit den Anträgen, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben, die gestützt darauf vorgenommenen Eintragungen im Handelsregister seien rückgängig zu machen und der Liquidationsvermerk gemäss Generalversammlungsbeschluss vom 19. August 1954 im Handelsregister wieder einzutragen.
Die Poseidon A.-G. und der Kleine Rat von Graubünden beantragen Abweisung der Beschwerde. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement erachtet sie als begründet.
Mit Eingabe vom 3. August 1955 haben die Miterben der Beschwerdeführerin das Begehren gestellt, sie seien als Intervenienten im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In erster Linie fragt sich, ob Marthe Peugeot zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Beschluss des Kleinen Rates vom 9. Mai 1955 legitimiert sei. Diese
BGE 81 I 394 S. 397
Frage, die das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement in seiner Vernehmlassung aufgeworfen, aber nicht näher geprüft hat, ist vom Bundesgericht von Amteswegen zu entscheiden.
Auf Grund von
Art. 103 Abs. 1 OG
ist die Legitimation der Beschwerdeführerin zu bejahen. Sie war am angefochtenen Entscheid als Partei beteiligt, was ihr die formelle Legitimation verschafft. Darüber hinaus kommt ihr aber auch die Legitimation zur Sache zu; denn da sie Mitglied der Erbengemeinschaft ist, der sämtliche Aktien der Poseidon A.-G. gehören, greift der Entscheid, der ihre Einsprache gegen die Rückgängigmachung des vorher eingetragenen Liquidationsbeschlusses abweist, in ihre subjektive Rechtssphäre ein (vgl.
BGE 75 I 382
,
BGE 62 I 167
).
2.
Die Miterben der Beschwerdeführerin haben das Begehren gestellt, es sei ihnen Gelegenheit zu geben, als Nebenintervenienten am Beschwerdeverfahren teilnehmen zu können. Sie sind der Auffassung, gemäss
Art. 40 OG
gelte
Art. 15 BZP
, der die Intervention regelt, auch für das Verwaltungsgerichtsverfahren.
Art. 40 OG
sieht aber lediglich eine subsidiäre Anwendung der Vorschriften des BZP vor für den Fall, dass das OG keine besonderen Bestimmungen über das Verfahren aufstellt.
Art. 15 BZP
kann somit in der Verwaltungsrechtspflege nur Anwendung finden, soweit sich aus deren Ausgestaltung im OG keine abweichende Ordnung ergibt.
Gemäss Art. 107 in Verbindung mit
Art. 93 OG
ist zur Einreichung einer Vernehmlassung auf die Beschwerde Gelegenheit zu geben "sowohl der Behörde, von welcher der angefochtene Entscheid ausgegangen ist, als der Gegenpartei und allfällig weiteren Beteiligten". Unter "allfällig weiteren Beteiligten" sind nach ständiger Rechtsprechung Personen zu verstehen, die im Verfahren vor der eidgenössischen oder kantonalen Vorinstanz in irgendeiner Weise beteiligt waren, aber im umstrittenen Erkenntnis nicht als Partei figurieren (
BGE 75 I 46
).
Das Gesetz lässt somit neben dem Beschwerdeführer
BGE 81 I 394 S. 398
zur Teilnahme am Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht nur die Behörde zu, welche den angefochtenen Entscheide gefällt hat, und sodann Personen, die am vorausgegangenen Verfahren teilgenommen haben. Dritte, die in diesem weder als Partei noch in anderer Stellung aufgetreten sind, haben somit keinen Anspruch darauf, sich in das Beschwerdeverfahren einzumischen und ihre Auffassung in einer Vernehmlassung vorzubringen. Diese Regelung ist zwingend und duldet keine Ausnahme. Sie schliesst die Möglichkeit aus, dass Dritte im Verfahren vor der Rechtsmittelinstanz durch Intervention als Nebenpartei auftreten und rechtliches Gehör beanspruchen, um eine der Hauptparteien zu unterstützen.
Ein Abweichen von der dargelegten Ordnung verbietet sich um so mehr, als es unerträgliche Folgen nach sich zöge. Die Zulassung von Intervenienten im Rechtsmittelstadium würde zwangsläufig einem weiteren Schriftenwechsel rufen; der Vorinstanz und der Gegenpartei des Nebenintervenienten müsste Gelegenheit geboten werden, zu den Ausführungen des neuen Beteiligten Stellung zu nehmen. Hieraus ergäbe sich eine Ausweitung des Verfahrens, die mit dem Bestreben des Gesetzgebers nach einer einfachen und raschen Verwaltungsrechtspflege nicht vereinbar wäre. Ausserdem bestünde die Gefahr, dass die Vorbringen des Intervenienten die Verhältnisse, auf Grund deren die Vorinstanz ihre Massnahmen getroffen hat, entscheidend verändern könnten, so dass das Bundesgericht seinen Entscheid auf völlig neuer Grundlage zu treffen hätte. Dies läge ausserhalb der Aufgabe des Verwaltungsgerichts, den angegriffenen Entscheid daraufhin zu überprüfen, ob er Bundesrecht verletzt.
Die Zulässigkeit der Intervention Dritter im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren ist somit zu verneinen. Es verhält sich dabei gleich wie im Bereich der Rechtspflege in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, wo in
BGE 73 III 34
ebenfalls jegliche Teilnahme Dritter, auch in der Form der Nebenintervention, als unstatthaft bezeichnet worden ist.
BGE 81 I 394 S. 399
Im vorliegenden Fall besteht übrigens auch sachlich keine Notwendigkeit, die Miterben der Beschwerdeführerin zum Verfahren zuzulassen. Soweit ihre Rechte als Aktionäre der Poseidon A.-G. in Frage stehen, werden die Interessen der Gesuchsteller durch die Organe der Gesellschaft wahrgenommen; soweit ihre Erbrechte in Betracht kommen, werden sie durch den gerichtlich bestellten Erbenvertreter, bzw. dessen Bevollmächtigten im Rahmen der Tätigkeit der Poseidon A.-G. ausgeübt. Wenn die Gesuchsteller mit der Wahrung ihrer Interessen durch die Organe der Poseidon oder durch den Erbenvertreter nicht einig gehen, haben sie ihre Einwendungen diesen gegenüber geltend zu machen. Allfällige Differenzen zwischen der Poseidon A.-G. bzw. dem Erbenvertreter und den Gesuchstellern über die Verfechtung der Belange der letzteren berühren den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht.
3.
In der Sache selbst gibt das Eintragsbegehren der Poseidon A.-G. vom 8. März 1955 formellrechtlich zu keinen Beanstandungen Anlass. Ob es materiell begründet sei, hängt von der Rechtsgültigkeit des Beschlusses der Generalversammlung vom 5. März 1955 ab. Für die Entscheidung hierüber ist massgebend, welche rechtliche Bedeutung dem vorangegangenen Generalversammlungsbeschluss vom 19. Agust 1953 beizumessen ist, insbesondere ob dieser rechtsverbindlich die Auflösung der Gesellschaft bewirkt habe und inwieweit neben ihm der Beschluss vom 5. März 1955 Bestand habe.
Hierüber hat der ordentliche Richter im Rahmen der von der Beschwerdeführerin bereits angehobenen Klage auf Anfechtung des Generalversammlungsbeschlusses vom 5. März 1955 zu urteilen. Das Eintragungsverfahren dagegen hat sich mit den erwähnten Fragen nicht zu befassen; den Handelsregisterbehörden und ihren Aufsichtsinstanzen steht keine sachliche Überprüfungsbefugnis zu. Dem Bestehen materiellrechtlicher Streitigkeiten ist vielmehr entsprechend den Vorschriften von Art. 32 HRV Rechnung zu tragen.
Im besonderen ist Abs. 2 des Art. 32 HRV anzuwenden.
BGE 81 I 394 S. 400
Die Beschwerdeführerin hatte ihre Einsprache gegen die umstrittene Eintragung schon vor deren Vollzug durch Eingaben an das Handelsregisteramt Graubünden vom 10. und 23. Februar, sowie vom 7. März 1955 erhoben. Das Amt bzw. der von ihm um Weisungen angegangene Kleine Rat hätte der Beschwerdeführerin gemäss der erwähnten Vorschrift Frist zur Erwirkung einer vorsorglichen Verfügung des Richters ansetzen sollen. Die kantonale Behörde war nicht zuständig, über die Begründetheit der Einsprache zu entscheiden, auch nicht in bloss provisorischem Sinne, d.h. unter Vorbehalt des Urteils des Sachrichters.
Durch die Unterlassung der Fristansetzung nach Art. 32 Abs. 2 HRV wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit vorenthalten, die beanstandete Eintragung durch Beschaffung einer vorsorglichen Verfügung des zuständigen Richters zu verhindern. Der Entscheid des Kleinen Rates beruht somit auf einer Verletzung von Bundesrecht und ist zu berichtigen.
Dies hätte nach der Auffassung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements durch die Vornahme der folgenden Eintragung zu geschehen:
"Poseidon A.- G., in Chur
... Da von dritter Seite rechtzeitig im Sinne von Art. 32 Abs. 2 HRV gegen die Rückgängigmachung der Eintragung der Auflösung dieser Gesellschaft Einsprache eingereicht, ein gerichtliches Verfahren eingeleitet und auch bestritten wurde, dass Dr. Edmond Martin-Achard einziger Verwaltungsrat ist, wird die Eintragung vom 10. Mai 1955 aufgehoben, soweit sie die Rückgängigmachung des Auflösungsbeschlusses und die Ernennung von Dr. Edmond Martin-Achard als Verwaltungsrat zum Gegenstand hat. Bis zur gerichtlichen Abklärung des Sachverhaltes lautet die Firma Poseidon A.- G. in Liq. und Dr. Edmond Martin-Achard ist Geschäftsführer mit Einzelunterschrift."
Eine Eintragung dieses Inhalts hätte jedoch eine durch Art. 32 Abs. 2 HRV nicht gewollte Verschlechterung der Rechtsstellung der Poseidon A.-G., zur Folge. Sie würde dazu führen, dass der Vollzug der streitigen Eintragung bis zur rechtskräftigen Erledigung des anhängigen Anfechtungsprozesses unterbliebe. Art. 32 Abs. 2 HRV bestimmt aber, dass die Handelsregisterbehörde eine nachgesuchte
BGE 81 I 394 S. 401
Eintragung nur ablehnen darf, wenn der Einsprecher eine dahingehende Verfügung des Richters erwirkt.
Ob dies der Beschwerdeführerin gelingen wird, steht heute noch nicht fest. Wenn ja, hat das Handelsregisteramt eine dem richterlichen Befehl entsprechende Berichtigung des Registers vorzunehmen und zu veröffentlichen. Kann dagegen die Beschwerdeführerin innert der anzusetzenden Frist ein Eintragungsverbot des zuständigen Richters nicht vorlegen, so hat es bei dem - von den bündnerischen Instanzen voreilig vorgenommenen - Eintrag sein Bewenden, solange nicht ein rechtskräftiges, im gegenteiligen Sinne lautendes Urteil des Sachrichters im Anfechtungsprozess vorliegt.
Die Vorinstanz hat demnach die versäumte Fristansetzung an die Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 32 Abs. 2 HRV vorzunehmen und alsdann gemäss den oben dargelegten Richtlinien zu verfahren.
Zu Unrecht wenden die Poseidon A.-G. und der Kleine Rat von Graubünden hiegegen ein, für die Anwendung von Art. 32 Abs. 2 HRV sei kein Raum, weil sich die Eintragung im wesentlichen auf ein rechtskräftiges Urteil stütze und daher von Amteswegen vorgenommen werden müsse. Zur Diskussion steht heute nicht die handelsregisterliche Vormerknahme von der gerichtlichen Nichtigerklärung des Generalversammlungsbeschlusses vom 22. Januar 1953 (veröffentlicht am 28. Januar 1953), sondern es geht darum, ob und wie gewisse nach dem 22. Januar 1953 eingetretene Ereignisse, nämlich die Beschlüsse der Generalversammlungen vom 19. August 1954 und vom 5. März 1955 im Handelsregister vorzumerken und zu veröffentlichen sind.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Das Gesuch der Miterben der Beschwerdeführerin um Zulassung zur Intervention im Beschwerdeverfahren wird abgewiesen.
BGE 81 I 394 S. 402
2.- Der Beschluss des Kleinen Rates von Graubünden vom 9. Mai 1955 wird aufgehoben.
Die Vorinstanz wird angewiesen, der Beschwerdeführeein Frist gemäss Art. 32 Abs. 2 HRV anzusetzen und das Eintragungsbegehren der Poseidon A.-G. vom 5. März 1955 im Sinne der Erwägungen zu behandeln. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a800d606-c86d-4415-8dfd-8fa0f167bfe4 | Urteilskopf
136 V 415
48. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause N. contre ASSURA, assurance maladie et accident et consorts (recours en matière de droit public)
9C_968/2009 du 15 décembre 2010 | Regeste
Art. 56 Abs. 1 und 2 KVG
; notwendiger Datenzugang des kontrollierten Arztes im Rahmen eines Überarztungsprozesses.
Zu den Anforderungen der statistischen Methode gehört, dass der Verband der Krankenversicherer die Namen der Ärzte, welche die Vergleichsgruppe bilden, sowie - in anonymisierter Form - deren individuelle Daten aus dem "santésuisse-Datenpool" offenlegt (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 6.3). | Sachverhalt
ab Seite 415
BGE 136 V 415 S. 415
A.
Le docteur N. - qui exploite un cabinet de médecine générale - a été averti par santésuisse que la facturation de ses honoraires depuis 2001 dépassait sensiblement celle de ses confrères exerçant la même spécialité et qu'une demande en remboursement de la différence de coûts causée par sa pratique non économique allait lui être présentée prochainement (lettres des 16 août 2004, 6 juillet 2006, 19 avril 2007 et 26 mai 2008 se rapportant aux années 2003-2006). Le médecin a critiqué les chiffres avancés et justifié la différence de coûts par la spécificité de sa patientèle et de sa pratique (lettres des 10 septembre 2004, 17 juillet 2006, 30 avril 2007 et 6 juin 2008).
B.
Par groupes de quatorze, dix-sept ou vingt, agissant par le truchement de santésuisse, trente-quatre caisses-maladie ont saisi le Tribunal arbitral genevois des assurances (ci-après: le tribunal arbitral). Le premier groupe a requis le remboursement de 165'134 fr. pour 2004
BGE 136 V 415 S. 416
(demande du 28 juillet 2006), le deuxième le remboursement de 130'966 fr. pour 2005 (demande du 2 juillet 2007) et le troisième le remboursement de 329'168 fr., subsidiairement de 273'860 fr., pour 2006 (demande du 23 juillet 2008).
Le tribunal arbitral a partiellement admis les demandes, jointes en une cause (procès-verbaux des audiences des 24 août 2007 et 10 octobre 2008), et a condamné le praticien à restituer aux caisses demanderesses, globalement et en mains de leur représentant commun, la somme de 298'441 fr. 60 (jugement du 18 septembre 2009).
C.
Le docteur N. interjette un recours en matière de droit public à l'encontre de ce jugement, dont il requiert principalement l'annulation sous suite de frais et dépens. Subsidiairement, il conclut au renvoi de la cause au tribunal arbitral pour instruction complémentaire et nouveau jugement.
Sous suite de frais et dépens, les assureurs-maladie concluent au rejet du recours. L'Office fédéral de la santé publique a renoncé à se déterminer.
Le recours a été admis.
Erwägungen
Extrait des considérants:
6.
6.1
Le recourant reproche foncièrement au tribunal arbitral d'avoir violé les garanties procédurales octroyées par l'
art. 29 al. 1 Cst.
et l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Il conteste d'une manière générale que la méthode statistique puisse servir à contrôler le caractère économique des traitements prodigués par les médecins. Il considère à cet égard que, dans un état de droit, une pièce établie par l'une des parties à la procédure en fonction de données auxquelles l'autre des parties n'a pas accès n'est pas un fondement suffisant pour prononcer une condamnation. Il estime en particulier que son droit d'être entendu a été violé dans la mesure où le tribunal arbitral a refusé d'ordonner à santésuisse de produire la liste nominative des médecins appartenant au groupe de comparaison dont il fait partie. Il soutient que ce procédé, qui consiste à empêcher d'accéder aux données sur lesquelles reposent les statistiques, le prive de tout contrôle et de toute possibilité de se disculper sans contrevenir au secret professionnel.
6.2
Le Tribunal fédéral admet depuis longtemps le recours à la méthode statistique comme moyen de preuve permettant d'établir le caractère économique ou non des traitements prodigués par un
BGE 136 V 415 S. 417
médecin donné (cf. chronologiquement les arrêts du Tribunal fédéral des assurances K 24/69 du 31 décembre 1969 consid. 4, in RJAM 1970 p. 82; K 56/78 du 25 avril 1980 consid. 3a, non publié in
ATF 106 V 40
;
ATF 119 V 448
consid. 4c p. 454; K 148/04 du 2 décembre 2005 consid. 3.3.1) et n'entend pas modifier sa pratique. Outre le fait que la méthode mentionnée n'a jamais été valablement remise en cause (cf. p. ex. arrêts 9C_205/2008 du 19 décembre 2008; 9C_649/2007 du 23 mai 2008 et K 130/06 du 16 juillet 2007; arrêts du Tribunal fédéral des assurances K 46/04 du 25 janvier 2006; K 93/02 du 26 juin 2003 et K 108/01 du 15 juillet 2003) et qu'il ne s'agit pas d'une preuve irréfragable, contrairement à ce que veut faire accroire le recourant, dans la mesure où le médecin recherché en remboursement a effectivement la possibilité de justifier une pratique plus onéreuse que celle de confrères appartenant à son groupe de comparaison (pour une énumération des particularités justifiant une telle pratique, cf. notamment arrêts du Tribunal fédéral des assurances K 150/03 du 18 mai 2004 consid. 6.3, non publié in
ATF 130 V 377
; K 9/99 du 29 juin 2001 consid. 6c; voir également CHRISTIAN SCHÜRER, Honorarrückforderung wegen Überarztung bei ambulanter ärztlicher Behandlung - Materiellrechtliche Aspekte, in Wirtschaftlichkeitskontrolle in der Krankenversicherung, Schaffhauser/Kieser [éd.], 2001, p. 88; GEBHARD EUGSTER, Wirtschaftlichkeitskontrolle ambulanter ärztlicher Leistungen mit statistischen Methoden, 2003, p. 233 n. 674 ss), on rappellera que cette méthode permet un examen anonyme, standardisé, large, rapide et continu de l'économicité (EUGSTER, op. cit., p. 90 ss n. 222 ss; VALÉRIE JUNOD, Polypragmasie, analyse d'une procédure controversée, CGSS 40/2008 p. 140 s.) par rapport à une méthode analytique coûteuse, difficile à réaliser à large échelle et mal adaptée lorsqu'il s'agit de déterminer l'ampleur de la polypragmasie et le montant à mettre à charge du médecin (
ATF 99 V 193
consid. 3 p. 197 ss; EUGSTER, op. cit., p. 78 ss n. 185 ss; JUNOD, op. cit., p. 140 s.). On rappellera encore que la méthode statistique comprend une marge de tolérance qui permet de prendre en considération les spécificités d'une pratique médicale et de neutraliser certaines imperfections inhérentes à son application (consid. 5.3, non publié).
6.3
6.3.1
Dans la mesure où la méthode statistique consiste en une comparaison des coûts moyens, dont le second terme repose sur des données accessibles seulement aux assureurs-maladie et à leur
BGE 136 V 415 S. 418
organisation faîtière, le médecin recherché en restitution doit avoir la possibilité de prendre connaissance des données mentionnées pour être à même de justifier les spécificités de sa pratique par rapport à celle des praticiens auxquels il est comparé, faute de quoi son droit d'être entendu - particulièrement son droit de s'exprimer sur les éléments pertinents du dossier avant qu'une décision le touchant ne soit prise (cf.
ATF 127 III 576
consid. 2c p. 578 s.;
ATF 126 I 7
consid. 2b p. 10;
ATF 127 V 431
consid. 3a p. 436;
ATF 124 II 132
consid. 2b p. 137 et les références) - serait violé. L'accès aux données des deux termes de la comparaison permet également aux autorités arbitrales et judiciaires amenées à se prononcer d'exercer leur contrôle.
6.3.2
En plus des informations dont il a la maîtrise dans la mesure où elles résultent de sa propre pratique, le médecin considéré a accès à ses propres données traitées par santésuisse ainsi qu'à certaines données afférentes aux membres du groupe de comparaison. Ses propres données produites par santésuisse sont les coûts directs (coût de traitements prodigués et de médicaments fournis; nombre de visites à domicile et de consultations; âge moyen et nombre de malades; totaux et indices déduits de ce qui précède et comparés à la valeur analogue du groupe de référence), les coûts indirects (coût des médicaments, analyses et séances de physiothérapie prescrits; totaux et indices déduits de ce qui précède et comparés à la valeur analogue du groupe de référence) et les coûts totaux (directs et indirects également comparés à la valeur analogue du groupe de référence). Les données concernant les membres du groupe de comparaison sont seulement le nombre de médecins pris en considération et l'âge moyen des patients traités par ceux-ci en plus du fait que le coût moyen de l'ensemble de leurs frais correspond à un indice de 100.
6.3.3
Si le premier terme de la comparaison est suffisamment transparent, dès lors que le praticien en cause peut évaluer les chiffres produits par santésuisse à la lumière de ses propres chiffres, tel n'est pas entièrement le cas du second terme. Une critique pertinente et un contrôle efficace de la fiabilité des statistiques concrètement présentées nécessitent un accès plus étendu aux données sur lesquelles reposent le second terme de la comparaison. D'une part, seule la connaisance du nom des médecins composant le groupe de référence permet effectivement de vérifier si des praticiens particuliers figurent dans la liste alors qu'il appartiennent à un autre groupe ou si d'autres praticiens ne figurent pas dans la liste alors qu'il devraient s'y trouver.
BGE 136 V 415 S. 419
D'autre part, seule la connaissance, sous forme anonymisée, de la répartition des coûts pour chaque médecin du groupe de comparaison, à savoir la connaissance des mêmes données anonymisées que celles produites par santésuisse le concernant pour chacun des médecins du groupe mentionné ("données du pool de données santésuisse"), permet au praticien contrôlé de se situer concrètement par rapport à ses confrères et d'être mieux à même de produire une défense ciblée et pertinente. En l'absence de telles données, le droit d'être entendu du recourant a en l'espèce été violé, ce qui entraîne l'annulation de l'acte attaqué et le renvoi de la cause au tribunal arbitral pour qu'il se procure auprès de santésuisse les données mentionnées et rende un nouveau jugement. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a804f6c2-816e-48c7-b212-d297f9d087ad | Urteilskopf
105 IV 147
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Juni 1979 i.S. B. gegen Bundesamt für Energiewirtschaft, Bundesanwaltschaft und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 121bis Abs. 1 Starkstromverordnung.
Zum Anschluss an Hausinstallationen bestimmte elektrische Apparate, die Personen oder Sachen gefährden oder auf benachbarte Schwachstromanlagen störende Fernwirkungen ausüben können. Ein Inverkehrbringen nicht typengeprüfter derartiger Apparate liegt nicht vor, wenn sie an einer Ausstellung zu Marktforschungszwecken gezeigt werden, wohl aber, wenn sie zu Bemusterungszwecken einer Firma ohne fachkundiges Personal übergeben werden. | Sachverhalt
ab Seite 147
BGE 105 IV 147 S. 147
A.-
1. Nach Art. 121 der Verordnung des Bundesrates über die Erstellung, den Betrieb und den Unterhalt von elektrischen Starkstromanlagen (StVO) vom 7. Juli 1933 müssen elektrische Apparate, die zum Anschluss an Hausinstallationen bestimmt sind, nach den anerkannten Regeln der Technik so
BGE 105 IV 147 S. 148
beschaffen sein, dass sie den Anforderungen der Art. 4 (Sicherheit von Personen und Sachen) und 5 (Schutz benachbarter Schwachstromanlagen) entsprechen. Als anerkannte Regeln der Technik gelten die vom Schweiz. Elektrotechnischen Verein (SEV) herausgegebenen sicherheitstechnischen Vorschriften. Weiter dürfen gemäss Art. 121bis Abs. 1 StVO elektrische Apparate nach Art. 121, die wegen ihrer Bauart, der Art ihrer Verwendung, ihrer Wirkungsweise oder ihrer Verbreitung nach Art. 4 Personen oder Sachen gefährden oder nach Art. 5 auf benachbarte Schwachstromanlagen eine störende Fernwirkung ausüben können, nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn das Eidg. Starkstrominspektorat aufgrund einer Typenprüfung durch eine vom Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) anerkannte Prüfanstalt festgestellt hat, dass sie den in Art. 121 Abs. 2 genannten Vorschriften entsprechen. Die als zulässig anerkannten elektrischen Apparate sind nach Art. 121ter Abs. 1 StVO durch ein Sicherheitszeichen zu kennzeichnen. Der SEV stellt über die Durchführung der Prüfungen sowie über die Erteilung des Sicherheitszeichens ein Reglement auf, das der Genehmigung durch das EVED bedarf (Art. 121quater StVO). Das Reglement wurde am 1. April/26. November 1953 erlassen.
2. B., Inhaber einer Radiofirma stellte an der FERA 1975 ohne Bewilligung vier Radioapparate aus, von denen zudem zwei angeblich unbefugterweise mit dem Sicherheitszeichen versehen waren. Am 8. September 1976 lieferte er ohne entsprechende Bewilligung einer andern Firma drei noch nicht typengeprüfte, teilweise ebenfalls unzulässigerweise das Sicherheitszeichen tragende Geräte zu Bemusterungszwecken.
B.-
Am 22. Januar 1979 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich B. wegen Widerhandlung gegen Art. 121bis Abs. 1 StVO und Art. 4 Abs. 1 des Sicherheitszeichen-Reglementes in Anwendung von Art. 123quater StVO und Art. 55 des Bundesgesetzes betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen vom 24. Juni 1902 (ElG) zu einer vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 1'600.-.
C.-
B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesamt für Energiewirtschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft
BGE 105 IV 147 S. 149
des Kantons Zürich stellt in gleichem Sinne Antrag, während die Bundesanwaltschaft auf Gegenbemerkungen verzichtet hat.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, ein Inverkehrbringen im Sinne von Art. 121bis StVO liege nicht vor, wenn ungeprüfte Geräte ohne Bewilligung an einer Fachmesse zu reinen Marktforschungszwecken und ohne jede Verkaufsabsicht zuhanden eines fachkundigen Publikums ausgestellt bzw. zu blossen Bemusterungszwecken einer fachkundigen Kollegialfirma unter Hinweis auf die fehlende Prüfung und Bewilligung kurzfristig überlassen werden. Der Begriff des Inverkehrbringens setze voraus, dass der Handelnde bereit sei, mit einer Vielzahl in geschäftliche Beziehungen zu treten, und vor allem, dass eine Gefahrenquelle bildende Geräte in die Herrschaftssphäre eines unkundigen und damit schutzbedürftigen Dritten übergingen. In Art. 2 des Sicherheitszeichen-Reglements werde denn auch als Inverkehrbringen "jede Art der Besitzübertragung" bezeichnet. Dass das Bundesgericht in einem Urteil vom 24. März 1972 i.S. K. über den Wortlaut von Art. 2 des Reglements hinaus zum Inverkehrbringen auch das Anpreisen und Anbieten gezählt habe, stehe dem Gesagten insofern nicht entgegen, als Anbieten und Anpreisen Versuch oder mindestens Vorbereitungshandlung der Besitzübertragung darstellten. Beim Markttest hingegen blieben die Geräte unter allen Umständen im Herrschaftsbereich ihres Besitzers. Von der Annahme der Vorinstanz, dass der Wortlaut die Absicht des Gesetzgebers unvollkommen wiedergebe, könne keine Rede sein. Auch tue sie nicht dar, inwiefern eine Beschränkung der Strafbarkeit auf die Verbreitung ungeprüfter Geräte im Sinne der Weitergabe an ein weiteres Publikum, gegebenenfalls unter Einschluss der Anpreisung solcher Geräte als Vorbereitungshandlung zur Veräusserung vernünftigerweise nicht dem wahren Sinn des Gesetzes entsprechen sollte.
a) Laut ihrem Ingress stützt sich die StVO in erster Linie auf Abs. 2 lit. a des
Art. 3 ElG
, der in Abs. 1 bestimmt, dass der Bundesrat die erforderlichen Vorschriften aufstellen soll "zu tunlichster Vermeidung derjenigen Gefahren und Schädigungen, welche aus dem Bestande der Starkstromanlagen überhaupt
BGE 105 IV 147 S. 150
und aus deren Zusammentreffen mit Schwachstromanlagen entstehen". Wenn Art. 121bis Abs. 1 StVO das Inverkehrbringen von Installationsmaterialien und zum Anschluss an Hausinstallationen bestimmten elektrischen Apparaten, die Personen oder Sachen gefährden oder auf benachbarte Schwachstromanlagen störende Fernwirkungen ausüben können, einer Typenprüfung unterstellt, so nimmt er nur den Zweckgedanken von
Art. 3 Abs. 1 ElG
wieder auf. Dementsprechend ist der Begriff des Inverkehrbringens im Sinne der Delegationsnorm zu bestimmen.
Nach dem Gesagten erscheint das Verbot, elektrische Geräte ohne bestandene Typenprüfung an Dritte weiterzugeben, wie das bei Verkauf, Tausch, Vermietung und allgemein bei einem Überlassen geschehen kann, ohne weiteres als geeignetes Mittel zur Erreichung des gesetzlichen Zweckes. Es entspricht deshalb dem Sinn des Art. 121bis Abs. 1 StVO, grundsätzlich jede Art der Besitzübertragung vom Hersteller oder Importeur bis zum inländischen Verbraucher als Inverkehrbringen zu qualifizieren, wie das in Art. 2 des Sicherheitszeichen-Reglements geschehen ist.
Fragen kann sich einzig, ob der Begriff des Inverkehrbringens noch mehr enthält. Das hat das Bundesgericht bejaht, indem es in ihn auch das Anbieten und Anpreisen einbezogen hat, unter Berufung auf den französischen Text, der von "mettre sur le marché" spricht (Urteil der verwaltungsrechtlichen Kammer vom 24. März 1972 i.S. K. c. EVED). Daran ist festzuhalten, zumal das Anpreisen oder Anbieten naturgemäss zwecks Verkaufs oder Vermietung geschieht und dadurch das Publikum - bei nicht typengeprüften elektrischen Geräten - zum Erwerb veranlasst wird, obschon keine Gewähr für einen zureichenden Schutz vor der Gefährdung besteht, die Art. 121bis Abs. 1 StVO verhüten will. Diese Auslegung verträgt sich auch ohne weiteres mit der vom Beschwerdeführer angeführten Rechtsprechung zu
Art. 1 StGB
(
BGE 96 IV 84
,
BGE 95 IV 73
und Zitate), wird doch vom Gesetzgeber auch in anderem Zusammenhang das Feilhalten als eine Art des Inverkehrbringens verstanden (vgl.
Art. 154 StGB
). Dem Anpreisen oder Anbieten ist das Ausstellen an einer Messe gleichzustellen, das dem Verkauf dient. Hingegen würde dem Begriff des Inverkehrbringens selbst nach dem französischen Gesetzestext Gewalt angetan, wollte man mit der Vorinstanz auch das Ausstellen
BGE 105 IV 147 S. 151
an einer Messe zum Zweck eines Markttests einbeziehen, wo der Apparat nicht zum Verkauf ausgestellt wird, sondern um abzuklären, ob überhaupt ein Interesse dafür besteht. Der Apparat bleibt hier in den Händen des fachkundigen Personals des Ausstellers, sodass die Gefahren, mit denen bei nicht typengeprüften Geräten für das Publikum zu rechnen ist, entfallen. Anders ist es hingegen, wenn solche Apparate z.B. zur Ansicht einem Dritten zugesandt werden, also eine Besitzübertragung stattfindet. Hier ist ein Inverkehrbringen in der Regel zu bejahen.
b) Somit fällt dem Beschwerdeführer bezüglich des Ausstellens von nicht typengeprüften Apparaten an der FERA 1975, die nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz zu "reinen Marktforschungszwecken" erfolgte (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), eine Widerhandlung gegen Art. 121bis Abs. 1 StVO nicht zur Last und ist das Urteil insoweit aufzuheben.
Hingegen ist diese Bestimmung insoweit verletzt, als B. nicht typengeprüfte Apparate zu Bemusterungszwecken der Firma N. zugesandt hat. Darin lag eine Besitzübertragung in der Kette Hersteller - Importeur Zwischenhändler - Endverbraucher, durch welche die Geräte aus dem Herrschaftsbereich des Beschwerdeführers und seines mit ihnen vertrauten Personals in andere Hände übergingen, wo die Gefahren, welche Art. 121bis Abs. 1 StVO vermeiden will, aktuell werden konnten. Nach dem angefochtenen Urteil war die Firma N. dem Beschwerdeführer nicht näher bekannt. Er hatte deshalb keine Gewähr, dass in ihrem Betrieb nur Fachleute mit den Apparaten umgingen. Tatsächlich war nach den von der Vorinstanz übernommenen Angaben des Bundesamts für Energiewirtschaft in der Firma N. die gegenseitige Instruktion zwischen den abwechslungsweise mit dem Verkauf beschäftigten Personen äusserst mangelhaft. Dass der Beschwerdeführer die Firma N. darauf hinwies, dass die Geräte noch nicht geprüft seien und nicht verkauft werden dürften, ändert an der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise nichts. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a8052ee0-e416-494f-b00c-b2534a53a3dc | Urteilskopf
106 II 272
54. Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Dezember 1980 i.S. K. gegen T.(Berufung) | Regeste
Adoption, internationales und intertemporales Recht.
Eine vor dem 1. April 1973 im Ausland ausgesprochene und in der Schweiz anerkannte einfache Adoption ändert ihren Charakter durch das Inkrafttreten des neuen schweizerischen Adoptionsrechts nicht.
Das Adoptivkind behält daher sein Erbrecht gegenüber seinem in der Schweiz verstorbenen leiblichen Vater (E. 1).
Art. 214 Abs. 3 ZGB
.
Die ehevertragliche Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten unterliegt der Herabsetzung, soweit die Pflichtteilsrechte der Nachkommen verletzt sind (E. 2; Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 272
BGE 106 II 272 S. 272
A.-
Der am 4. Februar 1976 verstorbene Albert K. hinterliess als gesetzliche Erben seine zweite Ehefrau Hedwig sowie
BGE 106 II 272 S. 273
die 1940 geborene Tochter Valeria aus seiner ersten geschiedenen Ehe. Diese Tochter war am 27. Februar 1947 in Mailand durch den italienischen Staatsangehörigen Alessandro J. nach italienischem Recht adoptiert worden. Das damals geltende italienische sah wie das frühere schweizerische Adoptionsrecht weder einen Verlust des bisherigen Bürgerrechts noch auch den Untergang des bisherigen Kindesverhältnisses zu den leiblichen Eltern vor. Die Adoption wurde von den schweizerischen Behörden anerkannt und im Familienregister der Heimatgemeinde der Tochter eingetragen. Eine Änderung dieser Eintragung im Sinne einer Unterstellung unter das neue italienische Adoptionsrecht, das seit 1967 unter bestimmten Bedingungen auch eine Volladoption kennt, oder unter das neue schweizerische Adoptionsrecht ist nicht erfolgt. Am 16. Januar 1971 heiratete Valeria J. den italienischen Staatsangehörigen Silvano T., wobei sie die Erklärung abgab, das Schweizerbürgerrecht beibehalten zu wollen.
In einem Ehe- und Erbvertrag vom 29. November 1962 hatten die Eheleute Albert und Hedwig K. nach der Feststellung, dass der Ehemann nichts und die Ehefrau Fr. 6'000.-- in die Ehe eingebracht hätten, vereinbart, der gesamte in der Ehe erzielte Vorschlag falle dem überlebenden Ehegatten zu. In einer öffentlichen letzwilligen Verfügung vom 8. Juli 1974 hatte Albert K. diesen Ehevertrag bestätigt und erklärt, er werde demzufolge voraussichtlich keinen Nachlass hinterlassen; sollte das trotzdem der Fall sein, so setze er seine Ehefrau Hedwig zur Universalerbin ein. Für den Fall, dass er seine Ehefrau überlebe, hatte er anderweitige Verfügungen getroffen.
B.-
Mit ihrer am 3. August 1977 beim Bezirksgericht Baden gegen Hedwig K. eingereichten Klage verlangte Valeria T. die gerichtliche Feststellung und Teilung des Nachlasses ihres Vaters, wobei der Ehe- und Erbvertrag vom 29. November 1962 und die letztwillige Verfügung vom 8. Juli 1974 insoweit herabzusetzen seien, als sie ihren Pflichtteilsanspruch verletzten. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, die Klägerin habe mit dem Inkrafttreten des neuen schweizerischen Adoptionsrechts am 1. April 1973 gemäss der revidierten Fassung von
Art. 267 Abs. 2 ZGB
das Erbrecht gegenüber ihrem leiblichen Vater verloren.
Das Bezirksgericht Baden fällte am 15. März 1979 folgendes Urteil:
BGE 106 II 272 S. 274
"1. Es wird richterlich festgestellt, dass der Nettonachlass des am 4. Februar 1976 verstorbenen Albert K., geboren 1912, ... Fr. 435'705.07 beträgt.
2. Der gesetzliche Pflichtteil der Klägerin beträgt 9/16 des Nettonachlasses, entsprechend Fr. 244'521.60.
3. Die Zuweisung des gesamten Vorschlags aus der Ehe des verstorbenen Albert K. mit der Beklagten an diese wird um die Höhe des Pflichtteils der Klägerin, d.h. um Fr. 244'521.60, herabgesetzt.
4. Der gesamte Nachlass des verstorbenen Albert K. gemäss amtlichem Inventar vom 25. Januar/4. Februar 1977 wird der Beklagten zu Eigentum zugewiesen.
5. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin aus dem Nachlass deren Pflichtteil mit Fr. 244'521.60 auszubezahlen."
Das Obergericht des Kantons Aargau wies eine Appellation der Beklagten gegen dieses Urteil mit Entscheid vom 17. April 1980 ab.
C.-
Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Frage der Gültigkeit einer durch eine international zuständige Behörde im Ausland ausgesprochenen Adoption und ihrer Anerkennung durch die schweizerische Rechtsordnung beurteilt sich unter Vorbehalt eines allfälligen Verstosses gegen die schweizerische öffentliche Ordnung nach ausländischem Recht. Welche erbrechtlichen Wirkungen eine im Ausland ausgesprochene und in der Schweiz anerkannte Adoption mit Bezug auf das Erbrecht gegenüber einem Erblasser hat, dessen Erbfolge nach international-privatrechtlichen Regeln dem schweizerischen Recht untersteht, ist dagegen eine Frage des schweizerischen Rechts, jedenfalls soweit die ausländische Adoption der schweizerischen gleichwertig ist. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin im Zeitpunkt der erfolgten Adoption und ihrer Anerkennung und Eintragung im schweizerischen Zivilstandsregister sowohl nach dem italienischen wie nach dem damals geltenden schweizerischen Recht das Erbrecht gegenüber ihrem leiblichen Vater beibehalten hat. Die Adoption ist somit von der Schweiz in der Form der damals einzig zulässigen sogenannten einfachen Adoptionen anerkannt worden. Es ist in keiner Weise einzusehen, weshalb sie
BGE 106 II 272 S. 275
sich mit dem Inkrafttreten des neuen Adoptionsrechts automatisch in eine Volladoption hätte umwandeln sollen. Eine Unterstellung altrechtlicher einfacher Adoptionen des schweizerischen Rechts unter das neue Recht erfolgt nach
Art. 12b SchlT ZGB
lediglich auf gemeinsames Begehren der Adoptiveltern und des Adoptivkindes. Ob eine vor dem 1. April 1973 im Ausland ausgesprochene einfache Adoption ausländischen Rechts nachträglich in gleicher Weise dem neuen schweizerischen Recht unterstellt werden kann, erscheint fraglich. HEGNAUER (N. 14 und 15 zu
Art. 12b SchlT ZGB
) weist darauf hin, der Wortlaut der genannten Bestimmung schränke ihre Anwendbarkeit auf nach früherem schweizerischem Recht durch schweizerische Behörden ausgesprochene Adoptionen ein; für vor dem 1. April 1973 im Ausland nach ausländischem Recht durchgeführte einfache Adoptionen verweist der genannte Autor entweder auf die Umwandlung nach dem massgebenden ausländischen Recht (N. 94, 96 und 99 zu
Art. 268 ZGB
) oder aber auf eine in der Schweiz durchzuführende Neuadoption (N. 16 zu
Art. 12b SchlT ZGB
; N. 10 zu Art. 264 und N. 94 zu
Art. 268 ZGB
). Er fügt allerdings bei, die kantonale Praxis anerkenne auch die Möglichkeit, in analoger Anwendung von
Art. 12b SchlT ZGB
beziehungsweise im Sinne einer Lückenfüllung ausländische einfache Adoptionen in neurechtliche schweizerische Volladoptionen umzuwandeln (in diesem Sinne auch BUCHER, Anerkennung und Eintragung von im Ausland ausgesprochenen Adoptionen in der Schweiz, ZZW 45/1977, S. 169/170). Eine solche Umwandlung bedarf aber in jedem Falle einer ausdrücklichen Erklärung der Beteiligten; zudem müssen die schweizerischen Behörden gemäss
Art. 8a-8c NAG
zuständig sein (BUCHER a.a.O. S. 170), was hier nicht der Fall ist. Eine automatische Umwandlung lehnt HEGNAUER mit Recht ab (N. 93, 94 und 96 zu
Art. 268 ZGB
); ja, er ist sogar der Meinung, eine nach ausländischem Recht erfolgte einfache Adoption, die nach dem 1. April 1973 ausgesprochen worden sei, könne in der Schweiz mit einem Hinweis auf das betreffende ausländische Recht in der Weise eingetragen werden, dass sie sich weiterhin auf die Wirkungen, die das Recht des Adoptivstaates der Adoption beilege, beschränke (N. 99 zu
Art. 268 ZGB
). Automatisch entfaltet eine ausländische Adoption, die vor dem 1. April 1973 durchgeführt worden ist, somit nur dann die Wirkungen des neuen schweizerischen Rechts,
BGE 106 II 272 S. 276
wenn es sich nach ausländischem Recht bereits um eine Volladoption gehandelt hat (HEGNAUER, N. 96/97 zu
Art. 268 ZGB
; BUCHER, a.a.O. S. 171/172).
Geht man davon aus, so hat die Klägerin ihr Erbrecht gegenüber ihrem Vater nicht verloren, da die- in Italien ausgesprochene Adoption nur die Wirkungen einer einfachen Adoption hatte. An diesem vom ausländischen Recht beherrschten Adoptivverhältnis vermochte das Inkrafttreten des neuen schweizerischen Adoptionsrechts nichts zu ändern.
Die Beklagte macht demgegenüber geltend, der Erblasser sei nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts gestorben, weshalb nach
Art. 15 SchlT ZGB
das neue Erbrecht massgebend sei. Dieses schliesse nach
Art. 267 Abs. 2 ZGB
die Erbberechtigung von Adoptivkindern gegenüber ihren leiblichen Eltern aus. Eine Ausnahme hievon statuiere
Art. 12a SchlT ZGB
nur für altrechtliche schweizerische, nicht aber auch für ausländische Adoptionen. Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden. Wohl bezieht sich
Art. 12a SchlT ZGB
nach seinem Wortlaut nur auf altrechtliche schweizerische Adoptionen. Indessen enthält diese Vorschrift lediglich den ganz allgemein geltenden Grundsatz der Nichtrückwirkung, der sinngemäss auch auf ausländische Adoptionen angewendet werden muss. Es besteht kein vernünftiger Grund, im Ausland ausgesprochene Adoptionen intertemporalrechtlich anders zu behandeln als schweizerische Adoptionen. Ist
Art. 12a SchlT ZGB
aber sinngemäss auch auf altrechtliche ausländische Adoptionen anwendbar, so fallen solche Adoptionen auch nicht unter
Art. 267 Abs. 2 ZGB
, es sei denn, es handle sich um Volladoptionen oder es sei eine Unterstellung unter das neue schweizerische Adoptionsrecht vorgenommen worden, was hier nicht der Fall ist. Würde man anders entscheiden, so wäre das vor dem 1. April 1973 im Ausland adoptierte Kind schlechter gestellt als das schweizerische Adoptivkind, das unter gleichen Verhältnissen sein Erbrecht gegenüber seinen natürlichen Eltern nicht verliert. Das wäre stossend. - Welche erbrechtlichen Wirkungen ausländische einfache Adoptionen haben, die nach dem 1. April 1973 ausgesprochen worden sind, ist im übrigen hier nicht zu entscheiden.
Die Berufung ist daher in diesem Punkte unbegründet.
2.
In zweiter Linie wird mit der Berufung die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung in Frage gestellt, wonach die
BGE 106 II 272 S. 277
ehevertragliche Zuweisung des Vorschlages an den überlebenden Ehegatten der Herabsetzung unterliegt, soweit Pflichtteilsrechte der Nachkommen verletzt sind (
BGE 102 II 313
ff.). Dieser Einwand ist zulässig, obschon er im kantonalen Verfahren nicht vorgebracht worden ist. Es handelt sich nicht um ein neues Vorbringen im Sinne von
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
, sondern lediglich um eine neue rechtliche Würdigung des unbestrittenen Sachverhaltes, wie er im kantonalen Verfahren festgestellt worden ist (
BGE 104 II 111
).
Es trifft zu, dass der zitierte Entscheid in der Lehre teilweise auf heftige Kritik gestossen ist (alt Notariatsinspektor H. HUBER, ZBGR 58/1977, S. 250 ff.; H.A. KAUFMANN, Ehevertragliche Vorschlagsausbedingung und pflichtteilsrechtliche Herabsetzung, in: Berner Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1979, S. 233 ff.; Professor H. HUBER, Vertrauensschutz, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, S. 316 f.), und dass auch das Obergericht des Kantons Zürich in einem Urteil vom 22. Januar 1980 an der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung festgehalten und die neue kritisiert hat (SJZ 76/1980, S. 166 ff., sowie ZBGR 61/1980, S. 146 ff., mit einer redaktionellen Anmerkung von alt Notariatsinspektor H. HUBER, S. 168). Indessen hat das Bundesgericht für seine Praxisänderung auch Zustimmung gefunden (PIOTET, JdT 125/1977 I, S. 146 ff., und ZBGR 59/1978, S. 1 ff.; vgl. auch die differenzierte Stellungnahme von HAUSHEER, ZBJV 114/1978, S. 178 ff.). Überdies ist auf die Kritik zu verweisen, die die frühere bundesgerichtliche Rechtsprechung in der Lehre immer wieder erfahren hat (vgl. die Zitate in
BGE 102 II 320
).
Trotz der Kritik an der in
BGE 102 II 313
ff. erfolgten Praxisänderung drängt es sich nicht auf, die Frage der Herabsetzbarkeit der ehevertraglichen Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten erneut zu überprüfen. Der wohl gewichtigste Einwand, der gegen jenen Entscheid erhoben wird, geht dahin, er missachte die Gebote der Rechtssicherheit und der Kontinuität der Rechtsprechung. Dieses Argument hat sich jedoch inzwischen, nach Ablauf von vier Jahren, in sein Gegenteil verkehrt. Zu einer Rückkehr zur alten Praxis besteht sodann heute umso weniger Anlass, als die betreffende Rechtsmaterie gegenwärtig ohnehin einer umfassenden
BGE 106 II 272 S. 278
Revision unterzogen wird. Am 11. Juli 1979 hat der Bundesrat der Bundesversammlung nämlich eine Botschaft über die Änderung des ZGB auf dem Gebiet der Wirkungen der Ehe und des Ehegüterrechts unterbreitet (BBl 1979 II S. 1191 ff.). Im Gesetzesentwurf wird auch das Verhältnis zwischen den ehevertraglichen Vereinbarungen über die Beteiligung am Vorschlag und dem Pflichtteilsrecht geregelt, dem Grundsatz nach übrigens im Sinne der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass die güter- und erbrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten allgemein wesentlich verbessert werden soll (BBl 1979 II S. 1322 und 1415). Es müsste zu grosser Unsicherheit führen, wenn die Praxis kurz vor der abschliessenden, den Gesamtzusammenhang berücksichtigenden Regelung der Frage durch den Gesetzgeber ein zweites Mal geändert würde. Aus dieser Überlegung heraus haben es die eidgenössischen Räte denn auch abgelehnt,
Art. 214 Abs. 3 ZGB
entsprechend einer Initiative von Nationalrat Kaspar Meier im Sinne einer ganzen oder teilweisen Rückkehr zur früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu revidieren (Amtl. Bull. S 1979, S. 192 ff.; vgl. insbesondere das Votum von Bundesrat Furgler, S. 200 ff.).
Die Vorinstanz hat die im Ehevertrag vom 29. November 1962 vereinbarte Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten daher zu Recht der Herabsetzung unterstellt, so dass sich die Berufung auch in diesem Punkt als unbegründet erweist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Obergerichtes (II. Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 17. April 1980 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a80d7744-3827-41a0-ae9a-ca8fc7a4f4d9 | Urteilskopf
93 II 498
61. Arrêt de la Ire Cour civile du 5 décembre 1967 dans la cause Bidenger contre "Bâloise-Accidents", Compagnie générale d'assurances. | Regeste
Art. 83 Abs. 1 SVG
;
Art. 60 Abs. 2 OR
.
1. Ist die vom Strafgesetz vorgesehene längere Verjährung auch anwendbar auf die direkte Klage des Geschädigten gegen den Versicherer des Motorfahrzeughalters, der sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat? Offen gelassen. Voraussetzungen der Befugnis des Zivilrichters zur freien Entscheidung darüber, ob die schädigende Handlung einen Verstoss gegen das Strafgesetz darstellt (Erw. 1).
2. Kenntnis vom Schaden (Erw. 2).
3. Das Gesuch um vorsorgliche Beweisaufnahme unterbricht die Verjährung nicht (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 499
BGE 93 II 498 S. 499
A.-
Le 9 août 1961, vers 16 h. 30, Roland Jecker, titulaire d'un permis de conduire depuis vingt jours, pilotait sa voiture à une vitesse de 50 à 60 km/h sur la route cantonale Brigue-Sierre. Il pleuvait légèrement; la route, en bon état, était mouillée. A un moment donné, Jecker sentit son automobile déraper et freina. Son véhicule continua à se déplacer sur la gauche et entra en collision avec une voiture qui roulait en sens inverse et était conduite par Maurice Bidenger. Celui-ci fut blessé à un bras et au genou droit. Son épouse subit des contusions à la poitrine et des blessures au visage. Ils ont été soignés à l'hôpital de Sierre jusqu'au 29 août 1961. Ils ont ensuite rejoint leur domicile à Paris.
Le 10 octobre 1961, le Département de justice et police du canton du Valais a condamné Jecker à une amende de 75 fr. pour contravention à la loi fédérale sur la circulation des véhicules automobiles et des cycles.
En France, les époux Bidenger ont été examinés notamment par le Dr Meillaud. Dans son rapport du 15 mars 1962, ce médecin a constaté que l'évolution des diverses lésions qu'ils avaient subies était achevée. Il a estimé que leur invalidité avait été totale jusqu'au 20 octobre 1961, de 40% jusqu'au 15 mai 1962 et que, depuis cette date, l'invalidité partielle permanente de Maurice Bidenger était de 16% et celle de sa femme de 25%. Il s'est aussi prononcé sur le préjudice esthétique et le "pretium doloris".
Agissant au nom des époux Bidenger, la Société suisse d'assurances "Helvetia-Accidents" (ci-après: l'Helvetia) a réclamé, en mai 1963, à l'assureur de la responsabilité civile de Jecker, la Compagnie générale d'assurances "Bâloise-Accidents" (ci-après: la Bâloise), le versement de divers montants en réparation du dommage causé par l'accident. A la demande de la Bâloise, les époux Bidenger ont alors été examinés par le professeur Patry. Ce dernier a admis en résumé que les troubles dont ils se plaignaient étaient d'ordre subjectif et sans incidence sur leur capacité de travail. Par lettre du 22 avril 1964, l'Helvetia a informé la Bâloise que les époux Bidenger contestaient les conclusions du professeur Patry et engageraient une action en justice. Le 19 mai 1964, la Bâloise répondit qu'elle reprenait sa liberté d'action et se réservait d'invoquer la prescription en cas de procès.
BGE 93 II 498 S. 500
Par requête de preuve à futur du 29 mai 1964, les époux Bidenger ont demandé au Juge-Instructeur II des districts de Sierre et de Sion d'ordonner une expertise médicale. La Bâloise s'est opposée à la requête. Le juge-instructeur l'a admise le 6 juillet 1964 et a chargé le Dr Perret de procéder à l'expertise. Dans son rapport du 26 novembre 1964, communiqué aux parties le 2 décembre, ce dernier a évalué l'invalidité permanente de Maurice Bidenger à 15% et celle de sa femme à 20%.
Le 3 juin 1966, les époux Bidenger ont ouvert action contre la Bâloise en paiement de diverses indemnités. La défenderesse a conclu au rejet de la demande. Elle a invoqué la prescription.
B.-
Le 20 avril 1967, le Tribunal cantonal valaisan a accueilli l'exception de prescription et rejeté l'action.
C.-
Agissant par la voie du recours en réforme, les demandeurs prient le Tribunal fédéral d'écarter l'exception de prescription et de renvoyer la cause à la juridiction cantonale pour qu'elle statue sur le montant des dommages-intérêts. L'intimée conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'action en dommages-intérêts et en réparation du tort moral des recourants a été intentée à la suite d'un accident du 9 août 1961 causé par un véhicule automobile. Elle se prescrit par deux ans à partir du jour où ils ont eu connaissance du dommage et de la personne qui en est responsable, conformément à l'art. 83 al. 1 LCR, entrée en vigueur le 1er janvier 1960. La seconde phrase de cette disposition prévoit que "si les dommages-intérêts dérivent d'un acte punissable soumis par les lois pénales à une prescription de plus longue durée, cette prescription s'applique à l'action civile". Ce texte est identique à celui de l'art. 60 al. 2 CO, repris de l'art. 69 du code de 1881. La jurisprudence relative à l'art. 60 al. 2 CO peut donc servir à son interprétation.
L'application de l'art. 60 al. 2 CO ne suppose pas qu'une poursuite pénale ait été engagée (RO 44 II 178, 45 II 329, 60 II 35, 62 II 283/284). Il suffit que les dommages-intérêts dérivent d'un acte punissable et que le délai de prescription de l'action pénale soit plus long que celui de l'action civile. Lorsqu'un délit ne se poursuit que sur plainte, on est en présence d'un acte punissable - et la durée de la prescription pénale entre en ligne de compte - même si la plainte n'a pas
BGE 93 II 498 S. 501
été déposée (JdT 1932 I 579, RO 77 II 317). La plainte, en effet, est une condition de l'exercice de l'action publique et non de punissabilité (RO 81 IV 92 ss. consid. 3). A moins que le juge pénal ait prononcé une condamnation ou un acquittement, le juge civil décide librement si l'acte de l'auteur constitue une infraction à la loi pénale (RO 44 II 178, 66 II 160). Possède-t-il également cette compétence lorsque la poursuite pénale est arrêtée par une ordonnance de non-lieu? Dans l'arrêt Perrin (RO 77 II 319), le Tribunal fédéral a relevé que la condition même de l'application de l'art. 60 al. 2 CO, soit l'existence d'un acte punissable, faisait défaut quand le juge pénal avait rendu un non-lieu. Il se référait à l'arrêt Jobas (RO 62 II 283) qui envisage le cas d'un non-lieu prononcé en raison de l'extinction de l'action pénale dont la prescription est acquise. Selon la jurisprudence récente (RO 91 II 431), le lésé a la faculté de reporter le terme du délai de prescription de l'action civile au-delà du moment où survient la prescription pénale, s'il interrompt cette dernière par l'un des actes prévus par l'art. 135 CO. Dès lors, un non-lieu fondé sur l'extinction de l'action pénale pour cause de prescription n'empêche plus le juge civil de rechercher si "les dommages-intérêts dérivent d'un acte punissable soumis par les lois pénales à une prescription de plus longue durée". Dans d'autres arrêts, le Tribunal fédéral a considéré que la décision de non-lieu, qui n'acquiert pas force de chose jugée, ne liait pas le juge civil; cet effet se produirait uniquement si le non-lieu émane du juge pénal statuant sur l'existence même de l'action publique (RO 55 II 26, JdT 1944 I 466). Il s'est prononcé dans le même sens à propos de l'interprétation de l'art. 6 al. 3 de la loi fédérale sur la responsabilité des fabricants, du 25 juin 1881, qui étend l'obligation du fabricant de réparer le dommage subi par l'employé "dans le cas où la lésion corporelle ou la mort de la victime a été causée par un acte du fabricant, susceptible de faire l'objet d'une action au pénal" (RO 16 p. 155/156, 26 II 174, 28 II 227/228).
La décision du Département de justice et police du canton du Valais, du 10 octobre 1961, a été rendue sur la base des art. 23 ss. de l'ordonnance valaisanne d'exécution, du 23 mai 1933, concernant la loi fédérale sur la circulation des véhicules automobiles et des cycles. Selon l'art. 25 de cette ordonnance, le département statue, sous réserve des exceptions énumérées au premier alinéa de cette disposition, sur toutes les infractions
BGE 93 II 498 S. 502
prévues aux
art. 58 à 64
LA. En vertu de l'art. 27 litt. b, il décide si le cas est de son ressort ou s'il doit être dénoncé au juge-instructeur. En l'espèce, le département connaissait l'existence de lésions corporelles par le rapport de police qui lui a été adressé. Il a condamné Jecker à une amende pour contravention aux règles sur la circulation routière et ne l'a pas dénoncé au juge-instructeur pour lésions corporelles par négligence. Il est possible qu'il ait considéré que les lésions n'étaient pas graves au sens de l'art. 125 al. 2 CP. Dans ce cas, la poursuite n'ayant lieu que sur plainte (art. 125 al. 1 CP), il n'avait pas qualité, ni partant l'obligation de saisir le jugeinstructeur. L'absence d'une telle dénonciation ne saurait donc être assimilée à un non-lieu qui lierait le juge civil. Aussi conviendrait-il d'examiner si Jecker s'est rendu coupable du délit visé par l'art. 125 CP. L'action pénale en effet se prescrit par cinq ans en cas de délit (art. 70 CP) et par une année en cas de contravention (art. 109 CP). Cependant, la décision du 10 octobre 1961 n'a pas fait l'objet d'un recours au Conseil d'Etat dans les dix jours dès sa notification. Elle a acquis force de chose jugée. Or dès l'entrée en force de sa condamnation, Jecker n'avait plus à répondre, une seconde fois, d'un même état de fait devant une juridiction de répression. Cela aurait été contraire au principe "ne bis in idem" qui ressortit au droit matériel (RO 86 IV 52). Du moment que l'autorité pénale n'a retenu qu'une contravention à sa charge, il s'est donc trouvé libéré d'une poursuite éventuelle pour délit de lésions corporelles par négligence. S'il s'en était rendu coupable, la situation ainsi acquise aurait correspondu à celle d'un acquittement, prononcé sans doute à tort, mais qui n'en lierait pas moins le juge civil.
Il s'ensuit que les recourants ne sauraient bénéficier de la durée plus longue de la prescription de l'action pénale. En outre, la question de savoir si la prescription civile ainsi prolongée s'applique uniquement à l'action dirigée contre l'auteur du délit, à l'exclusion de celle que le lésé a le droit d'intenter directement à l'assureur en vertu de l'art. 65 LCR, peut demeurer ouverte (en faveur de cette thèse: OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, II/2 p. 683/4; plus réservé: BUSSY, Fiche juridique suisse, no 920 ch. 5 et 20).
2.
Selon la jurisprudence, le lésé connaît le dommage lorsqu'il apprend, touchant son existence, sa nature et ses
BGE 93 II 498 S. 503
éléments, les circonstances propres à fonder et à motiver une demande en justice. Si l'ampleur du préjudice résulte d'une situation qui évolue, la prescription ne court pas avant le terme de l'évolution (RO 89 II 404, 417 et les arrêts cités, 92 II 4 consid. 3).
D'après les constatations de la cour cantonale, l'évolution de l'incapacité de travail des époux Bidenger était achevée en mars 1962. Grâce aux rapports de leur médecin, le Dr Meillaud, ceux-ci étaient également au courant, à cette époque, du degré de leur invalidité. En mai 1963, l'Helvetia, qui les représentait, a adressé à la Bâloise une demande d'indemnité détaillée qui indiquait des taux précis d'invalidité permanente. De ces faits, la cour cantonale déduit, avec raison, que les recourants ont eu connaissance du dommage dès le mois de mars 1962. Certes, les conclusions du Dr Meillaud ont été contestées par l'intimée et le professeur Patry a estimé qu'il n'y avait pas de facteurs objectifs créant une invalidité permanente. Les recourants soutiennent que dans ces conditions ils ne pouvaient agir contre la Bâloise. Seule l'expertise judiciaire confiée au Dr Perret, et qui leur a été communiquée le 2 décembre 1964, leur aurait donné une connaissance suffisante des conséquences du fait dommageable. Cela est inexact. Amplement renseignés sur ce point par leur médecin, en mars 1962, ils disposaient alors des éléments nécessaires leur permettant de fonder sérieusement et objectivement une action en justice. Ils ont d'ailleurs formellement contesté les conclusions du professeur Patry. A suivre leur argumentation, la prescription ne courrait pas si le défendeur conteste le dommage, en invoquant l'avis d'un expert et aussi longtemps que ce dernier ne serait pas contredit par l'administration d'une preuve judiciaire.
C'est à la demande de la Bâloise, il est vrai, que les recourants ont été examinés par le professeur Patry. Mais, supposé que l'on puisse inférer de cette attitude que l'intimée eût reconnu en principe l'obligation de réparer le dommage prétendu, un nouveau délai de prescription aurait commencé à courir dès le 19 mai 1964 lorsqu'elle les a avisés qu'elle "reprenait sa liberté d'action et se réservait d'invoquer la prescription en cas de procès". Or jusqu'à l'ouverture de la présente action, le 3 juin 1966, soit pendant plus de deux ans, il n'y a pas eu d'acte interruptif de la prescription. Une requête de preuve à futur ne produit pas un tel effet (OSER/SCHÖNENBERGER, n. 8 ad art. 135
BGE 93 II 498 S. 504
CO; BECKER, n. 20 ad art. 135 CO; RATHGEB, Mélanges François Guisan, p. 243 ch. 8). Celle que les recourants ont adressée au juge-instructeur a d'ailleurs été déposée le 29 mai 1964, plus de deux ans avant l'ouverture de l'action. Eu égard au contenu de la lettre de l'intimée, du 19 mai 1964, celle-ci n'a pas non plus abusé de son droit en excipant de la prescription.
Enfin, les recourants font état d'un paiement de la Bâloise, du 5 juillet 1966, relatif à leurs frais de déplacement et de séjour à Genève pour l'expertise du professeur Patry. Ils prétendent que l'intimée a ainsi interrompu le délai de prescription. Mais ce paiement est intervenu après l'ouverture de l'action. De plus, il ne se rapporte pas à un élément du dommage directement causé par l'accident du 9 août 1961. Les recourants l'admettent expressément dans leur mémoire de demande (chiffre 40), où ils allèguent que la Bâloise avait promis de leur rembourser ces frais. L'engagement pris à ce sujet ne constitue donc pas une reconnaissance des prétentions qu'ils ont fondées sur la responsabilité civile du détenteur du véhicule automobile.
Il suit de là que l'action des recourants était prescrite au moment où ils l'ont introduite.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme le jugement rendu le 20 avril 1967 par le Tribunal cantonal valaisan. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a80ebac2-67dd-4220-bc27-4a999043ccfd | Urteilskopf
124 I 176
22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Mai 1998 i.S. Ludwig A. Minelli gegen Gemeindesteueramt Maur, Finanzdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Persönliche Freiheit, Datenschutz; Steuerausweis.
§ 83 des zürcherischen Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 ist eine genügende gesetzliche Grundlage für die Abgabe eines Steuerausweises an Dritte; Vorliegen eines hinreichenden öffentlichen Interesses (E. 5).
Es besteht kein Anspruch, dass der Steuerpflichtige vor der Abgabe eines Steuerausweises angehört wird (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 176
BGE 124 I 176 S. 176
Ludwig A. Minelli verlangte mit Schreiben vom 16. April 1996 vom Gemeindesteueramt Maur die Sperrung seiner Steuerdaten, wodurch die Herausgabe von Steuerausweisen über ihn unzulässig werde. Das Gemeindesteueramt Maur beschied am 17. April 1996, nach § 83 des kantonalen Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 (StG) seien die Gemeinden ermächtigt, gegen Gebühr Ausweise über Einkommen und Vermögen gemäss letzter rechtskräftiger Einschätzung oder aufgrund der letzten Steuererklärung auszustellen; das Gesuch müsse deshalb abgewiesen werden.
BGE 124 I 176 S. 177
Ludwig A. Minelli erhob dagegen Rekurs an die Finanzdirektion des Kantons Zürich. Diese behandelte den Rekurs als Aufsichtsbeschwerde im Sinne von § 70 des Steuergesetzes und wies diese ab. Mit Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Zürich beantragte Ludwig A. Minelli, die Verfügung der Finanzdirektion aufzuheben, sein Gesuch um Sperrung der Steuerdaten gutzuheissen und das Gemeindesteueramt Maur anzuweisen, bis zur rechtskräftigen Erledigung der Beschwerde ohne seine Stellungnahme keine Steuerausweise über ihn abzugeben; zum Verfahren stellte er unter anderem den Antrag, der Regierungsrat habe auf die Entscheidung dieser Sache zu verzichten und sie dem Verwaltungsgericht zur Erledigung zu überweisen, da es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
handle.
Der Regierungsrat trat mit Entscheid vom 5. Februar 1997 auf die Eingabe ein, behandelte sie als Beschwerde im Sinne von § 70 Abs. 2 des Steuergesetzes und wies sie ab.
Ludwig A. Minelli erhob am 3. März 1997 staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Regierungsrates aufzuheben, den Regierungsrat anzuweisen, sein Gesuch um Sperrung der Steuerdaten gutzuheissen, und im Sinne einer provisorischen Massnahme das Gemeindesteueramt Maur anzuweisen, bis zur rechtskräftigen Erledigung keine Steuerausweise über ihn abzugeben, ohne ihm vorher Gelegenheit zu geben, zu entsprechenden Gesuchen Dritter Stellung zu nehmen und allenfalls einen Entscheid darüber erwirken zu können.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Die Frage, ob die allgemeine Zugänglichkeit der im Steuerausweis enthaltenen Daten überhaupt in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit bzw. von
Art. 8 EMRK
fällt, kann offenbleiben; selbst wenn dies der Fall wäre, vermag die Beschwerde - wie sich aus dem folgenden ergibt - nicht durchzudringen.
a) Die persönliche Freiheit ist nicht unbeschränkt. Einschränkungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sind und den Kerngehalt des Grundrechts nicht beeinträchtigen (
BGE 124 I 85
E. 3;
BGE 123 I 221
E. I/4 S. 226;
BGE 122 I 360
E. 5b/aa S. 363;
BGE 120 Ia 147
E. 2b S. 150). Desgleichen sind Eingriffe in das Privatleben nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind
BGE 124 I 176 S. 178
und eine Massnahme darstellen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.
b) Vorliegend besteht eine gesetzliche Grundlage in § 83 des zürcherischen Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 (StG). Diese Bestimmung lautet:
"§ 83 Steuerausweise
Die Gemeindesteuerämter stellen gegen Gebühr Ausweise über Einkommen
und
Vermögen oder Ertrag und Kapital gemäss letzter rechtskräftiger
Einschätzung oder aufgrund der letzten Steuererklärung aus. Ausnahmsweise
können auch Ausweise über frühere Einschätzungen ausgestellt werden."
Das Bundesgericht prüft die Auslegung kantonalen Rechts im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde frei, sofern ein schwerer Grundrechtseingriff vorliegt, im übrigen nur auf Willkür hin (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. Bern 1994, S. 177 ff.). Ob vorliegend überhaupt ein schwerer Grundrechtseingriff besteht, kann offenbleiben, da - wie sich aus dem folgenden ergibt - § 83 des Steuergesetzes auch bei freier Prüfung eine genügende gesetzliche Grundlage für die öffentliche Bekanntgabe des Steuerausweises darstellt.
c) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass der Wortlaut von
§ 83 StG
für sich genommen die Abgabe von Steuerausweisen erlaubt. Er bringt indessen vor, diese Bestimmung verstosse gegen das jüngere kantonale Datenschutzgesetz vom 6. Juni 1993 (kDSG), insbesondere gegen dessen §§ 4 und 5. Durch diese Bestimmungen werde der Anwendungsbereich von
§ 83 StG
wesentlich eingeschränkt.
aa) Nach § 4 Abs. 1 kDSG dürfen Personendaten bearbeitet werden, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht. Gemäss Abs. 4 dürfen Daten nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, der aus den Umständen ersichtlich ist oder der gesetzlich vorgesehen ist. § 5 kDSG enthält sodann einschränkendere Vorschriften für besonders schützenswerte Daten.
bb)
§ 83 StG
stellt gerade eine solche in § 4 kDSG verlangte gesetzliche Grundlage dar. Wenn ein jüngeres Gesetz andere Gesetze vorbehält oder darauf verweist, kann insoweit die lex-posterior-Regel keine Anwendung finden. Diese kommt dann zum Zuge, wenn sich
BGE 124 I 176 S. 179
zwei Gesetze widersprechen. Vorliegend gibt es gar keinen Widerspruch, da das Datenschutzgesetz ausdrücklich festhält, dass eine Datenbearbeitung zulässig sei, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht. Dass nur solche Gesetze, die ihrerseits jünger sind als das Datenschutzgesetz, eine gesetzliche Grundlage im Sinne von § 4 kDSG darstellen könnten, ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem vernünftigen Sinn dieser Bestimmung.
cc) Die Behauptung des Beschwerdeführers, Angaben über das steuerbare Einkommen und Vermögen gehörten zu den besonders schützenswerten Personendaten im Sinne von § 5 kDSG, findet im Gesetz keine Stütze. Das Gesetz umschreibt in § 2 lit. d die besonders schützenswerten Personendaten als Daten, bei denen wegen ihrer Bedeutung, der Art ihrer Bearbeitung oder ihrer Verknüpfung mit anderen Daten eine besondere Gefahr einer Persönlichkeitsverletzung besteht; diese Legaldefinition wird mit einer nicht abschliessenden Aufzählung illustriert. Die Daten, welche gemäss
§ 83 StG
im Steuerausweis enthalten sind, und überhaupt Daten über finanzielle Verhältnisse, sind darin nicht erwähnt. Gleiches gilt für das eidgenössische Datenschutzgesetz vom 19. Juni 1992 (DSG; SR 235.1): dieses enthält in Art. 3 lit. c eine abschliessende Liste der besonders schützenswerten Daten, wobei Daten über Einkommens- und Vermögensverhältnisse gerade nicht dazu gehören (Belser, in: Maurer/Vogt, Kommentar zum Datenschutzgesetz, Basel 1995, Rz. 10 zu Art. 3). Auch die Datenschutzkonvention des Europarates vom 28. Januar 1981, welche in Art. 6 "besondere Arten von Daten" umschreibt, die eines qualifizierten Schutzes bedürfen, rechnet Angaben zu den finanziellen Verhältnissen nicht dazu (vgl. FERDINAND HENKE, Die Datenschutzkonvention des Europarates, Diss. Trier 1985/86, S. 115 ff.). Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht, inwiefern durch die öffentliche Bekanntgabe von Informationen über das steuerbare Einkommen und Vermögen eine besondere Gefahr einer Persönlichkeitsverletzung geschaffen werden soll. Dass diese Daten auch von Medien publik gemacht werden können, stellt an sich jedenfalls noch keine solche Gefahr dar. Wenn bestimmte Medien solche Daten falsch, unvollständig oder in verzerrender Weise darstellen und dadurch Persönlichkeitsrechte bedroht oder verletzt sind, können sich die Betroffenen gegen das Medienunternehmen wenden. Das ist aber kein Grund, die Daten als solche als besonders schützenswerte Personendaten zu betrachten, müssten doch sonst sämtliche Informationen so qualifiziert werden, da eine persönlichkeitsverletzende
BGE 124 I 176 S. 180
Verwendung nie ausgeschlossen werden kann. Unter diesen Umständen können die im Steuerausweis enthaltenen Angaben (Höhe des steuerbaren Einkommens und Vermögens) nicht als besonders schützenswerte Personendaten im Sinne des zürcherischen Datenschutzgesetzes betrachtet werden.
dd) Im übrigen könnten gemäss § 5 lit. a kDSG auch besonders schützenswerte Personendaten bearbeitet werden, wenn sich die Zulässigkeit aus einer gesetzlichen Grundlage "klar" ergibt.
§ 83 StG
kann ohne weiteres als "klar" in diesem Sinne betrachtet werden.
ee) Nach Ansicht des kantonalen Datenschutzbeauftragten verstösst die allgemeine Zugänglichkeit des Steuerregisters gegen § 8 kDSG, da als genügende gesetzliche Grundlage nur solche Gesetze betrachtet werden könnten, die ihrerseits datenschutzkonform seien, namentlich den in den lit. a-c von § 8 kDSG enthaltenen Wertungen nicht widersprechen. Nach dem klaren Wortlaut von § 8 kDSG sind jedoch die in den lit. a-c enthaltenen Voraussetzungen für eine Datenbekanntgabe alternativ zum Bestehen einer gesetzlichen Grundlage. Sie kommen dort zum Tragen, wo im Einzelfall über die Zulässigkeit einer Datenbekanntgabe zu entscheiden ist, ohne dass eine gesetzliche Verpflichtung dazu besteht, nicht aber dort, wo ein Gesetz in allgemeiner Weise die Bekanntgabe vorschreibt. Dass - wie der Datenschutzbeauftragte annimmt - das Datenschutzgesetz selber inhaltliche Anforderungen an die Ausgestaltung anderer, spezieller Gesetze enthalten würde, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus allgemeinen Grundsätzen. Im Gegenteil wäre es im Widerspruch zur grundsätzlichen Gleichrangigkeit von Normen der nämlichen Erlassstufe, wenn die Gültigkeit eines bestimmten Gesetzes davon abhängig gemacht würde, dass es den in einem anderen Gesetz enthaltenen Wertungen entspricht. Auch das sehr vage Gebot der Einheit der Rechtsordnung vermag nicht darüber hinweg zu täuschen, dass es divergierende Anliegen und Interessen gibt, welche durch den Gesetzgeber in den jeweils einschlägigen Spezialgesetzen zu regeln sind. Ein Gesetz, welches uneingeschränkt eine Behörde zur Bekanntgabe bestimmter Informationen verpflichtet, stellt eine Rechtsgrundlage dar, welche auch im datenschutzrechtlichen Sinne die Bekanntgabe zulässt (vgl.
BGE 124 III 170
E. 3 S. 171).
ff)
§ 83 StG
stellt somit eine gesetzliche Grundlage im Sinne von § 4 und § 11 Abs. 2 lit. a kDSG dar. Namentlich ist das kantonale Steuergesetz nicht nur einseitig im Lichte der persönlichen Freiheit
BGE 124 I 176 S. 181
bzw. des Datenschutzes auszulegen, sondern ebensosehr im Lichte der ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleisteten Informationsfreiheit. Das Bundesgericht hat in
BGE 107 Ia 234
E. 4 S. 237 ff. entschieden, dass die Verweigerung der Einsicht in das von Gesetzes wegen öffentlich zugängliche Steuerregister willkürlich sei und die Informationsfreiheit verletze. Es ist kein Grund ersichtlich, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der Beschwerdeführer kann auch nichts aus dem datenschutzrechtlichen Grundsatz ableiten, dass Daten nur zu dem Zweck bearbeitet werden dürfen, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich ist oder gesetzlich vorgesehen ist (§ 4 Abs. 4 kDSG), da die Abgabe von Steuerausweisen gesetzlich vorgesehen ist.
d) Es besteht zudem ein hinreichendes öffentliches Interesse an einer allgemeinen Zugänglichkeit des Steuerregisters.
aa) Dafür spricht zum einen das Interesse aktueller oder potentieller Gläubiger des Steuerpflichtigen, welche ein berechtigtes Interesse daran haben, sich über dessen finanzielle Leistungsfähigkeit zu orientieren. Wenn dagegen vorgebracht wird, der Betroffene würde nur sich selber schaden, wenn er einem potentiellen Kreditgeber eine Einsicht in seine Vermögensverhältnisse verweigert (so RAINER J. SCHWEIZER, Allgemeine Zugänglichkeit der Steuerdaten verfassungskonform? Plädoyer 6/1995, S. 13), wird übersehen, dass es auch Personen gibt, die ohne ihr Dazutun (zum Beispiel als ausservertraglich Geschädigte) bereits Gläubiger des Steuerpflichtigen geworden sind und ein schutzwürdiges Interesse daran haben können, auch ohne dessen Einwilligung sein steuerbares Einkommen und Vermögen zu kennen, um abschätzen zu können, ob ein rechtliches Vorgehen sinnvoll ist oder nicht.
bb) Es kann aber auch angenommen werden, dass es im öffentlichen Interesse liegt, wenn in einer demokratischen Gesellschaft eine gewisse Transparenz über die Steuerverhältnisse geschaffen wird, jedenfalls solange damit nicht übermässig in persönliche Verhältnisse eines Steuerpflichtigen eingegriffen wird (BERTIL COTTIER, La publicité des documents administratifs, Genève 1982, S. 214). Dass auch andere politische Wertungen möglich sind, führt nicht zur Verfassungswidrigkeit dieser Konzeption.
cc) Schliesslich ist die Öffentlichkeit der Steuerregister auch ein Element schweizerischer Steuerkultur (so auch SCHWEIZER, a.a.O., S. 13). Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat im Falle Lundvall entschieden, dass das in Schweden geltende Prinzip der Öffentlichkeit von Verwaltungsakten eine genügende Rechtfertigung
BGE 124 I 176 S. 182
sei, um auch die Publikation von Steuerrückstandsregistern zu rechtfertigen (Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 11. Dezember 1985, DR 45 121, Ziff. 5). Der Steuerzahler tritt nicht nur als Privatperson auf, sondern er trägt in einem bestimmten Ausmass an die Finanzierung des Gemeinwesens bei und erfüllt in diesem Sinne eine Aufgabe, die in einem engen Zusammenhang mit dem Politischen und Öffentlichen steht. Es kann daher durchaus als öffentliches Interesse betrachtet werden, zu wissen, wer wieviel an den Staatshaushalt beiträgt. Die Öffentlichkeit des Steuerregisters bezweckt zudem, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, indem Dritte die Steuerbehörden darauf hinweisen können, wenn jemand, der ein tiefes Einkommen und Vermögen versteuert, in Wirklichkeit finanziell bedeutend besser gestellt ist. Dass solche Hinweise angeblich selten vorkommen, lässt nicht ohne weiteres auf die Untauglichkeit dieses Mittels schliessen, ist doch auch eine gewisse präventive Wirkung denkbar. Jedenfalls kann das private Interesse eines Steuerpflichtigen daran, dass Zahlen über sein Einkommen und Vermögen nicht bekanntgegeben werden, nicht als überwiegend gewertet werden. Im Unterschied zu dem in
BGE 107 Ia 52
als unzulässig beurteilten Verlustscheinregister sind aus dem zürcherischen Steuerausweis allfällige Schulden oder Zahlungsrückstände nicht ersichtlich. Auch wenn ein Steuerpflichtiger massiv überschuldet ist, beträgt sein steuerbares Einkommen und Vermögen nicht weniger als 0 Franken. Die persönlichen oder beruflichen Nachteile, die bei einer öffentlichen Bekanntgabe von Verlustscheinen oder sonstigen Schulden eintreten können, sind bei einer solchen Information kaum zu erwarten.
dd) Der Beschwerdeführer bringt vor, es könne nicht im öffentlichen Interesse liegen, unwahre Angaben bekannt zu machen; die Angaben im Steuerregister entsprächen nicht der Wahrheit. Wohl stimmt das im Steuerausweis angegebene steuerbare nicht mit dem effektiven Einkommen und Vermögen überein. Es ist jedoch jedermann bekannt, was für steuerliche Abzüge gemacht werden können, so dass die Tragweite der im Steuerausweis angegebenen Daten richtig eingeschätzt werden kann. Soweit es darum geht zu wissen, wer wieviel an den Staatshaushalt beiträgt, sind zudem die Angaben im Steuerausweis die massgeblichen Informationen.
6.
Der Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid aus, schon heute könne bei der Abgabe von Steuerausweisen den Interessen des Persönlichkeitsschutzes Rechnung getragen werden. Der Beschwerdeführer rügt, das sei nicht der Fall, da kein Verfahren
BGE 124 I 176 S. 183
vorgesehen sei, innerhalb dessen eine Güterabwägung stattfinde. Der Steuerpflichtige, über den ein Dritter einen Steuerausweis verlange, erfahre davon nichts.
a) Wenn das Gesetz ein Register als öffentlich oder bestimmte Informationen als allgemein zugänglich erklärt, so ist damit für alle Beteiligten klar, dass jeder Dritte jederzeit die entsprechenden Informationen zur Kenntnis nehmen kann. Es gibt alsdann keinen verfassungsrechtlichen Anspruch, dass zusätzlich jedermann, der im Register verzeichnet ist, darüber informiert wird, wenn jemand Einblick in das Register verlangt hat. So besteht zum Beispiel kein Anspruch des Grundeigentümers, des Handelsunternehmens oder des Inhabers einer Datensammlung, darüber orientiert zu werden, wenn jemand in die allgemein öffentlichen Daten des Grundbuchs (
Art. 970 Abs. 1 ZGB
), des Handelsregisters (
Art. 930 OR
) oder des Registers der Datensammlungen (
Art. 11 DSG
) Einsicht genommen hat, obwohl auch dort persönliche Daten enthalten sind. Ein solcher Anspruch würde auf ein generelles Recht eines jeden hinauslaufen, jederzeit zu wissen, wer was über ihn weiss. Ein solches "Recht" wäre jedenfalls in dieser allgemeinen Form kaum praktikabel und könnte im Ergebnis jegliche Kommunikation zum Erliegen bringen (ANJA BREITFELD, Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie als Schranke des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Berlin 1992, S. 107 f.; PETER MÜLLER, Datenschutz im Polizei- und Sicherheitsbereich, in: Rainer J. Schweizer [Hrsg.], Das neue Datenschutzgesetz des Bundes, Zürich 1993, S. 159-178, 165; KLAUS VOGELGESANG, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? Diss. Göttingen 1986, S. 142 f. und 147).
b) Indem der Gesetzgeber die allgemeine Öffentlichkeit des Steuerausweises festlegt, hat er die Abwägung zwischen dem Einsichts- und dem Geheimhaltungsinteresse in abstrakter Weise und allgemeingültig vorgenommen (vgl. zu einer ähnlichen Situation im Bereich des Bankgeheimnisses
BGE 123 IV 157
E. 5b S. 165). Ein besonderes Verfahren, in welchem - wie dem Beschwerdeführer offenbar vorschwebt - im Einzelfall eine Güterabwägung erfolgt, würde sich höchstens rechtfertigen, wenn das Gesetz die
BGE 124 I 176 S. 184
Auskunftserteilung nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Es kann offenbleiben, ob in einem solchen Fall ein Anspruch des Betroffenen bestünde, sich zu Auskunftsbegehren zu äussern bzw. dazu, ob die gesetzlichen Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind (verneinend COTTIER, a.a.O., S. 216). Angehört werden muss der Betroffene selbstverständlich dann, wenn das Gesetz die Auskunftserteilung von seinem Einverständnis abhängig macht. Hingegen kann von vornherein kein schutzwürdiges Interesse an der Durchführung eines Verfahrens bestehen, wenn der gesetzliche Informationsanspruch unbedingt gegeben ist und auch gegen den Willen des Betroffenen geltend gemacht werden kann. Die Auskunft kann so oder so nicht verweigert werden, auch wenn der Betroffene sich dagegen stellt. Es handelt sich in solchen Fällen um einen unmittelbar gesetzlichen Anspruch, der nicht erst im Einzelfall durch Verfügung begründet wird. Deshalb kann auch kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf bestehen, ein besonderes Verfahren durchzuführen, in dessen Verlauf erst über die Auskunftserteilung entschieden würde (vgl.
BGE 124 III 170
E. 5a S. 174).
c) Nach § 11 Abs. 1 kDSG kann die betroffene Person die Bekanntgabe ihrer Daten sperren lassen, doch ist gemäss Abs. 2 lit. a die Bekanntgabe trotz dieser Sperrung zulässig, wenn das öffentliche Organ hiezu gesetzlich verpflichtet ist.
§ 83 StG
stellt eine solche gesetzliche Verpflichtung dar. Der Steuerpflichtige hat demnach auch aufgrund des Datenschutzgesetzes keinen Anspruch darauf, die Bekanntgabe seiner Steuerdaten zu sperren; vielmehr können und müssen die Daten auch gegen seinen Willen bekanntgegeben werden. Es handelt sich daher um ein unmittelbar gesetzliches und unbedingtes Auskunftsrecht. Als solches kann es nicht durch die rechtsanwendende Behörde erschwert oder eingeschränkt werden (
BGE 107 Ia 234
E. 5 S. 238; ISABELLE HÄNER, Öffentlichkeit und Verwaltung, Diss. Zürich 1990, S. 257; ZUPPINGER/SCHÄRRER/FESSLER/REICH, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Ergänzungsband, 2. Aufl. Bern 1983, N. 5 zu § 83; RICHNER/FREI/WEBER/BRÜTSCH, Zürcher Steuergesetz, Kurzkommentar, Zürich 1994, N. 2 zu § 83). Ein Anspruch auf die Durchführung eines besonderen Verfahrens und auf Anhörung des betroffenen Steuerpflichtigen besteht daher nicht. Wie es sich in dieser Beziehung unter der Herrschaft des neuen Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 (vgl. § 122) verhalten wird, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a80ebe1d-fb81-4b84-87bc-a0e8433bb83b | Urteilskopf
126 V 30
7. Arrêt du 27 mars 2000 dans la cause J. et D. contre Caisse cantonale neuchâteloise de compensation et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 84, 97 ff. und 128 OG
;
Art. 24 Abs. 1 lit. a FLG
: Besondere Beiträge zur Finanzierung von Familienzulagen in der Landwirtschaft.
Die kantonalen Bestimmungen über die Erhebung solcher Beiträge bilden autonomes kantonales Recht.
Dementsprechend kann ein diesbezüglich letztinstanzlicher kantonaler Entscheid nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Eidg. Versicherungsgericht weitergezogen werden. | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 126 V 30 S. 30
A.-
Les frères J. et D. exercent ensemble la double activité d'agriculteur et d'entrepreneur. Ils sont affiliés en qualité d'indépendants à la Caisse cantonale neuchâteloise de compensation. Par décisions du 21 janvier 1999, cette caisse a fixé le montant de leurs cotisations AVS/AI/APG pour les années 1996 et 1997. Elle leur a également réclamé, par les mêmes décisions, les cotisations dues par les travailleurs indépendants de l'agriculture pour financer le service des allocations familiales. Ces cotisations représentaient 30 pour cent de la cotisation personnelle AVS/AI/APG de chacun des débiteurs, soit, par année, 4'232 francs 20 pour J. et 4'004 francs 20 pour D.
BGE 126 V 30 S. 31
B.-
Les frères D. et J. ont recouru contre ces décisions en faisant valoir que les cotisations destinées au financement du service des allocations familiales devaient être prélevées exclusivement sur leur revenu agricole et non, comme l'avait fait la caisse, sur l'ensemble du revenu qu'ils retiraient de leur double activité professionnelle.
Par jugement du 6 octobre 1999, le Tribunal administratif du canton de Neuchâtel a rejeté le recours.
C.-
Conformément à l'indication des voies de droit figurant au bas de ce jugement, J. et D. interjettent un recours de droit administratif dans lequel ils concluent, sous suite de frais et dépens, à l'annulation du jugement attaqué, ainsi que des décisions administratives précédentes; ils demandent au Tribunal fédéral des assurances de dire que les cotisations qu'ils doivent au régime des allocations familiales ne peuvent être perçues que sur le revenu provenant de leur activité agricole.
La caisse de compensation déclare ne pas avoir d'observations à présenter. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales s'estime incompétent pour prendre position dans un litige relevant selon lui du droit cantonal, mais présente néanmoins des observations sur le fond.
Erwägungen
Considérant en droit :
1.
Le Tribunal fédéral des assurances examine d'office la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 125 V 184
consid. 1 et la jurisprudence citée).
2.
Selon l'
art. 128 OJ
, le Tribunal fédéral des assurances connaît en dernière instance des recours de droit administratif contre des décisions au sens des art. 97, 98 let. b à h et 98a OJ, en matière d'assurances sociales. Quant à la notion de décision pouvant faire l'objet d'un recours de droit administratif, l'
art. 97 OJ
renvoie à l'
art. 5 PA
. Selon le premier alinéa de cette disposition, sont considérées comme décisions les mesures prises par les autorités dans des cas d'espèce, fondées sur le droit public fédéral (et qui remplissent encore d'autres conditions, définies plus précisément par rapport à leur objet). Le recours de droit administratif est également recevable contre les décisions de caractère mixte, fondées sur le droit cantonal d'exécution du droit fédéral ou sur d'autres dispositions de celui-là se trouvant dans un rapport très étroit avec le droit fédéral dont la violation est invoquée dans le cadre du recours de droit administratif (
ATF 124 II 414
consid. 1d/dd).
BGE 126 V 30 S. 32
En revanche, c'est la voie du recours de droit public qui est ouverte contre des décisions fondées sur le droit cantonal autonome, ne présentant pas de rapport de connexité suffisamment étroit avec l'application du droit public de la Confédération (
ATF 125 V 185
consid. 2a,
ATF 124 II 414
consid. 1d/dd, 123 II 361 consid. 1a/aa). Cela vaut aussi lorsque le droit cantonal est pris en exécution du droit fédéral, quand celui-ci laisse au canton une liberté de manoeuvre importante. Pour que le recours de droit administratif soit recevable il ne suffit donc pas que, lors de l'application du droit cantonal autonome, une règle de droit fédéral doive être observée ou doive également être appliquée. Encore faut-il que le droit public fédéral représente la base ou l'une des bases sur lesquelles repose la décision prise dans le cas particulier dans le domaine en cause (
ATF 124 II 414
consid. 1d/dd et la jurisprudence citée). Enfin, la voie du recours de droit administratif n'est pas ouverte pour le seul motif que la décision attaquée violerait le droit fédéral ou que le recourant invoque une violation de ce droit (
ATF 125 V 187
consid. 2d).
Conformément à ces principes, le Tribunal fédéral des assurances a par exemple jugé que les règles cantonales régissant la réduction de primes dans l'assurance-maladie, conformément à l'
art. 65 LAMal
, constituent du droit cantonal autonome. Les conditions d'obtention de ces réductions ne sont pas réglées par le droit fédéral, qui ne définit pas, en particulier, la notion d'"assurés de condition économique modeste" au sens de l'
art. 65 al. 1 LAMal
. Aussi un jugement cantonal de dernière instance en ce domaine ne peut-il être déféré au Tribunal fédéral des assurances par la voie du recours de droit administratif. Demeurent réservées les décisions fondées sur l'ordonnance sur les subsides fédéraux destinés à la réduction des primes dans l'assurance-maladie du 12 avril 1995 (RS 832.112.4), par exemple au sujet de la compétence cantonale selon l'art. 10 de cette ordonnance, et qui peuvent faire l'objet d'un recours de droit administratif (
ATF 124 V 19
; RAMA 1999 no KV 56 p. 1; voir aussi
ATF 125 V 185
consid. 2b,
ATF 122 I 343
).
3.
a) La loi fédérale sur les allocations familiales dans l'agriculture du 20 juin 1952 (LFA; RS 836.1) prévoit le versement d'allocations en faveur des travailleurs agricoles et des "petits paysans". Elle définit le genre et le montant des allocations. Les salariés agricoles ont droit à une allocation de ménage et à des allocations pour enfants (art. 2), alors que les petits paysans n'ont droit qu'à ces dernières (art. 7). Les prestations en faveur des travailleurs agricoles sont à la fois financées par les employeurs et par les pouvoirs publics
BGE 126 V 30 S. 33
(
art. 18 LFA
). Le régime des allocations aux petits paysans est quant à lui financé par les pouvoirs publics, à raison des deux tiers à la charge de la Confédération et d'un tiers à celle des cantons; les cantons peuvent faire participer les communes à leurs subventions (
art. 19 LFA
).
La Confédération n'ayant de loin pas épuisé sa compétence en matière d'allocations familiales, le versement de prestations à ce titre relève pour une large part de la compétence des cantons, qui ont tous adopté des régimes d'allocations familiales pour d'autres personnes que celles visées par la LFA. Cependant, même dans le domaine régi par le droit fédéral, les cantons conservent une compétence législative (voir PASCAL MAHON, Commentaire de la Constitution fédérale [du 29 mai 1874], n. 60 sv. ad
art. 34quinquies aCst.
). C'est ainsi que selon l'
art. 24 al. 1 let. a LFA
, les cantons peuvent, en complément de la LFA, fixer des allocations plus élevées, ainsi que des allocations familiales d'autres genres, et percevoir des contributions spéciales en vue de leur financement. Cette disposition a été introduite par la loi fédérale du 16 mars 1962 (RO 1962 795), entrée en vigueur le 1er juillet 1962. Par son adoption, le législateur a voulu lever toute équivoque sur la compétence des cantons de continuer - bien que le droit aux allocations fût étendu aux petits paysans de plaine par la révision de 1962 - à légiférer comme par le passé en matière d'allocations familiales agricoles (FF 1961 II 485). Une dizaine de cantons - dont celui de Neuchâtel - ont fait usage de cette faculté (voir à ce sujet, MAHON, Les allocations familiales, in : Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, ch. 10 et n. 23; ainsi que Sécurité sociale [CHSS] 1997 p. 63).
b) Le canton de Neuchâtel prévoit des allocations plus élevées, en sus des allocations de droit fédéral, aussi bien pour les travailleurs agricoles que pour les agriculteurs indépendants (voir VSI 2000 p. 7 ss).
D'après la loi cantonale neuchâteloise sur la promotion de l'agriculture du 23 juin 1997 (RSN 910.1), les travailleurs indépendants de l'agriculture, à l'exception des horticulteurs, ont droit à des allocations familiales, qui comprennent les allocations pour enfants et les allocations de formation professionnelle (art. 32). Ces allocations sont égales à celles prévues par la législation cantonale en matière d'allocations familiales; elles incluent les allocations familiales aux petits paysans instituées par le droit fédéral (art. 33). Le financement des allocations est assuré par les cotisations des travailleurs indépendants de l'agriculture, la contribution versée par la Confédération en vertu du droit
BGE 126 V 30 S. 34
fédéral et, si nécessaire, par une contribution du canton (art. 34). Le Conseil d'Etat arrête les dispositions d'exécution nécessaires. Il détermine notamment les conditions d'octroi des allocations, et il fixe le taux des cotisations dues par les travailleurs (art. 35). La loi du 23 juin 1997 abroge notamment la loi sur les allocations familiales et professionnelles en faveur des travailleurs indépendants de l'agriculture et de la viticulture du 25 mars 1980 (RLN VII/2 588), qui prévoyait déjà un régime analogue, en particulier un financement des allocations par les travailleurs indépendants de l'agriculture (art. 4).
Le règlement du Conseil d'Etat neuchâtelois concernant les allocations familiales en faveur des travailleurs indépendants de l'agriculture, du 17 décembre 1997 (RSN 822.201), précise qu'ont droit à des allocations familiales et contribuent à leur financement par des cotisations les travailleurs indépendants de l'agriculture, à l'exception des horticulteurs, qui exercent une activité dans le canton et dont les revenus sont soumis aux cotisations de l'AVS (art. 1er). Les cotisations dues par les travailleurs indépendants de l'agriculture pour financer le service des allocations familiales sont égales à 30 pour cent de leur cotisation personnelle AVS (art. 7). Il est à relever que le précédent règlement d'exécution sur le même objet (RLN VII/3 828) fixait le même taux (art. 3).
c) Le présent litige porte sur le mode de calcul des cotisations spéciales que le canton de Neuchâtel prélève en vertu de la compétence réservée aux cantons par l'
art. 24 al. 1 let. a LFA
. Les décisions administratives de la Caisse cantonale neuchâteloise de compensation et le jugement attaqué se fondent ainsi exclusivement sur les dispositions du droit cantonal susmentionné. La LFA laisse les cantons entièrement libres de fixer ou non des allocations plus élevées et de percevoir, le cas échéant, des contributions spéciales auprès des travailleurs indépendants. Elle ne contient en particulier aucune règle sur la manière d'établir le montant de ces contributions. Il n'existe en l'occurrence pas de rapport de connexité suffisamment étroit avec le droit fédéral qui serait propre à fonder la recevabilité d'un recours de droit administratif en ce domaine. Dans le passé, le Tribunal fédéral des assurances est d'ailleurs déjà parvenu à la même conclusion dans un litige portant sur le versement d'une allocation de naissance instituée par le droit cantonal en application de l'
art. 24 al. 1 let. a LFA
(arrêt non publié T. du 13 novembre 1980).
Le recours de droit administratif est, partant, irrecevable.
4.
Dans leur écriture commune, les recourants soulèvent des moyens susceptibles d'être invoqués dans un recours de droit public
BGE 126 V 30 S. 35
selon l'
art. 84 al. 1 let. a OJ
, qui est de la compétence du Tribunal fédéral. Conformément à l'
art. 96 al. 1 OJ
, la cause sera donc transmise à ce tribunal pour qu'il statue sur la recevabilité et, le cas échéant, sur le mérite de cette écriture en tant que recours de droit public (
art. 84 al. 2 OJ
).
5.
Bien que la procédure ne soit pas gratuite en l'occurrence (
art. 134 OJ
a contrario), il se justifie, sur le vu des circonstances, de renoncer à prélever des frais de justice. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a80ef14f-f975-4f8f-a332-22a584ef9a26 | Urteilskopf
102 IV 271
63. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 22 décembre 1976 dans la cause S. contre Procureur général du canton de Genève | Regeste
Art. 269 Abs. 1 BStP
.
Eidgenössisches Recht im Sinne dieser Bestimmung sind geschriebene und ungeschriebene Normen, die sich aus einem Bundesgesetz ergeben oder aus Beschlüssen und Verordnungen, die in Ausführung eines solchen Gesetzes erlassen wurden.
Blosse Weisungen des EJPD an kantonale Behörden in Strassenverkehrssachen erfüllen diese Voraussetzungen nicht. | Erwägungen
ab Seite 271
BGE 102 IV 271 S. 271
Considérant en droit:
En vertu de l'
art. 269 al. 1 PPF
, le pourvoi en nullité n'est ouvert que pour violation du droit fédéral. Par droit fédéral, on doit entendre les normes du droit écrit et les principes juridiques non écrits qui en découlent (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, p. 546). Il peut s'agir aussi bien de normes de droit fédéral matériel que du droit fédéral de procédure. Mais il doit s'agir de normes ressortant de la loi, ou d'arrêtés ou d'ordonnances pris en application et en conformité de la loi.
Or ce qu'invoque le recourant comme règles de droit fédéral, qui auraient été violées par l'autorité cantonale, ce sont des dispositions d'instructions du Département fédéral de justice et police concernant les contrôles de vitesse dans la circulation routière, instructions adressées aux départements cantonaux compétents en matière de circulation routière. Mais de
BGE 102 IV 271 S. 272
telles instructions n'ont pas le caractère de loi et sont dénuées de toute force obligatoire. Déjà sous l'empire de la loi de 1932 sur la circulation des véhicules automobiles et des cycles, la jurisprudence avait posé que les circulaires des départements n'avaient pas force de loi, qu'elles ne constituaient tout au plus que des avis et directions à l'adresse des autorités administratives, et que le juge n'était nullement lié par elles (
ATF 64 I 67
). Depuis lors la LCR, à son art. 106 al. 1, qui fixe la compétence générale du Conseil fédéral d'édicter des règlements d'application de la loi sur la circulation routière, précise bien dans sa deuxième phrase que le Conseil fédéral peut charger ses départements de tâches qui lui incombent "à moins qu'il ne s'agisse d'édicter des prescriptions ayant une portée générale". Ainsi la jurisprudence ancienne est entrée dans la loi (SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, Berne 1974, I, p. 291). Les instructions et circulaires sont dépourvues de toute force légale par la loi elle-même (SCHULTZ, Strafbestimmungen des SVG, p. 123, n. 1 al. 2), puisque celle-ci empêche le Conseil fédéral de déléguer à un département le pouvoir réglementaire de portée générale (BUSSY et RUSCONI, CSCR, n. 1.4 ad
art. 106 LCR
).
Les instructions auxquelles le recourant se réfère, et qui fondent son principal moyen, ne peuvent donc pas être invoquées au titre du droit fédéral. Elles le peuvent d'autant moins que, constituant des avis et recommandations aux autorités d'exécution et de police cantonales, elles ne sauraient limiter en quoi que ce soit le pouvoir d'appréciation des preuves qui compète au juge (cf.
ATF 97 I 185
), et à lui seul, selon le droit cantonal souverain en la matière, complété par le principe de libre appréciation des preuves posé par l'
art. 249 PPF
. | null | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a80f2ed1-d7e1-4b1d-9dac-23b54bf972dc | Urteilskopf
91 II 159
25. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung 13. Mai 1965 i.S. V. gegen G. | Regeste
Vaterschaftsklage. Positiver und negativer Abstammungsbeweis. Art. 8, 307, 314, 321 ZGB.
1. Der positive oder negative Abstammungsbeweis steht ausserhalb des Rahmens der Beweisregeln des
Art. 314 ZGB
. Gegenstand und Tragweite des Abstammungsbeweises. (Erw. 4 und 5).
2. Der Beklagte kann von Bundesrechts wegen zur Erbringung eines negativen Abstammungsbeweises verlangen, dass ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten eingeholt werde
- nach Erschöpfung aller andern Beweismittel, die ihm gegenüber der Vermutung seiner Vaterschaft zur Verfügung standen;
- auch wenn er keine sonstigen Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter in der kritischen Zeit nachzuweisen vermag. (Erw. 6).
3. Wann ist der Antrag auf Einholung eines solchen Gutachtens rechtsmissbräuchlich?
Zur Frage der Zulässigkeit eines sog. Ausforschungsbeweises. (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 160
BGE 91 II 159 S. 160
Aus dem Tatbestand:
Die Ehe St.-G. wurde am 4. Oktober 1961 vom Bezirksgericht Zürich geschieden. Das damals von der Ehefrau, geboren 1925, erwartete (einzige) Kind R., geboren am 3. Dezember 1961, wurde auf Klage des geschiedenen Mannes als aussereheliches Kind der geschiedenen Ehefrau erklärt. Hierauf leitete die Amtsvormundschaft der Stadt Zürich im Namen des Knaben R. rechtzeitig die Vaterschaftsklage gegen J. V., geboren 1924, ein. Das Bezirksgericht Zürich, und ebenso das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 30. Oktober 1964, haben den Beklagten als Vater des Klägers zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 80.- nebst allfälligen Kinderzulagen verurteilt. Sie nehmen als bewiesen an, dass der Ehemann St. seiner Frau während der kritischen Zeit nicht beigewohnt hatte, dass dagegen die geschlechtlichen Beziehungen zwischen der Kindsmutter und V. bis in den März 1961 dauerten. Anhaltspunkte für einen Drittverkehr der Kindsmutter seien nicht vorhanden. Es könne ihr auch nicht unzüchtiger Lebenswandel um die Zeit der Empfängnis vorgeworfen werden. Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung wird der Beklagte nicht als Vater des Kindes ausgeschlossen. Der wahrscheinliche
BGE 91 II 159 S. 161
Konzeptionstermin fällt nach dem Tragzeitgutachten auf den 8. März 1961.
Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Beklagte Berufung an das Bundesgericht eingelegt. Er beantragt Abweisung der Klage, eventuell Rückweisung an das Obergericht zur Anordnung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
.....
4.
Zu prüfen bleibt, ob das Obergericht die vom Beklagten beantragte Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens ("AEG") zu Unrecht abgelehnt und dadurch
Art. 8 ZGB
verletzt habe. Das Obergericht weist auf die neueste Rechtsprechung hin, wonach ein solches Gutachten jedenfalls dann einzuholen ist, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, die einen Mehrverkehr der Kindsmutter als möglich erscheinen lassen (
BGE 90 II 224
/25 Erw. 4, c). Diese Voraussetzung sei jedoch hier nicht erfüllt. "Ob der Beklagte auch ohne solche Anhaltspunkte Anspruch auf jenes Gutachten habe, hat das Bundesgericht ausdrücklich offen gelassen. Das Obergericht hat keine Veranlassung, eine solche Ausdehnung des Verfahrens zu befürworten, wenn von ihr nach menschlichem Ermessen keine Aufklärung des Sachverhaltes zu erwarten ist."
Diese Schlussbemerkung verkennt die im AEG liegenden Beweismöglichkeiten. Das AEG kann einen genügend sicheren Ausschluss der Vaterschaft des Beklagten ergeben, auch wenn alle serologischen Untersuchungen nicht zum Ausschluss führten. Dem Obergericht kann daher nicht beigestimmt werden, wenn es erklärt, nach menschlichem Ermessen lasse das AEG keine Aufklärung des Sachverhaltes erwarten. Allerdings kommt dieser Untersuchungsmethode eine geringere Beweiskraft zu als der Blutgruppen-Untersuchung. Deshalb und wegen der bei Einholung eines AEG mitunter sich ergebenden beträchtlichen Verlängerung der Prozessdauer hat sich die Frage erhoben, ob dieses Beweismittel bloss beim Vorliegen von Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter zuzulassen sei (vgl.
