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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
a5b87c90-eb77-42be-8ec2-5011c658d737 | Urteilskopf
113 Ia 291
46. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Juni 1987 i.S. Dora Geissberger gegen Gemeinderat Kleinandelfingen und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; Finanzierung von Wahlinseraten der Parteien durch das Gemeinwesen.
1. Aus dem vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleisteten politischen Stimmrecht folgt unter anderem, dass jeder Stimmbürger, welcher die als verfassungskonform anerkannten Voraussetzungen erfüllt, mit gleichen Chancen an einer Wahl soll teilnehmen können. Dabei soll er seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können.
Bedeutung der grundrechtlichen Garantien der Kommunikation und der Vereinigung für diesen Prozess (E. 3a); staatliches Handeln als Bedingung möglicher Verwirklichung dieses Zieles (E. 3a); verfassungsrechtliche Voraussetzungen und Anforderungen an eine direkte oder indirekte Intervention des Staates im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen (E. 3b und c).
2. Die Publikation von Wahlinseraten der Parteien ist geeignet, die Meinungsbildung der Wähler zu beeinflussen (E. 3d). Übernimmt die Gemeinde die Insertionskosten, so stellt dies eine indirekte Intervention in den Wahlkampf dar (E. 3e). Diese lässt sich weder mit Hinweis auf die Notwendigkeit der Partei- und Fraktionsfinanzierung noch mit einer Berufung auf die im schweizerischen Staatsverständnis verankerte Idee der Konkordanz rechtfertigen (E. 3f).
3. Sanktion: Die zu den Sachabstimmungen entwickelten Grundsätze gelten auch bei behördlichen Eingriffen im Vorfeld von Wahlen (E. 4a); im vorliegenden Fall ist die Beschwerde wegen der Schwere des festgestellten Mangels gutzuheissen (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 293
BGE 113 Ia 291 S. 293
Der Gemeinderat Kleinandelfingen beschloss am 28. März 1973
"...künftig Wahlinserate für Gemeindewahlen unter folgenden Voraussetzungen auf die Gemeindekasse zu übernehmen:
1. Der Wahlvorschlag muss von organisierten Ortsparteien (BGB/SP/FDP) gemeinsam unterstützt sein.
2. Der Vorschlag ist der Gemeinderatskanzlei schriftlich bis spätestens 10 Tage vor dem Wahltag einzureichen.
3. Die Publikation erfolgt durch die Gemeinderatskanzlei in der Andelfinger Zeitung und im Weinländer Tagblatt, je in den Ausgaben vom Mittwoch und Freitag vor dem Abstimmungstag.
4. Kampfinserate und Stützungsinserate werden von der Gemeinde nicht übernommen."
Am 16. März 1986 fanden in Kleinandelfingen die Gesamterneuerungswahlen u.a. für den siebenköpfigen Gemeinderat statt. Aufgrund von Gesprächen unter den traditionellen Parteien (SVP, SP, FDP) sowie je einer öffentlichen, für jedermann zugänglichen Wählerversammlung in Alten und Oerlingen kam ein gemeinsamer Vorschlag von 7 Kandidaten zustande, davon zwei bisherige und fünf neue Behördemitglieder. Zusätzlich kandidierte Dora Geissberger allein; sie gehörte keiner Partei an. Sie hatte sich auf die vom Präsidenten der Sektion Kleinandelfingen der SVP einberufene öffentliche Wählerversammlung in Alten vom 8. Januar 1986 hin vergeblich telefonisch bei ihm um die Aufnahme auf die gemeinsame Liste bemüht; an der Versammlung selber nahm sie nicht teil.
BGE 113 Ia 291 S. 294
Die Gemeinde publizierte auf Begehren der drei erwähnten Ortsparteien und der EVP zulasten der Gemeindekasse die gemeinsamen Wahlvorschläge für alle Behörden, darunter diejenigen für die sieben Gemeinderatssitze, dreimal je in der "Andelfinger Zeitung" und im "Weinländer Tagblatt", nämlich am 7., 12. und 14. März 1986. Die Aufnahme von Dora Geissberger in die Inserate wurde trotz rechtzeitigen Gesuchs mit der Begründung abgelehnt, "dies gehe nur über die Parteien". Stützungs- und Kampfinserate würden nicht unterstützt.
Die sieben Kandidaten des gemeinsamen Vorschlages wurden bei einem absoluten Mehr von 258 Stimmen mit 385 bis 567 Stimmen gewählt. Dora Geissberger erzielte 196 Stimmen.
Eine Beschwerde wegen Verletzung des Stimmrechts von Dora Geissberger wies der Bezirksrat Andelfingen am 27. Juni 1986 ab; er gab der Eingabe auch aufsichtsrechtlich keine Folge. Hierauf gelangte Dora Geissberger an den Regierungsrat des Kantons Zürich und beantragte, sowohl den Gemeinderatsbeschluss vom 28. März 1973 wie auch die Gemeinderatswahlen vom 16. März 1986 zu kassieren. Der Regierungsrat wies den Rekurs am 15. Oktober 1986 ab. Dora Geissberger beantragt mit einer staatsrechtlichen Beschwerde im Sinne von
Art. 85 lit. a OG
, der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 15. Oktober 1986 sei aufzuheben.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
3.
a) Das politische Stimmrecht ist ein vom Bundesrecht gewährleistetes verfassungsmässiges Recht. Es gibt dem Stimmbürger unter anderem Anspruch darauf, dass kein Wahl- oder Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (
BGE 112 Ia 211
E. 1b mit Hinweis sowie
BGE 102 Ia 268
E. 3;
BGE 97 I 662
E. 3). Daraus folgt, dass jeder Stimmbürger, der die als verfassungskonform anerkannten Voraussetzungen erfüllt, mit gleichen Chancen an einer Wahl soll teilnehmen können, sei es als Wähler oder als Kandidat. Zudem soll er seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können. Im Blick auf dieses Ziel demokratischer Willensbildung und Willensbetätigung erweisen sich die grundrechtlichen Garantien der Kommunikation und der Vereinigung
BGE 113 Ia 291 S. 295
nicht nur als verfassungsrechtliche Bedingungen möglicher Verwirklichung aller elementaren Erscheinungen menschlicher Persönlichkeitsentfaltung, sondern auch als solche einer lebendigen Demokratie (vgl. dazu
BGE 107 Ia 69
E. 3b;
BGE 98 Ia 80
E. 3b,
BGE 96 I 224
E. 4, 592 E. 6; JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, Bern 1985, S. 75 f.; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Demokratie, EuGRZ 1983, S. 337 ff., 338, und aus der Sicht der EMRK: MARTIN BULLINGER, Freedom of expression and information: an essential element of democracy, Human Rights Law Journal, 6/1985, S. 339 ff.). Das Recht freier Meinungsäusserung, die Pressefreiheit sowie die Versammlungs- und Vereinsfreiheit, um nur die wichtigsten Gewährleistungen zu nennen, lassen auch Minderheitsmeinungen zum Tragen kommen, fördern den Pluralismus und eröffnen erst so eine Chance zur demokratischen Entscheidung (vgl. dazu JÖRG PAUL MÜLLER, a.a.O., S. 338; RENÉ A. RHINOW, Grundprobleme der schweizerischen Demokratie, ZSR NF Bd. 103, 1984, II, S. 111 ff., 255, MARTIN BULLINGER, a.a.O., S. 342 f.). Im Idealfall soll der Bürger alle Informationen über alle möglichen Kandidaten bei voller Chancengleichheit unter ihnen äussern, verbreiten, diskutieren, die Vor- und Nachteile erwägen können und erst gestützt darauf entscheiden. Das Wahlrecht kann indessen nicht ausgeübt werden, ohne dass der Staat die institutionellen Voraussetzungen dazu schafft und angesichts sozialer Realitäten diejenigen Bedingungen setzt, welche eine möglichst weitgehende Verwirklichung der Stimmrechtsfreiheit sichern.
b) Dass der Staat derart tätig werden muss, bedeutet indessen nicht, dass er dabei frei wäre. Die Freiheit der Meinungsbildung schliesst grundsätzlich jede direkte Einflussnahme der Behörden aus, welche geeignet wäre, die freie Willensbildung der Stimmbürger im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen zu verfälschen (
BGE 112 Ia 335
E. 4b mit Hinweis; vgl. auch Urteil vom 24. November 1982 i.S. Pfenninger, E. 3, veröffentlicht in BVR 1983, S. 1 ff., S. 4 f.;
BGE 108 Ia 157
E. 3b mit Hinweis; Urteil vom 11. Mai 1979 i.S. Bauert, in der amtlichen Sammlung (
BGE 105 Ia 243
ff.) nicht veröffentlichte E. 3, publiziert im ZBl 81/1980, S. 21, sowie ANDREAS AUER, L'intervention des collectivités publiques dans les campagnes référendaires, Revue de droit administratif et de droit fiscal, 41/1985, S. 185 ff., S. 187 ff., mit weiteren Hinweisen auf die Literatur). Bei Sachabstimmungen gilt es immerhin als zulässig, dass eine Behörde ihre Sachvorlagen
BGE 113 Ia 291 S. 296
den Stimmberechtigten zur Annahme empfiehlt und Erläuterungen oder Berichte dazu beilegt, sofern sie dabei ihre Pflicht zu objektiver Information nicht verletzt und über den Zweck und die Tragweite der Vorlage nicht falsch orientiert (
BGE 112 Ia 131
E. 1, 335 E. 4b; je mit Hinweisen). Weitergehende direkte Interventionen in den Abstimmungskampf über eigene Vorlagen, d.h. Stellungnahmen für eine oder gegen eine andere Alternative, sind nur ausnahmsweise erlaubt. Solches behördliches Eingreifen muss sich auf Fälle beschränken, in denen triftige Gründe für ein Tätigwerden der Behörde sprechen. Triftig sind Gründe für eine zusätzliche Information, Klarstellung usw. nur dann, wenn sie im Interesse einer unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Stimmbürger als notwendig erscheinen und so gewichtig sind, dass sie die Interessen an der freien, unbeeinflussten Meinungsbildung überwiegen (
BGE 112 Ia 336
f. E. 4d mit Hinweisen).
Anders als bei Sachabstimmungen fehlen bei Wahlen meist solche besonderen Gründe, die einen behördlichen Eingriff in den Prozess der freien Meinungsbildung rechtfertigen würden. Behördliche Wahlpropaganda ist grundsätzlich unzulässig (Urteil vom 8. Juli 1964 i.S. Beuttner, E. 2, veröffentlicht im ZBl 66/1965, S. 245 ff., S. 247 mit Hinweis; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Neuchâtel 1967, Nr. 1218, S. 448; ANDREAS AUER, a.a.O., S. 196; WERNER STAUFFACHER, Die Stellung der Behörden im Wahl- und Abstimmungskampf, im ZBl 68/1967, S. 385 ff., S. 386; VITO PICENONI, Die Kassation von Volkswahlen und Volksabstimmungen in Bund, Kantonen und Gemeinden, Aarau 1945, S. 76 f.). Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die (Wieder-)Wahl der betreffenden Behörde selber geht oder wenn Kampfkandidaten auftreten (ANDREAS AUER, a.a.O., S. 196). Bei Wahlen kommt den Behörden keine Beratungsfunktion zu wie bei Sachentscheiden. Hier haben sie nicht von Rechts wegen mitzuwirken und ihre Auffassung der öffentlichen Interessen zu wahren. Es ist zu verhindern, dass sich der Staat im Wahlkampf auch nur indirekt in den Dienst parteiischer Interessen stellt. Demzufolge haben sich die Behörden parteipolitisch neutral zu verhalten und dürfen sich nicht mit einzelnen Gruppen oder Richtungen identifizieren (vgl. dazu auch
BGE 110 Ia 38
E. 3a). Eine Intervention kommt auch hier - wenn überhaupt - nur in Frage, wenn sie im Interesse der freien und unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler als unerlässlich erscheint. So kann z.B. eine Richtigstellung offensichtlich falscher
BGE 113 Ia 291 S. 297
Informationen, die im Verlauf eines Wahlkampfes verbreitet werden, als zulässig erscheinen. Indessen dürfte eine Behörde bei dieser Gelegenheit nicht gleichzeitig Wahlpropaganda für sich selbst, für ihre Mitglieder oder für andere Kandidaten machen oder den politischen Gegner verunglimpfen (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. März 1979 i.S. Demierre; vgl. auch VITO PICENONI, a.a.O., S. 77, sowie WERNER STAUFFACHER, a.a.O., S. 386).
c) Die Gemeinde Kleinandelfingen hat nicht durch Wahlpropaganda direkt interveniert, sondern nur mittelbare Hilfeleistung erbracht, indem sie öffentliche Gelder zur Verfügung stellte. Solche indirekte Unterstützung durch eine Behörde ist nicht von vornherein verboten. Im Gegenteil, die Gemeindeorgane sind bereits aufgrund des kantonalen Rechts verpflichtet, zur ordnungsgemässen Durchführung der Wahl gewisse Aufgaben wahrzunehmen, z.B. Wahlvorschläge zu veröffentlichen und Wahlzettel zu drucken und zu verteilen (vgl. Gesetz über die Wahlen und Abstimmungen (Wahlgesetz) vom 4. September 1983, insbesondere § 55 Abs. 2, § 56 und § 60). Auch kann es aufgrund von Bundesverfassungsrecht geboten sein, öffentlichen Grund für die politische Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen (
BGE 105 Ia 95
E. 4a;
BGE 97 I 893
ff.; vgl. auch PETER SALADIN, Grundrechte im Wandel, 3. Auflage, Bern 1982, S. XXI ff.; GIORGIO MALINVERNI, L'exercice des libertés sur le domaine public, Mélanges André Grisel, Neuchâtel 1983, S. 145 ff.). Zu Recht verweist der Kanton in seiner Vernehmlassung auf ein gewisses Bedürfnis nach behördlichen Anstössen auch vor Wahlen hin, um überhaupt Kandidaten zu gewinnen. Auch verbietet das Verfassungsrecht des Bundes nicht, Parteien und ihre Fraktionen finanziell oder anderweitig zu unterstützen, ja solche Massnahmen können sich heute im Interesse einer lebendigen Demokratie geradezu als notwendig erweisen (vgl. dazu z.B. PETER HUG, Die verfassungsrechtliche Problematik der Parteienfinanzierung, Zürich 1970, S. 49 ff.; RENÉ A. RHINOW, Funktionen und Probleme der politischen Parteien in der Schweiz, recht 1986, S. 105 ff., S. 109 f.; GERHARD SCHMID, Politische Parteien, Verfassung und Gesetz, Basel/Frankfurt a. M. 1981, S. 10 ff., S. 81 ff.; GERHARD SCHMID, Parlament und Parteien in der Schweiz, Jahrbuch des öffentlichen Rechts, NF Bd. 31, 1982, S. 169 ff., S. 185 ff.). Erfolgen solche Hilfeleistungen indessen im Rahmen eines Wahlkampfes, so sind sie wie direkte Interventionen nur zulässig, wenn sie sich in bezug auf die Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler als klarerweise neutral erweisen oder,
BGE 113 Ia 291 S. 298
falls dies nicht zutrifft, wenn sie im Interesse eines unverfälschten Wahlergebnisses notwendig sind. Zudem dürfen solche Massnahmen auch sonst nicht unverhältnismässig oder rechtsungleich und willkürlich sein.
d) Die Publikation von Wahlinseraten ist nicht nur geeignet, die Meinungsbildung der Wähler zu beeinflussen, sondern es ist geradezu ihr Zweck, diese Wirkung zu entfalten. Die Übernahme der Insertionskosten durch die Gemeinde Kleinandelfingen kann deshalb keinesfalls als eine gegenüber dem Wahlkampf neutrale Massnahme bezeichnet werden. Daran ändert auch der Einwand der Gemeinde nichts, ihre Hilfe sei mit lediglich Fr. 470.-- pro Gemeinderatskandidat, bzw. Fr. 58.75 bei Umrechnung auf alle Kandidaten, die damals in der Gemeinde zur Wahl standen, unbedeutend. Es ist gerichtsnotorisch, dass die Parteien zur Finanzierung ihrer Wahlkämpfe nur über beschränkte Mittel verfügen. Unter diesen Umständen kann bereits eine geringe Unterstützung wesentlich sein, können doch die dadurch frei werdenden Mittel für andere Aktionen eingesetzt werden.
e) Der Kanton bestreitet, dass man von einer Intervention durch eine Behörde sprechen dürfe. Es sei für den Bürger ja erkennbar gewesen, dass es sich um Inserate der Parteien handle. Nur diese hätten unterschrieben. Dem kann nicht zugestimmt werden. Richtig ist, dass die Wahlvorschläge nur von den Ortsparteien unterzeichnet waren und dass aus den Inseraten selbst nicht ersichtlich war, dass die Gemeinde ihre Bezahlung übernommen hatte. Indessen bleibt eben gerade diese Tatsache bestehen. Es handelt sich somit im vorliegenden Fall klarerweise um eine indirekte Intervention einer Behörde im eigenen Wahlkampf. Dabei spielt keine Rolle, ob sie den Wählern allgemein bekannt war oder nicht. Sowohl im einen wie im anderen Fall war sie geeignet, die freie Meinungsbildung zu beeinflussen. Da die fraglichen Inserate den Anschein erweckten, die dafür verantwortlich zeichnenden Parteien hätten sie auf eigene Kosten erscheinen lassen, muss in der Nichtinformation über die tatsächlichen Verhältnisse eine für den Wahlausgang relevante Falschinformation gesehen werden. Andererseits hätte bei Bekanntgabe der Finanzierung der Eindruck entstehen können, die Gemeinde identifiziere sich mit einzelnen Gruppierungen, was im Blick auf das politische Stimmrecht des Bürgers, wie es durch die Bundesverfassung gewährleistet wird, auch als unzulässig zu betrachten
BGE 113 Ia 291 S. 299
f) Der Kanton und die Gemeinde Kleinandelfingen beurteilen die Finanzierung von Wahlempfehlungen der Parteien als einen Sonderfall der Partei- und Fraktionsfinanzierung. Eine solche sei grundsätzlich zulässig. Dass die Beschwerdeführerin als parteiunabhängige Person nicht unterstützt worden sei, lasse sich vertreten. Es liege im Wesen der Parteifinanzierung, dass nur formierte Gruppen auf sie Anspruch erheben könnten, nicht aber der einzelne Bürger. Die Finanzierung würde sonst uferlos. Auch liege der Sinn der Parteifinanzierung nicht zuletzt darin, die politisch interessierten Bürger anzuhalten, sich zu Gruppen zusammenzuschliessen, denen ein gewisses politisches Gewicht zukomme und die damit in der Lage seien, einen massgebenden Einfluss auf das politische Geschehen auszuüben. Diese Begründung gibt zu Bedenken Anlass:
aa) Kanton und Gemeinde verkennen, dass die zu beurteilende Inseratenfinanzierung im Rahmen eines Wahlkampfes erfolgte. Für solche Massnahmen aber gelten aufgrund der Verfassung besonders strenge Bedingungen (vgl. E. 3b und c). Es ist fraglich, ob sich die Übernahme der Insertionskosten durch die Gemeinde im Blick auf das politische Stimmrecht der Bürger rechtfertigen lässt. Der Regierungsrat des Kantons Zürich macht in seiner Vernehmlassung geltend, Anregungen der Gemeinden erfolgten nicht nur von Alters her, sondern seien auch unerlässlich, um Kandidaten überhaupt zu gewinnen, sie hinreichend bekannt zu machen und dem Bürger eine sinnvolle Auswahl unter ihnen zu ermöglichen. Auch wenn diesem Anliegen durchaus ein gewisses Verständnis entgegengebracht werden kann, so muss der Entscheid trotzdem davon abhängen, ob und wieweit die indirekte Unterstützung in ihren materiellen Wirkungen einer verbotenen inhaltlichen Einflussnahme gleichkommt. Massgebend ist, ob die tatsächlich bewirkte Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Kandidaten durch triftige Gründe gerechtfertigt wird, welche die Interessen an einer freien, von staatlichen Interventionen unbeeinflussten Meinungsbildung überwiegen. Die eingesetzten Mittel müssen gemessen an diesen Anliegen verhältnismässig, d.h. insbesondere für die Zielerreichung unerlässlich sein und dürfen die freie Meinungsbildung nur soweit beeinträchtigen, als dies unbedingt notwendig erscheint. Zudem müssen sie die Chancengleichheit des Kandidaten wahren.
bb) Unzulässig ist die Beschränkung auf organisierte Ortsparteien. Der Hinweis auf die Fraktionsfinanzierung stimmt sachlich
BGE 113 Ia 291 S. 300
nicht. Die Gemeinde Kleinandelfingen ist nicht in der Form der repräsentativen Demokratie organisiert. Sie verfügt weder über ein Gemeindeparlament noch über Fraktionen, die für die Erfüllung bestimmter Funktionen im Parlamentsbetrieb zu entschädigen wären.
cc) Eine finanzielle Unterstützung der Parteien durch den Staat kann die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben erleichtern und ihnen eine gewisse Unabhängigkeit von Spendern sichern (PETER HUG, a.a.O., S. 84 ff.; GERHARD SCHMID, Politische Parteien, Verfassung und Gesetz, Basel/Frankfurt a. M. 1981, S. 117). Indessen sind die Grenzen zu beachten, welche sich aus dem verfassungsmässigen Recht des Bürgers auf eine unverfälschte Meinungsbildung einerseits und der Rechtsgleichheit andererseits ergeben. Die Gemeinde Kleinandelfingen hat den etablierten Parteien Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen für und damit auch gegen einzelne Kandidaten Stellung bezogen wurde. Die Kandidatur der Beschwerdeführerin, welche als Nichtparteimitglied von den Unterstützungsinseraten ausgeschlossen war, wurde dadurch erschwert. Diese Ausschlusswirkung widerspricht dem Prinzip der Offenheit des Wahlsystems und ist geeignet, das Wahlergebnis selbst zu beeinflussen. Zudem wird dadurch die Chancengleichheit aller Kandidaten verletzt, ohne dass dies durch überwiegende Gründe zu rechtfertigen wäre.
dd) Der Kanton anerkennt, dass die Auflage, sich auf eine gemeinsame Liste zu einigen, einen Druck zum Konsens, zur Konkordanz ausübt. Dies sei gerechtfertigt. Das Konkordanzprinzip sei dem kantonalen Recht nicht unbekannt, so im Institut der stillen Wahl, die meistens eine ausdrückliche oder stillschweigende Übereinkunft der Parteien voraussetze. Es könne nicht als widerrechtlich betrachtet werden, wenn die Gemeinde nur die Kandidaten unterstütze, welche durch eine breite Übereinkunft getragen werde. Andernfalls würden öffentliche Mittel dazu dienen, die Austragung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien zu finanzieren, was nicht dem Sinn der Parteifinanzierung entspreche. Es bestehe zudem ein öffentliches Interesse daran zu wissen, welche Kandidaten unbestritten seien. Im übrigen besitze die Gemeinde bei der Ausgestaltung der Parteifinanzierung, die im kantonalen Recht nicht geordnet sei, einen Spielraum eigenen Ermessens.
Konkordanz meint jenes Konfliktregelungsmuster, das die Entscheidung durch Verhandlungen und gütliches Einvernehmen unter
BGE 113 Ia 291 S. 301
den politischen Mächten von einigem Gewicht zustande bringt und damit der Konkurrenz und dem Mehrheitsentscheid ausweicht (AREND LIJPHART, The politics of accommodation, Berkeley/Los Angeles 1968, S. 103 ff.; LUZIUS WILDHABER, Vertrag und Gesetz - Konsensual- und Mehrheitsentscheid im schweizerischen Staatsrecht, ZSR NF Bd. 94, 1975, II, S. 113 ff., S. 133 ff.; RENÉ A. RHINOW, Grundprobleme der schweizerischen Demokratie, ZSR NF Bd. 103, 1984, II, S. 117 ff., S. 237 ff.).
Die Idee der Konkordanz hat im schweizerischen Staatsverständnis eine gewisse Anerkennung gefunden und in der Form des Proporzsystems, zum Teil verbunden mit einem Quorum (vgl. z.B.
BGE 103 Ia 603
ff.; ALFRED KÖLZ, Probleme des kantonalen Wahlrechts, ZBl 88/1987, S. 197 ff.), auch gerade für das Wahlrecht Bedeutung erhalten (GERHARD LEHMBRUCH, Proporzdemokratie, Tübingen 1967, S. 15 ff., S. 39 ff.). Konkordanzdenken vermag deshalb oft auch vor Wahlen zu privaten Absprachen sowie gegenseitigen Unterstützungsversprechen insbesondere unter Parteien führen. Trotzdem darf aber die Problematik dieses staatlichen Konfliktregelungsmusters und sein Spannungsverhältnis zum Konkurrenzprinzip nicht übersehen werden. Konkordanz verleiht den Etablierten, Bisherigen und bereits Organisierten ein Übergewicht und behindert die Opposition von Aussenseitern. Sie verstärkt die Tendenz der Bürger, sich emotional mit den traditionellen Trägern des politischen Lebens und den bestehenden Autoritäten zu identifizieren. Die freie Volkswahl ist indessen nicht nur rückwärtsgerichtete Bestätigung der bisherigen Machtverteilung, sondern soll über die künftige Stärke entscheiden. Eine chancengleiche Kandidatur muss demzufolge allen Bürgern offenstehen, welche die als verfassungskonform anerkannten Voraussetzungen dazu erfüllen. Eine behördliche Intervention im Rahmen des Wahlkampfes, welche diese Ausschlusstendenz noch verstärkt oder sogar direkt zur Folge hat, wo das positive Recht die offene Konkurrenz vorsieht, ist deshalb unzulässig. Das an sich berechtigte Anliegen, um der Leistungsfähigkeit des politischen Systems willen eine gewisse Konzentration der Kräfte zu fördern, wie dies der Regierungsrat verficht, vermag dagegen nicht aufzukommen.
g) Der Kern der Problematik des Gemeindebeschlusses von 1973 und der behördlichen Intervention im Rahmen des Wahlkampfes für die Gemeinderatswahl von 1986 liegt darin, dass er Kandidaten, welche nicht Mitglied einer der vier Parteien (SVP/FDP/SP/EVP) waren, vor die Alternative stellte, entweder
BGE 113 Ia 291 S. 302
einer dieser Parteien beizutreten, bzw. als Parteiloser auf ihren Listen Aufnahme zu finden, oder eine staatlich bewirkte Benachteiligung in ihren Chancen zu akzeptieren. Zwar ging es um geringe finanzielle Mittel; die Wirkung dieser Unterstützung aber reichte weit: Einerseits führte sie tatsächlich zum Ausschluss einer Aussenseiterin aus dem Unterstützungsinserat, welches von allen in der Gemeinde tätigen Parteien mit Hilfe der Gemeinde gemeinsam veröffentlicht wurde. Andererseits war die behördliche Massnahme gerade wegen dieser Wirkung geeignet, die freie Willensbildung der Wähler zu beeinträchtigen. Dies muss als schwerwiegender Eingriff in die Wahlfreiheit beurteilt werden, der sich durch keine triftigen Gründe rechtfertigen lässt.
Sowohl der Beschluss des Gemeinderates Kleinandelfingen von 1973 als auch die gestützt darauf erfolgte Finanzierung der Wahlinserate im Rahmen des Wahlkampfes für die Gemeinderatswahl von 1986 waren daher verfassungswidrig.
4.
Damit stellt sich die Frage nach der Sanktion.
a) Über die Auswirkungen des festgestellten Mangels bestimmt das kantonale Gesetz, dass die Behörde die Wahl aufhebt, wenn glaubhaft ist, die Unregelmässigkeit könne das Ergebnis der Wahl wesentlich beeinflussen, Abhilfe aber nicht mehr möglich ist (§ 131 Abs. 2 Wahlgesetz). Im wesentlichen gelten dieselben Grundsätze von Bundesrechts wegen:
Wenn sich der Mangel einer ziffernmässigen Ermittlung entzieht, so ist nach den gesamten Umständen zu beurteilen, ob eine Beeinflussung des Ergebnisses möglich sei oder nicht. Dabei ist insbesondere auf die Grösse des Stimmenunterschieds, die Schwere des festgestellten Mangels und auf dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung abzustellen. Erscheint die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht kommt, so kann von der Aufhebung des Urnenganges abgesehen werden. Rechtfertigt sich eine solche Beurteilung jedoch nicht, so ist der Mangel als erheblich zu erachten und die Abstimmung zu kassieren (
BGE 112 Ia 338
E. 5 mit Hinweis). Diese zur Sachabstimmung entwickelten Grundsätze gelten auch bei behördlichen Einwirkungen auf Wahlen (vgl.
BGE 107 Ia 217
ff.), eingeschlossen die Einwirkungen auf Wahlvorbereitungen (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. März 1979 i.S. Demierre, E. 5e). Die vermehrte Zurückhaltung bei rein privaten oder teilweise privaten Einflussnahmen (
BGE 102 Ia 269
E. 3;
BGE 98 Ia 83
E. 3c) spielt im vorliegenden
BGE 113 Ia 291 S. 303
Fall keine Rolle; dies um so mehr, als das kantonale Recht diese Differenzierung nicht kennt.
b) Im vorliegenden Fall lässt sich der Mangel zwar nicht quantitativ ermitteln, aber doch in seiner Bedeutung etwas näher erfassen. Die Beschwerdeführerin erreichte 196 Stimmen. Bezogen auf das absolute Mehr fehlten ihr 62 Stimmen. Wichtiger ist, dass sie weitere 190 Stimmen benötigt hätte, um den letztgewählten Kandidaten, der 385 Stimmen auf sich vereinigte, zu übertreffen. Das sind bezogen auf die eingegangenen 657 Wahlzettel 28,9%, auf alle 902 Stimmberechtigte 21% und auf die ferngebliebenen 245 Wähler 77,6%; die Stimmbeteiligung betrug 72,8%. Diese Differenz von 190 Stimmen ist gross; eine Wahl hätte praktisch eine Verdoppelung der Stimmen erfordert. Ein Viertel bis ein Drittel der Urnengänger hätte eine der sieben Stimmen anders abgeben müssen. Da die Stimmbeteiligung ohnehin bereits hoch war, wäre die Mobilisierung zusätzlicher Wähler schwer gefallen; zudem hätte dies auch den anderen Kandidaten genützt.
Der quantitative Unterschied ist so erheblich, dass die Wahl der Beschwerdeführerin nicht als wahrscheinlich bezeichnet werden kann. Der Entscheid hängt damit von einer qualitativen Würdigung der gesamten Umstände des Falles ab. Die behördliche Intervention wiegt hier - wie dargelegt - schwer. Dies gilt um so mehr, wenn der Gemeinderat in die Vorbereitung seiner eigenen Wahl eingreift, in der sogar noch zwei bisherige Behördemitglieder kandidieren. Die Einwände des Kantons gegen eine Aufhebung überzeugen nicht. Auf die Überschaubarkeit der Verhältnisse kann es nicht ankommen; die Inserate konnten durch die Beschränkung auf einen gemeinsamen Vorschlag der Parteien die Willensbildung der Wähler verfälschen. Der Regierungsrat selber gesteht der Beschwerdeführerin zu, sie habe einen bemerkenswerten Achtungserfolg erzielt. Nach der bundesgerichtlichen Formel genügt es zur Aufhebung, dass eine Beeinflussung des Ergebnisses als möglich erscheint. Nimmt man diese Formel ernst und bedenkt man die Grundsätzlichkeit des Fehlers, so ist es nicht zu umgehen, die Beschwerde gutzuheissen und den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 15. Oktober 1986 aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a5b9dc83-4a94-47d8-9ef3-d15fb34e0931 | Urteilskopf
138 I 274
26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Bundesbahnen SBB gegen A. und APG Allgemeine Plakatgesellschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_415/2011 vom 3. Juli 2012 | Regeste
Aushängen von Plakaten im Bahnhof: öffentlich-rechtliche Angelegenheit; Benützung öffentlicher Sachen; Meinungsfreiheit; Zensurverbot;
Art. 16 Abs. 2 und
Art. 35 Abs. 2 BV
;
Art. 82 lit. a BGG
.
Die Regelung der Zulässigkeit und des Umfangs einer ausserordentlichen Nutzung der öffentlichen Sachen i.e.S. ist öffentlich-rechtlicher Natur (
Art. 82 lit. a BGG
; E. 1.1-1.4).
Aushängen von Plakaten zu aussenpolitischen Themen stellt eine Form der Meinungsäusserung dar, die in den Schutzbereich der Meinungsäusserungsfreiheit fällt; die SBB sind grundrechtsgebunden (E. 2.2).
Die SBB sehen vor, dass die öffentliche Sache i.e.S. auch ausserordentlich für die Plakatierung genutzt werden kann; das Ausscheiden von Plakatanschlagstellen muss durch die SBB aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung (einschliesslich der zweckmässigen Nutzung der öffentlichen Anlage) erfolgen. Sind die Stellen für den Plakataushang bezeichnet, so ist das einzelne Plakat nur noch unter polizeilichen Gesichtspunkten zu prüfen (E. 2.3).
Ein generelles Verbot von Plakaten mit aussenpolitischen Themen ist nicht zulässig (E. 3.4). Das konkrete Plakat ist nicht zu beanstanden (E. 3.5). | Sachverhalt
ab Seite 275
BGE 138 I 274 S. 275
A.
A. beauftragte zu Beginn des Jahres 2009 die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) im Rahmen einer Aktion der Palästina-Solidarität, Region Zürich, ein Plakat an zwei verschiedenen Orten im ShopVille-RailCity (d.h. Bahnhof Zürich) auszuhängen. Dieses richtete sich gegen die israelische Siedlungspolitik. Drei Tage war das Plakat ausgehängt, bis die SBB am 26. März 2009 die sofortige Entfernung veranlassten.
Nachdem die SBB weder ihren Entscheid rückgängig gemacht noch eine anfechtbare Verfügung erlassen hatten, erhob A. eine Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Während des Verfahrens erliessen die SBB am 28. Oktober 2009 eine Verfügung und verboten den Aushang des Plakats. Dagegen erhob A. erfolgreich Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht; die SBB wurden verpflichtet, den Plakataushang zu bewilligen.
BGE 138 I 274 S. 276
B.
Vor Bundesgericht beantragen die SBB, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2011 aufzuheben (...).
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 29 BGG
prüft das Bundesgericht seine Zuständigkeit von Amtes wegen.
1.1
Nach
Art. 82 lit. a BGG
beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Die Vorinstanz hat den Streitfall als öffentlich-rechtlichen beurteilt. Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin - allerdings in der Sache und nicht unter dem Gesichtspunkt einer Sachurteilsvoraussetzung, bei welcher sie ohne Weiteres von einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit ausgeht - geltend, dass es sich nicht um einen öffentlich-rechtlichen, sondern vielmehr um einen privatrechtlichen Streitfall handle; sie beruft sich dabei auf die ihr durch die Bahnreform 1 zugestandene Möglichkeit, für gewisse Bereiche unternehmerisch am Markt teilzunehmen (vgl. Botschaft vom 13. November 1996 zur Bahnreform [nachfolgend: Botschaft Bahnreform 1], BBl 1997 I 909). Die Vorinstanz hätte deshalb auf die Streitsache gar nicht eintreten dürfen.
1.2
Für die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kommt es nicht darauf an, ob eine gerichtliche Behörde der öffentlichen Rechtspflege als Vorinstanz entschieden hat. Massgeblich ist vielmehr, welches Rechtsgebiet die Angelegenheit in der Sache regelt (vgl.
BGE 136 II 489
E. 2.3 S. 492 mit weiteren Hinweisen). Ob die Beschwerde in Zivil- oder in Strafsachen oder in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offensteht, entscheidet sich nach der rechtlichen Grundlage der Streitsache (vgl.
BGE 136 II 489
E. 2.3 S. 492 mit weiteren Hinweisen).
Für die Abgrenzung von Privat- und öffentlichem Recht hat die Lehre mehrere Methoden (z.B. Interessen-, Funktions-, Subordinationstheorie) entwickelt. Das Bundesgericht nimmt die Abgrenzung gestützt auf verschiedene Methoden (Methodenpluralismus: Urteil 4C.382/1995 vom 27. September 1996 E. 1a, in: ZBl 1997 S. 410 ff., 411) vor, wobei keiner a priori ein Vorrang zukommt. Vielmehr prüft es in jedem Einzelfall, welches Abgrenzungskriterium den konkreten Gegebenheiten am besten gerecht wird. Damit trägt es
BGE 138 I 274 S. 277
dem Umstand Rechnung, dass der Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht ganz verschiedene Funktionen zukommen, die sich nicht mit einem einzigen theoretischen Unterscheidungsmerkmal erfassen lassen (vgl.
BGE 138 II 134
E. 4.1;
BGE 132 I 270
E. 4.3 S. 273;
BGE 132 V 303
E. 4.4.2 S. 307; je mit Hinweisen).
In der vorliegenden Konstellation drängt sich für die Beantwortung der Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Funktionstheorie auf. Danach gehört eine Norm zum öffentlichen Recht, wenn das von ihr gesteuerte Verwaltungshandeln unmittelbar der Besorgung von Verwaltungsaufgaben dient, es sei denn, das einschlägige Gesetz unterstelle dieses Handeln dem Zivilrecht (vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 119 f., siehe auch S. 379 f., 381; PHILIPP HÄSLER, Geltung der Grundrechte für öffentliche Unternehmen, 2005, S. 109; vgl. auch
BGE 136 II 457
E. 6.2 S. 466,
BGE 136 II 489
E. 2.4 S. 493).
1.3
Am 1. Januar 1999 wurde die Bahnreform 1 in Kraft gesetzt (vgl. AS 1998 2835, 2845, 2847, 2856, 2859), mit welcher die Effizienz im öffentlichen Verkehr bzw. Schienenverkehr gesteigert und das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die öffentliche Hand verbessert werden sollte (vgl. Botschaft Bahnreform 1, a.a.O., BBl 1997 I 913). Am 1. Januar 2010 wurde die Bahnreform 2 (1. Teilpaket) in Kraft gesetzt (vgl. AS 2009 5597), mit welcher weiterhin die Ziele der Bahnreform 1, allerdings mit einer weiteren Effizienzsteigerung und Verbesserung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, verfolgt werden sollten (vgl. Botschaft vom 23. Februar 2005 zur Bahnreform 2, BBl 2005 2415, 2434 f.).
Der strittige Sachverhalt ereignete sich vor Inkrafttreten der Bahnreform 2 (1. Teilpaket), weshalb (dazu
BGE 135 II 384
E. 2.3 S. 390) das Bundesgesetz vom 20. März 1998 über die Schweizerischen Bundesbahnen in der bis zum 31. Dezember 2009 gültigen Fassung (AS 1998 2847,
BGE 135 II 2005
4777; SBBG [SR 742.31]), das Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957 in der bis zum 31. Dezember 2009 gültigen Fassung (BBl 1956 II 1184 mit hier nicht relevanten Änderungen bis 1998, AS 1998 2835 [Bahnreform 1], 1999 2374, 3071, 2000 2355, 2719, 2003 187, 2005 4775, 2006 2197, 5599, 5753, 2007 1411, 5779; EBG [SR 742.101]), das Personenbeförderungsgesetz vom 18. Juni 1993, welches bis zum 31. Dezember 2009 in Kraft war (AS 1993 3128, 1997 2459, 1998 2859; aPBG) und das auf den 1. Januar 2010 aufgehobene (AS 2009 5628) Transportgesetz vom 4. Oktober 1985 (AS 1986 1974; aTG) anwendbar sind.
BGE 138 I 274 S. 278
1.4
Nach
Art. 87 BV
ist u.a. die Gesetzgebung über den Eisenbahnverkehr Sache des Bundes. Danach sind die Planung, der Bau und der Betrieb von schienengebundenen öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die Regelung und Ausübung der Bahnpolizei erfasst. Nach
Art. 3 Abs. 1 SBBG
erbringen die SBB (
Art. 2 Abs. 1 SBBG
) als Kernaufgabe Dienstleistungen im öffentlichen Verkehr, namentlich in der Bereitstellung der Infrastruktur, im Personen- und Güterverkehr sowie in den damit zusammenhängenden Bereichen. Sie können alle Rechtsgeschäfte tätigen, die mit dem Zweck des Unternehmens direkt oder indirekt im Zusammenhang stehen oder die geeignet sind, diesen zu fördern (Abs. 2 Satz 1 SBBG). Sie sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu führen (
Art. 3 Abs. 3 Satz 1 SBBG
). Zur Stärkung der unternehmerischen Autonomie ist die Anstalt SBB im Rahmen der Bahnreform 1 in die öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft SBB (
Art. 2 Abs. 1 SBBG
: "une société anonyme de
droit public
") - unter Beibehaltung der Firma "SBB" (
Art. 2 Abs. 1 SBBG
) - überführt worden (vgl. Botschaft Bahnreform 1, a.a.O. BBl 1997 I 909, 944 [Rechtsform], 937 [unternehmerische Autonomie]). Die SBB sind nach aArt. 5 Abs. 2 EBG berechtigt und verpflichtet, die Eisenbahninfrastruktur nach den Vorschriften der Eisenbahngesetzgebung und der Konzession zu bauen. Zum Bau und Betrieb gehören etwa auch Regelungen über die Bahnpolizei (aArt. 23 EBG) und über Nebenbetriebe (aArt. 39 EBG). Bis zur Bahnreform 2 bedurften die SBB keiner Konzession nach aArt. 5 EBG (aArt. 4 SBBG). Zudem wurde ihnen nach aArt. 5 SBBG i.V.m. Art. 4 aPBG das Recht verliehen, Reisende regelmässig zu befördern. Die SBB sind somit grundsätzlich mit Staats- bzw. Verwaltungsaufgaben (service public) betraut (vgl.
BGE 136 II 489
E. 2.4 S. 493;
BGE 126 II 54
E. 8 i.f. S. 62; MARTIN LENDI, Verkehr und Recht, 1998, etwa S. 105 f., 109, 193; ANDRÉ WERNER MOSER, Der öffentliche Grund und seine Benützung, 2011, S. 185; TSCHANNEN/MÖSCHING, Bauen auf Bahnarealen, Raum & Umwelt 2009/Nr. 6, S. 2 ff., 16).
Diese Aufgaben bedingen geeignete Sachmittel. Die SBB sind deshalb verpflichtet, Infrastruktur bereitzustellen (
Art. 3 Abs. 1 SBBG
). Dazu gehören Bahnhöfe (aArt. 62 Abs. 3 EBG). Insofern handelt es sich dabei um eine der unmittelbaren Erfüllung der Verwaltungsaufgabe des öffentlichen Verkehrs gewidmete öffentliche Sache i.e.S. Verfügungsmacht darüber und deren Zweckbestimmung richten sich nach dem öffentlichen Recht; dieses regelt u.a. die konkreten Nutzungsmöglichkeiten und den Schutz der öffentlichen Sachen i.e.S.
BGE 138 I 274 S. 279
vor Beschädigungen (vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, S. 540 Rz. 2365, 2368 f.; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., S. 452; PIERRE TSCHANNEN, Systeme des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 2008, S. 104; MOSER, a.a.O., S. 24, 36 f., 185 ff., 582 Fn. 651; MARKUS HEER , Die ausserordentliche Nutzung des Verwaltungsvermögens durch Private, 2006, S. 98 f.; TOBIAS JAAG, Gemeingebrauch und Sondernutzung öffentlicher Sachen, ZBl 1992 S. 145 ff., 148; siehe auch VPB_65.63 E. 5.4). Soll nicht nur eine ordentliche Nutzung der öffentlichen Sachen i.e.S. möglich sein, so ist es auch Aufgabe des öffentlichen Rechts, die Zulässigkeit und den Umfang der ausserordentlichen Nutzung zu regeln (vgl. TSCHANNEN, a.a.O., Rz. 206; MOSER, a.a.O., S. 582 Fn. 651; HEER, a.a.O., S. 98); in der Zulässigkeitsprüfung ist dabei auch der Schutz der öffentlichen Sachen entsprechend aArt. 23 EBG (so auch
Art. 23 EBG
) und
Art. 18 Abs. 1 aTG
(Vorschriften über die Benützung der Anlagen) zu prüfen und zu gewährleisten. Die Beschwerdeführerin führt denn in ihrer Verfügung vom 28. Oktober 2009 und in der Beschwerde ausdrücklich Sicherheitsbedenken an. Auch beim internen Reglement "R Z 700.6" vom 3. April 2006 (nachfolgend: Reglement) wird auf die Sicherheit Bezug genommen, weshalb die Beschwerdeführerin zum einen die Werbeflächen selbst ausgeschieden und zum anderen sich auch ein Vetorecht (vgl. dazu auch
BGE 127 I 84
E. 4a S. 87; MOSER , a.a.O., S. 585) gegenüber der APG vorbehalten hat (Ingress von Ziff. 1.5). Gestützt auf dieses Vetorecht hat die Beschwerdeführerin den weiteren Aushang des strittigen Plakats korrekterweise durch Verfügung verboten. Insofern handelt es sich hier um eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (
Art. 82 lit. a BGG
). Anfechtungs- und zugleich Streitgegenstand bildet die Verfügung vom 28. Oktober 2009.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich in der vorliegenden Streitsache um eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts handelt. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen: Aus der Möglichkeit kommerziell tätig zu sein, folgt nicht abstrakt, dass es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit handelt; massgebend ist immer die konkrete Regelung bzw. Konstellation (vgl. RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 327 f.). Auch der Hinweis auf
BGE 129 III 35
vermag nichts am Resultat zu ändern: Die Beziehung zwischen Post und Kunde ist - wie im Übrigen auch im Transportrecht (vgl.
BGE 136 II 489
E. 2.4 S. 492 f. zu
Art. 50 aTG
; neurechtlich
Art. 56 PBG
[SR 745.1]) - ausdrücklich
BGE 138 I 274 S. 280
privatrechtlich geregelt (vgl. Art. 11 i.V.m.
Art. 17 PG
[SR 783.0]; vgl. auch JAAG/LIENHARD/TSCHANNEN, Ausgewählte Gebiete des Bundesverwaltungsrechts, 7. Aufl. 2009), was hier - wie dargelegt - nicht der Fall ist. Dabei ist zu beachten, dass nicht der Vertrag zwischen der APG und der Beschwerdegegnerin Streitgegenstand bildet, welcher allenfalls privatrechtlich ausgestaltet sein kann (vgl. als Beispiel:
BGE 127 I 84
E. 4a S. 87), sondern die Intervention der SBB aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Kompetenz, die korrekte Verwaltung von öffentlichen Sachen i.e.S. zu regeln.
1.5
Die SBB sind eine spezialgesetzliche öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl.
Art. 2 und 25 SBBG
; vgl. auch STÜCKELBERGER/HALDIMANN, Schienenverkehrsrecht, in: Verkehrsrecht, Georg Müller [Hrsg.], SBVR Bd. IV, 2008, S. 250 ff., 306 Rz. 123 f.). Ihnen steht nach
Art. 89 Abs. 2 BGG
i.V.m. SBBG und EBG kein spezielles Beschwerderecht zu. Die Legitimation der Beschwerdeführerin kann sich deshalb einzig nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
richten, welche zwar in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten ist. Die Beschwerdeführerin kann sich indes darauf stützen, wenn sie durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen wird. Darüber hinaus können Gemeinwesen zur Beschwerde nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
legitimiert sein, soweit sie in schutzwürdigen eigenen hoheitlichen Interessen berührt sind (vgl.
BGE 136 II 274
E. 4.1 und 4.2 S. 278 f.;
BGE 135 II 12
E. 1.2.1 S. 15; je mit weiteren Hinweisen). Durch den angefochtenen Entscheid wird die Beschwerdeführerin in schutzwürdigen eigenen hoheitlichen Interessen berührt, indem ihre Autonomie der Bahnhofbewirtschaftung durch die Vorinstanz eingeschränkt wurde. Die Beschwerdeführerin hat überdies vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen. Damit sind die SBB in Anwendung von
Art. 89 Abs. 1 BGG
zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
1.6
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich eine Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (
Art. 95 BGG
). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (
Art. 106 Abs. 1 BGG
), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (
Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG
), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (
BGE 133 II 249
E. 1.4.1 S. 254). Hinsichtlich der Verletzung von
BGE 138 I 274 S. 281
Grundrechten, insbesondere des Willkürverbots, gilt eine qualifizierte Rügepflicht (
Art. 106 Abs. 2 BGG
; vgl.
BGE 136 I 229
E. 4.1 S. 235 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (
Art. 105 Abs. 1 BGG
), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
(
Art. 105 Abs. 2 BGG
).
2.
2.1
Die Beschwerdeführerin hat das Aufhängen eines Plakats zur israelisch-palästinensischen Politik mit Verfügung vom 28. Oktober 2009 gestützt auf Ziff. 1.5.4 des Reglements verboten, wonach u.a. Werbung/Botschaften zu aussenpolitisch brisanten Themen für sämtliche Medien ausgeschlossen sind. Insofern erachtete die Beschwerdeführerin das strittige Plakat als Botschaft zu einem aussenpolitisch brisanten Thema. Die Vorinstanz hat demgegenüber die Beschwerdeführerin verpflichtet, den Aushang des strittigen Plakats zuzulassen.
2.2
2.2.1
Das Aushängen von Plakaten zu aussenpolitischen Themen ist eine Form der Meinungsäusserung, die in den Schutzbereich der Meinungsäusserungsfreiheit nach
Art. 16 Abs. 2 BV
fällt (
BGE 127 I 84
E. 4d S. 91; Urteile 1C_440/2007 vom 25. März 2008 E. 2.2; 1P.336/2005 vom 20. September 2005 E. 5; KLEY/TOPHINKE, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller/Schweizer/Mastronardi/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 11 zu
Art. 16 BV
), wonach jede Person das Recht hat, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten (vgl.
BGE 132 I 256
E. 3 S. 258;
BGE 127 I 164
E. 3a-c S. 167 ff.; Urteil 1C_312/2010 vom 8. Dezember 2010 E. 4.1). Auf den Inhalt einer Meinungsäusserung kommt es grundsätzlich nicht an. Auch inhaltlich provozierende oder schockierende Äusserungen verdienen grundrechtlichen Schutz (vgl. Urteil 1P.336/2005 vom 20. September 2005 E. 5.1; vgl. auch die Hinweise in
BGE 124 I 267
E. 3c S. 271; KIENER/KÄLIN, Grundrechte, 2007, S. 184; zu
Art. 10 EMRK
vgl. GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, S. 308 f.; siehe etwa auch
BGE 116 Ib 37
E. 8a S. 48 in Bezug auf audiovisuelle Medien).
Wie beim Eintreten dargelegt, ist die Verwaltung von öffentlichen Sachen i.e.S. Wahrnehmung einer Staatsaufgabe. Die Beschwerdeführerin ist deshalb grundrechtsgebunden (
Art. 35 Abs. 2 BV
).
BGE 138 I 274 S. 282
2.2.2
Meinungsäusserungen verlangen vielfach die Benützung öffentlicher Sachen. Sofern die in Frage stehende Grundrechtsausübung nicht eine über den allgemeinen Zweck hinausgehende Nutzung der öffentlichen Sache darstellt, besteht ein unbedingter Anspruch auf Nutzung der öffentlichen Sache und diese ist - unter Vorbehalt von gesetzlich vorgesehenen, im öffentlichen Interesse liegenden und verhältnismässigen Einschränkungen (
Art. 36 BV
) - zulässig (vgl. etwa
BGE 135 I 302
E. 3.2 f. S. 307 ff.; dazu auch MOSER , a.a.O., S. 530 m.w.H.). Handelt es sich dagegen um eine intensivere Nutzung, so hat das Bundesgericht zunächst bei Sachen in Gemeingebrauch festgehalten, dass ein bedingter Anspruch auf Bewilligung von gesteigertem Gemeingebrauch besteht, wenn er für die Ausübung von Freiheitsrechten auf öffentlichem Grund erforderlich ist (vgl.
BGE 135 I 302
E. 3.2 S. 308;
BGE 132 I 256
E. 3 S. 259; Urteil 1P.336/2005 vom 20. September 2005 E. 5; siehe auch
BGE 127 I 84
E. 4b S. 88). Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung sodann 1980 (Urteil P.170/1978 vom 19. März 1980) auch auf Verwaltungsvermögen übertragen, weshalb unter Umständen ebenfalls ein bedingter Anspruch auf Rand- bzw. ausserordentliche Nutzung gegeben sein kann (vgl. Urteil 1P.304/1990 vom 18. Februar 1991 E. 3, in: ZBl 1992 S. 40 ff.; ZBl 1993 S. 320 E. 3 S. 321 f.;
BGE 127 I 164
E. 3b S. 170; JAAG , a.a.O., S. 164; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER , a.a.O., S. 456 f.; vgl. KÄLIN/KIENER , a.a.O., S. 187; HEER , a.a.O., S. 31 ff.).
Der Anspruch ist nur bedingt: Bedingt zum einen, weil grundsätzlich kein Anspruch besteht, dass der Staat positiv (neue) Einrichtungen schafft, um die Freiheitsrechtsausübung zu ermöglichen (vgl. GIOVANNI BIAGGINI , Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kommentar, 2007, N. 4 zu
Art. 16 BV
; MOSER , a.a.O., S. 531; HEER , a.a.O., S. 33, 36; in Bezug auf die Wirtschaftsfreiheit BURKARD J. WOLF , Wirtschaftsfreiheit und Nutzung öffentlicher Sachen - Widersprüchliches aus dem Bundesgericht, AJP 2001 S. 430 ff., 434). Der bedingte Anspruch bezieht sich somit jeweils nur auf die Nutzung bestehender öffentlicher Sachen i.e.S. oder bestehender Infrastruktur (zu öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch:
BGE 127 I 164
E. 5/b/bb S. 179; siehe auch
BGE 122 I 279
E. 2c S. 284; zum Verwaltungsvermögen: Urteil 1P.304/1990 vom 18. Februar 1991 E. 3, in: ZBl 1992 S. 40 ff. in Verbindung mit Urteil P.170/1978 vom 19. März 1980 E. 3). Daneben besteht kein Recht, den öffentlichen Grund an einem beliebigen Ort, zu einem beliebigen Zeitpunkt und in einer beliebigen Weise zu benützen (vgl.
BGE 127 I 164
BGE 138 I 274 S. 283
E. 3c S. 171 mit Hinweisen); ausschlaggebend sind genügende Kapazitäten.
Zum anderen sind beim Entscheid über die ausserordentliche Nutzung der öffentlichen Sache i.e.S. neben dem Gesichtspunkt der polizeilichen Gefahrenabwehr auch andere öffentliche Interessen zu berücksichtigen, namentlich dasjenige an einer zweckmässigen Nutzung der vorhandenen öffentlichen Anlagen im Interesse der Widmung sowie an der rechtsgleichen Zugänglichkeit der öffentlichen Sache i.e.S. für alle Interessierten. Dabei ist die Behörde nicht nur an das Willkürverbot und den Grundsatz der Rechtsgleichheit gebunden, sondern sie hat darüber hinaus den besonderen ideellen Gehalt der Freiheitsrechte, um deren Ausübung es geht, in die Interessenabwägung einzubeziehen. Insoweit entfaltet die Meinungsäusserungsfreiheit ihre Wirkungen auch bei Betätigungsformen, die mit einer über den allgemeinen Zweck hinausgehenden Nutzung der öffentlichen Sache verbunden sind. Die Behörde hat demnach die entgegenstehenden Interessen nach objektiven Gesichtspunkten gegeneinander abzuwägen und dabei dem legitimen Bedürfnis, Nutzungen mit Appellwirkung an die Öffentlichkeit durchführen zu können, angemessen Rechnung zu tragen; dabei kann eine dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügende Gestaltung die Anordnung von Auflagen und Bedingungen erfordern. Ob die Auffassungen, die durch die Meinungsäusserung propagiert werden sollen, der zuständigen Behörde mehr oder weniger wertvoll oder wichtig erscheinen, kann für den Entscheid über das Gesuch nicht massge bend sein (
BGE 132 I 256
E. 3 S. 259 m.w.H.;
BGE 124 I 267
E. 3b S. 269); auch hier gilt das Verbot der Vorzensur im Sinne einer vorgängigen und allgemeinen Inhaltskontrolle beabsichtigter Meinungsäusserungen (vgl. KLEY/TOPHINKE, a.a.O., N. 17 und 27 zu
Art. 16 BV
). Die Behörde ist zu einer neutralen, sachlichen Haltung verpflichtet (
BGE 127 I 164
E. 3b S. 171 m.w.H.).
2.3
2.3.1
Die Vorinstanz hat die Bahnhofswand einer öffentlichen Sache im Gemeingebrauch gleichgestellt und einen bedingten grundrechtlichen Anspruch auf Aushang eines Plakats an der Bahnhofswand (gesteigerter Gemeingebrauch) bejaht. Die Beschwerdeführerin argumentiert demgegenüber, dass die Bahnhofswand keine Sache im Gemeingebrauch, sondern Verwaltungsvermögen sei; die Wände würden lediglich der Abgrenzung dienen und nicht jedermann offenstehen, sie zu beschriften, zu bemalen oder zu bekleben. Insofern bestünde kein bedingter Anspruch auf Nutzung der Bahnhofswand.
BGE 138 I 274 S. 284
2.3.2
Rechtsprechung und Lehre unterscheiden innerhalb der öffentlichen Sachen i.w.S. zwischen dem hier nicht vorliegenden Finanzvermögen, welches nur mittelbar der Erfüllung von Ver waltungsaufgaben dient, und öffentlichen Sachen i.e.S. Diese unterteilen sich in Verwaltungsvermögen und öffentliche Sachen im Gemeingebrauch. Beide dienen unmittelbar durch ihren Gebrauchswert der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Sie unterscheiden sich v.a. durch ihren Benutzerkreis: Im Rahmen ihrer Zweckbestimmung stehen öffentliche Sachen im Gemeingebrauch der Allgemeinheit, Verwaltungsvermögen einem eingegrenzten Benutzerkreis offen (
BGE 127 I 84
E. 4b S. 88 f.; vgl. auch MOSER , a.a.O., S. 5 ff., 12 ff., 18 ff., 34 ff.; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., S. 448 ff.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 532 ff., zur Abgrenzung zwischen Verwaltungsvermögen und öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch Rz. 2346; JAAG, a.a.O., S. 151; HEER, a.a.O., S. 8 f.).
Diese Unterscheidung muss hier nicht bis in alle Einzelheiten nachgezeichnet und geprüft werden. Klar ist jedenfalls, dass es sich bei der Bahnhofswand weder um Verwaltungsvermögen im Verwaltungsgebrauch (z.B. Dienstfahrzeuge, als Arbeitsplätze für Beamte dienende Räumlichkeiten und deren Ausrüstung; dazu HEER, a.a.O., S. 10; JAAG, a.a.O., S. 146) noch um Verwaltungsvermögen im Einzelgebrauch (z.B. "Sozialwohnungen", Geschäftslokale in Flughäfen und Bahnhöfen; dazu HEER, a.a.O., S. 11 f.; JAAG, a.a.O., S. 149) handelt. Insofern verbleibt lediglich die Möglichkeit, dass es sich um eine Sache im Gemeingebrauch oder um Verwaltungsvermögen im Anstaltsgebrauch handelt. Diese beiden Arten unterscheiden sich nur aufgrund des Benutzerkreises (vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 2346; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., S. 449 [Rz. 15]; Ausnahme: gemischte Nutzung [vgl.
BGE 100 Ia 287
: Kleinhallenbad einerseits für die Schulen der Gemeinde, andererseits für die Öffentlichkeit]). Selbst wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausgehen würde, dass es sich um Verwaltungsvermögen im Anstaltsgebrauch handeln würde, ist nicht zu übersehen, dass angesichts des mit der Bahnreform angestrebten (siehe z.B. die Webseite: "Shopping & Gastro":
http://www.sbb.ch/bahnhof-services/am-bahnhof/shopping-gastronomie.html
) Benutzerkreises einer "City in the City" (RailCity bzw. ShopVille-RailCity; siehe rechtsvergleichend auch Entscheid des Bundesverfassungsgerichts 1BvR 699/06 vom 22. Februar 2011 zum Flughafen Frankfurt, in: EuGRZ 2011 S. 152 ff., 160 Rz. 72) und der Befriedigung ähnlicher Bedürfnisse wie in
BGE 138 I 274 S. 285
einer Fussgängerzone (Treffpunkt, Kommunikationszone, Einkaufsmöglichkeiten, Flanieren, Fast-Food-Imbissecken, bessere Restaurants) Verwaltungsvermögen im Anstaltsgebrauch und öffentliche Sache im Gemeingebrauch fast identisch sind oder doch jenes einer öffentlichen Sache im Gemeingebrauch sehr nahekommt. Wie noch darzulegen sein wird, kann in concreto offengelassen werden, um welche Art von öffentlicher Sache i.e.S. es sich handelt.
2.3.3
Zirkulationsflächen in Bahnhöfen entfalten als Scharnier zwischen dem öffentlichen Raum ausserhalb des Bahnhofs und den Zügen eine Art "Trichterfunktion"; Wände bilden dabei die Begrenzungen und sind somit integrierender Bestandteil der Flächen. Darin besteht ihre
ordentliche
Nutzung und dafür sind sie auch gewidmet.
Die Beschwerdeführerin bekennt sich allerdings in ihrem Reglement, welches die Grundsätze für die Werbeflächen (Fremd- und Eigenwerbung) regelt, zur Nutzung ihrer Grundstücke, Anlagen, Produkte und des Rollmaterials für Werbung (Ziff. 1.1). Die Eigenwerbung der Division Personenverkehr steht dabei im Vordergrund, die Fremdwerbung soll aber einen wichtigen Beitrag zur Ertragsverbesserung der SBB leisten (Ziff. 1.2). Insofern sieht die Beschwerdeführerin selber vor, dass die öffentliche Sache i.e.S. auch
ausserordentlich für die Plakatierung
genutzt werden kann.
2.3.4
Angesichts der Verantwortung der Beschwerdeführerin für das reibungslose Funktionieren des Bahnhofs ist es auch ihre Aufgabe, die verschiedenen Plakatanschlagstellen und sonstigen Standorte zu bestimmen. Dabei hat sie sich von der bereits oben dargelegten umfassenden Interessenabwägung leiten zu lassen, wo neben den polizeilichen Interessen auch die Interessen an einer zweckmässigen und rechtsgleichen Nutzung der vorhandenen öffentlichen Anlagen im Interesse der Widmung zu berücksichtigen sind. Sind aber - wie im vorliegenden Fall - die Plakatanschlagstellen und -standorte einmal bestimmt, so ist das einzelne Plakat nur noch unter polizeilichen Gesichtspunkten zu prüfen.
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin hat in Ziff. 1.5 des Reglements den Umgang mit Werbebotschaften geregelt: Zugelassen ist grundsätzlich ideelle und nicht-ideelle Werbung; Einschränkungen bzw. Verbote sind vorgesehen für politische Werbung in bestimmten Medien und bei Werbung für Genussmittel (Ziff. 1.5.1 und 1.5.2). Verboten sind u.a die bereits erwähnten Werbungen/Botschaften zu aussenpolitisch
BGE 138 I 274 S. 286
brisanten Themen (Ziff. 1.5.4) und die religiöse Werbung (Ziff. 1.5.3). In unklaren Fällen müssen die Werbepartner mit den SBB Rücksprache nehmen; zudem sind diese berechtigt, jederzeit den Rückzug bereits ausgehängter bzw. ausgestrahlter Werbung zu verlangen und weitere Einschränkungen zu erlassen.
3.2
Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin den Aushang des strittigen Plakats verboten, da es sich um eine Botschaft zu einem aussenpolitisch brisanten Thema handle. Insofern hat sie damit in das Grundrecht der Meinungsfreiheit der Beschwerdegegnerin eingegriffen. Ob der Aushang verboten werden kann, ergibt sich anhand der Voraussetzungen der Grundrechtseinschränkungen nach
Art. 36 BV
.
3.3
Bei der Frage der gesetzlichen Grundlage, welche auch in Bezug auf das Anschlagen der Plakate in der Sachherrschaft des Gemeinwesens über den öffentlichen Grund gründet, hat sich die Vorinstanz an die Rechtsprechung des Bundesgerichts gehalten; die Beschwerdeführerin macht diesbezüglich keine Verletzung geltend. Weitere Ausführungen erübrigen sich daher (siehe oben E. 1.6).
3.4
3.4.1
Nach Ziff. 1.5.4 des Reglements sind die bereits erwähnten Werbungen/Botschaften zu aussenpolitisch brisanten Themen verboten. Meinungsäusserungen zu aussenpolitisch heiklen Themen sollen - wie zu innenpolitischen - Bürger aufrütteln und veranlassen, sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen und eine politische Position zu beziehen. Ein generelles Verbot von solchen Themen würde der ideellen Funktion der Meinungsäusserungsfreiheit nicht Rechnung tragen und käme einer verbotenen
Zensur
gleich (vgl. oben E. 2.2) und lässt sich mit keinem öffentlichen Interesse rechtfertigen. Darf die Behörde in einem konkreten Einzelfall nur unter ausserordentlichen Umständen zu einem Verbot greifen (vgl. Urteil 1P.304/1990 vom 18. Februar 1991 E. 7 i.i., in: ZBl 1992 S. 40 ff., 47;
BGE 127 I 164
E. 6a S. 183), so muss dies umso mehr bei einer generell-abstrakten Regelung ohne Kenntnis einer konkreten Sachlage gelten. Insofern schiesst dieses generell-abstrakt geregelte Verbot in jedem Fall über das Ziel hinaus.
Es ist zudem auch in Rechnung zu stellen, dass der Bahnhof in seiner Funktion als "City in the City" selbst auch als Forum der politischen Kommunikation dienen will. Bahnhöfe stellen Abstimmungs- und Wahllokale zu Verfügung; es gibt Treffpunkte, Flaniermeilen,
BGE 138 I 274 S. 287
Buchläden, Restaurants, wo miteinander kommuniziert wird oder sich Kommunikation anbietet. Neueste Tagesinformationen flimmern über überdimensionale elektronische Bildschirme, welche auch aussenpolitisch brisante Themen umfassen können, und Plakate zu innenpolitisch brisanten Themen hängen an den Wänden (Pelztragen, "Todesfalle AKW"). Plakate zu aussenpolitisch (brisanten) Themen passen deshalb nahtlos in dieses Bild. Angesichts dieses breiten Kommunikationsforums ist nicht erkennbar, inwiefern Plakate oder andere Botschaften zu aussenpolitisch brisanten Themen Polizeigüter oder Grundrechtspositionen Dritter mehr gefährden bzw. beeinträchtigen könnten als innenpolitisch brisante Themen. Insofern stellt ein generelles Verbot für aussenpolitisch brisante Themen auch eine ungeeignete Massnahme (i.S. des Untermassverbots: vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., S. 153 f.) sowie eine Ungleichbehandlung dar.
3.4.2
Die Beschwerdeführerin macht indessen geltend, dass generelle Verbote von Tabak- oder Alkoholwerbung zulässig seien. Dies müsse somit auch für aussenpolitisch heikle Botschaften gelten.
Bei den von der Beschwerdeführerin hervorgehobenen Werbebereichen handelt es sich um wirtschaftliche Tätigkeiten. Sie geniessen den Schutz der Wirtschaftsfreiheit, können aber aus polizeilichen Motiven und zum Schutz von Grundrechten Dritter eingeschränkt werden. Der Gesetzgeber hat die Alkohol- und Tabakwerbung in bestimmten Bereichen beschränkt und entsprechende Verbote erlassen (vgl.
Art. 42b AlkG
[SR 680];
Art. 60 LMG
[SR 817.0] i.V.m. TabV [SR 817.06];
Art. 10 RTVG
[SR 784.40]). Er konnte dabei davon ausgehen, dass in typisierten Lebenslagen regelmässig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schäden entstehen können, weshalb er einschlägige Werbung als abstrakt gefährlich eingestuft hat. Für aussenpolitische Themen lassen sich solche Gefährdungslagen demgemäss nicht generell abstrakt formulieren, wie die Vorinstanz zutreffend herausgestrichen hat.
3.5
3.5.1
In Bezug auf das
konkrete Plakat
ist festzuhalten: Das Plakat hat einen dunklen Hintergrund und ist betitelt mit "61 Jahre Israel - 61 Jahre Unrecht an den Palästinensern". Der Text endet mit "Israel: mit Gewalt errichtet auf dem Boden der Palästinenser" - und etwas abgesetzt - "Unrecht verlangt Widerstand". Unterzeichnet ist der Text mit Palästina-Solidarität, Region Zürich. Mit der letzten
BGE 138 I 274 S. 288
Passage (Unrecht verlangt Widerstand) wird zwar eine kämpferische Aussage gemacht, der Text enthält aber weder strafbare Äusserungen, noch verstösst er sonst wie gegen Gesetzesvorschriften, namentlich wird darin weder zu Gewalt noch zu sonstigen strafrechtlich relevanten Aktionen aufgerufen; Grundrechtspositionen Dritter werden nicht beeinträchtigt (dazu MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 378 ff., 383 ff.). Das Gleiche gilt auch für das Plakat als solches. Eine weitergehende Überprüfung des Inhalts bzw. des Plakats ist nicht zulässig, anderenfalls sie einer unerlaubten Vorzensur gleichkäme (vgl. KLEY/TOPHINKE, a.a.O., N. 27 zu
Art. 16 BV
). Insofern ist auch unbeachtlich, ob die auf dem Plakat geäusserten Auffassungen und Anliegen der Beschwerdeführerin mehr oder weniger wertvoll erscheinen, insbesondere ob sie dem "Brand" oder der "Corporate Identity bzw. Design SBB" (Ziff. 1.3 Reglement) abträglich sind.
3.5.2
Die Beschwerdeführerin führt keine weiteren stichhaltigen Grün de an, welche einen Präventiveingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit, der nur unter ausserordentlichen restriktiven Bedingungen zulässig wäre, rechtfertigen könnten. Dass einige Passanten - wie die verschiedenen von der Beschwerdeführerin angeführten Online-Kommentare (NZZ und Tagesschau) belegen - die Aussage des strittigen Plakats (teilweise heftig) nicht teilen, berechtigt nicht, ideelle, unter dem Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit stehende Aussagen vom Bahnhofsareal zu verbannen. Insbesondere besteht auch kein Anlass zur Annahme, dass Grundrechte Dritter gefährdet würden. Im Übrigen geht die Beschwerdeführerin auch nicht davon aus, dass ein in einer am Bahnhof erhältlichen Tageszeitung geschaltetes Inserat nämlichen Inhalts die Zugpassagiere zu Gewalt animieren würde. Unbeachtlich ist schliesslich, dass das Plakat israelkritisch ist; die Beschwerdeführerin wäre unter den aufgeführten Voraussetzungen auch verpflichtet, einen palästinakritischen Aushang zuzulassen.
Der Möglichkeit, dass Plakate abgerissen bzw. verschmiert oder Sachen demoliert würden oder gewalttätige Auseinandersetzungen zu befürchten wären, ist mit geeigneten Massnahmen, wie etwa einer erhöhten Präsenz der Bahnpolizei, gebührend Rechnung zu tragen. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a5baa7d3-788a-483c-a677-b28ba06770d5 | Urteilskopf
140 IV 57
7. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. et Ministère public central du canton de Vaud contre B. et consorts (recours en matière pénale)
1B_326/2013 / 1B_327/2013 du 6 mars 2014 | Regeste a
Strafprozessuale Zwangsmassnahmen (
Art. 196 ff. und 263 ff. StPO
); Überprüfung durch das Bundesgericht mit freier Kognition (
Art. 36 und 190 BV
, Art. 95 lit. a,
Art. 98 und 106 Abs. 2 BGG
).
Das Bundesgericht überprüft Entscheide über strafprozessuale Zwangsmassnahmen mit freier Kognition (
Art. 196 lit. a-c StPO
). Die nach
Art. 98 BGG
(für vorsorgliche Massnahmen) vorgeschriebene Beschränkung der Rügegründe und das Rügeprinzip im Sinne von
Art. 106 Abs. 2 BGG
sind nicht anwendbar. Dies gilt auch für die Beschlagnahme von Gegenständen oder Vermögenswerten (
Art. 263 ff. StPO
; E. 2.2).
Regeste b
Beschlagnahme im Hinblick auf die Durchsetzung einer Ersatzforderung (
Art. 263 StPO
,
Art. 70, 71 und 73 StGB
).
Nach
Art. 71 Abs. 3 StGB
kann im Hinblick auf die Durchsetzung einer allfälligen Ersatzforderung des Staates eine Beschlagnahme angeordnet werden (E. 4.1.2). Eine solche Beschlagnahme ist auch möglich, wenn ein Privatkläger am Verfahren beteiligt ist; sie ermöglicht die vorläufige Sicherung auch desjenigen Teils der Ersatzforderung, der voraussichtlich der Privatklägerschaft zuzuweisen sein wird (
Art. 73 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 StGB
; E. 4.2). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 140 IV 57 S. 58
A.
Le 14 février 2013, A. a déposé une plainte pénale contre son ancien employé, B. (ci-après: le prévenu), ainsi que contre tout éventuel participant, soutenant avoir subi un préjudice de USD 3 millions. Une instruction pénale a été ouverte à l'encontre de B. pour escroquerie, gestion déloyale, faux dans les titres et suppression de titres.
Par ordonnance du 14 juin 2013, le Ministère public central du canton de Vaud - division entraide, criminalité économique et informatique - a ordonné le séquestre des biens-fonds sis à S. - copropriété simple et à part égale de B. et de son épouse, C. -, à R. - propriété individuelle du prévenu - et à T., propriété commune de B. et de sa soeur, D. Le Procureur a fait inscrire des restrictions du droit d'aliéner sur les biens-fonds susmentionnés.
B.
Par arrêt du 13 août 2013, la Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal vaudois a admis les recours de C. et de D., ainsi que partiellement celui déposé par B. Elle a constaté l'existence de soupçons suffisants qui laissaient présumer que le prévenu se serait rendu coupable, avec ses éventuels complices, notamment d'escroquerie ou de gestion déloyale pour un montant en l'état d'environ USD 717'778.88. Retenant que C. et D. n'étaient pas prévenues dans l'instruction, la Cour cantonale a annulé les séquestres concernant
BGE 140 IV 57 S. 59
les parts de propriété de ces dernières. Elle a ensuite considéré que dès lors que le montant résultant des infractions ne pourrait pas être confisqué par l'Etat mais devrait être restitué à la lésée, les séquestres des parts de B. sur les immeubles de S. et de T. ne pouvaient pas être prononcés. Les juges cantonaux ont en revanche confirmé le séquestre sur le bâtiment situé à R., considérant que la valeur de ce seul immeuble suffisait à garantir le paiement des frais de procédure, des peines pécuniaires, des amendes et des indemnités.
C.
Le 19 septembre 2013, A. forme un recours en matière pénale contre cet arrêt, concluant à son annulation (cause 1B_326/2013). Elle demande la confirmation de l'ordonnance de séquestre rendue le 14 juin 2013 par le Procureur. A titre subsidiaire, elle requiert le renvoi de la cause à l'autorité précédente pour nouvelle décision au sens des considérants.
Le Ministère public forme également recours en matière pénale contre le jugement cantonal (cause 1B_327/2013). Il demande la réforme de celui-ci en ce sens que les recours cantonaux soient rejetés, que l'ordonnance de séquestre soit confirmée et, subsidiairement, que la cause soit renvoyée à l'autorité précédente pour nouvelle décision. Il requiert encore l'octroi de l'effet suspensif.
Par ordonnance du 28 octobre 2013, le Président de la I
re
Cour de droit public a accordé l'effet suspensif au recours.
Le Tribunal fédéral a joint les deux causes et partiellement admis les recours, annulant l'arrêt cantonal dans la mesure où il levait le séquestre sur la part de copropriété détenue par B. sur le bien-fonds situé à S.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence (
art. 29 al. 1 LTF
) et contrôle librement les conditions de recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 139 III 133
consid. 1 p. 133;
ATF 138 I 435
consid. 1 p. 439).
2.1
L'arrêt attaqué, relatif à des séquestres, est une décision rendue en matière pénale par une autorité de dernière instance cantonale (
art. 80 al. 1 LTF
). Le recours en matière pénale au sens des
art. 78 ss LTF
est donc ouvert.
2.2
Les mesures de contrainte relevant de la procédure pénale sont des actes de procédure pris par les autorités pénales qui touchent les
BGE 140 IV 57 S. 60
droits fondamentaux des personnes intéressées et permettent de mettre les preuves en sûreté, d'assurer la présence de certaines personnes durant la procédure et/ou de garantir l'exécution de la décision finale (art. 196 let. a-c CPP). Le Tribunal fédéral examine librement l'interprétation et l'application des conditions posées par le droit fédéral pour restreindre les droits fondamentaux (
art. 95 let. a LTF
;
ATF 137 IV 122
consid. 2 p. 125 s.;
ATF 128 II 259
consid. 3.3. p. 269). La décision relative à des mesures de contrainte statue de manière définitive sur la restriction des droits fondamentaux, ne constituant ainsi pas une mesure provisionnelle au sens de l'
art. 98 LTF
. La limitation des griefs prévue par cette disposition, de même que le principe d'allégation au sens de l'
art. 106 al. 2 LTF
- qui va au-delà de l'obligation de motiver posée à l'
art. 42 al. 2 LTF
- ne s'appliquent donc pas (
ATF 138 IV 186
consid. 1.2 p. 189;
ATF 137 IV 340
consid. 2.4 p. 346; arrêt 1B_277/2011 du 28 juin 2011 consid. 1.2). Cela vaut également pour le séquestre d'objets ou de valeurs patrimoniales (
art. 263 ss CPP
;
ATF 129 I 103
consid. 2 p. 105 ss).
Dès lors que le sort des biens saisis n'est décidé définitivement qu'à l'issue de la procédure pénale et dans la mesure où la décision incidente de séquestre (
ATF 128 I 129
consid. 1 p. 131 et les références) peut être attaquée aux conditions de l'
art. 93 al. 1 LTF
, le Tribunal fédéral examine librement l'admissibilité de cette mesure; malgré le caractère provisoire du séquestre, ce libre pouvoir d'examen se justifie compte tenu de la gravité de l'atteinte et afin d'assurer le respect des garanties des droits fondamentaux (
art. 36 et 190 Cst.
;
ATF 131 I 333
consid. 4 p. 339 s.,
ATF 131 I 425
consid. 6.1 p. 434 et les références citées; arrêt 1B_277/2011 du 28 juin 2011 consid. 1.2).
2.3
Le séquestre pénal étant une décision à caractère incident, le recours n'est donc recevable que si l'acte attaqué est susceptible de causer un préjudice irréparable (
art. 93 al. 1 let. a LTF
;
ATF 137 III 522
consid. 1.3 p. 525;
ATF 136 IV 92
consid. 4 p. 95).
Tel est le cas en l'espèce. En effet, au regard notamment du montant du préjudice allégué par la recourante - USD 3 millions - et de l'état du compte courant du prévenu au 14 juin 2013 (546 fr. 63), tant l'Etat, représenté par le Ministère public, que la partie plaignante voient la garantie de leurs prétentions en paiement d'une éventuelle créance compensatrice compromise par la levée des séquestres sur deux des trois immeubles en cause (
art. 71, 73 al. 1 let
. c et al. 2 CP;
ATF 126 I 97
consid. 1b p. 101; arrêt 1B_323/2013 du 28 novembre 2013 consid. 1.2).
BGE 140 IV 57 S. 61
2.4
La partie plaignante est habilitée à recourir au Tribunal fédéral si la décision attaquée peut avoir des effets sur le jugement de ses prétentions civiles (art. 81 al. 1 let. b ch. 5 LTF). En l'occurrence, si la recourante n'a pas encore pris de conclusions formelles - ce qui ne peut lui être reproché à ce stade de l'instruction (
ATF 137 IV 246
consid. 1.3.1 p. 247 s.) -, elle soutient dans sa plainte pénale avoir subi un dommage de USD 3 millions en raison notamment de la gestion déloyale de son ancien employé. Il peut en être déduit qu'elle entend demander la réparation de son préjudice dans le cadre de la procédure pénale (
ATF 138 IV 186
consid. 1.4.1 p. 189 et les arrêts cités). Pouvant, cas échéant, se voir allouer le montant d'une créance compensatrice (
art. 73 al. 1 let
. c CP), elle a un intérêt juridique à l'annulation de la décision entreprise qui, en levant les séquestres, la prive de garantie de paiement au cas où un tel prononcé devrait être rendu en sa faveur.
Il en va de même du Ministère public qui défend les intérêts de l'Etat, lequel est le bénéficiaire d'une possible créance compensatrice ou d'une part de celle-ci (art. 81 al. 1 let. b ch. 3 LTF et
art. 73 al. 2 CP
).
2.5
Pour le surplus, les recours ont été déposés en temps utile (
art. 100 al. 1 LTF
) et les conclusions qui y sont prises sont recevables (
art. 107 LTF
). Il y a donc lieu d'entrer en matière.
(...)
4.
Les recourants invoquent des violations des
art. 70 et 71 CP
, 263 al. 1 let. d et 266 CPP.
4.1
Le séquestre est prononcé en principe en matière pénale sur la base de l'
art. 263 CPP
. Cette disposition permet de mettre sous séquestre des objets et des valeurs patrimoniales appartenant au prévenu ou à des tiers, lorsqu'il est probable qu'ils seront utilisés comme moyens de preuves (
art. 263 al. 1 let. a CPP
), qu'ils seront utilisés pour garantir le paiement des frais de procédure, des peines pécuniaires, des amendes et des indemnités (
art. 263 al. 1 let. b CPP
), qu'ils devront être restitués au lésé (
art. 263 al. 1 let
. c CPP) ou qu'ils devront être confisqués (
art. 263 al. 1 let
. d CPP).
4.1.1
S'agissant en particulier d'un séquestre en vue de la confiscation, cette mesure conservatoire provisoire - destinée à préserver les objets ou les valeurs que le juge du fond pourrait être amené à confisquer - est fondée sur la vraisemblance et se justifie aussi longtemps qu'une simple possibilité de confiscation en application du Code pénal semble, prima facie, subsister (
ATF 139 IV 250
BGE 140 IV 57 S. 62
consid. 2.1 p. 252 s.;
ATF 137 IV 145
consid. 6.4 p. 151 s. et les références citées; arrêts 1B_127/2013 du 1
er
mai 2013 consid. 2; 1P.405/1993 du 8 novembre 1993 consid. 3, in SJ 1994 p. 90). L'
art. 70 al. 1 CP
autorise le juge à confisquer des valeurs patrimoniales qui sont le résultat d'une infraction, si elles ne doivent pas être restituées au lésé en rétablissement de ses droits. Inspirée de l'adage selon lequel "le crime ne paie pas", cette mesure a pour but d'éviter qu'une personne puisse tirer avantage d'une infraction (
ATF 139 IV 209
consid. 5.3 p. 211 s. et les arrêts cités). Pour appliquer cette disposition, il doit notamment exister entre l'infraction et l'obtention des valeurs patrimoniales un lien de causalité tel que la seconde apparaisse comme la conséquence directe et immédiate de la première. C'est en particulier le cas lorsque l'obtention des valeurs patrimoniales est l'un des éléments constitutifs de l'infraction ou constitue un avantage direct découlant de la commission de l'infraction. En revanche, les valeurs ne peuvent pas être considérées comme le résultat de l'infraction lorsque celle-ci n'a que facilité leur obtention ultérieure par un acte subséquent sans lien de connexité immédiate avec elle (
ATF 129 II 453
consid. 4.1 p. 461; arrêt 1B_185/2007 du 30 novembre 2007 consid. 9).
4.1.2
Dès lors, lorsque l'avantage illicite doit être confisqué, mais que les valeurs patrimoniales en résultant ne sont plus disponibles - parce qu'elles ont été consommées, dissimulées ou aliénées -, le juge ordonne le remplacement par une créance compensatrice de l'Etat d'un montant équivalent; elle ne peut être prononcée contre un tiers que dans la mesure où les conditions prévues à l'
art. 70 al. 2 CP
ne sont pas réalisées (
art. 71 al. 1 CP
). Le but de cette mesure est d'éviter que celui qui a disposé des objets ou valeurs à confisquer soit privilégié par rapport à celui qui les a conservés (
ATF 129 IV 107
consid. 3.2 p. 109;
ATF 123 IV 70
consid. 3 p. 74;
ATF 119 IV 17
consid. 2a p. 20); elle ne joue qu'un rôle de substitution de la confiscation en nature et ne doit donc, par rapport à celle-ci, engendrer ni avantage ni inconvénient (
ATF 124 I 6
consid. 4b/bb p. 8 s.;
ATF 123 IV 70
consid. 3 p. 74). En raison de son caractère subsidiaire, la créance compensatrice ne peut être ordonnée que si, dans l'hypothèse où les valeurs patrimoniales auraient été disponibles, la confiscation eût été prononcée: elle est alors soumise aux mêmes conditions que cette mesure (arrêts 1B_213/2013 du 27 septembre 2013 consid. 4.1; 1B_185/2007 du 30 novembre 2007 consid. 10.1; FLORIAN BAUMANN, in Basler Kommentar, Strafrecht, vol. I, 3
e
éd. 2013,
BGE 140 IV 57 S. 63
n° 65 ad art. 70/71 CP; TRECHSEL/JEAN-RICHARD, in Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [éd.], 2
e
éd. 2013, n° 1 ad
art. 71 CP
; DUPUIS/GELLER/MONNIER/MOREILLON/PIGUET/BETTEX/STOLL, CP, Code pénal, 2012, n° 6 ad
art. 71 CP
; MADELEINE HIRSIG-VOUILLOZ, in Commentaire romand, Code pénal, vol. I, 2009, n
os
4 ss ad
art. 71 CP
). Néanmoins, un lien de connexité entre les valeurs saisies et l'infraction commise n'est pas requis (
ATF 133 IV 215
consid. 2.2.1 p. 220).
Le Code de procédure pénale ne prévoit pas expressément, ainsi qu'il le fait pour le séquestre en vue de la confiscation (cf.
art. 263 al. 1 let
. d CPP), de disposition permettant le séquestre en vue de garantir une créance compensatrice. Il n'est pas nécessaire de déterminer si une telle mesure pourrait être déduite de cette disposition (dans ce sens MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2013, n° 19 ad
art. 263 CPP
; JO PITTELOUD, Code de procédure pénale suisse [CPP], 2012, n° 628 ad
art. 263 ss CPP
p. 417; LEMBO/JULEN BERTHOD, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n° 10 ad
art. 263 CPP
), dès lors qu'elle est possible en application de l'
art. 71 al. 3 CP
(arrêt 1B_163/2013 du 4 novembre 2013 consid. 4.1.3; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung[StPO], Praxiskommentar, 2
e
éd. 2013, n° 6 ad
art. 263 CPP
; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3
e
éd. 2012, n. 1149; BOMMER/GOLDSCHMID, in Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, n° 45 ad
art. 263 CPP
; LEMBO/JULEN BERTHOD, op. cit., n° 28 ad
art. 263 CPP
).
L'
art. 71 al. 3 CP
permet en effet à l'autorité d'instruction de placer sous séquestre, en vue de l'exécution d'une créance compensatrice, des valeurs patrimoniales sans lien de connexité avec les faits faisant l'objet de l'instruction pénale. La mesure prévue par cette disposition se différencie ainsi du séquestre conservatoire résultant des
art. 263 al. 1 let
. c CPP (restitution au lésé) ou 263 al. 1 let. d CPP, dispositions requérant en revanche l'existence d'un tel rapport (
ATF 129 II 453
consid. 4.1 p. 461; arrêts 1B_163/2013 du 4 novembre 2013 consid. 4.1.4; 6B_914/2009 du 3 novembre 2010 consid. 5.1; DUPUIS/GELLER/MONNIER/MOREILLON/PIGUET/BETTEX/STOLL, op. cit., n
os
9 s. ad
art. 70 CP
; PITTELOUD, op. cit., n
os
626 s. ad
art. 263 ss CPP
p. 414 s.; OBERHOLZER, op. cit., n. 1149; BOMMER/GOLDSCHMID, op. cit., n
os
41, 43 et 49 ad 263 CPP; LEMBO/JULEN BERTHOD, op. cit., n
os
13 et 24 ss ad
art. 263 CPP
; FRANÇOIS VOUILLOZ, Le séquestre pénal [art. 263 à 268 CPP], PJA 2008 p. 1367, 1369).
BGE 140 IV 57 S. 64
Ce n'est en outre que dans le cadre du jugement au fond que seront examinés l'éventuel prononcé définitif de la créance compensatrice et sa possible allocation au lésé (cf.
art. 73 al. 1 let
. c CP). Il en résulte que tant que l'instruction n'est pas achevée et que subsiste une possibilité qu'une créance compensatrice puisse être ordonnée, la mesure conservatoire doit être maintenue, car elle se rapporte à des prétentions encore incertaines (
ATF 139 IV 250
consid. 2.1 p. 252 s. et les arrêts cités). L'autorité doit pouvoir décider rapidement du séquestre (cf.
art. 263 al. 2 CPP
), ce qui exclut qu'elle résolve des questions juridiques complexes ou qu'elle attende d'être renseignée de manière exacte et complète sur les faits avant d'agir (
ATF 116 Ib 96
consid. 3a p. 99 ss; arrêt 1B_421/2011 du 22 décembre 2011 consid. 3.1 et 3.3).
Par "personne concernée" au sens de l'
art. 71 al. 3 CP
, on entend non seulement l'auteur, mais aussi, à certaines conditions, un tiers favorisé, d'une manière ou d'une autre, par l'infraction (cf.
art. 71 al. 1 CP
renvoyant à l'
art. 70 al. 2 CP
; arrêts 1B_213/2013 du 27 septembre 2013 consid. 4.1; 1B_583/2012 du 31 janvier 2013 consid. 2.1 et les références citées). La jurisprudence a aussi admis qu'un séquestre ordonné sur la base de l'
art. 71 al. 3 CP
peut viser les biens d'une société tierce, dans les cas où il convient de faire abstraction de la distinction entre l'actionnaire - auteur présumé de l'infraction - et la société qu'il détient (théorie dite de la transparence ["Durchgriff"]). Il en va de même dans l'hypothèse où le prévenu serait - dans les faits et malgré les apparences - le véritable bénéficiaire des valeurs cédées à un "homme de paille" ("Strohmann") sur la base d'un contrat simulé ("Scheingeschäft"; arrêts 1B_163/2013 du 4 novembre 2013 consid. 4.1.5; 1B_213/2013 du 27 septembre 2013 consid. 4.1; 1B_711/2012 du 14 mars 2013 consid. 4.1.2; 1B_583/2012 du 31 janvier 2013 consid. 2.1 et les références citées).
4.2
Le Tribunal cantonal a considéré qu'un séquestre en vue de la confiscation au sens de l'
art. 263 al. 1 let
. d CPP ou en garantie d'une créance compensatrice était exclu dès lors que les montants résultant des éventuelles infractions devraient être restitués au lésé et non confisqués par l'Etat.
A suivre ce raisonnement, dans l'hypothèse où le prévenu aurait disposé des biens ou produits résultant d'une infraction effectuée au détriment d'une partie plaignante, il se trouverait privilégié par rapport à celui qui serait poursuivi dans une procédure pénale sans lésé, soit par exemple en matière de trafic de stupéfiants ou de corruption
BGE 140 IV 57 S. 65
(BOMMER/GOLDSCHMID, op. cit., n
os
43 et 48 ad
art. 263 CPP
). Les valeurs patrimoniales détenues par le premier prévenu ne pourraient être mises sous séquestre ni sur la base de l'
art. 263 al. 1 let
. c ou d CPP - faute de lien de connexité direct entre les infractions et les objets/valeurs patrimoniales -, ni sur la base de l'
art. 71 al. 3 CP
, en raison de la présence d'un plaignant dans la procédure pénale.
Or, le lésé peut, si un crime ou un délit lui a causé un dommage qui n'est couvert par aucune assurance et s'il y a lieu de craindre que l'auteur ne réparera pas le dommage ou le tort moral, demander au juge de lui allouer, jusqu'à concurrence des dommages-intérêts ou de la réparation morale fixés par un jugement ou par une transaction, les objets et les valeurs patrimoniales confisqués ou le produit de leur réalisation - sous déduction des frais - (
art. 73 al. 1 let. b CP
) ou les créances compensatrices (
art. 73 al. 1 let
. c CP). Le plaignant ne pouvant prétendre à une restitution directe des objets et/ou valeurs séquestrés dispose donc, à certaines conditions, d'un droit à une allocation en sa faveur par l'Etat, tant dans l'hypothèse d'une confiscation - pour laquelle un séquestre est possible en application de l'
art. 263 al. 1 let
. d CPP - que dans celle d'une éventuelle créance compensatrice. Par conséquent, il doit pouvoir être en mesure de protéger ses expectatives jusqu'au prononcé pénal, notamment en requérant un séquestre conservatoire pour éviter que le débiteur de la possible future créance compensatrice ne dispose de ses biens afin de les soustraire à l'action future du créancier (arrêt 6B_326/2011 du 14 février 2012 consid. 2.1; HIRSIG-VOUILLOZ, op. cit., n° 22 ad
art. 71 CP
; VOUILLOZ, op. cit., p. 1376; DENIS PIOTET, Les effets civils de la confiscation pénale, 1995, p. 61 s. n. 151 ss). Cela vaut d'autant plus qu'en l'espèce, il n'est pas exclu que le produit résultant des infractions reprochées ait permis l'acquisition en octobre 2010 de l'immeuble de S., respectivement l'entretien des propriétés de l'intimé (cf. le tableau établi par la police débutant en 2010, le paiement le 31 août 2010 par l'un des producteurs de café sur le compte courant du prévenu en lien avec la facture établie le 20 août 2010 et les versements au prévenu par ce même producteur en juillet et septembre 2010).
Le raisonnement tenu par la juridiction précédente équivaut également à dénier à l'Etat - représenté dans la présente cause par le Ministère public recourant - toute garantie en vue du paiement de la possible part de la créance compensatrice que le lésé doit lui céder lorsque le juge la lui a allouée (cf.
art. 73 al. 2 CP
) ou du solde de celle-ci dans l'hypothèse où le montant auquel le lésé pourrait
BGE 140 IV 57 S. 66
prétendre en vertu du jugement serait inférieur au total des valeurs patrimoniales résultant des infractions et qui auraient dû être confisquées (cf.
ATF 139 IV 209
consid. 5.3 p. 212 s.; HIRSIG-VOUILLOZ, op. cit., n
os
8 ss ad
art. 71 CP
).
Il en résulte qu'un séquestre en vue de garantir une éventuelle créance compensatrice doit être possible même en présence d'un lésé (cf. notamment les arrêts 1B_421 et 493/2011 du 22 décembre 2011; 1B_185/2007 du 30 novembre 2007). Une telle hypothèse n'est d'ailleurs exclue dans l'
ATF 126 I 97
que dans la mesure où la faillite a été déclarée sur le patrimoine de l'auteur ou du bénéficiaire de l'infraction et que les valeurs patrimoniales sur lesquelles le séquestre est requis en garantie d'une créance compensatrice de l'Etat ou du lésé font partie de la masse en faillite (cf. consid. 3c/cc dudit arrêt; OBERHOLZER, op. cit., n. 1150; HIRSIG-VOUILLOZ, op. cit., n
os
28 ss ad
art. 71 CP
).
4.3
Il doit ensuite être déterminé sur quels biens cette mesure peut être ordonnée.
Dès lors qu'une part de copropriété peut faire l'objet d'une exécution forcée (cf.
art. 646 al. 3 CC
; PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, tome I, 5
e
éd. 2012, n. 1232), celle détenue par le prévenu sur le bien-fonds situé à S. peut être mise sous séquestre en vue de garantir une éventuelle créance compensatrice. Cette mesure semble nécessaire en l'espèce puisque le rapport de police retient en l'état que le prévenu aurait touché USD 445'898.88 à la suite des infractions qui lui sont reprochées et que la valeur fiscale du seul bien dont le séquestre a été admis par le Tribunal cantonal paraît insuffisante pour couvrir ce montant (253'000 fr.). En revanche, un tel prononcé ne se justifie pas s'agissant de la part de copropriété de son épouse. En effet, les quelques versements opérés sur le compte commun du couple, dont l'origine pourrait résulter des actes délictueux du prévenu, ne suffisent pas à ce stade de l'instruction pour retenir, même sous l'angle de la vraisemblance, que l'intimée C. aurait pu ou dû se douter que ces montants provenaient d'activités illicites. Il s'ensuit que l'arrêt cantonal doit être annulé dans la mesure où il lève le séquestre sur la part de copropriété appartenant au prévenu sur le bien-fonds de S. Pour le surplus, s'agissant de cet immeuble, le jugement attaqué est confirmé.
Si la recourante soutient dans sa plainte pénale que son dommage total équivaudrait à USD 3 millions - ce qu'il lui appartiendra de démontrer -, le rapport de police fait état d'une valeur bien inférieure
BGE 140 IV 57 S. 67
en ce qui concerne le dommage dont l'intimé serait l'auteur (USD 445'898.88), des tiers étant susceptibles d'avoir aussi commis des infractions au préjudice de la plaignante. Or, aucune disposition ne prévoit la solidarité entre plusieurs prévenus dans le cas d'une condamnation au paiement d'une créance compensatrice (
ATF 119 IV 17
consid. 2b p. 21 s.; DUPUIS/GELLER/MONNIER/MOREILLON/PIGUET/BETTEX/STOLL, op. cit., n° 12 ad
art. 71 CP
; PITTELOUD, op. cit., n° 629 ad
art. 263 ss CPP
p. 418: HIRSIG-VOUILLOZ, op. cit., n° 18 ad
art. 71 CP
). En conséquence, la valeur fiscale de l'immeuble de S. (510'000 fr. [1'020'000 fr. / 2]) paraît suffisante à ce stade de l'instruction pour garantir une éventuelle créance compensatrice. Cela vaut d'autant plus que la recourante indique elle-même - certes avec un moyen de preuve dont la recevabilité est douteuse (cf.
art. 99 al. 1 LTF
) - que le prévenu n'aurait touché que 231'653 fr. 09.
Il en résulte qu'un éventuel séquestre de l'immeuble de T., propriété commune du prévenu et de sa soeur, respectivement de la valeur de la part du premier en cas de liquidation de la communauté (cf.
art. 653 al. 3 CC
; STEINAUER, op. cit., n. 1392), ne paraît pas à ce stade justifié et violerait le principe de proportionnalité. Au demeurant, même dans l'hypothèse où une telle mesure devrait être envisagée dans la suite de la procédure, le seul lien de parenté de l'intimée D. avec le prévenu ne permet en tout cas pas de considérer que celle-ci aurait été au courant ou aurait pu bénéficier des agissements délictueux que son frère aurait commis. Le jugement cantonal est donc confirmé sur ce point. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5bb756a-0cbd-493b-8351-f2cc2bcc70a4 | Urteilskopf
112 V 337
61. Urteil vom 23. Dezember 1986 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Ciba-Geigy AG und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel | Regeste
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
und
Art. 1 IVG
; Art. 3 Abs. 1 des schweizerisch-belgischen, Art. 4 des schweizerisch-deutschen und Art. 3 Abs. 1 des schweizerisch-französischen Abkommens über Soziale Sicherheit: Gleichbehandlungsklausel und obligatorische Versicherung.
Aufgrund der Gleichbehandlungsklausel in den Abkommen mit Belgien, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ist der Angehörige eines Vertragsstaates, der in einem Drittstaat für einen in der Schweiz domizilierten Arbeitgeber tätig ist und von diesem entlöhnt wird, obligatorisch bei der schweizerischen AHV/IV versichert und der Arbeitgeber der paritätischen Beitragspflicht unterstellt. Dagegen kann eine Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung (
Art. 2 AVIG
) und in der Erwerbsersatzordnung (
Art. 27 EOG
) aus der Gleichbehandlungsklausel nicht abgeleitet werden. | Sachverhalt
ab Seite 338
BGE 112 V 337 S. 338
A.-
Die Schweiz hat mit der Bundesrepublik Deutschland, mit Frankreich und mit Belgien Abkommen über Soziale Sicherheit abgeschlossen. Die Firma Ciba-Geigy AG beschäftigte in den Jahren 1978 bis 1982 Angehörige der genannten Vertragsstaaten in Ländern, mit denen die Schweiz keine Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat. Auf die Aufforderung der Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes sandte die Ciba-Geigy am 28. Oktober 1983 der Kasse die AHV/AlV-Bescheinigungen für diese Arbeitnehmer, unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass sie damit keine Beitragspflicht für die gemeldeten Arbeitnehmer anerkenne. Gestützt auf diese Meldung erhob die Ausgleichskasse am 14. November 1983 verfügungsweise von der Ciba-Geigy AG paritätische AHV/IV/EO- und AlV-Beiträge sowie einen Verwaltungskostenbeitrag.
B.-
Die Ciba-Geigy AG beschwerte sich bei der Kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel und beantragte die Aufhebung der Verfügung. Eventuell sei diese soweit aufzuheben, "als sie Beiträge für belgische und französische Staatsangehörige und EO- und AlV-Beiträge für deutsche Staatsangehörige betrifft".
Mit Entscheid vom 16. Februar 1984 hiess die Rekurskommission die Beschwerde im Sinne des Hauptantrages gut mit der Begründung, Angehörige der genannten Vertragsstaaten würden nach der in den betreffenden Abkommen enthaltenen Gleichbehandlungsklausel der schweizerischen Sozialversicherungsgesetzgebung unterstehen. Diese Abkommen beruhten auf dem Erwerbsortsprinzip. Nach ihrem Sinn und Zweck würden sie aber eine Gleichbehandlung der betreffenden Staatsangehörigen mit Bezug auf ihre Unterstellung, wenn sie in einem Nichtvertragsstaat beschäftigt werden, nicht beinhalten. Insbesondere sei eine solche Unterstellung auch nicht Gegenstand des mit Deutschland abgeschlossenen Abkommens, selbst wenn dessen Entstehungsgeschichte darauf hindeute, dass die "Auslands-AHV" beabsichtigt gewesen sei.
BGE 112 V 337 S. 339
C.-
Gegen diesen Entscheid führt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Kassenverfügung.
Die Ciba-Geigy AG trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Ferner stellt sie den Eventualantrag, es sei festzustellen, dass sie keine AHV/IV/EO- und AlV-Beiträge für die von ihr im Ausland beschäftigten belgischen und französischen und keine EO- und AlV-Beiträge für die deutschen Staatsangehörigen zu entrichten habe. Subeventuell sei festzustellen, dass sie für die im Ausland beschäftigten französischen, deutschen und belgischen Staatsangehörigen keine EO- und AlV-Beiträge entrichten müsse.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition.)
2.
Gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
sind nach Massgabe des AHVG obligatorisch versichert "die Schweizerbürger, die im Ausland für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden".
Art. 3 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweiz und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 24. September 1975 bestimmt:
"Unter Vorbehalt der Bestimmungen dieses Abkommens und seines Schlussprotokolls sind die Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates in ihren Rechten und Pflichten aus der Gesetzgebung des anderen Vertragsstaates den Staatsangehörigen dieses Vertragsstaates gleichgestellt."
Art. 3 des schweizerisch-deutschen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964 lautet:
"Dieses Abkommen gilt, wo es nichts anderes bestimmt, für die Staatsangehörigen der Vertragsparteien sowie für ihre Angehörigen und Hinterbliebenen, soweit diese ihre Rechte von den Staatsangehörigen ableiten."
Nach Art. 4 des Abkommens stehen die in Art. 3 genannten Personen "in ihren Rechten und Pflichten aus den Rechtsvorschriften der Vertragsparteien einander gleich, soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt."
Art. 3 Abs. 1 des Abkommens vom 3. Juli 1975 über Soziale Sicherheit mit Frankreich schreibt vor:
"Unter Vorbehalt der Bestimmungen dieses Abkommens und seines Schlussprotokolls sind die Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates in ihren Rechten und Pflichten aus der Gesetzgebung des anderen Vertragsstaates den Staatsangehörigen dieses Vertragsstaates
BGE 112 V 337 S. 340
gleichgestellt."
Es fragt sich, ob die in den Abkommen mit Belgien, Deutschland und Frankreich enthaltenen Gleichbehandlungsklauseln zur Folge haben, dass
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
nicht nur auf schweizerische, sondern auch auf solche Personen anwendbar ist, die einem der drei genannten Vertragsstaaten angehören und von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigt und entlöhnt werden.
3.
Das BSV erachtet den in Frage stehenden Wortlaut der genannten Sozialversicherungsabkommen als klar und leitet aus den Gleichbehandlungsklauseln ab, dass - mangels einer Ausnahmebestimmung zur jeweiligen Gleichbehandlungsklausel -
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auch auf die von Arbeitgebern in der Schweiz in Drittstaaten beschäftigten Angehörigen von Vertragsstaaten anwendbar ist.
Die Beschwerdegegnerin vertritt indessen den Standpunkt, die Gleichbehandlungsklausel setze voraus, dass der Angehörige des Vertragsstaates grundsätzlich der schweizerischen AHV unterstellt sei, wobei diese Unterstellung nicht aus der Gleichbehandlungsklausel abgeleitet werden dürfe. Mit Gewissheit könne der Gleichbehandlungsklausel nur entnommen werden, "dass die Ausländer (Belgier, Franzosen, Deutsche) in ihren Rechten und Pflichten aus der schweizerischen (Sozial-)Gesetzgebung den Schweizern gleichgestellt sind". Dem Wortlaut lasse sich aber nicht mit Gewissheit entnehmen, "ob er die Ausländer unmittelbar der schweizerischen Gesetzgebung unterstellt oder ob er die Gleichbehandlung nur für Ausländer, die der schweizerischen Gesetzgebung kraft einer andern Bestimmung unterstellt werden, festlegt". Aufgrund der Vertragstexte betreffend die Gleichbehandlungsklausel stünden beide Möglichkeiten offen.
4.
Bezüglich der Auslegung von Staatsverträgen hat das Bundesgericht in
BGE 97 I 364
ausgeführt:
"Zu Beginn der Auslegung ist die normale (gewöhnliche, natürliche) Wortbedeutung der verwendeten Ausdrücke zu ermitteln, sofern nicht Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Parteien von einem besonderen Sprachgebrauch ausgegangen sind; dabei sind Gegenstand und Zweck der Vereinbarung zu berücksichtigen. Erscheint der Vertragstext klar und ist seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine über den Wortlaut hinausgehende, ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (vgl.
BGE 96 I 648
mit Hinweisen auf Literatur und Praxis)."
BGE 112 V 337 S. 341
Im gleichen Sinn hat auch das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 111 V 119
,
BGE 109 V 188
und 226,
BGE 108 V 68
,
BGE 105 V 16
,
BGE 103 V 170
und
BGE 97 V 36
entschieden. In diesem Zusammenhang ist auch auf die - von der Schweiz nicht ratifizierte - Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 hinzuweisen, in deren Art. 31 der Grundsatz festgelegt wird, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben ausgelegt werden muss, entsprechend der üblichen Bedeutung, die den Begriffen des Vertrages in ihrem Zusammenhang und unter Berücksichtigung seines Zieles und Zwecks beizulegen ist (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., 1982, S. 589; VPB 1979 Nr. 89 S. 414).
5.
Gemäss den dargelegten Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung ist bei der Auslegung der vorliegend in Frage stehenden Sozialversicherungsabkommen vorerst deren normale Wortbedeutung zu ermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass in jedem der drei Vertragswerke ausdrücklich erklärt wird, dass dieses für die Bundesgesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie über die Invalidenversicherung gilt (Art. 2 Abs. 1 des schweizerisch-belgischen Abkommens, Art. 2 des schweizerisch-deutschen Abkommens und Art. 2 des schweizerisch-französischen Abkommens). Anschliessend folgt in allen drei Abkommen die Gleichbehandlungsklausel. Kein einziges Abkommen enthält einen Vorbehalt zur Gleichbehandlungsklausel bezüglich der Anwendung von
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auf Angehörige von Vertragsstaaten, die in Drittstaaten beschäftigt werden. Die normale Wortbedeutung dieser Vertragstexte ist in diesem Punkt klar und bedeutet, dass nach
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
Angehörige von Vertragsstaaten, die von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigt und entlöhnt werden, gleich zu behandeln sind wie Schweizerbürger in vergleichbarer Situation.
6.
Es fragt sich im weitern, ob Gegenstand, Sinn und Zweck der betreffenden Abkommen offensichtlich zu einem von der wörtlichen Auslegung der Gleichbehandlungsklauseln abweichenden Ergebnis führen.
Unter Berufung auf das von ihr eingeholte Rechtsgutachten von Prof. Dr. Wildhaber vom 24. Juni 1983 über "AHV-Abgaben für Ausländer im Ausland" vertritt die Beschwerdegegnerin die Auffassung, dass die Schweiz das Territorialitätsprinzip durchbreche, wenn sie ausländische Staatsangehörige, die im Ausland wohnen, dem Versicherungsobligatorium des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
unterstelle. Sie übersieht dabei, dass im Rahmen dieser Gesetzesbestimmung
BGE 112 V 337 S. 342
der Anknüpfungspunkt für das Versicherungsobligatorium die Existenz eines Arbeitgebers in der Schweiz ist, der im Ausland niedergelassene Arbeitnehmer entlöhnt. Der schweizerische Gesetzgeber kann durchaus dieses Kriterium auch für die Zugehörigkeit ausländischer Arbeitnehmer zu einer schweizerischen Sozialversicherung vorsehen und wäre es auch nur mit dem Zweck, eine Schlechterstellung dieser Arbeitnehmer gegenüber den vom gleichen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmern schweizerischer Staatsangehörigkeit zu verhindern. Insofern widerspricht die wörtliche Auslegung der Gleichbehandlungsklausel auch nicht dem Zweck der Sozialversicherungsabkommen.
7.
Schliesslich muss in Anwendung des weitern, in Erw. 4 dargelegten Grundsatzes über die Auslegung von Staatsverträgen geprüft werden, ob aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte des je einschlägigen Abkommens mit Sicherheit auf eine vom Vertragstext abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten in dem Sinne zu schliessen ist, dass es die Absicht der Vertragsstaaten war, ihre von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigten Arbeitnehmer nicht dem Versicherungsobligatorium des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
zu unterstellen.
a) Das am 25. Februar 1964 abgeschlossene, zur sog. zweiten Vertragsgeneration gehörende schweizerisch-deutsche Abkommen über Soziale Sicherheit enthält die in Erw. 2 zitierte Gleichbehandlungsklausel. Dazu wurde in Nummer 7 des Schlussprotokolls zum Abkommen der folgende Vorbehalt angebracht:
"Artikel 4 des Abkommens gilt nicht für die schweizerischen Rechtsvorschriften über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung von Schweizerbürgern, die ausserhalb des Gebiets der Vertragsparteien für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, sowie über die Fürsorgeleistungen für die im Ausland wohnhaften invaliden Schweizerbürger."
Damit war ausdrücklich klargestellt, dass das in
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
für Schweizerbürger statuierte Versicherungsobligatorium auf deutsche Staatsangehörige nicht galt.
Bei den bilateralen Verhandlungen für die Revision des Abkommens und des Schlussprotokolls wurde u.a. die Frage der Aufhebung dieses Vorbehalts geprüft. Dazu hielt das BSV in einer amtsinternen Verhandlungsnotiz fest:
"Die schweizerische Delegation erklärte sich bereit, auch deutsche Staatsangehörige, die in einem Drittstaat für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, zu versichern. Im umgekehrten Fall wird jeder ausländische Arbeitnehmer, der für einen
BGE 112 V 337 S. 343
deutschen Arbeitgeber im Ausland tätig ist, gemäss dem im deutschen Recht geltenden Ausstrahlungsprinzip den deutschen Rechtsvorschriften unterstellt."
Schliesslich wurde in Art. 1 Ziffer 24 des Zusatzabkommens vom 9. September 1975 die Nummer 7 des Schlussprotokolls wie folgt neu formuliert.
"Artikel 4 des Abkommens gilt nicht für die schweizerischen Rechtsvorschriften über den Beitritt zur freiwilligen Versicherung der im Ausland niedergelassenen Schweizer Bürger sowie über die Fürsorgeleistungen für die im Ausland wohnhaften invaliden Schweizer Bürger."
Damit war der Vorbehalt zur Gleichbehandlungsklausel bezüglich der deutschen Arbeitnehmer, die in einem Drittstaat für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, aufgehoben. In seiner Botschaft zum Zusatzabkommen, insbesondere zur erwähnten Ziffer 24, führte der Bundesrat aus (BBl 1975 II 2176):
"Schliesslich wurde die Gelegenheit des Zusatzabkommens benützt, um nebst rein redaktionellen Verbesserungen einige Ergänzungen betreffend den Personenkreis einzufügen, die sich in der Zwischenzeit als wünschenswert erwiesen haben, z.B. ... die Gleichstellung der Deutschen, die im Ausland für einen schweizerischen Arbeitgeber beschäftigt sind, mit den schweizerischen Arbeitskollegen (Art. 1 Ziff. 24)."
Die Materialien lassen demnach nicht darauf schliessen, dass die Vertragsstaaten "mit Sicherheit" beabsichtigt hatten, deutsche Staatsangehörige, die von einem Schweizer Arbeitgeber in einem Drittstaat beschäftigt werden, vom Versicherungsobligatorium gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auszunehmen. Wohl hatte der Wortlaut der in Art. 4 des Abkommens von 1964 enthaltenen Gleichbehandlungsklausel keine Änderung erfahren. Das Zusatzabkommen von 1975 und die entsprechenden Materialien zeigen aber eindeutig, dass die ursprünglich ausdrücklich ausgeschlossene Unterstellung deutscher Staatsangehöriger unter das Versicherungsobligatorium des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
mit dem Inkrafttreten des Zusatzabkommens von 1975 nunmehr beabsichtigt war.
b) Das am 3. Juli 1975 abgeschlossene, ebenfalls der zweiten Vertragsgeneration angehörende schweizerisch-französische Abkommen über Soziale Sicherheit enthält die in Erw. 2 zitierte Gleichbehandlungsklausel. Dazu wurde kein Vorbehalt in dem Sinne angebracht, dass die Gleichbehandlungsklausel für die von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigten und entlöhnten französischen Staatsangehörigen nicht gelte. Auch die Materialien enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass die
BGE 112 V 337 S. 344
Vertragsstaaten mit Sicherheit beabsichtigt hätten, die genannten Personen von der Gleichbehandlungsklausel auszunehmen. Vielmehr wurde französischerseits bei den Verhandlungen zur Revision des Abkommens vom 9. Juli 1949 der Wunsch geäussert, dass die französischen Staatsangehörigen, die in einem Drittstaat von einem Arbeitgeber in der Schweiz beschäftigt werden, gleich behandelt würden wie Schweizerbürger. Dieses Begehren wurde in einem gegenseitigen Verhandlungsprotokoll vom 6./12. Dezember 1972 ausdrücklich festgehalten. Eine - allerdings bloss indirekte - Bestätigung dafür, dass diesem Wunsch entsprochen wurde, findet sich in einer amtsinternen Notiz vom 4. März 1974 über die Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland über die Anwendung von
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auf deutsche Staatsangehörige, der sich entnehmen lässt, "dass die Schweiz im revidierten Abkommen mit Frankreich erstmals bereit war, eine entsprechende Konzession zu machen". Auch der bundesrätlichen Botschaft zum Abkommen von 1975 lässt sich kein Hinweis entnehmen, aus dem geschlossen werden könnte, dass
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
von der Gleichbehandlungsklausel ausgenommen sein sollte.
c) Die in Art. 3 Abs. 1 des schweizerisch-belgischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 24. September 1975 enthaltene Gleichbehandlungsklausel (s. vorstehende Erw. 2) ist in ihrem Wortlaut identisch mit derjenigen des schweizerisch-französischen Abkommens. Auch dazu wurde kein Vorbehalt in dem Sinne angebracht, dass die Gleichbehandlungsklausel für die von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigten und entlöhnten belgischen Staatsangehörigen nicht gelten solle. Ebensowenig enthalten die Materialien zu diesem Abkommen Hinweise für eine gesicherte Willenseinigung der Vertragsstaaten, dass
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
für belgische Staatsangehörige keine Gültigkeit habe.
d) Gesamthaft ergibt sich, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, welche gemäss den zur Auslegung von Staatsverträgen entwickelten Grundsätzen (s. vorstehende Erw. 4) erlauben würden, die in den drei Sozialversicherungsabkommen enthaltenen, nach ihrem Wortlaut klaren und in ihrer Bedeutung nicht offensichtlich dem Sinn der Abkommen widersprechenden Gleichbehandlungsklauseln über deren Wortlaut hinaus einschränkend zu interpretieren.
Das hat zur Folge, dass die deutschen, französischen und belgischen Staatsangehörigen, die in einem Drittstaat für einen Arbeitgeber
BGE 112 V 337 S. 345
in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, in Anwendung von
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
und
Art. 1 IVG
obligatorisch der schweizerischen Gesetzgebung über die AHV und IV unterstellt sind. Die Ciba-Geigy AG hat dementsprechend auf den Löhnen, die sie in den Jahren 1978 bis 1982 den von ihr in Drittstaaten beschäftigten Arbeitnehmern aus den erwähnten Vertragsstaaten ausbezahlt hat, paritätische AHV- und IV-Beiträge (nebst Verwaltungskosten) zu entrichten.
8.
Die Ausgleichskasse hat die Ciba-Geigy AG nicht nur zur Bezahlung von paritätischen AHV- und IV-Beiträgen verpflichtet, sondern erhob auch Beiträge an die Arbeitslosenversicherung und an die Erwerbsersatzordnung.
Es steht fest, dass sich aus den staatsvertraglichen Gleichbehandlungsklauseln eine solche Beitragspflicht nicht unmittelbar ergibt. Denn die Gesetzgebungen, für welche die Abkommen gelten, sind in den genannten Sozialversicherungsabkommen selbst abschliessend aufgezählt; die Gesetzgebung über die Erwerbsersatzordnung und über die Arbeitslosenversicherung ist hier aber nicht erwähnt. Das BSV vertritt die Auffassung, für die Beitragspflicht in der Erwerbsersatzordnung und in der Arbeitslosenversicherung gelte Landesrecht. Nach
Art. 27 EOG
und
Art. 2 AVIG
seien in der Erwerbsersatzordnung und in der Arbeitslosenversicherung alle in der AHV versicherten Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber beitragspflichtig. Daraus ergebe sich, dass Personen, "welche gemäss Abkommen in der AHV/IV beitragspflichtig sind, es auch in der EO bzw. AlV sein müssen, es sei denn, die entsprechenden Gesetze würden ausdrücklich eine Ausnahme vorsehen".
Der Auffassung des BSV kann nicht gefolgt werden. Die Unterstellung unter die schweizerische AHV/IV aufgrund der Gleichbehandlungsklauseln zieht nicht ohne weiteres die Beitragspflicht in der Erwerbsersatzordnung und in der Arbeitslosenversicherung nach sich. Diese Beitragspflicht müsste sich aus den betreffenden Abkommen selbst ergeben; denn die Schweiz ist grundsätzlich nicht befugt, innerstaatliche Rechtsvorschriften, die nicht ausdrücklich Gegenstand des Staatsvertrages sind, einseitig auf in Drittstaaten tätige Angehörige von Vertragsstaaten auszudehnen. In den Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit der Bundesrepublik Deutschland, mit Frankreich und mit Belgien abgeschlossen hat, sind nun aber - wie gesagt - gerade die Erwerbsersatzordnung und die Arbeitslosenversicherung nicht erwähnt.
BGE 112 V 337 S. 346
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Ciba-Geigy AG auf den Löhnen, die sie ihren in Drittstaaten tätigen deutschen, belgischen und französischen Staatsangehörigen in den Jahren 1978 bis 1982 ausbezahlt hat, keine paritätischen EO- und AlV-Beiträge entrichten muss. Eine AlV-Beitragspflicht insbesondere bezüglich der deutschen Staatsangehörigen für die betreffenden Jahre lässt sich auch nicht etwa aus dem Abkommen über Arbeitslosenversicherung ableiten, welches die Schweiz am 20. Oktober 1982 mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, weil dieses erst am 1. Januar 1984, also nach Ablauf der in Betracht fallenden Beitragsperiode in Kraft getreten ist.
Es wird Sache der Ausgleichskasse sein, die von der Ciba-Geigy AG geschuldeten AHV/IV-Beiträge in einer beschwerdefähigen Verfügung neu festzusetzen.
9.
Mit ihrer Verfügung vom 14. November 1983 hat die Ausgleichskasse in Anwendung von
Art. 69 Abs. 1 AHVG
,
Art. 66 Abs. 1 IVG
und
Art. 22 EOG
auch einen Verwaltungskostenbeitrag von 6%o der geforderten AHV/IV/EO-Beiträge erhoben. Da die Ciba-Geigy AG keine EO-Beiträge zu bezahlen hat, wird die Ausgleichskasse auch die Verwaltungskosten anhand der geschuldeten AHV- und IV-Beiträge neu berechnen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der Rekurskommission Basel für die Ausgleichskassen vom 16. Februar 1984 und die angefochtene Kassenverfügung vom 14. November 1983 aufgehoben werden und die Sache an die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes zurückgewiesen wird, damit diese im Sinne der Erwägungen neu verfüge. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a5bc4bb8-4566-41f2-98d1-d6a44e570cc8 | Urteilskopf
106 II 157
30. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 20 mai 1980 dans la cause J. contre D. (recours en réforme) | Regeste
Vertrag über die Verwaltung von Liegenschaften.
Ein solcher Vertrag ist als Auftrag oder als Vertrag sui generis zu beurteilen, auf den gemäss
Art. 394 Abs. 2 OR
die Vorschriften über den Auftrag anzuwenden sind (E. 2a).
Der Vertrag kann jederzeit widerrufen oder gekündigt werden (
Art. 404 Abs. 1 OR
; E. 2b).
Begriff der Auflösung zur Unzeit (
Art. 404 Abs. 2 OR
; E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 158
BGE 106 II 157 S. 158
Au début de 1976, D. est entré en discussion avec J. en vue de lui transférer la gérance de divers immeubles. J. a ouvert le 1er septembre 1976 un bureau de gérance de trois pièces et engagé une secrétaire, dans la perspective d'obtenir la gérance de ces immeubles. Il a établi à cet effet une convention datée du 5 octobre 1976, fixant la durée et le taux de gérance. D. n'a pas signé cette convention, mais il a écrit le 29 octobre 1976 à J. que "pour la gérance..., comme convenu, c'est pour janvier". Dans une nouvelle lettre du 30 novembre 1976, cependant, il a déclaré qu'il regrettait de ne pas donner satisfaction à J. comme il l'aurait voulu, vu la vive réaction de l'ancien gérant devant laquelle il avait "battu en retraite".
Après une entrevue entre parties et divers rappels de J., D. a répondu le 14 avril 1977 qu'il avait refusé d'adhérer à la convention projetée, pour justes motifs.
J. a ouvert action contre D. en paiement de 150000 fr. avec intérêt.
La Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a rejeté l'action par jugement du 21 novembre 1979.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en réforme interjeté par le demandeur.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
Fondée sur la jurisprudence récente du Tribunal fédéral (
ATF 104 II 108
ss.), la Cour cantonale considère que le défendeur avait le droit absolu de révoquer le mandat confié au demandeur (
art. 404 CO
) et qu'il ne l'a pas fait en temps inopportun au sens de l'
art. 404 al. 2 CO
.
Le demandeur fait notamment valoir que l'ancienne jurisprudence du Tribunal fédéral, encore en vigueur lorsqu'il a ouvert action,
BGE 106 II 157 S. 159
tenait mieux compte des contingences économiques propres au contrat de gérance. Il invoque les règles de la Société vaudoise des régisseurs, selon lesquelles le retrait de régie doit faire l'objet d'un préavis de trois mois pour la fin d'un semestre, et relève que cette réglementation atténue ce qu'il peut y avoir de trop rigoureux dans l'application du principe consacré par l'
art. 404 al. 1 CO
. Le demandeur estime parfaitement inopportunes la révocation et la façon dont elle est intervenue, après un silence prolongé, ce qui justifierait le paiement d'une indemnité.
a) Dans un arrêt de 1957 (
ATF 83 II 529
s.), le Tribunal fédéral avait considéré que la gérance d'immeubles se présentait soit comme un contrat de travail, soit comme un contrat sui generis qui, ayant pour objet l'exécution d'un certain travail, serait en principe soumis aux règles du mandat (
art. 394 al. 2 CO
); la résiliation anticipée ne pouvait avoir lieu que selon les règles du contrat de travail (art. 352 ss. CO), à l'exclusion de celles qui régissent la révocation du mandat (
art. 404 CO
).
Cette conception, critiquée en doctrine (MERZ, RJB 95/1959, p. 59 s.; GAUTSCHI, n. 23 ad art. 395 et n. 10 ad
art. 404 CO
; PEYER, Der Widerruf im schweiz. Auftragsrecht, thèse Zurich 1974, p. 180-182; cf. aussi RSJ 66/1970, p. 8), a été récemment abandonnée (
ATF 104 II 110
s.). Le Tribunal fédéral a admis qu'elle méconnaissait la portée de l'
art. 394 al. 2 CO
, aux termes duquel les règles du mandat s'appliquent aux travaux qui ne sont pas soumis aux dispositions légales régissant d'autres contrats. Comme le contrat de gérance d'immeubles ne réalise pas les éléments caractéristiques de l'un des autres contrats prévus dans le Code des obligations et porte sur des prestations de travail, il doit être qualifié de mandat ou de contrat sui generis soumis aux règles du mandat conformément à l'
art. 394 al. 2 CO
. L'
art. 404 CO
, selon lequel le mandat peut être révoqué ou répudié en tout temps, lui est donc applicable.
Cette dernière jurisprudence paraît seule conciliable avec l'
art. 394 al. 2 CO
. Elle a reçu l'approbation de la doctrine (cf. MERZ, in RJB 116/1980, p. 20 s.), et doit être maintenue.
b) Selon une pratique constante du Tribunal fédéral, le droit de répudiation et de révocation du mandat en tout temps, consacré par l'
art. 404 CO
, ne peut être ni exclu ni limité contractuellement; les parties ne peuvent y renoncer d'avance. Le Tribunal fédéral a récemment confirmé cette
BGE 106 II 157 S. 160
jurisprudence après l'avoir soumise à un réexamen approfondi (
ATF 98 II 307
ss.). Ainsi le contrat de gérance d'immeubles peut être révoqué ou répudié en tout temps et sans condition; en vertu de l'
art. 404 al. 2 CO
, il n'y a lieu à indemnité que si la fin du contrat intervient en temps inopportun (
ATF 104 II 115
s. consid. 4).
c) Le contrat de gérance litigieux a été révoqué par le défendeur. Sa lettre du 30 novembre 1976 a remis en cause ses engagements, manifestant clairement au demandeur que les gérances promises ne lui seraient pas confiées à la date prévue. Puis le défendeur a opposé le silence aux rappels et propositions du demandeur, pour lui signifier l'avis définitif de rupture le 14 avril 1977.
La notion d'inopportunité de la résiliation au sens de l'
art. 404 al. 2 CO
est étroitement liée au préjudice qui découle de la résiliation. La Cour cantonale relève pertinemment que le mandataire ne peut faire valoir une prétention en dommages-intérêts du fait d'une révocation sans motif que s'il a subi un préjudice particulier ("besondere Nachteile"). Puisqu'il est de l'essence même du mandat d'être librement révocable, les parties, et notamment le mandataire, doivent compter avec ce risque, sinon la règle serait pratiquement vidée de sa substance. La révocation ne constitue pas en soi un abus de droit selon l'
art. 2 CC
. Elle est licite, même si elle ne procède d'aucun motif objectif (cf. GAUTSCHI, n. 17 d et e ad
art. 404 CO
). C'est pourquoi seule l'existence d'un préjudice particulier justifie une sanction à l'exercice inopportun du droit de révocation.
En l'espèce, aucune des constatations de fait du jugement attaqué ne permet d'admettre que le contrat ait causé un préjudice particulier au demandeur. Il a quitté son emploi précédent au début de 1976 pour s'installer à son compte; rien n'établit qu'il ait agi en fonction d'engagements précis du défendeur. Le demandeur a ouvert son bureau en septembre 1976, alors que le contrat d'octobre 1976 n'était pas encore conclu, et qu'il n'avait que de simples expectatives. Il ne saurait donc qualifier de préjudice particulier les frais occasionnés par les dispositions qu'il a prises avant octobre 1976. Il n'apparaît d'ailleurs pas que le demandeur ait engagé des frais spéciaux à cause du défendeur, ni qu'il ait renoncé à d'autres mandats ou emplois en raison du contrat d'octobre 1976. Aucun élément concret ne justifie donc l'octroi de dommages-intérêts fondés sur l'
art. 404 al. 2 CO
,
BGE 106 II 157 S. 161
et cela quand bien même les procédés du défendeur sont loin de pouvoir être qualifiés d'opportuns selon le sens communément donné à ce terme. | public_law | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a5bcd874-0e0c-4c06-81d7-f65737f75996 | Urteilskopf
140 III 610
90. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. und C. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_319/2014 vom 19. November 2014 | Regeste
Art. 697a Abs. 1 OR
; Sonderprüfung; vorgängige Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts; Beweismass.
Voraussetzung gemäss
Art. 697a Abs. 1 OR
, dass vorgängig zum Gesuch um Sonderprüfung an der Generalversammlung das Recht auf Auskunft oder das Recht auf Einsicht ausgeübt wurde (E. 2.2). Der Gesuchsteller hat die vorgängige Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts nicht bloss glaubhaft zu machen, sondern nachzuweisen. Er muss das Gericht nach dem Regelbeweismass der vollen Überzeugung davon überzeugen, so dass es keine ernsthaften Zweifel mehr hat (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 611
BGE 140 III 610 S. 611
Aus den Erwägungen:
2.
2.2
Nach
Art. 697a Abs. 1 OR
kann ein Aktionär die Anordnung einer Sonderprüfung nur beanspruchen, wenn er das Auskunfts- oder das Einsichtsrecht gemäss
Art. 697 OR
bereits ausgeübt hat. Insoweit ist der Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers gegenüber dem Recht auf Auskunft und auf Einsicht subsidiär (
BGE 123 III 261
E. 3a S. 264). In der aktienrechtlichen Informationsordnung bildet die Sonderprüfung das dritte Element neben der vom Verwaltungsrat ausgehenden Informationsvermittlung durch den Geschäftsbericht (
Art. 696 OR
) und der aktiven Informationsbeschaffung seitens des Aktionärs durch die Ausübung seines Auskunftsrechts (
Art. 697 OR
). Um eine Gleichstellung aller Aktionäre bezüglich des Informationsstandes zu erreichen, muss das Auskunftsrecht gemäss
Art. 697 OR
in der Generalversammlung ausgeübt werden (
BGE 133 III 133
E. 3.3). Unter Umständen, namentlich bei Begehren um Informationen, die nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen, oder bei einem umfangreichen Fragenkatalog kann es angezeigt sein, das Auskunftsbegehren vor der Generalversammlung schriftlich einzureichen (siehe BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 16 Rz. 32). Die Auskunftsbegehren und die erteilten Antworten sind zu protokollieren (
Art. 702 Abs. 2 Ziff. 3 OR
).
Aus der Subsidiarität der Sonderprüfung folgt, dass das Sonderprüfungsbegehren thematisch vom vorgängigen Auskunfts- oder Einsichtsbegehren gedeckt sein muss. Durch dieses soll der Verwaltungsrat die Gelegenheit erhalten, das Informationsbedürfnis der Aktionäre von sich aus zu befriedigen, bevor das mit Aufwand und Umtrieben verbundene Verfahren auf Sonderprüfung eingeleitet wird. Massgebend für die thematische Begrenzung der Zulässigkeit eines Sonderprüfungsbegehrens ist deshalb das Informationsbedürfnis der antragstellenden Aktionäre, wie es der Verwaltungsrat nach Treu und Glauben aus dem vorgängigen Auskunfts- oder Einsichtsbegehren erkennen musste. Dabei darf sich der Verwaltungsrat zwar nicht hinter einer wortklauberischen Auslegung verschanzen und von vornherein nur ausdrücklich gestellte Fragen beantworten. Auf der anderen Seite ist aber auch den Aktionären zuzumuten, bei der Formulierung ihres Auskunfts- oder Einsichtsbegehrens eine gewisse Sorgfalt aufzuwenden und darin so klar, wie es ihnen aufgrund
BGE 140 III 610 S. 612
ihres Kenntnisstandes möglich ist, zum Ausdruck zu bringen, worüber sie weiteren Aufschluss zu erhalten wünschen (
BGE 123 III 261
E. 3a).
Personenidentität in dem Sinn, dass nur derjenige Aktionär, der zuvor selbst Auskunft verlangt hat, in der Generalversammlung auch den Antrag auf Sonderprüfung stellen kann, ist nach der Rechtsprechung nicht vorausgesetzt. Auch Aktionäre, die erst aufgrund des von einem anderen Aktionär gestellten Auskunftsbegehrens und der darauf vom Verwaltungsrat an der Generalversammlung erteilten Auskunft Kenntnis von bestimmten Sachverhalten und ihrer Tragweite erhalten, sollen die Möglichkeit haben, der Generalversammlung die Durchführung einer Sonderprüfung zu beantragen. Indessen gilt auch für sie die thematische Begrenzung des Sonderprüfungsbegehrens durch den Gegenstand des Auskunftsbegehrens (
BGE 133 III 133
E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen).
(...)
4.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, hinsichtlich der Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- und des Einsichtsrechts in Verletzung von Bundesrecht anstelle des strikten Beweises ein blosses Glaubhaftmachen verlangt und mithin das falsche Beweismass angewandt zu haben. Selbst unter Zugrundelegung eines reduzierten Beweismasses habe die Vorinstanz die Beweise aber willkürlich gewürdigt, indem sie sich allein mit den unbelegten Behauptungen der Beschwerdegegner begnügt und sich auf haltlose Vermutungen gestützt habe.
4.1
Nach dem bundesrechtlichen Regelbeweismass gilt ein Beweis als erbracht, wenn das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Ausnahmen von diesem
Regelbeweismass der vollen Überzeugung
ergeben sich einerseits aus dem Gesetz; anderseits wurden sie durch Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet. Danach wird insbesondere eine überwiegende Wahrscheinlichkeit als ausreichend betrachtet, wo ein strikter Beweis nicht nur im Einzelfall, sondern der Natur der Sache nach nicht möglich oder nicht zumutbar ist und insofern eine "Beweisnot" besteht (
BGE 132 III 715
E. 3.1;
BGE 130 III 321
E. 3.2 S. 324 mit Hinweisen). Nach dem
Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
gilt ein Beweis als erbracht, wenn für die Richtigkeit der Sachbehauptung nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht massgeblich in Betracht fallen. Das
BGE 140 III 610 S. 613
Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist wiederum von der
Glaubhaftmachung
abzugrenzen. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache schon dann, wenn für deren Vorhandensein gewisse Elemente sprechen, selbst wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnte (
BGE 132 III 715
E. 3.1 S. 720;
BGE 130 III 321
E. 3.3 mit Hinweisen).
4.2
In der Tat führte die Vorinstanz im Rahmen der rechtlichen Erörterungen aus, "die Anforderungen an das Glaubhaftmachen" betreffend die Ausübung des Auskunfts- und Einsichtsrechts dürften "nicht übersteigert werden". Die darauf folgende eingehende Prüfung schloss die Vorinstanz mit dem Satz, "gesamthaft erschein[e] glaubhaft", dass die Beschwerdegegner von der Beschwerdeführerin in der Generalversammlung (erfolglos) Auskünfte zum Geschäftsgang, insbesondere zur Reduktion der Beteiligung an der F. AG, verlangt hätten. Dem Subsidiaritätsprinzip sei damit Genüge getan.
Geht man angesichts dieser Formulierung mit der Beschwerdeführerin davon aus, die Vorinstanz habe sich hinsichtlich der Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts mit dem Beweismass des Glaubhaftmachens begnügt, erweist sich die Rüge als begründet:
4.3
4.3.1
Zunächst bedeutet der Umstand, dass eine Angelegenheit - wie nach
Art. 250 lit. c Ziff. 8 ZPO
die Sonderprüfung bei der Aktiengesellschaft - in den Anwendungsbereich des summarischen Verfahrens nach
Art. 248 ff. ZPO
fällt, nicht, dass das
Beweismass
herabgesetzt ist. Grundsätzlich gilt auch in dieser Verfahrensart das Regelbeweismass, es sei denn, aus dem Gesetz oder dessen Auslegung ergebe sich etwas Abweichendes (siehe CHEVALIER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 5 zu Art. 254ZPO; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO],2. Aufl. 2014, N. 3 zu
Art. 254 ZPO
; GÜNGERICH, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2012, N. 24zu
Art. 254 ZPO
).
4.3.2
Die Vorinstanz verwies in der fraglichen Erwägung auf eine Kommentarstelle (WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 3b zu
Art. 697c OR
). Aus dieser geht hervor, dass ihr Autor seine Aussage, "die Anforderungen an das Glaubhaftmachen des Subsidiaritätsprinzips" dürften nicht übersteigert
BGE 140 III 610 S. 614
werden, auf die Frage der
thematischen Identität
des Sonderprüfungsbegehrens zum vorgängig gestellten Auskunftsbegehren bezieht, führt er doch im gleichen Zusammenhang an, eine Ausweitung des Prüfungsgegenstands durch neue Fragen sei unzulässig, doch müssten Konkretisierungsfragen vor dem Richter noch möglich sein. Dass an die Prüfung der thematischen Identität kein allzu strenger Massstab angelegt werden sollte, wird denn auch von anderen Autoren gefordert (so etwa CASUTT, Was brachte die Sonderprüfung als neues Instrument des Aktionärsschutzes, Der Schweizer Treuhänder 2002 S. 508 f.; MAROLDA MARTINEZ, Information der Aktionäre nach schweizerischem Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2006, S. 257 f.; vgl. auch BÖCKLI, a.a.O., § 16 Rz. 41).
Für die vorliegend zu beantwortende Frage, ob das Auskunftsrecht an der Generalversammlung
überhaupt
ausgeübt wurde, kann hingegen nichts daraus abgeleitet werden, ebenso wenig wie aus der bereits erwähnten Rechtsprechung (siehe
BGE 123 III 261
E. 3a).
4.3.3
Im Gesetz besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass in Bezug auf die Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts ein blosses Glaubhaftmachen genügen soll. Vielmehr sieht
Art. 697b Abs. 2 OR
einzig hinsichtlich der materiellen Voraussetzung einer Gesetzes- oder Statutenverletzung und einer Schädigung der Gesellschaft oder der Aktionäre vor, dass ein Glaubhaftmachen genügt. Die Rechtfertigung für diese Erleichterung liegt namentlich im Zweck des Instituts der Sonderprüfung. Dieses dient nämlich der Verbesserung der Information der Gesuchsteller, weshalb das Gericht von ihnen nicht diejenigen Nachweise verlangen darf, die erst der Sonderprüfer erbringen soll (vgl.
BGE 120 II 393
E. 4c S. 398). Die vorgängige Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts stellt demgegenüber selbstredend keinen Umstand dar, über den erst die Sonderprüfung informieren soll. Vielmehr liegt er offensichtlich in der Wissenssphäre des Gesuchstellers selbst. Mit Bezug auf diese Voraussetzung besteht somit insofern kein Grund für eine Herabsetzung des Beweismasses auf eine blosse Glaubhaftmachung. Dem entspricht es im Übrigen, dass in der Rechtsprechung auch hinsichtlich der Aktionärseigenschaft und der Höhe der Kapitalbeteiligung der
Nachweis
und nicht ein blosses Glaubhaftmachen verlangt wurde (vgl. Urteil 4C.412/2005 vom 23. Februar 2006 E. 3.2).
Ebenso wenig sind typische Beweisschwierigkeiten oder gar eine Beweisnot ersichtlich, die eine Herabsetzung des Beweismasses
BGE 140 III 610 S. 615
rechtfertigen könnten, weil andernfalls die Anspruchsnorm kaum durchzusetzen wäre. Dem Aktionär, der die vorgängige Ausübung des Auskunftsrechts beweisen muss, steht insoweit namentlich das Protokoll der Generalversammlung zur Verfügung, sind doch die Begehren um Auskunft und die darauf erteilten Antworten zu protokollieren (
Art. 702 Abs. 2 Ziff. 3 OR
). Sollte sich die Beweisführung im Einzelfall als schwierig herausstellen, weil das Protokoll nicht ordnungsgemäss erstellt wurde und der Gesuchsteller keine Richtigstellung erreichen konnte, bedeutet dies nicht, dass die Beweisführung der Natur der Sache nach nicht möglich oder nicht zumutbar wäre. Systematische Beweisnot besteht insofern nicht, und eine Herabsetzung des Beweismasses ist auch von daher nicht angezeigt.
4.3.4
Der Gesuchsteller hat demnach die Voraussetzung, dass vorgängig zum Gesuch um Sonderprüfung an der Generalversammlung das Auskunfts- oder Einsichtsrecht ausgeübt wurde, nicht bloss glaubhaft zu machen, sondern nachzuweisen, d.h. er muss das Gericht nach dem Regelbeweismass davon überzeugen, so dass es keine ernsthaften Zweifel mehr hat (so auch KUNZ, Zur Subsidiarität der Sonderprüfung, SJZ 92/1996 S. 5, der aus diesem Grund empfiehlt, auf einer Protokollierung zu bestehen [Fn. 75]; ausdrücklich den vollständigen Beweis verlangend REICHENBACH/BLÄSI, Gerichtliche Anordnung der Sonderprüfung als systemkonforme Durchsetzung der Selbstverwaltung der Aktiengesellschaft, in: Jahrbuch des Handelsregisters 2003, 2005, S. 110 und 112; vgl. auch GABRIELLI, Das Verhältnis des Rechts auf Auskunftserteilung zum Recht auf Einleitung einer Sonderprüfung, 1997, S. 42, der auf die Protokollierungspflicht betreffend Auskunftsbegehren sowie Auskunftserteilung und -verweigerung hinweist, damit diese Punkte bei einem Sonderprüfungsbegehren "beweiserheblich belegt werden können").
4.4
Indem sich die Vorinstanz in Bezug auf die Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts mit einem blossen Glaubhaftmachen begnügte, legte sie ihrem Entscheid ein falsches Beweismass zugrunde. Die Rüge der Beschwerdeführerin ist in diesem Punkt begründet, ohne dass beurteilt werden müsste, ob die Vorinstanz auch dadurch Bundesrecht verletzte, dass sie die Sachdarstellung der Beschwerdegegner als glaubhaft erachtete. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a5c83aa0-522a-471d-b95f-18a488b7f369 | Urteilskopf
95 I 118
17. Arrêt du 5 février 1969 dans la cause Corsino contre Conseil d'Etat du canton de Genève. | Regeste
Wirtschaften, Willkür.
Nach Art. 5 lit c. des Genfer Gesetzes vom 12. März 1892 über die Wirtschaften usw. darf die Bewilligung zur Eröffnung einer neuen Alkoholwirtschaft nicht einzig deshalb verweigert werden, weil die Zahl solcher Wirtschaften im Gebiet des ganzen Kantons zu gross sei. | Sachverhalt
ab Seite 118
BGE 95 I 118 S. 118
A.-
La loi genevoise du 12 mars 1892 sur les auberges, débits de boisson et autres établissements analogues est fondée, selon son préambule, notamment sur les art. 31ter et 32quater Cst. Elle subordonne à une autorisation préalable l'ouverture d'établissements où l'on débite des boissons spiritueuses (art. 1er). L'art. 4 précise que les permissions sont personnelles
BGE 95 I 118 S. 119
et doivent désigner le local où se trouve l'établissement; il interdit le transfert dans un autre local, à moins que le titulaire n'ait obtenu "une nouvelle autorisation, conformément à l'art. 1". Selon l'art. 5, les permissions ne sont accordées qu'après enquête préalable du Département genevois de justice et police (en abrégé: le Département) et préavis du Service d'hygiène, mais seulement si plusieurs conditions posées par la loi sont réalisées, notamment:
"si l'enquête préalable constate que le nombre des établissements du même genre déjà existant dans la localité, la commune ou le quartier peut être augmenté sans inconvénient. Tout refus est motivé." (art. 5 lit. c)
B.-
Le 20 février 1967, Louis Corsino a demandé au Département la permission d'exploiter un restaurant avec "snackbar" et commerce de traiteur dans le groupe résidentiel des immeubles de la Gradelle, sur le territoire de la commune de Chêne-Bougeries. Il s'agit d'un ensemble qui comprend 650 logements et peut recevoir une population de 3000 personnes environ. Le requérant affirmait que les conditions posées par l'art. 5 de la loi du 12 mars 1892 étaient réalisées, en particulier celle que formule la lettre c de cet article, car le nombre des restaurants et débits de boisson sur le territoire de la commune de Chêne-Bougeries serait loin d'être suffisant pour exclure une augmentation. Quant au groupe d'immeubles de la Gradelle, avec 3000 habitants, son importance justifierait la permission demandée.
C.-
Le 31 août 1967, le Département rejeta la requête. Cette décision est motivée, en résumé, comme il suit:
Le nombre des cafés, à Genève, étant excessif, le Département a institué une pratique qui permet de ne pas en augmenter le nombre, afin d'assainir la situation. Selon ce système, la remise de l'établissement à un tiers est autorisée, mais toute nouvelle création, en un lieu quelconque, doit être compensée par la fermeture d'un établissement d'égale importance, cette fermeture étant considérée comme un transfert. Cependant, le titulaire ne peut transférer son établissement en un autre lieu que s'il y est contraint par une cause indépendante de sa volonté (démolition de l'immeuble, refus de renouvellement du bail à des conditions équitables, etc.). De plus, le lieu de situation du nouvel établissement doit être agréé par le Département
BGE 95 I 118 S. 120
en conformité de la clause de besoin. Enfin, celui qui transfère son établissement et veut en même temps le remettre doit terminer cette opération dans un délai fixé par le Département. Le requérant ne répond pas à ces exigences et l'administration ne saurait faire, en sa faveur, une exception à sa pratique sans violer le principe de l'égalité devant la loi.
D.-
Corsino a recouru devant le Conseil d'Etat du canton de Genève, mais cette autorité l'a débouté, le 30 avril 1968, en bref par les motifs suivants:
Appliquant l'art. 5 lit. c de la loi du 12 mars 1892, le Département, dans une pratique constante, approuvée par le Conseil d'Etat, interprète la clause de besoin de la façon la plus stricte lorsqu'il s'agit d'accorder de nouvelles permissions. Cependant, il ne s'oppose pas à la reprise et, le cas échéant, au transfert des permissions existantes, ce qui permet, sur l'ensemble du territoire cantonal, d'ouvrir de nouveaux établissements sans en augmenter le nombre. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, dans une ville, la question du besoin ne doit pas être résolue pour chaque quartier séparément; il est licite de se fonder sur le nombre d'habitants. Au surplus, le Tribunal fédéral a dit (RO 54 I 86), dans une affaire analogue à la présente, qu'il n'était pas nécessaire que chaque quartier d'une ville dispose d'un établissement public.
E.-
Corsino a formé un recours de droit public. Il conclut à l'annulation de l'arrêté entrepris et au renvoi de la cause au Conseil d'Etat pour qu'il accorde la permission demandée. Son argumentation se résume comme il suit:
Le Conseil d'Etat est tombé dans l'arbitraire, notamment parce qu'il n'a pas examiné si le recourant satisfait aux exigences de l'art. 5 de la loi du 12 mars 1892, comme cette disposition lui ordonnait de le faire. A cet égard, la décision entreprise n'est pas motivée. De plus, il est non seulement arbitraire, mais encore incompatible avec les art. 31 et 31 ter Cst. d'exiger de tout nouveau requérant, de par la loi genevoise, qu'il soit au bénéfice d'une reprise avec, au besoin, autorisation de transfert d'une permission déjà existante. Enfin, l'exigence d'un transfert est absolument incompatible avec le système de la loi, qui lie indissolublement la permission à la personne du titulaire et la rend donc incessible.
F.-
Le Conseil d'Etat du canton de Genève conclut au rejet du recours.
BGE 95 I 118 S. 121
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant n'est pas recevable à invoquer la violation de l'art. 31 ter Cst., car cette disposition ne confère point aux citoyens de droits à l'encontre de l'Etat. Elle permet seulement aux cantons de restreindre dans une certaine mesure la liberté du commerce et de l'industrie, telle que la garantit l'art. 31 Cst. Lorsqu'un canton - comme celui de Genève - fait usage de cette faculté, seule sa loi ou les décisions qui l'appliquent peuvent être attaquées pour violation des art. 31 ou 4 Cst. par la voie du recours de droit public (RO 79 I 159 lit. b
;
82 I 151
).
2.
Le recourant n'allègue pas l'inconstitutionnalité de la loi du 12 mars 1892, loi fondée sur les art. 31ter et 32 quater Cst. Il se borne à critiquer l'application qu'en a faite l'autorité cantonale et invoque, de ce point de vue, la violation des art. 4 et 31 Cst. Le Tribunal fédéral examine, dans un tel cas, tout d'abord si la décision entreprise viole l'art. 4 Cst., en particulier si elle est arbitraire au regard du droit cantonal. Dans l'affirmative, il la casse, de sorte que l'autre question ne se pose plus. Si, en revanche, l'application de la loi cantonale n'est pas incompatible avec l'art. 4 Cst., il examine ensuite si cette loi elle-même porte atteinte au principe de la liberté du commerce; il exerce alors un pouvoir de libre examen, car ce qu'il contrôle, ce n'est plus l'application du droit cantonal, mais bien la portée de la Constitution fédérale elle-même (RO 87 I 119).
3.
C'est en vertu de l'art. 5 lit. c de la loi genevoise du 12 mars 1892 que le Conseil d'Etat a refusé la permission que lui demandait Corsino. Le texte de cette disposition est clair. Il exige tout d'abord qu'avant de se prononcer sur une demande de permission, le Département fasse une enquête. Il prescrit en outre que cette enquête doit porter notamment sur le nombre des établissements du même genre existant "dans la localité, la commune ou le quartier". Enfin, il enjoint au Département de rechercher si ce nombre "peut être augmenté sans inconvénient", ce qui fait effectivement dépendre la permission de l'existence d'un "besoin", au sens de la jurisprudence du Tribunal fédéral.
L'autorité genevoise a considéré uniquement que, pour l'ensemble du canton, le nombre des débits de boissons alcooliques était trop élevé par rapport au nombre des habitants,
BGE 95 I 118 S. 122
partant qu'il fallait en empêcher absolument l'augmentation et, par voie de conséquence, ne donner de nouvelle permission que lorsqu'à l'ouverture autorisée correspondait la fermeture d'un établissement d'égale importance.
Elle a donc refusé la permission demandée uniquement par un motif pris des statistiques relatives à l'ensemble du canton et parce que Corsino n'avait pas prouvé qu'il reprenait un établissement d'une importance égale à celui qu'il entendait ouvrir et dont le transfert à la Gradelle avait été autorisé.