BGE 90 II 224
unten). Da hier solche Indizien gänzlich fehlen, ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Beklagte die Einholung eines AEG verlangen könne, neu zu überprüfen.
BGE 91 II 159 S. 162
5.
In erster Linie ist zu beachten, dass die naturwissenschaftlichen Methoden zur Abklärung von Abstammungsfragen den Rahmen der in
Art. 314 ZGB
aufgestellten Beweisregeln überschreiten.
Abs. 1 dieser Norm lässt den Beklagten als Vater des Kindes vermuten, wenn er dessen Mutter nachweisbar in der kritischen Zeit beigewohnt hat. Diese Vermutung fällt nach Abs. 2 weg, wenn gegenüber seiner Vaterschaft erhebliche Zweifelsgründe (namentlich Mehrverkehr der Kindsmutter in der kritischen Zeit) nachgewiesen werden. Alsdann ist die Klage abzuweisen, sofern die Klägerschaft nicht ihrerseits nachzuweisen vermag, dass das Kind nicht vom dritten Beischläfer stammt, oder (positiv) dass es vom Beklagten stammt.
Statt Zweifelsgründe nach
Art. 314 Abs. 2 ZGB
geltend zu machen, und ebenso beim Scheitern einer dahingehenden Einrede, kann der Beklagte aber auch den Beweis führen, dass das Kind nicht von ihm stamme. Dies ist zwar im Gesetze nicht vorgesehen, weil beim Erlass des ZGB niemand damit rechnete, dass ein positiver oder negativer Abstammungsbeweis auch beim Fehlen typischer Rassenmerkmale oder ausgesprochener Anomalien erbracht werden könnte. Jedoch ergibt sich das Beweisthema des Vaterschaftsprozesses vorweg aus
Art. 307 ZGB
: Die Klägerschaft hat zu beweisen, dass der Beklagte der Vater des Kindes ist. Wegen der diesem Beweis anhaftenden Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber die Rechtsvermutung des Art. 314 Abs. 1 aufgestellt (
BGE 87 II 69
Erw. 1). Zu deren Widerlegung ist nun aber, ganz abgesehen von Tatsachen im Sinne des Abs. 2 dieser Bestimmung, auch der Nachweis geeignet, dass das Kind nicht vom Beklagten abstammen kann.
Dieser negative Abstammungsbeweis ist Beweis des Gegenteils dessen, was nach
Art. 314 Abs. 1 ZGB
zu vermuten ist. Es handelt sich also um einen Hauptbeweis (vgl. KUMMER, N. 108 zu
Art. 8 ZGB
). Auf Führung eines solchen Beweises hat nach
Art. 8 ZGB
von Bundesrechts wegen jede Partei Anspruch, die mit der Beweisführung belastet ist und daher gegebenenfalls die Nachteile der Beweislosigkeit zu tragen hat. Und zwar kann sie die Abnahme der dazu tauglichen Beweismittel, also bei Abstammungsfragen die Durchführung der hiefür zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden verlangen, soweit diese beim heutigen Stande der Wissenschaft die streitige Abstammung mit genügender Sicherheit abzuklären
BGE 91 II 159 S. 163
vermögen. Nachdem bereits das Tragzeitgutachten als Beweismittel für den Ausschluss der Vaterschaft anerkannt worden war (
BGE 51 II 112
,
BGE 53 II 14
,
BGE 58 II 193
), wurde in
BGE 61 II 72
ff. auch die Blutgruppenuntersuchung als wissenschaftlich gesichertes Beweismittel zum Ausschluss der Vaterschaft befunden und (dort S. 76) ausgeführt, jeder Vaterschaftsbeklagte, "der behauptet, die Blutgruppe des Kindes sei ihm weder von der Mutter noch von ihm vererbt", habe "von Bundesrechts wegen Anspruch auf Vornahme der bezüglichen Feststellungen". Jenes Urteil bedarf insofern der Klarstellung, als es sich nicht, wie dort ausgeführt wird, bloss um "erhebliche Zweifel" an der Vaterschaft des Beklagten handelt, sondern um den vollen Beweis, dass das Kind nicht von ihm stamme, also um den sicheren Ausschluss seiner Vaterschaft.
Dass es zur Entkräftung der Vermutung des
Art. 314 Abs. 1 ZGB
nach Abs. 2 daselbst genügt, Zweifelsgründe (namentlich Mehrverkehr) nachzuweisen, erklärt sich aus dem Inhalt der Vermutungsbasis: Wenn die Vermutung, der Beklagte und kein anderer Mann sei der Vater des Kindes, schon an eine ihm nachgewiesene, in die kritische Zeit fallende Beiwohnung geknüpft wird, so lässt sich diese der Natur der Sache nach ausschliesslich für einen Mann geltende Vermutung nicht aufrecht erhalten, sobald ein zweiter Mann dieselbe Voraussetzung gleichfalls erfüllen würde. Ist aber Mehrverkehr nicht nachgewiesen, so lassen sich nicht etwa "erhebliche Zweifel" an der Vaterschaft des Beklagten auch auf Grund einer die Abstammung des Kindes betreffenden Untersuchung rechtfertigen, falls diese bloss ergibt, dass das Kind mit "beträchtlicher" oder "grosser", nicht aber an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht vom Beklagten abstammt. Denn bei einem so unsicheren Ergebnis bleibt die Zeugung durch den Beklagten im Rahmen des praktisch Möglichen, und es muss daher in einem solchen Falle, sofern kein Mehrverkehr nachgewiesen ist, die Vermutung des
Art. 314 Abs. 1 ZGB
aufrecht bleiben (
BGE 86 II 318
Erw. 3). Man hat es alsdann mit einer der zwar vom Regelfall abweichenden, aussergewöhnlichen Tragzeit- oder Blutgruppenkonstellationen zu tun, die jedoch noch durch die gesetzliche Vermutung gedeckt sind.
Ist dagegen die Abstammung des Kindes vom Beklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch serologischen Befund ausgeschlossen, so ersetzt dieser Gegenbeweis
BGE 91 II 159 S. 164
nicht bloss die Einrede des
Art. 314 Abs. 2 ZGB
, welcher die Klägerschaft ihrerseits durch positiven Nachweis der Vaterschaft des Beklagten auf dem Weg eines AEG begegnen könnte. Dies ist gegenüber einem mit hinreichender Sicherheit erbrachten serologischen Ausschlussbeweis nicht zulässig. Denn der Blutgruppen-Beweis hat durchschlagende Beweiskraft, die sich auch gegenüber einem AEG durchzusetzen vermag. Deshalb lässt sich ein positiver AEG-befund, wie es schon etwa geschehen ist, durch gegenteiligen Blutgruppenbefund widerlegen, während ein rechtsgenüglicher serologischer Ausschlussbefund einem die Vaterschaft bejahenden AEG-befund standzuhalten vermöchte (vgl.
BGE 88 II 398
/99 und
BGE 90 II 273
/74; ferner G. BEITZKE, Rechtsfragen der Vaterschaftsbegutachtung, in "Vaterschaftsgutachten..." 1956, S. 20). Eine andere, hier nicht zu prüfende Frage ist es, ob man einem auf praktische Unmöglichkeit der Vaterschaft des betreffenden Mannes lautenden Tragzeitgutachten einen positiven AEG-befund entgegenhalten könnte (vgl. BEITZKE, a.a.O. S. 15).
Von den Fällen widersprechender Ergebnisse der Blutgruppenuntersuchung einerseits und des AEG anderseits abgesehen (wie sie sich bei fachkundiger Untersuchung und Begutachtung selten ereignen dürften) kommt dem AEG nach dem heutigen Stande der Wissenschaft der Rang eines vollwertigen Beweismittels zur Abklärung von Abstammungsfragen zu. Es ist geeignet, in Einzelfällen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", also mit einem rechtsgenüglichen Grade der Sicherheit, den negativen Beweis der Nichtabstammung oder auch den positiven Beweis der Abstammung des Kindes vom betreffenden Manne zu erbringen. Aus diesem Grunde wird insbesondere der Klägerschaft zugestanden, den Beweis der Abstammung des Kindes vom Beklagten auf dem Wege des AEG zu führen, wenn sie eine Beiwohnung nicht gemäss
Art. 314 Abs. 1 ZGB
nachzuweisen vermochte, oder wenn die aus einer solchen Beiwohnung sich ergebende Rechtsvermutung durch Nachweis von Mehrverkehr nach Abs. 2 daselbst entkräftet wurde; ebenso gegenüber einer allenfalls an sich hinreichend begründeten Einrede des unzüchtigen Lebenswandels nach
Art. 315 ZGB
(
BGE 90 II 272
mit Hinweisen). 6. - Im vorliegenden Falle besteht indessen die Vermutung aus
Art. 314 Abs. 1 ZGB
zugunsten der Klägerschaft, und nach dem Scheitern der Einreden aus Abs. 2 daselbst wie
BGE 91 II 159 S. 165
auch aus
Art. 315 ZGB
will der Beklagte seinerseits einen negativen Abstammungsbeweis führen, wozu nach erfolglos gebliebenem Blutgruppen- und Tragzeitbefund eben nur noch das AEG als taugliches Beweismittel übrig bleibt. Der Beklagte hat den dahingehenden Beweisantrag nach vorinstanzlicher Feststellung in prozessual gültiger Weise gestellt, und in materiell-rechtlicher Hinsicht besteht - anders als bei der Anfechtung der Ehelichkeit, wobei auf die Ehre einer unbescholtenen Ehefrau Rücksicht zu nehmen ist (
BGE 71 II 60
,
BGE 79 II 25
,
BGE 82 II 504
,
BGE 87 II 15
) - im Vaterschaftsprozesse keine Veranlassung, die Einholung eines vom Beklagten beantragten Abstammungsbefundes (also vorweg eines serologischen Befundes und ebenso eines AEG) um der Schonung der Kindsmutter willen nur dann anzuordnen, wenn Anhaltspunkte für Mehrverkehr nachgewiesen sind. Vielmehr kann es sich im Vaterschaftsprozesse nur fragen, ob sich speziell für den AEG-beweis um seiner Besonderheiten willen die Aufstellung einer solchen Voraussetzung rechtfertige, wie es die Vorinstanz annimmt.
Trotz den im AEG liegenden Beweismöglickeiten hat die schweizerische Rechtsprechung bisher in der Tat gezögert, dem Beklagten dieses Mittel zur Erbringung eines negativen Abstammungsbeweises auch dann zuzugestehen, wenn er keine Anzeichen für Mehrverkehr der Kindsmutter nachzuweisen vermag. Dieses Bedenken gründet sich namentlich auf die Überlegung, dass der Beklagte den dahingehenden Beweisantrag leichthin stellen könnte, um den Prozess in die Länge zu ziehen (da sich die betreffenden Untersuchungen in der Regel erst dann vornehmen lassen, wenn das Kind mindestens drei Jahre alt ist). Das bildet jedoch keinen durchschlagenden Grund zur Einschränkung des dem Beklagten zustehenden Beweisrechtes.
a) Einmal steht die wissenschaftliche Tauglichkeit der AEG-Methode heute fest, obwohl sich der Sicherheitsgrad des Ergebnisses nicht genau mathematisch fixieren und das subjektive Moment bei der Gesamtbewertung der zahlreichen Merkmale nicht ganz ausschalten lässt. Das subjektive Moment liegt (wie HARRASSER, Das anthropologisch-erbbiologische Vaterschaftsgutachten, 1957, S. 37 bemerkt) "nicht etwa in einer unbegrenzten Ermessensfreiheit des Gutachters, sondern ebenso wie bei jeder Sachverständigentätigkeit, die sich nicht auf routinemässig technische Arbeiten mit einer Anwendung
BGE 91 II 159 S. 166
weniger zwingender Regeln beschränken kann, im Spielraum der Kenntnisse, der Erfahrungen, der Sorgfalt und des Verantwortungsbewusstseins der Sachverständigen...". Die Anerkennung dieses Beweismittels hat sich denn auch in der deutschen Rechtsprechung durchgesetzt (vgl. die Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofes vom 16. Juni 1953, Neue Juristische Wochenschrift 1954 I S. 83/84, und vom 13. November 1963, Entscheidungen des BGH in Zivilsachen 40 S. 375 ff. Erw. b; aus der neueren Literatur: HARRASSER, Der gegenwärtige Stand des erbbiologischen Vaterschaftsgutachtens, NJW 1962 I S. 659 ff.; BAITSCH, Mathematischstatistische Verfahren im anthropologisch-erbbiologischen Gutachten, in "Die medizinische Vaterschaftsbegutachtung mit biostatischem Beweis", herausgegeben von K. Hummel, 1961, S. 53 ff.; HUMMEL, Zum Problem des positiven Vaterschaftsbeweises, NJW 1964 II S. 2191 ff.; P. GOEPFERT, Das anthropologisch-erbbiologische Gutachten im Vaterschaftsprozess, Basler Juristische Mitteilungen 1965 S. 1 ff., TEPLITZKY, Das Vaterschaftsgutachten in der neueren Rechtsprechung, NJW 1965 I S. 334 ff.). Eine Diskriminierung des AEG in dem Sinne, dass es nicht für sich allein, sondern nur als Bestandteil eines sog. Additionsbeweises zu berücksichtigen wäre, ist nicht gerechtfertigt. Sache des Experten und des Richters ist es, Fehlentscheidungen zu vermeiden, die sich etwa als Folge einer zu allgemeinen Formulierung des Untersuchungsergebnisses ergeben könnten (vgl. HUMMEL, a.a.O. S. 2192 linke Spalte, und O. FRANZ, Über die forensische Anwendbarkeit von Vaterschaftsalgorithmen, 1960, S. 33, wonach der Experte darauf bedacht sein soll, "nie dem Richter durch Abgabe von Wahrscheinlichkeitsgutachten ohne diesbezüglichen Kommentar... das Gefühl unberechtigter Sicherheit zu verschaffen").
b) Bei dieser Sachlage darf die Einholung eines AEG insbesondere nicht an die Voraussetzung geknüpft werden, dass gewisse wenn auch schwache Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter nachgewiesen seien. Vielmehr ist der Ansicht beizutreten, wonach "weder der Umstand, dass die beweisfällige Partei einen konkreten Mehrverkehrszeugen nicht namentlich benennen oder in sonstiger Weise ausfindig machen kann, noch das Fehlen anderer Anhaltspunkte für Mehrverkehr" dem Antrag auf Einholung eines AEG entgegensteht (TEPLITZKY a.a.O. III, 2, b mit Hinweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Februar 1964, NJW 1964 I S.
BGE 91 II 159 S. 167
1179/80; ebenso für das schweizerische Recht: SCYBOZ, Jurisprudence actuelle du Tribunal fédéral en matière de preuves scientifiques de la paternité, Journal des Tribunaux 1962 I 201-202; GOEPFERT, a.a.O. S. 8). Gegenstand des negativen AEG ist ja nicht der Mehrverkehr der Kindsmutter, sondern die Unmöglichkeit der Abstammung des Kindes vom Beklagten, wie bereits dargelegt (Erw. 5; im gleichen Sinne HIENDL, Das Blutgruppen- und erbbiologische Gutachten im Alimentenprozess des unehelichen Kindes, NJW 1963 II 1662/63 Ziff. 2). Seinem Wesen nach beruht das AEG ebenso wie die Blutgruppenuntersuchung und das Tragzeitgutachten auf biologischen Gesetzen und Gegebenheiten, die zur Geltung zu kommen verdienen, ohne dass irgendwelche auf Mehrverkehr hindeutende Vorkommnisse aus dem Leben der Kindsmutter bekannt zu sein brauchen.
c) In der deutschen Rechtsprechung wurde dem Antrag auf Anordnung eines AEG (oder einer andern die Abstammung des Kindes betreffenden Untersuchung) gelegentlich entgegengehalten, es handle sich um einen nach prozessrechtlichen Grundsätzen unzulässigen "Ausforschungsbeweis", wenn sich dieser Beweisantrag auf eine "aus der Luft gegriffene, jeder tatsächlichen Grundlage entbehrende Prozessbehauptung" stützt (vgl. das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. April 1952, Entscheidungen des BGH 5 S. 306/7; BAUMBACH/LAUTERBACH, Komm., 26. Auflage, Bem. 2 zu § 282 und Bem. 2 zu § 373 DZPO). In neuerer Zeit wird aber der Eigenart des in Frage stehenden Beweisthemas in zunehmendem Masse Rechnung getragen, und es setzt sich in Abstammungsfragen eine abweichende Betrachtungsweise durch (vgl. ROSENBERG, Lehrbuch des deutschen ZPR, 8. A. 1960, Bem. I 3 d zu § 115 "Die Beweisaufnahme", S. 562; BAUMBACH/LAUTERBACH, a.a.O. und Bem. 2 zu § 640 der deutschen ZPO, Unterrubrik "622 I"; SAUTER, Die Pflicht zur Duldung von Körperuntersuchungen nach
§ 372a ZPO
, im Archiv für die civilistische Praxis Bd. 161/1962, S. 215 ff., bes. 222/23; ferner ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13. November 1963, Entscheidungen des BGH in Zivilsachen 40 S. 367 ff., wo das AEG zum Beweis dafür angerufen war, dass der als Vater in Anspruch genommene Mann in der kritischen Zeit nicht mit der Kindsmutter verkehrt habe). Jedenfalls für das schweizerische Recht lässt sich der Anrufung des AEG-beweises so wenig wie dem Antrag auf Ei nholung
BGE 91 II 159 S. 168
eines Blutgruppen- oder eines Tragzeitgutachtens entgegenhalten, es handle sich dabei um einen ohne tatbeständliche Grundlage versuchten Ausforschungsbeweis. Dieser nicht klar umschriebene und auch im Ausland umstrittene Begriff (vgl. DUNZ, Der unzulässige Ausforschungsbeweis, NJW 9/1956 I S. 769 ff.; BÜTTNER, Vaterschaftsprozess und Ausforschungsbeweis, Zeitschrift für Zivilprozess Bd. 67/1954 S. 73 ff.) hat keine selbständige Bedeutung; er wird aus dem Grundsatz abgeleitet, dass die unter Beweis gestellten Parteivorbringen genügend substanziert sein, d.h. bestimmte tatbeständliche Angaben enthalten müssen, und anderseits aus der Regel, wonach die Abnahme von Beweisen auch gestützt auf eine Vorauswürdigung, sog. antizipierte Beweiswürdigung, abgelehnt werden darf. Aus diesen Gesichtspunkten lässt sich aber gegen das in Frage stehende wissenschaftliche Beweismittel nichts einwenden. Wie bereits dargetan, dienen die zur Abklärung von Abstammungsfragen geeigneten wissenschaftlichen Methoden nicht als Beweismittel für Tatsachen und Vorkommnisse im Sinne von
Art. 314 Abs. 2 ZGB
, die der Beklagte in bestimmter Weise vorzubringen hätte, sondern sie betreffen unmittelbar die Frage der Abstammung oder Nichtabstammung des Kindes, worüber eben erst die Untersuchung Klarheit schaffen soll. Als Grundlage für diese Beweisführung genügt daher die Behauptung, das Kind stamme vom betreffenden Manne ab, oder es könne nicht von ihm abstammen. Einer weitern Substanzierung bedarf es nicht, da es nur gerade um die streitige Abstammungsfrage geht. Das AEG ist somit auf Grund eines solchen Vorbringens anzuordnen, was der durch
BGE 61 II 76
eingeleiteten ständigen Rechtsprechung betreffend den Blutgruppenbeweis entspricht. Schon
BGE 87 II 288
nimmt denn auch gegen den Einwand, es handle sich um ein unzulässiges Ausforschungsmittel, Stellung.
d) Wenn, wie im vorliegenden Falle, das Ergebnis des AEG gänzlich ungewiss ist, kommt nicht in Frage, den vom Beklagten angetretenen Beweis durch antizipierte Beweiswürdigung als aussichtslos zu erklären. Anders könnte es sich allenfalls beim Vorliegen übereinstimmender auffälliger Merkmale des Kindes und des Beklagten verhalten. Selbst in einem solchen Falle dürfte sich übrigens gewöhnlich die Befragung eines erbbiologischen Experten empfehlen, sofern nicht auszuschliessen ist, dass das Kind von einem Rassen- oder Familiengenossen des
BGE 91 II 159 S. 169
Beklagten stammt (vgl. HARRASSER, AE-Vaterschaftsgutachten S. 41 ff.).
Der in Frage stehende Beweisantrag ist ferner nicht rechtsmissbräuchlich. Der Umstand, dass der Beklagte keine Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter nachzuweisen vermag, schliesst nach dem Gesagten den negativen Abstammungsbeweis nicht aus. Von Rechtsmissbrauch könnte nur gesprochen werden, wenn ein Mehrverkehr geradezu ausgeschlossen wäre oder dem Beklagten nicht verborgen geblieben sein könnte (vgl. GOEPFERT, a.a.O. S. 9). So verhält es sich hier indessen nicht. Die Kindsmutter lebte nicht so zurückgezogen, dass ein Mehrverkehr mit Sicherheit ausgeschlossen wäre, und sie lebte auch nicht unter ständiger Obhut des Beklagten, so dass diesem ein Mehrverkehr hätte bekannt werden müssen.
e) Da der im Dezember 1961 geborene Kläger im vierten Lebensjahre steht, wird die Durchführung des AEG-beweises keine erhebliche Verzögerung des Endurteils mit sich bringen. Die an sich freilich unerwünschte und in manchen Fällen für die Klägerschaft nachteilige Verlängerung der Prozessdauer wäre übrigens kein zureichender Grund zur Verweigerung eines dem Beklagten von Bundesrechts wegen zustehenden Beweismittels (
BGE 90 II 223
/24). Die Begrenzung der Ansprüche auf Sicherstellung des Unterhaltes während des Prozesses (
Art. 321 ZGB
) muss einstweilen hingenommen werden; gegen die Zulassung des AEG-beweises lässt sich daraus nichts herleiten. Zum Postulat einer Revision des
Art. 321 ZGB
ist hier nicht Stellung zu nehmen (vgl. dazu ABRAVANEL, La preuve anthropologique dans la recherche de la paternité, Hommage du Journal des Tribunaux à la Société suisse des juristes 1958, p. 97).
Endlich dürfen die beträchtlichen Kosten der Begutachtung den Entscheid über die Zulassung eines Beweismittels nicht beeinflussen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 1964 aufgehoben und die Sache zur Ergänzung und Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a818ab3a-0796-4c87-b338-3f99e540d944 | Urteilskopf
104 Ia 6
3. Urteil vom 15. Februar 1978 i.S. Regli gegen Einwohnergemeinde Hospental und Regierungsrat des Kantons Uri | Regeste
Art. 4 BV
. Parteientschädigung im Verwaltungsverfahren.
Auslegung einer kantonalen Vorschrift, wonach dem obsiegenden Beschwerdeführer, dem im Verwaltungsverfahren Anwaltskosten entstanden sind, eine Parteientschädigung zuzusprechen ist. Abweichung vom klaren Gesetzeswortlaut. | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 104 Ia 6 S. 6
Arthur Regli hatte gegen ein Bauvorhaben Max Melottis in Hospental Einsprache erhoben. Der Gemeinderat Hospental erteilte indessen die Baubewilligung, ohne diese Einsprache zu behandeln. Arthur Regli liess durch einen Anwalt beim Regierungsrat des Kantons Uri eine Beschwerde einreichen, mit der er rügte, dass die Baubewilligung erteilt und die Bauarbeiten begonnen worden seien, ohne dass seine Baueinsprache behandelt worden wäre. Der Gemeinderat Hospental unterzog sich stillschweigend der Beschwerde, indem er - zur Vernehmlassung aufgefordert - einen Entscheid eröffnete, wonach auf die Baueinsprache Arthur Reglis mangels Legitimation nicht eingetreten werde.
Entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers erklärte der Regierungsrat die fragliche Beschwerde als gegenstandslos, lehnte jedoch die Zusprechung einer Parteientschädigung ab. Wohl sei der Beschwerdeführer, nachdem der Gemeinderat seinem Begehren entsprochen habe, als obsiegende Partei anzusehen. Die Vorschrift, wonach dem obsiegenden Beschwerdeführer, dem im Verwaltungsverfahren Anwaltskosten
BGE 104 Ia 6 S. 7
entstanden sind, eine Parteientschädigung zuzusprechen sei, sei indessen restriktiv auszulegen, und zwar in dem Sinne, dass nur die notwendigen und verhältnismässigen Anwaltskosten zu vergüten seien. Im vorliegenden Falle sei der Beizug eines Anwaltes nicht notwendig gewesen, weshalb ein Kostenersatz nicht in Betracht falle. Arthur Regli führt gegen diesen Entscheid des Regierungsrates wegen Verletzung von
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht heisst diese gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 19 der Verordnung des Landrates über die Gebühren und Entschädigungen in der Verwaltung vom 12. Dezember 1973 (VGV), der, unter dem Randtitel "Parteientschädigung", wie folgt lautet:
"Dem teilweise oder ganz obsiegenden Beschwerdeführer, dem im
Verwaltungsverfahren Anwaltskosten entstanden sind, ist eine
Parteientschädigung zuzuerkennen."
Es ist unbestritten und unbestreitbar, dass der Beschwerdeführer als obsiegend zu gelten hat. Da ihm in diesem Verfahren Anwaltskosten entstanden sind, hat er nach dem Wortlaut der Vorschrift Anspruch auf Zusprechung einer Parteientschädigung. Die vom Regierungsrat befürwortete "restriktive" Auslegung läuft auf eine Abweichung vom Wortlaut hinaus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann die rechtsanwendende Behörde ohne Willkür vom klaren Gesetzeswortlaut nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Grund und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit andern Gesetzesbestimmungen ergeben (
BGE 103 Ia 117
,
BGE 101 Ia 207
,
BGE 99 Ia 575
mit Hinweisen).
2.
Die kantonale Instanz gelangt auf dem Wege systematischer Auslegung durch eine Gegenüberstellung von
Art. 17 und 19 VGV
zum Ergebnis, dass nicht in jedem Fall, in welchem ein obsiegender Beschwerdeführer einen Anwalt beigezogen habe, eine Parteientschädigung zuzuerkennen sei, sondern nur, wenn die Beauftragung eines Anwaltes "notwendig" gewesen sei.
BGE 104 Ia 6 S. 8
In
Art. 17 VGV
wird unter dem Randtitel "Allgemeines" für den Abschnitt "Gebühren in der verwaltungsinternen Verwaltungsrechtspflege" gesagt:
"Im Verwaltungsverfahren werden unter Vorbehalt der nachfolgenden
Bestimmungen in der Regel weder Gebühren erhoben noch Parteientschädigungen
zugesprochen."
Der Vergleich der beiden Bestimmungen führt nicht zum Schluss, den der Regierungsrat zieht. Die beiden Bestimmungen haben nebeneinander Platz, wenn angenommen wird, dass jener Partei keine Parteientschädigung für ihren Prozessaufwand zukommt, welche keinen Anwalt beizieht, wohl aber derjenigen, welche sich eines Anwaltes bedient. Darin liegt noch keine Rechtsungleichheit. Auch die Partei, die mit einem Anwalt auftritt, hat ihren eigenen Aufwand zu tragen, der ihr regelmässig neben den Anwaltskosten entsteht. Vielfach werden mit der Parteientschädigung nicht die vollen Anwaltskosten gedeckt. Zwischen
Art. 17 und 19 VGV
besteht sachlich insoweit kein Widerspruch. Die beiden Vorschriften lassen sich auch formal miteinander ohne weiteres vereinbaren, da
Art. 17 VGV
nur einen allgemeinen Grundsatz enthält und die nachfolgenden besonderen Bestimmungen ausdrücklich vorbehalten werden.
3.
Der Regierungsrat kann sich für seine Auffassung auch nicht auf die Entstehungsgeschichte der beiden Vorschriften berufen.
Art. 17 VGV
ist während der ganzen Gesetzesberatungen unverändert geblieben. Dagegen lautete
Art. 19 VGV
ursprünglich folgendermassen (Bericht und Antrag des Regierungsrates vom 17. September 1973):
"Dem teilweise oder ganz obsiegenden Beschwerdeführer, dem im
Verwaltungsverfahren Anwaltskosten entstanden sind, kann, sofern es
sich nicht um einen offensichtlichen Bagatellfall handelt, eine
Parteientschädigung zuerkannt werden."
Die landrätliche Prüfungskommission strich zunächst den Teil der Bestimmung heraus, wonach für offensichtliche Bagatellsachen eine Vergütung der Parteientschädigung ausbleiben sollte. Es blieb einstweilen noch bei einer "Kann-Vorschrift".
Die Kommission des Landrates schlug indessen am 29. Oktober 1973 vor, die Bestimmung so zu fassen, dass eine Parteientschädigung zuzusprechen ist, wenn dem obsiegenden Beschwerdeführer Anwaltskosten entstanden sind. Diesem Antrag schloss sich der Landrat am 12. Dezember 1973 an.
BGE 104 Ia 6 S. 9
Erst dadurch wurde der angebliche Gegensatz zu
Art. 17 VGV
geschaffen. Nach dem Gesagten liegt jedoch kein triftiger Grund zur Annahme vor, dass der Wortlaut von
Art. 19 VGV
nicht dem wahren Sinn der Vorschrift entspricht. Bestünde zwischen
Art. 17 VGV
und
Art. 19 VGV
ein Widerspruch, so müsste er nach der dargelegten Entstehungsgeschichte zu Gunsten des Wortlautes von
Art. 19 VGV
gelöst werden, umso mehr, als diese letztere Bestimmung den Charakter einer Sondervorschrift hat, die der allgemeinen Regel des
Art. 17 VGV
vorgeht.
4.
Nach
Art. 19 VGV
hat der obsiegende Beschwerdeführer, dem im Verwaltungsverfahren Anwaltskosten entstanden sind, Anspruch auf eine Parteientschädigung. Dass diese die entstandenen Anwaltskosten in jedem Falle decken muss, wird in
Art. 19 VGV
nicht gesagt. Doch ist es mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar, eine Parteientschädigung überhaupt nur dann zu gewähren, wenn der Beizug eines Anwaltes "notwendig" und dem Bürger ein eigenes Handeln nicht mehr zuzumuten war. Eine derartige zusätzliche Voraussetzung wäre zwar sachlich vertretbar. Sie entspricht aber nicht dem Wortlaut von
Art. 19 VGV
, und es besteht kein triftiger Grund für die Annahme, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Der angefochtene Entscheid ist daher wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a8196c56-7435-4d1b-8077-6c0fa942439e | Urteilskopf
91 II 239
35. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Juni 1965 i.S. B. gegen B. | Regeste
Vorkaufsrecht auf landwirtschaftliche Gewerbe. Art. 6, 12, 13-14 EGG.
1. Von diesem Vorkaufsrecht sind Kleinheimwesen bis zu 3 Hektaren nicht von Bundesrechts wegen ausgenommen. (Erw. 1).
2. Voraussetzungen der Preisvergünstigung des
Art. 12 EGG
. Im Unterschied zu
Art. 620 Abs. 1 ZGB
in der Fassung gemäss Art. 94 LEG ist hiefür nicht erforderlich, dass das Gewerbe einer Bauernfamilie eine ausreichende wirtschaftliche Existenz biete. (Erw. 2 und 3).
3. Die Preisvergünstigung des
Art. 12 EGG
braucht nicht binnen der zur Ausübung des Vorkaufsrechtes nach
Art. 14 EGG
bestehenden Frist ausdrücklich beansprucht zu werden. Gehört der sein Vorkaufsrecht Ausübende zu den gemäss
Art. 12 EGG
privilegierten Personen, so wird vermutet, er wolle das Privileg beanspruchen und auch die gegebenenfalls dafür geltenden Voraussetzungen (Selbstbewirtschaftung) erfüllen. (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 240
BGE 91 II 239 S. 240
A.-
Der Beklagte G. B., geboren 1881, Landwirt in Adliswil, veräusserte mit Kaufvertrag vom 9. November 1960, abgeändert am 30. Januar 1961, sein rund 355 Aren haltendes landwirtschaftliches Heimwesen "im Löchli" zu Adliswil, am Nordosthang des Albis, dem M. D. zum Preis von Fr. 70'000.--. Zugleich liess er sich ein Wohnrecht an einem andern Haus in Adliswil einräumen, wobei er einen amtlich bewilligten Mietzins hätte entrichten müssen. Der Kaufvertrag wurde zur Eintragung in das Grundbuch angemeldet. Hierauf gab das Grundbuchamt Thalwil mit Schreiben vom 2. Februar 1961 unter anderen Personen dem Kläger W. J. B., geboren 1913, einem Sohn des Verkäufers, von den wesentlichen Vertragsbestimmungen Kenntnis und teilte ihm mit:
"Wird ein landwirtschaftliches Gewerbe oder werden wesentliche Bestandteile davon verkauft, so steht u.a. den Nachkommen des Verkäufers ein Vorkaufsrecht im Sinne von Art. 6 des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 zu. Wir setzen Ihnen hiermit eine Frist von dreissig Tagen vom Erhalt dieser Anzeige an gerechnet an, innert welcher Sie schriftlich zu erklären haben, ob Sie das Vorkaufsrecht ausüben wollen. Stillschweigen gilt als Verzicht."
Dazu äusserte sich der Kläger in einem Briefe vom 6. Februar 1961 an das Grundbuchamt wie folgt:
"Der Unterzeichnete beharrt auf die Ausübung des ihm zustehenden gesetzlichen Vorkaufsrechtes im Sinne von Art. 6 des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951."
Er erwirkte ferner beim Bezirksgericht Horgen eine Grundbuchsperre mit Ansetzung einer Klagefrist, die er mit der vorliegenden Klage einhielt.
B.-
Das Klagebegehren ging auf Feststellung, dass der Kläger bezüglich des von seinem Vater mit M. D. abgeschlossenen Kaufvertrages zur Ausübung des Vorkaufsrechtes berechtigt
BGE 91 II 239 S. 241
sei, und auf Zusprechung des Eigentums an den Kaufliegenschaften. Am Sühneversuch vom 16. März 1961 bezifferte der Kläger den Streitwert auf Fr. 35'000.-- und erklärte, das Vorkaufsrecht zum Schätzungswert gemäss
Art. 12 EGG
ausüben zu wollen (den er gestützt auf einen von ihm in der Zwischenzeit eingeholten Bericht der Zürcher Bauernhülfskasse eben auf Fr. 35'000.-- bemass). In der Klageschrift vom 5. April 1961 fügte er den erwähnten Begehren noch den ausdrücklichen Antrag bei, die erwähnten Liegenschaften seien ihm "zum Schätzungswert von Fr. 35'000.-- im Sinne von
Art. 12 EGG
" zuzusprechen.
C.-
Im Laufe des Rechtsstreites setzte das Landwirtschaftsamt des Kantons Zürich den Schätzungswert der Kaufliegenschaften nach
Art. 12 Abs. 1 EGG
und Art. 5 ff. LEG auf Fr. 32'000.-- fest. Das Bezirksgericht Horgen hiess mit Urteil vom 29. März 1963 das Feststellungsbegehren des Klägers gut und sprach ihm die Kaufliegenschaften zum Preise von Fr. 32'000.-- zu Eigentum zu.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das der Beklagte die Angelegenheit weiterzog, bestätigte am 13. November 1964 im wesentlichen das erstinstanzliche Urteil. Es setzte den Übernahmepreis jedoch auf Fr. 35'000.-- fest, da der Kläger von dem dahingehenden ursprünglichen Klagebegehren aus prozessualen Gründen nicht nachträglich zu Ungunsten des Beklagten habe abgehen dürfen.
D.-
Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht erneuert der Beklagte den Antrag auf vollumfängliche Klageabweisung. Eventuell verlangt er die Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Beweisergänzung und zu neuer Entscheidung.
Der Antrag des Klägers geht auf Abweisung der Berufung und auf Bestätigung des obergerichtlichen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 6 Abs. 1 EGG
gewährt den Nachkommen des Verkäufers ein Vorkaufsrecht, wenn Gegenstand des Kaufes ein landwirtschaftliches Gewerbe oder wesentliche Teile davon bilden. Die vier vom Beklagten verkauften Grundstücke haben, wie festgestellt ist, landwirtschaftlichen Charakter. Sodann erfasst das EGG, wie mehrmals entschieden wurde, auch den
BGE 91 II 239 S. 242
bäuerlichen Kleinbetrieb, selbst wenn er für sich allein einer Bauernfamilie keine genügende Existenz bietet (vgl.
BGE 80 I 412
mit Hinweis, ferner
BGE 88 I 334
Erw. 2 und
BGE 89 I 57
Erw. 1). Für das Vorkaufsrecht ergibt sich dies noch besonders aus
Art. 16 EGG
, wonach den Kantonen vorbehalten ist, landwirtschaftliche Gewerbe oder Liegenschaften bis zu drei Hektaren von den Bestimmungen über das Vorkaufsrecht auszunehmen. Also sind Kleinheimwesen von weniger als drei Hektaren nicht schon von Bundesrechts wegen dem Vorkaufsrechte des
Art. 6 EGG
entzogen. Der Beklagte übersieht, dass das Gesetz nach Art. 1 nicht nur darauf abzielt, "den bäuerlichen Grundbesitz als Träger eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes zu schützen", sondern auch darauf, "die Bindung zwischen Familie und Heimwesen zu festigen". Diesen zweiten Zweck verfolgt vor allem das den nächsten Verwandten zustehende und damit dem bäuerlichen Familienschutz dienende Vorkaufsrecht des
Art. 6 EGG
(Botschaft zum Entwurf des EGG S. 21).
2.
Wie der Beklagte schon in der Sühneverhandlung vom 16. März 1961 erklärte, wäre er bereit, dem Kläger die Kaufliegenschaften zu den Bedingungen des Kaufvertrages, also zum Preise von Fr. 70'000.--, zu überlassen. Umstritten ist dagegen der vom Kläger erhobene Anspruch auf Erwerb des Heimwesens zum Schätzungswert nach
Art. 12 Abs. 1 EGG
und Art. 5 ff. LEG. Indessen sind die materiellrechtlichen Voraussetzungen eines solchen Erwerbes in der Person des Klägers erfüllt. Denn er gehört zu den Blutsverwandten des Verkäufers in gerader Linie und beansprucht das Heimwesen zur Selbstbewirtschaftung. Um eine dem
Art. 1 EGG
entsprechende Anwendung des Gesetzes zu sichern, verlangt die Rechtsprechung freilich noch, dass die Selbstbewirtschaftung "ernstlich gewollt und praktisch möglich" sei (
BGE 88 II 189
mit Hinweis). Hier verhält es sich aber in der Tat so, wie der Kläger schon im erstinstanzlichen Verfahren darzutun vermochte.
3.
Der Beklagte vertritt den Standpunkt, das gewöhnliche Vorkaufsrecht (als Recht auf Erwerb zu den Bedingungen des Kaufvertrages) möge zwar auch beim Verkauf eines Kleinheimwesens bestehen; dagegen rechtfertige sich das Preisprivileg des
Art. 12 EGG
nur für den Erwerb eines wahrhaft "familienerhaltenden" Heimwesens, also eines solchen, das einer Bauernfamilie (Normalfamilie) eine ausreichende, nicht bloss "die
BGE 91 II 239 S. 243
wesentliche" Existenz bietet, wie es hier nach dem vom Obergericht eingeholten und - für das Bundesgericht verbindlich - seinem Urteil zu Grunde gelegten Gutachten des Schätzungsamtes des Schweizerischen Bauernverbandes zutrifft. Diese Argumentation des Beklagten knüpft an die Regelung des bäuerlichen Erbrechtes an, das die Übernahme eines in der Erbschaft befindlichen landwirtschaftlichen Gewerbes zum Ertragswert durch einen der Erben nur für den Fall vorsieht, dass das Gewerbe "eine wirtschaftliche Einheit bildet und eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz bietet" (
Art. 620 Abs. 1 ZGB
in der Fassung gemäss Art. 94 LEG). Es möchte nun gewiss als naheliegend erscheinen, das nur beim Erwerb zum Selbstbetrieb gegebene Vorkaufsrecht eines Blutsverwandten des Verkäufers in gerader Linie mit Preisprivileg an dieselbe Voraussetzung zu knüpfen. In der Botschaft des Bundesrates zum Entwurf des EGG (S. 33) wurde denn auch zur Begründung des in Frage stehenden Preisprivileges bemerkt, es erscheine als gegeben, auch in bezug auf den Übernahmepreis die Grundsätze des bäuerlichen Erbrechts Platz greifen zu lassen. Nun lassen sich aber im EGG keine Anhaltspunkte finden, die eine solche Auslegung des Art. 12 dieses Gesetzes zu rechtfertigen vermöchten. Vielmehr geht die klare Ordnung des EGG dahin, dass immer dann, wenn das Vorkaufsrecht besteht, auch Art. 12 Abs. 1 anwendbar ist, sofern nur die dort aufgestellten besonderen Voraussetzungen in der Person des Vorkaufsberechtigten gegeben sind. Somit können die Blutsverwandten in gerader Linie, welche die Liegenschaft zur Selbstbewirtschaftung erwerben wollen und dazu imstande sind, sowie der Ehegatte das Vorkaufsrecht zum in Frage stehenden Schätzungswert ausüben.
4.
Der Haupteinwand des Beklagten betrifft die Art der Ausübung des Vorkaufsrechtes. Er ist der Auffassung, der Berechtigte, der die Übernahme zum Schätzungswert beansprucht, müsse dies in der binnen gesetzlicher Frist abzugebenden Ausübungserklärung zum Ausdruck bringen. Er glaubt eine dahingehende Vorschrift dem
Art. 12 Abs. 1 EGG
entnehmen zu können, wonach die dort genannten Personen "das Vorkaufsrecht zum Schätzungswert ausüben können". Damit ist jedoch, wie sich schon aus der Stellung dieser Norm im System des Gesetzes ergibt, nur der Anspruch der genannten Personen auf einen besondern Übernahmepreis umschrieben, aber über die Art der Ausübung des Vorkaufsrechtes nichts
BGE 91 II 239 S. 244
gesagt. Die Ordnung hierüber findet sich in den Art. 13 und 14 des Gesetzes (Unterabschnitt "Ausübung des Vorkaufsrechts"). Diese hier massgeblichen Bestimmungen schreiben nicht vor, der zum Kreis der in Art. 12 Abs. 1 genannten Personen gehörende Vorkaufsberechtigte müsse sich innerhalb der gesetzlichen Frist auch darüber erklären, ob er die Übernahme zum Schätzungswert oder zu dem im Kaufvertrag mit dem Dritten vereinbarten Preis geltend mache. Das Schweigen des Gesetzes ist ein deutlicher Hinweis dafür, dass es genügt, wenn der Vorkaufsberechtigte binnen der gesetzlichen Frist die einfache Erklärung abgibt, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen zu wollen. Hätte der Gesetzgeber von einem unter Art. 12 Abs. 1 fallenden Vorkaufsberechtigten eine anlässlich der Ausübung des Vorkaufsrechtes abzugebende zusätzliche Erklärung inbezug auf den Übernahmepreis verlangen wollen, so hätte er doch wohl die Art. 13 und 14 in entsprechender Weise ergänzt. Jedenfalls darf der Rechtsunterworfene angesichts der in diesen Gesetzesbestimmungen getroffenen eingehenden Regelung darauf zählen, dass er dort die wesentlichen Vorschriften darüber finde, wie das Vorkaufsrecht auszuüben ist. Der Richter soll bei der Auslegung des Gesetzes davon ausgehen, der Gesetzgeber habe eine vernünftige und gerechte Ordnung geschaffen. Dazu gehört bei Bestimmungen über eine binnen gesetzlicher Frist abzugebende Erklärung die vollständige Angabe des notwendigen Erklärungsinhaltes. Nähme man an, das Gesetz wolle eine präzisierte Erklärung verlangen, habe aber unterlassen, es vorzuschreiben, so würde eine mangelhafte, wichtige Interessen gefährdende Ordnung dem Gesetz als unausgesprochener Inhalt zugeschrieben und der Entscheidung zu Grunde gelegt. Das Fehlen einer dahingehenden ausdrücklichen Vorschrift spricht gegen einen solchen Gesetzeswillen, und es darf keineswegs das Gegenteil daraus gefolgert werden, dass sich Gründe dafür hätten finden lassen, einem auf privilegierten Erwerb im Sinne von
Art. 12 EGG
Berechtigten aufzugeben, sich gleich bei Ausübung seines Vorkaufsrechts auch über den Erwerbspreis wenigstens dem Grundsatze nach - vertraglicher Kaufpreis oder Schätzungswert - auszusprechen. Das Gesetz hat eben davon abgesehen, eine solche Obliegenheit in das Verfahren der Art. 13 und 14 einzuführen.
Übrigens darf füglich eine gesetzliche Vermutung des Inhaltes anerkannt werden, eine Person mit Preisprivileg im Sinne von
BGE 91 II 239 S. 245
Art. 12 EGG
wolle, wenn sie ihr Vorkaufsrecht geltend macht, dieses Privileg beanspruchen und, wenn es nur beim Erwerb zur Selbstbewirtschaftung gegeben ist, eben auch diese Voraussetzung erfüllen. Erklärt ein solcher Berechtigter binnen gesetzlicher Frist einfach, sein Vorkaufsrecht ausüben zu wollen, so hat also der Verkäufer damit zu rechnen, dass auch das Preisprivileg (gemäss den dafür geltenden Voraussetzungen) beansprucht werde. Hält er dies für zweifelhaft oder sogar für unwahrscheinlich, ja für unmöglich, so steht ihm frei, den Vorkaufsberechtigten zu veranlassen, sich binnen kurzem dazu zu äussern. Im vorliegenden Falle hat der Kläger von sich aus ungesäumt einen Schätzungsbericht eingeholt und in der Sühneverhandlung dementsprechend Stellung genommen. Da er sich schon früher in der Landwirtschaft betätigt hatte und bereits in Adliswil wohnte, war übrigens von vorneherein damit zu rechnen, er beabsichtige jener gesetzlichen Vermutung entsprechend das Gut zum Selbstbetriebe zu übernehmen.
5.
Zu Unrecht glaubt der Beklagte sich auf die Rechtsprechung berufen zu können, wonach auch beim bäuerlichen Vorkaufsrecht die Ausübungserklärung bestimmt und eindeutig, vorbehalt- und bedingungslos abzugeben ist (
BGE 81 II 245
/46). Der Kläger hat seiner Erklärung keine Vorbehalte oder Bedingungen beigefügt. Er brachte unmissverständlich und in endgültiger Art zum Ausdruck, dass er sein Vorkaufsrecht ausübe, und brauchte nicht noch besonders zu sagen, "dass nun wirklich von dem Recht Gebrauch gemacht werde". Was aber die Frage des Erwerbspreises betrifft, so brauchten etwelche darüber bestehende Zweifel nach dem Gesagten nicht notwendig schon während der Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts behoben zu werden. Übrigens bringt es die in
Art. 12 EGG
getroffene Regelung mit sich, dass bei Beanspruchung des Preisprivileges der Betrag des Erwerbspreises keineswegs ohne weiteres feststeht. Einmal kann es zu einem Rechtsstreit über die Fähigkeit des Sohnes oder Enkels zur Selbstbewirtschaftung kommen. Sodann liegt eine massgebliche Schätzung im Sinne der Art. 5 ff. LEG in manchen Fällen nicht bereits vor. Ferner ist ein allenfalls unter dem Betrag der Grundpfandbelastungen liegender Schätzungswert auf jenen Betrag zu erhöhen (
Art. 12 Abs. 2 EGG
), und überdies kann eine Preiserhöhung nach richterlichem Ermessen mit Rücksicht auf finanzielle Leistungen anderer Verwandter des Verkäufers Platz greifen (Abs. 3
BGE 91 II 239 S. 246
daselbst). Auch unter diesen Gesichtspunkten ist die gesetzliche Regelung nicht darauf angelegt, dem Verkäufer bereits binnen der Monatsfrist des Art. 14 Abs. 1 Gewissheit über die Höhe des Kaufpreises zu verschaffen. Die Nachteile, die dem Verkäufer bei bloss genereller Ausübungserklärung erwachsen, wiegen somit leicht und kommen bei weitem nicht dem Nachteil gleich, der dem Vorkaufsberechtigten bei der vom Beklagten als richtig erachteten Gesetzesauslegung entstünde: Er würde seines Vorkaufsrechtes unwiederbringlich verlustig gehen, wenn seine Ausübungserklärung einer Präzisierung ermangelte, die das Gesetz gar nicht verlangt.
Nichts Gegenteiliges lässt sich aus den Begriffen des rechtsbegründenden "Gestaltungsrechtes" und der durch dessen Ausübung entstehenden Kaufobligation zwischen dem den Käufer verdrängenden Vorkaufsberechtigten und dem Verkäufer (vgl. JOST, N 6 zu
Art. 14 EGG
) ableiten. Der Inhalt dieser Obligation wird eben in weitem Masse durch gesetzliche Normen bestimmt, die an die Stelle privater Ordnung des Rechtsverhältnisses treten, wie denn das bäuerliche Vorkaufsrecht sich von den im ZGB und im OR vorgesehenen Vorkaufsrechten durch einzelne Besonderheiten und namentlich durch seine öffentlichrechtlichen Wesenszüge unterscheidet (vgl. FRANZ JENNY, SJZ 49/1953, S. 40).
Vollends lässt sich der abweichende Standpunkt des Beklagten nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, dass der Verkäufer mitunter in die Lage kommt, vom Vorkaufsberechtigten Schadenersatz wegen Nichterfüllung der diesem aus der Kaufobligation erwachsenen Leistungen zu verlangen, und dass er dabei den massgebenden Übernahmepreis kennen sollte. In einem solchen (übrigens verhältnismässig seltenen) Falle (vgl. JOST, Handkommentar zum EGG, S. 87/88) ist dem Verkäufer unbenommen, falls sich die Ungewissheit nicht rasch beheben lässt, seiner Schadensberechnung den höheren der in Frage kommenden Leistungsbeträge zu Grunde zu legen.
In der Literatur, die sich zum Teil eingehend mit der Art der Ausübung des Vorkaufsrechtes befasst, wird denn auch die vom Beklagten verfochtene Lösung nicht vertreten (vgl. CHATELAIN, Les droits de préemption du nouveau droit foncier rural, in: Notar und Recht, Bern 1953, 181 ff.; COMMENT, ZBJV 91 bis/1955, 427 ff. und ZBGR 39/1958, 1 ff., insbes. 19 ff.; GÖSCHKE, ZBJV 88/1952, 144 ff.; FRANZ JENNY, SJZ
BGE 91 II 239 S. 247
49/1953, 37 ff., insbes. 40 ff.; FRANZ EUGEN JENNY, Das bäuerliche Vorkaufsrecht, Diss. Fribourg 1955, insbesondere 100 ff.; JOST, Handkommentar zum EGG, Bem. zu den Art. 13 und 14, ferner: Die Vorkaufsrechte, in: Das neue landwirtschaftliche Bodenrecht der Schweiz, 1954, 29 ff., insbes. 55; O. K. KAUFMANN, Wirtschaft und Recht 15/1963 11 ff.; LIVER, ZSR NF 68/1949, 31 ff., insbes. 52 ff.; MEIER-HAYOZ, ZBJV 92/1956, 316 ff.).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. November 1964 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a821bbe9-860c-4b75-8407-028ed467b1a8 | Urteilskopf
135 II 338
35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen Swisslos und Interkantonale Lotterie- und Wettkommission (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_62/2009 vom 10. August 2009 | Regeste
Art. 48 Abs. 1,
Art. 106 Abs. 1 und
Art. 191b Abs. 2 BV
;
Art. 89 Abs. 2 lit. a und
Art. 111 BGG
; Art. 1, 5, 10, 15 Abs. 2 und
Art. 16 LG
;
Art. 1 Abs. 2 SBG
; interkantonale Vereinbarung vom 7. Januar 2005 über die Aufsicht sowie die Bewilligung und Ertragsverwendung von interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten (IVLW); Bundesrechtsmässigkeit einer "Generellen Zulassungsbewilligung für die Lotterie-Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose".
Das Bundesamt für Justiz ist im Glücksspielbereich befugt, im Namen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements gegen Entscheide der Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten mit öffentlich-rechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht zu gelangen (E. 1). Der beschwerdeberechtigten Bundesbehörde stehen im (inter-)kantonalen Verfahren sämtliche Verfahrensgarantien sowie alle anderen Rechte zu, welche die (inter-)kantonale Gesetzgebung den Parteien einräumt; sie hat insbesondere Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 2). Übersicht über die bundes- und interkantonalrechtliche Gesetzgebung im Lotteriebereich (E. 3). Das Lotterierecht des Bundes schliesst ein interkantonales Verfahren nicht aus, das den Bewilligungsentscheid auf ein gemeinsames Organ überträgt und bei standardisierten Produkten einen generellen Zulassungsentscheid mit der Möglichkeit verbindet, für jedes einzelne Produkt eine anfechtbare Verfügung zu erwirken (E. 4-8.1). | Sachverhalt
ab Seite 340
BGE 135 II 338 S. 340
A.
Die Interkantonale Lotterie- und Wettkommission (im Weiteren auch: Comlot) erteilte am 10. September 2007 der SWISSLOS Interkantonale Landeslotterie (Swisslos) eine "Generelle Zulassungsbewilligung für die Lotterie-Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose". Sie umschrieb darin die Voraussetzungen, denen die entsprechenden Lotterieprodukte zu genügen haben, damit die Swisslos eine "unbestimmte Anzahl von Lotterieprodukten und Lotterien" dieser Produktefamilie in der Deutschschweiz und im Tessin vertreiben darf.
B.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) gelangte hiergegen an die Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten (im Weiteren auch: Rekurskommission). Mit Entscheid vom 10. Oktober 2008 bejahte diese die von der Swisslos bestrittene Legitimation des Departements. Am 10. Dezember 2008 wies sie die Beschwerde in der Sache ab und sprach der Swisslos eine Parteientschädigung von Fr. 5'000.- zu: Die vom EJPD verlangte Zulassungsbewilligung für jedes einzelne Spiel, dessen grundlegenden Elemente jeweils gleich seien, würde - so die Rekurskommission - "zu unnötiger Mehrarbeit führen und könnte zudem einen überspitzten Formalismus darstellen"; es sei nicht ersichtlich, "wie die Verfügung betreffend die Zulassungsbewilligung für die Lotterie-Produktefamilie" das EJPD "behindern" würde, zu prüfen, ob die infrage stehende Lotterie mit dem Gesetz vereinbar sei oder nicht.
C.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt mit Eingabe vom 30. Januar 2009, den Entscheid der Rekurskommission aufzuheben; dieser verletze Bundesrecht, da er nicht mehr am Grundsatz einer Bewilligung für jede einzelne Lotterie festhalte. (...) Das Bundesgericht heisst seine Beschwerde dahin gut, dass es den angefochtenen Entscheid der Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten aufhebt und die Sache zur Ergänzung der Verfügung vom 10. September 2007 im Sinne der Erwägungen an die Comlot zurückweist.
(Auszug)
Erwägungen
BGE 135 II 338 S. 341
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Der angefochtene Entscheid der Rekurskommission erging im Anwendungsbereich des Bundesgesetzes vom 8. Juni 1923 betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (LG; SR 935.51). Er kann mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden (
Art. 82 ff. BGG
): Die Rekurskommission bildet Teil der Organisationsstruktur der "Interkantonalen Vereinbarung vom 7. Januar 2005 über die Aufsicht sowie die Bewilligung und Ertragsverwendung von interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten" (im Weiteren auch: Interkantonale Vereinbarung bzw. IVLW; BSG 945.4). Sie ist damit eine Vorinstanz des Bundesgerichts im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. d bzw.
Art. 86 Abs. 2 BGG
(vgl. ALAIN WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, Corboz und andere [Hrsg.], 2009, N. 19 zu
Art. 86 BGG
; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], Seiler und andere [Hrsg.], 2007, N. 10 zu
Art. 86 BGG
). Die Vereinbarung regelt die Aufsicht sowie die Bewilligung und die Ertragsverwendung von interkantonalen oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten, die der "Interkantonalen Vereinbarung betreffend die gemeinsame Durchführung von Lotterien vom 26. Mai 1937" oder der "Convention relative à la Loterie de la Suisse Romande vom 6. Februar 1985" unterstehen (Art. 1 IVLW). Die Rekurskommission entscheidet in diesem Rahmen als "letztinstanzliche interkantonale richterliche Behörde" (Art. 10 IVLW; vgl.
Art. 191b Abs. 2 BV
, wonach die Kantone gemeinsame richterliche Behörden einsetzen können: KISS/KOLLER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Ehrenzeller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 17 ff. zu
Art. 191b BV
).
1.2
1.2.1
Die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen sind befugt, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu führen, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann (
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
). Dieses (abstrakte) Beschwerderecht dient dazu, den Vollzug des Bundesverwaltungsrechts in den Kantonen und in der Bundesverwaltung zu überwachen; es soll dadurch dessen richtige und einheitliche Anwendung - wenn nötig letztinstanzlich durch das Bundesgericht -
BGE 135 II 338 S. 342
sichergestellt werden (BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], 2008, N. 47 zu
Art. 89 BGG
; WURZBURGER, a.a.O., N. 43 ff. zu
Art. 89 BGG
). Das Beschwerderecht der Bundesbehörden setzt kein hierüber hinausgehendes spezifisches schutzwürdiges (öffentliches) Interesse voraus. Immerhin muss ein mit Blick auf die einheitliche Anwendung des Bundesrechts in vergleichbaren Fällen zureichendes Interesse an der Beurteilung der aufgeworfenen Probleme bestehen. Dies ist praxisgemäss (insbesondere) dann der Fall, wenn dem Gericht eine neue Rechtsfrage unterbreitet oder eine konkret drohende und nicht anders abwendbare bundesrechtswidrige Rechtsentwicklung verhindert werden soll (
BGE 134 II 201
E. 1.1 mit Hinweisen). Die Behördenbeschwerde darf nicht der Behandlung einer vom konkreten Fall losgelösten abstrakten Frage des objektiven Rechts dienen. Sie hat sich vielmehr auf konkrete Probleme eines tatsächlich bestehenden Einzelfalls mit Auswirkungen über diesen hinaus zu beziehen; zudem muss sie für diesen von einer gewissen Aktualität und (wenigstens potentiellen) Relevanz sein (vgl. Urteil 2C_49/2009 vom 27. April 2009 E. 1).
1.2.2
Auf die Eingabe des EJPD ist demnach - entgegen den Einwänden der Swisslos - einzutreten: Nach
Art. 106 Abs. 1 BV
ist die Gesetzgebung über Glücksspiele und Lotterien Sache des Bundes. Nach
Art. 1 Abs. 1 LG
sind Lotterien - vorbehältlich derjenigen zu gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken (
Art. 3 und
Art. 5 ff. LG
) sowie Tombolas (
Art. 2 LG
; vgl. hierzu
BGE 135 IV 102
ff.) - verboten. Zwar bewilligen und beaufsichtigen die Kantone die zulässigen Lotterien, doch müssen sie dies im Rahmen der Bundesgesetzgebung tun. Die Begriffe der Lotterie, der Tombola, der gemeinnützigen Lotterie und der lotterieähnlichen Unternehmung sind bundesrechtlicher Natur (
BGE 127 II 264
E. 1a). Das Lotterierecht bildet einen spezialgesetzlich geregelten Teil des Glücksspielrechts, das vollumfänglich unter der Aufsicht des Bundes steht (vgl. Art. 48 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1998 über Glücksspiele und Spielbanken [Spielbankengesetz, SBG; SR 935.52]). Lotterien sind eine Unterart des Glücksspiels (vgl.
Art. 1 Abs. 2 SBG
; Urteil 2A.438/2004 vom 1. Dezember 2004 E. 3.1.1 mit Hinweisen; LÉONOR PERRÉARD, Monopole des loteries et paris en Suisse: état des lieux et perspectives, 2008, S. 11). Eine falsche Handhabung der Vorgaben des Lotteriegesetzes durch die Kantone verletzt Bundesrecht, weshalb das zuständige Departement gestützt auf
Art. 89
BGE 135 II 338 S. 343
Abs. 2 lit. a BGG
befugt ist, zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung an das Bundesgericht zu gelangen.
1.2.3
Nach Art. 1 der Lotterieverordnung (Verordnung vom 27. Mai 1924 zum Bundesgesetz betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten [LV; SR 935.511]) ist die Besorgung der Geschäfte im Lotteriebereich dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (Bundesamt für Polizeiwesen) übertragen. Aufgrund einer Anpassung von
Art. 7 Abs. 1 lit. d der Organisationsverordnung für das EJPD (SR 172.213.1)
, ist hierfür heute das Bundesamt für Justiz zuständig. Es bereitet im Lotteriewesen die Erlasse vor und wirkt für das Departement bei deren Vollzug mit. In diesem Rahmen ist es auch befugt, Beschwerde gegen kantonale Entscheide zu führen: Nach Ziff. 7 der Weisung des EJPD vom 1. Januar 2009 zur Delegation der Unterschriftsberechtigung der Departementsvorsteherin (UDel) sind die Direktionsmitglieder der Ämter ermächtigt, Behördenbeschwerden für das EJPD an das Bundesgericht zu unterzeichnen, sofern das Amt die rechtssetzenden Erlasse des Bundes im betreffenden Sachbereich vorbereitet bzw. (Weisung vom 21. Juni 2004) gemäss der betreffenden Spezialgesetzgebung in der Sache zuständig ist. Der unterzeichnende Vizedirektor des BJ reichte die vorliegende Beschwerde ausdrücklich im Namen des "Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, vertreten durch das Bundesamt für Justiz" ein, und nicht in jenem des Bundesamts selber; es war nicht nötig, dass er bei der Unterschrift eigens noch einmal darauf hinwies, dass er die Eingabe im Namen der Vorsteherin des EJPD unterschrieb.
1.2.4
Was die Swisslos hiergegen einwendet, überzeugt nicht: Zwar ging der "Erläuternde Bericht zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Lotterien und Wetten vom 25. Oktober 2002" (S. 43) implizit noch davon aus, dass gemäss Lotteriegesetz dem Bund gegenüber den Entscheiden der ersten Instanz kein Beschwerderecht zustehe, weshalb ein solches über eine Gesetzesänderung eingeführt werden sollte. Seither ist jedoch die Justizreform im Bund umgesetzt worden. Das Beschwerderecht der Bundesbehörde ergibt sich heute aus
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
und nicht (direkt) aus dem Lotterierecht; es besteht in diesem Bereich somit kein "qualifiziertes Schweigen", auch wenn die geplante Revision des Lotteriegesetzes am 18. Mai 2004 vorläufig sistiert und den Kantonen die Möglichkeit eingeräumt worden ist, die festgestellten Mängel im Lotterie- und Wettbereich selber zu beheben. Da die
BGE 135 II 338 S. 344
Lotteriegesetzgebung Teil des Glücksspielrechts bildet, stehen den Bundesbehörden nicht nur Informations- (
Art. 5 LV
), sondern eigentliche Abklärungs- und Beschwerderechte zu: So hat das Bundesgericht bereits entschieden, dass die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) gestützt auf ihre zur einheitlichen Durchsetzung des Bundesrechts im Glücksspielbereich weit gefasste Zuständigkeit befugt ist, die Unterstellung von Aktivitäten unter das Gesetz losgelöst von bestehenden kantonalen Lotteriebewilligungen zu prüfen. Da sie allgemein über die Einhaltung der "gesetzlichen Vorschriften" zu wachen habe, sei die ihr übertragene Aufsicht nicht auf die Spielbanken beschränkt; zu ihrem Aufgabenbereich gehöre auch die Abklärung der spielbankenrechtlichen Relevanz anderer Glücksspiele, falls deren Qualifikation umstritten sei (Urteil 2A.438/2004 vom 1. Dezember 2004 E. 3.1.1 ["Tactilo"]). Soweit die Swisslos geltend macht, das Lotteriegesetz gehe als spezielles Gesetz ("lex specialis") dem Bundesgerichtsgesetz als allgemeinem Erlass ("lex generalis") vor, verkennt sie, dass vielmehr diesem - als jüngere Regelung, welche den heutigen Stand des Rechtsschutzes im Bund wiedergibt ("lex posterior") - dem in verschiedenen Punkten veralteten Lotteriegesetz von 1923 ("lex prior") gegenüber Vorrang zukommt.
2.
2.1
Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können (
Art. 111 Abs. 1 BGG
). Bundesbehörden, die zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt sind, sind auch befugt, die Rechtsmittel des kantonalen Rechts zu ergreifen und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren zu beteiligen, wenn sie dies wünschen (
Art. 111 Abs. 2 BGG
; WURZBURGER, a.a.O., N. 14 ff. zu
Art. 111 BGG
; SEILER, a.a.O., N. 11 ff. zu
Art. 111 BGG
). Dasselbe gilt, falls die Kantone - wie hier - ihre Kompetenz in einem bestimmten Sachbereich an eine interkantonale Instanz übertragen haben, würden doch sonst die verfahrensrechtlichen Befugnisse der Bundesbehörden umgangen, was den Rechten und Interessen des Bundes widerspräche (vgl.
Art. 48 Abs. 3 BV
; URSULA ABDERHALDEN, in: Die schweizerische Bundesverfassung, a.a.O., N. 33 ff. zu
Art. 48 BV
; GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2007, N. 12 ff. zu
Art. 48 BV
). Den beschwerdeberechtigten Bundesbehörden stehen vor den kantonalen Behörden sämtliche Verfahrensgarantien (vgl.
Art. 29 BV
)
BGE 135 II 338 S. 345
sowie alle anderen Rechte zu, welche die kantonale bzw. interkantonale Gesetzgebung den Parteien einräumt (BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 15 zu
Art. 111 BGG
).
2.2
Diese wurden dem EJPD im vorliegenden Fall teilweise verweigert: Nach Art. 13 der Interkantonalen Vereinbarung richtet sich das Verfahren für Verfügungen und andere Entscheide der Vereinbarungsorgane, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021). Für das Verfahren vor der Rekurskommission verweist Art. 23 IVLW auf das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (VGG; SR 173.32). Das EJPD hat im Beschwerdeverfahren wiederholt um Akteneinsicht ersucht, was ihm am 10. Oktober 2008 wegen des beschränkten Verfahrensgegenstands (Beschwerdebefugnis) (vorerst) verweigert wurde. Die Rekurskommission entschied in der Folge am 10. Dezember 2008 in der Sache selber, ohne auf das entsprechende Gesuch zurückzukommen. Obwohl der Instruktionsrichter einen späteren Entscheid hierüber (noch) in Aussicht gestellt hatte, wurde das Gesuch formell nie definitiv abschliessend beurteilt. Da sich das EJPD indessen nur im Grundsatz hiergegen wendet und diesbezüglich auf einen begründeten Antrag verzichtet hat (vgl.
Art. 106 Abs. 2 BGG
), genügt es, in allgemeiner Form in Erinnerung zu rufen, dass die (inter-)kantonalen Instanzen der beschwerdeberechtigten Bundesbehörde die vollen Verfahrensrechte zu gewähren haben und ihren Entscheid begründen müssen, falls sie diese einschränken oder verweigern wollen.
3.
3.1
Die Gesetzgebung über Glücksspiele und Lotterien ist - wie bereits dargelegt - Sache des Bundes (
Art. 106 Abs. 1 BV
; VEIT/LEHNE, in: Die schweizerische Bundesverfassung, a.a.O., N. 2 ff. zu
Art. 106 BV
). Die Materie wird heute im Bundesgesetz vom 8. Juni 1923 über die Lotterien und gewerbsmässigen Wetten einerseits und im Bundesgesetz vom 18. Dezember 1998 über Glücksspiele und Spielbanken andererseits geregelt. Aufgrund des gesellschaftlichen, juristischen und technologischen Wandels im In- und Ausland beschloss der Bundesrat am 4. April 2001, im Interesse der Transparenz der angebotenen Spiele (Geldwäscherei etc.) und des Schutzes des Publikums vor deren sozialschädlichen Auswirkungen (Spielsucht) nach der Spielbanken- auch die Lotteriegesetzgebung total zu revidieren. Der Ende 2002 in die Vernehmlassung
BGE 135 II 338 S. 346
gegebene Entwurf der Expertenkommission stiess indessen mehrheitlich auf Kritik (vgl. EJPD/BJ, Zusammenstellung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Lotterien und Wetten vom Juni 2003). Der Bundesrat sistierte in der Folge am 18. Mai 2004 die geplante Revision, nachdem die Kantone ihm vorgeschlagen hatten, die festgestellten Mängel im Rahmen einer interkantonalen Vereinbarung zu beheben. Das entsprechende Lotteriekonkordat ist auf den 1. Juli 2006 in Kraft getreten; sämtliche Kantone haben sich ihm angeschlossen (vgl. VEIT/LEHNE, a.a.O., N. 11 ff. zu
Art. 106 BV
; EJPD, Bericht vom 15. Mai 2008 über die Situation im Lotterie- und Wettbereich, S. 1 ff.).
3.2
3.2.1
Nach
Art. 1 Abs. 1 LG
sind Lotterien grundsätzlich verboten; als Lotterie gilt jede Veranstaltung, bei der gegen Leistung eines Einsatzes oder bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts ein vermögensrechtlicher Vorteil als Gewinn in Aussicht gestellt wird, über dessen Erwerb, Grösse oder Beschaffenheit planmässig durch Ziehung von Losen oder Nummern oder durch ein ähnliches auf Zufall gestelltes Mittel entschieden wird (
Art. 1 Abs. 2 LG
; zum Begriff der Lotterie:
BGE 133 II 68
E. 7 S. 74 ff.;
BGE 132 II 240
E. 3; CLAUDE ROUILLER, Jeux de loteries et paris sportifs professionnels, in: RDAF 2004 I S. 429 ff., dort S. 434). Lotterien, die einem gemeinnützigen oder wohltätigen Zweck dienen, "können" für das Gebiet des Ausgabekantons von der zuständigen kantonalen Behörde im Rahmen gewisser bundesrechtlicher Schranken "bewilligt" werden (vgl.
Art. 5 Abs. 1 LG
). Die Bewilligungsbehörde hat dabei die Ausgabe und Durchführung der Lotterie, insbesondere das Ziehungsverfahren, die Ausrichtung der Gewinne und die Verwendung des Ertrags zu überwachen oder überwachen zu lassen (
Art. 10 LG
). Soll die Lotterie auch in einem Kanton durchgeführt werden, in dem sie nicht ausgegeben wurde, muss die Bewilligung der dort zuständigen Behörde eingeholt und dem Ausgabekanton mitgeteilt werden (
Art. 14 LG
). Das kantonale Recht kann das "Lotterieverfahren" näher regeln (
Art. 15 Abs. 2 LG
). Die Kantone sind berechtigt, die gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken dienenden Lotterien in weitergehendem Masse einzuschränken oder ganz auszuschliessen (
Art. 16 LG
). Das Lotteriegesetz regelt den Bereich des Lotteriewesens damit nicht abschliessend. Es belässt den Kantonen insbesondere in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Möglichkeit, ergänzende oder
BGE 135 II 338 S. 347
einschränkende Bestimmungen für Lotterien zu gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken zu erlassen.
3.2.2
Das Lotteriekonkordat will bei interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten sicherstellen, dass das Lotterierecht einheitlich und koordiniert angewendet wird und die Lotterie- und Wetterträge auf dem Gebiet der angeschlossenen Kantone transparent verwendet werden; zudem soll es die Bevölkerung vor sozialschädlichen Auswirkungen der Lotterien und Wetten schützen (Art. 2 IVLW; Bericht vom 7. Januar 2005 der Fachdirektorenkonferenz Lotteriemarkt und Lotteriegesetz [im Weiteren: IVLW-Bericht], S. 2 und 11). Die interkantonalen oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten bedürfen einer zentralen
Zulassungsbewilligung
der Lotterie- und Wettkommission. Diese prüft die Gesuche und führt das entsprechende Verfahren (Art. 14 Abs. 2 lit. a IVLW). Sie teilt die Zulassungsverfügung vor deren Eröffnung den Kantonen mit (Art. 14 Abs. 2 lit. b IVLW). Die Kantone entscheiden innert 30 Tagen über die Durchführungsmöglichkeit auf ihrem Gebiet und stellen der Comlot ihrerseits die entsprechende
Durchführungsbewilligung
zu. Ihre Bewilligung darf keine von der Zulassungsverfügung abweichenden spieltechnischen Bedingungen und Auflagen enthalten; zulässig sind jedoch Bedingungen und Auflagen, welche die von der Kommission verfügten Massnahmen zur Prävention verschärfen (Art. 15 IVLW; IVLW-Bericht, S. 13). Die Lotterie- und Wettkommission eröffnet der jeweiligen Gesuchstellerin hierauf sowohl die Zulassungs- als auch die Durchführungsbewilligung jener Kantone, welche die Lotterie oder Wette gestattet haben (Art. 16 IVLW; vgl. PERRÉARD, a.a.O., S. 31 ff.).
3.2.3
Die Kantone verlieren im interkantonalen oder gesamtschweizerischen Lotterie- und Wettbereich damit nicht sämtliche Kompetenzen: Ihnen verbleibt im Rahmen der bundesrechtlichen Vorgaben (Gemeinnützigkeit bzw. Wohltätigkeit usw.) die autonome Befugnis, die Zuständigkeiten und Verfahren für die Mittelverteilung nach transparenten und einheitlichen Kriterien festzulegen (IVLW-Bericht, S. 6 f.). Die Vereinbarung trägt kantonalen Unterschieden im Geldspielbereich zudem insofern Rechnung, als die Kantone im Rahmen der Durchführungsbewilligung erklären können, ob die geplante konkrete Lotterie oder Wette auf ihrem Gebiet gespielt werden darf oder nicht (vgl. Art. 15 IVLW). Das Verfahren, in dem über die Durchführbarkeit der Lotterie entschieden wird,
BGE 135 II 338 S. 348
richtet sich nach dem kantonalen Recht. Der einzelne Kanton kann der Lotterie, welche die Comlot zugelassen hat, zustimmen oder sie ablehnen. Er darf jedoch keine von der Zulassung abweichenden Auflagen machen, die den (technischen) Spielablauf verändern würden (etwa eine Erhöhung oder Senkung der Auszahlungsquote). Es steht ihm indessen frei, auf seinem Kantonsgebiet für das Anbieten von Lotterieprodukten im Interesse der Spielsuchtprävention und des Jugendschutzes Einschränkungen in örtlicher oder umfangmässiger Hinsicht vorzusehen (vgl. PERRÉARD, a.a.O., S. 31 ff.; IVLW-Bericht, S. 13).
4.
Das EJPD bestreitet die Zulässigkeit des in der Lotteriekonvention vorgesehenen Verfahrens zu Recht nicht als solche: Gestützt auf
Art. 48 BV
können die Kantone miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen; namentlich können sie Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen, soweit die entsprechenden Verträge nicht dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone zuwiderlaufen. Die Kantone sind in den ihnen im Lotteriegesetz überlassenen Bereichen befugt, einzeln entsprechende kantonalrechtliche Regeln zu treffen; sie können gestützt auf
Art. 48 Abs. 1 BV
diesbezüglich damit auch vertraglich zusammenarbeiten. Die Bewilligungs- und Aufsichtsfunktion über die interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten beschränkt sich auf eine klar abgegrenzte Aufgabe. Auf das interkantonale Organ wird lediglich eine je bereits kantonal bestehende Entscheidungs- und Überwachungskompetenz übertragen. Die Lotterie- und Wettkommission wird teilweise stellvertretend für die bisher zuständigen Organe der einzelnen Kantone tätig. Für interkantonale oder gesamtschweizerische Lotterien und Wetten wird das Bewilligungsverfahren dadurch koordiniert und vereinfacht. Bei der Beurteilung der Bewilligungsgesuche wendet die Comlot das einschlägige Bundesrecht an (IVLW-Bericht, S. 9). Ihre Entscheide haben Gültigkeit für alle der Vereinbarung angeschlossenen Kantone (vgl. PERRÉARD, a.a.O., S. 31 ff.; IVLW-Bericht, S. 3 ff., insbesondere S. 9).
5.
5.1
Das EJPD beanstandet indessen die "Generelle Zulassungsbewilligung für die Lotterie-Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose", welche die Comlot der Swisslos am 10. September 2007 erteilt hat. Das Departement macht geltend, dass weder das
BGE 135 II 338 S. 349
Bundesrecht noch das interkantonale Recht eine Rahmenbewilligung für eine bestimmte Kategorie von Lotterien kenne. Ausnahmebewilligungen nach
Art. 5 LG
könnten nur für einzelne Lotterien erteilt werden. Dass das Einholen einer Bewilligung für jedes einzelne Spiel Mehrarbeit verursache, sei kein hinreichender Grund, vom gesetzlichen Erfordernis der Einzelfallbewilligung abzusehen. Die Vorinstanz lasse mit ihrem Entscheid zu, dass zugunsten einer faktischen Monopolanbieterin die gesetzliche Bewilligungspflicht für Ausnahmen vom Lotterieverbot - in den Grenzen der generellen Zulassungsbewilligung der Comlot - in eine blosse Meldepflicht umgewandelt und die Behördenbeschwerde des Bundes in unzulässiger Weise vereitelt werde.
5.2
5.2.1
Die Comlot hat in der beanstandeten Verfügung festgehalten, unter welchen Bedingungen sie für die Lotterie-Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose eine generelle Zulassungsbewilligung erteilt. Als Produktefamilie gelten Lotterieprodukte, die in ihren Hauptmerkmalen identisch sind und sich nur zu Vermarktungszwecken in der Gestaltung und in einzelnen Nebenmerkmalen voneinander unterscheiden. Als Lotterieprodukte (Lotterien i.w.S.) werden einzelne Spiele (z.B. "Win for Life" usw.) verstanden; diese weisen gewisse produktespezifische Merkmale auf, unterscheiden sich in ihrer Grundanlage jedoch nicht von den anderen Produkten der gleichen Familie. Als Lotterien im engeren Sinn gelten die einzelnen Spielserien (z.B. Serie Nr. 1 von "Win for Life" mit einer Auflage von 1 Mio. Losen und einem Trefferplan). Nach ihren eigenen Angaben gibt die Swisslos pro Jahr über 60 Serien von Lotterieprodukten der Familie der vorgezogenen physischen Lose aus.
5.2.2
Die Familie der vorgezogenen physischen Lose umfasst "diejenigen Lotterien, an denen mit einem physisch vorhandenen Teilnahmeschein (Los) teilgenommen wird, wobei das Spielergebnis von einer vorgängigen Ziehung (vorgezogene Lotterie) abhängig ist oder zumindest der eine Teil des Spielergebnisses von einer vorgängigen Ziehung, der andere Teil von einer nachgängigen Ziehung (gemischte Lotterien)" abhängt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die mit den Losen verbundenen Spielergebnisse vor dem Verkauf durch eine vorgängige Ziehung ermittelt werden. Die Informationen, die das Spielergebnis eines Loses bestimmen (Gewinnanzeiger), sind in den Losen verborgen eingedruckt und können von den
BGE 135 II 338 S. 350
Teilnehmern erst nach deren Kauf gemäss den Regeln des entsprechenden Spiels (Rubbeln, Aufreissen des Loses, etc.) aufgedeckt werden. Das Spielergebnis muss sofort bekannt sein, sobald die Gewinnanzeiger aufgedeckt sind. Die gemischten Lotterien unterscheiden sich hiervon dadurch, dass die Ziehung erst nach dem Beginn des Losverkaufs stattfindet. Die daraus hervorgehenden Spielergebnisse sind ab deren Veröffentlichung bekannt und die Gewinne ab dem Zeitpunkt auszuzahlen, der im Reglement vorgesehen ist, das auf das Spiel Anwendung findet (vgl. I. Ziff. 3 der Verfügung vom 10. September 2007).
5.2.3
Die Comlot hat für diese Art von Lotterien bzw. diese Lotteriefamilie die umstrittene generelle Zulassungsbewilligung unter folgenden Voraussetzungen erteilt: Die Bewilligung gilt nur, soweit die erforderlichen Durchführungsbewilligungen der Kantone vorliegen; die Kommission ist detailliert über jedes neue Produkt zu informieren und kann jederzeit die Ausgabe eines Lotterieprodukts oder einer einzelnen Lotterie einem eigenständigen Bewilligungsverfahren unterstellen (I. Ziff. 2). Die wesentlichen Merkmale des Angebots müssen der Produktefamilie entsprechen (I. Ziff. 3); Lose, deren Besonderheiten die in der Rahmenbewilligung definierten nicht erfüllen, bedürfen in jedem Fall einer separaten Zulassungsbewilligung (I. Ziff. 2). Die Lotteriepläne haben gewisse Minimalangaben und Präzisierungen zu enthalten; sämtliche Elemente des Plans müssen die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften respektieren und dem Spiel angemessen sein (I. Ziff. 4). Die Reglemente und die dazugehörigen Pläne sind gemäss den Modalitäten zu veröffentlichen, die in den kantonalen Gesetzgebungen und den für das betreffende Spiel geltenden Reglementen vorgesehen sind (I. Ziff. 5). Sowohl für die Zusatzspiele (I. Ziff. 6) als auch für die Herstellung der Lose (I. Ziff. 7), die Aufsicht über die Ziehungen (I. Ziff. 8), die Gewinnauszahlungen (I. Ziff. 9) sowie für die Durchführungsfrist der Lotterien und den Verfall der Lose (I. Ziff. 10) sind die in der generellen Zulassungsverfügung von der Comlot konkret vorgegebenen Rahmenbedingungen einzuhalten. Ohne anderweitige Mitteilung an die Swisslos erneuert sich die generelle Bewilligung von Jahr zu Jahr (II.).
6.
6.1
Diese Verfügung verletzt - vorbehältlich gewisser verfahrensrechtlicher Aspekte (vgl. hierzu unten E. 7) - entgegen den Einwänden des EJPD kein Bundesrecht: Nach
Art. 15 Abs. 2 LG
BGE 135 II 338 S. 351
kann das kantonale Recht das Lotterieverfahren näher regeln. Dies haben die Kantone im Lotteriekonkordat auf interkantonaler Ebene getan. Nach
Art. 5 LG
können "Lotterien, die einem gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecke dienen, [...] für das Gebiet des Ausgabekantons von der zuständigen kantonalen Behörde bewilligt werden". Der Wortlaut dieser Bestimmung schliesst nicht aus, unter dem Begriff der "Lotterie" auch jenen der Lotteriefamilie und nicht nur jeder einzelnen Lotterie im engeren Sinn zu verstehen. Das Glücksspielverhalten hat sich seit dem Erlass des Lotteriegesetzes gewandelt (vgl. EJPD, Bericht vom 15. Mai 2008 über die Situation im Lotterie- und Wettbereich, S. 4 ff.;
dasselbe
, Erläuternder Bericht vom 25. Oktober 2002 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Lotterien und Wetten [Expertenbericht], S. 8 ff.; PERRÉARD, a.a.O., S. 37 ff.). Dessen Vorgaben bleiben materiell verbindlich; doch steht dies einer zeitgemässen Optimierung des Bewilligungs- und Überwachungsverfahrens durch die Kantone nicht entgegen, zumal eine solche im Resultat bereits bisher praktiziert wurde: Das Lotteriegesetz sieht vor, dass eine Lotterie, die in mehreren Kantonen durchgeführt werden soll, der Bewilligung aller betroffener Kantone bedarf; dieses Erfordernis wurde vor dem interkantonalen Abkommen dadurch erfüllt, dass ein Kanton jeweils die "Federführung" übernahm und die Lotteriegesuche stellvertretend für die anderen Kantone prüfte und bewilligte. Die restlichen Kantone gestatteten gestützt hierauf lediglich noch die Durchführung und formulierten deren Konditionen auf ihrem Gebiet (vgl. IVLW-Bericht, S. 6). Die Comlot übernimmt neu zentralisiert die technische Prüfung und Beaufsichtigung der Lotterien, wodurch sichergestellt wird, dass interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführte Lotterien und Wetten nach gemeinsamen Kriterien beurteilt und bewilligt werden. Dies führt zu einer einheitlicheren Handhabung des Bundesrechts, was einem der Ziele der geplanten Revision des Lotteriegesetzes entspricht (EJPD, Expertenbericht, a.a.O., S. 17-24).
6.2
Die angefochtene generelle Zulassungsbewilligung beschränkt sich auf eine abgrenzbare Lotterieproduktefamilie, deren Lotteriecharakter das EJPD als solchen nicht in Frage stellt. Es macht auch nicht geltend, dass die dort genannten Kriterien nicht geeignet wären, die entsprechende Lotterieproduktefamilie zu umschreiben. Die Comlot hat zu allen wesentlichen lotterierechtlichen Elementen Minimalvorgaben gemacht, deren Einhaltung sie überwachen kann, ohne dass für jede einzelne Lotterie im weiteren oder engeren Sinn
BGE 135 II 338 S. 352
ein eigenes Bewilligungsverfahren nötig wäre. Bei der Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose handelt es sich um ein standardisiertes Produkt, für das aus rein spielerischen bzw. marketingtechnischen Gründen unterschiedliche Verkaufsformen angeboten werden. Die Comlot hat sich über die Meldepflicht die Kontrolle im Einzelfall vorbehalten und in ihrer Verfügung dargelegt, welche Vorgaben einzuhalten sind, damit ein Spiel als standardisiert gelten kann.
6.3
6.3.1
Was das EJPD hiergegen einwendet, überzeugt nicht: Die Regelung im Lotteriekonkordat betrifft nur die Aufsicht und die Bewilligung von interkantonalen oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten, die in den Anwendungsbereich der "Interkantonalen Vereinbarung betreffend die gemeinsame Durchführung von Lotterien vom 26. Mai 1937" oder der "Convention relative à la Loterie de la Suisse Romande vom 6. Februar 1985" fallen (vgl. PERRÉARD, a.a.O., S. 25 ff.). In diesem Bereich besteht ein faktisches Monopol, indem die Kantone in der Deutschschweiz und im Tessin nur die Swisslos und in der Westschweiz die Loterie Romande als Veranstalterinnen zulassen (vgl. Urteil 2A.32/2003 vom 4. August 2003, in: ZBl 2003 S. 593 ff. im Nachgang zu
BGE 127 II 264
ff.; PERRÉARD, a.a.O., S. 28 ff.; EJPD, Expertenbericht, a.a.O., S. 8). Der Vergleich mit anderen Inhabern von Lotteriebewilligungen (Kleinlotterien) ist nicht sachgerecht, nachdem auf dem hier interessierenden Lotteriemarkt nur zwei Anbieterinnen auftreten, die ihrerseits gleich behandelt werden. Sie sind Organisationen, welche die Voraussetzungen von
Art. 6 und 7 LG
erfüllen, im Rahmen der Veranstalterbewilligung einer regelmässigen Kontrolle unterstehen und hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die einzelnen Lotterien gesetzeskonform und professionell durchgeführt werden. In der angefochtenen Verfügung konkretisiert die Comlot die technischen Erfordernisse, welche die Spiele der Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose zu erfüllen haben, damit sie davon absieht, ein ordentliches Bewilligungsverfahren zu eröffnen. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass mit dem gewählten Vorgehen die Swisslos selber darüber entscheiden würde, "ob die konkreten Spiele, die sie anbietet, in spieltechnischer Hinsicht korrekt ausgestaltet sind, und ob ein Bedürfnis für diese [...] besteht".
BGE 135 II 338 S. 353
6.3.2
Die Comlot überwacht die Einhaltung ihrer Vorgaben und greift ein, wenn die Swisslos den zulässigen gesetzlichen bzw. den von ihr für die Lotterie-Produktefamilie festgelegten Rahmen der vorgezogenen physischen Lose überschreitet. Nach
Art. 7 LG
setzt die Erteilung der Bewilligung zwar voraus, dass der Gesamtwert der Gewinne in einem angemessenen Verhältnis zur Verlosungssumme steht: Entgegen den Ausführungen des EJPD kontrolliert die Comlot aber auch diese Bedingung im Rahmen der ihr gemeldeten einzelnen Lotterien (vgl. zum Prüfungsprogramm der Comlot: PERRÉARD, a.a.O., S. 33). Die Swisslos hat jedes Interesse daran, sich an die von der Bewilligungsbehörde vorgegebenen Parameter zu halten, um in den Genuss des vereinfachten Verfahrens nach der angefochtenen "Generellen Zulassungsbewilligung für die Lotterie-Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose" zu kommen. Sie muss die Comlot rechtzeitig über neue Produkte und die verschiedenen Lotterien der Produktefamilie orientieren sowie mit den entsprechenden Reglementen und Plänen dokumentieren, was eine Kontrolle auch der
Angemessenheit
der einzelnen Lotterieserien erlaubt. Zwar hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Kantone bei der Bedürfnisprüfung über ein weites Ermessen verfügen (
BGE 127 II 264
E. 2g); nichts steht indessen einem interkantonalen Verfahren entgegen, das den entsprechenden Entscheid zum Teil auf ein gemeinsames Organ überträgt und bei standardisierten Produkten die Beurteilung (in einem gewissen Umfang) vorwegnimmt bzw. einem begleitenden Aufsichtsverfahren vorbehält. Den Kantonen steht es nach der Lotteriekonvention und der angefochtenen Verfügung nach wie vor frei, ihre Durchführungsbewilligung weiterhin nur einzelfallweise zu erteilen oder ihrerseits ebenfalls eine generelle Bewilligung für die entsprechende Lotterie-Produktefamilie vorzusehen, falls das kantonale Recht dies zulässt.
7.
7.1
Hinsichtlich des Verfahrens und des Rechtsschutzes ist den Ausführungen des EJPD indessen eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen; die angefochtene Verfügung erweist sich diesbezüglich als lückenhaft und bundesrechtswidrig: Sie regelt die einzelnen Verfahrensabläufe nicht klar genug; so wird aus der Zulassungsbewilligung nicht ersichtlich, ab wann die Swisslos die entsprechenden Los-Serien ausgeben darf; auch wird nicht näher dargelegt, in welchem Zeitpunkt die Comlot über neue Produkte und die verschiedenen Lotterien der Produkte der Familie der vorgezogenen
BGE 135 II 338 S. 354
physischen Lose als "rechtzeitig" informiert bzw. mit den entsprechenden Reglementen und Plänen dokumentiert gilt. Die Beschreitung des Rechtsmittelwegs - insbesondere der beschwerdeberechtigten Bundesbehörde - wird durch das vorgesehene System, das dank der Bewilligungsvermutung auf eine eigentliche Verfügung verzichtet, praktisch verunmöglicht. Das Verfahren muss deshalb so ergänzt werden, dass das EJPD jeweils Gelegenheit hat, nicht nur die generelle Zulassungsverfügung anzufechten, sondern nötigenfalls auch die Bundesrechtsmässigkeit der einzelnen (implizit vorweg) bewilligten Lotterieprodukte der Produktefamilie in Frage zu stellen.
7.2
Die zuständigen Bundesbehörden sind nach
Art. 111 Abs. 2 BGG
befugt, bereits am erstinstanzlichen Verfahren teilzunehmen; sie können aufgrund dieser Bestimmung auch verlangen, dass eine kantonale bzw. interkantonale Behörde ein Verfahren eröffnet, um einen bundesrechtswidrigen Zustand zu beheben (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202 ff., dort S. 4350; SEILER, a.a.O., N. 12 zu
Art. 111 BGG
). Unter diesen Umständen ist es zwar nicht erforderlich, dass jedes Lotterieprodukt der Familie der vorgezogenen physischen Lose Gegenstand eines einzelnen Verfügungsverfahrens bildet, doch muss anderweitig die Befugnis des EJPD sichergestellt bleiben, den Erlass einer Verfügung seitens der Comlot erwirken zu können, falls ihm ein einzelnes Produkt als solches bundesrechtswidrig erscheint. Dies setzt seine Information über die einzelnen Lotterien der Familie voraus, was etwa in der Weise geschehen kann, dass die Comlot die ihr eingereichten Unterlagen mit einer ersten Einschätzung dem EJPD zustellen würde, welchem dreissig Tage zustünden, um im Hinblick auf ein allfälliges Beschwerdeverfahren - trotz genereller Zulassungsbewilligung - gestützt auf
Art. 111 Abs. 2 BGG
die Eröffnung eines Verfahrens im Einzelfall zu verlangen oder bereits früher ausdrücklich hierauf zu verzichten (vgl. für ein ähnliches System im Wettbewerbsrecht:
BGE 135 II 60
ff.). Eine solche Regelung deckte sich mit Art. 15 des Lotteriekonkordats, wonach die Kantone "innert 30 Tagen" nach Zustellung der Zulassungsverfügung über die Durchführung auf ihrem Gebiet entscheiden und ihre Durchführungsbewilligung der Kommission mitteilen. Wird vom Bund innert dieser Frist (unter Berücksichtigung eines allfälligen Friststillstands) kein Einzelfallverfahren verlangt, dürfte die Swisslos innerhalb der Grenzen der "Generellen
BGE 135 II 338 S. 355
Zulassungsbewilligung für die Lotterie-Produktefamilie der vorgezogenen physischen Lose" in der Deutschschweiz und im Tessin die zur entsprechenden Familie gehörenden Produkte vermarkten, soweit die notwendigen kantonalen Durchführungsbewilligungen vorliegen. Zur Sicherung der verfahrensrechtlichen Transparenz könnte die Comlot zudem prüfen, ob und wieweit die eingereichten Unterlagen nicht generell - etwa auf ihrer Website - auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden sollten.
8.
8.1
Da die Ausgestaltung des lotterierechtlichen Verfahrens weitgehend den Kantonen überlassen ist, rechtfertigt es sich nicht, im vorliegenden Verfahren bereits an Stelle der zuständigen interkantonalen Organe die erforderlichen Ergänzungen definitiv festzulegen; es genügt, diesbezüglich die bundesrechtlichen Mindestanforderungen zu umreissen. Es wird an der Comlot (allenfalls in Zusammenarbeit mit dem EJPD) sein, neu darüber zu befinden, wie sie künftig das Melde- und Kontrollverfahren bei Vorliegen einer generellen Zulassungsbewilligung ausgestalten will, damit es den lotterie- und verfahrensrechtlichen Anforderungen des Bundesrechts genügt. Die Beschwerde ist deshalb dahin gutzuheissen, dass der angefochtene Entscheid der Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten vom 10. Dezember 2008 aufgehoben und die Sache zur Ergänzung der Verfügung vom 10. September 2007 im Sinne der Erwägungen an die Comlot zurückgewiesen wird. Die Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten wird über die Kosten ihres Verfahrens neu zu befinden haben. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a82e6e6d-444d-4247-aec3-facae230df94 | Urteilskopf
118 Ib 524
64. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 11 décembre 1992 dans la cause D. c. Tribunal administratif du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 16 Abs. 2 SVG
, Entzug des Führerausweises;
Art. 37 SVG
und
Art. 21 Abs. 1 VRV
.
Wer die Tür des Fahrzeuges, das er soeben parkiert hat, öffnet, handelt noch als Fahrzeugführer. Daher können gegen ihn die Massnahmen gemäss
Art. 16 Abs. 2 SVG
angeordnet werden, wenn er dabei nicht die nach den Umständen gebotene Vorsicht beobachtet (
Art. 37 SVG
;
Art. 21 Abs. 1 VRV
) und so den Verkehr gefährdet (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 524
BGE 118 Ib 524 S. 524
A.-
Le 23 janvier 1992, à 13 h 25, D. a stationné son véhicule à l'avenue Eugène-Lance sur la commune de Lancy. En ouvrant sa portière, afin de quitter sa voiture, il a causé la chute d'un cycliste qui, alors qu'il circulait normalement, a heurté la portière. D. est titulaire d'un permis de conduire délivré le 12 avril 1965 et n'a jusqu'à ce jour été reconnu coupable d'aucune contravention.
Par arrêté du 27 février 1992, le Département genevois de justice et police, en application des
art. 16 al. 2 et 17 LCR
, a retiré le permis de conduire de D. pour une durée d'un mois.
BGE 118 Ib 524 S. 525
B.-
Statuant le 29 avril 1992, la première section du Tribunal administratif de Genève a rejeté le recours formé par D. contre cette décision. Les juges cantonaux ont retenu que toute personne qui quitte son véhicule après l'avoir garé et immobilisé doit être considérée comme un conducteur. C'est donc en cette qualité qu'ils ont reproché à D. d'avoir enfreint l'
art. 21 OCR
en ouvrant la portière de son véhicule, vraisemblablement après avoir regardé dans son rétroviseur mais sans s'être retourné, de sorte qu'il n'avait pas vu le cycliste qui pouvait se trouver dans l'angle mort, manquant ainsi de prendre les précautions imposées par cette disposition. Enfin, l'autorité cantonale a estimé que le cas n'était pas de peu de gravité au sens de l'
art. 16 al. 2 LCR
.
C.-
D. a déposé, contre cet arrêt, un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Il conteste avoir commis l'infraction qui lui est reprochée car l'ouverture de la portière d'un véhicule garé, moteur arrêté, n'est pas un acte de conduite. Selon le recourant, il ne se justifie pas d'imposer à la personne qui a conduit le véhicule des sanctions qui ne pourraient pas être infligées aux passagers. De surcroît, il conteste que les conditions d'application de l'
art. 16 al. 2 LCR
aient été remplies. Il nie que la sécurité du trafic ait été compromise, l'accident étant, selon lui, imputable au comportement du cycliste qui roulait trop près des voitures en stationnement. Il soutient en outre que la faute qui lui est reprochée est de peu de gravité. Enfin, le recourant se prévaut de ses bons antécédents en tant que conducteur et de l'importance que revêt l'usage d'un véhicule automobile pour l'exercice de sa profession.
Partant, il conclut, sous suite de frais et dépens, à l'annulation de l'arrêt attaqué et de la décision de première instance. Il sollicite par ailleurs l'effet suspensif.
D.-
Invité à présenter des observations, l'Office fédéral de la police a conclu à l'admission du recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le retrait de permis litigieux est un retrait d'admonestation tel qu'il est prévu par l'
art. 16 al. 2 LCR
. Selon cette disposition, le permis de conduire peut être retiré au conducteur qui, par des infractions aux règles de la circulation, a compromis la sécurité de la route ou incommodé le public. Un simple avertissement pourra être donné dans les cas de peu de gravité.
BGE 118 Ib 524 S. 526
La question essentielle qui se pose en l'espèce est de savoir si le recourant doit être considéré comme un conducteur au sens de cette disposition. Il ne conteste pas avoir piloté son véhicule jusqu'à l'endroit où il a commis l'infraction qui lui est reprochée, mais estime que, dès lors qu'il avait parqué sa voiture, son comportement n'était plus celui d'un conducteur mais celui de n'importe quel occupant qui quitte un véhicule.
Le conducteur d'un véhicule à moteur est la personne qui est assise au volant et dirige le véhicule (
ATF 60 I 163
consid. 1; SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts I, p. 83 no 199; BUSSY/RUSCONI, Commentaire CR, 2e éd., n. 1.2 ad
art. 31 LCR
).
Ultérieurement, cette définition a été étendue à certaines situations qui n'entrent pas en considération en l'espèce (BUSSY/RUSCONI, op.cit., loc. cit.).
S'agissant de l'application de l'
art. 16 LCR
, MICHEL PERRIN (Délivrance et retrait du permis de conduire, Fribourg 1982, p. 67) relève que le retrait d'admonestation sanctionne une infraction liée à l'emploi d'un véhicule sur la voie publique. Selon PETER STAUFFER, (Der Entzug des Führerausweises, thèse, Berne 1966, p. 20), un retrait d'admonestation ne peut être prononcé qu'à l'encontre d'un conducteur qui a eu, dans la circulation, un comportement fautif. En revanche, les contraventions que le détenteur d'un permis de conduire a commises autrement qu'au volant d'un véhicule ne peuvent pas faire l'objet d'un retrait d'admonestation. Tout au plus est-il possible d'envisager un retrait de sécurité, au sens de l'
art. 16 al. 1 LCR
, à la condition que son comportement montre qu'il ne possède pas ou plus les aptitudes nécessaires à la conduite. Ce point de vue est également celui de A. PFISTER (Der Entzug des Führerausweises, publication de l'ACS, Berne 1965, p. 89). Citant une décision rendue en 1962 par le Département fédéral de justice et police, STAUFFER mentionne toutefois qu'une règle de la circulation peut être violée après l'arrêt du véhicule et même alors que le conducteur le quitte, de sorte que le chauffeur qui cause un danger en ouvrant sa portière risque de se voir retirer son permis de conduire (PETER STAUFFER, op.cit., p. 49). Il y a lieu de relever encore que cet auteur estime qu'il faut entendre par "règle de circulation" au sens de l'
art. 16 LCR
toute prescription relative au comportement des conducteurs de véhicules à moteur destinée directement à sauvegarder la sécurité du trafic (PETER STAUFFER, op.cit., loc.cit.).
Enfin, BUSSY/RUSCONI (op.cit., n. 2.2.2. ad
art. 16 LCR
) mentionne, sans aucun commentaire, un arrêt du Tribunal administratif genevois
BGE 118 Ib 524 S. 527
selon lequel la personne qui quitte son véhicule après l'avoir garé et immobilisé est à considérer comme conducteur.
3.
a) Le Tribunal fédéral n'a pas encore été amené à trancher cette question. En revanche, deux autorités cantonales ont rendu des décisions, contradictoires au demeurant, à ce sujet.
Il s'agit, en premier lieu, de l'arrêt genevois mentionné ci-dessus (RDAF 1978 p. 71 s.) admettant que le conducteur qui, quittant son véhicule après l'avoir garé et immobilisé, cause un accident en ouvrant sa portière est passible d'une mesure administrative.
Le Conseil d'Etat lucernois a en revanche rendu une décision selon laquelle la personne qui a garé et arrêté son véhicule ne doit plus être considérée comme conducteur. Par conséquent, si elle ouvre sa portière sans prendre les précautions requises, elle viole une règle concernant toutes les personnes qui montent dans un véhicule ou en descendent. Partant, elle n'est pas passible des mesures prévues à l'
art. 16 al. 2 LCR
(LGVE 1990 III p. 264 ss, rés. JdT 1991 I 670 s.)
b) L'
art. 37 LCR
impose au conducteur certaines règles relatives à la manière de s'arrêter et de parquer son véhicule. L'al. 3 de cette disposition précise que le conducteur ne peut quitter son véhicule sans avoir pris les précautions commandées par les circonstances. Ainsi, le conducteur est, en tant que tel, tenu de veiller à ce que son véhicule, une fois arrêté, soit dans toute la mesure du possible à l'abri d'une mise en mouvement fortuite ou d'un emploi illicite (voir BUSSY/RUSCONI, op.cit., n. 3 ad
art. 37 LCR
, qui renvoie à l'
art. 22 OCR
). On constate donc que le législateur a entendu imposer au conducteur des obligations qui vont au-delà de celles afférentes à la circulation proprement dite. Si les
art. 37 LCR
et 22 OCR imposent au conducteur de prendre certaines mesures, telles que mettre des cales d'arrêt ou verrouiller les portes du véhicule, même après avoir quitté celui-ci, on peut, a fortiori, attendre de lui qu'il fasse preuve de l'attention et prenne les précautions requises par les circonstances au moment où il quitte le véhicule. S'arrêter en ayant égard aux autres usagers de la route et en évitant de créer ainsi un danger pour eux est un devoir que l'
art. 37 LCR
impose au conducteur qui parque son véhicule. Un parcage correct suppose donc également que le conducteur use des précautions voulues par les circonstances et fasse preuve de toute l'attention nécessaire au moment où il ouvre sa portière et quitte son véhicule. Cette obligation lui incombe en sa qualité de conducteur, au sens de l'
art. 16 al. 2 LCR
.
Certes, celui qui a conduit le véhicule risque ainsi une mesure qui ne pourrait pas être infligée à un autre occupant dans l'hypothèse où
BGE 118 Ib 524 S. 528
celui-ci adopterait le même comportement. Cette différence ne constitue néanmoins pas une inégalité de traitement. Il faut tout d'abord relever que c'est le chauffeur qui détermine l'endroit où il va stationner le véhicule. Il fait ce choix en tenant compte notamment des risques que présentera, en fonction de la situation, l'ouverture de la portière et la sortie du véhicule. Plus que les autres occupants, il aura donc ces dangers présents à l'esprit, ce qui devra l'amener à être particulièrement prudent. En outre, il est exigé du conducteur une formation particulière, suivie en vue de l'obtention du permis, au cours de laquelle il a été spécialement mis en garde contre les dangers de la circulation et préparé à adopter un comportement approprié afin d'éviter dans toute la mesure du possible que ceux-ci se réalisent. Enfin, et surtout, la place occupée par le conducteur est conçue de manière que celui-ci dispose de la meilleure vue d'ensemble possible sur le trafic. Notamment, les rétroviseurs lui permettent d'avoir une vision de ce qui se passe à l'arrière du véhicule, vision que les autres occupants ne peuvent avoir qu'en se retournant. Pour toutes ces raisons, la situation de celui qui est au volant d'un véhicule, et qui assume ainsi une responsabilité importante, est telle que l'on est en droit d'attendre de lui une attention supérieure à celle qui doit être exigée des autres occupants, de sorte que l'on peut, sans inégalité de traitement, admettre que sa situation personnelle lui impose de prendre des précautions particulières.
Par conséquent, celui qui après avoir parqué et immobilisé le véhicule qu'il conduisait ouvre la portière sans prendre les précautions commandées par les circonstances et compromet ainsi la sécurité du trafic est passible des mesures prévues par l'
art. 16 al. 2 LCR
.
c) L'autorité cantonale a ordonné, en application de cette disposition, le retrait du permis de conduire du recourant pour une durée d'un mois. Conformément à l'
art. 16 al. 2 LCR
, le permis de conduire peut être retiré au conducteur qui, par des infractions aux règles de la circulation, a compromis la sécurité de la route ou incommodé le public. Un simple avertissement peut être donné dans les cas de peu de gravité.