Ces motifs sont tout à fait étrangers à ceux qui peuvent justifier un refus selon l'art. 5 lit. c de la loi du 12 mars 1892. Celle-ci exige expressément que l'on tienne compte, non pas du nombre des débits de boisson dans le canton, mais du nombre des établissements du même genre déjà existants dans la localité, la commune ou le quartier. L'autorité doit donc rechercher sur quelle portion du territoire cantonal portera son enquête. En effet, suivant les circonstances locales, l'ouverture d'un débit de boissons alcooliques sera admissible dans tel quartier. D'autres fois, les débits limitrophes ou ceux des quartiers voisins suffiront et c'est ainsi qu'en a jugé le Tribunal fédéral dans son arrêt Haudenschild, du 8 juin 1928 (RO 54 I 86). Le Conseil d'Etat invoque en vain cet arrêt, puisque, précisément, il n'a tenu aucun compte des circonstances locales. Dans d'autres cas, enfin, un examen à l'échelle de la localité, voire de la commune se justifiera. Mais l'enquête devra toujours déterminer sur quelle subdivision du territoire la décision portera; elle doit en outre constater quels établissements du même genre y existent déjà et dire si et pourquoi l'on peut ou non en ouvrir un de plus. La loi cantonale ne saurait être comprise autrement sur ces points essentiels. En ne tenant compte que de la situation dans l'ensemble du canton et en exigeant qu'à l'ouverture de l'établissement projeté à la Gradelle corresponde le transfert autorisé d'un établissement de même importance existant déjà n'importe où dans le canton, l'autorité genevoise s'est mise dans une contradiction irréductible avec le système et les prescriptions fondamentales de l'art. 5 lit. c de la loi du 12 mars 1892. Elle est donc tombée dans l'arbitraire et la décision attaquée viole l'art. 4 Cst.
4.
Le recours devant être admis par ce motif déjà, point n'est besoin d'examiner les autres griefs soulevés par le recourant et, en particulier, si la possibilité de négocier l'autorisation,
BGE 95 I 118 S. 123
généralement admise, semble-t-il, par les autorités genevoises, est arbitraire, vu les principes de la loi du 12 mars 1892.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a5ca9a10-77ea-49c9-92a5-4e4f867b3f6f | Urteilskopf
115 IV 167
38. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 29 novembre 1989 dans la cause M. c. Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 33 Abs. 2 2
. Satz StGB: Notwehrexzess, Zustand entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff.
Wenn ein solcher Zustand in Betracht fällt, hat die kantonale Behörde klar darzulegen, ob der Täter sich in einer Aufregung oder Bestürzung befand oder nicht und ob diese gegebenenfalls entschuldbar war oder nicht; beide Antworten müssen begründet werden.
Rechtsmissbrauch.
Namentlich in Anbetracht der Offizialmaxime liegt kein Rechtsmissbrauch vor, wenn ein Angeklagter sich in einem Rekurs über den Wortlaut einer - den Geschworenen unterbreiteten - Frage beschwert, den er selber redigiert hatte (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 115 IV 167 S. 168
A.-
Le 23 avril 1986, M. a été condamné par la Cour d'assises du canton de Genève à une peine de 4 ans de réclusion (sous déduction de 4 mois et 29 jours de détention préventive) pour meurtre commis à la suite d'un excès de légitime défense.
En résumé, le 22 novembre 1984 M. avait fini par tirer deux coups de pistolet, dont l'un mortel, sur le client d'une prostituée, après une violente bagarre et alors qu'elle paraissait sur le point d'être étranglée par celui-ci. M. avait été engagé par la jeune femme pour assurer sa protection. Il était détective privé.
Statuant le 18 décembre 1986, la Cour de cassation du canton de Genève a rejeté le recours cantonal du condamné.
M. s'est pourvu en nullité au Tribunal fédéral. Par un arrêt du 14 avril 1987, en vertu de l'
art. 277 PPF
, la cour de céans a annulé la décision cantonale du 18 décembre 1986, faute de pouvoir constater comment la notion d'état excusable d'excitation (art. 33 al. 2 seconde phrase CP) avait été appliquée par les instances genevoises.
Le 4 février 1988, la Cour de cassation du canton de Genève a retourné la procédure à la Cour d'assises pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
BGE 115 IV 167 S. 169
Le 27 avril 1988, la Cour d'assises du canton de Genève a condamné M. à une peine de 3 ans de réclusion pour meurtre commis en état de légitime défense, dont il a toutefois outrepassé les bornes sans que cet excès fût imputable à un état excusable d'excitation ou de saisissement.
Le 28 juin 1989, la Cour de cassation du canton de Genève a rejeté le recours du condamné.
B.-
M. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il demande l'annulation de l'arrêt du 28 juin 1989, sous suite de frais et dépens.
Il a requis et obtenu l'effet suspensif. Il a déposé une requête d'assistance judiciaire.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Les circonstances du meurtre reproché au recourant sont telles que l'hypothèse d'un état excusable d'excitation ou de saisissement causé par l'attaque (art. 33 al. 2 seconde phrase CP) doit faire l'objet d'un examen dont les conclusions ne peuvent souffrir d'aucune ambiguïté; en effet, si l'auteur a agi dans cet état, il n'encourt aucune peine.
Or, dans le premier verdict de la Cour d'assises du canton de Genève (du 23 avril 1986), cette hypothèse avait été écartée sans indication de motifs; les questions posées au jury ne permettaient pas non plus de constater des faits et d'utiliser des critères d'appréciation propres à fonder ou à exclure une faute ou la punissabilité considérée sous cet angle. C'est essentiellement pour ces raisons que la cour de céans a admis le pourvoi en application de l'
art. 277 PPF
(arrêt du 14 avril 1987).
b) Ayant reçu la cause en retour, la Cour de cassation du canton de Genève l'a renvoyée à la Cour d'assises (arrêt du 4 février 1988); elle a spécifié que le jury devait répondre à la question de savoir si l'accusé a agi dans un état excusable d'excitation ou de saisissement causé par l'attaque, cette question devant préciser en fait et en droit les motifs qui l'amèneraient à répondre par l'affirmative ou par la négative.
Le Président de la Cour d'assises a estimé qu'il ne lui appartenait pas de rechercher dans le dossier les faits venant à l'appui des thèses des parties. Il leur a fixé un délai au 19 février 1988 pour présenter le texte d'une question à poser au jury. Le Procureur général du canton de Genève, agissant par un substitut, a répondu qu'il n'était pas tenu de libeller ou même de compléter une
BGE 115 IV 167 S. 170
question soumise au jury par la défense, à titre subsidiaire, lors de la première audience de la Cour d'assises. L'accusé n'a pas donné de réponse.
Le 27 avril 1988, devant la Cour d'assises, la défense a demandé que le jury réponde à une seule question qui commence par la phrase: "M. a-t-il excédé les bornes de la légitime défense en raison d'un état excusable d'excitation ou de saisissement causé par l'attaque,". Après une description détaillée des faits, la question se terminait en ces termes:
"que frappé par la détermination de G. dont il avait pu mesurer la vigueur au cours de la bagarre qu'il avait eue avec lui, M. braqua son arme sur G. en disant: "Halte, ou je tire",
que convaincu du danger de mort qui menaçait Gilberte X., M., privé du temps de la réflexion, fit usage de son pistolet en blessant mortellement G.,
que ce faisant, M. était en proie à un état excusable d'excitation ou de saisissement causé par l'attaque de G., cause d'exemption de peine prévue par l'art. 33 al. 2 in fine du Code pénal suisse."
Le jury a répondu par la négative à cette question, dont le substitut du Procureur général n'avait pas demandé la modification.
Vu le verdict du jury, la cour et le jury ont ensuite délibéré sur la peine. Ils ont considéré notamment: "(...) que l'accusé a commis un meurtre, qu'il était dans un état de légitime défense, qu'il a excédé les bornes de la légitime défense, cet excès ne provenant pas d'un état excusable d'excitation ou de saisissement causé par l'attaque (...)", avant de prononcer la condamnation à 3 ans de réclusion.
c) Saisie d'un recours du condamné, la Cour de cassation genevoise a relevé que d'après l'art. 299 du Code de procédure pénale genevois (ci-après: PP gen.), le Président de la Cour d'assises, à la demande du Procureur général ou de la défense, peut poser des questions subsidiaires découlant des débats; la Cour de cassation genevoise se réfère à un arrêt de la Ire Cour de droit public du Tribunal fédéral reconnaissant au Président de la Cour d'assises un rôle déterminant dans l'élaboration des questions; lors même que la loi ne le charge pas expressément de les rédiger, il peut poser d'office ou sur requête des questions subsidiaires découlant des débats (arrêt S. c. Cour de justice du 7 juillet 1988). En l'espèce, poursuit la Cour de cassation genevoise, la Cour d'assises n'a cependant pas fait poser d'office une première question - relevant
BGE 115 IV 167 S. 171
du fait - relative à l'existence d'un état d'excitation et de saisissement et une deuxième, relevant du droit, afférente au caractère excusable de cet état; en référence à l'injonction de préciser en fait et en droit les motifs qui conduiraient le jury a répondre par l'affirmative ou par la négative, la formulation de la question effectivement posée a été qualifiée d'inadéquate. Le recours cantonal a été cependant rejeté, car l'accusé avait lui-même rédigé la question dont il critiquait maintenant le libellé, ce qui ne serait pas compatible avec le principe de la bonne foi et l'interdiction de l'abus de droit.
2.
D'après le recourant, l'
art. 33 CP
aurait été violé sur le plan formel d'une part (faute de motifs indiquant pourquoi l'état d'excitation ou de saisissement n'avait pas été retenu) et sur le plan matériel d'autre part, car l'excès du droit de défense reproché serait dû à un état excusable d'excitation et de saisissement causé par l'attaque. Il précise qu'il n'était pas tenu selon l'art. 299 PP gen. de rédiger une question de nature subsidiaire avant la fin de l'instruction principale devant la Cour d'assises et que, convaincu que la réponse du jury serait affirmative, il avait choisi de grouper les deux éléments sur lesquels le jury devait se prononcer. Il souligne que le Ministère public, la partie civile, et le Président de la Cour d'assises ont accepté le libellé proposé sans émettre d'observations.
Quant à l'abus de droit, l'accusé soutient que la motivation d'un jugement est du ressort de la Cour et qu'il serait choquant de reprocher à un prévenu de n'avoir pas joué le rôle de l'accusation, partiellement défaillante. Il estime qu'il s'est limité à proposer une question conforme à ses intérêts, sans abuser de ce droit.
3.
Sur le plan de la recevabilité, on peut admettre que les griefs soulevés ont trait à l'application du droit fédéral au sens de l'
art. 269 al. 1 PPF
car, pour l'essentiel, le recourant soutient que ce sont les
art. 33 al. 2 CP
et 2 CC qui ont été violés. Il n'invoque pas de violations de l'
art. 4 Cst.
à l'appui de ses moyens tirés d'une motivation déficiente et d'un abus de droit retenu à tort.
4.
a) La Cour de cassation genevoise a admis que la formulation de la question posée au jury était inadéquate mais a rejeté les conclusions du recourant uniquement en application du principe de la bonne foi et de l'abus de droit.
b) D'après la jurisprudence, le principe de la bonne foi s'applique aussi à la procédure pénale. Il est contraire à ce principe d'invoquer après coup des moyens que l'on avait renoncé
BGE 115 IV 167 S. 172
à faire valoir en temps utile, en cours de procédure, parce que la décision intervenue a finalement été défavorable (
ATF 111 Ia 163
consid. 1a et jurisprudence citée, voir
ATF 111 II 94
). Cependant, ce principe ne saurait avoir une étendue toute générale, mais il doit au contraire se rapporter à une obligation déterminée (
ATF 107 Ia 211
consid. 3a). Il ne peut pas primer le principe de la légalité et autoriser le juge à modifier la loi comme il l'entend ou à en faire purement abstraction. Lorsque le but d'une disposition légale est clairement défini ou qu'il revêt un caractère absolu, comme c'est le cas des règles de procédure, il n'y a normalement pas place pour une adaptation au cas particulier sous le signe de la bonne foi.
Quant à la règle prohibant l'abus de droit, elle autorise certes le juge à corriger les effets de la loi dans certains cas où l'exercice d'un droit allégué créerait une injustice manifeste. Toutefois, son application doit demeurer restrictive et se concilier avec la finalité, telle que l'a voulue le législateur, de la norme matérielle applicable au cas concret (
ATF 107 Ia 211
consid. 3b et doctrine citée).
c) Dans un procès pénal, l'obligation de motiver correctement la décision judiciaire incombe à l'autorité saisie, non pas à l'accusé. Même si ce dernier a le droit de proposer des questions à soumettre au jury, éventualité prévue à l'art. 299 PP gen., cela ne signifie pas que la responsabilité des motifs du jugement de sa propre cause lui soit attribuée. Le Président de la Cour d'assises genevoise a un rôle décisif - on l'a vu - dans l'élaboration des questions (arrêt de la Ire Cour de droit public du 7 juillet 1988 précité et arrêt de la cour de céans M. c. Procureur général du canton de Genève du 27 janvier 1988 consid. 4d). Cela est aussi conforme aux règles découlant de la maxime d'office qui prévaut en procédure pénale (voir NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, Zurich 1989, p. 24 à 29, PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, Lausanne 1987 p. 151 ch. 678 ss).
D'après l'arrêt de la cour de céans du 14 avril 1987 renvoyant la cause à l'autorité cantonale, le contrôle de l'application du droit fédéral n'est pas possible tant que le Tribunal fédéral ne peut pas savoir si l'excès prévu à l'
art. 33 ch. 2 CP
provient ou ne provient pas d'un état d'excitation ou de saisissement excusable causé par l'attaque. La solution de ce problème exige que l'on sache si l'auteur était ou n'était pas dans un état d'excitation ou de saisissement lorsqu'il a agi, avec l'indication des motifs ayant conduit au résultat choisi par l'instance cantonale compétente et,
BGE 115 IV 167 S. 173
dans l'affirmative, si l'état de trouble constaté était ou n'était pas excusable, cela également avec indication des motifs.
Certes, dresser un questionnaire recouvrant ces interrogations n'est pas chose aisée et nécessite plus d'une ou même plus de deux questions (voir
art. 192 ss PPF
relatifs aux Assises fédérales). Cependant, l'arrêt attaqué se fonde sur la réponse à une seule question posée par la défense, ce que la Cour de cassation genevoise elle-même critique. Il est vrai que cette question est l'oeuvre du recourant, qui remet aujourd'hui en cause son propre libellé au motif qu'il attendait une réponse affirmative. Compte tenu de la faculté laissée au Procureur général de formuler des observations sur le texte soumis au jury (art. 302 PP gen.), du rôle décisif du Président de la Cour d'assises et des principes découlant de la maxime d'office, on ne saurait admettre que le recourant ait outrepassé les limites de la bonne foi ou abusé de son droit; cette conclusion se justifie d'autant plus qu'il s'agit d'un crime poursuivi d'office dont l'auteur est passible d'une lourde peine.
5.
Faute de constatations suffisantes, l'arrêt attaqué ne permet pas de déterminer de quelle façon l'art. 33 al. 2 seconde phrase CP a été appliqué. En conséquence, la cause sera derechef renvoyée à l'autorité cantonale pour nouvelle décision, en application de l'
art. 277 PPF
.
Comme lors du précédent renvoi découlant de l'arrêt du 14 avril 1987, il incombe à l'autorité cantonale de faire en sorte qu'une nouvelle décision soit prise, permettant le contrôle de l'application de l'art. 33 al. 2 seconde phrase CP. | null | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5cc6b68-f405-4d79-bb9d-f39f21df73aa | Urteilskopf
83 I 237
31. Urteil vom 18. September 1957 i.S. X. gegen Y. und Regierungsrat des Kantons Aargau. | Regeste
Namensänderung, rechtliches Gehör.
Dem Gesuch um Änderung des Namens eines bei der Ehescheidung der Mutter zugesprochenen Kindes darf nicht entsprochen werden, ohne dass dem Vater Gelegenheit gegeben wird, dazu Stellung zu nehmen. | Sachverhalt
ab Seite 238
BGE 83 I 237 S. 238
A.-
Der in Würenlos (AG) heimatberechtigte und in Ennetbaden (AG) wohnhafte Beschwerdeführer Rudolf X. hatte sich im Jahre 1950 verheiratet. Durch Urteil vom 4. Oktober 1955 wurde die Ehe geschieden und das einzige, am 20. Dezember 1950 geborene Kind Rudolf Josef der Mutter zugeteilt. Diese ging in der Folge mit dem ebenfalls in Würenlos heimatberechtigten Jakob Y. eine neue Ehe ein.
Am 16. März 1957 ersuchten die in Neuenhof (AG) wohnhaften Eheleute Y. den Regierungsrat des Kantons Aargau, dem Knaben Rudolf Josef X. die Führung des Familiennamens Y. zu gestatten. Da der Knabe in der Familie Y. lebe und demnächst schulpflichtig werde, liege es in seinem Interesse, den Namen seiner Mutter und seines Stiefvaters und nicht denjenigen seines übrigens mehrfach vorbestraften Vaters zu führen.
Der Regierungsrat holte Berichte der Gemeinderäte von Würenlos und Neuenhof ein und entsprach hierauf mit Beschluss vom 15. Juni 1957 dem Gesuch.
B.-
Rudolf X. hat gegen diesen Entscheid rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er macht geltend: Der Regierungsrat habe die Namensänderung ohne Wissen und Anhörung des Beschwerdeführers bewilligt. Hierin liege eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs und damit eine Verletzung von
Art. 4 BV
.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt die Abweisung der Beschwerde und führt aus: In Namensänderungsfällen wie dem vorliegenden seien die Interessen des leiblichen Vaters und des Kindes gegeneinander abzuwägen. Wenn der Vater, wie hier, wegen Vermögensdelikten wiederholt mit schweren Freiheitsstrafen, insbesondere auch mit Zuchthaus bestraft worden sei, überwiege das Interesse des Kindes so eindeutig, dass sich eine Vernehmlassung des leiblichen Vaters erübrige. Eine
BGE 83 I 237 S. 239
Aufforderung an ihn zur Stellungnahme hätte, da auf seinen Einspruch keine Rücksicht genommen werden könnte, nur eine rein formale Tragweite und könnte nur zu unerwünschten, dem Wohl des Kindes abträglichen Interventionen des Vaters führen.
Frau Y. beantragt gleichfalls Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
In
BGE 76 II 342
Erw. 2 hat die zweite Zivilabteilung des Bundesgerichts ausgeführt, es sei nicht nur ein Recht des Kindes, den Namen des Vaters zu führen, sondern auch ein Recht des Vaters, dass seine Kinder keinen andern Namen als den seinigen erhalten; daher sei, wenn für ein Kind ein Gesuch um Namensänderung gestellt werde, auch das Interesse des Vaters in Berücksichtigung zu ziehen und diesem Gelegenheit zu geben, zum Gesuch Stellung zu nehmen. Die staatsrechtliche Abteilung hat sich dieser Auffassung angeschlossen und wiederholt festgestellt, der Vater müsse zu einem für sein Kind gestellten Namensänderungsgesuch angehört werden (nicht veröffentlichte Urteile vom 11. November 1953 i.S. Luisier c. Wallis und vom 6. März 1957 i.S. Nideröst c. Schwyz). Irgendwelche Gründe, die es gestattet hätten, wie in einem kürzlich beurteilten Falle (nicht veröffentl. Urteil vom 2. Mai 1956 i.S. Vogel c. Luzern) ausnahmsweise von diesem Grundsatz abzuweichen, liegen nicht vor; der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers, der seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind regelmässig nachkommt und auch sein Besuchsrecht ausübt, war bekannt und die Behandlung des Namensänderungsgesuchs nicht dringlich. Indem der Regierungsrat dem Gesuch entsprach, ohne den Beschwerdeführer anzuhören, hat er dessen Anspruch auf rechtliches Gehör und damit den
Art. 4 BV
verletzt.
Der Einwand des Regierungsrates, die Interessenlage sei so eindeutig, dass der Einspruch des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt werden könnte und nur eine "für das Wohl des Kindes abträgliche Intervention" bedeuten
BGE 83 I 237 S. 240
würde, ist unbehelflich. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nach feststehender Rechtsprechung formeller Natur. Seine Verletzung hat die Aufhebung des angefochtenen Entscheids auch dann zur Folge, wenn der Beschwerdeführer ein materielles Interesse hieran nicht nachzuweisen vermag, weshalb nichts darauf ankommt, ob irgendwelche Aussicht besteht, dass der Regierungsrat nach Anhörung des Beschwerdeführers zu einer Änderung seines Entscheids gelangt (
BGE 64 I 148
/9 und dortige Zitate,
BGE 75 I 227
,
BGE 76 I 182
/3,
BGE 82 I 71
/2). Inwiefern diese Anhörung dem Kind zum Nachteil gereichen könnte, wird vom Regierungsrat nicht näher ausgeführt und ist unerfindlich.
Der angefochtene Entscheid ist somit wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufzuheben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 15. Juni 1957 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a5d14019-0212-41b7-b4ef-a9b8ed940433 | Urteilskopf
105 IV 81
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1979 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 68 Ziff. 2 StGB
.
Nach dieser Bestimmung sind in die Gesamtbewertung die mit der Grundstrafe belegten Taten auch dann einzubeziehen, wenn sie ohne die rechtskräftige Beurteilung im Zeitpunkt einer späteren Zusatzstrafe absolut verjährt wären. | Erwägungen
ab Seite 81
BGE 105 IV 81 S. 81
Aus den Erwägungen:
3.
Nach der Meinung des Beschwerdeführers soll die Vorinstanz sodann
Art. 68 Ziff. 2 StGB
auch dadurch verletzt haben, dass sie eine Zusatzstrafe zu einer Grundstrafe ausfällte, obschon die von dieser betroffenen Taten (Urteil des Kantonsgerichtes Freiburg) im Zeitpunkt der Ausfällung des zweiten Zusatzurteils absolut verjährt gewesen seien. Eine gleichzeitige Beurteilung der verschiedenen Tatbestände sei nämlich nur möglich, wenn bezüglich sämtlicher strafbarer Handlungen die Voraussetzungen für eine Beurteilung gegeben seien, was im Fall der Verjährung nicht zutreffe.
BGE 105 IV 81 S. 82
Damit verkennt der Beschwerdeführer den Sinn des
Art. 68 Ziff. 2 StGB
und der daran anschliessenden Rechtsprechung des Bundesgerichtes. Wenn Gesetz und Praxis von der Hypothese der gleichzeitigen Beurteilung sprechen, so ist damit selbstverständlich die Beurteilung im Zeitpunkt des ersten Entscheides, mit welchem die Grundstrafe ausgefällt wurde, gemeint. Das erhellt zweifelsfrei aus dem Wortlaut des Art. 68 Ziff. 2 ("als wenn die mehreren strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären"). Im übrigen übersieht die Beschwerde, dass die mit der Grundstrafe belegten Taten im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheides rechtskräftig beurteilt waren und die Vorinstanz das Urteil des Kantonsgerichtes Freiburg weder aufheben noch ändern konnte. Wenn das Obergericht bei Bemessung der Zusatzstrafe die früheren Delikte und die für sie ausgefällten Strafen für die Bemessung der von ihm auszufällenden Zusatzstrafe herangezogen hat, so lediglich im Sinne einer hypothetischen Gesamtbewertung. Dadurch ist der Beschwerdeführer auch keineswegs schlechtergestellt worden. Entgegen seiner Meinung hätte die Strafe bei gleichzeitiger Beurteilung aller Taten durch das Kantonsgericht Freiburg mehr als 18 Monate betragen, wenn man die tatsächlich gesprochenen Grund- und Zusatzstrafen in Rechnung stellt, und hätte ihm deshalb der bedingte Strafvollzug überhaupt nicht gewährt werden können (
BGE 94 IV 50
). Statt dessen hat er von der Aufteilung der Beurteilung in verschiedene Verfahren insoweit Nutzen gezogen, als ihm für die Grundstrafe und die erste Zusatzstrafe der bedingte Strafvollzug gewährt worden ist. Er hat deshalb keinen Anlass, sich als benachteiligt zu beklagen. Jedenfalls hat die Vorinstanz auch insoweit Bundesrecht nicht verletzt. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5d84275-71d6-4771-86ee-4ae9a748345f | Urteilskopf
112 IV 74
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1986 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 58bis StGB
.
Dem auf
Art. 58bis StGB
gestützten Begehren eines Entführten auf Aushändigung des Lösegelds bleibt der Erfolg versagt, wenn der Täter das Geld (Lire-Betrag) bei einer Bank gewechselt und im übrigen mit eigenem Geld vermengt hat (E. 3b).
Es ist fraglich, ob dem Anspruch auf Aushändigung i.S. des
Art. 58bis Abs. 1 StGB
eine bereits rechtskräftig zu Gunsten des Kantons ausgesprochene Einziehung i.S. von
Art. 58 StGB
entgegensteht. Frage offengelassen (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 74
BGE 112 IV 74 S. 74
Am 17. Juni 1977 verurteilte das Geschworenengericht des Kantons Zürich den (inzwischen verstorbenen) französischen Staatsangehörigen F. wegen eines Raubüberfalls auf die Migros-Bank in Zürich 1, wiederholter und fortgesetzter Urkundenfälschung, einfacher Körperverletzung und Gewalt und Drohung gegen Beamte zu zwölf Jahren Zuchthaus, Fr. 3'000.-- Busse und 15 Jahren
BGE 112 IV 74 S. 75
Landesverweisung. Gleichentags beschloss das Geschworenengericht die definitive Beschlagnahme von insgesamt Fr. 589'529.10 samt Zinsen, welche anlässlich der Verhaftung von F. und seiner Begleiterin Frau R. sichergestellt worden waren. Von diesem Geld wurden rund Fr. 116'900.-- für die Geschädigte SECURA-Versicherungsgesellschaft (anstelle der überfallenen Migros-Bank) und rund Fr. 133.-- für einen andern Geschädigten verwendet. Ein weiterer Betrag wurde zur Deckung der Busse sowie der Untersuchungs- und Gerichtskosten herangezogen und der Rest des Geldes im Sinne von
Art. 58 StGB
zuhanden des Kantons Zürich eingezogen. Durch Verfügung des stellvertretenden Geschworenengerichtspräsidenten vom 21. Juli 1977 wurden weitere, bei F. sichergestellte Barvermögenswerte im Betrag von insgesamt rund Fr. 54'600.-- samt Zinsen eingezogen. Am 21. Mai 1979 sprach das Obergericht des Kantons Zürich in Anwendung von
Art. 60 StGB
der SECURA-Versicherungsgesellschaft zusätzlich ca. Fr. 37'800.-- und ca. Fr. 151'150.-- samt Zinsen zu.
Am 28. September 1984 stellte der italienische Staatsangehörige X., der von einer Bande, bei welcher F. und Frau R. Mitglieder gewesen sein sollen, angeblich am 10. Juni 1975 entführt und ca. zehn Tage später gegen ein Lösegeld von einer Milliarde Lire freigelassen wurde, beim Obergericht des Kantons Zürich ein Gesuch mit dem Begehren,
"es sei der durch Urteil des Geschworenengerichtes des Kantons Zürich
vom 17. Juni 1977 bzw. dessen Beschluss vom 17. Juni/21. Juli 1977 in
Sachen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen F. beschlagnahmte
Geldbetrag von insgesamt Fr. 589'529.10 zuzüglich die seit 23. Juni
1975 aufgelaufenen Zinsen dem Gesuchsteller X. auszuzahlen". Er machte geltend, das bei F. und Frau R. sichergestellte, vom Geschworenengericht definitiv beschlagnahmte und eingezogene Geld stamme von dem seinen Entführern bezahlten Lösegeld.
Am 1. April 1986 wies das Obergericht des Kantons Zürich das von X. am 28. September 1984 gestellte Gesuch ab, soweit darauf eingetreten wurde.
X. ficht diesen Entscheid mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde an. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts vom 1. April 1986 sei aufzuheben und es sei das Gesuch gutzuheissen bzw. die Sache zur Gutheissung desselben an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 112 IV 74 S. 76
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Vorinstanz wies das Gesuch des Beschwerdeführers ab, weil nicht abschliessend habe festgestellt werden können, woher die bei F. und Frau R. beschlagnahmten Geldbeträge in verschiedenen Währungen stammten; insbesondere habe sich die Ausscheidung des von X. bezahlten Lösegeldes als unmöglich erwiesen, weil der Vater von X. sich geweigert habe, den grössten Teil der Seriennummern den Untersuchungsbehörden bekanntzugeben. Das Geschworenengericht habe unter den gegebenen Umständen nicht davon ausgehen müssen, dass die beschlagnahmten Gelder Eigentum des X. seien, zumal ein allfälliges Eigentumsrecht desselben am beschlagnahmten Geld jedenfalls durch Vermischung und Wechseln der Lire-Beträge untergegangen wäre. Selbst wenn also über die Herkunft des beschlagnahmten Geldes Klarheit bestanden hätte, wäre X. nicht als anspruchsberechtigter Eigentümer im Sinne von
Art. 58bis StGB
anzusehen. Nachdem überdies das Geschworenengericht und später das Obergericht zugunsten der Geschädigten (SECURA-Versicherungsgesellschaft und Migros-Bank) und des Staates rechtskräftig über das Geld verfügt hätten, fehle dem Gesuch des X. auch unter diesem Gesichtspunkt die gesetzliche Grundlage.
Art. 58bis StGB
spreche von "einzuziehenden" und nicht von bereits eingezogenen Werten. Das vorliegende Verfahren könne nicht dazu dienen, X. sein allfälliges früheres Recht wieder zu verschaffen. Das widerspräche
Art. 58bis StGB
und den in der Sache rechtskräftig ergangenen Entscheiden, in die das Gericht nicht eingreifen könne.
b) Muss es bei der Feststellung der Vorinstanz sein Bewenden haben, dass F. und Frau R. das durch die Entführung des X. erlangte Lösegeld, soweit es sich um Lire-Beträge handelte, bei einer Bank gewechselt und im übrigen mit eigenem Geld vermengt haben, dann ist damit aber auch gesagt, dass der Beschwerdeführer an dem beschlagnahmten und von den Zürcher Gerichten eingezogenen Geldbetrag kein zivilrechtliches Eigentum besass, da dieses, sofern es einst bestanden haben sollte, durch jene Handlungen der Täter untergegangen war (s.
BGE 101 IV 380
E. b; HAAB/SIMONIUS, Zürcher Kommentar, N. 84 ff. zu
Art. 727 ZGB
). Da aber nach
Art. 58bis Abs. 1 StGB
die Aushändigung einzuziehender Gegenstände oder Vermögenswerte, die durch eine strafbare Handlung erlangt wurden, an Dritte nur möglich ist, wenn sie anspruchsberechtigte Eigentümer sind oder in Unkenntnis der
BGE 112 IV 74 S. 77
strafbaren Handlung einen Anspruch auf Verschaffung von Eigentum erworben haben (s. den vorgenannten Bundesgerichtsentscheid sowie J. REHBERG, Strafrecht II, 3. Aufl. S. 86; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts II, 4. Aufl. S. 214 f.), kann sich der Beschwerdeführer nicht auf diese Bestimmung berufen; das Begehren um Aushändigung der Sache kommt nämlich einer rei vindicatio gleich, die nur dem dinglich Berechtigten zusteht (
Art. 641 Abs. 2 ZGB
). Darüber hilft auch der Hinweis auf
BGE 108 IV 154
nicht hinweg. In dem damals behandelten Fall stand einzig zur Entscheidung, ob der Generalprokurator des Kantons Genf Richter im Sinne der
Art. 58 ff. StGB
sei. Dagegen hatte sich das Bundesgericht nicht darüber auszusprechen, ob die Voraussetzungen des
Art. 58bis Abs. 1 StGB
gegeben seien.
c) Ob schliesslich die Auffassung des Obergerichts zutrifft, wonach dem Anspruch auf Aushändigung im Sinne des
Art. 58bis Abs. 1 StGB
eine bereits rechtskräftig ausgesprochene Einziehung entgegenstehe, dürfte höchst zweifelhaft sein. Wohl spricht diese Bestimmung von "einzuziehenden" Gegenständen und Vermögenswerten und hat damit den Fall im Auge, dass der an der Sache berechtigte Dritte im Zeitpunkt des Entscheides über die Einziehung bekannt ist. Indessen lässt
Art. 58bis Abs. 3 StGB
die Ansprüche Dritter "auf Grund dieses Artikels" ausdrücklich erst in fünf Jahren "seit der amtlichen Bekanntmachung der Einziehung" erlöschen. Eine solche Bekanntgabe kann aber nur einen Sinn haben, wenn dem Drittberechtigten die Möglichkeit offensteht, seinen Anspruch noch nach angeordneter Einziehung geltend zu machen. Auch wenn die Frage heute nicht endgültig entschieden werden muss, weil die Beschwerde aus den vorhergehenden Erwägungen (lit. b) abzuweisen ist, lässt doch das Gesagte die Meinung der Vorinstanz im letztgenannten Punkt als wenig überzeugend erscheinen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5d989c2-abf3-4bb2-b89c-176d693200cb | Urteilskopf
100 IV 56
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. März 1974 i.S. Rochelt gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. | Regeste
Art. 288 StGB
; Bestechung.
1. Das Versprechen, dem zu Bestechenden den Vorteil durch Dritte zukommen zu lassen, ist ebenfalls strafbar (Erw. 2 a).
2. Dass der Täter und der zu Bestechende den Vorteil für realisierbar halten und letzterer bereit ist, pflichtwidrig zu handeln, ist nicht erforderlich; es genügt, dass der Bestecher mit der Möglichkeit rechnet, mit dem Versprechen den andern beeinflussen zu können (Erw. 2 a). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 100 IV 56 S. 56
Aus dem Sachverhalt:
A.-
Als Dr. Adolf Rochelt am 9. September 1967 bei Schaanwald FL das schweizerische Zollgebiet betreten wollte, wurden in seinem Auto etwa 100 kg nicht verzollte Statuen gefunden. Mit der Durchführung des hierauf durch die Zolluntersuchungsstelle Buchs eröffneten Strafverfahrens wegen Zoll- und Warenumsatzsteuerhinterziehung wurde Christian Lippuner betraut.
Anlässlich der am 4. Oktober 1967 erfolgten Einvernahme erklärte Dr. Rochelt sinngemäss, er werde, falls Lipuner den Vorfall im Schaanwald abschliesse, d.h. die Untersuchung nicht auf andere Vorfälle erweitere, dafür sorgen, dass für
BGE 100 IV 56 S. 57
diesen eine Beförderung in kürzester Frist in Aussicht stehe; er verfüge nämlich in Bern und Wien über Verbindungen bis in die allerhöchsten Stellen. Wenn Lippuner nicht wolle, lasse er seine Beziehungen in umgekehrter Richtung spielen. Mit erhobenem Zeigefinger rief er dem Untersuchungsbeamten zu, er (Lippuner) werde noch an ihn denken.
B.-
Am 24. Juni 1971 verurteilte das Bezirksgericht Werdenberg Dr. Rochelt wegen Bestechung und übler Nachrede zu vier Wochen Gefängnis, bedingt vollziehbar, zu einer Busse von Fr. 300.-- und verpflichtete ihn, an den Privatkläger eine Genugtuungssumme von Fr. 500.-- zu bezahlen.
Im Berufungsverfahren liess das Kantonsgericht Sankt Gallen die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten begutachten und fand ihn durch Urteil vom 26. Juni 1973 der Bestechung und der üblen Nachrede schuldig, billigte ihm verminderte Zurechnungsfähigkeit zu, verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1000.--, bedingt löschbar nach Ablauf einer Probezeit von einem Jahr, und wies die Genugtuungsforderung ab.
C.-
Hiegegen führt Rochelt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Verurteilung und den Kostenspruch des Kantonsgerichtes aufzuheben und ihn von Schuld und Strafe freizusprechen, eventuell die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am 31. Januar 1974 ab, soweit es darauf eintreten konnte.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Dr. Rochelt macht zunächst geltend, es liege keine Bestechung vor, weil Lippuner erkannte oder erkennen musste, dass sein Angebot leeres Geschwätz war. Massgebend sei, ob nach Ansicht des zu bestechenden Beamten das Angebot geeignet wäre, eine Amtspflichtverletzung herbeizuführen; wenn ein Ausländer einem schweizerischen Zollbeamten eine Beförderung ausserhalb der üblichen Beförderungsbedingungen verspreche, sei dieses Angebot nicht geeignet, eine Amtspflichtverletzung zu bewirken.
a) Der Bestechung im Sinne von
Art. 288 StGB
macht sich schuldig, wer einem Beamten usw. ein Geschenk oder einen Vorteil anbietet, verspricht, gibt oder zukommen lässt, damit
BGE 100 IV 56 S. 58
er seine Amts- oder Dienstpflicht verletze. Mit Recht sieht die Vorinstanz diesen Tatbestand durch die Äusserung des Beschwerdeführers erfüllt, er werde vermöge seiner Verbindungen bis in die höchsten Stellen in Bern und Wien dafür sorgen, dass für Lippuner innert kürzester Frist eine Beförderung in Aussicht stehe, wenn dieser den Fall mit der Begebenheit im Schaanwald abschliesse. Als Untersuchungsbeamter in einer Fiskalstrafsache war Lippuner Beamter im Sinne von
Art. 110 Ziff. 4 StGB
. Der angebotene Vorteil bestand in einer Beförderung innert kürzester Frist. Freilich versprach der Beschwerdeführer nicht, er selber werde Lippuner befördern. Er versprach aber, seine Verbindungen, die er bis in die höchsten Stellen habe, spielen zu lassen, diesen Vorteil also Lippuner durch Dritte zukommen zu lassen, was nach Gesetz ebenfalls strafbar ist. Dass der Täter das Versprechen erfüllen will oder an die Möglichkeit glaubt, dieses Versprechen erfüllen zu können, ist nicht erfordert. Es genügt, dass er mit der Möglichkeit rechnet, mit einem solchen Versprechen den Beamten beeinflussen zu können. Als Gegenleistung hätte Lippuner, entgegen seiner Amtspflicht, die Fahndung nach weitern Fiskaldelikten unterlassen sollen. Dass der Beschwerdeführer mit der Äusserung tatsächlich eine Beförderung in Bern in Aussicht stellen wollte, wenn Lippuner weitere strafbare Handlungen verschweige, hat die Vorinstanz verbindlich festgestellt. Mit diesem Angebot war der Tatbestand erfüllt, auch wenn der Beamte dem Versprechen nicht glaubte oder nicht bereit war, pflichtwidrig zu handeln.
Es ist also nicht erforderlich, dass der Bestecher und der Beamte den Vorteil für realisierbar halten, wie der Beschwerdeführer meint. Es genügt, dass der Bestecher im Sinne des dolus eventualis annimmt, der Beamte rechne möglicherweise mit dem Vorteil und lasse sich allenfalls dadurch beeinflussen. Erfolg muss der Bestecher mit seinem Vorhaben beim Beamten nicht haben, weil
Art. 288 StGB
überhaupt nicht die Reaktion des Beamten auf das Ansinnen des Täters erfasst.
b) Im angefochtenen Urteil schliesst die Vorinstanz nicht aus, dass der Beschwerdeführer die Bestechung vielleicht unterlassen hätte, wenn er nicht durch eine momentane Unterzuckerung psychisch beeinträchtigt gewesen wäre. Damit steht lediglich fest, dass er Lippuner tatsächlich bestechen wollte. Nach den Feststellungen der Vorinstanz war Dr. Rochelt
BGE 100 IV 56 S. 59
anlässlich der Tat lediglich vermindert zurechnungsfähig, also strafrechtlich verantwortlich. Ob sein Ansinnen realistisch war, ist unerheblich. Eine unrichtige Einschätzung der Wirklichkeit als Folge verminderter Zurechnungsfähigkeit vermag folglich, entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers, den Tatbestand der Bestechung nicht auszuschliessen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5da7448-c95a-43f0-ac1b-2a615a178b8d | Urteilskopf
125 III 322
55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juli 1999 i.S. A. AG gegen Bank X. (Berufung) | Regeste
Bürgschaft auf Zeit; fristgerechte Belangung des Bürgen (
Art. 510 Abs. 3 OR
).
Art. 510 Abs. 3 OR
erfasst bei der einfachen Bürgschaft nur die verbürgte Hauptforderung, nicht auch die subsidiäre Bürgschaftsforderung. Das Gebot, die Hauptforderung fristgerecht geltend zu machen und beschleunigt zu verfolgen, gilt nicht für die Bürgschaftsforderung (E. 3a/b). Eine anderslautende Vereinbarung der Parteien vorbehalten, genügt es grundsätzlich, wenn der Gläubiger dem Bürgen binnen vier Wochen nach beendetem Vorgehen gegen den Hauptschuldner anzeigt, die Bürgschaft zu beanspruchen. Einer fristgebundenen Klageanhebung bedarf es nicht (E. 3c/d). | Sachverhalt
ab Seite 323
BGE 125 III 322 S. 323
Am 20. Juli 1992 verpflichtete sich die Bank X. mit einfacher, bis zum 1. August 1994 befristeter Bürgschaft gegenüber der Klägerin, bis zu einem Höchstbetrag von Fr. 463'000.- für die Verpflichtungen der neu zu gründenden Y. Immobilien GmbH aus deren Mietvertrag über Geschäftsräumlichkeiten in Luzern zu haften. Am 7. Januar 1994 wurde in der Wechselbetreibung der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin der Zahlungsbefehl aus- und am 1. Februar 1994 zugestellt. Am 24. Februar 1994 ersuchte die Hauptschuldnerin um Nachlassstundung. Am 25. Februar 1994 stellte die Klägerin gegen die Hauptschuldnerin das Konkursbegehren. Am 1. März 1994 wurde das Konkurseröffnungsverfahren bis zum Entscheid über die Nachlassstundung sistiert.
Am 11. Juli 1994 wies die Klägerin den Bürgen darauf hin, dass sie ihn zufolge Zahlungsunfähigkeit der Hauptschuldnerin in Anspruch nehme. Am 20. Juli 1994 erklärte der Bürge sich ausserstande, die Ansprüche der Klägerin zu befriedigen, weil über die Hauptschuldnerin der Konkurs nicht eröffnet sei. Am 28. Juli 1994 bestätigte die Klägerin dem Bürgen, ihn in Anspruch zu nehmen, und liess ihn am 13. August 1994 vor den Friedensrichter laden. Der Sühneversuch fand am 25. August 1994 statt und verlief fruchtlos. Mit Schreiben vom 20. Oktober 1994 verzichtete der Bürge unter Hinweis auf ein Telefongespräch des Vortags auf eine erneute Durchführung der Friedensrichterverhandlung. Nachdem am 15. Juli 1994 das Nachlassstundungsgesuch und am 3. November 1994 ein Rekurs der Hauptschuldnerin abgewiesen worden waren, wurde am 7. Dezember 1994 über sie der Konkurs eröffnet.
Mit Klage vom 22. März 1995 belangte die Klägerin den Bürgen auf Bezahlung von Fr. 463'000.-. Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies die Klage am 13. Oktober 1997 mit der Begründung ab, die Klägerin habe mit der Einreichung der Klage nach der Konkurseröffnung über die Hauptschuldnerin zu lange zugewartet, um dem Erfordernis des rechtzeitig eingeschlagenen und ohne erhebliche Unterbrechung verfolgten Rechtswegs von
Art. 510 Abs. 3 OR
zu genügen. Gleich entschied mit Urteil vom 15. März 1999 das Obergericht des Kantons Luzern.
BGE 125 III 322 S. 324
Das Bundesgericht heisst die eidgenössische Berufung der Klägerin teilweise gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Streitsache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die von der Beklagten zu vertretende Bürgschaft bestimmt u.a.:
«Diese Bürgschaft erlischt am 1. August 1994 endgültig, sofern der Gläubiger nicht mit spätestens an diesem Tage beim Schweizerischen Bankverein in Luzern eintreffenden Brief oder Telegramm erklärt, dass er ihn aufgrund dieser Bürgschaft in Anspruch nehmen will. Im letzteren Falle hat der Gläubiger ausserdem binnen vier Wochen den Rechtsweg zu verfolgen.»
Die Bürgschaft wurde damit im Sinne von
Art. 510 Abs. 3 OR
befristet, wovon zu Recht auch die Vorinstanz und die Parteien ausgehen.
2.
Ist die Bürgschaft nur für eine bestimmte Zeit eingegangen, so erlischt die Verpflichtung des Bürgen, wenn der Gläubiger nicht binnen vier Wochen nach Ablauf der Frist seine Forderung rechtlich geltend macht und den Rechtsweg ohne erhebliche Unterbrechung verfolgt (
Art. 510 Abs. 3 OR
).
Bei der einfachen Bürgschaft, wie eine hier zur Beurteilung steht, hat der Gläubiger nach Massgabe dieser Bestimmung vorerst gegen den Hauptschuldner vorzugehen (zur anderen Rechtslage bei der Solidarbürgschaft vgl.
BGE 54 II 289
E. 4;
BGE 56 III 154
sowie Giovanoli, Berner Kommentar, N. 14 zu
Art. 510 OR
mit weiteren Hinweisen). Dies ergibt sich ohne weiteres aus der dem Bürgen zustehenden Einrede der Vorausklage (
Art. 495 OR
) und ist in Lehre und Rechtsprechung unstreitig (
BGE 108 II 199
; Urteil des Bundesgerichts vom 27.7.1988 in SJ 1988 641; GIOVANOLI, a.a.O., N. 13a zu
Art. 510 OR
; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, N. 20 f. zu
Art. 510 OR
, insb. N. 23 e contrario; PESTALOZZI, Basler Kommentar, N. 13 zu
Art. 510 OR
; BECK, Das neue Bürgschaftsrecht, Zürich 1942, N. 40 zu
Art. 510 OR
; GUHL, Das neue Bürgschaftsrecht der Schweiz, Zürich 1942, S. 125; SCYBOZ, Garantievertrag und Bürgschaft, in SPR VII/2, S. 315 f., 430; GUHL/MERZ/DRUEY, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl., S. 571; TERCIER, Les contrats spéciaux, 2e éd., S. 643 Rz. 5287; ENGEL, Contrats de droit suisse, S. 612; HANS HEMMELER, Die Gründe für den Untergang der Bürgschaft, Diss. Bern 1954, S. 53).
Die Rechtsprechung unterstellt das Erfordernis der Rechtsverfolgung ohne erhebliche Unterbrechung nach
Art. 510 Abs. 3 OR
einem
BGE 125 III 322 S. 325
strengen Massstab. Sie begründet dies mit der Schutzfunktion der Norm zu Gunsten des Bürgen, dem dadurch die Möglichkeit gegeben sei, die Hauptschuld zur Liquidation und seine eigene unbefristete Verpflichtung zur Abklärung und zur Erledigung zu bringen (
BGE 64 II 191
E. 4;
BGE 108 II 199
E. 3a). Die überwiegende Lehre teilt diese Auffassung (Nachweise in
BGE 108 II 199
E. 3a, zustimmend ebenfalls PESTALOZZI, a.a.O., N. 14 zu
Art. 510 OR
; ENGEL, a.a.O., S. 612; differenzierter OSER/SCHÖNENBERGER, a.a.O., N. 21 zu
Art. 510 OR
). Danach wird an der gesetzlichen Frist von vier Wochen für die Aufnahme der Rechtsverfolgung für den Regelfall auch das Beschleunigungsgebot gemessen, welches dem Gläubiger für die Rechtsverfolgung obliegt (
BGE 64 II 191
E. 3;
BGE 108 II 199
E. 3a).
3.
Die Vorinstanz unterstellt ebenfalls die Rechtsverfolgung des Gläubigers gegenüber dem - einfachen - Bürgen dem Beschleunigungsgebot nach
Art. 510 Abs. 3 OR
, hält es im vorliegenden Fall für missachtet, weil die Klägerin erst rund drei Monate nach Kenntnis ihres Deckungsausfalls bei der Hauptschuldnerin Klage gegen den Bürgen eingeleitet habe, und schliesst daraus auf Befreiung der Beklagten.
Ein Teil der Lehre vertritt die Auffassung, der Gläubiger habe nach erfolglosem Vorgehen gegen den Hauptschuldner den Bürgen in gleicher Weise und ohne erhebliche Unterbrechung zu belangen (OSER/SCHÖNENBERGER, a.a.O., N. 22 zu
Art. 510 OR
, vgl. aber auch N. 24 zu diesem Artikel und unten lit. b; SCYBOZ, a.a.O., S. 430), jedenfalls aber beförderlich in Anspruch zu nehmen (PESTALOZZI, a.a.O., N. 15 zu
Art. 510 OR
; BECK, a.a.O., N. 45 zu
Art. 510 OR
; TERCIER, a.a.O., S. 643 Rz. 5287). Das Bundesgericht hatte sich zu dieser Frage soweit ersichtlich noch nicht zu äussern.
Die Auffassung der Vorinstanz weckt Bedenken:
a) Bei der in
Art. 510 Abs. 3 OR
genannten Forderung, welche der Gläubiger fristgerecht geltend zu machen und beschleunigt zu verfolgen hat, handelt es sich im Falle der einfachen Bürgschaft klarerweise um die verbürgte Hauptforderung (E. 2 hievor). Die - subsidiäre - Bürgschaftsforderung wird vom Gesetzestext in diesem Zusammenhang nicht erfasst.
b) Rechtfertigt sich die zeitliche Strenge in der Verfolgung der Hauptforderung aus dem Interesse des Bürgen an einer Klärung von Grundsatz und Umfang seiner Haftung (
BGE 64 II 191
E. 4), aus der Tendenz zur Erleichterung seiner Befreiung von einer in aller Regel einseitig eingegangenen Verpflichtung und aus der Schwierigkeit der Schadensbestimmung bei unterlassener oder verzögerter Geltendmachung
BGE 125 III 322 S. 326
der Hauptforderung (GIOVANOLI, a.a.O., N. 15 zu
Art. 510 OR
), lässt sich das Beschleunigungsgebot teleologisch nicht analog auf die Verfolgung der Bürgschaftsforderung ausdehnen, weil diese Zielsetzungen nach Bereinigung der Hauptforderung nicht mehr in Frage stehen, der Bürge des ihm in
Art. 510 Abs. 3 OG
gewährten Schutzes nicht mehr bedarf (in gleichem Sinne für die Verfolgung des Solidarbürgen GIOVANOLI, a.a.O., N. 15 zu
Art. 510 OR
und OSER/SCHÖNENBERGER, a.a.O., N. 24 zu
Art. 510 OR
). Das Interesse des Bürgen beschränkt sich nach Sinn und Zweck der Ordnung diesfalls auf eine rasche Kenntnisgabe seiner Inanspruchnahme, nicht aber auch auf beschleunigte Rechtsverfolgung, da sich insoweit seine Situation von derjenigen eines beliebigen Schuldners nicht mehr unterscheidet.
c) In diese Richtung weist rechtsvergleichend auch § 777 BGB, der in Abs. 1 bestimmt:
«Hat sich der Bürge für eine bestehende Verbindlichkeit auf bestimmte Zeit verbürgt, so wird er nach dem Ablaufe der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger die Einziehung der Forderung unverzüglich nach Massgabe des §772 betreibt, das Verfahren ohne wesentliche Verzögerung fortsetzt und unverzüglich nach der Beendigung des Verfahrens dem Bürgen anzeigt, dass er ihn in Anspruch nehme...»
Soweit ersichtlich, fordern Lehre und Rechtsprechung im Falle der einfachen Bürgschaft (Regelbürgschaft nach deutschem Recht) strikte eine Anzeige nach Beendigung des Verfahrens gegen den Hauptschuldner, nicht aber eine fristgebunden darauf folgende Klageerhebung (MünchKomm/HABERSACK, N. 11 zu § 777 BGB). Aus dem Vertrauensgrundsatz wird allenfalls eine vorsorgliche Mitteilung an den Bürgen über die Einleitung des Verfahrens gegen den Hauptschuldner und die mögliche Inanspruchnahme der Bürgschaft gefordert (STAUDINGER/HORN, N. 13 zu § 777 BGB), die Anzeige vor Zeitablauf, d.h. vor Beendigung des Verfahrens gegen den Hauptschuldner aber nur im Falle der Solidarbürgschaft (selbstschuldnerische Bürgschaft nach deutschem Recht) als fristwahrend anerkannt (MünchKomm/HABERSACK, N. 12 zu § 777 BGB; STAUDINGER/HORN, N. 15 zu § 777 BGB, je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
d) Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung muss auch nach schweizerischem Recht genügen, dass der Gläubiger den einfachen Bürgen nach Belangung des Hauptschuldners in Anspruch nimmt, d.h. ihm anzeigt, dass er die Bürgschaft geltend macht. Damit ist die zu vermeidende Ungewissheit des Bürgen behoben und ihm die
BGE 125 III 322 S. 327
Möglichkeit eingeräumt, sich über seine allfällige Verbindlichkeit Rechenschaft zu geben. Einer fristgebundenen Klageanhebung bedarf es aus dem Gesetzeszweck nicht.
Zu prüfen bleibt, wann der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme rechtswahrend anzuzeigen hat. Eine der deutschen Regelung entsprechende ausdrückliche Vorschrift kennt das schweizerische Recht nicht. Damit ist vorab den Parteien anheim gestellt, die Modalitäten der Inanspruchnahme autonom zu regeln. Haben sie sich darüber nicht verständigt, ist wiederum aus dem Gesetzeszweck zu fordern, dass der Gläubiger dem Bürgen innert nützlicher Frist nach beendetem Vorgehen gegen den Hauptschuldner anzeigt, die Bürgschaft in Anspruch zu nehmen, wobei insoweit die Vierwochenfrist von
Art. 510 Abs. 3 OR
durchaus analog herangezogen werden kann. Steht nach dem Gesagten aber die rechtzeitige Information des Bürgen als Regelungsziel im Vordergrund, genügt auch eine dem Bürgen bereits vor beendetem Vorgehen gegen den Hauptschulder angezeigte Inanspruchnahme, sofern sie hinreichend bestimmt gehalten ist, um jede Unsicherheit über die Rechtsstellung des Adressaten auszuschliessen.
e) Die Parteien haben im Bürgschaftsvertrag vereinbart, die Klägerin habe dem Bürgen spätestens am 1. August 1994 die Inanspruchnahme schriftlich anzuzeigen. Eine zusätzliche spätere Anzeige haben sie nicht vereinbart. Bereits aus der vom Bürgen zufolge dessen Formularvertrags zu vertretenden Unklarheitenregelung folgt daher, dass die Anzeige vor Fristablauf nach Treu und Glauben als hinreichend zu gelten hat. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz aber nahm die Klägerin die Bürgschaft mit Mitteilung vom 11. Juli 1994 in Anspruch, nach Vertrag mithin rechtzeitig. Hinzu kommt, dass die Klägerin bereits am 13. August 1994 gerichtliche Schritte gegen den Bürgen einleitete, womit dieser über seine verbindliche Inanspruchnahme spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr im Unklaren sein konnte.
Nach dem Gesagten ging die Klägerin damit im Sinne von
Art. 510 OR
rechtzeitig gegen den Bürgen vor und erweist sich die von der Vorinstanz angenommene Verwirkung der Bürgschaft als bundesrechtswidrig. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a5de261b-6178-4975-a5cb-2b157e2eab4f | Urteilskopf
125 III 108
21. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour civile du 23 décembre 1998 dans la cause Sorelec SA contre Saleh Radwan (recours en réforme) | Regeste
Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 und Art. 17 Abs. 1 Lugano-Übereinkommen; Ausschluss von Konkursen, Vergleichen und ähnlichen Verfahren; Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung.
Gerichtsstandsvereinbarung und Ordre public des Staats, dessen Zuständigkeit ausgeschlossen wurde (E. 3a).
Geltung und Auslegung des Lugano-Übereinkommens, insbesondere des Ausschlusses nach
Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 LugÜ
(E. 3b-3d).
Anwendbarkeit von
Art. 17 Abs. 1 LugÜ
, sofern ein Bezug zu zwei Mitgliedstaaten des Übereinkommens besteht (E. 3e). | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 125 III 108 S. 109
Par convention signée en 1992, Sorelec SA, société française qui avait effectué des travaux de construction en Libye, s'est engagée à verser à Saleh Radwan 15% des sommes dues par la Libye qui seraient effectivement recouvrées. Cet accord prévoyait une prorogation de for en faveur des tribunaux genevois.
Sorelec SA a été soumise à une procédure de redressement judiciaire en février 1993.
Au mois d'octobre 1993, l'Etat libyen a payé la somme de 153'120'000 FF à Sorelec SA. Grâce à ces fonds, celle-ci a été en mesure de désintéresser ses créanciers et a pu continuer son existence.
Saleh Radwan a déposé à Genève une demande en paiement de 22'968'000 FF à l'encontre de Sorelec SA, qui a excipé de l'incompétence ratione loci des tribunaux genevois devant les autorités cantonales, puis devant le Tribunal fédéral.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) La jurisprudence a posé récemment que le juge suisse n'a en principe pas à se soucier d'une compétence exclusive étrangère; si les conditions de prorogation énumérées dans la loi suisse sont réalisées, il se déclarera compétent, quelles que soient les revendications de l'Etat du for exclu. L'application de la Convention de Lugano ne conduit d'ailleurs pas à un autre résultat. Certes, selon l'
art. 27 ch. 1 CL
(RS 0.275.11), les décisions ne sont pas reconnues si la reconnaissance est contraire à l'ordre public de l'Etat requis. Toutefois, outre que cette disposition ne concerne pas la compétence directe du tribunal saisi, mais s'applique uniquement en matière de reconnaissance et d'exequatur, l'art. 28 al. 4 in fine CL précise que «les règles relatives à la compétence ne concernent pas l'ordre public visé à l'art. 27, point 1» (
ATF 124 III 134
consid. 2b/aa/ccc p. 142 et les références citées).
Par conséquent, il importe peu que la décision en cause puisse être contraire à l'ordre public français. Seule est déterminante la question de savoir si celle-ci est conforme aux dispositions légales applicables.
BGE 125 III 108 S. 110
b) La Convention de Lugano appartient au droit fédéral et son application peut faire l'objet d'un recours en réforme au Tribunal fédéral (
ATF 123 III 414
consid. 2b p. 418). En vigueur depuis le 1er janvier 1992 en Suisse et en France, elle est donc applicable ratione temporis, puisque l'action a été introduite le 22 novembre 1995, soit postérieurement à son entrée en vigueur dans l'Etat d'origine (
art. 54 al. 1 CL
;
ATF 124 III 436
consid. 4a;
ATF 119 II 391
consid. 2 p. 393). En outre, lorsque l'
art. 17 CL
, qui a trait à l'élection de for, confère une compétence aux tribunaux d'un Etat contractant qui, telle la Suisse, n'est pas membre de l'Union européenne, la convention s'applique en matière de compétence, à l'exclusion de la Convention de Bruxelles. Peu importe que les parties (en l'espèce la défenderesse) soient domiciliées sur le territoire d'un Etat membre de l'Union européenne (
art. 54ter ch. 2 let. a CL
;
ATF 124 III 134
consid. 2b/aa/bbb p. 139). Reste à déterminer si l'objet du litige fait partie des matières régies par la convention.
c) La Convention de Lugano de 1988 dépend étroitement de la Convention de Bruxelles de 1968 qui lui a servi de modèle. Les décisions rendues par la Cour de justice des Communautés européennes (ci-après: CJCE) au sujet des dispositions de la Convention de Bruxelles, reproduites en substance dans la Convention de Lugano, peuvent donc être en principe utilisées dans l'interprétation de cette dernière. Il convient toutefois de réserver les cas où l'interprétation donnée par la CJCE à la Convention de Bruxelles serait influencée par l'application conjointe du Traité CE et empêcherait de ce fait une reprise de cette interprétation par les juridictions non communautaires appelées à interpréter les concepts correspondant de la Convention de Lugano (pour de plus amples développements, cf.
ATF 124 III 382
consid. 6c et e p. 394 ss et les références citées;
ATF 124 III 188
consid. 4b p. 191 s.;
ATF 123 III 414
consid. 4 p. 421;
ATF 121 III 336
consid. 5c p. 338 s.). Rien n'indique que cette hypothèse soit réalisée en l'espèce.
d) L'
art. 1 al. 2 ch. 2 CL
exclut de la convention les faillites, les concordats et les autres procédures analogues. Se prononçant sur le Traité de Bruxelles, la CJCE a indiqué qu'étaient visées par cette exclusion les procédures fondées, selon les diverses législations des parties contractantes, sur l'état de cessation de paiement, l'insolvabilité ou l'ébranlement du crédit du débiteur impliquant une intervention de l'autorité judiciaire aboutissant à une liquidation forcée et collective des biens ou, à tout le moins, un contrôle de cette autorité (arrêt CJCE du 22 février 1979, Gourdain c. Nadler, aff. 133/78,
BGE 125 III 108 S. 111
Rec. 1979 p. 733 ss). La procédure de redressement judiciaire du droit français dont a fait l'objet la défenderesse tombe donc sous le coup de cette exclusion (cf. HÉLÈNE GAUDEMET-TALLON, Les Conventions de Bruxelles et de Lugano, Paris 1993, no 35 p. 24 in fine). Il ne faut cependant pas perdre de vue que le présent litige ne porte pas sur cette procédure, mais sur une demande en paiement.
Or, s'agissant des multiples procédures annexes qui peuvent survenir lors de la liquidation de la faillite, la CJCE a précisé que l'exclusion ne produit d'effet que si l'action dérive directement de la faillite et s'insère étroitement dans le cadre d'une procédure de liquidation des biens ou de règlement judiciaire (arrêt CJCE op.cit., Rec. 1979 p. 744 ch. 4). Tel n'est pas le cas des actions de droit commun exercées à l'occasion d'une procédure collective, mais non substantiellement affectées par celle-ci (YVES DONZALLAZ, La Convention de Lugano, vol. I, Berne 1996, p. 374 no 954). Les procédures qui ne trouvent pas leur origine dans le droit des poursuites et qui n'en sont pas une conséquence directe, mais qui, au contraire, auraient vraisemblablement aussi été conduites sans la faillite ne sont ainsi pas comprises dans l'exclusion (Jan Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6e éd., Heidelberg 1998, art. 1 no 36).
En l'espèce, l'action introduite par le demandeur n'a aucun lien avec la procédure de redressement judiciaire à laquelle a été soumise la défenderesse. Elle trouve sa cause dans l'engagement de celle-ci de verser un montant forfaitaire au demandeur au cas où les sommes dues par la Libye pourraient être recouvrées. Comme l'a constaté la cour cantonale, elle aurait été intentée selon toute vraisemblance même si la défenderesse n'avait fait l'objet d'aucun redressement. Il convient en outre de relever que le versement de l'Etat libyen, à l'origine de la créance litigieuse, est intervenu postérieurement à l'ouverture de la procédure de redressement judiciaire, ce qui démontre bien l'indépendance de ces deux procédures.
L'action du demandeur ne tombe donc pas sous le coup de l'exception prévue par l'
art. 1 al. 2 ch. 2 CL
. Pour les mêmes motifs, cette procédure ne peut être assimilée à une modalité spéciale de la faillite, de sorte qu'il ne saurait y avoir une atteinte au principe de l'unité de la faillite (cf.
ATF 115 III 148
consid. 3a p. 154).
Par conséquent, on ne voit pas en quoi la cour cantonale aurait violé le droit fédéral en considérant que la Convention de Lugano était applicable au cas d'espèce.
e) La Convention de Lugano prévoit que si les parties, dont l'une au moins a son domicile sur le territoire d'un Etat contractant, sont
BGE 125 III 108 S. 112
convenues d'un tribunal ou de tribunaux d'un Etat contractant pour connaître des différends nés ou à naître à l'occasion d'un rapport de droit déterminé, ce tribunal ou les tribunaux de cet Etat sont seuls compétents. Cette convention attributive de juridiction peut être conclue notamment par écrit (
art. 17 al. 1 let. a CL
).
La jurisprudence a évoqué l'existence d'une controverse au sujet de l'application de l'
art. 17 al. 1 CL
lorsque seule une partie a son domicile sur le territoire d'un Etat contractant (cf.
ATF 119 II 391
consid. 2 p. 393). Cette question ne se pose toutefois que dans les cas où un seul Etat contractant est concerné (LAURENT KILLIAS, Die Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem Lugano-Übereinkommen, Zurich 1993, p. 54; HANS REISER, Gerichtsstandsvereinbarungen nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, Zurich 1995, p. 32 s.). Ce qui signifie que l'application de l'
art. 17 al. 1 CL
n'est pas contestée lorsque, comme en l'espèce, une seule partie est domiciliée dans un Etat contractant, mais que le tribunal élu se situe également dans un autre Etat contractant, puisqu'il existe alors un lien avec deux Etats parties à la convention (CHRISTOPHE BERNASCONI/ALEXANDRA GERBER, Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, Revue suisse de droit international et de droit européen 1993, p. 39 ss, 61; cf. KROPHOLLER, op.cit.,
art. 17 no 3 et 9). Il n'y a donc pas lieu de prendre position à propos de la controverse précitée.
La présente clause de prorogation de for remplit les conditions de forme et la condition de fond (exigence d'un rapport de droit déterminé) imposées par l'
art. 17 CL
(cf.
ATF 124 III 134
consid. 2b/aa/bbb p. 139; GAUDEMET-TALLON, op.cit., no 117 ss p. 80 ss). Il découle en effet des constatations de fait de la cour cantonale que la défenderesse, domiciliée en France, et le demandeur sont convenus, par écrit, d'une clause de prorogation de for en faveur des tribunaux genevois. Cette clause figure dans un accord signé les 29 janvier et 4 mars 1992 aux termes duquel la défenderesse a pris des engagements envers le demandeur. Comme l'a reconnu à juste titre la cour cantonale, cette clause doit en conséquence être considérée comme valable au regard de la Convention de Lugano, de sorte que la compétence des tribunaux genevois s'avère fondée.
Dans ces circonstances, le recours doit être rejeté et l'arrêt attaqué confirmé. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a5e58438-cc01-497c-92a8-db59371339a4 | Urteilskopf
107 II 426
68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1981 i.S. Ender gegen Schlitt (Berufung) | Regeste
Art. 254 Abs. 1 und 255 Abs. 2 OR. Skimiete.
1. Das fachgemässe Einstellen von Sicherheitsbindungen gehört zur Pflicht des Vermieters, die Skier in einem zum vertragsmässigen Gebrauch geeigneten Zustand zu übergeben (E. 2).
2. Prüfungspflicht des Mieters bei mangelhafter Einstellung der Bindungen (E. 3a)? Beweislast, natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Mangel und einem Beinbruch des Skifahrers (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 427
BGE 107 II 426 S. 427
A.-
Maria Schlitt mietete am 29. November 1975 im Sportgeschäft des Erwin Ender in St. Moritz ein Paar Ski und Schuhe. Die Skier waren mit "Look Nevada"-Sicherheitsbindungen versehen, welche die Mieterin auf ihre Verhältnisse angepasst wissen wollte und Ender durch den Angestellten Osmetti regulieren liess. Am folgenden Tag besuchte Frau Schlitt auf Salastrains als Schülerin einer Anfängerklasse die Skischule. Auf einer Abfahrt geriet sie über das gewalzte Übungsgelände hinaus in den weichen Schnee und stürzte, wobei sie sich durch Verdrehung ein Schienbein brach. Sie musste deswegen zweimal operiert werden und war bis April 1976 ganz und bis Ende 1977 teilweise arbeitsunfähig.
Eine Prüfung der Skier durch die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) ergab, dass die Bindungen zu hart eingestellt waren.
B.-
Im April 1978 klagte Frau Schlitt gegen Ender auf Zahlung von Fr. 17'460.-- Schadenersatz und Genugtuung nebst 8,5% Zins seit 11. Dezember 1976.
Das Bezirksgericht Maloja wies die Klage ab. Auf Appellation der Klägerin hiess das Kantonsgericht von Graubünden sie am 23. Februar 1981 jedoch dahin gut, dass es den Beklagten zur Zahlung von Fr. 17'062.-- nebst 5% Zins seit 28. Februar 1977 verurteilte.
Das Bundesgericht weist eine Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil ab und bestätigt es.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte wollte das Einstellen der Sicherheitsbindungen durch seinen Angestellten schon im kantonalen Verfahren von den Bestimmungen des Mietvertrages, den er mit der Klägerin abschloss, ausgenommen wissen. Er machte geltend, es handle sich dabei nicht nur beim Verkauf, sondern auch bei der Vermietung von Skiern um einen Arbeitserfolg, der dem Werkvertragsrecht unterstehe; diesfalls seien die Ansprüche der Klägerin aber
BGE 107 II 426 S. 428
verjährt, da sie entgegen der Vorschrift des
Art. 210 Abs. 1 OR
, die gemäss
Art. 371 Abs. 1 OR
auch für den Besteller gelte, nicht innert Jahresfrist eingeklagt worden seien. Der Beklagte hält an dieser Einrede "der Vollständigkeit halber" auch in der Berufung fest.
Nach
Art. 254 Abs. 1 OR
ist der Vermieter verpflichtet, die Sache in einem zum vertragsmässigen Gebrauch geeigneten Zustand zu übergeben. Warum das (richtige) Einstellen der Sicherheitsbindungen auf Skiern nicht unter diese Verpflichtung des Vermieters fallen sollte, ist nicht zu ersehen. Der Beklagte verkennt, dass Sicherheitsbindungen mit Fersenautomatik einen wichtigen Bestandteil der Mietsache ausmachen und verwendet werden, um die Gefahr von Beinbrüchen bei Stürzen zu vermindern. Dies setzt aber voraus, dass sie vom Vermieter fachgemäss eingestellt werden; andernfalls wird die Unfallgefahr eher erhöht und die Eignung der Mietsache zumindest teilweise illusorisch. Es geht daher nicht an, die zweckmässige Regelung solcher Bindungen als eigenständige Nebenleistung ausgeben und den Bestimmung des Werkvertrages unterstellen zu wollen. Im gleichen Sinn hat sich das Bundesgericht bereits in einem Fall geäussert, wo es um die Vermietung eines Schliessfaches ging (
BGE 95 II 544
).
Aus seinem Hinweis auf STIFFLER (Schweizerisches Skirecht, S. 371), mit dem der Beklagte seine Auffassung belegen will, ergibt sich nichts für eine Ausnahme. Dieser Autor behandelt die Regelung von Sicherheitsbindungen bei Skimiete ebenfalls nicht als werkvertragliche Leistung; eine solche erblickt er bloss in der Montage von Bindungen, die der Käufer gesondert auswählt und vom Verkäufer anbringen lässt. Dass der Anspruch der Klägerin aber verjährt sei, wenn er nach Mietrecht zu beurteilen ist, behauptet der Beklagte mit Recht nicht.
3.
Der Beklagte hält seine Haftung selbst dann nicht für gegeben, wenn das Einstellen der Sicherheitsbindungen den Verpflichtungen des Vermieters zuzurechnen ist. Er macht geltend, es habe sich jedenfalls nicht um einen verborgenen Mangel gehandelt; die Klägerin und ihr Begleiter Brink, der sich in solchen Dingen ausgekannt habe, hätten die Einstellung der Bindungen in einem andern Sportgeschäft in St. Moritz auf einem BfU-Apparat überprüfen können, bevor sie die Skier anschnallte. Die Klägerin habe die Voraussetzungen der Haftung zudem nicht bewiesen; dies gelte insbesondere vom Verschulden, das schon deshalb fehle, weil die Bindungen gemäss damaliger Übung nach dem Körpergewicht des Fahrers eingestellt worden seien.
BGE 107 II 426 S. 429
a) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Mieter nicht wie ein Käufer verpflichtet, die empfangene Sache bei Übernahme auf ihre Beschaffenheit zu prüfen und dem Vermieter allfällige Mängel sofort anzuzeigen (
BGE 104 II 274
; SCHMID, N. 16 zu Art. 254/255 OR). Die fehlerhafte Einstellung der Bindungen lässt sich im Ernst auch nicht als offenen Mangel ausgeben; das erhellt schon daraus, dass die Einstellung auf einem besonderen Apparat der BfU nachgemessen werden musste, um den Mangel mit Sicherheit feststellen zu können.
Dass die Klägerin sich darüber in St. Moritz, wo es Geschäfte mit BfU-Apparaten gebe, schon vor dem Unfall hätte Rechenschaft geben können, ändert daran nichts. Sie durfte sich nach Treu und Glauben darauf verlassen, dass ein Sportgeschäft, das gewerbsmässig Skier vermietet, deren Bindungen auch fachgemäss zu regulieren versteht, zumal sie Anfängerin war und der diensttuende Angestellte die Bemerkung ihres Begleiters, es sei ausser dem Körpergewicht auch der Kniedurchmesser zu berücksichtigen, nicht gelten liess. Es steht dem Beklagten daher von vorneherein nicht an, aus ihrem Verhalten auf eine Genehmigung des Mangels schliessen zu wollen (SCHMID, N. 15 zu Art. 254/255 OR).
b) Die Klägerin hatte zu beweisen, dass der Unfall samt dessen Folgen einer mangelhaften Einstellung der Sicherheitsbindungen zuzuschreiben, das Verhalten des Angestellten also widerrechtlich und für den Schaden kausal war. Der Beklagte muss sich das Verhalten Osmettis anrechnen lassen. Er konnte sich aber mit dem Beweis entlasten, dass sein Angestellter die nach der Erfahrung und nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewandt habe (
BGE 99 II 49
; KUMMER, N. 246 zu
Art. 8 ZGB
; BECKER, N. 49 zu
Art. 97 OR
; VON TUHR/PETER, OR S. 99 mit Anmerkungen; SCHMID, N. 34 zu Art. 254/255 OR). Der Beklagte anerkennt, dass auch das Kantonsgericht von dieser Beweislastverteilung ausgegangen ist; wieso es gleichwohl bundesrechtliche Beweisvorschriften verletzt haben soll, ist unerfindlich. Was er kritisiert, betrifft bloss die Beweiswürdigung, die bundesrechtlich nicht geregelt ist;
Art. 8 ZGB
bestimmt entgegen seiner Annahme nicht, mit welchen Mitteln Beweis zu führen und wie dieser zu würdigen ist (
BGE 102 II 279
,
BGE 98 II 79
und 330,
BGE 95 II 452
). Auch das verfassungsrechtliche Verbot der Willkür ist keine bundesrechtliche Beweisvorschrift (
BGE 95 II 40
unten mit Zitat).
Das Kantonsgericht stellt in eingehender Würdigung des Beweises fest, die Bindungen der gemieteten Skier seien im Geschäft des Beklagten eingestellt, aber falsch reguliert worden, weil bei
BGE 107 II 426 S. 430
einem Körpergewicht von 49 kg die frontalen Auslösekräfte, statt 59 kg je Ski, 90 bzw. 85 kg ausgemacht hätten und es sich mit den seitlichen Auslösekräften noch schlimmer verhielt. Nach der Einstelltabelle für "Look Nevada"-Bindungen mit Fersenautomatik sei übrigens neben dem Körpergewicht auch der Durchmesser des Tibiakopfes am Kniegelenk zu berücksichtigen, was der Beklagte ebenfalls unterlassen habe.
Aus diesen Feststellungen, die tatsächliche Verhältnisse betreffen und daher das Bundesgericht binden, durfte das Kantonsgericht ohne Verletzung von Bundesrecht folgern, das falsche Einstellen der Bindungen durch den Angestellten Osmetti sei nicht nur widerrechtlich, sondern für die Körperverletzung der Klägerin sowohl im natürlichen wie im Rechtssinn auch kausal gewesen. Der Geschädigte braucht den Kausalzusammenhang nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit nachzuweisen; es genügt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Kausalverlauf spricht (
BGE 107 II 272
E. 1b,
BGE 90 II 232
,
BGE 67 II 122
E. 3,
BGE 57 II 208
/9). Dies lässt sich hier nicht verneinen, da die Regulierung von den Erfahrungswerten derart abwich, dass die Sicherheitsfunktion der Bindungen ins Gegenteil verkehrt wurde; angesichts der hohen Auslösekräfte, die sich daraus ergaben, war selbst bei einem schweren Sturz nicht damit zu rechnen, dass die Bindungen automatisch aufsprangen und die Beine der Fahrerin freigaben. Die falsche Einstellung war nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung zudem geeignet, eine Körperverletzung von der Art der eingetretenen zu begünstigen, weshalb der Beinbruch auch als adäquate Folge der haftungsbegründenden Tatsachen anzusehen ist (
BGE 101 II 73
E. 3a mit Hinweisen). | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a5e5a62f-bf95-404f-970a-8f3db5ef84d0 | Urteilskopf
135 IV 6
2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen (Beschwerde in Strafsachen)
6B_114/2008 vom 4. November 2008 | Regeste
Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG; rechtswidriges Verweilen im Lande; Grundsatz "ne bis in idem"; Schuldprinzip.
Das andauernde und ununterbrochene rechtswidrige Verweilen im Lande ist ein Dauerdelikt. Die Verurteilung wegen dieses Delikts bewirkt eine Zäsur. Das Aufrechterhalten des Dauerzustandes nach dem Urteil ist eine selbständige Tat. Der Grundsatz "ne bis in idem" steht einer neuen Verurteilung für die vom ersten Urteil nicht erfassten Tathandlungen nicht entgegen (E. 3).
Fehlt es nach einem ersten Schuldspruch für eine zweite Verurteilung an einem neuen Tatentschluss, ist bei der Strafzumessung darauf zu achten, dass die Summe der wegen des Dauerdelikts ausgesprochenen Strafen dem Gesamtverschulden angemessen ist und die im Gesetz angedrohte Höchststrafe nicht überschreitet (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 135 IV 6 S. 7
A.
Die Einzelrichterin in Strafsachen des Kantonsgerichts Schaffhausen erklärte X. mit Urteil vom 30. Mai 2007 des rechtswidrigen Verweilens im Lande schuldig und bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 10.-. An diese Strafe rechnete sie 4 Tage Untersuchungshaft an.
Eine vom Beurteilten gegen diesen Entscheid geführte Berufung wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Urteil vom 11. Januar 2008 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
B.
X. führt Beschwerde an das Bundesgericht, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
C.
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen stellt in seiner Vernehmlassung sinngemäss den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft schliesst unter Verweisung auf das angefochtene Urteil ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde.
BGE 135 IV 6 S. 8
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 8. Februar 1999 in der Schweiz auf. Das Bundesamt für Flüchtlinge wies ein von ihm gestelltes Asylgesuch am 15. Januar 2001 ab und wies ihn gleichzeitig aus der Schweiz weg. Vom 5. Oktober 2001 bis zum 9. Juli 2004 befand sich der Beschwerdeführer aufgrund eines Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 5. Oktober 2001, mit welchem er zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Landesverweisung verurteilt worden war, im Strafvollzug. Am 4. Juni 2004 verfügte das Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung eine unbefristete Einreisesperre, gültig ab 10. Juli 2004. Mit Strafbefehl vom 30. März 2005 verurteilte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl den Beschwerdeführer wegen Verweisungsbruchs, begangen vom 10. Juli 2004 bis 29. März 2005, zu 3 Monaten Gefängnis, welche Strafe er vom 30. März 2005 an verbüsste. Seit der Entlassung aus dem Strafvollzug hielt sich der Beschwerdeführer weiterhin ohne gültigen Rechtsgrund in der Schweiz auf.
2.
2.1
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei schon mit Strafbefehl vom 30. März 2005 wegen Verweisungsbruchs verurteilt worden und könne daher nicht ein weiteres Mal wegen desselben Delikts bzw. wegen rechtswidrigen Verweilens im Lande bestraft werden. Sein Aufenthalt in der Schweiz beruhe auf einem einzigen, ein für alle Mal gefassten Willensentschluss. Dementsprechend habe er nach der ersten Verurteilung nicht einen neuen Entschluss gefasst, im Gebiet der Schweiz zu verbleiben. Es liege daher auch nur eine einzige strafbare Handlung vor.
2.2
Die Vorinstanz nimmt an, beim rechtswidrigen Verweilen im Lande handle es sich um ein Dauerdelikt, das solange andauere, als sich die weggewiesene Person auf dem verbotenen Gebiet aufhalte. Der Täter begehe dieses Delikt nach dem Wegweisungsentscheid so lange bis er das verbotene Gebiet verlassen habe. Der Betroffene könne daher für den Zeitraum seit der Entlassung aus dem Strafvollzug im Kanton Zürich im Jahr 2005 bis zum 29. Oktober 2006, für welchen er noch nicht bestraft worden sei, ohne weiteres wegen rechtswidrigen Verweilens im Lande verurteilt werden.
BGE 135 IV 6 S. 9
3.
3.1
Gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; BS 1 121) wird, wer rechtswidrig das Land betritt oder darin verweilt, mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft (bzw. in der bis zum Inkrafttreten des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 1. Januar 2007 gültigen Fassung des Gesetzes mit Gefängnis bis zu 6 Monaten). Rechtswidrig ist der Aufenthalt im Lande, wenn der Ausländer weder über eine Aufenthalts- noch eine Niederlassungsbewilligung verfügt, obschon er einer solchen bedurft hätte (
Art. 1 ANAG
e contrario).
3.2
Das andauernde und ununterbrochene rechtswidrige Verweilen im Lande gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG (AS 1949 225 und 2006 3536) ist - wie der Tatbestand des Verweisungsbruchs gemäss
Art. 291 StGB
- ein Dauerdelikt (
BGE 104 IV 186
E. 1; Urteil des Bundesgerichts 6S.485/2005 vom 8. Februar 2006 E. 1.2.1). Eine Dauerstraftat liegt vor, wenn die Begründung des rechtswidrigen Zustands mit den Handlungen, die zu seiner Aufrechterhaltung vorgenommen werden, bzw. mit der Unterlassung seiner Aufhebung eine Einheit bildet und das auf Fortführung des deliktischen Erfolgs gerichtete Verhalten vom betreffenden Straftatbestand ausdrücklich oder sinngemäss mitumfasst wird (
BGE 132 IV 49
E. 3.1.2.2;
BGE 131 IV 83
E. 2.1.2 und 2.4.5;
BGE 84 IV 17
E. 2). Das Delikt ist mit der Verwirklichung des Tatbestandes somit nicht abgeschlossen, sondern der rechtswidrige Zustand wird durch den fortdauernden Willen des Täters aufrechterhalten und erneuert sich gewissermassen fortlaufend (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl. 2005, § 12 N. 10; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2005, § 10 N. 105).
Die Verurteilung wegen eines Dauerdelikts bewirkt nach der Rechtsprechung dessen Zäsur. Da die Verurteilung nur die Herbeiführung und die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes bis zum Urteilszeitpunkt erfasst, ist das Aufrechterhalten des Dauerzustands nach dem Urteil als selbständige Tat zu werten. Die Tateinheit wird durch die Verurteilung aufgehoben, und für neue Delikte gilt der Grundsatz "ne bis in idem" nicht (
BGE 104 IV 230
E. 3 [zur aufgegebenen Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts]). In diesen Fällen ist daher eine neue Verurteilung für die vom ersten Urteil nicht erfassten Tathandlungen (vgl.
BGE 118 IV 269
E. 4) möglich (Urteil des Bundesgerichts 6S.485/2005 vom 8. Februar 2006 E. 1.2.1; vgl. auch
BGE 135 IV 6 S. 10
RUTH RISSING-VAN SAAN, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2006, 2. Bd., N. 56 vor § 52 dStGB; STREE/STERNBERG-LIEBEN, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. 2006, N. 87 zu Vorbem. §§ 52 ff. dStGB).
3.3
Im Lichte dieser Rechtsprechung verletzt das angefochtene Urteil kein Bundesrecht. Insbesondere ist keine Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" (vgl. Art. 4 Protokoll Nr. 7 EMRK vom 22. November 1984 [SR 0.101.07];
Art. 14 Abs. 7 UNO-Pakt II
[SR 0.103.2];
BGE 128 II 355
E. 5;
BGE 120 IV 10
E. 2b) ersichtlich. Die Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem" setzt unter anderem voraus, dass dem Richter im ersten Verfahren die Möglichkeit zugestanden haben muss, den Sachverhalt unter allen tatbestandsmässigen Punkten zu würdigen (
BGE 119 Ib 311
E. 3c mit Hinweisen). Dies trifft hier nicht zu, da der Aufenthalt in der Schweiz seit dem ersten Urteil noch nicht Gegenstand des ersten Verfahrens bilden konnte und somit von der Sperrwirkung der ersten Verurteilung nicht erfasst wird. Gegenstand dieses ersten Strafverfahrens bildete denn auch lediglich der Verweisungsbruch in der Zeit vom 10. Juli 2004 bis zum 29. März 2005 und nicht etwa ein irgendwie gearteter definitiver Entschluss, das Gebiet der Schweiz nie mehr zu verlassen (
BGE 118 IV 269
[generelle Verweigerung des Zivilschutzdienstes]; vgl. auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 23 S. 191,
BGE 118 IV 204
ff.).
4.
4.1
Der Beschwerdeführer beruft sich für seinen Standpunkt auf ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), welches in einem Fall der andauernden Weigerung eines in Deutschland lebenden algerischen Vaters, seine Tochter von einem Verwandtenbesuch aus Algerien zu ihrer Mutter zurückkehren zu lassen, zum Schluss gelangt, eine zweite Verurteilung wegen derselben Kindesentziehung, die sich allein auf die dogmatische Figur der Zäsurwirkung stütze, lasse sich mit dem Schuldprinzip nicht vereinbaren (Urteil BVerfG, 2 BvR 1895/05 vom 27. Dezember 2006, in: EuGRZ 2007 S. 64; vgl. auch ANDREAS ZÜND, in: Migrationsrecht, Kommentar, hrsg. von Marc Spescha und anderen, N. 6 zu
Art. 115 AuG
S. 250).
4.2
Die Vorbehalte, welche das deutsche Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Schuldprinzips gegen die Zäsurwirkung beim Dauerdelikt vorbringt, erlangen auch im vorliegend zu
BGE 135 IV 6 S. 11
beurteilenden Kontext Bedeutung. Denn die Strafverfolgungsbehörden schaffen durch die Eröffnung eines erneuten Strafverfahrens unter Verweis auf die Zäsurwirkung der vorausgegangenen Verurteilung jeweils selbst die Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vermeintlich neuen Tat. In einem solchen Fall bildet letztlich nicht die individuelle Schuld des Täters Anlass der Bestrafung und Grundlage der Strafzumessung, sondern die von Zufälligkeiten abhängige Geschwindigkeit der Strafverfolgung, die zur Konstruktion von Zäsurwirkungen führt (vgl. Urteil BVerfG, 2 BvR 1895/05 vom 27. Dezember 2006, E. C.II. b/bb, in: EuGRZ 2007 S. 66). Die Problematik manifestiert sich im Besonderen bei der Konstellation, in welcher die infolge der Zäsurwirkung in verschiedenen Strafverfahren ausgesprochenen Strafen die im fraglichen Tatbestand angedrohte Höchststrafe in ihrer Gesamtheit überschreiten. In diesem Fall wird das Schuldprinzip, auf welchem das Strafrecht fusst (
BGE 123 IV 1
E. 2), unterlaufen und kommt der erneuten Bestrafung zunehmend eine Beugewirkung zur Erzwingung der unterlassenen Handlung zu.
Dieser Problematik ist insofern Rechnung zu tragen, als eine neuerliche Verurteilung wegen eines Dauerdelikts und eine Zumessung der Strafe ohne Rücksicht auf die bereits in einem früheren Strafurteil erfasste Dauer der Tatbestandsverwirklichung erfordert, dass der Täter nach dem früheren Schuldspruch einen vom früheren losgelösten, neuen Tatentschluss fasst. Fehlt es an einem solchen, beruht die nach dem vorangegangenen Schuldspruch andauernde Verwirklichung des Dauertatbestandes mithin auf einem fortwirkenden, schon vor der ersten Verurteilung gefassten einheitlichen Tatentschluss, muss der Richter im neuen Urteil bei der Zumessung der Strafe für die noch nicht beurteilte Deliktsdauer mit Blick auf das Schuldprinzip darauf achten, dass die Summe der wegen des Dauerdelikts ausgesprochenen Strafen dem Gesamtverschulden angemessen ist (
Art. 47 Abs. 1 StGB
) und die im fraglichen Tatbestand angedrohte Höchststrafe nicht überschreitet.
4.3
Im zu beurteilenden Fall verletzt das angefochtene Urteil auch unter diesem Gesichtspunkt Bundesrecht nicht. Der Beschwerdeführer ist in einem ersten Verfahren des Verweisungsbruchs im Sinne von
Art. 291 StGB
wegen Missachtung der durch das Bezirksgericht Zürich ausgesprochenen Landesverweisung schuldig erklärt worden. Das Gesetz droht für diesen Tatbestand eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren (nach der bis zum 1.1.2007 geltenden Fassung Gefängnis) oder Geldstrafe an. Im angefochtenen neuen Urteil, in
BGE 135 IV 6 S. 12
welchem keine Verurteilung wegen Verweisungsbruchs erfolgte, weil mit Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches altrechtlich ausgesprochene Landesverweisungen aufgehoben wurden (Art. 1 Abs. 2 Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002), lautet der Schuldspruch auf rechtswidriges Verweilen im Land gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 4 ANAG. Dieser Tatbestand droht Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen (bzw. nach der bis zum 1. Januar 2007 geltenden Fassung Gefängnis bis zu sechs Monaten) an. Die in beiden Urteilen ausgesprochenen Strafen von drei Monaten Gefängnis und Geldstrafe von 90 Tagessätzen erweisen sich in ihrer Summe dem Verschulden als angemessen und überschreiten die Höchststrafe nicht. Eine Verletzung des dem Richter bei der Strafzumessung zustehenden Ermessens ist nicht ersichtlich.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5e6e105-b1a4-40c3-a844-558e367c78a7 | Urteilskopf
138 IV 197
29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. GmbH und Staatsanwaltschaft Basel- Landschaft (Beschwerde in Strafsachen)
1B_704/2011 vom 11. Juli 2012 | Regeste
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
; Parteientschädigung nach Einstellung des Strafverfahrens.
Der Entschädigungsanspruch nach
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
setzt voraus, dass sowohl der Beizug eines Anwalts als auch der von diesem betriebene Aufwand angemessen sind (E. 2.3.4).
Der vom Verteidiger betriebene Aufwand hat sich in aus juristischer Sicht einfachen Fällen auf ein Minimum zu beschränken; allenfalls muss es bei einer einfachen Konsultation sein Bewenden haben. Nur in Ausnahmefällen jedoch wird bei Verbrechen und Vergehen schon der Beizug eines Anwalts an sich als nicht angemessene Ausübung der Verfahrensrechte bezeichnet werden können (E. 2.3.5). | Sachverhalt
ab Seite 198
BGE 138 IV 197 S. 198
A.
Am 23. März 2011 erstattete die Y. GmbH gegen X. Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft eröffnete ein Strafverfahren, stellte dieses jedoch mit Verfügung vom 11. August 2011 wieder ein. Zur Begründung führte sie aus, X. werde vorgeworfen, am 23. März 2011 um 16.15 Uhr an der A.strasse in Binningen den dort geparkten Personenwagen der Y. GmbH an der Heckklappe mit einer Plastikauszugsleine zerkratzt zu haben. Dabei sei ein Sachschaden in der Höhe von Fr. 1'142.30 (zzgl. 8 % MwSt) entstanden. Zum erwähnten Zeitpunkt sei X. von einem Spaziergang nach Hause gekommen, wobei er einen Hund an einer Plastikauszugsleine geführt habe. Er sei am Heck des Personenwagens vorbeigegangen. Auf dessen Führersitz sei ein Angestellter der Y. GmbH gesessen und habe einen Arbeitsrapport ausgefüllt. Der Angestellte habe später ausgesagt, er habe ein metallisches Geräusch wahrgenommen, jedoch nichts gesehen und sei erst rund zwei, drei Minuten später ausgestiegen. Er habe an der Hecktüre einen Schaden bemerkt, von dem er angenommen habe, er stamme von X. Die Staatsanwaltschaft kam zum Schluss, da der Beschuldigte den Vorwurf bestreite und dieser ihm nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden könne, sei das Verfahren einzustellen. Die Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse zu nehmen (Ziff. 3 der Verfügung) und der beschuldigten Person sei keine Entschädigung oder Genugtuung auszurichten (Ziff. 4 der Verfügung).
BGE 138 IV 197 S. 199
Am 22. August 2011 erhob X. Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft und beantragte, es sei Ziff. 4 der Einstellungsverfügung aufzuheben und es sei ihm eine Entschädigung von Fr. 2'880.45 auszurichten. Mit Beschluss vom 1. November 2011 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 13. Dezember 2011 beantragt X., der Beschluss des Kantonsgerichts sei aufzuheben. Es sei ihm für das Verfahren vor der Staatsanwaltschaft eine Entschädigung von Fr. 2'880.45 und für das Verfahren vor dem Kantonsgericht eine solche von Fr. 2'000.- auszurichten. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Das Kantonsgericht führte aus, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf eine Entschädigung im Sinne von
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
(SR 312.0). Weder erweise sich der Sachverhalt als komplex noch seien persönliche Verhältnisse ersichtlich, welche den Beizug eines Anwalts gebieten würden. Dies zeige sich auch an der geringen Schadenshöhe. Es sei davon auszugehen, dass sich eine erwachsene Person gegen den Tatvorwurf, wie er hier erhoben worden sei, in der Regel selber hinreichend zu verteidigen wisse. Wenn der Beschwerdeführer behaupte, er habe zu Beginn des Verfahrens nicht einmal gewusst, was ihm konkret vorgeworfen werde, so könne dem nicht gefolgt werden. In der Einvernahme vom 29. März 2011, zu der er noch ohne anwaltliche Vertretung erschienen sei, habe er vielmehr gesagt, er wisse, weshalb er vorgeladen worden sei. Es werde ihm vorgeworfen, er habe einen Personenwagen zerkratzt.
2.2
Der Beschwerdeführer erblickt im Beschluss des Kantonsgerichts eine Verletzung von
Art. 429 Abs. 1 StPO
, von
Art. 9 und
Art. 32 Abs. 1 BV
sowie von
Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK
. Es sei jeder beschuldigten Person zuzugestehen, nach Einleitung einer Strafuntersuchung, die ein Verbrechen oder ein Vergehen zum Gegenstand habe und welche nach einer ersten Einvernahme nicht eingestellt, sondern weitergeführt werde, einen Anwalt beizuziehen. Er sei der Sachbeschädigung, also eines Vergehens, beschuldigt worden. Zu diesem Vorwurf sei er anlässlich der ersten Einvernahme vom 29. März
BGE 138 IV 197 S. 200
2011 von der Polizei Basel-Landschaft befragt worden, jedoch nur als Auskunftsperson. Erst als die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft am 13. April 2011 die Eröffnung des Vorverfahrens verfügte, habe er sich gezwungen gesehen, einen Anwalt zu beauftragen. Nach der Eröffnung des Vorverfahrens habe am 27. April 2011 die Befragung einer Auskunftsperson und am 9. Juni 2011 erneut eine Einvernahme von ihm selber stattgefunden. Sein Anwalt habe an beiden Einvernahmen teilgenommen und vom Fragerecht Gebrauch gemacht. Erst am 11. August 2011, nach insgesamt drei Einvernahmen, sei das Verfahren gegen ihn eingestellt worden.
2.3
2.3.1
Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
Anspruch auf Einschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Mandatierung eines Anwalts als angemessene Ausübung der Verfahrensrechte qualifiziert werden kann.
Laut der Botschaft des Bundesrats setzt
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
die Rechtsprechung um, wonach der Staat die entsprechenden Kosten nur übernimmt, wenn der Beistand angesichts der tatsächlichen oder der rechtlichen Komplexität notwendig war und wenn der Arbeitsaufwand und somit das Honorar des Anwalts gerechtfertigt waren (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1329 Ziff. 2.10.3.1). Dieser Hinweis in der bundesrätlichen Botschaft ist für die Interpretation von
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
insofern wenig hilfreich, als sich das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage der Entschädigung zum einen im Wesentlichen auf eine Willkürprüfung der Anwendung von kantonalem Strafprozessrecht beschränkte und zum andern die kantonalen Regelungen durchaus nicht identisch waren, wie sich anhand folgender Beispiele aufzeigen lässt: Nach § 43 Abs. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH; LS 321) hatte ein Angeschuldigter, dem wesentliche Kosten und Umtriebe entstanden sind, Anspruch auf Entschädigung. Das Bundesgericht hielt dazu fest, die Zürcher Praxis, wonach Kosten der privaten Verteidigung in Übertretungsstrafsachen nur dann als "wesentliche Kosten und Umtriebe" im Sinne von
§ 43 Abs. 2 StPO
/ZH zu qualifizieren sind, wenn tatsächliche oder rechtliche
BGE 138 IV 197 S. 201
Schwierigkeiten den Beizug eines Anwaltes als sachlich geboten erscheinen lassen, sei nicht schlechterdings unhaltbar bzw. willkürlich (Urteil 1P.482/1996 vom 11. November 1996 E. 1c). Andere kantonale Strafprozessordnungen regelten den Anspruch auf Entschädigung in Form einer Kann-Bestimmung (so etwa das Gesetz des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 betreffend die Strafprozessordnung [StPO/BL; SGS 251] in § 33 Abs. 1: "Wird die angeschuldigte Person freigesprochen, wird das Verfahren eingestellt oder wird ihm keine Folge gegeben, kann ihr die mit der Beendigung des Verfahrens befasste Behörde auf Antrag eine angemessene Entschädigung für ungerechtfertigte Haft, für Anwaltskosten sowie für anderweitige Nachteile zusprechen."). Zum früheren sankt-gallischen Recht führt OBERHOLZER aus, dass ein Anspruch auf Ersatz der Vertretungskosten unabhängig davon gewährleistet gewesen sei, ob der Beizug eines Verteidigers im Untersuchungs- oder Gerichtsverfahren aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten notwendig war oder nicht (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2005, Rz. 1839).
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
, der mit Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung am 1. Januar 2011 die kantonalen Entschädigungsregelungen ablöste, wurde in den parlamentarischen Beratungen diskussionslos angenommen (AB 2006 S 1059; AB 2007 N 1032). Insgesamt ist deshalb festzuhalten, dass die Materialien der Gesetzgebung nur in beschränktem Masse Anhaltspunkte für die Auslegung bieten. Von einer Rechtsprechung, an die eins zu eins angeknüpft werden könnte, kann nach dem Gesagten kaum die Rede sein. Immerhin geht aus der Botschaft hervor, dass nach Ansicht des Bundesrats die tatsächliche und rechtliche Komplexität des Falls eine Rolle spielen soll.
2.3.2
Eine Durchsicht der Fachliteratur ergibt folgendes Bild: KÜNG, RIKLIN und SCHMID verweisen im Wesentlichen auf die in der Botschaft dargelegte Interpretation (HANSPETER KÜNG, in: Kommentierte Textausgabe zur schweizerischen Strafprozessordnung [StPO] vom 5. Oktober 2007, Peter Goldschmied und andere [Hrsg.], 2008,
Art. 429 StPO
; FRANZ RIKLIN, Schweizerische Strafprozessordnung, 2010, N. 3 zu
Art. 429 StPO
; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, 2009, N. 7 zu
Art. 429 StPO
). GRIESSER geht ebenfalls vom Ansatz der Botschaft aus und fügt bei, nach heutigem Verständnis werde man - abgesehen von Bagatellfällen - jeder beschuldigten Person zubilligen, dass sie nach Einleitung einer
BGE 138 IV 197 S. 202
Strafuntersuchung, die Verbrechen oder Vergehen zum Gegenstand habe und die nach einer ersten Einvernahme nicht eingestellt worden sei, einen Anwalt beiziehe. Diese Grundsätze sollten zudem auch für Übertretungen gelten (jedenfalls wenn es zu einem gerichtlichen Verfahren komme), wobei die Frage der Angemessenheit nach der Schwere der Anschuldigung in persönlicher und sachlicher Hinsicht zu beurteilen sei (YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 4 zu
Art. 429 StPO
). Ähnlich ist die Auffassung von MIZEL und RÉTORNAZ, wonach sich die anwaltliche Vertretung bei Verbrechen und Vergehen prinzipiell und bei Übertretungen dann rechtfertigt, wenn für den Beschuldigten einiges auf dem Spiel steht (MIZEL/RÉTORNAZ, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 31 zu
Art. 429 StPO
). Nach WEHRENBERG und BERNHARD ist es ebenfalls gerechtfertigt, jedem Beschuldigten zuzugestehen, nach Einleitung einer Strafuntersuchung, die ein Verbrechen oder Vergehen zum Gegenstand hat und die nach einer ersten Einvernahme nicht eingestellt, sondern weitergeführt wird, einen Anwalt beizuziehen. Da es immer schwieriger und gleichzeitig immer wichtiger werde, nicht nur das Gesetz, sondern auch die Rechtsprechung dazu zu kennen und dies in der Regel einem Laien nicht zugemutet werden könne, könne von diesem auch nicht verlangt werden, sich selbst zu verteidigen. Vielmehr sei es in Nachachtung des Anspruchs auf Waffengleichheit der beschuldigten Person zu ermöglichen, einen Verteidiger beizuziehen. Ausserdem könne zu Beginn eines Verfahrens nur schwer abgeschätzt werden, ob Komplikationen entstehen werden. Für eine wirksame Verteidigung sei es zudem in der Regel wesentlich, möglichst früh im Verfahren damit beginnen zu können (WEHRENBERG/BERNHARD, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 14 zu
Art. 429 StPO
).
2.3.3
Der Anspruch aus
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
ist von der notwendigen und der amtlichen Verteidigung abzugrenzen. Ein Anspruch auf Entschädigung für Verteidigungskosten im Falle einer Verfahrenseinstellung oder eines Freispruchs gestützt auf
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
besteht nicht nur in den Fällen der notwendigen Verteidigung im Sinne von
Art. 130 StPO
. Ein Anspruch besteht auch nicht nur in den Fällen, in denen bei Mittellosigkeit der beschuldigten Person gestützt auf
Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO
eine amtliche Verteidigung hätte angeordnet werden müssen, weil dies zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person geboten gewesen wäre. Der
BGE 138 IV 197 S. 203
Beizug eines Wahlverteidigers kann sich mit anderen Worten als angemessene Ausübung der Verfahrensrechte erweisen, auch wenn er nicht als geradezu geboten erscheint.
2.3.4
Die Botschaft weist auf zwei kumulative Voraussetzungen hin: Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (BBl 2006 1329 Ziff. 2.10.3.1). Diese Differenzierung kommt zwar im Wortlaut von
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
, wo global von "angemessener Ausübung ihrer Verfahrensrechte" die Rede ist, nicht direkt zum Ausdruck; sie steht indessen im Einklang mit der herrschenden Lehre und der Praxis zum früheren Recht. Daran ist weiterhin festzuhalten. Es ist somit nicht auszuschliessen, dass im Einzelfall schon der Beizug eines Anwalts an sich als nicht angemessene Ausübung der Verfahrensrechte bezeichnet werden könnte.
2.3.5
Die in der Literatur erkennbare Stossrichtung, einem Beschuldigten in der Regel den Beizug eines Anwalts zuzubilligen, jedenfalls von einer bestimmten Schwere des Deliktsvorwurfs an, erscheint sachlich gerechtfertigt. Es darf nicht vergessen werden, dass es im Rahmen von
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht (hat die beschuldigte Person die Einleitung des Verfahrens rechtswidrig und schuldhaft bewirkt, so kann die Entschädigung gemäss
Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO
trotz vermuteter Unschuld herabgesetzt oder verweigert werden). Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat. Im Übrigen sind beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Anwalts neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen.
Was die Angemessenheit des vom Anwalt betriebenen Aufwands betrifft, so wird sich dieser in aus juristischer Sicht einfachen Fällen
BGE 138 IV 197 S. 204
auf ein Minimum beschränken; allenfalls muss es gar bei einer einfachen Konsultation sein Bewenden haben. Nur in Ausnahmefällen wird bei Verbrechen und Vergehen schon der Beizug eines Anwalts an sich als nicht angemessene Ausübung der Verfahrensrechte bezeichnet werden können. Diesbezüglich sei auf den in der Literatur erwähnten Fall hingewiesen, wo das Verfahren bereits nach einer ersten Einvernahme eingestellt wird. Wann konkret von einem derartigen Ausnahmefall auszugehen ist, braucht indessen vorliegend nicht abschliessend erörtert zu werden.
2.3.6
Die Frage, ob der Beizug eines Verteidigers und der von diesem betriebene Aufwand eine angemessene Ausübung der Verfahrensrechte darstellen, ist bundesrechtlicher Natur. Das Bundesgericht prüft deren Beantwortung und mithin die Auslegung von
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
frei. Es auferlegt sich indessen eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der vorinstanzlichen Einschätzung, insbesondere hinsichtlich der Frage, welcher Aufwand des Verteidigers im konkreten Fall noch als angemessen zu bezeichnen ist.
2.3.7
Aus den Akten ergeben sich folgende Eckdaten: Am 29. März 2011 wurde der Beschwerdeführer von der Polizei als Auskunftsperson einvernommen. Am 13. April 2011 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung (
Art. 144 Abs. 1 StGB
). Dabei handelt es sich um ein Vergehen (
Art. 10 Abs. 3 StGB
). Auch wenn der konkrete Vorwurf persönlich und materiell am unteren Rand der Schwelle liegt, die den Beizug eines Anwalts rechtfertigen kann, wurde das Verfahren von den Strafverfolgungsbehörden doch mit einiger Hartnäckigkeit weiterverfolgt. Mit Schreiben vom 19. April 2011 teilte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers der Staatsanwaltschaft mit, von diesem mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt worden zu sein. Am 27. April 2011 wurde der Angestellte der Y. GmbH in Anwesenheit des Verteidigers des Beschwerdeführers als Auskunftsperson befragt. Am 7. Juni 2011 wurde der Beschwerdeführer erneut einvernommen, diesmal von der Staatsanwaltschaft und als beschuldigte Person. Zunächst erfolgte die Einvernahme zur Sache, bei welcher der Verteidiger des Beschwerdeführers anwesend war. Im Anschluss wurde der Beschwerdeführer noch zu seiner Person befragt, wobei der Verteidiger diesem Teil nicht mehr beiwohnte. Das Strafverfahren wurde am 11. August 2011 eingestellt.
Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen gebietet
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO
in einer solchen Situation, dass dem
BGE 138 IV 197 S. 205
Beschwerdeführer eine Entschädigung zugesprochen wird. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe diese Bestimmung verletzt, erweist sich deshalb als begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, und es kann offenbleiben, wie es sich mit den weiteren erwähnten Rügen verhält. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5ea059e-ceb7-4f77-9efc-800b27279c83 | Urteilskopf
111 IV 113
29. Urteil des Kassationshofes vom 13. Dezember 1985 i.S. M. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 32 StGB
. Waffengebrauch der Polizei.
1. Bei der Frage der Rechtfertigung durch Amtspflicht ist neben dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit auch das entsprechende kantonale Dienstrecht zu beachten (E. 2).
2. Ob die Körperverletzungen durch die Amtspflicht im Sinne des einschlägigen Dienstreglements gerechtfertigt sind, ist eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Rechtsfrage (E. 4).
3. Der Verdacht, ein Fahrzeug könnte gestohlen oder entwendet sein, rechtfertigt es nicht, den bei der Identitätskontrolle flüchtenden Lenker durch Schüsse auf den Führersitzbereich vorsätzlich der Gefahr erheblicher Körperverletzungen auszusetzen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 113
BGE 111 IV 113 S. 113
A.-
Am 29. Februar 1984 gegen 11 Uhr kontrollierte M., Gefreiter der Kantonspolizei, in Ausübung seiner dienstlichen
BGE 111 IV 113 S. 114
Funktion vor der in jenem Zeitpunkt nicht benützbaren Brücke in Büren a.A. einen ihm verdächtig erscheinenden Lenker eines Personenwagens Marke Audi quattro mit Genfer Schildern. Der berndeutsch sprechende Lenker des Fahrzeuges konnte die Wagenpapiere nicht finden; er erklärte schliesslich, er habe den Ausweis in Genf gelassen. M. verlangte dann irgendeinen Beleg über die Identität (Identitätskarte, Brief usw.) und versuchte Funkverbindung mit der Einsatzzentrale Biel herzustellen, um den verdächtigen Wagen überprüfen zu lassen. Der Lenker des Genfer Autos, der bisher ruhig nach dem gewünschten Papier gesucht hatte, gab nun plötzlich Gas und fuhr weg. Nach einem Warnruf gab M. aus seiner Dienstpistole vier Schüsse auf das rechte Hinterrad ab. Der Audi setzte die Flucht fort. M. verfolgte ihn mit einem requirierten Fahrzeug. Auch eine zweite Serie von Schüssen auf die Räder zeigte keine Wirkung. Schliesslich kam es zu einer dritten Schussabgabe von M., als der flüchtende Wagen vor dem Polizeibeamten eine Quartierstrasse überquerte. Jetzt zielte M. nicht mehr auf die Pneus, sondern auf den unteren Teil des Fahrzeuges im Bereich der Fahrertüre. Er rechnete damit, den Fahrer zu treffen, und wollte ihn so zum Anhalten zwingen.
H., der Lenker des Audi quattro, erlitt Schussverletzungen an den Armen, seine Begleiterin, Frau W., wurde am linken Oberschenkel getroffen. Nach dem Arztbericht handelt es sich bei H. um schwere Verletzungen mit Invaliditätsfolgen (Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Arme).
B.-
M. wurde im Appellationsverfahren vom Obergericht des Kantons Bern der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung mit voraussehbarer schwerer Folge (zum Nachteil des H.) gemäss
Art. 123 Ziff. 2 StGB
sowie der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung mit Waffe (zum Nachteil der Frau W.) gemäss
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
schuldig erklärt und zu drei Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug (Probezeit 2 Jahre) verurteilt.
C.-
M. führt gegen diesen Entscheid des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass M. durch die dritte Serie von Schüssen, die er zur Verhinderung der Flucht des Audi
BGE 111 IV 113 S. 115
abgab, die Körperverletzungen verursachte, und dass in dieser Phase der Vorsatz des Beschwerdeführers die Verursachung einfacher Körperverletzungen mitumfasste. Auch die Voraussehbarkeit der eingetretenen schweren Verletzungen von H. im Sinne von
Art. 123 Ziff. 2 StGB
ist unbestritten.
Die Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die rechtliche Folgerung der Vorinstanz, bei der gegebenen Sachlage sei der Schusswaffengebrauch unangemessen gewesen, der Rechtfertigungsgrund der Amtspflicht liege daher nicht vor.
2.
Inwiefern die Amtspflicht eines Polizeibeamten den Schusswaffengebrauch und die dadurch verursachten Verletzungen von Rechtsgütern zu rechtfertigen vermag (
Art. 32 StGB
), wird regelmässig in speziellen Bestimmungen (Dienstreglement, Verordnung, Polizeigesetz) genauer umschrieben (REHBERG, in Kriminalistik 1976 S. 563 ff., 1977 S. 35, 81, 128; TH. HUG, Schusswaffengebrauch durch die Polizei, Diss. Zürich 1980, S. 28; HARALD HUBER, in Mélanges Grisel S. 442 ff.). Im vorliegenden Fall ist das Obergericht richtigerweise von der Vorschrift ausgegangen, welche für das bernische Polizeikorps den Waffengebrauch regelt (Dienstreglement betreffend den Waffengebrauch für das Polizeikorps des Kantons Bern vom 2. November 1964 mit Änderung vom 1. Mai 1981, Art. 4):
"Die Polizei hat, wenn andere verfügbare Mittel nicht ausreichen, in einer den Umständen angemessenen Weise von der Waffe Gebrauch zu machen,
1. wenn sie mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen wird,
2. wenn andere Personen mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen werden,
3. wenn die dienstlichen Aufgaben nicht anders als durch Waffengebrauch auszuführen sind, insbesondere a) wenn Personen, welche ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen haben oder eines solchen dringend verdächtigt sind, sich der Festnahme oder einer bereits vollzogenen Verhaftung durch Flucht zu entziehen versuchen,
b) wenn sie aufgrund erhaltener Informationen oder aufgrund persönlicher Feststellungen annehmen darf oder muss, dass Personen für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen und sich diese der Festnahme oder einer bereits vollzogenen Verhaftung durch Flucht zu entziehen versuchen, c) zur Befreiung von Geiseln,
d) zur Verhinderung eines unmittelbar drohenden schweren Verbrechens oder schweren Vergehens an Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen oder die für die Allgemeinheit wegen ihrer Verletzlichkeit eine besondere
BGE 111 IV 113 S. 116
Gefahr bilden."
Diese Formulierung entspricht der von der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten gutgeheissenen Muster-Dienstanweisung über den Gebrauch der Schusswaffe durch die Polizei von 1976 (HUG, a.a.O., S. 78 f. sowie Anhang 4). Die Frage der Rechtfertigung durch Amtspflicht ist unter Beachtung der zitierten Regelung zu beurteilen, auch wenn grundsätzlich die Angemessenheit von Handlungen kantonaler Beamter unabhängig von kantonalen Vorschriften zu prüfen ist (
BGE 94 IV 8
, REHBERG, a.a.O., S. 566).
3.
Von den möglichen Gründen zur Rechtfertigung des Schusswaffengebrauchs kommt im konkreten Fall nach den gesamten Umständen lediglich Ziff. 3 in Frage und zwar von den genauer umschriebenen typischen Beispielen lit. a, eventuell lit. b. Eine Notwehr- oder Notstandsituation (Ziff. 1/2) war in keiner Phase der Verfolgung vorhanden; auch die besonderen Voraussetzungen von Ziff. 3 lit. c und d fallen ausser Betracht.
4.
Ob die Körperverletzungen durch die Amtspflicht im Sinne von Art. 4 Ziff. 3 lit. a oder b des einschlägigen Dienstreglementes gerechtfertigt sind, ist eine Rechtsfrage, deren Entscheidung auf Nichtigkeitsbeschwerde vom Bundesgericht frei überprüft wird. Es ist dabei an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, nicht aber an deren Folgerungen hinsichtlich der Frage, ob die festgestellten Umstände die Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs gemäss lit. a oder b erfüllen und einen rechtfertigenden Anlass zu einer die Körperverletzung zumindest in Kauf nehmenden Schussabgabe bilden konnten. Entgegen der Auffassung des Generalprokurators in seiner Vernehmlassung ist daher in diesem Verfahren auf die Frage einzutreten, ob die festgestellten Tatsachen den konkreten Schusswaffengebrauch als durch die Amtspflicht gedeckt erscheinen lassen.
5.
Der Beschwerdeführer kannte den Lenker des Audi mit Genfer Kennzeichen und dessen Begleiterin nicht. Er besass auch keine Informationen, welche ihn zur Annahme berechtigten, er habe eine Person vor sich, welche ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen habe oder eines solchen dringend verdächtigt sei. Schliesslich fehlte auch jedes einigermassen schlüssige Indiz dafür, dass die Insassen des flüchtenden Audi für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen könnten; insbesondere besassen H. und seine Begleiterin, soweit der Beschwerdeführer dies feststellen konnte, keine Waffen.
BGE 111 IV 113 S. 117
Der Beschwerdeführer traf den Entschluss zum Schusswaffengebrauch ausschliesslich aufgrund der persönlichen Feststellungen bei der konkreten Begegnung: Der Berner Mundart sprechende Lenker des Genfer Sportwagens, der dem Polizisten nicht recht in dieses Fahrzeug zu passen schien, gab offenbar den Anlass zur Überprüfung der Identität. Das Fehlen irgendwelcher Ausweispapiere war dann ein handfester Grund zum Verdacht, das Fahrzeug könnte gestohlen oder entwendet sein. Die Flucht und deren Fortsetzung trotz Warnung, wiederholter Schussabgabe und Behinderung durch andere Fahrzeuge bestätigte den Verdacht, dass mit dem Sportwagen und seinem Lenker etwas nicht in Ordnung sei.
Die gezielte Schussabgabe auf die Pneus steht hier nicht in Frage und braucht auf ihre Berechtigung und Angemessenheit nicht untersucht zu werden. Es geht in diesem Verfahren ausschliesslich um die letzte Serie von Schüssen, welche nicht auf die Räder, sondern auf das Fahrzeug als solches gerichtet war, vor allem auch im Bereich des Führersitzes, und - dem Eventualvorsatz entsprechend - erhebliche Körperverletzungen verursachte. Im Zeitpunkt dieser Schüsse wusste der Beschwerdeführer über die Insassen des Audi nicht mehr als am Anfang der Begegnung. Dazu kam die Feststellung eines verbissenen Fluchtwillens. Dass ein Fahrer, der sich zur Flucht entschliesst, um der polizeilichen Kontrolle zu entkommen (z.B. wegen Angetrunkenheit, Fehlen eines Führerausweises, Entwendung des Fahrzeuges, Entweichung aus einer Erziehungs- oder Strafanstalt usw.), die Flucht nicht aufgibt, auch wenn (erfolglos) auf sein Fahrzeug geschossen wird, dürfte verhältnismässig häufig sein. Die Intensität des Fluchtwillens hängt vorwiegend von den persönlichen Eigenschaften des Lenkers ab, nicht von der Schwere der zu verbergenden Verfehlung. Es entwickelt sich in solchen Fällen eine Art Zweikampf zwischen Verfolger und Verfolgtem, wobei weniger vernunftmässige Überlegungen als instinktive, durch "sportlichen" Ehrgeiz und Krimi-Szenen geprägte Reaktionen das Verhalten bestimmen. Auf jeden Fall darf nicht - ohne weitere gewichtige Anhaltspunkte - aus der blossen Tatsache des Wegfahrens oder der hartnäckigen Fortsetzung einer einmal begonnenen, zuerst erfolgreichen Flucht auf schwere Delikte oder auf besondere Gefährlichkeit des Flüchtenden geschlossen werden (vgl. dazu REHBERG, a.a.O., 1977 S. 130 f.).
Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer die Unrechtmässigkeit des Fahrzeug-Besitzes als höchstwahrscheinlich annehmen. Für andere Delikte fehlte jeder konkrete Hinweis. Die
BGE 111 IV 113 S. 118
Wahrscheinlichkeit eines Auto-Diebstahls verbunden mit der Hartnäckigkeit der Flucht gab dem Beschwerdeführer aber keinen Grund zur Annahme, der mutmassliche Rechtsbrecher habe ein so schweres Verbrechen oder Vergehen begangen, dass er mit allen Mitteln - selbst mit dem Risiko einer schweren Körperverletzung oder gar Tötung - an der Flucht gehindert werden müsse. Der sehr gefährliche Einsatz der Schusswaffe bei der dritten Serie war nach den konkreten Umständen offensichtlich unverhältnismässig.
Würde man der Argumentation des Beschwerdeführers folgen, dann wären stets, wenn ein Fahrzeuglenker sich der Identitätskontrolle zu entziehen versucht und die Flucht auch nach Schüssen gegen die Pneus nicht aufgibt, ohne weiteres Schüsse gegen den Fahrer zulässig mit dem Ziel, durch Körperverletzung die Weiterfahrt zu hindern. Selbst wenn der Verdacht eines schweren Deliktes vorliegt, muss der Gebrauch der Schusswaffe stets den Umständen angemessen, d.h. verhältnismässig sein. Auch die in Ziff. 3 (des zitierten Art. 4 des Berner Dienstreglementes) enthaltene Generalklausel, wonach Waffengebrauch erlaubt ist, wenn dienstliche Aufgaben nicht anders erfüllt werden können (Einleitungssatz), gilt selbstverständlich nur unter dem strikten Gebot der Verhältnismässigkeit. Das Risiko erheblicher Körperverletzungen steht beispielsweise in einem Missverhältnis zum Interesse an der raschen Abklärung des Verdachts von Vermögensdelikten, die ohne Gewalt oder Drohung erfolgten. Auch das Interesse an der Festnahme eines entwichenen Strafgefangenen, der unbewaffnet ist und nicht als gefährlich erscheint, wird in der Regel einen Schusswaffengebrauch mit Gefahr für Leib und Leben (des Betroffenen oder anderer Personen) nicht rechtfertigen. Lässt sich das Risiko schwerer Körperverletzungen praktisch ausschliessen (z.B. gezielte Schüsse auf Pneus), so dürfte der Einsatz der Schusswaffe auch bei blossen Vermögensdelikten eher zu verantworten sein.
Der angefochtene Entscheid des Obergerichtes hat die Kriterien des polizeilichen Schusswaffengebrauchs in zutreffender Weise auf den konkreten Fall zur Anwendung gebracht und dabei
Art. 32 StGB
nicht verletzt. Überdies wurde bei der Strafzumessung den Besonderheiten der Situation im Rahmen von Art. 64/65 StGB sehr weitgehend Rechnung getragen. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich als unbegründet. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5ea1701-dd9f-43fd-8df8-db142a948567 | Urteilskopf
95 IV 68
19. Urteil des Kassationshofes vom 23. Mai 1969 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
1.
Art. 1 StGB
. Vom Wortlaut abweichende Auslegung des Gesetzes (Erw. 3 a).
2.
Art. 110 Ziff. 5 StGB
. Urkunde. Hängt die Urkundenqualität ausschliesslich von der Beweiseignung ab, überhaupt nicht von der Beweisbestimmung? (offen gelassen; Erw. 1c).
3.
Art. 252 StGB
. Fälschung von Ausweisen. Müssen die in diesem Artikel genannten Papiere notwendig Urkunden gemäss
Art. 110 Ziff. 5 StGB
sein? (offen gelassen; Erw. 1 am Anfang).
4. Art. 251/252 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Gebrauch gefälschter Urkunden und Ausweise durch den Fälscher ist strafbar, sofern dieser für die Fälschung straflos blieb (Erw. 3 b und c). | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 95 IV 68 S. 69
A.-
S., der Ende 1962 an der Eidg. Technischen Hochschule das Maschineningenieur-Diplom erworben hatte, nahm im Frühjahr 1963 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich das Studium der Nationalökonomie auf. Ende Februar 1968 meldete er sich zur Lizentiatsprüfung an. Im Testatheft, das er dabei einreichte, hatte er 29 Unterschriften von 13 Dozenten gefälscht.
B.-
Das Bezirksgericht Zürich sprach S. mit Urteil vom 7. Juni 1968 der Fälschung von Ausweisen im Sinne von
Art. 252 Ziff. 1 und 2 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer auf zwei Jahre bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 14 Tagen.
Gegen dieses Urteil ergriffen sowohl die Staatsanwaltschaft wie der Angeklagte die Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich, dieser mit dem Antrag auf Freisprechung, jene mit
BGE 95 IV 68 S. 70
dem Antrag auf Bestrafung des Angeklagten mit einem Monat Gefängnis.
Das Obergericht verurteilte S. am 5. November 1968 unter Bestätigung des bezirksgerichtlichen Schuldspruchs zu einer nach zwei Jahren Bewährung löschbaren Busse von Fr. 400.--. C. - Der Angeklagte erhob kantonale Kassations- und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.
Die kantonale Beschwerde wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 6. März 1969 im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
Mit der eidgenössischen Beschwerde beantragt der Angeklagte Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Freisprechung. Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie das Obergericht annimmt, die in
Art. 252 StGB
genannten Papiere notwendig Urkunden gemäss
Art. 110 Ziff. 5 StGB
sein müssen; dafür könnte die Überschrift "Urkundenfälschung" des elften Titels sprechen, was jedoch weder entscheidend wäre (
BGE 84 IV 75
) noch schlüssig, denn die "Zeichen" der ebenfalls im elften Titel enthaltenen Art. 256 und 257 fallen nicht notwendig unter den Urkundenbegriff des Art. 110 Ziff. 5 (HAFTER, Bes. Teil S. 595, 616, 618); gegen die Auffassung des Obergerichts spricht sodann, dass in Art. 252 von "Schriften" die Rede ist, nicht von "Urkunden" wie in Art. 251 (HAFTER, Bes. Teil S. 609).
Nach der Zürcher Universitätsordnung, wie sie vom Obergericht verbindlich dargestellt und gewürdigt wird (
Art. 277 bis Abs. 1 und
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
), kommt den Testaten der Dozenten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Urkundenqualität im Sinne des Art. 110 Ziff. 5 zu.
a) Gemäss diesen Vorschriften haben die Studierenden sämtliche Vorlesungen und Übungen in das Testatbuch einzutragen; die Testate werden von den Dozenten kraft ihres Lehramtes ausgestellt und können nur von ihnen erteilt werden; sie bilden die Bescheinigung für den Besuch der Kollegien, und diese Ausweise oder solche anderer Universitäten sind erforderlich für die Zulassung zu den Prüfungen. Darnach hat der Besuch der Vorlesungen, der mit den Testaten bescheinigt wird, unbestritten rechtliche Bedeutung im Sinne von Art. 110 Ziff. 5.
BGE 95 IV 68 S. 71
b) Materiell sollen die Testate nach den von der Vorinstanz angeführten Bestimmungen den Nachweis erbringen für das Fachstudium in dem Mindestumfang, wie es in den von der Fakultät aufgestellten Studienplänen vorgesehen ist. Demnach haben sie Beweisbestimmung gemäss Art. 110 Ziff. 5.
c) Damit ist der Urkundencharakter gegeben. Daran ändert nichts, dass die Testaterteilung nach den Feststellungen der Vorinstanz namentlich für grosse Vorlesungen mehr und mehr zur blossen Formsache geworden ist, viele Professoren ihre Unterschriften unbesehen geben und der Beschwerdeführer deshalb die fehlenden Testate noch nachträglich hätte erhalten können, wenn er sich darum bemüht hätte. Diese Verhältnisse betreffen nicht die rechtliche Bestimmung, sondern die tatsächliche Eignung der Testate zum Beweis des Kollegienbesuches. Nach Art. 110 Ziff. 5 genügt aber zur Urkundenqualität, dass die Schrift zum Beweis entweder bestimmt oder geeignet ist (entsprechend die Rechtsprechung des Kassationshofes, z.B.
BGE 81 IV 240
,
BGE 91 IV 7
).
In der Literatur wird freilich die Auffassung vertreten, Urkunden seien nur Schriften, die sich zum Beweis eignen, und darauf, ob die Schrift vom Aussteller zum Beweis bestimmt wurde oder nicht, komme nichts an (HAEFLIGER, ZStR 1958 S. 404 f.; SCHWANDER, Strafgesetzbuch 2. Aufl. S. 453 Nr. 690a; ablehnend L. BURCKHARDT, ZStR 1960 S. 87 ff.; GERMANN, ZStR 1961 S. 405 FN 11). Jedoch selbst bei Zugrundelegung dieser Auffassung kommt den Testaten wenigstens insofern Urkundencharakter zu, als sie festhalten, welche Erklärung der Dozent im betreffenden Augenblick abgegeben hat. Sie sind auf jeden Fall nicht nur bestimmt, sondern auch geeignet zum Beweis dafür, dass er die von der Universitätsordnung als Studienausweis für die Zulassung zur Prüfung vorausgesetzte Bescheinigung ausgestellt hat (
BGE 73 IV 50
Erw. 2, 110 Erw. 2;
BGE 80 IV 115
Erw. 2;
BGE 88 IV 34
unten).
Unter diesen Umständen kann ungeprüft bleiben, ob die Testate nicht auch für den Besuch der Vorlesungen immerhin solange Beweis schaffen, als nicht das Gegenteil bewiesen ist, was genügen würde; dass sie den vollen und unwiderleglichen Beweis erbringen, wäre nach der Rechtsprechung nicht nötig (
BGE 91 IV 7
).
Ebenso kann die These der Vorinstanz auf sich beruhen, wonach die Testate zwar nicht den effektiven Besuch der Vorlesungen
BGE 95 IV 68 S. 72
nachweisen, wohl aber bescheinigen, dass der Dozent das eingetragene Kolleg als besuchte Vorlesung im Sinne der Prüfungsbestimmungen gelten lasse, sie als besucht anrechne. Rechtserhebliche Tatsache ist schwerlich die Meinung des Dozenten über die Bedeutung des Testates, sondern das, was dieses nach der Universitätsordnung darstellt.
2.
Die Absicht, sich das Fortkommen zu erleichtern, - und damit die sich aus dem Gesetz mittelbar ergebende Absicht, die Fälschung zur Täuschung zu gebrauchen (Urteil des Kassationshofes vom 2. März 1956 i.S. Weibel; GERMANN, ZStR 1961 S. 403 ff.; HAEFLIGER, SJK 138 Ersatzkarte S. 7 oben) - erblickt die Vorinstanz darin, dass der Beschwerdeführer den nächsten Prüfungstermin nicht verpassen wollte; hätte er die fehlenden Testate auf korrekte Weise einholen wollen, wäre ihm eine rechtzeitige Anmeldung nicht mehr möglich gewesen. Diese Feststellung erklärt das Kassationsgericht mangels der nötigen aktenmässigen Grundlage als unhaltbar für den Fall, dass sie sich auf den Zeitpunkt der Fälschungen, nicht auf den Zeitpunkt ihres Gebrauchs, beziehen sollte. Welcher Zeitpunkt massgebend sei, sei Rechtsfrage, die das Bundesgericht, nicht das Kassationsgericht zu entscheiden habe.
Diese Würdigung des Sachverhaltes durch das Kassationsgericht schliesst die Annahme aus, der Beschwerdeführer habe schon die Fälschungen in der Absicht begangen, den nächsten Prüfungstermin nicht zu verpassen. Wie sich aus den Erwägungen über den Vorsatz ergibt, nimmt das in Wirklichkeit auch das Obergericht nicht an. Es räumt vielmehr als möglich ein, dass der Beschwerdeführer die Unterschriften, abgesehen von den Testaten "Käfer", ursprünglich aus logisch nicht erfassbaren Gründen mehr oder weniger zum Zeitvertreib nachgeahmt habe, und wirft ihm als vorsätzliche Strafhandlung nach
Art. 252 StGB
nur vor, später von den nachgeahmten Unterschriften im Bewusstsein ihrer Fälschung gegenüber den Universitätsorganen Gebrauch gemacht zu haben.
3.
a) Demnach hat das Obergericht Abs. 3 und nicht den von ihm im Urteilsdispositiv angeführten Abs. 2 von
Art. 252 Ziff. 1 StGB
angewendet. Damit ist es über den Wortlaut dieser Bestimmung hinausgegangen, nach welchem der Gebrauch eines Ausweises zur Täuschung nur strafbar ist, wenn die Schrift von einem Dritten, nicht, wenn sie vom Gebrauchenden selber hergestellt wurde. Das heisst indessen nicht notwendig, dass die
BGE 95 IV 68 S. 73
Vorinstanz entgegen
Art. 1 StGB
auch über das Gesetz hinaus gegangen sei. Der Gesetzestext ist Ausgangspunkt der Gesetzesanwendung. Selbst der klare Wortlaut bedarf aber der Auslegung, wenn er vernünftigerweise nicht der wirkliche Sinn des Gesetzes sein kann. Massgeblich ist nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern dessen Sinn, der sich namentlich aus den ihm zugrundeliegenden Zwecken und Wertungen ergibt, im Wortlaut jedoch unvollkommen ausgedrückt sein kann. Sinngemässe Auslegung kann auch zu Lasten des Angeklagten vom Wortlaut abweichen. Der Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 1) verbietet bloss, im Gesetz fehlende Wertungen zugrundezulegen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt ist (
BGE 87 IV 118
,
BGE 88 IV 93
,
BGE 90 IV 96
und 187 Erw. 6,
BGE 91 IV 28
;
BGE 87 I 16
,
BGE 88 II 482
; GERMANN, Kommentar zu
Art. 1 StGB
N 63, 10 und 125, ZStR 1963 S. 83 ff. und 365 ff., Probleme und Methoden der Rechtsfindung S. 104 ff.; WAIBLINGER, ZBJV 1955 Bd. 91 bis S. 235 ff.; SCHULTZ, ZStR 1957 S. 51 ff., 1962 S. 150 ff.; MEIER-HAYOZ, Kommentar zu
Art. 1 ZGB
N 51, 132 f., 175 ff.).
b) Art. 252 will wie
Art. 251 StGB
Treu und Glauben im Verkehr schützen. Dieses Rechtsgut wird verletzt durch den erfolgreichen täuschenden Gebrauch gefälschter, verfälschter oder unwahrer Ausweise und Urkunden. Lediglich in Gefahr gebracht wird es durch die Herstellung solcher Dokumente. Es kann nun nicht der Sinn des Gesetzes sein, den Fälscher nur zu bestrafen für die blosse Gefährdung des geschützten Rechtsgutes, nicht hingegen für seine Verletzung. Ebenso unvernünftig wäre es, nur den Gebrauch eines fremden Falsifikats, nicht aber den eines eigenen zu ahnden, denn Treu und Glauben wird durch beides gleichermassen beeinträchtigt. Das aber wäre die Folge der wörtlichen Anwendung von Art. 251/252 Ziff. 1 Abs. 3. Dazu kann es freilich nur kommen, wenn der Fälscher für die Fälschungshandlung nicht zu bestrafen ist, so weil ihm damals die Täuschungsabsicht fehlte, oder weil die Fälschungshandlung verjährt ist oder im Ausland begangen wurde und in der Schweiz nicht verfolgt werden kann. Normalerweise wird der Fälscher für die Fälschungshandlung bestraft, und eine zusätzliche Ahndung des durch ihn begangenen Gebrauchs des Falsifikats ist insofern unnötig, als im Fälschungstatbestand der Vorsatz des täuschenden Gebrauchs bereits erfasst wird. Auf
BGE 95 IV 68 S. 74
diesen Normalfall ist der Gesetzestext zugeschnitten. Er ist zu weit und erfasst auch Ausnahmefälle wie die erwähnten, für die er zu einem widersinnigen Ergebnis führt. Abgesehen vom Wortlaut besteht kein Grund, den Fälscher, der das Falsifikat selber verwendet und wegen der Fälschungshandlung nicht bestraft werden kann, gegenüber dem Dritten, der eine gefälschte Urkunde gebraucht, zu privilegieren. In diesem Fall ist deshalb auch der Fälscher wegen Gebrauchs seines Falsifikats zu bestrafen. Mit dieser Auslegung wird nicht eine Wertung in das Gesetz hineingetragen. Der Tatbestand des Gebrauchs eines Falsifikats ist im Gesetz enthalten. Doch sind die Bestimmungen so gefasst, dass der Fälscher selber bei wörtlicher Anwendung den Tatbestand des Gebrauchs nicht erfüllen kann. Dass es aber nicht der Sinn des Gesetzes sein kann, den straflos gebliebenen Fälscher auch noch für den Gebrauch seines Falsifikats ungestraft zu lassen, ist unzweifelhaft (DUBS, ZStR 1959 S. 94 ff.; HAEFLIGER, SJK 138 Ersatzkarte S. 6 Ziff. 5; GERMANN, ZStR 1961 S. 403 f.).
c) Die sinngemässe Auslegung wird gestützt durch die Entstehungsgeschichte. Nach Art. 176 des Vorentwurfs von 1908 war die Urkundenfälschung erst mit dem Gebrauch vollendet, ausser bei den öffentlichen Urkunden, bei denen nach Art. 177, zur Verstärkung des Strafschutzes (ZUERCHER, Erläuterungen S. 326), schon die Herstellung des Falsifikats das Delikt vollendete. In beiden Artikeln war daneben der Gebrauch des Falsifikats als selbständiger Tatbestand vorgesehen. Die 2. Expertenkommission entschied sich dann für eine alternative Variante ihrer Redaktionskommission. Diese fasste die beiden Artikel in einem einheitlichen Urkundendelikt zusammen, das im Sinne des heute geltenden Textes mit der Fälschung vollendet war; dazu trat der Gebrauch des Falsifikats durch einen Dritten; die Fälschung öffentlicher Urkunden wurde zum qualifizierten Fall; als privilegierter Fall wurde die Fälschung von Ausweispapieren in den Artikel aufgenommen. Durch die Beschränkung des zusätzlichen Tatbestandes des Gebrauchs auf Drittpersonen sollte für den Fälscher die Realkonkurrenz ausgeschlossen werden (Prot. 2. ExpK V S. 62 ff.). Offensichtlich wurde aber übersehen, dass der Fälscher für die Fälschungshandlung unter Umständen gar nicht strafbar oder verfolgbar ist. Der Fälscher wurde zweifellos nicht bewusst für diese Fälle auch hinsichtlich des Gebrauchs straflos gelassen, nachdem gleichzeitig der Schutz
BGE 95 IV 68 S. 75
des Rechtsgutes durch generelle Vorverlegung des Zeitpunktes der Vollendung auf die Fälschungshandlung erhöht wurde. Der Tatbestand wurde vielmehr so umschrieben, um die Realkonkurrenz zwischen Fälschung und Gebrauch auszuschliessen. Entfällt daher die Realkonkurrenz im Einzelfall, so ist der Fälscher wegen des Gebrauchs zu bestrafen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a5eb0f86-e7a5-4396-99e0-41e83727303c | Urteilskopf
140 III 41
8. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. GmbH (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_344/2013 vom 6. Januar 2014 | Regeste
Art. 85 SchKG
; Klage auf Aufhebung oder Einstellung der Betreibung.
Der Betriebene kann die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
vor Beseitigung des Rechtsvorschlages erheben und durch Urkunden das Nichtbestehen der Schuld beweisen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 41
BGE 140 III 41 S. 41
A.
Die Y. GmbH leitete gegen X. für eine Forderung in der Höhe von Fr. 31'579.30 nebst Zins zu 5 % seit 1. April 2012 die Betreibung (Nr. x, Betreibungsamt Meilen-Herrliberg-Erlenbach) ein. Gegen den Zahlungsbefehl vom 21. Mai 2012 erhob der Schuldner am 25. Mai 2012 (Zustellungsdatum) Rechtsvorschlag.
BGE 140 III 41 S. 42
Am 7. Juni 2012 gelangte X. an das Bezirksgericht Meilen und beantragte gestützt auf
Art. 85 SchKG
, die erwähnte Betreibung sei aufzuheben und das Betreibungsamt sei anzuweisen, Dritten keine Kenntnis von der Betreibung zu geben. Mit Verfügung vom 21. Juni 2012 trat das Bezirksgericht (Einzelgericht im summarischen Verfahren) auf das Begehren nicht ein.
B.
Gegen die Verfügung des Bezirksgerichts erhob X. Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Zürich entschied mit Urteil vom 4. April 2013, dass auf die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
einzutreten, sie aber abzuweisen ist.
C.
Mit Eingabe vom 8. Mai 2013 hat X. Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Der Beschwerdeführer verlangt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 4. April 2013 sei aufzuheben. Die von der Y. GmbH (Beschwerdegegnerin) gegen ihn eingeleitete Betreibung sei gestützt auf
Art. 85 SchKG
aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, Dritten keine Kenntnis von der Betreibung zu geben. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
, mit welcher der Beschwerdeführer das Nichtbestehen der Betreibungsforderung belegen und die Aufhebung der gegen ihn geführten Betreibung erreichen will. Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung sei ihm der urkundliche Nachweis des Nichtbestehens der Schuld gelungen und die Klage gutzuheissen. Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht die Verletzung von Bundesrecht vor.
3.1
Beweist der Betriebene durch Urkunden, dass die Schuld samt Zinsen und Kosten getilgt oder gestundet ist, so kann er jederzeit beim Gericht des Betreibungsortes im ersteren Fall die Aufhebung, im letzteren Fall die Einstellung der Betreibung verlangen (
Art. 85 SchKG
). Mit der Klage gemäss
Art. 85 SchKG
wird im summarischen Verfahren (
Art. 251 lit. c ZPO
; aArt. 25 Ziff. 2 lit. c SchKG) durch Urkundenbeweis über die Zulässigkeit der Betreibung entschieden, wobei der Entscheid ausschliesslich betreibungsrechtliche Wirkung hat (
BGE 125 III 149
E. 2b/aa S. 151 f.). Diese Grundsätze stehen zu Recht nicht in Frage.
BGE 140 III 41 S. 43
3.2
Die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
setzt eine hängige Betreibung voraus und ist nur bis zur Verteilung des Verwertungserlöses in der Spezialexekution bzw. bis zur Konkurseröffnung möglich (Botschaft vom 8. Mai 1991 über die Änderung des SchKG, BBl 1991 III 1 68 Ziff. 202.75 ). Das Obergericht hat sein Urteil gefällt (4. April 2013), als die einjährige Gültigkeitsfrist des Zahlungsbefehls (Zustellung am 25. Mai 2012) noch lief (vgl.
Art. 88 Abs. 2 SchKG
). Es hat die Zulässigkeit der Klage gemäss
Art. 85 SchKG
und das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers betreffend eine Betreibung im Stadium des wirksamen Rechtsvorschlages bejaht.
3.2.1
Nach einem Teil der Literatur setzt die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
einen rechtskräftigen Zahlungsbefehl voraus (u.a. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 20 zu
Art. 85 SchKG
; SCHMIDT, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 8 zu
Art. 85 SchKG
; MARCHAND, Précis de droit des poursuites, 2. Aufl. 2013, S. 75). Nach anderer Auffassung ist die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
bereits im Zustand des erhobenen Rechtsvorschlages zulässig (u.a. KREN KOSTKIEWICZ, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 2012, S. 149 Rz. 565; BOMMER/BANGERT, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 12 zu
Art. 85 SchKG
; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., 1997/1999, N. 12 zu
Art. 85 SchKG
; wohl im gleichen Sinn ["in jedem Stadium"] AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 20 Rz. 9; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs [...], Bd. I, 1984, § 22 Rz. 3, S. 274). In diese Richtung (Zulässigkeit) geht auch die kantonale Praxis (vgl. Urteil 100 10 689 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 9. November 2010 E. 2
http://www.baselland.ch/045-htm.315038.0.html
), welcher sich das Obergericht angeschlossen hat.
3.2.2
Nach dem Wortlaut von
Art. 85 SchKG
ist die Klage "jederzeit" möglich, ebenso die Klage nach
Art. 85a SchKG
. Die letztere Klage kann als "Notbehelf" allerdings erst nach rechtskräftiger Beseitigung des Rechtsvorschlages angehoben werden (
BGE 128 III 334
S. 335;
BGE 125 III 149
E. 2b S. 152). Das Bundesgericht hat zur Frage, ob diese Einschränkung auch für die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
(soweit ersichtlich) nicht eingehend Stellung genommen. Es hat aber - worauf die Vorinstanz hingewiesen hat - das Festhalten an der Praxis betreffend die Klage gemäss
Art. 85a SchKG
ohne
BGE 140 III 41 S. 44
weiteres damit gerechtfertigt, dass dem betriebenen Schuldner die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
(sowie die allgemeine Feststellungsklage) zur Verfügung stehe (Urteil 5D_112/2011 vom 11. Juni 2011).
3.2.3
Die Klage gemäss
Art. 85a SchKG
wurde bei der SchKG-Revision als Zusatz zum Summarverfahren gemäss
Art. 85 SchKG
eingeführt, welches vom Schuldner den Urkundenbeweis verlangt. Ein Schuldner, der sich mangels Urkunden in Beweisnot befindet, soll sich (nach
Art. 85a SchKG
) an den Zivilrichter wenden dürfen, um der Vollstreckung in sein Vermögen zu entgehen (vgl. Botschaft, a.a.O., 69 Ziff. 202.75). Im Unterschied zur Klage gemäss
Art. 85 SchKG
wird bei derjenigen gemäss
Art. 85a SchKG
jedoch nicht nur mit betreibungsrechtlicher Wirkung, sondern im ordentlichen (oder vereinfachten) Verfahren mit voller Kognition materiellrechtlich über den Bestand oder die Stundung der Schuld entschieden (
BGE 125 III 149
E. 2c und d S. 151 ff.;
BGE 132 III 89
E. 1.1 S. 93). Mit der Klage gemäss
Art. 85a SchKG
wird der Betreibungsgläubiger unter der Gefahr des materiellen Rechtsverlustes zum Beweis seiner Forderung gezwungen. Demgegenüber wird der Gläubiger mit der Klage gemäss
Art. 85 SchKG
viel weniger beeinträchtigt; er kann (im Fall seines Unterliegens) immer noch mit der Forderungsklage gegen den Schuldner vorgehen (u.a. KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 147 Rz. 555 ff.; GILLIÉRON, a.a.O., N. 54 zu
Art. 85 SchKG
). Zu Recht wird in der Lehre (unter Hinweis auf die kantonale Praxis) gefolgert, dass die für die Klage gemäss
Art. 85a SchKG
massgebende Prozessvoraussetzung (rechtskräftiger Zahlungsbefehl) - wegen der erheblichen Unterschiede - nicht auf die Klage gemäss
Art. 85 SchKG
übertragen werden kann (vgl. so bereits GASSER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts [...], BlSchK 2001 S. 94; EQUEY/VONZUN, Mittel und Wege zur Beseitigung der negativen Auswirkungen des Betreibungsregistereintrags grundloser Betreibungen, AJP 2011 S. 1348 ff., 1353). Schliesslich ist anerkannt, dass mit der Klage gemäss
Art. 85 SchKG
einer der "gerichtlichen Entscheide" erwirkt werden kann, damit das Betreibungsamt Dritten von einer Betreibung keine Kenntnis gibt (
Art. 8a Abs. 3 lit. a SchKG
; Botschaft, a.a.O., 32 Ziff. 201.14). Es ist mit Bundesrecht vereinbar, wenn das Obergericht die Klage des Beschwerdeführers, mit welcher gemäss
Art. 85 SchKG
die Aufhebung einer Betreibung im Zustand des erhobenen Rechtsvorschlages verlangt wird, als zulässig erachtet hat.
3.3
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass mit der Klage gemäss
Art. 85 SchKG
der Nichtbestand einer Forderung geltend gemacht
BGE 140 III 41 S. 45
werden könne, was nicht nur anhand eines rechtskräftigen Urteils, sondern auch anderer Urkunden möglich sei. Das Obergericht hat die Rechtslage nicht abschliessend geklärt.
3.3.1
Nach dem Wortlaut spricht
Art. 85 SchKG
nur von Tilgung und Stundung (Hinausschieben der Fälligkeit) der Schuld, nicht aber von deren Nichtbestand. In der Lehre wird seit langem bestätigt, dass der Betriebene über den Wortlaut hinaus die Aufhebung der Betreibung auch verlangen kann, wenn er durch Urkunden beweist, dass die in Betreibung gesetzte Forderung gar nie bestanden hat (u.a. BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechts, 1911, S. 315 Fn. 5; GILLIÉRON, a.a.O., N. 25 zu
Art. 85 SchKG
; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 22 Rz. 2, S. 274; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, a.a.O., N. 8 zu
Art. 85 SchKG
; BODMER/BANGERT, a.a.O., N. 26 zu
Art. 85 SchKG
; BRÖNNIMANN, in: SchKG, 2009, N. 4 zu
Art. 85 SchKG
; VOCK/MÜLLER, SchKG-Klagen nach der Schweizerischen ZPO, 2012, S. 151; a.M. JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 1911, N. 5 zu
Art. 85 SchKG
). Diese Auffassung ist begründet, denn der Schutz desjenigen, der erst nach Anhebung einer Schuldbetreibung seine Schulden begleicht (Tilgung), kann nicht grösser sein, als desjenigen, der überhaupt nichts schuldet (SPÜHLER, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, S. 205 Rz. 718). Das Bundesgericht hat in diesem Sinn entschieden, wenn es in
BGE 110 II 352
(E. 2a S. 357) festgehalten hat, dass mit einer allgemeinen negativen Feststellungsklage eine Voraussetzung - Nachweis des Nichtbestandes der Forderung - zur Aufhebung der Betreibung nach
Art. 85 SchKG
geschaffen werden kann (anders noch
BGE 42 II 335
E. 1 S. 336 f.; vgl. GILLIÉRON, a.a.O., N. 12 ff. zu
Art. 85 SchKG
). Der Beschwerdeführer darf demnach mit
Art. 85 SchKG
den Nachweis des Nichtbestehens der Betreibungsforderung führen.
3.3.2
Den Nachweis der Tilgung, Stundung oder des Nichtbestehens der Betreibungsforderung kann der Schuldner nur durch strikten Urkundenbeweis erbringen; die blosse Glaubhaftmachung ist nicht ausreichend (
BGE 125 III 149
E. 2b/aa S. 151 f.; Urteil 5P.8/2005 vom 3. Mai 2005 E. 3.1). Die materielle Rechtslage muss auf der Hand liegen, manifest sein (Urteil 5A_674/2013 vom 4. Februar 2013 E. 2.1); Urkundenbegriff und Beweismass von
Art. 85 SchKG
und
Art. 81 Abs. 1 SchKG
(Einwendung gegen den definitiven Rechtsöffnungstitel) entsprechen sich (u.a. GILLIÉRON, a.a.O., N. 25, 68 zu
Art. 85 SchKG
; BODMER/BANGERT, a.a.O., N. 33, 33a zu
Art. 85 SchKG
). Das
BGE 140 III 41 S. 46
Nichtbestehen der Forderung kann zweifellos durch einen gerichtlichen negativen Feststellungsentscheid belegt werden (
BGE 110 II 352
E. 2a S. 357). Ein Teil der Lehre und Praxis lässt auch andere Urkunden mit der Begründung zu, dass in der Weise, wie die Tilgung u.a. durch eine Saldoquittung nachweisbar ist, auch ein negatives Schuldanerkenntnis das Nichtbestehen einer Forderung belegen könne (EQUEY/VONZUN, a.a.O., S. 1352; SPÜHLER, a.a.O., S. 205 Rz. 720 ["insbesondere"]; Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, a.a.O., E. 5). Die Frage kann im konkreten Fall - wie das Obergericht geschlossen hat und sich aus dem Folgenden ergibt - offengelassen werden, weil der Beschwerdeführer dem in
Art. 85 SchKG
geforderten urkundlichen Nachweis jedenfalls nicht genügt.
3.4
Der Beschwerdeführer bringt vor, aus den Urkunden über Werkverträge der Beschwerdegegnerin mit den Erstellern der Baute (Ehepaar A.) könne abgeleitet werden, dass er der Beschwerdegegnerin nichts schulde. Aus den Urkunden gehe hervor, dass eine allfällige Forderung gegenüber dem Ehepaar A. als Besteller aus den Werkverträgen bzw. als Adressaten aus den Bauabrechnungen bestehe.
3.4.1
Mit Klage gemäss
Art. 85 SchKG
muss der Betriebene durch die Urkunde den unmittelbaren Beweis für die Tilgung, Stundung oder das Nichtbestehen der Betreibungsforderung erbringen; ein Indizienbeweis genügt nicht (GILLIÉRON, a.a.O., N. 25, 69 zu
Art. 85 SchKG
). Nach der Darstellung des Beschwerdeführers sollen die vorgelegten Urkunden (wie die von der Beschwerdegegnerin mit dem Ehepaar A. abgeschlossenen Verträge) den tatsächlichen Schluss erlauben, dass er der Beschwerdegegnerin nichts schulde. Dass er der Beschwerdegegnerin nichts schulde, ist damit indessen nicht verurkundet; der urkundliche Beweis der Nichtschuld liegt nicht vor. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Obergericht auf dem Urkundenbeweis für das Nichtbestehen beharrt hat; es hat anhand der vorgelegten Dokumente den Nachweis zu Recht verneint. Daran ändert nichts, dass die Vorinstanz an einzelner Stelle nicht vom Urkundenbeweis, sondern vom "dargestellten Sachverhaltskomplex" gesprochen hat. Unbehelflich sind die Ausführungen des Beschwerdeführers, soweit sie darauf hinauslaufen, dass mit den Urkunden das Nichtbestehen der Forderung glaubhaft gemacht worden sei, weil dies mit
Art. 85 SchKG
nicht vorgebracht werden kann.