Se pose par conséquent encore la question de savoir si l'on se trouve en présence d'un "cas de peu de gravité" au sens de l'
art. 16 al. 2 2
e phrase LCR et si, dans l'affirmative, l'autorité cantonale a abusé de son pouvoir d'appréciation en décidant de prononcer un retrait de permis (
art. 104 let. a OJ
).
En parlant de cas de peu de gravité, le législateur n'a pas restreint l'examen aux seules circonstances objectives de l'infraction aux
BGE 118 Ib 524 S. 529
règles de la circulation, ni même à l'analyse de la faute lors de la commission de l'infraction; le terme "cas de peu de gravité" appelle au contraire une analyse complète des circonstances.
Ainsi, pour dire s'il s'agit ou non d'un cas de peu de gravité, il faut prendre en compte l'ensemble des circonstances du cas d'espèce, y compris les antécédents d'automobiliste de l'intéressé (cf.
art. 31 al. 2 OAC
). En outre, c'est une faculté que l'
art. 16 al. 2 LCR
confère à l'autorité, de sorte que celle-ci doit examiner la mesure envisagée sous l'angle de sa proportionnalité (
ATF 118 Ib 233
consid. 3). L'autorité ne prononcera donc pas une mesure plus lourde qu'il n'est nécessaire pour atteindre le but des mesures d'admonestation, à savoir d'amender le conducteur et d'empêcher les récidives (voir
art. 30 al. 2 OAC
). Elle dispose dans ce cadre d'un large pouvoir d'appréciation et le Tribunal fédéral ne peut intervenir, en considérant le droit fédéral comme violé, que s'il y a eu un abus ou un excès du pouvoir d'appréciation (
art. 104 let. a OJ
).
En l'espèce, la motivation de l'arrêt attaqué ne permet pas de déterminer si l'autorité cantonale a retenu que le recourant n'avait pas du tout contrôlé si la voie était libre avant d'ouvrir sa portière ou s'il avait regardé dans son rétroviseur, sans toutefois se retourner et que le cycliste se trouvait alors dans l'angle mort. Elle a simplement constaté que le recourant avait commis une faute, dont elle n'a d'ailleurs pas examiné la gravité eu égard à l'ensemble des circonstances du cas, notamment aux excellents antécédents du recourant qui, titulaire du permis de conduire depuis près de 30 ans, n'a jamais été reconnu coupable d'aucune contravention. Dans ces conditions, l'autorité de céans n'est pas en mesure de contrôler si les juges cantonaux ont ou non abusé de leur pouvoir d'appréciation en prononçant un retrait de permis plutôt qu'un avertissement. L'arrêt attaqué doit dès lors être annulé et la cause renvoyée à l'autorité cantonale afin qu'elle examine à nouveau cette question en prenant en considération tous les éléments pertinents. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a83010ec-f2fe-4aef-9276-e9325afa3dba | Urteilskopf
137 III 623
95. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre dame A. (recours en matière civile)
5A_520/2011 du 13 décembre 2011 | Regeste
Umrechnung in gesetzliche Schweizerwährung für eine in ausländischer Währung festgelegte Forderung (
Art. 67 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG
).
Die Umrechnung in gesetzliche Schweizerwährung zum Kurs des Devisenangebots am Tag des Betreibungsbegehrens ist eine Regel des Ordre public; es besteht kein Raum für eine einzig im Interesse des Betreibungsgläubigers stehende Wahl zwischen dem Kurs im Zeitpunkt des Betreibungsbegehrens und dem Kurs bei Fälligkeit der Forderung (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 623
BGE 137 III 623 S. 623
Le 27 novembre 2009, dame A. a requis du Juge de paix du district de Nyon le séquestre de l'immeuble sis à X., propriété de son ex-mari A. Elle invoquait une créance de 230'678 fr. 65 plus intérêts, fondée sur un jugement de divorce devenu définitif et exécutoire le 26 novembre 2007. Ce jugement ratifiait une convention des parties et ordonnait la répartition par moitié d'un montant de 119'992 GBP 60, représentant une restitution d'avoirs de la part de l'administration
BGE 137 III 623 S. 624
fiscale britannique et dont le sort avait été réservé par ladite convention. Celle-ci prévoyait aussi l'engagement du mari à verser à son épouse la somme de 70'000 fr. en échange de sa part à trois polices d'assurance-vie. Le juge de paix a ordonné le séquestre le 1
er
décembre 2009, à concurrence de la somme de 227'419 fr. 55; puis, le 4 mai 2010, sur opposition du poursuivi, à concurrence de la somme de 191'030 fr. 85 plus intérêts.
La poursuivante a validé le séquestre par une poursuite requise le 11 février 2010 et tendant au paiement de 227'419 fr. 55 plus intérêts et frais, poursuite à laquelle l'ex-mari a fait opposition totale. Par prononcé du 10 août 2010, le juge de paix a levé définitivement cette opposition à concurrence de 191'030 fr. 85 plus intérêts. Il a considéré que le jugement de divorce valait titre à la mainlevée définitive de l'opposition pour la somme de 206'530 fr. 85, soit 70'000 fr. en échange de la part aux trois polices d'assurance-vie et 136'530 fr. 85 correspondant à la moitié du montant de 119'992 GBP 60 converti en francs suisses à la date du 26 novembre 2007, moins 15'500 fr. admis en compensation. Sur recours du poursuivi, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a confirmé le prononcé du juge de paix par arrêt du 17 février 2011.
Saisi par le poursuivi d'un recours en matière civile, le Tribunal fédéral a réformé l'arrêt cantonal en ce sens que la mainlevée définitive de l'opposition était prononcée à concurrence de 154'753 fr. 65 plus intérêts.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
A teneur de l'
art. 67 al. 1 ch. 3 LP
, la réquisition de poursuite adressée à l'office énonce le montant de la créance en valeur légale suisse. La conversion en valeur légale suisse d'une créance stipulée en monnaie étrangère est une règle d'ordre public et une exigence de la pratique. En imposant cette conversion, le législateur n'a cependant pas entendu modifier le rapport de droit liant les parties et nover en une dette de francs suisses celle que les intéressés ont librement fixée en devises étrangères. La conversion se fait néanmoins au cours de l'offre des devises du jour de la réquisition de poursuite (
ATF 135 III 88
consid. 4.1 et les références citées). Du moment que la conversion en valeur légale suisse est tenue pour une règle d'ordre public, il n'y a pas de place pour un choix, servant uniquement les intérêts du poursuivant, entre le cours au moment de la réquisition de
BGE 137 III 623 S. 625
poursuite et le cours à l'échéance de sa prétention, l'
art. 84 al. 2 CO
ne s'appliquant pas (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. I, 1999, n° 60 ad
art. 67 LP
). C'est donc à juste titre que le recourant soutient qu'en convertissant le montant de la créance de 59'996 GBP 30 (moitié de 119'992 GBP 60) au 26 novembre 2007, date d'entrée en force du jugement de divorce, et non au 11 février 2010, date de la réquisition de poursuite en cause, la cour cantonale a violé le droit fédéral.
Le taux de conversion des monnaies est un fait notoire, qui ne doit être ni allégué ni prouvé. Il peut notamment être contrôlé par chacun sur internet, qui permet d'accéder rapidement au taux de conversion en vigueur à une date donnée. Ainsi, selon le site
http://www.fxtop.com
, qui donne les taux officiels diffusés par la Banque centrale européenne (cf.
ATF 135 III 88
consid. 4.1 in fine), le cours de la livre britannique par rapport au franc suisse était, au 11 février 2010, date de la réquisition de poursuite en cause, de 1,670997, et 59'996 GBP 30 équivalaient alors à 100'253 fr. 65. Ces valeurs de conversion alléguées par le recourant ne sont d'ailleurs contestées ni par la cour cantonale ni par l'intimée.
L'arrêt attaqué doit en conséquence être réformé dans ce sens que la mainlevée définitive de l'opposition est prononcée à concurrence d'un montant de 154'753 fr. 65 (70'000 + 100'253.65 - 15'500). | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a832aba7-80a9-4693-8934-47a617872931 | Urteilskopf
109 V 52
11. Urteil vom 14. April 1983 i.S. Bärtschi gegen Staatliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt und Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 24 Abs. 2 lit. b AlVG
, Art. 9 Abs. 2 AlVB,
Art. 12 Abs. 1 AlVV
. Die für den Nachweis einer beitragspflichtigen Beschäftigung während mindestens 150 vollen Arbeitstagen geltende Frist von 365 Tagen bestimmt sich rückwirkend vom Zeitpunkt an, in welchem der Versicherte erstmals Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung geltend macht und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, in der Regel somit vom ersten Stempeltag an (Erw. 1).
Art. 4 BV
, Grundsatz von Treu und Glauben. Voraussetzungen, unter welchen ein von der Verwaltung abgegebenes fehlerhaftes Merkblatt zu einer vom materiellen Recht abweichenden Entscheidung Anlass geben kann (Erw. 2, 3). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 109 V 52 S. 53
A.-
Bärtschi war Direktor der Firma X. Im November 1979 kündigte er das Arbeitsverhältnis gemäss der vertraglichen Kündigungsfrist von zwölf Monaten auf den 30. November 1980. In der Folge wurde er auf den 28. Februar 1980 fristlos entlassen.
Ab dem 29. Dezember 1980 unterzog sich Bärtschi der Stempelkontrolle und am 5. Januar 1981 reichte er bei der Staatlichen Arbeitslosenkasse Basel-Stadt ein Taggeldgesuch ein. Mit Verfügung vom 15. Mai 1981 verneinte die Kasse die Anspruchsberechtigung für die ab dem 29. Dezember 1980 gestempelten Tage, da sich der Versicherte im massgebenden Zeitraum (29. Dezember 1979 bis 28. Dezember 1980) lediglich über 54 volle beitragspflichtige Arbeitstage ausweisen könne.
B.-
Mit Entscheid vom 30. März 1982 wies die kantonale Schiedskommission die gegen die Verfügung vom 15. Mai 1981 erhobene Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Versicherte den Nachweis, dass er in den 365 Tagen vor Geltendmachung des Anspruchs während mindestens 150 vollen Arbeitstagen eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe, selbst dann nicht zu erbringen vermöge, wenn die vergleichsweise bezogene Abgangsentschädigung als Lohnfortzahlung qualifiziert werde.
C.-
Bärtschi erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Arbeitslosenkasse und Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit beantragen deren Abweisung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 24 Abs. 2 lit. b AlVG
in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 AlVB und
Art. 12 Abs. 1 AlVV
hat der Versicherte bei der erstmaligen Geltendmachung eines Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung im Kalenderjahr nachzuweisen, dass er in den 365 Tagen, die dem Beginn der Arbeitslosigkeit vorausgegangen sind, eine beitragspflichtige Beschäftigung von 150 vollen Arbeitstagen ausgeübt hat. Nach
Art. 12 Abs. 1 Satz 2 AlVV
ist für die Berechnung dieses Zeitraumes der erste Tag massgebend, für den Arbeitslosenentschädigung beansprucht wird und an dem die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Die für den Nachweis einer beitragspflichtigen Beschäftigung während mindestens 150 vollen Arbeitstagen geltende Frist von 365 Tagen bestimmt sich demzufolge nicht rückwirkend vom ersten Tag, an welchem der Versicherte ohne Arbeit ist, sondern vom Zeitpunkt an, in welchem er erstmals einen Anspruch auf
BGE 109 V 52 S. 54
Arbeitslosenentschädigung geltend macht und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, in der Regel somit vom ersten Stempeltag an (vgl. zu dem bis Ende März 1977 gültig gewesenen Art. 13 Abs. 1 alt AlVV:
BGE 103 V 39
,
BGE 102 V 190
; ARV 1976 S. 87, 1975 S. 105, 1971 S. 34; EVGE 1956 S. 199).
2.
a) Der Beschwerdeführer hat erstmals am 29. Dezember 1980 die Stempelkontrolle besucht. Wird davon ausgegangen, dass in jenem Zeitpunkt die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, ist für den Nachweis der 150 vollen Arbeitstage die Zeitspanne vom 29. Dezember 1979 bis 28. Dezember 1980 massgebend. Für diese Periode vermag sich der Beschwerdeführer nach den unbestritten gebliebenen Erwägungen der Vorinstanz nicht über eine beitragspflichtige Beschäftigung von 150 vollen Arbeitstagen auszuweisen.
b) Der Beschwerdeführer macht indessen geltend, er habe anfangs März 1980 bei der Arbeitslosenkasse vorgesprochen und Auskunft über das Verhalten bei Arbeitslosigkeit verlangt, worauf ihm das vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit herausgegebene Merkblatt über die obligatorische Arbeitslosenversicherung (Übergangsordnung), Ausgabe 1977, ausgehändigt worden sei. Darin heisse es unter Ziffer III.1.b, dass "in den dem Beginn der Arbeitslosigkeit vorausgegangenen 365 Tagen" eine beitragspflichtige Beschäftigung von 150 Tagen nachzuweisen sei; dagegen werde nicht gesagt, dass (gemäss
Art. 12 Abs. 1 Satz 2 AlVV
) für die Berechnung dieses Zeitraumes der erste Tag massgebend sei, für den Arbeitslosenentschädigung beansprucht werde und an dem die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Hätte das Merkblatt diesen wichtigen Satz enthalten, so hätte er dementsprechend gehandelt. Aufgrund des Merkblattes habe er dagegen keinen Anlass gehabt, sich unverzüglich der Stempelkontrolle zu unterziehen, da er in den dem Beginn der Arbeitslosigkeit vorausgegangenen 365 Tagen eine beitragspflichtige Beschäftigung von 150 vollen Arbeitstagen ausgeübt habe.
Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass das Merkblatt des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit über die obligatorische Arbeitslosenversicherung (Übergangsordnung) jedenfalls in der Ausgabe von 1977 mangelhaft ist. Es erweist sich im streitigen Punkt nicht nur als unvollständig, sondern als unzutreffend. Denn der (sinngemäss) wiedergegebene erste Satz des
Art. 12 Abs. 1 AlVV
, in welchem auf die 365 Tage, die dem Beginn der Arbeitslosigkeit vorausgegangen sind, Bezug genommen wird,
BGE 109 V 52 S. 55
ist irreführend, sofern nicht mit Satz 2 der Bestimmung klargestellt wird, was in diesem Zusammenhang unter "Beginn der Arbeitslosigkeit" zu verstehen ist. Dass von einem entsprechenden Hinweis abgesehen wurde, ist um so weniger verständlich, als eine wörtliche Auslegung des Merkblattes für den Versicherten zum Verlust der Anspruchsberechtigung führen kann.
Ist das Merkblatt im streitigen Punkt als falsch zu qualifizieren, stellt sich die Frage, ob sich der Beschwerdeführer nach Treu und Glauben auf die Unrichtigkeit der ihm erteilten Auskunft berufen und damit erreichen kann, dass der für den Nachweis der vorausgesetzten Arbeitstage massgebende Zeitraum abweichend von der geltenden Regelung festzusetzen ist.
3.
a) Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten und bedeutet u.a., dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend,
1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat;
2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn der Bürger die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
3. wenn der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte;
4. wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können;
5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren hat (
BGE 108 V 181
Erw. 3,
BGE 107 V 160
Erw. 2,
BGE 106 V 143
Erw. 3 mit Hinweisen).
b) Hinsichtlich der in Ziffer 1 genannten Voraussetzung ist festzustellen, dass ein von der Verwaltung herausgegebenes fehlerhaftes Merkblatt in der Regel keine vom materiellen Recht abweichende Behandlung zu begründen vermag, weil es sich an einen unbestimmten Adressatenkreis richtet und eine Vielzahl von Sachverhalten betrifft (vgl. GUENG, Zur Verbindlichkeit verwaltungsbehördlicher Auskünfte und Zusagen, ZBl 71 S. 475 ff.). Verlangt der Bürger aber zu einer bestimmten, ihn betreffenden Frage eine Auskunft und erteilt ihm die Behörde diese in Form der
BGE 109 V 52 S. 56
Abgabe eines Merkblattes (oder einer ähnlichen behördlichen Information), kann damit eine individuell-konkrete Zusicherung verbunden sein. Trifft dies zu, kann sich der Betroffene auf die Unrichtigkeit der Auskunft berufen, sofern die übrigen Voraussetzungen des Vertrauensschutzes erfüllt sind. Insoweit gilt auch hier, dass die Form, in welcher eine Auskunft erteilt wird, nicht entscheidend ist (vgl.
BGE 105 Ib 159
).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer unwidersprochen geltend gemacht, er sei anfangs März 1980 bei der Kasse vorstellig geworden und habe "Auskunft über das Verhalten bei Arbeitslosigkeit" verlangt. Nähere Angaben darüber, wie das Gespräch verlief, fehlen. Im Hinblick darauf, dass die Vorsprache kurz nach Beginn der Arbeitslosigkeit stattfand, darf jedoch davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nicht nur generell um Auskunft über die Arbeitslosenversicherung ersuchte bzw. um blosse Aushändigung des Merkblattes bat, sondern sich konkret bezüglich seines Falles erkundigte. Zwar ist nicht anzunehmen, dass er die heute relevante Frage stellte, wie sich der für den Nachweis der vorausgesetzten 150 vollen Arbeitstage massgebende Zeitpunkt bestimmt. Hiezu hätte er aber von der entsprechenden Anspruchsvoraussetzung Kenntnis haben müssen. Diese Kenntnis kann ihm indessen nicht unterstellt werden, ging es ihm doch gerade darum, sich über seinen Fall von Arbeitslosigkeit zu erkundigen, was namentlich auch die Frage umfasste, was er allenfalls zur Wahrung seiner Versicherungsansprüche vorzukehren hatte. Es muss unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes daher genügen, dass er Auskunft über sein "Verhalten bei Arbeitslosigkeit" verlangt hat.
c) Als erfüllt zu erachten sind auch die übrigen Voraussetzungen des Vertrauensschutzes. Offensichtlich ist, dass die Arbeitslosenkasse zur Erteilung der fraglichen Auskunft zuständig war (Ziffer 2). Auch hat die gesetzliche Ordnung im massgebenden Punkt seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren (Ziffer 5). Mit Bezug auf Ziffer 3 ist nach dem Gesagten festzustellen, dass der Beschwerdeführer von der geltenden Regelung weder Kenntnis hatte noch Kenntnis haben musste, weshalb er auch die Unrichtigkeit der ihm mit dem Merkblatt erteilten Auskunft nicht erkennen konnte. Was schliesslich die im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft vorgenommenen nachteiligen Dispositionen betrifft (Ziffer 4), macht der Beschwerdeführer glaubhaft geltend, er wäre rechtzeitig stempeln gegangen, wenn er darüber orientiert
BGE 109 V 52 S. 57
worden wäre, dass die 365 Tage, während denen er 150 volle Arbeitstage nachzuweisen hat, ab erstem Stempeltag (bzw. ab dem Zeitpunkt, in welchem erstmals ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung geltend gemacht wird und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind) zurückgerechnet werden. Wohl machte er noch einen Lohnanspruch gegenüber der früheren Arbeitgeberin geltend; dies hätte ihn jedoch nicht daran gehindert, sich der Stempelkontrolle zu unterziehen.
4.
Zusammengefasst ergibt sich somit, dass die Voraussetzungen für eine vom materiellen Recht abweichende Beurteilung nach dem Vertrauensgrundsatz erfüllt sind. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer bei richtiger Auskunft spätestens Ende März 1980 der Stempelkontrolle unterzogen hätte. Weil anzunehmen ist, dass er in diesem Zeitpunkt auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt hätte, ist das Erfordernis der 150 vollen Arbeitstage aufgrund der Zeitspanne vom 1. April 1979 bis 31. März 1980 zu prüfen, was unzweifelhaft ergibt, dass der verlangte Nachweis erbracht ist. Der Beschwerdeführer hat daher grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, welche von der Arbeitslosenkasse festzusetzen ist ...
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt vom 30. März 1982 und die Verfügung der Staatlichen Arbeitslosenkasse Basel-Stadt vom 15. Mai 1981 aufgehoben, und es wird die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung verfüge. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a833bd36-c354-4633-b580-7a9057db22e8 | Urteilskopf
122 II 485
59. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 1er novembre 1996 dans la cause S. contre Office fédéral de la police (recours de droit administratif) | Regeste
Tragweite des Grundsatzes des Vorrangs des Völkerrechts.
Der Grundsatz des Vorrangs des Völkerrechts vor dem innerstaatlichen Recht ergibt sich aus der Natur der völkerrechtlichen Vorschrift. Konsequenz: Nichtanwendbarkeit des widersprechenden innerstaatlichen Rechts (hier
Art. 37 IRSG
). | Sachverhalt
ab Seite 485
BGE 122 II 485 S. 485
A.-
Par lettre du 14 juin 1996, le Ministère de la justice de la Rhénanie du Nord - Westphalie, à Dusseldorf, a demandé à l'Office fédéral de la police l'extradition de S., ressortissant italien domicilié dans le canton de Vaud. A cette requête était annexé un jugement rendu le 20 août 1987 par le Tribunal régional de Dusseldorf, condamnant S. à deux ans et neuf mois de privation de liberté pour recel, et une attestation du Parquet de Dusseldorf certifiant notamment que le jugement était exécutoire et qu'un solde de peine de 473 jours, non prescrit, devait encore être subi.
BGE 122 II 485 S. 486
S. fut arrêté et placé en détention extraditionnelle le 26 juin 1996. Il présenta une demande de mise en liberté provisoire moyennant caution et mesures de sûreté; celle-ci, rejetée par l'Office fédéral de la police, fut, sur recours, accueillie par la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral (arrêt du 8 août 1996).
B.-
S. s'est opposé sans succès à son extradition, que l'Office fédéral a ordonnée par décision du 26 juillet 1996.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, S. requiert le Tribunal fédéral d'annuler ce prononcé et de refuser son extradition; subsidiairement, il demande que la peine restant à subir soit exécutée en Suisse. Il soutient que la demande d'extradition est présentée contrairement à la bonne foi, les autorités allemandes connaissant prétendument depuis longtemps sa présence en Suisse; à l'appui de ses conclusions subsidiaires, il fait valoir que l'extradition porterait une atteinte disproportionnée à sa situation personnelle, professionnelle et familiale, et doit être remplacée par l'exécution de la peine en Suisse.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
L'extradition entre la Suisse et l'Allemagne est régie par la Convention européenne d'extradition (ci-après: la Convention ou CEExtr) conclue le 13 décembre 1957, entrée en vigueur le 20 mars 1967 pour la Suisse et le 1er janvier 1977 pour la République fédérale d'Allemagne (RS 0.353.1), ainsi que par un accord bilatéral destiné à compléter la Convention et à faciliter son application, conclu le 13 novembre 1969 et entré en vigueur le 1er janvier 1977 (RS 0.353.913.61). Le droit interne, en particulier la loi fédérale sur l'entraide internationale en matière pénale du 20 mars 1981 (EIMP; RS 351.1) et son ordonnance d'exécution, n'est applicable qu'aux questions qui ne sont pas réglées explicitement ou tacitement par la Convention ou par l'accord bilatéral (
art. 1 al. 1 EIMP
,
ATF 122 II 140
, consid. 2).
3.
A titre subsidiaire, le recourant se réfère à l'
art. 37 EIMP
, selon lequel l'extradition peut être refusée si la Suisse est en mesure d'assumer l'exécution du jugement rendu dans l'Etat requérant et que le reclassement social de la personne poursuivie justifie cette solution.
La question de principe qui se pose à cet égard est celle de savoir si cette disposition de droit interne est opposable à l'Etat requérant et peut justifier un refus d'extrader, assorti d'un engagement pris par
BGE 122 II 485 S. 487
la Suisse de poursuivre l'exécution du jugement de condamnation allemand du 20 août 1987.
a) Tant la Convention que l'accord bilatéral ne laissent à cet égard aucune marge d'appréciation à la Suisse, Etat requis: l'
art. 1 CEExtr
. pose le principe de l'obligation d'extrader; l'art. 2 énumère de manière précise les faits donnant lieu à extradition, sous réserve de certaines catégories d'infractions (politiques, militaires, fiscales) qui ne revêtent pas de pertinence dans le cas d'espèce (art. 3 à 5). Le principe de respect des traités (pacta sunt servanda, art. 26 de la Convention de Vienne de 1969, ci-après "CV", RS 0.111), et son corollaire, celui de l'inopposabilité de toute règle de droit interne contraire au traité (
art. 27 CV
), s'opposent à un refus d'extrader fondé sur une règle ou un principe de droit interne. La Suisse s'est elle-même récemment prévalue de ces principes à l'égard d'un Etat tiers (décision du Conseil d'Etat français du 14 décembre 1994, dans l'affaire Suisse c. Gouvernement français, RUDH 1994 p. 478-491).
Le fait que l'
art. 37 EIMP
soit entré en vigueur en 1983, soit postérieurement à l'entrée en vigueur pour la Suisse de la Convention (1967) et de l'accord bilatéral (1977) n'y change rien: le principe de la primauté du droit international sur le droit interne découle de la nature même de la règle internationale, hiérarchiquement supérieure à toute règle interne, de sorte que l'argument tiré de la lex posterior est inapplicable (voir la jurisprudence déjà ancienne du Tribunal fédéral citée dans JAAC 53/1989 no 54, ad note 52, p. 409/410 et p. 452; cf. également
ATF 122 II 234
, consid. 4c, d et e). L'application de l'
art. 1 al. 1 EIMP
, qui se borne à rappeler le principe de la réserve des traités internationaux, conduit d'ailleurs au même résultat.
b) Certes, le Tribunal fédéral a récemment rappelé (
ATF 122 II 140
consid. 2 p. 142) que dans le domaine de l'entraide internationale, l'existence d'un traité ne prive pas la Suisse de la faculté d'accorder l'entraide en vertu de règles éventuellement plus larges de son droit interne, car ces traités d'entraide sont destinés à favoriser la coopération internationale. Le cas d'espèce est toutefois différent: l'application de l'
art. 37 EIMP
serait certes favorable au recourant, puisqu'elle lui permettrait de purger le solde de sa peine en Suisse; mais elle aurait en même temps pour effet de réduire les droits de l'Etat requérant, qui réclame l'extradition pour pouvoir faire exécuter lui-même, sur son territoire, le solde de la peine. L'
art. 37 EIMP
, contraire au droit international pertinent, est donc inapplicable en l'espèce.
BGE 122 II 485 S. 488
c) Il découle de ce qui précède que seule une autre règle internationale liant tant l'Allemagne que la Suisse pourrait éventuellement, pour des motifs particulièrement importants, justifier un refus de l'extradition. | public_law | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a837a40c-d44b-4c5f-8d9f-3ec47206ada0 | Urteilskopf
87 II 286
41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1961 i.S. A. gegen E. | Regeste
Vaterschaftsklage.
1. Es besteht kein bundesrechtlicher Anspruch auf Bestimmung des Blutfaktors P.
2. Der kantonale Richter kann die vom Beklagten beantragte Anordnung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise jedenfalls dann ohne Verletzung von Bundesrecht ablehnen, wenn keine Anhaltspunkte für Mehrverkehr der Mutter in der kritischen Zeit bestehen. Anders verhält es sich höchstens, wenn der Beklagte auffallende Merkmale des Kindes nennen kann. | Sachverhalt
ab Seite 286
BGE 87 II 286 S. 286
Vom Obergericht des Kantons Zürich durch Urteil vom 30. September 1960 zu Vermögensleistungen im Sinne von
Art. 317 und 319 ZGB
verurteilt, machte der Beklagte A. mit seiner Berufung an das Bundesgericht u.a. geltend, das Obergericht habe es zu Unrecht abgelehnt, die Blutuntersuchung durch Bestimmung des Blutfaktors P zu ergänzen und ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten anzuordnen, wie er es beantragt hatte.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
BGE 87 II 286 S. 287
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz... nach Bundesrecht verpflichtet gewesen wäre, die beantragten weitern Expertisen anzuordnen. Dies ist zu verneinen.
a) Der Beklagte anerkennt, dass die Bestimmung des Blutfaktors P jedenfalls für sich allein kein taugliches Mittel sein kann, um die Vaterschaft eines bestimmten Mannes mit dem erforderlichen Grade von Sicherheit auszuschliessen, und die Vorinstanz konnte ohne Verletzung von Bundesrecht finden, dass die Bestimmung des in Frage stehenden Faktors auch in Verbindung mit den vom Beklagten angeführten weitern Momenten (nur einmaliger Verkehr mit der Mutter; angesichts des Spermabefunds verminderte Zeugungschance; Verhalten der Mutter) nicht zu einem solchen Ausschluss führen könne. Das angefochtene Urteil verweist u.a. auf eine Äusserung des Blutgruppensachverständigen Dr. HOLLÄNDER in SJZ 1958 S. 8, wonach "über die Richtigkeit der bisherigen Auffassung des Erbgangs des P-Systems in der letzten Zeit erhebliche Zweifel aufgekommen" sind, und auf eine Auskunft des Gerichtlich-Medizinischen Instituts Zürich, wonach sich seit 1958 in der Forschung bezüglich dieses Faktors nichts Neues ergeben hat. Wenn die Vorinstanz gestützt hierauf die forensische Verwertbarkeit des Faktors P verneinte, so hielt sie sich dabei im Rahmen der ihr zustehenden Beurteilung tatsächlicher Verhältnisse.
b) Ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen die Weigerung eines kantonalen Gerichts, ein anthropologischerbbiologisches Gutachten einzuholen, mit der Berufung als bundesrechtswidrig gerügt werden könnte, wurde in
BGE 87 II 74
Erw. 6 ausdrücklich offen gelassen. Diese Frage braucht auch heute nicht umfassend geprüft zu werden. Vielmehr genügt die Feststellung, dass die Vorinstanz keinen Satz des Bundesrechts verletzte, indem sie in Übereinstimmung mit dem von HEGNAUER (N. 66 zu
Art. 254 ZGB
) zitierten Entscheide des deutschen Bundesgerichtshofs
BGE 87 II 286 S. 288
vom 3. April 1952 (BGHZ 5 S. 306/07) annahm, das Gericht sei nicht verpflichtet, auf Antrag eines seine Vaterschaft bestreitenden Mannes ein solches Gutachten einzuholen, wenn nach dem bisherigen Beweisergebnis bestimmte Anhaltspunkte für Mehrverkehr der Mutter in der kritischen Zeit fehlen. So verhält es sich... im vorliegenden Falle. Ob dann, wenn der Beweisführer bestimmte gegen seine Vaterschaft sprechende Merkmale des Kindes anzurufen vermag, trotz dem Fehlen von (andern) Indizien für Mehrverkehr der Mutter ein bundesrechtlicher Anspruch auf Anordnung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise bestehe (vgl. HEGNAUER a.a.O.), kann dahingestellt bleiben, da der Beklagte keine solchen Merkmale genannt hat.
Der angeführte Entscheid des deutschen Bundesgerichtshofes (von dem dieser Gerichtshof bisher nicht abgewichen zu sein scheint) stützt sich freilich auf eine prozessuale Erwägung, die sich auf die schweizerischen Verhältnisse nicht ohne weiteres übertragen lässt. Der Bundesgerichtshof lehnt darin für den Bereich der Parteimaxime eine Verpflichtung des Gerichts, auch beim Fehlen von Anhaltspunkten für Mehrverkehr ein erbbiologisches Gutachten einzuholen, mit der Begründung ab, wenn man so weit ginge, "dann würde, da das Gutachten dem Gericht zugleich einen neuen, in den Prozess bisher nicht eingeführten Tatsachenstoff vermittelt, dieses in vielen Fällen zu einem prozessual unzulässigen Ausforschungsmittel werden". Mit dieser Begründung könnte auch die Pflicht des Gerichts, ein Blutgutachten einzuholen, davon abhängig gemacht werden, dass die beweisbelastete Partei vorerst Anhaltspunkte für Mehrverkehr dartut. Ein solches Erfordernis hat die Rechtsprechung des Bundesgerichts für die Vaterschaftssachen nicht aufgestellt (wogegen die Blutprobe in Prozessen auf Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes aus den Gründen, die in
BGE 87 II 15
und den dort zitierten frühern Entscheiden dargelegt wurden, nur verlangt werden kann, wenn bereits durch andere
BGE 87 II 286 S. 289
Beweismittel Tatsachen erstellt sind, die eine aussereheliche Erzeugung des Kindes als möglich erscheinen lassen). Im Vaterschaftsprozess hat nach der schweizerischen Rechtsprechung jeder Beklagte ohne weiteres Anspruch auf Durchführung einer Blutuntersuchung (vgl.
BGE 61 II 76
). Was für die Blutuntersuchung gilt, braucht jedoch nicht notwendigerweise auch für die anthropologisch-erbbiologische Expertise zu gelten. Diese Begutachtung hat die Eigenheit, dass sie in der Regel erst durchgeführt werden kann, nachdem das Kind drei Jahre alt geworden ist (
BGE 87 II 74
). Die Verzögerung des Verfahrens, die damit verbunden ist, schafft namentlich für die klagende Partei (die auf die Unterhaltsbeiträge wartet) einen Nachteil, der nicht leicht zu nehmen ist. Dazu kommt, dass die Vererbungsvorgänge bei den Körpermerkmalen, auf die es bei dieser Expertise ankommt, im allgemeinen viel verwickelter sind als bei den Bluteigenschaften und dass sich diese Merkmale meist auch nicht so genau erfassen lassen wie Blutfaktoren, so dass bei einer solchen Expertise anders als beim Blutgutachten die persönliche Meinung des Sachverständigen unter Umständen eine nicht unwesentliche Rolle spielen kann. Ausserdem scheint zumal bei sog. Einmannfällen unter den Fachleuten noch keine Einigkeit darüber zu bestehen, unter welchen Voraussetzungen die Vaterschaft eines Mannes auf Grund des anthropologischen Befundes ausgeschlossen werden kann (vgl. zu alledem den Entscheid des deutschen Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1953 in der Neuen Juristischen Wochenschrift 7, 1954, S. 83 ff., wo zwar ausgesprochen wurde, dass die erbkundliche Vergleichung auch in Einmannfällen je nach der Sachlage ausreichen könne, um die Vaterschaft eines bestimmten Mannes auszuschliessen, wo aber zugleich auch auf die unter den Fachleuten anscheinend zumal hinsichtlich der Beurteilung von Einmannfällen noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten hingewiesen wurde). Bei dieser Sachlage ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gefunden hat, der
BGE 87 II 286 S. 290
Vaterschaftsbeklagte habe (allenfalls unter Vorbehalt der Fälle, wo er gewisse auffallende Merkmale namhaft machen kann) jedenfalls dann keinen Anspruch auf Durchführung einer solchen Expertise, wenn keine Anhaltspunkte für Mehrverkehr bestehen. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a8397a02-bb97-477c-8d59-cfffeaf0b119 | Urteilskopf
97 I 866
124. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1971 i.S. Leitungsgesellschaft AG gegen Eidg. Bankenkommission | Regeste
Bundesgesetz über die Anlagefonds.
Wertschriftenanlagefonds dürfen überhaupt nicht und Immobilienanlagefonds nur bis zur Hälfte der Anlagekosten durch Aufnahme fremder Mittel, mit oder ohne Verpfändung von Fondsaktiven, finanziert werden (Erw. 2).
Übergangsrecht; Verpflichtung der Leitung eines Immobilienanlagefonds, die zu hohe hypothekarische Belastung der Fondsgrundstücke herabzusetzen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 866
BGE 97 I 866 S. 866
A.-
Die Leitungsgesellschaft AG, Zug, leitet den Immobilienanlagefonds "West Fund". Sie erwarb für Rechnung der Anleger Grundstücke in Kanada. Zur Finanzierung wurden ausser den Einlagen der Anleger Kredite verwendet, die von Dritten gegen Verpfändung der Grundstücke gewährt wurden. Im Zeitpunkte des Inkrafttretens des Anlagefondsgesetzes (1. Februar 1967) betrug die hypothekarische Belastung rund 80% des Gestehungswertes der Grundstücke. Die Leitungsgesellschaft wurde seitens der Eidg. Bankenkommission (Kammer
BGE 97 I 866 S. 867
für Anlagefonds) wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die Belastung 50% dieses Wertes nicht übersteigen dürfe (
Art. 35 Abs. 3 AFG
) und daher bis zum 31. Januar 1970 herabgesetzt werden müsse (
Art. 53 Abs. 3 AFG
). Im neuen Fondsreglement wurde bestimmt, dass der Erwerb der Grundstücke aus dem Erlös der Emission der Anteilscheine und durch Aufnahme von Krediten bei Dritten finanziert werde; anschliessend wurde der Inhalt des
Art. 35 Abs. 3 AFG
wiedergegeben. Die Bankenkommission genehmigte das neue Reglement. Im Schreiben vom 13. Februar 1970, mit dem sie dies der Fondsleitung und der Depotbank mitteilte, erklärte sie, dass sie jede den Satz von 50% übersteigende Verschuldung zulasten des Fonds, "ob grundpfandgesichert oder ungesichert", als unzulässig betrachte. Ende Juni 1970 waren die Grundstücke des "West Fund" noch im Umfange von 57,5% der Gestehungskosten mit Pfandrechten belastet. Mit Verfügung vom 26. April 1971 verpflichtete die Bankenkommission die Leitungsgesellschaft, "die Fremdfinanzierung der Anlagen des West Fund bis 30. Juni 1972 auf höchstens 50% der Gestehungswerte der Grundstücke herabzusetzen"; für den Fall des Ungehorsams drohte sie der Gesellschaft Busse an.
B.-
Gegen diese Verfügung erhebt die Leitungsgesellschaft Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es wird geltend gemacht, allerdings dürfe nach
Art. 35 Abs. 3 AFG
die hypothekarische Belastung der zum Fonds gehörenden Grundstücke 50% der Anlagekosten nicht überschreiten. Dagegen verwehre das Gesetz der Beschwerdeführerin nicht, zur Finanzierung der Anlagen bei Dritten Kredite, die nicht durch Pfandrechte an Grundstücken des Fonds gesichert sind, über die 50% hinaus aufzunehmen. Die gegenteilige Anordnung der Bankenkommission sei unzulässig.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Anlagefonds ist ein Sondervermögen, das auf Grund öffentlicher Werbung von den Anlegern zum Zwecke gemeinschaftlicher Kapitalanlage aufgebracht und von der Fondsleitung nach dem Grundsatz der Risikoverteilung für Rechnung der Anleger verwaltet wird (
Art. 1 Abs. 2,
Art. 2 Abs. 1 AFG
). Der Fonds hat keine Rechtspersönlichkeit. Die ihm zugewiesenen Sachen sind Eigentum der Fondsleitung, und
BGE 97 I 866 S. 868
ihr stehen auch die zum Fonds gehörenden Rechte zu; die Anleger haben nur obligatorische Ansprüche gegen die Fondsleitung (Botschaft zum AFG, BBl 1965 III 290 ff.). Die Fondswerte werden indessen im Konkurs der Fondsleitung nicht zur Konkursmasse gezogen, sondern unter Vorbehalt der in
Art. 16 AFG
umschriebenen Ansprüche der Fondsleitung zugunsten der Anleger ausgesondert (Art. 17 AGF). Nach Art. 16 hat die Fondsleitung Anspruch auf die im Fondsreglement vorgesehenen Vergütungen, auf Befreiung von den Verbindlichkeiten, die sie "in richtiger Ausführung des Kollektivanlagevertrages" eingegangen ist, und auf Ersatz der Aufwendungen, die sie zur Erfüllung solcher Verbindlichkeiten gemacht hat (Abs. 1); diese Ansprüche werden aus Mitteln des Anlagefonds erfüllt (Abs. 2).
Art. 12 Abs. 2 AFG
bestimmt, dass die zum Bestande des Anlagefonds gehörenden Sachen und Rechte nicht mit Pfandrechten belastet oder zur Sicherung übereignet werden dürfen. Diese Regel wird für die Immobilienanlagefonds durch
Art. 35 Abs. 3 AFG
eingeschränkt, welcher lautet: "In Abweichung von Art. 12 Abs. 2 darf die Fondsleitung für Schulden, die den Anlagefonds betreffen, Grundstücke verpfänden, jedoch darf die Belastung im Durchschnitt aller Grundstücke die Hälfte der Anlagekosten nicht überschreiten."
Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass
Art. 12 Abs. 2 und
Art. 35 Abs. 3 AFG
nach ihrem Wortlaut sich nur auf solche von der Fondsleitung eingegangene Verbindlichkeiten beziehen, die durch Verpfändung oder Übereignung von Aktiven des Fonds sichergestellt sind, und dass die Frage, wieweit die Fondsleitung bei Dritten Kredite für den Fonds ohne derartige Sicherstellung aufnehmen darf, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist. Nach der Meinung der Beschwerdeführerin wäre daraus durch Umkehrschluss zu folgern, dass das Gesetz der Fondsleitung die Aufnahme solcher nicht durch Verpfändung oder Übereignung von Fondswerten gesicherter Kredite unbeschränkt gestatte. Dagegen nimmt die Bankenkommission an,
Art. 12 Abs. 2 und
Art. 35 Abs. 3 AFG
seien auf Kredite dieser Art - insbesondere Blankokredite - analog anzuwenden; Wertschriftenanlagefonds dürften also überhaupt nicht und Immobilienanlagefonds zu höchstens 50% der Anlagekosten mit irgendwelchen fremden Mitteln finanziert werden. Es ist zu prüfen, welche Auffassung dem Sinne des Gesetzes entspricht.
BGE 97 I 866 S. 869
2.
Zweck des Anlagefonds ist die kollektive Anlage der von den Anlegern einbezahlten Gelder. Die Fondsleitung hat die Aufgabe, das von den Anlegern zu diesem Zweck aufgebrachte Vermögen zu verwalten (
Art. 2 Abs. 1 AFG
), wobei sie ausschliesslich die Interessen der Anleger zu wahren hat (
Art. 14 AFG
). Sie darf die Werte des Fonds nicht für sich selbst verwenden, insbesondere nicht für eigene Schulden verpfänden (
Art. 12 Abs. 2 AFG
). Ebensowenig darf sie aber für Rechnung des Fonds - mit oder ohne Verpfändung von Fondsaktiven - Verbindlichkeiten eingehen, die mit den Interessen der Anleger nicht vereinbar sind. Die Aufnahme fremder Mittel für die Finanzierung des Anlagefonds widerspricht grundsätzlich der Zweckbestimmung des Fonds, die in der kollektiven Anlage der von den Anlegern selber aufgebrachten Gelder besteht. Die Fremdfinanzierung kann mit erheblichen Risiken für die Anleger verbunden sein, da im Falle der Liquidation des Anlagefonds die Forderungen der fremden Geldgeber den Vorrang gegenüber den Ansprüchen der Anleger haben (
Art. 17 AFG
). Sie ist daher nur beschränkt zulässig. Die Schranken ergeben sich aus Wortlaut und Sinn des Art. 12 Abs. 2 und des
Art. 35 Abs. 3 AFG
. Diese Bestimmungen gehen dem Fondsreglement vor; sie sind zwingend (
Art. 8 Abs. 4 AFG
). Ihnen widersprechende Verbindlichkeiten zulasten des Fonds können grundsätzlich nicht als "in richtiger Erfüllung des Kollektivanlagevertrages eingegangen" (
Art. 16 Abs. 1 AFG
) betrachtet werden; sie sind nach der gesetzlichen Ordnung unzulässig.
a)
Art. 12 Abs. 2 AFG
untersagt der Leitung eines Wertschriftenanlagefonds die Verpfändung und die Sicherungsübereignung von Fondswerten ohne Einschränkung, für die eigenen wie für die den Fonds betreffenden Schulden. Die Bestimmung soll namentlich verhindern, dass die Leitung eines solchen Fonds für dessen Rechnung unter Verpfändung zu ihm gehörender Werte an der Börse spekuliert und damit die Interessen der Anleger aufs Spiel setzt (BBl 1965 III 305, 320 oben). Diese Interessen können aber in gleichem Grade auch dadurch gefährdet werden, dass die Leitung des Wertschriftenanlagefonds Anlagen mit fremden Mitteln ohne Verpfändung von Fondsaktiven finanziert. Eine befreundete Bank, z.B. die Depotbank, wird der Fondsleitung dafür unter Umständen auch ohne Pfand Kredit gewähren. Sie würde die Kursentwicklung
BGE 97 I 866 S. 870
aufmerksam verfolgen und rechtzeitig die Rückzahlung des Darlehens fordern. Sie hätte solchenfalls in der Regel kein grösseres Risiko, als wenn sie sich Fondsaktiven als Pfand geben liesse, da die Anleger bei der Liquidation des Anlagefonds immer erst nach Tilgung aller Fondsschulden befriedigt werden. Anderseits wäre auch für die Anleger das Risiko mit oder ohne Verpfändung von Fondsaktiven gleich gross. Nach dem Sinn und Zweck des Anlagefondsgesetzes, das in erster Linie die Anleger schützen soll, ist daher Art. 12 Abs. 2 auf den Fall, wo die Leitung eines Wertschriftenanlagefonds zu dessen Finanzierung fremde Mittel ohne Verpfändung oder der Sicherstellung dienende Übereignung von Werttiteln des Fonds aufnimmt, analog anzuwenden. Auch eine nicht in dieser Weise gesicherte Fremdfinanzierung ist also der Leitung eines solchen Fonds schlechthin untersagt.
Dass
Art. 12 Abs. 2 AFG
nur von der Verpfändung und der Sicherungsübereignung spricht, ist leicht erklärlich: Als das Anlagefondsgesetz vorbereitet und erlassen wurde, war bekannt, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika Börsenspekulationen, die für Rechnung von Wertschriftenanlagefonds unter Verpfändung von Fondsaktiven vorgenommen worden waren, zu Zusammenbrüchen geführt hatten; man wollte die dem schweizerischen Recht unterstehenden Fonds dieser Art gegen die Wiederholung solcher Vorkommnisse schützen (BBl 1965 III 262/3, 305, 320 oben). Offenbar wurde bei der Ausarbeitung des Gesetzes nicht beachtet, dass auch die Aufnahme von Blankokrediten in gleicher Weise den Interessen der Anleger abträglich sein kann. Bei der Auslegung des Gesetzes darf aber über dieses Risiko nicht hinweggesehen werden.
b) Die von Art. 12 Abs. 2 abweichende Sonderordnung, die nach
Art. 35 Abs. 3 AFG
für die Immobilienanlagefonds gilt, wird in der Botschaft des Bundesrates wie folgt begründet (BBl 1965 III 305):
"Es ist in der Schweiz allgemein üblich, den Erwerb von Liegenschaften teilweise durch die Aufnahme von Hypotheken zu finanzieren. Die Fondsleitungen haben in mehr oder weniger grossem Ausmass diese Praxis übernommen. Sie sichern sich damit eine gewisse Beweglichkeit für die Planung von Bauten und die Beschaffung von Bauland. Es ist jedoch bemerkenswert, dass gerade die angesehensten Anlagefonds sich in der Aufnahme von Schulden deutliche Zurückhaltung auferlegen. Die Möglichkeit, weitere Hypotheken aufzunehmen, kann ihnen nötigenfalls die Erfüllung selbst massiver Rücknahmebegehren
BGE 97 I 866 S. 871
erleichtern. Sie sind sich ausserdem bewusst, dass der Anleger mit dem Erwerb von Immobilienzertifikaten eine sichere Anlage sucht. Je höher die hypothekarische Belastung, um so spekulativer ist jedoch die Anlage: Eine fühlbare Depression auf dem Liegenschaftsmarkt könnte bei einer Belastung von 80% des Gestehungspreises zur völligen Entwertung der Anteilscheine führen. Darum darf nach dem Entwurf die Belastung im Durchschnitt aller Grundstücke die Hälfte der Anlagekosten nicht überschreiten."
Ein Immobilienanlagefonds kann indessen auch mit Hilfe fremder Kredite, die nicht durch Verpfändung von Fondsgrundstücken sichergestellt sind, finanziert werden. Es ist durchaus möglich, dass eine vertrauenswürdige Fondsleitung solche Kredite erhält, wenn sie dem Geldgeber verspricht, ohne seine Zustimmung keine weiteren grösseren Verbindlichkeiten einzugehen. Aber in diesem Fall ist das Risiko für die Anleger wiederum gleich gross wie dann, wenn Fondswerte verpfändet werden, weil bei der Liquidation jedes Anlagefonds alle - auch die nicht pfandversicherten - Forderungen Dritter vorweg befriedigt werden müssen. Die Grenze, über welche gemäss dem Wortlaut des
Art. 35 Abs. 3 AFG
die Verpfändung der Fondsgrundstücke für Fondsschulden nicht hinausgehen darf, muss daher nach dem Sinn des Gesetzes auch für die nicht in dieser Weise gesicherten Verbindlichkeiten für Rechnung des Fonds gelten; die Bestimmung ist also auf solche Schulden analog anwendbar. Es ist unerheblich, dass derartige Verbindlichkeiten weder in der Botschaft und im Entwurf des Bundesrates noch im Gesetz ausdrücklich erwähnt sind - was wohl darauf zurückzuführen ist, dass sie bisher in der Schweiz nicht gebräuchlich waren. Würde
Art. 35 Abs. 3 AFG
entsprechend der Auffassung der Beschwerdeführerin nach dem Buchstaben ausgelegt, so wäre der Umgehung der dort zum Schutze der Interessen der Anleger aufgestellten Belastungsgrenze Tür und Tor geöffnet.
3.
Nun geht aber die 50% der Anlagekosten überschreitende hypothekarische Belastung der zum "West Fund" gehörenden Grundstücke auf die Zeit vor dem Inkrafttreten des AFG zurück. Wenn die Beschwerdeführerin die damals eingegangenen Verpflichtungen erfüllt, handelt sie "in richtiger Ausführung des (zur Zeit der Kreditgewährung rechtsgültigen) Kollektivanlagevertrages". Sie hat deshalb grundsätzlich Anspruch auf Befreiung von diesen Verbindlichkeiten zulasten des Fondsvermögens. Aber sie muss nach
Art. 53 Abs. 2 AFG
die Belastung
BGE 97 I 866 S. 872
der Aktiven des Fonds innert bestimmter Frist - nach der angefochtenen Verfügung bis Ende Juni 1972 - an
Art. 35 Abs. 3 AFG
anpassen. Nach dem Gesagten genügt es jedoch nicht, dass sie den oder die Kreditgeber für den 50% der Anlagekosten übersteigenden Teil der Kreditsumme auf das Pfandrecht verzichten lässt; vielmehr ist die Fremdfinanzierung des Fonds schlechthin soweit herabzusetzen, dass sie die 50% nicht überschreitet. Die Beschwerdeführerin wird zu diesem Zweck gegebenenfalls einen Teil der Aktiven des Fonds veräussern müssen. In einem Falle, wie er hier vorliegt, könnte eine Fondsleitung genötigt sein, gerade die am besten verkäuflichen Objekte zu verwerten, um Verluste zu vermeiden; nach Durchführung einer solchen Transaktion könnte sich unter Umständen ergeben, dass die Risiken der Anleger tatsächlich nicht vermindert wären. Angesichts des klaren Textes des
Art. 53 Abs. 2 AFG
verstösst jedoch die Anordnung der Aufsichtsbehörde, dass die Belastung der Fondsaktiven an
Art. 35 Abs. 3 AFG
anzupassen sei, nicht gegen das Bundesrecht, jedenfalls dann nicht, wenn die Fondsleitung nicht gezwungen wird, offensichtlich zur Unzeit und entgegen den eindeutigen Interessen der Anleger einen Teil der Aktiven zu verwerten. Dass die angefochtene Verfügung die Beschwerdeführerin in eine solche Zwangslage versetze, wird indessen nicht behauptet und ist nicht anzunehmen. Die Verfügung ist nicht zu beanstanden. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a83ea01a-5ac9-429b-84ca-6f9e3b2bb0f6 | Urteilskopf
88 II 498
70. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. November 1962 i.S. Baumann und Streitgenossen gegen Dorfkorporation Dietfurt. | Regeste
Ehehafte (althergebrachte) Wasserrechte sind private Rechte an einem öffentlichen Gewässer. Sie gelten als Dienstbarkeiten. Ihr Inhalt ist grundsätzlich nach neuem Rechte zu beurteilen.
Art. 17 Abs. 2 ZGB
, SchlT und
Art. 737 ff. ZGB
(Erw. 3).
Gemäss
Art. 730 ff. ZGB
durch Vertrag als Dienstbarkeit eingeräumtes Wassernutzungsrecht (Gegenstand: Grundwasser). Auslegung nach Treu und Glauben (Erw. 4).
Stillschweigender Vorbehalt und Lücke des Vertrages.
Art. 18 OR
und
Art. 2 ZGB
(Erw. 5).
Ersatzpflicht für den durch Überschreitung der Dienstbarkeit angerichteten Schaden (Erw. 6).
Unter welchen Voraussetzungen kann Ersatz für zukünftigen Schaden verlangt werden? (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 499
BGE 88 II 498 S. 499
A.-
Der Dietfurterbach, ein Zufluss der Thur auf dem Gebiete des Kantons St. Gallen, ist ein öffentliches Gewässer im Sinne des
Art. 664 Abs. 2 ZGB
wie auch der kantonalen Gesetze "über Benützung von Gewässern" vom 1. Januar 1894 und "über die Gewässernutzung" vom 5. Dezember 1960. An diesem Gewässer besitzen die Kläger Wasserwerkanlagen, bestehend aus zwei Stauwehren, aus den Druckleitungen und den Turbinen. Die aus dem Wasser gewonnene Energie wird verwendet in der von Hans Baumann betriebenen Schlosserei und in der mechanischen Werkstätte der Zweitkläger sowie in der Sägerei des Erstklägers. Den Klägern stehen ehehafte Wasserrechte zu, die unter die Kategorie der vor dem Jahre 1860 erstellten Werke im kantonalen Wasserrechtskataster eingetragen sind.
B.-
Am 24. November 1939 gewährte der Rechtsvorgänger der Kläger, Johannes Baumann sel., der Beklagten (Dorfkorporation Dietfurt) ein Dienstbarkeitsrecht auf Aneignung und Ableitung des Wassers der auf seinem Grundstück Parzelle 336 entspringenden Quelle. Die Quellfassung befand sich am linken Ufer des Baches, etwa 300 Meter oberhalb des ersten Stauwehrs. Für die Einräumung dieses Quellenrechtes bezahlte ihm die Beklagte einen Betrag von Fr. 2000. -.
C.-
Die erwähnte Quelle ging in ihrer Ergiebigkeit zurück und versiegte schliesslich. Namentlich mit Rücksicht hierauf bot Johannes Baumann Hand zum Abschluss eines neuen Dienstbarkeitsvertrages vom 9. Dezember 1942, dem zu entnehmen ist:
"1. Als Nachtrag zu dem am 24. November 1939... eingetragenen Quellenrecht räumt Baumann Johannes... der Dorfkorporation Dietfurt folgende Rechte als Ergänzung zum bestehenden Quellenrecht ein:
a) Erstellen eines Sammelschachtes in der Nähe der bereits bestehenden Brunnenstube, zwecks Fassung von Grundwasser im Grundstück Baumann, mit Pumpwerk und Pumpenhaus in einer Grundfläche von ca. 20 m2, mit Zuleitung vom Sammelschacht zur alten Brunnenstube;
b) Erstellen eines unterirdischen Grundwasser-Sammelstranges
BGE 88 II 498 S. 500
vom Sammelschacht in westlicher Richtung parallel zum Flusslauf, auf eine Entfernung von ca. 100 m.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.
In der seinerzeit ausgerichteten Entschädigung von Fr. 2000.-- sind auch die im vorstehenden Vertrage eingeräumten Rechte eingeschlossen, einschliesslich das Durchleitungsrecht für den Sammelstrang.
4.
Es wird besonders vereinbart, dass der auf eine Länge von ca. hundert Meter vorgesehene Sammelstrang etappenweise erstellt werden wird, je nach den Wasserbedürfnissen der Dorfkorporation. Einstweilen wird der Strang nur ungefähr auf eine Länge von 25 Meter gelegt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die auf Grund dieses zweiten Vertrages in Betrieb gesetzte Pumpe hatte eine Förderleistung von 220 Minutenlitern.
D.-
Mit Gesuch vom 15. November 1949 bewarb sich die Beklagte beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen um eine Konzession zur Entnahme von 2000 l/min aus dem Grundwasservorkommen. Die Kläger erhoben Einsprache wegen drohender Schmälerung ihrer ehehaften Wasserrechte. Der Regierungsrat verlieh der Beklagten jedoch mit Beschluss vom 17. Februar 1950 das nachgesuchte Recht zur Entnahme von maximal 2000 l/min und 200 000 m3 im Jahr, räumte der Konzessionärin das Enteignungsrecht ein und legte ihr die Pflicht auf, Streitigkeiten mit Dritten, die sich aus der Konzessionserteilung und dem Bau der Anlagen ergeben, auf eigene Kosten ohne Beteiligung des Staates auszutragen.
In der folgenden Zeit erstellte die Beklagte ein Pumpwerk mit einer Förderleistung von maximal 600 l/min (zwei Pumpen von 400 bezw. 600 l/min Leistung, von denen jedoch jeweilen nur eine im Betriebe steht).
E.-
Mit Klage vom 4. Oktober 1957 stellten die Kläger die Rechtsbegehren:
"1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Beklagte den Klägern für den Schaden ersatzpflichtig ist, welcher ihnen durch die Grundwasserentnahme am Dietfurtbach entsteht.
BGE 88 II 498 S. 501
2. Es sei die Beklagte zu verpflichten, den Klägern jährlich zum voraus, rückwirkend auf den Tag der Inbetriebnahme der Grundwasserfassung, Fr. 600.-- für die Dauer der Wasserentnahme zu bezahlen."
Zur Begründung machten die Kläger im wesentlichen geltend, bei mittlerem Wasserstande werde ihren Anlagen so viel Wasser entzogen, dass sie nicht mehr voll ausgenützt werden könnten. Sie seien gezwungen, zur Aufrechterhaltung ihrer Betriebe Fremdstrom zu beziehen oder einen Dieselmotor einzusetzen. Nach ihren Berechnungen müssten sie dafür jährlich insgesamt Fr. 600.-- aufwenden. Diesen Betrag habe ihnen die Beklagte rückwirkend zu ersetzen. Da die Beklagte durch die Konzession berechtigt sei, die Wasserentnahme auf 2000 l/min zu erhöhen, hätten die Kläger ein Interesse daran, ausserdem gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Beklagte für den ihnen daraus entstehenden Schaden verantwortlich sei.
Die Beklagte bestritt einerseits, dass die ehehaften Wasserrechte der Kläger durch die Grundwasserentnahme beeinträchtigt würden. Anderseits machte sie geltend, der Rechtsvorgänger der Kläger habe ihr durch den zweiten Dienstbarkeitsvertrag vom 9. Dezember 1942 das dingliche Recht auf unbeschränkten Bezug von Grundwasser in seiner Parzelle Nr. 336 eingeräumt.
F.-
Sowohl das Bezirksgericht Alttoggenburg wie auch, auf Berufung der Kläger hin, das Kantonsgericht St. Gallen, mit Urteil vom 9. Februar 1962, haben die Klage abgewiesen. Das Kantonsgericht führt zur Begründung seines Urteils im wesentlichen aus: Durch das vom Bezirrksgericht eingeholte Gutachten Strasser/Jäckli sei erwiesen, dass die Wasserentnahme durch die Beklagte den Zufluss auf die Wasserwerke der Kläger beeinträchtige, wenn auch in verhältnismässig geringfügigem Masse. Grundsätzlich wäre die Beklagte daher zum Schadenersatze verpflichtet. Nun könne sie sich aber auf die mit dem Rechtsvorgänger der Kläger abgeschlossenen Dienstbarkeitsverträge berufen. Die Wasserentnahme sei darin in keiner Weise beschränkt worden. Sie richte sich deshalb, was zudem "zweifelsfrei" aus
BGE 88 II 498 S. 502
Ziff. 4 des zweiten Vertrages hervorgehe, nach den Bedürfnissen der bezugsberechtigten Beklagten. Der Eingriff in die Wasserrechte der Kläger sei somit nicht rechtswidrig.
G.-
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die vorliegende Berufung an das Bundesgericht eingereicht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./2. - .....
3.
Gegenstand des Rechtsstreites ist der Anspruch auf Schadenersatz wegen Beeinträchtigung der ehehaften Wasserrechte der Kläger durch die Ausübung des auf staatlicher Verleihung (Konzession) beruhenden Wassernutzungsrechtes der beklagten Dorfkorporation. Die ehehaften Wasserrechte sind private Rechte an einem öffentlichen Gewässer (vgl.
BGE 39 I 76
,
BGE 60 II 487
Erw. 3; LEEMANN, 2. Aufl., N. 62 zu
Art. 664 ZGB
; HAAB, N. 17, 23 und 27 zu Art. 664; P. LIVER, Die ehehaften Wasserrechte in der Schweiz, in der Festschrift für Paul Gieseke, S. 226/27). Nach Art. 45 des eidgenössischen Wasserrechtsgesetzes vom 22. Dezember 1916 werden Privatrechte Dritter durch die Verleihung nicht berührt, und nach
Art. 70 WRG
sind Streitigkeiten zwischen dem Beliehenen und andern Nutzungsberechtigten über den Umfang ihrer Nutzungsrechte von den Gerichten zu entscheiden. Das sind reine Zivilrechtsstreitigkeiten (vgl. GEISER/ABBÜHL/BÜHLMANN, Kommentar zum eidg. WRG, Bemerkungen zu Art. 70; ZIHLMANN, Die Vorteilsausgleichung unter Wassernutzungsberechtigten im schweizerischen Recht, Diss. 1959, S. 29; M. A. MÜLLER, Die rechtliche Regelung des Grundwassers im Kanton Thurgau, Diss. 1953, S. 74). Zivilrechtlichen Charakters sind auch die Dienstbarkeiten, auf die sich die Beklagte ihrerseits beruft, und die das angefochtene Urteil als Grund zur Rechtfertigung der die Wasserrechte der Kläger schmälernden Wasserentnahme anerkennt.
Und zwar geht der Streit im wesentlichen um Rechtsverhältnisse, die vom Bundesrecht beherrscht sind, so dass
BGE 88 II 498 S. 503
sich die Berufung an das Bundesgericht auch unter dem Gesichtspunkt des anwendbaren Rechtes als zulässig erweist (
Art. 43 OG
). Die ehehaften (althergebrachten) Rechte der Kläger entstammen freilich einer nicht mehr geltenden Rechtsordnung. Die in ihnen enthaltenen Befugnisse erfüllen aber die Merkmale einer Dienstbarkeit. Sie stellen sich somit als Rechte dar, wie sie auch unter der jetzt geltenden Sachenrechtsordnung noch begründet werden können, und sind daher den Dienstbarkeiten einzureihen (vgl. MUTZNER, 2. Auflage, N. 13 zu Art. 17 Abs. 2 SchlT des ZGB; LIVER, a.a.O. S. 244 sowie ZSR NF 71 I S. 339 ff.;
BGE 63 I 110
ff.). Das hat zur Folge, dass sich ihr Inhalt nach den Normen des ZGB, Art. 737 ff., bestimmt (vgl. Art. 17 Abs. 2 SchlT des ZGB;
BGE 85 II 180
/81,
BGE 86 II 247
ff.). Für die Ermittlung des konkreten Inhaltes muss allerdings bei den aus dem alten Recht stammenden Dienstbarkeiten mitunter auf Begriffe und Normen des frühern Rechts zurückgegangen werden (vgl. die soeben angeführten Entscheidungen und LIVER, N. 227 ff. zu
Art. 737 ZGB
). Indessen hat Art. 1 Abs. 3 des st. gallischen Gesetzes vom 1. Januar 1894 "über Benützung von Gewässern" eine einfache Regelung getroffen, wonach "die zurzeit bestehenden Wasserwerksanlagen und die bis anhin zu wirtschaftlichen Zwecken geübten Wasserbezugsrechte in ihrem bisherigen Bestande gewährleistet bleiben". Die auf dieser Grundlage den Klägern zustehenden Wassernutzungsrechte sind dem Grundsatze nach unbestritten, und das Kantonsgericht stellt fest, dass sie durch die Wasserentnahme der Beklagten, wenn auch in geringfügigem Masse, beeinträchtigt werden. Die Klageabweisung beruht auf der Anerkennung eines "privaten Rechtstitels" der Beklagten, wie er in den ihr vom Rechtsvorgänger der Kläger eingeräumten Dienstbarkeiten enthalten sei. Danach stehe der Beklagten ein unbeschränktes Recht auf Entnahme von Grundwasser aus dem Grundstück Nr. 336 der Kläger zu, und zwar - jedenfalls bis zur jährlichen Höchstmenge von 200 000 m3 gemäss der regierungsrätlichen Konzession
BGE 88 II 498 S. 504
- ohne Rücksicht auf die ehehaften Rechte der Kläger. Diese in den Jahren 1939 und 1942 vereinbarten Dienstbarkeiten sind zweifellos nach eidgenössischem Privatrechte zu beurteilen.
4.
Die Auslegung der Dienstbarkeitsverträge, d.h. die Ermittlung von Sinn und Tragweite der Vereinbarungen an Hand ihres Wortlautes, nach dem Sprachgebrauch und den für den Vertragszweck als wesentlich zu betrachtenden Umständen, ist - beim Fehlen tatsächlicher Feststellungen des Kantonsgerichts über einen wirklichen (gemeinsamen) Willen der Vertragschliessenden - eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Rechtsfrage (vgl.
BGE 87 II 237
mit Hinweisen). Nach Ansicht des Kantonsgerichts spricht nun der Vertragstext in zweifacher Hinsicht für ein unbegrenztes Recht auf Grundwasserentnahme aus der Parzelle Nr. 336: Einmal sei in den Verträgen keine Höchstmenge der Wasserentnahme festgelegt worden, und sodann solle sich der Wasserbezug der Beklagten nach der ausdrücklichen Bestimmung der Ziff. 4 des zweiten Vertrages je nach ihren Wasserbedürfnissen richten. Diese Betrachtungsweise hält indessen einer nähern Prüfung nicht stand.
a) Freilich wird ein Wassernutzungsrecht gewöhnlich in bestimmter Weise begrenzt und damit als "gemessene" Dienstbarkeit festgelegt. Wird aber davon abgesehen, den Umfang der Bezugsberechtigung zum vornherein (etwa in Minutenlitern) zu bestimmen, so wird die wasserrechtliche Dienstbarkeit nicht ohne weiteres zu einer "ungemessenen". Vielmehr ist durch Auslegung zu ermitteln, welcher Umfang der Bezugsberechtigung zukommt (vgl. LEEMANN, N. 18 zu
Art. 737 ZGB
), und dies hat nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu geschehen (
BGE 87 II 95
mit Hinweisen; MERZ, N. 119 ff. zu Art. 2 BGE mit Literaturangaben in N. 120). Unter diesem Gesichtspunkt fällt hier vor allem in Betracht, dass den Vertragschliessenden fern lag, den die Werkanlagen der Kläger speisenden Zufluss aus dem Dietfurterbach aufzuteilen, also einen Teil davon
BGE 88 II 498 S. 505
der Beklagten zuzuweisen. In den Verträgen ist dieser Zufluss nicht als Gegenstand der Dienstbarkeit genannt, und es konnte eine solche Abzweigung an die Beklagte nach Treu und Glauben gar nicht in Frage kommen, da der Rechtsvorgänger der Kläger wie dann auch diese selbst ihre Anlagen in unvermindertem Umfange weiterbetrieben haben und nach wie vor der vollen Ausnützung ihres ehehaften Wasserrechtes bedürfen. Nicht nur die der Beklagten auf Grund des Vertrages von 1939 zur Fassung und Ableitung überlassene Quelle, sondern auch das durch den "Nachtrag" von 1942 ihr in entsprechender Weise zur Verfügung gestellte Grundwasser ist somit in den Vertragstexten angesichts der erwähnten Begleitumstände als ein von jenem Zufluss getrenntes und ihn nicht beeinflussendes Wasservorkommen zu verstehen und ohne Zweifel auch beiderseits so verstanden worden. Gerade daraus erklärt es sich, dass man keine Veranlassung fand, die der Beklagten eingeräumte Bezugsberechtigung zahlenmässig zu umgrenzen. Übrigens war die Quelle, der Gegenstand des ersten Vertrages, wohl von Anfang an wenig ergiebig, so dass das nur auf sie bezogene Recht keiner weitern Begrenzung bedurfte. Und was das nach dem Versiegen der Quelle als neuer Gegenstand der Nutzung bezeichnete Grundwasser betrifft, so ist nicht aus dem Auge zu lassen, dass es im wesentlichen einfach für jene Quelle Ersatz zu bieten hatte. Das Kantonsgericht beachtet nicht in gebührender Weise den Zusammenhang des zweiten mit dem ersten Vertrage, als dessen Nachtrag jener ausdrücklich bezeichnet worden ist. Die "Ergänzung" der Bezugsberechtigung auf das Grundwasser war eben wegen des Versiegens der Quelle nötig geworden. Bei dieser Sachlage kann die Beklagte das Grundwasser der Parzelle Nr. 336 nicht in unbeschränktem Masse, sondern nur zum Bezug von ungefähr so viel Wasser in Anspruch nehmen, wie sie anfänglich aus der Quelle hatte gewinnen können. Diese einschränkende Auslegung liegt besonders deshalb nahe, weil die Ersatzberechtigung laut Ziff. 3 des zweiten Vertrages durch die seinerzeit für
BGE 88 II 498 S. 506
das Quellenrecht bezahlte Vergütung von Fr. 2000.-- bereits abgegolten war.
b) Aus Ziff. 4 des zweiten Dienstbarkeitsvertrages lässt sich nichts ableiten, was dem Gesagten zuwiderliefe. Wenn danach der in Ziff. 1 lit. b vorgesehene Sammelstrang von etwa 100 m Länge nicht auf einmal, sondern etappenweise "je nach den Bedürfnissen der Dorfkorporation" angelegt werden soll, so heisst dies in Verbindung mit dem Vorausgegangenen bloss, es sei zunächst mit einem kleineren, auf 25 m bemessenen Sammelstrang zu versuchen, der alsdann, wenn das Grundwasser sich als zu wenig ergiebig erweisen sollte, nach und nach auf die Höchstlänge von etwa 100 m verlängert werden dürfe. Diese Vertragsstelle ist als Teil des gesamten Textes zu deuten und in sinnvoller Weise dahin zu verstehen, die Beklagte solle durch Grundwasserbezug einen vollwertigen Ersatz für das wertlos gewordene Quellenrecht erhalten; deshalb dürfe sie einen hiefür genügenden Sammelstrang anlegen und - im Rahmen der Bedürfnisse, die das Quellenrecht hätte decken sollen - von anfänglich 25 bis auf etwa 100 m verlängern.
c) Dass die Beklagte selber nicht der Meinung war, der Vertrag von 1942 habe ihr ein unbeschränktes Wasserbezugsrecht eingeräumt, geht daraus hervor, dass sie am 15. November 1949 die Erteilung einer Konzession zur Entnahme von 2000 l/min aus dem Grundwasser des Dietfurterbaches nachgesucht hat. Freilich hatte der Regierungsrat dieses Grundwasser am 20. September 1948 als öffentliches Gewässer erklärt. Demgegenüber hätte aber die Bekla gte, die es seit 1942 teilweise gefasst und abgeleitet hatte, sich auf die Eigentumsgarantie berufen können, sofern sie der Ansicht war, ihr stehe ein unbeschränkter privatrechtlicher Anspruch auf Ableitung dieses Wassers zu (vgl.
BGE 55 I 401
). Einen solchen Standpunkt hat sie jedoch nicht eingenommen, sei es, dass sie einen privatrechtlichen Anspruch gemäss dem Vertrage von 1942 überhaupt nicht für begründet hielt und dieses Grundwasser schon nach dem kantonalen Gesetze vom 1. Januar 1894 als öffentliches Gewässer
BGE 88 II 498 S. 507
betrachtete, sei es, dass sie die Konzessionserteilung nur insoweit für nötig hielt, als der Wasserbezug über die bis 1948 abgeleiteten Mengen hinaus erhöht werden sollte.
d) Nach der dem kantonalen Recht im angefochtenen Urteil gegebenen Auslegung war die Einräumung eines Grundwasserbezugsrechtes durch Dienstbarkeit im Jahre 1942 gültig. Wie dargetan, umfasst dieses Recht aber nur ungefähr den Ertrag der Quelle, die den Gegenstand des Vertrages und Grundbucheintrages von 1939 gebildet hatte. Dieser Ertrag ist vom Kantonsgericht nicht festgestellt worden; dagegen ergibt sich aus dem regierungsrätlichen Entscheid vom 7. Februar 1950 über die Konzessionserteilung, dass die Beklagte zur Gewinnung des Grundwassers (1942) eine Pumpe mit einer FÖrderleistung von 220 Minutenlitern in Betrieb gesetzt hatte. Da die damalige Anlage unbeanstandet blieb, darf angenommen werden, die erwähnte Wassermenge habe dem Gegenstand der Dienstbarkeit entsprochen.
5.
Diese Menge als unbedingtes Höchstmass des Bezuges bezeichnen, hiesse nun allerdings den Vertragsbestimmungen einen genauen Sinn beimessen, der ihnen beim Fehlen einer zahlenmässigen Festlegung nicht zukommt. Es mochte den Vertragschliessenden, namentlich auch dem Grundeigentümer, gleichgültig sein, ob das Grundwasser noch etwas stärker ausgenützt werde, sofern nur der seine Werkanlagen speisende Bachzufluss unberührt bleibe, den auch die Beklagte nicht anzutasten beabsichtigte. Betrachtet man dies als stillschweigend vereinbarten Vorbehalt, so überschreitet die Beklagte ihr Dienstbarkeitsrecht, sobald sie mehr als 220 l/min Grundwasser herauspumpt und dadurch jenen Zufluss schmälert. Die gleiche Rechtslage ergibt sich aber auch, wenn man davon ausgeht, die Vertragschliessenden hätten gar nicht damit gerechnet, dass bei Überschreitung eines gewissen Umfanges der Grundwasserentnahme je nach dem Wasserstande des Dietfurteruaches jener Zufluss geschmälert und damit die Ausnützbng des ehehaften Wasserrechtes beeinträchtigt werden
BGE 88 II 498 S. 508
könnte. Es mag sein, dass man beim Abschluss der Dienstbarkeitsverträge hinsichtlich der Quelle und des Grundwassers über die hydrologischen Zusammenhänge (wie sie das gerichtliche Gutachten darlegt) nicht Bescheid wusste und sich darüber keine Gedanken machte. Da aber nach den gegebenen Verhältnissen nicht davon die Rede sein konnte, der Beklagten einen Teil des für die Werkanlagen der Kläger benötigten Wassers zu überlassen, ergibt sich bei dieser zweiten Betrachtungsweise eine Lücke des Vertrages, die nach Treu und Glauben im Sinne des soeben umschriebenen stillschweigenden Vorbehaltes auszufüllen ist (vgl. BECKER, 2. Aufl., N. 17 und 23 zu
Art. 18 OR
; MERZ, N. 145 und 152 zu
Art. 2 ZGB
).
6.
Auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigung ihrer ehehaften Wasserrechte haben die Kläger nicht angetragen (was gemäss Art. 737 oder auch auf Grund von
Art. 679 ZGB
hätte geschehen können; vgl. LIVER, N. 180 ff. zu Art. 737, und HAAB, N. 10 ff. zu
Art. 679 ZGB
), sondern sich auf Geltendmachung von Schadenersatz nach
Art. 41 ff. OR
beschränkt. Dieser Anspruch ist nach dem Gesagten begründet, sobald die Beklagte auch nur zeitweilig durch Bezug von mehr als 200 l/min in das als Dienstbarkeit zu betrachtende althergebrachte Wasserrecht der Kläger eingreift. Die Beklagte kann die Schadenersatzpflicht nicht dadurch abwenden, dass sie die Grundwasserentnahme im Jahresdurchschnitt auf jene Menge begrenzt. Vielmehr darf der Zufluss zu den Anlagen der Kläger in keinem Zeitpunkt, insbesondere nicht bei niedrigem Wasserstand des Dietfurterbaches, durch Grundwasserbezug der Beklagten von mehr als den ihr eigentlich zustehenden 220 l/min beeinträchtigt werden; jede derartige Störung der den Klägern zustehenden Wassernutzung verpflichtet die Beklagte zu Schadenersatz.
Demgegenüber vermag sich die Beklagte auf kein über die Dienstbarkeiten von 1939 und 1942 hinausgehendes Recht zu berufen. Die ihr vom Regierungsrat erteilte Konzession lässt das ehehafte Recht der Kläger als wohlerworbenes
BGE 88 II 498 S. 509
Privatrecht unberührt. Und gesetzliche Rechte stehen der Beklagten am Grundwasser der Parzelle Nr. 336, das den öffentlichen Gewässern gleichgestellt worden ist, nur insoweit zu, als es das öffentliche Recht vorsieht, nämlich nach den neuen Gesetz des Kantons St. Gallen vom 5. Dezember 1960 über die Gewässernutzung, Art. 7, nur bis zu 50 l/min.
Nach alledem ist das Klagebegehren 1 zu schützen durch die Feststellung, dass die Beklagte für einen Schaden einzustehen hat, den sie den Klägern durch Bezug von mehr als 220 l/min Grundwasser zufügt.
7.
Das auf Leistung gehende Klagebegehren 2 umfasst bereits entstandenen wie auch zukünftigen Schaden. In jener Hinsicht ist der Sachverhalt nicht abschliessend festgestellt, und was den zukünftigen Schaden belangt, so lässt er sich im vorliegenden Rechtsstreit überhaupt nicht beurteilen. Gewiss kann mitunter der Zuspruch von Ersatz zukünftigen Schadens verlangt werden (vgl.
BGE 86 II 45
mit Hinweisen). Voraussetzung hiefür ist aber, dass das schadenstiftende Ereignis stattgefunden habe und abgeschlossen sei; denn nur dann lässt sich die zukünftige Entwicklung einigermassen sicher überblicken und der als Folge der unerlaubten Handlung noch zu erwartende Schaden abschätzen. Hier steht jedoch eine zukünftige Schädigung in Frage, die nicht infolge eines in der Vergangenheit liegenden Ereignisses allenfalls eintreten wird, sondern vom zukünftigen Verhalten der Beklagten abhängt. Es ist völlig ungewiss, ob und in welchem Ausmasse der Wasserbezug der Beklagten die kritische Grenze von 220 l/min übersteigen und welcher Schaden den Klägern daraus entstehen wird.
Bei dieser Sachlage fällt das Klagebegehren 2 nur insoweit in Betracht, als es sich auf den Schaden bezieht, den die Kläger allenfalls auf die erwähnte Weise bereits erlitten haben bis zu dem Zeitpunkt, der als Endpunkt der tatsächlichen Feststellungen nach der kantonalen Prozessordnung zu gelten hat. Nach dem Expertenbefund hat die
BGE 88 II 498 S. 510
Beklagte im Durchschnitt der Jahre 1950 bis 1955 nur ca. 89'790 m3 Wasser bezogen, was ca. 170 l/min ausmacht. Da indessen die Förderleistung der beiden Pumpen 400 bezw. 600 l/min beträgt, bleibt Raum für zeitweilige grosse Abweichungen vom mittleren Jahresverbrauch, was die Kläger denn auch behauptet haben. Es bleibt somit festzustellen, ob und in welchem Masse im Lauf der Jahre die 220 l/min überschritten worden sind, und welcher Schaden den Klägern allenfalls daraus erwachsen ist. In diesem Sinne muss die Angelegenheit zur neuen Beurteilung des Begehrens 2 an das Kantonsgericht zurückgewiesen werden (
Art. 64 OG
).
Sollte die Dorfkorporation auf einen Bezug von mindestens zeitweilig mehr als 220 l/min aus dem Grundwasser des Dietfurterbaches angewiesen sein, so steht ihr laut regierungsrätlicher Ermächtigung, wie sie ihr bei Erteilung der Konzession gewährt wurde, der Weg der Enteignung offen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 9. Februar 1962 aufgehoben und durch folgendes Urteil ersetzt wird:
1.- Es wird festgestellt, dass die Beklagte für den Schaden verantwortlich ist, der den Klägern dadurch entsteht, dass sie mehr als 220 Minutenliter Grundwasser bezieht.
2.- Im übrigen wird die Sache zu ergänzender Tatsachenfeststellung und zu neuer Beurteilung des Rechtsbegehrens 2 der Klage an das Kantonsgericht St. Gallen zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a83f65ba-cd40-4704-bccb-63f2c8dc8600 | Urteilskopf
117 V 50
7. Extrait de l'arrêt du 22 février 1991 dans la cause W. contre Caisse de pensions de l'Etat de Vaud et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 73 BVG
: Rechtspflege.
Zuständigkeit der in dieser Vorschrift bezeichneten Behörden zur Beurteilung einer Streitigkeit über die Revision des vor dem 1. Januar 1985 entstandenen und über diesen Zeitpunkt hinaus bestehenden Anspruchs auf eine Invalidenpension. | Erwägungen
ab Seite 50
BGE 117 V 50 S. 50
Extrait des considérants:
1.
a) Aux termes de l'
art. 73 al. 1 LPP
, chaque canton désigne un tribunal qui connaît, en dernière instance cantonale, des contestations opposant institutions de prévoyance, employeurs et ayants droit.
Selon l'
art 73 al. 4 LPP
, les décisions des tribunaux cantonaux peuvent être déférées au Tribunal fédéral des assurances par la voie du recours de droit administratif.
b) En l'espèce, le litige a pour objet la révision du droit du recourant à la pension d'invalidité partielle définitive que l'intimée lui alloue depuis le 1er octobre 1982, révision qu'il a requise en 1988 et sur laquelle la caisse de pensions a refusé d'entrer en matière. En effet, le recourant estime avoir droit à une pension d'invalidité totale définitive, et cela à partir du 1er octobre 1984. Ce faisant, il
BGE 117 V 50 S. 51
demande la révision - au sens de l'art. 59 de la loi sur la Caisse de pensions de l'Etat de Vaud, du 18 juin 1984 (LCP) - de son droit à la pension d'invalidité partielle définitive que l'intimée lui a reconnu à partir du 1er octobre 1982 (décision du 5 mai 1983).
C'est là une contestation relative à la prévoyance professionnelle opposant un ayant droit à une institution de prévoyance, dont les autorités juridictionnelles prévues par l'
art. 73 al. 1 et 4 LPP
sont habilitées à connaître.
En effet, la Caisse de pensions de l'Etat de Vaud est une institution de prévoyance enregistrée au sens de l'
art. 48 LPP
. En tant qu'institution de prévoyance de droit public, elle est régie par la LCP et applique donc les dispositions du droit public cantonal sur les prestations, sous réserve des dispositions de droit fédéral (
art. 50 al. 3 LPP
;
ATF 116 V 108
consid. 2b). L'
art. 73 LPP
s'applique aux institutions de prévoyance enregistrées de droit privé ou de droit public, en ce qui concerne aussi bien les prestations minimales obligatoires que les prestations s'étendant au-delà (
art. 49 al. 2 LPP
). A cet égard, la prévoyance professionnelle pré-obligatoire - partie de l'assurance qui est antérieure à l'entrée en vigueur, le 1er janvier 1985, du régime de l'assurance obligatoire des salariés selon la LPP - relève elle-même de la prévoyance plus étendue au sens de l'
art. 49 al. 2 LPP
(
ATF 115 V 247
consid. 1a et b). La compétence ratione materiae des autorités juridictionnelles instituées par l'
art. 73 LPP
est ainsi établie. Certes, le litige porte sur l'application d'une disposition de la LCP, réglant la révision de la pension d'invalidité. Or, tant la LPP que les ordonnances d'application sont muettes sur cette question, mis à part la garantie générale des droits acquis qui figure parmi les dispositions transitoires de la loi fédérale sur la prévoyance professionnelle (
art. 91 LPP
). Il n'est toutefois pas déterminant, en ce qui concerne la recevabilité de l'action devant le tribunal cantonal ou du recours subséquent devant le Tribunal fédéral des assurances, de savoir si le point litigieux est ou non l'objet d'une réglementation expresse de la LPP ou de ses dispositions d'exécution. Au contraire, les tribunaux institués par l'
art. 73 LPP
sont appelés à connaître aussi de litiges qui opposent une institution de prévoyance à un employeur ou à un ayant droit, même s'ils n'appellent l'application d'aucune disposition du droit public fédéral, quant au fond, et qui doivent être tranchés exclusivement au regard du droit privé, du droit public cantonal ou du droit public communal
BGE 117 V 50 S. 52
(
ATF 114 V 105
consid. 1b; VIRET, La jurisprudence du TFA en matière de prévoyance professionnelle: Questions de procédure, RSA 1989 ch. 9 p. 87).
La compétence ratione temporis des autorités juridictionnelles prévues par l'
art. 73 LPP
doit aussi être admise. Celles-ci ne sont habilitées à connaître que de litiges dont l'origine est un événement survenu après l'entrée en vigueur de la LPP (naissance d'une prétention ou d'une créance). Mais il n'est pas nécessaire, pour fonder cette compétence, que les faits invoqués à l'appui de la prétention ou créance se soient entièrement produits sous l'empire du nouveau droit de la prévoyance professionnelle, c'est-à-dire après le 1er janvier 1985 (
ATF 115 V 228
consid. 1b et 247 consid. 1a et les références). En effet, les tribunaux institués par la disposition légale précitée sont compétents pour connaître de l'entier du litige, donc aussi des prétentions de l'assuré qui reposent sur des faits en partie antérieurs au 1er janvier 1985 et qui, le cas échéant, doivent être soumis à l'application de l'ancien droit de fond (
ATF 113 V 292
; VIRET, op.cit., ch. 13, p. 91). Cela étant, la présente contestation a pour origine la demande de révision présentée en 1988 par le recourant, révision qui concerne la pension d'invalidité partielle définitive que lui alloue l'intimée depuis le 1er octobre 1982. En conséquence, tant le tribunal cantonal que le Tribunal fédéral des assurances sont habilités à connaître du litige, dans la mesure ou les conditions ayant donné naissance à la pension d'invalidité définitive sont susceptibles de s'être modifiées aussi bien avant le 1er janvier 1985 qu'après cette dernière date.
Le recours de droit administratif est dès lors recevable. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a84edde4-45b1-4f46-8cd3-81e3560b39a3 | Urteilskopf
114 Ia 204
32. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 18 août 1988 dans la cause ILSA Independent Leasing S.A. contre Télécinéromandie S.A. (recours de droit public) | Regeste
Art. 88 OG
.
Der Gläubiger, der einem Nachlassvertrag nicht zugestimmt hat, ist auch nach dessen Durchführung im Sinne von
Art. 88 OG
zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Bestätigung des Nachlassvertrags legitimiert (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 114 Ia 204 S. 204
Le 13 août 1987, le Président du Tribunal du district de Lausanne, en sa qualité d'autorité inférieure de concordat, homologua le concordat présenté à ses créanciers par Télécinéromandie S.A., prit acte de la désignation du préposé aux faillites comme exécuteur et assigna aux quatre créanciers dont les productions avaient été contestées en tout ou en partie le délai de l'
art. 310 LP
pour ouvrir action.
ILSA Independent Leasing S.A. - qui n'avait pas adhéré au concordat - a recouru contre cette décision devant l'autorité supérieure de concordat. Par arrêt du 17 décembre 1987, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours.
ILSA S.A. exerce en temps utile un recours de droit public contre l'arrêt cantonal dont elle requiert l'annulation.
La cour cantonale s'est référée aux considérants de son arrêt.
Télécinéromandie S.A. conclut principalement à l'irrecevabilité du recours, subsidiairement à son rejet.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) L'intimée affirme que le recours est irrecevable du fait que le concordat a été non seulement homologué par un arrêt entré en force, mais encore qu'il a été exécuté.
Il est vrai que la recourante n'a pas requis que l'effet suspensif soit accordé à son recours, de sorte que l'arrêt cantonal est entré en force immédiatement. L'intimée affirme que le concordat a en outre été exécuté, comme cela découle de ses termes, dans le mois dès l'homologation définitive pour ce qui concerne le paiement du dividende de 20%, et dans les trois mois pour ce qui concerne la remise des bons de jouissance à concurrence de 20% également des créances produites. Elle produit à ce sujet des pièces nouvelles.
Alors même que le recours se fonde sur l'
art. 4 Cst
, et que, dans le cadre d'un tel recours, l'invocation de faits et de moyens nouveaux est exclue (
ATF 108 II 71
consid. 1 et les références), il serait possible d'entreprendre une instruction sur l'exécution du concordat, dans la mesure où elle est invoquée non pas comme un moyen de fond, mais uniquement pour trancher de la recevabilité du recours. Cette instruction ne se justifierait toutefois que si la preuve de l'exécution du concordat entraînait nécessairement l'irrecevabilité du recours de droit public.
Le concordat est obligatoire pour tous les créanciers (
art. 311 LP
). Il en découle qu'après l'exécution du concordat dividende, le créancier qui a reçu le dividende concordataire n'a plus de créance contre le débiteur au bénéfice du concordat (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4e éd., § 55 n. 3). La question est controversée de savoir si le créancier qui n'a pas adhéré au concordat est encore au bénéfice d'une obligation naturelle pour la part de sa créance qui n'a pas été couverte par le dividende (GILLIERON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, p. 411/412). Mais, de toute façon, cette part non couverte ne peut donner lieu à une poursuite, qu'elle soit entièrement éteinte ou qu'elle soit réduite au rang d'une obligation naturelle.
Dès lors, dans la mesure où un créancier qui n'a pas adhéré au concordat se plaint de ce que cet acte a été homologué à tort, il fait valoir un intérêt pratique et actuel au sens de l'
art. 88 OJ
. La lésion qu'il invoque est la perte de sa créance à concurrence du montant non couvert par le dividende concordataire. A supposer que le recours de droit public soit fondé et que le jugement d'homologation doive être annulé, la recourante ne subirait plus cette perte partielle de sa créance. L'exécution du concordat n'a donc pas d'influence sur le préjudice invoqué par la recourante. Elle n'y met pas fin. Certes, la doctrine souligne que le recours de droit public n'est pas recevable contre un jugement exécuté (MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, p. 244; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, p. 376). Mais elle vise le cas où le recourant a volontairement exécuté le jugement qu'il critique. Il n'y a rien de tel dans l'exécution par l'exécuteur d'un concordat dividende auquel le recourant n'a pas adhéré. Ce n'est pas le recourant, mais l'exécuteur qui a exécuté moins le jugement que le concordat homologué.
En conséquence, l'éventuelle exécution du concordat dividende en cause ne saurait avoir pour effet de priver le créancier non adhèrent de sa qualité pour exercer un recours de droit public au sens de l'
art. 88 OJ
, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'instruire sur l'exécution effective du concordat et que les conclusions en irrecevabilité prises par l'intimée sont mal fondées. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a854fa42-c8e8-4061-8dde-41a64c4aedb0 | Urteilskopf
85 III 101
24. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Februar 1959 i.S. E. und A. Dubs und Konsorten gegen Falck & Cie. und Zangwil. | Regeste
Bauhandwerkerpfandrecht. Klage nach
Art. 841 ZGB
im Konkurs des Grundeigentümers. Passivlegitimation.
Die Klage der Bauhandwerker ist gegen die ihnen im Range vorgehenden Gläubiger zu richten, deren Forderungen bei der Verwertung des Grundstücks ganz oder teilweise gedeckt worden sind (
Art. 841 Abs. 1 ZGB
), unter Umständen gegen deren Rechtsvorgänger (Abs. 2). Der Ersteigerer kann dagegen mit einer solchen Klage nicht belangt werden. Er tritt nicht an die Stelle jener vorgehenden Pfandgläubiger und hat keinen Rückgriff auf die Konkursmasse, auch wenn er den betreffenden Teildes Steigerungspreises (in einer von den Konkursbehörden als gültig anerkannten Weise) unmittelbar an jene Gläubiger bezahlt hat. | Sachverhalt
ab Seite 102
BGE 85 III 101 S. 102
A.-
Im Konkurs über die Verlassenschaft des am 5. Mai 1954 verstorbenen Dr. K. Aebi wurde am 16. November 1954 dessen Liegenschaft "Zum grossen Otter" an der Oberdorfstrasse in Zürich öffentlich versteigert. Den Zuschlag erhielt David Zangwil, Schuldbriefgläubiger mit Pfandrecht im 5. Rang, zum Preise von Fr. 700'000.--. Durch diesen Preis waren die Grundpfandforderungen des 1. bis 4. Ranges gänzlich und die eigenen Pfandforderungen des Ersteigerers teilweise gedeckt. Der im 4. Rang stehende Inhaberschuldbrief von Fr. 100'000.-- haftete der Bank Falck & Cie, Luzern, als Faustpfand für Kapital- und Zinsforderungen von insgesamt Fr. 109'837.50, die nach den Steigerungsbedingungen bar an das Konkursamt zu bezahlen waren. Nach der auf Art. 47 der Verordnung über die Zwangsverwertung von Grundstücken (VZG) berugenden Ziffer 11 der Steigerungsbedingungen stand dem Ersteigerer frrei, mit dem betreffenden Pfandgläubiger
BGE 85 III 101 S. 103
während der Zahlungsfrist eine andere Art der Tilgung zu vereinbaren und sich darüber beim Konkursamt auszuweisen. Er bot der Bank Falck & Cie zunächst eine Schuldübernahme an, was sie jedoch ablehnte. Hierauf zahlte er den Betrag ihrer Forderung an sie selbst, wogegen sie den Wechsel und den Schuldbrief seiner Bank aushändigte und dem Konkursamt bescheinigte, gänzlich durch den Ersteigerer befriedigt worden zu sein. Das Konkursamt meldete gestützt auf die Feststellung der vollständigen Begleichung des Steigerungspreises den Übergang des Eigentums am verwerteten Grundstück auf Zangwil beim Grundbuchamt an, das die Eintragung am 30. November 1954 vornahm und die Eigentumserwerbsurkunde ausstellte.
B.-
Die Bauhandwerker waren mit ihren Pfandforderungen ungedeckt geblieben. Sie wollten sich nachträglich im Sinne von
Art. 117 Abs. 2 VZG
für ihre allfälligen Ansprüche aus
Art. 841 ZGB
sichern lassen und erwirkten eine Verfügung der beiden Konkursämter Fluntern-Zürich (das den Konkurs verwaltete) und Zürich-Altstadt (das mit der Verwertung des Grundstücks beauftragt worden war), des Inhalts, der Ersteigerer Zangwil habe jenem Konkursamt binnen bestimmter Frist einen Betrag von Fr. 186'485.95 oder, bei Hinterlegung des Schuldbriefs im 4. Rang von Fr. 100'000.--, Fr. 109'725.-- weniger einzuzahlen. Zugleich liessen die beiden Konkursämter zu Lasten des versteigerten Grundstücks eine Verfügungsbeschränkung vormerken. Auf Beschwerde Zangwils hob jedoch die untere Aufsichtsbehörde mit rechtskräftigem Entscheid vom 2. September 1955 die angefochtene Verfügung auf und wies die beiden Konkursämter an, die Verfügungsbeschränkung im Grundbuche wieder löschen zu lassen. Die Erwägungen führen aus, Zangwil befinde sich im unangefochtenen Eigenbesitz des Grundstücks. Er habe den Zuschlagspreis gemäss den Steigerungsbedingungen (die ordnungsgemäss aufgelegt und von den Bauhandwerkern nicht angefochten worden waren) beglichen. Daher habe für eine allfällige Missachtung von
Art. 117 VZG
BGE 85 III 101 S. 104
durch das eine oder andere Konkursamt jedenfalls nicht der Ersteigerer einzustehen.
C.-
Die Bauhandwerker erhoben hierauf gegen Falck & Cie Klage auf Bezahlung des von ihr bezogenen Betrages von Fr. 109, 837.50 nebst Zins seit Klageeinleitung zur Deckung der Pfandforderungen der Kläger im Verhältnis der einzelnen Beträge. Eventuell wurde beantragt, das Konkursamt Fluntern-Zürich, weiter eventuell das Konkursamt Zürich-Altstadt sei anzuweisen, "den allenfalls durch die Beklagte dort deponierten Verwertungserlös von Fr. 109'837.50 oder einen allfälligen niedrigeren Betrag anteilsmässig an die Kläger herauszugeben". Zur Begründung wurde vorgebracht, das versteigerte Grundstück sei in einer für die Beklagte erkennbaren Weise zum Nachteil der Handwerker belastet worden, indem man mit ihrem Wissen den ihr verpfändeten Schuldbrief vom dritten in den vierten Rang versetzt habe, um die Schaffung einer vorgehenden, durch einen Baukredit auszufüllenden leeren Pfandstelle von Fr. 382'000.-- zu ermöglichen. Dadurch sei der Vorgang auf Fr. 550'000.-- und die Belastung mit derjenigen zu Gunsten der Beklagten auf Fr. 650'000.-- gestiegen.
D.-
Die Beklagte trug auf gänzliche Abweisung der Klage an. Ihr schloss sich der Ersteigerer Zangwil als Nebenintervenient an, da er an der Abweisung der Klage wegen fehlender Aktivlegitimation der Kläger, eventuell wegen materieller Unbegründetheit der Klage, interessiert sei, während er freilich in der Frage der Passivlegitimation, die nach Ansicht der Beklagten nicht ihr, sondern ihm zukomme, dem gegenteiligen Standpunkt der Kläger beitrete.
E.-
Mit Urteil vom 26. Juni 1958 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage wegen fehlender Passivlegitimation der Beklagten abgewiesen. Die Begründung des Urteils geht dahin: Die von Zangwil an die Beklagte geleistete Zahlung kann nicht als Teil des Steigerungspreises gelten. Denn als andere Art der Tilgung
BGE 85 III 101 S. 105
einer eigentlich in bar an das Betreibungs- bzw. Konkursamt zu zahlenden Pfandforderung sieht
Art. 47 VZG
eine Zahlung an den Pfandgläubiger selbst nicht vor; eine Schuldübernahme, wie sie Zangwil der Beklagten angeboten hatte, kam aber, weil die Beklagte sie ablehnte, nicht zustande. Somit ist Zangwil als zahlender Dritter zu betrachten, der nach
Art. 827 ZGB
und
Art. 110 OR
an die Stelle der befriedigten Pfandgläubigerin getreten ist. Er hat damit deren Forderungen samt Nebenrechten mit allen Vorzügen, aber auch mit den ihnen anhaftenden Schwächen erworben und muss infolgedessen nun an ihrer Stelle allfällige Ersatzansprüche der Bauhandwerker nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
erfüllen. Die Klage hätte sich also nicht gegen sie, sondern gegen Zangwil richten müssen. Es kommt nicht etwa in Frage, gegen die Beklagte nach
Art. 841 Abs. 2 ZGB
vorzugehen, denn sie hat ihre Forderung nicht an Zangwil veräussert, sondern lediglich dessen Zahlung angenommen, wozu sie verpflichtet war. Den Klägern entgeht übrigens nichts, wenn sie auf eine Klage gegen Zangwil verwiesen werden, denn der im 4. Rang stehende Schuldbrief ist nicht gelöscht worden.
F.-
Gegen dieses Urteil haben die Kläger Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag auf Aufhebung der Ziffern 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsspruches und Rückweisung der Sache an das Handelsgericht zur materiellen Beurteilung; eventuell wird Gutheissung der Klage beantragt.
Die Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung an. Der Nebenintervenient verlangt dagegen die Gutheissung des Hauptantrages der Berufung, indem er wie die Kläger die Passivlegitimation der Beklagten bejaht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Ansicht der Vorinstanz, die von Zangwil an die Beklagte geleistete Zahlung sei nicht als Tilgung eines Teils des Steigerungspreises, sondern als Intervention für den Konkursiten im Sinne von
Art. 827 ZGB
und
Art. 110
BGE 85 III 101 S. 106
OR
zu betrachten, widerspricht sowohl dem Grund dieser Zahlung wie auch den ihr von den Organen des Konkursverfahrens beigelegten Rechtswirkungen. Zangwil hatte die Liegenschaft ersteigert und damit die Pflicht zur Begleichung des Steigerungspreises von Fr. 700'000.-- übernommen, durch den die Forderung der Beklagten mit Faustpfandrecht am Inhaberschuldbrief im vierten Range gedeckt war. Nach den Steigerungsbedingungen wäre ihm an und für sich Barzahlung des Forderungsbetrages an das Konkursamt obgelegen. Wenn er sich statt dessen an die Beklagte wandte, um mit ihr eine Schuldübernahme zu vereinbaren, so beabsichtigte er nur eine andere Art der Tilgung des betreffenden Teilbetrages des Steigerungspreises, wie ihm dies nach den Steigerungsbedingungen entsprechend
Art. 47 VZG
vorbehalten war. Nach Ablehnung seines Angebotes durch die Beklagte einigte er sich mit ihr auf eine direkte Barzahlung, worauf sie sich zu Handen des Konkursamtes als befriedigt erklärte und das Konkursamt die erfolgte Zahlung als auf Rechnung des Steigerungspreises gehend anerkannte und Zangwil als Ersteigerer in das Grundbuch eintragen liess. Ob die erwähnte Zahlung als richtige Erfüllung des Steigerungspreises zu gelten habe, unterstand der Entscheidung der Konkursbehörden. Nachdem Zangwil auf Grund der Bescheinigung des Konkursamtes, der Steigerungspreis sei vollständig beglichen, unter anderem durch die Zahlung an die Beklagte, als Erwerber des Grundstücks eingetragen worden ist, und nachdem ein rechtskräftiger Beschwerdeentscheid der Aufsichtsbehörde es als unzulässig bezeichnet hat, auf die Gültigkeit dieser Tilgungshandlungen zurückzukommen, muss es dabei auch für den vorliegenden Rechtsstreit sein Bewenden haben.
2.
Was ein Ersteigerer an den Zuschlagspreis leistet, kann nicht als Intervention für den Konkursiten gelten. Eine solche Preiszahlung bildet den Gegenwert für das Steigerungsobjekt. Gläubiger des Ersteigerers ist die Konkursmasse. Wird im Rahmen der Steigerungsbedingungen
BGE 85 III 101 S. 107
oder jedenfalls im Einverständnis zwischen dem Ersteigerer und der Konkursverwaltung bzw. mit nachträglicher Genehmigung derselben direkt an einen Konkursgläubiger bezahlt, dessen pfandgesicherte Forderung durch den Steigerungspreis gedeckt ist, so begleicht der Ersteigerer damit ebenfalls seine Schuld gegenüber der Konkursmasse, und der auf diese Weise befriedigte Pfandgläubiger empfängt damit seinen Verwertungsanteil, gleichwie wenn das Geld zunächst in die Kasse des Konkursamtes gelangt und ihm von diesem überwiesen worden wäre. Angesichts dieses Zweckes der Zahlung ist eine Subrogation des Ersteigerers in die Gläubigerrechte des befriedigten Pfandgläubigers ausgeschlossen. Er empfängt eben den Gegenwert seiner Leistung in Gestalt des Steigerungsobjektes, und seine Leistung soll die Konkursmasse von der dadurch getilgten Pfandforderung endgültig entlasten, so dass kein Raum für einen Rückgriff auf den Konkursiten bzw. das Konkursvermögen übrig bleibt. Somit fehlt es an jedem Grund für eine Subrogation, die unter näher bestimmten Voraussetzungen nach
Art. 827 ZGB
. oder
Art. 110 OR
dann eintritt, wenn der zahlende Dritte mit einer Aufwendung aus seinem Vermögen für den Schuldner einspringt (vgl. ROOS, Über die Subrogation nach schweizerischem Recht, S. 63, 76, 85). Einerseits erfüllt der Ersteigerer, auch wenn er dem Pfandgläubiger leistet, seine eigene Schuld gegenüber der Konkursmasse. Anderseits erhält der Pfandgläubiger vom Ersteigerer das, was er von der Konkursmasse als Verwertungsanteil zugute hat.
3.
Die in den Genuss dieses Anteils gelangte Beklagte haftet den zu Verlust gekommenen Bauhandwerkern nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
, sofern die von der Vorinstanz nicht geprüften Voraussetzungen dieser Haftung zutreffen. Sie ist dieser Haftung nicht ledig geworden durch die Aushändigung des ihr als Faustpfand haftenden Inhaberschuldbriefs an den Ersteigerer. Den Pfandtitel hatte sie beim Empfang des Forderungsbetrages auf alle Fälle herauszugeben, sei es dem Konkursamt oder dem
BGE 85 III 101 S. 108
zahlenden Ersteigerer. Und dieser hat sich damit nicht bereichert; denn der auf der ersteigerten Liegenschaft lastende Schuldbrief bildet in seinen Händen kein besonderes, zum Grundstück hinzutretendes Vermögensstück. Als Ersteigerer hat er, wie dargetan, keinen Rückgriff gegen den Konkursiten oder die Konkursmasse. Es ist eine (die Beklagte nicht berührende) Frage für sich, ob das Konkursamt den Schuldbrief vom Ersteigerer zur Entkräftung herausverlangen könne, um das entsprechende Grundpfandrecht löschen zu lassen, oder ob es den Ersteigerer wenigstens anhalten könne, als Schuldbriefschuldner sich selbst an Stelle des Dr. K. Aebi einzuschreiben, um jedem Missbrauch des Pfandtitels in der Hand eines Dritten vorzubeugen.
4.