3.4.2
Der Beschwerdeführer beruft sich auf weitere Urkunden. Dass er jedoch nach
Art. 85 SchKG
geeignete Urkunden - wie eine
BGE 140 III 41 S. 47
allfällige negative Schuldanerkennung der Beschwerdegegnerin - vorgelegt habe und diese vom Obergericht übergangen worden seien, wird nicht dargetan. Von unrichtiger Sachverhaltsfeststellung (
Art. 97 Abs. 1,
Art. 105 Abs. 2 BGG
) kann nicht gesprochen werden. Sein Einwand, die Beschwerdegegnerin habe eine Übernahme der Haftung aus den Bauabrechnungen "nicht behauptet", geht fehl. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist der Richter nach
Art. 85 SchKG
- wie der Rechtsöffnungsrichter - ein Vollstreckungsrichter, der anhand der Urkunde prüfen und entscheiden muss, ob die Betreibung zulässig ist (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 20 Rz. 5).
3.4.3
Es bleibt dabei, dass der Beschwerdeführer über keine Urkunde verfügt, mit der er unmittelbar das Nichtbestehen der Schuld beweisen kann. Der Beschwerdeführer kann (im Falle des rechtskräftigen Zahlungsbefehls) im Zivilprozess nach
Art. 85a SchKG
feststellen lassen, dass die Forderung nicht besteht. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a5f1ed3d-b75c-49db-b67c-97f5c76dca4b | Urteilskopf
101 Ib 160
30. Urteil vom 16. Mai 1975 i.S. X. und Y-Bank gegen Eidgenössische Steuerverwaltung | Regeste
Auskunfterteilung nach dem Doppelbesteuerungsabkommen vom 24. Mai 1951 zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika (DBA-US).
Art. XVI DBA-US verpflichtet die schweizerischen Behörden nicht, im Rahmen der Amtshilfe die den Anforderungen des amerikanischen Rechtes entsprechenden Beweise zu sichern und den Steuerbehörden der USA zu übergeben. | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 101 Ib 160 S. 161
Gestützt auf Art. XVI des am 24. Mai 1951 abgeschlossenen Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen (DBA-US) ersuchte der Internal Revenue Service in Washington (IRS) die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) am 16. Oktober 1969 um Auskunft aus Büchern und Belegen der Y-Bank über Geschäfte dieser Bank mit dem amerikanischen Staatsbürger X. oder von ihm beherrschten amerikanischen Gesellschaften. Die EStV fasste das Ergebnis ihrer Abklärungen in einem Amtsbericht zusammen und stellte diesen dem IRS am 19. April 1971 zu, nachdem das Bundesgericht eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde von X. gegen dessen Übermittlung mit Urteil vom 23. Dezember 1970 (
BGE 96 I 737
) abgewiesen hatte.
In der Folge machten die amerikanischen Steuerbehörden geltend, der Amtsbericht genüge vor amerikanischen Gerichten nicht; für den Beweis im gerichtlichen Verfahren seien beglaubigte Originalbelege nötig. In einem zweiten Amtshilfegesuch vom 10. November 1972 verlangte der IRS die Beschaffung des nach amerikanischem Verfahrensrecht erforderlichen Beweismaterials, einerseits die Übermittlung aller mit der Angelegenheit irgendwie zusammenhängenden Dokumente der Y-Bank und anderseits die Einvernahme von Zeugen, die in der Lage seien, Aussagen über die einzelnen Urkunden zu machen. Mit Verfügung vom 31. August 1973 eröffnete die EStV X. und der Y-Bank, sie werde dem Gesuch entsprechen. Sie lehnte zwar die verlangten einlässlichen Zeugeneinvernahmen ab, ordnete jedoch die Beschlagnahme der mit der Angelegenheit in Zusammenhang stehenden Dokumente bei der Y-Bank und eine kurze Befragung der mit der Herausgabe befassten Angestellten der Bank an. Einsprachen von X. und der Y-Bank wies die EStV am 12. Februar 1974 im wesentlichen ab.
X. und die Y-Bank haben Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie beantragen in der Hauptsache, es sei dem zweiten Amtshilfegesuch des IRS nicht zu entsprechen, und daher seien die Verfügung der EStV vom 31. August 1973 und der Einspracheentscheid vom 12. Februar 1974 aufzuheben.
Die EStV beantragt, die Beschwerden abzuweisen.
BGE 101 Ib 160 S. 162
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Ablehnung des Einwandes der "res iudicata").
2.
Art. XVI DBA-US sieht den Austausch von Auskünften (information) vor. Die EStV hat im vorliegenden Fall aufgrund des ersten Gesuches dem IRS die verlangten Auskünfte in Form eines Amtsberichtes zur Verfügung gestellt.
Im zweiten Amtshilfegesuch vom 10. November 1972 verlangt der IRS nun die Beschaffung von Originaldokumenten oder beglaubigten Kopien sowie die Einvernahme von Personen. Der IRS will sich nicht mit Auskünften begnügen, sondern stellt das Begehren, es seien auch die nach amerikanischem Recht erforderlichen Beweise auf dem Wege der Amtshilfe zu beschaffen.
a) Nach dem Wortlaut bezieht sich Art. XVI DBA-US nur auf die Erteilung von Auskünften: Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten sollen zu den angegebenen Zwecken (Durchführung des Abkommens, Verhütung von Betrugsdelikten und dgl.) einander die für sie nach der Steuergesetzgebung erhältlichen Auskünfte zur Verfügung stellen. Wie sich aus den Akten ergibt, hat die EStV seit dem Inkrafttreten des DBA-US die vertragliche Pflicht zum Austausch der erhältlichen Informationen stets dahin verstanden, dass den amerikanischen Behörden nach Möglichkeit Auskünfte zu geben, aber in der Regel nicht zusätzlich noch spezielle Beweise zu beschaffen seien. Diese herkömmliche, dem Vertragstext entsprechende Auslegung der staatsvertraglichen Amtshilfepflicht erscheint zutreffend.
b) Fiskaldelikte sind nach schweizerischer Auffassung von der Rechtshilfe in Strafsachen auszunehmen (
Art. 11 Abs. 1 AuslG
, Art. 2 lit. a des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959/20. März 1967). Entstehungsgeschichte und Text von Art. XVI DBA-US liefern keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Schweiz habe - unter Aufgabe des Grundsatzes der Nichtleistung von Rechtshilfe in Steuersachen - den Steuerbehörden der Vereinigten Staaten für Steuerbetrugsfälle umfassende Rechtshilfe zusichern wollen; die staatsvertragliche Verpflichtung umfasst lediglich den Austausch jener Auskünfte, die für die Steuerbehörden nach der Gesetzgebung des ersuchten Staates in solchen Fällen erhältlich sind. Eine weitergehende Pflicht
BGE 101 Ib 160 S. 163
zur prozessualen Hilfeleistung in einem vom ersuchenden Staat geführten Steuerstrafverfahren wäre - wie die in eigentlichen Rechtshilfeabkommen getroffene Regelung beweist - nicht einfach mit der Feststellung umschrieben worden, dass die zuständigen Behörden die erhältlichen Auskünfte austauschen.
Diese grundsätzliche Haltung wurde gerade gegenüber den Vereinigten Staaten in dem am 25. Mai 1973 abgeschlossenen, von der Schweiz noch nicht ratifizierten Staatsvertrag über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen erneut bekräftigt. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist dort nur vorgesehen bei Ermittlungen gegen leitende Personen des organisierten Verbrechens (Art. 7 Ziff. 2). Als typische Akte der Rechtshilfe erwähnt Art. 1 Ziff. 4 des Vertrages u.a. die Abnahme von Zeugenaussagen oder anderen Erklärungen, die Herausgabe oder Sicherstellung von Gerichtsakten, Schriftstücken oder sonstigen Beweisstücken und die Beglaubigung von Schriftstücken. Von dieser eigentlichen Rechtshilfe unterscheidet Art. 38 Ziff. 4 des Vertrages "die Erteilung von Auskünften in Fällen betreffend Steuern, die unter das Abkommen vom 24. Mai 1951 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen fallen" (vgl. hiezu Botschaft des Bundesrates vom 28. August 1974, BBl 1974 II 587).
c) Die EStV leitet aus dem Urteil vom 23. Dezember 1970 ab, dass Art. XVI DBA-US entgegen der bisherigen Praxis nach der Interpretation des Bundesgerichtes die Verpflichtung enthalte, nicht nur Auskünfte zu erteilen, sondern im Rahmen des nach schweizerischem Recht in analogen Steuerbetrugsfällen Zulässigen die den Anforderungen des amerikanischen Rechtes entsprechenden Beweise zu sichern und den Steuerbehörden der USA zu übergeben.
Bei der Beurteilung der ersten Verwaltungsgerichtsbeschwerde von X. war jedoch lediglich darüber zu entscheiden, ob der von der EStV erstellte Amtsbericht gemäss der damals angefochtenen Verfügung dem IRS gestützt auf Art. XVI DBA-US zu übergeben sei. Das Bundesgericht bejahte dies und wies die Beschwerde ab. In der Begründung wurde im wesentlichen dargelegt, dass die in Frage stehenden Auskünfte über Bankgeschäfte als erhältliche Auskünfte im Sinne von Art. XVI DBA-US zu betrachten seien, weil für analoge Steuerbetrugsdelikte nach schweizerischem Recht - jedenfalls
BGE 101 Ib 160 S. 164
in den drei Kantonen mit bedeutenden Bankzentren (Zürich, Basel, Genf) - den Steuerbehörden Auskünfte erteilt werden müssten. Mit dieser Erwägung schützte das Gericht die angefochtene Verfügung, wich aber von der Argumentation der EStV ab, welche in Steuerbetrugsfällen die Weiterleitung von erhältlichen Bankauskünften davon abhängig machen wollte, ob die Berufung auf das Bankgeheimnis rechtsmissbräuchlich erfolge oder nicht. Das Unterscheidungsmerkmal der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf das Bankgeheimnis in Steuerbetrugsfällen lässt sich nicht als massgebendes Kriterium für die Gewährung oder Verweigerung der Amtshilfe aus Art. XVI DBA-US ableiten und würde auch kaum zu einer befriedigenden, praktikabeln Lösung führen. Das Bundesgericht kam jedoch zum Ergebnis, dass eine Auskunft im Sinne von Art. XVI "erhältlich" und auszutauschen sei, wenn bei Umstellung des Sachverhaltes, d.h. bei einer analogen betrügerischen Hinterziehung von schweizerischen Einkommenssteuern, die Steuerverwaltung die entsprechende Auskunft verlangen könnte. Es besteht kein Anlass, diese im Urteil vom 23. Dezember 1970 entschiedene Grundsatzfrage hier neu zu prüfen; der zulässige Inhalt einer Auskunfterteilung durch Amtsbericht steht jetzt nicht zur Diskussion. Wesentlich ist aber, dass das Bundesgericht damals zur Frage einer über die Auskunfterteilung hinausgehenden Rechtshilfe nicht Stellung nehmen musste und nicht Stellung nehmen wollte. Wenn im Zusammenhang mit der Umschreibung der "erhältlichen Auskunft" dargelegt wurde, welche Ermittlungshandlungen bei Umstellung des Sachverhaltes nach schweizerischem Recht möglich wären, so wollte das Gericht damit auf keinen Fall zum Ausdruck bringen, gemäss Art. XVI DBA-US seien der ersuchenden Behörde in Steuerbetrugsfällen nicht nur Auskünfte zu liefern, sondern im Rahmen des Möglichen auch alle nach amerikanischem Recht notwendigen Beweise. Streitig war in jenem Fall, ob die vorgesehenen Auskünfte als "erhältlich" zu gelten hätten und übergeben werden dürften. Die in Art. XVI DBA-US statuierte Amtshilfepflicht sollte jedoch nicht beiläufig auf dem Wege der Interpretation zu einer umfassenden Rechtshilfepflicht erweitert werden. Alle Erwägungen bezogen sich auf die Zulässigkeit des Amtsberichtes; eine weitergehende Bedeutung ist ihnen nicht beizumessen. Wenn das Bundesgericht den Kreis der erhältlichen und dem IRS zu übermittelnden
BGE 101 Ib 160 S. 165
Auskünfte etwas anders abgrenzte, als dies in der vorangehenden Verwaltungspraxis üblich war, so stand dabei die vertraglich festgelegte Form der Amtshilfeleistung - nämlich durch Erteilung von Auskünften - nicht in Frage, sondern es ging nur um die Bestimmung des zulässigen Inhalts solcher Auskünfte. Aus einzelnen Wendungen des Urteils vom 23. Dezember 1970 darf daher nicht gefolgert werden, das Gericht interpretiere Art. XVI DBA-US als Verpflichtung zu einer umfassenden Rechtshilfe. Eine solche extensive Auslegung der Amtshilfeklausel im DBA stünde auch im Widerspruch zu dem oben erwähnten Staatsvertrag vom 25. Mai 1973 über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, der ja Rechtshilfe in Fiskalstrafsachen nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen zusichert.
d) Da sich die Amtshilfepflicht nach Wortlaut und Sinn von Art. XVI DBA-US auf die Auskunfterteilung beschränkt und spezielle Massnahmen der eigentlichen Rechtshilfe nicht umfasst, sind die durch die Verfügung vom 31. August 1973 angeordneten zusätzlichen Untersuchungshandlungen durch die vertraglichen Verpflichtungen nicht gedeckt. Der angefochtene Entscheid verletzt somit Bundesrecht, und die Verwaltungsgerichtsbeschwerden sind gutzuheissen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden gutgeheissen, und die Verfügung der Eidg. Steuerverwaltung vom 31. August 1973 sowie der Einspracheentscheid vom 12. Februar 1974 werden aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a5f3dcad-bc3b-4834-bbcb-591a0e671b35 | Urteilskopf
102 Ib 348
57. Auszug aus dem Urteil vom 22. Dezember 1976 i.S. Elektrizitätswerk der Stadt Zürich gegen Josef und Ferdinand Bläsi | Regeste
Enteignung.
Bestand und Betrieb einer Hochspannungsleitung auf einem benachbarten Grundstück; Entschädigungspflicht
Von Ausnahmen abgesehen müssen die Grundeigentümer unter dem Gesichtspunkt von
Art. 684 ZGB
Bestand und Betrieb einer Hochspannungsleitung auf dem benachbarten Grundstück entschädigungslos hinnehmen, da sich in der Regel daraus keine übermässigen Einwirkungen ergeben. Darüber, ob Nachbarrechte verletzt seien, entscheidet ausschliesslich der Enteignungsrichter;
Art. 69 Abs. 1 EntG
findet keine Anwendung (E. 3a; Bestätigung der Rechtsprechung).
Eine Entschädigungspflicht kann bestehen, wenn für die Erstellung des Werkes des Enteigners zugunsten Dritter als Dienstbarkeit errichtete Baubeschränkungen aufzuheben sind oder von kantonalen Vorschriften, die auf Grund von
Art. 686 ZGB
erlassen worden sind, abgewichen werden muss; Frage offengelassen, ob dies auch bei Verletzung von gestützt auf
Art. 702 ZGB
erlassenen kantonalen Bestimmungen gilt (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 102 Ib 348 S. 349
Die Brüder Josef und Ferdinand Bläsi sind Eigentümer von zwei in Vaz/Obervaz (GR) gelegenen Grundstücken, nämlich der aus Wald- und Wiesland bestehenden Parzelle Nr. 3005 und der angrenzenden Parzelle Nr. 3004, auf welcher das von Josef Bläsi geführte Hotel Dieschen steht. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) führte gegen die Gebrüder Bläsi ein Enteignungsverfahren durch, um die neue 50 kV-Leitung von Sils i.D. zum Unterwerk Sand/Lenzerheide auf einer Länge von 130 m über das Grundstück Nr. 3005 führen und den Leitungsmast Nr. 79 darauf errichten zu können. Für die Expropriation wurde den Enteigneten von der Schätzungskommission, Kreis 12, eine Gesamtentschädigung von Fr. 10'100.-- zugesprochen. Diese umfasst neben den Entschädigungen für die Erstellung des Leitungsmastes Nr. 79 sowie für die Durchleitungsrechte auch einen Betrag von Fr. 7'000.--, mit welchem die nachteiligen Auswirkungen der Leitung, insbesondere des auf der Parzelle Nr. 2789 stehenden dreiteiligen Leitungsmastes Nr. 80, auf die Hotelliegenschaft Nr. 3005 abgegolten werden sollten. Das EWZ hat mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt, dass der für die Beeinträchtigung der Hotelliegenschaft zugesprochene Betrag von Fr. 7'000.-- gestrichen werde, da kein Rechtsgrund für eine solche Entschädigungsleistung bestehe. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 102 Ib 348 S. 350
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Parzelle Nr. 3004 ist für den Bau der Hochspannungsleitung nicht in Anspruch genommen worden. Der Leitungsmast Nr. 80 steht auf der Nachbarparzelle Nr. 2789 der Burgergemeinde Vaz/Obervaz, und zwar etwa 40 m von der Nordfassade des Hotels entfernt. Die Minimaldistanz der von diesem Mast in Richtung Unterwerk wegführenden Leitung zur Grenze der Hotelliegenschaft beträgt rund 20 m.
Unbestreitbar kann die Hochspannungsleitung in nächster Umgebung des Hotels Dieschen für dieses gewisse Nachteile mit sich bringen. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass Grundstücke, auf denen oder in deren Nähe eine Hochspannungsleitung erstellt wird, einen Wertverlust erleiden können, selbst wenn ihre Überbaubarkeit durch die Leitung nicht eingeschränkt wird. Diese Entwertung kann insbesondere dann eintreten, wenn der Bodenpreis massgeblich von der landschaftlichen Schönheit mitbestimmt wird. Sie kann aber auch darauf beruhen, dass sich ein Käufer für Land, das sich in unmittelbarer Nähe einer Hochspannungsleitung befindet, aus rein psychologischen Gründen nicht interessiert (
BGE 100 Ib 194
E. 4; nicht publ. Urteil i.S. EOS vom 19. September 1973).
Hier steht jedoch nicht die mögliche Entwertung von Bauland, sondern von einer Hotelliegenschaft in Frage. Der Verkehrswert eines Hotels hängt weitgehend davon ab, in welchem Masse es mit Gästen belegt ist. Angaben über die Belegung des Hotels Dieschen sind in den Akten jedoch nicht zu finden. Die Schätzungskommission hat denn auch den Entschädigungsbetrag von Fr. 7'000.-- in analoger Anwendung von
Art. 42 Abs. 2 OR
nach freiem Ermessen festgesetzt. Auch der Experte des Bundesgerichtes neigte dahin, einen Schaden in dieser Grössenordnung zu bejahen. Ob und in welcher Höhe ein Schaden tatsächlich entstanden ist, braucht jedoch nicht abgeklärt zu werden, da, wie aus dem folgenden hervorgeht, ohnehin keine Entschädigung geleistet werden muss.
a) Der für die Hotelliegenschaft allfällig entstandene Schaden wäre dann zu ersetzen, wenn, wie die Enteigneten geltend machen, von der Leitung derart starke Einwirkungen ausgehen,
BGE 102 Ib 348 S. 351
dass sie als übermässig im Sinne von
Art. 684 ZGB
zu betrachten sind. Gegen solche Immissionen können sich die Betroffenen, wenn dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht verliehen wurde, nicht mit den in
Art. 679 und 684 ZGB
umschriebenen nachbarrechtlichen Klagen zur Wehr setzen, sondern nur gestützt auf
Art. 5 EntG
einen Entschädigungsanspruch erheben (
BGE 100 Ib 195
E. 7a, 96 II 348 E. 6,
BGE 94 I 297
E. 6 mit Verweisen). Über den Entschädigungsanspruch entscheidet nach der neueren Rechtsprechung ausschliesslich der Enteignungsrichter, und zwar nicht nur über die Höhe der Entschädigung, sondern auch darüber, ob überhaupt eine Verletzung von Nachbarrechten vorliege; diese Frage braucht, da
Art. 69 Abs. 1 EntG
nicht zur Anwendung kommt, nicht dem Zivilrichter vorgelegt zu werden (
BGE 101 Ib 289
E. 8c,
BGE 100 Ib 195
E. 7a, 94 I 298 E. 7).
Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, erzeugt das blosse Vorhandensein einer Baute oder baulichen Anlage keine übermässigen Einwirkungen im Sinne von
Art. 684 ZGB
; solche können sich nur aus der Art der Benutzung oder des Betriebes einer Anlage ergeben (
BGE 97 I 357
E. 1c,
BGE 91 II 341
E. 3, 88 II 264, 334 f.). Demnach kann auch die blosse Existenz von Masten und Drähten einer Hochspannungsleitung, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechend erstellt worden ist, an sich keine das Nachbarrecht verletzenden Immissionen verursachen. Für allfällige Nachteile, die sich für die Hotelliegenschaft Bläsi aus dem Vorhandensein der Hochspannungsleitung ergeben - wie etwa die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes - besteht daher kein Entschädigungsanspruch, der sich aus
Art. 684 ZGB
und
Art. 5 EntG
ableiten liesse (vgl.
BGE 100 Ib 195
E. 7b).
Was die Immissionen aus dem Betrieb der Leitung anbelangt, die an sich unter
Art. 684 ZGB
fallen können, so sind sie von untergeordneter Bedeutung. Ernste Gefahren sind objektiverweise vom Betrieb einer Hochspannungsleitung nicht zu befürchten. Subjektive Momente, das heisst psychische Beeinträchtigungen durch die Leitung, sind bei der Beurteilung der Frage, ob deren Einwirkungen übermässig seien, zwar nicht völlig ausser acht zu lassen, aber doch nur unter grosser Zurückhaltung zu berücksichtigen (
BGE 100 Ib 195
f.). Der Betrieb einer Hochspannungsleitung, der übrigens der Gesamtbevölkerung dient, hat denn auch heute nichts
BGE 102 Ib 348 S. 352
Ungewöhnliches mehr an sich. In der Regel ist daher anzunehmen, dass die sich aus dem Betrieb einer Hochspannungsleitung ergebenden Nachteile nicht als übermässige Einwirkungen im Sinne von
Art. 684 ZGB
zu betrachten sind und von den betroffenen Grundeigentümern, hier von den Gebrüdern Bläsi, entschädigungslos hinzunehmen sind.
b) Zusätzlich ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ein öffentliches Werk wie die fragliche Leitung zwar keine übermässigen Einwirkungen im Sinne von
Art. 684 ZGB
verursacht, jedoch gegen privatrechtliche (
Art. 686 ZGB
) oder öffentlichrechtliche (
Art. 702 ZGB
) Vorschriften des kantonalen oder kommunalen Rechts verstösst oder eine zugunsten Dritter als Dienstbarkeit errichtete Baubeschränkung verletzt. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob auch hier das Enteignungsverfahren und die entsprechenden Entschädigungsfolgen Platz greifen können. Dass für die Aufhebung von beschränkt dinglichen Rechten, die einem öffentlichen Werk weichen müssen, ein Enteignungsverfahren durchgeführt werden kann, ergibt sich schon aus dem ersten Satzteil von
Art. 5 Abs. 1 EntG
. Auf dem Enteignungsweg kann auch dann vorgegangen werden, wenn durch öffentliche Bauten Abwehrrechte des Nachbarn eingeschränkt werden müssen, welche ihm auf Grund der nach
Art. 686 ZGB
den Kantonen vorbehaltenen zivilrechtlichen Bauvorschriften zustehen (vgl.
BGE 88 II 264
), denn
Art. 5 EntG
nennt als Gegenstand des Enteignungsrechtes allgemein "die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte" und verweist damit nicht nur auf
Art. 684 ZGB
, sondern gesamthaft auf die
Art. 684-698 ZGB
(HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 3 zu
Art. 5 EntG
). Fraglicher ist, ob
Art. 5 EntG
selbst dann Anwendung finden kann, wenn für die Errichtung eines Werkes von Bestimmungen, die auf Grund von
Art. 702 ZGB
von den Kantonen und Gemeinden erlassen worden sind, abgewichen werden muss. Soweit diese Bestimmungen nämlich nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch den Privatinteressen der Nachbarn dienen, liesse sich erwägen, ob sie den gemäss
Art. 686 ZGB
erlassenen Bauvorschriften gleichzustellen wären.
Indessen brauchen diese Fragen hier nicht näher geprüft zu werden, da von den Enteigneten nicht einmal behauptet wird, dass durch den Bau der Leitung neben
Art. 684 ZGB
noch
BGE 102 Ib 348 S. 353
andere Vorschriften verletzt worden seien. Eine gesetzliche Grundlage für die den Gebrüdern Bläsi zugesprochene Enteignungsentschädigung von Fr. 7'000.-- besteht somit nicht, weshalb die Beschwerde des EWZ gutzuheissen ist. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a5f7836b-f8dc-46cc-9f8d-d879b9061f7c | Urteilskopf
89 II 405
53. Arrêt de la Ire Cour civile du 10 septembre 1963 dans la cause Eigenheer, Fardel et Zurbriggen contre Juilland. | Regeste
Art. 371 Abs. 2 OR
gilt für jede Mitwirkung des Architekten ohne Rücksicht auf die Art der geleisteten Dienste oder des abgeschlossenen Vertrages (Erw. 1).
Die Verjährungsfrist von 5 Jahren beginnt mit der Abnahme des Werkes zu laufen; Begriff der Abnahme (Erw. 2 a).
Art. 371 Abs. 1 OR
. Analoge Anwendbarkeit von
Art. 210 Abs. 3 OR
(Erw. 2 b). | Sachverhalt
ab Seite 405
BGE 89 II 405 S. 405
A.-
Vers la fin de l'année 1946 fut achevée la construction immobilière que Luc Juilland a fait ériger à Noës par l'architecte Willy Eigenheer - qui établit les plans et surveilla les travaux - et par la société à responsabilité limitée Valcosa; l'actif et le passif de cette entreprise furent repris par une société en nom collectif formée par les entrepreneurs Julien Fardel et Emile Zurbriggen.
Dans la suite, le maître de l'ouvrage reprocha à l'architecte d'avoir mal examiné la nature du terrain ainsi que les infiltrations d'eau et les mesures à prendre pour y parer'et d'avoir négligé la surveillance des travaux. Des défauts
BGE 89 II 405 S. 406
étaient en effet apparus, dont plusieurs étaient également imputables aux entrepreneurs. Quelques mois après la réception, des fissures de retrait normales s'étaient déjà produites. Mais un équilibre stable subsista cependant, qui fut rompu peu à peu dès 1951, le sol s'affaissant sous les fondations. L'eau qui en fut la cause a pu provenir de canalisations et de tuyaux défectueux. Le dommage a augmenté progressivement et, en septembre 1952, Juilland disposa d'éléments suffisants pour intervenir auprès de l'architecte et des entrepreneurs.
B.-
Ces derniers furent cités le 9 octobre 1956 en vue de la tentative légale de conciliation. Celle-ci ayant échoué, Juilland a déposé une demande en justice le 10 décembre 1957. Les défendeurs ont soulevé l'exception de prescription et conclu à libération.
Le 26 avril 1963, la Cour civile du Tribunal cantonal valaisan a rejeté l'exception de prescription et alloué 6000 fr. au demandeur; à son avis, l'architecte supporte les 2/3 de la responsabilité et les entrepreneurs le reste.
C.-
Eigenheer, d'une part, Fardel et Zurbriggen, d'autre part, demandent au Tribunal fédéral de réformer ce jugement, l'action étant prescrite. L'intimé conclut au rejet des recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Sur le recours de l'architecte Eigenheer Est seule litigieuse la durée du délai de prescription: dix ans ou cinq ans?
Lorsque l'architecte n'est pas subordonné au maître par un contrat de travail, et qu'il assume tout à la fois l'établissement des plans et la mise en mouvement, la surveillance et la revision des travaux, son activité est soumise dans son ensemble, en principe, aux règles du mandat (RO 63 II 176;
64 II 9
). Toutefois, l'action fondée sur les défauts d'une construction immobilière se prescrit contre l'architecte qui a collaboré à l'exécution de l'ouvrage non pas par dix ans (art. 127 CO), mais par cinq ans à compter
BGE 89 II 405 S. 407
de la réception (art. 371 al. 2 CO; OSER/SCHÖNENBERGER, ad art. 371 CO, no 7; BECKER, ad art. 371 CO, no 4). C'est là une exception claire aux règles du mandat, destinée à parer aux inconvénients que la jurisprudence relative à l'ancien droit avait révélés (RO 21 p. 1061). Le texte même de la disposition vise la contribution de l'architecte sans distinguer selon les services rendus ou le contrat conclu (ZR 1937 p. 363, no 186 consid. 6; l'arrêt cité par la Cour cantonale, RSJ 1955 p. 212, traite d'une autre question; v. JdT 1960 I 158). Le délai n'est de dix ans que lorsque l'entrepreneur, l'ingénieur ou l'architecte a intentionnellement dissimulé les défauts (art. 210 al. 3 et 371 al. 1 CO; RO 58 II 140 sv.; arrêt Benguerel du 22 juin 1918, consid. 3, p. 14).
Partant de la situation à laquelle le législateur a voulu porter remède en revisant l'ancien art. 362 CO, Porret estime que l'on a modifié le délai de prescription de la responsabilité de l'ingénieur et de l'architecte, en assimilant leur cas à celui de l'entrepreneur, pour ce qui a trait seulement aux défauts des travaux des maîtres d'état, insuffisamment contrôlés et surveillés; la prescription décennale s'appliquerait en revanche à la responsabilité qui dérive de la conception des plans et de la vérification des comptes des entrepreneurs; la prescription de cinq ans viserait une responsabilité pour autrui (RSJ 9 p. 387 et 388). Selon l'arrêt Benguerel déjà cité (p. 11 et 12), cette distinction est malaisée en pratique et ne trouve pas sa justification dans le texte légal; la réduction du délai a été voulue de façon uniforme (cf. OSER-SCHÖNENBERGER, ad art. 371 CO, no 7). Cette opinion est exacte. Il ne paraît pas, tout d'abord, que l'architecte réponde du fait d'autrui, comme l'employeur (art. 55 et 101 CO); il assume sa propre faute. Il serait insolite, en outre, que la prescription décennale visât l'activité qui par elle-même constitue plutôt l'objet d'un contrat d'entreprise tandis que le délai de cinq ans concernerait le mandat proprement dit. Le texte légal, enfin, ne fait aucune distinction entre les services que l'architecte
BGE 89 II 405 S. 408
peut être appelé à rendre au maître de l'ouvrage. En l'espèce, le recourant aurait mal examiné la nature du terrain, ainsi que les infiltrations d'eau et les mesures à prendre pour y parer, et négligé la surveillance des travaux, en n'obtenant pas des maîtres d'état qu'ils tiennent compte de la situation géologique ou la corrigent. On voit d'emblée qu'il serait extrêmement aléatoire, en pratique, de diviser le dommage suivant que l'obligation inexécutée ressortissait en soi au contrat d'entreprise ou au mandat.
Pour ces deux dernières raisons, tirées du texte légal et d'une difficulté pratique, on doit également écarter la distinction inverse que préconise la Cour cantonale.
Vu ce qui précède, l'action intentée contre l'architecte recourant est prescrite, plus de cinq ans s'étant écoulés entre la réception de l'ouvrage, à la fin de l'année 1946, et la citation en conciliation du 9 octobre 1956.
2.
Sur le recours des entrepreneurs Fardel et Zurbriggen.
a) Le litige porte d'abord sur le point de départ du délai de prescription. Citant l'art. 371 al. 2 CO, la Cour cantonale compte cinq ans "dès la réception" de l'ouvrage, qu'elle vient de situer vers la fin de l'année 1946; mais au moment de décider, elle part de septembre 1952; l'intimé n'aurait disposé qu'à ce moment-là d'éléments suffisants pour aviser les entrepreneurs, ce qu'il a fait à temps.
Cette argumentation viole le texte clair de la loi. Celle-ci prévoit un seul point de départ, qui ne dépend pas d'un avis donné par le créancier (cf. art. 130 al. 2 CO). De ce point de vue, on ne saurait confondre la prescription de l'action et l'absence de créance faute d'avis régulier (art. 367 al. 1 CO). Le maître de l'ouvrage est désarmé s'il n'a pas averti l'entrepreneur à temps ou s'il laisse prescrire la créance. Dans ce dernier cas, peu importe que les défauts aient été découverts tardivement (autre cas semblable: RO 87 II 160 s.); on ne peut déduire le contraire de la comparaison des art. 371 al. 2, 219 al. 3 et 210 al. 1 (applicable par analogie - RO 58 II 140 - en vertu du renvoi de l'art. 371 al. 1), parce que la dernière disposition contiendrait seule cette précision.
BGE 89 II 405 S. 409
L'intimé, certes, pense pouvoir justifier d'une autre façon la décision attaquée. A son avis, l'ouvrage ne peut être accepté ou reçu lorsqu'il est défectueux. Ce disant, il confond la réception (Abnahme; art. 371 al. 2) et l'acceptation (Genehmigung; art. 370). L'ouvrage est reçu ou livré (art. 367, 371 et 372) lorsque l'entrepreneur communique son achèvement au maître qui, de son côté, le considère comme terminé. L'acceptation a trait à l'excellence de l'ouvrage livré et à sa vérification. Dans la présente cause, il s'agit uniquement de la réception, que la Cour cantonale a fixé vers la fin de l'année 1946.
b) Vu ce qui précède, le point de départ du délai de prescription est situé. Reste à déterminer la durée du délai. Elle est exceptionnellement de dix ans si l'entrepreneur a intentionnellement dissimulé les défauts tardivement apparus et constatés en septembre 1952 (art. 210 al. 3 CO, appliqué par analogie en vertu du renvoi général de l'art. 371 al. 1 CO; RO 58 II 140 sv.; arrêt Benguerel précité, p. 14). Une exécution imparfaite n'implique pas nécessairement une telle dissimulation; encore faut-il que l'entrepreneur connaisse les défauts et qu'il les taise volontairement.
Les constatations du jugement attaqué ne permettent pas de retenir le dol que l'intimé allègue dans sa réponse au recours. Mais il n'est pas nécessaire de les compléter sur ce point (art. 64 al. 1 OJ). Il incombait au maître, demandeur, d'indiquer les circonstances dont il déduit l'intention. Or le seul reproche qu'il formule ne prouve pas une dissimulation: que l'entrepreneur ait dirigé la pose défectueuse d'une canalisation ne signifie pas encore qu'il a connu le défaut et qu'il en a celé l'existence.
c) Il suit de là que la prescription était acquise à l'expiration d'un délai de cinq ans. L'intimé tente timidement de prétendre que les recourants auraient reconnu la dette en 1952 (art. 135 al. 1 CO). Sur ce point, le recours est insuffisamment motivé (art. 55 al. 1 litt. c OJ) et le jugement attaqué ne contient aucune constatation. Le premier acte qui eût pu interrompre la prescription fut donc la citation
BGE 89 II 405 S. 410
en conciliation du 9 octobre 1956, notifiée plus de cinq ans après la réception de l'ouvrage. L'action intentée aux entrepreneurs était alors prescrite, comme la demande dirigée contre l'architecte.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Admet les deux recours, en ce sens que l'action du demandeur est rejetée tant contre Willy Eigenheer que contre Julien Fardel et Emile Zurbriggen. | public_law | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a5f9fe8f-dec9-4052-96c8-9cf26692542f | Urteilskopf
110 Ia 36
5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. Januar 1984 i.S. Rüst gegen Studentenschaft der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 56 BV
, öffentlichrechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft.
Die Studentenschaft der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist als öffentlichrechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet (E. 3a). Weder die Mitgliedschaft noch der Beobachterstatus bei einer politischen Organisation von der Art des Verbandes Schweizerischer Liberaler Studentenorganisationen lassen sich bei einer Würdigung der gegebenen Umstände mit dieser Verpflichtung vereinbaren. Aus dem negativen Effekt der verfassungsmässigen Garantie der Vereinsfreiheit lässt sich der Anspruch darauf ableiten, dass die Organisation, der die Studierenden von Gesetzes wegen und ohne Austrittsmöglichkeit angehören, nicht als eine politische betrachtet wird (E. 3b, 4). | Sachverhalt
ab Seite 37
BGE 110 Ia 36 S. 37
Am 23. Februar 1981 beschloss der Allgemeine Delegierten-Convent der Studentenschaft der Hochschule St. Gallen (ADC), sich beim Verband Schweizerischer Liberaler Studentenorganisationen (SLS) um den Beobachterstatus zu bewerben. Niklaus Rüst, ein an der HSG immatrikulierter Doktorand und Mitglied des ADC, rekurrierte gegen diesen Beschluss. Zur Begründung brachte er vor, die Studentenschaft der HSG sei als Gesamtheit aller Studierenden der Hochschule zu politischer Neutralität verpflichtet und diese werde durch die Zugehörigkeit beim SLS, wenn auch nur als Beobachter, verletzt. Der Rekurs Rüsts wurde von sämtlichen angerufenen Instanzen abgewiesen, zuletzt vom Regierungsrat des Kantons St. Gallen am 10. Mai 1983.
Niklaus Rüst führt gegen den Beschluss des Regierungsrates staatsrechtliche Beschwerde, die das Bundesgericht gutheisst, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
In der Sache selbst beruft sich der Beschwerdeführer auf eine Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit, der Vereinsfreiheit sowie des Rechtsgleichheitsgebotes. Die Rüge des Verstosses gegen das Gleichheitsgebot ist nicht in einer Weise erhoben worden, die den Anforderungen an die Begründung einer Beschwerdeschrift gemäss
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
zu genügen vermag. Sollte der Beschwerdeführer damit an
Art. 4 BV
im Sinne des Willkürverbots gedacht haben, so käme dieser Rüge im übrigen keine selbständige Bedeutung zu; sie ginge vielmehr in derjenigen der Verletzung der beiden genannten besonderen verfassungsmässigen Rechte auf (
BGE 107 Ia 65
).
a) Über die Frage, ob die Studentenschaft der HSG zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet sei, besteht zwischen dem Regierungsrat und dem Beschwerdeführer keine Meinungsverschiedenheit. Nach Art. 98 des Statuts der HSG (Hochschulstatut) ist die Studentenschaft eine öffentlichrechtliche Teilkörperschaft der Hochschule ohne eigene Rechtspersönlichkeit; nach Art. 99 gehören ihr die immatrikulierten Studenten an. Es handelt sich somit um eine Körperschaft, der beizutreten oder nicht beizutreten dem
BGE 110 Ia 36 S. 38
einzelnen Studenten nicht freisteht; er wird vielmehr mit der Immatrikulation automatisch auch Mitglied der Studentenschaft. In Lehre und Rechtsprechung haben sich für Gebilde dieser Art die Ausdrücke "Zwangskörperschaft" oder "Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft" durchgesetzt (vgl. HANS HUBER, Die Zwangsmitgliedschaft der immatrikulierten Studierenden der Universität Bern in der Gesamtstudentenschaft und das "politische Mandat", in: ZBJV 109/1973, S. 297 ff.; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 22. September 1976 i.S. Studentische Vereinigung PRO UNI). In Anlehnung an die erwähnte Arbeit von HUBER hat der Regierungsrat ausgeführt, eine öffentlichrechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft dürfe sich nicht mit einer bestimmten parteipolitischen Linie oder mit einer bestimmten religiösen bzw. philosophischen Weltanschauung identifizieren. Wer durch den Staat gezwungen werde, einer Körperschaft anzugehören, die in Überschreitung ihres Zwecks und ohne seine Zustimmung oder gegen seinen Willen zu politischem Handeln und zu politischen Stellungnahmen aufgrund eines behaupteten "politischen Mandates" übergehe, sei in seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit verletzt. Wenn die Gesamtstudentenschaft aus ihrem Funktionsbereich, der sich in der Wahrung studentischer Interessen sowie in Kontakten mit den Universitätsorganen und den übrigen Staatsbehörden erschöpfe, heraustrete, könnten sich die Studierenden zudem auf die in der Bundesverfassung verankerte Vereinsfreiheit berufen. Die Auffassung des Beschwerdeführers deckt sich in diesem Punkt im Ergebnis mit derjenigen des Regierungsrates. Es kann daher offenbleiben, ob sich die Pflicht zur parteipolitischen Neutralität für die Studentenschaft nicht auch aus Art. 2 ihrer Statuten ergäbe, welche Bestimmung zwar den Ausdruck "Neutralität" nicht enthält, jedoch die Aufgaben der Studentenschaft deutlich auf die Wahrung studentischer Interessen beschränkt.
b) Auch die Frage, ob der SLS eine politische Organisation sei und ob deshalb eine Mitgliedschaft der Gesamtstudentenschaft einer Hochschule bei dieser Organisation ausgeschlossen sei, bedarf keiner einlässlichen Erörterung. Gemäss Art. 2 lit. a seiner Statuten ist zwar der SLS ein parteipolitisch und konfessionell unabhängiger Dachverband studentischer Organisationen der Schweiz, die dem demokratischen und liberalen Gedankengut verpflichtet sind; gemäss Art. 2 lit. e lehnt er jeden politischen Extremismus ab und befürwortet eine pluralistische Vertretung der
BGE 110 Ia 36 S. 39
Studenten. Indessen hat es der Regierungsrat zu Recht abgelehnt, einzig auf die Statuten abzustellen. Er hat zusätzlich eine als "Selbstdarstellung" bezeichnete offizielle Broschüre beigezogen, die deutlich zeigt, dass der SLS ein Gegengewicht zu sogenannten linken Studentenorganisationen darstellen will. Im Ingress bezeichnet sich dieser als bürgerlich-gemässigter Dachverband lokaler Studentenorganisationen, und im weiteren Text bekennt er sich zur sozialen Marktwirtschaft und zu einem liberalen Gesellschaftssystem, wobei er diese Darlegungen selbst als politische Standortbestimmung verstanden wissen will. Der Regierungsrat hat zutreffend festgestellt, gestützt hierauf könne der SLS nicht als parteipolitisch völlig neutrale Vereinigung bezeichnet werden, die ausschliesslich studentische Interessen verfolge. Somit steht fest, dass die Studentenschaft der HSG als Ganzes wegen ihrer Eigenschaft als Zwangskörperschaft des öffentlichen Rechtes einer politischen Organisation von der Art des SLS nicht als Mitglied beitreten dürfte.
4.
Zu erörtern bleibt die allein noch streitige Frage, ob eine Verbindung der Studentenschaft der HSG mit dem SLS als gleichwohl mit der Neutralität vereinbar betrachtet werden kann, weil sie sich auf den Beobachterstatus beschränkt. Da diese Frage weder von der Auslegung kantonalen Rechts abhängt, noch eine Würdigung besonderer örtlicher Verhältnisse zur Diskussion steht, kommt dem Bundesgericht bei der Prüfung, ob der angefochtene Entscheid mit den verfassungsmässig garantierten Rechten der Meinungsäusserungs- und der Vereinsfreiheit vereinbar sei, freie Kognitionsbefugnis zu (
BGE 107 Ia 294
,
BGE 105 Ia 94
).
a) Der Regierungsrat hat die Frage, ob der Beobachterstatus der Studentenschaft der HSG mit der Pflicht zu politischer Neutralität vereinbar sei, bejaht. Er hat dazu ausgeführt, nach den Statuten des SLS hätten die Beobachter ausser der beratenden Stimme an der Delegiertenversammlung und der Mitarbeit in den Kommissionen keine Rechte und Pflichten. Es bestünden somit zwar gewisse Einflussmöglichkeiten der Beobachter, doch seien diese nicht von so grosser Intensität, dass angenommen werden müsse, die Studentenschaft identifiziere sich mit den Zielen des SLS und verliere ihre Unabhängigkeit. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Beobachterstellung beim SLS der besseren Information der gesamten Studentenschaft der HSG diene. Dem hält der Beschwerdeführer im wesentlichen entgegen, die Beobachter seien mindestens gehalten, sich zum Vereinszweck zu bekennen und diesen
BGE 110 Ia 36 S. 40
passiv zu fördern. Die zur Sitzung des ADC eingeladenen Vorstandsmitglieder des SLS hätten denn auch erklärt, Beobachter seien Mitglieder mit allen Rechten und Pflichten, ausgenommen das Stimmrecht. Die Teilnahme an der Delegiertenversammlung und vor allem auch die Mitwirkung in Kommissionen bedeute materiell eine Verpflichtung auf den Vereinszweck; sie dürfe jedenfalls nicht zur Obstruktion benützt werden. Aus diesen Gründen lasse sich auch der Beobachterstatus der Studentenschaft mit der politischen Neutralität nicht vereinbaren.
b) Die Statuten des SLS widmen den Beobachtern einen einzigen Artikel, der wie folgt lautet:
"Art. 5.
Einzelpersonen und Organisationen kann auf Antrag der Beobachterstatus eingeräumt werden. Ausser der beratenden Stimme an der Delegiertenversammlung und der Mitarbeit in den Kommissionen haben sie keine weiteren Rechte und Pflichten."
Diese Bestimmung ist, für sich allein gelesen, nicht sehr aufschlussreich. Zu ihrer Auslegung sind daher auch die Erklärungen heranzuziehen, die von zwei Vertretern des SLS anlässlich der Sitzung des ADC vom 23. Februar 1981 im Hinblick auf den Anschluss der Studentenschaft der HSG abgegeben worden sind. Sie lauteten dahin, dass der Beobachterstatus gleiche Rechte und Pflichten wie die Vollmitgliedschaft beinhalte, mit Ausnahme des Stimmrechtes. An den Ratssitzungen nähmen zwei Delegierte je Vollmitglied und ein Delegierter je Mitglied mit Beobachterstatus teil. Zu den finanziellen Pflichten gehöre ein Jahresbeitrag von Fr. 500.-, der aber vom SLS seit vier Jahren nicht mehr eingezogen worden sei; auf Antrag könne die Zahlungspflicht auch sistiert werden. In seiner schriftlichen Stellungnahme im Verfahren vor dem Regierungsrat schwächte der Vorstand des SLS diese Ausführungen etwas ab und betonte in stärkerem Masse die zwischen Mitgliedschaft und Beobachterstatus bestehenden Unterschiede. Er stellte fest, die Beobachter hätten weder Stimmrecht an der Delegiertenversammlung, noch bezahlten sie Mitgliederbeiträge, so dass ihnen die wesentlichsten Merkmale der Vereinsmitgliedschaft fehlten.
Würdigt man die dargelegten Umstände, so drängt sich der Schluss auf, der Regierungsrat habe die Elemente, die den Status des Beobachters von jenem eines Mitgliedes unterscheiden, etwas überbewertet. Unbestritten ist, dass den Beobachtern an der Delegiertenversammlung wohl beratende Stimme, jedoch kein Stimmrecht
BGE 110 Ia 36 S. 41
zusteht. Wenn es aufgrund von Art. 24 der Statuten des SLS auch richtig zu sein scheint, dass die Beobachter keine Mitgliederbeiträge schulden, so kann dies doch kaum als Unterscheidungskriterium herangezogen werden, solange die Vollmitglieder ebenfalls keine Beiträge zu entrichten haben und der Verein seine Aufwendungen offenbar aus Spenden zu decken in der Lage ist (vgl. Art. 23 der Statuten). Zu Unrecht ausser Betracht gelassen hat der Regierungsrat die Berichte verfassenden Kommissionen, in denen den Angehörigen von Organisationen mit Beobachterstatus volle Mitgliedschaft zusteht (Art. 21 der Statuten). Da der Detailarbeit der Kommissionen im SLS wie in den meisten nach dem Muster der parlamentarischen Demokratie organisierten Verbänden eine wesentliche Bedeutung zukommt, darf dieser Punkt nicht unberücksichtigt bleiben. Auch wird man dem Beschwerdeführer beipflichten müssen, wenn er ausführt, ohne eine gewisse Solidarität mit den Zielen des SLS, zu denen auch die politischen gehören, sei eine Mitarbeit in den Kommissionen kaum denkbar. Demgegenüber tritt das vom Regierungsrat betonte Element der Informationsbeschaffung in den Hintergrund. Zwar ist es richtig, dass die Delegierten der Beobachter-Organisation die Organe der Gesamtstudentenschaft über die Tätigkeit des SLS informieren können; doch hätte für diese reine Information auch die Abonnierung der periodischen Veröffentlichungen des SLS ausgereicht. Vor allem aber müsste dann, wenn es einer zu politischer Neutralität verpflichteten Organisation allein um die Befriedigung des legitimen Informationsbedürfnisses ihrer Mitglieder ginge, eine gewisse Parität gewahrt werden. Die Organe der Studentenschaft der HSG hätten sich bei dieser Sachlage gleichzeitig und mit vergleichbarer Intensität um die Beschaffung von Informationen über Studentenvereinigungen anderer politischer Färbung bemühen müssen. Dafür, dass dies geschehen ist oder auch nur beabsichtigt wäre, fehlt in den Akten jeder Anhaltspunkt. Dem Schluss des Regierungsrates, wonach der Erwerb des Beobachterstatus beim SLS im wesentlichen der besseren Information der Studentenschaft diene und daher mit deren Zweckbestimmung und mit der Verpflichtung zur Neutralität vereinbar sei, kann demnach nicht beigepflichtet werden.
c) Hinzu kommt weiteres. Die Frage, welche Bedeutung dem Beobachterstatus der Studentenschaft der HSG beim SLS im Hinblick auf ihre Pflicht zur politischen Neutralität zukomme, ist nicht nur nach der Natur der internen Beziehungen zwischen den beiden
BGE 110 Ia 36 S. 42
Organisationen zu beurteilen. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch die Wirkung, welche diese Beziehungen bei Aussenstehenden erzeugen können. Hier wird die Tatsache einer bestehenden Verbindung als solche einen nachhaltigeren Eindruck hervorrufen als der Unterschied zwischen dem Status eines Beobachters und jenem eines Vollmitglieds. Wer der Hochschule nicht angehört, aber weiss, dass deren Studentenschaft beim SLS in irgendeiner Form mitwirkt, wird geneigt sein, daraus den Schluss zu ziehen, die St. Galler Studenten verfolgten auch selbst einen politischen Kurs "rechts der Mitte". Studierende wie der Beschwerdeführer, die diese politische Auffassung nicht teilen, haben aber Anspruch darauf, dass die Organisation, der sie von Gesetzes wegen und ohne Austrittsmöglichkeit angehören, nicht als eine politische betrachtet wird. Dies lässt sich zwingend aus der verfassungsmässigen Garantie der Vereinsfreiheit ableiten, der nebst dem geläufigen positiven auch ein gewichtiger negativer Effekt zukommt. Die Vereinsfreiheit umfasst nicht nur das Recht, nach freiem Willen einen Verein gründen oder einem solchen angehören zu dürfen, sondern verbürgt auch den Anspruch, nicht gegen den eigenen Willen einem solchen angehören zu müssen (J.-F. AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Band II, S. 746, und Supplément, 1967-1982, S. 267; YVO HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Band II, S. 122; HANS HUBER, a.a.O., S. 318). Dies muss sinngemäss auch für die im ZGB nicht geregelte Form des Erwerbs des Beobachterstatus gelten, jedenfalls dann, wenn die Rechte der Beobachter über das blosse Zuhören hinausgehen, wie dies hier zutrifft. Eine weniger strenge Auslegung könnte dazu führen, dass ein Mitglied der betreffenden Studentenschaft als Sympathisant einer seinen persönlichen Anschauungen entgegenlaufenden politischen Richtung betrachtet würde. Der Beobachterstatus der Gesamtstudentenschaft der HSG beim SLS lässt sich daher mit der durch
Art. 56 BV
gewährleisteten Vereinsfreiheit nicht vereinbaren, was zur Aufhebung des regierungsrätlichen Beschlusses führen muss. Wie es sich mit der Meinungsäusserungsfreiheit verhält, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a5fb2666-5ec7-4fa8-aed8-1834eb65a68f | Urteilskopf
135 III 225
32. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_419/2008 vom 28. Januar 2009 | Regeste
Krankentaggeldversicherung nach VVG; allgemeine Geschäftsbedingungen; Ungewöhnlichkeitsregel.
Eine Bestimmung, wonach der Versicherer den maximalen zeitlichen Umfang seiner Leistungspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalles durch einseitige Willenserklärung beeinflussen kann, ist ungewöhnlich (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 135 III 225 S. 225
A.
A. (Beschwerdeführerin) schloss mit der Z. (nachfolgend: die Versicherung) für die Dauer vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2003 eine "Krankentaggeldversicherung für Betriebsinhaber und Kaderpersonen gemäss Kollektivvertrag mit dem Schweizerischen Kaderverband" nach VVG (SR 221.229.1) ab. Durch einen
BGE 135 III 225 S. 226
Unfall vom 23. Dezember 2002 wurde die Beschwerdeführerin dauernd zu 100 % arbeitsunfähig. Die Versicherung leistete Taggelder, kündigte jedoch den Vertrag per 31. Dezember 2003 und erbrachte nach diesem Zeitpunkt bis zum 28. Juni 2004 noch 180 Taggelder. Die X. AG (Beschwerdegegnerin) übernahm das Portefeuille der Versicherung. Sie lehnte in der Folge aber das Gesuch um Ausrichtung weiterer Taggelder ab. Daraufhin erhob die Beschwerdeführerin Klage und verlangte von der Beschwerdegegnerin Fr. 33'200.- nebst Zins. Mit Urteil vom 27. Juni 2008 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Klage ab.
B.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts aufzuheben, und hält an dem im kantonalen Verfahren gestellten Begehren fest. Die Beschwerdegegnerin verweist auf das angefochtene Urteil und schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Sozialversicherungsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss Versicherungspolice vom 3. April 2003 vereinbarten die Parteien bei einem versicherten Jahreslohn von Fr. 73'000.- die Ausrichtung eines Taggeldes im Rahmen von maximal Fr. 200.- pro Kalendertag für 720 Tage abzüglich einer Wartefrist von 30 Tagen pro Fall. Als Versicherungsbeginn wurde der 1. Januar 2000, als Ablauf der 31. Dezember 2003 festgesetzt. Als Vertragsgrundlage wurden die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), Ausgabe 2002, genannt. Unter dem Titel "Ende des Versicherungsschutzes" bestimmt Art. 22 Abs. 1 lit. c AVB, für die einzelne versicherte Person erlösche der Versicherungsschutz bei Erlöschen des Vertrages. Gemäss Art. 22 Abs. 2 AVB werden in diesem Fall im Zeitpunkt des Erlöschens des Versicherungsschutzes die vertraglichen Leistungen für laufende Krankheiten noch während den folgenden 180 Tagen bzw. bis zum Ablauf der vereinbarten Leistungsdauer, längstens jedoch bis zum Beginn einer Rente nach BVG (SR 831.40) ausgerichtet. Gemäss Art. 23 Abs. 2 AVB ist der Vertrag für die in der Police genannte Dauer abgeschlossen und verlängert sich stillschweigend um ein Jahr, wenn er nicht rechtzeitig gekündigt wird.
BGE 135 III 225 S. 227
1.1
Dass die Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Beschwerdegegnerin rechtsgültig erfolgte, ist zwischen den Parteien nicht umstritten. Die Vorinstanz schloss daraus, das Versicherungsverhältnis habe am 31. Dezember 2003 geendet, was mit dem Erlöschen des Vertrages nach Art. 22 Abs. 1 lit. c AVB gleichzusetzen sei. Für diesen Zeitpunkt bestimme Art. 22 Abs. 2 Satz 1 AVB, dass die vertraglichen Leistungen für laufende Krankheiten und Unfälle noch während der folgenden 180 Tage beziehungsweise bis zum Ablauf der vereinbarten Leistungsdauer ausgerichtet würden. Diese Bestimmung ist nach Auffassung der Vorinstanz hinreichend klar. Die Formulierung "beziehungsweise bis zum Ablauf der vereinbarten Leistungen" sei aufgrund des Umstands, dass es der Beschwerdegegnerin nicht verwehrt gewesen sei, nach Eintritt des Schadenfalles den Taggeldvertrag zu kündigen (Art. 23 Abs. 2 AVB), limitierend zu verstehen. Werde fristgerecht gekündigt, erlösche der Versicherungsschutz auf den Kündigungszeitpunkt, selbst wenn in einem laufenden Schadensfall noch nicht sämtliche Taggelder erschöpft sein sollten. Es seien somit grundsätzlich keine Leistungen über diesen Zeitpunkt hinaus geschuldet, mit der Ausnahme der hier vereinbarten Nachdeckung von 180 Taggeldern. Diese seien erbracht worden, weshalb die Klage bereits aus diesem Grund abgewiesen werden müsse und die Frage der Verjährung offengelassen werden könne.
1.2
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, selbst wenn die in den AVB enthaltene Regelung als hinreichend klar angesehen werde, könne die Beschwerdegegnerin nichts daraus ableiten, da die Regelung ungewöhnlich sei und zudem den konkreten Abmachungen in der Versicherungspolice widerspreche.
1.3
Vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind, wenn sie in Verträge übernommen werden, grundsätzlich nach denselben Prinzipien auszulegen wie andere vertragliche Bestimmungen (
BGE 135 III 1
E. 2 S. 6 mit Hinweisen). Von der global erklärten Zustimmung zu allgemeinen Vertragsbedingungen sind indessen alle ungewöhnlichen Klauseln ausgenommen, auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam gemacht worden ist, da davon auszugehen ist, dass ein unerfahrener Vertragspartner ungewöhnlichen Klauseln, die zu einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters führen oder in erheblichem Masse aus dem gesetzlichen Rahmen des Vertragstypus fallen, nicht zustimmt. Je stärker eine Klausel die
BGE 135 III 225 S. 228
Rechtsstellung des Vertragspartners beeinträchtigt, desto eher ist sie als ungewöhnlich zu qualifizieren (
BGE 135 III 1
E. 2.1 S. 7;
BGE 119 II 443
E. 1a S. 446 mit Hinweisen).
1.4
Bereits in systematischer Hinsicht fällt auf, dass sich die strittige Regelung nicht unter den Bestimmungen zum Umfang der Leistungen, sondern zur Dauer des Versicherungsschutzes befindet, obwohl sie sich inhaltlich auf die Dauer der Leistungserbringung und damit auf den Leistungsumfang bezieht. Dieser beträgt gemäss der besonderen Parteiabrede, welche den allgemeinen Vertragsbestimmungen vorgeht (
BGE 125 III 263
E. 4b/bb S. 266 f. mit Hinweisen), maximal 720 Tage pro Versicherungsfall. Nach dem umstrittenen Art. 22 Abs. 2 AVB wirkt sich aber ein Erlöschen des Versicherungsschutzes auf bereits eingetretene Versicherungsfälle leistungsverkürzend aus, selbst wenn das Vertragsende durch eine Kündigung seitens des Versicherungsunternehmens hervorgerufen wurde. Nach dieser Regel hätte es der Versicherer ab einem gewissen Zeitpunkt in der Hand, durch die Kündigung die Leistungsdauer abzukürzen und so das vereinbarte Maximum von 720 Tagen nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Eine derartige Möglichkeit des Versicherungsunternehmens, durch einseitige Willenserklärung nach Eintritt des Versicherungsfalles auf den zeitlichen Umfang der geschuldeten Leistungen Einfluss zu nehmen, ist dem Wesen des Versicherungsvertrages und generell dem Grundsatz "pacta sunt servanda" (vgl. hierzu
BGE 135 III 1
E. 2.4 S. 9) fremd. Bei Abschluss des Vertrages muss der Versicherungsnehmer vernünftigerweise weder damit rechnen, dass der Versicherungsschutz gegen Ende der Vertragsdauer abnimmt, noch damit, dass der Versicherer nach Belieben eine bereits entstandene Leistungspflicht durch Kündigung des Vertrages reduzieren kann. Art. 22 Abs. 2 AVB hätte zur Folge, dass der Versicherte beim Eintritt eines Schadens gegen Ende der ursprünglich vereinbarten Vertragsdauer die Leistungsdauer zufolge der Ungewissheit über den Fortbestand des Versicherungsvertrages nicht abschätzen könnte. Die Deckungslücken, die durch die Kürzung der Leistungen infolge Kündigung entstünden, blieben auch beim Abschluss eines neuen, an den beendigten anschliessenden Versicherungsvertrages offen (
Art. 9 VVG
; NEF, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag [VVG], 2001, N. 1 zu
Art. 9 VVG
). Vor diesem Hintergrund konnte die Versicherung nach Treu und Glauben nicht davon ausgehen, die Beschwerdeführerin würde einer derartigen Klausel zustimmen.
BGE 135 III 225 S. 229
1.5
Nach dem Gesagten genügt die globale Übernahme der AVB nicht, um die in Art. 22 Abs. 2 AVB vorgesehene Kürzung der Leistungen bei Kündigung des Vertrages zur Anwendung kommen zu lassen. Dass die Beschwerdeführerin bei Vertragsschluss auf diese Klausel speziell hingewiesen worden wäre, ist nicht festgestellt. Daher kann die Beschwerdegegnerin aus Art. 22 Abs. 2 AVB nichts zu ihren Gunsten ableiten, und es kann offenbleiben, ob die Bestimmung hinreichend klar und überhaupt zulässig ist. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a5fd5b7d-03bf-475f-9be6-c9e3c0e0abc7 | Urteilskopf
137 IV 230
33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
1B_232/2011 vom 12. Juli 2011 | Regeste
Art. 81 BGG
, Art. 222, 226 Abs. 5 und
Art. 388 StPO
; Untersuchungshaft, Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen Freilassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts.
Rechtsschutzinteresse der Staatsanwaltschaft an der Beschwerdeführung gegen die Beendigung der Untersuchungshaft (E. 1).
Die Beschwerdeinstanz kann ohne vorherige Anhörung der beschuldigten Person die vorläufige Weiterführung der Haft anordnen, wenn dies zum Schutz des Untersuchungszwecks notwendig ist (E. 2.2.1). Die Nichtbehandlung des Gesuchs um vorläufige Weiterführung der Untersuchungshaft führt zur Vereitelung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft (E. 2.3). | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 137 IV 230 S. 231
A.
X. wurde am 19. März 2011 wegen des Verdachts auf vorsätzliche Tötung oder Totschlag festgenommen und am 22. März 2011 in Untersuchungshaft versetzt. Auf ein Haftentlassungsgesuch von X. hin befristete die Einzelrichterin des Zwangsmassnahmengerichts Schwyz mit Verfügung vom 18. April 2011 die Untersuchungshaft bis zum 22. April 2011, 17.00 Uhr. In derselben Verfügung auferlegte sie X. wegen Kollusionsgefahr ein Kontaktverbot mit der Zeugin Y.
Gegen diesen Entscheid reichte die Staatsanwaltschaft Schwyz am 19. April 2011 Beschwerde beim Kantonsgericht Schwyz ein. Dieses trat auf die Beschwerde am 20. April 2011 nicht ein, unter anderem mit der Begründung, der Zwangsmassnahmenentscheid sei erst anfechtbar, wenn dessen Begründung vorliege. Die Staatsanwaltschaft Schwyz reichte am 21. April 2011 (persönlich überbracht) gegen den inzwischen begründeten Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 18. April 2011 eine weitere Beschwerde ein und ersuchte im Sinne einer vorsorglichen Massnahme um Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft bis zum Entscheid des Kantonsgerichts. Gleichentags verweigerte das Kantonsgericht Schwyz die beantragte vorsorgliche Massnahme. Mit Verfügung vom 26. April 2011 schrieb das Kantonsgericht Schwyz die Beschwerde ab, weil sie mit der Haftentlassung des Angeschuldigten am 22. April 2011 gegenstandslos geworden sei.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 13. Mai 2011 beantragt die Oberstaatsanwaltschaft Schwyz, die Verfügung des Kantonsgerichts vom 26. April 2011 sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Beurteilung unter Wahrung der Rechte der Parteien an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie rügt die Verletzung von Verfahrensrechten (
Art. 29 BV
) und Willkür (
Art. 9 BV
). (...)
(Auszug)
BGE 137 IV 230 S. 232
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Rechtsmittelentscheid über eine Entlassung aus der Untersuchungshaft im Sinne von
Art. 220 ff. StPO
(SR 312.0). Dagegen kann Beschwerde in Strafsachen nach den
Art. 78 ff. BGG
geführt werden.
Zur Beschwerde ist berechtigt, wer am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (
Art. 81 Abs. 1 BGG
). Die Staatsanwaltschaft gehört grundsätzlich zum Kreis der beschwerdebefugten Parteien (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG;
BGE 134 IV 36
E. 1). Nach
Art. 222 StPO
kann die verhaftete Person Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten. Dasselbe Beschwerderecht steht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der Staatsanwaltschaft zu (
BGE 137 IV 22
E. 1.3 S. 24,
BGE 137 IV 87
E. 3). Das Bundesgericht hat dabei zusammenfassend erwogen, aufgrund der in
Art. 111 BGG
statuierten Einheit des Verfahrens müsse derjenige, der zur Beschwerde ans Bundesgericht berechtigt sei, sich am Verfahren vor allen kantonalen Instanzen als Partei beteiligen können. Dazu verlange das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Strafjustiz, dass die Staatsanwaltschaft ein Beschwerderecht gegen einen die Haft aufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts besitze.
Wird ein Untersuchungsgefangener aus der Haft entlassen, obwohl ein Haftgrund besteht, kann das die Fortführung des Strafverfahrens erschweren oder gar vereiteln. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihr Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden (Art. 7 Abs. 1 i.V.m.
Art. 300 und 308 ff. StPO
). Zudem obliegt ihr im Grundsatz die Verfahrensleitung bis zur Einstellung oder Anklageerhebung (
Art. 61 lit. a StPO
). Sie hat somit grundsätzlich ein Rechtsschutzinteresse, sich gegen die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Entlassung eines Angeschuldigten aus der Untersuchungshaft zur Wehr zu setzen (Urteil des Bundesgerichts 1B_136/2010 vom 22. Juli 2010 E. 1).
(...)
2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die bei der Beschwerdeinstanz am 21. April 2011 eingereichte Beschwerde sei nicht
BGE 137 IV 230 S. 233
gegenstandslos geworden. Eine Beschwerde werde nur gegenstandslos, wenn das Beschwerdeobjekt zum Beispiel wegen Rückzug, Vergleich, Tod einer Partei oder Entscheid in der Hauptsache wegfalle. Ein solcher Grund sei hier nicht gegeben. Die Vorinstanz habe den Grund für die angebliche Gegenstandslosigkeit selbst herbeigeführt, indem sie das Beschwerdeverfahren nach Verweigerung der aufschiebenden Wirkung während über 24 Stunden ruhen liess, bis der Beschuldigte aus der Haft entlassen war. Dieses Vorgehen widerspreche dem Willkürverbot (
Art. 9 BV
) sowie § 40 Abs. 2 der kantonalen Justizverordnung vom 18. November 2009 (SRSZ 231.110) in Verbindung mit
Art. 222 und 397 StPO
.
2.1
Nach
Art. 226 Abs. 5 StPO
ist die beschuldigte Person unverzüglich freizulassen, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet (s. auch
Art. 228 Abs. 4 StPO
). Dieses Recht auf unverzügliche Freilassung ergibt sich aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit (
Art. 10 Abs. 2 BV
), welches gestützt auf die
Art. 31 BV
und
Art. 5 EMRK
in strafrechtlichen Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden kann (s. auch
Art. 36 BV
). Erfolgt die Freilassung, obwohl ein Haftgrund nach
Art. 221 StPO
besteht, kann das die Fortführung des Strafverfahrens erschweren oder gar vereiteln. Um dies zu verhindern, besteht ein Interesse, dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Beschwerde an die Beschwerdeinstanz nach
Art. 393 StPO
zumindest vorübergehend die Freilassung verhindern kann.
2.2
Strafprozessuale Rechtsmittel haben nach
Art. 387 StPO
keine aufschiebende Wirkung. Vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen der StPO oder Anordnungen der Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz. Diese trifft in Anwendung von
Art. 388 StPO
die notwendigen und unaufschiebbaren verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen. Hierzu gehört nach ausdrücklicher Vorschrift von
Art. 388 lit. b StPO
die Anordnung von Haft. Diese Bestimmungen sind grundsätzlich geeignet, die Untersuchungshaft während des Beschwerdeverfahrens betreffend die Haftentlassung aufrechtzuerhalten. Die lückenlose Weiterführung der Untersuchungshaft steht in einem gewissen Gegensatz zur Pflicht, die beschuldigte Person unverzüglich freizulassen, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet (
Art. 226 Abs. 5 StPO
). Würde die beschuldigte Person jedoch unmittelbar im Anschluss an den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts trotz des Bestehens
BGE 137 IV 230 S. 234
von Haftgründen auf freien Fuss gesetzt, so würde damit die Fortführung des Strafverfahrens unter Umständen erheblich beeinträchtigt. Aus der StPO ergeben sich verschiedene mögliche Vorgehensweisen, um dieser Gefahr zu begegnen.
2.2.1
Liegen zwischen dem Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts und dem Zeitpunkt der Haftentlassung wie im vorliegenden Fall mehrere Stunden oder Tage, so erscheint es bei unverzüglicher Einreichung der Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft möglich, dass die Beschwerdeinstanz noch vor der Entlassung des Beschuldigten vorsorglich die Fortführung der Haft anordnet. Eine solche "superprovisorische" Haftanordnung durch die Beschwerdeinstanz gestützt auf
Art. 388 lit. b StPO
setzt voraus, dass die Staatsanwaltschaft die Beschwerdefrist gemäss
Art. 396 StPO
nicht ausschöpft, sondern die Beschwerde unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids einreicht und zumindest vorläufig aber dennoch rechtsgenügend begründet (Art. 384 i.V.m.
Art. 396 Abs. 1 StPO
). Zudem darf sich die Staatsanwaltschaft nicht auf einen Antrag um aufschiebende Wirkung (
Art. 387 StPO
) beschränken. Vielmehr muss sie in der Regel ausdrücklich die Anordnung der Haft durch die Beschwerdeinstanz beantragen. Diesen nach
Art. 388 lit. b StPO
zulässigen Antrag hat die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz superprovisorisch, d.h. ohne vorherige Anhörung der beschuldigten Person zu behandeln, wenn dies zum Schutz des Untersuchungszwecks notwendig ist. Ein Verzicht auf die vorherige Anhörung erscheint indessen nur bei hoher Dringlichkeit eines superprovisorischen Haftentscheids gerechtfertigt. Anschliessend an eine solche vorsorgliche Haftanordnung muss der beschuldigten Person in jedem Fall das rechtliche Gehör gewährt werden (
Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO
;
Art. 29 Abs. 2 BV
). Nach dieser Gehörswahrung hat die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz unverzüglich in Anwendung von
Art. 388 lit. b StPO
einen neuen vorsorglichen Entscheid über die Untersuchungshaft zu treffen, wenn die Haftsache vor der Beschwerdeinstanz noch nicht entscheidungsreif ist.
2.2.2
Eine Regelung, wie sie
Art. 231 Abs. 2 StPO
für die Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil vorsieht, besteht für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach dem Freilassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts nicht. Eine analoge Anwendung von Gesetzesbestimmungen, die sich zuungunsten des Beschuldigten auswirken würde, wäre mit dem Legalitätsprinzip nicht
BGE 137 IV 230 S. 235
vereinbar (vgl. GÜNTER STRATENWERTH, Die Straftat, 3. Aufl. 2005, § 4 N. 33). Hinzu kommt, dass das Antragsrecht der Staatsanwaltschaft gemäss
Art. 231 Abs. 2 StPO
nach der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts explizit auf das erstinstanzliche Verfahren beschränkt ist (BBl 2006 1235). Auch aus diesem Grund kann eine analoge Anwendung im Untersuchungsverfahren nicht in Frage kommen.
2.2.3
Mit einer Schutzschrift könnte bei der Beschwerdeinstanz vorsorglich zu einer allfälligen Haftentlassung Stellung genommen werden (NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, N. 977). Entgegen
Art. 270 ZPO
findet sich jedoch in der StPO keine entsprechende gesetzliche Grundlage.
2.2.4
Für den Fall, dass die Beschwerdeinstanz nach dem Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts wegen des Anspruchs des Beschuldigten auf unverzügliche Freilassung (
Art. 226 Abs. 5 StPO
) nicht rechtzeitig im Rahmen einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft über die vorläufige Weiterführung der Haft entscheiden kann, wird in der Literatur die Möglichkeit eines erneuten Haftbefehls bzw. Haftantrages der Staatsanwaltschaft im Sinne von
Art. 224 Abs. 2 StPO
erwähnt (vgl. MARKUS HUG, in: Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 9 zu
Art. 222 StPO
). Ähnlich, wie dies in
Art. 231 Abs. 2 StPO
für die Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil ausdrücklich vorgesehen ist, würde dieses Vorgehen ermöglichen, dass der Freiheitsentzug im Zeitpunkt der Anrufung der Rechtsmittelinstanz fortdauert und damit der Zweck der Strafuntersuchung nicht beeinträchtigt wird. Ob ein solches Vorgehen angesichts des schweren Eingriffs in die persönliche Freiheit rechtlich zulässig ist, kann hier offenbleiben.
2.3
In der vorliegenden Angelegenheit befristete die Einzelrichterin des Zwangsmassnahmengerichts in ihrem Entscheid vom 18. April 2011 die Untersuchungshaft bis zum 22. April 2011, 17.00 Uhr. Sie ging davon aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt die noch erforderlichen Zeugeneinvernahmen durchgeführt werden könnten und eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft darüber hinaus nicht angemessen wäre. Trotz der von der Staatsanwaltschaft bereits am 19. April 2011 erhobenen ersten Beschwerde und dem Gesuch um aufschiebende Wirkung wurde der Beschuldigte am 22. April 2011, 17.00 Uhr freigelassen. Damit wurde aus der Sicht der Staatsanwaltschaft das ihr zustehende Beschwerderecht vereitelt.
BGE 137 IV 230 S. 236
Dem ist zuzustimmen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Verfügung der Einzelrichterin des Zwangsmassnahmengerichts vom 18. April 2011, mit der die umstrittene Freilassung des Angeschuldigten auf den 22. April 2011, 17.00 Uhr, festgesetzt worden war, am 19. April 2011, mithin drei Tage vor dem vorgesehenen Freilassungstermin mit Beschwerde angefochten. Es bestand somit genügend Zeit zur Prüfung der Beschwerde. Der Kantonsgerichtspräsident trat jedoch auf die Beschwerde nicht ein, weil die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts noch nicht begründet war. Rechtsmittelfristen beginnen grundsätzlich erst mit der vollständigen Ausfertigung eines Entscheids zu laufen. Dies bedeutet indessen nicht, dass eine bereits gegen das Dispositiv eines Entscheids erhobene Beschwerde unzulässig ist. Das Vorgehen des Kantonsgerichtspräsidenten hatte zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde und dem Gesuch um Anordnung vorsorglicher Massnahmen bis zum Vorliegen der Begründung zuwarten musste und sich dadurch erst gut 24 Stunden vor dem Freilassungstermin in der Lage sah, die zweite Beschwerde zu erheben. Den Kantonsgerichtspräsidenten hätte nichts daran gehindert, bereits nach dem Vorliegen der ersten Beschwerde das mit dieser eingereichte Gesuch um Anordnung vorsorglicher Massnahmen nach Beschaffung der Akten unverzüglich zu behandeln. Nach Vorliegen der Begründung hätte er die am 19. April 2011 eingereichte Beschwerde noch vor dem Freilassungstermin beurteilen und einen Entscheid fällen können, statt der Staatsanwaltschaft mit dem Nichteintreten auf die erste Beschwerde eine zweite Beschwerde aufzunötigen, deren Gegenstandslosigkeit bzw. Nichtbehandlung wegen der bevorstehenden Freilassung absehbar war. Mit dieser Art des Vorgehens hat der Kantonsgerichtspräsident verhindert, dass vor der umstrittenen Freilassung des Beschuldigten ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid erging, obwohl dazu, wenn auch wenig, letztlich doch genügend Zeit zur Verfügung stand. Die Beschwerde ist somit im Sinne der Erwägungen gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a60257c7-ef19-4a27-813f-2f18869dcce2 | Urteilskopf
125 III 193
34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Februar 1999 i.S. Anheuser-Busch Inc. gegen Budejovicky Budvar Narodni Podnik (Berufung) | Regeste
Bilaterale Abkommen zum Schutz von Herkunftsbezeichnungen;
Art. 12 Abs. 1 MSchG
;
Art. 3 lit. d UWG
.
Grundsätze, auf denen die bilateralen Abkommen zum Schutz von Herkunftsbezeichnungen beruhen (E. 1a). Schutz gegen Zeichen, welche mit Herkunftsbezeichnungen, die durch ein bilaterales Abkommen geschützt werden, verwechselbar sind; Voraussetzungen, unter denen Verwechselbarkeit gegeben ist (E. 1b und c); Voraussetzungen der Verwirkung von Abwehransprüchen, die sich aus einem bilateralen Abkommen ergeben (E. 1e).
Legitimation zur Geltendmachung des Nichtgebrauchs einer Marke im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 MSchG
(E. 2a).
Voraussetzungen und Tragweite des Verwechslungsschutzes gemäss
Art. 3 lit. d UWG
(E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 125 III 193 S. 194
A.-
Die Firma Budejovicky Budvar Narodni Podnik (nachstehend: Budejovicky Budvar) ist eine Bierbrauerei mit Sitz in der tschechischen Stadt Ceské Budejovice, zu deutsch Budweis. Nach ihrer Darstellung lässt sich die Herstellung von Bier in Budweis bis in das Jahr 1265, das Gründungsjahr der Stadt, zurückverfolgen. Als ihre älteste Rechtsvorgängerin bezeichnet die Budejovicky Budvar die im Jahre 1795 gegründete Firma «Budweiser Brauberechtigten Bürgerliches Brauhaus». Diese Firma und ihre Rechtsnachfolgerinnen sollen seither ununterbrochen Bier produziert und unter den Bezeichnungen «Budweis», «Budweiser» oder «Budvar» (deutsch «Budbräu») vertrieben haben. 1895 entstand in Budweis neben dem «Bürgerlichen Brauhaus» die «Tschechische Aktien-Brauerei».
Die amerikanische Firma Anheuser-Busch Incorporated (nachstehend: Anheuser-Busch Inc.) befasst sich ebenfalls mit der Herstellung von Bier. Ihre Rechtsvorgängerin soll im Jahre 1876 als lokale Brauerei begonnen haben, Bier unter der Marke «Budweiser» zu vertreiben. Zu diesem Markengebrauch gaben die in Budweis tätigen Brauereien in einer Vereinbarung von 1911 ihr Einverständnis: Sie erlaubten der amerikanischen Brauerei gegen eine Geldleistung, die Marke «Budweiser» ausserhalb Europas zu gebrauchen, behielten sich jedoch vor, ihre eigenen Erzeugnisse mit dem Zusatz «Original» zu versehen. In einer zweiten Vereinbarung von 1939 sicherte sich dann die amerikanische Brauerei für den amerikanischen Markt das ausschliessliche Recht an der Bezeichnung «Budweiser». Noch vor der Jahrhundertwende ist nach der Darstellung der Anheuser-Busch Inc. in den Vereinigten Staaten für die Marke «Budweiser» die Kurzform «Bud» entstanden, zu deren Popularität der Doppelsinn «Freund, Kumpan» beigetragen habe. Diese Bedeutung sei dann auch werbemässig bewusst hervorgehoben und die Kurzbezeichnung schliesslich als Zweitmarke geführt worden. Nach dem zweiten
BGE 125 III 193 S. 195
Weltkrieg begann die Anheuser-Busch Inc., Bier nach Europa zu exportieren. Ihren Angaben zufolge gelangte erstmals 1955 amerikanisches Bier unter den Marken «Budweiser» (auf den Flaschen) und «Bud» (auf der Verpackung) in die Schweiz. Importiert wurde es von Willi Buholzer, dem Besitzer der Teestube «Old Swiss House» in Luzern, der es seinerseits weitervertrieb. Nach der Exportstatistik der Anheuser-Busch Inc. stieg der schweizerische Absatz in der Zeit von 1983 bis 1989 von rund 500 auf über 40'000 Kisten an.
In Budweis wurden in den Jahren 1946 und 1948 die «Aktien-Brauerei» und das «Bürgerliche Brauhaus» enteignet und in einen Staatsbetrieb überführt, in den noch weitere Brauereien eingegliedert wurden. Innerhalb dieses Betriebs hatte die Budejovicky Budvar offenbar die Stellung einer Export-Brauerei. 1967 wurde die Brauerei verselbständigt. Ihre Exporttätigkeit war in den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg infolge der politischen Situation in Europa vor allem auf die anderen sozialistischen Staaten ausgerichtet, wurde aber, soweit keine politischen Hindernisse im Weg standen, auch auf andere europäische Staaten ausgedehnt. In die Schweiz lieferte die Budejovicky Budvar nach ihrer Exportstatistik bereits in den Jahren 1948 und 1949 geringe Mengen Bier, in den Jahren 1956 und 1959 dann 33 und 34 hl. Von 1962 bis 1964 blieben die Lieferungen wieder deutlich unter 10 hl. Ab 1967 wurde hingegen regelmässig in die Schweiz exportiert, wobei die Exportmenge 1969 erstmals 200 hl überstieg.
Die Budejovicky Budvar und ihre Vorgängerfirmen hinterlegten im Laufe der Jahre die folgenden Marken:
- 1882 beim Marken-Registrierungsamt der Budweiser Handelskammer die Marken «Budweiser Export Lager Bier», «Bürgerliches Bräuhaus Budweis. Export-Lager-Bier» und «Bürgerliches Bräuhaus Budweis in Böhmen»;
- 1932 das Zeichen «Budvar» als internationale Marke Nr. 78'164;
- 1950 das Zeichen «Budweiser Budbräu» als internationale Marke Nr. 150'933;
- 1952 wiederum das Zeichen «Budvar» als internationale Marke Nr. 159'859;
- 1960 das Zeichen «Budweiser» als internationale Marke Nr. 238'203;
- 1968 die Zeichen «Budweiser Budvar» und «Budweiser Budvar Original Export» als internationale Marken Nr. 342'157 und 342'158;
- 1969 das Zeichen «Bud» als internationale Marke Nr. 361'566;
- 1985 nochmals das Zeichen «Budvar» als internationale Marke Nr. 297'675;
BGE 125 III 193 S. 196
- 1985 das Zeichen «Bud» als schweizerische Marke Nr. 343'190;
- 1994 die Zeichen «Budweiser Budvar» und «Budweiser Budbräu» als internationale Marken Nr. 614'536 und 614'537.
Die Anheuser-Busch Inc. liess 1983 das Zeichen «BUD King of Beers» und 1984 das Zeichen «BUD» unter den Nummern 324'787 und 331'036 in das schweizerische Markenregister eintragen.
B.-
Am 29. September 1989 reichte die Anheuser-Busch Inc. beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage gegen die Budejovicky Budvar ein. Sie stellte die Begehren, die international und in der Schweiz eingetragenen Wortmarken «Bud» der Beklagten seien für das Gebiet der Schweiz nichtig zu erklären und es sei der Beklagten die Verwendung der Bezeichnung «Bud» im schweizerischen Geschäftsverkehr gerichtlich zu untersagen.
Die Beklagte erhob Widerklage. Sie beantragte die Ungültigerklärung der schweizerischen Markeneintragungen «BUD» und «BUD King of Beers» der Klägerin. Im Weiteren verlangte sie ihrerseits ein an die Klägerin gerichtetes Verbot, die Bezeichnung «BUD» im schweizerischen Geschäftsverkehr für Bier oder andere Getränke zu verwenden.
Mit Urteil vom 10. Dezember 1997 hiess das Handelsgericht sowohl die Klage wie die Widerklage gut. Es erklärte die Wortmarken «Bud» der Beklagten gemäss der internationalen Eintragung Nr. 361'566 und der schweizerischen Eintragung Nr. 343 190 für das Gebiet der Schweiz als nichtig und gelöscht und untersagte der Beklagten unter Androhung der Straffolgen gemäss
Art. 403 ZPO
und
Art. 292 StGB
, die Bezeichnung «BUD» im schweizerischen Geschäftsverkehr, insbesondere zur Kennzeichnung der Waren gemäss den Warenlisten der beklagtischen Markeneintragungen zu verwenden. Die auf die Klägerin lautenden schweizerischen Markeneintragungen Nr. 331 036 «BUD» und Nr. 324 797 «BUD King of Beers» erklärte das Handelsgericht ebenfalls als nichtig und gelöscht, und auch der Klägerin untersagte es unter Androhung der Bestrafung ihrer Organe nach
Art. 403 ZPO
und
Art. 292 StGB
, die Bezeichnung «BUD» im schweizerischen Geschäftsverkehr im Zusammenhang mit Bier und anderen Getränken, vor allem als Marke für Bier und andere Getränke, zu verwenden.
C.-
Gegen das Urteil des Handelsgerichts haben beide Parteien Berufung eingelegt.
Das Bundesgericht weist die Berufung der Klägerin ab und bestätigt das angefochtene Urteil in Bezug auf die Gutheissung der Widerklage.
BGE 125 III 193 S. 197
Die Berufung der Beklagten heisst es hingegen teilweise gut, hebt das angefochtene Urteil hinsichtlich des Entscheids über die Klage auf und schützt diese nur insoweit, als es der Beklagten untersagt, die Bezeichnung «BUD» im schweizerischen Geschäftsverkehr ohne deutlichen Hinweis auf die tschechische Herkunft ihrer Waren zu verwenden; im Õbrigen weist es die Klage ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Handelsgericht geht davon aus, dass die Beklagte in der Schweiz an den Bezeichnungen «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu» gegenüber der Klägerin das bessere Recht hat. Die Marken «BUD» und «BUD King of Beers» der Klägerin erachtet es wegen Verwechselbarkeit mit diesen Bezeichnungen als ungültig. Die Klägerin macht in ihrer Berufung geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht eine Gebrauchspriorität der Beklagten angenommen, in Verletzung von Bundesrecht eine Verwechslungsgefahr bejaht und zudem übersehen, dass die Bezeichnungen «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu» als Marken gar nicht schutzfähig seien, da es sich um geographische Herkunftsbezeichnungen handle, die von anderen in Budweis ansässigen Brauereien ebenfalls verwendet werden könnten und auch verwendet worden seien. Im Weiteren wendet sie ein, entgegen der Auffassung der Vorinstanz seien allfällige Abwehransprüche der Beklagten jedenfalls verwirkt.
a) Die Beklagte beansprucht die Zeichen «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu» einerseits als Marken, anderseits als geschützte Herkunftsbezeichnungen. Die gesetzliche Regelung der Herkunftsbezeichnungen findet sich in den Art. 47 ff. des Bundesgesetzes über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (MSchG, SR 232.11). Dieses Gesetz behält in Art. 20 völkerrechtliche Verträge vor. Mit dem Schutz von Herkunftsbezeichnungen befassen sich verschiedene solche Verträge. So verbietet die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVUe) in der in Stockholm revidierten Fassung vom 14. Juli 1967 (SR 0.232.04) den unmittelbaren oder mittelbaren Gebrauch falscher Herkunftsangaben (Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9). Weiter ist auf das Madrider Abkommen über die Unterdrückung falscher oder irreführender Herkunftsangaben (MHA) in der Lissaboner Fassung vom 31. Oktober 1958 (SR 0.232.111.13) hinzuweisen. An beiden multilateralen Staatsverträgen sind sowohl Tschechien als auch die Schweiz beteiligt. Zwischen Tschechien und der Schweiz besteht
BGE 125 III 193 S. 198
aber vor allem auch ein bilaterales Abkommen über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen (SR 0.232.111.197.41). Dieses Abkommen ist am 16. November 1973 mit der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik geschlossen worden. Es ist am 14. Januar 1976 in Kraft getreten und ist unmittelbar anwendbar (Art. 4 Abs. 1). Nach einem Notenwechsel vom 24. Februar 1994 mit der Tschechischen Republik gilt es zwischen diesem Staat und der Schweiz weiter.
Das bilaterale Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten insbesondere, bestimmte in den Anlagen A und B einzeln aufgelistete Herkunftsbezeichnungen zu schützen (Art. 1 Ziff. 2). Die tschechoslowakischen Herkunftsbezeichnungen gemäss der Liste von Anlage A bleiben im Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft ausschliesslich tschechoslowakischen Erzeugnissen oder Waren vorbehalten, und sie dürfen in der Schweiz - unter Vorbehalt hier nicht gegebener Ausnahmen - nur unter denselben Voraussetzungen benutzt werden, wie sie die tschechoslowakische Gesetzgebung vorsieht (Art. 2 Abs. 1 und 2); Entsprechendes gilt für die Benutzung der in Anlage B aufgeführten schweizerischen Herkunftsbezeichnungen im Gebiet der früheren Tschechoslowakei (Art. 3 Abs. 1 und 2). Diese Regelung, die - wie jene anderer bilateraler Abkommen (vgl. die Abkommen mit Deutschland, SR 0.232.111.192.36, mit Spanien, SR 0.232.111.193.32, mit Frankreich, SR 0.232.111.193.49, mit Ungarn, SR 232.111.194.18, und mit Portugal, SR 0.232.111.196.54) - auf dem Ursprungslandprinzip beruht, gewährleistet einen gleichmässigen Schutz der beidseitigen Herkunftsbezeichnungen in beiden Vertragsstaaten (BBl 1974 II 1180; DUTOIT, Le nouveau droit suisse des indications de provenance et des appellations d'origine: ombres et lumières, ZSR 1993 I, S. 281) und führt zu einer eigentlichen Schutzrechtsübernahme vom Ursprungsland auf das Schutzland (JÜRG SIMON, Die Ursprungsregeln im WTO-Recht, in: Baudenbacher, Aktuelle Probleme des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts, Bd. I, S. 435; vgl. zum entsprechenden französisch-spanischen Abkommen auch die Entscheidung «Turrones de Alicante» des EuGH, GRUR Int. 1993, S. 76 ff.). Das hat zur Folge, dass der Rechtsschutz unabhängig davon eingreift, ob auch nach der inländischen Verkehrsauffassung eine geographische Herkunftsbezeichnung vorliegt (so für die von Deutschland mit anderen Staaten geschlossenen bilateralen Abkommen BAUMBACH/HEFERMEHL, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl.
BGE 125 III 193 S. 199
1998, N. 260 zu
§ 3 UWG
). Geschützt sind demnach auch Herkunftsbezeichnungen, die im Schutzland unbekannt sind und deren Verwendung für Waren anderer Herkunft somit nicht zu einer Irreführung des Publikums führen kann; der Schutz der in die Listen aufgenommenen Herkunftsbezeichnungen setzt keine konkrete Täuschungsgefahr voraus (J. DAVID MEISSER, Herkunftsangaben und andere geographische Bezeichnungen, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 368). Das bilaterale Abkommen soll einerseits verhindern, dass die vom Listenschutz erfassten Herkunftsbezeichnungen sich zu Gattungsbegriffen entwickeln oder als Fantasiebezeichnungen verwendet werden (URS GLAUS, Die geographische Herkunftsangabe als Kennzeichen, Diss. Freiburg 1996, S. 131; vgl. auch BBl 1974 II 1180); anderseits soll es gegebenenfalls auch die Rückentwicklung zum Verständnis der geschützten Bezeichnungen als Herkunftsangaben ermöglichen (vgl. LUCAS DAVID, Basler Kommentar, N. 19 zu
Art. 47 MSchG
). Dem entspricht die Übergangsregelung, die das Abkommen in Art. 7 Abs. 2 vorsieht. Danach wird vorhandenen Besitzständen nur in beschränktem Umfang Rechnung getragen (vgl. BBl 1974 II 1181): Personen und Gesellschaften, die eine der geschützten Bezeichnungen bereits im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens rechtmässig benutzt haben, steht das Recht zu, sie bis zum Ablauf von sechs Jahren nach dem Inkrafttreten des Abkommens weiterzubenutzen. Eine längere Weiterbenutzung ist unzulässig.
In der Liste von Anlage A des tschechoslowakisch-schweizerischen Abkommens finden sich unter der Rubrik «Pivo» (Bier) die Bezeichnungen «Budejovické pivo (Budweiser Bier)», «Budejovické pivo-Budvar (Budweiser Bier-Budvar)» und «Budejovické Budvar (Budweiser Budvar)». Da das Abkommen am 14. Januar 1976 in Kraft getreten ist, durfte die Klägerin die Bezeichnung «Budweiser» für ihr amerikanisches Bier in der Schweiz längstens bis Januar 1982 weiterbenutzen. Welche der Parteien die Gebrauchspriorität für sich in Anspruch nehmen kann, ist somit unerheblich. Entscheidend ist, dass nach dem zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Tschechien geltenden Abkommen die Bezeichnungen «Budweiser» und «Budvar», zu deutsch «Budbräu», seit 1982 ausschliesslich der Kennzeichnung von Bier aus der tschechischen Stadt Budweis vorbehalten sind. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von den offenbar zwischen den Parteien in einer Reihe anderer europäischer Länder ausgetragenen
BGE 125 III 193 S. 200
Markenrechts-Streitigkeiten, in denen lediglich die relativ bessere Berechtigung aufgrund des - prioritären - Gebrauchs zur Diskussion stand (vgl. die englischen Urteile des High Court of Justice vom 27. Juli 1982 und des Court of Appeal vom 7. März 1984, abgedruckt in «Fleet Street Reports» 1984, die norwegischen Urteile des Osloer Stadtgerichts vom 31. Juli 1996 und des Appellationsgerichts vom 27. Oktober 1996, das Urteil des griechischen Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 1988 sowie die Urteile des Spanischen Tribunal Supremo vom 5. und 6. Februar 1992). Die Vorinstanz geht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin das bessere Recht an den geographischen Herkunftsbezeichnungen «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu» hat.
b) Das tschechoslowakisch-schweizerische Abkommen schliesst nicht nur die unveränderte Õbernahme von in den Schutzlisten aufgeführten Herkunftsbezeichnungen für Waren anderer Herkunft aus. Es schützt die rechtmässigen Benutzer dieser Bezeichnungen vielmehr auch gegen damit verwechselbare Zeichen. Denn Art. 5 Abs. 1 des Abkommens verbietet ganz allgemein Kennzeichnungen, Marken, Namen, Aufschriften oder Abbildungen, die unmittelbar oder mittelbar falsche oder irreführende Angaben über die Herkunft enthalten. Auch
Art. 47 Abs. 3 MSchG
untersagt im Õbrigen nicht nur den Gebrauch falscher Herkunftsangaben (lit. a), sondern ebenfalls den Gebrauch von Bezeichnungen, die mit einer unzutreffenden Herkunftsangabe verwechselbar sind (lit. b; vgl. auch die entsprechende Regelung in Art. 1 Abs. 1 und 2 MHA; anders
Art. 10 Abs. 1 PVUe
). Das Benutzungsverbot, das sich aus dem Listenschutz des Abkommens ergibt, lässt sich somit nicht einfach dadurch umgehen, dass geschützte Herkunftsbezeichnungen in abgewandelter Form verwendet werden (vgl. DAVID, a.a.O., N. 26 zu
Art. 47 MSchG
).
Die Verwechselbarkeit beurteilt sich für Herkunftsangaben grundsätzlich nach den gleichen Kriterien wie in den anderen Gebieten des Kennzeichenschutzes, insbesondere im Markenschutz (MEISSER, a.a.O., S. 393; a.M. DAVID, a.a.O., N. 27 zu
Art. 47 MSchG
). Sowohl beim Markenschutz als auch beim Schutz von Herkunftsangaben geht es darum, die Unterscheidungsfunktion des Kennzeichens zu gewährleisten und insbesondere Fehlzurechnungen - sei es zum Markeninhaber oder zum Herkunftsort - zu verhindern (vgl.
BGE 122 III 382
E. 1 S. 383 ff., mit Hinweisen). Es entspricht denn auch ständiger Rechtsprechung, dass für das
BGE 125 III 193 S. 201
gesamte Kennzeichenrecht von einem einheitlichen Begriff der Verwechslungsgefahr auszugehen ist (
BGE 119 II 473
E. 2c S. 475, mit Hinweisen). Anders als Marken ordnen Herkunftsangaben allerdings die damit gekennzeichneten Waren nicht einem bestimmten Unternehmen, sondern einem Land, einer Gegend oder einer Ortschaft zu. Die Verwechselbarkeit muss sich folglich auf die Herkunft der Waren beziehen. Herkunftsangaben sind gegen Kennzeichnungen zu schützen, die geeignet sind, unzutreffende Vorstellungen über die Herkunft der Waren zu wecken (vgl. MEISSER, a.a.O., S. 391 ff.).
Dabei ist allerdings zu beachten, dass das tschechoslowakisch-schweizerische Abkommen den in den Anlagen aufgeführten Herkunftsbezeichnungen einen umfassenden Schutz gewährt, der keine konkrete Täuschungsgefahr voraussetzt. Da das Abkommen verhindern soll, dass die vom Listenschutz erfassten Bezeichnungen sich zu Gattungsbegriffen entwickeln oder als Fantasiebezeichnungen verwendet werden, und da es gegebenenfalls auch ihre Rückentwicklung zum Verständnis als Herkunftsangaben ermöglichen soll, kann der Umfang des Schutzes nicht davon abhängen, wieweit die massgebenden Verkehrskreise die Bedeutung der geschützten Bezeichnungen als Herkunftsangaben tatsächlich kennen. Diese Kenntnis ist vielmehr bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auch dann als gegeben zu unterstellen, wenn tschechische Herkunftsbezeichnungen in Frage stehen, die in der Schweiz im Urteilszeitpunkt noch weitgehend unbekannt sind. Im vorliegenden Fall ist daher die Verwechselbarkeit der streitigen Kennzeichen aus der Sicht von schweizerischen Konsumenten zu beurteilen, die wissen, dass «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» Herkunftsbezeichnungen für Bier aus der tschechischen Stadt Budweis sind.
c) Die Marke «BUD» deckt sich mit der Anfangssilbe des Ortsnamens Budweis bzw. tschechisch Budejovice. Dieselbe Anfangssilbe findet sich in den Wörtern «Budweiser» und «Budvar», zu deutsch «Budbräu». Das Gleiche gilt auch für die tschechische Bezeichnung «Budejovicky pivo». Sowohl dem tschechischen und dem deutschen Ortsnamen (Budejovice, Budweis) als auch den daraus abgeleiteten Adjektiven (Budweiser, Budejovicky) und Wortkombinationen (Budvar, Budbräu) ist gemeinsam, dass sie im Wortanfang bzw. im Wortstamm übereinstimmen und jeweils nur im Wortausklang voneinander abweichen. Wortanfang und Wortstamm werden jedoch im Verkehr regelmässig besonders beachtet, weshalb ihnen für die Beurteilung der kennzeichenrechtlichen
BGE 125 III 193 S. 202
Verwechslungsgefahr erhöhtes Gewicht beizumessen ist (vgl.
BGE 122 III 382
E. 5a S. 388). Aber auch vom Sinngehalt her erscheint die Anfangssilbe «Bud» in allen genannten Bezeichnungen als das prägende Element. Das zeigt sich besonders deutlich in den Wortkombinationen «Budvar» und «Budbräu»: Die Bestandteile «var» und «bräu» stehen als beschreibende Zusätze für das Brauerei-Erzeugnis Bier, während der Wortstamm «Bud» auf den Herstellungsort Budweis hinweist. Unter diesen Umständen liegt die Gedankenverbindung zwischen «BUD» und «Budweiser Bier» oder eben «Budbräu» nahe. «BUD» erscheint als Kürzel für «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu». Entgegen dem, was die Klägerin glauben zu machen sucht, hat das Wort «BUD» jedenfalls für Konsumenten, welche die Bezeichnungen «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» als Herkunftsangaben für Bier aus der tschechischen Stadt Budweis kennen, nicht den Charakter einer blossen Fantasiebezeichnung. Dass es im amerikanischen Alltagsenglisch die Bedeutung von «Freund, Kumpan» hat, dürfte den schweizerischen Markenadressaten kaum geläufig sein. Die Klägerin macht auch nicht geltend dass die Marke «BUD» sich im schweizerischen Verkehr durchgesetzt und dabei eine eigenständige Bedeutung erlangt hätte, die Verwechslungen mit dem Bier, das die Beklagte unter den Bezeichnungen «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu» vertreibt, zum vornherein ausschliessen würde (vgl. MARBACH, Markenrecht, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 69; DAVID, a.a.O., N. 54 zu
Art. 2 MSchG
). Für eine solche Verkehrsdurchsetzung finden sich denn in den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz auch keine Anhaltspunkte. Das Handelsgericht geht zwar davon aus, dass in schweizerischen Konsumentenkreisen aufgrund der Bezeichnung «BUD» mehrheitlich auf ein amerikanisches Bier geschlossen wird. Daraus lässt sich jedoch nichts zu Gunsten der Klägerin ableiten. Denn, wie das Handelsgericht im angefochtenen Urteil ebenfalls festhält, bringt ein wesentlicher Teil der schweizerischen Konsumenten auch die Bezeichnung «Budweiser» mit Amerika in Verbindung, weil weite Bevölkerungskreise das Bier der Klägerin aus Ferienaufenthalten in den Vereinigten Staaten oder aus der internationalen (Sport-) Werbung kennen.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Marke «BUD» geeignet ist, bei Konsumenten, denen die Bezeichnungen «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» als Herkunftsangaben für Bier aus der tschechischen Stadt Budweis bekannt sind, Fehlvorstellungen über
BGE 125 III 193 S. 203
die Herkunft des damit gekennzeichneten amerikanischen Biers der Klägerin auszulösen. Die Klägerin darf deshalb das Kurzzeichen «BUD» in der Schweiz ebenso wenig gebrauchen, wie die vollständige Bezeichnung «Budweiser». Dagegen ist auch mit dem Argument nicht aufzukommen, dass es noch andere Ortsbezeichnungen gibt, die mit «Bud» beginnen, wie dies die Klägerin unter Hinweis auf die ungarische Hauptstadt Budapest, die ungarische Ortschaft Budafolk, die tschechische Ortschaft Budisov, die rumänische Ortschaft Budesti und die belgische Ortschaft Budingen geltend macht. Die Klägerin behauptet nicht, dass ihr Bier in einer dieser Ortschaften hergestellt wird. Vor allem aber übersieht sie, dass die Marke «BUD», wenn sie zur Kennzeichnung von Bier verwendet wird, die Gedankenverbindung zu Budweis nahelegt, wo eine jahrhundertealte Brauerei-Tradition besteht.
Was für «BUD» gilt, trifft ohne weiteres auch auf die Marke «BUD King of Beers» zu. Denn für die Beurteilung der Verwechselbarkeit einer Marke mit geschützten Herkunftsangaben ist, wie im gesamten Kennzeichenrecht, stets vom Gesamteindruck auszugehen, den die Marke bei den massgebenden Verkehrskreisen hinterlässt (
BGE 122 III 369
E. 1 S. 370;
BGE 121 III 377
E. 2a S. 378, je mit Hinweisen). Der Gesamteindruck der Marke «BUD King of Beers» wird aber durch den Bestandteil «BUD» geprägt. Dass der englische Ausdruck «King of Beers» auf deutsch «König der Biere» bedeutet, ist in der Schweiz angesichts der verbreiteten, jedenfalls einen Grundwortschatz umfassenden Englischkenntnisse weiten Bevölkerungskreisen ohne weiteres klar; das Publikum fasst diesen Markenbestandteil deshalb als blossen werbemässigen Zusatz ohne eigene Kennzeichnungskraft auf. Auch die Marke «BUD King of Beers» ist daher mit den geschützten Herkunftsbezeichnungen «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» verwechselbar.
d) Das Handelsgericht hat somit die Marken «BUD» und «BUD King of Beers» zu Recht als nichtig erachtet und der Klägerin ihren Gebrauch zu Recht verboten. Da sich die entsprechenden Abwehransprüche der Beklagten bereits aus dem Schutz ergeben, den die Bezeichnungen «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» als Herkunftsangaben geniessen, braucht nicht abschliessend geprüft zu werden, ob die Beklagte sich auch auf markenrechtlichen Schutz berufen kann. Der Einwand der Klägerin, es handle sich um gemeinfreie Herkunftsbezeichnungen, die als Marken nicht schutzfähig seien, stösst ins Leere. Im Übrigen ist ohnehin fraglich, wieweit an ausländischen Herkunftsangaben, die im Ursprungsland selbst als
BGE 125 III 193 S. 204
Marken registriert sind, ein dem Markenschutz entgegenstehendes Freihaltebedürfnis bestehen kann, bleibt es doch jedem Land selbst vorbehalten, in eigener Verantwortung zu entscheiden, wieweit die eigenen geographischen Namen freihaltebedürftig sind (vgl.
BGE 117 II 327
E. 2b S. 331 f. sowie MARBACH, a.a.O., S. 53; DAVID, a.a.O., N. 23 zu
Art. 2 MSchG
und N. 6 vor
Art. 47 MSchG
).
e) Unbegründet ist schliesslich der Standpunkt der Klägerin, die Abwehransprüche der Beklagten seien verwirkt. Zwar ist grundsätzlich richtig, dass kennzeichenrechtliche Abwehransprüche untergehen können, wenn sie zu spät geltend gemacht werden. Der Verwirkungseinwand versagt jedoch da, wo über Individualinteressen hinaus auch Allgemeininteressen verletzt sind (VON BÜREN, Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, S. 201 N. 18; TROLLER, Immaterialgüterrecht, Bd. II, 3. Aufl. 1985, S. 759 Fn. 145). Bei geschützten Herkunftsbezeichnungen liegt es einerseits im allgemeinen Interesse aller am betreffenden Ort Ansässigen, einen Gebrauch dieser Bezeichnungen oder von damit verwechselbaren Zeichen durch Ortsfremde zu unterbinden. Anderseits gilt es zu verhindern, dass das Publikum durch einen derartigen unbefugten Zeichengebrauch irregeführt wird. Dieser Gesichtspunkt ist im Anwendungsbereich des zwischen Tschechien und der Schweiz geltenden bilateralen Abkommens auch dann zu berücksichtigen, wenn eine vom Listenschutz erfasste tschechische Herkunftsbezeichnung im Urteilszeitpunkt in der Schweiz noch weitgehend unbekannt ist, so dass noch keine konkrete Täuschungsgefahr besteht; denn die Gefahr einer Irreführung kann sich jederzeit aktualisieren, sobald die aufgrund des Abkommens ausschliesslich Berechtigten von der fraglichen Bezeichnung vermehrt Gebrauch machen. Die klägerischen Marken «BUD» und «BUD King of Beers» sind mit den geschützten Herkunftsbezeichnungen «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» verwechselbar. Sie sind deshalb - zumindest potentiell - irreführend im Sinne von
Art. 2 lit. c MSchG
. Irreführende Zeichen verlieren ihren täuschenden Charakter nur, wenn sie aufgrund einer eindeutigen Durchsetzung im schweizerischen Verkehr ausnahmsweise eine eigenständige Bedeutung erlangt haben, die aus der Sicht der Konsumenten im Laufe der Zeit derart in den Vordergrund getreten ist, dass Täuschungen praktisch ausgeschlossen werden können (MARBACH, a.a.O., S. 69; DAVID, a.a.O., N. 54 zu
Art. 2 MSchG
; vgl. auch
BGE 69 II 202
E. 6 S. 208). Eine Verkehrsdurchsetzung, die diesen Anforderungen genügen würde, ist aber weder für «BUD» noch für «BUD King of Beers» nachgewiesen.
BGE 125 III 193 S. 205
Eine Verwirkung der Abwehransprüche der Beklagten fällt daher ausser Betracht. Im Õbrigen wären ihre Voraussetzungen ohnehin nicht erfüllt. Insbesondere fehlt es am Nachweis, dass die Klägerin in berechtigtem Vertrauen darauf, dass die Beklagte ihren Markengebrauch dulden werde, einen wertvollen eigenen Besitzstand aufgebaut hätte (vgl.
BGE 117 II 575
ff., insbes. E. 4a S. 577 f. und E. 6 S. 584 f., mit Hinweisen). Das Handelsgericht hält in diesem Zusammenhang fest, die Klägerin weise zwar schon für die Zeit von 1984 bis 1990 steigende Verkaufszahlen aus; zu den wesentlichen Umsatzsteigerungen sei es jedoch nach den eingereichten Beweismitteln erst nach Anhebung der Widerklage gekommen; damit sei das Vorliegen eines wertvollen Besitzstandes zum damaligen Zeitpunkt fraglich und jedenfalls nicht nachgewiesen. Soweit diese Erwägungen tatsächliche Feststellungen enthalten, ist das Bundesgericht als Berufungsinstanz daran gebunden, zumal die Klägerin diesbezüglich keine hinreichend substanzierten Sachverhaltsrügen im Sinne von
Art. 63 Abs. 2 oder
Art. 64 OG
erhebt (vgl.
BGE 115 II 484
E. 2a S. 485 f., mit Hinweisen). Inwiefern das Handelsgericht den bundesrechtlichen Begriff des wertvollen Besitzstandes verkannt haben soll, ist sodann weder dargetan noch ersichtlich. Die Vorinstanz hat für die Frage, ob ein wertvoller Besitzstand gegeben ist, zu Recht nicht auf den Urteilszeitpunkt abgestellt, wie dies der Klägerin vorschwebt. Sie hat die Umsatzsteigerungen, welche die Klägerin erst nach Einreichung der Widerklage erzielt hat, richtigerweise nicht mehr berücksichtigt. Denn spätestens, als sich die Klägerin mit der Widerklage konfrontiert sah, konnte sie in guten Treuen nicht mehr davon ausgehen, dass die Beklagte den Gebrauch der Marken «BUD» und «BUD King of Beers» für amerikanisches Bier dulden werde.
f) Die Berufung der Klägerin erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen. Das angefochtene Urteil ist in Bezug auf die Gutheissung der Widerklage zu bestätigen.
2.
Das Handelsgericht hält die Marke «Bud» der Beklagten wegen Nichtgebrauchs für ungültig. Das Unterlassungsbegehren der Klägerin erachtet es als begründet, weil unter «Bud» in schweizerischen Konsumentenkreisen mehrheitlich «amerikanisches Budweiser» verstanden werde, so dass bei einer Verwendung des Zeichens für das tschechische Bier der Beklagten in naher Zukunft Fehlzurechnungen gewiss wären, womit einerseits die Abnehmer irregeführt und anderseits die Marktstellung der Klägerin ausgebeutet würde. Die Beklagte vertritt in ihrer Berufung den Standpunkt,
BGE 125 III 193 S. 206
sowohl für die Nichtigerklärung der Marke als auch für das vom Handelsgericht ausgesprochene Verbot ihrer Verwendung fehle eine Rechtsgrundlage.
a) Wie die Vorinstanz im angefochtenen Urteil verbindlich feststellt, hat die Beklagte die Marke «Bud» in dieser Form in der Schweiz nie verwendet. Nach
Art. 12 Abs. 1 MSchG
fällt der Markenschutz dahin, wenn die Inhaberin einer Marke sie während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht gebraucht. Wird der Gebrauch nach mehr als fünf Jahren erstmals oder erneut aufgenommen, lebt das Markenrecht wieder auf, sofern vor dieser Gebrauchsaufnahme niemand den Nichtgebrauch geltend gemacht hat (
Art. 12 Abs. 2 MSchG
). Zur Geltendmachung des Nichtgebrauchs ist grundsätzlich jedermann befugt; ein spezieller Interessennachweis ist nicht erforderlich, da das allgemeine Interesse, bei der freien Zeichenbildung nicht durch zufolge Nichtgebrauchs ungültige Marken behindert zu werden, in der Regel genügt (vgl. MARBACH, a.a.O., S. 188; abweichend DAVID, a.a.O., N. 14 zu
Art. 12 MSchG
). Ausnahmsweise kann ein Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerklärung jedoch dann fehlen, wenn die Opponentin das fragliche Zeichen oder ein diesem ähnliches Zeichen schon aus anderen Gründen selbst gar nicht benutzen kann oder benutzen darf, so dass für sie die Markeneintragung zum vornherein keine weitere Behinderung in der freien Zeichenbildung bewirken kann (vgl. DAVID, a.a.O.; abweichend MARBACH, a.a.O.). In einem solchen Fall kann der Nichtgebrauch nur geltend gemacht werden, wenn die Opponentin aufgrund besonderer Umstände dennoch ein schutzwürdiges Interesse daran hat, ein Wiederaufleben des zufolge Nichtgebrauchs untergegangenen Markenrechts zu verhindern.
Da die Klägerin von der Verwendung des Zeichens «BUD» ohnehin schon wegen dessen Verwechselbarkeit mit den geschützten Herkunftsbezeichnungen «Budweiser» und «Budvar» bzw. «Budbräu» ausgeschlossen ist, lässt sich ihre Legitimation zur Geltendmachung des Nichtgebrauchs der beklagtischen Marke «Bud» nicht bereits aus ihrem allgemeinen Interesse an einer freien Zeichenbildung ableiten; sie setzt nach dem Gesagten vielmehr das Bestehen anderweitiger schutzwürdiger Interessen voraus. In diesem Zusammenhang weist das Handelsgericht darauf hin, dass für die Klägerin offensichtlich ein Interesse bestehe, die Ergebnisse des getätigten Werbeaufwands für ihr Bier zu sichern, um dessen Marktwert unter einer abgewandelten Bezeichnung weiterhin nutzen zu können. Die Marktstellung, die das klägerische Bier in der Schweiz unter der
BGE 125 III 193 S. 207
Marke «BUD» erlangt hat, beruht jedoch auf einem unbefugten Markengebrauch. Das Interesse der Klägerin an der Erhaltung dieser Marktstellung erscheint daher nicht schutzwürdig. Es kann als Legitimationsgrundlage nicht in Betracht kommen. Das Handelsgericht hätte die Nichtigkeitsklage der Klägerin mangels eines hinreichenden Rechtsschutzinteresses abweisen müssen. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob das Handelsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Beklagte ihre Marke «Bud» nicht gebraucht hat, oder ob im Gebrauch der Zeichen «Budweiser», «Budvar» und «Budbräu» allenfalls auch ein Gebrauch der Marke «Bud» zu sehen wäre, wie dies die Beklagte im kantonalen Verfahren geltend gemacht hat.
b) Den von der Klägerin eingeklagten Unterlassungsanspruch hat das Handelsgericht gestützt auf
Art. 3 lit. d UWG
bejaht. Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer Massnahmen trifft, die geeignet sind, Verwechslungen mit den Waren, Werken, Leistungen oder dem Geschäftsbetrieb eines andern herbeizuführen. Damit soll verhindert werden, dass die Wertschätzung, die das Angebot eines Mitbewerbers bei den Konsumenten geniesst, auf unlautere Weise für die Vermarktung eigener Waren ausgenutzt wird (vgl. VON BÜREN, a.a.O., S. 50 N. 28). Dieser Schutz gegen Ausnutzung setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass überhaupt eine schutzwürdige Marktposition gegeben ist (vgl. PEDRAZZINI/VON BÜREN/MARBACH, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, S. 214 Rz. 884).
Die Klägerin hat ihre Marktstellung in der Schweiz mit Hilfe eines unbefugten Markengebrauchs aufgebaut. Würde der Beklagten der Gebrauch des Zeichens «Bud» verboten, so würde dies auf den Schutz einer von der Klägerin widerrechtlich erworbenen Marktposition hinauslaufen. Das kann nicht Sinn und Zweck des UWG sein. Das Wettbewerbsrecht vermag deshalb entgegen der Auffassung des Handelsgerichts keine Grundlage für ein derartiges Verbot abzugeben. Unter diesen Umständen wäre auch nichts Anstössiges darin zu sehen, wenn der Beklagten bei einer Aufnahme des Gebrauchs der Marke «Bud» bis zu einem gewissen Grade die Werbeanstrengungen zugute kommen sollten, welche die Klägerin zur Lancierung ihrer mit geschützten Herkunftsbezeichnungen verwechselbaren Marken «BUD» und «BUD King of Beers» in der Schweiz unternommen hat.
Dies bedeutet indessen nicht, dass die Beklagte
Art. 3 lit. d UWG
überhaupt nicht mehr zu beachten hätte. Der Umstand, dass die Klägerin ihre Marktposition in der Schweiz mit Hilfe eines unbefugten
BGE 125 III 193 S. 208
Markengebrauchs aufgebaut hat, befreit die Beklagte nicht davon, das ihr Zumutbare vorzukehren, um Fehlzurechnungen zu verhindern. Sie ist deshalb zunächst auf ihrer Bereitschaft zu behaften, die Marke «Bud» nur unter deutlichem Hinweis auf die tschechische Herkunft ihres Biers zu verwenden. Eine solche Abgrenzung zur Klägerin ist schon deshalb angezeigt, weil einem erheblichen Teil der schweizerischen Markenadressaten die Verbreitung der Marke «BUD» der Klägerin im Ausland, namentlich in Nordamerika, bekannt ist. Diese Sachlage begründet ein Allgemeininteresse daran, dass das Bier der Beklagten von jenem der Klägerin, wie es im Ausland angeboten wird, hinreichend unterscheidbar ist. Aus dem gleichen Grund hat die Beklagte eine über den blossen Gebrauch ihrer Marke «Bud» hinausgehende Annäherung an das Angebot der Klägerin auch sonst zu vermeiden. Insbesondere liesse es sich nicht rechtfertigen, wenn die Beklagte sich beim Gebrauch des Zeichens «Bud» systematisch und gezielt an die von der Klägerin verwendeten Warenausstattungen anlehnen würde (vgl.
BGE 103 II 211
ff.).
c) Das Handelsgericht hat die beklagtische Marke «Bud» zu Unrecht als nichtig erklärt und der Beklagten ihren Gebrauch zu Unrecht generell verboten. Die Berufung der Beklagten ist insoweit gutzuheissen, als in Abänderung des angefochtenen Urteils das Nichtigkeitsbegehren der Klägerin abzuweisen und der Beklagten der Gebrauch ihrer Marke «Bud» zu erlauben ist, sofern sie dabei deutlich auf die tschechische Herkunft ihres Biers hinweist. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a60ab7cb-38b9-4afd-bddf-d7bf9f1ac5dd | Urteilskopf
94 IV 1
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. März 1968 i.S. Flachsmann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
Untauglicher Versuch zu falschem Zeugnis.
1.
Art. 23 Abs. 1 StGB
. Von dieser Bestimmung auszunehmende Versuchshandlungen. Die Begriffe Mittel und Gegenstand sind weit, dem Schuldstrafrecht entsprechend auszulegen (Erw. a).
2.
Art. 307 Abs. 1 StGB
. Falsche Zeugenaussage: Als Objekt der Handlung hat im Falle einer rogatorischen Einvernahme nicht nur der Richter, für den die Aussage bestimmt ist, sondern auch die Amtsperson zu gelten, welche den Zeugen abhört (Erw. b und c). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 94 IV 1 S. 1
A.-
Das Bezirksgericht Baden verurteilte Flachsmann am 18. Januar 1967 zu sechs Wochen Gefängnis, weil er am 28. Juni 1965 anlässlich einer rogatorischen Einvernahme vor dem Gerichtspräsidium Baden als Zeuge falsch ausgesagt habe.
Im Frühjahr 1967 erfuhr sein Anwalt, dass Flachsmann am 28. Juni 1965 nicht durch den Gerichtspräsidenten, sondern durch den Gerichtsschreiber einvernommen worden war. Der Verurteilte ersuchte daraufhin um Wiederaufnahme des Strafverfahrens.
BGE 94 IV 1 S. 2
B.-
Das Obergericht des Kantons Aargau wies das Gesuch am 12. Januar 1968 mit der Begründung ab, das Bezirksgericht Baden habe zwar gewusst, dass der Zeuge durch den Gerichtsschreiber einvernommen worden sei, dagegen habe es übersehen, dass eine solche Einvernahme nach dem kantonalen Prozessrecht ungültig sei; insofern liege eine neue Tatsache vor, die aber nicht zur Freisprechung des Gesuchstellers führen könne. Flachsmann sei bei seiner Einvernahme durch den Gerichtsschreiber keineswegs der Meinung gewesen, er stehe vor einer unzuständigen Amtsperson; subjektiv habe er vielmehr gehandelt wie jemand, der vor dem zuständigen Richter absichtlich falsch aussage, weshalb er auf jeden Fall wegen untauglichen Versuchs zu falschem Zeugnis zu bestrafen sei.
C.-
Flachsmann führt gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, ihm die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 307 Abs. 1 StGB
wird bestraft, wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge zur Sache falsch aussagt. Welche Amtspersonen im kantonalen Verfahren Zeugen einvernehmen dürfen und wer als Zeuge abgehört werden darf, bestimmt das kantonale Recht. Nach diesem beurteilt sich auch, welche Formen bei der Einvernahme eines Zeugen zu beachten sind und ob Zeugenaussagen, die unter Verletzung von Form- oder Zuständigkeitsvorschriften zustande kommen, als ungültig zu gelten haben. Ergibt sich, dass das kantonale Recht deswegen eine Aussage als ungültig erklärt, so liegt objektiv überhaupt kein Zeugnis, folglich auch keine strafbare Handlung im Sinne von
Art. 307 StGB
vor, wenn ein Zeuge falsch aussagt (vgl.
BGE 69 IV 222
,
BGE 71 IV 43
).
Fragen kann sich nur, ob diesfalls wenigstens ein untauglicher Versuch zu einem falschen Zeugnis anzunehmen sei. Diese Frage wurde in den angeführten Entscheiden weder erörtert noch aufgeworfen. Sie wurde auch in den Urteilen
BGE 80 IV 122
und
BGE 85 IV 30
, die andere Sachverhalte betrafen, nicht berührt; dort hatte der Kassationshof lediglich zu entscheiden, ob der Zeuge, der seine falsche Aussage vor Beendigung der
BGE 94 IV 1 S. 3
Einvernahme zurücknimmt oder berichtigt, wegen Versuchs zu falschem Zeugnis zu bestrafen,
Art. 21 StGB
also anwendbar sei. Hier aber geht es um die Anwendung von
Art. 23 Abs. 1 StGB
.
a) Nach dieser Bestimmung ist der Versuch untauglich, welcher an einem Gegenstand oder mit einem Mittel ausgeführt wird, an oder mit dem die Tat überhaupt nicht ausgeführt werden könnte. Damit sind Handlungen mit Mitteln oder an Objekten, die sich bloss unter den besonderen Umständen des Einzelfalles, nicht aber zum vorneherein als untauglich erweisen, von der Regel des
Art. 23 StGB
ausgeschlossen; sie sind als gewöhnliche Versuchshandlungen nach
Art. 21 oder 22 StGB
zu beurteilen (
BGE 78 IV 147
,
BGE 80 IV 179
). Von der Regel des Art. 23 auszunehmen sind ferner Handlungen, die den angestrebten Erfolg nicht wegen der Untauglichkeit des Tatmittels oder des Tatobjektes, sondern aus einem andern Grunde nicht herbeiführen können (
BGE 70 IV 77
Erw. 1); sie sind strafrechtlich unerheblich und deshalb von den Versuchsvorschriften überhaupt ausgeschlossen. Das gilt insbesondere von der Begehung einer Tat durch ein untaugliches Subjekt. Wer z.B. als Zeuge falsch aussagt, nicht aber als solcher abgehört werden darf, kann nicht wegen untauglichen Versuchs bestraft werden, sondern bleibt straffrei.
Die Begriffe des Tatmittels und Tatobjektes, die auf ältere Strafrechtslehren zurückgehen, sind weit auszulegen. Was darunter im Einzelfall zu verstehen ist, hängt von der versuchten Straftat und dem gesamten Vorgehen des Täters gegen das geschützte Rechtsgut ab. Fehlt das Angriffsobjekt, so ist Versuch an einem untauglichen Gegenstand anzunehmen (
BGE 74 IV 66
Erw. 1). Zu beachten ist zudem, dass der untaugliche Versuch seiner subjektiven Merkmale wegen von Bedeutung ist. Der Täter wird bestraft, weil seine Tätigkeit nach seiner Vorstellung und nach seinem durch äusseres Verhalten deutlich bekundeten Willen einen verbrecherischen Erfolg haben soll, aus ihm unbekannten Gründen dazu aber nicht taugt (
BGE 71 IV 211
). Ob sein Irrtum sich auf die Beschaffenheit des Tatmittels, auf die tatsächliche oder rechtliche Tauglichkeit des Tatobjektes oder auf den Kausalzusammenhang bezieht, ist gleichgültig (vgl. insbes. GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, S. 19 und 66 ff.; SCHULTZ, Die versuchte strafbare Handlung, S. 23).
BGE 94 IV 1 S. 4
b) Die falsche Zeugenaussage des Beschwerdeführers war für das Bezirksgericht Untertoggenburg bestimmt, das sich mit der Scheidungsklage der Frau X. zu befassen hatte. Als Angriffsobjekt im Sinne von
Art. 23 Abs. 1 StGB
kommt daher vor allem dieses Gericht in Frage, dessen Urteil der Beschwerdeführer zugunsten der Klägerin beeinflussen wollte. Dass das falsche Zeugnis mit der Beendigung der Aussage vollendet ist (
BGE 69 IV 216
,
BGE 80 IV 123
), seine Strafbarkeit folglich nicht davon abhängt, ob es den Ausgang des Prozesses irgendwie beeinflusse oder dem Sachrichter überhaupt bekannt wird, steht dem nicht entgegen. Mit Tatobjekt und Tatmittel sind stets bloss Voraussetzungen, nicht Folgen der Tat gemeint. Ob das Gesetz den verpönten Erfolg ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal aufführt oder nicht, es sich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt oder um ein eigentliches Erfolgsdelikt handelt, ist daher für die Frage nach dem Tatobjekt nicht entscheidend.
Als Objekt der Handlung kommt in Fällen, wie hier, aber auch die Amtsperson in Betracht, welche einen Zeugen auf ein Rechtshilfegesuch hin abzuhören hat. Ein pflichtbewusster Richter begnügt sich diesfalls nicht damit, dem Zeugen die im Gesuch enthaltenen Fragen zu stellen und die Antworten im Protokoll festzuhalten. Er gibt sich über die Glaubwürdigkeit des Zeugen vielmehr persönlich Rechenschaft, würdigt die Aussagen vorläufig und berücksichtigt den dabei gewonnenen Eindruck bei weiteren Fragen. Die Tätigkeit des Zeugen, der wie der Beschwerdeführer falsch aussagt, um eine Prozesspartei zu begünstigen, richtet sich daher nicht nur gegen den Sachrichter, sondern auch gegen den Einvernehmenden. Bei einem Gericht, das aus mehreren Richtern besteht, die Einvernahme von Zeugen aber einem davon überlässt, verhält es sich übrigens nicht anders. Im einen wie im andern Falle täuscht der Zeuge mit falschen Aussagen notwendigerweise auch die Person, die ihn abhört. Es besteht kein sachlicher Grund, solche Fälle unter schuldstrafrechtlichen Gesichtspunkten verschieden zu behandeln.
c) Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer absichtlich als Zeuge falsch ausgesagt. Laut seinen eigenen Angaben hatte er es zudem darauf abgesehen, das Bezirksgericht Untertoggenburg und damit auch das Bezirksgericht Baden, welches die Einvernahme durchzuführen hatte, über seine Beziehungen zu Frau X. zu täuschen. Seine Aussage
BGE 94 IV 1 S. 5
war ungültig, weil er durch eine Person abgehört wurde, die dazu nach dem in Frage stehenden Verfahrensrecht nicht befugt war. Er wusste das zur Zeit der Einvernahme nicht, sondern sagte aus, wie wenn er vor einem zuständigen Richter stände. Nach den vorstehenden Ausführungen bezog sich sein Irrtum somit bloss auf die rechtliche Tauglichkeit des unmittelbaren Objektes seiner Handlung. Trifft dies aber zu, so wirft ihm das Obergericht mit Recht vor, sich des untauglichen Versuches zu falschem Zeugnis schuldig gemacht zu haben. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a60afced-63f3-4cce-bf5e-7ab975e21618 | Urteilskopf
109 Ia 304
52. Sentenza 4 marzo 1983 della II Corte di diritto pubblico nella causa Usego S.A. contro Camera di diritto tributario del Tribunale di appello del Cantone Ticino e Dipartimento delle finanze del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Art. 46 Abs. 2 BV
, Doppelbesteuerungsverbot; kantonale Stempelsteuer auf Rechnungen.
Ein Kanton kann eine nach dem Wert bemessene Stempelsteuer auf den auf seinem Gebiet ausgestellten Rechnungen erheben und zwar unabhängig von anderen, das gleiche Rechtsverhältnis betreffenden Dokumenten (wie Vertrag, Lieferschein, Quittung etc.). Rechnungsstellung ist nicht schon das blosse Abschreiben von Daten. Wenn in einem ausserkantonalen Rechenzentrum einer ausserkantonalen Firma eine Rechnung auch ausschliesslich anhand von Daten, die ihre Tessiner Filiale über ihre Lieferung übermittelt, ausgestellt wird, findet deren Redaktion ausserhalb des Tessins statt, d.h. im Rechenzentrum, wo die Daten miteinander nach dem von der Firma vorgegebenen Rechnungsstellungsprogramm verknüpft werden, wo Rabatte und Verrechnungen abgezogen werden und die Aufforderung zur Zahlung eines bestimmten Betrages innert einer bestimmten Zahlungsfrist formuliert wird. | Sachverhalt
ab Seite 305
BGE 109 Ia 304 S. 305
Il Dipartimento delle finanze del Cantone Ticino ha intimato il 25 marzo 1977 alla società anonima Usego una notifica di contravvenzione per il mancato prelievo dell'imposta ticinese di bollo su taluni bollettini di consegna rilasciati alla ditta Gentile di Lugano. Il 7 aprile 1977 la Usego S.A. ha presentato le proprie giustificazioni, contestando essenzialmente la base legale per la riscossione dell'imposta sui bollettini di consegna. Con lettera del 7 giugno 1977 il Dipartimento delle finanze si è dichiarato d'accordo di esentare i bollettini, purché fossero assoggettate al bollo le fatture complessive emesse in un secondo tempo. Il 6 settembre 1977 il Dipartimento ha sostituito la notifica di contravvenzione del 24 marzo, al che la Usego S.A. ha formulato nuove osservazioni il 12 settembre 1977. Il 26 maggio 1978 il Dipartimento delle finanze ha emanato la propria decisione e applicato una sanatoria di Fr. 473.-- a carico della Usego S.A. per non avere questa riscosso i diritti di bollo ammontanti a Fr. 43.-- su 25 fatture inviate nel corso del 1974 alla ditta Gentile.
Insorta il 20 giugno 1978 alla Camera di diritto tributario del Tribunale di appello, la società anonima Usego ha eccepito che le 25 fatture, pur riguardando consegne effettuate dalla succursale di Bironico, erano state allestite dal centro contabile della società a Olten e Zurigo. Esse sfuggivano, di conseguenza, alla legislazione ticinese sul bollo e la decisione impugnata doveva essere annullata. La corte cantonale ha respinto il ricorso il 17 luglio 1979, dopo aver osservato che l'imponibilità di una fattura non dipende soltanto dal luogo ov'essa è redatta ma anche dalla prestazione economica su cui essa si fonda, quanto meno finché il diritto di bollo non entra in conflitto con la legislazione di altri Cantoni. I giudici hanno rilevato inoltre che i bollettini di consegna e le distinte di fornitura (indicanti quantità e valore della merce) precedenti il recapito delle fatture costituivano, già di per sé, documenti assoggettabili all'imposta di bollo.
BGE 109 Ia 304 S. 306
La società anonima Usego ha introdotto il 10 settembre 1979 un ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale in cui invoca il divieto della doppia imposizione e lamenta un'interpretazione arbitraria della legge sul bollo. Ricordando come il fisco ticinese abbia rinunciato a imporre i bollettini di consegna rilasciati dalla succursale di Bironico alla ditta Gentile, essa ribadisce che l'autorità cantonale non ha alcun diritto di percepire imposte su fatture redatte fuori dai confini ticinesi. Il Dipartimento delle finanze obietta che il luogo d'emissione delle fatture è Bironico e che queste sono state puramente trascritte a Olten e Zurigo: l'assunto ricorsuale contrasterebbe del resto con i principi della buona fede e dell'uguaglianza di trattamento. La Camera di diritto tributario del Tribunale di appello condivide la risposta dell'autorità fiscale, si riconferma nel proprio giudizio e propone di respingere il ricorso.
Il 21 novembre 1979 il Presidente della II Corte di diritto pubblico del Tribunale federale ha conferito al gravame effetto sospensivo. Il 21 dicembre 1982 ha ordinato un complemento d'istruttoria.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
a) La ricorrente chiede che si annulli la sentenza impugnata e che si accerti l'esenzione delle fatture dall'imposta ticinese di bollo. Quest'ultima conclusione non è ammissibile. Il ricorso di diritto pubblico ha, per principio, funzione meramente cassatoria e non può tendere - tranne eccezioni che qui non ricorrono (cfr.
DTF 105 Ia 28
consid. 1) - all'adozione di misure positive (
DTF 108 Ia 199
consid. 1,
DTF 107 Ia 129
consid. 1b e 219 consid. 1b).
b) Nel ricorso in esame si danno per riprodotte le allegazioni inoltrate al Dipartimento delle finanze e alla Camera di diritto tributario. Tali rimandi, come ha ripetutamente stabilito la giurisprudenza, non ottemperano ai requisiti dell'
art. 90 cpv. 1 lett. b OG
e non sono quindi proponibili (
DTF 99 Ia 346
consid. 4 e 593 consid. 3,
DTF 96 I 14
consid. 1; BORGHI, Giurisprudenza amministrativa ticinese, pag. 435 n. 966).
2.
a) Il divieto della doppia imposizione (
art. 46 cpv. 2 Cost.
) osta all'affermazione di due sovranità fiscali sullo stesso oggetto imponibile (
DTF 107 Ia 42
consid. 1a con rinvii). Inoltre, se un Cantone legittimato a tassare un oggetto rinuncia all'esazione o
BGE 109 Ia 304 S. 307
prescinde dall'imposta per carenza di base legale, ciò non autorizza un altro Cantone a tassare il medesimo oggetto (
DTF 104 Ia 252
consid. 1; BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3a edizione, pag. 78; LOCHER in: Die Praxis der Bundessteuern, III parte, vol. I, § 1 III B n. 1; SCHLUMPF, Bundesgerichtspraxis zum Doppelbesteuerungsverbot, 3a edizione, pag. 27).
b) Il Tribunale federale, statuendo su un ricorso di diritto pubblico in materia di doppia imposizione (
art. 46 cpv. 2 Cost.
), decide liberamente quale sia il Cantone legittimato a riscuotere una determinata imposta e in che modo debba essere operato un eventuale riparto intercantonale (ASA 41 pag. 346 consid. 2, 36 pag. 500; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4a edizione, pag. 160 n. 295; CHEDA, La giurisprudenza del Tribunale federale svizzero nei ricorsi per arbitrio, in: Rivista di diritto tributario ticinese, RTT, 1968 pag. 73). Per contro, l'applicazione e l'interpretazione del diritto tributario cantonale sono vagliate con cognizione limitata all'arbitrio (
DTF 106 Ia 61
consid. 2 con citazioni,
DTF 105 Ia 191
consid. 2a).
c) Il diritto di bollo che un Cantone preleva in proporzione al valore dell'atto raffigura, per consolidata prassi, un'imposta soggetta al divieto dell'
art. 46 cpv. 2 Cost.
(
DTF 94 I 443
consid. 3 con riferimenti). L'imposta ticinese sulle fatture è percepita in proporzione al valore del documento: l'art. 16 della legge sul bollo del 16 giugno 1966 (LB) dispone invero che
1 Al momento dell'emissione le fatture e le ricevute devono essere munite di una marca da bollo:
da cent. 50 quando il valore supera Fr. 100.-- e non Fr. 1000.--;
da cent. 100 quando il valore supera Fr. 1000.-- e non Fr. 2000.--;
da cent. 200 quando il valore supera i Fr. 2000.--.
2 ...
(testo vigente fino al 28 ottobre 1975, v. BU 1966 pag. 407).
Il Tribunale federale esamina liberamente, pertanto, se le fatture emesse dalla ricorrente soggiacciono alla sovranità fiscale ticinese; nell'affermativa si atterrà a un sindacato d'arbitrio dovendo giudicare l'applicazione e l'interpretazione della legge ticinese sul bollo.
3.
La stesura delle 25 fatture che l'autorità tributaria ritiene soggette al bollo cantonale è avvenuta presso il centro elettronico della società ricorrente, a Olten e/o Zurigo. La succursale di Bironico, prima di far recapitare una fattura, ha rilasciato alla ditta Gentile, per ogni fornitura, un bollettino di consegna
BGE 109 Ia 304 S. 308
compilato sul posto; al bollettino è seguito ogni volta l'invio di una "distinta di fornitura" (allestita dal centro elettronico), indicante quantità, prezzo unitario e prezzo complessivo della merce. Le fatture hanno raggruppato, a scadenze regolari, tutte le consegne di un determinato periodo contabile con riferimento alle varie distinte di fornitura. Talvolta le merci ordinate dalla ditta Gentile sono giunte direttamente dalla Svizzera tedesca, spedite dal produttore (Conserve Hero a Lenzburg, Uova Lüchinger S.A. a Basilea, Pilz-Konserven AG a Pratteln). In questi casi la succursale di Bironico non ha emesso bollettini di consegna né ha fatto seguire distinte di fornitura: quantità e prezzo delle merci figurano su bollettini di consegna e fatture (pagabili alla Usego S.A. di Olten) redatte dagli stessi produttori. Queste ultime fatture sono richiamate, con il numero d'ordine e l'importo complessivo, nelle fatture periodiche preparate dal centro elettronico Usego.
4.
a) La riscossione di diritti di bollo proporzionali all'ammontare delle fatture non trova precedenti nelle sentenze del Tribunale federale. Per determinare quale sia il Cantone legittimato a simile prelievo v'è da chiedersi anzitutto se l'imposta ad valorem colpisca la confezione del documento come tale o il rapporto giuridico attestato dal documento. Nella prima ipotesi, infatti, i diversi documenti relativi allo stesso rapporto giuridico (contratto, fattura, ricevuta ecc.) costituirebbero singoli oggetti d'imposta assoggettabili a sovranità fiscali differenti; nella seconda evenienza, invece, il rapporto giuridico contenuto nel documento configurerebbe un unico oggetto imponibile, appartenente a una sola sovranità fiscale.
La giurisprudenza inerente al divieto della doppia imposta per i diritti cantonali di bollo commisurati al valore dell'atto si è espressa dapprima a favore della seconda variante. Pronunciandosi sulle tassazioni di una lettera di vettura e di un riconoscimento di debito, il Tribunale federale ha stabilito a suo tempo che il bollo non colpisce il documento in sé, ma il rapporto giuridico risultante dal documento (
DTF 32 I 283
,
DTF 71 I 325
). In seguito ha precisato, circa la tassazione di contratti, che il rapporto giuridico è imposto attraverso il documento e che il diritto all'imposta nasce soltanto con l'erezione del documento stesso (
DTF 72 I 83
,
DTF 81 I 22
). Due successive sentenze (
DTF 86 I 219
e
DTF 89 I 459
) pongono in primo piano la documentazione del contratto, senza più menzionare la tassazione del rapporto giuridico che emerge dal documento. Un accenno in questo senso ricompare, di transenna, nella sentenza
BGE 109 Ia 304 S. 309
pubblicata in ASA 34 pag. 216, mentre un giudizio più recente, riprodotto in ASA 36 pag. 497, allude alla sola documentazione del contratto come oggetto d'imposta. L'ultima sentenza concernente la bollatura di documenti (si trattava ancora di un contratto:
DTF 94 I 441
) ritorna alla formulazione iniziale e indica di nuovo come oggetto d'imposta il rapporto giuridico risultante dal documento.
b) L'indirizzo giurisprudenziale ripreso nella sentenza appena citata non deve essere seguito oltre. Come IRENE BLUMENSTEIN ravvisa giustamente nel saggio "Kantonale Stempelabgaben und Doppelbesteuerungsverbot" (apparso in ASA 32 pag. 447 segg., in particolare pag. 462 segg.), l'esazione di diritti di bollo ad valorem da parte di un Cantone va considerata una vera e propria imposta sul documento, che colpisce la confezione dell'atto. L'applicazione del bollo non dipende in realtà dal rapporto giuridico sostanziale alla base dell'atto, ma dalla forma che il rapporto giuridico assume. Tale imposta costituisce un tributo prettamente formale, svincolato dalle cause e dai motivi che hanno indotto le parti a redigere il documento, dallo scopo ch'esse intendono conseguire con quest'ultimo o dagli effetti che scaturiscono dall'atto medesimo. Dandosi il caso quindi, gli svariati documenti relativi a uno stesso rapporto giuridico possono ricadere sotto sovranità fiscali di Cantoni diversi. Gioverà rilevare, a titolo comparativo, che anche per il diritto ticinese l'imposta di bollo raffigura un'autentica imposta sul documento gravante sia i contratti, sia le fatture, sia le ricevute (art. 1 lett. a e c, art. 5 segg. e art. 16 segg. LB).
5.
a) Premessa l'imponibilità delle fatture indipendentemente da altri documenti riguardanti lo stesso rapporto giuridico, resta da appurare - sempre sotto il profilo della doppia imposta - quale sia il Cantone autorizzato a riscuotere diritti di bollo sulle 25 fatture in questione. La prassi del Tribunale federale ha costantemente ripetuto, in proposito, che il diritto di percepire l'imposta nasce con la confezione dell'atto e che la facoltà di procedere alla tassazione del documento compete al solo Cantone sul cui territorio il documento è stato allestito, cioè redatto e - ove occorra - firmato per ultimo (
DTF 72 I 85
,
DTF 81 I 24
,
DTF 86 I 222
consid. 1b,
DTF 89 I 459
; ASA 34 pag. 219 consid. 2, 36 pag. 500 consid. 2;
DTF 94 I 443
consid. 3). Questa norma di collegamento, pur restando soggetta alla libera disponibilità dei contribuenti, risponde alla natura formalistica dell'imposta di bollo che
BGE 109 Ia 304 S. 310
prescinde da considerazioni d'ordine sostanziale sul rapporto giuridico attestato dalle parti o sui motivi che hanno condotto le stesse alla redazione del documento (IRENE BLUMENSTEIN, op.cit., pag. 467).
Dal carteggio processuale non si evince con precisione se le 25 fatture in discorso siano state stilate a Olten e/o Zurigo. È pacifico nondimeno ch'esse non sono state allestite nel Ticino, per cui sfuggono alla sovranità fiscale ticinese; del resto la stessa legge sul bollo dichiara soggiacere all'imposta le sole fatture "emesse nel Cantone" (art. 1 lett. c LB). Poco importa che i Cantoni Soletta e Zurigo non conoscano diritti di bollo sulle fatture: tale circostanza, come si è già illustrato (consid. 2a), non provoca in alcun modo l'evizione della loro sovranità fiscale.
b) I giudici di secondo grado affermano che la sovranità fiscale su di un documento non va definita in base a criteri esclusivamente territoriali e che, in taluni casi, non si deve ignorare l'appartenenza economica del rapporto giuridico a un determinato Cantone; ciò soprattutto quando la preparazione di un documento in un Cantone piuttosto che in un altro sia dovuta soltanto all'impiego - come in concreto - di un elaboratore elettronico. L'assunto non può essere seguito senza riserve. Vero è che, in circostanze particolari, la norma di collegamento predetta può rivelarsi inapplicabile, segnatamente ove sia dimostrato il proposito di evadere l'imposta tramite una deliberata stesura del documento fuori Cantone. Non risulta, però, che alla ricorrente sia mai stata imputata l'intenzione di eludere l'imposta di bollo. Per quanto attiene all'uso di un elaboratore elettronico nella preparazione delle fatture, la ricordata norma di collegamento non può essere disattesa. Decisivo appare, di conseguenza, il luogo di redazione dell'atto, ritenuto tuttavia che alla redazione non è equiparabile la semplice copiatura di dati. L'autorità fiscale assevera che le 25 fatture controverse sono state puramente trascritte dal centro elettronico in base ai bollettini di consegna già staccati nel Cantone Ticino: con il calcolatore della ricorrente non si sarebbe attuata, dunque, alcuna opera di redazione. Il rilievo non può essere condiviso. Anche una fattura emessa dal centro contabile extracantonale di una ditta con sede fuori Cantone secondo un programma accreditato dalla ditta stessa e sulla sola scorta dei dati trasmessi da una succursale ticinese sulle proprie forniture, infatti, si considera redatta oltre Cantone (cioè presso il centro extracantonale) se i dati sono inseriti in un programma di
BGE 109 Ia 304 S. 311
rendiconto contabile, se sono detratti ribassi e compensazioni ed è formulato l'invito a pagare una certa somma entro una determinata scadenza. Ciò vale a maggior ragione quando, come nel caso in esame, il centro contabile includa nella medesima fattura dati di forniture effettuate da terzi con domicilio o sede fuori Cantone. Ne discende che le 25 fatture in contestazione non sottostanno alla sovranità fiscale ticinese. In questa prospettiva il ricorso di diritto pubblico riesce fondato e la decisione impugnata incorre nell'annullamento.
6.
La corte cantonale aggiunge abbondanzialmente che, nell'ipotesi in cui le 25 fatture emesse dalla ricorrente fossero sottratte alla tassazione ticinese, il bollo cantonale dovrebbe essere pagato sui bollettini di consegna, i quali a loro volta sono assimilabili a fatture (se indicano il prezzo della merce) o a riconoscimenti di debito (se sono firmati dal destinatario); i secondi sono tassati dalla legge cantonale in modo più oneroso, alla stessa stregua dei contratti (art. 1 lett. a in relazione con gli art. 9 e 10 LB). Se non che la tassazione dei bollettini di consegna non è oggetto della presente controversia. Statuendo sull'imponibilità dei bollettini di consegna - ancorché in via di subordine - per confermare la sanatoria applicata alla ricorrente, la Camera di diritto tributario ha addebitato alla ricorrente una sottrazione d'imposta estranea al processo. Materia del contendere resta, nella procedura in esame, la tassazione di una serie di 25 fatture, non il complesso di bollettini su cui si fondano tali fatture. Per di più la corte ha attinto a un procedimento contravvenzionale (il primo, inerente ai bollettini) abbandonato o, quanto meno, tenuto in sospeso dall'autorità finché fosse stato accertato l'assoggettamento delle fatture. L'argomentazione sussidiaria dei giudici di secondo grado non deve perciò essere esaminata nell'ambito dell'attuale sentenza.
Dispositiv
Per questi motivi il Tribunale federale pronuncia:
Nella misura in cui è ammissibile, il ricorso è accolto e la sentenza impugnata è annullata. | public_law | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a60e9109-66c3-4c6a-bec3-bb2277bffa3f | Urteilskopf
105 III 140
29. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 15 août 1979 dans la cause Cinetelevision International Registered Trust (recours LP) | Regeste
Art. 271 ff. SchKG
.
1. Die Betreibungsbehörden sind der Arrestbehörde gleichgestellt; sie sind demnach befugt, deren Arrestbefehle zu überprüfen (E. 2 lit. b).
2. Der Vollzug eines Arrestes ist zu verweigern, wenn die zu arrestierenden Vermögenswerte nach den Angaben des Gläubigers selbst nicht dem einzelnen Schuldner persönlich zustehen (E. 2 lit. c). | Erwägungen
ab Seite 141
BGE 105 III 140 S. 141
Extrait des considérants:
2.
a) Sur le fond, bien que la recourante fasse toute une série de griefs à l'autorité cantonale, tel que celui d'avoir tranché des questions de droit ressortissant à la compétence des tribunaux civils, d'ailleurs saisis en l'espèce et d'avoir violé le principe de la "séparation des pouvoirs" (sic), la seule question à examiner in casu est celle de savoir si l'autorité de surveillance a satisfait aux obligations qui lui incombent en vertu des art. 271 ss. LP et si elle a agi dans le cadre des compétences qui lui appartiennent en vertu de ces mêmes dispositions. Si la réponse à ces questions est négative, le recours sera admis, si elle est affirmative, cela emportera qu'il n'y a pas eu atteinte au principe de la séparation des pouvoirs et que l'autorité de poursuite n'a pas empiété sur les compétences de l'autorité judiciaire.
b) Selon une jurisprudence déjà ancienne, les autorités de poursuite ne sont pas subordonnées à l'autorité de séquestre, mais placées sur le même pied; elles peuvent donc vérifier les ordres qu'elles en reçoivent et sont en état de refuser l'exécution d'une ordonnance de séquestre qui n'est pas conforme aux exigences de la loi. Leur examen ne peut toutefois en aucun cas porter sur les conditions de fond du séquestre (
ATF 28 I 23
;
ATF 79 III 139
;
ATF 93 III 93
;
ATF 99 III 23
). Il est notamment admis que l'autorité de poursuites refuse d'exécuter une ordonnance de séquestre portant manifestement sur des biens inexistants (
ATF 80 III 87
;
ATF 82 III 130
;
ATF 90 III 96
), non désignés dans l'ordonnance (
ATF 90 III 50
), n'appartenant pas au débiteur, selon les indications mêmes du créancier (
ATF 93 III 92
) voire n'appartenant pas, selon les mêmes indications, au débiteur seul (
ATF 82 III 69
). Il en va de même encore si l'ordonnance ne donne aucune indication sur le motif du séquestre (
ATF 73 III 101
) ou si son exécution devait manifestement violer une disposition impérative de la loi (
ATF 79 III 139
) ou enfin si elle ne contient qu'une désignation insuffisante du créancier (
ATF 82 III 129
).
c) On ne saurait donc, in casu, sur le principe, reprocher aux autorités cantonales de poursuite d'avoir examiné les ordonnances de séquestre en cause dans le sens de la jurisprudence précitée. On ne saurait non plus critiquer les conclusions auxquelles elles sont finalement parvenues à la suite de cet examen.
En effet, conformément à l'
art. 274 al. 2 ch. 1 LP
, l'ordonnance de séquestre doit indiquer le nom du débiteur, or seul un
BGE 105 III 140 S. 142
sujet de droit indépendant - personne morale ou physique - peut avoir la qualité de débiteur et par conséquent faire l'objet d'une poursuite ou d'un séquestre. Si la créancière estimait que ses parties adverses n'étaient en réalité que des émanations de l'Etat égyptien, dépourvues de toute indépendance, c'est cet Etat qu'elle devait attaquer, ainsi que la loi en donnait la possibilité, selon ses propres allégations. Si, au contraire, elle estimait pouvoir s'en prendre aux intimées directement, c'est qu'elle considérait que celles-ci répondaient de leurs propres dettes sur des biens propres qui pouvaient seuls, on l'a vu, faire l'objet d'un séquestre.