Nach dem Gesagten bedarf es zur Begründung der Passivlegitimation der Beklagten - womit die nähere Prüfung der von den Klägern geltend gemachten Ersatzpflicht offen bleibt - nicht des Hinweises auf
Art. 841 Abs. 2 ZGB
. Diese Bestimmung fasst den Fall ins Auge, dass ein den Bauhandwerkern vorgehender Pfandgläubiger, der nach Abs. 1 daselbst ersatzpflichtig geworden wäre, den Pfandtitel - vor der Verwertung des Grundstücks - an einen Dritten veräussert hat, so dass dieser bei gutem Glauben den auf den Pfandtitel entfallenden Erlös beziehen kann, ohne der Anfechtung nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
ausgesetzt zu sein (vgl. LEEMANN, N. 46-49 zu
Art. 841 ZGB
; HAEFLIGER, Le rang et le privilège de l'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs, p. 40 ff). Ob die Beklagte im Fall der von ihr angenommenen Subrogation nicht gemäss
Art. 841 Abs. 2 ZGB
zu haften hätte, d.h. ob die Übergabe des Pfandtitels an einen als Konkursgläubiger an ihre Stelle tretenden Dritten nicht als "Veräusserung" zu gelten hätte, kann dahingestellt bleiben. Denn den auf ihre Pfandforderung entfallenden Verwertungserlös hat eben die Beklagte selbst bezogen, und Zangwil ist, wie dargetan, nicht als neuer Konkursgläubiger zu betrachten, der auch noch einen solchen Anteil
BGE 85 III 101 S. 109
für die nämliche Pfandforderung beziehen könnte, was mit seiner Stellung als Ersteigerer völlig unvereinbar wäre. Angesichts der rechtskräftigen Versteigerung der Liegenschaft wird auch keine neue Versteigerung stattfinden, wobei sich fragen würde, ob und unter was für Umständen ein Dritter, etwa auch Zangwil, in den Fall kommen könnte, den auf die Pfandforderung der Beklagten entfallenden Verwertungsanteil bzw. den Anspruch darauf für sich zu erwerben und alsdann (als Zessionar oder in ähnlicher Rechtsstellung) einer Klage nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
ausgesetzt zu sein.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 26. Juni 1958 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Handelsgericht zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a856f818-cc59-4648-b331-1123f3db2408 | Urteilskopf
106 IV 69
24. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 10 janvier 1980 dans la cause H. et consorts contre R. et C. (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 31 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 des Bundesbeschlusses vom 30. Juni 1972 über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BMM).
Der Beschluss will verhindern, dass die Kündigung, welche die Beendigung des Mietverhältnisses und den Weggang des Mieters zum Ziel hat, ihres Zweckes entfremdet und als Druckmittel verwendet wird.
Art. 31 Ziff. 1 Abs. 1 BMM
verbietet jede Androhung von Nachteilen, deren schwerwiegendster die Kündigung des Mietvertrages ist;
Art. 31 Ziff. 1 Abs. 2 BMM
findet Anwendung, wenn die Kündigung tatsächlich erfolgt ist, sei es, um das Verhalten des Mieters zu ahnden, sei es, um den Mieter unter Druck zu setzen. | Erwägungen
ab Seite 70
BGE 106 IV 69 S. 70
Extrait des considérants:
3.
Il reste à examiner si le congé, donné par lettre du 30 mai 1978, tombe sous le coup de l'art. 31 ch. 1 AMSL, mais pour cela il convient d'abord de situer et de qualifier les événements et leur nature juridique en regard des dispositions et du système de l'AMSL.
a) En vertu des art. 18 et 20 AMSL, l'envoi d'un avis motivé, sur formule officielle, est obligatoire, sous peine de nullité, non seulement pour les majorations de loyer, mais aussi pour toutes les "autres prétentions" du bailleur. En vertu de l'art. 12 de l'ordonnance du 12 juillet 1972 concernant les mesures contre les abus dans le secteur locatif, qui n'est en rien contraire à l'arrêté, il faut considérer comme autres prétentions du bailleur toutes "les modifications du contrat qui ont pour conséquence une diminution des prestations offertes jusqu'alors par le bailleur ou qui aboutissent de toute autre façon à amoindrir la situation du locataire". Or il ne fait aucun doute, comme l'a relevé à juste titre l'autorité cantonale, que la modification de contrat proposée et annoncée par la gérance avait pour effet de réduire de trois ans à une année la durée du bail pour les locataires et de restreindre leur faculté de résilier le bail, ce qui représente sans doute possible un amoindrissement de la situation des locataires. Cette prétention du bailleur de modifier les baux, qui est exprimée tant dans l'avis du 28 avril 1978 que dans la lettre de congé du 30 mai 1978, aurait dû partant être notifiée au moyen de la formule officielle et aux conditions mentionnées à l'art. 18 AMSL, applicable par renvoi de l'art. 20.
Toujours en vertu de l'art. 18 AMSL, que l'on doit également considérer comme applicable aux prétentions visées à l'art. 20, la notification des prétentions du bailleur ne doit pas, sous peine de nullité, contenir de menace de résiliation. En outre, la notification doit intervenir 10 jours au moins avant le début du délai de résiliation. C'est dire que le sens et le but de l'arrêté sont d'empêcher que le congé ne serve de moyen de pression sur le locataire et ne l'oblige à négocier sous la menace d'une résiliation (Message, in FF 1972 I 1234). En d'autres termes, l'arrêté tend à empêcher que le congé ne soit détourné de son but, qui est la fin du bail et le départ du locataire.
BGE 106 IV 69 S. 71
Lorsque le bailleur entend uniquement modifier le bail, il n'est autorisé qu'à placer le locataire devant l'alternative "acceptation ou contestation devant l'autorité compétente", mais il lui est absolument interdit de placer le locataire devant le dilemne "acceptation ou résiliation".
b) C'est à la lumière de ces principes que doit être interprété l'art. 31 ch. 1 al. 1 et 2 AMSL. L'al. 1 fait tomber sous le coup de la sanction pénale toute menace de désavantages qui empêche ou tente d'empêcher le locataire de contester les prétentions du bailleur, la plus sérieuse de ces menaces étant celle de résilier le bail. Quant à l'al. 2, il est consacré à l'hypothèse où le bailleur a effectivement dénoncé le contrat, que ce soit pour sanctionner le comportement du locataire qui use de ses droits conformément à la loi, ou pour décourager celui qui se propose seulement de sauvegarder ses droits.
En l'espèce, on doit admettre que le congé a été donné en vue de la modification du bail, ensuite du refus exprès ou tacite opposé par les plaignants à la modification proposée le 28 avril 1978. On est donc en présence d'une dénonciation liée au fait que les locataires se proposaient de sauvegarder leurs droits. En effet, le refus d'une proposition doit être considéré objectivement comme la manifestation d'une intention du locataire de sauvegarder ses droits à l'encontre du bailleur, ce qui exclut une résiliation liée à la proposition ainsi refusée. L'art. 31 ch. 1 al. 2 est ainsi en principe applicable.
En revanche, au vu des constatations de fait, le congé n'apparaît nullement comme lié à la demande de diminution de loyer du 25 mai 1978, et il a été donné indépendamment de celle-ci en tout cas subjectivement, puisque la requête a été sans autre admise par le bailleur. On peut donc faire totalement abstraction de cette demande dans l'appréciation de la présente cause. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a85d4e96-5903-474c-bf6f-b751e4c370b0 | Urteilskopf
82 I 36
6. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. April 1956 i. S. Hartmann gegen Aargau, Regierungsrat. | Regeste
Grundbuch.
Löschung einer Grunddienstbarkeit. Voraussetzungen (
Art. 964 Abs. 1 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 82 I 36 S. 36
A.-
Hans Hartmann ist Eigentümer des Grundstücks GB Nr. 250, Kat. Nr. 87, in Rohr bei Aarau. Zugunsten dieses Grundstücks ist im Grundbuch u.a. folgende Dienstbarkeit eingetragen: "Recht: Wässerungsrecht z.L. Parz. 145 Buchs." Beim belasteten Grundstück handelt es sich um das im Eigentum des Staates stehende Flüsschen Suhre. Davon zweigt beim sog. Locherwuhr der Lochmatt-Wässergraben ab, dem ausser Hartmann auch noch zahlreiche weitere Grundeigentümer auf Grund entsprechender Dienstbarkeiten Wasser zum Zwecke der Wässerung ihrer Liegenschaften entnehmen dürfen.
BGE 82 I 36 S. 37
B.-
Am 27. Oktober 1952 verlangte Hartmann vom Grundbuchamt Aarau die Löschung des zu seinen Gunsten eingetragenen Wässerungsrechts, weil dieses seit vielen Jahren nicht mehr ausgeübt werde und auch für die Zukunft keine Bedeutung mehr habe, da es sich um Baugebiet handle. Das Grundbuchamt wies dieses Begehren ab. Die Beschwerde Hartmanns gegen diese Verfügung wurde von der Justizdirektion und am 17. Dezember 1955 auch vom Regierungsrat des Kantons Aargau abgewiesen. Der Regierungsrat ist der Auffassung, das streitige Wässerungsrecht könne nach
Art. 964 Abs. 1 ZGB
nur mit Zustimmung der Eigentümer der oberhalb und unterhalb der Liegenschaft Hartmanns gelegenen wässerungsberechtigten Grundstücke gelöscht werden, weil diese Dienstbarkeit, mit der gemäss Dienstbarkeitsvertrag nebensächlich die Unterhalts- und Reinigungspflicht für einen Teil des Lochmattgrabens verbunden sei, ein Glied in einer Reihe ähnlicher Rechte bilde und mindestens ein Teil der andern Berechtigten am Weiterbestand des Wässergrabens interessiert sein könne.
C.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrates hat Hartmann fristgerecht die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, mit der er beantragt, das Grundbuchamt sei anzuweisen, die Löschung gemäss seinem Begehren vom 24. (richtig 27.) Oktober 1952 vorzunehmen.
Der Regierungsrat beantragt Abweisung, das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement Gutheissung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 964 Abs. 1 ZGB
bedarf es zur Löschung oder Abänderung eines Eintrags im Grundbuch einer schriftlichen Erklärung der aus dem Eintrag berechtigten Personen. Darunter ist bei einer Grunddienstbarkeit in erster Linie der Eigentümer des herrschenden Grundstücks
BGE 82 I 36 S. 38
zu verstehen, der hier die Löschung unstreitig in gehöriger Form beantragt hat. Daneben kommen gegebenenfalls die Inhaber von Pfandrechten an diesem Grundstück sowie Personen in Betracht, welche die Nutzniessung oder ein Pfandrecht an Grundpfandtiteln auf dieser Liegenschaft oder an einer durch Grundpfandverschreibung auf dieser Liegenschaft gesicherten Forderung haben; ferner die Berechtigten aus Dienstbarkeiten (Grunddienstbarkeiten, Nutzniessungen und andern Dienstbarkeiten) und Grundlasten auf dieser Liegenschaft, soweit ihr Recht durch die Löschung beeinträchtigt werden kann (vgl. HOMBERGER N. 10 zu
Art. 964 ZGB
). Der Eigentümer des mit der zu löschenden Grunddienstbarkeit belasteten Grundstücks zählt dagegen, wie in
BGE 67 I 126
ff. ausgeführt, auch dann nicht zu den aus ihrem Eintrag berechtigten Personen, wenn der Eigentümer des herrschenden Grundstücks ihm gegenüber auf Grund des Gesetzes (
Art. 741 ZGB
) oder eines Vertrags verpflichtet ist, eine zur Ausübung der Grunddienstbarkeit gehörende Vorrichtung zu unterhalten. Noch weniger ist zu diesen Personen zu rechnen, wer sonst auf Grund rein obligatorischer Beziehungen oder gar nur faktisch am Weiterbestand der Grunddienstbarkeit interessiert ist.
Im vorliegenden Fall hat demnach der Regierungsrat die Zustimmung des Staates als Eigentümers des mit der Grunddienstbarkeit belasteten Gewässers, welche das Grundbuchamt für nötig gehalten hatte, mit Recht nicht gefordert. Aber auch die Zustimmung der Grundeigentümer, die neben dem Beschwerdeführer wässerungsberechtigt sind, darf nicht verlangt werden. Indem der am 13. November 1924 erneuerte "Wasserverteilungsvertrag und Kehrebrief" vom 31. Mai 1906, auf den der Regierungsrat hinweist, in Art. V bestimmt, dass die Reinigung des Lochmattgrabens vom Locherwuhr bis zur sog. Wasserteilung je zur Hälfte von den wässerungsberechtigten Mattenbesitzern und den (Wasser-)Werkbesitzern übernommen
BGE 82 I 36 S. 39
werde und dass von der Wasserteilung hinweg jede Nutzungspartei die Unterhaltung und Reinigung ihres eigenen Kanals übernehme, begründet er keine dinglichen Rechtsverhältnisse, sondern nur obligatorische Rechte und Pflichten der Kontrahenten. Selbst wenn jedoch (was möglich gewesen wäre, aber nicht geschehen ist) den Wässerungsberechtigten die Unterhalts- und Reinigungspflicht in Form einer Grundlast (
Art. 782 ZGB
) oder einer mit einer Durchleitungsdienstbarkeit nebensächlich verbundenen Leistungspflicht (
Art. 730 Abs. 2 ZGB
) auferlegt worden wäre, bedürfte die Löschung des dem Beschwerdeführer zustehenden Wässerungsrechts nicht der Zustimmung der übrigen Wässerungsberechtigten. Deren Interessen wären in diesem Falle durch die Grundlast bzw. die mit ihrem Durchleitungsrecht verbundene Leistungspflicht des Beschwerdeführers, die durch die Löschung des Wässerungsrechts nicht berührt würden, vollauf gesichert, so dass der Wegfall dieses Rechts ihnen gleichgültig sein könnte.
Grundpfandrechte bestehen am Grundstück des Beschwerdeführers keine, wie der vom Bundesgericht in Anwendung von
Art. 105 OG
beigezogene Grundbuchauszug beweist. Das Grundstück ist einzig mit einem Fahrwegrecht zugunsten der Parzellen 900, 901, 908 und 1076 und einem Näherbaurecht zugunsten von Parzelle 1076 belastet. Es ist klar, dass diese Rechte durch die Löschung des streitigen Wässerungsrechts nicht beeinträchtigt werden können.
Dem Löschungsbegehren ist daher zu entsprechen.
2.
Soweit dem Beschwerdeführer nach Massgabe des erwähnten Wasserteilungsvertrags oder des Nachbarrechts oder des kantonalen öffentlichen Rechts (z.B. des Flurgesetzes) noch Pflichten zu gewissen Leistungen obliegen sollten, würden sie durch die Löschung des Wässerungsrechts nicht betroffen. Ob und allenfalls in welchem Umfange solche Pflichten bestehen, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
BGE 82 I 36 S. 40
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 17. Dezember 1955 aufgehoben und das Grundbuchamt Aarau angewiesen, dem Löschungsbegehren des Beschwerdeführers vom 27. Oktober 1952 zu entsprechen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a85df299-4563-4446-a29c-0c81fabf4cd9 | Urteilskopf
122 I 275
37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. November 1996 i.S. Rayane Dganate gegen Fremdenpolizei des Kantons Zürich und Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 13c Abs. 2 ANAG
; Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung bei der erstmaligen richterlichen Prüfung der Ausschaffungshaft.
Ob im Haftprüfungsverfahren nach
Art. 13c Abs. 2 ANAG
einem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung zu entsprechen ist, beurteilt sich aufgrund der konkreten Umstände (E. 3a u. b). Notwendigkeit im konkreten Fall verneint (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 275
BGE 122 I 275 S. 275
Am 25. September 1996 nahm die Fremdenpolizei des Kantons Zürich den nach eigenen Angaben aus Algerien stammenden Rayane Dganate wegen Untertauchensgefahr (
Art. 13b Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG, SR 142.20]
in der Fassung des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht [AS 1995 146 ff.]) in Ausschaffungshaft. Am 27. September 1996 bestätigte der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich diese bis zum 24. Dezember 1996; gleichzeitig wies er ein Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ab.
Rayane Dganate hat beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Er beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen. Für das Verfahren vor dem Haftrichter sei ihm sein damaliger Vertreter als unentgeltlicher Rechtsbeistand beizugeben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 122 I 275 S. 276
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt der Beschwerdeführer, der Haftrichter habe ihm in Verletzung der Minimalgarantien von
Art. 4 BV
die unentgeltliche Rechtspflege verweigert. Ob er dies im Verfahren der Verwaltungsgerichts- oder in jenem der staatsrechtlichen Beschwerde zu tun hat (vgl. in
BGE 122 I 49
unveröffentlichte E. 1), kann dahingestellt bleiben (vgl. zu einer allfälligen Umdeutung:
BGE 118 Ib 326
E. 1b S. 330, mit Hinweis), da der Entscheid des Haftrichters so oder anders kein Bundesrecht verletzt.
a) Gestützt auf
Art. 4 BV
hat die bedürftige Partei einen allgemeinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass einem Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung entsprochen wird, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erfordern. Dabei fallen neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (vgl.
BGE 120 Ia 43
E. 3a S. 46 f.;
BGE 117 Ia 277
E. 5b S. 281 ff.;
BGE 115 Ia 103
E. 4 S. 106). Ohne besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur ist im Strafprozess in der Regel ein unentgeltlicher Rechtsanwalt beizugeben, wenn ein tatsächlicher Freiheitsentzug von mehr als "einigen" Wochen oder Monaten zu erwarten ist (
BGE 120 Ia 43
E. 2b S. 46). Gestützt auf diese Vorgaben hat das Bundesgericht für die ausländerrechtliche Administrativhaft erkannt, dass im Haftverlängerungsverfahren nach drei Monaten auf jeden Fall und losgelöst von den konkreten Umständen einem bedürftigen Häftling der unentgeltliche Rechtsbeistand nicht verweigert werden dürfe. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine solche Verbeiständung verfassungsrechtlich allenfalls schon vorher geboten sein könnte, liess es offen (
BGE 122 I 49
E. 2c/cc S. 53).
b) Bei der erstmaligen richterlichen Haftprüfung ist eine unentgeltliche Verbeiständung von Verfassung wegen nicht vorbehaltlos geboten, sondern nur, wenn der Fall besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur stellt. Der mit dem haftrichterlichen Entscheid verbundene Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen ist zwar nicht zu unterschätzen; er wiegt aber nicht derart schwer, dass bereits in diesem Verfahrensabschnitt - wie bei der Haftverlängerung nach drei Monaten - auf das Erfordernis
BGE 122 I 275 S. 277
besonderer Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur zu verzichten wäre: Ist die Ausschaffung möglich, was weitgehend vom Ausländer selber abhängt, fällt die Haft dahin; nach einem Monat kann er ein Haftentlassungsgesuch stellen (
Art. 13c Abs. 4 ANAG
). Der erstmalige Haftprüfungsentscheid bezieht sich somit im schlimmsten Fall auf diese Periode, während der es dem Betroffenen nicht möglich ist, den Richter anzurufen und seine Freilassung durch diesen zu bewirken bzw. wiederum um eine Verbeiständung zu ersuchen. Eine Haftentlassung ist jedoch auch in diesem Zeitraum durch die Fremdenpolizei jederzeit möglich. In den parlamentarischen Beratungen wurde dementsprechend denn etwa auch vorgeschlagen, dass immer dann ein Rechtsbeistand zu bestellen sei, wenn eine Haftdauer von mehr als 30 Tagen in Aussicht stehe (Amtl.Bull. NR 1994 120, 123/124). Im Vergleich zum Strafvollzug und zur Untersuchungshaft ist das Haftregime für die ausländerrechtlichen Administrativhäftlinge freier ausgestaltet (vgl.
BGE 122 I 222
ff.;
BGE 122 II 299
ff., 49 ff.), weshalb der Eingriff auch insofern nicht mit jenem der Untersuchungshaft verglichen werden kann. Zu berücksichtigen ist schliesslich auch, dass das Bundesgericht seinerseits grosszügig auf Eingaben gegen haftrichterliche Genehmigungsentscheide eintritt und weitgehend unabhängig von sachbezogenen Beanstandungen des Betroffenen (vgl. aber
Art. 108 Abs. 2 OG
und
BGE 118 Ib 134
ff.) prüft, ob die Haftgenehmigung Bundesrecht verletzt. Dieser kommt zwar, vor allem wenn sie auf die gesetzlich vorgesehenen drei Monate erfolgt, besondere Bedeutung zu, was in der Doktrin hervorgehoben wird (vgl. ANDREAS ZÜND, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: ZBJV 132/1996 S. 73 ff.; ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in AJP 7/95 S. 856 f.), doch hat das Bundesgericht wiederholt entschieden, dass die Haft auch danach jeweils umfassend zu prüfen sei und sich die haftrichterlichen Entscheide nicht auf einzelne spezifische Fragen (Beschleunigungsgebot, Durchführbarkeit usw.) beschränkten; auf entsprechende frühere Begründungen dürfe aber Bezug genommen werden (unveröffentlichtes Urteil vom 8. August 1996 i.S. Karron, E. 2, mit Hinweis). Demnach ist vorliegend aufgrund der konkreten Umstände zu prüfen, ob der Haftrichter zu Recht das Gesuch um Verbeiständung abgelehnt hat.
c) Der Beschwerdeführer befindet sich seit Jahren im europäischen Raum (Frankreich, Italien, Schweiz). Seine Inhaftierung warf keine schwierigen Rechtsfragen auf. Die tatbeständliche Unübersichtlichkeit beruhte in erster
BGE 122 I 275 S. 278
Linie auf seinen eigenen widersprüchlichen Aussagen. Die Tragweite des Antrags der Fremdenpolizei war für ihn ohne weiteres ersichtlich; bei den verschiedenen Befragungen vermochte er jeweils folgerichtig zu antworten und seine Interessen wahrzunehmen. So erklärte er etwa seine unterschiedlichen Angaben über die Rückreiseabsichten nach Algerien am 8. Februar 1996 damit, dass seine Aussagen jeweils davon abgehangen hätten, wie ihn die Polizei behandelte. Hätte sie ihn eingesperrt, habe er erklärt, sofort nach Hause gehen zu wollen; nach drei, vier Tagen Haft werde das dann wieder vergessen. Nach seiner formlosen Wegweisung vom 18. Oktober 1995 stellte er am 19. Oktober 1995 in Kreuzlingen ein Asylgesuch, was wiederum belegt, dass er es verstand, seine Interessen auch ohne anwaltliche Beratung wahrzunehmen. Unter diesen Umständen durfte der Haftrichter davon ausgehen, eine Verbeiständung sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Hieran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer sich bereits 1995 während dreier Monate in Ausschaffungshaft befunden hat. Nach eigenen Angaben will er die Schweiz danach Richtung Frankreich verlassen haben und erst am 7. August 1995 über Genf wieder eingereist sein. Nachdem er der damaligen Wegweisung nachgekommen ist und die heutige Ausschaffungshaft sich auf Wegweisungsanordnungen stützt, die nach seiner erneuten illegalen Einreise ergingen, kann die jetzige Haft nicht einer Haftverlängerung gleichgestellt werden. Zwar erklärte der Beschwerdeführer am 13. Oktober 1995 der Stadtpolizei Zürich, sich immer in der Schweiz aufgehalten zu haben; diese Aussage erscheint aber im Hinblick auf die von ihm am 9. August 1995 gegebenen Einzelheiten im Zusammenhang mit seiner Wiedereinreise wenig glaubwürdig; seine neue Version dürfte im Zusammenhang mit dem bereits damals beabsichtigten Asylgesuch zu sehen sein. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a85edd13-dccf-4fe3-87c6-0e7eb0b507ea | Urteilskopf
118 Ia 372
52. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Oktober 1992 i.S. W. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 22ter BV
,
§
§ 96 ff. PBG
ZH,
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Festsetzung von Verkehrsbaulinien.
1. Zufolge der schweren Eigentumsbeschränkungen müssen konkrete Vorstellungen über den zukünftigen Strassenbau wenigstens im Sinne eines generellen Projektes vorliegen (E. 4a).
2. Aktuelles Bedürfnis für die Landsicherung, Prüfung von Varianten für die Strassenführung, öffentliches Interesse an der Aufhebung von Bahn-Niveauübergängen (E. 4b-d).
3. Bei der Linienfestsetzung muss geprüft werden, ob ein zukünftiges Ausführungsprojekt den Anforderungen der Umweltschutzgesetzgebung wird Rechnung tragen können; auch muss feststehen, ob dessen Realisierung zum Abbruch von Bauten führen wird (E. 5).
4. Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz gegen Baulinienpläne der Verwaltung, die dem Werkträger das Enteignungsrecht einräumen; Rechtsschutz nach Bundesrecht und zürcherischem Recht (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 373
BGE 118 Ia 372 S. 373
W. ist Eigentümerin von zwei Grundstücken an der Mittelwiesstrasse/Ecke Bergstrasse in der Gemeinde Männedorf. Mit Verfügung Nr. 1632 vom 7. Juli 1989 setzte die Baudirektion des Kantons Zürich Verkehrsbau- und Niveaulinien an der Bergstrasse im Teilstück Seestrasse bis Alte Landstrasse fest. Die beiden Grundstücke von W. liegen zu knapp 50% ihrer Gesamtfläche innerhalb der Baulinien. Ziel der Bau- und Niveaulinienvorlage ist es in erster Linie, den Niveauübergang beim Bahnhof Männedorf/Bergstrasse aufzuheben, um eine flüssige Verkehrsführung im Zusammenhang mit dem Ausbau der SBB-Bahnlinie Zürich-Rapperswil und der zukünftigen Bedeutung der Bergstrasse als Zubringer zur Seestrasse sicherzustellen.
BGE 118 Ia 372 S. 374
Gegen die Verfügung der Baudirektion erhob W. Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Sie beantragte, es sei auf die Festsetzung der geplanten Verkehrsbau- und Niveaulinien zu verzichten. Der Regierungsrat wies den Rekurs ab.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt W. die Aufhebung des regierungsrätlichen Beschlusses. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Bei der Prüfung der Frage, ob sich die Eigentumsbeschränkung auf ein ausreichendes öffentliches Interesse zu stützen vermag, das die privaten Interessen der Beschwerdeführerin überwiegt, ist vom Zweck der festgesetzten Baulinien auszugehen.
Die Bau- und Niveaulinien des Zürcher Rechts dienen in erster Linie der Sicherung bestehender und geplanter Anlagen und Flächen und damit der Freihaltung des künftigen Strassenraumes (§ 96 Abs. 1 des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975 mit Änderungen vom 1. September 1991 [Planungs- und Baugesetz, PBG];
BGE 110 Ib 51
E. 5; WALTER HALLER/PETER KARLEN, Raumplanungs- und Baurecht, 2. Aufl., Zürich 1992, S. 84; ROBERT E. FLAACH, Baulinien im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1979, Bd. I/2, S. 900). In zweiter Linie dienen sie unter anderem der Sicherung des Landerwerbs und damit der Vorbereitung der formellen Enteignung; gemäss
§ 110 PBG
steht dem Werkträger mit der Rechtskraft der Bau- und Niveaulinien im Rahmen ihrer Zweckbestimmung das Enteignungsrecht zu (ROBERT E. FLAACH, a.a.O., S. 922 f.). Zum Teil ähnlichen Zwecken dient die Projektierungszone gemäss den
Art. 14 ff. des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (Nationalstrassengesetz, NSG; SR 725.11)
. Diese kann zur Sicherung der Planung und des späteren Landerwerbs für den Strassenbau zur vorsorglichen Freihaltung des Strassenraumes erlassen werden (in
BGE 101 Ia 328
nicht publizierte E. 1; ALFRED KUTTLER, Das Strassengesetz des Kantons Basel-Stadt im Dienste des städtischen Expressstrassenbaues, ZBl 61/1960, S. 442). Während indes Projektierungszonen spätestens mit dem Ablauf von fünf Jahren seit ihrer Festsetzung dahinfallen und innert dieser Zeit durch die rechtskräftige Festsetzung der Baulinien abzulösen sind (
Art. 17 Abs. 1,
Art. 22 ff. NSG
), kennt das zürcherische Recht für Verkehrsbaulinienpläne keine entsprechende Befristung.
BGE 118 Ia 372 S. 375
Es ergibt sich hieraus, dass mit Rücksicht auf die schweren Eigentumsbeschränkungen, zu denen die Linienfestsetzung führt, konkrete Vorstellungen für den künftigen Strassenbau jedenfalls im Sinne eines generellen Projektes vorliegen müssen (
BGE 103 Ia 44
E. 3b). Für die blosse Projektsicherung im Sinne des Nationalstrassenrechts wären wohl Planungszonen gestützt auf
§ 346 PBG
in Verbindung mit
Art. 27 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700)
festzulegen.
Mit Bezug auf die Funktion der Baulinien, das Enteignungsverfahren vorzubereiten, ist beizufügen, dass gemäss
§ 110 PBG
dem Werkträger zwar mit der Rechtskraft der Verkehrsbaulinien das Enteignungsrecht an sich zusteht. Doch kann dieses im jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausgeübt werden.
§ 110 PBG
verweist auf den Rahmen der Zweckbestimmung der Bau- und Niveaulinien. Dieser Rahmen ergibt sich mit der für die Ausübung des Enteignungsrechtes erforderlichen Präzision erst aus dem Ausführungsprojekt, das für Staatsstrassen von der Baudirektion erst noch auszuarbeiten (§ 12 des Gesetzes über den Bau und den Unterhalt der öffentlichen Strassen vom 27. September 1981 [Strassengesetz, StrG]) und nach dessen Bereinigung durch den Regierungsrat zu genehmigen sein wird (§ 16 StrG). Im vorliegenden Fall wird aller Voraussicht nach das Strassenprojekt erst nach dem Jahre 2000 verwirklicht; an der Instruktionsverhandlung nannte der Vertreter des Tiefbauamtes als frühesten Termin das Jahr 2005. Die Beschwerdeführerin macht deshalb geltend, es fehle ein ausreichendes aktuelles Interesse, um ihre Liegenschaft mit der schwerwiegenden Eigentumsbeschränkung zu belasten.
b) Es trifft zu, dass das Bundesgericht in
BGE 79 I 230
bei der Überprüfung von Baulinien von der Notwendigkeit eines aktuellen Bedürfnisses spricht. Doch bezieht sich diese Forderung, wie sich aus den Erwägungen des Entscheids unmissverständlich ergibt, auf das Bedürfnis, künftige Hindernisse der Strassenausführung durch die Ziehung von Baulinien auszuschalten. Wie das Bundesgericht anerkannt hat, sind Baulinien nicht erst zu ziehen, wenn die Strasse erstellt werden muss. Vielmehr ist das aktuelle Bedürfnis für die Landsicherung schon dann gegeben, wenn ersichtlich ist, dass die Erstellung über kurz oder lang notwendig sein wird.
Das Strassenprojekt bezieht sich auf überbautes Gebiet in der Nähe des Ortskernes von Männedorf und die Linienführung belastet zahlreiche Liegenschaften. Die betroffenen Parzellen liegen innerhalb von Bauzonen. Auch wenn das Strassenprojekt erst in zehn bis zwanzig
BGE 118 Ia 372 S. 376
Jahren ausgeführt wird, ist die Landsicherung, welche mit den Baulinien bezweckt wird, gerechtfertigt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Bauvorhaben die spätere Bauausführung erschweren und verteuern. Um dies zu verhindern, sieht das Baugesetz das Bauverbot und das Änderungsverbot vor, die sich aus der Baulinienfestsetzung ergeben (
§
§ 99-101 PBG
; vgl.
BGE 109 Ib 119
E. 4b). Für die Anordnung dieser Rechtswirkungen ist das von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangte aktuelle Bedürfnis entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gegeben.
c) Die Beschwerdeführerin wendet sodann ein, der Nachweis eines ausreichenden öffentlichen Interesses setze die Prüfung von Varianten voraus. Es müsse feststehen, dass andere Lösungen, welche zu weniger schwerwiegenden Eingriffen führen würden, nicht gefunden werden könnten. Die Beschwerdeführerin ist namentlich der Meinung, die bestehende Strassenunterführung der Kugelgasse könne ausgebaut werden, womit die geplante neue Strassenführung mit einer teilweisen Untertunnelung der Strasse vermieden werden könne.
Der angefochtene Entscheid lässt in der Tat nicht klar erkennen, ob und welche weiteren Lösungsmöglichkeiten geprüft wurden, wie dies der Regierungsrat im Beschwerdeverfahren versichert und die dem Bundesgericht zugestellten Akten bestätigen. Doch hat der Augenschein ergeben, dass der Ausbau der Unterführung Kugelgasse von den Behörden mit Grund als unbefriedigende Lösung verworfen werden durfte. Eine entsprechende Strassenführung würde durch den Ortskern führen, was unerwünscht ist. Auch wäre ein Ausbau der Einmündung der Kugelgasse in die Seestrasse erforderlich, was zu erheblichen Eingriffen in die bestehende Bausubstanz führen müsste. Für die Erschliessung der Überbauung oberhalb der Bahn müssten zum Teil neue Anschlüsse gesucht werden. Die gleiche Konsequenz ergäbe sich aus völlig neuen Strassenführungen, welche andere Wohngebiete oder Freihaltezonen beanspruchen würden. Nicht zu beanstanden ist ebenfalls, dass eine Unterführung der Bergstrasse an der jetzigen Lage verworfen wurde. Diese Variante würde wegen der starken Steigung, welche nach der Unterführung der Strasse bergseits in Kauf genommen werden müsste, zu kaum lösbaren Schwierigkeiten führen, wie der Augenschein bestätigt hat. Die kantonale Baudirektion und der Regierungsrat durften daher, ohne das ihnen zustehende Planungsermessen zu missbrauchen, der jetzt vorgeschlagenen Lösung, der auch der Gemeinderat Männedorf zustimmt, den Vorzug geben.
BGE 118 Ia 372 S. 377
d) An der Aufhebung des Niveauüberganges der Bergstrasse besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, auch wenn zur Zeit die Bergstrasse noch keine aussergewöhnliche Verkehrsbelastung aufweist, wie sich dies aus den Erhebungen über die Verkehrsfrequenzen der Strasse und der Bahn ergibt. Die Aufhebung von Niveauübergängen dient nicht nur der Flüssigkeit des Verkehrs, sondern in erster Linie der Verkehrssicherheit. Aus diesem Grunde fördert der Bund die Aufhebung oder Sicherung von Niveauübergängen. Den Vorrang haben dabei Massnahmen, welche die Verkehrssicherheit rasch und wirksam heben, sowie solche, die dem Umweltschutz dienen (Art. 18 des Treibstoffzollgesetzes vom 22. März 1985 [SR 725.116.2]; Verordnung über Beiträge an die Aufhebung oder Sicherung von Niveauübergängen und an andere Massnahmen zur Trennung von öffentlichem und privatem Verkehr vom 6. November 1991 [Verkehrstrennungsverordnung; SR 725.121]).
Die rechtsverbindliche Festlegung der Bau- und Niveaulinien für die neue Strassenführung hat allerdings ausser dem Anliegen der Verkehrssicherheit alle übrigen öffentlichen Interessen, welche die Strassenführung berühren, sowie die privaten Interessen der betroffenen Eigentümer in ausreichendem Masse zu berücksichtigen. Zu den öffentlichen Interessen zählen, wie dies aus Art. 18 des Treibstoffzollgesetzes hervorgeht, die Interessen des Umweltschutzes. Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, die Linienfestsetzung trage diesen Interessen nicht oder jedenfalls in ungenügendem Masse Rechnung. Wie es sich damit verhält, ist nachfolgend zu prüfen.
5.
a) Das Strassenprojekt, für welches mit den Baulinien die künftige Landbeanspruchung gesichert werden soll, ist als Verkehrsweg eine Anlage, die der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes untersteht (
Art. 7 Abs. 7 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 [Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01]
). Die Baudirektion und der Regierungsrat anerkennen, dass das Projekt die umweltschutzrechtlichen Anforderungen erfüllen muss. Sie sind jedoch der Meinung, deren Einhaltung sei bei der Ausführungsprojektierung im Sinne der §§ 12-16 StrG zu berücksichtigen. Erst in diesem Zeitpunkt sei auch eine allenfalls notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wie dies in den kantonalen Einführungsbestimmungen für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung in Ziff. D.11.3 vorgesehen wird. Auch der angefochtene Entscheid des Regierungsrates geht auf die umweltschutzrechtlichen Anforderungen nicht ein. Es fragt sich, ob diese Annahme den bundesrechtlichen Anforderungen genügt.
BGE 118 Ia 372 S. 378
b) § 14 StrG verlangt die Beachtung des Umweltschutzes ausdrücklich. Die Vorschrift lautet wie folgt:
"Die Strassen sind entsprechend ihrer Bedeutung und Zweckbestimmung nach den jeweiligen Erkenntnissen der Bau- und Verkehrstechnik, mit bestmöglicher Einordnung in die bauliche und landschaftliche Umgebung sowie unter Beachtung der Sicherheit, des Umweltschutzes, der Wirtschaftlichkeit und mit sparsamer Landbeanspruchung zu projektieren; die Bedürfnisse des öffentlichen Verkehrs, der Fussgänger, der Radfahrer sowie der Behinderten und Gebrechlichen sind angemessen zu berücksichtigen."
Wesentliche Anforderungen an die Projektierung werden nach dieser Vorschrift bereits mit der Linienfestsetzung verbindlich festgelegt, wie dies für die Gebote der bestmöglichen Einordnung in die bauliche und landschaftliche Umgebung sowie der sparsamen Landbeanspruchung zutrifft. Im vorliegenden Falle tragen die ausgearbeiteten generellen Projektstudien diesen Anforderungen Rechnung. Wie den Akten des Tiefbauamtes entnommen werden kann, wurden sowohl Einwendungen der kantonalen Natur- und Heimatschutzkommission als auch des von der Linienfestsetzung betroffenen Kreisspitales Männedorf soweit wie möglich berücksichtigt. Sodann ist dem Bericht des Tiefbauamtes zur Bau- und Niveaulinienvorlage vom 28. März 1989 zu entnehmen, dass die dem Baulinienplan zugrunde liegenden Elemente des generellen Strassenprojektes nach den VSS-Normalien bestimmt und für die Querschnittselemente (Fahrbahn- und Gehwegbreiten, Kreisverbreiterungen, Lichtraumprofil) durchwegs Minimalwerte gewählt wurden, woraus sich ein mittlerer Baulinienabstand von ca. 25 m ergibt.
Hingegen können den Akten keine Überlegungen in bezug auf den Lärmschutz und die Luftverunreinigung entnommen werden.
c) Der Bau- und Niveaulinienplan ist ein Sondernutzungsplan, der den planungsrechtlichen Anforderungen wie jeder Nutzungsplan entsprechen muss. Die Planfestsetzung hat nicht nur die Plankoordination mit der kantonalen, regionalen und kommunalen Planung zu beachten, der - wie dargelegt - in ausreichendem Masse nachgekommen wurde. Vielmehr ist bei der Planfestsetzung umfassend zu berücksichtigen und abzuwägen, ob das mit der Linienfestsetzung festgelegte Projekt in bestmöglicher Weise allen zu berücksichtigenden Interessen Rechnung trägt. Hiezu zählen die Interessen des Umweltschutzes (
Art. 3 Abs. 4 lit. c RPG
, Art. 2 Abs. 1 lit. d und Art. 3 der Verordnung über die Raumplanung vom 2. Oktober 1989 [RPV; SR 700.1]). Die Behörden haben in der Begründung ihrer Beschlüsse nachzuweisen, dass sie die massgebenden Interessen
BGE 118 Ia 372 S. 379
berücksichtigt und abgewogen haben (
Art. 3 Abs. 2 RPV
). Auch hat die für die Genehmigung von Nutzungsplänen zuständige Behörde speziell darauf zu achten, ob der Nutzungsplan die Anforderungen der Umweltschutzgesetzgebung beachtet (
Art. 26 Abs. 1 RPV
).
d) Diese raumplanungsrechtlichen Anforderungen decken sich mit den Geboten der Umweltschutzgesetzgebung. Zwar ordnet das kantonale Recht im Unterschied zu den Anforderungen des Bundesrechts für die Nationalstrassenplanung keine mehrstufige Umweltverträglichkeitsprüfung (Ziff. 11.1 des Anhanges zur Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988 [UVPV; SR 814.011]) an. Doch schliesst dies nicht aus, dass bei der rechtsverbindlichen Linienfestsetzung, welche das Ausführungsprojekt in erheblichem Masse vorbestimmt, geprüft werden muss, ob dieses der Umweltschutzgesetzgebung, insbesondere den Geboten der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; 814.41) und den Vorschriften der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 (LRV; SR 814.318.142.1), wird Rechnung tragen können.
Es ist freilich nicht zu verlangen, dass im Zeitpunkt der Linienfestsetzung bereits ein Ausführungsprojekt ausgearbeitet werden muss. Hingegen ist die Möglichkeit darzutun, dass das Projekt innerhalb des durch die Linien gesicherten Rahmens in Berücksichtigung der bestehenden Lärmbelastung, der massgebenden Lärmempfindlichkeitsstufen und der Belastung der Luft mit Schadstoffen so ausgearbeitet werden kann, dass es den Umweltvorschriften des Bundesrechts zu genügen vermag. Die im umstrittenen Baulinienplan vorgesehene Untertunnelung der Strasse, namentlich die Tunnelausfahrt im Bereiche der Liegenschaft der Beschwerdeführerin und in nächster Nähe von weiteren Wohn- und Gewerbebauten, wird Massnahmen bedingen, welche einer untragbaren Konzentration von Schadstoffen und von Lärmeinwirkungen entgegenwirken, auch wenn es Sache des Ausführungsprojektes sein wird, diese Massnahmen im einzelnen vorzusehen. Mit einer solchen Anforderung an die Baulinienfestsetzung wird weder die Planung noch die Ausführung ungebührlich erschwert, vielmehr werden spätere Schwierigkeiten und unliebsame Überraschungen vermieden.
e) In diesem Zusammenhang kommt den betroffenen privaten Interessen der Beschwerdeführerin erhebliches Gewicht zu. Der angefochtene Entscheid geht davon aus, dass der Strassenbau sehr wahrscheinlich die Beseitigung ihres Wohn- und Geschäftshauses zur Folge haben werde, doch würden jedenfalls mittels eines Gestaltungsplans die Grundstücke der Beschwerdeführerin überbaubar
BGE 118 Ia 372 S. 380
bleiben. Durch die vertikale Beschränkung der Baulinien werde ermöglicht, dass im fraglichen Bereich ausserhalb des Lichtraumprofils über die Strasse gebaut werden könne.
Der Augenschein hat bestätigt, dass aller Voraussicht nach der Abbruch des bestehenden Gebäudes unvermeidlich sein wird, auch wenn der Vertreter des Tiefbauamtes die Möglichkeit nicht vollständig ausgeschlossen hat, dass bei der Strassenprojektierung Lösungen gefunden werden könnten, die es erlauben würden, das bestehende Haus beizubehalten. Sowohl für den Fall einer Neuüberbauung auf den verbleibenden Parzellenflächen wie auch im unwahrscheinlichen Fall der Erhaltung des Wohngebäudes ist es für die Beschwerdeführerin von erheblicher Bedeutung, Klarheit darüber zu erhalten, ob es zum Abbruch kommen wird oder nicht, sowie unter welchen Annahmen das Projekt den Anforderungen des Umweltschutzes Rechnung tragen kann. Die Befürchtungen der Beschwerdeführerin, eine für ihre Liegenschaften tragbare Lösung könne nicht gefunden werden, sind nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Die Vorinstanzen widerlegen sie auch nicht, sondern sie verweisen einzig auf die Ausführungsprojektierung in der Meinung, erst diese habe den Nachweis der Umweltverträglichkeit des Projektes zu erbringen. Mit diesem Vorgehen wird dem Gebot der Abstimmung raumwirksamer Tätigkeiten nur in unzureichendem Masse Rechnung getragen; auch ist eine ausreichende Interessenabwägung und Überprüfung der Verhältnismässigkeit des Eingriffes nicht möglich.
Weiter ist zu beachten, dass die Geltendmachung des Heimschlagsrechtes (
§ 103 PBG
) zeitlich befristet ist. Gemäss
§ 104 PBG
kann es innert zehn Jahren geltend gemacht werden, nachdem die endgültige Unüberbaubarkeit des betroffenen Grundstücks feststeht oder behördlich festgestellt worden ist. Angesichts der schwerwiegenden Rechtswirkungen der Baulinien, welche das bestehende Wohn- und Geschäftshaus annähernd zur Hälfte anschneiden, darf verlangt werden, dass der Kanton im Zeitpunkt der Linienfestsetzung jedenfalls grundsätzlich die Frage klärt, ob und unter welchen Voraussetzungen im Bereiche des bergseitigen Tunnelportals eine bauliche Lösung gefunden werden kann, die den Umweltschutzvorschriften entspricht. Ist der Abbruch des Wohn- und Geschäftshauses der Beschwerdeführerin unvermeidlich - wie dies aufgrund der Linienbelastung zuzutreffen scheint -, so ist sie zur rechtzeitigen Ausübung des Heimschlagsrechtes auf die Klarstellung der Auswirkungen auf ihre Liegenschaft angewiesen.
BGE 118 Ia 372 S. 381
f) Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit gutzuheissen, da die vom Regierungsrat geschützte Linienfestsetzung auf einer unzureichenden Berücksichtigung und Abwägung aller massgebenden öffentlichen und privaten Interessen beruht. Die Gutheissung hat namentlich zur Folge, dass ergänzende Erhebungen über die künftige Unweltverträglichkeit des dem Baulinienplan zugrunde liegenden Strassenprojektes angestellt und in der Begründung des Festsetzungsbeschlusses sichtbar gemacht und dass die Auswirkungen des Projekts auf die Liegenschaften der Beschwerdeführerin präziser ermittelt werden müssen.
6.
a) Bei diesem Ausgang des Verfahrens kommt der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage, ob der ihr zustehende Rechtsschutz den Anforderungen von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
genügt, keine für den Ausgang der Sache entscheidende Bedeutung zu. Dennoch ist festzuhalten, dass gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) Enteignungsverfahren in den Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fallen, wie das Bundesgericht wiederholt festgestellt hat (
BGE 118 Ia 227
E. 1c;
BGE 117 Ia 383
E. 5a mit Hinweisen auf die Urteile des EGMR). Dementsprechend hat der von einer Enteignung Betroffene Anspruch darauf, dass nicht nur die Entschädigungsfrage, sondern auch die Zulässigkeit der Enteignung im Streitfalle von einem Gericht beurteilt wird, dem eine umfassende Rechtskontrolle zusteht (
BGE 116 Ib 56
E. 3b;
BGE 115 Ia 190
E. 4b;
BGE 115 Ib 414
E. 3c;
BGE 114 Ia 127
E. 4c, ch).
Das Bundesrecht gewährleistet diesen Rechtsschutz bei Enteignungen nach dem eidgenössischen Enteignungsrecht (Art. 30, 35, 50 und 55 des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. Juni 1930 [EntG; SR 711] sowie die einschlägige Spezialgesetzgebung, wie zum Beispiel
Art. 27 NSG
, je in Verbindung mit
Art. 97 und 99 lit. c OG
;
BGE 111 Ib 231
f. E. 2e). Soweit ihn das kantonale Recht nicht in vollem Umfange gewährleistet, vermag im Einzelfall allenfalls das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren dem verlangten Gerichtsschutz gegenüber öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen zu genügen, wenn der Sachverhalt nicht bestritten ist und wenn die sich aus der Verfassungskontrolle ergebende Beschränkung auf den Blickwinkel der Willkür nicht zum Zuge kommt, sondern das Bundesgericht frei und umfassend prüft, ob eine klare gesetzliche Grundlage vorliegt und ob die massgebenden öffentlichen und privaten Interessen, welche die Beschränkung rechtfertigen, vollständig berücksichtigt und richtig abgewogen wurden (
BGE 117 Ia 501
ff. E. 2c-e). In diesem Falle stellt sich auch die Frage nicht, ob
BGE 118 Ia 372 S. 382
die Präzisierung der auslegenden Erklärung der Schweiz zu
Art. 6 EMRK
, die der Bundesrat am 27. Dezember 1988 dem Generalsekretär des Europarates übermittelt hat, gültig ist. Es könnte ohnehin die Frage aufgeworfen werden, ob der entsprechende Anspruch auf Rechtsschutz unter den heutigen Verhältnissen nicht zu den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen zu zählen ist, die das Bundesgericht aus Art. 4 in Verbindung mit
Art. 22ter BV
herleitet (
BGE 112 Ib 177
f. E. 3a).
b) Soweit die Beschwerdeführerin zufolge der Baulinienfestsetzung einen Anspruch aus materieller Enteignung geltend macht (
§ 102 PBG
), steht ihr auf kantonaler Ebene mit dem Klageverfahren vor Verwaltungsgericht (§ 46 des Gesetzes betreffend die Abtretung von Privatrechten vom 30. November 1879 [Abtretungsgesetz; AbtrG] in Verbindung mit § 82 lit. g VRG; ALFRED KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1978, N 27 ff. zu § 82) der volle Gerichtsschutz zu. In Streitigkeiten über materielle Enteignungen urteilt das Verwaltungsgericht sowohl über die Frage, ob eine Eigentumsbeschränkung vorliegt, die einer Enteignung gleichkommt (
Art. 5 Abs. 2 RPG
), als auch über die Höhe der Entschädigung. In diesen Fällen ist ausserdem die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben (Art. 5 in Verbindung mit
Art. 34 Abs. 1 RPG
).
Das kantonale Recht räumt der Beschwerdeführerin unter gewissen Voraussetzungen als Folge der Belastung ihrer Liegenschaft mit Baulinien ein Heimschlagsrecht ein (§§ 103 f. PBG). Übt sie dieses Recht aus, steht ihr ebenfalls voller Gerichtsschutz zu (
§ 82 lit. h PBG
; ALFRED KÖLZ, a.a.O., N 50 ff. zu § 82; dazu auch
BGE 114 Ia 18
f. betreffend das gesetzliche Vorkaufsrecht). Auch über Ausnahmen vom Bauverbot gemäss
§ 100 PBG
und über die Bewilligung von Vorkehren, die nach
§ 101 PBG
dem Veränderungsverbot unterstehen, entscheidet kantonal letztinstanzlich das Verwaltungsgericht (
§ 2 lit. c und
§ 329 Abs. 1 lit. a PBG
in Verbindung mit § 43 lit. b und § 44 lit. b VRG; ALFRED KÖLZ, a.a.O., N 7 zu § 43).
c) Sollte zu gegebener Zeit der Staat das formelle Enteignungsrecht ausüben (
§ 110 PBG
; vorstehende Erw. 4a), so richtet sich das Verfahren nach dem Abtretungsgesetz in Verbindung mit dem Verwaltungsrechtspflegegesetz. Das Verwaltungsgericht hat gemäss § 44 lit. d VRG Streitigkeiten über die Pflicht zur zwangsweisen Abtretung von Grundeigentum und dinglichen Rechten zu beurteilen. Doch steht heute nicht mit Sicherheit fest, ob das Verwaltungsgericht im gegebenen Zeitpunkt eine
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
entsprechende
BGE 118 Ia 372 S. 383
Kontrolle der Baulinienfestsetzung ausüben wird. ALFRED KÖLZ (a.a.O., N 11 zu § 44) legt dar, dass die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes hinsichtlich der Überprüfung von Baulinienplänen teilweise eingeschränkt sei. Indes schliesst diese Unsicherheit nicht aus, dass das Verwaltungsgericht möglicherweise seine Rechtsprechung so ausüben oder weiterentwicklen wird, dass sie den Anforderungen des Bundesrechts (einschliesslich der EMRK) genügt. Sollte dies wider Erwarten zu gegebener Zeit nicht zutreffen, wären bundesgerichtliche Anordnungen nicht von vorneherein ausgeschlossen (
BGE 118 Ia 227
E. 1c, 358 E. 2c).
d) Der dargelegte umfassende Gerichtsschutz, wie ihn das Zürcher Recht, allenfalls ergänzt durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, vorsieht, entspricht zweifellos den Anforderungen der EMRK. Er könnte akzessorisch auf die Rechtsgültigkeit der Baulinienfestsetzung ausgedehnt werden (dazu
BGE 116 Ia 209
ff. E. 2 und 3 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichtes vom 26. Oktober 1983, publiziert in ZBl. 87/1986 S. 502 f.), falls die Beschwerdeführerin eine entsprechende Einwendung erheben oder etwa eine Überprüfung des Nutzungsplanes gestützt auf
Art. 21 RPG
verlangen sollte. Dennoch ist dem Kanton Zürich namentlich aufgrund des Umstandes, dass der das Enteignungsrecht gewährende Baulinienplan ein Verwaltungsplan ist, gegen dessen Festsetzung ein voller Gerichtsschutz gewährleistet sein muss (Urteil Sporrong und Lönnroth des EGMR vom 23. September 1982, Série A vol. 52 = EuGRZ 1983, S. 523; Urteil Bodén des EGMR vom 27. Oktober 1987, Série A vol. 125 = EuGRZ 1988 S. 452), zu empfehlen, eine direkte Beschwerde an eine kantonale Instanz, die den Anforderungen eines Gerichts im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
entspricht, zu schaffen. Dies würde auch den raumplanungsrechtlichen Anforderungen besser entsprechen, vermag es doch kaum zu befriedigen, wenn erst im späteren Zeitpunkt der Ausübung des Enteignungsrechts, im Falle der Erklärung des Heimschlags oder bei einer sonstigen Streitigkeit über Beschränkungen, die sich aus der Baulinie ergeben, deren Rechtsgültigkeit gerichtlich festgestellt wird. Sodann würde sich ebenfalls nicht die Frage stellen, ob die erwähnte Präzisierung der auslegenden Erklärung gültig ist. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a8624a66-6ab3-40bb-aa33-94052e75f2b3 | Urteilskopf
141 III 328
46. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_443/2014 vom 14. September 2015 | Regeste
Art. 8 EMRK
;
Art. 2, 3 und 7 KRK
;
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
;
Art. 4 FMedG
; Art. 27 Abs. 1,
Art. 32 und 70 IPRG
;
Art. 45 Abs. 2 Ziff. 4 und
Art. 252 Abs. 1 ZGB
;
Art. 7 und 8 ZStV
; Anerkennung und Eintragung ausländischer Geburtsurkunden ins Personenstandsregister bei Leihmutterschaft; Ordre public.
Eine kalifornische Geburtsurkunde kann nicht anerkannt werden, wenn die verurkundeten Kindesverhältnisse zu genetisch nicht verwandten Eltern in Umgehung des schweizerischen Leihmutterschaftsverbotes entstanden sind (E. 2-8). | Sachverhalt
ab Seite 329
BGE 141 III 328 S. 329
A.
Am 17. Mai 2012 wurden im C. Medical Center, U., California, die Zwillinge D.A. und E.A. geboren. In den von Dr. F., MD, Health Officer, unterzeichneten kalifornischen Geburtsurkunden (Certificate of live birth) vom 31. Mai 2012 sind B.A. (Mutter) und A.A. (Vater) als die Eltern der beiden Kinder aufgeführt.
B.
Gestützt auf die Geburtsurkunden verlangten B.A. und A.A. beim Zivilstandsamt W. die Eintragung der beiden Kinder ins Personenstandsregister. Aufgrund von Zweifeln an der Elternschaft stellte die Abteilung Register und Personenstand des Departementes Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau verschiedene Fragen und verlangte zusätzliche Unterlagen.
Angesichts der weitgehend verweigerten Kooperation und der Vielzahl von dringenden Verdachtsmomenten, dass die Kinder nicht von B.A. zur Welt gebracht wurden (fehlende Plausibilisierung, weshalb die Kinder einer über 50-jährigen Mutter mit Schweizer Wohnsitz in den USA geboren sein sollen, zumal in einem Gliedstaat mit sehr liberaler Praxis bezüglich Leihmutterschaft; "WT/WB"-Einreisestempel vom 16. Mai 2012 [Vortag der Geburt] im Pass von A.A. mit Aufenthaltsberechtigung von maximal 90 Tagen im Rahmen des "Visa Waver Program"; angegebene Aufenthaltsadresse in unmittelbarer Nähe des Spitals; keine Eintragung einer Einreise in die USA im Pass von B.A.), wies das Departement mit Verfügung vom 15. Oktober 2013 die Anerkennung und Eintragung der beiden Kinder im schweizerischen Personenstandsregister ab mit der Begründung, dass
BGE 141 III 328 S. 330
die Leihmutterschaft in der Schweiz verboten sei und die Anerkennung betreffender Geburten aus dem Ausland dem schweizerischen Ordre public widerspreche.
Dagegen erhoben A.A. und B.A. am 6. November 2013 unter sinngemässer Bestreitung eines Leihmutterschaftsverhältnisses Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau. Am 10. Februar 2014 nahmen sie schliesslich unter Einreichung der gehörigen Unterlagen Stellung zum umfangreichen Fragenkatalog, welcher ihnen mit instruktionsrichterlicher Verfügung zugestellt worden war. Mit Entscheid vom 3. März 2014 wies das Obergericht die Beschwerde nach eingehender Prüfung der Situation ab, in erster Linie ebenfalls unter Verweisung auf den Ordre public.
C.
Gegen diesen Entscheid haben A.A. und B.A. am 26. Mai 2014 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie verlangen im Wesentlichen die Eintragung der am 17. Mai 2012 in den USA geborenen Zwillinge D.A. und E.A. im schweizerischen Personenstandsregister. Mit Präsidialverfügung vom 13. Juni 2014 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt, jedoch das Gesuch um vorsorgliche Eintragung abgewiesen. Mit Vernehmlassung vom 6. Februar 2015 schloss das Departement Volkswirtschaft und Inneres auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Aufgrund der Beantwortung des umfangreichen obergerichtlichen Fragenkataloges und der gestützt hierauf erfolgten Einreichung der gehörigen Dokumente hat das Obergericht den folgenden, für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt festgestellt:
Der genetische Vater der Kinder ist ein anonymer Samenspender. Die genetische Mutter der Kinder ist eine anonyme Eizellenspenderin. Die biologische Mutter der Kinder (sog. Leihmutter) ist G.G. Mit Urteil des Superior Court of California, V., vom 16. Februar 2012, bei welchem die Beschwerdeführer als Gesuchsteller sowie G.G. und ihr Ehemann H.G. als Gesuchsgegner aufgeführt sind, wird mit Bezug auf Kinder, welche zwischen dem 12. September 2011 und dem 12. Juni 2012 von G.G. zur Welt gebracht werden, verfügt, dass nicht sie deren Mutter ist, sondern die Beschwerdeführer "legal and natural father" sowie "legal and natural mother" sind. Weiter wird
BGE 141 III 328 S. 331
die ausschliessliche finanzielle Verantwortlichkeit sowie die ausschliessliche gesetzliche und tatsächliche Obhut über diese Kinder den Beschwerdeführern zugewiesen. Sodann werden dem Geburtsspital Anweisungen zum Ausfüllen der Geburtsurkunden erteilt. Insbesondere wird angeordnet, dass die Personalien der Beschwerdeführer an den in den Geburtsurkunden für die Angaben über Vater und Mutter der Kinder vorgesehenen Stellen einzutragen sind. Schliesslich wird festgehalten, dass die Embryonen aus Spermien und Eizellen von anonymen Spendern ("anonymous donor's sperm" und "anonymous donor's ova") geschaffen wurden.
Das Obergericht hat erwogen, dass dies der Rechtslage in Kalifornien entspreche. Die Anerkennung eines Kindesverhältnisses zu den Wunscheltern sei durch kalifornische Gerichte jedenfalls dann unbestritten, wenn wie vorliegend die Leihmutter nicht die genetische Mutter des Kindes sei. Die Wunscheltern erhielten üblicherweise eine Geburtsurkunde, in welcher sie bereits als Vater und Mutter eingetragen seien. Vor diesem Hintergrund bestehe kein Zweifel an der Echtheit der Geburtsurkunden und ebenso wenig daran, dass die Beschwerdeführer nach kalifornischem Recht als Eltern der beiden Kinder gälten.
In Bezug auf die Anerkennung und Eintragung hat das Obergericht zuerst die Bedeutung und Funktion des schweizerischen Personenstandsregisters dargestellt. Sodann hat es festgehalten, dass die Anerkennung ausländischer Urkunden und Entscheide zu verweigern sei, wenn sie offensichtlich dem schweizerischen Ordre public widersprächen. Diesbezüglich hat es erwogen, dass das Vorgehen der Beschwerdeführer der Umgehung des in der Schweiz auf Verfassungs- und Gesetzesstufe verankerten Verbotes der Leihmutterschaft gedient habe. Im Bericht des Bundesrates zur Leihmutterschaft werde allerdings festgehalten, dass die Anerkennung eines im Ausland durch ein fortpflanzungsmedizinisches Verfahren gezeugten Kindes nicht zwangsläufig gegen den Ordre public verstosse. Erfordere das Kindeswohl eine Anerkennung, müsse diese möglich sein; hingegen könne die Berücksichtigung des Kindeswohls auch dazu führen, dass die Anerkennung eines Kindesverhältnisses zu verweigern sei. An diese Meinungsäusserung anknüpfend hat das Obergericht weiter erwogen, dass das von den Beschwerdeführern im Rechtsmittelverfahren vorgelegte Urteil des kalifornischen Gerichts, mit welchem ihr Kindesverhältnis zu den von der Leihmutter G.G. geborenen Kindern angeordnet werde, drei Monate vor der Geburt der Kinder
BGE 141 III 328 S. 332
ergangen sei und keine Hinweise darauf enthalte, dass eine Prüfung der Erziehungseignung oder eine anderweitige Abklärung des Kindeswohls vorgenommen worden wäre; von den Beschwerdeführern werde denn auch nichts dergleichen behauptet. Die gerichtliche Feststellung der Elternschaft, wie sie von den kalifornischen Gerichten praktiziert werde, weise insofern keine Nähe zum Adoptionsverfahren auf. Eine Nichtanerkennung des Kindesverhältnisses könne allerdings weder an der bereits eingetretenen Beeinträchtigung der Persönlichkeit der Leihmutter noch an der bereits eingetretenen Vereitelung des verfassungsmässigen Anspruches der Kinder auf Kenntnis ihrer Abstammung etwas ändern; zudem würden die Kinder in der Schweiz vorerst elternlos dastehen. Dennoch widerspreche es der grundlegenden schweizerischen Rechts- und Sittenauffassung in unerträglicher Weise, wenn durch Richterspruch ein rechtliches Kindesverhältnis begründet werde, ohne dass je ansatzweise eine Prüfung des Kindeswohls vorgenommen worden sei und überdies auch keine nachgeburtliche Zustimmung der biologischen Mutter vorliege bzw. möglich gewesen sei. Insbesondere könne nicht mit übergeordneten Interessen des Kindes argumentiert werden, wenn diese noch gar nie abgeklärt worden seien, weil mit der Leihmutterschaft im Ausland auch die Schutzmechanismen des Adoptionsrechts umgangen worden seien.
3.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 2, 7 und 16 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtekonvention, KRK; SR 0.107) sowie von Art. 13, 14, 29, 35 und 36 BV. Sodann machen sie eine Verletzung von
Art. 32 IPRG
(SR 291) sowie von
Art. 7 und 8 der Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004 (ZStV; SR 211.112.2)
geltend, wobei sie diesbezüglich teilweise auch Willkür behaupten. Ferner rügen sie eine Verletzung der "Pflicht zur Ermittlung des Sachverhaltes" und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wegen der formellen Natur des rechtlichen Gehörs ist darüber vorweg zu befinden; Gleiches gilt für die Kritik an der Sachverhaltsermittlung, auf welcher die rechtlichen Erwägungen aufbauen.
3.1
Die Gehörsverletzung erblicken die Beschwerdeführer darin, dass das Obergericht ihnen vorgehalten habe, über die Samen- und Eizellenspender sei nichts bekannt, was den Anspruch des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung vereitle, es aber gleichzeitig unterlassen habe, mit dem amerikanischen Gericht Kontakt aufzunehmen; wahrscheinlich würden sich dort weitere Akten finden lassen, wobei
BGE 141 III 328 S. 333
sie selbst nicht an diese Dokumente gelangen könnten. Im Übrigen habe das Obergericht das kalifornische Recht zu wenig abgeklärt, wenn es ausführe, die Leihmutterschaft beruhe nicht auf Gesetz, sondern auf der dortigen Rechtsprechung.
3.2
Abgesehen davon, dass es an den Beschwerdeführern ist, die gesuchsbegründenden Tatsachen darzutun, ist in diesem Zusammenhang keine Relevanz für die entscheidrelevanten Streitfragen ersichtlich (vgl. E. 6.4-6.6). Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, dass vollendete Tatsachen vorlägen und weder die anonyme Samen- und Eizellenspende noch das Austragen der Kinder durch eine Leihmutter rückgängig gemacht werden könne. Sodann geht der angefochtene Entscheid davon aus, dass das Kindesverhältnis zu den Beschwerdeführern nach kalifornischem Recht rechtsgültig errichtet und Geburtsurkunden eingereicht worden sind, an deren Echtheit keine Zweifel bestehen. Zu entscheiden bleibt deshalb einzig die Frage, ob das nach dem Recht am Geburtsort gültig errichtete Kindesverhältnis in der Schweiz anerkannt werden kann.
3.3
Sinngemäss machen die Beschwerdeführer auch eine Gehörsverletzung dahingehend geltend, dass das Obergericht unterstelle, es habe nie eine Prüfung des Kindeswohls stattgefunden, ohne dies durch Edition sämtlicher amerikanischer Verfahrensakten verifiziert zu haben. Diese Gehörsrüge geht fehl, möchten doch die Beschwerdeführer dem Obergericht auch hier eine von Amtes wegen durchzuführende Nachforschungs- und Beweispflicht für Anerkennungsvoraussetzungen auferlegen. Das Obergericht hat ausgeführt, aus den Akten, insbesondere aus dem kalifornischen Gerichtsentscheid, welcher im Übrigen drei Monate vor der Geburt ergangen sei, seien weder eine Prüfung der Eignung der Wunscheltern noch Überlegungen zum Kindeswohl ersichtlich. Dass eine solche Prüfung stattgefunden hätte, haben die Beschwerdeführer entgegen ihrer jetzigen Behauptung im kantonalen Verfahren nie geltend gemacht und sie lassen es auch vorliegend bei einer abstrakten Behauptung ohne jeden näheren Hinweis bewenden. Eine Gehörsverletzung ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern in diesem Zusammenhang eine Verletzung von
Art. 7 KRK
vorliegen soll. Im Übrigen wäre eine allfällig erfolgte Prüfung für das Ergebnis des vorliegenden Entscheides auch nicht ausschlaggebend (vgl. E. 6.6).
3.4
Das Subeventualbegehren, welches eine Rückweisung der Sache zur Vornahme betreffender Abklärungen verlangt, ist nach dem
BGE 141 III 328 S. 334
Gesagten wegen fehlender Relevanz abzuweisen. Soweit entsprechende Abklärungen direkt durch das Bundesgericht verlangt werden, scheitert dies zusätzlich auch am Novenverbot (
Art. 99 Abs. 1 BGG
) und ebenfalls daran, dass das Bundesgericht an den kantonal festgestellten Sachverhalt gebunden ist (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) und grundsätzlich keine eigenen Beweiserhebungen durchführt (Urteile 5A_674/2011 vom 31. Oktober 2011 E. 2.6, nicht publ. in:
BGE 137 III 529
; 2C_347/2012 vom 28. März 2013 E. 3.2, nicht publ. in:
BGE 139 II 185
).
4.
In der Sache machen die Beschwerdeführer in genereller Hinsicht geltend, generalpräventive Überlegungen dürften keine Rolle spielen, es gehe allein um die Kinder und man dürfe diese nicht für etwas bestrafen, was in der Schweiz allenfalls verboten sein möge, denn dies würde gegen
Art. 2 Abs. 2 KRK
verstossen. Mit der Verweigerung der Anerkennung werde eine hinkende Rechtslage erzeugt, indem die Kinder in der Schweiz, anders als in ihrem Heimatland, keine Eltern hätten, obwohl sie doch keine Findelkinder seien. Dies verletze
Art. 13 und 14 BV
, zumal die Grundrechte gemäss
Art. 36 BV
in der gesamten Rechtsordnung zum Ausdruck kommen müssten und gestützt auf
Art. 7 KRK
ein Recht auf Eintragung im Personenstandsregister bestehe. Sowohl sie (die Beschwerdeführer) als auch die Kinder würden durch die staatlichen Organe willkürlich und treuwidrig behandelt, was gegen
Art. 9 BV
verstosse; zudem sei ihre Privatsphäre zu beachten.
In konkreter Hinsicht machen die Beschwerdeführer sodann geltend, aus Sicht der Zivilstandsverordnung sei egal, wer das Kind geboren habe. Zivilstandsrechtlich könnten die amerikanischen Geburtsurkunden deshalb problemlos anerkannt werden, zumal die obergerichtliche Ansicht falsch sei, dass mit den Geburtsdaten auch verurkundet werde, wer das Kind geboren habe. Solches gehe aus der Zivilstandsverordnung nicht hervor und erst die Auslegung von
Art. 252 ZGB
führe zu diesem falschen Schluss. Sodann machen die Beschwerdeführer geltend, dass keine gesetzliche Grundlage bestehe, um ihnen die Elternrechte zu entziehen. In Frage käme einzig eine auf
Art. 311 ZGB
gestützte Kindesschutzmassnahme, was aber voraussetze, dass sie sich nicht ernstlich um die Kinder gekümmert oder ihre Pflichten gröblich verletzt hätten. Davon könne keine Rede sein und es sei deshalb willkürlich, wenn den Kindern eine Vormundin bestellt worden sei.
BGE 141 III 328 S. 335
4.1
Verlangt wird die Anerkennung der kalifornischen Geburtsurkunden für die am 17. Mai 2012 in Kalifornien zur Welt gebrachten Kinder D.A. und E.A. sowie die Eintragung dieser Geburten im schweizerischen Personenstandsregister. Die beiden Geburtsurkunden beruhen auf dem kalifornischen Urteil vom 16. Februar 2012 und setzen die damit gerichtlich getroffenen Anordnungen betreffend die Verurkundung der anstehenden Geburten um.
4.2
Das auf
Art. 39 ZGB
sowie
Art. 6a Abs. 2 und
Art. 7 ZStV
basierende Personenstandsregister dient der Beurkundung der Zivilstandsereignisse und Zivilstandstatsachen sowie der Erfassung der Gemeindebürgerrechte. Die Aufnahme einer Person in das Personenstandsregister erfolgt mit der Beurkundung ihrer Geburt (
Art. 15a Abs. 1 ZStV
).
Die im Ausland erfolgte Geburt einer Person, die das Schweizer Bürgerrecht durch Abstammung erwirbt, wird - unter der Voraussetzung, dass die Person, welche das Schweizer Bürgerrecht vermittelt, im Personenstandsregister geführt wird (vgl. Art. 1 des Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 [BüG; SR 141.0]) - auf Verfügung der kantonalen Aufsichtsbehörde nachbeurkundet (
Art. 45 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB
). Mit der Nachbeurkundung der Geburt wird die betroffene Person in das Personenstandsregister aufgenommen. Dabei wird auch das bei der Geburt durch Gesetz entstandene oder durch Rechtsakt begründete Kindesverhältnis beurkundet (
Art. 8 lit. o Ziff. 1 ZStV
; SIEGENTHALER, Das Personenstandsregister, 2013, Rz. 82), indem die Datensätze der betroffenen Personen im Personenstandsregister miteinander verknüpft werden (
Art. 15 Abs. 4 ZStV
).
Die kantonale Aufsichtsbehörde stützt sich bei ihrem Entscheid auf die ausländische Geburtsurkunde, welche als archivierungspflichtiger Beleg für die Nachbeurkundung beizubringen ist (SIEGENTHALER, a.a.O., Rz. 190). Sie überprüft dabei die ausländische Urkunde in formeller (registertechnischer) sowie materieller Hinsicht auf ihre Eintragbarkeit und trifft über die Eintragung in die Zivilstandsregister eine Verfügung (
Art. 32 Abs. 1 IPRG
). Die Eintragung wird bewilligt, wenn die Voraussetzungen der
Art. 25-27 IPRG
erfüllt sind (
Art. 32 Abs. 2 IPRG
).
4.3
Voraussetzung zur Anerkennung ist, dass die Zuständigkeit der ausländischen Behörden durch eine Bestimmung des IPRG begründet ist (
Art. 25 lit. a,
Art. 26 lit. a IPRG
). Die Geburtsurkunden basieren auf dem Urteil des Superior Court of the State of California,
BGE 141 III 328 S. 336
V., mit welchem dieser am 16. Februar 2012 in einem vor Geburt der Kinder eingeleiteten Verfahren über die Elternschaft entschieden hat. Ausländische Entscheidungen betreffend die Feststellung des Kindesverhältnisses werden gemäss
Art. 70 IPRG
in der Schweiz anerkannt. Diese Regel über die indirekte Zuständigkeit erfasst alle - auch dem inländischen Recht nicht bekannte - Entscheidungen, die im Ausland über die Feststellung eines Kindesverhältnisses ergehen können (SIEHR, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 13 zu
Art. 70 IPRG
; KREN KOSTKIEWICZ, Grundriss des schweizerischen Internationalen Privatrechts, 2012, Rz. 1261 ff.). Darunter fällt auch ein im Zeitpunkt der Geburt entstehender Status im Zusammenhang mit Leihmutterschaft (vgl. SIEHR, a.a.O., N. 1, 8 und 10 zu
Art. 66 IPRG
).
Ausländische Entscheidungen betreffend die Feststellung des Kindesverhältnisses werden gemäss
Art. 70 IPRG
anerkannt, wenn sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes, in dessen Heimatstaat oder im Wohnsitz- oder im Heimatstaat der Mutter oder des Vaters ergangen sind. Die USA sind weder Wohnsitz- noch Heimatstaat der Beschwerdeführer. Hingegen bezieht sich das Urteil vom 16. Februar 2012 auf die Feststellung der Elternschaft für die Zwillinge D.A. und E.A. mit Geburtsort in den USA. Der im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils bereits anstehende Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit
ex lege
(vgl. 8 U.S. Code § 1401 lit. a) erlaubt, die indirekte Zuständigkeit an den Heimatstaat von D.A. und E.A. zu knüpfen (analog
BGE 116 II 202
E. 2e S. 206 betreffend unmittelbar beabsichtigter Wohnsitznahme). Die Zuständigkeit der kalifornischen Gerichte und Behörden war somit grundsätzlich gegeben. Ferner sind das kalifornische Urteil sowie die dort ausgestellten Geburtsurkunden unstrittig endgültig (Art. 25 lit. b IRPG).
4.4
Ausgehend von seinen Sachverhaltsfeststellungen, wonach für die beiden Kinder authentische Geburtsurkunden vorgelegt wurden, in welchen die Beschwerdeführer als Eltern bezeichnet sind, die Kinder indes von einer Leihmutter (biologische Mutter) zur Welt gebracht wurden und die Eizelle wie auch der Samen von nicht näher bekannten Dritten (genetische Eltern) stammen, so dass die Beschwerdeführer weder biologische noch genetische, sondern sog. "soziale Eltern" bzw. "Wunscheltern" sind, ist das Obergericht in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, die entscheidende Frage sei, ob die Anerkennung der kalifornischen Geburtsurkunden und die Eintragung im schweizerischen Personenstandsregister gegen den
BGE 141 III 328 S. 337
materiellen Ordre public verstossen (
Art. 27 Abs. 1 IPRG
) und deshalb zu verweigern seien (
Art. 32 Abs. 2 IPRG
).
An der Sache vorbei geht dabei die Behauptung der Beschwerdeführer, aus Sicht der Zivilstandsverordnung sei egal, wer das Kind geboren habe. Die Zivilstandsverordnung betrifft die Beurkundung des Personenstandes, d.h. u.a. die familienrechtliche Stellung einer Person (
Art. 39 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB
). Nach der Konzeption des ZGB entsteht das Kindesverhältnis zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt (
Art. 252 Abs. 1 ZGB
). Indem das ZGB die gebärende Frau zur rechtlichen Mutter erklärt, stellt es für die Entstehung des Kindesverhältnisses auf den biologischen Vorgang des Gebärens ab. Gleichzeitig wird damit der Grundsatz
mater semper certa est
befolgt (vgl. SCHWENZER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 9 zu
Art. 252 ZGB
; COTTIER, Elternschaft im Zeitalter der globalisierten Biotechnologie: Leihmutterschaft, Eizell- und Embryonenspende im Rechtsvergleich, in: Siebte Schweizer Familienrecht§Tage, 2014, S. 28; GUILLOD/HELLE, Les voyages forment la jeunesse ou Tourisme et procréation médicalement assistée, in: Mélanges en l'honneur de François Knoepfler, 2005, S. 440). Der zivilrechtliche Grundsatz, wonach der Vorgang des Gebärens für die Entstehung des Kindsverhältnisses zur Mutter massgeblich ist, wird auch bei der Regelung der Fortpflanzungsmedizin durchwegs beachtet, wobei es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt.
Darauf wird noch im Einzelnen zurückzukommen sein (vgl. E. 5.2). Vorliegend ist relevant, dass aufgrund des Gesagten zu klären ist, was das relevante Schutzobjekt des schweizerischen Ordre public ist (dazu E. 5), und ob der Einsatz des Ordre public im konkreten Fall gerechtfertigt (dazu E. 6) sowie völkerrechtskonform ist (dazu E. 7).
5.
Gemäss
Art. 27 Abs. 1 IPRG
wird eine im Ausland ergangene Entscheidung in der Schweiz nicht anerkannt, wenn die Anerkennung mit dem schweizerischen Ordre public offensichtlich unvereinbar wäre.
5.1
Nicht jeder Verstoss gegen das Rechtsempfinden, die Wertvorstellungen oder zwingendes Recht rechtfertigt den Eingriff mit dem Ordre public. Für die Verletzung ist vielmehr erforderlich, dass die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Entscheides bzw. die Anerkennung und Eintragung der ausländischen Geburtsurkunde in der Schweiz mit den hiesigen rechtlichen und ethischen
BGE 141 III 328 S. 338
Werturteilen schlechthin unvereinbar wäre. Ob der Ordre public verletzt ist, beurteilt sich nicht abstrakt. Entscheidend sind die Auswirkungen der Anerkennung im Einzelfall. Die Anwendung des Ordre public-Vorbehalts ist im Rahmen der Anerkennung nach dem Wortlaut des Gesetzes ("offensichtlich") restriktiv anzuwenden, denn mit der Weigerung der Anerkennung werden hinkende Rechtsverhältnisse geschaffen (
BGE 103 Ib 69
E. 3b S. 73;
BGE 126 III 101
E. 3b S. 107,
BGE 126 III 327
E. 2b S. 330;
BGE 131 III 182
E. 4.1 S. 185; SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2000, Rz. 484, 712; KNOEPFLER/SCHWEIZER/OTHENIN-GIRARD, Droit international privé suisse, 3. Aufl. 2005, Rz. 353; BUCHER/BONOMI, Droit international privé, 3. Aufl. 2013, Rz. 275 f.). In diesem Sinn wird zur Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse das Eingreifen des Ordre public-Vorbehaltes umso mehr eine Ausnahme bleiben, je loser die Beziehungen zur Schweiz sind und je länger der Zeitraum zwischen der Ausfertigung der Urkunde oder dem Entscheid und der Prüfung ist (OTHENIN-GIRARD, L'inscription des décisions et des actes étrangers à l'état civil [art. 32 LDIP et 137 OEC], ZZW 1998 S. 167 f.; vgl.
BGE 126 III 101
E. 3b S. 107 f.).
5.2
Das kalifornische Urteil und die darauf beruhenden Geburtsurkunden weichen von der schweizerischen Rechtsordnung ab. Wie gesagt entsteht das Kindesverhältnis zwischen dem Kind und der Mutter nach der Konzeption des ZGB mit der Geburt. Die Statusbeziehung besteht einzig zur austragenden Mutter (
Art. 252 Abs. 1 ZGB
) und diese kann nicht pränatal auf ihre Rechte mit Bezug auf das Kind verzichten (vgl.
Art. 265b Abs. 1 ZGB
); sie könnte es selbst dann nicht, wenn sie als Leihmutter eine nicht mit ihr genetisch verwandte Frucht austrägt. Diese Grundsätze kommen in der Schweiz auch im Bereich der Fortpflanzungsmedizin zur Geltung. Bereits auf Verfassungsstufe sind das Verbot der Embryonenspende und das Verbot aller Arten von Leihmutterschaft verankert (
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
). Im Fortpflanzungsmedizingesetz vom 18. Dezember 1998 (FMedG; SR 810.11) werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben konkretisiert. Während bei Ehepaaren die Samenspende erlaubt ist (
Art. 3 Abs. 3 FMedG
), sind die Ei- und Embryonenspende sowie die Leihmutterschaft unzulässig (
Art. 4 FMedG
). Darunter versteht das Gesetz, dass eine Frau, die dazu bereit ist, durch ein Fortpflanzungsverfahren ein Kind empfängt, es austrägt und nach der Geburt Dritten auf Dauer überlässt (
Art. 2 lit. k FMedG
). Der zivilrechtliche Grundsatz, wonach der Vorgang des Gebärens für die Entstehung des
BGE 141 III 328 S. 339
Kindsverhältnisses zur Mutter massgeblich ist, soll kraft der verschiedenen Verbote auch bei der Regelung der Fortpflanzungsmedizin Nachachtung erhalten. Dabei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers; der Bundesrat führte in der Botschaft zum FMedG aus, die medizinisch unterstützte Fortpflanzung dürfe nicht zu Familienverhältnissen führen, die von dem abweichen, was auf natürlichem Weg möglich sei, weshalb die gebärende Frau rechtlich als Mutter angesehen werden müsse, während die Spaltung der Vaterschaft durchaus auch bei natürlicher Zeugung insofern vorkommen könne, als der Ehemann der gebärenden Frau, welcher rechtlich als Vater des Kindes gelte, nicht zwingend der genetische Vater sein müsse (vgl. BBl 1996 III 254 f. Ziff. 322.12).
Das Verbot der Leihmutterschaft wurde in der Botschaft mit dem Schutz der Frau vor Instrumentalisierung und mit dem Schutz des Kindeswohls begründet (vgl. Botschaft, BBl 1996 III 254). Die biologische Mutter dürfe nicht dem Konflikt zwischen der psychischen Bindung an ihr Kind und der Zusage gegenüber den Wunscheltern ausgesetzt werden und das Kind sei davor zu schützen, dass es zur Ware degradiert werde, die man bei Dritten bestellen könne (Botschaft, BBl 1996 III 279 Ziff. 324.203).
5.3
In Bezug auf das Verbot der Eizellenspende wurde mit einer Parlamentarischen Initiative (12.487 Neirynck) die Revision des FMedG verlangt, um die Eizellenspende zuzulassen; der Initiative wurde Folge gegeben. Hingegen steht eine Änderung oder Lockerung des Verbotes der Leihmutterschaft nicht zur Diskussion. Der Bundesrat hat am 5. November 2014 in Beantwortung einer entsprechenden Interpellation (14.3742 J. Fehr) abgelehnt, die Möglichkeit der Lockerung des Leihmutterschaftsverbotes zu prüfen, und dieses Geschäft ist im Parlament erledigt.
Daraus ist abzuleiten, dass das auf Verfassungsstufe verankerte Verbot der Leihmutterschaft auch heute als Grundüberzeugung der hiesigen Rechtsanschauung zu gelten hat. Das Verbot der Leihmutterschaft in
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
und
Art. 4 FMedG
bezieht sich indes auf Vorgänge in der Schweiz, weshalb es für sich genommen noch keinen zwingenden Hinderungsgrund bildet, ein im Ausland gesetzeskonform begründetes Kindesverhältnis anzuerkennen. Die Umstände im Einzelfall können jedoch für eine Verletzung des Ordre public und damit gegen eine Anerkennung eines solchen Kindesverhältnisses sprechen (vgl. Bericht zur Leihmutterschaft, Bericht
BGE 141 III 328 S. 340
des Bundesrates vom 29. November 2013 in Beantwortung des Postulates 12.3917, Ziff. 3.5 S. 39).
5.4
Falls im Ausland die Elternschaft der Wunscheltern anerkannt ist und die Leihmutter sowie die genetischen Eltern dort auf alle Rechte verzichtet und keine Pflichten gegenüber dem Kind haben, kann die Nichtanerkennung in der Schweiz zur Elternlosigkeit eines Kindes führen, wenn die Adoption im Inland scheitert oder nicht möglich ist (RUMO-JUNGO, Kindesverhältnisse im Zeitalter vielfältiger Familienformen und medizinisch unterstützter Fortpflanzung, FamPra.ch 2014 S. 849). Nach der Lehre kann diese Situation Grundrechte des Kindes verletzen, welche - als grundlegende Werturteile des inländischen Rechts - zum Schutzobjekt des schweizerischen Ordre public gehören. Mit
Art. 11 BV
geniesst das Kindeswohl Verfassungsrang, und es gilt in der Schweiz als oberste Maxime des Kindesrechts in einem umfassenden Sinne (
BGE 132 III 359
E. 4.2.2 S. 373;
BGE 129 III 250
E. 3.4.2 S. 255); damit werden die mit der KRK garantierten Rechte verankert (
BGE 126 II 377
E. 5d S. 391).
5.5
In der Lehre ist die Auffassung verbreitet, dass im Ausland geschaffene kindesrechtliche Statusverhältnisse in der Schweiz unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt werden können (u.a. GUILLOD/HELLE, a.a.O., S. 446 f.; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 849 ff.; BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 6b vor
Art. 264-269c ZGB
; BÜCHLER, FamPra.ch 2014 S. 1069 ff.; HOTZ, Zwischen Informed Consent und Verbot: Wertungswidersprüche in der Reproduktionsmedizin, recht 2014 S. 31; vgl. bereits VISCHER, in: Status und Wirkung aus der Sicht des schweizerischen IPR, 1986, S. 678/679). Ähnliches wird in Ländern mit vergleichbarer Gesetzeslage wie Deutschland und Österreich vertreten, jedenfalls soweit es sich um genetische Eltern handelt (z.B. CLAUDIA MAYER, Sachwidrige Differenzierungen in internationalen Leihmutterschaftsfällen, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts [IPRax] 2014 S. 59; BRIGITTA LURGER, Das österreichische IPR bei Leihmutterschaft im Ausland, IPRax 2013 S. 287). Kritisch äussert sich hingegen HAUSHEER (Normen mit Verfassungsrang als prägende Gestaltungsfaktoren des Familienlebens bzw. des Familienrechts, ZBJV 151/2015 S. 335 ff. sowie Fn. 30). Teilweise wird die Anerkennung auch abgelehnt (SIEGENTHALER, a.a.O., Rz. 386; für Frankreich: FABRE-MAGNAN, Les trois niveaux d'appreciation de l'intérêt de l'enfant, A propos de la gestation pour autrui, in: Recueil Dalloz 191/2015 S. 224 ff.).
BGE 141 III 328 S. 341
5.6
Das Bundesgericht hat mit
BGE 141 III 312
erstmals Stellung zur Frage der Anerkennung eines ausländischen Leihmutterschaftsurteils genommen. Es ist zum Ergebnis gelangt, dass ein kalifornisches Vaterschaftsurteil, welches das mittels Leihmutterschaft begründete Kindesverhältnis zu eingetragenen Partnern feststellt, nur mit Bezug auf den genetisch verwandten Elternteil anerkannt werden kann.
In diesem Urteil findet sich in E. 4.4 eine Darstellung, wie die obersten Gerichte in weiteren Ländern, die ein Leihmutterschaftsverbot kennen, mit der vorliegend erörterten Problematik umgehen. Darauf kann verwiesen werden, unter ergänzendem Hinweis auf die zwischenzeitlich ergangenen weiteren Urteile des französischen Kassationshofes, mit welchem dieser die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) berücksichtigt hat (Cour de cassation, Urteile Nr. 619 und 620 vom 3. Juli 2015 [14-21.323, 15-50.002]). Auf die Rechtsprechung des EGMR wird in E. 7.1 und 7.2 zurückzukommen sein.
6.
Zu untersuchen ist, ob die vorliegend anbegehrte Transkribierung der durch Leihmutterschaft in den USA zu den Beschwerdeführern entstandenen Kindesverhältnisse in das schweizerische Personenstandsregister zu einem Ergebnis führt, welches den Einsatz des Ordre public-Vorbehaltes rechtfertigt.
6.1
Mit dem kalifornischen Urteil vom 16. Februar 2012 wurde angeordnet, dass die Beschwerdeführer "legal and natural father" sowie "legal and natural mother" der Kinder sind, welche zwischen dem 12. September 2011 und dem 12. Juni 2012 von G.G. - d.h. von der Leihmutter - zur Welt gebracht werden. Entsprechend dieser gerichtlichen Anordnung wurden die Geburtsurkunden (Certificate of live birth) für die am 17. Mai 2012 von G.G. zur Welt gebrachten Zwillinge ausgefüllt. Ferner geht aus dem Urteil vom 16. Februar 2012 hervor, dass die Embryonen aus Spermien und Eizellen von anonymen Spendern geschaffen wurden.
Mithin steht fest, dass die Beschwerdeführer nicht die genetischen Eltern sind und die Beschwerdeführerin auch nicht die biologische (gebärende) Mutter der Zwillinge war. Die Beschwerdeführer sind aber im Geburtsstaat die rechtlichen Eltern, und zwar originär qua Geburt, wie dies in Kalifornien aufgrund gefestigter Rechtsprechung Praxis ist (vgl. COTTIER, a.a.O., S. 32). Ferner wurde ihnen im Urteil vom 16. Februar 2012 auch die finanzielle Verantwortung und die Obhut für D.A. und E.A. zugewiesen.
BGE 141 III 328 S. 342
6.2
Ob die Transkribierung der mit dem kalifornischen Urteil geschaffenen und durch die darauf beruhenden Geburtsurkunden ausgewiesenen Kindesverhältnisse in das schweizerische Personenstandsregister möglich ist oder ob sie am Ordre public scheitert, lässt sich nicht abstrakt sagen. Zwar darf das Verbot der Leihmutterschaft, welches auf Verfassungsstufe verankert und auch heute nicht umstritten ist (vgl. E. 5.2 und 5.3), als schweizerische Grundüberzeugung gelten. Indes bezieht sich das in
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
und
Art. 4 FMedG
verankerte Verbot nach dem in E. 5.3 Gesagten auf Vorgänge in der Schweiz und kann deshalb für sich genommen noch keinen zwingenden Hinderungsgrund dafür bilden, ein im Ausland durch Leihmutterschaft gesetzeskonform begründetes Kindesverhältnis anzuerkennen. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles massgeblich. Namentlich sind bei der Transkription ausländischer Personenstandsakte die Intensität des Binnenbezuges und der Zeitablauf mitzuberücksichtigen (vgl. in E. 5.1 zitierte Autoren). Ein äusserlich identisches Rechtsverhältnis (hier: Kindesverhältnis mit Eltern, zu denen weder ein genetischer noch ein biologischer Bezug besteht), kann und muss je nach den konkreten Umständen, welche zu diesem Ergebnis geführt haben, unter dem Aspekt des Ordre public eine unterschiedliche Würdigung erfahren. Auf die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist im Folgenden näher einzugehen.
6.3
Es besteht kein Zweifel und wird nicht in Frage gestellt, dass die Beschwerdeführer durch den Abschluss eines Leihmutterschaftsvertrages in Kalifornien ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer ausländischen Rechtsordnung erfüllen wollten, welche kein Leihmutterschaftsverbot kennt. Sie haben nie einen Bezug zu den USA vorgebracht und es ist aktenkundig, dass der Beschwerdeführer erst am Vortag der Geburt in die USA eingereist ist, während sich im Reisepass der Mutter kein Einreisestempel vorfindet, sie mithin nicht in die USA gereist sein kann (vgl. Sachverhalt lit. B hiervor). Sodann steht ausser Frage, dass der in Kalifornien abgeschlossene Leihmutterschaftsvertrag, das Urteil des Superior Court of California und die beiden Geburtsurkunden insgesamt eine Praktik zum Gegenstand haben, die in der Schweiz verboten ist (dazu im Einzelnen E. 5.2). Sodann wären bei einem gegen das Verbot verstossenden Leihmutterschaftsverhältnis in der Schweiz keine originär durch Geburt begründeten Kindesverhältnisse zu Wunscheltern möglich. Vielmehr würde das rechtliche Kindesverhältnis zwingend zur gebärenden
BGE 141 III 328 S. 343
Leihmutter entstehen (
Art. 252 Abs. 1 ZGB
; SCHWENZER, a.a.O., N. 9 zu
Art. 252 ZGB
; BÜCHLER, AJP 2004 S. 1178), und soweit diese verheiratet ist, würde ihr Ehemann als rechtlicher Vater gelten (Art. 252 Abs. 2 i.V.m.
Art. 255 Abs. 1 ZGB
).
6.4
Im Bereich des internationalen Privatrechts besteht gesetzlich viel Gestaltungsfreiheit (wie durch Wahl von Forum und Recht) und längst nicht alle rechtsgestaltenden Handlungen sind rechtlich relevante "Gesetzesumgehungen" (vgl. KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., Rz. 976 ff., 983 ff.). Vorliegend ist die Rechtsumgehung jedoch offensichtlich: Die Beschwerdeführer sind schweizerische bzw. deutsche Staatsangehörige, sie hatten und haben ununterbrochen Wohnsitz in der Schweiz und auch ihre Ehe weist keinen Berührungspunkt mit den USA auf. Der primäre Bezug zu den USA ist das Faktum der Rechtsumgehung, welche schliesslich auch den dortigen Geburtsort der Kinder determiniert hat. Das Vorgehen der Beschwerdeführer ist dadurch geprägt, dass es in der Vermeidung eines in der Schweiz als fundamental angesehenen Verbotes besteht und sich auch darin erschöpft. Es stellt deshalb eine rechtlich relevante Gesetzesumgehung dar; die Rechtsordnung soll offensichtlich um die von ihr beabsichtigte Wirkung ihrer Vorschriften gebracht werden (vgl. SCHNITZER, Handbuch des internationalen Privatrechts, Bd. I, 1957, S. 250), wobei diese Vorschriften vor der Verletzung der Moral, das öffentliche Interesse und die Menschenwürde schützen sollen (vgl. PERRIN, La fraude à la loi et ordre public en droit privé, in: Mélanges Pierre Engel, 1989, S. 260 f., 265). Indem die Beschwerdeführer die biologischen Vorgänge in einen Rechtsraum verlegt haben, welcher die von ihnen gewünschten rechtlichen Wirkungen zulässt, ohne selbst Bezugspunkte zum betreffenden Territorium zu haben (der Beschwerdeführer reiste einen Tag vor der Geburt in die USA ein, die Beschwerdeführerin setzte nie einen Fuss in die USA), sie aber letztlich nur oder jedenfalls insbesondere rechtliche Wirkungen in der Schweiz beabsichtigen, ist der Binnenbezug prädominant. Zwar besteht aufgrund der dort erfolgten Geburten der Kinder ein Bezugspunkt zu den USA, aber dieser (einzige) Berührungspunkt ist wie gesagt gerade inhärenter Teil der Rechtsumgehung. Überdies hatten die Beschwerdeführer in den USA kein gelebtes Verhältnis zu den Kindern; der Wunschvater reiste mit ihnen nach Erledigung der Formalitäten in die Schweiz und die Beschwerdeführer beantragten umgehend die Transkribierung ins schweizerische Personenstandsregister. Es besteht mithin auch eine
BGE 141 III 328 S. 344
unmittelbare zeitliche Nähe zwischen den Geburten und dem Begehren um Transkribierung der Kindesverhältnisse in das schweizerische Personenstandsregister.
6.5
Bei dieser Ausgangslage verstösst die Transkribierung der zum Zweck der Umgehung des schweizerischen Leihmutterschaftsverbotes in den USA qua Geburt begründeten Kindesverhältnisse in das schweizerische Personenstandsregister gegen den Ordre public.
6.6
Selbst wenn man die Ordre public-Widrigkeit zufolge Rechtsumgehung des Leihmutterschaftsverbotes verneinen würde, änderte dies nichts am vorstehenden Ergebnis, dass eine Anerkennung der Kindesverhältnisse in der vorliegenden Konstellation mit dem Ordre public nicht vereinbar ist:
Bei der Begründung eines Kindesverhältnisses zu Wunscheltern, welche weder einen genetischen noch einen biologischen Bezug zum Kind haben, besteht eine funktionale Nähe zum Adoptionsrecht. Zwar ist die vorliegend praktizierte Rechtsumgehung viel umfassender, weil sie auch die Entstehung des Kindes betrifft. In der Auswirkung wurde aber, wie dies bei der Adoption regelmässig der Fall ist, ein Kindesverhältnis zu nicht genetisch verwandten Kindern hergestellt.
Sowohl das nationale Adoptionsrecht als für internationale Belange auch das Haager Adoptionsübereinkommen vom 29. Mai 1993 (HAÜ; SR 0.211.221.311) sowie das Bundesgesetz vom 1. Januar 2013 zum Haager Adoptionsübereinkommen und über Massnahmen zum Schutz des Kindes bei internationalen Adoptionen (BG-HAÜ; SR 211.221. 31) stellen eine Reihe von Schutznormen zugunsten des Kindes auf (vgl.
Art. 264 ZGB
;
Art. 5 AdoV
[SR 211.221.36]; Art. 4, 5, 15, 16 und 17 HAÜ;
Art. 9 BG-HAÜ
). Wesentlicher gemeinsamer Nenner dieser Schutzbestimmungen ist, dass eine Adoption nicht ohne vorgängige Prüfung der Eignung der Adoptiveltern und des Kindeswohls stattfinden darf.
Dieses Erfordernis ist zentral und eine auf
Art. 78 Abs. 1 IPRG
gestützte Anerkennung einer im Ausland erfolgten Adoption - für welche es im Übrigen eines dortigen Wohnsitzes der adoptierenden Personen bedarf - ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Ordre public-widrig, wenn der Heimatstaat die massgeblichen Verhältnisse und die Eignung der Adoptiveltern nicht abgeklärt (Urteil 5A.10/1992 vom 20. Januar 1993 E. 5b) oder soweit sich die begründende Behörde bei einer Adoption nicht ausschliesslich am
BGE 141 III 328 S. 345
Kindeswohl orientiert hat (Urteile 5A_604/2009 vom 9. November 2009 E. 2.2.2.2; 5A_15/2011 vom 20. Juni 2011 E. 4), sondern adoptionsfremde Motive wie sozial- oder aufenthaltsrechtliche Vorteile im Vordergrund standen (Urteil 5A.20/2005 vom 21. Dezember 2005 E. 3.3). Analoge Schutzgedanken zugunsten des Kindes finden sich im Übrigen auch in der schweizerischen Gesetzgebung über die Fortpflanzungsmedizin (vgl. namentlich
Art. 3 und 6 FMedG
).
Das kalifornische Urteil stellt kein Adoptionsurteil dar und in den Geburtsurkunden wird kein Adoptivvorgang festgehalten, weshalb sich die Anerkennung vorliegend auf
Art. 32 und 70 IPRG
, nicht auf
Art. 78 IPRG
stützt. Im Zusammenhang mit der Frage der Ordre public-Widrigkeit wäre aber im vorliegenden Fall
wertungsmässig
der Gedanke zu übertragen, dass dem Ergebnis der kalifornischen Statusakte bei Wunscheltern ohne jeglichen genetischen oder biologischen Bezug zum Kind eine funktionale Nähe zur Adoption innewohnt und in jenem Rechtsbereich die Anerkennung Ordre public-widrig ist, wenn keine Abklärung der Verhältnisse und keine Eignungsprüfung stattgefunden hat.
6.7
An der Ordre public-Widrigkeit zufolge Rechtsumgehung vermag schliesslich nichts zu ändern, dass sich die Beschwerdeführer auf die Interessen der Zwillinge berufen. Diesbezüglich ist zunächst zu bemerken, dass die Kinder selbst nicht als Beschwerdeführer auftreten und die Eltern auch nicht deren gesetzliche Vertreter sein können, solange die Kindesverhältnisse in der Schweiz nicht anerkannt sind. Dennoch kann die Optik des Kindes nicht gänzlich ausgeblendet werden, wenn die Transkribierung der Kindesverhältnisse Streitgegenstand ist und es um die Frage geht, ob der anbegehrten registerrechtlichen Operation der Ordre public entgegensteht.
Die Anerkennung der in Kalifornien begründeten Kindesverhältnisse kann vorliegend insofern im Interesse der beiden Zwillinge sein, als alle anderen beteiligten Personen in Kalifornien unwiderruflich auf jegliche Elternrechte verzichtet haben und deshalb die Kinder in der Schweiz rechtlich bis auf weiteres elternlos sind und vorerst auch nicht das Schweizer Bürgerrecht erlangen. Es ist aber ebenso gut denkbar, dass sich Leihmutterschaftskinder später als Objekt des - durch das Recht verbotenen - Vorgehens sehen. In diesem Fall würde ihnen die Gültigerklärung der Verbotsüberschreitung jedes Recht absprechen, sich als Opfer zu fühlen (FABRE-MAGNAN, a.a.O., S. 226).
Sodann ist auf die bereits angesprochene funktionale Nähe zur Adoption bei der Begründung von Kindesverhältnissen zu
BGE 141 III 328 S. 346
Wunscheltern ohne genetische oder biologische Bezüge zum Kind zu verweisen. Wenn die Beschwerdeführer und verschiedene Stimmen in der Lehre fordern (z.B. GUILLOD/HELLE, a.a.O., S. 445; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 849 f.; BÜCHLER/MARANTA, Leihmutterschaft im internationalen Verhältnis, Fam.Pra.ch 2015 S. 367; BÜCHLER/BERTSCHI, Gewünschtes Kind, geliehene Mutter, zurückgewiesene Eltern?, FamPra.ch 2013 S. 48 f. und 52), das Kind dürfe nicht für das Vorgehen der Wunscheltern bestraft werden und das Kindeswohl erheische unabhängig von Ordre public-Erwägungen die Anerkennung des Kindesverhältnisses, so wird gewissermassen die Fiktion aufgestellt, dass mit der automatischen Anerkennung dem Kindeswohl stets am besten gedient sei. Wie bei der Adoption besteht aber auch im Zusammenhang mit der Leihmutterschaft die Gefahr, dass wegen hohen Alters oder aus anderen Gründen ungeeignete Wunscheltern mithilfe einer ausländischen Rechtsordnung zu einem Kind gelangen, zu welchem sie keinen Bezug haben. Dies ist offensichtlich nicht im Kindeswohl, und es lässt sich, wie das Obergericht zutreffend bemerkt hat, insbesondere nicht in abstrakter Weise mit dem Kindeswohl argumentieren, wenn dieses noch gar nie geprüft worden ist. Nicht zu Gebote stehen kann schliesslich das Nachholen einer solchen Prüfung durch die Zivilstandsbehörden. Es würde den Rahmen des registerrechtlichen Verfahrens sprengen, wenn diese in jedem Einzelfall die konkreten Verhältnisse prüfen und eine Eignungsprüfung mit den Wunscheltern durchführen müssten. Die registerrechtliche Prüfung hat einen anderen Gegenstand und die angesprochenen Abklärungen gehören in das noch einzuleitende schweizerische Adoptionsverfahren.
Aufgrund des Gesagten hat der angefochtene Entscheid entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer nicht bloss eine Generalprävention, sondern insbesondere auch eine Spezialprävention im Auge. Soweit die Beschwerdeführer diesbezüglich anführen, sie würden inzwischen seit mehreren Jahren vorbildlich für die Kinder sorgen, so machen sie - abgesehen davon, dass es um ein registerrechtliches Verfahren geht - einen erst während des Rechtsmittelverfahrens eingetretenen Sachverhalt geltend und nimmt das Bundesgericht keine eigene Sachverhaltsermittlung vor (vgl. dazu E. 3.4).
Damit ist keine Stellungnahme oder Wertung verbunden, ob sich die Beschwerdeführer des vorliegenden Einzelfalles gut um ihre Wunschkinder kümmern; dies wird wie gesagt das Thema eines Adoptionsverfahrens sein. Kernaussage mit Blick auf die schweizweit
BGE 141 III 328 S. 347
einheitliche Handhabung im Zusammenhang mit der Anerkennung von Kindesverhältnissen in ähnlich gelagerten Konstellationen ist vielmehr, dass eine Gefährdung des Kindeswohles drohen kann, wenn ein mit Hilfe einer ausländischen Rechtsordnung ohne Abklärung der Verhältnisse und Eignungsprüfung hergestelltes Kindesverhältnis, welches nicht auf einem genetischen oder biologischen Bezug basiert, in der Schweiz automatisch anzuerkennen wäre. Zwar stünden bei akuter Gefährdung des Kindeswohls Kindesschutzmassnahmen zur Verfügung. Indes müssen Missstände auch tatsächlich wahrgenommen werden, damit behördliches Einschreiten erfolgen kann. Sodann werden Kindesschutzmassnahmen kaum zu Gebote stehen, wenn das Kindesverhältnis zwar offensichtlich nicht im Interesse des Kindes liegt, aber keine akute Gefährdung gegeben ist, wie dies etwa der Fall wäre, wenn sich betagte Wunscheltern mit Hilfe einer ausländischen Rechtsordnung ein Kind verschaffen.
Zu diesen spezialpräventiven Überlegungen gesellen sich wie gesagt auch generalpräventive. Der Schutz des Kindes davor, zur Ware degradiert zu werden, die man bei Dritten bestellen kann, aber auch der Schutz der Leihmutter vor der Kommerzialisierung ihres Körpers wären bedeutungslos, wenn die Rechtsumgehung der Wunscheltern nachträglich gültig erklärt würde. Die Verneinung der Ordre public-Widrigkeit in einer Situation wie der vorliegenden würde die rechtsanwendenden Behörden zwingen, das durch Rechtsumgehung erreichte Kindesverhältnis zum nicht genetisch verwandten Kind als
fait accompli
zu akzeptieren, womit der Fortpflanzungstourismus gefördert würde und das inländische Leihmutterschaftsverbot weitgehend wirkungslos wäre (vgl. FABRE-MAGNAN, a.a.O., S. 226).
7.
Zu prüfen ist abschliessend, ob und inwieweit aus der Bundesverfassung, der EMRK und der KRK fliessende Rechtspositionen den aus der Rechtsumgehung abgeleiteten Ordre public-Verstoss zurückzudrängen vermögen bzw. die Anerkennung der Kindesverhältnisse gebieten.
7.1
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in den am 26. Juni 2014 gefällten Urteilen Nr. 65192/11
Mennesson gegen Frankreich
und Nr. 65941/11
Labassée gegen Frankreich
zur Anerkennung von im Ausland durch Leihmutterschaft hergestellten Kindesverhältnissen Stellung genommen. In beiden Fällen ging es um Kinder, welche in den USA von einer Leihmutter zur Welt gebracht wurden und bei denen in Frankreich die Anerkennung des im
BGE 141 III 328 S. 348
Ausland begründeten Kindesverhältnisses, aber auch die Anerkennung der Vaterschaft oder die Herstellung eines Kindesverhältnisses auf dem Wege der Adoption verweigert wurde, obwohl jeweils der Ehemann des französischen Wunschelternpaares der genetische Vater war. Die Kinder waren in beiden Fällen zwischenzeitlich rund 13- bzw. 14-jährig, so dass längst eine feste sozialpsychische Beziehung, aber nach wie vor kein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis bestand, weil Frankreich auch die Anerkennung durch den Vater sowie die Adoption nicht zuliess.
Der EGMR entschied, dass die aus
Art. 8 EMRK
fliessenden Rechte der Eltern nicht verletzt seien, weil sie ja faktisch ein Familienleben mit den bei ihnen lebenden Kindern hätten (Urteile
Mennesson
, §§ 87 ff. bzw.
Labassée
, §§ 66 ff.). Indes ging der Gerichtshof von einer Verletzung der Rechte der Kinder aus, welche ebenfalls als Beschwerdeführer auftraten. Es wurde als unhaltbar erachtet, dass diese kein rechtliches Kindesverhältnis zum genetischen Vater herstellen konnten (Urteile
Mennesson
, § 100 bzw.
Labassée
, § 79). Sie würden sich in Bezug auf den Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft in Unsicherheit befinden, obwohl ihr genetischer Vater französischer Staatsbürger sei, weil sie nach französischem Recht kein Kindesverhältnis und mithin auch keine gesetzliche Erbberechtigung im Verhältnis zu ihrem genetischen Vater haben könnten; diese tatsächliche Situation sei insofern mit dem Kindeswohl unvereinbar, als der Vater der genetische Erzeuger sei und weder eine Vaterschaftsanerkennung noch eine Adoption möglich sei (Urteile
Mennesson
, §§ 96 ff. bzw.
Labassée
, §§ 75 ff.).
Für den EGMR war somit entscheidend, dass aus der Perspektive der Kinder - welche im vorliegenden Verfahren nicht Beschwerdeführer sind (vgl. dazu E. 6.7) - eine Verletzung von
Art. 8 EMRK
gegeben ist, wenn sie trotz langjährig gelebtem Verhältnis zum genetisch verwandten Elternteil (in beiden Fällen der Vater) kein rechtliches Kindesverhältnis herstellen können, weder durch Anerkennung des im Ausland begründeten Rechtsverhältnisses noch durch Adoption oder Anerkennung der Vaterschaft im Anerkennungsstaat. Hingegen hat der EGMR in Bezug auf den nicht genetisch verwandten Elternteil, welcher in jenen Verfahren ebenfalls Verfahrenspartei war (in beiden Fällen die Wunschmutter), auch aus der Perspektive des Kindes keine Verletzung von
Art. 8 EMRK
gesehen, wenn der Anerkennungsstaat ein rechtliches Kindesverhältnis nicht zulässt.
BGE 141 III 328 S. 349
7.2
Sodann hat der EGMR mit Urteil Nr. 25358/12
Paradiso und Campanelli gegen Italien
vom 27. Januar 2015 im Zusammenhang mit vermeintlichen Eltern, die aber zufolge eines Fehlers in der Klinik keinen genetischen Bezug zum Kind hatten, festgehalten, dass die mit dem Ordre public begründete Verweigerung der Anerkennung des durch Leihmutterschaft hergestellten Kindesverhältnisses keine
décision déraisonnable
sei (Urteil
Paradiso
, § 77). Einzig in der sofortigen Wegnahme und Fremdplatzierung des Kindes hat der Gerichtshof eine Verletzung des Familienlebens erblickt (Urteil
Paradiso
, §§ 80 ff.), ohne jedoch eine Pflicht zur Rückgabe des Kindes auszusprechen (Urteil
Paradiso
, §§ 80 ff., 88).
Aus § 77 des Urteils
Paradiso
ergibt sich unmittelbar, dass eine mit dem Ordre public begründete Verweigerung der Anerkennung eines durch Leihmutterschaft hergestellten Kindesverhältnisses zu Elternteilen ohne genetischen Bezug vor
Art. 8 EMRK
standhält (vgl. auch FULCHIRON/BIDAUD-GARON, A propos de la filiation des enfants nés par GPA, au lendemain des arrêts Labassée, Mennesson et Campanelli-Paradiso de la Cour européenne des droits de l'homme, Revue critique de droit international privé 2015 S. 6, 20 f.; kritisch MARGUÉNAUD, Revue trimestrielle de droit civil [RTDCiv.] 2014 S. 839). Einzig in der sofortigen Wegnahme des Kindes im Anerkennungsstaat würde eine Konventionsverletzung liegen, weil auch das faktische Familienverhältnis von
Art. 8 EMRK
geschützt ist (Urteil
Paradiso und Campanelli
, §§ 69, 80; vgl. bereits
BGE 135 I 143
E. 3.2 S. 149).
Ausgehend von den drei Entscheidungen des EGMR ist vorliegend keine Konventionsverletzung gegeben. Weder besteht ein genetischer Bezug zwischen den Kindern und einem Elternteil, noch wurde eine sofortige Wegnahme verfügt. Im Übrigen besteht mit der Adoption eine Möglichkeit, in der Schweiz rechtliche Kindesverhältnisse herzustellen.
7.3
Die von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten
Art. 13 und 14 BV
verschaffen keine weitergehenden als die von
Art. 8 EMRK
garantierten Rechte. Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern die staatlichen Organe mit der angesichts der konkreten Situation verweigerten Transkribierung willkürlich gehandelt und damit gegen
Art. 9 BV
verstossen hätten.
Ferner stösst die Kritik der Beschwerdeführer, es würden ihnen in Verletzung von
Art. 311 ZGB
Elternrechte entzogen, ins Leere, denn
BGE 141 III 328 S. 350
mangels Anerkennung der kalifornischen Geburtsurkunden und Eintragung im schweizerischen Personenstandsregister gelten die Beschwerdeführer in der Schweiz nicht als die rechtlichen Eltern der Kinder.
7.4
Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer sind schliesslich keine aus der KRK fliessenden Ansprüche und Rechte der Kinder verletzt, auf welche sich ohnehin nur diese selbst berufen könnten (vgl. E. 6.7).
Zunächst bedeutet es keine Diskriminierung im Sinn von
Art. 2 Abs. 1 KRK
, wenn die nicht auf genetischer Verwandtschaft beruhenden Kindesverhältnisse infolge der Umgehung des Leihmutterschaftsverbotes nicht transkribiert werden. Die spezifischen Pflichten der Vertragsstaaten im Zusammenhang mit dem Personenstand ergeben sich sodann aus
Art. 7 KRK
, welcher vorliegend nicht verletzt ist. Beide Kinder wurden unverzüglich nach ihrer Geburt in ein Register eingetragen, nämlich in Kalifornien, und sie erhielten auch ab Geburt eine Staatsbürgerschaft. Aus
Art. 7 KRK
ergibt sich keine Verpflichtung, dass andere Staaten das auf der erwähnten Registrierung basierende Kindesverhältnis vorbehaltlos und insbesondere auch bei einem Widerspruch mit dem eigenen Ordre public anerkennen. Was sodann das in
Art. 7 Abs. 1 KRK
angesprochene Recht der Kinder anbelangt, soweit möglich die Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden, so steht dessen Umsetzung in der Verantwortung des Geburtsstaates, welcher vorliegend aufgrund seiner Rechtsprechung zulässt, dass die genetischen Eltern anonym bleiben und diese sowie auch die biologische (gebärende) Mutter und deren Ehemann rechtsgültig auf sämtliche Elternrechte verzichten können. Insofern könnten die Beschwerdeführer mit den Kindern in jenem Land leben, mit dessen Hilfe sie die Kindesverhältnisse hergestellt haben und in welchem sie als rechtliche Eltern gelten. Die der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegende Problematik rührt daher, dass die Beschwerdeführer die biologischen Vorgänge in ein anderes Land verlagert haben, jedoch nicht bereit sind, ihr Familienleben dort zu führen.
Was schliesslich das gemäss
Art. 3 Abs. 1 KRK
in allen Verfahren vorrangig zu beachtende Kindeswohl anbelangt, so wird dieses im Rahmen des nunmehr folgenden Adoptionsverfahrens zu beachten sein. Es ist im Übrigen im Interesse der Kinder, dass in diesem Verfahren insbesondere die zu ihrem Wohl aufgestellten Schutznormen
BGE 141 III 328 S. 351
zum Tragen kommen und auch die Eignung der zukünftigen rechtlichen Eltern geprüft wird.
7.5
Die jüngsten Empfehlungen des UNO-Kinderrechtsausschusses führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Ausschuss hat der Schweiz empfohlen, sicherzustellen, dass das Leihmutterschaftskind während der Zeit zwischen seiner Ankunft in der Schweiz und der formellen Adoption nicht staatenlos ist und keine Diskriminierung (
Art. 2 KRK
) zu gewärtigen hat (Committee on the Rights of the Child, Concluding Observations on the combined second to fourth periodic reports of Switzerland, CRC/C/CHE/CO/2-4, vom 4. Februar 2015, Ziff. 46 und 47). Dies ist gemäss den vorstehenden und nachfolgenden Ausführungen garantiert.
7.6
Insgesamt ergibt sich, dass der statusrechtliche Zustand für die Kinder momentan nicht abschliessend geregelt ist und ein hinkendes Rechtsverhältnis besteht. Die Rechtsunsicherheit kann jedoch durch ein inländisches Adoptionsverfahren beseitigt werden und die im Rahmen dieses Verfahrens zu tätigenden Abklärungen sind im Interesse der Kinder. Im Übrigen ist ihr Aufenthalt in der Schweiz bis zum Zeitpunkt, in welchem sie durch Adoption rechtliche Eltern in der Schweiz haben werden, nicht gefährdet. Es wurde ihnen auch von Anfang an ein Vormund bestellt, welcher sie rechtlich vertritt und für die nötigen rechtlichen Schritte sowie allgemein für ihren Schutz besorgt ist. Vor diesem Hintergrund vermag die Tatsache, dass vorübergehend in der Schweiz kein rechtliches Kindesverhältnis besteht, den gemäss den Ausführungen in E. 6 gebotenen Einsatz des Ordre public-Vorbehaltes nicht zurückzudrängen (siehe E. 7 Ingress).
8.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Anerkennung eines in offensichtlicher Umgehung der schweizerischen Gesetzgebung im Ausland mit Hilfe von Leihmutterschaft originär durch Geburt begründeten Kindesverhältnisses ohne genetische Verwandtschaft zwischen Kind und Elternteilen offensichtlich dem schweizerischen Ordre public im Sinn von
Art. 27 Abs. 1 IPRG
widerspricht und demnach die Eintragung im schweizerischen Personenstandsregister im Sinn von
Art. 32 Abs. 2 IPRG
zu verweigern ist.
Wie bei einer divergierenden Situation (z.B. bei Zuzug von Eltern, die Wohnsitz in einem Staat hatten, welcher die Leihmutterschaft zulässt) oder wie bei einer vergleichbaren Situation, aber zukünftig anderen schweizerischen Gesetzeslage zu entscheiden wäre, ist nicht im Rahmen des vorliegenden Entscheides zu diskutieren. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a86718cd-422c-41eb-b5d5-8cd0c83748fd | Urteilskopf
106 Ib 273
40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Oktober 1980 i.S. O. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (VG).
1. Anwendungsbereich von
Art. 1 Abs. 1 lit. f VG
(E. 2).
2. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen strafbarer Handlungen, die sich auf die amtliche Tätigkeit einer der in
Art. 1 VG
aufgezählten Personen beziehen, ist auch nach Ausscheiden dieser Person aus dem Bundesdienst erforderlich (E. 3c).
3. Verweigerung der Ermächtigung wegen Vorliegens eines leichten Falles (E. 3d). | Sachverhalt
ab Seite 273
BGE 106 Ib 273 S. 273
Während des Bundesstrafverfahrens gegen O. und Mitbeteiligte übertrug der ständige Vertreter des Bundesanwalts für die deutsche Schweiz dem Bezirksanwalt T. unter anderem die
BGE 106 Ib 273 S. 274
Aufgabe, die Briefzensur für den Untersuchungsgefangenen O. durchzuführen. In der Zeit vom 1. April 1977 bis zum 30. September 1979 teilte das kantonale Polizeikommando Bezirksanwalt T. den Polizeigefreiten X. als Protokollführer zu. X. hatte für seinen Vorgesetzten unter anderem die für O. bestimmte Briefpost zu öffnen und sie nach der Zensur weiterzuleiten.
Im September 1979 gestand X. im Rahmen einer verwaltungsinternen Untersuchung, dass er zwischen Januar und August 1978 aus sechs bis zehn an den Untersuchungsgefangenen O. adressierten Briefumschlägen die Briefmarken herausgeschnitten und sie einer ihm als Briefmarkensammlerin bekannten Verwaltungsangestellten gegeben habe. X. wurde deswegen vom Kommandanten der Kantonspolizei mit einer Busse von Fr. 200.-- disziplinarisch bestraft.
In der Folge übermittelte die Bezirksanwaltschaft die Akten an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zur Durchführung des Verfahrens nach dem BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (VG).
Mit Verfügung vom 25. Juli 1980 verweigerte das EJPD die Ermächtigung zur Strafverfolgung von X. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschuldigte unterstehe bezüglich der Tätigkeit, die er im Zusammenhang mit der Kontrolle der Briefpost von O. ausgeübt habe, gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. f VG
dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes. Die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen bezögen sich auf seine amtliche Tätigkeit. Die Strafverfolgung bedürfte daher der Ermächtigung, die jedoch zu verweigern sei, weil ein leichter Fall vorliege und die Tat nach allen Umständen durch eine disziplinarische Bestrafung als genügend geahndet erscheine.
O. ficht diese Verfügung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. f VG
unterstehen dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes neben den in den lit. a-e genannten Behördemitgliedern, Beamten und übrigen Arbeitskräften des Bundes "alle anderen Personen, insoweit sie unmittelbar mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes beauftragt sind". Diese Bestimmung soll gewährleisten, dass der
BGE 106 Ib 273 S. 275
Anwendungsbereich des Gesetzes alle Personen umfasst, die öffentlichrechtliche Aufgaben des Bundes wahrnehmen, deren Vollzug direkt dem Bund zusteht und nicht den Kantonen vorbehalten ist. Mit dem Ausdruck "unmittelbar", der im bundesrätlichen Entwurf noch nicht enthalten war, sondern erst im Laufe der parlamentarischen Beratungen in das Gesetz eingefügt wurde, sollte die Anwendbarkeit des Verantwortlichkeitsgesetzes auf die Beamten und Angestellten der Kantone und Gemeinden ausgeschlossen werden, die zwar bundesrechtliche Aufgaben erfüllen, aber lediglich aufgrund von Erlassen tätig werden, deren Durchführung nach der gesetzlichen Ordnung Sache der Kantone und Gemeinden ist (vgl. VEB 31, Nr. 28, S. 64). Anderseits ist für die Anwendbarkeit des Verantwortlichkeitsgesetzes nicht erforderlich, dass eine mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraute Person in einem Dienstverhältnis zum Bund, sei es öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Natur, stehe (
BGE 94 I 639
;
BGE 88 II 444
). Es ist nicht einmal notwendig, dass ihr selber durch ein Organ des Bundes die Wahrnehmung einer entsprechenden Aufgabe übertragen worden sei. Es genügt, wenn ihr Arbeitgeber oder Vorgesetzter mit einer öffentlichrechtlichen Aufgabe des Bundes betraut worden ist und dieser Auftrag den Beizug von entsprechenden Mitarbeitern in sich schliesst. Das kann immer dann bejaht werden, wenn die Aufgabe auch bei direkter Erfüllung durch den Bund unter Beizug von gleichartigen Hilfskräften erledigt worden wäre.
b) Gemäss
Art. 17 Abs. 1 BStP
steht die gerichtliche Polizei unter der Leitung des Bundesanwalts und unter der Aufsicht des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements.
Gemäss
Art. 17 Abs. 2 BStP
üben die gerichtliche Polizei aus:
"die Staatsanwälte der Kantone;
die Beamten und Angestellten der Polizei des Bundes und der Kantone;
die übrigen Beamten und Angestellten des Bundes und der Kantone in ihrem
Wirkungskreis."
In der angefochtenen Verfügung wird ausgeführt, X. habe bei seiner Tätigkeit gleich wie sein Vorgesetzter zur gerichtlichen Polizei des Bundes im Sinne von
Art. 17 BStP
gehört. Damit sei das Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes auf ihn anwendbar. Ob kantonale Beamte, welche gemäss
Art. 17 Abs. 2 BStP
Aufgaben der gerichtlichen Polizei erfüllen, in
BGE 106 Ib 273 S. 276
jedem Fall dem Verantwortlichkeitsgesetz unterstehen, erscheint indes zweifelhaft. Diese Aufgabe wird ihnen nämlich vom Gesetz selber übertragen, weshalb sich die Auffassung vertreten lässt, sie übten insoweit eine Tätigkeit im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung aus und seien nicht "unmittelbar" mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraut. In der Literatur ist denn auch ausgeführt worden, die Verantwortlichkeit kantonaler Beamter der gerichtlichen Polizei richte sich nach dem kantonalen Recht, soweit nicht der Bundesanwalt selber eine Untersuchungshandlung angeordnet oder genehmigt habe (PETER, Die Bundesanwaltschaft als Staatsanwaltschaft des Bundes, Diss. Bern, 1961, S. 37). Wie es sich damit verhält, kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Als sich die erwähnten Vorfälle ereigneten, war das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen. Das Bundesstrafverfahren befand sich im Stadium der Vorbereitung der Anklage (
Art. 125 ff. BStP
). In diesem Verfahrensstadium üben die kantonalen Behörden keine Aufgaben der mittelbaren Bundesverwaltung aus. Wenn Bezirksanwalt T. in diesem Zeitpunkt mit der Kontrolle der Korrespondenz des Untersuchungsgefangenen O. beauftragt wurde, so wurde ihm insoweit unmittelbar eine öffentlichrechtliche Aufgabe des Bundes übertragen. Zu deren Erfüllung konnte er den Polizeigefreiten X. beiziehen, der insoweit ebenfalls unmittelbar mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraut war. Der Beschuldigte unterstand daher gestützt auf
Art. 1 Abs. 1 lit. f VG
gleich wie sein Vorgesetzter dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes.
3.
a) Gemäss
Art. 15 Abs. 1 VG
bedarf die Strafverfolgung von Beamten wegen strafbarer Handlungen, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, der Ermächtigung des EJPD. Wenn ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung als erfüllt erscheinen, so darf die Ermächtigung gemäss
Art. 15 Abs. 3 VG
nur in leichten Fällen verweigert werden, und sofern die Tat nach allen Umständen durch eine disziplinarische Bestrafung des Fehlbaren als genügend geahndet erscheint.
Art. 2 Abs. 1 VG
hält fest, dass die Bestimmungen über die Beamten auch für alle übrigen in Art. 1 genannten Personen gelten, sofern das Gesetz nicht besondere Vorschriften enthält. Das ist hier nicht der Fall.
c) Im vorliegenden Fall ist offenkundig, dass sich die
BGE 106 Ib 273 S. 277
Handlungen, die dem Beschuldigten zur Last gelegt werden, auf dessen amtliche Tätigkeit beziehen. Die Vorinstanz hat daher zu Recht angenommen, dass die Strafverfolgung der Ermächtigung bedürfe. Diese war auch nicht deshalb entbehrlich, weil X. im Zeitpunkt des Vorverfahrens bereits nicht mehr mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes betraut war. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen strafbarer Handlungen, die sich auf die amtliche Tätigkeit oder Stellung einer der in
Art. 1 VG
aufgezählten Personen bezieht, ist auch dann noch erforderlich, wenn die betreffende Person nicht mehr im Dienste des Bundes steht. Das wird im Gesetz zwar nicht ausdrücklich gesagt und ist auch deshalb nicht selbstverständlich, weil das Ermächtigungsverfahren nicht in erster Linie im Interesse der Behördemitglieder, Beamten und sonstigen Personen gemäss
Art. 1 VG
aufgestellt ist, sondern hauptsächlich, um durch deren Schutz vor unbegründeten, insbesondere trölerischen oder mutwilligen Strafanzeigen den reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen. Diese Zielsetzung tritt naturgemäss in den Hintergrund, wenn die betreffende Person nicht mehr im Dienste des Bundes steht. Sie bleibt jedoch auch in diesem Falle von Bedeutung. Für den reibungslosen Gang der Verwaltung ist nämlich auch von Gewicht, dass die Personen, die öffentlichrechtliche Aufgaben erfüllen, darauf zählen können, dass sie nach Ende ihrer Amtstätigkeit vor trölerischen oder mutwilligen Strafanzeigen geschützt sind. Damit soll verhindert werden, dass das Verhalten der Beamten wegen der allfälligen späteren Verwicklung in derartige Strafverfahren beeinflusst und der gesetzmässige Gang der Verwaltung auf diese Weise beeinträchtigt wird. Darüber hinaus ist das Ermächtigungsverfahren, wenn auch nur in zweiter Linie, im Interesse der mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Personen selber aufgestellt. Auch das führt dazu, dass eine Ermächtigung selbst nach Beendigung der Amtstätigkeit erforderlich ist.
d) Die Vorinstanz ging in der angefochtenen Verfügung davon aus, dass ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung erfüllt seien. Sie nahm an, bei den Briefen, die durch die Hände des Beschuldigten gegangen seien, habe es sich einerseits um solche gehandelt, die ihm zu selbständiger Bearbeitung übertragen worden seien, und anderseits um solche, die er lediglich habe weiterleiten müssen.
BGE 106 Ib 273 S. 278
Je nachdem sei die Wegnahme der Briefmarken als geringfügige Veruntreuung (
Art. 142 StGB
) oder als Diebstahl (
Art. 137 StGB
), eventuell als Sachentziehung (
Art. 143 StGB
) zu qualifizieren. Da nicht mehr feststellbar sei, zu welcher Gruppe die Briefe gehörten, aus denen der Beschuldigte die Marken entfernte, müsse zu seinen Gunsten vom leichtesten der möglichen Tatbestände, im konkreten Fall von
Art. 142 StGB
ausgegangen werden.
Ob diese Qualifizierung zutreffe, kann hier dahingestellt bleiben, da die Verfehlung ohne Zweifel einen leichten Fall im Sinne von
Art. 15 Abs. 2 VG
darstellt. Wie das Bundesgericht in
BGE 93 I 81
E. 3 dargelegt hat, ist die Frage, ob ein leichter Fall vorliege, nach den gesamten Umständen zu beurteilen, die bei der Abwägung des Verschuldens zu berücksichtigen sind. In Betracht fallen dabei namentlich die Art und Schwere der Verfehlung, die Beweggründe sowie die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten. Die Verfehlung von X. bestand darin, dass er bei sechs bis zehn an den Beschwerdeführer gerichteten Briefumschlägen die Marken entfernte, um sie einer Mitarbeiterin zu geben. Diese Verfehlung kann weder hinsichtlich des Verschuldens noch hinsichtlich der Höhe des Schadens als schwer erachtet werden. Ins Gewicht fällt namentlich, dass X. die Briefmarken nicht ausschnitt, um sie für sich selber zu behalten, sondern dass er sie einer Arbeitskollegin gab, welche die Briefmarken ihrerseits einem Patenkind schenkte. Durch die Wegnahme der Marken wurde zudem kein grosser Schaden verursacht. Es kann namentlich nicht zutreffen, dass die Marken für den Beschwerdeführer einen hohen affektiven Wert gehabt hätten. Wie in der Vernehmlassung des EJPD ausgeführt wird, nimmt das Departement bei Vermögensdelikten zum Nachteil Dritter hinsichtlich der Schadenshöhe einen leichten Fall an, wenn der Deliktsbetrag unter Fr. 200.-- liegt. Das trifft hier offenkundig zu, und es besteht kein Anlass, sich von der Praxis des Departements zu entfernen.
In der Vernehmlassung des EJPD wird sodann eingeräumt, dass für den Beschuldigten belastend ins Gewicht falle, dass er seine Verfehlung nicht sofort gestanden habe, als wegen der Vorkommnisse eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht und in der Folge als Strafanzeige gegen Bezirksanwalt T. behandelt worden sei. Immerhin habe er ein Geständnis abgelegt, als nach der Einstellung der Strafuntersuchung gegen T. der Verdacht
BGE 106 Ib 273 S. 279
auf eine weitere Person gefallen sei. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird sodann geltend gemacht, der Beschuldigte habe sogar ohne Widerspruch eine Stellungnahme von Bezirksanwalt T. ausgefertigt, in welcher der Verdacht geäussert wurde, O. selber habe die Marken herausgeschnitten, um T. anschuldigen zu können. Diese Umstände lassen das Verschulden von X. in der Tat als schwerer erscheinen, als es wäre, wenn er sofort gestanden hätte. Da X. weder aus Eigennutz handelte noch einen hohen Schaden verursachte, haben aber auch sie nicht zur Folge, dass die Verfehlung des Beschuldigten nicht als leichter Fall erachtet werden könnte. Da die Tat zudem durch die disziplinarische Bestrafung mit einer Busse von Fr. 200.-- nach allen Umständen als geahndet erscheint, hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigerte. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a86a6e26-5b1d-4c93-9f9f-8984ceeb3fba | Urteilskopf
135 IV 113
14. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause X. contre Ministère public du canton de Vaud (recours en matière pénale)
6B_974/2008 du 10 juin 2009 | Regeste
Art. 116 Abs. 3 AuG
; schwerer Fall der Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthalts; Abweichung zwischen der französischen Fassung dieser Bestimmung einerseits und der deutschen und italienischen Fassung andererseits in Bezug auf die angedrohte Strafe; Auslegung des Gesetzes.
Aus der Entstehungsgeschichte, der Gesetzessystematik und dem Zweck der Bestimmung ergibt sich, dass die Verwendung des Begriffs "amende" (Busse) in der französischen Fassung von
Art. 116 Abs. 3 AuG
auf einem Versehen beruht und damit, entsprechend der deutschen und der italienischen Fassung, "peine pécuniaire" (Geldstrafe) im Sinne von
Art. 34 StGB
gemeint ist (E. 2, insbesondere 2.4). | Erwägungen
ab Seite 114
BGE 135 IV 113 S. 114
Extrait des considérants:
2.
Le recourant invoque une violation de l'
art. 2 al. 2 CP
en relation avec les
art. 34 CP
et 23 al. 2 LSEE (RO 49 279). Il reproche à la cour cantonale de l'avoir condamné à une peine privative de liberté, à l'exclusion d'une peine pécuniaire, pour avoir méconnu que, s'agissant de la sanction à prononcer, le nouveau droit lui est plus favorable.
2.1
L'
art. 2 CP
délimite le champ d'application de la loi pénale dans le temps. Son alinéa 1 pose le principe de la non-rétroactivité de la loi pénale, en disposant que cette dernière ne s'applique qu'aux infractions commises après son entrée en vigueur. Son alinéa 2 fait exception à ce principe pour le cas où l'auteur est mis en jugement sous l'empire d'une loi nouvelle; en pareil cas, cette dernière s'applique si elle est plus favorable à l'auteur que celle qui était en vigueur au moment de la commission de l'infraction. L'
art. 2 CP
ne permet en revanche pas à l'auteur de bénéficier, le cas échéant, d'une loi plus favorable qui n'était pas en vigueur au moment où il a commis l'infraction et qui ne l'est plus au moment où il est mis en jugement.
2.2
La détermination du droit le plus favorable s'effectue par une comparaison concrète de la situation de l'auteur, suivant qu'il est jugé à l'aune de l'ancien ou du nouveau droit. Doivent en principe être examinées au premier chef les conditions légales de l'infraction litigieuse. Lorsque le comportement est punissable tant en vertu de l'ancien que du nouveau droit, il y a lieu de procéder à une comparaison d'ensemble des sanctions encourues. L'importance de la peine maximale joue un rôle décisif. Toutes les règles applicables doivent cependant être prises en compte, notamment celles relatives à la prescription et, le cas échéant, au droit de porter plainte (
ATF 134 IV 82
consid. 6.2.1 p. 87;
ATF 126 IV 5
consid. 2c p. 8 et les arrêts cités).
2.3
Le recourant a commis les faits qui lui sont reprochés entre novembre 2000 et le 16 août 2005. Ces faits étaient alors sanctionnés par l'
art. 23 al. 2 LSEE
dans sa teneur antérieure à l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2007, de sa modification. Ils étaient donc
BGE 135 IV 113 S. 115
passibles de l'emprisonnement, dont la durée était de 3 jours au moins et de 3 ans au plus (cf. ancien
art. 36 CP
), ou de l'amende jusqu'à 100'000 fr. La possibilité de prononcer une peine pécuniaire n'a été introduite qu'à partir du 1
er
janvier 2007, soit postérieurement à la commission des faits reprochés au recourant. Si ce dernier avait été jugé sous l'empire du droit en vigueur à l'époque des faits, il n'aurait donc pas pu bénéficier d'une peine pécuniaire.
2.4
L'arrêt attaqué ayant été rendu par une juridiction qui dispose d'un pouvoir de réforme, c'est à la date de son prononcé, le 2 juin 2008, que le recourant a été mis en jugement au sens de l'
art. 2 al. 2 CP
(cf. arrêt du Tribunal fédéral 6B_171/2007 du 23 juillet 2007 consid. 5.1). Or, depuis le 1
er
janvier 2008, la LSEE a été remplacée par la loi fédérale du 16 décembre 2005 sur les étrangers (LEtr; RS 142.20; cf.
art. 125 LEtr
et ch. I de l'annexe 2 à cette loi), qui contient aussi des dispositions pénales (cf.
art. 115 ss LEtr
). En particulier, l'
art. 116 LEtr
- qui réprime l'incitation à l'entrée, à la sortie ou au séjour illégaux - correspond à l'
art. 23 al. 1 5
e
phrase et al. 2 LSEE (cf. Message concernant la LEtr; FF 2002 3469 ss, 3587). S'agissant plus précisément du comportement retenu à la charge du recourant, soit lorsque l'auteur a agi pour se procurer ou procurer à un tiers un enrichissement illégitime, il est sanctionné à l'
art. 116 al. 3 let. a LEtr
.
2.4.1
Selon le texte français de l'
art. 116 al. 3 LEtr
, la peine encourue pour les comportements réprimés par cette disposition est "une peine privative de liberté de cinq ans au plus additionnée d'une amende ou une amende". En revanche, les textes allemand et italien prévoient, respectivement, que "
die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe und mit der Freiheitsstrafe ist eine Geldstrafe zu verbinden
" et que "
la pena è una pena detentiva sino cinque anni o una pena pecuniaria, e con la pena detentiva è cumulata una pena pecuniaria
".
Ainsi, le texte français de l'
art. 116 al. 3 LEtr
diverge des textes allemand et italien en cela qu'il utilise le terme d'amende - dont la traduction allemande est
Busse
et la traduction italienne
multa
-, alors que les deux autres textes utilisent le terme de peine pécuniaire (
Geldstrafe
, respectivement
pena pecuniaria
), les trois textes linguistiques étant pour le surplus identiques. Or, depuis la modification des dispositions de la partie générale du code pénal, entrée en vigueur le 1
er
janvier 2007, le terme de peine pécuniaire ne se
BGE 135 IV 113 S. 116
confond plus avec celui d'amende. Dans la mesure où il n'est pas utilisé pour sanctionner des contraventions, il définit une peine en argent distincte, soit celle du jour-amende prévue à l'
art. 34 CP
. Il y a donc lieu de rechercher lequel des textes légaux divergents exprime la volonté réelle du législateur et, partant, si, comme le soutient le recourant, une peine pécuniaire entre en considération comme sanction du comportement qui lui est reproché.
2.4.2
Selon la jurisprudence, la loi s'interprète en premier lieu d'après sa lettre. Si le texte légal n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il faut rechercher la véritable portée de la norme, en la dégageant de sa relation avec d'autres dispositions légales, de son contexte, du but poursuivi, de son esprit ainsi que de la volonté du législateur, telle qu'elle résulte notamment des travaux préparatoires. A l'inverse, lorsque le texte légal est clair, l'autorité qui applique le droit ne peut s'en écarter que s'il existe des motifs sérieux de penser que ce texte ne correspond pas en tous points au sens véritable de la disposition visée et conduit à des résultats que le législateur ne peut avoir voulus et qui heurtent le sentiment de la justice ou le principe de l'égalité de traitement. De tels motifs peuvent résulter des travaux préparatoires, du fondement et du but de la prescription en cause, ainsi que de sa relation avec d'autres dispositions (
ATF 134 I 184
consid. 5.1 p. 193;
ATF 131 I 394
consid. 3.2 p. 396 et les arrêts cités).
Il appartient à l'autorité de remédier à une éventuelle lacune apparente de la loi, lorsque celle-ci, même interprétée, n'apporte pas de solution sur un point qu'elle devrait régler, ou à une lacune occulte, lorsque le législateur a omis d'adjoindre, à une règle conçue de façon générale, la restriction ou la précision que le sens et le but de la règle considérée ou d'une autre règle légale imposent dans certains cas. L'autorité n'est en revanche pas autorisée à pallier l'absence d'une règle qui paraît simplement désirable (
ATF 131 II 562
consid. 3.5 p. 567 et les arrêts cités).
Les versions allemande, française et italienne du texte légal ont en principe la même valeur. Dans la réalité, celles-ci ne se recouvrent cependant pas toujours, soit en raison d'une erreur survenue au cours du processus d'élaboration de la loi, soit en raison de différences de signification apparues ultérieurement, soit encore en raison de nuances linguistiques. Il convient alors - en procédant conformément à la jurisprudence précitée - de déterminer laquelle des
BGE 135 IV 113 S. 117
versions doit prévaloir (cf.
ATF 126 V 435
consid. 3 p. 438; MARTIN SCHUBARTH, Die Auslegung mehrsprachiger Gesetzestexte, in Rapports suisses présentés au XVII
e
Congrès international de droit comparé, 2006, p. 11 ss).
2.4.3
Selon le projet de loi sur les étrangers soumis à l'Assemblée fédérale, l'incitation à l'entrée, à la sortie ou au séjour illégaux était, dans les cas aggravés, passible de l'emprisonnement et d'une amende de 500'000 fr. au plus (cf. art. 111 al. 3 du projet; FF 2002 3604 ss, 3640). Le message du Conseil fédéral accompagnant le projet se bornait à préciser que l'infraction en cause correspondait à l'
art. 23 al. 1 5
e
phrase et al. 2 LSEE et que la limite des peines avait été augmentée (cf. message du Conseil fédéral du 8 mai 2002 concernant la loi sur les étrangers; FF 2002 3469 ss, 3587).
Dans l'arrêté du 16 décembre 2005 par lequel l'Assemblée fédérale a adopté la LEtr, l'incitation à l'entrée, à la sortie ou au séjour illégaux, figurant désormais à l'art. 116, était passible, dans les cas aggravés, d'une peine de réclusion de cinq ans au plus et d'une amende de 500'000 fr. au plus. En marge, il était précisé qu'avec l'entrée en vigueur des nouvelles dispositions de la partie générale du code pénal, la peine serait modifiée. Selon le texte français, l'
art. 116 al. 3 LEtr
, sanctionnant les cas aggravés, aurait la teneur suivante: "
la peine encourue est une peine privative de liberté de cinq ans au plus additionnée d'une amende ou une amende
" (cf. FF 2006 6885 ss, 6925,
art. 116 al. 3 LEtr
et note 38). La nouvelle teneur de cette disposition serait, selon le texte allemand, "
die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe und mit der Freiheitsstrafe ist eine Geldstrafe zu verbinden
" (BBl 2005 7365 ss, 7406) et, selon le texte italien, "
la pena è una pena detentiva sino cinque anni o una pena pecuniaria, e con la pena detentiva è cumulata una pena pecuniaria
" (FF 2005 6545 ss, 6585). La loi est entrée en vigueur le 1
er
janvier 2008, après avoir été acceptée en votation populaire le 24 septembre 2006 (RO 2007 5437 ss, 5477).
Il résulte de ce qui précède, que la différence entre le texte français, d'une part, et les textes allemand et italien, d'autre part, est apparue lorsqu'a été fixée la teneur qu'aurait l'
art. 116 al. 3 LEtr
avec l'entrée en vigueur des nouvelles dispositions de la partie générale du code pénal. Manifestement, la modification que devait subir le texte légal adopté par le Parlement visait à adapter les peines encourues pour les infractions à la LEtr au nouveau régime des
BGE 135 IV 113 S. 118
sanctions prévu par ces dispositions. Il s'agissait notamment de tenir compte de la possibilité de prononcer désormais dans certains cas la nouvelle sanction que constitue la peine pécuniaire sous la forme du jour-amende. Une interprétation fondée sur la genèse fait ainsi apparaître que les versions allemande et italienne du texte légal litigieux doivent prévaloir sur la version française, le législateur ayant souhaité que les comportements réprimés par l'
art. 116 al. 3 LEtr
puissent être sanctionnés, alternativement à une peine privative de liberté ou cumulativement avec cette dernière, par une peine pécuniaire au sens de l'
art. 34 CP
.
2.4.4
Une analyse de la systématique de l'
art. 116 LEtr
tend à confirmer cette interprétation.
L'alinéa 1 de cette disposition, aussi bien selon son texte français que selon ses textes allemand et italien, sanctionne les cas ordinaires d'incitation à l'entrée, à la sortie ou au séjour illégaux par une peine privative de liberté d'un an au plus ou une peine pécuniaire (Geldstrafe, pena pecuniaria). Son alinéa 2, là encore selon les trois textes linguistiques, prévoit que, dans les cas de peu de gravité, la peine peut consister en une simple amende (Busse, multa).
Si, s'agissant de la peine punissant les cas aggravés, le texte français de l'
art. 116 al. 3 LEtr
devait prévaloir, il en résulterait que, dans ces cas, une simple amende pourrait être prononcée, alternativement à une peine privative de liberté additionnée d'une amende, alors que, dans les cas ordinaires, l'alternative serait une peine pécuniaire au sens de l'
art. 34 CP
, soit une sanction pouvant être plus sévère. Il en résulterait également que les cas aggravés pourraient être punis de la même peine que les cas de peu de gravité. Autrement dit, les infractions aggravées seraient susceptibles d'être sanctionnées moins sévèrement que les infractions ordinaires et non moins légèrement que les infractions de peu de gravité. Or, on conçoit mal que le législateur ait voulu un tel résultat.
2.4.5
La préférence à accorder aux textes allemand et italien de la disposition litigieuse paraît trouver une confirmation supplémentaire dans le but poursuivi par le législateur, qui était de réprimer plus sévèrement les infractions graves, en durcissant les sanctions prévues par le droit en vigueur à l'époque où il a adopté la LEtr, en décembre 2005 (cf. supra, consid. 2.4.3). Or, si la version française de l'
art. 116 al. 3 LEtr
devait prévaloir, il en résulterait notamment que, ce dernier ne contenant pas de disposition contraire, le montant
BGE 135 IV 113 S. 119
de l'amende susceptible d'être infligée ne pourrait excéder 10'000 fr. (cf.
art. 106 al. 1 CP
), alors que le droit en vigueur à l'époque de l'adoption de la LEtr permettait de prononcer une amende jusqu'à 100'000 fr. (cf. supra, consid. 2.3).
2.4.6
On peut encore observer que, dans le droit intermédiaire, soit celui qui a été en vigueur entre le 1
er
janvier 2007 - date à partir de laquelle les sanctions réprimant les infractions à la LSEE ont été adaptées aux nouvelles dispositions de la partie générale du code pénal (cf. RO 2006 3459 ss, 3535, ch. 1 al. 1 des dispositions transitoires; FF 1999 1787 ss) - et le 1
er
janvier 2008 - date de l'entrée en vigueur de la LEtr -, l'infraction litigieuse était passible d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une "peine pécuniaire", la première de ces sanctions, le cas échéant, devant être cumulée avec la seconde. Le texte français lui-même n'utilisait donc pas le terme "amende".
2.4.7
Ainsi, la genèse, la systématique et le but de la loi conduisent à la conclusion que, s'agissant de la peine encourue pour les cas aggravés d'incitation à l'entrée, à la sortie ou au séjour illégaux, le texte légal français, en tant qu'il utilise le terme "amende", ne reflète pas la volonté du législateur. Celle-ci est exprimée correctement par les textes, convergents, allemand et italien, en tant qu'ils parlent, respectivement, de "Geldstrafe" et de "pena pecuniaria", soit de peine pécuniaire, ce terme désignant la peine de jour-amende prévue à l'
art. 34 CP
. Le terme "amende" utilisé dans le texte français de l'
art. 116 al. 3 LEtr
doit donc être considéré comme erroné et être compris, conformément aux textes allemand et italien, comme "peine pécuniaire", au sens de l'
art. 34 CP
. Subséquemment, il y a lieu d'admettre que la peine encourue pour les comportements réprimés par cette disposition est une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou une peine pécuniaire, la première de ces sanctions, si elle est prononcée, devant être cumulée avec la seconde.
2.5
De l'ensemble de ce qui précède, il découle que, selon l'ancien droit, à savoir le droit qui était applicable au moment où le recourant a commis les faits qui lui sont présentement reprochés, ces faits étaient passibles de l'emprisonnement, dont la durée était de 3 jours au moins et de 3 ans au plus, ou de l'amende jusqu'à 100'000 fr., alors que, selon le nouveau droit, en vigueur au moment où le recourant a été mis en jugement au sens de l'
art. 2 al. 2 CP
, ils sont passibles d'une peine privative de liberté de cinq ans au plus ou
BGE 135 IV 113 S. 120
d'une peine pécuniaire, la première de celles-ci, si elle est prononcée, devant être cumulée avec la seconde.
Le nouveau droit est ainsi plus défavorable au recourant que l'ancien droit dans la mesure où il sanctionne l'infraction litigieuse d'une peine privative de liberté plus sévère, parce que d'une durée supérieure, et où il prévoit qu'une telle peine doit être additionnée d'une peine pécuniaire. Il peut en revanche lui être plus favorable en tant qu'il permet de prononcer, alternativement à la peine privative de liberté, une peine pécuniaire au lieu d'une amende. Ces dernières sont certes équivalentes dans la mesure où elles atteignent toutes deux l'auteur dans son patrimoine. Elles se distinguent toutefois en ce qui concerne la manière de les calculer, laquelle peut, dans certains cas, aboutir à ce que l'une d'elles soit plus favorable à l'auteur que la seconde. Au demeurant, la peine pécuniaire, contrairement à l'amende, peut être assortie d'un sursis partiel ou total, auquel cas, de par ses effets, elle apparaît plus douce, et cela quand bien même son montant maximum serait plus élevé que celui de l'amende (cf. arrêt 6B_447/2007 du 29 mars 2008 consid. 3.2 et les références citées, in SJ 2008 I p. 3/249). Pour déterminer ce qu'il en est, il y a lieu de procéder à une comparaison concrète (cf. supra, consid. 2.2).
2.6
La cour cantonale n'a pas exclu que le nouveau droit puisse être plus favorable au recourant. Elle a toutefois laissé la question ouverte, considérant que la priorité de la peine pécuniaire est avant tout valable pour les peines privatives de liberté de moins de 6 mois et que la peine à infliger au recourant ne saurait être inférieure à cette durée. En effet, compte tenu du concours d'infractions et de l'ensemble des circonstances, notamment de l'importante culpabilité du recourant résultant de sa persistance dans l'illégalité, une peine privative de liberté d'une durée de 10 mois était adéquate.
Ce raisonnement ne peut être suivi. La durée maximale de la peine pécuniaire est de 360 jours-amende (
art. 34 al. 1 CP
). Une telle peine entre donc en considération autant que la sanction envisagée est inférieure à cette durée. La cour cantonale, qui estimait qu'il se justifiait de prononcer une peine de 10 mois, ne pouvait donc exclure le prononcé d'une peine pécuniaire au motif que la durée de la sanction qu'elle considérait comme adéquate était supérieure à 6 mois. Dès lors que les deux peines entraient en considération, elle devait examiner si une peine pécuniaire ne permettait pas de sanctionner de manière équivalente la culpabilité du recourant, auquel
BGE 135 IV 113 S. 121
cas elle devait, conformément au principe de la proportionnalité, accorder en principe la priorité à une telle peine, qui, en tant qu'elle porte atteinte au patrimoine de l'auteur, constitue une sanction moins lourde qu'une peine privative de liberté (
ATF 134 IV 97
consid. 4.2.2 p. 101/102,
ATF 134 IV 82
consid. 4.1 p. 85, 60 consid. 4.3 p. 65). Sur ce point, le recours est donc fondé et doit être admis. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a86d9df1-cd02-4088-ad17-d6d2223516d0 | Urteilskopf
116 V 12
3. Auszug aus dem Urteil vom 23. Januar 1990 i.S. Ostschweizerische AHV-Ausgleichskasse für Handel und Industrie gegen E. und Rekurskommission des Kantons Thurgau für die AHV | Regeste
Art. 47 Abs. 1 AHVG
,
Art. 79 Abs. 1 AHVV
: Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen.
Umfang des Erlasses, wenn die Rückerstattungssumme durch das die massgebliche Einkommensgrenze übersteigende anrechenbare Einkommen nur teilweise gedeckt ist. | Erwägungen
ab Seite 12
BGE 116 V 12 S. 12
Aus den Erwägungen:
2.
a) Nach
Art. 47 Abs. 1 AHVG
sind unrechtmässig bezogene Renten und Hilflosenentschädigungen zurückzuerstatten. Bei gutem Glauben und gleichzeitigem Vorliegen einer grossen Härte kann von der Rückforderung abgesehen werden. Eine grosse Härte im Sinne der Gesetzesbestimmung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn zwei Drittel des anrechenbaren Einkommens (und der allenfalls hinzuzurechnende Vermögensteil) die nach
Art. 42 Abs. 1 AHVG
anwendbare und um 50% erhöhte Einkommensgrenze nicht erreichen. Für die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens gelten die Regeln der
Art. 56 ff. AHVV
(
BGE 111 V 132
Erw. 3b mit Hinweisen). Massgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkt vorliegen, da der Rückerstattungspflichtige bezahlen sollte (
BGE 107 V 80
Erw. 3b mit Hinweisen).
3.
a) Die Ausgleichskasse hat aufgrund des Umstandes, dass die massgebende Einkommensgrenze um Fr. 5'532.-- überschritten
BGE 116 V 12 S. 13
wird, das Vorliegen einer grossen Härte verneint und das Erlassgesuch bezüglich des gesamten Rückforderungsbetrages von Fr. 24'228.-- abgelehnt. Es fragt sich, ob dieses Vorgehen der gesetzlichen Erlassregelung und dem Grundgedanken der hiezu ergangenen Rechtsprechung, dem gutgläubigen Rückerstattungsschuldner ein Mindesteinkommen zu sichern (vgl. dazu
BGE 107 V 81
ff. Erw. 4 und 5), entspricht. Denn die von der Ausgleichskasse angewandte Lösung hat zur Folge, dass bei jeder noch so geringen Überschreitung der massgebenden Einkommensgrenze der Härtefall zu verneinen und die gesamte Rückforderungssumme, unter Umständen in einem das effektive Einkommen übersteigenden Betrag, zurückzuzahlen ist.
b) Gemäss
Art. 79 Abs. 1 AHVV
ist dem Rückerstattungspflichtigen, der selbst bzw. dessen gesetzlicher Vertreter in gutem Glauben annehmen konnte, die Rente zu Recht bezogen zu haben, die Rückerstattung ganz oder teilweise zu erlassen, wenn sie für den Pflichtigen angesichts seiner Verhältnisse eine grosse Härte bedeuten würde. Diese Regelung stellt eine zulässige Verdeutlichung von
Art. 47 Abs. 1 AHVG
dar, indem sie einerseits die gesetzliche "Kann"-Vorschrift präzisiert, und anderseits nebst dem vollständigen auch den teilweisen Erlass der Rückerstattungsforderung vorsieht (vgl. hiezu MÜLLER, Die Rückerstattung rechtswidriger Leistungen als Grundsatz des öffentlichen Rechts, Diss. Basel 1978, S. 92). Das Institut des teilweisen Erlasses einer Rückerstattungsschuld ermöglicht es, dem gesetzlichen Grundsatz, dass unrechtmässig bezogene Leistungen in dem Umfang zurückzuerstatten sind, als es dem Pflichtigen im Hinblick auf seine finanziellen Verhältnisse möglich und zumutbar ist, gerecht zu werden. Es steht ausser Frage, dass die Rückforderung nach Massgabe des die entsprechende Einkommensgrenze übersteigenden Betrages zu begleichen ist; indessen liegt ein Härtefall insoweit vor, als die Rückforderungssumme das massgebliche Einkommen des Rückerstattungspflichtigen tangiert. In diesem Umfang sind die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der Rückerstattungsforderung erfüllt.
c) In
BGE 107 V 80
Erw. 3a hatte das Eidg. Versicherungsgericht den Begriff der grossen Härte wie folgt erläutert: "Das (Vorliegen einer grossen Härte) bedeutet mit anderen Worten, dass die Rückforderung unrechtmässig bezogener Renten durch einmaligen oder wiederholten Abzug (bzw. Verrechnung) nur in dem Ausmass realisiert werden darf, dass die erwähnten gesetzlichen
BGE 116 V 12 S. 14
Einkommensgrenzen nicht unterschritten werden." Aus dieser Formulierung hat WIDMER (Die Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen in den Sozialversicherungen, Diss. Basel 1984, S. 171 f.) abgeleitet, die Rückerstattungsforderung sei in dem Umfang - "indirekt" - teilweise zu erlassen, als der geschuldete Rückerstattungsbetrag durch wiederholten Abzug im Umfang des die massgebliche Grenze überschreitenden Einkommens nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungs- bzw. Verwirkungsfristen nicht gedeckt sei.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wird einem gutgläubigen Rückerstattungspflichtigen infolge Vorliegens einer grossen Härte die Rückforderung ganz oder teilweise erlassen, ist die Rückerstattungsschuld im Umfang des Erlasses endgültig erloschen. Es besteht keine Rechtsgrundlage, um in einem späteren Zeitpunkt auf die Forderung zurückzukommen und die Nachzahlung des noch ausstehenden Betrages zu verlangen. Es widerspräche dem Prinzip der rechtsgleichen Behandlung, im Falle, da die Einkommensgrenze durch einen Teil der Rückforderungssumme überschritten wird, anders zu verfahren als bei Vorliegen der Voraussetzungen für den vollständigen Erlass der Rückerstattungsforderung. Wird der Rückerstattungsbetrag demnach im für die Prüfung des Härtefalles massgeblichen Zeitpunkt durch das die massgebliche Einkommensgrenze überschreitende anrechenbare Einkommen nur zu einem Teil gedeckt, so ist die Rückforderung im darüber hinausgehenden Umfang zu erlassen.
Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der aus
BGE 107 V 80
zitierte Satz die Vollstreckung der Rückerstattungsforderung betrifft und nicht die Frage des (teilweisen) Erlasses. Die "Realisierung" einer Rückforderung kommt erst dann und nur in dem Umfang zum Tragen, als die Rückforderung nicht erlassen worden ist. Nach der von WIDMER (a.a.O., S. 171 f.) vorgeschlagenen Lösung ginge der innert der dreijährigen Vollstreckungsfrist gemäss
Art. 16 Abs. 2 AHVG
(
BGE 105 V 74
; ZAK 1982 S. 117) nicht einforderbare Restbetrag der rechtskräftig angeordneten Rückerstattung durch Verwirkung unter. Dieselbe Rechtsfolge tritt bei Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers ein sowie im Falle, da kein Erlassgesuch gestellt wird. In der Tatsache, dass die durch Zeitablauf erloschene Restforderung bei Gutgläubigkeit des Rückerstattungsschuldners höher ausfällt als im Falle der Bösgläubigkeit, wo nur das betreibungsrechtliche Existenzminimum zu berücksichtigen ist, kann kein Teilerlass erblickt werden.
BGE 116 V 12 S. 15
Schliesslich ist festzustellen, dass diese Lösung auch aus Gründen der Praktikabilität abzulehnen ist. Sie würde bedingen, dass die Verwaltung den die massgebende Einkommensgrenze übersteigenden Betrag zur Festsetzung der Abschlagszahlungen jedes Jahr neu zu ermitteln hätte.
d) Aufgrund dieser Überlegungen ist der teilweise Erlass einer Rückerstattungsforderung in dem Umfange zu gewähren, als die Rückforderung im für die Prüfung des Härtefalles massgebenden Zeitpunkt durch das die massgebliche Einkommensgrenze übersteigende Einkommen nicht gedeckt ist. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Rückerstattungsforderung von gesamthaft Fr. 24'228.-- im Fr. 5'532.-- übersteigenden Betrag, somit im Umfang von Fr. 18'696.-- zu erlassen ist. Die Summe von Fr. 5'532.-- hat der Beschwerdegegner zurückzuerstatten... | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a8731334-72c3-43e5-b384-094790110b6d | Urteilskopf
96 II 433
56. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1970 i.S. Hirzel gegen Hirzel. | Regeste
Scheidungsgerichtsstand,
Art. 144 ZGB
.
Die in § 254 der zürcherischen ZPO vorgesehene Sperrfrist, welche die Anhängigmachung der Scheidungsklage erst acht Wochen nach der Sühnverhandlung erlaubt, bedeutet nicht eine unerträgliche oder unzulässige Erschwerung der Geltendmachung des Scheidungsanspruches und ist daher mit dem Bundesrecht vereinbar (Bestätigung der Praxis). | Sachverhalt
ab Seite 433
BGE 96 II 433 S. 433
A.-
Max Hirzel erhob am 13. März 1970 beim Friedensrichteramt Wetzikon Scheidungsklage. Zur Sühnverhandlung vom 20. März 1970 erschien nur der Ehemann. Die in Basel wohnhafte Ehefrau Barbla Hirzel-Werro hatte dem Friedensrichter mitgeteilt, dass sie an der Sühnverhandlung nicht teilnehmen werde, da sie bereits in Basel eine Scheidungsklage eingereicht habe und sich einer Scheidung nicht widersetze. Der Friedensrichter entsprach deshalb dem Begehren des Ehemannes auf sofortige Ausstellung der Weisung. Bereits drei Tage nach der Sühnverhandlung reichte Max Hirzel die Weisung beim Bezirksgericht Hinwil ein. Dieses wies die Scheidungsklage am 23. April 1970 mit der Begründung von der Hand, dass die in § 254 der Zürcher ZPO vorgesehene Wartefrist von acht Wochen nach dem ersten Sühnversuch bis zur
BGE 96 II 433 S. 434
Einreichung der Weisung beim Gericht nicht eingehalten worden sei.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich wies einen von Max Hirzel gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 26. Juni 1970 ab. Zur Begründung führte es aus, die in
§ 254 ZPO
vorgesehene Wartefrist sei nach konstanter Praxis zwingenden Rechts. Eine in Missachtung dieser Frist ausgestellte Weisung sei nichtig und vermöge daher die Rechtshängigkeit der Klage nicht zu begründen. Eine Ausnahme im Sinne von
§ 254 Abs. 2 ZPO
sei nicht gegeben, da es nicht darauf ankomme, ob der Aussöhnungsversuch bzw. die Besinnungszeit einen Erfolg verspreche. Entscheidend für die Annahme einer solchen Ausnahme sei vielmehr allein, ob eine Aussöhnung aus zwingenden Gründen tatsächlicher Natur zum vornherein ausgeschlossen sei; dies sei der Fall, wenn ein Ehegatte geisteskrank oder sein Wohnsitz nicht bekannt sei. Schliesslich treffe auch nicht zu, dass die Wartefrist des
§ 254 ZPO
bundesrechtswidrig sei, wie der Ehemann geltend mache.
C.-
Max Hirzel führt beim Bundesgericht Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, den Entscheid des Obergerichts vom 26. Juni 1970 aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er behauptet, § 254 Abs. 1 der Zürcher ZPO sei mit dem Bundesrecht nicht vereinbar, da es nicht angehe, dass ein Scheidungskläger durch das kantonale Recht daran gehindert werde, einen ihm gemäss Bundesrecht zustehenden Anspruch jederzeit gerichtlich geltend zu machen.
D.-
Barbla Hirzel-Werro beantragt die Abweisung der Beschwerde.
E.-
Mit Präsidialverfügung vom 16. Juli 1970 wurde der Nichtigkeitsbeschwerde gestützt auf
Art. 70 Abs. 2 OG
aufschiebende Wirkung erteilt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
ist in Zivilsachen, die nicht der Berufung unterliegen, gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Behörden die Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig, wenn statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales oder ausländisches Recht angewendet worden ist. Gegen den angefochtenen Beschluss des Zürcher Obergerichts ist eine Berufung nicht möglich, weil es sich dabei nicht um einen Endentscheid im Sinne von
Art. 48
BGE 96 II 433 S. 435
OG
handelt. Ein solcher läge nur dann vor, wenn ein materiellrechtlicher Anspruch endgültig beurteilt worden wäre. Die Vorinstanzen haben die vorliegende Klage jedoch materiell nicht geprüft. Sie haben diese vielmehr aus einem prozessualen Grund nicht an die Hand genommen, und zwar ohne dass dem Beschwerdeführer dadurch verunmöglicht worden wäre, seinen Anspruch erneut geltend zu machen (WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, S. 180 ff. mit Verweisungen; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 162).
Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet die Rüge, die letzte kantonale Instanz habe statt des eidgenössischen Rechts kantonales Recht angewendet. Eine Nichtanwendung eidgenössischen Rechts im Sinne von
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
liegt nämlich auch dann vor, wenn sich aus dem Bundeszivilrecht ergibt, dass es bestimmte zur Anwendung gelangte kantonale Vorschriften - und zwar auch solche prozessualer Natur - ausschliessen will (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 257). Eine solche Nichtanwendung von Bundesrecht wird vom Beschwerdeführer geltend gemacht. Auf seine Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
a) Ehescheidungsklagen werden im Kanton Zürich gemäss
§ 121 Abs. 1 ZPO
durch Einreichung der vom Friedensrichter auszustellenden Weisung beim Bezirksgericht anhängig gemacht. Für das Sühnverfahren gelten nach
§ 254 ZPO
folgende Sonderregeln:
"Bei Ehescheidungsklagen kann der Friedensrichter nach seinem Ermessen einen zweiten Sühnversuch anordnen. Die Ausstellung der Weisung darf nicht vor acht Wochen nach dem ersten Sühnversuch verlangt werden.
Wird die Scheidung einer Ehe aus Gründen verlangt, welche einen Aussöhnungsversuch von vornherein ausschliessen (z.B. Geisteskrankheit), so soll dem klagenden Ehegatten ohne weiteres die Weisung an das Gericht zugestellt werden."
Zürich und Schwyz sind die einzigen Kantone, die in Ehescheidungssachen zwischen das Sühnverfahren und die Anrufung des Gerichts eine Sperrfrist eingeschoben haben (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 468, Ziff. 5 d). Was den Kanton Schwyz anbetrifft, sei auf § 391 Abs. 2 seiner Zivilprozessordnung verwiesen, wonach der Weisungsschein nicht vor Ablauf von 60 Tagen nach dem ersten
BGE 96 II 433 S. 436
Sühnversuch ausgestellt werden darf. Ferner sieht die Zivilprozessordnung des Kantons Genf vor, dass der mit der Durchführung des Sühnverfahrens betraute Gerichtspräsident innert einer Frist von längstens einem Monat eine zweite Sühnverhandlung anordnen kann, wenn er eine Versöhnung als noch möglich erachtet; erscheint der beklagte Teil zum zweiten Mal nicht zur Sühnverhandlung, hat der Gerichtspräsident ferner die Möglichkeit, die Einreichung der Klage beim Gericht erst nach Ablauf eines Monats zuzulassen (vgl. die Art. 434 Abs. 3, 436 Abs. 2 und 438 Abs. 1 der Genfer Zivilprozessordnung).
b) Die Sperrfrist des § 254 der Zürcher ZPO hängt mit dem Aussöhnungsversuch, den der Friedensrichter in der Sühnverhandlung vorzunehmen hat, insofern zusammen, als sie wegfällt, falls eine solche Verhandlung aus zwingenden äusseren Gründen von vornherein nicht durchgeführt werden kann, so wenn ein Ehegatte z.B. geisteskrank oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist. In allen andern Fällen muss die Sperrfrist ohne Rücksicht darauf abgewartet werden, ob der Aussöhnungsversuch Erfolg verspreche oder nicht. Sie ist auch dann zu beachten, wenn der beklagte Teil zur Sühnverhandlung gar nicht erscheint oder auf andere Weise zu erkennen gibt, dass er zu einem Aussöhnungsversuch nicht Hand bieten will (ZR Bd 58 Nr. 88 S. 234/35; STRÄULI/HAUSER, Kommentar, N. 3 zu
§ 254 ZPO
). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, der Sinn der Sperrfrist sei ein anderer als derjenige des Sühnverfahrens. Die Sperrfrist soll den Parteien auch dann, wenn sie zu Beginn des Sühnverfahrens zu einer Aussöhnung nicht bereit sind, Gelegenheit zu nochmaliger Besinnung geben und sie von einer voreiligen Klageanhängigmachung abhalten (ZR 58 S. 235 2. Spalte unten). Es mag zwar Fälle geben, in denen schon in diesem Stadium der Auseinandersetzung eine Aussicht auf Versöhnung ausgeschlossen werden kann. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle steht aber in diesem Zeitpunkt noch nicht fest, ob die Parteien innerlich endgültig und unwiderrruflich zur Scheidung entschlossen seien. Viele, die den Friedensrichter anrufen mit dem scheinbar unwiderruflichen Entschluss, sich endgültig vom Gatten zu trennen, revidieren diesen in oder nach der Sühnverhandlung und reichen dem Partner die Hand zur Versöhnung, wenn nach einiger Zeit ihre Erregung abgeklungen ist. Eine solche nachträgliche Versöhnung ist auch möglich, wenn der Beklagte gar nicht zur Sühnverhandlung
BGE 96 II 433 S. 437
gekommen ist oder sonst zum Ausdruck gebracht hat, dass er scheiden will. Sie wird durch die Sperrfrist erleichtert; denn erfahrungsgemäss ist eine Aussöhnung eher möglich, solange der Prozess noch nicht beim Gericht hängig ist. Das friedensrichterliche Verfahren ist aber noch kein eigentliches Gerichtsverfahren und wird von den Parteien auch nicht als solches aufgefasst.
Der pflichtbewusste Friedensrichter wird sich denn auch nicht darauf beschränken, den Parteien gegen die Erhebung offenbar unbegründeter Ansprachen oder die Bestreitung begründeter Rechtsbegehren Vorstellungen zu machen (
§ 112 Abs. 1 ZPO
), sondern er wird die Gatten an ihre Pflichten mahnen, ihnen die Nachteile einer Scheidung auseinandersetzen, sie zu beraten versuchen und ihnen nahelegen, ihre weitern Schritte nochmals gründlich zu überlegen. Die Sperrfrist zwingt die Parteien zu solcher Überlegung und bewahrt sie vor voreiligen Schritten; insofern ist sie ein Teil des Sühnverfahrens.
3.
Es ist nun zu prüfen, ob diese Regelung im zürcherischen Prozessrecht mit dem Bundesrecht vereinbar sei. Das kantonale Prozessrecht widerspricht dem Bundesprivatrecht dann, wenn es dessen Verwirklichung verunmöglicht oder hindert (GULDENER, a.a.O., S. 64; GULDENER, Bundesprivatrecht und kantonales Zivilprozessrecht, ZSR N.F. Bd 80 II S. 22 f. mit Verweisungen). Eine Verletzung des Bundesprivatrechts darf allerdings nicht schon immer dann angenommen werden, wenn es für die Durchsetzung des materiellen Rechts zweckmässigere Lösungen gäbe als die im kantonalen Prozessrecht vorgesehenen, sondern erst dann, wenn die Verwirklichung des Bundesprivatrechts durch die Ausgestaltung des kantonalen Prozessrechts unerträglich bzw. in unzulässiger Weise erschwert wird (KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 9).
Es fragt sich nun, ob die im zürcherischen Prozessrecht vorgesehene Sperrfrist die Geltendmachung des Scheidungsanspruchs in unzulässiger Weise erschwert und daher mit dem Bundesrecht nicht vereinbar ist, wie der Beschwerdeführer unter Berufung auf verschiedene Meinungsäusserungen in der Literatur behauptet (vgl. insbesondere GULDENER, ZSR Bd 80 II S. 404, und GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, II. Supplement, zu S. 468 Anm. 56). Zuzugeben ist, dass die Sperrfrist in gewissen Fällen dem Scheidungskläger die Durchsetzung des
BGE 96 II 433 S. 438
Scheidungssanpruchs etwas erschweren mag, was aber noch nicht einen Eingriff in die kantonale Prozessordnung rechtfertigen würde.
Ob die Anhängigmachung der Scheidungsklage in unerträglicher oder in unzulässiger Weise erschwert wird, beurteilt sich in erster Linie nach den tatsächlichen Auswirkungen der Sperrfrist in der Praxis. Sie veranlasst und zwingt die Parteien, sich nach erfolglosem ersten Sühnversuch nochmals zu besinnen. Tatsächlich kommen in dieser nachträglichen Besinnungszeit häufig Aussöhnungen zustande. Die Sperrfrist begünstigt demnach die Aussöhnung zwischen den Parteien und dient damit, wie das Sühnverfahren, einem schutzwürdigen Zweck (
BGE 74 II 72
; BÜHLER, Das Ehescheidungsverfahren, ZSR N.F. Bd 74 II S. 391a/392a; BARDE, Le Procès en divorce, ZSR N.F. Bd 74 II S. 459a). Die Verfolgung dieses Zwecks liegt im Rahmen des Bundesprivatrechts. Die Sperrfrist will den Kläger nämlich keineswegs hindern, seine unter Umständen begründete Klage einzureichen, sondern sie verlangt von ihm nur, dass er sich diesen Schritt gut und reiflich überlege. Angesichts der Wichtigkeit und der Bedeutung, die ein Scheidungsprozess im Leben eines jeden Gatten hat, darf von demjenigen, der einen auf Lebzeiten abgeschlossenen Vertrag in einer spannungsgeladenen Atmosphäre oder aus einer gefühlsbetonten Situation heraus auflösen will, verlangt werden, dass er sich auch nach einer ersten ergebnislos verlaufenen Sühnverhandlung nochmals besinne und nicht voreilig handle. Dabei ist eine Überlegungszeit von acht Wochen dem Scheidungskläger zumutbar; jedenfalls bedeutet sie nicht eine unerträgliche oder unzulässige Erschwerung der Geltendmachung des Scheidungsanspruchs. Sie ist demzufolge auch nicht bundesrechtswidrig. Das Bundesgericht hat schon im EntscheidBGE 74 II 71f., auf dessen Begründung verwiesen werden kann, ausgeführt, es gehe wohl nicht an, die zürcherische Sperrfrist von Bundesrechts wegen als unstatthaft zu erklären - und zwar sagte es dies in Kenntnis der Unzukömmlichkeiten, welche die Sperrfrist nach sich ziehen kann, wenn die Ehegatten in verschiedenen Kantonen Wohnsitz haben. Von dieser Auffassung abzuweichen, besteht auch zur Zeit kein Anlass.
BGE 96 II 433 S. 439
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen und der Ent scheid des Obergerichts des Kantons Zürich (I. Zivilkammer) vom 26. Juni 1970 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a8796f83-fe4b-49fd-90b2-5f52a5fd3d57 | Urteilskopf
114 Ib 317
48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Dezember 1988 i.S. A. gegen Gemeinde X. und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 Abs. 1 RPG
; Standortgebundenheit eines unterirdischen Durchganges.
1. Das in
Art. 24 Abs. 1 RPG
enthaltene Erfordernis der Standortgebundenheit beruht auf der räumlichen Ordnungsvorstellung, das Kulturland und das Siedlungsgebiet zu trennen, den Siedlungsraum zu beschränken und das Land ausserhalb des baulichen Bereichs grundsätzlich von Überbauungen freizuhalten. Der Gesetzgeber hat insoweit die Interessenabwägung grundsätzlich selber abschliessend vorgenommen (E. 4a).
2. Ein unterirdischer Durchgang zwischen Wohnhaus und Garage als solcher ist nicht standortgebunden; er dient dem persönlichen Komfortbedürfnis, das der räumlichen Ordnungsvorstellung widerspricht (E. 4c).
3. Eine bestehende, zonenfremde Baute als solche rechtfertigt eine weitere Ausdehnung der zonenwidrigen Nutzung nicht und kann somit die Standortgebundenheit weiterer zonenfremder Anlagen nicht begründen (E. 4d). | Sachverhalt
ab Seite 318
BGE 114 Ib 317 S. 318
A. ist Eigentümerin eines Grundstückes in der Gemeinde X., das gemäss Zonenplan dieser Gemeinde vom 16. Dezember 1982 teilweise innerhalb und teilweise ausserhalb der Bauzone liegt. Sie beabsichtigt, ihr Wohnhaus, das sich ausserhalb der Bauzone befindet, durch einen unterirdischen Gang mit der Doppelgarage und dem Schwimmbad in der Bauzone zu verbinden. Das Bauvorhaben soll zum grössten Teil im ausserhalb der Bauzone gelegenen Bereich des Grundstückes errichtet werden. Am 26. Januar 1987 verweigerte der Gemeinderat in Übereinstimmung mit einer Weisung des Baudepartementes vom 21. Januar 1987 die Baubewilligung. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wies der Regierungsrat ab. Ebenso entschied das Verwaltungsgericht am 25. Mai 1988, beide Instanzen nach Durchführung eines Augenscheins. Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
BGE 114 Ib 317 S. 319
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 Abs. 1 RPG
kann erteilt werden, wenn der Zweck der Baute einen Standort ausserhalb der Bauzone erfordert (lit. a) und wenn dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (lit. b). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (
BGE 113 Ib 141
E. 5;
BGE 112 Ib 102
).
a) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf die Standortgebundenheit nur dann bejaht werden, wenn eine Baute aus technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen oder wegen der Bodenbeschaffenheit auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen ist. Dabei beurteilen sich die Voraussetzungen nach objektiven Massstäben, und es kann weder auf die subjektiven Vorstellungen und Wünsche des Einzelnen noch auf die persönliche Zweckmässigkeit oder Bequemlichkeit ankommen (
BGE 113 Ib 141
E. 5a;
BGE 111 Ib 217
E. 3b). An diese Erfordernisse sind strenge Anforderungen zu stellen (
BGE 113 Ib 142
), um der Zersiedlung der Landschaft entgegenzuwirken. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht festhält, beruht diese Regelung auf der räumlichen Ordnungsvorstellung, das Kulturland und das Siedlungsgebiet zu trennen, den Siedlungsraum zu beschränken und das Land ausserhalb des baulichen Bereichs grundsätzlich von Überbauungen freizuhalten (
Art. 3 Abs. 2 und 3 RPG
). Der Gesetzgeber hat somit grundsätzlich selber eine Interessenabwägung vorgenommen; die Baubewilligungs- und die entsprechende Rechtsmittelbehörde hat sie lediglich anzuwenden. Hierin unterscheidet sich die Handhabung des Kriteriums der Standortgebundenheit (
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
) von demjenigen der überwiegenden entgegenstehenden Interessen (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
).
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie benötige den Durchgang, um trockenen Fusses vom Wohnhaus zur Garage zu gelangen, vor allem im Hinblick auf zunehmendes Alter und zunehmende Gebrechlichkeit. Das Verwaltungsgericht hält dem entgegen, der vorgesehene Durchgang sei aus sachlichen Gründen nicht auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen. Das zonenwidrige Wohnhaus könne die Standortgebundenheit des Bauvorhabens nicht begründen. Im übrigen könnten die Garage und das Schwimmbad bereits heute vom Wohnhaus aus problemlos über den geteerten bzw. gekiesten Hausplatz erreicht werden, womit die Verbindung gewährleistet sei. Eine weitere interne Erschliessung
BGE 114 Ib 317 S. 320
mittels unterirdischem Durchgang sei daher keineswegs erforderlich.
c) Diesen verwaltungsgerichtlichen Überlegungen ist zuzustimmen. Es liegt auf der Hand, dass der unterirdische Durchgang als solcher nicht standortgebunden ist, sondern einem persönlichen Komfortbedürfnis entspringt, das der gesetzgeberischen räumlichen Ordnungsvorstellung widerspricht (
BGE 111 Ib 217
E. 3b,
BGE 108 Ib 135
E. 3a; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 2. März 1987 i.S. EJPD c. Wismer betreffend Minigolfanlage und Parkplatzerweiterung zu einem bestehenden Restaurant). Die Verhältnisse liegen hier nicht anders als bei einem Schwimmbad und einem Gartenhaus, das ein Bauherr in der Nähe seines Privathauses errichten wollte. Auch in diesem Fall fand das Bundesgericht, der Wunsch danach entspreche nicht einem Bedürfnis, das im Hinblick auf die sinnvolle Nutzung der Wohnliegenschaft als sachlich ausgewiesen oder gar notwendig erscheine. Dieses Ergebnis könne für einen Bauherrn, der seinerzeit rechtens gebaut habe und dessen Liegenschaft nunmehr zonenwidrig geworden sei, eine gewisse Härte bedeuten. Diese Härte sei indessen vom Bundesgesetzgeber im Interesse einer klaren Trennung von Siedlungs- und Nichtsiedlungsgebiet, die zur Vermeidung der Zersiedlung der Landschaft nötig sei, bewusst in Kauf genommen worden (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 23. Mai 1986 i.S. Mayer c. Weinfelden betreffend Schwimmbad und Gartenhaus).
d) Die Standortgebundenheit kann auch nicht aus der Tatsache hergeleitet werden, dass der Durchgang dem bestehenden Wohnhaus dient, da eine bestehende, zonenfremde Baute als solche eine weitere Ausdehnung der zonenwidrigen Nutzung nicht rechtfertigen und somit die Standortgebundenheit für weitere zonenfremde Anlagen nicht begründen kann (nicht veröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 20. Mai 1987 i.S. Schärer E. 3, vom 2. März 1987 i.S. EJPD c. Wismer E. 3a und vom 18. März 1981 i.S. Henselmann E. 5b). | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a87c4955-7d72-43a8-bdc6-cb8276d22f5c | Urteilskopf
114 III 31
10. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 15. Januar 1988 i.S. V. (Rekurs) | Regeste
Art. 271 Ziff. 4 SchKG
; Arrestierung von Lohnforderungen.
Lohnforderungen eines in der Schweiz arbeitenden Grenzgängers mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland können am schweizerischen Sitz des Arbeitgebers arrestiert werden. | Erwägungen
ab Seite 31
BGE 114 III 31 S. 31
Aus den Erwägungen:
2.
b) Die Argumentation des Rekurrenten läuft darauf hinaus, dass er behauptet, die arrestierten Vermögenswerte seien nicht dauernd oder jedenfalls für eine gewisse Dauer in der Schweiz gelegen; denn sein Lohn werde ihm - einem in der Schweiz arbeitenden und in Konstanz wohnenden Grenzgänger - nach Deutschland überwiesen.
Völlig zutreffend hat die Vorinstanz zu diesem Punkt ausgeführt, dass sich der vorliegende Sachverhalt in keiner Weise mit dem Fall des Taschenarrestes von
BGE 112 III 47
ff. vergleichen lasse, wo man die Barschaft von Fr. 2'190.-- des nur vom 11. bis 15. März 1985 in der Schweiz sich aufhaltenden Schuldners arrestieren wollte. Käme es auf die Dauer des Aufenthaltes des Schuldners in der Schweiz überhaupt an, so wäre der Vergleich mit dem Sachverhalt des erwähnten Bundesgerichtsentscheides schon deshalb nicht möglich, weil sich der Rekurrent (abgesehen von Abwesenheiten wegen Ferien, Krankheit und dergleichem) an jedem Werktag des Jahres in St. Gallen aufhält.
Entscheidend ist nun aber vor allem, dass im vorliegenden Fall Arrestgegenstand die Lohnforderungen des im Ausland wohnhaften Rekurrenten gegenüber seinem Arbeitgeber mit Sitz in der Schweiz sind. Solche Forderungen können nach der Rechtsprechung am schweizerischen Sitz des Drittschuldners arrestiert werden (
BGE 107 III 147
ff.). Die Verbindung zur Schweiz ist bei einem Arbeitsverhältnis wie dem vorliegenden eng, weshalb auch das Internationale Privatrecht am Recht des Arbeitsortes anknüpft; nicht zuletzt bei leitenden Angestellten spricht nach der Lehrmeinung vieles für das Recht am Sitz des Arbeitgebers (Kommentar SCHÖNENBERGER zum IPR, N. 284; VISCHER in Schweizerisches Privatrecht I, § 80 S. 675; Art. 121 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht [IPRG] vom 18. Dezember 1987, BBl 1988 I 35). | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a8883080-3a57-4066-91e3-5aac915ef80a | Urteilskopf
125 III 346
60. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. August 1999 i.S. P.H. gegen B.T. (Berufung) | Regeste
Art. 5 Ziff. 3 des Lugano-Übereinkommens (LugÜ). Örtliche Zuständigkeit bei negativer Feststellungsklage.
Die Klage auf Feststellung, dass der Kläger für einen vom Beklagten aus unerlaubter Handlung zum Ersatz beanspruchten Schaden nicht hafte, ist dort anzubringen, wo der bestrittene Anspruch nach Massgabe von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
auf positive Leistungsklage hin zu beurteilen wäre (E. 4b).
Der Handlungsort i.S.v.
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
für als rechtswidrig ausgegebene Äusserungen des Klägers liegt dort, wo sie Dritten gegenüber mündlich abgegeben oder schriftlich abgesandt werden (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 347
BGE 125 III 346 S. 347
A.-
Der Kläger beriet im Jahre 1982 als deren Verwaltungsrat die Bank X. in Zusammenhang mit einem italienischen Rechtshilfebegehren um Einzahlungen zu Gunsten des Beklagten, korrespondierte in der Angelegenheit mit der Bezirksanwaltschaft Zürich und sagte vor ihr als Zeuge aus.
Der Beklagte erachtete sich dadurch als rechtswidrig geschädigt und machte erstmals im Jahre 1990 dem Kläger gegenüber An- sprüche im Betrage von US$ 150 Mio. geltend. In den Jahren 1992-1996 betrieb er ihn jeweils über rund Fr. 195 Mio.
B.-
Am 29. November 1995 belangte der Kläger den Beklagten vor Bezirksgericht Meilen mit folgenden Rechtsbegehren:
«Es sei festzustellen, dass der Kläger dem Beklagten nichts schuldet.
Eventuell, es sei festzustellen, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger
keine Forderungen aus unerlaubter Handlung hat;
alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beklagten.»
Mit Beschluss vom 8. August 1996 trat das Bezirksgericht Meilen auf die Klage nicht ein und überwies den Prozess an das Bezirksgericht Zürich. Dem Kläger auferlegte es die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.- sowie eine Parteientschädigung an den Beklagten von Fr. 26'625.-.
Mit Beschluss vom 2. Dezember 1996 wies das Obergericht des Kantons Zürich einen Rekurs des Klägers ab, erhöhte die Gerichtsgebühr des erstinstanzlichen Verfahrens auf Fr. 53'351.- sowie die Parteientschädigung an den Beklagten auf Anschlussrekurs hin auf Fr. 50'000.- zuzüglich Mehrwertsteuer von Fr. 3'250.- und auferlegte dem Kläger die Verfahrenskosten vor oberer Instanz mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 18'210.- und einer Parteientschädigung von Fr. 16'600.-.
Beide kantonalen Instanzen hielten dafür, die vom Kläger angestrengte negative Feststellungsklage diene der Abwehr der gegen ihn vom Beklagten geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung und sei daher nach
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
(Lugano-Übereinkommen) am Deliktsort, d.h. am Begehungsort der dem Kläger vorgeworfenen Handlungen anzubringen. Handlungsort im Sinne dieser Bestimmung aber sei nicht der Wohnsitz des Klägers in A., Bezirk Meilen, sondern dessen Geschäftssitz in der Stadt Zürich.
C.-
Eine Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers hiess das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 23. April 1999 teilweise gut, indem es eine Passage in den obergerichtlichen Erwägungen strich; im Übrigen wies es sie ab, soweit es darauf eintrat.
BGE 125 III 346 S. 348
D.-
Der Kläger hat gegen den obergerichtlichen Beschluss ebenfalls eidgenössische Berufung eingelegt. Er beantragt dem Bundesgericht, ihn aufzuheben und das Bezirksgericht Meilen anzuweisen, auf die Klage einzutreten, eventuell die Sache zur Ergänzung des Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit da-rauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Vorbehältlich der vom Kläger rechtsirrtümlich aus
Art. 85a SchKG
, Art. 2 oder Art. 16 Ziff. 5 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ; SR 0.275.11) beanspruchten Zuständigkeit ist zu Recht unstreitig, dass sie sich für die Beurteilung der vorliegenden Klage internationalprozessrechtlich aus
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
ergibt.
a) Im Streit stehen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, im Sinne des autonom zu interpretierenden
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
, d.h. An- sprüche, welche eine Haftung des angeblichen Schädigers begründen würden, die nicht an einen Vertrag im Sinne von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
anknüpft (KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., N. 56 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, N. 147 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, EuGVÜ, N. 16 zu Art. 5 EuGVÜ). Sie können beim Gericht des Ortes eingeklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
). Deliktsort in diesem Sinne sind sowohl der Handlungs- wie der Erfolgsort (KROPHOLLER, a.a.O., N. 62 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 f. zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 5 EuGVÜ, je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall streitig ist der Handlungsort.
b)
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
regelt für Deliktsklagen nicht nur die internationale, sondern weitergehend die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit, bezeichnet damit unabhängig von den dazu bestehenden nationalen Vorschriften unmittelbar den massgebenden Gerichtsstand (POUDRET, Les règles de compétences de la Convention de Lugano confrontées à celles du droit fédéral, en particulier à l'article 59 de la Constitution, in: Gillard [Hrsg.], L'espace judiciaire européen, S. 57 f., 59 f.; GERHARD WALTER, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 2. Aufl., S. 166 f.; VOGEL, Grundriss des
BGE 125 III 346 S. 349
Zivilprozessrechts, 5. Aufl., S. 103 Rz. 44r; DONZALLAZ, La Convention de Lugano, Volume II, S. 58 Rz. 1794; KROPHOLLER, a.a.O., N. 4 vor Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; Schlosser, EuGVÜ, N. 1 vor Art. 5; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 113 f. zu Art. 2 EuGVÜ/LugÜ).
Die Klage auf Feststellung, dass der Kläger für einen vom Beklagten zum Ersatz beanspruchten Schaden nicht hafte, betrifft im Lichte von
Art. 21 LugÜ
denselben Anspruch wie die spiegelbildliche Klage der Gegenpartei auf Feststellung, dass der Kläger für diesen Schaden hafte (
BGE 123 III 414
E. 5; Urteil des EuGH vom 6. Dezember 1994 i.S. Tatry c. Maciej Rataj, Slg. 1994 I 5439, rezensiert in IPRax 1996 108 f.; GION JEGHER, Mit schweizerischer negativer Feststellungsklage ins europäische Forum Running, ZSR 118/1999 I S. 31 f., 34 f.). Folgerichtig ist die negative Feststellungsklage, sofern der besondere Gerichtsstand von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
gewählt wird, dort anzubringen, wo der bestrittene Anspruch nach Massgabe dieser Bestimmung auf positive Leistungsklage hin zu beurteilen wäre (DONZALLAZ, a.a.O., Volume III, S. 369 f. Rz. 5121; KROPHOLLER, a.a.O., N. 71 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 15 zu Art. 5 EuGVÜ; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 180 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ). Zwar mag zufolge der Ubiquität des Deliktsorts, welche nach
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
einen Gerichtsstand sowohl am Handlungs- wie am Erfolgsort begründet nicht unbedenklich erscheinen, den präsumptiven Schädiger das an sich dem Geschädigten zustehende Wahlrecht zwischen mehreren in Betracht fallenden örtlichen Zuständigkeiten ausüben zu lassen, doch ist dies jedenfalls dann unbedenklich, wenn das angerufene Gericht in besonderer Beweis- und Sachnähe zu den zu beurteilenden Handlungen steht (JEGHER, a.a.O., S. 39 f. mit weiteren Hinweisen, insb. in Fn. 38).
Negative Feststellungsklage in diesem Sinne ist auch die hier zu beurteilende. Sie verfolgt nach ihrer Ausgestaltung ausschliesslich defensiv-vermögensrechtliche Ziele, will der Kläger mit seinen Begehren doch einzig festgestellt haben, dem Beklagten nichts zu schulden, jedenfalls nicht aus unerlaubter Handlung. Streitiger Anspruch ist damit allein derjenige des Beklagten auf Schadenersatz. Sein Entstehungs- oder Rechtsgrund ergibt sich aus den dem Kläger unterstellten rechtswidrigen Handlungen. Dieser Rechtsgrund aber bestimmt allein die Zuständigkeit gemäss
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
und zwar unbesehen des Motivs zum gerichtlichen Vorgehen. Die Wirkung des angestrebten Urteils, die sich wie in jedem Feststellungsprozess auf die Rechtskraft beschränkt (ROSENBERG/
BGE 125 III 346 S. 350
SCHWAB/GOTTWALD, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., S. 518), erfasst nach den gestellten Begehren unabhängig von der zufälligen Verteilung der Parteirollen nur den streitigen Anspruch des Beklagten aus den behaupteten unerlaubten Handlungen des Klägers (
BGE 105 II 229
E. 1b;
BGE 123 III 414
E. 5; KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, Bern 1954, S. 81). Anders verhielte es sich, wenn der Kläger nicht den Nichtbestand der gegen ihn geltend gemachten Forderung, sondern die Widerrechtlichkeit, sie zu behaupten oder in Betreibung zu setzen festzustellen begehrt und so Schutz vor Rechtsgefährdung im Persönlichkeitsbereich angestrebt hätte (KUMMER, a.a.O., S. 90; ders., Der zivilprozessrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechtes, ZBJV 103/1967, S. 106 f., 109 f.). Solcher Schutz des Klägers aus
Art. 28a ZGB
,
Art. 41 OR
oder anderen Haftungsnormen lässt sich indessen mit den gestellten Begehren urteilsmässig nicht bewirken, höchstens mittelbar durch die Reflexwirkungen einer die Nichtschuld feststellenden Entscheidung im Haftpflichtprozess über den behaupteten Vermögensschaden des Beklagten. Diese möglichen Reflexwirkungen bleiben indessen ohne Einfluss auf die streitige Zuständigkeit. Bundesrechtskonform hat daher die Vorinstanz erkannt, diese bestimme sich im Sinne von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
nach dem Ort der Prozessgegenstand bildenden Handlungen des Klägers.
c) Die Vorinstanz hat als Handlungsort Zürich, den Geschäftssitz des Klägers bestimmt und damit die Rückweisung der Klage am Gerichtsstand dessen Wohnsitzes bestätigt.
aa) Handlungsort im Sinne von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
ist der Ort, an dem eine unter diese Bestimmung fallende Handlung ausgeführt wurde, der Ort des dem Schaden zu Grunde liegenden ursächlichen Geschehens, le lieu du fait générateur (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 zu Art. 5 EuGVü/ LugÜ; KROPHOLLER, a.a.O., N. 62 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 5 EuGVÜ; GAUDEMET-TALLON, Les conventions de Bruxelles et de Lugano, 2e éd., Paris 1996, S. 140 f.; BEATRICE BRANDENBERG BRANDL, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, Diss. St. Gallen 1991, S. 312). Bei räumlich auseinanderliegenden Teilhandlungen multizipliert
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
die örtlichen Zuständigkeiten, indem jedes Gericht, in dessen Bezirk eine Handlung begangen wurde, konkurrierend örtlich zuständig ist. Blosse Vorbereitungshandlungen begründen allerdings den Gerichtstand des Handlungsortes noch nicht (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 181 und 187 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; BRANDENBERG BRANDL, a.a.O., S. 312).
BGE 125 III 346 S. 351
In Lehre und Rechtsprechung ist umstritten, ob das Gericht im Rahmen seines Zuständigkeitsentscheids über eine am Gerichtstand von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
angehobene positive Leistungs- oder Feststellungsklage im Bestreitungsfalle auch zu prüfen hat, ob der dem Schädiger vorgeworfene Geschehensablauf tatsächlich stattgefunden hat, um zu vermeiden, dass ein Gerichtsstand des Deliktsorts allein durch willkürliche Behauptungen des Klägers begründet werden kann (bejahend GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 198 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ mit Hinweisen auf abweichende Auffassungen). Klagt allerdings der praesumptive Schädiger auf negative Feststellung seiner Verantwortlichkeit, muss zur Begründung der Zuständigkeit ausreichen, dass die ihm vom Beklagten vorgeworfenen Handlungen angeblich im Bezirk des angerufenen Gerichts vorgenommen wurden oder - im Falle des Unterlassungsdelikts - hätten vorgenommen werden müssen, andernfalls der diese Handlungen bestreitende praesumptive Schädiger als Kläger von einem Gerichtsstand nach
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
ausgeschlossen wäre. Zu prüfen ist dagegen in jedem Fall, ob der behauptete Anspruch im Falle seiner Begründetheit ein solcher aus unerlaubter Handlung im Sinne von
Art. 5 Ziff. 3 LugÜ
wäre (E. 4a hievor). Umgekehrt ist nicht im Rahmen des Zuständigkeitsentscheids zu prüfen, ob der dem Schädiger unterstellte Sachverhalt ihn haftbar machte. Dies ist keine Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern deren Begründetheit (GEIMER/SCHÜTZE, N. 198 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; WALTER, a.a.O, S. 183). Daher bleibt der Einwand des Klägers, die ihm unterstellten Handlungen begründeten mangels Rechtswidrigkeit keine Haftung, für die Bestimmung der Zuständigkeit unbeachtlich.
bb) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wirft der Beklagte dem Kläger vor, im Rechtshilfeverfahren von 1982 rechtswidrige und ausserhalb jenes Verfahrens liegende Aussagen gemacht zu haben. Der Handlungsort für derartige Äusserungen liegt dort, wo sie Dritten gegenüber mündlich abgegeben oder schriftlich abgesandt werden (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ).
Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, der Kläger habe im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen in seinem Anwaltsbureau in Zürich Briefe unterzeichnet und von dort aus abgesandt sowie sich telefonisch mit dem zuständigen Staatsanwalt unterhalten und in der Rechtshilfesache ebenfalls in Zürich als Zeuge ausgesagt. Offen blieb nach der Streichung einer obergerichtlichen Erwägung durch das Kassationsgericht, ob der
BGE 125 III 346 S. 352
Kläger ein Telefongespräch mit dem Anwalt der Bank X.von seinem Domizil in A. oder seinem Bureau in Zürich aus geführt hatte, doch erachtete das Obergericht diese Frage für den Zuständigkeitsentscheid nicht als wesentlich, da es die entscheidenden Handlungen so oder anders in Zürich lokalisierte.
Der Beklagte leitet den streitigen Anspruch nach den Feststellungen der Vorinstanz aus mündlichen und schriftlichen Äusserungen des Klägers im Rechtshilfeverfahren ab. Als angeblich unerlaubte Handlungen werden demnach Kundgaben gegenüber den Rechtshilfebehörden ausgegeben. Solche Kundgaben aber erfolgten nach den Feststellungen der Vorinstanz ausschliesslich in Zürich. Dass der Kläger allenfalls einzelne darauf bezügliche Vorbereitungshandlungen an seinem Domizil in A. vornahm, insbesondere dort Briefe und Aktennotizen diktierte, ist nach dem Gesagten zuständigkeitsbegründend. Das nicht lokalisierte Telefongespräch mit dem Anwalt der Bank X. sodann fällt ausser Betracht, weil es vom Vorwurf rechtswidriger Äusserungen gegenüber den Rechtshilfebehörden nicht erfasst wird. Das Obergericht hat daher bundesrechtskonform Zürich als Handlungsort bestimmt und demzufolge die Rückweisung der Klage durch das Bezirksgericht Meilen bestätigt. Damit erweist sich die Berufung als unbegründet und wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a88bfb82-f739-4fcf-a58b-345b979e38db | Urteilskopf
87 I 73
11. Auszug aus dem Urteil vom 29. März 1961 i.S. Hagen gegen Gritschneder und Obergericht des Kantons Tlmrgau. | Regeste
Schweiz./deutsches Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929.
Art. 6: Ob ein auf Geldzahlung lautendes Urteil in der Schweiz zu vollstrecken sei, ist von Bundesrechts wegen (
Art. 81 Abs. 3 SchKG
) im Rechtsöffnungsverfahren zu entscheiden (Erw. 1).
Art. 2 Ziff. 2: Wirkungsdauer der in einem zivilrechtlichen Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel (Erw. 5).
Art. 4 Abs. 1: Der für das Verfahren vor Landgerichten und höheren deutschen Gerichten geltende Anwaltszwang verstösst nicht gegen den schweizerischen ordre public (Erw. 6 b).
Art. 7 Ziff. 1: Die Ausfertigung eines deutschen Versäumnisurteils gilt auch dann, wenn sie keine Entscheidungsgründe enthält, als "vollständig" (Erw. 6 c). | Sachverhalt
ab Seite 74
BGE 87 I 73 S. 74
A.-
Der in Güttingen (TG) wohnhafte Kaufmann Albert Hagen beauftragte im Jahre 1957 Rechtsanwalt Dr. Otto Gritschneder in München mit der Führung eines Forderungsprozesses gegen eine Firma in München und unterzeichnete am 10. September 1957 eine Anwaltsvollmacht, in der München als Gerichtsstand und Erfüllungsort bezeichnet ist. Dr. Gritschneder stellte am 18. Dezember 1958 für seine Bemühungen und Auslagen Rechnung und klagte diese am 3. September 1959 beim Landgericht München I gegen Hagen ein. Dieser erhielt am 24. September 1959 durch Vermittlung des Bezirksgerichts Kreuzlingen eine beglaubigte Abschrift der Klage sowie eine Ladung auf den 16. November 1959. Am 14. Oktober 1959 schrieb Hagen dem Landgericht, er habe Dr. Gritschneder
BGE 87 I 73 S. 75
die Vollmacht bereits am 28. April 1958 entzogen, anerkenne deshalb den Gerichtsstand München nicht mehr und werde sich dort nicht auf die Klage einlassen. Das Landgericht antwortete ihm am 20. Oktober 1959, dass er diese Einwendungen nur durch einen beim Landgericht zugelassenen Anwalt vorbringen könne; sollte er zur Verhandlung vom 16. November 1959 ohne Anwalt oder überhaupt nicht erscheinen, so könne ein Versäumnisurteil gegen ihn erlassen werden. Hagen leistete der Ladung keine Folge, worauf das Landgericht München I die Klage durch Versäumnisurteil vom 16. November 1959 guthiess.
Gestützt auf dieses Urteil betrieb Dr. Gritschneder Hagen für Fr. ...... und ersuchte, als Hagen Recht vorschlug, den Präsidenten des Bezirksgerichts Kreuzlingen, das Urteil vollstreckbar zu erklären und Rechtsöffnung zu bewilligen. Der Gerichtspräsident stellte die Akten dem thurgauischen Obergericht zu, damit es gemäss § 320 thurg. ZPO über die Bewilligung der Vollstreckbarkeit entscheide. Mit Beschluss vom 22. Dezember 1960 erteilte das Obergericht diese Bewilligung.
B.-
Gegen diesen Entscheid führt Albert Hagen staatsrechtliche Beschwerde. Er beruft sich auf
Art. 4 und 59 BV
sowie Art. 2 des schweiz./deutschen Vollstreckungsabkommens.
C.-
Das Obergericht des Kantons Thurgau und der Beschwerdegegner Dr. Otto Gritschneder beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach Art. 6 des schweiz./deutschen Vollstreckungsabkommens vom 2. November 1929 (nachfolgend kurz "Abkommen" genannt) werden die Entscheidungen der Gerichte des einen Staates, die nach dem Abkommen im Gebiete des andern anzuerkennen sind, auf Antrag einer Partei von der zuständigen Behörde dieses Staates in einem möglichst einfachen und schleunigen Verfahren
BGE 87 I 73 S. 76
für vollstreckbar erklärt. Welche Behörde zuständig und wie das Urteil zu vollziehen ist, bestimmt sich nach dem Recht des Staates, in dem die Vollstreckung beantragt wird.
Das Urteil, dessen Vollstreckung der Beschwerdegegner begehrt, hat die Verpflichtung zu einer Geldzahlung zum Gegenstand und ist daher nach schweizerischem Recht auf dem Wege der Schuldbetreibung zu vollziehen (
Art. 38 Abs. 1 SchKG
). Über seine Vollstreckbarkeit ist gemäss
Art. 81 Abs. 3 SchKG
von Bundesrechts wegen im Rechtsöffnungsverfahren zu entscheiden, in welchem der Betriebene die im Abkommen vorgesehenen Einreden erheben kann (
BGE 86 I 35
/36 mit Verweisungen sowie Botschaft des Bundesrates zum Abkommen, BBl 1929 III 538, wo auch ausgeführt ist, dass im gemeinsamen Sitzungsprotokoll der Delegationen der beiden Länder festgestellt wurde, der im schweizerischen Rechtsöffnungsverfahren ergehende Entscheid über die Vollstreckbarkeit falle unter den Ausdruck "Vollstreckbarerklärung" im Sinne von Art. 6 des Abkommens).
Im Kanton Thurgau ist die Erteilung der Rechtsöffnung Sache des Bezirksgerichtspräsidenten (
§ 204 Ziff. 2 ZPO
). Diesem steht daher im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens auch die Vollstreckbarerklärung im Sinne von Art. 6 des Abkommens zu.
§ 320 ZPO
bestimmt zwar, dass die Vollstreckungsbewilligung für Urteile ausländischer Gerichte beim Obergericht nachzusuchen ist. Soweit es sich aber um ein auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung gerichtetes Urteil handelt, über dessen Vollstreckbarkeit von Bundesrechts wegen im Rechtsöffnungsverfahren zu entscheiden ist, hat diese kantonalrechtliche Bestimmung vor dem Bundesrecht keinen Bestand (JAEGER Nr. 24 zu
Art. 81 SchKG
; FRITZSCHE, Schuldbetreibung I S. 126). Das hat übrigens das Obergericht im Jahre 1934 selber festgestellt (Rechenschaftsbericht 1934 S. 51 Nr. 9). Vorliegend wäre somit der Bezirksgerichtspräsident von Kreuzlingen, bei dem der Beschwerdegegner um
BGE 87 I 73 S. 77
Rechtsöffnung nachgesucht hat, zuständig gewesen, auch über die Vollstreckbarkeit des Urteils des Landgerichts München zu befinden, und gegen seinen Entscheid wäre dann gemäss
§ 292 Ziff. 6 ZPO
die Beschwerde an das Obergericht zulässig gewesen. Statt die Frage der Vollstreckbarkeit selber zu beurteilen, hat sie der Bezirksgerichtspräsident dem Obergericht unterbreitet, welches entgegen der bundesrechtlichen Ordnung sowie seiner eigenen Praxis und ohne sich mit dieser auseinanderzusetzen, darauf eingetreten ist und anstelle des Bezirksgerichtspräsidenten das Urteil für vollstreckbar erklärt hat. Die Zuständigkeit des Obergerichts, im vorliegenden Falle auf Grund von
§ 320 ZPO
die Vollstreckbarerklärung auszusprechen, ist indessen nicht angefochten worden, weshalb das Bundesgericht sie hinzunehmen hat und den Entscheid des Obergerichts nicht wegen funktioneller Unzuständigkeit desselben aufheben kann.
2.- 4.- (Ausführungen darüber, dass für die Vollstreckbarkeit eines deutschen Urteils in der Schweiz ausschliesslich das Abkommen massgebend ist und dass der Beschwerdeführer, indem er die Vollmacht mit der Gerichtsstandsklausel unterzeichnete, sich durch eine ausdrückliche Vereinbarung im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 des Abkommens der Zuständigkeit der Münchner Gerichte unterworfen hat.)
5.
Für den Fall der Verbindlichkeit der Gerichtsstandsklausel macht der Beschwerdeführer geltend, dass die Vollmacht von ihm am 28. April 1958 widerrufen worden und damit die darin enthaltene Gerichtsstandsklausel dahingefallen sei. Auch diese Rüge ist unbegründet. Die Gerichtsstandsklausel ist nach schweizerischem wie nach deutschem Recht auch dort, wo sie äusserlich als Teil eines zivilen Rechtsgeschäftes erscheint, eine selbständige prozessrechtliche Abrede (
BGE 62 I 234
und
BGE 64 I 44
mit Zitaten,
BGE 76 II 249
,
BGE 85 I 31
). Sodann gilt eine Gerichtsstandsvereinbarung, die sich wie die vorliegende auf ein materielles Rechtsverhältnis bezieht, solange, als dieses Wirrkungen zeitigt, und sie kann daher angerufen
BGE 87 I 73 S. 78
werden, solange Ansprüche und Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis bestehen, mag dieses selber inzwischen auch ein Ende gefunden haben. Sollte der Beschwerdeführer Auftrag und Vollmacht widerrufen haben, was der Beschwerdegegner mit überzeugenden Gründen bestreitet, so hätte dies nicht das Dahinfallen der Gerichtsstandsvereinbarung bewirkt. Der Beschwerdegegner stützt alle Ansprüche, die er in München eingeklagt und die das dortige Landgericht geschützt hat, auf den ihm mit der Vollmacht vom 10. September 1957 erteilten Auftrag. Der Streit betraf somit Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis, für welches die Gerichtsstandsabrede abgeschlossen worden ist, weshalb den Münchner Gerichten die Zuständigkeit zur Beurteilung dieser Ansprüche nicht abgesprochen werden kann.
6.
Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Vollstreckung des Urteils in der Schweiz verstosse gegen den schweizerischen ordre public. Damit beruft er sich auf Art. 4 Abs. 1 des Abkommens, wonach die Anerkennung eines im andern Staate erlassenen Urteiles zu verweigern ist, wenn es gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungs-Staates verstösst. Der Beschwerdeführer erblickt einen solchen Verstoss darin, dass vor dem deutschen Gericht Anwaltszwang bestehe und das Versäumnisurteil keine Begründung enthalte, somit in Mängeln des Verfahrens. Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates im allgemeinen wie auch gemäss Art. 4 Abs. 1 des Abkommens bezieht sich, wie in
BGE 85 I 47
Erw. 4 entschieden worden ist, nicht nur auf den Inhalt der Entscheidung, sondern grundsätzlich auf das Verfahren, in dem sie ergangen ist. Die Rüge ist daher zulässig.
a) Der Beschwerdeführer begründet sie lediglich damit, dass der Anwaltszwang und das Fehlen einer Urteilsbegründung in der Schweiz unbekannt seien. Das genügt indes nicht, um eine Verletzung der schweizerischen öffentlichen Ordnung darzutun. Der Vorbehalt des ordre public greift dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl
BGE 87 I 73 S. 79
durch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in unerträglicher Weise verletzt würde (
BGE 84 I 121
Erw. 2 mit Verweisungen,
BGE 85 I 47
Erw. 4). Eine solche unerträgliche Verletzung des einheimischen Rechtsgefühls liegt nicht schon dann vor, wenn das schweizerische Recht eine Verfahrensvorschrift des ausländischen Rechts nicht kennt; vielmehr müsste noch dargetan werden, inwiefern diese ausländische Verfahrensvorschrift sich mit dem einheimischen Rechtsempfinden schlechterdings nicht verträgt. Darüber schweigt sich die Beschwerde indessen aus. Ob trotz dieser mangelhaften Substantiierung auf die Rüge der Verletzung des ordre public einzutreten ist (
Art. 90 lit. b OG
), kann dahingestellt bleiben, da sich die Rüge ohnehin als unbegründet erweist.
b) Der Grundsatz des deutschen Rechts, dass die Parteien vor dem Landgericht und vor allen Gerichten des höheren Rechtszuges durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten sein müssen (§ 78 DZPO), bestand schon lange vor dem Abschluss des Abkommens und war als ein wesentlicher Unterschied des deutschen gegenüber dem schweizerischen Prozess bekannt. Wenn daher das Abkommen die an das Verfahren im Urteilsstaate zu stellenden Anforderungen aufzählt (Art. 4 Abs. 3), ohne das Recht zu persönlicher Prozessführung zu nennen, so kann das, wie bereits in Erw. 3 des nicht veröffentlichten Urteils vom 6. März 1936 i.S. André Dewald & Sohn ausgeführt worden ist, nur dahin verstanden werden, dass der genannte Anwaltszwang nicht als eine unzulässige Beeinträchtigung der Verteidigung im Prozess betrachtet werden soll. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Prozess gilt in der Schweiz freilich als wichtiges Recht und folgt, soweit ihn nicht schon das kantonale Recht gewährleistet, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unmittelbar aus dem in
Art. 4 BV
aufgestellten allgemeinen Grundsatz der Rechtsgleichheit (statt vieler
BGE 85 I 202
und 207). Im Zivilprozess muss die Partei indes nur die Möglichkeit haben, ihre Sache
BGE 87 I 73 S. 80
dem Richter vorzutragen und sich zu verteidigen, nicht auch, dies in jedem Falle persönlich ohne den Beistand eines Anwalts zu tun. So ist denn auch im schweizerischen Recht vereinzelt vorgesehen, dass einer Partei die Postulationsfähigkeit entzogen und sie zur Bestellung eines Vertreters angehalten werden kann, wenn sie sich als unfähig erweist, ihre Sache selber zu führen (
Art. 29 Abs. 5 OG
; GULDENER, Das Schweiz. Zivilprozessrecht 2. Aufl. S. 119 III 1).
c) Nach Art. 7 Ziff. 1 des Abkommens hat die Partei, welche die Vollstreckbarerklärung nachsucht, eine "vollständige" Ausfertigung der Entscheidung beizubringen. Nach der deutschen ZPO brauchen Versäumnisurteile, die dem Klagebegehren entsprechen, weder eine Tatbestandsdarstellung noch Entscheidungsgründe zu enthalten (§ 313 Abs. 3) und erfolgt, wenn das Urteil in dieser abgekürzten Form hergestellt wird, auch die Ausfertigung in gleicher Weise (§ 317 Abs. 4). Das Bundesgericht hat schon in Erw. 1 des eben erwähnten und in
BGE 68 I 164
Erw. 3 zitierten Urteils i.S. André Dewald & Sohn entschieden, dass eine solche Ausfertigung eines deutschen Versäumnisurteils als "vollständig" anerkannt werden müsse, denn es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass das Abkommen einen selbständigen Begriff der "vollständigen" Ausfertigung hätte schaffen wollen, dessen Erfordernisse durch die nach § 317 Abs. 4 DZPO ergangenen deutschen Versäumnisurteile nicht erfüllt würden. Entspricht demnach die vom Beschwerdegegner vorgelegte Urteilsausfertigung dem Art. 7 des Abkommens, so kann der Beschwerdeführer das Fehlen der Urteilsbegründung nicht aus dem Gesichtspunkt des schweizerischen ordre public beanstanden, denn die Bestimmungen der von der Schweiz abgeschlossenen Staatsverträge gelten als Landesrecht mit Gesetzeskraft und können daher nicht gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstossen (
BGE 72 I 275
b mit Zitaten). Das Bundesgericht hat übrigens wiederholt entschieden, dass in der fehlenden oder mangelhaften
BGE 87 I 73 S. 81
Begründung einer Entscheidung nur insoweit eine Rechtsverweigerung liege, als dadurch eine gesetzliche Vorschrift verletzt wird (
BGE 28 I 11
,
BGE 43 I 28
,
BGE 62 I 146
und zahlreiche nicht veröffentlichte Urteile). Es kann daher keine Rede davon sein, dass in der Schweiz "eine Partei in jedem Falle Anspruch auf ein begründetes Urteil" habe, wie in der Beschwerde behauptet wird. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a88c6a79-aeed-4df7-9e41-38a10bacc1b9 | Urteilskopf
93 II 393
52. Urteil der 1. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1967 i.S. Aktiengesellschaft Hallenstadion Zürich gegen Schibli. | Regeste
Art. 657 Abs. 1 OR
. Auslegung. Diese Vorschrift enthält ein Missbrauchsverbot und will daher verhindern, dass Genussscheine aus absolut unsachlichen Gründen ausgegeben werden (Erw. 2).