Il est vrai que la créancière n'a pas précisé à qui appartenaient les biens sur lesquels elle demandait de faire porter le séquestre, mais elle déclare elle-même dans son mémoire qu'elle soutient devant les tribunaux civils que ces biens "constituent en réalité une masse de biens non individualisés, propriétés non pas des débitrices ou de l'Etat Egyptien, mais du peuple Egyptien". Plus loin, elle prétend même que ces biens, "dans la mesure où ils sont individualisés par le Trésor égyptien, ils lui appartiennent". Il en résulte que, selon les propres dires de la créancière, les biens en cause, même s'ils étaient détenus par les débitrices, ne seraient pas leur propriété et qu'en tout cas, ils n'appartiendraient pas à l'une d'elles individuellement. Dans ces conditions, on ne saurait reprocher à l'autorité cantonale de surveillance d'avoir considéré, en se fondant sur les affirmations de la créancière, que les séquestres en cause étaient caducs au regard des principes énoncés dans l'arrêt Rionda précité (
ATF 82 III 69
) et confirmés dans les arrêts Simonsen du 23 juin 1964. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a61fd9c6-39d2-48b0-bbce-bc5d513b81c6 | Urteilskopf
97 II 58
9. Arrêt de la Ire Cour civile du 30 mars 1971 dans la cause Motel de Gruyères SA contre Leemann | Regeste
Mietvertrag, Nichterfüllung durch den Vermieter.
1. Mietvertrag über ein Motel und zu erstellende Nebenräume. Anwendbarkeit der
Art. 102 ff. OR
, nicht der
Art. 254 und 255 OR
hinsichtlich der Rechtsfolgen, die aus der Nichtübergabe dieser Räume entstehen. (Erw. 3).
2. Fälligkeit der Übergabepflicht des Vermieters unter Berücksichtigung einer Vertragsbestimmung, kraft welcher die Mieter auf Schadenersatz und die Aufhebung des Vertrages im Falle einer - selbst langdauernden - Verzögerung in der Verschaffung der Mieträume verzichten. Gültigkeit einer solchen Klausel (Erw. 4).
3. Inverzugsetzung des Schuldners; Ausnahmen vom Erfordernis der Mahnung nach
Art. 102 Abs. 1 OR
(Erw. 5) und der Fristansetzung (Art. 108 Ziff 1 OR; Erw. 6).
4. Analoge Anwendung des
Art. 352 OR
auf den Mietvertrag? Frage offen gelassen (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 97 II 58 S. 59
A.-
Le 15 juin 1964, les époux Jacqueline et Jonny-Robert Leemann ont conclu deux contrats de bail, en qualité de preneurs: l'un avec la Société anonyme Motel de Gruyères, l'autre avec la Société immobilière Les Prahys "A" SA Le premier contrat portait sur le Motel de Gruyères à Epagny et sur l'équipement destiné à son exploitation. Il commençait le jour même de la conclusion et devait se terminer le 31 décembre 1974, sous réserve de reconduction. Le loyer annuel était fixé à 50 400 fr.; pour les mois de juin à octobre 1964, des réductions dégressives étaient accordées aux preneurs, pour tenir compte du fait que certains travaux et installations n'étaient pas achevés, le motel étant une construction nouvelle. Le second contrat avait pour objet des locaux "remis à l'usage de bureau, de buanderie, de locaux de séchage et repassage, de kiosque et de local de petit déjeuner". Il devait commencer le 31 décembre 1964 et se terminer le 31 décembre 1974. Le loyer annuel se montait à 5400 fr. L'art. 21 stipulait que "l'immeuble du bailleur n'étant pas encore commencé, les preneurs ne pourront exiger aucune indemnité quelconque, ni rompre le contrat s'ils ne peuvent pas prendre possession des locaux loués à la date prévue, même si ce retard est de longue durée".
Aux termes d'une clause insérée dans les deux contrats, ceux-ci étaient liés l'un à l'autre et ne pouvaient être dénoncés ni prolongés séparément. Lors de la conclusion, les deux sociétés bailleresses avaient les mêmes administrateurs; elles étaient représentées toutes deux par la Société Régissa gérances SA à Vevey.
Les locaux qui faisaient l'objet du second contrat n'ont pas été construits. A fin août 1965, aucun ordre précis n'avait encore été donné à cet effet par la bailleresse. De leur côté, les preneurs n'ont pas payé à la Société Motel de Gruyères SA le loyer convenu. Ils ont fait opposition aux poursuites dirigées contre eux par cette société. A fin août 1965, ils ont quitté le motel; par lettre du 1er septembre 1965, ils ont informé la Société Motel de Gruyères SA de leur décision de résilier "avec effet immédiat les contrats de bail du 15 juin 1964". Ils ont refusé de donner suite à une lettre du 20 septembre de la bailleresse qui les engageait à reprendre l'exploitation du motel.
B.-
Par demande du 27 décembre 1965, la Société Motel de Gruyères SA a ouvert action contre les époux Leemann en paiement du loyer du premier contrat échu à cette date, de la
BGE 97 II 58 S. 60
moitié des frais de publicité qu'elle avait engagés et des frais de poursuite et de prise d'inventaire. Elle a réclamé en outre 50 000 fr. à titre d'indemnité pour rupture de contrat. Au für et à mesure de l'échéance des termes, elle a introduit de nouvelles actions en paiement du loyer.
Les défendeurs ont conclu au déboutement de la demanderesse et, reconventionnellement, à ce que celle-ci fût condamnée à leur payer 12 161 fr. 85 à titre de réparation du tort moral et de remboursement de diverses dépenses. Ils faisaient valoir que le chauffage et l'eau chaude n'avaient été fournis que tardivement, que le motel souffrait de divers défauts et que les locaux promis par la S.I. Les Prahys SA n'avaient pas été construits.
Après avoir ordonné la jonction des différentes actions, le Tribunal civil de la Gruyère a statué par jugement du 30 décembre 1969. Il a condamné les défendeurs à payer à la demanderesse 13 650 fr., représentant le quart du loyer convenu, pour la période du 15 juin 1964 au 31 août 1965, et 371 fr. 60, soit le quart des frais de poursuite; de son côté, la demanderesse était condamnée à payer 2161 fr. 85, représentant des frais d'installation des défendeurs. Le Tribunal s'est fondé sur l'art. 255 CO et surtout, quoique implicitement seulement, sur la clausula rebus sic stantibus, pour opérer une réduction de 75% sur le loyer contractuel et considérer comme justifiée la résiliation du contrat avec effet au 31 août 1965.
C.-
La demanderesse a appelé de ce jugement; elle a conclu au paiement par les défendeurs de 46 200 fr., montant correspondant à la moitié du loyer convenu pour la période du 1er août 1964 au 31 mai 1966, de 25 000 fr. à titre de dommagesintérêts consécutifs à la rupture intempestive du contrat de bail, de 750 fr. et de 743 fr. 20, sommes représentant respectivement une part des frais de publicité et la moitié des frais de poursuite; elle demandait en outre le rejet des conclusions reconventionnelles des défendeurs.
Par arrêt du 7 octobre 1970, la Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois a condamné les époux Leemann à payer à la Société Motel de Gruyères SA 25 000 fr. avec intérêt à 5% dès le 1er mars 1965, à titre de loyer ou d'indemnité pour occupation des locaux du 1er août 1964 au 31 août 1965, et 371 fr. 60 avec intérêt à 5% dès le 1er mars 1965, à titre de frais de poursuite. Elle a alloué aux défendeurs un montant
BGE 97 II 58 S. 61
réduit de 1700 fr., avec intérêt à 5% dès le 1er septembre 1965, pour frais d'installation. Ecartant l'application de la clausula rebus sic stantibus, la Cour d'appel s'est fondée sur les art. 254-255 CO pour réduire à 25 000 fr. le loyer dû pour la période du 1er août 1964 au 31 août 1965. Elle a rejeté les conclusions de la demanderesse tendant au paiement du loyer postérieurement à cette dernière date, d'une indemnité pour rupture du contrat et d'une part des frais de publicité.
D.-
La Société anonyme Motel de Gruyères recourt en réforme au Tribunal fédéral contre cet arrêt. Elle conclut à ce que les époux Leemann soient condamnés à lui payer 18 900 fr., somme représentant le 50% du loyer pour la période du 1er septembre 1965 au 31 mai 1966, et 25 000 fr. à titre d'indemnité équitable pour rupture intempestive du contrat de bail.
Les intimés proposent le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le Tribunal cantonal a laissé ouverte la question de la qualification juridique - bail à loyer ou bail à ferme - des contrats du 15 juin 1964. Suivant les critères consacrés par la jurisprudence du Tribunal fédéral (RO 93 II 456 et les arrêts cités), il y a lieu d'appliquer en l'espèce les règles du bail à loyer.
b) Les intimés ont signé les deux contrats en qualité de preneurs. La recourante en revanche est partie à celui-là seul qui porte sur le motel lui-même; le bailleur des locaux qui font l'objet du second contrat est la S.I. Les Prahys "A" SA La recour.ante admet cependant l'existence d'un lien économique entre les deux sociétés bailleresses; elle ne se prévaut pas de cette double personnalité juridique pour échapper aux conséquences de l'inexécution des obligations de la S.I. Les Prahys SA, conséquences dont elle répond au contraire en procédure. Il y a donc lieu de traiter la présente espèce comme s'il s'agissait d'un contrat unique, la dualité de bailleurs s'expliquant par des motifs d'opportunité.
2.
Le Tribunal cantonal a retenu notamment les défauts suivants de la chose louée: protection insuffisante, surtout en hiver, du bâtiment contre les intempéries, source d'humidité; absence de protection sur les parois à l'intérieur des chambres et absence de plinthes; retard dans la fourniture de l'eau chaude et du chauffage; non-exécution des installations prévues dans le contrat conclu avec la S.I. Les Prahys SA; retard dans
BGE 97 II 58 S. 62
l'aménagement des abords du motel. Appliquant les art. 254-255 CO, il a opéré une réduction de 50% sur le loyer convenu, pour la période du 1er août 1964 au 31 août 1965, ainsi qu'une réduction supplémentaire de 2300 fr. fondée sur l'absence de chauffage durant les mois d'octobre et novembre 1964. L'arrêt déféré n'est pas remis en cause sur ces points.
Quant à la rupture du bail signifiée par les preneurs le 1er septembre 1965, la Cour d'appel a constaté de manière à lier le Tribunal fédéral que les intimés n'avaient sommé ni la recourante ni la S.I. Les Prahys SA de remettre la chose en état dans un délai convenable, c'est-à-dire de construire les locaux qui faisaient l'objet du contrat passé avec cette dernière société. Elle a admis qu'une telle sommation était en principe nécessaire aussi bien dans le cadre de l'art. 254 que dans celui de l'art. 255 CO. Selon l'arrêt déféré, les
art. 107 à 109
CO sont cependant applicables au délai à impartir pour remettre la chose en état; au vu de l'attitude de la bailleresse, qui n'avait pas commencé les constructions ni même donné un ordre précis d'exécution, plus de 14 mois après le début du bail, les preneurs pouvaient considérer que l'art. 108 ch. 1 CO était applicable, la fixation d'un délai perdant son sens; ils étaient donc en droit de se départir du contrat, et cela d'un jour à l'autre, sans avoir à prévenir la bailleresse de leur décision.
La recourante objecte à ce point de vue que le créancier ne peut se départir du contrat en application des art. 107 et 255 CO qu'après avoir mis le débiteur en demeure, ce qui implique une interpellation préalable, conformément à l'art. 102 CO; or les preneurs n'ont pas interpellé la bailleresse. Elle soutient en outre que les intimés devaient savoir qu'un retard pourrait se produire; ils avaient donc l'obligation d'impartir à la bailleresse un délai convenable pour exécuter les travaux de construction. La recourante en conclut que les preneurs ont rompu le contrat de bail de façon intempestive, ce qui justifie l'allocation des indemnités qui font l'objet de ses conclusions.
3.
Le Tribunal cantonal a appliqué à tort les art. 254-255 CO à la rupture du contrat en tant qu'elle se fondait sur la non-délivrance des locaux loués par la S.I. Les Prahys SA, locaux dont la construction n'était pas même commencée lorsque le bail prit fin le 1er septembre 1965. Il ne s'agit en effet ni du cas où la chose est délivrée dans un état inapproprié à l'usage pour lequel elle a été louée, ni de celui où elle tombe
BGE 97 II 58 S. 63
dans un tel état durant le bail. On se trouve en présence d'un cas d'inexécution des obligations contractuelles de la S.I. Les Prahys SA, à laquelle est assimilée la recourante. Il y a donc lieu d'appliquer les art. 102 ss. CO relatifs à l'inexécution des obligations.
4.
La question de la demeure de la recourante soulève préalablement celle de l'exigibilité de son obligation de délivrance des locaux. Le point de départ du bail conclu avec la S.I. Les Prahys SA était fixé au 31 décembre 1964. Mais cette date ne peut être considérée comme celle de l'échéance de l'obligation de la bailleresse, eu égard à l'ensemble des circonstances et en particulier à l'art. 21 du contrat; cette clause, qui stipule la renonciation des preneurs à réclamer une indemnité et à rompre le contrat en cas de retard dans la délivrance des locaux loués, fût-il même de longue durée, montre en effet que les parties étaient conscientes du fait que les constructions pouvaient ne pas être terminées à la fin de l'année 1964.
On peut se demander si l'art. 21 ne devrait pas être considéré comme nul, voire comme entraînant la nullité du contrat dans son ensemble, parce que remettant au pouvoir discrétionnaire du bailleur la détermination du point de départ effectif du bail. Cette question doit être résolue par la négative. Eu égard notamment à la situation actuelle en matière de logement et de construction, la validité de contrats qui portent sur des locaux restant à édifier et prévoient la renonciation du preneur à des dommages-intérêts en cas de retard dans la construction est admissible. L'incertitude, qui découle de l'éventualité d'un tel retard, sur le moment où les locaux pourront être occupés ne peut être assimilée à l'absence d'accord sur un élément essentiel du contrat.
Les preneurs pouvaient cependant compter sur le commencement immédiat des travaux; à défaut de quoi, la renonciation à des dommages-intérêts et à la rupture du contrat de bail, qui devait en principe débuter le 31 décembre 1964, ne s'expliquerait pas. Le devoir de la bailleresse d'entreprendre immédiatement la construction découlait d'ailleurs de l'art. 75 CO; seule l'obligation de délivrance était différée du temps correspondant à la durée normale de construction, conformément à la nature de la prestation (VON TUHR/SIEGWART II p. 488 ch. 4). Commencés à temps, les travaux auraient dû être terminés au plus tard au milieu de l'été 1965. Il s'agissait en effet
BGE 97 II 58 S. 64
de constructions relativement simples et de peu d'importance; on doit d'autre part présumer que les preneurs n'auraient pas accepté les art. 3 et 21 du contrat s'ils avaient dû compter avec un terme plus long. Admettre la validité de l'art. 21 au-delà de cette époque reviendrait à livrer les preneurs au pouvoir discrétionnaire de la bailleresse et contreviendrait au principe de la bonne foi. L'obligation de la recourante était donc exigible au plus tard à fin juillet - début août 1965.
5.
Il est constant que les intimés n'ont pas interpellé la recourante au sens de l'art. 102 al. 1 CO. L'hypothèse de l'art. 102 al. 2 CO n'est pas non plus réalisée, pour les raisons déjà mentionnées. La recourante en conclut qu'elle n'était pas en demeure, lorsque les preneurs se sont départis du contrat.
L'exigence de l'interpellation a pour but d'épargner au débiteur un traitement trop rigoureux, lorsqu'il ignore l'époque de l'exécution ou que cette époque est indéterminée (VON TUHR/SIEGWART II p. 577 II). Le cas où l'échéance a été fixée conventionnellement n'est pas la seule exception à cette exigence. Le but de celle-ci et le principe de la bonne foi postulent la même solution dans d'autres hypothèses où il serait inéquitable que la demeure du débiteur fût subordonnée à une interpellation (VON TUHR/SIEGWART II p. 581 IV). C'est ainsi que VON TUHR/SIEGWART (II p. 583 ch. 4) proposent l'application analogique de l'art. 108 ch. 1 CO lorsque le débiteur d'une obligation exigible déclare nettement qu'il ne l'accomplira pas et qu'il ressort de cette attitude qu'une interpellation est inutile. OSER/SCHÖNENBERGER (ad art. 102 CO n. 15) se prononcent aussi en faveur de l'application de l'art. 108 ch. 1 CO par analogie, dans l'hypothèse où il est clair qu'en dépit de l'interpellation, le débiteur ne s'exécutera pas. Dans un arrêt du 30 janvier 1968, le Tribunal fédéral a jugé que l'exigence de l'art. 102 CO était tempérée lorsque, selon les règles de la bonne foi, une interpellation formelle apparaît superflue, en particulier lorsque le débiteur a clairement manifesté, par son comportement, sa ferme intention de ne pas accomplir ses obligations (RO 94 II 32).
En l'espèce, la construction n'avait pas même débuté à l'époque de l'exigibilité de l'obligation de la bailleresse de délivrer les locaux, soit à fin juillet - début août 1965; aucun ordre précis d'exécution n'avait encore été donné. Par une telle passivité, alors que le contrat avait été conclu depuis plus
BGE 97 II 58 S. 65
d'un an et que la date prévue pour le commencement du bail était le 31 décembre 1964, la recourante manifestait clairement l'intention de ne pas accomplir son obligation pour le moment. Or elle savait que les locaux promis aux intimés étaient nécessaires à une exploitation normale et rentable du motel. Au surplus, à supposer même qu'elle eût donné une suite positive à une interpellation intervenue à cette époque, la prestation ne pouvait plus être fournie dans un délai acceptable par les intimés, compte tenu du temps nécessaire à la construction. Si l'on considère les circonstances de l'espèce à la lumière du but de l'interpellation et du principe de la bonne foi, on aboutit ainsi à la conclusion qu'une interpellation n'était pas nécessaire pour mettre en demeure la S.I. Les Prahys SA, à laquelle est assimilée la recourante. Celle-ci se trouvait donc en demeure dès l'exigibilité de son obligation, c'est-à-dire dès fin juillet - début août 1965.
6.
Aux termes de l'art. 108 ch. 1 CO, la fixation du délai prévu par l'art. 107 al. 1 CO n'est pas nécessaire lorsqu'il ressort de l'attitude du débiteur que cette mesure serait sans effet. Le Tribunal cantonal a considéré à juste titre que cette condition était remplie en l'espèce, puisque l'obligation de la recourante ne pouvait plus être exécutée dans un délai acceptable par les intimés. Ceux-ci étaient donc en droit de se départir du contrat dès la demeure du débiteur, soit dès fin juillet - début août 1965. Ils l'ont fait sans trop tarder, par lettre du 1er septembre 1965, de sorte que la recourante ne pouvait être portée à croire qu'ils avaient renoncé à user de leur droit. La licéité de la dénonciation du bail avec effet au 1er septembre 1965 conduit au rejet des conclusions de la recourante en paiement tant du loyer réduit postérieurement à cette date que d'une indemnité pour rupture intempestive du contrat.
7.
Le contrat de bail se caractérise par le fait qu'il crée entre les parties des rapports de droit durables. Si l'on considère ici les deux contrats en cause comme formant un tout, la rupture du bail par les preneurs a pour fondement l'inexécution d'une partie importante du contrat, lequel avait déjà partiellement déployé ses effets pendant un certain temps. Les preneurs disposaient notamment des chambres du motel qu'ils ont louées à des tiers, ce dont ils ont tiré quelque revenu. Une résolution ex tunc du contrat de bail conduirait ainsi à des calculs compliqués. Une telle solution doit d'ailleurs être
BGE 97 II 58 S. 66
écartée en règle générale s'agissant de rapports de droit durables, qui ont déjà donné lieu pendant un certain temps à l'exécution de prestations (RO 78 II 37; PAUL LEMP, Schadenersatz wegen Nichterfüllung als Folge des Schuldnerverzugs, Diss. Bern 1938, p. 64 ss. et 81 ss.; CHR. SCHMID, Die Bedeutung des allgemeinen Schuldnerverzugsrechtes für die Verzugsregelung bei Miete und Pacht, Diss. Bern 1955, p. 61 ss). En accordant aux preneurs, pour la période où le contrat a été partiellement exécuté, une réduction équitable de 50% du loyer du motel, le Tribunal cantonal a adopté, à juste titre, une solution correspondant à une résiliation ex nunc.
On aboutirait à la même solution si on admettait l'application par analogie au contrat de bail de l'art. 352 CO, comme le proposent certains auteurs (K. LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, 9e éd., München 1968, Allgemeiner Teil I, p. 25 et 307 s.; G. BEITZKE, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, in "Recht und Zeit", Heft 9, 1948, p. 21; H. WIEMKEN, Rücktritt und Schadenersatz als Folgen der Nichterfüllung bei gegenseitigen Verträgen, Diss. Basel 1931, p. 43 ss.). Le Tribunal fédéral a jugé à propos du contrat de représentation exclusive que celui-ci, comme les autres contrats qui créent des rapports de droit durables, nécessitait une possibilité de mettre fin au contrat analogue à celle qui existe pour le contrat de travail (RO 78 II 37, 60 II 336). La question de l'application par analogie de l'art. 352 CO au contrat de bail peut toutefois demeurer indécise en l'espèce, la solution se dégageant déjà des art. 102 ss. CO.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme l'arrêt rendu le 7 octobre 1970 par la Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a6205ed1-6536-4402-b13c-340986aa06fd | Urteilskopf
138 III 555
81. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. SA contre A., B. et Z. SA (recours en matière civile)
4A_152/2012 du 3 août 2012 | Regeste a
Gesuch um vorsorgliche Beweisführung (
Art. 158 ZPO
); Zwischenentscheid über die Zuständigkeit zur Anordnung einer solchen Massnahme.
Der Beschwerdeweg folgt bei einer solchen Entscheidung demjenigen der Hauptsache. Es können einzig die in
Art. 98 BGG
vorgesehenen Rügen, d.h. die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, erhoben werden (E. 1).
Regeste b
Gerichtsstand für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen (
Art. 13 ZPO
).
Diese Bestimmung sieht nach ihrem klaren Wortlaut zwei alternative Gerichtsstände vor: den einen am Gerichtsstand der Hauptsache und den anderen am Ort der Vollstreckung der beantragten Massnahme. Es ist nicht willkürlich, daraus zu schliessen, dass der Gerichtsstand des Vollstreckungsorts nicht auf Fälle der Dringlichkeit beschränkt ist. Aus den Materialien geht hervor, dass der Gesetzgeber auf die Einführung einer solchen Einschränkung bei
Art. 33 GestG
, dem
Art. 13 ZPO
entspricht, verzichtet hatte (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 556
BGE 138 III 555 S. 556
A.
Des maîtres d'oeuvre ont confié à un entrepreneur des travaux de charpente et de menuiserie sur le chalet qu'ils construisaient dans le district d'Aigle (canton de Vaud). Le contrat contenait une clause de prorogation de for à Lausanne. Après la réception de l'ouvrage, les maîtres ont constaté un problème d'écartement des joints sous la toiture. Ils ont adressé un avis de défaut à l'entrepreneur.
B.
Le 29 juillet 2011, les maîtres ont déposé une requête de preuve à futur devant le Juge de paix du district d'Aigle. Le juge a déclaré la requête irrecevable au motif qu'il était incompétent
ratione loci
.
Par arrêt du 23 janvier 2012, le Juge délégué de la Cour d'appel civile du Tribunal cantonal vaudois a admis l'appel formé par les maîtres et reconnu la compétence du juge de paix saisi. L'autorité d'appel a considéré qu'au regard de l'
art. 13 CPC
(RS 272), le tribunal du lieu d'exécution des mesures provisionnelles est compétent nonobstant une élection de for concernant l'action principale. La valeur litigieuse a été jugée supérieure à 30'000 fr.
C.
L'entrepreneur (ci-après: la recourante) a interjeté un recours en matière civile au Tribunal fédéral, en concluant principalement à ce que la requête de preuve à futur soit déclarée irrecevable.
Par arrêt du 3 août 2012, le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
L'arrêt attaqué est une décision incidente sur la compétence, susceptible d'un recours immédiat (
art. 92 LTF
). La voie de recours est la même que pour la cause au fond (
ATF 133 III 645
consid. 2.2 p. 648); il n'y a pas de motif de mettre en doute la valeur litigieuse estimée par l'autorité précédente (cf.
art. 112 al. 1 let
. d LTF;
ATF 136 III 60
consid. 1.1.1 p. 62 i.f.), si bien que la voie du recours en matière civile est ouverte (cf.
art. 74 al. 1 let. b LTF
). Toutefois, les décisions portant sur l'administration de preuves à futur sont des mesures provisionnelles au sens de la LTF (
ATF 138 III 46
consid. 1.1; cf.
art. 158
BGE 138 III 555 S. 557
al. 2 CPC
); seule la violation de droits constitutionnels peut être invoquée, y compris lorsque le recours vise une décision sur la compétence de prendre de telles mesures (
art. 98 LTF
; cf. arrêt 4A_146/2010 du 2 juin 2010 consid. 2, in sic! 6/2011 p. 390).
2.
La recourante se plaint d'une violation de l'interdiction constitutionnelle de l'arbitraire lors de l'application de l'
art. 13 CPC
. A teneur de cette disposition, est impérativement compétent pour ordonner des mesures provisionnelles le tribunal compétent pour statuer sur l'action principale (let. a) ou le tribunal du lieu où la mesure doit être exécutée (let. b).
2.1
De l'avis de la recourante, l'alternative prévue à l'
art. 13 let. b CPC
ne serait offerte qu'en cas d'urgence. Cette disposition serait reprise de l'
art. 33 LFors
(ancienne loi fédérale du 24 mars 2000 sur les fors en matière civile; RO 2000 2087), qui aurait déjà imposé une telle limitation. La recourante se fonde en outre sur un arrêt rendu en 1999 dans une cause à caractère international, où la cour de céans avait souligné qu'une prorogation de for ne doit pas être vidée de sa portée et qu'en conséquence, la partie ayant souscrit une telle clause ne peut pas choisir de requérir des mesures provisionnelles au for de l'exécution, sauf quand le tribunal du lieu en question est le seul à pouvoir prendre à temps les mesures nécessaires (
ATF 125 III 451
consid. 3a p. 454).
2.2
Le texte de l'
art. 13 CPC
ne prévoit aucune limitation en ce sens que le for du lieu d'exécution ne serait ouvert qu'en cas d'urgence (cf.
art. 13 let. b CPC
). A s'en tenir au texte non équivoque de la loi, ce for est alternatif avec celui de l'action principale. Cela suffit en soi pour exclure tout arbitraire de la part de l'autorité cantonale, qui n'a pas subordonné à des restrictions le choix du for du lieu d'exécution.
L'
art. 13 CPC
correspond certes à l'
art. 33 LFors
(Message du 28 juin 2006 relatif au code de procédure civile suisse, FF 2006 6879 ch. 5.2.2 ad art. 12). Le projet pour cette dernière disposition (art. 34 du projet) prévoyait qu'avant la litispendance, était compétent pour ordonner des mesures provisionnelles "un tribunal du lieu dans lequel est donnée la compétence pour connaître de la demande principale et en plus, en cas d'urgence, un tribunal du lieu dans lequel la mesure devra être exécutée" (Message du 18 novembre 1998 concernant la loi fédérale sur les fors en matière civile, FF 1999 2647 ad art. 34). Mais le texte du projet a été modifié devant le Conseil des États; la limitation au cas d'urgence pour le for du lieu d'exécution a été supprimée. Lors des débats, la rapporteuse Christiane Brunner a fait la déclaration suivante: "Nous avons donc introduit un for alternatif, et non plus
BGE 138 III 555 S. 558
subsidiaire, au tribunal du lieu dans lequel la mesure doit être exécutée" (BO 1999 CE 895). On ne saurait dès lors soutenir que sous le régime de l'
art. 33 LFors
, le for au lieu d'exécution ne s'appliquait manifestement qu'en cas d'urgence (cf. KELLERHALS/GÜNGERICH, in Gerichtsstandsgesetz, 2001, n° 13 ad
art. 33 LFors
; MARCEL DIETRICH, Vorsorgliche Massnahmen nach Gerichtsstandsgesetz, in Das Gerichtsstandsgesetz, 2001, p. 137 s.).
Enfin, le for du lieu d'exécution de la mesure est impératif (
art. 13 CPC
), si bien que les parties ne peuvent pas y déroger (
art. 9 al. 2 CPC
); il en allait de même sous le régime de l'ancien droit (
art. 2 et 33 LFors
, RO 2000 2080 et 2087). L'arrêt de 1999 cité par la recourante a été rendu avant l'entrée en vigueur de la LFors, et dans une cause à caractère international; il n'est pas pertinent en l'espèce.
Il s'ensuit que le grief d'application arbitraire de l'
art. 13 CPC
est infondé. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a62a7839-a3d8-492b-a62b-57b9723f2797 | Urteilskopf
111 Ia 329
57. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Dezember 1985 i.S. Politische Gemeinde Urdorf gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Gemeindeautonomie; Nichtgenehmigung kommunaler Bau- und Zonenvorschriften durch die kantonale Behörde.
Es bedeutet keine Verletzung der Gemeindeautonomie, wenn eine kommunale Vorschrift, die in der Industriezone Handels- und Dienstleistungsbetriebe zulässt, Einkaufszentren jedoch ausschliesst, wegen Verstosses gegen § 56 des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes nicht genehmigt wurde. Diese kantonale Bestimmung lässt sich ohne Willkür dahin auslegen, dass die Gemeinden Handels- und Dienstleistungsbetriebe in der Industriezone entweder generell zulassen oder nicht zulassen dürfen, es ihnen aber nicht erlaubt ist, bestimmte Arten solcher Betriebe auszuschliessen (E. 3).
Verneinung der Autonomie der zürcherischen Gemeinden in bezug auf die Regelung der Frage, ob und inwieweit eine Bepflanzung oder Begrünung von Anlagen verlangt werden darf (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 330
BGE 111 Ia 329 S. 330
Die Gemeindeversammlung Urdorf beschloss am 4. April 1984 eine neue Nutzungsplanung. Diese besteht aus einer Bau- und Zonenordnung, einem Zonenplan und sieben weiteren Plänen. Der Gemeinderat Urdorf ersuchte in der Folge den Regierungsrat des Kantons Zürich um Genehmigung der neuen kommunalen Nutzungsplanung. Der Regierungsrat genehmigte sie mit Beschluss vom 2. Mai 1985 unter Vorbehalt verschiedener Bestimmungen. Er schloss Art. 9 der Bauordnung wegen eines hängigen Rekurses, die Art. 21 Abs. 1, 22, 24 Abs. 3 und die Verweisung auf Art. 25 in Art. 24 Abs. 1 der Bauordnung wegen Verstosses gegen das kantonale Recht von der Genehmigung aus.
Die Politische Gemeinde Urdorf führt gegen diesen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie beantragt, der angefochtene Beschluss sei insoweit aufzuheben, als damit die Art. 21 Abs. 1, 22 und 24 Abs. 3 der Bauordnung nicht genehmigt wurden. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Mit dem angefochtenen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich wurde die neue Bau- und Zonenordnung der
BGE 111 Ia 329 S. 331
Gemeinde Urdorf zum Teil nicht genehmigt. Er trifft somit diese Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Sie ist daher legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob die Gemeinde im betroffenen Bereich tatsächlich autonom ist, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (
BGE 110 Ia 198
/199 E. 1 mit Hinweisen). Im einleitenden Abschnitt der Beschwerde wird neben Art. 48 der zürcherischen Kantonsverfassung, welche Vorschrift die Gemeindeautonomie gewährleistet, auch
Art. 22ter BV
angeführt. In der Beschwerdebegründung hält die Gemeinde Urdorf jedoch ausdrücklich fest, dass sie ausschliesslich eine Verletzung ihrer Autonomie rüge. Sie wäre übrigens nicht befugt, sich auf die Eigentumsgarantie zu berufen, da der Regierungsrat die hier in Frage stehenden Bestimmungen der kommunalen Bau- und Zonenordnung nicht wegen Verletzung der Eigentumsgarantie, sondern wegen Unvereinbarkeit mit dem übergeordneten kantonalen Recht von der Genehmigung ausschloss. Auf die Beschwerde kann nach dem Gesagten eingetreten werden.
2.
Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht für diesen Bereich keine abschliessende Ordnung trifft, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 110 Ia 199
E. 2 mit Hinweisen). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Rechtsmittel- oder im Genehmigungsverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder dass sie bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot verstösst oder, soweit kantonales oder eidgenössisches Verfassungsrecht in Frage steht, dieses unrichtig auslegt oder anwendet (
BGE 111 Ia 132
E. 4a;
BGE 110 Ia 200
E. 2b mit Hinweisen).
Der Regierungsrat hat mit dem angefochtenen Entscheid die Art. 21 Abs. 1, 22 und 24 Abs. 3 der von der Gemeinde Urdorf am 4. April 1984 beschlossenen Bau- und Zonenordnung nicht genehmigt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht den zürcherischen Gemeinden beim Erlass einer Bau- und Zonenordnung im Sinne der §§ 45 ff. des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975 (PBG) ein weiter Gestaltungsraum zu; sie sind insoweit grundsätzlich autonom (
BGE 111 Ia 132
/133 E. 4b mit Hinweis). Es ist im folgenden zu prüfen, ob
BGE 111 Ia 329 S. 332
die Gemeinden auch in jenen Bereichen autonom sind, die von den nicht genehmigten Bestimmungen der Bau- und Zonenordnung berührt werden. Ist diese Frage zu verneinen, so erweist sich die Autonomiebeschwerde als unbegründet.
3.
Art. 21 Abs. 1 der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Urdorf vom 4. April 1984 (BauO) regelt die Nutzweise in der Industriezone und lautet wie folgt:
"Handels- und Dienstleistungsbetriebe sind zugelassen; ausgenommen jedoch Einkaufszentren."
Der Regierungsrat hat diese Vorschrift mit der Begründung nicht genehmigt, gemäss
§ 56 PBG
könne die Bau- und Zonenordnung Handels- und Dienstleistungsgewerbe entweder gesamthaft zulassen oder ausschliessen. Detailliertere Unterscheidungen seien daher nicht zulässig. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Nichtgenehmigung von Art. 21 Abs. 1 BauO bedeute eine Verletzung ihrer Autonomie, denn sie habe mit dieser Vorschrift "lediglich von ihrer nach
§ 56 Abs. 2 und
§ 294 lit. c PBG
bestehenden Freiheit, in der Industriezone differenzierende Vorschriften für Handels- und Dienstleistungsbetriebe zu erlassen, Gebrauch gemacht".
Das Bundesgericht prüft bei Autonomiebeschwerden den angefochtenen Entscheid nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür, sofern es - wie hier - nicht um die Auslegung und Anwendung von Normen des kantonalen oder eidgenössischen Verfassungsrechts geht (
BGE 110 Ia 200
/201 E. 4 mit Hinweisen). Von Willkür kann nicht schon dann die Rede sein, wenn sich eine andere Lösung ebenfalls vertreten liesse oder sogar vorzuziehen wäre. Ein Verstoss gegen das Willkürverbot liegt erst dann vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar, mit sachlichen Gründen schlechthin nicht mehr vertretbar ist (
BGE 107 Ia 114
;
BGE 105 Ia 176
BGE 99 Ia 346
, je mit Hinweisen). Dies trifft im hier zu beurteilenden Fall nicht zu.
Gemäss
§ 46 Abs. 1 PBG
regelt die Bau- und Zonenordnung die Überbaubarkeit und die Nutzweise der Grundstücke, soweit diese nicht abschliessend durch eidgenössisches oder kantonales Recht bestimmt sind. Hinsichtlich der Nutzweise in den Industriezonen legt das kantonale Recht folgendes fest:
§ 56 PBG
"Industriezonen sind in erster Linie für die Ansiedlung industrieller und gewerblicher Betriebe der Produktion und der Gütergrossverteilung bestimmt.
BGE 111 Ia 329 S. 333
Die Bau- und Zonenordnung kann auch Handels- und Dienstleistungsgewerbe zulassen. Wohnungen für standortgebundene Betriebsangehörige sind gestattet; für vorübergehend angestellte Personen kann die Bau- und Zonenordnung provisorische Gemeinschaftsunterkünfte zulassen."
Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass das kantonale Recht Handels- und Dienstleistungsgewerbe in den Industriezonen grundsätzlich nicht gestattet. Es ermächtigt jedoch in
§ 56 Abs. 2 PBG
die Gemeinden, in ihren Bau- und Zonenordnungen derartige Gewerbe zuzulassen. Der Regierungsrat legt die Vorschrift dahin aus, dass die Gemeinden Handels- und Dienstleistungsbetriebe in der Industriezone entweder generell zulassen oder nicht zulassen dürften, es ihnen aber nicht erlaubt sei, bestimmte Arten solcher Betriebe, also z.B. Einkaufszentren, auszuschliessen. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was geeignet wäre, diese Auslegung als unhaltbar erscheinen zu lassen. Aus den von ihr angeführten Stellen aus der Entstehungsgeschichte des PBG ergibt sich nicht eindeutig, ob bei der Zulassung von Handels- und Dienstleistungsbetrieben in der Industriezone Differenzierungen gestattet sein sollen. Hingegen sprechen sowohl der Wortlaut als auch der Sinn des
§ 56 PBG
für die Auslegung, wie sie der Regierungsrat vorgenommen hat. Die kantonale Behörde durfte mit sachlichen Gründen erwägen, es gehe hier um die grundsätzliche planerische Frage, ob gewisse Gebiete für industrielle und gewerbliche Betriebe der Produktion und der Gütergrossverteilung reserviert bleiben oder ob in Industriezonen generell auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe zulässig sein sollen.
§ 57 PBG
, wonach die Bau- und Zonenordnung "Industriezonen unterschiedlicher Einwirkungen" ausscheiden kann, steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift bezieht sich auf den Störungsgrad der industriellen Betriebe. Die Gemeinden dürfen Zonen bezeichnen, in denen ein bestimmtes Mass an Einwirkungen nicht überschritten wird. Darunter ist nicht der Ausschluss gewisser Dienstleistungsbetriebe zu verstehen, auch wenn diese z.B. hinsichtlich der Erschliessung besondere Probleme aufwerfen. Diesen besonderen Problemen ist mit entsprechend strengen Anforderungen an die Erschliessung zu begegnen, und das zürcherische Recht enthält denn auch spezielle Vorschriften darüber, wo bzw. unter welchen Erschliessungsvoraussetzungen Einkaufszentren, Grossläden und Begegnungsstätten mit grossem Publikumsverkehr zulässig sind (vgl. die Verordnung über die Verschärfung oder die Milderung von
BGE 111 Ia 329 S. 334
Bauvorschriften für besondere Bauten und Anlagen vom 26. August 1981/Besondere Bauverordnung II).
Der Regierungsrat durfte demnach ohne Willkür annehmen, gemäss
§ 56 PBG
hätten die Gemeinden nur die Freiheit, in der Industriezone Handels- und Dienstleistungsgewerbe entweder generell zuzulassen oder auszuschliessen; detailliertere Unterscheidungen dürften sie nicht vornehmen. Es ist fraglich, ob insoweit von einer relativ erheblichen Entscheidungsfreiheit und damit von einem Autonomiebereich der Gemeinden gesprochen werden kann oder ob nicht eher gesagt werden müsste, das kantonale Recht enthalte diesbezüglich eine abschliessende Ordnung, so dass die Gemeinden nicht autonom seien. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Rüge der Autonomieverletzung so oder so fehlgeht. Wird angenommen, die Beschwerdeführerin sei in jenem Bereich, der durch Art. 21 Abs. 1 BauO berührt wird, nicht autonom, dann konnte der Regierungsrat mit der Nichtgenehmigung dieser Vorschrift keine Autonomieverletzung begehen. Bejaht man die Autonomie der Gemeinde Urdorf im betroffenen Bereich, so wurde sie durch den angefochtenen Entscheid nicht verletzt, da der Regierungsrat in vertretbarer Auslegung des kantonalen Rechts zum Schluss gelangen konnte, Art. 21 Abs. 1 BauO verstosse gegen
§ 56 PBG
und könne daher nicht genehmigt werden. Die Beschwerde erweist sich somit in diesem Punkt als unbegründet.
4.
Die Art. 22 und 24 BauO lauten:
Art. 22 Vorgartengebiete
"Die Vorgartengebiete (Gebiet zwischen Strassengrenze und Baulinie) in Industriezonen, die durch eine Strasse von der benachbarten Wohnzone getrennt sind, müssen als Grünanlage gestaltet werden. Dasselbe ist erforderlich innerhalb des freibleibenden Streifens des bauordnungsgemässen Grenzabstandes gegenüber benachbarten Wohnzonen. Die Anordnung weiterer Bepflanzung, Grünflächen usw. gemäss
§ 238, Abs. 3 PBG
bleibt vorbehalten."
Art. 24 Terrain, Überdeckung
"Die zu errichtenden Anlagen dürfen nicht über das gewachsene Terrain (die heutige Terrainlinie) hinausragen, ausgenommen solche gemäss Art. 25; Terrainveränderungen sind gestattet, wenn sie sich der Umgebung gut einfügen.
Mit Ausnahme der Ostfassade dürfen Fassaden nicht freigelegt werden. Die Anlagen sind mit Humus zu überdecken und mit standortgemässen Pflanzen und Sträuchern zu bepflanzen; diese sind entsprechend den Anforderungen des Landschaftsschutzes zu unterhalten."
BGE 111 Ia 329 S. 335
Der Regierungsrat schloss Art. 22 und Art. 24 Abs. 3 BauO von der Genehmigung aus mit der Begründung, die Vorschriften verstiessen gegen
§ 238 Abs. 3 PBG
, wonach Möglichkeit und Bedürfnis hinsichtlich Begrünung im einzelnen Bewilligungsfall zu prüfen seien. Auch in diesem Punkt kann der Genehmigungsbehörde keine unhaltbare Auslegung des kantonalen Rechts vorgeworfen werden.
§ 238 PBG
legt folgendes fest:
"Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im ganzen und in ihren einzelnen Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird; diese Anforderung gilt auch für Materialien und Farben.
Auf Objekte des Natur- und Heimatschutzes ist besondere Rücksicht zu nehmen; sie dürfen auch durch Nutzungsänderungen und Unterhaltsarbeiten nicht beeinträchtigt werden, für die keine baurechtliche Bewilligung nötig ist.
Wo die Verhältnisse es zulassen, kann mit der baurechtlichen Bewilligung verlangt werden, dass vorhandene Bäume bestehen bleiben, neue Bäume und Sträucher gepflanzt werden sowie der Vorgarten als Grünfläche hergerichtet wird."
Gemäss
§ 238 Abs. 3 PBG
darf die Bepflanzung und die Anlage von Grünflächen nur verlangt werden, "wo die Verhältnisse es zulassen". Der Regierungsrat konnte mit sachlichen Gründen erwägen, damit werde abschliessend geregelt, dass jeweils im Einzelfall unter Würdigung der betreffenden Verhältnisse darüber befunden werden müsse, ob und inwieweit eine Bepflanzung oder eine Anlage von Grünflächen verlangt werden dürfe, und es den Gemeinden daher nicht gestattet sei, ganz allgemein in dieser Hinsicht strengere Anforderungen zu stellen. Verhält es sich so, dann ist die Beschwerdeführerin in jenen Bereichen, die durch Art. 22 und Art. 24 Abs. 3 BauO betroffen werden, nicht autonom, weshalb die Nichtgenehmigung dieser Vorschriften durch die kantonale Behörde keine Verletzung der Gemeindeautonomie bedeutet. Die Beschwerde geht somit auch insoweit fehl. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a62e49e9-8b56-465d-8c81-9951dbb8672a | Urteilskopf
106 II 283
56. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 16 décembre 1980 dans la cause Y. S. (recours de droit public) | Regeste
Ausrichtung von Vorschüssen für den Unterhalt des Kindes (
Art. 293 Abs. 2 ZGB
;
Art. 88 OG
).
1. Derjenige Elternteil, welcher seinen Unterhaltspflichten nachkommt, ist zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert gegen den Entscheid, welcher das Begehren um Ausrichtung von Vorschüssen für den vom andern Elternteil geschuldeten, aber nicht geleisteten Unterhaltsbeitrag ablehnt (E. 2).
2.
Art. 293 Abs. 2 ZGB
verpflichtet die Kantone nicht, die Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge durch die öffentliche Hand vorzusehen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 283
BGE 106 II 283 S. 283
Le 16 juin 1978, le Tribunal civil du district de Neuchâtel prononça le divorce de L. C. et d'Y. née S. Il confia les enfants A. et M. à leur mère, à laquelle il attribua l'exercice exclusif de l'autorité parentale. Le Tribunal ratifia la convention que les parties avaient conclue sur les effets accessoires du divorce. L. C. s'était engagé à contribuer à l'entretien de ses deux enfants par le versement d'une pension mensuelle de 180 fr. pour chacune, payables d'avance.
Y. S. s'adressa le 30 janvier 1979 au Service cantonal de recouvrement et d'avances des contributions d'entretien, rattaché à l'office des mineurs et des tutelles du canton de Neuchâtel. Elle exposa que L. C. n'avait jamais versé les pensions dues, qu'il était retourné en Italie, son pays d'origine,
BGE 106 II 283 S. 284
et qu'il devait résider dans la région de Padoue. Elle ne put toutefois donner de précisions sur le domicile et la situation financière de son ex-mari. Invoquant les dispositions de la loi cantonale du 19 juin 1978 sur le recouvrement et l'avance des contributions d'entretien (LRACE), elle demanda des avances sur les pensions que le juge du divorce avait allouées à ses deux enfants. Le Service cantonal sollicita l'aide du consulat de Suisse à Venise pour découvrir l'adresse de L. C. Le 12 avril 1979, le consul répondit que L. C. n'était plus inscrit dans les registres du contrôle des habitants de Padoue et n'avait pas été retrouvé.
Le 16 février 1979, le Service cantonal rejeta la demande d'Y. S. La requérante recourut auprès du Département cantonal des finances, qui la débouta le 3 octobre 1979.
Statuant sur recours le 2 juin 1980, le Conseil d'Etat du canton de Neuchâtel a accordé à Y. S. des avances de 1'080 fr. correspondant aux contributions dues pour trois mois à l'entretien des enfants A. et M.; il a rejeté le recours pour le surplus.
Y. S. a interjeté contre la décision du Conseil d'Etat un recours de droit public pour arbitraire et pour violation du principe de la force dérogatoire du droit fédéral.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'art. 4 LRACE donne au créancier de contributions d'entretien demeurées impayées le droit d'obtenir des avances si les circonstances le justifient. Les crédirentiers sont en l'espèce les enfants A. et M. et la recourante n'est en cette matière que leur représentant légal (art. 156 al. 2 et 289 al. 1 CC;
ATF 98 IV 207
s. et les arrêts cités). La décision attaquée est néanmoins de nature à léser la recourante dans ses intérêts juridiquement protégés, au sens de l'
art. 88 OJ
. Le litige ne porte en l'espèce ni sur le principe ni sur le montant des prétentions civiles des crédirentiers, mais sur le fonctionnement du service public chargé du recouvrement et de l'avance des pensions. Ce service est certes créé pour fournir à l'enfant un paiement rapide de ce qui lui est dû, mais tout autant pour soulager celui des parents qui fait face à ses obligations et qui, si l'autre se soustrait aux siennes, doit subvenir seul à tous les besoins de l'enfant. L'enfant et celui des parents qui en a la charge
BGE 106 II 283 S. 285
effective sont, tant l'un que l'autre, usagers du service public et ont droit à son fonctionnement régulier. Ils sont tous deux, à des titres différents, lésés dans leurs intérêts juridiquement protégés si le service refuse de fournir les prestations auxquelles il est tenu de par la loi. Partant, la recourante a qualité pour demander en son nom et pour son compte l'annulation de l'acte attaqué. Même si tel n'était pas le cas, le recours demeurerait d'ailleurs recevable en l'espèce. La jurisprudence admet en effet que le détenteur de l'autorité parentale procède en son propre nom pour recouvrer les arrérages d'entretien dus à ses enfants (
ATF 90 II 355
s. consid. 3,
ATF 84 II 244
ss).
3.
La loi neuchâteloise du 19 juin 1978 sur le recouvrement et l'avance des contributions d'entretien dispose:
"Art. 4.- Lorsque les circonstances le justifient, le créancier de l'une des obligations d'entretien mentionnées à l'art. 5 peut demander des avances sur les prestations échues s'il est domicilié dans le canton depuis 3 mois au moins.
Art. 10.- Le service n'accorde plus d'avances lorsque le débiteur de la contribution d'entretien est durablement insolvable et que le recouvrement de la créance est exclu."
Le Conseil d'Etat a jugé que le Service cantonal doit en principe refuser d'emblée toutes avances sur des arrérages irrécouvrables. La recourante soutient que les art. 4 et 10 LRACE, au moins dans l'interprétation qu'en donne le Conseil d'Etat, sont incompatibles avec l'
art. 293 al. 2 CC
et se heurtent donc au principe de la force dérogatoire du droit fédéral. Le Tribunal fédéral doit statuer avec plein pouvoir d'examen sur ce grief qui est tiré d'une violation de l'art. 2 Disp. trans. Cst. (
ATF 102 Ia 559
consid. 4,
ATF 102 Ia 155
consid. 1 et les arrêts cités).
De l'avis de la recourante, le législateur fédéral a imposé aux cantons la création d'un système d'avances des contributions d'entretien. Les cantons ne pourraient se soustraire à cette tâche en adoptant des dispositions qui permettent à l'administration d'apprécier librement si les circonstances justifient l'octroi de prestations. La recourante se méprend sur le sens et la portée de l'
art. 293 al. 2 CC
. Cette disposition semble certes reposer sur l'idée que les cantons vont ou devraient, dans la mesure du possible, créer des services pour l'avance des contributions d'entretien. Il n'en demeure pas moins que, selon le texte même de la loi, il appartient au droit public de régler le versement d'avances, partant, de déterminer si et
BGE 106 II 283 S. 286
à qui de telles prestations seront fournies, dans quelle mesure et à quelles conditions. Les travaux préparatoires confirment cette interprétation, puisque le législateur a vu dans l'art. 293 al. 2 une règle analogue à celle de l'
art. 6 CC
(message du Conseil fédéral du 5 juin 1974, FF 1974 II 68 s.). Cela signifie que la disposition adoptée avait, dans l'idée du législateur, une valeur purement déclaratoire et ne faisait que réserver aux cantons une compétence qu'ils tenaient déjà de l'ordre constitutionnel. Le rapporteur de la commission du Conseil des Etats a même précisé pendant les débats que le futur
art. 293 al. 2 CC
ne créait aucune obligation pour les cantons (Bull. stén. CE 1975, p. 130). La systématique de la loi, de plus, n'autorise aucun doute sur ce point. Lorsque le législateur a voulu contraindre les cantons à organiser et faire fonctionner un service public, il s'est exprimé sans ambiguïté, comme il l'a fait à l'
art. 290 CC
. On peut du reste se demander quel serait le sens ou le but d'une norme civile fédérale imposant la création d'un service public cantonal sans définir, fût-ce sommairement, les conditions et l'étendue de ses prestations.
L'
art. 293 al. 2 CC
n'oblige pas les cantons à organiser un système d'avances des contributions d'entretien. Il ne saurait dès lors être violé par une disposition cantonale permettant à l'administration d'apprécier librement si les circonstances justifient de telles prestations.
4.
L'art. 4 LRACE donne au crédirentier le droit d'obtenir des avances sur ses arrérages de pension si les circonstances le justifient. L'autorité cantonale a jugé que le système des avances se distingue de l'assistance publique, qu'il ne remplace pas. A son avis, la notion même d'avance exclut les prestations qui apparaissent d'emblée comme fournies à fonds perdus. Le service doit donc refuser l'aide financière qui lui est demandée, lorsque les créances du requérant sont irrécouvrables; le requérant peut toutefois s'adresser alors aux offices de l'assistance publique. Ce point de vue n'est nullement arbitraire et la recourante se contente d'opposer sa thèse à celle de l'autorité cantonale. L'art. 4 LRACE donne aux agents du service un pouvoir d'appréciation étendu. Il ne restreint pas le refus initial de l'aide sollicitée aux seuls cas où elle devrait être retirée selon l'art. 10, lequel exige, cumulativement, que le débirentier soit insolvable et que le recouvrement des arrérages soit exclu.
L'autorité cantonale n'est pas tombée dans l'arbitraire en tenant
BGE 106 II 283 S. 287
pour irrécouvrable une pension dont le débiteur n'a pas d'adresse connue. La recourante reproche à l'administration l'insuffisance de ses recherches, mais n'indique même pas les démarches qui, à son avis, auraient pu et dû être entreprises.
5.
Selon la pratique élargie que suit l'autorité cantonale, le requérant a droit à des avances pendant le temps nécessaire pour déterminer si les circonstances justifient l'aide demandée. La recourante a déposé sa requête d'assistance le 30 janvier 1979 et le Service cantonal a appris le 12 avril que l'adresse du débirentier n'avait pu être retrouvée. La recourante estime dès lors avoir droit à quatre mois d'avances au moins, car les recherches se sont étendues sur les périodes de quatre arrérages, les pensions étant payables le premier jour du mois. Elle se considère victime d'une inégalité de traitement, pour n'avoir reçu des avances que sur trois mois. Rien toutefois, dans le dossier de la cause, ne démontre que la méthode de calcul appliquée par la recourante corresponde à la pratique suivie par l'autorité cantonale. L'autorité aurait pu n'allouer des avances que "prorata temporis", sans que la recourante eût été en droit de se plaindre d'une inégalité de traitement. La solution retenue par le Conseil d'Etat s'avère favorable à la recourante, dont le grief est dès lors dénué de tout fondement. | public_law | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a632cc5c-6ddb-4f14-a11c-54f8812fdc32 | Urteilskopf
83 III 31
9. Arrêt du 11 janvier 1957 dans la cause Pouly Transports SA | Regeste
Retentionsrecht.
Wie muss der Schuldner das Retentionsrecht bestreiten? Sind unpfändbare Sachen dem Retentionsrecht des Lagerhalters nach
Art. 485 Abs. 3 OR
entzogen? (Frage vorbehalten).
Bei Bejahung dieser Frage wäre die Unpfändbarkeit nach der Sachlage zu beurteilen, wie sie damals vorlag, als das Retentionsrecht entstehen konnte. | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 83 III 31 S. 32
A. - Au printemps 1954, Louis Guidoux a pris, ainsi que son épouse, un emploi où ils étaient logés et nourris. Il a dès lors quitté son appartement et chargé Pouly Transports SA d'entreposer ses meubles. Comme il ne payait ni les frais de transport ni ceux d'entrepôt, Pouly Transports SA lui a intenté, le 29 août 1956, une poursuite en réalisation de gage pour 488 fr.; elle alléguait en effet avoir un droit de rétention sur les objets qu'elle détenait dans son garde-meuble. Le débiteur n'a pas formé opposition.
La créancière a requis la vente le 2 octobre 1956. Guidoux en a été avisé. Le 12 octobre, il a porté plainte à l'autorité de surveillance, en concluant à ce que les meubles détenus par Pouly Transports SA ne soient pas vendus. Il expliquait que ces objets lui étaient indispensables pour garnir l'appartement non meublé qu'il avait loué entre temps.
L'autorité inférieure de surveillance a considéré que le débiteur aurait dû contester le droit de rétention en formant opposition à la poursuite. Aussi a-t-elle rejeté la plainte.
Sur recours de Guidoux, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a, le 6 décembre 1956, déclaré insaisissables les objets sur lesquels la créancière prétendait à un droit de rétention. Se fondant sur la jurisprudence inaugurée par l'arrêt Henchoz (RO 71 III 147), elle a considéré que la vente de ces biens se heurtait à des motifs d'humanité et à l'intérêt public.
Pouly Transports SA défère la cause au Tribunal fédéral, en concluant au rejet de la plainte.
BGE 83 III 31 S. 33
Erwägungen
Considérant en droit:
On peut se demander si le débiteur n'aurait pas dû contester le droit de rétention en s'opposant à la poursuite et s'il était encore recevable à soulever ce moyen par une plainte déposée après qu'il eut été avisé de la vente (RO 54 III 244, 57 III 26; cf. cependant RO 45 III 32). En outre, la créancière invoque le droit de rétention prévu par l'art. 485 al. 3 CO. Or cette disposition n'excepte pas expressément les objets insaisissables et l'on peut se demander si une telle réserve découle de l'art. 896 al. 2 i.f. CC (cf. OFTINGER, Sachenrecht, ad art. 896 CC, rem. 33). Mais il n'est pas nécessaire de trancher ces questions. De toute façon, en effet, la plainte ne pourrait être admise que si les meubles détenus par la créancière étaient insaisissables en vertu de l'art. 92 ch. 1 LP. Or cette condition n'est pas remplie.
Sans doute les objets en cause paraissent-ils aujourd'hui nécessaires au débiteur. Mais les circonstances actuelles ne sont pas déterminantes. Pour ordonner une saisie, on se fonde en principe sur les conditions qui existent à l'époque où cette mesure est prise (RO 82 III 107 consid. 2 et les arrêts cités). Il en est de même en matière de droit de rétention: si les biens insaisissables y échappent, il faut, pour juger quels objets ont cette qualité, se reporter au moment où le droit de rétention a pu naître. Une fois créé, celui-ci ne saurait devenir caduc en raison de nouveaux besoins du débiteur. Or, en 1954, Guidoux a renoncé à son ménage et confié ses meubles à Pouly Transports SA pour un temps indéterminé. Il n'était même pas certain qu'il les reprendrait un jour et il se pouvait qu'il décidât de les vendre. En tout cas, il n'en a eu nul besoin pendant deux ans. Ainsi, durant une certaine période, ces biens n'ont point été insaisissables. Si, par exemple, Pouly Transports SA avait poursuivi le débiteur en 1955, il n'aurait pu s'opposer à leur réalisation qu'en arguant d'un besoin futur hypothétique, ce qui ne lui eût pas permis d'obtenir
BGE 83 III 31 S. 34
gain de cause (RO 82 III 106/107). Dès lors, la créancière a acquis un droit de rétention sur les meubles de Guidoux même si l'art. 896 al. 2 i.f. CC refuse au dépositaire un tel droit sur des biens insaisissables. Le fait que le débiteur a loué par la suite un appartement non meublé ne porte aucune atteinte à ce droit de rétention.
Quant à la jurisprudence inaugurée par l'arrêt Henchoz, elle ne saurait être appliquée en l'espèce. Elle permet d'annuler d'office une saisie qui porte une atteinte flagrante et considérable au minimum vital du débiteur, mais, dans ce cas également, il faut, pour juger si les conditions de la nullité sont remplies, se reporter au moment de la saisie et il importe peu que le débiteur doive, par la suite, satisfaire de nouveaux besoins.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites
Admet le recours et rejette la plainte. | null | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a6339c5d-10c7-41fa-bf52-d9e46bc80946 | Urteilskopf
97 IV 194
34. Urteil des Kassationshofes vom 15. Oktober 1971 i.S. Born gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 151, 137 StGB
.
Die Beschaffung ungerechtfertigter Geldgewinne durch Eingriff mit einem Eisenstab in den Mechanismus eines ordnungsgemäss in Betrieb gesetzten Spielautomaten ist Erschleichung einer Leistung, nicht Diebstahl. | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 97 IV 194 S. 194
A.-
In der Zeit von März bis Juni 1969 benutzte Paul Born unter Mitwirkung anderer in verschiedenen Restaurants und Spielsalons aufgestellte Spielautomaten, um sich ungerechtfertigte Geldgewinne in einem unbestimmten, Fr. 150.-- nicht übersteigenden Gesamtbetrag zu verschaffen. Born und seine Komplizen gingen dabei so vor, dass sie durch Einwurf einer gültigen Schweizermünze die Automaten ordnungsgemäss in Betrieb setzten, sodann aber mit einem 40 cm langen Eisenstab in den Mechanismus des Apparates eingriffen (sog. Sing-Sing-Methode), wodurch sie bewirkten, dass ihre Erfolgsaussichten unverhältnismässig gesteigert wurden und sie zumeist Höchstgewinne von netto Fr. 7.- pro Spiel erzielten.
B.-
Am 30. April 1970 sprach das Bezirksgericht Zürich Born wegen dieser Handlungen des wiederholten Diebstahls schuldig und verurteilte ihn deswegen sowie wegen verschiedener anderer Straftaten zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von 42 Tagen Gefängnis, abzüglich 8 Tage Untersuchungshaft, und zu einer Busse von Fr. 150.--.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 23. April 1971 im genannten Anklagepunkt den auf Diebstahl lautenden Schuldspruch der ersten Instanz und erkannte seinerseits auf die von dieser ausgefällten Strafen.
BGE 97 IV 194 S. 195
C.-
Born führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei bezüglich der ihm zur Last gelegten Diebstahlshandlungen aufzuheben und die Sache insoweit zu einer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Born stellt sich auf den Standpunkt, es handle sich bei den fraglichen Verfehlungen um eine Erschleichung von Leistungen im Sinne des
Art. 151 StGB
, eventuell um blosse Entwendungen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf die Einreichung von Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz hat die Argumentation des Beschwerdeführers, wonach
Art. 151 StGB
zur Anwendung komme, abgelehnt und nach
Art. 137 Ziff. 1 StGB
verurteilt, weil Born fremde, bewegliche Sachen, nämlich Geld, in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht weggenommen habe, wobei die Wegnahme dadurch erfolgte, dass durch die unzulässigen Manipulationen der Gewahrsam, den der Automatenbesitzer am Inhalt des Apparates hatte, gebrochen und eigener Gewahrsam des Beschwerdeführers begründet worden sei. Ein solches Verhalten falle nicht unter
Art. 151 StGB
, weil Gegenstand der Erschleichung einer Leistung nicht fremde, bewegliche Sachen, sondern Leistungen im gewöhnlichen Sinne des Wortes, d.h. Arbeitsleistungen aller Art seien (SJZ 1964, S. 209 Nr. 144). Dem Beschwerdeführer sei es bei seinen Manipulationen nicht um eine Leistung des Automaten, sondern um dessen Geldinhalt gegangen. Dabei habe er sich das Geld zwar nicht mit Gewalt, aber durch einen Trick angeeignet.
Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, es fehle für eine Unterstellung seiner Handlungen unter
Art. 137 StGB
das Tatbestandsmerkmal des Wegnehmens. Durch das Manipulieren der Automaten vermittels eines Eisenstäbchens sei bloss die Wahrscheinlichkeit des durch den Automaten vermittelten Gewinns gesteigert, dieser aber nicht weggenommen worden. Automaten könnten auch auf andere Weise, z.B. durch Rütteln, Schrägstellen usw. derart beeinflusst werden, dass die sich drehende Glücksscheibe auf der Glückzahl stehen bleibe. Wollte man den Eingriff mit dem Eisenstäbchen als Diebstahl betrachten, müsste man auch auf jene Fälle
Art. 137 StGB
anwenden. Das wäre jedoch lebensfremd. Wegnehmen sei ein klares, eindeutiges und unmittelbares
BGE 97 IV 194 S. 196
Behändigen fremden Eigentums zum Zwecke der Bereicherung. Das Manipulieren eines Automaten durch regelwidriges Beeinflussen seiner Funktion mit dem Zweck, eine immer noch ungewisse, aber wesentlich erhöhte Wahrscheinlichkeit von Gewinn zu erzielen, erfülle jenes Wegnehmen nicht.
2.
Für die Entscheidung der Frage, ob im vorliegenden Fall
Art. 137 oder
Art. 151 StGB
anwendbar sei, kommt es in der Tat darauf an, ob alle Merkmale des Diebstahlstatbestandes, namentlich auch dasjenige des Wegnehmens erfüllt seien;
Art. 151 StGB
steht nämlich zu
Art. 137 StGB
im Verhältnis der Subsidiarität. Er kommt nur zur Anwendung, wenn dieser Tatbestand nicht gegeben ist. Insoweit verhält es sich hier nicht anders als mit Bezug auf
Art. 148 StGB
, der der Bestimmung des
Art. 141 StGB
vorgeht und ihre Anwendung ausschliesst, wenn die Merkmale des Betrugstatbestandes vorliegen (nicht veröffentlichtes Urteil der Anklagekammer vom 12. Dezember 1968 i.S. Roukine; s. auch zum Verhältnis von Art. 150 zu
Art. 148 StGB
:
BGE 72 IV 120
,
BGE 75 IV 17
). Dabei ist indessen nicht zu übersehen, dass
Art. 151 StGB
in dieses Gesetz aufgenommen wurde, um dem Richter in Fällen wie dem Automatenmissbrauch, wo eine Unterstellung des Sachverhalts unter die Tatbestände des Diebstahls und des Betruges häufig nur über den Umweg zweifelhafter Konstruktionen möglich wäre, solche Schwierigkeiten zu ersparen (Zürcher Erläuterungen, I S. 190 unten; HAFTER, Bes. Teil S. 284, V). Wo die Abgrenzung zwischen Art. 137 (und 148 StGB) einerseits und
Art. 151 StGB
anderseits höchst unsicher und zweifelhaft ist, entspricht es somit dem Sinn des Gesetzes, die letztere Bestimmung anzuwenden.
3.
Im vorliegenden Fall hat das Obergericht die Wegnahme fremder, beweglicher Sachen (Geld) bejaht, indem es im Manipulieren der Automaten vermittels eines Eisenstäbchens einen Trick erblickte, durch welchen der Gewahrsam des Inhabers der Apparate an deren Inhalt gebrochen worden sei.
a) Gewahrsam ist tatsächliche Sachherrschaft mit dem Willen, sie auszuüben. Dass diese Herrschaft des Inhabers von Automaten an Waren und Geld besteht, die sich unter Verschluss in diesem befinden, steht ausser Zweifel. Deshalb macht sich auch eines Diebstahls schuldig, wer einen solchen Automaten aufbricht oder beschädigt, um sich dessen Inhalt anzueignen (Prot. 2. ExpKom VII, S. 17/18; CLERC, Cours élémentaire
BGE 97 IV 194 S. 197
sur le Code pénal suisse, I S. 147; LOGOZ, N. 2 c Abs. 4 zu Art. 151; THORMANN/v. OVERBECK, N. 10 zu Art. 151).
b) Dagegen steht die schweizerische Lehre überwiegend auf dem Standpunkt, dass die Erlangung einer Automatenleistung durch Einwurf eines wertlosen, nach Form und Gewicht einer Münze entsprechenden Gegenstandes auch bei Warenautomaten eine blosse Erschleichung einer Leistung im Sinne des
Art. 151 StGB
darstelle (LOGOZ, N. 2 c Abs. 1 zu Art. 151; THORMANN/v. OVERBECK, loc.cit.; ferner GERMANN, Das Verbrechen, N. 3 zu Art. 151 und HAFTER, Bes. Teil S. 283, denen zufolge Warenautomaten ebenfalls in Betracht kommen; anders RYCHNER, Der Missbrauch der Automaten usw., in SJZ 1941/42, S. 27. Vgl. im Sinne der vorherrschenden Lehre auch BJM 1968, S. 91; ablehnend dagegen SJZ 1964, S. 209 Nr. 144). Die Vorinstanz hält demgegenüber dafür, dass unter den in
Art. 151 StGB
verwendeten Begriff der Leistung nur Arbeits-, nicht aber auch Waren- oder Geldleistungen fielen. Sie beruft sich hiefür auf ein übrigens durch einen späteren Entscheid derselben Behörde (BJM 1968, S. 91/92) überholtes Urteil des Basler Strafgerichtes aus dem Jahre 1964 (SJZ 1964, S. 209 Nr. 144), in welchem zur Stütze dieser These auf den französischen Gesetzeswortlaut, auf
Art. 394 OR
und die deutsche Rechtsprechung verwiesen wird.
Soweit der Automatenmissbrauch in Frage steht, verwendet die französische Fassung des Art. 151 in Absatz 4 zwar den Ausdruck "fonctionnement d'un appareil automatique", was im Sinne einer sich im mechanischen Bewegungsablauf des Apparates erschöpfenden Leistung (z.B. in der Wiedergabe von Musik, im Anzeigen eines Gewichtes, in der Herstellung einer telephonischen Verbindung usw.) gedeutet werden kann. Indessen ist nicht zu übersehen, dass Absatz 4, der gleich den Absätzen 2 und 3 bloss ein Beispiel erwähnt, im Zweifelsfall stets nach der Generalklausel des ersten Absatzes auszulegen ist (Zürcher Erläuterungen I S. 191; HAFTER, op.cit. S. 283/4). Dieser aber spricht auch in der französischen Fassung allgemein von der betrügerischen Erlangung "d'une prestation", welcher Begriff im schweizerischen Recht als Bezeichnung für das "objet de l'obligation, consistant à livrer une chose ou à accomplir un acte" verwendet wird (PICCARD/THILO/STEINER, Rechtswörterbuch, I S. 437). Entsprechend schliesst denn auch das Obligationenrecht, auf das die Vorinstanz mittelbar
BGE 97 IV 194 S. 198
verweist, in die "Leistung" persönliche und sachliche Leistungen ein (z.B. Art. 21, 24 Ziff. 3, 70, 72, 103, 107). Soweit es unter dem Titel des Dienstvertrages von Leistungen spricht, präzisiert es diese übrigens als "Leistungen von Diensten" (
Art. 319 OR
), während der im genannten Basler Entscheid erwähnte
Art. 394 OR
in Absatz 2 den Ausdruck "Arbeitsleistung" verwendet (s. hiezu auch von TUHR/SIEGWART, Allg. Teil zum schweiz. OR, I S. 41/42). Die von der schweizerischen Strafrechtslehre im Gegensatz zu der im genannten kantonalen Entscheid angeführten und übrigens nicht ohne Widerspruch gebliebenen deutschen Rechtsprechung (s. Leipziger Kommentar, 8. Auflage, N. 3 zu § 265a, S. 468) vorwiegend vertretene Auffassung, wonach
Art. 151 Abs. 4 StGB
nicht bloss die Erschleichung von Arbeitsleistungen, sondern auch von Warenleistungen umfasse, ist sachlich begründet, soweit der Missbrauch von Automaten, die Waren oder Geld auswerfen, sich nicht ohne weiteres den Tatbeständen des Diebstahls oder des Betruges unterstellen lässt; denn es wäre nicht verständlich, warum der unter dem Titel der "Strafbaren Handlungen gegen das Vermögen überhaupt" eingeordnete
Art. 151 StGB
sich in solchen Fällen auf Arbeitsleistungen beschränken und die Erschleichung von Waren- und Geldleistungen unberücksichtigt lassen sollte.
Bei Automaten, die Sachleistungen vermitteln, besteht nun aber der Gewahrsam des Automatenbesitzers am Inhalt des Geräts nur so lange, als dieser nicht durch den Mechanismus des Apparates in die Lade ausgestossen wird. In diesem Augenblick hört die tatsächliche Herrschaft des Automateninhabers über die Sache auf. Den dahingehenden Willen bekundet jener mit dem Aufstellen des Gerätes, von dem er weiss, dass es die Leistungen selbsttätig vermittelt, und dies selbst dann, wenn es ordnungswidrig in Betrieb gesetzt wird. Die Möglichkeit also, dass der Automateninhalt solcherweise in die tatsächliche Herrschaft eines Dritten gelangen werde, nimmt er mit dem Aufstellen des Apparats in Kauf. Tatsächlich bleibt denn auch in Fällen, wo ein solcher Automat wie im oben erwähnten Beispiel durch einen wertlosen Gegenstand in Betrieb gesetzt und damit unrechtmässig eine Sachleistung erwirkt wird, der Ausstoss der Ware oder des Geldes aus dem Gerät die Folge des Zusammenwirkens zweier Faktoren, von denen der eine vom Automatenbesitzer in Kenntnis seiner selbsttätigen
BGE 97 IV 194 S. 199
Wirkung gesetzt wurde. Ist dem aber so, erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die Aneignung der Sache durch den Täter noch als ein Wegnehmen im Sinne des
Art. 137 StGB
angesehen werden kann. Jedenfalls stellt sich die Annahme eines Erschleichens gemäss
Art. 151 StGB
als die natürlichere Lösung dar, und es werden durch die Anwendung dieses Artikels auch die Schwierigkeiten behoben, die - wie bereits ausgeführt (Erw. 2) - mit seinem Erlass dem Richter erspart werden sollten.
c) Was sodann den heute zur Beurteilung stehenden Fall betrifft, so liegt er zwischen dem als Erschleichung erachteten Erlangen einer Automatenleistung durch Einwurf eines wertlosen Gegenstandes und dem eindeutig sich als Diebstahl darstellenden Aufbrechen eines Automaten zur Aneignung seines Inhalts. Er hat jedoch offensichtlich mehr Ähnlichkeit mit dem ersteren als mit dem zweiten Vergleichstatbestand, indem Born sich den unrechtmässigen Gewinn, wenn auch durch einen ordnungswidrigen, so doch durch einen Gebrauch des Automaten verschafft hat, so dass die erwirkte Leistung wie bei der vorerwähnten Erschleichung im Ergebnis als durch den Apparat vermittelt erscheint, was bei dessen Aufbrechen klarerweise nicht zutrifft. Dass Born nicht bei der Inbetriebsetzung, sondern erst nach dieser ordnungswidrig in den Mechanismus des Automaten eingegriffen hat, macht keinen wesentlichen Unterschied aus; unter den Begriff des Erschleichens fällt jeder unzulässige Kunstgriff (Leipziger Kommentar, N. 2 zu § 265 a), durch den das Gerät ohne Zerstörung in seinem mechanischen Bewegungsablauf beeinflusst und damit zu einer Leistung veranlasst wird, die es sonst nicht oder nicht im gleichen Umfang erbringen würde. Dann aber entspricht es einer natürlichen Betrachtungsweise, wie im erstgenannten Vergleichsfall das Verhalten des Täters als ein blosses Erschleichen gemäss
Art. 151 StGB
und nicht als ein Wegnehmen im Sinne des
Art. 137 StGB
zu beurteilen.
Der Umstand, dass Born die Gewinne durch einen Trick erlangt hat, führt zu keinem andern Schluss, wie die Vorinstanz anzunehmen scheint. Ordnungswidrige Kunstgriffe sind geradezu charakteristisch für die Erschleichung einer Leistung im Sinne des
Art. 151 Abs. 4 StGB
. Das erhellt ohne weiteres aus der französischen wie der italienischen Umschreibung des Begriffs als einer "obtention frauduleuse d'une prestation"
BGE 97 IV 194 S. 200
bzw. einem "conseguimento fraudolente di una prestazione". LOGOZ setzt denn auch das in Absatz 1 des französischen Gesetzestextes verwendete Adverb "frauduleusement", das - wie gesagt - zur Auslegung auch von Absatz 4 heranzuziehen ist (Erw. 3 b), gleich dem Ausdruck "en usant de ruse" (Kommentar, N. 2 zu Art. 151), was deutlich macht, dass der Täter die Leistung vermittels einer List, eines Tricks oder Kunstgriffs erwirkt (s. auch HAFTER, op.cit. S. 283, der ausdrücklich vom Täter spricht, der durch einen Trick die Leistung eines Automaten erlangt; s. auch Leipziger Kommentar, N. 2 zu § 265a, S. 468).
Schliesslich kann dem Obergericht auch insoweit nicht beigepflichtet werden, als es die Anwendung von
Art. 151 StGB
auf den vorliegenden Fall deswegen verwarf, weil es dem Beschwerdeführer bei seinen Manipulationen nicht um eine Leistung, sondern um den Geldinhalt des Automaten gegangen sei. Dieses Argument geht schon deswegen fehl, weil ihm die unzutreffende Auffassung zugrunde liegt, wonach die von den fraglichen Spielautomaten ausgeworfenen Geldbeträge keine Leistungen seien. Dass unter den Begriff der Leistung gemäss
Art. 151 StGB
nicht nur Arbeitsleistungen, sondern auch Sachleistungen fallen, wurde bereits dargetan (Erw. 3 b). Dann aber lassen sich auch die in Geld ausgeworfenen Prämien der fraglichen Spielautomaten sehr wohl unter
Art. 151 StGB
einordnen. Nach der Aktenlage vermitteln nämlich die genannten Geräte zwei Leistungen. Die erste besteht in der Gewährung eines Spielgenusses. Sie hängt vom Einwurf einer Münze von Fr. 1. - ab und tritt jedesmal ein, wenn der Apparat in Betrieb gesetzt wird. Als zweite Leistung wirft der Automat bei einer bestimmten Konstellation Geldbeträge von Fr. 2.- bis Fr. 8.- aus. Dass dabei Zufall und Geschicklichkeit eine Rolle spielen, ändert nichts daran, dass es sich auch hierbei um eine typische, der Konstruktion des Gerätes entsprechende Leistung handelt. Spielbetrieb und Geldgewinn sind somit gleicherweise durch den Automaten vermittelte Leistungen (vgl. ebenso BJM 1968, S. 92).