Befugnis der Gesellschaft, die Inhaberaktien ausgibt und in der Folge das Grundkapital herabsetzt, Genussrechte einzuräumen, obwohl sich nachträglich die von der Sanierung betroffenen Aktionäre nicht mehr mit Sicherheit ermitteln lassen? Richterliches Ermessen? (Erw. 3).
Der Beschluss über die Ausgabe von Genussscheinen, der sich auf sachliche Gründe stützt, verletzt weder das wohlerworbene Recht des Aktionärs auf Gewinnbeteiligung noch den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre (Erw. 6 und 7). | Sachverhalt
ab Seite 394
BGE 93 II 393 S. 394
A.-
Am 20. April 1935 wurde die Aktiengesellschaft Hallenstadion Zürich gegründet. Sie hatte zum Zweck, Bauland in Zürich-Oerlikon zu erwerben, ein Hallenstadion zu bauen und zu betreiben oder zu verpachten. Das von 224 Gründern einbezahlte Grundkapital betrug Fr. 530 000.-- und war eingeteilt in in 5300 Inhaberaktien zu Fr. 100.--.
Infolge Ausbruchs des zweiten Weltkrieges geriet das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Es war nicht mehr in der Lage, die Zinsen und Abschlagszahlungen an das bei der Zürcher Kantonalbank aufgenommene und im ersten Rang grundpfändlich sichergestellte Darlehen von Fr. 900 000.-- zu entrichten und die Forderungen der Handwerker und Materiallieferanten voll zu befriedigen. Die Gesellschaft musste daher zu Sanierungen schreiten.
a) In den Generalversammlungen vom 21. November 1942 und 10. September 1943 setzte die Aktiengesellschaft Hallenstadion das Grundkapital zuerst auf Fr. 53 000.--, dann auf Fr. 26 500.-- und den Nennwert der Aktien von Fr. 100.-- auf Fr. 10.- bezw. Fr. 5.- herab. Insgesamt war damit das Aktienkapital um 95% oder Fr. 503 500.--abgeschrieben. Zugleich schloss die Gesellschaft mit den Handwerkern und Materiallieferanten einen Nachlassvertrag. Danach wurden die noch bestehenden Forderungen bis zu 85% in bar bezahlt; weitere 5% oder insgesamt Fr. 106 000.-- sollten mit 1060 Prioritätsaktien zu Fr. 100.-- abgegolten werden und die restlichen 10% oder Fr. 217 880.85 wurden erlassen. Demgemäss beschloss die Generalversammlung die Erhöhung des Grundkapitals auf Fr. 132 000.-- durch Ausgabe eines Prioritätskapitals von Fr. 106 000.--, welches durch Verrechnung mit Guthaben von Handwerkern voll aufgebracht wurde. Das Aktienkapital setzte sich also aus 5300 Stammaktien zu Fr. 5.- und 1060 Prioritätsaktien ("Handwerkeraktien") zu Fr. 100.-- zusammen. Damit
BGE 93 II 393 S. 395
sank die Beteiligung der ursprünglichen Aktionäre am Gesellschaftskapital von 100% auf weniger als 10% herab.
b) Am 30. Juli 1946 beschloss die Generalversammlung, die auf Fr. 5.- abgewerteten Stammaktien im Verhältnis von 20:1 in 265 Stammaktien zu Fr. 100.-- zusammenzulegen und sie mit den 1060 Handwerkeraktien zu einem neuen Stammkapital von Fr. 132 000.-- zu verschmelzen. Um die Finanzlage der Gesellschaft zu verbessern, wurde das Aktienkapital durch Ausgabe von 2 000 Prioritätsaktien zu Fr. 100.-- auf Fr. 332 000.-- erhöht. Die neuen Aktien wurden je zur Hälfte von einer privaten Gruppe und der Stadt Zürich gezeichnet. Die Zürcher Kantonalbank schrieb am 17. Dezember 1946 die Baukreditschuld von Fr. 847 867.-- auf Fr. 580 000.-- ab und erlitt damit einen endgültigen Verlust von Fr. 267 867.--.
In den Jahren 1947-1957 wurden die alten Stammaktien im Verhältnis von 20:1 in neue Aktien umgetauscht. Dabei hatten die Aktionäre die Möglichkeit, Restbestände von weniger als 20 alten Stammaktien entweder zu Fr. 5.- das Stück zu verkaufen oder durch Zukauf der fehlenden Stückzahl zum Preise von Fr. 5.- auf 20 Stück zu ergänzen ("Spitzenkäufe"). Über diesen Umtausch besteht eine Liste der Zürcher Kantonalbank, Filiale Oerlikon, vom 23. Juli 1965.
Am 19. Dezember 1955 kaufte Max Schibli 250 Stammaktien (Nr. 301-550) der Gesellschaft.
Auf Antrag des Verwaltungsrates beschloss die ordentliche Generalversammlung der Aktiengesellschaft Hallenstadion am 25. November 1965 mit 2815 von 3074 vertretenen Stimmen gegen 258 Stimmen (wovon die 250 Stimmen Schiblis) und einer Enthaltung, einen Teil der von den Aktionären, den Handwerkern und der Zürcher Kantonalbank erlittenen Sanierungsverluste durch Ausgabe von höchstens 1836 nennwertlosen Genussscheinen wieder gutzumachen. Der Beschluss umschreibt die Bezugsberechtigung wie folgt:
a) Vier Genussscheine für jede Stammaktie, die auf Grund des Generalversammlungsbeschlusses vom 30. Juli 1946 über die Zusammenlegung der früheren Stammaktien im Verhältnis von 20:1 bezogen worden ist. Berechtigt sind die in der Liste der Zürcher Kantonalbank vom 23. Juli 1965 als Erwerber aufgeführten Aktionäre und ihre Erben, nicht aber Aktionäre, die umgetauschte Stammaktien auf andere Weise erlangt haben. Gemäss Liste sind insgesamt 258 neue Stammaktien bezogen
BGE 93 II 393 S. 396
worden, auf die demnach 1032 Genussscheine entfallen würden.
b) Je ein Genussschein für die Handwerker und Materiallieferanten (bzw. ihre Erben) für den seinerzeitigen Erlass von je vollen Fr. 500.--. Die Berechtigten sind anhand einer Liste zu ermitteln, die am 20. August 1943 bei Abschluss des Nachlassvertrages erstellt wurde und die ungedeckten Forderungsbeträge einzeln aufführt. Danach würden auf diese ehemaligen Gläubiger insgesamt 404 Genussscheine entfallen.
c) 400 Genussscheine an die Zürcher Kantonalbank.
In der gleichen Generalversammlung vom 15. November 1965 wurden die Statuten der Gesellschaft revidiert und dabei eine Reihe von Bestimmungen mit 2798 von 3074 vertretenen Stimmen gegen 253 Stimmen (darunter den 250 Stimmen Schiblis) abgeändert. Insbesondere wurde in der neuen Fassung von Art. 6 Ziff. 2 der Statuten die Gesellschaft zur Ausgabe von Genussscheinen ermächtigt. In der neuen Übergangsbestimmung von Art. 27 Ziff. 2 wurde der Inhalt der beschlossenen Genussscheine näher bestimmt. Danach sollten an die Inhaber der 1836 Genussscheine zehnmal höchstens Fr. 25.- pro Genussschein ausgeschüttet werden, unter Vorbehalt von
Art. 671 OR
betreffend den gesetzlichen Reservefonds, sowie unter der Voraussetzung, dass auf dem Aktienkapital eine Dividende von mindestens 6% entrichtet wird. Solange die Genussscheine noch Ansprüche verkörpern, darf die Dividende an die Aktionäre höchstens 10% betragen. Die Rechte aus den Genussscheinen erlöschen aber spätestens im Jahre 1980.
Schliesslich genehmigte die Generalversammlung mit 2791 gegen 253 Stimmen (darunter die 250 Stimmen Schiblis) die Anträge des Verwaltungsrates betreffend die Verwendung des Reingewinnes. Danach sollten u.a. Fr. 33 250.-- für die Ausschüttung einer Dividende von 10%, Fr. 16 625.-- für die Entrichtung eines Jubliäumsbonus von 5% und Fr. 45 900.-- für die Auszahlung von 1836 Genussscheinen zu Fr. 25.- verwendet werden.
B.-
Mit Klage vom 24. Januar 1966 focht Schibli beim Handelsgericht des Kantons Zürich die Beschlüsse der Generalversammlung über die Ausgabe von 1836 Genussscheinen, die Abänderung von Art. 6 Ziff. 2 und Art. 27 Ziff. 32 der Statuten und die Verteilung des Reingewinnes an. Dabei machte er im wesentlichen geltend, die beschlossene Ausgabevon 1836 Genussscheinen
BGE 93 II 393 S. 397
an einzelne Aktionäre und Dritte verstosse gegen
Art. 657 Abs. 1 OR
; sie verletze sein wohlerworbenes Recht auf Dividende und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre.
Das Handelsgericht hob am 10. April 1967 in teilweiser Gutheissung der Klage die Beschlüsse der Generalversammlung der Beklagten vom 25. November 1965 über die Ausgabe von 1836 Genussscheinen, die Neufassung von Art. 27 Ziff. 2 der Statuten und die Verteilung des Reingewinnes für das Geschäftsjahr 1964/65 auf; dagegen wies es die Klage über die Neufassung von Art. 6 Ziff. 2 der Statuten ab.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie beantragt, die Klage abzuweisen und das vorinstanzliche Urteil aufzuheben; eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte macht geltend, die Feststellung des Handelsgerichts, der Kläger habe die Aktien zu Fr. 120.-- das Stück erworben, beruhe auf einer bestrittenen Parteibehauptung und verstosse daher gegen
Art. 8 ZGB
. Diese Rüge ist aber, da der Kläger nicht behauptet, er gehöre zum Kreise der Genussscheinberechtigten, gegenstandslos.
2.
Nach
Art. 706 OR
kann jeder Aktionär die Beschlüsse der Generalversammlung gerichtlich anfechten, wenn sie gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen oder einem ungeschriebenen Grundsatz des Aktienrechts, wie z.B. dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre, zuwiderlaufen (vgl.
BGE 69 II 248
,
BGE 91 II 300
).
Das Handelsgericht hat die beschlossene Genussscheinausgabe unter dem Gesichtspunkt von
Art. 657 Abs. 1 OR
geprüft und grundsätzlich als zulässig erklärt. Immerhin hält es dafür, die genannte Bestimmung sei als Schutzvorschrift im Zweifel zugunsten der Aktionäre auszulegen. Der Kreis der Berechtigten sei daher trotz der Klausel "oder durch ähnliche Gründe verbunden sind" einschränkend auszulegen.
Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen die Auslegung der Vorinstanz und insbesondere gegen die Auffassung des Klägers, der Bezug von Genussscheinen setze eine gegenwärtige
BGE 93 II 393 S. 398
Verbundenheit des Empfängers mit der Gesellschaft voraus.
a) Nach
Art. 657 Abs. 1 OR
kann die Generalversammlung nach Massgabe der Statuten oder auf dem Wege der Statutenänderung die Schaffung von Genussscheinen zugunsten solcher Personen beschliessen, die mit dem Unternehmen durch frühere Kapitalbeteiligung, Aktienbesitz, Gläubigeranspruch oder durch ähnliche Gründe verbunden sind.
Der etwas missverständlich gefasste Wortlaut scheint für die Auffassung des Klägers zu sprechen. Das Wort "frühere" bezieht sich streng grammatikalisch nur auf "Kapitalbeteiligung", nicht auch auf "Aktienbesitz" und "Gläubigeranspruch" und deutet mit der Wendung "oder durch ähnliche Gründe verbunden sind" eine gegenwärtige Beziehung zur Gesellschaft an. Allein für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist nicht ausschliesslich ihr Wortlaut massgebend, ihre Entstehungsgeschichte, ihr Grund und Zweck, der Zusammenhang mit andern Vorschriften, sind ebenfalls zu berücksichtigen (vgl.
BGE 80 II 316
).
Aus den Materialien ergibt sich eindeutig, dass Genussscheine auch auf Grund einer früheren Beziehung zur Gesellschaft ausgegeben werden dürfen. Die vom Ständerat beschlossene Fassung sieht vor, die Gesellschaft könne "... die Ausstellung von Genussscheinen zugunsten solcher Personen beschliessen, die mit dem Unternehmen aus besondern Gründen, wie frühere Kapitalbeschaffung oder Gläubigeranspruch verbunden sind oder waren" (vgl. StenBull St Rat, 1931, S. 365). Die Fassung des Nationalrates weicht davon nur insofern ab, als sie noch den "Aktienbesitz" als Bezugsvoraussetzung erwähnt. Dieser Unterschied wurde - obwohl er nach Ansicht des Ständerates überflüssig war und auf einem Missverständnis beruhte (vgl. Sten-Bull StRat, 1935, S. 89) - in der Folge nicht bereinigt. Der Umstand, dass der Gesetzesentwurf von den Räten unverändert angenommen wurde, legt den Schluss nahe, dass die Wendung in
Art. 657 Abs. 1 OR
"oder waren" entweder aus Versehen weggelassen oder von der Redaktionskommission in der irrigen Vorstellung ausgemerzt wurde, es werde damit eine unnötige Doppelspurigkeit mit dem Ausdruck "frühere" und der Wendung "oder durch ähnliche Gründe verbunden sind", vermieden. Die gesetzlich verankerte Fassung bezweckte also keine materielle Änderung, sondern strebte bloss eine sprachliche
BGE 93 II 393 S. 399
Vereinfachung an, die allerdings auf Kosten der ursprünglichen Klarheit ging.
Auch die Besinnung auf den Zweckgedanken der Vorschrift rechtfertigt eine einschränkende Auslegung nicht. Das Bedürfnis nach einer Regelung der Genussscheine wurde deshalb als notwendig erachtet, weil trotz des Mangels einer gesetzlichen Grundlage diese Form der Beteiligung sich in der Praxis eingelebt hat und ihre unbeschränkte Zulassung als ernste "Gefährde" empfunden wurde (vgl. Botschaft, S. 30). Das Bestreben ging also dahin, sich "vor einem Übermass von Genussscheinen", wie man sie in andern Ländern treffe, zu hüten (Prot. der Exp. Komm., S. 241) und daher Kautelen gegenüber Missbräuchen irgendwelcher Art zu schaffen (vgl. darüber etwa HOFFMANN, Bericht zum Entwurf 1923, S. 43 f.). Die Vorschrift enthält demnach ein Missbrauchsverbot. Unter diesem Gesichtswinkel ist ihre systematische Stellung im Gesetz ("Schutz der Aktionäre und des Grundkapitals") zu verstehen. Sie will verhindern, dass aus absolut unsachlichen Gründen Genussscheine ausgegeben werden (vgl. SIEGWART, N. 13 zu Art. 657/58 OR, BÜRGI, N. 20 zu Art. 660/61 OR, ERNST, Der Genussschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, S. 158, SCHLUEP, Die wohlerworbenen Rechte des Aktionärs und ihr Schutz nach schweizerischem Recht, S. 58). Die Aktionäre brauchen es sich also nicht gefallen zu lassen, dass Genussscheine an solche Personen verabfolgt werden, die der Gesellschaft überhaupt keine Vorteile verschafft haben. Erforderlich ist dabei nach der Lehre stets, dass die Überlassung von Genussscheinen ein Äquivalent bilde für einen der Gesellschaft eingeräumten Vorteil (vgl. SIEGWART, a.a.O., JÄGGI, Der Genussschein als Mittel der Kapitalbeschaffung, SAG 1961/62, S. 4/5, BÄR, Der Kapitalbeschaffungsgenussschein, ZBJV 1965, S. 216, ERNST, a.a.O.). Dabei braucht nach BÜRGI, a.a.O., und ERNST, a.a.O., eine Rechtspflicht der Gesellschaft zur Erbringung einer Gegenleistung nicht zu bestehen, sondern eine Dankbarkeitspflicht kann genügen. Diese Auffassung wird beispielsweise durch die Tatsache bestätigt, dass Aktionäre oder Gläubiger in Zeiten schlechten Geschäftsganges auf ihre Ansprüche gegen die Gesellschaft verzichtet und damit die Rettung eines Unternehmens ermöglicht oder dazu beigetragen haben.
Indem der Gesetzgeber den namentlich erwähnten Verbundenheitsmerkmalen "ähnliche Gründe" gleichstellte, schaffte er
BGE 93 II 393 S. 400
einen entwicklungsfähigen Tatbestand und damit eine Art Generalklausel (vgl. ERNST, a.a.O., S. 154). Die Praxis hat daher Genussscheine für verschiedenartige Vorteile geschaffen (vgl. SIEGWART, N. 14-24 zu Art. 657/58 OR, CATALAN, Die Abgabepflicht für Genussscheine im schweizerischen Wehrsteuerrecht, S. 96-144).
b) Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Beklagten durch Aktienabschreibung und Forderungserlass der vierziger Jahre ein vermögenswerter Vorteil verschafft wurde. Damit ist das für die Ausgabe von Genussscheinen geforderte Äquivalenz-Verhältnis erstellt. Die Auffassung des Klägers, die Ausgabe von Genussscheinen dürfe nur Zug um Zug gegen den Verzicht des Gläubigers oder Aktionärs auf seine Ansprüche gegen die Gesellschaft erfolgen, findet im Gesetz keine Stütze. Sie wäre denn auch wenig sinnvoll. Das Handelsgericht weist mit Recht darauf hin, es sei verständlich, dass sich die Beklagte nicht inmitten einer schweren Krise zur Gewährung von Genussrechten entschloss, sondern damit zuwartete, bis sich die Ertragslage gebessert und der Geschäftsgang es ermöglicht hatte, die den Aktionären und Gläubigern entstandenen Verluste ganz oder teilweise zu ersetzen. Zwar neigt das Handelsgericht mit dem Kläger zur Ansicht, dass nach einem Zeitablauf von zwanzig oder mehr Jahren jegliche Verbundenheit des Aktionärs oder Gläubigers mit der ehemaligen Sanierung fehle. Diesem Gedanken sei daher dadurch Rechnung zu tragen, dass an die Ausgabe von Genussscheinen umso strengere Anforderungen gestellt werden, je weiter die Sanierung zurückliege. Damit verkennt aber das Handelsgericht, dass mangels einer gesetzlichen Befristung die Ausgabe von Genussscheinen nur durch das Verbot des Missbrauchs eingeschränkt ist. Ob die Überlassung von Genussscheinen sachlich gerechtfertigt sei, hängt aber nicht davon ab, ob die gesetzlichen Merkmale der Verbundenheit zeitlich weit zurückliegen und sich die Gefühle der Dankbarkeit im Laufe der Zeit mehr oder weniger ernüchtert haben. Die Bewertung des Vorteils für die Gesellschaft hat daher stets nach objektiven Massstäben zu erfolgen.
Im vorliegenden Fall gebot es die Billigkeit, dass die Beklagte nach erfolgreicher Sanierung und erfreulichem Aufschwung den Zeitpunkt als gekommen erachtete, Aktionären und Gläubigern eine alte Dankesschuld abzutragen für die in den vierziger Jahren zur Erhaltung der Gesellschaft gebrachten finanziellen Opfer.
BGE 93 II 393 S. 401
Die Verwirklichung dieses Zweckes wird denn auch durch Art. 25 Abs. 1 der neuen Statuten vom 25. November 1965 grundsätzlich gedeckt. Danach hat die Generalversammlung das Recht, "... Dividenden und andere Ausschüttungen an statutenmässig Gewinnbeteiligte" zu beschliessen. Zudem sah bereits Art. 12 Abs. 1 der alten Statuten die Möglichkeit vor, Genussscheine zu schaffen. Damit nahm jeder künftige Aktionär die Gefahr in Kauf, später durch die Ausgabe von Genussscheinen in seinen Dividenden verkürzt zu werden.
3.
a) Das Handelsgericht ist der Auffassung, die an sich zulässige Genussscheinausgabe zugunsten der Aktionäre müsse heute daran scheitern, dass sich nach so langer Zeit die Personen, die tatsächlich Opfer gebracht haben, nicht mehr zuverlässig ermitteln lassen. Es führt aus, die für den Bezug von Genussscheinen massgebende Liste der Zürcher Kantonalbank vom 23. Juli 1965 gebe Auskunft über das Datum des Umtausches, den Namen des Umtauschers, die Anzahl und die Nummern der eingetauschten alten Stammaktien und die Anzahl und die Nummern der bezogenen neuen Aktien. Über einen wichtigen Punkt, nämlich darüber, wer die Sanierungsverluste der Jahre 1942/43 tatsächlich erlitten hat und in welchem Mass, enthalte die Liste nach dem Eingeständnis der Beklagten keine sicheren Angaben. Es lasse sich daraus bloss entnehmen, wer in den Jahren 1947-1957 alte Stammaktien umgetauscht habe und wieviele, nicht dagegen, wer in den Jahren 1942/43 zur Zeit der Kapitalherabsetzungen und der damit verbundenen Aktienabschreibungen von Fr. 100.-- auf Fr. 5.- Aktien besessen habe und wieviele. Nur wenn das feststünde, liessen sich die eigentlichen Verlierer und die Höhe ihrer Verluste einigermassen zuverlässig ermitteln. Unrichtig sei die Auffassung der Beklagten, die Verluste seien erst im Jahre 1946 entstanden, und das Kriterium für die Genussscheinberechtigung müsse daher der damalige Aktienbesitz sein. Wer z.B. im Jahre 1944 alte Stammaktien zu Fr. 5.- oder darunter gekauft habe, habe auf diesen Aktien überhaupt nie Verluste erlitten, auch im Jahre 1946 nicht. Zuverlässig feststellen könne die Beklagte nur noch die Namen der 244 Zeichner und ihren Aktienbesitz im Jahre 1938, sowie die 86 Umtauscher in den Jahren 1947-1957 und die Zahl der damals eingetauschten Aktien. Dagegen fehle es an sicheren Angaben für die Zeit von 1939-I 946, mithin für die entscheidenden Jahre 1942/43. Der Umstand, dass nur 86 Zeichner Aktien umgetauscht
BGE 93 II 393 S. 402
hätten, zeige, dass in der Zwischenzeit ein reger Handel mit Aktien stattgefunden haben müsse. Es sei daher durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass einzelne Aktionäre nach den beiden Entwertungen Aktien für Fr. 5.- oder weniger zusammenkauften, auf denen sie persönlich keine Sanierungsverluste erleiden mussten. Der Besitz von Altaktien im Jahre 1946 beweise somit keineswegs, dass und in welchem Ausmass der betreffende Aktionär Sanierungsopfer gebracht hat. Auch sei möglich, dass vereinzelte Aktionäre zu Beginn des zweiten Weltkrieges, als sich die Krise der Gesellschaft abzuzeichnen begann, ihre Aktien verkauft und nach der Entwertung andere Aktien erworben haben. Zudem hätten zahlreiche Aktionäre von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Restbestände von weniger als 20 Aktien durch Zukauf der fehlenden Stückzahl zum Preise von Fr. 5.- das Stück auf 20 Stück zu ergänzen, ohne auf diesen "Spitzenkäufen" Verluste erlitten zu haben. Dies habe zur Folge, dass nach dem von der Beklagten vorgesehenen Schlüssel - vier Genussscheine auf je eine eingetauschte Stammaktie - die Sanierungsverluste sehr ungleichmässig ausgeglichen würden, keineswegs aber zu 50%, wie von der Beklagten behauptet worden sei. Vereinzelte Aktionäre würden nicht bloss für ihre Verluste voll gedeckt, sondern bei Vollzug der angefochtenen Beschlüsse sogar namhafte Gewinne erzielen.
b) Die Beklagte macht geltend, die vom Handelsgericht aufgestellten Erfordernisse seien insofern bundesrechtswidrig, als sie zu einer Verkennung des sachlich Gerechtfertigten führten.
Die in Art. 706 vorgesehene Anfechtungsklage bezweckt in erster Linie, den Aktionär gegen einen Machtmissbrauch der Mehrheit zu schützen, falls diese sich der Bestimmungen über die Organisation der Gesellschaft zur Erreichung von Zielen bedient, die dem Wohl der Gesellschaft zuwiderlaufen, und Sonderinteressen den Vorrang einräumt vor den allgemeinen Interessen der Gesellschaft und der Gesamtheit ihrer Mitglieder (vgl.
BGE 82 II 150
,
BGE 92 II 247
). Die Rechtsprechung hat sich in der Anwendung von
Art. 706 OR
Zurückhaltung auferlegt und nicht ohne zwingende Gründe in die Belange der Aktiengesellschaft eingegriffen. InBGE 54 II 28wird ausgeführt, dass hinsichtlich der Zweckmässigkeit und des Masses von Abschreibungen auf die Generalversammlung abzustellen sei. Ein Eingreifen des Richters sei nur geboten, wenn sich die Verfügungen nach dem
BGE 93 II 393 S. 403
Stande des Unternehmens durch vernünftige wirtschaftliche Erwägungen nicht mehr rechtfertigen lassen. Dieser Grundsatz wurde später vom Bundesgericht bei der Bemessung der Entschädigung für die Tätigkeit von Verwaltungsräten bestätigt. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass auf dem Gebiete der kaufmännischen Erfahrung Verwaltungsrat und Generalversammlung wegen der Vertrautheit mit den Verhältnissen und Bedürfnissen der Gesellschaft am besten zu urteilen in der Lage seien (vgl.
BGE 82 II 150
). In
BGE 91 II 310
wird erklärt, die Gerichte könnten die Beschlüsse über die Verwendung des Reingewinnes auf ihre Angemessenheit hin nicht überprüfen und dürften nur einschreiten, wenn die Generalversammlung den Rahmen vernünftiger Überlegung willkürlich überschritten habe.
Wie erwähnt, bietet nach Feststellung des Handelsgerichts der von der Beklagten vorgesehene Schlüssel keine sichere Gewähr für eine gleichmässige Entschädigung der von den Altaktionären gebrachten Sanierungsopfer. Allein weder die vom Handelsgericht noch vom Kläger erwogenen Lösungen sind für eine bessere Zweckverwirklichung geeignet. Diese darf aber nicht an der Unzulänglichkeit scheitern, dass sich infolge Ausgabe von Inhaberaktien eine sichere Ermittlung der von der Sanierung betroffenen Aktionäre nachträglich als unmöglich erweist. Die gegenteilige Betrachtungsweise hätte die vom Gesetzgeber nicht gebilligte Folge, dass Genussscheine nur von Gesellschaften mit Namenaktien ausgegeben werden dürften.
Das Handelsgericht trägt mit seinen Anforderungen dem Umstand nicht gebührend Rechnung, dass die praktische Verwirklichung des in Aussicht genommenen Zieles in das freie Ermessen der Generalversammlung gestellt ist. Der Richter hat daher nicht das eigene Ermessen an die Stelle jenes der Generalversammlung zu setzen. Indem die Beklagte die auf der Umtauschliste der Zürcher Kantonalbank aufgeführtenAktionäre als genussscheinberechtigt erklärte, nahm sie die Bevorzugung solcher Aktionäre in Kauf, die der Gesellschaft keine Sanierungsopfer gebracht hatten. Damit ist offenkundig, dass die Beklagte auch das Vertrauen belohnen wollte, das ihr durch den Kauf neuer Stammaktien entgegengebracht wurde. Vom Standpunkt der Gesellschaft aus gesehen ist es daher nicht entscheidend, dass durch die Einräumung von Genussrechten gewisse Aktionäre einen Gewinn erzielen. Dass die vorgesehene Lösung weder
BGE 93 II 393 S. 404
gesellschaftsfremde Interessen noch irgendwelche Sonderinteressen einer Mehrheit verfolgt, wird durch die Tatsache widerlegt, dass die mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit gefassten Beschlüsse zur Hauptsache auf die uneigennützige Einstellung der Inhaber der 2 000 Prioritätsaktien zurückzuführen sind. Die zugunsten der Inhaber von 258 Aktien vorgesehene Genussscheinausgabe ist daher sachlich gerechtfertigt und mit
Art. 657 Abs. 1 OR
vereinbar.
4.
Das Handelsgericht ist der Auffassung, die Ausgabe von Genussscheinen an die Handwerker und Materiallieferanten wäre bei der Sanierung der Gesellschaft ohne weiteres zulässig gewesen. Nachträglich sei aber eine solche Massnahme deshalb nicht gerechtfertigt, weil die betroffenen Gläubiger für ihre Verluste seither anderweitig entschädigt worden seien. Die ihnen seinerzeit zur Abgeltung von 5% der Forderungen eingeräumten Prioritätsaktien hätten heute einen Verkehrswert, der den Nennwert mehrfach übersteige, und würden zusammen mit den seit 1950 bezogenen Dividenden die durch den Forderungsverzicht von 10% oder Fr. 217 880.-- entstandenen Verluste zumindest voll aufwiegen; dies selbst dann, wenn man die Zinsverluste mitberücksichtige. Ein Verlust sei daher den betreffenden Gläubigern - hinterher betrachtet - nicht entstanden.
Diese Auffassung hält nicht stand. Die den Gläubigern übergebenen Prioritätsaktien waren zur Tilgung eines Forderungsanteiles von 5% bestimmt. Eine in der Zwischenzeit allenfalls eingetretene Wertsteigerung darf daher auf die erlassene Forderung von 10% nicht angerechnet werden. Demnach bleibt es dabei, dass die Gläubiger für die Sanierungsverluste als nicht entschädigt zu gelten haben. Sie haben durch ein erhebliches finanzielles Opfer zur Rettung der Gesellschaft beigetragen und damit die nachträgliche Belohnung in Form von Genussscheinen verdient. Die 404 Genussscheine haben einen Wert von rund Fr. 100 000.--. Sie stehen somit nicht in einem unvernünftigen Verhältnis zum Sanierungsopfer der Gläubiger.
5.
Das Handelsgericht betrachtet die Ausgabe von Genussscheinen zugunsten der Zürcher Kantonalbank an sich als zulässig. Diese sei nicht Aktionärin und ziehe daher aus der Wiedergesundung der Gesellschaft und der heutigen wirtschaftlichen Blüte keinen direkten Vorteil. Da aber die drei Beschlüsse nur entweder als Ganzes aufgehoben oder bestätigt werden könnten, müsse auch die zugunsten der Zürcher Kantonalbank beschlossene
BGE 93 II 393 S. 405
Genussscheinausgabe dahinfallen. Ob diese Auffassung zutreffe, kann hier offen bleiben. Der Kläger macht geltend, die Zürcher Kantonalbank ziehe nicht nur aus den Geschäftsbeziehungen zur Beklagten Nutzen, sondern gelange als Staatsunternehmen auch mittelbar in den Genuss ihrer Steuergelder. Dieser Einwand ist unhaltbar. Massgebend ist nur, dass die Zürcher Kantonalbank durch den Verzicht auf eine Forderung von Fr. 267 867.-- zur Sanierung der Beklagten beigetragen hat. Die als Entschädigung dafür vorgesehenen 400 Genussscheine verkörpern einen Wert von ca. Fr. 100 000.--, entsprechen somit etwas mehr als einem Drittel der erlassenen Forderung. Es kann daher nicht die Rede davon sein, ihre Ausgabe sei im Sinne von
Art. 657 Abs. 1 OR
sachlich nicht gerechtfertigt.
6.
Das Handelsgericht erblickt in der beschlossenen Genussscheinausgabe einen Verstoss gegen das wohlerworbene Recht des Klägers auf einen verhältnismässigen Anteil am Reingewinn. Der Gewinnanspruch eines Aktionärs - so wird argumentiert - werde verkürzt, wenn Genussscheine Dritten verabfolgt oder unter den Aktionären ungleichmässig verteilt werden. In diesen Fällen müsse die Ausgabe von Genussscheinen und die geplante Verteilung sachlich gerechtfertigt sein.
a) Das wohlerworbene Recht des Aktionärs auf einen verhältnismässigen Anteil am Reingewinn im Sinne von
Art. 646 OR
ist kein unbedingtes; es ist eingeschränkt durch die weitgehenden Befugnisse der Generalversammlung oder der Verwaltung. So kann die Generalversammlung den Reingewinn zur Äufnung von Reserven oder zu andern nach Gesetz oder Statuten zulässigen Zwecken verwenden. Die Gerichte können aber die Angemessenheit der hierüber gefassten Beschlüsse nicht überprüfen und dürfen nur einschreiten, wenn die Generalversammlung den Rahmen vernünftiger Überlegungen willkürlich überschritten hat (vgl.
BGE 91 II 310
und dort erwähnte Entscheide).
b) Die beschlossene Genussscheinausgabe wird, wie dargetan, durch sachliche Gründe gestützt. Insbesondere ist mit Bezug auf die eingetauschten Aktien zu unterstreichen, dass ihre Inhaber der Gesellschaft einen Vorteil von Fr. 1900.-- auf je zwanzig alte Stammaktien verschafft haben. Auch wenn eine genaue Ermittlung der Aktieninhaber im Zeitpunkt der Sanierungen in den Jahren 1942/43 möglich gewesen wäre, so würde durch die vorgesehene Genussscheinausgabe die finanzielle Belastung der
BGE 93 II 393 S. 406
Gesellschaft in den nächsten 10 Jahren keine Änderung erfahren. Angesichts der Tatsache, dass durch die geplante Genussscheinausgabe 37 bzw. 50% der Sanierungsverluste abgegolten werden sollen, kann nicht gesagt werden, die Leistung der Gesellschaft stehe in einem unvernünftigen Verhältnis zu den gebrachten Opfern der Aktionäre und Gläubiger. Gewiss werden die Dividenden nur im ersten Jahr 15% betragen und für die nächsten zehn Jahre zwischen 6-10% begrenzt sein. Doch darf anderseits nicht übersehen werden, dass die Inhaber der bei der dritten Sanierung im Jahre 1946 ausgegebenen Prioritätsaktien nie eine Vorzugsdividende verlangt, sondern im Zuge der letzten Statutenänderung sogar auf ihre Vorzugsstellung verzichtet haben, was den gewöhnlichen Aktionären und damit auch dem Kläger zum Vorteil gereichen wird. Die Beschlüsse der Generalversammlung, durch Ausgabe von Genussscheinen die Sanierungsverluste der Gläubiger und Aktionäre teilweise auszugleichen, bewegen sich gesamthaft betrachtet im Rahmen einer vernünftigen Abwägung der beteiligten Interessen.
7.
Der Kläger macht geltend, die vorgesehene Genussscheinausgabe verstosse gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre, indem die gleichförmigen 1325 Stammaktien nachträglich in 265 Gründeraktien und 1060 Handwerkeraktien geschieden würden. Insbesondere sei ungerechtfertigt, dass nur die in der Liste der Zürcher Kantonalbank angeführten Aktionäre (und ihre Erben), welche Gründeraktien gegen 258 neue Stammaktien eintauschten, zum Bezuge von Genussscheinen berechtigt sein sollen, nicht aber solche Aktionäre, die ihre Aktien nach dem Umtausch auf andere Weise erlangten.
a) Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre will nicht eine absolute Gleichbehandlung aller Aktionäre gewährleisten. Er bedeutet vielmehr, dass von der Gleichbehandlung nur insoweit abgewichen werden dürfe, als diese für die Verfolgung des Gesellschaftszweckes im Interesse der Gesamtheit aller Aktionäre unumgänglich notwendig sei. Eine unterschiedliche Behandlung der Aktionäre ist also dort zulässig, wo sie nicht unsachlich, sondern ein angemessenes Mittel zur Erreichung eines gerechtfertigten Zweckes ist (
BGE 91 II 301
und dort erwähnte Entscheide).
b) Im vorliegenden Fall besteht kein Zweifel, dass die Aktionäre der Beklagten durch die beschlossenene Genussscheinausgabe in den Dividenden nach Massgabe des Aktienbesitzes
BGE 93 II 393 S. 407
gleichmässig verkürzt werden. Die zugunsten einer Minderheit vorgesehenen Genussrechte sind ein billiger und gerechter Ausgleich für die seinerzeit gebrachten Sanierungsopfer. Dabei beruht der zur Verwirklichung des Zieles eingeschlagene Weg der Beklagten auf vernünftigen Zweckmässigkeitserwägungen. Ein richterlicher Eingriff ist hier umso weniger geboten, als die angefochtenen Beschlüsse eine überwältigende Zustimmung fanden. Die Mehrheit der Aktionäre zieht aus der Genussscheinausgabe keinen Nutzen. Die beschlossene Lösung ist daher sachlich begründet (vgl.
BGE 69 II 258
,
BGE 88 II 105
,
BGE 91 II 301
Erw. 2).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 10. April 1967 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a8986731-c761-4164-b847-640a8a166dd2 | Urteilskopf
101 Ia 565
88. Extrait de l'arrêt du 5 novembre 1975 dans la cause Schneemobil-Club der Schweiz contre Vaud, Grand Conseil. | Regeste
Derogatorische Kraft des Bundesrechts. Kantonale Verkehrsbeschränkung für Raupenfahrzeuge (Art. 3, 5, 43 und 106 SVG).
1. Auf den allgemein den Motorfahrzeugen geöffneten Strassen kann der Verkehr derselben - inbegriffen jener der Raupenfahrzeuge - nur dann kantonal untersagt werden, wenn dieses Verbot nach
Art. 5 SVG
vorschriftsgemäss signalisiert ist (E. 3).
2. Dagegen kann der Verkehr der Raupenfahrzeuge - wie auch der andern Motorfahrzeuge - ausserhalb der befahrbaren Strassen untersagt werden, ohne dass dieses Verbot durch Signale angezeigt werden muss (Art. 43 Abs. 1 und
Art. 5 Abs. 1 und 2 SVG
) (E. 4b).
3. Die Kantone bleiben befugt, ausserhalb der dem SVG unterstehenden Verkehrswege den Verkehr der Motor- und daher auch der Raupenfahrzeuge zu regeln (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 566
BGE 101 Ia 565 S. 566
Le Grand Conseil du canton de Vaud a adopté le 10 septembre 1974 une "loi sur l'usage des véhicules à chenilles pendant l'hiver", qui reprend pour l'essentiel les dispositions d'un arrêté du Conseil d'Etat du 7 juillet 1971 sur le même objet. Cette loi est fondée sur "la législation fédérale sur la circulation routière, notamment l'ordonnance sur la construction et l'équipement des véhicules routiers du 27 août 1969 (OCE)". Elle contient notamment les dispositions suivantes:
"Article premier. - Sont soumis à la présente loi tous les véhicules automobiles à chenilles aptes à se déplacer sur les surfaces enneigées hors des routes carrossables ouvertes au trafic hivernal, notamment:
a) les motocycles à chenilles;
b) les voitures automobiles à chenilles, légères ou lourdes;
c) les voitures automobiles de travail à chenilles.
Art. 2. - La circulation des véhicules automobiles à chenilles est interdite en dehors des routes et chemins publics ouverts au trafic hivernal des autres véhicules à moteur.
Sont en outre réservées les interdictions générales de circulation et les interdictions de circuler frappant certaines catégories de véhicules, signalées conformément à l'ordonnance sur la signalisation routière."
Les autres articles de la loi réglementent certains cas dans lesquels la loi ne s'applique pas (art. 3), ceux dans lesquels des autorisations de circuler peuvent être accordées (art. 4 et 5), le droit de recours (art. 6) et les dispositions pénales (art. 7).
La loi a été publiée dans la "Feuille des avis officiels" du canton de Vaud le 1er octobre 1974.
Le Schneemobil-Club der Schweiz, association ayant son siège à Zurich, a formé un recours contre cette loi auprès du Conseil fédéral, le 15 octobre 1974. Il soutient que la loi vaudoise viole la loi fédérale sur la circulation routière (LCR), le canton s'étant arrogé une compétence qui, en vertu de cette dernière loi, ne lui appartient pas, et affirme que ce texte législatif crée entre les détenteurs de véhicules à chenilles et les détenteurs d'autres véhicules à moteur une inégalité de traitement contraire à la constitution fédérale.
BGE 101 Ia 565 S. 567
A la suite d'un échange de vues entre le Conseil fédéral et le Tribunal fédéral, il a été convenu qu'il appartient au Tribunal fédéral de statuer sur le recours en application de l'art. 73 al. 2 lettre a de la loi fédérale sur la procédure administrative du 20 décembre 1968 (LPA).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'association recourante se plaint essentiellement de ce que le Grand Conseil du canton de Vaud ait adopté une loi dans un domaine qui, selon elle, est régi par la législation fédérale, soit par la LCR. Elle fait ainsi valoir implicitement une violation de la force dérogatoire du droit fédéral, soit de l'art. 2 Disp. trans. Cst. Au sens de l'art. 73 al. 2 lettre a LPA, un tel recours ressortit au Tribunal fédéral. Le grief ainsi invoqué consistant dans la violation d'un droit constitutionnel, le recours doit être traité comme recours de droit public conformément à l'art. 84 al. 1 lettre a OJ. La recourante se plaint également d'une inégalité de traitement; elle invoque donc implicitement une violation de l'art. 4 Cst., qui doit être examinée par le Tribunal fédéral en vertu de la même disposition légale.
2.
Selon ses statuts, l'association recourante groupe des personnes qui s'intéressent à la circulation des véhicules sur la neige, notamment des détenteurs de véhicules destinés à circuler sur la neige, et défend leurs intérêts. Elle n'indique pas si elle a des membres dans le canton de Vaud, mais ses membres - domiciliés ou non dans ce canton - qui désirent y circuler avec un véhicule de cette nature peuvent être considérés comme lésés par la loi attaquée au sens de l'art. 88 OJ. L'association recourante a donc qualité pour former un recours de droit public (RO 99 Ia 239 consid. 1c, 539 consid. 2).
3.
Selon l'art. 106 LCR, les cantons sont chargés de l'exécution de la loi fédérale (al. 2); s'ils restent compétents pour édicter eux-mêmes des prescriptions complémentaires sur la circulation routière, ils ne le sont pas, en revanche, en ce qui concerne notamment les véhicules automobiles (al. 3). La recourante reproche au canton de Vaud d'avoir, en interdisant aux véhicules à chenilles de circuler en dehors des routes et chemins publics ouverts au trafic hivernal des autres véhicules à moteur, institué une restriction de la circulation des véhicules
BGE 101 Ia 565 S. 568
à moteur qui viole cette dernière disposition et n'est donc pas compatible avec le droit fédéral.
a) La loi attaquée ne comporte aucune restriction à la circulation des véhicules automobiles à chenilles sur les routes carrossables "ouvertes au trafic hivernal". Mais elle interdit en principe leur circulation sur les routes et chemins publics qui ne sont pas ouverts au trafic hivernal des autres véhicules à moteur. Il résulte du titre de la loi, et implicitement de sa teneur, que cette interdiction n'est applicable que pour la saison d'hiver, les véhicules en question étant d'ailleurs destinés à circuler sur la neige. Pendant cette saison, les véhicules à chenilles ne peuvent pas - selon la loi - circuler sur les routes qui, tout en étant ouvertes en principe à la circulation, ne se prêtent cependant pas à la circulation des véhicules automobiles à roues, parce qu'elles sont enneigées et non entretenues.
b) Selon l'ordonnance sur la construction et l'équipement des véhicules routiers (OCE), sont considérés comme voitures automobiles les véhicules (automobiles) munis de chenilles si leur poids à vide dépasse 400 kg ou leur cylindrée 400 cm3, ou encore si leur vitesse maximale n'excède pas 25 km/h (sic); sont considérés comme motocycles les véhicules (automobiles) munis de chenilles ne pouvant être classés comme voitures automobiles (art. 2 al. 1 et 2 OCE). Les uns et les autres sont ainsi des véhicules automobiles au sens de l'art. 7 LCR et sont assujettis aux prescriptions de cette loi et de ses dispositions d'exécution. En application de l'art. 97 al. 1 OCR, le Département fédéral de justice et police a édicté, le 14 février 1968, des "instructions relatives à l'admission de véhicules à chenilles et de luges remorquées". Ces instructions portent notamment sur l'applicabilité de la LCR aux véhicules à chenilles, le statut juridique et l'emploi de ces derniers; elles précisent que, sauf disposition contraire, il faut appliquer aux véhicules à chenilles, en ce qui concerne leur statut juridique, les règles valables pour les véhicules à roues de la même catégorie (No 131).
La circulation des véhicules à chenilles, qui est pratiquée en Suisse depuis un certain nombre d'années, a fait l'objet de diverses interventions tendant à interdire ou à limiter l'emploi de ces véhicules, afin que ceux-ci ne constituent pas une source de pollution, de troubles et de bruit dans les régions montagneuses. Le Conseil national a adopté le 27 avril 1972 deux
BGE 101 Ia 565 S. 569
postulats dans ce sens. Le Conseil fédéral a déclaré notamment, en réponse à l'un de ces postulats:
"Conformément à l'article premier de la loi sur la circulation routière, la Confédération ne peut réglementer le trafic des véhicules que sur la voie publique, notion qui englobe aussi les pistes de skis ou de luges ainsi que les chemins réservés aux piétons. Toutefois, le trafic des véhicules automobiles est interdit sur ces pistes et chemins qui, au sens de l'art. 43 LCR, ne se prêtent pas ou ne sont manifestement pas destinés à leur circulation. Une exception est permise pour les véhicules spéciaux servant à la préparation des pistes.
Le postulat tend avant tout à interdire les luges à moteur en dehors de la voie publique, donc dans les endroits isolés, les régions de détente où ces véhicules sont jugés particulièrement incommodants. Mais la loi sur la circulation routière n'est justement pas applicable dans ces cas, de sorte que la Confédération n'a aucune compétence pour édicter des prescriptions; il appartient exclusivement aux législateurs cantonaux de publier les dispositions nécessaires à la réglementation du trafic dans ces régions (Bulletin officiel de l'Assemblée fédérale, Conseil national, 1972, p. 602.)."
Le Conseil fédéral a rappelé en outre que la Commission intercantonale de la circulation routière (CIC) a préparé à l'intention des cantons un modèle d'ordonnance ayant pour objet la circulation des véhicules à chenilles en dehors de la voie publique et que plusieurs cantons ont pris des mesures à cet effet. Portant la date du 12 octobre 1971, ce modèle est ainsi conçu en ses art. 2 et 3:
"Art. 2: Sur la voie publique, l'emploi de véhicules à chenilles est régi par les dispositions de la LCR et de ses prescriptions d'exécution. Les pistes de ski, les chemins réservés aux luges et aux promeneurs et autres voies semblables sont considérés comme des aires de circulation publiques. Sur celles-ci l'emploi de véhicules à chenilles n'est pas autorisé en vertu de l'art. 43 al. 1 LCR.
En outre, réserve est faite des interdictions de circuler locales signalées pour les véhicules automobiles.
Art. 3: Lorsque les dispositions de la LCR ne sont pas applicables, l'emploi de véhicules à chenilles est interdit sur la base de (base légale cantonale)."
c) La loi attaquée diffère du modèle d'ordonnance de la CIC et des dispositions réglementaires adoptées sur la base de ce modèle par divers cantons (pour le canton de Berne, ordonnance du 8 décembre 1971, voir ATF du 4 avril 1973 dans la cause Snofari Interlaken AG), en ce sens qu'elle interdit la circulation des véhicules à moteur non seulement sur les pistes
BGE 101 Ia 565 S. 570
de ski, les chemins réservés aux luges et aux promeneurs et autres voies semblables, mais sur toutes les routes et tous les chemins publics, dans la mesure où ils ne sont pas ouverts au trafic hivernal des autres véhicules à moteur.
Le Conseil d'Etat prétend fonder la compétence cantonale en cette matière sur l'art. 3 LCR, et notamment sur son al. 1, qui réserve la souveraineté cantonale sur les routes dans les limites du droit fédéral, et sur son al. 2, qui prévoit la compétence des cantons pour interdire, restreindre ou régler la circulation sur certaines routes. Il se réfère à l'art. 23 al. 1 de la loi vaudoise du 25 mai 1964 sur les routes, aux termes duquel l'Etat assure le service hivernal sur les routes cantonales qu'il décide d'ouvrir à la circulation. En vertu de cette disposition, le Département des travaux publics établit chaque année et publie dans la "Feuille des avis officiels" une liste des routes qui ne seront pas ouvertes au trafic hivernal. "Ces routes sont généralement interdites, en outre, par un signal No 201 (interdiction de circuler) et même parfois par des barrières placées en travers de la chaussée." Le Département se laisse guider dans son choix par des considérations qui tiennent à la sécurité, à l'économie ou au fait que ces routes sont peu fréquentées. Le Conseil d'Etat se demande d'ailleurs si une route enneigée peut être qualifiée de "voie publique" au sens de l'art. 1er LCR, son tracé étant devenu invisible ou très difficile à discerner. Il ajoute que le droit du canton d'interdire la circulation sur certaines routes enneigées se conçoit aussi au regard de l'art. 3 al. 4 LCR, qui reconnaît aux cantons des compétences extrêmement larges dans le domaine de la sécurité, de la réglementation de la circulation, de la protection de la nature ou pour répondre à d'autres exigences imposées par les conditions locales.
d) L'art. 3 al. 1 LCR ne réserve - son texte l'indique expressément - la souveraineté cantonale sur les routes que dans les limites du droit fédéral. Or la circulation routière est régie presque exclusivement par ce dernier droit, notamment en ce qui concerne la circulation des véhicules automobiles (SCHLEGEL/GIGER, Strassenverkehrsgesetz, ad art. 3 al. 1, p. 9). Si l'art. 3 al. 2 LCR autorise les cantons - conformément à l'art. 37bis al. 2 Cst. - à "interdire, restreindre ou régler la circulation sur certaines routes", ils ne peuvent le faire que dans les limites précises prévues par les dispositions
BGE 101 Ia 565 S. 571
subséquentes de la loi, que l'art. 3 al. 2 ne fait qu'introduire (SCHLEGEL/GIGER, op.cit. ad art. 3 al. 2, p. 9). Selon l'art. 3 al. 3 LCR, le canton peut interdire complètement ou restreindre temporairement la circulation de véhicules à moteur sur les routes qui ne sont pas ouvertes au grand transit. Il peut donc interdire ou restreindre la circulation sur certaines routes en hiver. D'après le message du Conseil fédéral relatif au projet de loi sur la circulation routière, du 24 juin 1955, "les cantons jouissent d'une très large liberté pour édicter des interdictions totales de circuler et des restrictions temporaires. Dans ce domaine, il n'y a pas de limite à leur droit, sous réserve de l'arbitraire visé par l'art. 4 de la constitution" (FF 1955 II 11). Les Chambres fédérales ont expressément réservé, dans le texte légal (art. 3 al. 3 in fine), le recours pour violation des droits constitutionnels des citoyens.
Mais l'interdiction décrétée par le canton n'est valable que si celui-ci observe la condition prévue à l'art. 5 al. 1 LCR, à savoir qu'il doit indiquer les limitations par des signaux ou des marques; ces signaux et marques doivent correspondre à ceux qui ont été prévus par le Conseil fédéral (art. 5 al. 3 LCR). Une interdiction générale de circuler doit être annoncée par le signal No 201 (art. 16 OSR). Si un tel signal est apposé, la circulation de tous les véhicules automobiles est interdite, y compris celle des véhicules à chenilles. A défaut de signalisation, l'interdiction décrétée par le canton n'est pas valable (SCHLEGEL/GIGER, op.cit., ad art. 5 al. 1, p. 13).
Quant à l'art. 3 al. 4 LCR, il concerne "d'autres limitations ou prescriptions", c'est-à-dire des limitations ou prescriptions qui n'entraînent pas une interdiction ou une restriction de la circulation (art. 3 al. 3); au surplus, l'art. 5, concernant les signaux et les marques, s'applique aussi à ces limitations ou prescriptions.
Une route publique, même enneigée, reste une route, et un véhicule apte à circuler sur la neige peut dès lors l'emprunter si l'interdiction d'y circuler n'est pas signalée conformément à la loi. Certes, le Conseil d'Etat a déclaré que les routes non ouvertes au trafic hivernal sont "généralement interdites" par un signal No 201. Dans la mesure où elles le sont, l'interdiction est valable; si le signal n'est pas apposé, elle n'est pas valable. C'est donc à tort que le législateur vaudois entend, par l'art. 2 al. 1 de la loi attaquée, interdire d'une façon toute
BGE 101 Ia 565 S. 572
générale la circulation des véhicules automobiles à chenilles sur les routes et chemins publics qui ne sont pas ouverts au trafic hivernal des autres véhicules à moteur; en revanche, l'al. 2 du même article, qui réserve les interdictions générales de circulation signalées conformément à l'OSR, est parfaitement conforme à la loi fédérale.
Il résulte de ces considérations que la loi attaquée viole le principe de la force dérogatoire du droit fédéral dans la mesure où elle institue une interdiction de circuler pour les véhicules à chenilles sur des routes publiques sans que l'interdiction soit marquée par des signaux conformes à l'OSR.
4.
Le deuxième grief de la recourante consiste à dire que le canton n'est pas compétent non plus pour édicter des prescriptions générales applicables en dehors des routes carrossables, car le droit fédéral, soit la LCR, régit la circulation non seulement sur les routes carrossables, mais aussi sur des aires non carrossables, comme les trottoirs, les cheminements pour piétons, les sentiers pédestres, les pistes, etc.; sont en effet considérées comme "routes", au sens de la loi fédérale, même les voies de communication utilisées par les piétons (art. 1er al. 1 OCR). Dès lors, dit la recourante, les interdictions de circuler sur ces aires doivent aussi respecter les règles posées par le droit fédéral, soit notamment l'art. 5 LCR sur les signaux et marques.
a) Il est exact que la notion de "voie publique", telle qu'elle résulte de l'art. 1er al. 1 OCR, est extrêmement large. Selon le message du Conseil fédéral, "par voie publique il faut entendre tout terrain servant à la circulation, y compris une place, un pont, un passage sous-voie, etc.... Est publique une route que chacun peut utiliser. Il n'est pas nécessaire qu'elle soit ouverte à toutes les catégories d'usagers; même une piste cyclable est publique si n'importe quel cycliste a le droit de l'utiliser" (FF 1955 II 9). Selon l'art. 1er OCR, "sont des routes les voies de communication utilisées par des véhicules automobiles, des véhicules sans moteur ou des piétons", et selon l'al. 2 du même article, "sont publiques les routes qui ne servent pas exclusivement à l'usage privé". La jurisprudence a confirmé qu'il suffit, pour que la loi fédérale soit applicable, que la route, quel que soit son propriétaire, serve à la circulation publique, conformément à l'art. 1er al. 2 OCR (RO 92 IV 11 et arrêts cités). C'est donc à juste titre que les
BGE 101 Ia 565 S. 573
instructions du Département fédéral de justice et police du 14 février 1968 relatives à l'admission de véhicules à chenilles et de luges remorquées relèvent que "les pistes de ski, les chemins réservés aux luges et aux promeneurs doivent être considérés comme des aires de circulation publiques" et que lorsque des véhicules à moteur sont utilisés sur des terrains de ce genre, la LCR est applicable (No 12a).
b) Mais, selon l'art. 43 al. 1 LCR, les véhicules automobiles ne peuvent emprunter les chemins qui ne se prêtent pas ou ne sont manifestement pas destinés à leur circulation, par exemple les chemins réservés aux piétons ou au tourisme pédestre. Il s'agit là d'une interdiction résultant directement de la loi fédérale et pour l'observation de laquelle il n'est pas nécessaire d'apposer des signaux d'interdiction (art. 5 al. 1 et 2 LCR). Dans ses instructions susmentionnées, le Département fédéral de justice et police rappelle cette interdiction, en relevant cependant que l'interdiction ne s'applique pas aux véhicules qui doivent circuler sur de tels chemins dans un but spécial, par exemple pour aménager une piste de ski; la circulation de tels véhicules ne peut néanmoins être autorisée que si des mesures de sécurité appropriées sont prises. Lorsqu'une piste de ski emprunte certains tronçons d'un chemin fréquenté par le public, les cantons peuvent interdire les véhicules à moteur en vertu de l'art. 3 LCR (No 12b).
En tant que l'art. 2 al. 1 de la loi attaquée s'applique aux chemins et pistes dont il s'agit, il ne viole pas le principe de la force dérogatoire du droit fédéral. Il ne fait que rappeler l'interdiction résultant de ce droit. D'autre part, il appartient au canton, chargé d'exécuter la loi fédérale (art. 106 al. 2 LCR), de prendre les mesures nécessaires pour l'application des instructions du Département fédéral de justice et police, notamment en ce qui concerne les autorisations spéciales de circuler qu'il lui appartient de délivrer; les conditions des dérogations ou autorisations sont prévues aux art. 3 et 4 de la loi attaquée.
c) En revanche, les dispositions de la LCR ne s'appliquent pas aux véhicules qui circulent exclusivement sur des terrains privés interdits au public; il en est de même pour la circulation de véhicules dans des endroits retirés et non fréquentés par le public. Dans de telles régions, les cantons sont restés compétents en matière de circulation des véhicules à moteur
BGE 101 Ia 565 S. 574
puisque le droit fédéral ne s'y applique pas (instructions susmentionnées, No 12c). Ils peuvent donc, sans empiéter sur le droit fédéral, édicter des interdictions de circuler, notamment pour protéger la nature et sauvegarder la tranquillité. C'est dans ce sens qu'ont été rédigés les art. 3 ss du modèle d'ordonnance de la CIC (consid. 3b supra). Là aussi, l'apposition de signaux conformes à la réglementation fédérale n'est donc pas nécessaire. Il est d'ailleurs absurde de prétendre, comme paraît le faire la recourante, que toutes les aires possibles de circulation de véhicules à chenilles devraient, pour qu'une interdiction soit valable, être munies de signaux d'interdiction, qui devraient dès lors couvrir toutes les régions de montagne!
7.
En requérant l'annulation de la loi attaquée, la recourante demande subsidiairement que le canton de Vaud soit invité à réserver le droit fédéral et à modifier les dispositions critiquées par elle, ainsi qu'à prévoir que le droit fédéral doit s'appliquer aux autorisations prévues par la loi, enfin qu'il soit ordonné au canton de Vaud d'apposer des signaux d'interdiction dans la mesure où il entend édicter des limitations s'appliquant aux voies publiques.
Sous réserve de cas exceptionnels dont les conditions ne sont pas réalisées en l'espèce, le recours de droit public ne peut tendre qu'à l'annulation de l'acte attaqué. Le Tribunal fédéral ne peut donc pas ordonner au canton de Vaud d'apposer des signaux ni lui imposer d'autres charges analogues. Il lui appartient seulement de statuer sur le point de savoir si, et éventuellement dans quelle mesure, il y a lieu d'annuler la loi qui lui est soumise.
Or il a été constaté que le recours est bien fondé sur un point seulement: l'art. 2 al. 1 de la loi attaquée viole le principe de la force dérogatoire du droit fédéral en édictant l'interdiction qui y est contenue sans prévoir que cette interdiction doit être dûment signalée sur les routes publiques qui en sont frappées. Il suffit donc d'admettre le recours dans cette mesure et d'annuler dans cette mesure également l'art. 2 de la loi attaquée, ce qui signifie que l'interdiction faite aux véhicules automobiles à chenilles de circuler sur les routes ouvertes en général au trafic automobile n'est valable que si elle est dûment signalée, conformément à l'art. 5 LCR.
Ainsi l'art. 2 de la loi attaquée pourra continuer d'être
BGE 101 Ia 565 S. 575
appliqué, mais seulement à la condition énoncée ci-dessus. Cependant, rien n'empêche évidemment le législateur vaudois de revoir la rédaction de la disposition en cause, pour l'harmoniser avec le présent arrêt.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Déclare le recours partiellement bien fondé, en ce sens que sur les routes ouvertes en général aux véhicules automobiles, la circulation de ces derniers, y compris les véhicules à chenilles, ne peut faire l'objet d'une interdiction que si celle-ci est dûment signalée, conformément à l'art. 5 LCR;
2. Annule dans cette mesure l'art. 2 de la loi attaquée;
3. Rejette le recours pour le surplus. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a89a3bdf-a54c-404b-94a0-329c6760b08d | Urteilskopf
91 I 321
52. Extrait de l'arrêt du 14 décembre 1965 dans la cause Rassemblement jurassien contre Conseil-exécutif du canton de Berne. | Regeste
1. Legitimation eines idealen Vereins zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Entscheid, der seine statutarische Tätigkeit behindert; Zulässigkeit der Beschwerde trotz Fehlens eines aktuellen praktischen Interesses (Erw. 1).
2. Angebliche rechtsungleiche Behandlung, bewirkt durch das Verbot gewisser Kundgebungen (Erw. 3).
3. Freiheitsrechte und öffentliche Ordnung; Voraussetzungen, unter denen die Verwaltung die Freiheitsrechte auf Grund ihrer allgemeinen Polizeigewalt beschränken darf; Befugnis der Verwaltung, Demonstrationen zu verbieten, bei denen zu befürchten ist, dass Behördemitglieder an der Ausübung ihrer Funktionen gehindert, der Verkehr gestört und Schlägereien ausgelöst werden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 322
BGE 91 I 321 S. 322
A.-
Le Rassemblement jurassien est une association régie par les art. 60 ss. CC. Selon l'art. 1er de ses statuts, il a pour but principal "d'affranchir le peuple jurassien de la tutelle bernoise par la création d'un canton du Jura au sein de la Confédération suisse ..., le cas échéant, par d'autres solutions". Il publie notamment un hebdomadaire, le Jura Libre. Diverses organisations lui sont affiliées. Tel est le cas du Groupe Bélier, dont les adhérents ont de 16 à 30 ans. Au Rassemblement jurassien s'oppose l'Union des patriotes jurassiens, qui groupe les forces antiséparatistes.
B.-
Une Ecole cantonale de maîtresses ménagères devait être inaugurée à Porrentruy le samedi 18 septembre 1965 en présence de F. Feignoux, directeur de cet établissement et des conseillers d'Etat V. Moine, directeur de l'instruction publique, et H. Huber, directeur des travaux publics. Au cours de la 18e fête du peuple jurassien, que le Rassemblement avait organisée le dimanche 12 septembre 1965 à Delémont, l'un des orateurs invita l'assistance à se rendre à cette inauguration, "pour manifester calmement, devant les Feignoux, Huber et Moine, la présence du Jura". Selon un article du Jura Libre, du 15 septembre 1965, un cri fut alors scandé par le public: "On y sera"; on croyait entendre: "Ah, ça ira". Et le chroniqueur d'ajouter: "A bon entendeur salut". L'article décrit comme suit un char du cortège allégorique qui défila le 12 septembre: "Le char le plus frappant fut probablement le "Théâtre des Marionnettes" ... qui représentait les deux conseillers d'Etat que vous savez suspendus aux ficelles de l'Ours. Les mauvais esprits et les myopes crurent y voir deux pendus...".
De plus, le Jura Libre du 15 septembre 1965 contient deux communiqués déclarant notamment:
BGE 91 I 321 S. 323
a) "Soyez à Porrentruy samedi 18 septembre
A la fin de la Fête du peuple jurassien... M. Marcel Brêchet, secrétaire général adjoint du Rassemblement jurassien, a fait la communication suivante, au milieu des applaudissements:
Mercredi 1er septembre 1965, à la demande de M. Frédéric Feignoux, un détachement de l'armée a pénétré sur une propriété privée jurassienne afin de détruire un panneau du Groupe Bélier.
Ces dernières années, le conseiller d'Etat Virgile Moine a livré les Franches-Montagnes au département militaire fédéral, à l'encontre des promesses du gouvernement.
Le conseiller d'Etat Henri Huber a déclaré qu'il fallait amener l'armée aux Franches-Montagnes pour changer la mentalité de la population.
Ces trois personnages seront à Porrentruy samedi prochain. Par conséquent, le Rassemblement jurassien et le Groupe Bélier vous invitent tous à être présents avec vos drapeaux à Porrentruy, ancienne capitale du Jura, samedi prochain 18 septembre 1965, à 11 heures, sur les trottoirs du centre de la ville, pour manifester dans la franchise et le calme vos sentiments jurassiens."
b) "Hommage des autorités à Frédéric Feignoux...
Les 17, 18 et 19 septembre prochains, sous le couvert d'une inauguration d'école, M. Frédéric Feignoux sera à l'honneur.
Grand agent occulte de Berne;
Grand transfuge du parti libéral-radical réfugié au P.A.B.;
Grand inspirateur des forces armées mobilisées pour brimer la liberté d'expression des Jurassiens;
Petit bailli d'Ajoie.
Tant de titres sont autant d'éloges que le peuple de Porrentruy, d'Ajoie, du Jura tout entier lui adresse d'un seul coeur...
Le canton de Berne sut - et ce n'était que justice - utiliser les services d'une si "attachante" personnalité. Dans un bel et long élan de générosité, F.F. devint le grand commis que nous savons (traversant vents et marées sans coup férir).
Les Jurassiens lui rendront les honneurs qui lui sont dus samedi 18 septembre 1965."
Enfin, par un avis publié dans le Jura Libre du 15 septembre 1965, le Rassemblement jurassien invita ses membres, les organisations affiliées et tous les sympathisants à se trouver à Porrentruy le 18 septembre à 11 heures "en vue d'une manifestation". La convocation précisait: "Selon avertissement d'un député pro-bernois, les upéjistes préparent une contre-manifestation".
De fait, le 17 septembre, la "Fédération interpartis du district de Porrentruy pour la défense des intérêts du Jura et pour l'unité cantonale" lança l'appel suivant:
BGE 91 I 321 S. 324
"Nous aurons à Porrentruy, le samedi matin 18 septembre 1965, l'inauguration de l'Ecole normale des maîtresses ménagères du Jura.
Le Rassemblement jurassien et le groupe "Bélier" ont décidé d'occuper la ville, de perturber cette manifestation et d'empêcher MM. les conseillers d'Etat Moine et Huber de remplir leurs fonctions, causant par ce fait un grave préjudice à l'Ajoie et à Porrentruy en particulier.
Nous demandons à tous les citoyens d'Ajoie, du Clos-du-Doubs et des districts jurassiens de marquer par leur présence leur opposition aux menées subversives qui ont conduit l'année dernière aux scandaleuses émeutes des Rangiers et cette année à l'appel à l'étranger.
Nous demandons au peuple jurassien, sans distinction de parti et de confession, de considérer que l'heure est venue d'arrêter le parti de la subversion et de l'étranger dans ses coupables entreprises.
Tous à Porrentruy, samedi matin, pour la défense de la Patrie jurassienne, le respect de la constitution et de la liberté de penser.
Cet appel a été voté par une assemblée interpartis réunissant des délégués de toutes les communes du district de Porrentruy."
De son côté, la Municipalité de Porrentruy publia un "avertissement", dans lequel elle déclarait "réprouver d'avance toute organisation et toute manière d'agir pouvant perturber la cérémonie inaugurale et troubler l'ordre public".
Quant au comité élargi du parti libéral-radical du district de Porrentruy, il fit paraître un communiqué où il manifestait "son inquiétude à l'égard des lourdes menaces" qui pesaient sur la cérémonie d'inauguration, et où, déclarant redouter le pire, il appelait toute la population au calme.
Devant cette situation, la commission de l'Ecole cantonale de maîtresses ménagères annula la cérémonie d'inauguration. Le Conseil-exécutif du canton de Berne reporta celle-ci au 7 octobre 1965. Le 28 septembre 1965, il édicta l'ordonnance suivante:
"Le Conseil-exécutif du canton de Berne,
eu égard
au danger de manifestations et contre-manifestations lors de l'inauguration de l'Ecole cantonale de maîtresses ménagères à Porrentruy, le 7 octobre 1965,
se fondant
sur les attributions que lui confère l'article 39 de la Constitution cantonale en matière de maintien de la tranquillité et de l'ordre à l'intérieur,
arrête:
1. Les cortèges, assemblées, meetings ou rassemblements de personnes en rapport avec les revendications du Rassemblement
BGE 91 I 321 S. 325
jurassien ou de mouvements de même tendance (groupe "Bélier", etc.) sont interdits sur les places et voies publiques et en tous autres lieux publics.
2. Sont interdits dans les mêmes conditions:
a) l'exhibition et le port de pancartes ou banderoles de toutes dimensions;
b) le placardage et la distribution d'affiches, de tracts ou autres écrits;
c) les harangues, ainsi que les diffusions par haut-parleurs ou autres procédés semblables;
d) tous actes de nature à troubler le déroulement de l'inauguration de l'Ecole cantonale de maîtresses ménagères à Porrentruy, le 7 octobre 1965.
Sont exceptées de cette interdiction toutes les dispositions prises en relation avec l'organisation de cette inauguration.
Le matériel porté, exhibé, diffusé ou utilisé en violation de l'interdiction sera séquestré.
3. Ces dispositions sont valables:
a) sur le territoire de la commune de Porrentruy;
b) sur les voies d'accès à cette localité, notamment sur la route de la Caquerelle.
4. Les contraventions aux chiffres 1 et 2 ci-dessus seront punies des arrêts ou de l'amende. Ces deux peines peuvent être cumulées. Les dispositions du Code pénal suisse sont réservées.
5. La Direction de la police est chargée de l'exécution de la présente ordonnance qui entrera en vigueur le 7 octobre 1965, à 00.00 heure et cessera de déployer ses effets le 7 octobre 1965, à 24.00 heures.
6. La présente ordonnance sera publiée dans la Feuille officielle.
7. Un exemplaire de l'ordonnance est transmis au président du Grand Conseil pour information."
L'Ecole ménagère fut inaugurée le 7 octobre 1965 sans inci dent.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, le Rassemblement jurassien requiert le Tribunal fédéral d'annuler l'ordonnance du Conseil-exécutif du 28 septembre 1965. Il se plaint d'une violation des art. 4, 55 et 56 Cst., ainsi que des art. 39, 77 et 79 Cst. bern.
Le Conseil-exécutif conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon la jurisprudence, une association à but idéal a qualité pour former un recours de droit public contre une décision qui entrave son activité statutaire (RO 45 I 130; arrêts non
BGE 91 I 321 S. 326
publiés Union syndicale de Lausanne et Union des chômeurs de Lausanne du 22 mars 1935, et Nationale Front du 3 avril 1935). Le Rassemblement jurassien est une association de ce type. Il attaque l'ordonnance du 28 septembre, qui l'a empêché de faire le 7 octobre une manifestation semblable à celle qu'il avait organisée pour le 18 septembre, afin d'exprimer les idées que ses statuts le chargent de défendre. Il a donc qualité pour agir. Peu importe que la cérémonie en vue de laquelle l'ordonnance attaquée a été rendue ait déjà eu lieu et que le recourant n'ait ainsi plus l'intérêt actuel et pratique qui est en principe nécessaire pour recourir (cf. RO 90 I 249/250). La jurisprudence renonce en effet à cette exigence lorsque le recours vise un acte dont le Tribunal fédéral ne pourrait sinon jamais revoir la constitutionnalité et qui peut se reproduire en tout temps (RO 89 I 264). Or ces conditions sont incontestablement remplies en l'espèce.
2.
(épuisement des moyens de droit cantonal).
3.
Le recourant soutient que l'ordonnance attaquée le vise seul, à l'exclusion d'autres groupements, et qu'il est victime dès lors d'une inégalité de traitement.
Toutefois, l'ordonnance interdit "les cortèges, assemblées, meetings ou rassemblements de personnes en rapport avec les revendications du Rassemblement jurassien ou de mouvements de même tendance". L'expression "en rapport avec les revendications" signifie "qui ont trait à ces revendications", "qui les concernent". Elle donne au texte une portée générale. Celui-ci s'applique donc à toutes les manifestations en relation avec ces revendications, qu'elles soient organisées par des partisans ou des adversaires du séparatisme. D'ailleurs, dans le préambule de son ordonnance, le Conseil-exécutif a rappelé le "danger de manifestations et contre-manifestations". Or, par ce dernier terme, il visait manifestement les actes possibles de mouvements hostiles au recourant. Il a donc respecté le principe de l'égalité de traitement.
4.
Le recourant se plaint de la violation de diverses libertés individuelles (notamment liberté d'association, de réunion, d'opinion, de presse). Comme le Tribunal fédéral l'a maintes fois jugé, les libertés individuelles ne peuvent être exercées que dans les limites qu'impose l'ordre public (RO 67 I 76 et les arrêts cités). En principe, ces limites doivent être fixées par la loi. Cependant, le maintien de l'ordre public est un devoir primordial
BGE 91 I 321 S. 327
des autorités, notamment de l'autorité exécutive. Celle-ci a le droit, en vertu de son pouvoir général de police, c'est-à-dire sans base constitutionnelle ou légale expresse, de prendre les mesures indispensables pour rétablir l'ordre public s'il a été troublé, ou pour le préserver d'un danger sérieux qui le menace d'une façon directe et imminente (RO 88 I 176 et les arrêts cités). De telles mesures peuvent limiter les libertés individuelles. Elles doivent toutefois respecter le principe de proportionnalité et être dirigées contre les perturbateurs (RO 67 I 76 et les arrêts cités).
Quant à dire à quel moment l'ordre public est troublé ou sérieusement menacé, cela dépend au premier chef des circonstances du cas particulier. Néanmoins, d'une façon générale, on peut affirmer que l'ordre public est troublé lorsque les membres du gouvernement sont entravés dans l'exercice public de leurs fonctions. Certes, dans un régime démocratique, les magistrats sont exposés à la critique et il est normal qu'ils le soient. Ils n'en ont pas moins droit aux égards qu'exige l'importance de leur tâche. En particulier, s'ils accomplissent en public une mission officielle, la population doit s'abstenir de toute attitude qui les empêcherait de se déplacer ou de s'exprimer. Sinon, l'ordre public n'est plus respecté. Il est troublé aussi lorsque deux groupements hostiles échangent sur la voie publique des invectives ou des coups. Il est troublé enfin quand la circulation publique est sérieusement perturbée (RO 55 I 238).
En l'espèce, l'Ecole ménagère devait être inaugurée avec la participation des conseillers d'Etat V. Moine et H. Huber. Or, à l'époque où le Conseil-exécutif a pris l'ordonnance attaquée, ceux-ci venaient de faire l'objet, à la fête du peuple jurassien et dansla presse séparatiste, d'accusations graves et outrageantes. L'un se voyait reprocher d'avoir "livré les Franches-Montagnes au département militaire fédéral, à l'encontre des promesses du gouvernement", l'autre d'avoir déclaré "qu'il fallait amener l'armée aux Franches-Montagnes pour changer la mentalité de la population". Lancées sous cette forme lapidaire et frappante, ces accusations étaient de nature à créer, chez des esprits déjà sensibilisés, un climat franchement hostile aux magistrats visés. De plus, à la même époque, le ton général de la presse séparatiste à propos de la cérémonie d'inauguration de l'Ecole ménagère était nettement agressif. Par ses propos ("A bon
BGE 91 I 321 S. 328
entendeur salut"), le chroniqueur qui décrivait la fête du peuple jurassien signifiait en réalité aux conseillers d'Etat Moine et Huber que leur présence à l'inauguration de l'Ecole ménagère était indésirable. Quant à F. Feignoux, qui devait également participer à la cérémonie, il était attaqué plus vivement encore. La menace de lui rendre les honneurs qui lui étaient dus pouvait encourager, à son égard, des actes d'hostilité propres à troubler l'inauguration du nouveau bâtiment scolaire. La situation déjà tendue s'est encore aggravée par l'intervention de la "Fédération interpartis du district de Porrentruy pour la défense des intérêts du Jura et pour l'unité cantonale". En invitant toute la population de la région, par un appel témoignant d'une attitude ferme et décidée, à venir à Porrentruy marquer son opposition aux agissements du Rassemblement jurassien, la "Fédération" ajoutait au risque d'affrontements violents. La gravité de la tension qui régnait alors est confirmée par les appels que le Conseil municipal de Porrentruy et un parti politique local ont estimé devoir adresser à la population. Ces appels révèlent les craintes sérieuses qu'éprouvaient leurs auteurs.
En présence d'une telle situation, le Conseil-exécutif était fondé à craindre que les conseillers d'Etat Moine et Huber ne fussent empêchés de participer librement à l'inauguration de l'Ecole ou du moins d'y prendre la parole. Il pouvait redouter également que partisans et adversaires du séparatisme n'en vinssent aux mains dans une plus ou moins grande mesure. Enfin, il était en droit de penser que la circulation publique risquait d'être perturbée. Ainsi l'ordre public était sérieusement menacé. L'autorité exécutive cantonale avait dès lors le devoir de prendre les mesures nécessaires pour le protéger. Elle a agi tant contre le Rassemblement jurassien que contre ses adversaires, qui, par leurs agissements, pouvaient tous être considérés comme des perturbateurs éventuels. Il n'est pas allégué que les mesures qu'elle a prises fussent contraires au principe de proportionnalité. L'ordonnance attaquée respecte dès lors les conditions auxquelles l'autorité exécutive peut agir en vertu de son pouvoir général de police. Elle ne saurait être annulée.
Rien ne sert au recourant d'objecter que la manifestation qu'il envisageait devait se dérouler dans le calme et que les consignes destinées à ses adhérents dans ce sens étaient formelles. Certes, il a invité ses membres à manifester "dans le calme" et "en bon ordre". Toutefois, ces instructions sont en
BGE 91 I 321 S. 329
contradiction évidente avec le ton agressif que la presse séparatiste prenait au même moment. Ce ton était propre à exciter les esprits et à engendrer des incidents au cours desquels les dirigeants du Rassemblement jurassien risquaient de perdre tout contrôle de leurs troupes. Le recourant ne saurait davantage tirer argument du fait que ses assemblées et fêtes publiques se sont déroulées jusqu'ici sans troubler l'ordre public. La situation devant laquelle s'est trouvé le Conseil-exécutif était complètement différente. Il ne s'agissait pas d'une assemblée ou d'une fête du Rassemblement jurassien, mais d'une manifestation qu'il avait organisée afin d'exprimer son hostilité notamment à l'égard de deux membres du Conseil-exécutif jugés par lui indésirables. Pour mieux parvenir à ses fins, il a saisi l'occasion d'une cérémonie qui requérait la présence de ces deux magistrats à Porrentruy afin de leur exprimer son opposition d'une manière blessante. Il devait dès lors se rendre compte que son attitude amènerait ses adversaires à réagir. Enfin, il ne saurait sérieusement soutenir que sa manifestation était licite, que seule l'intervention des antiséparatistes était illégale et que, partant, le Conseil-exécutif aurait dû ne s'en prendre qu'à ces derniers. En effet, une manifestation était prévue: l'inauguration de l'Ecole ménagère. Celles du Rassemblement jurassien et de ses adversaires étaient en réalité des contre-manifestations, et toutes deux mettaient en danger l'ordre public.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a89b629d-e5a1-4741-8ced-bed94f940eba | Urteilskopf
141 III 262
37. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_184/2015 vom 11. August 2015 | Regeste
Art. 64 Abs. 1 lit. a und
Art. 257 ZPO
; Mieterausweisung im summarischen Verfahren und Kündigungsschutz.
Ein Begehren um Ausweisung eines Mieters im Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen nach
Art. 257 ZPO
ist grundsätzlich auch dann zulässig, wenn der Mieter die vorangehende Kündigung gerichtlich angefochten hat und dieses Verfahren hängig ist (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 263
BGE 141 III 262 S. 263
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin (Mieterin) rügt eine Verletzung von
Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO
. Sie macht geltend, sie habe, nachdem die Beschwerdegegnerin (Vermieterin) das Mietverhältnis am 12. November 2014 (zum wiederholten Mal) ausserordentlich gekündigt habe, am 18. Dezember 2014 ein Kündigungsschutzbegehren bei der Schlichtungsbehörde Zürich eingereicht. Angesichts dieses rechtshängigen Verfahrens - so die Beschwerdeführerin - hätte das Handelsgericht auf das Ausweisungsbegehren der Beschwerdegegnerin vom 9. Januar 2015 nicht eintreten dürfen.
3.2
Das Bundesgericht ist in seiner mietrechtlichen Rechtsprechung wiederholt zumindest implizit davon ausgegangen, dass über ein Ausweisungsbegehren im summarischen Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen gemäss
Art. 257 ZPO
auch dann entschieden werden darf, wenn die vorangehende ausserordentliche Kündigung wegen Zahlungsrückstand (
Art. 257d OR
) vom Mieter gerichtlich angefochten wurde und das resultierende mietrechtliche Verfahren noch nicht rechtskräftig erledigt ist (siehe etwa die Urteile 4A_252/2014 vom 28. Mai 2014 E. 3 und 4; 4A_265/2013 vom 8. Juli 2013 E. 6; 4A_187/2012 vom 10. Mai 2012 E. 3; 4A_7/2012 vom 3. April 2012 E. 2; 4A_585/2011 vom 7. November 2011 E. 3; vgl. ferner Urteil 4A_68/2014 vom 16. Juni 2014 E. 4, nicht publ. in:
BGE 140 III 315
). Die entsprechende Möglichkeit wird auch von der herrschenden Lehre und in der kantonalen Gerichtspraxis bejaht, wobei teilweise ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Rechtshängigkeit des Kündigungsschutzbegehrens der Ausweisung wegen deren unterschiedlichen Streitgegenstandes nicht im Sinne von
Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO
entgegenstehe (siehe BOHNET/CONOD, La fin du bail et l'expulsion du locataire, in: 18
e
Séminaire sur le droit du bail, Bohnet/Carron [Hrsg.], 2014, S. 116 Rz. 165; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2. Aufl. 2014, N. 11 zu
Art. 257 ZPO
; HOFMANN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 18a zu
Art. 257 ZPO
; HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, S. 261 f. Rz. 1439-1443; JENT-SØRENSEN, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 17 f. zu
Art. 257 ZPO
; MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 373; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 21 Rz. 56; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Kommentar
BGE 141 III 262 S. 264
zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 38a zu
Art. 257 ZPO
; TANNER, Die Ausweisung des Mieters im Rechtsschutz in klaren Fällen, ZZZ 2010 S. 315 f.; Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. Juli 2011, in: ZR 110/2011 Nr. 54 E. II./1-8; vgl. auch BISANG, Neue Zivilprozessordnung: Neuerungen im Schlichtungsverfahren bzw. Mietprozess unter besonderer Berücksichtigung der Ausweisung, MietRecht Aktuell 2010 S. 113 f.; GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 15 zu
Art. 257 ZPO
; SPICHTIN, Der Rechtsschutz in klaren Fällen nach
Art. 257 ZPO
, 2012, S. 135-137 Rz. 296; abweichend THANEI, Auswirkungen der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung auf die mietrechtlichen Verfahren, insbesondere auf das Schlichtungsverfahren, mp 2009 S. 195 f.; differenzierend LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, S. 168 f.).
Diese Auffassung lässt sich denn auch auf die Entstehungsgeschichte von
Art. 257 ZPO
stützen, zeigen doch die Materialien, dass das Parlament die früher geltende Regel zur Koordination von Kündigungsanfechtung und Ausweisung mittels Kompetenzattraktion beim Ausweisungsrichter (aArt. 274g OR) im Rahmen des Erlasses der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 ersatzlos aufhob, weil es der Ansicht war, dass das summarische Verfahren "in der Variante nach
Art. 257 ZPO
- und nur in dieser - für die Gewährung von raschem Rechtsschutz in Ausweisungssachen ausreiche" (
BGE 139 III 38
E. 2.5 mit Hinweisen). Dabei ging es offenbar davon aus, im Ausweisungsverfahren nach
Art. 257 ZPO
könne vorfrageweise über die Gültigkeit der Kündigung entschieden werden, weshalb - in liquiden Fällen - mittels Gutheissung des klägerischen Begehrens eine Verzögerung der Ausweisung durch Abwarten des mietrechtlichen Kündigungsschutzverfahrens vermieden werde (siehe zum Gesetzgebungsverfahren auch BISANG, a.a.O., S. 111 f.; SPICHTIN, a.a.O., S. 134 Rz. 294; jeweils mit Hinweisen auf die Ratsdebatten; vgl. ferner Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7352 zu Art. 253, wonach der Rechtsschutz in klaren Fällen etwa für die Ausweisung infolge ausserordentlicher Kündigung "spielen" werde, "so bei Zahlungsverzug [
Art. 257d OR
] und Konkurs [
Art. 266h OR
] einer Mieterin oder eines Pächters", wo sich die Sachlage durch Urkunden liquide beweisen lasse [Mahnungen, Fristansetzungen, Kündigungen] und die Erstreckung von Gesetzes wegen ausgeschlossen sei).
BGE 141 III 262 S. 265
Soweit die Gültigkeit der Kündigung des Mietvertrages demzufolge im Ausweisungsverfahren als Vorfrage zu beurteilen ist, beziehen sich die Voraussetzungen von
Art. 257 Abs. 1 ZPO
auch darauf. Sind sie nicht erfüllt und kann der Rechtsschutz in klaren Fällen deshalb nicht gewährt werden, so hat das Gericht nach
Art. 257 Abs. 3 ZPO
auf das Gesuch nicht einzutreten.
3.3
Somit kann festgehalten werden, dass ein Begehren um Ausweisung eines Mieters im Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen nach
Art. 257 ZPO
grundsätzlich auch dann zulässig ist, wenn der Mieter die vorangehende Kündigung gerichtlich angefochten hat und dieses Verfahren hängig ist. Das angefochtene Urteil des Handelsgerichts ist insofern nicht zu beanstanden. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a89e31b0-c5a0-44ec-9ba1-2c4ae688cdc4 | Urteilskopf
87 I 97
15. Auszug aus dem Urteil vom 8. März 1961 i.S. Bron gegen Waadt-Unfall und Obergericht des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 80 und 131 SchKG
;
Art. 60 VVG
.
Das Urteil, das den Versicherungsnehmer zu Schadenersatzleistungen an den Geschädigten verpflichtet, stellt für den Geschädigten, der sich die Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Haftpflichtversicherer hat abtreten lassen und diesen nun dafür betreibt, keinen Rechtsöffnungstitel dar. | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 87 I 97 S. 97
Aus dem Tatbestand:
Frau Doris Kaufmann war auf Grund der luzernischen Verordnung über die Fahrradversicherungen und die Radfahrerausweise vom 13. Dezember 1951 bei der Waadtländischen Unfallversicherung auf Gegenseitigkeit (WaadtUnfall) gegen die Folgen der Haftpflicht aus dem Gebrauch ihres Fahrrads versichert. Bei einem Fahrradunfall
BGE 87 I 97 S. 98
fügte sie Blaise Bron Schaden zu. Das Obergericht des Kantons Luzern verpflichtete Frau Kaufmann am 30. März 1960, Bron Fr. 5000.-- nebst Zinsen zu entrichten. Gestützt auf dieses Urteil betrieb Bron Frau Kaufmann für einen Restbetrag von Fr. 1544.30 auf Pfandverwertung, wobei er unter Berufung auf
Art. 60 Abs. 1 VVG
die Forderung der Schuldnerin an die Waadt-Unfall als Pfand in Anspruch nahm. Im Verwertungsverfahren wies das Betreibungsamt die betreffende Forderung auf Grund von
Art. 131 Abs. 1 SchKG
dem Gläubiger an Zahlungsstatt an.
Bron setzte die auf ihn übergegangene Forderung gegen die Waadt-Unfall in Betreibung. Als diese Recht vorschlug, kam er um die definitive Rechtsöffnung ein. Das Begehren ist vom Amtsgerichtsvizepräsidenten II von Luzern-Stadt und auf Rekurs hin vom Obergericht abgewiesen worden, weil kein Urteil vorliege, das die Waadt-Unfall verpflichte, Bron den in Betreibung gesetzten Betrag zu zahlen, und es somit an einem tauglichen Rechtsöffnungstitel fehle.
Bron ficht den Rekursentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Haftpflichtversicherung der Radfahrer untersteht nicht den Sondervorschriften der Automobilhaftpflicht (im massgebenden Zeitpunkt Art. 48-51 MFG), sondern dem VVG als dem gemeinen eidgenössischen Recht (STREBEL, N. 7 zu Art. 31 MFG). Im Gegensatz zu Art. 49 Abs. 1 MFG, der ein Forderungsrecht unmittelbar gegen den Versicherer vorsieht, gewährt
Art. 60 Abs. 1 VVG
dem Geschädigten lediglich ein Pfandrecht am Ersatzanspruch, der dem Versicherungsnehmer aus der Versicherung gegen die Folgen gesetzlicher Haftpflicht zusteht. Dem Geschädigten können daher gegenüber dem Versicherer nicht mehr Rechte zukommen als dem Versicherungsnehmer selbst; er muss sich demgemäss (anders als nach Art. 50 Abs. 1 MFG) alle Einreden entgegenhalten lassen, die der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer erheben
BGE 87 I 97 S. 99
kann (
BGE 56 II 457
; JAEGER, N. 29 zu
Art. 60 VVG
). Lässt sich der Geschädigte in der Betreibung auf Pfandverwertung die Ersatzforderung übertragen, an der er nach
Art. 60 Abs. 1 VVG
ein Pfandrecht besitzt, so rückt er in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers ein; er erwirbt auch dadurch nicht mehr Rechte als diesem zustehen.
In seinem Urteil vom 30. März 1960 hat das Obergericht den Schadenersatzbetrag festgesetzt, den Frau Kaufmann dem Beschwerdeführer aus unerlaubter Handlung schuldet. Über die Deckung des Schadens hatte das Obergericht sich nicht auszusprechen; es hatte nicht über die Ansprüche zu befinden, die der als haftpflichtig Erklärten auf Grund des Versicherungsvertrags gegen die Beschwerdegegnerin zustehen. Das Urteil entfaltet demzufolge zwischen Frau Kaufmann bzw. dem Beschwerdeführer als deren Rechtsnachfolger einerseits und der Beschwerdegegnerin andererseits keine Rechtskraft. Es ist deshalb nicht nur nicht willkürrlich, sondern richtig, wenn das Obergericht das Urteil vom 30. März 1960 in der gegen die Beschwerdegegnerin erhobenen Betreibung nicht als Rechtsöffnungstitel anerkannt hat. Würde anders entschieden, so würde die Beschwerdegegnerin auf die Einreden aus
Art. 81 SchKG
beschränkt und es würden ihr die Einwendungen abgeschnitten, die ihr aus dem Versicherungsvertrag zustehen. Das Bundesgericht hat denn auch das Urteil SVA Bd. V Nr. 293, worauf sich der Beschwerdeführer zur Stützung seiner Ansicht beruft, in
BGE 56 II 457
ausdrücklich als irrig bezeichnet (im nämlichen Sinne JAEGER, N. 29 zu
Art. 60 VVG
, Fussnote e).
2.
Die Rüge, das Obergericht habe ausser Acht gelassen, dass die Beschwerdegegnerin nach dem Versicherungsvertrag "an Statt" des Versicherten die Schadenersatzansprüche von Drittpersonen zu befriedigen habe, ist neu und daher in einer staatsrechtlichen Beschwerde, welche die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs voraussetzt, unzulässig (
BGE 73 I 112
,
BGE 84 I 164
Erw. 1
BGE 87 I 97 S. 100
mit Verweisungen). Sie hielte überdies einer materiellen Prüfung nicht stand. Nach Art. 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen obliegt der Beschwerdegegnerin die Befriedigung von Schadenersatzansprüchen Dritter nur "im Rahmen der gegenwärtigen Versicherungsbedingungen". Ob sie entgegen ihrer Bestreitung gemäss den Versicherungsbedingungen, insbesondere in Anbetracht der darin festgesetzten Höchst-Versicherungssummen, zu weiteren als den bereits erbrachten Leistungen verpflichtet sei, bildet nach dem Gesagten nicht Gegenstand des Urteils des Obergerichts vom 30. März 1960. Dieses ist deshalb nicht geeignet, in diesem Punkte Recht zu schaffen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a8a4f266-1571-4753-975a-26f430aa799f | Urteilskopf
117 IV 457
80. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Dezember 1991 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 204 StGB
; unzüchtige Veröffentlichungen, Sexshop.
Das Anbieten, Vorrätighalten und Verbreiten von Erzeugnissen der sogenannten weichen Pornographie in einem besonderen, als solchem gekennzeichneten Sexshop, in dem keine anderen Waren als pornographische Erzeugnisse angeboten werden, erfüllt den Tatbestand nicht, sofern für den Sexshop nicht öffentlich - etwa durch Ausstellung pornographischer Bilder oder Gegenstände im Schaufenster - Werbung betrieben und Jugendlichen unter 18 Jahren der Zutritt verwehrt wird. | Sachverhalt
ab Seite 458
BGE 117 IV 457 S. 458
A.-
F. führte in der Zeit vom 12. Januar bis 1. Februar 1989 den Erotikshop "T." in R., in welchem Lokal er Filme und Schriften pornographischen Inhalts zum Verkauf oder zur Vermietung anbot.
Mit Strafbefehl vom 16. August 1989 verurteilte das Bezirksamt Aarau F. gemäss
Art. 204 Ziff. 1 StGB
zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Die beschlagnahmten Schriften und Filme wurden gemäss
Art. 58 StGB
eingezogen.
Dagegen erhob F. Einsprache. Mit Urteil des Bezirksgerichts Aarau vom 31. Januar 1990 wurde er von Schuld und Strafe freigesprochen.
In Gutheissung einer von der Staatsanwaltschaft geführten Berufung hob das Obergericht des Kantons Aargau das vorinstanzliche Urteil auf, sprach F. der unzüchtigen Veröffentlichung im Sinne von
Art. 204 Ziff. 1 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Die beschlagnahmten Filme und Magazine zog es gemäss Art. 58 in Verbindung mit
Art. 204 Ziff. 3 StGB
ein.
B.-
F. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu seiner Freisprechung zurückzuweisen.
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer hat in dem von ihm betriebenen Erotikshop unbestrittenermassen Videokassetten und Magazine feilgeboten, die sich allesamt auf die Darstellung ungehemmter sexueller Praktiken beschränkten. Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts werden in den Filmen und Zeitschriften meist in Nah- und Detailaufnahmen primäre und sekundäre Geschlechtsteile sowie der Geschlechtsakt in verschiedensten Variationen dargestellt. Die Vorinstanz hält ferner unter Verweisung auf das Urteil des Bezirksgerichts Aarau fest, in den
BGE 117 IV 457 S. 459
fraglichen Filmen und Magazinen würde "durchwegs die ganz normale menschliche Sexualität, wie sie von einem Grossteil der Bevölkerung praktiziert werde", gezeigt; jegliche Szenen abnormer menschlicher Sexualität (Perversion), d.h. solche mit Kindern, Tieren und unter Gewaltanwendung, fehlten.
b) Nach Auffassung des Obergerichts verletzen die fraglichen Filmkassetten und Schriften in krasser Weise das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlichen Dingen, so dass keinem Zweifel unterliegen könne, dass es sich dabei um derbe Pornographie und mithin um unzüchtige Gegenstände im Sinne von
Art. 204 StGB
handle.
c) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber zunächst geltend, Massstab für die Entscheidung der Frage, was als unzüchtig im Sinne von
Art. 204 StGB
zu verstehen ist, sei das Sittlichkeits- und Schamgefühl des normal empfindenden Bürgers. Dieser Massstab habe sich im Laufe der Zeit gewandelt. Insbesondere sei heute die Toleranz grösser geworden und es werde vieles heute als normal empfunden, was früher als unzüchtig gegolten habe. Unter diesen Umständen erschienen die von ihm verkauften und vorrätig gehaltenen Waren für den Durchschnittsbürger längst nicht mehr als anstössig, sondern seien mittlerweile zu gewöhnlichen Konsumgütern geworden.
2.
a) Gemäss
Art. 204 Ziff. 1 StGB
wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer unzüchtige Schriften, Bilder oder andere unzüchtige Gegenstände unter anderem herstellt, verkauft, verbreitet oder sonstwie in Verkehr bringt. Der Begriff "unzüchtig" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der wertender Auslegung durch den Richter bedarf (
BGE 109 IV 122
,
BGE 103 IV 97
,
BGE 100 Ib 386
E. 4a). Die Interpretation eines solchen Begriffs durch die kantonale Instanz als Frage des Bundesrechts wird vom Bundesgericht grundsätzlich in freier Kognition überprüft. In Grenzfällen weicht das Bundesgericht aber nur mit einer gewissen Zurückhaltung von der Auffassung der Vorinstanz ab (vgl. dazu
BGE 116 IV 314
f. zum Begriff des besonders gefährlichen Raubes).
b)
Art. 204 StGB
schützt primär die öffentliche Moral und Sittlichkeit als Teil der öffentlichen Ordnung (
BGE 114 IV 24
/5,
BGE 100 IV 236
,
BGE 89 IV 137
). Die für eine Gemeinschaft wesentlichen sittlichen Werte sollen durch unzüchtige Veröffentlichungen nicht gefährdet werden.
Nach der Rechtsprechung gilt als unzüchtig, was den geschlechtlichen Anstand verletzt, indem es in nicht leichtzunehmender
BGE 117 IV 457 S. 460
Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlichen Dingen verstösst; für die Grenzziehung zwischen unzüchtigen Darstellungen und solchen, die gewagt, aber noch erlaubt sind, ist das Sittlichkeits- und Schamgefühl des normal empfindenden Bürgers, der weder besonders empfindsam noch sittlich verdorben ist, massgebend (
BGE 100 IV 236
,
BGE 96 IV 69
,
BGE 89 IV 197
/8,
BGE 87 IV 74
,
BGE 86 IV 19
, 83 IV 24/5,
BGE 79 IV 126
/7).
Bei der Beurteilung des Charakters einer Veröffentlichung sind die gesamten Begleitumstände wie der Ort und die Art der Veröffentlichung sowie der Kreis der Personen, für den sie bestimmt ist, zu berücksichtigen (
BGE 96 IV 69
). Nach der Rechtsprechung ist schliesslich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich die Anschauungen der Allgemeinheit über Sitte und Moral und damit auch über den Begriff des Unzüchtigen im Laufe der Zeit geändert haben; der Strafrichter hat sich demnach in Fällen, die nicht unter die eigentliche Pornographie fallen, Zurückhaltung aufzuerlegen und
Art. 204 Ziff. 1 StGB
erst anzuwenden, wenn die Darstellung geschlechtlicher Vorgänge eindeutig den von der überwiegenden Mehrheit des Volkes getragenen sittlichen Vorstellungen zuwiderläuft und somit als Störung oder Belästigung der sozialen Ordnung angesehen werden muss (
BGE 96 IV 70
f.).
In einem neueren Entscheid (
BGE 117 IV 276
; vgl. auch
BGE 117 IV 283
) hat das Bundesgericht festgehalten, dass sich die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschenden Anschauungen der Allgemeinheit über Sitte und Anstand nicht mit exakter Sicherheit feststellen liessen. Die beispielsweise in einem Gesetzes- oder Revisionsentwurf enthaltenen Grundgedanken könnten aber als Ausdruck der allgemeinen "Entwicklungstendenz" auf einem bestimmten Rechtsgebiet gewürdigt und in diesem Sinn - mit der notwendigen Zurückhaltung - übernommen werden (
BGE 117 IV 279
ff. E. 3c mit Verweisungen). Gestützt auf den Umstand, dass die Tatbestände des Sexualstrafrechts, zu denen die Bestimmung über die unzüchtige Veröffentlichung gehört, geändert und den heutigen kriminalpolitischen Bedürfnissen und den veränderten gesellschaftlichen Auffassungen angepasst werden sollten (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II S. 1011 und 1064), ist das Bundesgericht zum Schluss gelangt, dass aufgrund der veränderten Anschauungen der Allgemeinheit über Moral und Sitte sexuell betonte Darstellungen, jedenfalls sofern sie ein bestimmtes Mass nicht überschritten, nicht
BGE 117 IV 457 S. 461
mehr als strafwürdig empfunden würden. Dementsprechend hat es erkannt, dass den veränderten Anschauungen jedenfalls insoweit Rechnung zu tragen sei, als in Analogie zu Art. 197 des Revisionsentwurfs beziehungsweise der Referendumsvorlage sogenannte weiche Pornographie nicht mehr in jedem Fall unter
Art. 204 StGB
fallen muss. Bei Kinovorführungen sei dies zu verneinen, wenn gewährleistet sei, dass der Kinobesucher im voraus über Gegenstand und Charakter des Films aufgeklärt werde und noch nicht 18jährigen Personen der Zutritt untersagt sei (
BGE 117 IV 281
f. E. 3e).
Daran ist auch zum heutigen Zeitpunkt, da die eidgenössischen Räte die Gesetzesänderung am 21. Juni 1991 unter dem Vorbehalt des fakultativen Referendums verabschiedet haben (BBl 1991 II 1490), festzuhalten. Dass in der Zwischenzeit gegen die Gesetzesvorlage das Referendum ergriffen worden ist (BBl 1991 IV 530), vermag ein Abweichen von der neuen Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen, da die Gesetzesänderung alle strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität umfasst und daher nicht ersichtlich ist, gegen welche Bestimmungen sich das Referendum zur Hauptsache richtet. Im übrigen trifft auch bei dieser Sachlage zu, dass der Umstand, wonach der Vorlage jedenfalls hinsichtlich der neuen Pornographiebestimmung im breit abgestützten Vernehmlassungsverfahren und im Parlament keine Opposition erwachsen ist, ein deutlicher Ausdruck der veränderten "sozialethischen Auffassungen ist, die im Sexualstrafrecht Milderungen angezeigt erscheinen lassen" (
BGE 117 IV 281
E. 3c a.E. mit Hinweis auf SCHULTZ, ZSR 110/1991 S. 183).
3.
a) Die für die Vorführung von Sexfilmen in Kinos entwickelten Grundsätze gelten auch für den Verkauf von pornographischen Schriften und Gegenständen in sogenannten Sexshops. Mit der neuen Pornographiebestimmung in der noch dem Referendum unterworfenen Fassung vom 21. Juni 1991 (
Art. 197 Ziff. 1 StGB
), deren Grundgedanken nach der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch für das geltende Recht bedeutsam sind, verfolgt das Strafrecht drei Hauptaufgaben: Zunächst sollen junge Menschen vor der Konfrontation mit jeglicher pornographischer Darstellung bewahrt werden; ferner soll verhindert werden, dass jemand gegen seinen Willen Darstellungen sexuellen Inhalts wahrnimmt; schliesslich soll harte Pornographie schlechthin verboten werden. Rechtsgut des neu vorgesehenen
Art. 197 Ziff. 1 StGB
ist die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher. Dem Schutz
BGE 117 IV 457 S. 462
dieser Entwicklung dient auch das gänzliche Verbot der Verbreitung jeglicher Art von Pornographie durch Radio und Fernsehen, da sich der Empfängerkreis bei diesen Medien nicht begrenzen lässt (vgl. Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1089; ähnlich die deutsche Regelung in § 184 dtStGB).
b) Die Vorinstanz hat unter Verweis auf das Bezirksgericht Aarau festgestellt, die im vom Beschwerdeführer geführten Erotikshop feilgebotenen Magazine und Videokassetten zeigten ausschliesslich die "ganz normale Sexualität, wie sie von einem Grossteil der Bevölkerung praktiziert wird"; Darstellungen harter Pornographie fänden sich im Angebot nicht. Nach der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die betreffenden Schriften bei dieser Sachlage entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht in jedem Fall als unzüchtige Veröffentlichungen im Sinne von
Art. 204 StGB
zu werten.
c) Bei der Beurteilung des Charakters der Veröffentlichung sind auch Art und Ort derselben sowie der Kreis der Personen, für den sie bestimmt ist, zu berücksichtigen. Diese Begleitumstände sind im Zusammenhang mit den genannten Zweckgedanken der Pornographiebestimmung zu sehen. Im zu beurteilenden Fall hat der Beschwerdeführer die pornographischen Erzeugnisse in einem sogenannten Sexshop feilgehalten. Derartige Lokale, in welchen ausschliesslich weiche Pornographie abgesetzt wird, genügen dem Schutzgedanken der Pornographiebestimmung, wenn sie folgende Bedingungen erfüllen: Sie müssen eindeutig als Sexshops gekennzeichnet sein, sie dürfen nicht öffentlich, etwa durch Zurschaustellung pornographischer Abbildungen oder Gegenstände im Schaufenster, Werbung betreiben, und schliesslich muss Jugendlichen unter 18 Jahren - in Anlehnung an
Art. 204 Ziff. 2 StGB
und noch nicht nach der Grenze von 16 Jahren nach dem noch dem Referendum unterliegenden Art. 197 - der Zutritt verwehrt werden. Unter diesen Bedingungen ist der Jugendschutz in genügendem Masse gewährleistet und auch sichergestellt, dass niemand unfreiwillig mit Darstellungen pornographischen Inhalts konfrontiert wird. Zu unterstreichen ist, dass dies nur gilt, wenn in den betreffenden Lokalen keine harte Pornographie gehandelt wird. Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, ist den veränderten Anschauungen der Allgemeinheit über Moral und Sitte insofern Rechnung zu tragen, als das Anbieten, Vorrätighalten
BGE 117 IV 457 S. 463
und Verbreiten von Erzeugnissen der sogenannten weichen Pornographie in besonderen, als solche gekennzeichneten Sexshops, die keine anderen Waren als pornographische Erzeugnisse anbieten, grundsätzlich nicht mehr unter
Art. 204 StGB
fällt.
d) Die kantonalen Entscheide setzen sich ausschliesslich mit dem Begriff des unzüchtigen Gegenstandes auseinander. Darüber, ob der vom Beschwerdeführer betriebene Erotikshop als solcher ausdrücklich gekennzeichnet war und ob er durch Schaufensterauslagen auf die darin angebotenen Erzeugnisse aufmerksam gemacht hat, finden sich keine Ausführungen. Ebenfalls keine Feststellungen getroffen hat das Obergericht hinsichtlich einer Zutrittsbeschränkung für Jugendliche. Hingegen ergibt sich aus den kantonalen Untersuchungsakten ein entsprechender Hinweis. Es wird festgehalten, dass die Schaufensterscheiben des Ladenlokals bis obenhin verdeckt seien, so dass zufällig vorbeispazierende Passanten keinen Einblick in den Sexshop erhielten. An der Ladentüre sei zudem der Vermerk angebracht, dass der Zutritt erst ab 18 Jahren erlaubt sei. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a8a7ac93-b430-49ac-9688-04899b6b5583 | Urteilskopf
89 III 33
7. Arrêt du 26 août 1963 dans la cause Piralla. | Regeste
Unpfändbarkeit der zur Berufsausübung notwendigen Werkzeuge (
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
).
Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die massgebenden Tatsachen von Amtes wegen abzuklären, namentlich die Arbeitsfähigkeit des Schuldners, die Art und die Wirtschaftlichkeit seiner Tätigkeit (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 89 III 33 S. 33
Andrée-Evelyne Piralla-Noll poursuit son mari Charles Piralla en paiement de la pension alimentaire fixée par le juge pour la durée du procès en divorce. Le 13 juin 1963, l'Office des poursuites de Genève a saisi au préjudice du
BGE 89 III 33 S. 34
débiteur une voiture automobile Ford-Taunus, modèle Combi, estimée à 1500 fr.
Charles Piralla a déposé une plainte tendant à ce que le véhicule fût déclaré insaisissable comme instrument de travail; il en aurait besoin pour transporter les matériaux, les produits et l'outillage utilisés dans les menus travaux qu'il exécute, à savoir la réfection de peintures et de parquets, le débarras de greniers, des nettoyages; son état de santé déficient l'empêcherait d'occuper un emploi fixe.
Statuant le 26 juillet 1963, l'Autorité de surveillance du canton de Genève admit la plainte, en se fondant sur les allégations du débiteur, et déclara la voiture insaisissable.
Andrée-Evelyne Piralla-Noll recourt au Tribunal fédéral en concluant au maintien de la saisie.
Erwägungen
Considérant en droit:
Sont notamment insaisissables, selon l'art. 92 ch. 3 LP, les instruments nécessaires au débiteur pour l'exercice de sa profession. L'insaisissabilité cesse cependant lorsque l'activité professionnelle du poursuivi n'est pas rentable, parce que les instruments nécessaires entraînent des frais hors de proportion avec le revenu réalisé (RO 86 III 51/2, 88 III 53). Il appartient à l'autorité de surveillance d'élucider d'office, éventuellement avec le concours de l'office des poursuites, les faits déterminants pour l'application de l'art. 92 LP (RO 82 III 106 consid. 2, 86 III 49/50 consid. 1, et références citées).
En l'espèce, l'intimé Charles Piralla se prétend incapable de travailler à 50% en raison des suites d'un accident. Il a produit un certificat médical du Dr. J. Brémond, du 6 juillet 1963, qui n'indique cependant pas le motif de l'incapacité partielle. Il a établi, en revanche, que le chef du Département des travaux publics du canton de Genève, qui l'avait engagé le 2 novembre 1962, a révoqué cet engagement le 20 juin 1963, à la suite d'une visite médicale. De son côté, la Caisse nationale considère la capacité de travail du débiteur comme entière depuis le 16 avril 1963.
BGE 89 III 33 S. 35
Vu ces indications contradictoires, l'incapacité partielle alléguée mériterait d'être vérifiée. Quant à son activité, le débiteur a exposé qu'il faisait de petits travaux de réfection dans des bâtiments, comme les peintures et les parquets, ainsi que le débarras de greniers, des nettoyages, etc. Le produit de son travail ne dépasserait pas 300 à 350 fr. par mois. La voiture saisie serait indispensable au transport des matériaux, des produits et de l'outillage utilisés. Sa nièce aurait acheté le véhicule pour le mettre à sa disposition. Elle en a d'ailleurs revendiqué la propriété. Sa revendication ayant été contestée par la créancière saisissante, elle a ouvert une action qui est actuellement pendante devant les tribunaux genevois.
La recourante nie que l'intimé exerce effectivement, à titre principal, l'activité prétendue; il aurait toujours exécuté de menus travaux accessoires, à côté de son activité professionnelle normale, chaque fois que l'occasion se présentait. Elle relève qu'à l'audience tenue le 22 mai 1963 par le juge saisi du procès en divorce, son mari a déclaré qu'il avait pris un emploi à l'institut ORT à Anières et gagnait 450 fr. par mois, bénéficiant en outre gratuitement d'une chambre et du petit déjeuner. Se déterminant sur ce point devant l'office des poursuites, le débiteur a prétendu qu'il n'avait pu occuper ledit emploi pour des raisons indépendantes de sa volonté. Toutefois, d'après une lettre versée au dossier, l'institut ORT avait bien engagé Charles Piralla comme veilleur de nuit, le 20 mai 1963, mais, n'ayant reçu aucune nouvelle de lui jusqu'à fin mai, il s'est vu contraint d'annuler l'engagement et de prendre d'autres dispositions.
En présence des versions divergentes exposées par les parties, l'autorité cantonale aurait dû élucider les faits. Or elle s'est bornée à accueillir les allégations du débiteur, en dépit des contestations de la créancière. Du moment qu'elle s'écartait de la décision prise par l'office des poursuites quant à la saisissabilité de la voiture trouvée en possession de Charles Piralla, elle avait l'obligation d'examiner
BGE 89 III 33 S. 36
objectivement et de façon approfondie les allégations des deux parties et, le cas échéant, de procéder aux investigations nécessaires. Si l'intimé a refusé délibérément de donner suite à son engagement par l'ORT, on ne saurait priver la recourante du produit de la réalisation de la voiture, seul objet saisi. Aussi la lumière doit-elle être faite sur ce point. En outre, il conviendra de vérifier la capacité de travail du débiteur et, le cas échéant, la rentabilité de l'activité indépendante qu'il dit exercer. Sur la base des faits qu'elle aura ainsi établis, l'autorité cantonale rendra une nouvelle décision au sujet de la saisissabilité de la voiture automobile litigieuse.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites
admet le recours dans le sens des motifs, annule la décision attaquée et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle complète le dossier et rende une nouvelle décision. | null | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a8b0e89a-9385-4578-bf2e-c88a3d5f4609 | Urteilskopf
139 V 509
67. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause CSS Assurance-maladie SA contre C. (recours en matière de droit public)
9C_456/2013 du 15 novembre 2013 | Regeste
Art. 25 Abs. 2 lit. b und Art. 52 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 KVG;
Art. 22 KLV
; Ziff. 30.03.01.00.2 der Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL; Anhang 2 KLV).
Die Kosten der Miete einer "Kniebewegungsschiene, aktiv" können höchstens für einen Zeitraum von sechzig Tagen übernommen werden (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 509
BGE 139 V 509 S. 509
A.
C. est assurée auprès de CSS Assurance-maladie SA (ci-après: la CSS) pour l'assurance obligatoire des soins en cas de maladie.
Le 10 mars 2011, l'assurée a subi une intervention chirurgicale consistant en la pose d'une prothèse unicompartimentale du genou droit. Des complications s'en sont ensuivies, sous la forme d'abord d'un important hématome, lequel a nécessité une reprise de l'opération en urgence le 17 mars 2011, puis sous la forme d'une arthrofibrose et d'une ankylose massive, lesquelles ont amené à pratiquer le 5 octobre 2011 une arthrolyse complexe extensive.
Afin de favoriser sa rééducation et de lui permettre de recouvrer la mobilité de son genou, l'assurée s'est vu prescrire du 9 avril au 21 décembre 2011 l'utilisation d'une attelle motorisée Kinetec. La CSS a accepté de prendre en charge la location de cet appareil pour une période maximale de soixante jours, en expliquant à l'assurée qu'elle
BGE 139 V 509 S. 510
n'était pas autorisée, en vertu de la limitation énoncée dans la liste des moyens et appareils pris obligatoirement en charge par l'assurance-maladie sociale (LiMA), à étendre la période de remboursement au-delà de cette période.
Par décision du 22 juin 2012, confirmée sur opposition le 19 octobre suivant, la CSS a notifié formellement à l'assurée que la prise en charge de l'attelle Kinetec était limitée à une durée de soixante jours.
B.
Par jugement du 14 mai 2013, la Chambre des assurances sociales de la Cour de justice de la République et canton de Genève a partiellement admis le recours au sens des considérants, annulé la décision sur opposition du 19 octobre 2012, en tant que celle-ci limitait la prise en charge de la location de l'attelle Kinetec à soixante jours, et condamné la CSS à verser à l'assurée les prestations dues pour la location de l'attelle Kinetec pour la période courant du 8 juin au 21 décembre 2011.
C.
La CSS interjette un recours en matière de droit public et un recours constitutionnel subsidiaire contre ce jugement dont elle demande l'annulation. Elle conclut à la confirmation de la décision sur opposition du 19 octobre 2012.
C. conclut au rejet du recours, tandis que l'Office fédéral de la santé publique a renoncé à se déterminer.
Le Tribunal fédéral a déclaré irrecevable le recours constitutionnel subsidiaire et admis le recours en matière de droit public.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.1
Selon l'
art. 25 al. 2 let. b LAMal
, les prestations dont les coûts sont pris en charge par l'assurance obligatoire des soins comprennent notamment les analyses, médicaments, moyens et appareils diagnostiques ou thérapeutiques prescrits par un médecin ou, dans les limites fixées par le Conseil fédéral, par un chiropraticien. Selon l'
art. 33 al. 1 LAMal
, le Conseil fédéral peut désigner en détail les prestations fournies par un médecin ou un chiropraticien, dont les coûts ne sont pas pris en charge par l'assurance obligatoire des soins ou le sont à certaines conditions. S'agissant des prestations énumérées à l'
art. 25 al. 2 let. b LAMal
, le Département fédéral de l'intérieur (DFI), auquel le Conseil fédéral a délégué à son tour la compétence mentionnée (
art. 33 al. 5 LAMal
en corrélation avec les
art. 33 let
. e et 34 OAMal [RS 832.102]), a, à la différence du catalogue de
BGE 139 V 509 S. 511
certaines prestations fournies par les médecins de l'annexe 1 de l'ordonnance du DFI du 29 septembre 1995 sur les prestations dans l'assurance obligatoire des soins en cas de maladie (ordonnance sur les prestations de l'assurance des soins, OPAS; RS 832.112.31), prévu un système dit de liste positive (cf.
ATF 129 V 167
consid. 3.4 p. 172). Tant la liste des analyses (LA; art. 52 al. 1 let. a ch. 1 LAMal; art. 34 et 60 à 62 OAMal;
art. 28 OPAS
; annexe 3 OPAS) que la liste des médicaments avec tarifs (LMT; art. 52 al. 1 let. a ch. 2 LAMal;
art. 34 et 63 OAMal
;
art. 29 OPAS
; annexe 4 OPAS), la liste des spécialités (LS;
art. 52 al. 1 let. b LAMal
; art. 34 et 64 à 75 OAMal; art. 30 à 38 OPAS) et la liste des moyens et appareils (LiMA; art. 52 al. 1 let. a ch. 3 LAMal;
art. 33 let
. e OAMal; art. 20 à 24 OPAS; annexe 2 OPAS) constituent des listes positives de prestations. Celles-ci ont pour caractéristique d'être à la fois exhaustives et contraignantes, parce que les assureurs-maladie ne peuvent, en vertu de l'
art. 34 al. 1 LAMal
, prendre en charge que les prestations prévues aux art. 25 à 33 LAMal. En d'autres termes, le système légal exclut la prise en charge par l'assurance obligatoire des soins d'une prestation sous forme d'analyse, de médicament ou encore de moyens ou d'appareils, qui n'est pas mentionnée dans la LA, respectivement la LMT, la LS ou la LiMA (pour les analyses: arrêt du Tribunal fédéral des assurances K 55/05 du 24 octobre 2005 consid. 1.3; pour les médicaments:
ATF 136 V 395
consid. 5.1 p. 398;
ATF 134 V 83
consid. 4.1 p. 85;
ATF 131 V 349
consid. 2.2 p. 351;
ATF 130 V 532
consid. 3.4 p. 540; voir également arrêts du Tribunal fédéral des assurances K 156/01 du 30 octobre 2003 consid. 3.2.1, in RAMA 2004 p. 109, et K 63/02 du 1
er
septembre 2003 consid. 3.2, in RAMA 2003 p. 299; pour les moyens et appareils:
ATF 136 V 84
consid. 2.2 p. 86; voir également arrêts 9C_216/2012 du 18 décembre 2012 consid. 2.2, in SVR 2013 KV n° 12 p. 60; 9C_92/2012 du 12 avril 2012 consid. 4.1, in SVR 2012 KV n° 19 p. 69, et K 157/00 du 5 novembre 2001 consid. 3b, in RAMA 2002 p. 7).
4.2
L'assurance obligatoire des soins octroie un remboursement pour les moyens et appareils thérapeutiques ou diagnostiques visant à surveiller le traitement d'une maladie et ses conséquences, remis sur prescription médicale par un centre de remise au sens de l'
art. 55 OAMal
et utilisé par l'assuré lui-même ou avec l'aide d'un intervenant non professionnel impliqué dans l'examen ou le traitement (
art. 20 OPAS
). L'obligation de prise en charge et l'étendue de la rémunération des moyens et appareils sont définies par le DFI, après
BGE 139 V 509 S. 512
consultation de la Commission fédérale des analyses, moyens et appareils et conformément aux principes des art. 32 al. 1 et 43 al. 6 LAMal (art. 52 al. 1 let. a ch. 3 LAMal en corrélation avec les
art. 33 let
. e et 37f OAMal). Les moyens et appareils admis sont répertoriés dans la LiMA par nature et par groupe de produits (
art. 20a al. 1 OPAS
). L'admission sur la liste peut être assortie d'une condition limitative. Celle-ci peut notamment se rapporter à la quantité, à la durée d'utilisation, à l'indication médicale ou à l'âge de l'assuré (
art. 22 OPAS
). Les moyens et appareils ne sont remboursés que jusqu'à concurrence du montant fixé d'un moyen ou d'un appareil de la même catégorie qui figure sur la liste (
art. 24 al. 1 OPAS
;
ATF 136 V 84
consid. 2.3.1 p. 87).
4.3
Selon le ch. 30.03.01.00.2 de la LiMA, la location d'une attelle de mobilisation active pour le genou est prise en charge à raison d'un montant de 8 fr. 55 par jour. La prise en charge est limitée à trente jours, laquelle peut être prolongée de trente jours au maximum sur indication médicale.
5.
Il n'est pas contesté que les prestations allouées par la recourante, en tant qu'elles couvrent la prise en charge de l'attelle Kinetec pour une période de soixante jours, respectent le cadre défini par la LiMA. Est litigieuse la question de savoir si l'intimée peut prétendre à une prise en charge plus étendue de la part de l'assurance obligatoire des soins.
5.1
Pour pouvoir être reconnus comme prestations au titre de l'
art. 25 al. 2 let. b LAMal
, les moyens et appareils doivent, de façon générale ou dans le cadre d'un traitement particulier, répondre à des nécessités diagnostiques, thérapeutiques ou de soins, ou bien encore servir à la réadaptation médicale (cf. GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in Soziale Sicherheit, SBVR vol. XIV, 2
e
éd. 2007, p. 607 n° 628). Par définition, l'emploi d'un moyen ou d'un appareil diagnostique ou thérapeutique est indissociable d'un traitement médical préventif, curatif ou palliatif. La prise en charge de ce type de prestations s'inscrit donc nécessairement dans une solution thérapeutique globale; celle-ci ne saurait être confondue avec la notion de "complexe thérapeutique" au sens défini par la jurisprudence (cf. infra consid. 5.2). Le simple emploi d'un moyen ou d'un appareil diagnostique ou thérapeutique ne saurait par conséquent justifier l'application des principes liés à la notion de "complexe thérapeutique" et permettre la prise en charge d'une mesure pour laquelle il n'existe légalement aucune obligation de prise en charge ou
BGE 139 V 509 S. 513
seulement une obligation limitée. Une telle manière de procéder reviendrait en effet à vider de son sens le système de la liste exhaustive et contraignante mis en place par le législateur.
5.2
La jurisprudence admet l'application des principes liés à la notion de "complexe thérapeutique" lorsqu'il existe un rapport de connexité qualifié, soit lorsque la mesure qui n'est pas prise en charge par l'assurance obligatoire des soins constitue une condition indispensable à l'exécution de prestations prises en charge par l'assurance obligatoire des soins (
ATF 130 V 532
consid. 6 p. 544; voir également arrêt du Tribunal fédéral des assurances K 206/97 du 11 mai 1998 consid. 3b, in RAMA 1998 p. 302). En l'espèce, on ne saurait toutefois considérer que l'emploi d'une attelle Kinetec constituait un préalable nécessaire et inévitable à la réussite du traitement dont faisait l'objet l'intimée. Quand bien même l'usage de l'attelle Kinetec a pu constituer un apport indéniable en complément des autres mesures mises en oeuvre (rapport du docteur S. du 30 mars 2012), le succès de la rééducation n'était pas conditionné à l'usage de celle-ci, mais était réalisable, comme le souligne la recourante, par d'autres moyens thérapeutiques pris en charge par l'assurance obligatoire des soins, tels que des séances de physiothérapie. Il suit de là que le processus global de rééducation mis en place en l'espèce ne pouvait être assimilé à un "complexe thérapeutique" au sens entendu par la jurisprudence.
5.3
Compte tenu de la grande retenue que s'impose le Tribunal fédéral dans le contrôle de la légalité et de la constitutionnalité des listes positives de prestations établies par le DFI (
ATF 129 V 167
consid. 3.4 p. 173 in fine;
ATF 124 V 185
consid. 6 p. 195), il n'y a pas lieu non plus de s'interroger sur le bien-fondé de la limitation temporelle prévue par la LiMA pour la prise en charge de la location d'une attelle de mobilisation active du genou. Préalablement à leur admission dans la LiMA, les moyens et appareils diagnostiques et thérapeutiques font l'objet, par le biais du DFI et de la Commission fédérale des analyses, moyens et appareils, d'un examen sous l'angle des critères d'efficacité, d'adéquation et d'économicité. Faute d'indices permettant de penser que la limitation critiquée serait la conséquence d'une lacune manifeste ou reposerait sur des considérations arbitraires de la part du législateur, il n'y a pas place pour substituer une autre appréciation à celle de l'autorité compétente, et ce d'autant moins lorsqu'elle est fondée sur l'avis de spécialistes.
BGE 139 V 509 S. 514
5.4
Sur le vu de ce qui précède, la prise en charge par l'assurance obligatoire des soins d'une attelle de mobilisation active du genou Kinetec ne saurait dépasser une période de soixante jours, conformément au ch. 30.03.01.00.2 de la LiMA. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a8b64204-b920-42f3-a8ee-dc2c59d93387 | Urteilskopf
103 Ia 356
56. Auszug aus dem Urteil vom 28. September 1977 i.S. Franz Haniel AG gegen Miniera AG, Minostra Öl- und Benzinlager AG und Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Schiedsgerichtsbarkeit.
1. Schiedsgerichtsurteile sind keine kantonalen Entscheide im Sinne von
Art. 84 Abs. 1 OG
und können weder unmittelbar noch im Anschluss an einen kantonalen Rechtsmittelentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (E. 1b).
2. Kognition des Bundesgerichts bei Überprüfung des kantonalen Rechtsmittelentscheids (E. 2).
3. Umfang der Begründungspflicht der kantonalen Rechtsmittelinstanz, die eine Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 36 lit. f des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit zu beurteilen hat (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 357
BGE 103 Ia 356 S. 357
Die Miniera AG und die Minostra Öl- und Benzinlager AG einerseits sowie die Franz Haniel AG anderseits bestellten im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung eines zwischen ihnen geschlossenen Dienstbarkeitsvertrags ein Schiedsgericht zur Festsetzung der gegenseitigen Ansprüche. Gegen das Urteil des Schiedsgerichts führte die Franz Haniel AG beim Ausschuss des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt Nichtigkeitsbeschwerde, die im wesentlichen abgewiesen wurde. Die Franz Haniel AG erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
, im wesentlichen mit den Anträgen, die Urteile des Schiedsgerichts und des Appellationsgerichts (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt seien aufzuheben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
b) Die Beschwerdeführerin glaubt, zugleich mit dem Urteil des Appellationsgerichtes dasjenige des Schiedsgerichtes anfechten zu können, weil das Appellationsgericht dieses nur mit einer auf Willkür beschränkten Kognition überprüfen konnte. Die Mitanfechtung von Urteilen unterer Instanzen ist jedoch nur zulässig, wenn diese Urteile ebenfalls von einer kantonalen Behörde gefällt worden sind (vgl.
BGE 100 Ia 123
E. 1 und 267 E. 2 mit Hinweisen). Auf Schiedsgerichtsurteile trifft dies nicht zu. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes keine "kantonalen Entscheide" im Sinne von
Art. 84 Abs. 1 OG
und können demgemäss weder unmittelbar noch im Anschluss an einen kantonalen Rechtsmittelentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (
BGE 102 Ia 507
E. 13;
BGE 71 I 35
mit Hinweisen; nicht veröffentlichtes Urteil vom 8. März 1974 i.S. Th. g. N., E. 2; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 311). Zwar ist diese Praxis von verschiedenen Autoren angefochten worden (W. BURCKHARDT in ZBJV 75/1939, S. 510; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, II. Supplement, S. 111; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 3. Auflage, S. 97), doch genügen die von diesen Autoren angeführten Gründe nicht, um Urteile privater Schiedsgerichte entgegen dem Wortlaut von
Art. 84 OG
kantonalen Entscheiden gleichzustellen, gegen die staatsrechtliche Beschwerde geführt werden kann. Der von BURCKHARDT und MARTI in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt
BGE 103 Ia 356 S. 358
des Rechtsschutzinteresses der Parteien darf das Bundesgericht nicht veranlassen, vom klaren Gesetzestext abzuweichen. Im übrigen erscheint es als fraglich, ob das Rechtsschutzbedürfnis von Parteien, die sich aus freiem Willen einer privaten Gerichtsbarkeit unterworfen haben, demjenigen anderer Parteien, die den staatlichen Gerichten unterstellt sind, gleichzusetzen sei. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtskontrolle gegenüber Schiedssprüchen im letzten Jahrzehnt stark ausgebaut worden ist, indem heute 15 Kantone und Halbkantone dem Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit (im folgenden als "Konkordat" bezeichnet) angehören, nach dessen Art. 36 lit. f jeder Schiedsspruch unter anderem wegen Willkür bei einer kantonalen Instanz angefochten werden kann. Eine praktisch gleichwertige Anfechtungsmöglichkeit kennen mit einer einzigen Ausnahme (Zug) auch die dem Konkordat nicht angehörenden Kantone (W. WENGER, Die Rechtsmittel gegen schiedsrichterliche Entscheidungen, in: L'Arbitrage international privé et la Suisse, Kolloquium der Universität Genf, 1976, S. 18). Auch dieser praktische Gesichtspunkt spricht gegen eine Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit sie sich gegen das Urteil des Schiedsgerichtes vom 16. September 1976 richtet.
2.
Die Beschwerdeschrift weist den völlig ungewöhnlichen, mit der Vorschrift von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
schwer zu vereinbarenden Umfang von 89 Seiten auf und enthält über weite Strecken eine appellatorische Kritik am Urteil des Appellationsgerichtes und mittelbar an demjenigen des Schiedsgerichtes. Die Beschwerdeführerin argumentiert so, wie wenn das Bundesgericht das Urteil frei überprüfen könnte. Tatsächlich ist aber die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichtes in einem solchen Falle doppelt beschränkt. War schon die kantonale Instanz nur befugt, den Schiedsspruch auf Willkür hin zu überprüfen, so kann das Bundesgericht lediglich noch untersuchen, ob sie bei dieser Prüfung ihrerseits in Willkür verfallen sei, d.h. mit anderen Worten, ob sie sich ihrer Aufgabe in schlechthin nicht zu vertretender Art und Weise entledigt habe.
3.
Die Beschwerdeführerin macht unter Ziffer II ihrer Beschwerdeschrift in allgemeiner Form geltend, das Appellationsgericht habe sein Urteil ungenügend begründet, indem es
BGE 103 Ia 356 S. 359
in den meisten Punkten lediglich festgestellt habe, dasjenige des Schiedsgerichtes sei vertretbar und daher nicht willkürlich. Sie erblickt darin eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Allein gerade diese Rüge zeigt, dass die Beschwerdeführerin die Funktion der in Art. 36 des Konkordates vorgesehenen Nichtigkeitsbeschwerde verkennt. Es kann nicht Aufgabe der zur Behandlung dieser Beschwerde eingesetzten richterlichen Behörde sein, einen Schiedsspruch nach allen Richtungen zu überprüfen und ihr Urteil an Stelle desjenigen des Schiedsgerichtes zu setzen, sondern sie hat - wenn man von der hier keine oder doch nur eine völlig untergeordnete Rolle spielenden Frage von Verfahrensmängeln absieht - lediglich die klar umrissene Funktion, festzustellen, ob der Schiedsspruch an Willkür leide. Willkür liegt gemäss Art. 36 lit. f des Konkordates dann vor, wenn der Schiedsspruch auf offensichtlich aktenwidrigen tatsächlichen Feststellungen beruht oder eine offenbare Verletzung des Rechtes oder der Billigkeit enthält. Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass sich diese Formulierung im Ergebnis mit derjenigen deckt, die das Bundesgericht bei der Anwendung von
Art. 4 BV
entwickelt hat ("... wenn der angefochtene Entscheid eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgefühl zuwiderläuft ..."
BGE 102 Ia 3
/4 E. 3b mit Hinweisen). Willkür darf aber nicht mit Gesetzesverletzung verwechselt werden; dass andere Lösungen ebenfalls vertretbar oder vielleicht sogar vorzuziehen gewesen wären, lässt die Willkürrüge noch nicht als stichhaltig erscheinen. Die auf Willkürkognition beschränkte Instanz hat vielmehr den angefochtenen Entscheid nur aufzuheben, wenn er als offensichtlich unhaltbar, d.h. mit sachlichen Gründen schlechthin nicht mehr vertretbar erscheint (
BGE 99 Ia 346
E. 1
;
96 I 627
E. 3). Hieraus folgt für das Verfahren, dass die Nichtigkeitsinstanz dann, wenn sie ein sorgfältig begründetes Urteil zu überprüfen hat, ihre eigenen Erwägungen durchaus kurz halten darf, dies umso mehr, als selbst für kantonale Appellationsurteile die blosse Verweisung auf Erwägungen der unteren kantonalen Instanz nicht gegen Bundesrecht verstösst. Wäre die Nichtigkeitsinstanz, wie die Beschwerdeführerin annimmt, gehalten, sich mit deren abweichenden Rechtsauffassungen auch insoweit einlässlich auseinanderzusetzen, als sie die Erwägungen des Schiedsgerichtes
BGE 103 Ia 356 S. 360
teilt oder als zum mindesten vertretbar erachtet, so verlöre die Schiedsabrede ihren Sinn, der ja unter anderem gerade darin besteht, den oft langwierigen Rechtsweg über verschiedene ordentliche Instanzen zu vermeiden. Eine Kombination der Vorteile des schiedsgerichtlichen und des ordentlichen Prozesses, wie sie der Beschwerdeführerin vorzuschweben scheint, gibt es nicht. Daraus folgt, dass die Art des Vorgehens des Appellationsgerichtes bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht zu beanstanden und dass auf die Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs nur einzutreten ist, soweit sie zu einzelnen Punkten genau substantiiert wird. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a8b81356-adef-426c-9313-888124e5fe25 | Urteilskopf
92 I 108
20. Urteil vom 11. Mai 1966 i.S. Kroeger gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | Regeste
Bundesgesetz betr. die Auslieferung gegenüber dem Ausland. Auslieferungsvertrag mit Deutschland.
1. Der Auslieferungsrichter hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob ein Schuldausschliessungs- oder Strafmilderungsgrund (hier: Einrede des Handelns auf Befehl) vorliege. Ist die Schuldfrage bei einem leicht und sicher überprüfbaren Alibi abzuklären? Frage offen gelassen (Erw. 1).
2. Auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland schliesst die Verjährung schon nach einem der beiden Rechte die Auslieferung aus. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang wird die Verjährung für den ersuchten (schweizerischen) Staat durch eine Verfolgungshandlung des ersuchenden (deutschen) Staates unterbrochen, wenn dem Beschuldigten Mord vorgeworfen wird? (Erw. 2).
3. Kriegsrepressalien: Begriff der Verhältnismässigkeit und des Exzesses (Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 92 I 108 S. 109
A.-
Das Amtsgericht Wuppertal erliess am 10. Januar 1962 gegen den deutschen Staatsangehörigen Dr. jur. Erhard Kroeger, geb. 1905, einen Haftbefehl wegen dringenden Verdachtes des gemeinschaftlichen Mordes in zahlreichen Fällen. Dr. Kroeger wurde am 31. Dezember 1965 in Steinmaur-Sünikon/ZH verhaftet. Am 11. Januar 1966 stellte das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen das förmliche Ersuchen um Auslieferung.
Der Haftbefehl vom 10. Januar 1962 wirft Dr. Kroeger im einzelnen vor, auf seinen Befehl hin habe das unmittelbar hinter der Ostfront tätige Einsatzkommando 6 wiederholt Erschiessungen vorgenommen, nämlich:
am 2.7.1941 in Lemberg 135 Juden
um den 15.9.1941 in Winniza 600 Juden
um den 19.9.1941 in Kriwoi-Rog 105 Juden
vom 28.9.-4.10.1941 in Dnjepropetrowsk 179 Juden
um den 15.11.1941 in Dnjepropetrowsk
in Dnjeprodershink
in Werchnadneprowsk 1000 Juden
in Nowo-Moskowsk
in Saproshje und
in Nikopol
vom 24.-30.11.1941 im Raume Dnjepropetrowsk 226 Juden
am 12.11.1941 im Raume Dnjepropetrowsk 800 Insassen der Irrenanstalt Igrin.
Die Juden (wehrlose Männer, Frauen und Kinder) seien ohne rechtliche Grundlage, nur um sie auszurotten, die Insassen der Irrenanstalt, um sich ihrer zu entledigen, hingerichtet worden. Die Erschiessungen seien geheim gehalten und die Leichen in Massengräber oder in stillgelegte Bergwerksschächte geworfen worden.
Am 28. Februar 1966 übermittelte der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen der Eidg. Polizeiabteilung ein Nachtragsbegehren, das sich auf einen weiteren Haftbefehl des Amtsgerichtes Wuppertal vom 22. Februar 1966 stützt. Darin wird geltend gemacht, Dr. Kroeger habe im Range eines SS-Standartenführers das Einsatzkommando 6 bis Dezember
BGE 92 I 108 S. 110
1941 geführt. Unter seiner Leitung habe dieses Kommando über die im Haftbefehl vom 10. Januar 1962 erwähnten Hinrichtungen hinaus erschossen:
am 29.6.1941 in Sambor-Dobromil 132 Juden
am 8.7.1941 in Zloczow 16 kommunistische Funktionäre u. Zubringer, darunter drei Jüdinnen
im Juli 1941 in Tarnopol eine grössere, der Höhe nach unbekannte Anzahl Juden
im Juli 1941 in Proskurow 146 Kommunisten
im Juli/August 1941 in Winniza 146 Juden
im August 1941 in Korosten 53 Juden und 2 kommunistische Funktionäre
im September 1941 in Kirowograd 48 kommunistische Funktionäre
im September 1941 in Kriwoj-Rog 39 kommunistische Funktionäre
vom 14.-27.9.1941 in Kriwoj-Rog 26 Juden und 13 kommunistische Funktionäre
vom 28.9.-4.10.1941 in Kriwoj-Rog 8 kommunistische Funktionäre
vom 28.8.-4.10.1941 in Dnjepropetrowsk 85 kommunistische Funktionäre
vom 26.10.-2.11.1941 im Raume 43 Juden und Dnjepropetrowsk 26 kommunistische Funktionäre
vom 3.-9.11.1941 im Raume 113 Juden und Dnjepropetrowsk 20 kommunistische Funk tionäre
vom 10.-16.11.1941 im Raume 47 Juden und Dnjepropetrowsk 4 kommunistische Funktionäre
BGE 92 I 108 S. 111
vom 17.-23.11.1941 im Raume 61 Juden und Dnjepropetrowsk 24 kommunistische Funktionäre
Auf Grund eines Geheimbefehls Hitlers seien die Juden auch in diesen Fällen ohne rechtliche Grundlage nur ihrer Abstammung wegen und die kommunistischen Funktionäre allein ihrer politischen Einstellung halber getötet worden. Auch diese Erschiessungen seien geheim gehalten und die Opfer in Massengräbern verscharrt worden. Die Verjährung der Strafverfolgung sei durch einen Haftbefehl des Amtsgerichtes Darmstadt vom 25. April 1960 unterbrochen worden.
B.-
Kroeger hat sich bei seinen Einvernahmen durch die Kantonspolizei Zürich und durch Eingaben seines Verteidigers an das eidg. Justiz- und Polizeidepartement vom 21. Januar 1966 der Auslieferung widersetzt. Er bestreitet die ihm zur Last gelegten Erschiessungen (mit Ausnahme der Vorkommnisse in Sambor/Dobromil und in Lemberg) und beruft sich auf das Zeugnis des Matthias Graf im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Mit eidesstattlichen Erklärungen der Gertrud von Radetzky, des Erich von Sievert und des Friedrich Buchhardt macht er geltend, er sei zur fraglichen Zeit weder in Südpolen noch in der Ukraine gewesen. Überdies seien die ihm vorgeworfenen Handlungen nach deutschem und nach schweizerischem Recht nicht Mord, sondern vorsätzliche Tötung, welches Vergehen aber verjährt sei. Selbst bei Annahme des Mordtatbestandes wäre die zwanzigjährige Verjährungsfrist am 1. Dezember 1961 abgelaufen; denn verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen seien vorher nicht erfolgt. Bei den vom Haftbefehl namhaft gemachten Sachverhalten gehe es um relativ-politische Delikte. Zwar habe er in Sambor/Dobromil und in Lemberg je 80 Personen erschiessen lassen; diese Taten qualifizierten sich indessen als völkerrechtlich zulässige Repressalie auf ein vorher unter Geistlichen und deutschen Kriegsgefangenen angerichtetes Blutbad hin.
C.-
Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement überwies am 30. März 1966 die Akten dem Bundesgericht zum Entscheid.
Die Bundesanwaltschaft beantragt mit Eingabe vom 17. März 1966, die Einsprache des Dr. Kroeger sei abzuweisen und seine Auslieferung an das Justizministerium Nordrhein-Westfalen zu bewilligen. Mit den Anforderungen an einen Alibibeweis sei es
BGE 92 I 108 S. 112
im Auslieferungsverfahren streng zu nehmen. Solchen Anforderungen könnten aber die von Dr. Kroeger beigebrachten eidesstattlichen Erklärungen nicht genügen. Die Erschiessung von 135 Juden in Lemberg könne nach der Darstellung des Sachverhaltes in den Haftbefehlen nicht als Kriegsrepressalie für den von russischer Seite angeblich begangenen Massenmord an Priestern und deutschen Kriegsgefangenen gelten. Nach deutschem und schweizerischem Recht seien die in den Haftbefehlen hervorgehobenen Handlungen als Mord zu bewerten. Die 20jährige Verjährungsfrist sei durch den Haftbefehl des Amtsgerichtes Darmstadt vom 25. April 1960 sowohl nach deutschem wie nach schweizerischem Recht unterbrochen worden. Unter den in den Haftbefehlen geschilderten Umständen könne sich Kroeger auch nicht darauf berufen, seine Handlungen seien als relativpolitische Delikte zu bewerten. Daran ändere nichts, dass das Appellationsgericht Bologna in einem Urteil vom 6. Februar 1963 diese Voraussetzungen nach italienischem Recht als gegeben erachtet und die Auslieferung Kroegers an die Bundesrepublik Deutschland gestützt auf den gleichen Haftbefehl verweigert habe.
Dem Sachbericht der Polizeiabteilung des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes ist zu entnehmen: Die formellen Voraussetzungen des deutschen Auslieferungsbegehrens seien auf Grund des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages als erfüllt zu betrachten. Gemäss Art. 1 Ziff. 1 stelle Mord ein Auslieferungsdelikt dar. Soweit Kroeger in seiner Abhörung bestreite, die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen zu haben, könne darauf im Auslieferungsverfahren nicht eingetreten werden. Der Entscheid über Schuld und Tatfragen sei dem Sachrichter vorbehalten.
D.-
In einer Eingabe vom 15. April 1966 hat sich die Schweiz. Bundesanwaltschaft zum Nachtragsbegehren des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen vom 28. Februar 1966 geäussert. Sie beantragt, die Auslieferung Dr. Kroegers sei auch wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 22. Februar 1966 aufgeführten Straftaten zu bewilligen. Neu am Haftbefehl sei, dass unter den Opfern der zahlreichen zusätzlich geltend gemachten Erschiessungen eine grosse Zahl kommunistischer Funktionäre erwähnt werden. Auch wenn Kroeger in amtlicher Eigenschaft gehandelt habe, so könnten die Erschiessungen kommunistischer Funktionäre nicht als Ausfluss des
BGE 92 I 108 S. 113
Kampfes um die politische Macht in den besetzten Ostgebieten gelten und damit relativ politischen Charakter aufweisen. Denn der Haftbefehl spreche sich über das Handlungsmotiv in dem Sinne aus, dass die kommunistischen Funktionäre nur erschossen worden seien, um sich ihrer zu entledigen. Auch die Berufung auf einen Geheimbefehl Hitlers ändere daran nichts. Da die Erschiessungen nicht als von einander losgelöste Einzelakte, sondern als eine Gesamtheit zu betrachten seien, sei es nicht notwendig gewesen, die in diesem Haftbefehl neu angeführten Hinrichtungen schon im Haftbefehl vom 25. April 1960 einzeln aufzuführen, um die Verjährung zu unterbrechen. Der Fortsetzungszusammenhang sei für das deutsche und das schweizerische Recht als gegeben zu betrachten. Auch die von Kroeger nachträglich zugestandene Erschiessung von etwa 80 Juden (am 29. Juni 1941 in Sambor/Dobromil) könne nicht als ausnahmsweise zulässige Repressalie gelten.
E.-
Der Verteidiger Kroegers hat sich in einer Eingabe an das Bundesgericht nochmals zur Sache geäussert. Eine Untersuchungshandlung im Sinne von
Art. 72 StGB
sei am 25. April 1960 nicht erfolgt; denn der Haftbefehl sei nicht zur Vollstreckung weitergeleitet worden. Um eine Unterbrechung herbeizuführen, müsse sich die unterbrechende Handlung gegen den Täter richten und nach aussen in Erscheinung treten. Sollte im Haftbefehl vom 25. April 1960 trotzdem eine Unterbrechung der Verjährung gesehen werden, so dürfe nur auf die dort vorgeworfenen Handlungen in Lemberg (2. Juli 1941) und Winniza (15. September 1941) abgestellt werden. Im Haftbefehl vom 22. Februar 1966 werde darauf hingewiesen, dass die vom Verfolgten angeblich ausgeführten Handlungen in Erfüllung eines Geheimbefehls Hitlers geschehen seien. Der Haftbefehl gehe somit davon aus, dass dem Beschuldigten nicht eigenmächtige, vom Dienstbefehl losgelöste Taten vorgehalten werden können.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Auslieferungsrichter hat lediglich zu untersuchen, ob die Voraussetzungen der Auslieferung gegeben seien. Bei Prüfung dieser Frage ist er grundsätzlich frei (
BGE 78 I 45
/46,
BGE 79 I 36
Erw. 2); er ist jedoch hinsichtlich des Hergangs der Tat und der Schuld des Auszuliefernden an die zur Begründung des Auslieferungsersuchens vorgelegten Urkunden gebunden: Soweit diese nicht offensichtliche Irrtümer enthalten, geht der Auslieferungsrichter
BGE 92 I 108 S. 114
in den genannten Punkten von der Darstellung des Sachverhalts im ausländischen Urteil, im Haftbefehl oder in anderen Urkunden aus, auf die das Auslieferungsbegehren Bezug nimmt. Ob dieser Sachverhalt bewiesen sei und ob der Auszuliefernde die ihm gemachten Vorhalte bestreite, ist demnach unerheblich (vgl.
BGE 32 I 122
, 346;
BGE 41 I 140
;
BGE 49 I 267
;
BGE 60 I 215
Erw. 3 a;
BGE 79 I 36
Erw. 2;
BGE 88 I 40
/41). Das Bundesgericht prüft als Auslieferungsgericht auch nicht, ob ein Schuldausschliessungs- oder Strafmilderungsgrund vorliege (
BGE 59 I 144
Erw. 2,
BGE 78 I 45
Erw. 2).
Das Auslieferungs- und das Nachtragsbegehren des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen stützen sich je auf einen Haftbefehl, was nach Art. 7 des deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrages als rechtliche Unterlage genügt. Das Bundesgericht hat daher vom Tatbestand auszugehen, wie er in diesen Haftbefehlen umschrieben worden ist. Dagegen vermag die entgegenstehende Darstellung des Matthias Graf, wonach die Juden-Erschiessungen nicht durch das vom Beschuldigten befehligte Einsatzkommando 6, sondern durch Leute des höhern Polizeiführers Jeckeln erfolgt seien, im Auslieferungsverfahren nicht aufzukommen. Abgesehen davon gibt der Beschuldigte zu, er habe am 29. Juni in Sambor/Dobromil und am 2. Juli 1941 in Lemberg an der Massenerschiessung von je etwa 80 Personen teilgenommen. Seine Einrede, er habe lediglich in amtlicher Eigenschaft Befehle (insbesondere einen Geheimbefehl Hitlers) ausgeführt, die ihm vorgeworfenen Tatbestände seien daher dem deutschen Staat zuzurechnen, kann ebenfalls nicht gehört werden: Sie betrifft einen vom deutschen Sachrichter zu prüfenden Rechtfertigungs- oder Strafmilderungsgrund, wobei bereits feststeht, dass der Befehl - für den Beschuldigten als ausgebildeten Juristen ohne weiteres erkennbar - Verbrechen in unabsehbarer Zahl bezweckte (vgl. § 47 Ziff. 2 des deutschen Militärstrafgesetzes vom 20. Juni 1872).
Der Beschuldigte beruft sich schliesslich auf die eidesstattlichen Erklärungen der Gertrud von Radetzky, des Erich von Sievert und des Friedrich Buchhardt und macht somit einen Alibibeweis geltend. Richtig ist, dass im schweizerischen Schrifttum die Meinung vertreten wird, die Schuldfrage sei dann vom Auslieferungsrichter abzuklären, wenn ein behauptetes Alibi leicht und sicher überprüft werden könne (SCHULTZ, Das Schweiz. Auslieferungsrecht, S. 202 N. 222; SCHEIM-MARKEES,
BGE 92 I 108 S. 115
in Schweiz. Jur. Kartothek, Nr. 755 S. 10 lit. c). Ob dieser Lehrmeinung gefolgt werden soll, kann indessen offen bleiben. Denn das Bundesgericht könnte die eidesstattlichen Erklärungen, die der Beschuldigte beigebracht hat, nicht ohne zusätzliche Erhebungen auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen. Zudem sind sie so allgemein gehalten, dass sie die behauptete Abwesenheit von der Ukraine und Südpolen während der fraglichen Zeit nicht mit genügender Sicherheit dartun. Es fehlt daher, auch nach dem angeführten Schrifttum, im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen, um auf den angetragenen Alibibeweis einzutreten.
2.
Wie das Auslieferungsgesetz (Art. 3 Abs. 1), so bestimmt die Mehrzahl der von der Schweiz geschlossenen Auslieferungsverträge ausdrücklich, dass ein Beschuldigter nur für Handlungen und Unterlassungen, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates strafbar sind, ausgeliefert werde. Der schweizerisch-deutsche Auslieferungsvertrag erwähnt das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 9, 12 und 13 für einzelne Auslieferungsdelikte, ebenso im letzten Absatz für den Versuch. In diesen Klauseln wird ein Grundsatz verdeutlicht, der stillschweigend auch hinsichtlich der übrigen Auslieferungsdelikte vorausgesetzt wird und den ganzen Auslieferungsvertrag beherrscht. Nach der neuern Rechtsprechung des Bundesgerichts ist daher im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in allen Fällen am Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit festzuhalten (
BGE 88 I 40
mit Verweisungen). Das bewirkt nach der Praxis, entgegen der zu engen Fassung in Art. 5 des Auslieferungsvertrages, dass die - vom Beschuldigten ausdrücklich angerufene - Verjährung schon nach einem der beiden Rechte die Auslieferung ausschlösse (vgl. SCHULTZ, a.a.O., S. 342). Es ist daher zu prüfen, ob diese Voraussetzungen. im vorliegenden Fall erfüllt sind.
a) Das Auslieferungsbegehren des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 1966 stützt sich auf den Haftbefehl vom 10. Januar 1962, das Nachtragsbegehren vom 28. Februar 1966 auf den vom 22. Februar 1966. Es stellt sich zunächst die Frage, ob der darin umschriebene Tatbestand sowohl nach schweizerischem als auch nach deutschem Recht ein Auslieferungsdelikt sei.
Die Haftbefehle wurden wegen dringenden Verdachtes gemeinsamen Mordes in zahlreichen Fällen erlassen. Von den Qualifikationsgründen, die nach § 211 des deutschen StGB
BGE 92 I 108 S. 116
(DStGB) und Art. 112 des eidg. StGB den Mord von der Tötung unterscheiden, kommen namentlich die niederigen Beweggründe, bzw. die besonders verwerfliche Gesinnung in Betracht. Sie werden offenbar darin erblickt, dass der rechtskundige Beschuldigte seine Opfer "ohne rechtliche Grundlage", die Juden "aus Gründen der Ausrottung", die Kommunisten "nur ihrer politischen Einstellung wegen" und die Insassen der Irrenanstalt, "um sich ihrer zu entledigen", erschiessen liess; ferner im Umstand, dass die Hinrichtungen geheim gehalten und die Opfer in Massengräbern verscharrt oder in stillgelegte Bergwerksschächte geworfen wurden. Jene Recht und Sitte grob widersprechenden Gründe können als niedrig im Sinne von § 211 DStGB (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER, StGB-Komm., 11. Aufl. 1963, N. 11 zu § 211) und die Begleitumstände bei den Hinrichtungen als eine besonders verwerfliche Gesinnung gemäss Art. 112 eidg. StGB (vgl.
BGE 87 IV 115
) offenbarend beurteilt werden. In der Tötung von etwa 3 000 wehrlosen jüdischen Männern, Frauen und Kindern sowie Geisteskranken und kommunistischen Funktionären zeigt sich zudem die Gefährlichkeit des Täters, womit ein weiteres Qualifizierungsmerkmal von Art. 112 eidg. StGB erfüllt ist. Der in den Haftbefehlen umschriebene Tatbestand ist somit als Mord im Sinne beider Strafgesetze zu betrachten. Mord aber ist nach Art. 1 Ziff. 1 des Auslieferungsvertrages und Art. 3 Ziff. I/1 des Auslieferungsgesetzes ein Auslieferungsdelikt.
b) Bei dieser Sachlage ist die Einrede der Verjährung von entscheidender Bedeutung. Die Verfolgung des Mordes verjährt, weil diese Tat mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht ist (§ 211 DStGB und Art. 112 eidg. StGB), nach deutschem und nach schweizerischem Recht in 20 Jahren (§ 67 DStGB, Art. 70 eidg. StGB). Da die eingeklagten Handlungen vom 2. Juli bis 30. November 1941 begangen worden waren, trat die Verjährung spätestens am 30. November 1961 ein, wenn sie nicht vorher unterbrochen worden ist.
aa) Der Haftbefehl vom 10. Januar 1962 und der vom 22. Februar 1966, welche dem Auslieferungs- und dem Nachtragsbegehren zugrunde liegen, ergingen später und konnten die Verjährung nicht unterbrechen. Das Amtsgericht Darmstadt erliess jedoch schon am 25. April 1960 gegen den Beschuldigten einen Haftbefehl wegen Tötungen in Lemberg und Winniza. Darin wurden die niedrigen Beweggründe ausdrücklich
BGE 92 I 108 S. 117
erwähnt und zudem Grausamkeit genannt. Durch Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 23. November 1962 wurde festgestellt, "die Strafverfolgung bezüglich der im Haftbefehl (vom 10. Januar 1962) bezeichneten Straftaten sei unterbrochen worden durch den rechtswirksam erlassenen Haftbefehl des Amtsgerichts Darmstadt vom 25. April 1960." Gleiches gilt von den im Haftbefehl vom 22. Februar 1966 neu aufgeführten Erschiessungen, die dem deutschen Richter im April 1960 im einzelnen noch nicht bekannt waren; denn es genügt, dass das Vorkommnis im allgemeinen bezeichnet wird (vgl. Leipziger Komm. des StGB, 8. Aufl. 1957, N. I/3 zu § 68, S. 576). Damit steht für den schweizerischen Auslieferungsrichter verbindlich fest, dass die Taten nach deutschem Recht nicht verjährt sind.
bb) Der Beschuldigte behauptet überdies, die vorgeworfenen Taten seien nach schweizerischem Recht verjährt. Er macht geltend, die Verjährung nach schweizerischem Recht hätte nur durch Vorkehren schweizerischer Behörden unterbrochen werden können. Damit verkennt er die Bedeutung der Überprüfung nach dem Recht des ersuchten Staates. Die Verfolgungshandlungen gehen in der Regel vom ersuchenden Staate aus, sind aber vom ersuchten Staat so zu beurteilen, wie wenn sie von seinen Behörden vorgenommen wären; wenn sie dann die Verjährung unterbrochen hätten, haben sie auch so diese Wirkung nach seinem Recht (SCHULTZ, a.a.O., S. 344). Nach
Art. 72 StGB
(Fassung vom 5. Oktober 1950, AS 1951 S. 7) wird die Verjährung unterbrochen durch jede Untersuchungshandlung einer Strafverfolgungsbehörde, namentlich durch Erlass von Haftbefehlen. Da gegen den Beschuldigten innert der Verjährungsfrist ein Haftbefehl erlassen wurde, dessen Gültigkeit nur durch das deutsche Recht bestimmt werden kann und danach gegeben ist, ist die Verjährung auch nach schweizerischem Recht grundsätzlich unterbrochen worden.
Im Haftbefehl vom 25. April 1960 waren indessen die in den späteren Haftbefehlen einzeln aufgeführten Tatbestände nicht genannt; es war nur von mehrfachen Tötungen in Lemberg und Winniza die Rede. Es ist fraglich, ob damit die Verjährung nur für die dort oder für alle als Führer des Einsatzkommandos unter den genannten Umständen begangenen Untaten unterbrochen wurde; letzteres ist insbesondere der Fall, wenn diese Taten als fortgesetztes Delikt im Sinne von Art. 71 Abs. 3
BGE 92 I 108 S. 118
eidg. StGB zu betrachten sind. Ein fortgesetztes Delikt liegt vor, wenn gleichartige oder ähnliche Handlungen, die gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet sind, auf ein und denselben Willensentschluss zurückgehen (
BGE 72 IV 184
/5). Das trifft hier zu. Der Beschuldigte hat vom Reichsführer der SS Himmler einen Auftrag entgegengenommen, der alle Untaten, die er im Sommer und Herbst 1941 in Südpolen und der Ukraine angeordnet hat, in sich schloss. Der Fortsetzungszusammenhang zwischen den einzelnen Teilakten der gesamten Handlungsgruppe, also namentlich der gegen das Leben Wehrloser gerichtete einheitliche Vorsatz, erscheint damit auch nach schweizerischem Recht als hinlänglich behauptet. Unser diesen Umständen ist die Auslieferung für alle in den beiden Haftbefehlen vom 10. Januar 1962 und 22. Februar 1966 aufgeführten Erschiessungen zu bewilligen.
3.
a) Der Beschuldigte wendet ein, es handle sich um politische Delikte im Sinne von Art. 4 Abs. 1 des deutschschweizerischen Auslieferungsvertrages und von Art. 10 des Auslieferungsgesetzes. Der Appellationshof von Bologna habe in einem Urteil vom 6. Februar 1963 die politische Natur dieser Handlungen ausdrücklich bejaht.
Die Beweggründe, welche die Tötungen zum Mord stempeln - Ausrottung der Juden, Erschiessung kommunistischer Funktionäre wegen ihrer politischen Einstellung, Beseitigung der Insassen einer Irrenanstalt -, entspringen der nationalsozialistischen Lehre und haben insofern politischen Gehalt. Ob diese Gründe den gemeinrechtlichen Verbrechen des Beschuldigten einen vorwiegend politischen Charakter zu verleihen vermögen, ist vom schweizerischen Auslieferungsrichter nur unter dem Gesichtswinkel des schweizerischen Rechtes zu beurteilen (
BGE 90 I 299
).
Nach schweizerischer Auffassung genügt es nicht, dass der Täter aus politischem Antrieb gehandelt hat. Die Tat muss vielmehr im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staat erfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen, d.h. - mindestens nach der Meinung des Täters - geeignet sein, zu dessen Erreichung beizutragen (
BGE 90 I 300
). Das Auslöschen menschlichen Lebens als eines der verwerflichsten Verbrechen erscheint nur dann als entschuldbar, wenn es der letzte Ausweg zur Verfolgung eines politischen Zweckes ist (
BGE 54 I 215
; nicht veröffentlichtes
BGE 92 I 108 S. 119
Urteil des Bundesgerichts vom 5. Mai 1949 i.S. Hoter). Davon kann bei dem in den Haftbefehlen umschriebenen Tatbestand keine Rede sein. Der Beschuldigte handelte in einem Zeitpunkt, als das nationalsozialistische Regime auf dem Höhepunkt seiner Macht stand; er ging gegen wehrlose Frauen, Kinder und Kranke vor, welche die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten Südpolens und der Ukraine nicht in Frage stellen konnten.
b) Überdies macht der Beschuldigte geltend, die Erschiessung, an der er am 29. Juni im Sambor/Dobromil, bzw. am 2. Juli 1941 in Lemberg teilgenommen habe, stelle eine völkerrechtlich zulässige Kriegsrepressalie dar. Sie sei die Antwort auf das von den Russen bei ihrem Rückzug unter deutschen Kriegsgefangenen und Priestern angerichtete Blutbad. Mehrere Hingerichtete seien daran beteiligt gewesen.
Die Erschiessungen in Sambor/Dobromil, bzw. Lemberg sowie die weiteren in den Haftbefehlen geschilderten Massaker waren ihrer Natur nach nicht geeignet, die sowjetischen Behörden zu veranlassen, die - allenfalls von russischen Streitkräften oder Zivilpersonen verletzten - Regeln des Völkerrechtes künftig zu beachten. Vielmehr besteht nach dem für den Auslieferungsrichter verbindlich umschriebenen Sachverhalt zwischen den Hinrichtungen des Einsatzkommandos 6 und dem Kriegsgeschehen nur insofern ein Zusammenhang, als dieses die Gelegenheit zum Gemetzel gegeben und seine Tarnung ermöglicht hat. Aber selbst wenn solche Massenerschiessungen von der deutschen Führung als Repressalien gewertet worden sein sollten, wäre das Vorgehen des Einsatzkommandos 6 nicht durch Kriegsrecht gedeckt.
Einem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts gemäss sind im Kriege Repressalien zwar erlaubt, es sind ihnen aber Schranken gesetzt. So soll das durch sie zugefügte Übel nicht grösser sein als das durch die Völkerrechtsverletzung begangene (GUGGENHEIM, Lehrb. des Völkerrechts Bd. II, S. 585/6); zum mindesten dürfen sie in keinem auffälligen Missverhältnis zum Unrecht stehen, gegen das sie sich wenden (DAHM, Völkerrecht Bd. II, S. 430; VON DER HEYDTE, Völkerrecht Bd. II, S. 380; VERDROSS, Völkerrecht, 5. Aufl., S. 459). Nach der ersten und nach der zweiten Umschreibung der unerlässlichen Verhältnismässigkeit von Eingriffen hat der Beschuldigte das zulässige Mass überschritten. Er hat nach den Erschiessungen
BGE 92 I 108 S. 120
von Sambor/Dobromil, bzw. Lemberg Ende Juni/Anfang Juli noch weit über 2000 Menschen umbringen lassen. Diese summarischen Hinrichtungen betrafen im wesentlichen gefangene kommunistische Funktionäre, wehrlose Frauen und schuldlose Kinder sowie Geisteskranke. Die unmenschlichen Vergeltungsmassnahmen zogen sich über Monate hin.
Wird das Mass der zulässigen Zwangsakte überschritten, so liegt ein Repressalienexzess vor (VERDROSS, a.a.O., S. 459 Anm. 2) und diese Akte werden ihrerseits rechtswidrig (DAHM, a.a.O., S. 430). Die Tötungen, die das Einsatzkommando 6 in Südpolen und der Ukraine von Ende Juni bis Ende November 1941 hinter der deutschen Front begangen hat, können daher auf keinen Fall als Kriegsmassregeln ausserhalb des strafrechtlichen Rahmens gelten. Auch der letzte Einwand des Beschuldigten ist demzufolge nicht stichhaltig.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Einsprache des Erhard Kroeger gegen die Auslieferung an Deutschland wird abgewiesen und die Auslieferung bewilligt. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a8b85644-9a74-4434-9ee8-d7c496e82e21 | Urteilskopf
89 IV 23
7. Arrêt de la Cour de cassatlon pénale du 8 janvier 1963 dans la cause Menkenhagen contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 25 Abs. 1, 58 MFG. Uebersetzte Geschwindigkeit.
1. Der Autofahrer, der Art. 25 Abs. 1 MFG. verletzt, ist nach Art. 58 MFG auch strafbar, wenn seine übersetzte Geschwindigkeit zu keinem Unfall führte.
2. Der Führer hat die Geschwindigkeit so zu bemessen, dass er Hindernissen, die sich noch nicht auf seiner, für ihn überblickbaren Fahrbahn befinden, aber plötzlich darauf auftreten könnten, richtig begegnen kann.
3. Jeder Führer, der gegen eine unübersichtliche Strassenbiegung fährt, hat mit Hindernissen auf der noch nicht überblickbaren Strecke zu rechnen, mag er sich auch auf einer grossen Überlandstrasse befinden. | Sachverhalt
ab Seite 23
BGE 89 IV 23 S. 23
A.-
Au lieu dit "En Rossets", sur la commune de Concise, la route Neuchâtel-Yverdon décrit une courbe à droite, en direction de Concise. Large de 10 m 50, elle
BGE 89 IV 23 S. 24
comprend trois voies. Celle de droite (côté Jura) est séparée des autres par une ligne de démarcation. Pour les conducteurs qui se rendent à Yverdon, la visibilité est réduite à 50 m par un mur de soutènement. A un endroit donné, ce mur s'écarte de la chaussée et laisse un espace disponible, où des véhicules stationnent souvent.
Le 12 octobre 1961, Filleux, qui vendangeait à proximité, y avait laissé un attelage composé d'un char et de deux chevaux. Vers 10 h. 50, il décida de rentrer chez lui avec son attelage. Partant dans la direction de Neuchâtel, il devait traverser la route pour gagner la voie de gauche (côté lac). Il arrêta l'attelage au bord de la chaussée, puis, n'apercevant aucun véhicule, il le mit en marche. A ce moment, un autocar arrivait de Neuchâtel à 80 km/h. Remarquant l'attelage qui, à une quarantaine de mètres, s'engageait sur la chaussée et ne pouvant s'arrêter avant l'obstacle, le conducteur, H. Menkenhagen, essaya, tout en freinant, de l'éviter par la gauche. Le car franchit la ligne de démarcation, heurta un cheval, qui fut tué, monta sur le trottoir, défonça la barrière et s'immobilisa.
B.-
Estimant que Menkenhagen roulait à une allure trop élevée pour s'arrêter sur la distance visible, le Tribunal de simple police du district de Grandson lui a infligé, le 11 octobre 1962, une amende de 60 fr.
La Cour de cassation vaudoise a maintenu ce jugement, le 19 novembre.
C.-
Contre cet arrêt, le condamné se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
D'après le pourvoi, l'accident serait dû exclusivement à Filleux. Mais il ne s'agit pas de savoir qui en est responsable. Le recourant a été condamné pour contravention à l'art. 25 al. 1 LA. L'automobiliste qui ne respecte pas cette disposition est punissable conformément à l'art. 58, même si son excès de vitesse ne cause aucun accident (RO 81 IV 131).
BGE 89 IV 23 S. 25
2.
Tenu en vertu de l'art. 25 al. 1 LA d'adapter l'allure de son véhicule aux conditions de la route et de la circulation, le conducteur doit pouvoir s'arrêter sur l'espace qu'il voit libre devant lui. Est libre l'espace sur lequel aucun obstacle n'est visible et sur lequel on ne doit pas s'attendre qu'il en surgisse un (RO 79 IV 66, 84 II 129, 84 IV 106, 86 II 16). Lorsque la jurisprudence précise que la disposition citée interdit de dépasser la vitesse qui permet de parer aux dangers soudains et prévisibles ("auftauchende Gefahren, mit denen er (le conducteur) rechnen muss", RO 79 IV 66), elle vise des obstacles qui ne se trouvent pas encore sur le trajet visible, mais qui pourraient s'y présenter au dernier moment (arrêt Ritter du 12 mai 1961, consid. 2). Supposé qu'à un virage masqué, un automobiliste voie la route libre sur 80 m, mais que de petits enfants jouent au bord de la chaussée à une cinquantaine de mètres, il devra réduire son allure de façon à pouvoir stopper sur 50 m. L'espace qu'il voit libre devant lui représente donc toujours la distance maximum sur laquelle il doit pouvoir immobiliser son véhicule. Il s'ensuit qu'un conducteur qui a transgressé le principe rappelé plus haut ne saurait se disculper en soutenant qu'en réalité aucun obstacle n'obstruait sa voie au-delà de son champ visuel ou que les obstacles qui se trouvaient au-delà de ce champ n'étaient pas prévisibles. D'ailleurs, tout conducteur qui s'engage dans un tournant à visibilité restreinte, même sur une route de grand transit, doit compter avec la présence d'un obstacle sur la zone de la route qu'il n'aperçoit pas encore (par exemple véhicule très lent, voiture automobile arrêtée par une panne ou un accident et non signalée d'une manière conforme aux art. 4 al. 1 LCR et 23 al. 1 OCR).
En l'espèce, Menkenhagen aurait dû pouvoir s'arrêter sur les 50 m auxquels était limitée sa vue. Comme les premiers juges l'ont constaté souverainement, il n'était pas en mesure de le faire en roulant à la vitesse de 80 km/h. Il a donc enfreint l'art. 25 al. 1 LA. Peu importe que
BGE 89 IV 23 S. 26
la manoeuvre de Filleux fût prévisible ou non, puisque le recourant ne pouvait en tout cas pas s'arrêter sur l'espace qu'il voyait libre devant lui et que, de toutes manières, il devait compter avec la présence d'un obstacle au-delà de son champ visuel. L'observation du principe rappelé ci-dessus s'imposait d'autant plus en l'espèce que la ligne de démarcation lui laissait l'usage d'une voie seulement.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a8ba10ca-225f-4285-8492-ad6093a906c9 | Urteilskopf
141 IV 178
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und C. (Beschwerde in Strafsachen)
1B_419/2014 vom 27. April 2015 | Regeste
Art. 29 Abs. 1 BV
und
Art. 56 lit. f StPO
; Anschein der Befangenheit des Staatsanwalts.
Ausstandspflicht der beiden verfahrensleitenden Staatsanwälte wegen wiederholter und krasser Verfahrensfehler bejaht (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 178
BGE 141 IV 178 S. 178
A.
Die Staatsanwaltschaft X. (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt ein Strafverfahren unter anderem gegen den türkischen Staatsangehörigen A. Sie wirft ihm vor, am 20. November 2010 als Mittäter an einer vorsätzlichen Tötung beteiligt gewesen zu sein. Überdies habe er mit Betäubungsmitteln gehandelt.
Seit Juli 2012 befindet er sich in Untersuchungshaft.
B.
Am 16. Juni 2014, ergänzt am 30. Juni 2014, verlangte A. den Ausstand von Staatsanwalt B. und (...) Staatsanwältin C., welche gemeinsam das Strafverfahren gegen ihn leiten.
Am 16. Oktober 2014 wies das Obergericht des Kantons Thurgau das Ausstandsgesuch ab. (...)
C.
A. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. B. und C. seien zu verpflichten, im Strafverfahrenskomplex "Y." in den Ausstand zu treten. (...)
BGE 141 IV 178 S. 179
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde, soweit es darauf eintritt, gut, hebt den Entscheid des Obergerichts auf und stellt die Ausstandspflicht von B. und C. im Verfahren gegen den Beschwerdeführer fest.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der Beschwerdeführer bringt vor, bei den Beschwerdegegnern bestehe der Anschein der Voreingenommenheit. Die Vorinstanz hätte deshalb das Ausstandsgesuch gutheissen müssen.
3.2
3.2.1
Gemäss
Art. 56 lit. f StPO
tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in
Art. 56 lit. a-e StPO
nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht
Art. 30 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten des Richters begründet sein. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist (
BGE 140 I 326
E. 5.1 S. 328;
BGE 138 IV 142
E. 2.1 S. 144 f.; je mit Hinweisen).
3.2.2
Art. 30 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
sind bei der Ablehnung eines Staatsanwalts nur anwendbar, wenn er ausnahmsweise in richterlicher Funktion tätig wird, wie das bei Erlass eines Strafbefehls zutrifft. Amtet er jedoch als Strafuntersuchungsbehörde, beurteilt sich die Ausstandspflicht nach
Art. 29 Abs. 1 BV
. Wohl darf der Gehalt von
Art. 30 Abs. 1 BV
nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf
Art. 29 Abs. 1 BV
übertragen
BGE 141 IV 178 S. 180
werden. Hinsichtlich der Unparteilichkeit des Staatsanwalts im Sinne von Unabhängigkeit und Unbefangenheit kommt
Art. 29 Abs. 1 BV
allerdings ein mit
Art. 30 Abs. 1 BV
weitgehend übereinstimmender Gehalt zu. Auch ein Staatsanwalt kann abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die objektiv geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (
BGE 127 I 196
E. 2b S. 198 f. mit Hinweisen).
Das gilt allerdings nur für das Vorverfahren. Gemäss
Art. 61 lit. a StPO
leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zur Anklageerhebung. Die Staatsanwaltschaft gewährleistet insoweit eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens (
Art. 62 Abs. 1 StPO
). Sie untersucht die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (
Art. 6 Abs. 2 StPO
). Zwar verfügt sie bei ihren Ermittlungen über eine gewisse Freiheit. Sie ist jedoch zu Zurückhaltung verpflichtet. Sie hat sich jeden unlauteren Vorgehens zu enthalten und sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu untersuchen. Sie darf keine Partei zum Nachteil einer anderen bevorteilen (
BGE 138 IV 142
E. 2.2.1 S. 145 mit Hinweisen).
Nach Erhebung der Anklage wird die Staatsanwaltschaft dagegen wie die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft zur Partei (
Art. 104 Abs. 1 StPO
). In diesem Verfahrensstadium ist die Staatsanwaltschaft definitionsgemäss nicht mehr zur Unparteilichkeit verpflichtet und hat sie grundsätzlich die Anklage zu vertreten (
Art. 16 Abs. 2 StPO
). Insoweit gewähren weder Art. 29 Abs. 1 noch
Art. 30 Abs. 1 BV
noch
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
dem Beschuldigten einen besonderen Schutz, der es ihm erlauben würde, sich über die Haltung des Staatsanwalts und dessen Äusserungen in den Verhandlungen zu beschweren (
BGE 138 IV 142
E. 2.2.2 S. 145 mit Hinweisen).
3.2.3
Fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen des Staatsanwalts begründen für sich keinen Anschein der Voreingenommenheit. Anders verhält es sich, wenn besonders krasse oder wiederholte Irrtümer vorliegen, die eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen (
BGE 138 IV 142
E. 2.3 S. 146;
BGE 125 I 119
E. 3e S. 124;
BGE 115 Ia 400
E. 3b S. 404; je mit Hinweisen; REGINA KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S. 105 f.). Sodann kann eine unangebrachte Äusserung des Staatsanwalts den Anschein der Befangenheit erwecken, wenn sie eine schwere Verfehlung darstellt (
BGE 127 I 196
E. 2d f. S. 200 ff. mit Hinweisen).
BGE 141 IV 178 S. 181
3.3
Die Rechtsprechung zum Untersuchungsrichter vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung bleibt insoweit massgeblich (
BGE 138 IV 142
E. 2.2.1 S. 145). Das Bundesgericht hat verschiedentlich bei Staatsanwälten bzw. Untersuchungsrichtern den Anschein der Befangenheit wegen schwerer Verfahrensfehler bejaht.
Im Fall, der dem Urteil 1B_263/2009 vom 11. Dezember 2009 zugrunde lag, hatte jemand Strafanzeige gegen Verantwortliche der Kantonspolizei eingereicht. Der Staatsanwalt trat nicht darauf ein, ohne die erforderlichen Abklärung getroffen und den Anzeiger angehört zu haben. Dieser konnte in objektiv begründeter Weise den Eindruck erhalten, dass sich der Staatsanwalt seiner Sache nicht annehmen wolle und dieser gegenüber auch im Falle weiterer Erhebungen nicht offen sei. Das Bundesgericht mass sodann dem Umstand Bedeutung zu, dass der Anzeiger auf sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege keine Antwort erhalten hatte. Das Bundesgericht kam zum Schluss, das Vorgehen des Staatsanwalts weise schwerwiegende Mängel auf, die objektiv geeignet seien, das Vertrauen in seine Unvoreingenommenheit und die Offenheit des Verfahrens zu erschüttern (E. 3.3).
Im Urteil 1P.766/2000 vom 18. Mai 2001 ging es um einen Untersuchungsrichter, der wegen Vermögensdelikten ermittelte. Er missachtete den nach kantonalem Strafprozessrecht bestehenden Anspruch der Beschuldigten und ihres Verteidigers auf Teilnahme an der Befragung von Zeugen und Auskunftspersonen mehrfach (E. 5). Zudem äusserte er ohne hinreichenden Grund den Verdacht, die Beschuldigte habe sich der Nötigung oder Erpressung schuldig gemacht (E. 8). Überdies bezeichnete er den zu untersuchenden Sachverhalt in einer Einvernahme von Auskunftspersonen als "Betrugsfall". Dadurch wertete er das Verhalten der Beschuldigten gegenüber Prozessbeteiligten voreilig, was geeignet war, Zweifel an seiner Unabhängigkeit zu erwecken (E. 9). Das Bundesgericht befand, bei einer gesamthaften Würdigung dieser Gesichtspunkte sei der Anschein der Befangenheit des Untersuchungsrichters objektiv begründet (E. 11).
Im Fall, über den das Bundesgericht im Urteil 1P.51/2000 vom 5. Juli 2000 zu befinden hatte, führte der Untersuchungsrichter mit Dritten Einvernahmen durch, ohne dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger (rechtzeitig) Gelegenheit zur Teilnahme gegeben zu haben. Der Untersuchungsrichter beschränkte zudem das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten ohne zureichenden Grund und ohne Einhaltung der vom kantonalen Strafprozessrecht vorgesehenen Verfahrensvorschriften. Der Untersuchungsrichter gewährte sodann einer Amtsstelle
BGE 141 IV 178 S. 182
Akteneinsicht, ohne den Beschuldigten dazu vorher angehört zu haben. Das Bundesgericht befand, aus diesen wiederholten Verfahrensfehlern ergebe sich der Anschein der Befangenheit, der durch zweifelhafte weitere Vorgehensweisen des Untersuchungsrichters erhärtet werde (E. 2a).
3.4
Im hier zu beurteilenden Verfahren ist das Folgende zu erwägen:
3.4.1
Am 30. Oktober 2013 widerrief die Staatsanwaltschaft die amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers durch Rechtsanwalt D. und entliess diesen mit sofortiger Wirkung. Gleichzeitig setzte sie Rechtsanwalt E. als neuen amtlichen Verteidiger ein.
Die vom Beschwerdeführer und Rechtsanwalt D. gegen den Widerruf erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Thurgau am 6. Februar 2014 gut. Es hob die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 30. Oktober 2013 auf und beliess Rechtsanwalt D. im Amt. Es erachtete die von der Staatsanwaltschaft für den Widerruf angeführten Gründe als nicht stichhaltig. Soweit Rechtsanwalt D. der Tochter des Beschwerdeführers geraten habe, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, sei dies zulässig gewesen. Die Weitergabe von Aktenkopien an Familienangehörige des Beschwerdeführers könne Rechtsanwalt D. ebenso wenig vorgeworfen werden, da die Staatsanwaltschaft kein entsprechendes Verbot verfügt habe. Das Obergericht erwog, aufgrund der zahlreichen Beschwerden von Rechtsanwalt D. sei gerichtsnotorisch, dass er den Beschwerdeführer ausgesprochen engagiert verteidige. Er möge für die Staatsanwaltschaft ein unbequemer Verteidiger sein. Unbequem zu sein sei jedoch - bis zu einem gewissen Grad - mitunter die Aufgabe der Verteidigung.
Der Widerruf der amtlichen Verteidigung war demnach rechtsfehlerhaft. Er war unter den gegebenen Umständen zudem ungewöhnlich. In der Regel verlangt der Beschuldigte die Auswechslung des amtlichen Verteidigers, da er sich von diesem ungenügend verteidigt fühlt. Hier verhielt es sich anders. Die Staatsanwaltschaft widerrief von sich aus die amtliche Verteidigung, obwohl der Beschwerdeführer Rechtsanwalt D. vertraute und weiterhin von diesem verteidigt sein wollte. Grund für diesen unüblichen Schritt war offensichtlich die engagierte Mandatsführung von Rechtsanwalt D.
3.4.2
Am 28. November 2013 führten die Beschwerdegegner mit dem Beschwerdeführer in Anwesenheit von Mitbeschuldigten eine Einvernahme durch. Dabei sagte der Beschwerdeführer,
BGE 141 IV 178 S. 183
Rechtsanwalt D. habe ihm geraten, zu schweigen. Darauf bemerkte die Beschwerdegegnerin 2 nach der Feststellung der Vorinstanz Folgendes: "Wir werden nachher noch darüber sprechen, ob das sinnvoll ist."
Die Beschwerdegegner bestreiten, dass die Beschwerdegegnerin 2 die Aussage gemacht hat. Die Vorinstanz stützt ihre gegenteilige Feststellung auf die Angaben eines an der Einvernahme anwesenden Anwalts eines Mitbeschuldigten. Danach hat die Beschwerdegegnerin 2 die Bemerkung gemacht. Dieser Anwalt, der an der Einvernahme anstelle eines verhinderten Bürokollegen teilnahm, hielt deren Ablauf für diesen auf dem Smartphone fest. Darin ist die fragliche Aussage der Beschwerdegegnerin 2 wörtlich enthalten. Angesichts dessen ist die Feststellung der Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig und deshalb für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
).
Die beschuldigte Person muss sich nicht selbst belasten. Sie hat namentlich das Recht, die Aussage und ihre Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern (
Art. 113 Abs. 1 StPO
). Darauf müssen sie die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu Beginn der ersten Einvernahme hinweisen (
Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO
).
Wieweit es sinnvoll ist, dass der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, muss er bzw. sein Verteidiger entscheiden. Das ist eine Frage der Verteidigungsstrategie, die den Staatsanwalt nichts angeht (vgl. Urteil 1B_187/2013 vom 4. Juli 2013 E. 2.4, in: SJ 2004 I S. 205). Die Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2 war daher unangebracht. Sie erweckt objektiv den Eindruck, dass die Beschwerdegegnerin 2 darauf abzielte, den Beschwerdeführer dazu zu verhalten, weitere Aussagen zu machen, was der Verteidigungsstrategie von Rechtsanwalt D. widersprach, der dem Beschwerdeführer riet, nach einer ersten umfassenden Aussage zu schweigen.
3.4.3
Die Bestimmungen über die Protokollierung nach
Art. 76 ff. StPO
beruhen auf der Dokumentationspflicht. Danach sind die Strafbehörden verpflichtet, alle verfahrensrelevanten Vorgänge schriftlich festzuhalten (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 vor
Art. 76-79 StPO
). Die Protokollierungspflicht ist grundsätzlich streng zu handhaben (Urteil 1P.399/2005 vom 8. Mai 2006 E. 3.1).
Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz machte die Beschwerdegegnerin 2 die (E. 3.4.2) erwähnte Bemerkung nicht vor, sondern während der Einvernahme. Die Dokumentationspflicht hätte es daher nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz geboten, nicht
BGE 141 IV 178 S. 184
nur den Hinweis des Beschwerdeführers zu protokollieren, Rechtsanwalt D. habe ihm geraten zu schweigen, sondern ebenso die Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2. Dies tat der Beschwerdegegner 1, welcher das Protokoll führte, jedoch nicht, was beim Beschwerdeführer auch bei objektiver Betrachtungsweise den Eindruck erwecken konnte, dass die Bemerkung hätte vertuscht werden sollen.
3.4.4
Am Tag der Einvernahme vom 28. November 2013 erteilte das Obergericht der Beschwerde des Beschwerdeführers und von Rechtsanwalt D. gegen den Widerruf der amtlichen Verteidigung aufschiebende Wirkung und führte aus, Rechtsanwalt D. sei damit nach wie vor amtlicher Verteidiger, weshalb ohne ihn keine Einvernahmen durchgeführt werden dürften. Dies wurde dem Beschwerdegegner 1 um 14.45 Uhr mitten in der Einvernahme telefonisch mitgeteilt. Die Beschwerdegegner setzten diese in Abwesenheit von Rechtsanwalt D. gleichwohl fort. Sie missachteten somit die Anordnung des Obergerichts. Ein zwingender Grund für dieses Vorgehen ist nicht zu erkennen. Dass der Beschwerdeführer an der Einvernahme durch Rechtsanwalt E. verteidigt war und nunmehr entgegen dem Rat von Rechtsanwalt D. aussagen wollte, änderte nichts daran, dass aufgrund der aufschiebenden Wirkung Rechtsanwalt D. wieder amtlicher Verteidiger war und deshalb ohne ihn keine Einvernahmen durchgeführt werden durften. Die Fortsetzung der Einvernahme vom 28. November 2013 in Abwesenheit von Rechtsanwalt D. stellt einen krassen Verfahrensfehler dar, zumal das Obergericht die Tragweite der aufschiebenden Wirkung noch ausdrücklich erläutert hatte. Die Beschwerdegegner konnten darüber also nicht im Unklaren sein.
3.4.5
Mit Verfügung vom 29. November 2013 wies die Staatsanwaltschaft die Gefängnisleitung an, nur gemeinsame Besuche des Beschwerdeführers durch die Rechtsanwälte D. und E. zuzulassen, es sei denn, der eine Verteidiger willige jeweils schriftlich in den alleinigen Besuch des anderen ein. Zudem wies die Staatsanwaltschaft die Kantonspolizei an, zu allfälligen Einvernahmen beide Verteidiger einzuladen, dies unter dem entsprechenden Vorbehalt der jeweils schriftlichen Einwilligung des einen Verteidigers zur alleinigen Teilnahme des anderen.
Für diese Anordnungen bestand kein Grund. Zufolge der Gewährung der aufschiebenden Wirkung durch das Obergericht war wieder allein Rechtsanwalt D. amtlicher Verteidiger. Das stellte die Vizepräsidentin des Obergerichts mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 an die Staatsanwaltschaft und die Rechtsanwälte D. und E. klar. Der
BGE 141 IV 178 S. 185
Beschwerdeführer benötigte offensichtlich nicht zwei amtliche Verteidiger. Da die Rechtsanwälte D. und E. unterschiedliche Verteidigungsstrategien verfolgten (der eine riet dem Beschwerdeführer zu schweigen, der andere nicht), hätte die Mitwirkung beider die Verteidigung nur erschwert und sich damit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgewirkt. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb ein - in seiner Funktion bestätigter - amtlicher Verteidiger seinen Mandanten nicht alleine sollte besuchen dürfen, selbst wenn neben ihm noch ein weiterer amtlicher Anwalt im Amt sein sollte.
3.4.6
Da aufgrund der aufschiebenden Wirkung weiterhin Rechtsanwalt D. amtlicher Verteidiger war, hätten die Beschwerdegegner das Protokoll der Einvernahme vom 28. November 2013 diesem zustellen müssen. Das taten sie jedoch zunächst nicht. Vielmehr sandten sie das Protokoll Anfang Dezember 2013 ausschliesslich Rechtsanwalt E. und den Verteidigern der Mitbeschuldigten zu. Auf das Begehren von Rechtsanwalt D. vom 8. Januar 2014, ihm das Protokoll der Einvernahme ebenfalls zuzustellen, reagierten sie nicht. Es bedurfte des Drucks der Rechtsverweigerungsbeschwerde des Beschwerdeführers vom 18. Februar 2014, bis die Beschwerdegegner das Protokoll der Einvernahme am 26. Februar 2014 auch an Rechtsanwalt D. übermittelten.
3.5
Die Beschwerdegegner haben demnach zahlreiche und teilweise krasse Verfahrensfehler begangen. Hinzu kommt die unangebrachte Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2 zu Beginn der Einvernahme vom 28. November 2013. In der Summierung wiegt dies schwer. Rechtsanwalt D. setzte sich stark für den Beschwerdeführer ein. Dieser vertraute ihm und wollte deshalb weiterhin von ihm verteidigt werden. Der Beschwerdeführer konnte objektiv den Eindruck gewinnen, dass die Beschwerdegegner Rechtsanwalt D. aus dem Verfahren drängen und durch einen ihnen genehmen Verteidiger mit einer ihnen zusagenden Verteidigungsstrategie (Bereitschaft zur Aussage) ersetzen wollten, weil Rechtsanwalt D. ihnen unbequem war und eine ihnen widerstrebende Verteidigungsstrategie (Schweigen nach anfänglicher umfassender Aussage) verfolgte, welche eine Verurteilung erschwerte. Der Anschein der Befangenheit ist deshalb zu bejahen. Ob die Beschwerdegegner tatsächlich befangen waren, ist nach der dargelegten Rechtsprechung belanglos.
Der angefochtene Entscheid würdigt die Verfahrensfehler der Beschwerdegegner bzw. die unangebrachte Äusserung der Beschwerdegegnerin 2 jeweils gesondert. Entscheidend ist jedoch, wie das
BGE 141 IV 178 S. 186
Bundesgericht im erwähnten Urteil 1P.766/2000 vom 18. Mai 2001 dargelegt hat, die Gesamtwürdigung. In der Summierung wiegen die Verfehlungen der Beschwerdegegner mindestens so schwer wie jene, bei denen das Bundesgericht in den (E. 3.3) erwähnten Urteilen den Anschein der Befangenheit bejaht hat.
3.6
Die Beschwerdegegner leiteten das Strafverfahren zusammen, weshalb davon auszugehen ist, dass sie sich jeweils absprachen. Die erwähnten Verfahrensfehler haben sie im Wesentlichen gemeinsam zu verantworten. Der Anschein der Befangenheit fällt deshalb auf beide.
3.7
Die Beschwerdegegner waren somit zum Ausstand verpflichtet; dies ab ihrem zu beanstandenden Vorgehen in der Einvernahme vom 28. November 2013 (oben E. 3.4.2 ff.). Der Beschwerdeführer kann somit gemäss
Art. 60 Abs. 1 StPO
die Aufhebung und Wiederholung jener Verfahrenshandlungen verlangen, welche die Beschwerdegegner ab diesem Zeitpunkt vorgenommen haben (Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 3.3.1 mit Hinweisen).
3.8
Die Ausstandspflicht gilt nur im Verfahren gegen den Beschwerdeführer. Die Frage, ob auch gegenüber den Mitbeschuldigten der Anschein der Befangenheit besteht, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Antrag des Beschwerdeführers, die Beschwerdegegner seien zu verpflichten, im gesamten Strafverfahrenskomplex "Y.", der auch die weiteren Mitbeschuldigten betrifft, in den Ausstand zu treten, geht deshalb zu weit. Soweit der Antrag auch die Mitbeschuldigten betrifft, kann darauf nicht eingetreten werden.
3.9
Der Ausstand der Beschwerdegegner wird voraussichtlich zu einer Verlängerung des Verfahrens führen, was das Beschleunigungsgebot (
Art. 5 StPO
) beeinträchtigt. Die Anforderungen an den Anschein der Befangenheit dürfen deshalb jedoch nicht überdehnt werden (
BGE 127 I 196
E. 2d S. 199 mit Hinweis). Ist dieser gegeben, besteht die Ausstandspflicht. Nur so kann ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet werden (Urteil 1P.51/2000 vom 5. Juli 2000 E. 2b). Dem kommt hier umso mehr Gewicht zu, als für den Beschwerdeführer, der im Falle einer Verurteilung mit einer langen Freiheitsstrafe rechnen muss, viel auf dem Spiel steht. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a8bb3928-2eeb-4a93-a812-ebf7f5c19a5c | Urteilskopf
118 V 214
28. Urteil vom 10. Juni 1992 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen S. und Sozialdienst und Jugendsekretariat der Stadt W. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 49 IVG
;
Art. 77 und 85 Abs. 3 IVV
,
Art. 88a Abs. 1 IVV
in Verbindung mit
Art. 78 AHVV
,
Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV
;
Art. 76 Abs. 1 AHVV
: Wirkung der verspäteten Meldung einer Arbeitsaufnahme (Meldepflichtverletzung) auf die Rückerstattungspflicht.
Die bis zum Eintreffen einer verspäteten Meldung bezüglich Arbeitsaufnahme unrechtmässig bezogenen Rentenbetreffnisse unterliegen grundsätzlich der Rückerstattungspflicht (Erw. 3a).
Nicht mehr rückerstattungspflichtig sind die nach Eingang der verspäteten Meldung bezogenen Renten (Erw. 3b; Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 118 V 214 S. 214
A.-
Im Anschluss an ein Anmelde- und Beschwerdeverfahren gelangte I. S. durch Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 19. Oktober 1987 ab 1. Mai 1986 in den Genuss einer ordentlichen halben Invalidenrente mit Zusatzrenten für die Kinder I. und D. Am 28. September 1987 stellte sie das Gesuch, die Auszahlung der Invalidenrente solle an den Sozialdienst der Stadt W. erfolgen. Als Grund für die Drittauszahlung gab sie "Lohnverwaltung durch Sozialdienst W. infolge Behinderung" an und bejahte die Frage, ob sie dauernd unterstützt werde. Am 21. Februar 1989 gab die Ausgleichskasse mit Einverständnis des Sozialdienstes dem Ersuchen statt, die Invalidenrente (ohne die Kinderrenten) der Versicherten mit Wirkung ab März 1989 wiederum direkt auszubezahlen.
BGE 118 V 214 S. 215
Veranlasst durch ein Schreiben des Katholischen Pfarramtes W. vom 20./23. März 1989, dessen Sozialarbeiter die Versicherte betreute, holte die Verwaltung am 11. April 1989 von I. S. den Fragebogen für Rentenrevision, und vom Altersheim F., wo I. S. seit dem 1. September 1988 arbeitete, den Arbeitgeberbericht vom 2. Juni 1989 ein. Am 7. Juni 1989 teilte das Pfarramt der Ausgleichskasse mit, eine "schwerere Krise" habe die Versicherte "eingeholt"; "seit einer Woche" arbeite sie nicht mehr, und es sei nicht abzuschätzen, in welcher Art sich ihr Gesundheitszustand noch verändere; deshalb sei vorderhand von einer "Absetzung" der Rente abzusehen und zuzuwarten, bis sich die Entwicklung klar abzeichne. Nach Eingang zweier Berichte des behandelnden Psychiaters Dr. med. V., vom 19. Juni und 18. Dezember 1989 (letzter mit einem Bericht des Sanatoriums K. über die Hospitalisation vom 10. Juni bis 19. Juli 1989 als Beilage), kam die Invalidenversicherungs-Kommission am 8. Januar 1990 zum Schluss, der Invaliditätsgrad betrage 0%. Gleichzeitig stellte sie fest, zufolge Missachtung der Meldepflicht sei die Invalidenrente rückwirkend auf November 1988 aufzuheben. In zwei separaten Verfügungen vom 19. Januar 1990 teilte die Ausgleichskasse sowohl der Versicherten als auch dem Sozialdienst der Stadt W. mit, dass die halbe ordentliche Invalidenrente mitsamt den beiden Kinderrenten rückwirkend auf Ende November 1988 aufgehoben werde; von I. S. verlangte sie Fr. 4'445.-- (Stammrente) und vom Sozialdienst das Total der beiden Kinderzusatzrenten von insgesamt Fr. 3'546.-- zurück, insgesamt somit die in der Zeit von Dezember 1988 bis und mit Januar 1990 zuviel ausgerichteten Rentenbetreffnisse von gesamthaft Fr. 7'991.--.
B.-
Der Sozialdienst erhob gegen beide Verfügungen Beschwerde an die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich und beantragte in eigenem Namen und für I. S. die Aufhebung der verfügten Rückerstattungen. Zur Begründung machte er geltend, die Anzeigepflicht sei nicht verletzt worden.
Die Ausgleichskasse verfügte - soweit die Rückerstattungspflicht des Sozialdienstes in Frage stand - am 21. Juni 1990 lite pendente und unter wiedererwägungsweiser Rücknahme der an den Sozialdienst gerichteten Verfügung vom 19. Januar 1990 in dem Sinne neu, dass die Stadt W. Rentenbetreffnisse von Fr. 4'494.-- (statt Fr. 3'546.--) zurückzuerstatten habe. Sie begründete dies damit, dass der Sozialdienst nicht nur für die Kinderrenten, sondern auch für die Stammrente - soweit diese gemäss dem Drittauszahlungsgesuch vom 28. September 1987 an ihn ausbezahlt worden war -
BGE 118 V 214 S. 216
rückerstattungspflichtig sei; die Differenz zwischen den ursprünglich verfügten Fr. 3'546.-- und den lite pendente neu verfügten Fr. 4'494.-- betrage Fr. 948.-- und entspreche den von Dezember 1988 bis und mit Februar 1989 ausgerichteten drei Monatsbetreffnissen von je Fr. 316.--.
In der Vernehmlassung vom 30. Juli 1990 legte die Ausgleichskasse zunächst ihre Auffassung dar, dass trotz der Mitteilung des Pfarramtes vom 20. März 1989 eine Meldepflichtverletzung vorliege; hieraus ergebe sich die Rückerstattungspflicht für sämtliche unrechtmässig bezogenen Rentenbetreffnisse. Hinsichtlich der Frage, von wem welcher Anteil am gesamten Rückerstattungsbetrag zu begleichen sei, schloss die Ausgleichskasse aus den Angaben im Drittauszahlungsgesuch und aus der erfolgten Betreuung der Versicherten durch den Sozialdienst ohne weiteres auf eine "Ermächtigung des Sozialdienstes zur fürsorgerischen Rentenverwendung", welche Ermächtigung sich bis Ende Februar 1989 auf die Gesamtrente und ab März 1989 nur mehr auf die beiden Kinderrenten erstreckt habe. Der auf die Stadt W. entfallende Anteil betrage (wie lite pendente am 21. Juni 1990 verfügt) Fr. 4'494.--; damit reduziere sich die Rückerstattungsverpflichtung der Versicherten um Fr. 948.-- auf Fr. 3'497.--. Unter Berufung auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Ausdehnung des Beschwerdeverfahrens über das durch den Anfechtungsgegenstand (angefochtene Verwaltungsverfügung) geregelte Rechtsverhältnis hinaus, nahm sie ferner zu den Punkten Erlass, Nachzahlung und Verrechnung Stellung.
Die Rekurskommission kam zu folgenden Ergebnissen:
- Die Versicherte habe die Arbeitsaufnahme vom 1. September 1988 der Verwaltung erst mit Schreiben des Pfarramtes vom 20. März 1989 melden lassen, somit rund sechs Monate nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit. Damit sei bis zu diesem Zeitpunkt die Meldepflicht objektiv verletzt; nach Eingang dieses Schreibens liege in objektiver Hinsicht keine Verletzung der Meldepflicht mehr vor. In zeitlicher Hinsicht bestehe folglich für die Monate April 1989 bis Januar 1990 keine Meldepflichtverletzung, da weder die Versicherte noch den Sozialdienst an deren vorbehaltloser weiterer Rentenauszahlung ein Verschulden treffe;
- die Versicherte habe die ihr obliegende Meldepflicht insoweit nicht schuldhaft verletzt, als sie bis zum Widerruf der Drittauszahlung der Stammrente gemäss Schreiben vom 21. Februar 1989 davon habe ausgehen dürfen, dass der Sozialdienst, welcher bis
BGE 118 V 214 S. 217
dahin ihre finanziellen Angelegenheiten besorgt habe, auch die Angelegenheit mit der Invalidenversicherung regeln würde. Von der Versicherten könne lediglich die für den Monat März 1989 zuviel ausgerichtete Invalidenrente (Stammrente) zurückverlangt werden;
- der Sozialdienst habe die Meldepflicht verletzt, weil er es unterlassen habe, über den dreimonatigen erfolgreichen Arbeitsversuch im Altersheim ab 1. September 1988 bei der Verwaltung Meldung zu erstatten; bezüglich der Kinderrenten sei der Sozialdienst jedoch blosse Zahl- oder Inkassostelle gewesen, in welcher Eigenschaft diese Behörde nicht rückerstattungspflichtig sei. Anders verhalte es sich für die Stammrente, da der Sozialdienst für die Versicherte die Lohnverwaltung besorgt und sie während längerer Zeit unterstützt habe. Folglich sei der Sozialdienst rückerstattungspflichtig für die von Dezember 1988 bis Februar 1989 an ihn ausbezahlte Stammrente der Versicherten.
Die Rekurskommission hob aus diesen Erwägungen heraus, in teilweiser Gutheissung der Beschwerde, die angefochtenen Kassenverfügungen vom 19. Januar 1990 einschliesslich der Wiedererwägungsverfügung vom 21. Juni 1990 bezüglich des Umfangs der Rückerstattungspflicht auf, wies die Beschwerde im übrigen ab und wies die Sache an die Ausgleichskasse zur verfügungsweisen Neuberechnung der Rückerstattungsbeiträge zurück (Entscheid vom 17. Mai 1991).
C.-
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren:
"1. Dispositiv-Ziff. 1 und 2 des angefochtenen Urteils seien insoweit
aufzuheben, als die Beschwerden von I. S. und dem Sozialdienst W.
gutgeheissen werden.
2. Die Beschwerde von I. S. vom 8. Februar 1990 sei teilweise
gutzuheissen und die Beschwerdeführerin sei zu verpflichten, unserer
Ausgleichskasse unrechtmässig bezogene Rentenbetreffnisse im Betrag von
Fr. 3'497.-- zurückzuerstatten; in diesem Umfange sei unsere
Kassenverfügung vom 19. Januar 1990 zu bestätigen.
3. Die Beschwerde des Sozialdienstes W. vom 8. Februar 1990 sei
abzuweisen und die pendente lite erlassene Kassenverfügung vom 21. Juni
1990 sei zu bestätigen."
Der Sozialdienst lässt sich, auch namens der Versicherten, auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen.
BGE 118 V 214 S. 218
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Auf die Rechtsschriften der Parteien und des BSV wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Es ist unter den Verfahrensbeteiligten zu Recht nicht bestritten, dass die am 1. September 1988 erfolgte Arbeitsaufnahme der Versicherten als Hilfe in der Küche und auf der Abteilung des Altersheims F. eine revisionsrechtlich erhebliche Tatsachenänderung darstellt, welche nach Massgabe von
Art. 41 IVG
in Verbindung mit
Art. 88a Abs. 1 IVV
die revisionsweise Aufhebung eines rentenbegründenden Invaliditätsgrades auf den 1. Dezember 1988 rechtfertigt. Streitig und zu prüfen ist aber, ob und inwieweit zufolge Meldepflichtverletzung bezüglich dieses IV-spezifischen Gesichtspunktes der Erwerbsaufnahme eine Rückerstattung zu erfolgen hat (Aufhebung der Leistungen ex tunc statt ex nunc, wie es für IV-spezifische Gesichtspunkte der Regel entspricht), und wer welche Rentenbetreffnisse zurückerstatten muss.
2.
a) Der Berechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter sowie Behörden und Dritte, denen die Leistung zukommt, haben jede für den Leistungsanspruch wesentliche Änderung, so u.a. eine solche des Gesundheitszustandes und der Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit, unverzüglich der Ausgleichskasse anzuzeigen (
Art. 77 Abs. 1 IVV
). Hat der Bezüger die Leistung unrechtmässig erwirkt oder die ihm zumutbare Meldepflicht nach
Art. 77 IVV
verletzt, so ist die Leistung rückwirkend (ex tunc) vom Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung herabzusetzen oder aufzuheben (
Art. 85 Abs. 3 IVV
). Bei gutem Glauben und gleichzeitigem Vorliegen einer grossen Härte kann von der Rückforderung abgesehen werden (
Art. 47 Abs. 1 AHVG
in Verbindung mit
Art. 49 IVG
). Für den Tatbestand der Meldepflichtverletzung ist ein schuldhaftes Fehlverhalten erforderlich, wobei nach ständiger Rechtsprechung bereits eine leichte Fahrlässigkeit genügt (
BGE 112 V 101
Erw. 2a mit Hinweis).
Art. 78 AHVV
ist, in Ergänzung zu
Art. 85 Abs. 3 IVV
, auch in der Invalidenversicherung anwendbar. Laut dieser Bestimmung muss eine Ausgleichskasse, die Kenntnis davon hat, dass eine Person (oder ihr gesetzlicher Vertreter für sie) eine Rente bezogen hat, auf die ihr ein Anspruch überhaupt nicht oder nur in geringerer Höhe
BGE 118 V 214 S. 219
zustand, die Rückerstattung des zu Unrecht bezogenen Betrages verfügen; wurde die Rente gemäss
Art. 76 Abs. 1 AHVV
einer Drittperson oder Behörde ausgerichtet, so ist diese rückerstattungspflichtig.
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat im unveröffentlichten Urteil G. vom 4. Mai 1984 im Zusammenhang mit der Prüfung der Erlassfrage erkannt, dass es sich bei der Meldung einer Änderung in den Anspruchsvoraussetzungen, welche den Versicherten obliegt, um eine einmalige Erklärung gegenüber der Verwaltung handelt, welche unverzüglich nach Eintritt der Änderung zu erfolgen hat (vgl.
Art. 77 Abs. 1 IVV
); wird eine entsprechende Mitteilung unterlassen, so ist und bleibt die diesbezügliche Pflicht verletzt, woran auch der Umstand nichts mehr zu ändern vermag, dass die Verwaltung von der fraglichen Änderung im nachhinein doch noch Kenntnis erhielt; werden Renten trotz Bekanntwerden einer relevanten Änderung uneingeschränkt weiter ausgerichtet, so vermag ein solcher Fehler der Ausgleichskasse die anfänglich fehlende Gutgläubigkeit infolge Meldepflichtverletzung nicht wiederherzustellen.
3.
a) Aufgrund der Akten steht fest, dass das Pfarramt, dessen Sozialarbeiter die Versicherte wegen ihrer Stimmungsschwankungen anstelle des Sozialdienstes betreute, der Ausgleichskasse am 20./23. März 1989 mitteilte, die Versicherte "wage es", seit September 1988, im Altersheim F. ganztags als Küchenhilfe zu arbeiten. Demnach erfolgte die Rentenauszahlung durch die Ausgleichskasse von Dezember 1988 bis März 1989 deswegen zu Unrecht, weil die rentenausschliessende Arbeitsaufnahme und Erwerbstätigkeit nicht rechtzeitig gemeldet wurden. Soweit jedenfalls ist die Rückerstattungspflicht zu bejahen.
b) Während die Rekurskommission für die Zeit ab April 1989 im Hinblick auf das Schreiben vom 20./23. März 1989 den Tatbestand der Meldepflichtverletzung als nicht mehr erfüllt erachtet, vertreten die Ausgleichskasse und das BSV die Auffassung, dass, wenn die Meldepflicht einmal verletzt sei, dies die Pflicht zur Rückerstattung sämtlicher unrechtmässig bezogener Leistungen nach sich ziehe, somit auch der nach Eingang der verspäteten Meldung ausgerichteten.
Der Auffassung der Verwaltung kann nicht beigepflichtet werden. Die klare und unmissverständliche Aussage einer mit der Versicherten befassten Person über eine seit mehreren Monaten ganztags ausgeübte Erwerbsarbeit hätte nach landläufigem Verständnis die Rechtmässigkeit des laufenden Invalidenrentenbezugs offensichtlich,
BGE 118 V 214 S. 220
nachhaltig und umgehend in Frage stellen müssen. Der Einwand der Kasse, dieses Schreiben habe nicht genügende Angaben hinsichtlich Entlöhnung usw. enthalten, verkennt die aus dem Untersuchungsgrundsatz fliessenden Pflichten, die sich nach den jeweils gegebenen Umständen konkretisieren. Der Verwaltung war vorliegend eine einfache telefonische Anfrage beim Arbeitgeber, der im Schreiben ebenfalls korrekt angegeben worden ist, zumutbar; sie hätte so leicht in Erfahrung bringen können, wieviel die Versicherte seit September 1988 verdiente. Entgegen den Vorbringen der Ausgleichskasse kann sich die Verwaltung in einem solchen Fall, wo dringliches Handeln geboten ist, nicht darauf beschränken, den Eingang der von ihr verschickten Fragebogen (für den Arbeitgeber, Arzt usw.) abzuwarten. Vollends unverständlich ist sodann, dass die Ausgleichskasse die Rentenauszahlungen selbst nach Eingang des Arbeitgeberberichts am 6. Juni 1989 nicht stoppte, wo doch das Altersheim einen ununterbrochenen monatlichen Lohnbezug von Fr. 2'700.-- in der Zeit von September 1988 bis Mai 1989 attestiert und zudem festgehalten hatte, die Versicherte habe unfall- oder krankheitsbedingt nie gefehlt. Angesichts dieser ab April 1989 anzunehmenden, spätestens im Juni 1989 einwandfrei bewiesenen, rentenausschliessenden Einkommensbezüge kann die Ausgleichskasse die weitere Ausrichtung der Rente insbesondere nicht damit rechtfertigen, dass der Sozialarbeiter des Pfarramtes mit Schreiben vom 7. Juni 1989 von einer "schwereren Krise" und einer "seit einer Woche" bestehenden, nicht abzuschätzenden Arbeitsaussetzung berichtete. Diese Verhältnisse haben mit der Frage der vorausgehend gebotenen revisionsweisen Rentenaufhebung klarerweise nichts zu tun, ist doch eine solche gemäss Art. 88a Abs. 1 (letzter Satz) IVV in jedem Fall zu berücksichtigen, nachdem sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat und voraussichtlich weiter andauern wird, welche Voraussetzungen vorliegend längst erfüllt waren.
Im Rückerstattungsrecht kann eine ordnungsgemässe Meldung für die Zeit des nachfolgenden Leistungsbezuges nicht irrelevant sein; denn die Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen hat nicht pönalen Charakter, sondern ist eine an das Recht gebundene Administrativmassnahme (versicherungsmässige Sanktion). Daher kann
Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV
nicht unberücksichtigt bleiben; nach dieser Bestimmung erfolgt die Herabsetzung oder Aufhebung der Renten und Hilflosenentschädigungen rückwirkend vom Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung, wenn die unrichtige
BGE 118 V 214 S. 221
Ausrichtung einer Leistung darauf zurückzuführen ist, dass der Bezüger sie unrechtmässig erwirkt hat oder der ihm gemäss
Art. 77 IVV
zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist. Das Gesetz statuiert somit klar das Erfordernis der Kausalität zwischen dem zu sanktionierenden Verhalten (Meldepflichtverletzung) und dem eingetretenen Schaden (unrechtmässiger Bezug von Versicherungsleistungen). Damit scheidet eine rückwirkende Aufhebung der Invalidenrentenbetreffnisse zufolge Meldepflichtverletzung ab April 1989 aus.
Da die gleichen Grundsätze auch für das Erlassverfahren gelten, kann an den vorne (Erw. 2b) zitierten Erwägungen im Urteil G. vom 4. Mai 1984 nicht festgehalten werden.
4.
Weiter ist zu prüfen, wer rückerstattungspflichtig ist: die Versicherte oder der Sozialdienst, an welchen bis und mit Februar 1989 sämtliche Rentenbetreffnisse (Stamm- und Kinderrenten), ab März 1989 nur noch die Kinderrente ausbezahlt wurden.
a) Was die Kinderrenten anbelangt, so steht fest, dass diese in keinem Zeitpunkt der Versicherten selber ausbezahlt wurden. Folglich ist sie von vornherein hiefür nicht rückerstattungspflichtig. Was nun den Sozialdienst anbelangt, hat die Rekurskommission zutreffend erkannt, dass dieser die Kinderrenten als blosse Zahlstelle in Empfang genommen hat, was rechtsprechungsgemäss keine Rückerstattungspflicht nach sich zieht. Denn bezüglich der Kinderrenten bestand die Aufgabe des Sozialdienstes einzig und allein darin, diese direkt dem geschiedenen Ehegatten und Vater der Kinder zu überweisen, nachdem letzterem mit Scheidungsurteil die elterliche Gewalt zugesprochen und die Versicherte verpflichtet worden war, "Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt der Kinder bestimmte Leistungen, die ihr zustehen, sofort nach Erhalt abzuliefern". Dass der Sozialdienst bezüglich der Kinderrenten für die Versicherte in irgendeiner Weise fürsorgerisch tätig gewesen wäre, ist nach der Aktenlage nicht erstellt und nach den glaubwürdigen Vorbringen in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch nicht anzunehmen.
Richtig ist indessen, dass der Sozialdienst insoweit nicht als blosse Inkassostelle aufgetreten ist, als er für die Versicherte, wie im Drittauszahlungsgesuch vermerkt, die Lohnverwaltung übernahm. Dieser Auftrag konnte sich jedoch angesichts der erwähnten Regelung der Scheidungsnebenfolgen, soweit IV-Leistungen betreffend, nur auf die Stammrente von I. S. beziehen. Da der Sozialdienst diese bis und mit Februar 1989 unbestrittenerweise zur Verwaltung
BGE 118 V 214 S. 222
ausgerichtet erhielt und für diese Zeit, wie dargetan, eine Meldepflichtverletzung ausgewiesen ist, trifft ihn eine Rückerstattungspflicht für die von Dezember 1988 bis und mit Februar 1989 ausgerichteten Rentenbetreffnisse, wie die Rekurskommission richtig entschied.
b) Was die Stammrente für März 1989 anbelangt, so ist der vorinstanzliche Entscheid ebenfalls zu bestätigen: Das Rentenbetreffnis für März 1989, den ersten Monat des direkten Rentenbezugs durch die Versicherte, als die Mitteilung vom 20./23. März 1989 noch nicht wirksam werden konnte, ist zufolge Meldepflichtverletzung von ihr zurückzuerstatten. Dass sie wegen ihres psychischen Gesundheitszustandes nicht in der Lage gewesen wäre, Meldung zu erstatten, kann nicht angenommen werden.
5.
Entgegen den Darlegungen der Ausgleichskasse im vorinstanzlichen Verfahren, besteht kein Anlass und auch keine verfahrensmässige Möglichkeit, den Prüfungsgegenstand auf die Fragen des Erlasses, der Nachzahlung und der Verrechnung auszuweiten. Von Tatbestandsgesamtheit kann nicht die Rede sein. Vielmehr sind die aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens neu festzusetzenden Rückerstattungsbeträge zunächst zu ermitteln. Anschliessend hat die Ausgleichskasse gegebenenfalls über die von ihr aufgeworfenen Fragen verfügungsweise zu befinden (vgl.
BGE 110 V 51
Erw. 3b mit Hinweisen). | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a8c01d18-8376-4a39-869b-1f9789d6874d | Urteilskopf
126 III 449
77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Oktober 2000 i.S. K.H. gegen M.H. (Berufung) | Regeste
Art. 7b Abs. 1 und 3 SchlTZGB; anwendbares Recht bei Aufhebung eines Scheidungsurteils durch das Bundesgericht.
Hat das Bundesgericht unter der Geltung des bisherigen Rechts ein kantonales Scheidungsurteil aufgehoben, gelangt beim neuen Entscheid des kantonalen Richters nach Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts gestützt auf Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB das neue Recht zur Anwendung. Es liegt kein Anwendungsfall von Art. 7b Abs. 3 Satz 2 SchlTZGB vor (E. 2b/bb). | Sachverhalt
ab Seite 449
BGE 126 III 449 S. 449
Am 14. Mai 1994 klagte K.H. (Klägerin) gegen M.H. (Beklagter) auf Trennung der Ehe, worauf der Beklagte widerklageweise die Scheidung verlangte. Mit Urteil vom 13. Februar 1995 sprach das Bezirksgericht St. Gallen die Trennung der Ehe auf unbestimmte Zeit aus, wies die Scheidungsklage ab und regelte die Nebenfolgen der Trennung. Dagegen führte der Beklagte Berufung ans Kantonsgericht St. Gallen, worauf das Kantonsgericht mit Urteil vom 5. November 1996 die Ehe der Parteien schied und die Nebenfolgen
BGE 126 III 449 S. 450
der Scheidung regelte. Eine von der Klägerin dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997 gut, soweit es darauf eintrat.
Mit Entscheid vom 29. Mai 2000 hiess das Kantonsgericht die Scheidungsklage des Beklagten erneut gut. Mit Berufung vom 6. Juli 2000 beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, das Scheidungsurteil aufzuheben und die Ehe gemäss aArt. 147 Abs. 1 ZGB auf unbestimmte Zeit zu trennen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Ein erstes Scheidungsurteil der Vorinstanz hat das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997 aufgehoben. In der Folge hat das Kantonsgericht die Scheidung mit Urteil vom 29. Mai 2000 erneut ausgesprochen und zur Begründung ausgeführt, dass die Scheidungsklage sowohl nach bisherigem als auch nach neuem Scheidungsrecht gutzuheissen sei. Nach bisherigem Recht sei davon auszugehen, dass die Ehe der Parteien tief zerrüttet und das klägerische Verschulden nicht überwiegend sei, so dass die Scheidungsklage des Beklagten nach Art. 142 aZGB gutzuheissen sei. Auch nach neuem Scheidungsrecht sei die Klage gestützt auf Art. 114 nZGB gutzuheissen, weil die Parteien schon mehr als vier Jahre getrennt gelebt hätten. Für unzutreffend hält das Kantonsgericht den Einwand der Klägerin, dass das neue Scheidungsrecht übergangsrechtlich gar nicht anwendbar sei. Im Verfahren vor Bundesgericht macht die Klägerin unter anderem wiederum geltend, dass das neue Scheidungsrecht nicht anwendbar sei.
a) Gemäss Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB findet das neue Recht auf Scheidungsprozesse Anwendung, die bei dessen Inkrafttreten rechtshängig und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen sind. Da das angefochtene Scheidungsurteil am 29. Mai 2000 gefällt wurde und das Scheidungsverfahren beim Inkrafttreten des neuen Rechtes am 1. Januar 2000 somit bei einer kantonalen Instanz hängig war, hat die Vorinstanz insoweit zutreffend das neue Scheidungsrecht angewendet. Umstritten ist indessen, ob an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des neuen Scheidungsrechtes der Umstand etwas ändert, dass das erste Scheidungsurteil des Kantonsgerichtes vom 5. November 1996 durch das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997 aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung zurückgewiesen wurde.
BGE 126 III 449 S. 451
b) Art. 7 Abs. 3 SchlTZGB bestimmt, dass das Bundesgericht nach bisherigem Recht entscheidet, wenn das angefochtene Urteil vor dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechtes ergangen ist (erste Satzhälfte), welche Regelung ausdrücklich auch bei einer allfälligen Rückweisung an die kantonale Instanz gilt (zweite Satzhälfte). Bezüglich dieser Bestimmung sind zwei Fälle zu unterscheiden.
aa) Entscheidet das Bundesgericht nach bisherigem Recht, weil der angefochtene Entscheid unter altem Recht ergangen ist, urteilt bei einer allfälligen Rückweisung auch die kantonale Instanz wiederum nach bisherigem Recht - dessen ungeachtet, dass der Entscheid nach dem Inkrafttreten des neuen Rechtes gefällt wird (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 24 zu Art. 7b SchlTZGB; AUDREY LEUBA, Loi sur le divorce: Les dispositions transitoires, Plädoyer 1999 4 S. 61 f.). Eine andere Lösung liefe darauf hinaus, dass ein Scheidungsprozess bisherigem Recht unterstünde, wenn das Bundesgericht ein Rechtsmittel abweist bzw. eine Berufung gutheisst und in der Sache selbst entscheidet, neuem Recht jedoch, wenn ein kantonales Urteil aufgehoben wird und von der Vorinstanz neu zu beurteilen ist.
bb) Hat hingegen das Bundesgericht - wie vorliegend in seinem Rückweisungsurteil vom 4. August 1997 - nach "bisherigem" Recht entschieden, und zwar nicht weil dies übergangsrechtlich geboten gewesen wäre, sondern weil das Urteil vor Inkrafttreten des neuen Rechts erging, stand das Verfahren nach der Rückweisung wie jedes andere Verfahren unter der allgemeinen übergangsrechtlichen Regel von Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB. Da der Scheidungsprozess bei Inkrafttreten des neuen Rechtes noch rechtshängig und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen war, fand auf ihn das neue Recht Anwendung. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus Art. 7b Abs. 3 zweite Satzhälfte SchlTZGB nicht abgeleitet werden, dass das Kantonsgericht St. Gallen zufolge der Rückweisung durch das Urteil des Bundesgerichtes vom 4. August 1997 nach bisherigem Recht hätte entscheiden müssen. Aus diesen Gründen hat die Vorinstanz zutreffend das neue Scheidungsrecht angewendet. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a8c0f86c-344d-466a-b710-fc06f34c0f54 | Urteilskopf
94 IV 81
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Mai 1968 i.S. Bigler gegen Staatsanwaltschaft Zürich. | Regeste
1. 1.
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 SVG
. Nach beiden Bestimmungen ist strafbar, wer ein nach
Art. 16 VVV
provisorisch immatrikuliertes Motorfahrzeug nach Ablauf der im Fahrzeugausweis angegebenen Gültigkeitsdauer führt (Erw. 1).
2.
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
. Diese Bestimmung darf nicht dazu dienen, gesetzliche Strafdrohungen zu entwerten oder abzuschwächen (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 94 IV 81 S. 82
A.-
Bigler führte 1965 einen Personenwagen Chevrolet unverzollt in die Schweiz ein und erwirkte gestützt auf
Art. 16 VVV
die provisorische Immatrikulation für die Zeit vom 25. Januar bis 31. Dezember 1966. Er erhielt einen entsprechenden Fahrausweis (
Art. 17 VVV
) und die Kontrollschilder "SG 2288-Z-1966". Die Haftpflichtversicherung war ebenfalls bis 31. Dezember 1966 befristet.
Am 18. Januar 1967 fuhr Bigler mit dem Wagen von Wil/SG nach Zürich, wo er von der Polizei wegen Führens eines Motorfahrzeuges ohne gültigen Fahrzeugausweis und ohne Haftpflichtversicherung angezeigt wurde.
B.-
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Bigler am 24. Oktober 1967 in Anwendung von
Art. 96 Ziff. 2 SVG
zu einer nach einjähriger Bewährung löschbaren Busse von Fr. 300.--, wobei es subjektiv einen besonders leichten Fall im Sinne von
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
annahm.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das die Staatsanwaltschaft Berufung erklärt hatte, verneinte das Vorliegen eines besonders leichten Falles und verurteilte Bigler am 15. Februar 1968 zu einer Gefängnisstrafe von drei Tagen und einer Busse von Fr. 748.--. Der Vollzug der Gefängnisstrafe wurde bedingt aufgeschoben, unter Ansetzung einer zweijährigen Probezeit.
C.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass es sich um einen besonders leichten Fall gemäss
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
handle. Er wendet sich vor allem gegen die Gefängnisstrafe.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanzen haben den Beschwerdeführer nur nach
Art. 96 Ziff. 2 SVG
bestraft. Er ist aber nicht bloss ohne Haftpflichtversicherung,
BGE 94 IV 81 S. 83
sondern auch ohne gültigen Fahrzeugausweis gefahren und hätte deshalb auch nach
Art. 96 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
bestraft werden sollen, wobei die nach Ziffer 2 verwirkte Strafe gemäss
Art. 68 Ziff. 1 StGB
zu schärfen gewesen wäre. Das Fahren ohne vorgeschriebene Haftpflichtversicherung umfasst nicht notwendig auch das Führen eines Motorfahrzeuges ohne den erforderlichen Fahrzeugausweis.
Art. 11 Abs. 1 SVG
schreibt zwar vor, dass der Fahrzeugausweis nur erteilt werden darf, wenn eine Haftpflichtversicherung besteht. Die Behörde kann jedoch den Fahrzeugausweis versehentlich abgeben, ohne dass eine Versicherung abgeschlossen wurde; oder eine Versicherung kann vorgetäuscht werden. Indessen kann hier mangels Anklage nur
Art. 96 Ziff. 2 SVG
zur Beurteilung gelangen.
2.
Nach
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
kann in besonders leichten Fällen von der Strafe Umgang genommen werden.
Die Bestimmung fand sich schon im Entwurf des Bundesrates zum SVG, allerdings beschränkt auf die Verletzung von Verkehrsregeln. In der Botschaft vom 24. Juni 1955 heisst es (S. 62), der Richter werde in der Regel einen besonders leichten Fall nur annehmen können, wenn der Täter für die Abweichung von der Verkehrsregel einen vernünftigen Grund gehabt und tatsächlich niemanden gefährdet habe. Die ständerätliche Kommission nahm dann die Bestimmung in die allgemeinen Vorschriften über die Strafbarkeit (damals Art. 93) hinüber und stellte gleichzeitig gegenüber der inzwischen vom Nationalrat beschlossenen Abänderung - nach der die Möglichkeit, von Strafe Umgang zu nehmen, schon für leichte Fälle gegeben sein sollte - die bundesrätliche Fassung, welche sie nur für besonders leichte Fälle vorsah, wieder her. Beim Grundgedanken, dass die Bestimmung nur dort angewandt werden solle, wo eine noch so geringe Strafe, weil dem Verschulden in keiner Weise angemessen, als stossend hart erschiene (vgl.
BGE 91 IV 152
Erw. 3), ist es jedoch bei der Ausdehnung auf sämtliche Straftatbestände des SVG geblieben. Aus der Begrenzung auf besonders leichte Fälle ergibt sich, dass der Richter von der Befugnis nur einen sehr zurückhaltenden Gebrauch machen und die Regel nur anwenden soll, wenn das Verhalten des Täters - trotzdem der gesetzliche Straftatbestand an sich erfüllt ist - nach den besonderen Umständen nicht als strafwürdig erscheint (vgl. SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes
BGE 94 IV 81 S. 84
über den Strassenverkehr, S. 91 ff.). Keinesfalls darf sie dazu dienen, die gesetzlichen Strafandrohungen zu entwerten oder abzuschwächen. Das ist namentlich da zu beachten, wo das SVG eine Widerhandlung zum Vergehen erhoben hat und dadurch betont, dass die betreffenden Gesetzesverstösse im allgemeinen als besonders schwer anzusehen sind; umso seltener wird eine solche Widerhandlung als besonders leichter Fall angesehen werden können (SCHULTZ, a.a.O., S. 93).
Das gilt vorbehaltlos auch für das Führen eines Motorfahrzeuges ohne die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung (
Art. 96 Ziff. 2 SVG
). Der Gesetzgeber hat für diesen Tatbestand bewusst und gewollt eine Mindeststrafe von drei Tagen Gefängnis, verbunden mit einer Busse in der Höhe einer Jahresprämie der Versicherung, angedroht, um das Führen eines unversicherten Motorfahrzeuges möglichst wirksam zu bekämpfen. Dem Richter steht es daher nicht zu, die Mindeststrafe mit Hilfe von
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
herabzusetzen oder gar auszuschalten, nur weil er sie zu rigoros findet (vgl. BADERTSCHER/SCHLEGEL, S. 279).
Hieran ändert nichts, dass gemäss
Art. 76 Abs. 2 SVG
Ersatzansprüche für Personenschäden, die durch den Gebrauch von nichtversicherten und nicht mit gültigen Kontrollschildern oder Kennzeichen versehenen Motorfahrzeugen entstehen, vom Bund gedeckt werden und dass nach
Art. 77 Abs. 1 SVG
für Schäden, die ein nicht versichertes Fahrzeug verursacht, der Kanton haftet, wenn er für das Fahrzeug Ausweis und Kontrollschilder abgegeben hat. Die Mindeststrafen des
Art. 96 Ziff. 2 SVG
sind ungeachtet der im gleichen Gesetze vorgesehenen Deckung der Schäden durch die öffentliche Hand aufgestellt worden, weil nach
Art. 76 Abs. 2 SVG
vom Bund nur Personen-, nicht auch Sachschäden gedeckt werden. Der Staat springt nicht zur Entlastung derjenigen Motorfahrzeugführer ein, die sich des Fahrens mit einem nichtversicherten Fahrzeug schuldig gemacht haben, sondern er haftet zum Schutze der Geschädigten, die sonst meistens für ihre Ersatzansprüche keine oder nur ungenügende Deckung fänden. Dementsprechend regelt
Art. 76 Abs. 2 SVG
den Rückgriff des Bundes auf die Schuldigen oder die für die Verwendung des nicht versicherten Fahrzeuges Verantwortlichen, so wie
Art. 77 Abs. 2 SVG
den Rückgriff des Kantons auf den nicht gutgläubigen Halter vorsieht. Deshalb bildet die staatliche Deckung allfällig entstehenden
BGE 94 IV 81 S. 85
Schadens für den fehlbaren Fahrzeugführer keinerlei Entschuldigung und soll ihm in der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht zugutekommen. Dies scheint SCHULTZ nicht genügend zu beachten, wenn er die Strafdrohung des
Art. 96 Ziff. 2 SVG
, besonders die obligatorische Gefängnisstrafe, im Hinblick auf Art. 76 Abs. 2 und 77 Abs. 1 SVG als reichlich streng bezeichnet (a.a.O., S. 285, Fussnote 70).
Aus diesen Gründen kann von einer Anwendung des
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
auf den vorliegenden Fall nicht ernsthaft die Rede sein...
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a8c4f0ae-1e07-4e86-8765-3e6b15590d54 | Urteilskopf
106 V 204
47. Auszug aus dem Urteil vom 15. Dezember 1980 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen 13 Gründerverbände der AHV-Ausgleichskasse VATI | Regeste
Art. 70 Abs. 1 lit. b AHVG
.
Haftung der Gründerverbände für Schaden, der mangels rechtzeitiger Inkasso-Massnahmen durch Verjährung von Beitragsforderungen entstanden ist. | Sachverhalt
ab Seite 205
BGE 106 V 204 S. 205
A.-
Am 17. April 1978 ersuchte das Bundesamt für Sozialversicherung die Ausgleichskasse VATI um Stellungnahme zu einzelnen Feststellungen im Bericht der Schweizerischen Treuhandgesellschaft über die "Hauptrevision 1977" der Ausgleichskasse. Nachdem sich die Kasse am 26. Februar 1979 kurz zu den aufgeworfenen Fragen geäussert hatte, verlangte das Bundesamt am 26. April 1979 die Beitragsakten von 8 der Kasse angeschlossenen Selbständigerwerbenden ein. Aufgrund der ihm am 8. Mai 1979 zugestellten Akten gelangte es zum Schluss, dass in 6 Fällen Beitragsforderungen von insgesamt Fr. 38'347.65 wegen Vollstreckungsverjährung erloschen waren.
B.-
Am 28. Mai 1979 setzte das Bundesamt mit Schreiben an den Präsidenten des Kassenvorstandes der Ausgleichskasse VATI die 13 Gründerverbände der Ausgleichskasse vom eingetretenen Schaden in Kenntnis mit der Aufforderung, diesen gemäss
Art. 172 Abs. 1 AHVV
schriftlich anzuerkennen. In der Folge teilte der Präsident des Kassenvorstandes dem Bundesamt mit, dass die Gründerverbände an einer ausserordentlichen Abgeordnetenversammlung einstimmig beschlossen hätten, die Haftung in sämtlichen beanstandeten Fällen abzulehnen.
C.-
Mit Eingabe vom 20. November 1979 an das Eidg. Versicherungsgericht erhebt das Bundesamt gestützt auf
Art. 172 Abs. 2 AHVV
Schadenersatzklage mit dem Begehren, die Gründerverbände der Ausgleichskasse VATI seien zu verpflichten, "der AHV den Schadensbetrag von Fr. 38'348.-- zurückzuzahlen". Es macht geltend, dass der Schaden grobfahrlässig verursacht worden sei, indem die Ausgleichskasse es unterlassen habe, für ein wirksames Mahnwesen und Beitragsinkasso besorgt zu sein; ferner habe sie bewusst Verwaltungsweisungen ausser acht gelassen.
Die beklagten Gründerverbände lassen durch den früheren Verwalter der Ausgleichskasse VATI sinngemäss die Abweisung der Klage beantragen mit der Feststellung, dass nach den
BGE 106 V 204 S. 206
gesamten Umständen höchstens eine leichte Fahrlässigkeit angenommen werden könne.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Schadenersatzforderung gemäss
Art. 70 AHVG
. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung in Verbindung mit
Art. 172 AHVV
obliegt es dem Bundesamt für Sozialversicherung, solche Forderungen beim Kanton bzw. Gründerverband geltend zu machen. Wird die Schadenersatzpflicht ganz oder teilweise bestritten, so hat das Bundesamt beim Bundesgericht Klage einzureichen (
Art. 172 Abs. 2 AHVV
). Das Bundesamt ist somit zur Klage legitimiert (
Art. 119 Abs. 1 OG
).
b) Die Klage auf Schadenersatz gemäss
Art. 70 AHVG
ist eine Klage in einer Streitigkeit aus dem Verwaltungsrecht des Bundes, die durch ein Bundesgesetz ausdrücklich vorgesehen wird. Sie stellt eine verwaltungsrechtliche Klage im Sinne von
Art. 116 lit. k OG
dar. Da sie in den Bereich der Sozialversicherung fällt, ist für ihre Beurteilung das Eidg. Versicherungsgericht zuständig (
Art. 130 OG
).
c) Nach Art. 133 in Verbindung mit
Art. 120 und
Art. 105 Abs. 1 OG
kann das Eidg. Versicherungsgericht den Sachverhalt von Amtes wegen abklären. Im übrigen finden die Vorschriften über den Bundeszivilprozess sinngemäss Anwendung.
2.
a) Nach
Art. 70 Abs. 1 AHVG
haften die Gründerverbände, der Bund und die Kantone
"a. für Schäden aus strafbaren Handlungen, die von ihren
Kassenorganen oder einzelnen Kassenfunktionären bei Ausübung ihrer
Obliegenheiten begangen werden;
b. für Schäden, die infolge absichtlicher oder grobfahrlässiger
Missachtung der Vorschriften durch ihre Kassenorgane
oder einzelne Kassenfunktionäre entstanden sind."
Schäden, für welche die Gründerverbände einer Verbandsausgleichskasse haften, sind aus der gemäss
Art. 55 AHVG
geleisteten Sicherheit zu decken; soweit der Schaden die geleistete Sicherheit übersteigt, haften die Gründerverbände der Ausgleichskasse solidarisch (
Art. 70 Abs. 3 AHVG
).
b) Gemäss
Art. 173 AHVV
verjährt die Schadenersatzforderung, wenn sie nicht innert Jahresfrist seit Kenntnis des Schadens durch Einreichung der Klage geltend gemacht wird, auf
BGE 106 V 204 S. 207
jeden Fall aber mit Ablauf von fünf Jahren seit dem Eintritt des Schadens. Vorbehalten bleibt eine längere Verjährungsfrist des Strafrechts, wenn die Forderung aus einer strafbaren Handlung hergeleitet wird.
Das Bundesamt macht geltend, dass es vom Schaden erst Kenntnis erhalten habe, als ihm die Ausgleichskasse am 8. Mai 1979 die Akten der in Frage stehenden sechs Einzelfälle zugestellt habe. Die Beklagten bestreiten diese Feststellung nicht, welche aufgrund der Akten als zutreffend zu erachten ist. Weil der Schaden innert Jahresfrist seit Kenntnis geltend gemacht wurde und die Frist von 5 Jahren seit Eintritt des Schadens nicht abgelaufen ist, hat die Klage als rechtzeitig zu gelten. Sie ist deshalb materiell zu prüfen.
3.
Da im vorliegenden Fall weder strafbare Handlungen gegeben sind noch eine absichtliche Schadensverursachung in Betracht zu ziehen ist, stellt sich einzig die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls inwieweit der geltend gemachte Schaden auf eine grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften zurückzuführen ist.
a) Mit dem Begriff der groben Fahrlässigkeit gemäss
Art. 70 Abs. 1 lit. b AHVG
hat sich das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil vom 20. Juni 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Schweizerische Bankiervereinigung und Verband Schweizerischer Holding- und Finanzgesellschaften (
BGE 105 V 119
) befasst. Es gelangte dabei zum Schluss, dass es sich im Hinblick auf die weitgehende Parallelität der Rechtsfragen rechtfertige, die Grundsätze, wie sie nach Art. 8 des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958 (VG) für die Verantwortlichkeit der Beamten gelten (vgl. hiezu
BGE 102 Ib 108
), sinngemäss auf
Art. 70 Abs. 1 AHVG
anzuwenden. Die Haftung für grobfahrlässig herbeigeführte Schäden setzt demzufolge voraus, dass die Organe oder Funktionäre der Ausgleichskasse die gebotene elementare Vorsicht bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben nicht beachtet haben, wobei das Verhalten derart schwer sein muss, dass ein pflichtbewusster Funktionär in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen keinesfalls hätte gleich handeln können. Es muss eine eigentliche Verletzung des entgegengebrachten Vertrauens durch den Funktionär vorliegen, so dass es nicht als unbillig erschiene, wenn er auf dem Wege des Rückgriffs in bestimmtem Umfange für den Schaden persönlich erfasst würde.
BGE 106 V 204 S. 208
Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch von einem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen, und es ist an die Sorgfaltspflicht ein für sämtliche Bediensteten mit gleichartigen Funktionen geltender durchschnittlicher Massstab anzulegen. Im übrigen gelten als Vorschriften, deren grobfahrlässige Missachtung eine Haftung auslösen kann, nicht nur die Bestimmungen des AHVG und der Vollziehungsverordnung, sondern auch die Weisungen der Aufsichtsbehörde (
BGE 105 V 124
mit Hinweisen).
b) Das Bundesamt erblickt ein grobfahrlässiges Verschulden der Ausgleichskasse VATI darin, dass diese es unterlassen habe, für ein wirksames Mahnwesen und Beitragsinkasso besorgt zu sein, und dass sie in den sechs beanstandeten Fällen während Jahren nichts vorgekehrt habe, bis die Vollstreckungsverjährung und damit der Verlust der Beitragsforderungen in der geltend gemachten Höhe von Fr. 38'348.-- eingetreten sei. Hinzu komme der im Revisionsbericht festgehaltene Umstand, dass die Kasse die Weisungen des (ab 1. September 1976) gültigen Nachtrages 5 zur Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen ganz allgemein in bewusster Weise nicht beachtet habe. Sodann habe sie - entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des
Art. 25 Abs. 1 AHVV
- bei der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder Änderung der Einkommensgrundlagen die Beiträge erst nach Vorliegen der Steuermeldung festgesetzt.
Die Beklagten wenden hiegegen ein, dass die Beitragsverluste im Verhältnis zum Umsatz der Ausgleichskasse äusserst gering seien und dass die Kasse mit grossen Schwierigkeiten personeller Art zu kämpfen gehabt habe. Dass sie entgegen den Weisungen des Nachtrages 5 zur genannten Wegleitung von den Selbständigerwerbenden keine provisorischen Beitragsforderungen erhoben habe, sei auf die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in der schweizerischen Textil- und Bekleidungsindustrie ab dem Jahre 1975 zurückzuführen; immerhin sei dafür gesorgt worden, dass die Beiträge ab 1979 weisungsgemäss bezogen werden könnten. Schliesslich habe die Ausgleichskasse die Beiträge bei Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder Änderung der Einkommensgrundlagen nicht vor Erhalt der Steuermeldung festgesetzt, weil dies ständig zu Auseinandersetzungen mit den Beitragspflichtigen geführt habe; das Vorgehen
BGE 106 V 204 S. 209
der Kasse müsse von der Aufsichtsbehörde geduldet worden sein.
Soweit das Bundesamt die Geschäftsführung der Ausgleichskasse in allgemeiner Form beanstandet, können die erhobenen Rügen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein. Zu prüfen ist allein, ob und gegebenenfalls inwieweit ein vorschriftswidriges Verhalten der Kassenorgane oder einzelner Kassenfunktionäre Ursache für den geltend gemachten Schaden war. Dies beurteilt sich nach den konkreten Umständen im Einzelfall.
4.
a) Im Fall Adrian Z. hat die Ausgleichskasse VATI mit Verfügungen vom 29. Juli 1971 für die Zeit vom 1. Juni 1967 bis 30. Juni 1970 Beiträge von insgesamt Fr. 4'134.40 erhoben, wovon Fr. 744.-- bereits bezahlt waren, so dass eine Beitragsforderung von Fr. 3'390.40 verblieb. Am 28. August 1971 reichte das Treuhandbüro L. namens des Beitragspflichtigen für die Restforderung ein Erlassgesuch ein, mit welchem geltend gemacht wurde, dass Adrian Z. bei der Liquidation der Firma Z. & Co. Vermögenswerte von über Fr. 320'000.-- verloren habe, dass er für 1971 mit einem Einkommen von Fr. 27'000.-- rechnen könne und dass er erhebliche Steuerschulden aufweise. Die Ausgleichskasse hat in der Folge hinsichtlich der Beitragsforderung nichts mehr unternommen. Sie verweist auf ein gleichzeitig hängig gewesenes Steuererlassgesuch und macht geltend, dass ihr keine Mitteilung von dessen Erledigung zugekommen sei.
b) Dass die Ausgleichskasse das Erlassgesuch nicht behandelt und nichts mehr unternommen hat, bis die nach
Art. 16 Abs. 2 AHVG
für die Vollstreckungsverjährung geltende Frist abgelaufen war, stellt ohne Zweifel eine grobe Pflichtverletzung dar. Die zuständigen Kassenfunktionäre haben nicht nur gegen ein elementares Vorsichtsgebot jedes Inkassobeauftragten, sondern auch gegen die aus den gesetzlichen Vorschriften und den Weisungen der Aufsichtsbehörde sich ergebenden Pflichten verstossen. Die Unterlassung der erforderlichen Massnahmen lässt sich weder mit Schwierigkeiten personeller Art noch mit dem hängigen Steuererlassverfahren rechtfertigen. Die von der Steuerbehörde zu erwartende Mitteilung hat die Kasse keineswegs davon entbunden, Massnahmen zur Vermeidung der Beitragsverjährung zu treffen. Hieran ändert auch der Einwand der Beklagten nichts, dass der Kasse aufgrund des Steuerentscheides
BGE 106 V 204 S. 210
vermutlich das Recht zugestanden hätte, das beitragspflichtige Einkommen neu festzusetzen und die Beiträge auf den gesetzlichen Mindestbetrag zu reduzieren.
c) ... (Schadensberechnung)
5.
a) Im Fall Lilly W. forderte die Ausgleichskasse am 29. Juli 1971 persönliche Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1968 bis 1970 von insgesamt Fr. 2'848.20. Am 28 August 1971 ersuchte das Treuhandbüro L. um Erlass "aller offenen Beiträge" mit der Begründung, dass der Beitragspflichtigen die Bezahlung der geforderten Beiträge nach der Liquidation der Firma Z. & Co. nicht zumutbar sei; am 25. Januar 1971 habe sie ein Steuererlassgesuch eingereicht, welches zur Zeit noch hängig sei.
Die Ausgleichskasse hat nach Erhalt des Erlassgesuches in dieser Beitragssache nichts mehr unternommen. Sie beruft sich wiederum darauf, von der Steuerverwaltung keinen Bericht erhalten zu haben, wie das eingereichte Steuererlassgesuch behandelt worden sei. Die Beklagten legen eine der Kasse angeblich am 15. September 1972 zugekommene Verfügung des Finanzdepartementes des Kantons X vom 1. Juni 1972 ins Recht. Danach ist Frau W. das Steuerbetreffnis 1968 von Fr. 7'182.40 voll erlassen worden mit der Begründung, dass die Ermessenstaxation der Jahre 1967/68 "eindeutig zu hoch ausgefallen" sei, dass bei der Liquidation der Firma Z. & Co. Verluste entstanden seien und dass die Steuern des Jahres 1967 bereits bezahlt worden seien. Die Beklagten schliessen hieraus, dass die Ausgleichskasse von der Steuermeldung hätte abweichen dürfen und dass die Beiträge für die Jahre 1967/68 auf dem gesetzlichen Mindestbetrag hätten festgesetzt werden müssen.
b) Der Umstand, dass die Ausgleichskasse nach Eingang des Erlassgesuches nichts vorgekehrt hat, bis die Vollstreckungsverjährung eingetreten ist, stellt nach dem Gesagten eine grobfahrlässige Missachtung der für die Ausgleichskassen geltenden Vorschriften dar. Die Beklagten haben für die Folgen dieser Pflichtverletzung einzustehen. Unerheblich ist, Ob der Steuerentscheid Anlass zu einer Neufestsetzung der Beiträge gegeben hätte.
c) ... (Schadensberechnung)
6.
a) Im Fall Paul M. erhob die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 22. Januar 1969 Beiträge für die Jahre 1966/67
BGE 106 V 204 S. 211
von je Fr. 3'139.20, insgesamt somit Fr. 6'278.40. Auf eine Mahnung der Ausgleichskasse vom 10. Juni 1971 machte der Beitragspflichtige geltend, er habe am 24. Februar 1969 gegen die Beitragsverfügung Beschwerde eingereicht. Im November 1971 ersuchte die Kasse die Steuerbehörde um zusätzliche Angaben zum Sachverhalt. Erst am 15. Februar 1979 teilte sie dem Beitragspflichtigen mit, dass die Beiträge für 1966/67 immer noch ausstehend seien. Dieser reichte hierauf eine Kopie seiner Beschwerde vom 24. Februar 1969 ein, welche seinen Angaben zufolge unbehandelt geblieben ist. Am 27. Februar 1979 teilte ihm die Kasse mit, dass sie die Beschwerde vom 24. Februar 1969 nicht erhalten habe; im übrigen sei sie verspätet gewesen. Mit Schreiben vom 3. März 1979 machte der Beitragspflichtige die Verjährung der Beitragsforderung für 1966/67 geltend.
b) Der unbestrittene Eintritt der Beitragsverjährung ist auf eine grobfahrlässige Missachtung der Vorschriften durch die Ausgleichskasse zurückzuführen. Dabei kann offenbleiben, wie es sich hinsichtlich der fraglichen Beschwerde und der Umstände, die zu deren Nichtbeurteilung geführt haben, verhält. Da die Beklagten auch gegen den geltend gemachten Schadensbetrag von Fr. 6'278.40 nichts vorbringen, ist ihre Haftung in diesem Umfange zu bejahen.
7.
a) Die Beitragspflichtigen Bruno, Mario und Franz R. sind Kollektivgesellschafter der Firma E. gewesen, welche im Juni 1974 wegen finanzieller Schwierigkeiten ein Nachlassverfahren eingeleitet hat. Mit Verfügungen vom 14. März/25. April 1974 hat die Ausgleichskasse der Bekleidungsindustrie die persönlichen Beiträge der drei Gesellschafter für die Jahre 1972/73 wie folgt festgesetzt:
1972 1973
Bruno R. Fr. 2'356.80 Fr. 3'367.20
Mario R. Fr. 4'384.80 Fr. 6'264.--
Franz R. Fr. 2'356.80 Fr. 3'367.20 Für 1974 erhob die Kasse am 20. September/11. Oktober 1974 von Bruno und Franz R. Beiträge von je Fr. 592.80 und von Mario R. solche von Fr. 3'591.60.
Auf eine von der Ausgleichskasse für die Beiträge der Jahre 1972/73 am 29. Juli 1974 eingeleitete Betreibung erhoben die Beitragspflichtigen Rechtsvorschlag. Am 6. August 1974 reichten sie gleichlautende Gesuche um Herabsetzung der Beiträge
BGE 106 V 204 S. 212
der Jahre 1972/73 ein. Auf Anordnung der Ausgleichskasse ergänzten sie die Gesuche am 22. November 1974 durch mehrere Unterlagen, aus denen insbesondere hervorging, dass die Firma in den Jahren 1973/74 bedeutende Verluste erlitten hatte; gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass die Gesellschafter ab 1. August 1974 als Unselbständigerwerbende tätig seien. Die Ausgleichskasse ersuchte hierauf die zuständigen Steuerämter um Auskunft über die Steuertaxation der drei Gesellschafter.
Auf Ende 1974 wurden die Ausgleichskasse der Bekleidungsindustrie aufgelöst und die ihr Angeschlossenen durch die Ausgleichskasse VATI übernommen; diese hat die Beitragsangelegenheit in der Folge nicht weiterbehandelt.
b) Dass die Ausgleichskasse VATI nach Übernahme der Forderungen von der Ausgleichskasse der Bekleidungsindustrie nichts mehr vorgekehrt hat, bis die Forderungen verjährt waren, stellt eine grobfahrlässige Missachtung der Vorschriften dar, für deren Folgen die Beklagten einzustehen haben.
c) ... (Schadensberechnung)
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der verwaltungsrechtlichen Klage werden die Beklagten verpflichtet, der AHV den Betrag von Fr. 32'423.10 gemäss
Art. 70 Abs. 3 AHVG
zu vergüten. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a8ce1055-64ad-45b2-8fab-85eadbd88b0c | Urteilskopf
110 V 369
60. Auszug aus dem Urteil vom 19. November 1984 i.S. K. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 23 Abs. 4 AHVV
.
- Überprüfung der Steuerfaktoren im Beitragsstreit als zulässig erklärt, da mangels relevanten Streitwertes der Anlass für ein Steuerjustizverfahren fehlte.
- Der rechtserhebliche Sachverhalt muss lückenlos abgeklärt sein, damit über die Frage entschieden werden kann, ob für die Bemessung des Erwerbseinkommens und des Eigenkapitals von der rechtskräftigen Steuertaxation zufolge klar ausgewiesenen Irrtums abzuweichen ist. Massgebend sind die Steuerakten, nicht die Beschwerdeakten in der AHV-Sache. | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 110 V 369 S. 369
A.-
K. übt die Tätigkeit eines Immobilienberaters aus und ist als Selbständigerwerbender der Ausgleichskasse des Kantons Zürich angeschlossen. Im März 1981 meldete die kantonale Steuerbehörde, K. habe aus selbständiger Erwerbstätigkeit 1977 einen Verlust von Fr. 15'687.-- erlitten und 1978 ein Einkommen von Fr. 238'261.-- (einschliesslich Grundstückgewinn von
BGE 110 V 369 S. 370
Fr. 145'350.-- auf der am 15. Dezember 1977 verkauften Eigentumswohnung in Z.) erzielt. Aufgrund dieser Steuermeldung ermittelte die Kasse ein beitragspflichtiges Erwerbseinkommen im Durchschnitt der Jahre 1977/78 von Fr. 109'200.-- und setzte gestützt darauf die persönlichen Sozialversicherungsbeiträge pro 1980/81 auf jährlich Fr. 10'264.80 fest (Verfügung vom 18. September 1981).
B.-
Beschwerdeweise liess der Beitragspflichtige die Berechnungsgrundlagen dieser Verfügung rügen, wobei er eine Wehrsteuertaxation für die 20. Periode 1979/80 sowie eine Aufstellung über erzielten Verkaufspreis und eigene Anlagekosten der Eigentumswohnung einreichte. Mit Entscheid vom 26. August 1982 wies die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die Beschwerde ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K. beantragen, dass für die Beitragsberechnung von einem gegenüber der Steuerveranlagung reduzierten Gewinn aus dem Verkauf der Eigentumswohnung Z. ausgegangen werde (Fr. 46'937.-- statt Fr. 145'350.--).
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt, bezüglich des Erwerbseinkommens aus dem Grundstückverkauf sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und die Sache an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit sie ergänzende Abklärungen vornehme.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Nach
Art. 23 Abs. 1 AHVV
obliegt es in der Regel den Steuerbehörden, das für die Berechnung der Beiträge Selbständigerwerbender massgebende Erwerbseinkommen aufgrund der rechtskräftigen Veranlagung für die direkte Bundessteuer (vor 1983: Wehrsteuer) und das im Betrieb investierte Eigenkapital aufgrund der entsprechenden rechtskräftigen kantonalen Veranlagung zu ermitteln. Die Angaben der Steuerbehörden hierüber sind für die Ausgleichskassen verbindlich (
Art. 23 Abs. 4 AHVV
).
Nach der Rechtsprechung begründet jede rechtskräftige Steuerveranlagung die nur mit Tatsachen widerlegbare Vermutung, dass sie der Wirklichkeit entspreche. Da die Ausgleichskassen an die Angaben der Steuerbehörden gebunden sind und der Sozialversicherungsrichter grundsätzlich nur die Kassenverfügung auf ihre
BGE 110 V 369 S. 371
Gesetzmässigkeit zu überprüfen hat, darf von rechtskräftigen Steuertaxationen bloss dann abgewichen werden, wenn diese klar ausgewiesene Irrtümer enthalten, die ohne weiteres richtiggestellt werden können, oder wenn sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam sind. Blosse Zweifel an der Richtigkeit einer Steuertaxation genügen hiezu nicht; denn die ordentliche Einkommensermittlung obliegt den Steuerbehörden, in deren Aufgabenkreis der Sozialversicherungsrichter nicht mit eigenen Veranlagungsmassnahmen einzugreifen hat. Der selbständigerwerbende Versicherte hat demnach seine Rechte, auch im Hinblick auf die AHV-rechtliche Beitragspflicht in erster Linie im Steuerjustizverfahren zu wahren (
BGE 106 V 130
Erw. 1,
BGE 102 V 30
Erw. 3a; ZAK 1983 S. 22 Erw. 5).
Die absolute Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden für die Ausgleichskassen und die daraus abgeleitete relative Bindung des Sozialversicherungsrichters an die rechtskräftigen Steuertaxationen sind auf die Bemessung des massgebenden Einkommens und des betrieblichen Eigenkapitals beschränkt. Diese Bindung betrifft also nicht die beitragsrechtliche Qualifikation des Einkommens bzw. Einkommensbezügers und beschlägt daher die Frage, ob überhaupt Erwerbseinkommen und gegebenenfalls solches aus selbständiger oder aus unselbständiger Tätigkeit vorliegt und ob der Einkommensbezüger beitragspflichtig ist, nicht. Somit haben die Ausgleichskassen ohne Bindung an die Steuermeldung aufgrund des AHV-Rechts zu beurteilen, wer für ein von der Steuerbehörde gemeldetes Einkommen beitragspflichtig ist.
Auch hinsichtlich der Beurteilung, ob selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, sind die Ausgleichskassen nicht an die Meldungen der kantonalen Steuerbehörden gebunden. Allerdings sollen sie sich bei der Qualifikation des Erwerbseinkommens in der Regel auf die Steuermeldungen verlassen und eigene nähere Abklärungen nur dann vornehmen, wenn sich ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Steuermeldung ergeben. Diese Beurteilungskompetenz der Ausgleichskassen gilt um so mehr dann, wenn bestimmt werden muss, ob ein Versicherter überhaupt erwerbstätig ist oder nicht. Daher rechtfertigt es sich, die Ausgleichskassen auch selbständig beurteilen zu lassen, ob ein von der Steuerbehörde gemeldetes Kapitaleinkommen als Erwerbseinkommen zu qualifizieren ist (
BGE 102 V 31
Erw. 3b mit Hinweisen).
BGE 110 V 369 S. 372
b) Nach der Rechtsprechung darf der Sozialversicherungsrichter selbst dann nicht von einer rechtskräftigen Steuertaxation abweichen, wenn die Abklärung ergibt, dass die Veranlagung für die direkte Bundessteuer wahrscheinlich korrigiert worden wäre, wenn sie rechtzeitig mit einem gesetzlichen Rechtsmittel angefochten worden wäre. Denn einmal hat jede rechtskräftige Steuertaxation die Vermutung für sich, sie entspreche dem wirtschaftlichen Sachverhalt. Zum andern ist zu beachten, dass der Sozialversicherungsrichter zum Steuerrichter würde, wenn er beurteilen sollte, ob bei rechtzeitiger Erhebung der gesetzlichen Rechtsmittel die Veranlagung für die direkte Bundessteuer mit praktischer Sicherheit korrigiert würde. Dies widerspräche indessen offensichtlich der vom Gesetz vorgenommenen Kompetenzabgrenzung zwischen den Steuer- und Sozialversicherungsorganen (
Art. 23 Abs. 1 AHVV
), an der festzuhalten ist (ZAK 1971 S. 212).
3.
a) Nicht im Streite liegt, dass der Verkauf der Eigentumswohnung Z. (am 15. Dezember 1977) im Rahmen der selbständigen Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers (Immobilienberatung) erfolgte. Streitig ist dagegen die Bemessung des dabei erzielten massgebenden Erwerbseinkommens.
Der rechtskräftig veranlagte Grundstücksgewinn von Fr. 145'350.-- resultiert als Differenz zwischen einem "Verkaufspreis netto" des Objektes von Fr. 615'350.-- und dessen "Buchwert" von Fr. 470'000.--. Diese Zahlenangaben gemäss Steuertaxation sind - abgesehen von ihrer AHV-rechtlichen Qualifikation - nach der Rechtsprechung im Beitragsstreit für die Einkommensbemessung grundsätzlich verbindlich (vgl. Erw. 2a hievor).
Beschwerdeweise wurde im kantonalen Prozess beanstandet, der in der Steuertaxation eingesetzte Buchwert der Eigentumswohnung bilde einen beitragsrechtlich unerheblichen Vermögenssteuerfaktor, weshalb sich das Erwerbseinkommen nicht nach dem hier veranlagten Grundstücksgewinn bemesse. Entscheidend komme es vielmehr auf die im Zusammenhang mit dem Objekt tatsächlich erwachsenen Anlagekosten an, die vorliegend aus dem vom Beschwerdeführer dafür selbst entrichteten Kaufpreis, wertvermehrenden Aufwendungen und aus Handänderungskosten bestünden und die sich abzüglich Liegenschaftensteuern im Ergebnis auf Fr. 637'741.-- beliefen. Abschreibungen auf dem Objekt während der Besitzesdauer seien nie zum Abzug gekommen. Aus dem Verkauf der Eigentumswohnung resultiere demnach nicht etwa
BGE 110 V 369 S. 373
ein Gewinn, sondern ein Verlust (erzielter Verkaufspreis Fr. 615'350.--; eigene Anlagekosten Fr. 637'741.--).
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde rückt der Versicherte indes von seinem Standpunkt ab, er habe aus dem Grundstückverkauf einen Verlust erlitten. Vielmehr sei ein - gegenüber der Steuermeldung allerdings stark reduzierter - aus Anlagekosten von Fr. 573'063.-- und einem Verkaufspreis von Fr. 620'000.-- resultierender Veräusserungsgewinn von Fr. 46'937.-- erzielt worden. Zur Begründung macht der Beschwerdeführer geltend, er habe im vorinstanzlichen Verfahren bei der Berechnung der Anlagekosten einen anteilsmässig auf das Verkaufsobjekt umgerechneten Betriebsverlust von Fr. 64'678.-- sowie Liegenschaftensteuern von Fr. 1'450.-- mit einbezogen, welche Beträge jedoch für die Belange der Wehrsteuer und der AHV richtigerweise ausgeklammert werden müssten, weil sie bereits früher vom steuerbaren Einkommen abgezogen worden seien.
b) Der kantonale Richter führt aus, die Steuerveranlagung des Grundstücksgewinns sei rechtskräftig. Der Beschwerdeführer habe dieselbe sogar - aus welchen Gründen auch immer - unterschriftlich anerkannt. Daher sei auf seine Argumentation bezüglich Bemessung des Erwerbseinkommens aus Verkauf der Eigentumswohnung im Beitragsverfahren nicht mehr einzutreten, zumal ein derartiges Vorgehen des urteilenden Richters einer kompetenzwidrigen Veranlagungsmassnahme gleichkäme. Demzufolge sei für die Bemessung des Erwerbseinkommens auf den kraft Steuertaxation ermittelten Grundstücksgewinn abzustellen.
Nach der unter Erwägung 2b hievor dargelegten Rechtsprechung hat es bei einer rechtskräftigen Steuertaxation auch dann sein Bewenden, wenn sie im Falle eines rechtzeitig dagegen ergriffenen Rechtsmittels wahrscheinlich korrigiert worden wäre.
Der Beschwerdeführer gibt zu, dass er gegen die Steuertaxation nicht Beschwerde geführt hat, obwohl ihm schon damals deren angebliche Fehlerhaftigkeit bekannt war. Er macht jedoch geltend, dass sich das steuerbare Einkommen 1979/80 wegen Verrechnung von Verlusten aus den Vorjahren auf Fr. 24'500.-- vermindert habe, was einer Jahressteuer von nur Fr. 195.80 entsprochen habe. Es könne einem Steuerpflichtigen und auch dem Staat als Beschwerdegegner nicht zugemutet werden, in einem Einschätzungsverfahren, das zu keinem oder einem nur unbedeutenden Wehrsteuerbetrag führe, ein Steuerjustizverfahren durchzuführen, nur weil in der Einschätzung einzelne Faktoren enthalten seien, die
BGE 110 V 369 S. 374
später zu einer Benachteiligung bei der Festsetzung der AHV-Beiträge führen könnten. Insbesondere bei Verrechnung von Verlusten aus den Vorjahren, die nur für die Wehrsteuer, nicht aber für die AHV-Beiträge berücksichtigt würden, könnten sich bei einer andern Betrachtungsweise Steuerjustizverfahren ergeben, die einen reinen Leerlauf bedeuten würden. Dieser Auffassung ist in Fällen der vorliegenden Art beizupflichten. Der ermittelte Steuerbetrag von nur Fr. 195.80 ist in der Tat derart gering, dass man die ihm zugrundeliegenden und erst in diesem Verfahren angefochtenen Steuerfaktoren im Hinblick auf das steuerrechtliche Endergebnis als faktisch belanglos bezeichnen darf. Es ist daher in einem solchen Fall gleich zu halten wie dort, wo sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam sind. Dies rechtfertigt sich hier um so mehr, als der Beschwerdeführer in guten Treuen annehmen durfte, dass der AHV-Beitrag nicht aufgrund der fraglichen Wehrsteuerveranlagung, sondern im ausserordentlichen Verfahren gemäss
Art. 25 Abs. 2 AHVV
festgesetzt werde. Das Vorliegen einer rechtskräftigen Steuertaxation schliesst somit im hier zu beurteilenden Beitragsstreit eine Überprüfung des dort angegebenen Grundstücksgewinns auf klar ausgewiesene Irrtümer hin nicht aus.
c) Ob die der Festsetzung der AHV-Beiträge zugrundeliegende rechtskräftige Steuerveranlagung "klar ausgewiesene Irrtümer" enthält, lässt sich nur aufgrund der entsprechenden Steuerakten beurteilen. Im AHV-Beitragsstreit genügt es daher nicht, dass diese Irrtumsfrage lediglich aufgrund der vorhandenen Beschwerdeakten geprüft wird, wenn diese Akten bezüglich der massgebenden steuerrechtlichen Unterlagen unvollständig sind. Vielmehr sind gegebenenfalls noch die erforderlichen Steuerakten beizuziehen, und zwar im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren von Amtes wegen (
Art. 85 Abs. 2 lit. c AHVG
). Anderseits kann von "klar ausgewiesenen Irrtümern" insoweit nicht die Rede sein, als deren Nachweis aufgrund der entsprechenden Steuerakten allein nicht möglich ist, sondern zusätzlicher Beweismassnahmen bedürfte.
Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, dass die der Steuerveranlagung zugrundeliegende Gewinnberechnung aus dem Verkauf der fraglichen Eigentumswohnung anstatt vom effektiven Anlagewert von einem niedrigeren sog. Buchwert bzw. Steuerwert ausgegangen sei, als ob vom ursprünglichen Anlagewert steuerwirksame Abschreibungen gemacht worden wären, was jedoch
BGE 110 V 369 S. 375
nicht der Fall sei. Aus der Differenz zwischen diesem zu niedrigen Buchwert und dem Verkaufspreis habe sich ein zu hoher Gewinn ergeben. Diese im Prinzip schon im vorinstanzlichen Verfahren erhobene Rüge ist von der Vorinstanz, welche - wie schon die Ausgleichskasse - allein auf die rechtskräftige Steuerveranlagung als solche abgestellt hat, nicht geprüft worden. Insoweit ist daher der Sachverhalt von der Vorinstanz unvollständig und damit für das Eidg. Versicherungsgericht nicht in verbindlicher Weise abgeklärt worden (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Die Sache ist daher zu näherer Abklärung - nötigenfalls unter ergänzendem Beizug von Steuerakten - und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a8cf8586-78fc-4774-aef3-f5be62fa7df5 | Urteilskopf
104 Ia 425
63. Auszug aus dem Urteil vom 20. September 1978 i.S. Anderes und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; Finanzreferendum.
In welchem Umfang sind nachträgliche Projektänderungen ohne erneute Kreditbewilligung zulässig?
In welchem Umfang darf eine Ausgabe in Teile oder Etappen aufgegliedert werden? | Sachverhalt
ab Seite 426
BGE 104 Ia 425 S. 426
Im Kanton Zürich wurden die Ausgaben für den Bau von Hochleistungsstrassen mit der Annahme der "Initiative für Demokratie im Strassenbau" dem Finanzreferendum unterstellt, dem sie nach der zuvor geltenden gesetzlichen Ordnung entzogen waren. Am 21. August 1977 reichten Albert Anderes und Mitbeteiligte beim Regierungsrat des Kantons Zürich das Begehren ein, der Kredit für die Umfahrung von Uster sei der Volksabstimmung zu unterbreiten. Der Regierungsrat wies dieses Begehren mit Beschluss vom 1. Februar 1978 ab, im wesentlichen mit der Begründung, die mit der Annahme des Volksbegehrens getroffene Neuregelung gelte nur für Ausgaben, die nach Inkrafttreten der neuen Ordnung beschlossen würden. Das sei beim Kredit für die Umfahrung von Uster nicht der Fall, da er noch unter dem alten Recht bewilligt worden sei. In der gegen den Regierungsratsbeschluss erhobenen Stimmrechtsbeschwerde wird unter anderem geltend gemacht, zwischen dem Bauvorhaben, das jetzt zur Ausführung gelange, und dem Projekt, für das seinerzeit ein Kredit bewilligt worden sei, bestehe keine Identität. Für das nunmehr in Frage stehende Bauvorhaben sei deshalb keine gültige Kreditbewilligung vorhanden. Ferner wird geltend gemacht, der Entscheid über ein Teilstück einer Strasse könne keine Endgültigkeit haben, solange nicht über das ganze Vorhaben entschieden sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
...
a) Die Annahme der dem Finanzreferendum unterstellten Vorlage bedeutet im Kanton Zürich - wie auch in den übrigen Kantonen - grundsätzlich die Bewilligung eines Kredites, nicht die Gutheissung eines bestimmten Projekts. Das dem Kreditbeschluss zugrundeliegende Vorhaben wird durch die Abstimmung
BGE 104 Ia 425 S. 427
nur mittelbar genehmigt. Das Referendum bedeutet nicht, dass die Verwaltung nach der Kreditgenehmigung in allen Einzelheiten an das Projekt gebunden wäre, das ihrer Kreditvorlage zugrundelag. Die Ausführung bleibt vielmehr nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung ihre Sache; sie ist lediglich insoweit gebunden, als der Kredit nicht seinem ursprünglichen Zweck entfremdet werden darf und als die Mittel, die zur Erreichung dieses Zwecks eingesetzt werden, sich nicht in grundsätzlicher Weise von denjenigen unterscheiden dürfen, die der Kreditvorlage zugrundelagen. Weiterzugehen und zu verlangen, dass ein Projekt gegenüber der Abstimmungsvorlage in keiner Weise verändert werden dürfe, wäre nicht gerechtfertigt. Es besteht kein zureichender Grund, der Verwaltung verwehren zu wollen, bei Hoch- oder Tiefbauten nachträglich in Erscheinung tretende Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art (z.B. die Natur des Baugrundes oder die erschwerte Erhältlichkeit bestimmter Grundstücke) zu berücksichtigen und dementsprechend wünschbare Projektanpassungen vorzunehmen. Von einer Verletzung der politischen Rechte kann bei solchen Projektanpassungen im Rahmen des unverändert bleibenden Zwecks des Bauvorhabens keine Rede sein (vgl. dazu LAUR, Das Finanzreferendum im Kanton Zürich, S. 100 ff.; NEF, Gutachten, in: Das Finanzreferendum im Kanton Aargau, S. 76; OESTER, Das Finanzreferendum im Kanton St. Gallen, S. 104). Das Gesagte gilt naturgemäss auch dann, wenn ein Kredit nicht vom Volk, sondern vom kantonalen Parlament oder von der Regierung selbst zu bewilligen ist: auch in diesem Falle bleibt die Kreditbewilligung gültig, so lange der Zweck, für den der Kredit vorgesehen ist, in seinen Grundzügen nicht ändert und auch die dafür vorgesehenen Mittel in grossen Zügen die nämlichen bleiben.
Eine in diesen Zusammenhang gehörende besondere Frage ist die, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine Vorlage in Teile oder Etappen aufgegliedert werden dürfe. Es herrscht in Lehre und Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass eine solche Aufteilung unzulässig ist, wenn sie der Umgehung einer Kreditgrenze dient, also insbesondere dann, wenn sie erfolgt, um das Referendum auszuschalten (
BGE 77 I 114
f.; GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 534; NEF, a.a.O. S. 70 f.; ESCHER, Das Finanzreferendum in den schweizerischen Kantonen, S. 148 ff.; LAUR, a.a.O. S. 95 f.;
BGE 104 Ia 425 S. 428
OESTER, a.a.O. S. 100; RÖTHELI, Das Finanzreferendum im Kanton Solothurn, in: Festgabe Max Obrecht, S. 77 f.). Dagegen bestehen gegen eine Aufteilung grosser Bauvorhaben keine rechtlichen Bedenken, wenn die Zuständigkeit dadurch nicht verschoben wird und wenn die Ausführung der einzelnen Teile für sich allein gesehen einen vernünftigen Sinn ergibt, so dass die Freiheit der Stimmberechtigten oder der Mitglieder des Parlamentes, sich für oder gegen die späteren Etappen auszusprechen, durch den ersten Entscheid nicht aufgehoben wird.
(Es folgen Ausführungen darüber, dass weder eine zu weit gehende Projektänderung vorgenommen noch die Ausgabe in unzulässiger Weise unterteilt wurde.) | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a8d3193d-8800-4f6b-9fa7-17aafa1dcc65 | Urteilskopf
122 III 369
68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. September 1996 i.S. SMP Management Programm St. Gallen AG gegen MZSG Management Zentrum St. Gallen (Berufung) | Regeste
Art. 951 Abs. 2 OR
. Unterscheidbarkeit der Firmen von Aktiengesellschaften.
Geringer Schutzumfang von Firmen, die dem Gemeingut angenähert sind und keine erhöhte Verkehrsgeltung geniessen (E. 1 und 2a).
Gegenüber einer älteren Firma, die gleiche Sachbezeichnungen wie die jüngere aufweist, können bereits verhältnismässig kennzeichnungsschwache Zusätze genügend Abstand schaffen (E. 1 und 2b). | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 122 III 369 S. 369
A.-
Die Aktiengesellschaft MZSG Management Zentrum St. Gallen wurde am 26. Juli 1984 gegründet. Sie hat ihren Sitz in St. Gallen und bezweckt die Schulung und Beratung von Führungskräften aller Stufen in Wirtschaft und Staat. Neben der Managementberatung bietet sie insbesondere Seminare zu Themen wie Unternehmensführung, Führungsverhalten und -methodik, Marketing, Weiterbildung, Finanz- und Rechnungswesen an.
BGE 122 III 369 S. 370
Die SMP Management Programm St. Gallen AG wurde am 10. Mai 1991 gegründet. Sie hat ihren Sitz ebenfalls in St. Gallen. Ihr statutarischer Zweck besteht in der Managementausbildung und im Training von Führungskräften in allen Managementfragen auf der Basis der in St. Gallen entwickelten Konzepte der ganzheitlichen Managementlehre. Sie führt Seminare insbesondere über Management, Juniormanagement, Marketing, Human Resources Management und finanzielle Führung durch.
B.-
Am 8. Juli 1994 reichte die MZSG Management Zentrum St. Gallen beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen Klage gegen die SMP Management Programm St. Gallen AG ein. Sie stellte die Begehren, der Beklagten sei - gestützt auf
Art. 956 OR
, allenfalls gestützt auf
Art. 3 lit. d UWG
(SR 241) - unter Strafandrohung zu untersagen, die Firma "SMP Management Programm St. Gallen" zu führen; eventuell sei die Beklagte zu verpflichten, ihre Firma in der Weise abzuändern, dass sie mit derjenigen der Klägerin nicht mehr verwechselbar sei; im weiteren sei das Urteil auf Kosten der Beklagten gehörig zu publizieren.
Mit Urteil vom 24. Mai 1995 hiess das Handelsgericht die Klage im wesentlichen gut. Es untersagte der Beklagten, die Firma "SMP Management Programm St. Gallen" zu führen, und verpflichtete sie, diese Firma innert drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils im Handelsregister löschen zu lassen. Den Antrag auf Urteilsveröffentlichung wies das Handelsgericht hingegen ab.
C.-
Auf Berufung der Beklagten hebt das Bundesgericht das handelsgerichtliche Urteil auf und weist die Klage ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Firma einer Aktiengesellschaft muss sich von jeder in der Schweiz bereits eingetragenen Firma deutlich unterscheiden (
Art. 951 Abs. 2 OR
), ansonst der Inhaber der älteren Firma wegen Verwechslungsgefahr auf Unterlassung des Gebrauchs der jüngeren Firma klagen kann (
Art. 956 Abs. 2 OR
). Da Aktiengesellschaften ihre Firma frei wählen können, stellt die Rechtsprechung an deren Unterscheidungskraft im allgemeinen strenge Anforderungen. Ob zwei Firmen sich hinreichend deutlich unterscheiden, ist aufgrund des Gesamteindrucks zu prüfen, den sie beim Publikum hinterlassen. Die Firmen müssen nicht nur bei gleichzeitigem, aufmerksamem Vergleich unterscheidbar sein, sondern auch in der Erinnerung auseinandergehalten
BGE 122 III 369 S. 371
werden können. Im Gedächtnis bleiben namentlich Firmenbestandteile haften, die durch ihren Klang oder ihren Sinn hervorstechen; solchen Bestandteilen kommt daher für die Beurteilung des Gesamteindrucks einer Firma erhöhte Bedeutung zu (
BGE 118 II 322
E. 1 S. 323, mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung ist die Unterscheidbarkeit je nachdem, ob eine Firma aus Personen-, Sach- oder Phantasiebezeichnungen gebildet ist, differenziert zu beurteilen. Besonders strenge Massstäbe sind bei reinen Phantasiebezeichnungen anzulegen, die in der Regel stark prägende Kraft besitzen. Umgekehrt verhält es sich bei Firmen, die gemeinfreie Sachbezeichnungen als wesentliche Bestandteile enthalten. Grundsätzlich stehen zwar auch solche Firmen unter dem Schutz des Ausschliesslichkeitsanspruchs gemäss
Art. 951 Abs. 2 und
Art. 956 OR
. Wer dieselben Sachbezeichnungen ebenfalls als Firmenbestandteile verwendet, hat deshalb für eine hinreichend deutliche Abhebung von der älteren Firma zu sorgen, indem er sie mit individualisierenden zusätzlichen Elementen ergänzt (a.a.O., S. 324 f.; siehe ferner auch
BGE 114 II 432
E. 2a S. 433 und 100 II 224 E. 4 S. 227 f.). Die Anforderungen an die Kennzeichnungskraft solcher Zusätze dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtes vom 15. Dezember 1992, publiziert in SMI 1994, S. 53, E. 3). Da das Publikum Sachbezeichnungen in erster Linie als blosse Hinweise auf Art und Tätigkeit des Unternehmens auffasst und ihnen daher für dessen Kennzeichnung nur geringe Bedeutung beimisst, pflegt es den übrigen Firmenbestandteilen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Bereits ein verhältnismässig kennzeichnungsschwacher Zusatz kann deshalb ausreichen, um genügend Abstand zu einer älteren Firma zu schaffen, welche gleiche Sachbezeichnungen wie die jüngere aufweist (vgl. KRAMER, "Starke" und "schwache" Firmenbestandteile, in: Festschrift Pedrazzini 1990, S. 605 ff.).
Wie im Markenrecht rechtfertigt es sich schliesslich auch im Firmenrecht, Zeichen, die insgesamt als kennzeichnungsschwach erscheinen, nicht den gleichen geschützten Ähnlichkeitsbereich zuzubilligen, wie er starken Zeichen zukommt. Wer sich mit seiner Firma dem Gemeingut annähert, nimmt eine geringe Unterscheidungskraft in Kauf, solange er seiner Firma nicht mit entsprechenden Werbeanstrengungen erhöhte Verkehrsgeltung verschafft hat. Starke Firmen sind das Ergebnis einer schöpferischen Leistung oder langer Aufbauarbeit; sie verdienen deshalb einen weiteren Schutz. Schwache Firmen sollen demgegenüber den verbleibenden Raum für die Firmenbildung
BGE 122 III 369 S. 372
nicht im gleichen Masse einengen dürfen (vgl. VON BÜREN, Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, S. 140 ff. N. 97 ff.; SCHLUEP, Das Markenrecht als subjektives Recht, S. 19 und 23; siehe ferner auch CHRISTIAN HILTI, Firmenrecht, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 312 f.).
2.
a) Die klägerische Firma "MZSG Management Zentrum St. Gallen" setzt sich aus einem Kürzel, zwei Sachbegriffen und einer Ortsbezeichnung zusammen. Die Wörter "Management" und "St. Gallen" sollen offenbar einen assoziativen Bezug zur an der Hochschule St. Gallen entwickelten Managementlehre schaffen und damit auf die Ausrichtung des Ausbildungsangebots der Klägerin hinweisen. Das Kürzel "MZSG" und das Wort "Zentrum" sagen wenig aus. Der Phantasiegehalt der Firma ist insgesamt gering. Dass die Firma eine gesteigerte Verkehrsgeltung erlangt hätte, wird im angefochtenen Urteil nicht festgestellt und auch in der Berufungsantwort nicht behauptet. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es sich um ein schwaches Zeichen handelt, das nach dem Gesagten nur einen geringen Schutzumfang beanspruchen kann.
b) Die Firma der Beklagten stimmt mit jener der Klägerin zunächst in den Elementen "Management" und "St. Gallen" überein. Die Verbindung dieser beiden Wörter hat jedoch im Zusammenhang mit Managementausbildung als Hinweis auf deren Ausrichtung beschreibenden Charakter. Das Publikum wird deshalb seine Aufmerksamkeit auch auf die übrigen Firmenbestandteile lenken. Diese aber heben sich deutlich von den entsprechenden Bestandteilen der klägerischen Firma ab. Das gilt sowohl für das Wort "Programm" im Vergleich zu "Zentrum", als insbesondere auch für das Akronym "SMP" im Vergleich zu "MZSG". In diesem Zusammenhang ist im übrigen darauf hinzuweisen, dass Akronyme im Geschäftsverkehr allgemein selten verwechselt zu werden scheinen, weil sich das Publikum daran gewöhnt hat, bei ihrer Zuordnung Vorsicht walten zu lassen und allfällige Unklarheiten durch rechtzeitige Rückfragen zu beheben (LUCAS DAVID, Das Akronym im Firmen- und Markenrecht, SMI 1991, S. 334 f.).
Dem Handelsgericht ist zwar darin beizustimmen, dass sich die genannten Unterschiede auf Firmenbestandteile beziehen, die sowohl von ihrem Klang als auch von ihrem Aussagegehalt her im Hinblick auf den Gesamteindruck der Firmen als wenig prägend erscheinen. Im Erinnerungsbild der Firmenadressaten dürften sich bei beiden Firmen in erster Linie die Kombination von "Management" und "St. Gallen" und die dadurch hervorgerufene Gedankenverbindung zur St. Galler Managementlehre einprägen.
BGE 122 III 369 S. 373
Angesichts des geringen Schutzumfangs, welcher der klägerischen Firma zusteht, reichen die Unterschiede in den Zusätzen aber dennoch aus, um der Firma der Beklagten zu genügend Abstand zu verhelfen. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die Firmen einander in bezug auf die Wortreihenfolge entsprechen, indem sie beide mit einem Akronym beginnen, an das sich der Begriff "Management", ein wenig aussagekräftiger weiterer Begriff und die Ortsbezeichnung "St. Gallen" anschliessen. Denn auch diese Übereinstimmung fällt gegenüber der deutlichen Unterscheidbarkeit der Akronyme "SMP" und "MZSG" sowie der Wörter "Programm" und "Zentrum" zuwenig ins Gewicht. Entgegen der Auffassung des Handelsgerichts unterscheidet sich die Firma der Beklagten demnach insgesamt genügend von der älteren Firma der Klägerin.
c) Dagegen ist auch mit dem Argument nicht aufzukommen, dass es nach den Feststellungen der Vorinstanz anscheinend tatsächlich zu einigen Verwechslungen gekommen ist. Das tatsächliche Auftreten von Verwechslungen kann zwar unter Umständen ein Indiz für eine Verwechslungsgefahr sein (vgl.
BGE 118 II 322
E. 3 S. 326). Auf der anderen Seite reichen aber einige festgestellte Verwechslungen für sich allein nicht aus, um die mangelnde Unterscheidbarkeit zweier Firmen zu belegen, zumal der Firmenschutz nicht jegliche entfernte Verwechslungsmöglichkeit ausschliessen will, sondern nur Verwechslungen verhindern soll, denen der durchschnittliche Firmenadressat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unterliegt (vgl.
BGE 119 II 473
E. 2d S. 476). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a8d404d5-47f0-4bfb-9d24-933eb43e5970 | Urteilskopf
120 III 165
56. Estratto della sentenza 12 dicembre 1994 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa Banca S contro "X" Compagnia di assicurazioni sulla vita (ricorso) | Regeste
Gebrauch der Formulare.
Das Obligatorium der Verwendung amtlicher Formulare durch das Betreibungsamt ist blosse Ordnungsvorschrift (Bestätigung von
BGE 87 III 68
E. 1). Eine auf amtlichem Papier erstellte Verteilungsliste, die sämtliche wesentlichen Elemente enthält, wie sie im entsprechenden Formular vorgesehen sind, ist daher rechtsgültig. | Sachverhalt
ab Seite 165
BGE 120 III 165 S. 165
Nell'ambito di una procedura in via di realizzazione del pegno immobiliare, il 15 marzo 1994 la particella n. xxx RFD del Comune di Sementina è stata aggiudicata alla Banca S per l'importo di fr. ... .
L'Ufficio di esecuzione ha steso lo stato di riparto della realizzazione su carta ufficiale e lo ha comunicato a tutti gli interessati il 19 maggio 1994. Contro lo stato di riparto la S è insorta con reclamo alla Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino, autorità di vigilanza.
BGE 120 III 165 S. 166
Insorta alla Camera delle esecuzioni e dei fallimenti del Tribunale federale, la S chiede che la sentenza impugnata sia annullata e che sia allestito un nuovo stato di riparto.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
La ricorrente adduce che lo stato di riparto allestito dall'UEF di Bellinzona non contiene - come prevede il formulario ufficiale - la finca del riparto dei redditi incassati tra i diversi creditori, dimodoché non sarebbe possibile dedurre secondo quali criteri siano stati distribuiti i frutti dell'immobile e quale sia il conto spese dell'UEF.
La censura è manifestamente infondata. Come rileva a ragione la Corte cantonale l'obbligo di servirsi dei moduli ufficiali è, per l'ufficio d'esecuzione, soltanto una prescrizione d'ordine (
DTF 87 III 68
consid. 1; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Vol. I, n. 4 pag. 165; v. inoltre in merito al mancato uso del formulario previsto dall'
art. 2 n. 6 RUF
RS 281.32, per la cessione di pretese della massa
DTF 43 III 163
). Una decisione (o un provvedimento) comunicata regolarmente, redatta in modo univoco e contenente tutti gli elementi essenziali per il destinatario, produce quindi i suoi effetti anche se non si attiene al testo del modulo. In concreto, lo stato di riparto allestito su carta da lettera ufficiale contiene tutti gli elementi essenziali previsti dal modulo (v. art. 26 delle istruzioni del TF relative agli atti da allestire nella realizzazione forzata di fondi) e in particolare la chiave di ripartizione. Per quanto concerne il dettaglio delle spese basta rilevare che lo stesso è stato depositato presso l'UEF ove la ricorrente avrebbe potuto visionarlo (su richiesta l'UEF ha comunque trasmesso al patrocinatore della ricorrente il dettaglio del conto spese il 6 giugno 1994), non essendo materialmente possibile riportare tutte le spese sostenute dall'Ufficio (v. art. 20 combinato con l'
art. 112 cpv. 2 RFF
; RS 281.42). | null | nan | it | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a8d56fa2-790f-4f08-8347-1d22a7889fa3 | Urteilskopf
109 Ia 264
50. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Dezember 1983 i.S. Gitag SA und Mitbeteiligte gegen Gemeinde Celerina/Schlarigna und Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Raumplanung,
Art. 22ter und 31 BV
; verfassungsrechtliche Überprüfung (abstrakte Normenkontrolle) von kommunalen Vorschriften über die Erstellung von Einkaufszentren.
1. Tragweite der Handels- und Gewerbefreiheit im Bereiche der Raumplanung; ausgewiesenes Bedürfnis nach raumplanerischen Sondervorschriften für den Bau von Einkaufszentren (E. 4).
2. Anforderungen an eigentumsbeschränkende Massnahmen: Das im Baugesetz genannte Erfordernis eines regionalen oder kantonalen Nutzungsplanes erlaubt der Gemeinde nicht, bis zum Vorliegen eines solchen Planes an einem unbefristeten Bauverbot festzuhalten (E. 5a). Im Lichte der abstrakten Normenkontrolle und mit Rücksicht auf die im Oberengadin herrschenden Verhältnisse lässt es sich vertreten, Geschäfte des Detailhandels bereits ab einer Netto-Ladenfläche von 200 m2 in die Sonderordnung für Einkaufszentren einzubeziehen (E. 5c). | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 109 Ia 264 S. 265
A.-
Die Gemeinden des Oberengadins bemühen sich, die Erstellung von Einkaufszentren in geordnete Bahnen zu lenken. Zu diesem Zweck erliessen sie aufeinander abgestimmte Massnahmen und Bestimmungen. Die Gemeinde Celerina/Schlarigna beschloss am 27. April 1981, ihr Baugesetz (BauG) durch Aufnahme eines neuen Kapitels 5 über den Bau und Betrieb von Einkaufszentren zu ergänzen. Die Bestimmungen, welche für das vorliegende Verfahren in erster Linie von Bedeutung sind, lauten wie folgt:
Art. 63b (Abs. 1) Begriffe
Einkaufszentren sind aus einem oder mehreren Geschäften bestehende Verkaufseinheiten des Detailhandels, die baulich oder organisatorisch eine
BGE 109 Ia 264 S. 266
Einheit bilden und eine Netto-Ladenfläche von 200 m2 oder mehr aufweisen.
Art. 63c (Abs. 1) Ortszentren
Einkaufszentren mit einer Netto-Ladenfläche von 200-500 m2 dürfen ausschliesslich in der Dorfzone, der Dorferweiterungszone und in der Wohn-Gewerbezone D erstellt werden.
Art. 63d (Abs. 1) Regionalzentren
Einkaufszentren mit einer Netto-Ladenfläche von über 500 m2 dürfen nur bewilligt werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Es muss ein von der Standortgemeinde genehmigter, rechtskräftiger regionaler oder ein von der Regierung gestützt auf
Art. 47 KRG
erlassener kantonaler Nutzungsplan vorliegen, welcher die Erstellung eines Regionalzentrums am vorgesehenen Standort in Übereinstimmung mit dem regionalen Richtplan zulässt.
2. Das Regionalzentrum darf die im regionalen oder kantonalen Nutzungsplan festgelegte höchstzulässige Netto-Ladenfläche nicht überschreiten.
3. Das Regionalzentrum hat sich einwandfrei in das Siedlungs- und Verkehrskonzept der Grundordnung der Gemeinde einzufügen. Durch die Zulassung darf weder ein unerwünschter Siedlungskern geschaffen noch dürfen bestehende oder geplante Erschliessungsanlagen über den Gemeingebrauch hinaus beansprucht werden.
4. Der vorgesehene Standort muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein und in einer Bauzone liegen, in welcher mässig störende Betriebe zulässig sind. Zudem muss feststehen, dass durch den Betrieb die Ruhe benachbarter Wohngebiete sowie von Hotels, Heimen oder Schulen nicht gestört wird.
Art. 63g und Art. 63h enthalten Vorschriften über die Gestaltung und Erschliessung von Einkaufszentren.
B.-
Die GITAG SA ist Eigentümerin der Parzellen Nrn. 706 und 707 in Celerina/Schlarigna. Die USEGO-Trimerco-Holding AG hat sich an den beiden Parzellen im Ausmass von insgesamt 7555 m2 ein Kaufsrecht gesichert. Sie plant, darauf ein Geschäftshaus zu errichten, welches eine Netto-Ladenfläche von 895 m2 umfassen soll.
Am 5. März 1979 erliess der Gemeinderat von Celerina/Schlarigna zunächst für ein Jahr eine Bausperre für Einkaufszentren mit einer Netto-Ladenfläche von mehr als 500 m2, die in der Folge mehrfach verlängert wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde der genannten Grundeigentümerin wurde abgewiesen, letztinstanzlich vom Bundesgericht am 26. Januar 1982.
Auf Ersuchen der Gemeinde genehmigte die Regierung des Kantons Graubünden am 28. Dezember 1981 die erwähnte Teilrevision
BGE 109 Ia 264 S. 267
des BauG im wesentlichen. Gleichzeitig wies sie eine Beschwerde der GITAG SA und der USEGO-Trimerco-Holding AG ab, soweit darauf einzutreten war.
C.-
Gegen diesen Beschluss und die kommunale Baugesetzesänderung haben die GITAG SA und die USEGO-Trimerco-Holding AG staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
Art. 22ter und 31 BV
eingereicht. Sie beantragen, den Beschluss der Regierung sowie die Art. 63b Abs. 1, 63c, 63d, 63g und 63h der Baugesetzesergänzung der Gemeinde Celerina/Schlarigna betreffend Einkaufszentren aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit sind zulässig, soweit sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und die Grundsätze der Verhältnismässigkeit und Rechtsgleichheit beachten. Für Begrenzungen der Handels- und Gewerbefreiheit genügt freilich nicht jedes irgendwie geartete öffentliche Interesse. Sie sind nur dann verfassungsmässig, wenn sie auf polizeilichen, sozialpolitischen oder aber auf unmittelbar von den Kantonen zu treffenden Massnahmen der Raumplanung beruhen. Es ist dabei nicht auszuschliessen, dass nach
Art. 22quater BV
zulässige raumplanerische Massnahmen eine Einschränkung der gewerblichen und wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten nach sich ziehen und dementsprechend mit wirtschaftspolitischen Auswirkungen verbunden sein können. Eine solche Folge steht grundsätzlich zu
Art. 31 BV
nicht in Widerspruch, solange die Massnahme raumplanerisch bedingt ist und im Zielbereich von
Art. 22quater BV
liegt und sofern die Handels- und Gewerbefreiheit dadurch nicht völlig ihres Gehaltes entleert wird (
BGE 102 Ia 116
).
a) Die Beschwerdeführerinnen rügen, die Vorschrift von Art. 63d Abs. 1 Ziff. 2 BauG enthalte eine Bedürfnisklausel, indem der Gesamtbedarf an regionaler Ladenfläche und dessen räumliche Verteilung festgelegt werde. Diese Rüge geht fehl. Dass im Rahmen der Raumplanung bei der Ausscheidung der Bauzonen auf den Bedarf abzustellen ist, ergibt sich aus Art. 15 lit. b des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (RPG). Danach umfassen Bauzonen das Land, das u.a. innert 15 Jahren benötigt
BGE 109 Ia 264 S. 268
wird. Dies gilt nicht nur für die Bauzone insgesamt, sondern indirekt auch für die einzelnen Wohn-, Gewerbe- und anderen Zonen. Dabei darf nicht nur das Land für die Wohnnutzung, sondern auch jenes für gewerbliche Zwecke dem Bedarf entsprechend begrenzt werden. Aufgrund künftiger Planänderungen können später immer noch weitere Gebiete der entsprechenden Bauzone zugeschlagen werden (
Art. 21 Abs. 2 RPG
).
Man kann auch nicht mit genügendem Grund einwenden, die Vorschrift beziehe sich nicht nur auf den raumplanerisch bedingten Baulandbedarf, sondern erlaube es, durch eine enge Umgrenzung der Standorte von Einkaufszentren das Angebot des Detailhandels direkt zu beeinflussen. Die Beschwerdeführerinnen scheinen zu verkennen, dass die Nutzungspläne keine Nutzungspflichten festlegen, sondern nur anordnen, was höchstens erlaubt ist (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 3 zu Art. 14, S. 198). Sie legen lediglich einen Rahmen fest und überlassen es im übrigen dem Grundeigentümer, den Standort sowie die Ausgestaltung der geplanten Baute zu bestimmen und auch darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er überhaupt bauen will. Die Gemeinde führt in ihrer Vernehmlassung denn auch aus, der vorgesehene Plan werde grossräumig jene Bauzonen der einzelnen Gemeinden bezeichnen, in denen Regionalzentren grundsätzlich zugelassen sind, so dass dem Grundeigentümer und allfälligen Interessenten für ein Einkaufszentrum genügend Raum bleibe, um ihre Bauwünsche zu verwirklichen. Dabei ist die Gemeinde zu behaften. Unter diesen Umständen besteht im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle kein Anlass, wegen der entfernten Möglichkeit einer allzu engherzigen Ausgestaltung des künftigen regionalen oder kantonalen Nutzungsplanes einzuschreiten.
b) Die Kritik der Beschwerdeführerinnen richtet sich auch gegen die in Art. 63d Abs. 1 Ziff. 2 BauG vorgesehene Höchstbegrenzung der zulässigen Verkaufsfläche.
Eine solche Begrenzung lässt sich indes durchaus mit raumplanerischen Überlegungen begründen. Die besonderen geographischen, topographischen und witterungsmässigen Verhältnisse und die dünne, weit verstreute Besiedlung des Oberengadins vermögen eine gewisse Grössenbeschränkung der Einkaufszentren zu rechtfertigen. Werden beliebig grosse Laden-Komplexe zugelassen, besteht die Gefahr, dass die Versorgung der Bevölkerung in den verschiedenen Teilgebieten und Tälern in Frage gestellt wird, weil dort die unter weniger kostengünstigen Bedingungen arbeitenden
BGE 109 Ia 264 S. 269
Kleinbetriebe nicht mehr existieren könnten (
BGE 102 Ia 117
). Diese Konsequenz aber widerspräche den Geboten, die ausreichende Versorgungsbasis des Landes zu sichern (
Art. 1 Abs. 1 lit. d RPG
) und die Siedlungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten, insbesondere günstige Voraussetzungen für die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen (
Art. 3 Abs. 3 lit. d RPG
). Eine Höchstbegrenzung der erlaubten Verkaufsfläche lässt sich zudem mit Argumenten verkehrstechnischer Art und solchen des Schutzes vor übermässigen Immissionen begründen (vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. a und b, Abs. 4 lit. c RPG). Da im vorliegenden Fall die raumplanerischen Anliegen auch tatsächlich im Vordergrund stehen und nicht etwa unter dem Deckmantel der Raumplanung ein Eingriff in den wirtschaftlichen Wettbewerb bezweckt wird, sind die sich ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen in Kauf zu nehmen, zumal die Handels- und Gewerbefreiheit dadurch keineswegs ihres Gehaltes entleert wird.
5.
Soweit die angefochtenen Bestimmungen eigentumsbeschränkende Massnahmen enthalten, sind sie mit der in
Art. 22ter BV
festgelegten Eigentumsgarantie nur vereinbar, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen und im öffentlichen Interesse liegen. Kommen sie einer Enteignung gleich, so ist volle Entschädigung zu leisten (
BGE 108 Ia 35
).
a) Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, das in Art. 63d Abs. 1 Ziff. 1 BauG genannte Erfordernis eines besonderen regionalen oder kantonalen Nutzungsplanes laufe auf ein Bauverbot für solche Einkaufszentren hinaus. Vorweg ist festzustellen, dass es sowohl die besonderen örtlichen Verhältnisse des Oberengadins als auch die mit Einkaufszentren erfahrungsgemäss verbundenen raumplanerischen Probleme als sinnvoll erscheinen lassen, für Zentren in der Grössenordnung von mehr als 500 m2 einen Nutzungsplan zu verlangen. Es ist indes einzuräumen, dass die von der Gemeinde beschlossene Ergänzung des Baugesetzes so lange mangelhaft bleibt, als der erwähnte Nutzungsplan nicht vorliegt. Die Behörden der Gemeinde Celerina/Schlarigna sind sich offenbar darüber im klaren, dass ein unbefristetes Bauverbot während dieses Schwebezustandes unzulässig wäre, haben sie doch wiederholt die Anordnung befristeter Bausperren veranlasst. Mit diesem Vorgehen zeigen die Behörden, dass sie die Vorschrift von Art. 63d Abs. 1 Ziff. 1 BauG in verfassungskonformer Weise anwenden und nicht davon ausgehen, die Bestimmung erlaube der Gemeinde, bis zum Vorliegen des Nutzungsplanes an einem
BGE 109 Ia 264 S. 270
unbefristeten Bauverbot festzuhalten. Bis es soweit ist, darf die Bewilligung für ein Einkaufszentrum gestützt auf Art. 63d Abs. 1 Ziff. 1 BauG nur verweigert werden, solange eine rechtsgültige Bausperre vorliegt (vgl.
Art. 27 RPG
). Angesichts des verfassungskonformen Vorgehens der Gemeinde kann man es im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle bei diesem präzisierenden Hinweis bewenden lassen, ohne die genannte Bestimmung aufheben zu müssen.
b) Nach Art. 63d Abs. 1 Ziff. 3 BauG hat sich das Regionalzentrum einwandfrei in das Siedlungs- und Verkehrskonzept der Grundordnung der Gemeinde einzufügen. Was die Beschwerdeführerinnen gegen diese inhaltlichen Anforderungen vorbringen, schlägt nicht durch. Damit wird vorgeschrieben, wie der regionale oder kantonale Nutzungsplan auszugestalten sei. Aus der generellen Verpflichtung gemäss
Art. 1 Abs. 1 und
Art. 2 RPG
ergibt sich, dass dessen Regelung auf die übrige Planung abzustimmen ist. Allfällige, daraus hervorgehende Eigentumsbeschränkungen können dann angefochten werden, wenn sie - zusammen mit dem Nutzungsplan - erlassen werden.
Die Vorschrift von Art. 63d Abs. 1 Ziff. 4 BauG hält der abstrakten Normenkontrolle ebenfalls stand. Dass der vorgesehene Standort mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein muss, entspricht einem raumplanerischen Anliegen und lässt sich durchaus rechtfertigen (SALADIN/LANZ, Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit Einkaufszentren, ZBl 77/1976, S. 111). Das Erfordernis einer Lokalisierung der Einkaufszentren in einer Bauzone, in der mässig störende Betriebe zulässig sind, und das Verbot, die Ruhe benachbarter Wohngebiete sowie von Hotels, Heimen oder Schulen zu stören, entsprechen den Anforderungen an die Planung gemäss
Art. 1 Abs. 2 lit. b und
Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG
.
c) Die Beschwerdeführerinnen bestreiten im besonderen, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse gegeben sei, eine Sonderordnung für Ortszentren im Sinne von Art. 63c BauG zu erlassen. Vorweg ist festzuhalten, dass das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung bei der Überprüfung des ausreichenden öffentlichen Interesses Zurückhaltung walten lässt, soweit es um die Würdigung der örtlichen Verhältnisse geht, welche die Behörden des Kantons und der Gemeinde besser kennen und überblicken als das Bundesgericht (
BGE 107 Ib 336
,
BGE 105 Ia 226
mit Hinweisen). Mag auch die untere Grenze im vorliegenden Fall tief angesetzt worden sein, so lässt es sich doch im Hinblick auf die im Oberengadin herrschenden örtlichen Verhältnisse rechtfertigen, Einkaufszentren
BGE 109 Ia 264 S. 271
bereits ab einer Netto-Ladenfläche von 200 m2 den angefochtenen Sondervorschriften zu unterstellen. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, die Gemeinde habe den ihr in diesem Bereich zustehenden Ermessensspielraum missachtet. Sie konnte mit Fug erwägen, dass sich ein Verzicht auf eine planerische Regelung selbst von kleinen Zentren nachteilig auf die im Oberengadin aus topographischen und witterungsbedingten Gründen unerlässliche dezentralisierte Versorgungsstruktur auswirken würde. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen, eine Sondernormierung rechtfertige sich allenfalls für Detailgeschäfte von erheblicher Grösse, während sich solche mit einer Netto-Ladenfläche von unter 1000 m2 nicht anders auswirkten als andere Geschäfte und Einrichtungen (Büros, Praxen, Gewerbebetriebe, Restaurants, Kinos usw.), vermag im übrigen nicht zu überzeugen. Auch ein Zentrum mit einer Netto-Ladenfläche von 200-500 m2 ist auf Umsatz angewiesen und zieht daher notwendigerweise Verkehr an, und zwar mehr Verkehr als die Mehrzahl der von den Beschwerdeführerinnen genannten Beispiele.
Auch die Kritik an der von den Beschwerdeführerinnen als belastend empfundenen Anordnung, wonach Ortszentren ausschliesslich in der Dorfzone, der Dorferweiterungszone und in der Wohn-Gewerbezone D erstellt werden dürfen, schlägt nicht durch. Vorweg ist festzuhalten, dass es sich dabei gemäss dem bei den Akten liegenden Zonenplan im Verhältnis zum gesamten Bauzonengebiet um ausgedehnte Flächen handelt. Sodann lässt sich gegen das Verbot derartiger Ladengeschäfte in Wohnzonen nichts einwenden. Solche Zentren gehören allein schon im Hinblick auf das zu erwartende Verkehrsaufkommen nicht in eine reine Wohnzone. Die Erhaltung der Wohngebiete für ihren angestammten Nutzungszweck entspricht im übrigen einem anerkannten öffentlichen Interesse (
BGE 108 Ia 148
). Weiter ist es verständlich und durch genügende öffentliche Interessen der Ortsplanung (Wohnqualität, Immissionsschutz) ausgewiesen, wenn die Gemeinde Einkaufszentren in der Grösse von 200-500 m2 Netto-Ladenfläche nur in der Wohn-Gewerbezone D und nicht auch in der Wohn-Gewerbezone E mit geringerem Nutzungsmass (vgl. Art. 81 BauG) zulassen möchte. Man bedenke, dass sich Celerina/Schlarigna wie die meisten übrigen Engadiner Orte durch kleinräumige, enge Verhältnisse auszeichnet. Ebensowenig gehört ein entsprechendes Einkaufszentrum, das primär der Orts- und Quartierbevölkerung dienen soll, in die reine Gewerbezone, in der nur Wohnbauten für
BGE 109 Ia 264 S. 272
Abwarts- und Betriebspersonal erstellt werden dürfen, dessen ständige Anwesenheit im Betrieb erforderlich ist (Art. 68 BauG). Die Gemeinde weist in ihrer Vernehmlassung mit überzeugenden Argumenten darauf hin, dass diese Zone den Gewerbebetrieben vorbehalten sein sollte, welche wegen der Emissionen, die sie verursachen, nicht in einer Wohnzone untergebracht werden können.
Es ergibt sich somit, dass im Lichte der abstrakten Normenkontrolle und mit Rücksicht auf die lokalen Verhältnisse auch die Vorschriften über die Ortszentren als haltbar bezeichnet werden können. Bei dieser Sach- und Rechtslage erweisen sich auch die von den Beschwerdeführerinnen zu Art. 63b Abs. 1 BauG erhobenen allgemeinen Einwände gegen den Einbezug von Geschäften des Detailhandels in der Grössenordnung von 200 bis 1000 m2 Verkaufsfläche in die Sonderordnung für Einkaufszentren als unbegründet.
d) Die Vorschriften von Art. 63c Abs. 2, Art. 63g und Art. 63h BauG sind nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen überflüssig, da alle ihre Ziele durch die bestehenden Bestimmungen des Baugesetzes bereits hinreichend sichergestellt seien. Dem ist entgegenzuhalten, dass, selbst wenn die Gemeinde die von ihr verfolgten öffentlichen Interessen allein bei der Anwendung der ordentlichen Bauvorschriften wahren könnte, dies nicht dazu führen würde, dass im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle die Sondervorschriften aufzuheben wären. Soweit diese wiederholen, was ohnehin gilt, sind sie gewiss nicht unzulässig. Soweit sie aber strengere Anforderungen aufstellen - und dies tun sie hinsichtlich der Quartierplanpflicht -, sind sie durch ein ausreichendes öffentliches Interesse gedeckt, ohne dass die Beschwerdeführerinnen benachteiligt werden. Man beachte, dass Art. 63g Abs. 2 BauG es zulässt, auf das Erfordernis eines Quartierplanes zu verzichten, was eine verfassungskonforme Anwendung erlaubt. Beigefügt sei, dass die Gemeinde darauf zu achten haben wird, insbesondere bei kleinen Einkaufszentren, von der Bauherrschaft keine übermässigen Erschliessungskosten zu verlangen. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a8d5dcf2-a7c0-43f0-95c0-42dcc2e23b52 | Urteilskopf
112 Ib 170
30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Juli 1986 i.S. X. gegen V., Gemeinde Klosters-Serneus und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde und Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
1.
Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG
,
Art. 103 lit. a OG
; Legitimation des Nachbarn.
Art. 103 lit. a OG
stellt eine Minimalvorschrift für das kantonale Rechtsmittelverfahren in Streitigkeiten des Bundesverwaltungsrechts dar (E. 5a).
Nachbarn sind legitimiert, das ihnen missliebige Bauvorhaben mit der Begründung anzufechten, es verstosse gegen
Art. 24 RPG
und gegen den bundesrechtlich gewährleisteten Schutz des Waldes (E. 5b).
2. Beginn der Beschwerdefrist.
Werden in einem Baubewilligungsverfahren Einsprachen gegen ein Bauvorhaben mit dem Hinweis auf andere bereits erteilte Bewilligungen (wie Ausnahmebewilligung i.S. von
Art. 24 RPG
, Rodungsbewilligung) abgewiesen, beginnt die Beschwerdefrist gegen diese besonderen Bewilligungen auch erst mit der Eröffnung des Einspracheentscheides zu laufen, sofern die Einsprecher nicht vorher in verbindlicher Weise davon Kenntnis hatten (E. 5c).
3.
Art. 4 BV
, formelle Rechtsverweigerung; Heilung.
Voraussetzungen, unter welchen im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens geheilt werden können (E. 5e). | Sachverhalt
ab Seite 172
BGE 112 Ib 170 S. 172
V. erhielt am 14. Juni 1982 die Baubewilligung für die Erstellung eines Wohnhauses auf Parzelle Nr. 1578 im Gebiet Mutta in Klosters. Die Bewilligung enthielt für die Erschliessung folgenden Vorbehalt:
"Bezüglich der verkehrsmässigen Erschliessung des Baugrundstückes hat
die Bauherrschaft vor Beginn der Bauarbeiten den Nachweis zu erbringen,
dass für die Erstellung der vorgesehenen Zufahrt über Planätsch bis zur
Bauparzelle Nr. 1578 eine rechtskräftige Rodungsbewilligung vorliegt bzw.
eine solche nicht erforderlich ist oder dass eine andere, den Anforderungen
von Art. 11 BauG entsprechende Zufahrt besteht."
Da V. die für die Erschliessung über Planätsch erforderliche Rodungsbewilligung für ca. 80 m2 Wald nicht erhielt, was vom Bundesgericht mit Urteil vom 21. März 1984 geschützt wurde, bemühte sie sich um die Erstellung einer Zufahrt über den privaten Muttaweg. Mit Vorentscheid vom 21. August 1984 bezeichnete die Gemeinde Klosters-Serneus die Zufahrt zur Parzelle Nr. 1578 über den Muttaweg als genügend. V. erlangte hierauf von der Regierung des Kantons Graubünden am 5. November 1984 die Bewilligung zur Rodung einer Waldfläche von 30 m2, welche für die Erstellung des Anschlusses an den Muttaweg benötigt wird. Anschliessend erwarb sie von den Eigentümern des privaten Muttawegs das erforderliche Wegrecht. Hierauf ersuchte sie die Baubehörde Klosters um die definitive Baubewilligung.
In dem hiefür durchgeführten Baubewilligungsverfahren erhoben mehrere Eigentümer von Liegenschaften der näheren und weiteren Umgebung Einsprache. Die Einwendungen wurden von der Gemeinde abgewiesen mit dem Hinweis darauf, dass das kantonale Departement des Innern und der Volkswirtschaft die Bewilligung für die Erstellung des ausserhalb der Bauzone gelegenen Teils des Muttawegs erteilt habe. Die Einsprecher gelangten mit Rekurs an das kantonale Verwaltungsgericht. Nachdem eine Delegation des Gerichts einen Augenschein durchgeführt hatte, wies es den Rekurs ab, soweit es darauf eintrat.
Ein Teil der Einsprecher fechten den Entscheid des Verwaltungsgerichts u.a. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
BGE 112 Ib 170 S. 173
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bringen die Beschwerdeführer in formeller Hinsicht vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ihre Legitimation zur Rüge der Verletzung von
Art. 24 RPG
sowie des Eidgenössischen Forstrechts verneint.
a) Wie die Beschwerdegegner zutreffend anerkennen, hätte das Verwaltungsgericht in der Tat das Recht der Beschwerdeführer zur Beschwerde gegen die nach
Art. 24 RPG
erteilte Baubewilligung nicht mit der Begründung verweigern dürfen,
Art. 24 RPG
habe keine den Nachbarn schützende Funktion. Gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Bewilligungen nach
Art. 24 RPG
ist die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben (
Art. 34 Abs. 1 RPG
). Die Kantone dürfen im vorangehenden kantonalen Verfahren keine strengeren Legitimationsanforderungen stellen, da
Art. 103 lit. a OG
eine Minimalvorschrift für das kantonale Rechtsmittelverfahren in Streitigkeiten des Bundesverwaltungsrechts darstellt (
BGE 109 Ib 216
E. 2b;
BGE 108 Ib 95
E. 3b bb mit Verweisungen). Ausserdem gebietet
Art. 33 RPG
ausdrücklich, dass die Kantone gegen Verfügungen, die sich auf das Raumplanungsgesetz und seine kantonalen Ausführungsbestimmungen stützen, die Legitimation mindestens im gleichen Umfange wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu gewährleisten und die volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde sicher zu stellen haben.
Auf die Rügen, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht werden können (
Art. 104 OG
), hat daher das Verwaltungsgericht einzutreten, sofern sie von einem Beschwerdeführer rechtzeitig erhoben werden, der im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung besitzt. Ob dies im vorliegenden Falle zutrifft, ist nachfolgend zu prüfen.
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin sind die Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
berührt, und sie haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung. Das Rechtsschutzinteresse ist prozessrechtlich zu verstehen und besteht unabhängig davon, ob ein Beschwerdeführer aus dem materiellen Recht für sich eine Schutzwirkung herleiten kann (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 152 f., S. 158 Ziff. 4.3). Nachbarbeschwerden gegen Baubewilligungen zählen zu den typischen Tatbeständen
BGE 112 Ib 170 S. 174
von Drittbeschwerden, auf welche grundsätzlich einzutreten ist (FRITZ GYGI, a.a.O., S. 158 Ziff. 4.3.1).
Dass die Beschwerdeführer als Nachbarn "berührt" sind, ergibt sich bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht auf ihre Beschwerde eingetreten ist, soweit sie eine Verletzung der kommunalen Erschliessungsanforderungen geltend gemacht haben. Die umstrittene Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
bildet Teil der Erschliessung der zu überbauenden Liegenschaft. Ausserdem grenzen die Grundstücke der Beschwerdeführer an diese Parzelle bzw. an den umstrittenen Abschnitt des zu verlängernden Muttaweges. Die von der Rechtsprechung geforderte "besondere, beachtenswerte, nahe Beziehung zur Streitsache" (
BGE 111 Ib 160
mit Hinweisen) ist damit gegeben. Die Beschwerdeführer sind demgemäss berechtigt, das ihnen missliebige Bauvorhaben mit der Begründung anzufechten, es verstosse gegen
Art. 24 RPG
und gegen den bundesrechtlich gewährleisteten Schutz des Waldes (
BGE 110 Ib 147
E. 1b;
BGE 109 Ib 200
E. 4b, je mit Verweisungen). Eine rechtsmissbräuchliche Beschwerdeführung kann ihnen unter diesen Umständen nicht vorgeworfen werden.
c) Der Auffassung der Regierung, die vom Departement des Innern und der Volkswirtschaft erteilte Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
sei formell rechtskräftig geworden, kann nicht zugestimmt werden. Diese Bewilligung ist den Beschwerdeführern nicht eröffnet worden. Sie haben von ihr, wie das Bundesamt für Raumplanung in seiner Vernehmlassung zutreffend festhält, in verbindlicher Weise erst mit der Eröffnung des Entscheides der Gemeinde Klosters vom 5. September 1985 Kenntnis erhalten. In diesem Entscheid, mit welchem die Einsprachen der Beschwerdeführer im Sinne der Erwägungen abgewiesen wurden, wird sowohl auf die Verfügung des Departements des Innern und der Volkswirtschaft vom 9. August 1985 als auch auf die regierungsrätliche Rodungsbewilligung vom 5. November 1984 verwiesen. Der Entscheid enthält ausserdem die Rechtsmittelbelehrung, er könne innert 20 Tagen nach Mitteilung beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Rekurs angefochten werden.
Unter diesen Umständen geht auch der Einwand der privaten Beschwerdegegnerin fehl, die Rüge, die Rodungsbewilligung sei zu Unrecht erteilt worden, sei verspätet. Die Beschwerdeführer haben gegen das die verkehrsmässige Erschliessung betreffende Projektänderungsgesuch fristgerecht Einsprache erhoben, wobei sie unter anderem geltend machten, das Bauvorhaben verletze die Bestimmungen
BGE 112 Ib 170 S. 175
des Forstrechts. Die Beschwerdeführer durften bei dieser Sachlage einen rekursfähigen Entscheid über ihre Einwendungen erwarten. Diesen erhielten sie - wie dargelegt - erst mit der Eröffnung des Entscheides des Vorstandes der Gemeinde Klosters-Serneus vom 5. September 1985.
d) Das Verwaltungsgericht hätte somit auf den Rekurs der Beschwerdeführer eintreten müssen, soweit mit ihm eine Verletzung von Bundesverwaltungsrecht geltend gemacht wurde. Als verspätet ist einzig der Einwand zu bezeichnen, das Bauvorhaben verstosse gegen die Vorschriften über den Waldabstand. Die Bewilligung für den Neubau wurde bereits mit dem Entscheid vom 14. Juni 1982 erteilt.
e) Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren können ausnahmsweise Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens geheilt werden. Doch ist dies grundsätzlich nur möglich, wenn dem Bundesgericht die gleiche volle Kognition wie der Vorinstanz zusteht (
BGE 105 Ia 51
E. 2c;
BGE 105 Ib 174
, je mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht ist einzige Beschwerdeinstanz gegen die vom Departement des Innern und der Volkswirtschaft erteilte Ausnahmebewilligung im Sinne von
Art. 24 RPG
. Gemäss
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
hat es demgemäss - wie bereits erwähnt - eine volle Überprüfung des angefochtenen Entscheids vorzunehmen. Dem Bundesgericht steht zwar ebenfalls eine freie Überprüfungsbefugnis hinsichtlich der als verletzt gerügten bundesrechtlichen Normen zu, doch auferlegt es sich Zurückhaltung bei der Würdigung der örtlichen Verhältnisse. Die Kognition des Bundesgerichts ist daher enger als diejenige des Verwaltungsgerichts. Auch ist das kantonale Gericht, das bereits einen Augenschein durchgeführt hat, besser als das Bundesgericht in der Lage, zu prüfen, ob die Einwendungen der Beschwerdeführer, die Zufahrt könne in das Baugebiet verlegt werden, ohne dass Waldareal in Anspruch genommen werden müsse, begründet sind. Sollte dies zutreffen, was auch unter dem Gesichtspunkt einer allfälligen Grenzbereinigung nach Art. 44 des bündnerischen Raumplanungsgesetzes zu prüfen ist, so würde in der Tat die erforderliche Standortbedingtheit für das ausserhalb der Bauzone verlaufende Teilstück der Zufahrt fehlen. Desgleichen wäre es in diesem Falle nicht gerechtfertigt, für die private Zufahrt zu einem Ferienhaus eine Fläche von 30 m2 hochstämmigen Schutzwaldes zu roden.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen und die Sache zur materiellen Prüfung der Einwendungen der
BGE 112 Ib 170 S. 176
Beschwerdeführer dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden zu überweisen. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
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