Des weiteren verkennt die Argumentation der Vorinstanz, dass es bei den genannten Spielautomaten gerade in der Natur der Sache liegt, dass der Spieler auch um des Geldgewinns willen spielt. Dass auch der Sinn des Beschwerdeführers auf die Erlangung eines solchen und damit auf einen Teil des Geldinhalts
BGE 97 IV 194 S. 201
des Apparates gerichtet gewesen ist, steht deshalb der Annahme einer Erschleichung nicht nur nicht entgegen, sondern gehört vielmehr zum Vorsatz des Täters, der dabei freilich im Bewusstsein handeln muss, dass er den Inhaber des Automaten um eine Leistung prellt. Das aber ist beim Beschwerdeführer unzweifelhaft der Fall gewesen. Die erste Leistung des Automaten hat Born durch Einwurf eines gültigen Frankenstücks bezahlt, sich also gegen entsprechendes Entgelt verschafft. Die zweite dagegen hat er zumindest teilweise unrechtmässig erwirkt, indem er durch die Manipulation mit dem Eisenstäbchen die vom Konstrukteur des Apparates bewusst eingerechnete Zufälligkeit praktisch ausgeschaltet und so seine Gewinnaussichten unverhältnismässig gesteigert hat. In dem Umfang, als sich diese durch häufigere und zumeist höchste Gewinne von netto Fr. 7.- (ausgeworfener Geldbetrag Fr. 8.- - Einsatz von Fr. 1.-) verwirklicht haben, hat Born eine Leistung erschlichen, die über das hinausging, was er für die von ihm erbrachte Gegenleistung bei ordnungsgemässem Gebrauch des Automaten hätte erwarten können. Insoweit hat er deren Besitzer um Leistungen geprellt, was ihm durchaus bewusst gewesen ist; nach seinen Ausführungen in der Beschwerde hatte er nämlich seine Handlungsweise als "Bschiss" empfunden.
4.
Erweist sich nach dem Gesagten der dem Beschwerdeführer zur Last fallende wiederholte Automatenmissbrauch nicht als Diebstahl, sondern als eine Erschleichung von Leistungen, so ist das angefochtene Urteil, soweit es den Anklagepunkt I/5 betrifft, aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Da das Vergehen des
Art. 151 StGB
ein Antragsdelikt ist, wird eine Bestrafung Borns nach dieser Bestimmung nur bei Vorliegen jener Prozessvoraussetzung erfolgen können. Bei ihrem Fehlen wird die Vorinstanz den Beschwerdeführer im genannten Anklagepunkt freizusprechen haben.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a6368dbf-fb21-409d-9f6d-f8e70873e4a6 | Urteilskopf
141 III 522
68. Estratto della sentenza della II Corte di diritto civile nella causa A. e consorti contro D. (ricorso in materia civile)
5A_629/2014 del 29 settembre 2015 | Regeste
Art. 602 Abs. 1 und 2 ZGB
,
Art. 127 ff. OR
; Erbteilung; Verjährung der Forderungen des Nachlasses gegen einen Erben.
Die von einem Erben an die Erbengemeinschaft geschuldete Entschädigung für den exklusiven Gebrauch (und/oder Nutzung) einer Erbschaftssache verjährt auch während des Gesamthandverhältnisses (E. 2.1). | Sachverhalt
ab Seite 523
BGE 141 III 522 S. 523
A.
Nell'ambito della procedura di divisione delle successioni dei coniugi E. e F., con sentenza 26 ottobre 1992 il Pretore del distretto di Bellinzona ha statuito sulle contestazioni sorte in merito all'inventario delle eredità eretto dal notaio (v.
art. 479 cpv. 1 del
codice di procedura civile ticinese del 17 febbraio 1971), ordinando di inserire tra gli attivi dei crediti a carico degli eredi G., H. e I. per uso e godimento di beni successori immobili (più precisamente fr. 16'795.75 a carico di I., fr. 17'128.95 a carico di H., fr. 21'277.70 a carico di G. e H., fr. 80'131.90 a carico di H. e fr. 81'179.- a carico di G.).
In seguito al decesso dei tre eredi originari, A., B. e C. sono subentrati a I., mentre D. è subentrato a G. e H. Statuendo sulle nuove contestazioni sorte tra gli eredi subentranti, con decisione 7 agosto 2012 il Pretore ha ordinato la modifica dell'inventario delle eredità. All'attivo sono stati iscritti dei crediti a carico di D. di fr. 5'252.50, fr. 34'380.- e fr. 659.50 per uso e godimento di beni successori immobili dopo la sentenza del 26 ottobre 1992, mentre il resto delle pigioni e dei fitti relativo a tale periodo è stato considerato prescritto (in virtù dell'
art. 128 n. 1 CO
). Il Pretore ha ritenuto prescritti anche tutti i crediti riconosciuti mediante la sentenza del 26 ottobre 1992 (in virtù dell'
art. 137 cpv. 2 CO
).
B.
Con sentenza 11 giugno 2014 la I Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino ha respinto l'appello introdotto da A., B. e C. contro la decisione pretorile 7 agosto 2012.
C.
Con ricorso in materia civile 14 agosto 2014 A., B. e C. hanno impugnato la sentenza di appello dinanzi al Tribunale federale. Essi hanno postulato la modifica dei crediti iscritti all'inventario successorio, opponendosi, segnatamente, alla prescrizione delle indennità dovute dagli eredi che hanno beneficiato in modo esclusivo dei beni successori prima della divisione.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso nella misura in cui era ammissibile.
(riassunto)
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
2.1
È innanzitutto controversa la questione a sapere se le indennità dovute dagli eredi per l'uso (e/o il godimento) esclusivo dei beni successori si prescrivano anche durante l'indivisione.
2.1.1
Quando il defunto lasci più eredi, sorge fra i medesimi una comunione di tutti i diritti e di tutte le obbligazioni che dura
BGE 141 III 522 S. 524
dall'apertura dell'eredità fino alla divisione (
art. 602 cpv. 1 CC
). I coeredi diventano proprietari in comune di tutti i beni della successione e dispongono in comune dei diritti inerenti alla medesima, sotto riserva delle facoltà di rappresentanza o d'amministrazione particolarmente conferite per legge o per contratto (
art. 602 cpv. 2 CC
). Secondo la giurisprudenza, l'erede che ha fatto uso esclusivo di un bene successorio prima della divisione deve indennizzare gli altri eredi (
DTF 101 II 36
consid. 3; sentenza 5A_338/2010 del 4 ottobre 2010 consid. 6.1 con rinvii, in SJ 2011 I pag. 185).
Il Tribunale federale ha stabilito che durante l'indivisione non vi è sospensione della prescrizione del credito di un erede contro la successione (
DTF 71 II 219
consid. 1) e ha anche avuto modo di confermare che durante tale periodo si prescrive pure il credito della successione contro un erede risultante dall'uso esclusivo di un bene successorio (v.
DTF 101 II 36
consid. 3; sentenza 5A_776/2009 del 27 maggio 2010 consid. 10.4.1). Quest'ultima giurisprudenza è condivisa da PAUL-HENRI STEINAUER (Conséquences successorales du partage d'une succession seize ans après le décès du de cujus: comment tenir compte de l'usage qu'un héritier a fait des biens meubles servant à l'exploitation d'une entreprise?, successio 2011 pag. 123 seg.) e da NICOLAS ROUILLER (in Commentaire du droit des successions, 2012, n. 34b ad
art. 602 CC
).
2.1.2
Il Tribunale d'appello ha ritenuto che il credito di un erede nei confronti della successione e viceversa - e quindi pure l'indennità dovuta da un erede alla comunione ereditaria per l'uso esclusivo di un bene successorio - si prescriva anche durante l'indivisione, fondandosi sulla giurisprudenza e sulla dottrina appena citate e sul fatto che questo genere di credito non figura nell'elenco esaustivo dei casi di sospensione della prescrizione dell'
art. 134 cpv. 1 CO
.
2.1.3
Secondo i ricorrenti, la decisione dell'autorità cantonale si pone in contrasto con il diritto privato, con la giurisprudenza del Tribunale federale e con autorevole dottrina. A loro dire, la prescrizione dell'indennità dovuta da un erede per aver beneficiato in modo esclusivo di un bene successorio non decorre o comunque rimane sospesa finché dura l'indivisione.
2.1.3.1
Richiamando vari disposti di legge (segnatamente gli
art. 610 e 614 CC
) e vari concetti di diritto successorio, i ricorrenti sostengono che con la divisione ereditaria i "rapporti giuridici di cui è composta l'indivisione perdono la loro essenza ereditaria per sottostare
BGE 141 III 522 S. 525
alle regole applicabili del diritto reale, del diritto obbligatorio ecc." e che soltanto a tale momento i crediti relativi alla successione vengono stabiliti e diventano esigibili, sicché, in virtù dell'
art. 130 cpv. 1 CO
, finché dura la comunione ereditaria la prescrizione della pretesa risultante dall'uso (e/o dal godimento) esclusivo di un bene successorio da parte di un erede non inizierebbe nemmeno a decorrere. Se anche così non fosse, essi considerano che la prescrizione in ogni modo rimarrebbe sospesa durante l'indivisione, "la situazione dei coeredi" rientrando "nello scopo perseguito dall'
art. 134 cpv. 1 CO
", norma che illustrerebbe soltanto "una serie di principi, che possono senz'altro essere estesi".
La censura risulta infondata. Come già stabilito dalla giurisprudenza, la ratio della prescrizione vale infatti, in linea di massima, anche nel campo successorio (
DTF 71 II 219
consid. 1). Inoltre, proprio la dottrina relativa all'indennità dovuta da un erede per l'uso esclusivo di un bene successorio precisa che il pagamento di tale indennità è esigibile anche prima della divisione, non costituendo una pretesa che possa unicamente essere trattata nella liquidazione della comunione ereditaria (v. ROUILLER, op. cit., n. 34b ad
art. 602 CC
). Nemmeno ricorrendo all'analogia (v. PAUL EITEL, Grundfragen der Erbteilung, in Nachlassplanung und Nachlassteilung, 2014, pag. 343 nota a piè di pagina n. 102) è del resto possibile includere la costellazione qui discussa tra i casi di impedimento e di sospensione della prescrizione enumerati all'
art. 134 cpv. 1 CO
, il cui elenco, contrariamente a quanto sembrano pretendere i ricorrenti, è esaustivo (v.
DTF 100 II 339
consid. 4; STEINAUER, op. cit., pag. 124; riservati alcuni altri motivi di sospensione previsti dal diritto federale, comunque estranei alla presente fattispecie, v. PASCAL PICHONNAZ, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2
a
ed. 2012, n. 17 seg. ad
art. 134 CO
).
2.1.3.2
Secondo i ricorrenti non vi sarebbe prescrizione anche per un'applicazione analogica della giurisprudenza e della dottrina secondo le quali, prima della divisione ereditaria, sia la confusione (v. THOMAS WEIBEL, in Praxiskommentar Erbrecht, 3
a
ed. 2015, n. 19 ad
art. 602 CC
; ROUILLER, op. cit., n. 30 ad
art. 602 CC
) sia la compensazione (v.
DTF 44 II 255
consid. 1; sentenza 4A_47/2009 del 15 settembre 2009 consid. 3.1) sarebbero escluse. Tale argomento non tiene però conto del fatto che, rispetto alla prescrizione, questi due modi di estinzione di un debito richiedono una corrispondenza tra il creditore ed il debitore, corrispondenza che in talune
BGE 141 III 522 S. 526
costellazioni emerge per l'appunto solo allo scioglimento della comunione ereditaria con l'attribuzione di un credito (o di un debito) della successione ad un determinato erede.
Pure la proposta analogia con l'usucapione, esclusa per gli eredi se il bene fa parte di una successione indivisa (v.
DTF 122 III 150
consid. 2a;
DTF 116 II 267
) non è calzante, poiché non tiene minimamente conto delle differenze tra la prescrizione acquisitiva e la prescrizione dei crediti.
2.1.3.3
I ricorrenti considerano poi che la giurisprudenza citata dal Tribunale d'appello sarebbe irrilevante. Sostengono che la
DTF 71 II 219
avrebbe lasciato aperta la questione a sapere se la prescrizione del credito di un erede contro la successione rimanga sospesa durante l'indivisione. A torto, poiché il Tribunale federale ha espressamente scartato tale possibilità. Secondo gli insorgenti, inoltre, nella
DTF 101 II 36
il Tribunale federale avrebbe affermato che la prescrizione dell'indennità dovuta dall'erede per l'uso anticipato di un bene successorio fosse insostenibile. In realtà, questo aggettivo non è riferito alla prescrizione della pretesa, bensì all'argomentazione sviluppata dal giudice distrettuale. Infine, i ricorrenti sostengono che al consid. 10.4.2 della sentenza 5A_776/2009 del 27 maggio 2010 il tema della prescrizione non sarebbe stato affrontato. Anche in questo caso gli insorgenti fanno prova di grande imprecisione: nel giudizio qui impugnato il Tribunale d'appello si è infatti riferito ad un altro considerando, ovvero al consid. 10.4.1, con il quale il Tribunale federale ha confermato le considerazioni del giudice cantonale che aveva applicato all'indennità dovuta dall'erede un termine di prescrizione di cinque anni.
A dire degli insorgenti, l'autorità inferiore avrebbe pure omesso di tenere conto della giurisprudenza che suffraga la loro posizione. Ritengono che dalla sentenza 5A_141/2007 del 21 dicembre 2007 "[s]i può (...) inferire - certo indirettamente - che non vi è prescrizione di sorta per i crediti di occupazione", dato che il Tribunale federale non l'ha rilevata quando ha verificato il calcolo dell'indennità dovuta dall'erede. Tale argomento risulta tuttavia infondato già per il fatto che omette di considerare che la prescrizione non è constatata d'ufficio (
art. 142 CO
). Quanto alle altre sentenze menzionate dai ricorrenti, sia semplicemente detto che il fatto che il periodo di calcolo dell'indennità vada dall'apertura della successione fino al momento della divisione (sentenze 5A_338/2010 del 4 ottobre 2010
BGE 141 III 522 S. 527
consid. 6.1; 5A_572/2010 del 22 febbraio 2011 consid. 5.3) non è determinante ai fini della questione qui all'esame.
L'argomentazione ricorsuale appare perciò infondata.
2.1.3.4
I ricorrenti sostengono che l'autorità inferiore non avrebbe nemmeno tenuto conto della dottrina dominante. Tra gli autori da loro indicati, però, unicamente FRANÇOIS LOGOZ (L'indemnité due par un héritier qui a la jouissance exclusive d'un actif propriété de l'hoirie, successio 2011 pag. 75 segg.) si pronuncia espressamente contro la prescrizione della pretesa risultante dal godimento esclusivo di un bene successorio da parte di un erede durante l'indivisione. Gli altri autori, invece, non si pronunciano direttamente sulla questione: KARL SPIRO (Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, vol. I, 1975, § 51 pag. 103 seg.) analizza soltanto la prescrizione nel caso in cui il creditore abbia l'uso di beni del debitore, ARTHUR JOST (Der Erbteilungsprozess, 1960, pag. 75) non fa che affermare l'imprescrittibilità del diritto di partecipazione dei coeredi al bene successorio detenuto esclusivamente da un solo erede, mentre TUOR/PICENONI (Berner Kommentar, 2
a
ed. 1964, n. 35 segg. ad
art. 602 CC
) si limitano a trattare il tema della confusione e della compensazione prima della divisione ereditaria. In tali condizioni non si può certamente parlare di dottrina maggioritaria.
Nemmeno tale argomentazione ricorsuale riesce pertanto a far apparire contraria al diritto la decisione dell'autorità cantonale. | null | nan | it | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a637c59b-f457-450d-a167-2eb3b24899d7 | Urteilskopf
125 V 410
67. Auszug aus dem Urteil vom 8. November 1999 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen P. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
: Neuanmeldung nach befristeter Leistungsgewährung.
Die Rechtsprechung zu
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
bezieht sich stets auf Fälle mit vorausgegangener Leistungsverweigerung und ist nicht anwendbar, wenn zuvor eine Leistung zugesprochen, aber befristet wurde. | Sachverhalt
ab Seite 411
BGE 125 V 410 S. 411
A.-
Mit Verfügung vom 10. September 1996 sprach die IV-Stelle Bern der 1982 geborenen P. einen Kostgeldbeitrag für auswärtige Verpflegung und Unterkunft zur Gewährleistung des Übertritts von der Sonder- in die Volksschule für die Dauer von einem Jahr zu. Zugleich wies die IV-Stelle darauf hin, dass eine Verlängerung dieser Kostengutsprache nicht möglich sei. Die Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Am 25. Oktober 1997 ersuchten die Eltern von P. um Verlängerung der Kostengutsprache. Mit Verfügung vom 9. April 1998 trat die IV-Stelle darauf nicht ein.
B.-
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 3. Dezember 1998 gut. Es wies die Sache zur materiellen Beurteilung an die IV-Stelle zurück.
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
Während die IV-Stelle dem Bundesamt beipflichtet, lassen die Eltern von P. auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Mit der in Rechtskraft erwachsenen Verfügung vom 10. September 1996 befristete die IV-Stelle den Kostgeldbeitrag für auswärtige Unterkunft und Verpflegung zur Gewährleistung des Übertritts von der Sonder- in die Volksschule gemäss
Art. 11 Abs. 3 IVV
(in der bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung) auf ein Jahr und wies darauf hin, dass keine Verlängerung möglich sei. Ist für einen solchen Übertritt von der Sonder- in die Volksschule neben dem Volksschulbesuch ein Aufenthalt in einem Sonderschulheim erforderlich, besteht nach der erwähnten Vorschrift Anspruch auf ein Kostgeld nach
Art. 10 lit. b IVV
(in der bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung), jedoch höchstens für die Dauer eines Jahres. Dieses einjährige Kostgeld hat die IV-Stelle vorliegend erbracht. Am 1. Januar 1997 wurde
Art. 11 Abs. 3 IVV
durch den neuen
Art. 9ter Abs. 2 IVV
ersetzt, welcher ebenfalls eine Befristung auf höchstens ein Jahr kennt. Die IV-Stelle trat auf das am 25. Oktober 1997 gestellte Verlängerungsgesuch nicht ein, da auf Grund der geltenden Verordnungsbestimmungen keine Verlängerung möglich sei. Ausserdem hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse seit 1996 nicht
BGE 125 V 410 S. 412
verändert, weshalb die Voraussetzungen für eine erneute Prüfung nicht erfüllt seien. (...).
2.
Vorliegend stellt sich die Frage, ob die IV-Stelle zu Recht nicht auf das Verlängerungsgesuch eingetreten ist. (...).
a) Das Beschwerde führende Bundesamt vertritt die Meinung, die Praxis gemäss
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
sei auf Fälle von befristeten Leistungszusprechungen analog anzuwenden. Da sich vorliegend seit dem mit Verfügung vom 10. September 1996 erledigten ersten Gesuch an den tatsächlichen Verhältnissen nichts Wesentliches geändert habe, sei die IV-Stelle zu Recht nicht auf das zweite Gesuch vom 25. Oktober 1997 eingetreten.
b) Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die Rechtsprechung zu
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
bezog sich stets nur auf Fälle mit vorausgegangener Leistungsverweigerung. Sie soll verhindern, dass sich die Verwaltung immer wieder mit gleich lautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Rentengesuchen befassen muss (
BGE 109 V 264
Erw. 3). Mit
BGE 109 V 122
Erw. 3a wurde diese Praxis analog auf Neuanmeldungen für Eingliederungsleistungen ausgedehnt. Dabei ging aber erneut ein abgelehntes erstes Leistungsgesuch voraus. Es besteht kein Anlass, die Rechtsprechung zu
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
auch dann analog anzuwenden, wenn eine Leistung zwar zugesprochen, aber befristet worden ist.
c) Praxisgemäss ist es grundsätzlich nicht zulässig, zukünftige Dauerleistungen nur für eine begrenzte Zeitspanne zuzusprechen (
BGE 109 V 261
Erw. 4; ZAK 1989 S. 173 Erw. 3a mit Hinweis). Dem Bedürfnis, die Anspruchsvoraussetzungen insbesondere in Renten- und Hilflosenentschädigungsfällen periodisch zu überprüfen, wird bei solchen Dauerleistungen dadurch Rechnung getragen, dass verwaltungsintern ein Revisionstermin vorgemerkt wird (
BGE 109 V 261
Erw. 4).
Ausnahmen von diesem Grundsatz mögen dort in Betracht kommen, wo Gesetz oder Verordnung eine bestimmte Leistung altersmässig begrenzen (beispielsweise beim Pflegebeitrag nach
Art. 20 IVG
, der nur Minderjährigen bis zur Vollendung des 18. Altersjahrs gewährt und hernach gegebenenfalls durch eine Hilflosenentschädigung nach
Art. 42 IVG
abgelöst wird) oder wo eine maximale Leistungsdauer normativ festgelegt ist, wie in den erwähnten altArt. 11 Abs. 3 IVV bzw. neuArt. 9ter Abs. 2 IVV. Vorbehalten bleiben ferner jene Fälle, in denen eine (unter Umständen vorläufige) Befristung von der Sache her gerechtfertigt ist, wie beispielsweise
BGE 125 V 410 S. 413
bei schulischen oder beruflichen Eingliederungsmassnahmen (
BGE 109 V 262
Erw. 4 in fine; ZAK 1989 S. 173 Erw. 3a). Dabei bedeutet eine in die leistungszusprechende Verfügung aufgenommene Befristung jedoch nicht, dass damit die Leistungsgewährung über den festgesetzten Endtermin hinaus als abgelehnt oder verweigert gilt. Sie ist vielmehr bloss in dem Sinne zu verstehen, dass nach Ablauf der Leistungsdauer auf Gesuch hin erneut geprüft wird, ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Leistungsgewährung erfüllt sind. Insofern kommt dem zeitlichen Element der Befristung keine selbstständige Bedeutung zu. Insbesondere ist daraus nicht abzuleiten, dass nach vorausgegangener rechtskräftiger Verfügung mit Befristung einer Leistung ein neues Gesuch erschwerten Eintretensvoraussetzungen zu genügen hätte.
d) Vorliegend hat die IV-Stelle die ursprüngliche Leistungsgewährung befristet, weil alt
Art. 11 Abs. 3 IVV
die Kostgeldzusprechung für höchstens ein Jahr erlaubt hat. War die IV-Stelle der Auffassung, dass diese normative Ausgangslage einer Beitragsverlängerung entgegenstehe, hätte sie das neue Gesuch vom 25. Oktober 1997 materiell behandeln und ablehnen müssen, nicht jedoch durch Nichteintreten erledigen dürfen. Dieser formelle Fehler ändert jedoch nichts daran, dass sich die Ablehnung eines weiteren Kostgeldbeitrags auf Grund von neuArt. 9ter Abs. 2 IVV im Ergebnis als richtig erweist, da diese Vorschrift die Dauer der Kostgeldgewährung ebenfalls auf höchstens ein Jahr beschränkt. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a6381fd1-1cd8-4716-b073-bc9a3975e8e8 | Urteilskopf
100 II 433
64. Estratto della sentenza 12 settembre 1974 della II Corte civile nella causa Brügger contro Riedel e liticonsorti. | Regeste
Lidlohn.
Die neuen
Art. 334 und 334bis ZGB
sind nicht anwendbar auf Erbfälle, die vor ihrem Inkrafttreten am 15. Februar 1973 eingetreten sind; für diese gilt der aufgehobene
Art. 633 ZGB
weiter. | Erwägungen
ab Seite 433
BGE 100 II 433 S. 433
2.
Entrambi i ricorrenti fanno valere delle pretese a titolo di compenso per contribuzione alle spese domestiche a'sensi dell'art. 633 CC. Tale articolo è stato abrogato dalla LF 6 ottobre 1972 sulla modifica del diritto civile rurale, entrata in vigore il 15 febbraio 1973. Questa legge non è munita di norme transitorie in punto ai nuovi
art. 334 e 334
bis CC, che disciplinano ora l'equa indennità, esigibile, particolarmente alla morte del beneficiario, dai figli o dagli abiatici, i quali, convivendo con i genitori o con gli avi, hanno conferito alla comunione il loro lavoro od i loro guadagni. Benchè, secondo i nuovi
art. 334 e 334
bis CC il cosiddetto "Lidlohn" corrisponde a un credito (cfr. Messaggio complementare del Consiglio federale sul progetto riveduto della LF che modifica il diritto rurale, FF 1971 I 550 cpv. 2), si giustifica di applicare, pure a riguardo delle anzidette norme, i principi enunciati nella sentenza pubblicata sulla RU 45 II 521 (cfr. anche RU 69 II 223; ESCHER, n. 35 all'art. 633 CC), concernenti il vecchio art. 633 CC. Questa disposizione è stata dichiarata
BGE 100 II 433 S. 434
applicabile alle successioni aperte dopo l'entrata in vigore del codice civile, qualunque fosse il momento nel quale sono state fornite le prestazioni che hanno dato fondamento alla pretesa. Dalla citata giurisprudenza risulta tuttavia che il vecchio art. 633 CC non si applicava alle successioni aperte prima dell'entrata in vigore del codice civile. Secondo lo stesso principio di diritto transitorio, anche i nuovi
art. 334 e 334
bis CC non valgono per le successioni aperte prima della loro entrata in vigore, e cioè prima del 15 febbraio 1973. Ne consegue che i nuovi
art. 334 e 334
bis non sono applicabili alla successione di Hermine Brügger, morta il 7 ottobre 1965. Per le pretese fatte valere da Melitta e Maurus Brügger vige pertanto ancora il vecchio art. 633 CC. Peraltro la situazione giuridica dei ricorrenti non cambia, che si applichino le vecchie o le nuove disposizioni: i ricorrenti non possono pretendere un equo compenso, sulla base di queste disposizioni, se non hanno convissuto in economia domestica comune con la madre e a questa economia non hanno conferito il loro lavoro o i loro guadagni. | public_law | nan | it | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a638223d-a8ed-45c8-9285-76286d68e5eb | Urteilskopf
140 I 320
26. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schulzentrum X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_340/2014 vom 15. Oktober 2014 | Regeste
Art. 9 BV
; Art. 34 des Bildungsgesetzes des Kantons Obwalden vom 16. März 2006; Art. 2 der Verordnung des Kantons Obwalden vom 25. April 2008 über das Anstellungsverhältnis der Lehrpersonen (Lehrpersonenverordnung) in Verbindung mit Art. 42 der Personalverordnung des Kantons Obwalden vom 29. Januar 1998.
Verweist eine kantonale Norm des öffentlichen Personalrechts auf eine Bestimmung des OR, so gilt Letztere als kantonale Norm (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3.3). Ein kantonaler öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber handelt nicht willkürlich, wenn er im Rahmen einer fristlosen Kündigung eine Sozialfrist gewährt (E. 7 und 8). | Sachverhalt
ab Seite 321
BGE 140 I 320 S. 321
A.
A. war am Schulzentrum X. als Sportlehrer angestellt. Er wurde im Juni 2011 mit Vorwürfen (...) einer weiblichen Schülerin konfrontiert. Am 21. Juni 2011 unterzeichnete er eine Vereinbarung mit der Schulleitung, welche insbesondere sein Verhalten gegenüber weiblichen Lernenden im Sportunterricht zum Gegenstand hatte.
Am 23. September 2011 erteilte A. eine selbstbestimmte Sportlektion (...). Am 30. September 2011 beanstandete die Schulklasse sein Verhalten (...). Nach den Herbstferien führte der Rektor am 20. Oktober 2011 eine Anhörung der betroffenen Lernenden durch und gab A. am 31. Oktober 2011 Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äussern. Nachdem dieser die Vorwürfe bestritten hatte, schlug ihm die Schulleitung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis spätestens Ende Januar 2012 vor und gab ihm eine Bedenkzeit bis zum 4. November 2011. A. lehnte am 4. November 2011 eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab, worauf dieses gleichentags schriftlich fristlos gekündigt wurde.
B.
Eine gegen die fristlose Kündigung eingereichte Beschwerde lehnten das Bildungs- und Kulturdepartement Obwalden am 1. März 2012 und der Regierungsrat des Kantons Obwalden am 23. Oktober 2012 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden mit Entscheid vom 12. März 2014 ebenfalls ab.
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG, insbesondere wegen Verletzung von Bundesrecht (
Art. 95 lit. a BGG
), erhoben werden. Die Verletzung kantonaler Bestimmungen bildet - abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen gemäss
Art. 95 lit. c-e BGG
- nur dann einen zulässigen Beschwerdegrund, wenn eine derartige Rechtsverletzung einen Verstoss gegen Bundesrecht im Sinne von
Art. 95 lit. a BGG
oder gegen Völkerrecht im Sinne von
Art. 95 lit. b BGG
zur Folge hat (
BGE 133 II 249
E. 1.2.1 S. 251; vgl. auch
BGE 136 I 241
E. 2.4 S. 249).
BGE 140 I 320 S. 322
3.2
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (
Art. 106 Abs. 1 BGG
). Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Sachverhaltsfeststellungen können nur berichtigt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruhen (
Art. 105 Abs. 2 BGG
).
3.3
Gelten durch Verweis im kantonalen öffentlichen Recht ergänzend die Bestimmungen des Obligationenrechts, wird durch die im öffentlichen Recht vorgenommene Verweisung auf das Privatrecht dieses zum öffentlichen Recht des betreffenden Gemeinwesens. Es ist nach dessen Regeln anzuwenden und auszulegen. Die übernommenen Normen des Obligationenrechts gelten nicht als Bundesprivatrecht, sondern als subsidiäres Recht des Kantons. Entsprechend ist die Bundesrechtsrüge gemäss
Art. 95 lit. a BGG
auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte beschränkt. Die Rüge der Verletzung des Obligationenrechts - angewandt als kantonales öffentliches Recht - kann nicht vorgebracht werden (
BGE 138 I 232
E. 2.4 S. 236; vgl. auch Urteil 8C_294/2011 vom 29. Dezember 2011 E. 3.4, nicht publ. in:
BGE 138 I 113
, sowie Urteil 8C_451/2013 vom 20. November 2013 E. 2.2).
4.
Streitig und zu prüfen ist die Bundesrechtskonformität der fristlosen Kündigung vom 4. November 2011. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, negiert das Vorliegen eines wichtigen Grundes und macht schliesslich geltend, die Gewährung einer Sozialfrist schliesse die fristlose Kündigung aus.
(...)
7.
7.1
Die Schulleitung hat dem Beschwerdeführer nach Gewährung des rechtlichen Gehörs am 31. Oktober 2011 mitgeteilt, das Arbeitsverhältnis könne nicht fortgesetzt werden. Im Sinne eines Entgegenkommens könne es aber noch längstens bis Ende Januar 2012 erstreckt werden. Dem Beschwerdeführer wurde demnach eine sogenannte Sozialfrist eingeräumt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Einräumung dieser Frist beweise, dass kein wichtiger Grund für die sofortige Kündigung vorgelegen habe. Indem das Dienstverhältnis auch aus Sicht des
BGE 140 I 320 S. 323
Arbeitgebers noch habe fortgesetzt werden können, belege dies, dass die Weiterbeschäftigung für beide Seiten zumutbar und daher nur eine ordentliche Kündigung zulässig gewesen wäre.
7.2
Das Bundesgericht hatte sich bis anhin - soweit ersichtlich - noch nie zur Zulässigkeit einer Sozialfrist im öffentlichen Personalrecht zu äussern. Im Urteil 8C_594/2010 vom 25. August 2011 hat es einen kantonalen Entscheid, der die ordentliche Kündigung ohne Einhaltung der entsprechenden Voraussetzungen mit der Begründung schützte, es wäre auch eine fristlose Entlassung zulässig gewesen, als willkürlich qualifiziert, da das kantonale Recht keine solche Möglichkeit vorsah. Zur Frage der Zulässigkeit einer Sozialfrist hatte das Bundesgericht aber nicht Stellung zu beziehen.
Für das Zivilrecht hat das Bundesgericht die Gewährung einer Sozialfrist jedenfalls dann als zulässig erachtet, wenn die Frist nicht gleich lang wie die der ordentlichen Kündigung dauert und in erster Linie im Interesse des Arbeitnehmenden und nicht in demjenigen des Arbeitgebers liegt (Urteil 4C.174/2003 vom 27. Oktober 2003 E. 3.2.1).
7.3
Die Lehre äussert sich zur Zulässigkeit bzw. den Voraussetzungen für die Gewährung einer Sozialfrist im Kontext mit der fristlosen Entlassung im Arbeitsvertragsrecht (
Art. 337 OR
). MANFRED REHBINDER (Berner Kommentar, 1992, N. 19 zu
Art. 337 OR
) hält die Gewährung der Sozialfrist für zulässig, verlangt aber, dass der Kündigende erkennbar erklärt, dass er ausserordentlich kündigen will; die Sozialfrist dürfe nicht die Frist für eine ordentliche Kündigung erreichen. SUBILIA/DUC (Droit du travail, 2. Aufl. 2010, N. 36 zu
Art. 337 OR
) schliessen sich der Ansicht von REHBINDER an. VISCHER/MÜLLER (Der Arbeitsvertrag, 4. Aufl. 2014, S. 349 § 24 Rz. 168) halten eine Schonfrist für beachtlich, sofern in der Gewährung dieser Frist nicht zum Ausdruck komme, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar sei. STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH (Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 14 zu
Art. 337 OR
) erachten die Gewährung der Frist hingegen für unzulässig, da damit zum Ausdruck gebracht werde, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei zumutbar und es sei demnach gar kein Grund für eine fristlose Kündigung gegeben. Dem hält WOLFGANG PORTMANN (in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 7 zu
Art. 337 OR
) entgegen, die Einräumung einer Sozialfrist erfolge ausschliesslich im Interesse des Gekündeten und entspreche dem Grundsatz "in maiore minus":
BGE 140 I 320 S. 324
Wenn eine fristlose Entlassung möglich sei, müsse dies auch für eine mildere Massnahme gelten. Auch ADRIAN STAEHELIN (in: Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2014, N. 40 zu
Art. 337 OR
) hält die Gewährung einer Sozialfrist im Interesse des Gekündigten für zulässig. FRANK EMMEL (in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 1 zu
Art. 337 OR
) geht von der Zulässigkeit der Gewährung einer Sozialfrist aus, sofern darin ein Entgegenkommen für die gekündigte Partei liegt.
7.4
Insgesamt sprechen keine Gründe gegen die grundsätzliche Zulässigkeit einer Sozialfrist. Sind die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung gegeben und wäre eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtmässig, ist nicht einzusehen, weshalb ein Entgegenkommen unstatthaft sein soll. Praktisch gesehen entspricht es den Interessen des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber für ein solches Entgegenkommen nicht abgestraft wird. Sozial sein sollte nicht schaden (vgl. MERKER/DOLD, Kurze Reaktionszeit für fristlose Kündigung, Zeitschrift des Zentralverbandes Öffentliches Personal Schweiz [ZVinfo] September 2007 S. 12).
7.5
Mit der Gewährung einer solchen Frist wird die fristlose Entlassung abgefedert. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Unterscheidung zwischen ordentlicher und ausserordentlicher Kündigung relativiert oder gar unklar wird. Es sind daher die Voraussetzungen zu prüfen, unter welchen eine solche Frist rechtmässig erscheint.
7.5.1
Die Überlegung, dass die Sozialfrist die Länge der ordentlichen Kündigungsfrist nicht erreichen darf, erweist sich selbstredend auch im öffentlichen Personalrecht als zutreffend: Es wäre widersprüchlich anzunehmen, die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten, indessen dürfe dem Arbeitnehmer eine gleich lange Zeitdauer bis zum Weggang aus sozialen Gründen zugebilligt werden. Dadurch würde der wichtige Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einer Weise relativiert, welche der ratio legis einer fristlosen Entlassung widerspricht.
7.5.2
Ähnliches gilt für die Erwägung, die Gewährung einer Sozialfrist sei dann unzulässig, wenn sie einzig oder vorwiegend dem Interesse des Arbeitgebers diene. Allerdings kann im öffentlichen Personalrecht nicht vom (privaten) Interesse des Arbeitgebers gesprochen werden. An dessen Stelle tritt das öffentliche Interesse, dem grundsätzlich jedes staatliche Handeln unterworfen ist.
BGE 140 I 320 S. 325
Diesem Interesse darf die Gewährung einer Sozialfrist nicht widersprechen. Dies träfe etwa dann zu, wenn sie einzig dazu diente, die zur fristlosen Kündigung führenden Gründe, die allenfalls auch den Arbeitgeber in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen könnten, durch Stillschweigen der öffentlichen Meinungsbildung bzw. Kritik zu entziehen. Ebenso dürfte sich die Gewährung einer Sozialfrist verbieten, wenn von einer Weiterbeschäftigung eine erhebliche Gefährdung Dritter oder des Gemeinwohles ausginge oder ein rechtskonformes Verwaltungshandeln bzw. eine Dienstleistung nicht sichergestellt werden könnte.
7.5.3
Vielmehr muss die Sozialfrist im primären Interesse des Mitarbeiters, der Anlass zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses geboten hat, stehen. Sie wird aus sozialen Gründen etwa dann gewährt werden können, wenn die persönliche Situation für eine betroffene Person besonders schwierig ist und angenommen werden darf, sie finde dank der eingeräumten Frist eher wieder eine Anstellung.
7.6
Zusammenfassend erweist sich demnach die Gewährung einer Sozialfrist auch im öffentlichen Recht dann als zulässig, wenn Gründe für eine fristlose Entlassung ausgewiesen sind, die Frist für die ordentliche Kündigung klar unterschritten wird und keine Verletzung öffentlicher Interessen gegeben ist, vielmehr die Gewährung der Sozialfrist in erster Linie im Interesse des Dienstnehmers liegt. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu prüfen.
8.
In casu liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung vor (nicht publ. E. 6), weshalb die Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Sozialfrist erfüllt ist. Die Vorinstanz hat die weiteren Voraussetzungen für den vorliegenden Fall geprüft und bejaht. Der Beschwerdeführer stellt diese Ausführungen nicht in Frage, weshalb es dabei sein Bewenden hat (vgl. E. 3.2). Die Beschwerde ist abzuweisen. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a639f65a-b65f-460b-9593-40139dd797fc | Urteilskopf
81 IV 306
66. Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1955 i. S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Weber. | Regeste
1. Art. 23 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 26. September 1931 über die wöchentliche Ruhezeit (RZG); Verfügung des EVD vom 24. Dezember 1952 über die Ruhezeit der Musiker in Unterhaltungsbetrieben. Wer ist strafbar, wenn Musikern in einem Unterhaltungsbetrieb die vorgeschriebene Ruhezeit nicht gewährt wird?
2. Art. 4 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung vom 11. Juni 1934 zum BG über die wöchentliche Ruhezeit (RZV). Akkordant, der nicht selbständiger Unternehmer ist (hier Leiter einer Musikertruppe).
3. Art. 8 Abs. 3 RZ G. Als Ersatzruhe gelten nicht Ruhetage, die vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses in einem anderen Betrieb gewährt worden sind (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 307
BGE 81 IV 306 S. 307
A.-
Otto Weber ist Besitzer des Restaurants und Kabaretts Urania in Zürich. Am 26. Januar 1954 schloss er mit Cemin einen vorgedruckten Kapellen- und Musikerengagementsvertrag ab. Danach verpflichtete sich Cemin, mit zwei weiteren Musikern vom 1. bis 31. August 1954 und vom 1. November 1954 bis 31. Januar 1955 im Restaurant Urania Unterhaltungsmusik zu spielen. Die weiteren Bestimmungen des Vertrages, soweit sie hier von Interesse sind, haben folgenden Wortlaut:
"Art. 2: Kontrahent II (Cemin) verpflichtet sich, (sich) den Anordnungen des Kontrahenten I (Weber), bzw. dessen artistischer Leitung zu unterziehen. Kontrahent II ist diesbezüglich für die von ihm engagierten Personen verantwortlich.
Art. 6: Kontrahent I bezahlt an den Kontrahenten II als Gage pro Arbeitstag für ihn und die von ihm engagierten Personen Fr. 85.-."
Ferner wurde im Vertrag zusätzlich bestimmt: "Für die Freitage besorgt Cemin selbst einzelne Aushilfsmusiker".
Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 33 3/4 Stunden hatten Cemin und die beiden von ihm gestellten Musiker während des ganzen Monats November 1954 keinen Freitag.
B.-
Am 2. Februar 1955 wurde Weber vom Polizeirichteramt der Stadt Zürich wegen Übertretung der Art. 2 und 4 der Verfügung des Eidg. Volkswirtschaftsdepartementes vom 24. Dezember 1952 über die Ruhezeit der Musiker in Unterhaltungsbetrieben gestützt auf Art. 23 des Bundesgesetzes über die wöchentliche Ruhezeit mit Fr. 25.- gebüsst.
C.-
Auf Einsprache hin sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich Weber am 15. September 1955 frei, im wesentlichen mit der Begründung, dass nicht Weber, sondern Cemin für die Gewährung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhetage strafrechtlich verantwortlich sei.
D.-
Das Polizeirichteramt Zürich reichte gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts ein. Es beantragt Aufhebung des Urteils
BGE 81 IV 306 S. 308
und Rückweisung an die Vorinstanz zur Bestätigung der am 2. Februar 1955 ausgefällten Busse von Fr. 25.-.
Der Beschwerdegegner stellt den Antrag auf Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 1 und 5 des Gesetzes vom 26. September 1931 über die wöchentliche Ruhezeit (RZG) ist den Arbeitnehmern des Handels, des Handwerks, der Industrie, des Verkehrs und verwandter Wirtschaftszweige eine wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 aufeinanderfolgenden Stunden zu gewähren. Art. 4 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung dazu vom 11. Juni 1934 (RZV) bestimmt, dass als Arbeitnehmer auch der Akkordant und sein Personal gelte, sofern er nicht selbständiger Unternehmer ist.
Für das Gasthof- und Wirtschaftsgewerbe gelten verschiedene Sonderbestimmungen (Art. 15 bis 22 RZG). Nach Art. 20 können für Gastwirtschaftsbetriebe Ausnahmen bewilligt werden, deren nähere Ausgestaltung einer Verordnung überlassen ist. Durch Art. 27 RZV wurde das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt, nach Anhörung der Berufsverbände für Wirtschaftszweige, die sich über mehrere Kantone oder das ganze Land erstrecken, die Anwendung von Art. 20 RZG generell zu regeln. Für die Ruhezeit der Musiker in Unterhaltungsbetrieben hat das EVD von dieser Ermächtigung durch eine Verfügung vom 24. Dezember 1952 Gebrauch gemacht. Nach Art. 1 und 2 dieser Verfügung ist den Musikern in Unterhaltungsbetrieben bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 30 und höchstens 36 Stunden alle zwei Wochen ein Ruhetag zu gewähren, wobei zwei Ruhetage für vier Wochen zusammengelegt werden können.
2.
Es ist unbestritten, dass das Restaurant Urania ein Unterhaltungsbetrieb ist, welcher unter die zitierten Gesetzesbestimmungen fällt. Es ist jährlich in der Regel
BGE 81 IV 306 S. 309
11 Monate geöffnet und unterliegt keinen jahreszeitlichen Schwankungen. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, betrug die wöchentliche Arbeitzseit von Cemin und den beiden anderen Musikern im November 1954 33 3/4 Stunden. Gemäss Art. 2 der Verfügung des EVD vom 24. Dezember 1952 hatten sie somit Anspruch auf einen Ruhetag innert 14 Tagen oder zwei zusammengelegte Ruhetage innert einem Monat. Der Beschwerdegegner bestreitet dies grundsätzlich nicht. Er macht jedoch geltend, dass die Pflicht, die gesetzlichen Ruhetage zu gewähren, nicht ihm, sondern Cemin obgelegen habe, welcher Auffassung sich auch der Einzelrichter in Strafsachen anschloss.
3.
Gemäss Art. 23 Abs. 1 lit. a RZG ist der Betriebsinhaber oder die für die Leitung des Betriebes verantwortliche Personen strafbar, wenn den unter das Gesetz fallenden Arbeitnehmern die vorgeschriebene Ruhe- und Freizeit nicht gewährt wird. Betriebsinhaber des Restaurants Urania ist unbestrittenermassen der Beschwerdegegner. Nach Art. 4 Abs. 1 RZV gilt als Arbeitnehmer auch der Akkordant und sein Personal, sofern er nicht selbständiger Unternehmer ist. Der Beschwerdegegner wäre somit höchstens dann strafrechtlich nicht verantwortlich, wenn Cemin als selbständiger Unternehmer angesehen werden müsste. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie sich aus den vertraglichen Abmachungen ergibt, ist Cemin auf eine bestimmte Zeit fest engagiert worden, mit der Verpflichtung, noch zwei weitere Musiker zu stellen. Seine Honorierung richtete sich dabei nach der aufgewendeten Zeit und nicht wie beim selbständigen Akkordanten nach dem Arbeitsergebnis (BECKER, Kommentar zum OR N. 11 zu Art. 319, OSER-SCHÖNENBERGER, Kommentar zum OR N. 22 zu Art. 319). Nach Art. 2 des Vertrages waren Cemin sowie die zwei von ihm gestellten Musiker verpflichtet, die Anordnungen des Beschwerdegegners zu befolgen und sich dessen artistischer Leitung zu unterziehen. Gemäss Art. 5 des Vertrages war Cemin überdies verpflichtet, auf Wunsch des Beschwerdegegners bei Proben
BGE 81 IV 306 S. 310
mitzuwirken, welche sich auf das artistische Unternehmen bezogen, Stücke zu arrangieren und einzustudieren, sowie übergebene Rollen zur Zufriedenheit des Beschwerdegegners auszuführen. Schliesslich wurde in Art. 12 des Vertrages das Dienstvertragsrecht (
Art. 319 ff. OR
) ausdrücklich als ergänzende Regelung anwendbar erklärt. Unter diesen Umständen kommt Cemin nicht die Stellung eines selbständigen Unternehmers zu, ja nicht einmal diejenige eines Akkordanten, da sämtliche nach der Praxis für einen Dienstvertrag wesentlichen Elemente (Arbeitsleistung auf Zeit und Unterordnungsverhältnis) gegeben sind (
BGE 73 I 420
E. 4). Der Beschwerdegegner war daher als Betriebsinhaber des Restaurants Urania verpflichtet, für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhetage zu sorgen. Diese Verpflichtung konnte er nicht durch eine Vertragsbestimmung auf Cemin übertragen; andernfalls könnte die gesetzliche Ordnung in zahlreichen Fällen praktisch illusorisch gemacht werden. Durch die Aufnahme der Bestimmung in den Vertrag, dass Cemin selbst die einzelnen Aushilfsmusiker für die Freitage zu stellen habe, hat er seine Pflicht zur Gewährung der gesetzlichen Ruhetage noch nicht erfüllt. Er hätte die notwendigen präzisen Anordnungen erteilen und deren Einhaltung überwachen müssen, damit die gesetzlichen Freitage gewährt worden wären. Dass er in dieser Beziehung irgendetwas vorgekehrt habe, behauptet er selber nicht.
4.
Auch der Einwand des Beschwerdegegners, dass die Gewährung von Ruhetagen im Monat November 1954 deshalb nicht erforderlich gewesen sei, weil Cemin und seine Musiker im Oktober im St. Annahof wöchentlich nur 3 bis 4 Tage gespielt hätten, und daher die im Oktober zu viel genossenen Ruhetage auf den November übertragen worden seien, geht fehl. Das Ruhetaggesetz sieht allerdings in bestimmten Fällen die Möglichkeit vor, die Freitage für gewisse Perioden einzuschränken oder wegzubedingen, wobei dann eine entsprechende Ersatzruhe zu gewähren ist (Art. 8 RZG). Ob eine solche Ersatzruhe
BGE 81 IV 306 S. 311
auch zum voraus gewährt werden kann, braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Ganz abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzung von Art. 8 RZG (Vermeidung oder Beseitigung von ernstlichen Betriebsstörungen, Behebung eines Notstandes usf) nicht erfüllt sind, können auf alle Fälle diejenigen Ruhetage nicht als Ersatzruhe angesehen werden, welche vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses in einem andern Betrieb gewährt worden sind.
5.
Da im Monat November 1954 Cemin und die beiden andern Musiker keinen Ruhetag genossen, hat sich der Beschwerdegegner als verantwortlicher Betriebsinhaber gemäss Art. 23 RZG einer Übertretung von Art. 2 der Verfügung des EVD vom 24. Dezember 1952 schuldig gemacht und ist daher zu bestrafen. Wie die Verhältnisse in den nachfolgenden Monaten waren, braucht nicht untersucht zu werden, da sich die Verfügung des Beschwerdeführers nur auf die Zeit vom 1. bis 30. November 1954 bezieht und in der Nichtigkeitsbeschwerde einzig deren Bestätigung beantragt wird.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich aufgehoben und die Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a63f39f8-daec-407b-a943-21afdd59f552 | Urteilskopf
118 Ib 100
13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Januar 1992 i.S. Preiswerk & Cie AG gegen Kommission für die Exportrisikogarantie sowie Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde). | Regeste
Art. 1-5 und 11-13 des Bundesgesetzes vom 26. September 1958 über die Exportrisikogarantie (ERGG; SR 946.11) sowie
Art. 3 der Verordnung vom 15. Januar 1969 über die Exportrisikogarantie (ERGV; SR 946.111)
; Voraussetzungen einer Entschädigung aus der Exportrisikogarantie.
1. Gegen einen Entscheid, mit dem die Auszahlung aus einer gewährten Exportrisikogarantie verweigert wird, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (E. 1).
2. Voraussetzungen einer Entschädigung aus der Exportrisikogarantie; eine solche kommt namentlich erst dann in Frage, wenn der Bestand der gewährleisteten Forderung verbindlich feststeht (E. 2 und 3).
3. Wird vom ausländischen Vertragspartner ein sogenannter "performance bond", das heisst eine vom schweizerischen Exporteur in Form einer abstrakten Bankgarantie gestellte Erfüllungsgarantie, eingelöst, kommt eine Entschädigung aus der Exportrisikogarantie grundsätzlich erst dann in Frage, wenn verbindlich feststeht, dass der Abruf ungerechtfertigt war. Der "performance bond" wird ausserdem nicht von der Exportrisikogarantie für das Grundgeschäft gedeckt, sondern muss zusätzlich der Exportrisikogarantie unterstellt worden sein (E. 4, 5 und 8). | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 118 Ib 100 S. 101
Am 29. Dezember 1982 schloss die Preiswerk & Cie AG mit der Wilaya de Mostaganem, einer Verwaltungseinheit des algerischen Staates, einen Vertrag über die Erstellung von vier Schulhäusern ("collèges d'enseignement moyen") mit je 20 dazugehörenden Wohneinheiten ("logements"). Der Gesamtpreis setzte sich aus einem transferierbaren Teil von SFr. 30'088'224.-- sowie einem in Algerien zu belassenden Betrag in algerischen Dinaren (DA) von DA 7'285'975.-- zusammen.
Die Preiswerk & Cie AG verpflichtete sich, eine Gewährleistungsgarantie ("garantie de bonne fin") über 10% des Preises zu stellen, welche die richtige Erfüllung des Vertrages garantieren und als Sicherheit für allfällige Forderungen der Bauherrin dienen sollte. Unabhängig von der Erfüllungsgarantie war ferner die Erhebung einer Vertragsstrafe (Pönale, "pénalité de retard") durch die
BGE 118 Ib 100 S. 102
Bauherrin zu Lasten der Preiswerk & Cie AG vorgesehen für den Fall verspäteter Vollendung der Bauten; diese Pönale war begrenzt auf einen Maximalbetrag von 5% des Vertragspreises.
Den Exportkredit im Umfang von 85% der Preissumme in Schweizer Franken finanzierte ein Bankenkonsortium, das unter Federführung der Schweizerischen Bankgesellschaft am 28. Juni 1983 den Kreditvertrag mit dem Crédit Populaire d'Algérie abschloss. Die Stellung der Gewährleistungsgarantie erfolgte ebenfalls bei der Schweizerischen Bankgesellschaft, welche ihrerseits den von der Bauherrin bezeichneten Crédit Populaire d'Algérie mit der Ausstellung einer Erfüllungsgarantie gegenüber der Wilaya de Mostaganem beauftragte; die Schweizerische Bankgesellschaft stellte am 21. Juni 1983 zur Sicherung des Remboursanspruches der algerischen Bank eine Rückgarantie ("contre-garantie de bonne exécution") über SFr. 3'008'822.40 sowie eine solche über DA 728'597.50 aus. Diese Rückgarantien waren auf erste schriftliche Aufforderung hin unabhängig vom Grundverhältnis abrufbar.
Auf Gesuch hin erteilte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement der Preiswerk & Cie AG mit Verfügung vom 29. März 1983 eine Exportrisikogarantie für den Bauauftrag zu einem Garantiesatz von 70% beziehungsweise einer Garantiesumme von SFr. 28'234'966.--. Daneben gewährte das Departement mit separater Verfügung vom 13. Juni 1983 eine Exportrisikogarantie zu einem Satz von 75% für die darin als "performance bond" bezeichnete Erfüllungs- und Gewährleistungsgarantie; die entsprechende Garantiesumme betrug SFr. 2'507'281.--. Die Garantieverfügung enthielt unter anderem unter der Rubrik "Zusätzliche Bedingungen" folgende Anmerkung:
"Schäden bezüglich der Gewährleistungsgarantie oder performance bond sind nur gedeckt, falls diese auf Gründe zurückzuführen sind, die unter das ERG-Gesetz fallen, und sofern nicht ein Verzicht auf Rechtsmittel gegen rechtsmissbräuchliche Beanspruchung vorliegt."
Bei der Bauausführung ergaben sich Verzögerungen, die Mehrkosten bewirkten. Da die Preiswerk & Cie AG dafür die algerische Bauherrin verantwortlich machte, unterbreitete sie dieser am 22. Dezember 1984 eine Nachforderung im Betrag von rund SFr. 4,6 Mio. Im Gegenzug verhängte die Wilaya de Mostaganem Ende Januar 1985 die maximale Pönale von 5% des Vertragspreises. Nach erfolglosen Schlichtungsversuchen erhob die Preiswerk & Cie AG am 24. Oktober 1985 auf dem vertraglich vorgesehenen Rechtsweg
BGE 118 Ib 100 S. 103
Klage beim Gericht in Oran/Algerien. Das Verfahren ist noch hängig.
Mit Telex vom 21. Juli 1988 rief der Crédit Populaire d'Algérie bei der Schweizerischen Bankgesellschaft einen Betrag von SFr. 1'504'411.20, das heisst die Hälfte der ursprünglichen Garantiesumme oder 5% des gesamten Vertragspreises, ab. Daraufhin gelangte die Preiswerk & Cie AG an die Zivilgerichte und versuchte, die Auszahlung der Rückgarantie durch die Schweizerische Bankgesellschaft zu verhindern. Am 19. Mai 1989 entschied das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt letztinstanzlich, dass keine willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Erfüllungsgarantie nachgewiesen sei. Die Bauherrin erreichte somit die Auszahlung der beanspruchten maximalen Pönale von 5% des Vertragspreises, bevor die algerischen Gerichte über die Angelegenheit entschieden hatten.
In der Folge reichte die Preiswerk & Cie AG der Geschäftsstelle für die Exportrisikogarantie eine Schadenforderung für ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Erfüllungsgarantie sowie für im Sinne der Schadensminderung verursachte Gerichts- und Anwaltskosten ein. Mit Verfügung vom 26. März 1990 entschied die Kommission für die Exportrisikogarantie (im folgenden: Kommission), dass keine rechtsmissbräuchliche oder betrügerische Inanspruchnahme der Gewährleistungsgarantie vorliege, weshalb keine Schadenvergütung ausbezahlt werden könne. Die Kommission wies darauf hin, dass der Preiswerk & Cie AG die Möglichkeit verbleibe, im Rahmen des laufenden Verfahrens vor den algerischen Gerichten die durch Abrufung der Erfüllungsgarantie vollständig bezahlte Pönale von 5% des Gesamtpreises zurückzufordern. Eine allfällige Nichthonorierung der vom algerischen Gericht geschützten Forderung oder ein offensichtlich rechtswidriges Urteil wäre dann durch die für den Bauauftrag erteilte Exportrisikogarantie gedeckt.
Eine Beschwerde der Preiswerk & Cie AG beim Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (fortan: Departement) blieb erfolglos.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 8. Juli 1991 an das Bundesgericht stellt die Preiswerk & Cie AG folgenden Antrag:
"Es sei in Abänderung des Entscheides des Eidg. Volkswirtschaftsdepartementes vom 6. Juni 1991 Nr. 2121.3/90 betreffend Exportrisikogarantie der Beschwerdeführerin ein Betrag von SFr. 1'504'411.20 wegen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme eines Performance Bond sowie von SFr. 58'519.-- für Kosten im Sinne der Schadensminderung zu bezahlen, nebst Verzugszinsen gemäss Art. 19 Abs. 3 VO ERG seit 18.8.1989.
BGE 118 Ib 100 S. 104
Die weiteren durch die Schweiz. Bankgesellschaft in Basel in Aussicht gestellten Interventionskosten zulasten der Beschwerdeführerin seien ihr als Kosten im Sinne der Schadensminderung zu ersetzen."
In ihren am 30. August 1991 erstatteten Vernehmlassungen schliessen die Kommission sowie das Departement auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements und ist nach
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 98 lit. b OG
zulässig, sofern dieses Rechtsmittel nicht durch eine der Ausnahmebestimmungen der
Art. 99 ff. OG
ausgeschlossen ist.
Nach
Art. 102 lit. a OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig, wenn die verwaltungsrechtliche Klage offensteht. Diese ist nach
Art. 116 lit. b OG
gegeben in Streitigkeiten über Leistungen aus öffentlichrechtlichen Verträgen des Bundes, ist aber ihrerseits ausgeschlossen, sofern die Erledigung des Streites einer Behörde im Sinne von
Art. 98 lit. b-h OG
zusteht (
Art. 117 lit. c OG
). Dies trifft hier zu, weil nach Art. 22 Abs. 4 der Verordnung über die Exportrisikogarantie vom 15. Januar 1969 (ERGV; SR 946.111) die Kommission für die Exportrisikogarantie und nach
Art. 24 Abs. 2 ERGV
auf Beschwerde hin das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement entschieden haben (
Art. 98 lit. b OG
).
Art. 102 lit. a OG
steht damit der Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht entgegen.
Dasselbe gilt für
Art. 99 lit. h OG
. Wohl räumt das Bundesrecht im Sinne dieser Ausschlussbestimmung in Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Exportrisikogarantie vom 26. September 1958 (ERGG; SR 946.11) keinen Anspruch auf Gewährung einer Garantie ein; ist wie hier eine solche aber erteilt, so besteht nach
Art. 11 ERGG
Anspruch auf Entschädigung. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit zulässig (nicht publizierte E. 1a des in
BGE 116 Ib 65
veröffentlichten Urteils vom 26. Januar 1990 in Sachen X. AG).
2.
Nach
Art. 1 Abs. 1 ERGG
kann der Bund die Übernahme von Exportaufträgen, bei denen der Zahlungseingang mit besonderen Risiken verbunden ist, durch Gewährung einer Garantie erleichtern. Im vorliegenden Fall wurden der Beschwerdeführerin in zwei getrennten Verfügungen je eine Exportrisikogarantie für das
BGE 118 Ib 100 S. 105
Grundgeschäft sowie für den "performance bond", mit welchem sie ihrer Pflicht zur Stellung einer Erfüllungs- und Gewährleistungsgarantie gegenüber der Bauherrin nachgekommen war, erteilt. Umstritten ist die Tragweite der zweiten, spezielleren Verfügung.
Die Exportrisikogarantie besteht darin, dass für bestimmte Exportgeschäfte gegen Leistung besonderer Gebühren (vgl.
Art. 7 ERGG
) die teilweise Deckung eines allfälligen Verlustes oder Rückstandes im Zahlungseingang zugesichert wird (
Art. 3 ERGG
). Aus dem Gesetzestext ergibt sich, dass die Exportrisikogarantie typischerweise das Risiko erfasst, das mit Zahlungen verbunden ist, die dem schweizerischen Exporteur von seinem ausländischen Vertragspartner zustehen. Im vorliegenden Fall fragt sich, wieweit sie auch dann gilt, wenn der Exporteur selbst eine Geldleistung erbringen muss, weil eine von ihm gestellte Bankgarantie gegen seinen Willen abgerufen wird. Um dies beantworten zu können, muss vorweg geklärt werden, von welchen Voraussetzungen eine Entschädigung aus der Exportrisikogarantie im typischen Fall abhängt (vgl. E. 3). Danach ist zu untersuchen, wie diese Voraussetzungen angesichts der besonderen Rechtsnatur des in Frage stehenden "performance bond" und der damit verbundenen Probleme im Falle der Einlösung einer solchen Bankgarantie zu handhaben sind (vgl. E. 4 und 5).
3.
a) Nach
Art. 11 ERGG
setzt eine Leistung aus der Exportrisikogarantie voraus, dass die Forderung des schweizerischen Exporteurs gegenüber seinem ausländischen Vertragspartner notleidend und ein Schaden angemeldet wird. Forderungen gelten als notleidend, wenn sie nicht vereinbarungsgemäss, das heisst bei Fälligkeit, erfüllt werden. Aus wirtschaftlicher Sicht kann ein Zahlungsausstand nur schon dadurch einen Schaden bewirken, dass der Berechtigte während einer gewissen Zeit nicht über Geld verfügt, auf das er einen Anspruch hat. Aus diesem Grund deckt die Exportrisikogarantie nicht nur den in der Garantieverfügung festgelegten Anteil am nachgewiesenen Verlust, sondern auch am Zahlungsrückstand;
Art. 3 und 11 ERGG
halten dies ausdrücklich fest. Dem entspricht auch die Regelung in
Art. 12 ERGG
, wonach dem Garantienehmer die Pflicht zur nachträglichen Eintreibung seiner Forderung sowie zur anteilsmässigen Rückleistung allfälliger Zahlungseingänge oder Erlöse an den Bund obliegt.
Auch wenn die Exportrisikogarantie somit grundsätzlich bereits bei einem Zahlungsrückstand beansprucht werden kann, gilt dies jedoch nicht uneingeschränkt. Insbesondere fragt sich, wieweit bereits ein Zahlungsrückstand für eine Entschädigung genügen soll,
BGE 118 Ib 100 S. 106
wenn der Bestand der Forderung zwischen schweizerischem Exporteur und ausländischem Schuldner materiell strittig ist. Um dies beurteilen zu können, ist zu untersuchen, was für Risiken von der Exportrisikogarantie erfasst werden.
b) Die Exportrisikogarantie deckt nur diejenigen Gefährdungen des Zahlungseingangs, die sich aus längeren Fabrikations-, Zahlungs- oder Transferfristen in Verbindung mit politisch und wirtschaftlich unsicheren Verhältnissen ergeben (
Art. 2 ERGG
). Darunter fällt zunächst das eigentliche Delkredererisiko, das heisst die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsverweigerung von bestellenden Staaten, Gemeinden und anderen öffentlichrechtlichen Körperschaften beziehungsweise Betrieben des privaten Rechts, die ganz oder überwiegend öffentlichrechtlichen Körperschaften gehören oder öffentliche Aufgaben erfüllen. Gedeckt ist aber auch das sogenannte politische Risiko. Dazu gehören ausserordentliche staatliche Massnahmen wie Moratorien oder politische Ereignisse im Ausland wie Krieg, Revolution, Annexion und bürgerliche Unruhen, welche dem ausländischen privaten Schuldner die Vertragserfüllung verunmöglichen (
Art. 4 ERGG
und
Art. 3 ERGV
; vgl. BBl 1958 I 963 f. sowie ALAIN LÉVY, La garantie de l'Etat contre les risques à l'exportation, Genève 1977, S. 75 ff.). Ein politisches Risiko kann ebenfalls vorliegen, wenn die Durchsetzung einer Forderung auf dem Rechtsweg unmöglich ist, weil keine adäquaten Rechtsmittel zur Verfügung stehen beziehungsweise weil keine zuverlässige Streiterledigung gewährleistet ist (vgl. dazu EMILIO ALBISETTI u.a. (Hrsg.), Handbuch des Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz, 4. Aufl., Thun 1987, S. 58 f.).
Von der Deckung durch die Exportrisikogarantie ausgeschlossen sind indes solche Verluste, die der Exporteur wegen vertragswidrigen Verhaltens selbst zu vertreten hat (
Art. 5 lit. a ERGG
). Eine Entschädigung kommt daher grundsätzlich nur in Frage, wenn Bestand und Umfang der Forderung des schweizerischen Exporteurs verbindlich feststehen, sei es weil diese vom Schuldner anerkannt wird, sei es weil darüber gerichtlich befunden wurde. Wird die Forderung des Exporteurs mit grundsätzlich tauglichen rechtlichen Einwänden bestritten und ist der Rechtsweg möglich und zumutbar, so ist der Bestand der Forderung verbindlich abzuklären, bevor auf die Exportrisikogarantie gegriffen werden kann. Ein Schadenfall könnte immer noch namentlich dann eintreten, wenn ein dem Exporteur günstiges Gerichtsurteil nicht befolgt würde oder das Urteil selbst klarerweise politisch motiviert wäre. Gedeckt wären dabei nebst dem
BGE 118 Ib 100 S. 107
Verlust der eigentlichen Garantiesumme auch ein allfälliger Verspätungsschaden sowie andere Kosten, die zum Zwecke der Schadensminderung angefallen sind.
Eine andere Schlussfolgerung ergibt sich auch nicht aus
Art. 13 ERGG
, wie die Beschwerdeführerin zu meinen scheint. Die Bestimmung sieht zwar vor, dass unberechtigterweise ausgezahlte Entschädigungen aus der Exportrisikogarantie zurückzuzahlen sind; das Gesetz geht somit von der Möglichkeit unberechtigter Auszahlungen aus. Die Rückleistungspflicht kann jedoch nicht von einer Abklärung der materiellen Rechtslage vor Geltendmachung der Exportrisikogarantie dispensieren, sondern ist vielmehr zugeschnitten auf den Fall, in dem im Zeitpunkt der Auszahlung nicht ersichtlich ist, dass die Voraussetzungen für die Ausrichtung der Garantiesumme nicht vorliegen.
c) Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn sich gerade in der Nichtanerkennung der Forderung ein von der Exportrisikogarantie gedecktes Risiko verwirklicht. Das kann sich insbesondere bei politischen Umwälzungen ergeben, die dazu führen, dass Aktiven von Ausländern (das heisst diesfalls Schweizern) nationalisiert oder ihre Forderungen auf staatliches Geheiss hin nicht mehr anerkannt werden (vgl.
Art. 4 lit. d ERGG
in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 1 lit. d ERGV
; sowie LÉVY, a.a.O., S. 77 f.).
In diesen Fällen wird allerdings nicht etwa die erbrachte Gegenleistung als solche mit (an sich tauglichen) rechtlichen Argumenten bestritten, sondern es sind politische Zusammenhänge, die zur Nichtanerkennung der Forderung beziehungsweise Nichteinbringbarkeit der Zahlung führen.
4.
a) Ausgehend von dieser grundsätzlich geltenden Rechtslage fragt sich, wie es sich verhält, wenn eine vom schweizerischen Exporteur gestellte Bankgarantie von dessen ausländischem Vertragspartner eingelöst wird. Der im vorliegenden Fall massgebliche "performance bond" war abstrakt ausgestaltet und konnte durch die begünstigte Bauherrin gegenüber der algerischen Bank und durch diese gegenüber der schweizerischen Bank einseitig abgerufen werden. Bei Einlösung der Garantie galt somit ein Einwendungs- und Einredenausschluss (JÜRGEN DOHM, Bankgarantien im internationalen Handel, Bern 1985, S. 106 ff., N. 212 ff.). Mit privatrechtlichen Mitteln hätte sich die Beanspruchung der Erfüllungsgarantie nur verhindern lassen, wenn sie rechtsmissbräuchlich oder gar betrügerisch gewesen wäre (vgl.
Art. 2 Abs. 2 ZGB
). Diesfalls hätte das Zahlungsverlangen der begünstigten Bank trotz der Abstraktheit der Garantie keinen Schutz gefunden (DOHM, a.a.O., S. 111, N. 225;
BGE 118 Ib 100 S. 108
HERBERT SCHÖNLE, Missbrauch von Akkreditiven und Bankgarantien, in: SJZ 79/1983, S. 59).
Der Beschwerdeführerin gelang es indessen nicht, im Verfahren vor den Zivilgerichten, mit dem sie versuchte, die Auszahlung aus der Erfüllungsgarantie zu verhindern, einen Rechtsmissbrauch nachzuweisen. Die Bauherrin vermochte somit gegen den Willen der Beschwerdeführerin Leistung zu bewirken, ohne dass über die Rechtmässigkeit des Abrufs des "performance bond" endgültig entschieden ist. Dadurch kehrten sich die Parteirollen; die Bauherrin muss die Garantie nicht mehr einfordern, sondern es obliegt der Beschwerdeführerin, die adäquaten Rechtsmittel zur Erlangung der Rückzahlung zu ergreifen, wenn sie unberechtigte Inanspruchnahme geltend machen will. Die Beschwerdeführerin befindet sich daher in einer vergleichbaren Lage, wie wenn sie eine bestrittene Geldforderung aus Vertrag durchzusetzen beabsichtigt; sie unterliegt namentlich denselben Risiken. Für die Frage, ob ein Schadenfall gemäss dem Exportrisikogarantiegesetz eingetreten ist, kann daher auf die entsprechenden Gesichtspunkte abgestellt werden (vgl. E. 3).
b) Der schweizerische Exporteur, der seinem ausländischen Vertragspartner eine abstrakte und einseitig abrufbare Erfüllungsgarantie stellt, nimmt ein besonderes vertragliches Risiko auf sich. Er nimmt bewusst in Kauf, dass die entsprechende Summe unter Umständen ungerechtfertigterweise abgerufen wird und er, um wieder über das Geld verfügen zu können, rechtliche Mittel ergreifen muss. Darin liegt das von ihm selbst zu tragende Risiko der abstrakten Ausgestaltung der Gewährleistungsgarantie. Es handelt sich grundsätzlich nicht um ein Risiko, das von der Exportrisikogarantie gedeckt ist.
Daran ändert auch die zusätzliche Bedingung nichts, dass die Rechtsmittel gegen rechtsmissbräuchliche Beanspruchung der Erfüllungsgarantie ergriffen werden müssen. Dieser Vorbehalt steht im Zusammenhang mit der Pflicht des Garantienehmers, alle Vorkehren zu ergreifen, um einen Schaden zu verhindern oder zu mindern. Ob ein Schaden überhaupt entstanden ist, hängt allein davon ab, ob die Erfüllungsgarantie zu Unrecht in Anspruch genommen wurde oder nicht. Es stellt sich also die Frage, ob eine Rückforderung überhaupt besteht. Damit hängt eine Entschädigung gleichermassen wie im typischen Fall einer Exportrisikogarantie von der Abklärung des Forderungsbestandes ab. ...
Die Frage einer Entschädigung aus der Exportrisikogarantie stellt sich somit erst dann, wenn die Rechtmässigkeit der Einlösung des "performance bond" definitiv geklärt ist. Der Exporteur hat den
BGE 118 Ib 100 S. 109
Rechtsweg zur Rückerlangung der Garantiesumme zu beschreiten und dabei abklären zu lassen, ob die Einlösung ungerechtfertigt war oder nicht. Ein von der Exportrisikogarantie erfasster Schaden liegt nur vor, wenn sich ergibt, dass der Abruf der Erfüllungsgarantie unberechtigt war und die entsprechende Summe entgegen einem entsprechenden Urteil nicht zurückbezahlt wird oder uneinbringbar ist. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn von vorneherein keine zuverlässige Streiterledigung gewährleistet ist.
5.
a) Die Vorinstanzen gehen davon aus, dass eine Entschädigung aus der Exportrisikogarantie auch bereits vor definitiver Abklärung der Rechtsverhältnisse in Frage kommt. In Anlehnung an die privatrechtliche Lage schliessen sie, dies sei dann der Fall, wenn der "performance bond" in rechtsmissbräuchlicher Weise eingelöst worden sei. Sie berufen sich dazu auch auf die in der massgeblichen Verfügung angebrachte zusätzliche Bedingung, woraus sie dasselbe Ergebnis (e contrario) herauslesen wollen.
Die Vorinstanzen nehmen darüber hinaus sogar an, dass die Exportrisikogarantie für den "performance bond" ausschliesslich für dessen rechtsmissbräuchliche Einlösung gelte. In einem späteren Zeitpunkt würde und müsse sich eine Entschädigung allenfalls auf die Exportrisikogarantie für das Grundgeschäft stützen.
b) Es erscheint, wie die Beschwerdeführerin mit Recht vorbringt, als sehr zweifelhaft, ob es sich überhaupt rechtfertigt, zusätzlich zum Grundgeschäft eine Exportrisikogarantie für den "performance bond" abzuschliessen, wenn diese nur die rechtsmissbräuchliche Abrufung deckt und wenn gleichzeitig die Ergreifung der entsprechenden zivilprozessualen Rechtsmittel als Entschädigungsvoraussetzung verlangt wird. Da sich diesfalls ja die Einlösung des "performance bond" verhindern lässt, bleibt für einen Schadenfall nur noch soweit Raum, als der zivilprozessuale Rechtsweg ausserordentlicherweise versagt.
Die Argumentation der Vorinstanzen überzeugt nicht. Sie stellen sich damit im übrigen auch in Widerspruch zur Haltung der Kommission in einem andern Fall, der dem Bundesgericht kürzlich vorgelegen ist, wobei diese Frage allerdings noch nicht zu entscheiden war, da die Angelegenheit unter anderem in diesem Punkt zu neuem Entscheid an das Departement zurückgewiesen wurde. Die Kommission hatte sich in diesem Fall gerade darauf berufen, dass eine Entschädigung für den Verlust des "performance bond" aus dem Grund entfalle, weil dieser nicht in die Exportrisikogarantie aufgenommen worden war.
BGE 118 Ib 100 S. 110
c) Tatsächlich ist der Fall nicht ausgeschlossen, dass ein ausländischer Vertragspartner ungerechtfertigterweise nicht nur die vertraglich vereinbarte Zahlung als ganzes, sondern darüber hinaus auch die Rückleistung einer zu Unrecht eingelösten Erfüllungsgarantie verweigert; der Gesamtverlust wäre diesfalls um den Betrag des "performance bond" grösser als der Schaden aus dem Grundgeschäft. Das gesamte mit einem Exportgeschäft verbundene Verlustrisiko erfasst somit nicht nur den eigentlichen Lieferwert oder Vertragspreis als solchen, sondern zusätzlich auch die Summe aller einseitig abrufbaren Garantien, namentlich den Betrag aus einer Gewährleistungsgarantie. Aus diesem Grunde rechtfertigt es sich, den "performance bond" zusätzlich zum Grundgeschäft - gegen Leistung entsprechend höherer oder separater Gebühren - der Exportrisikogarantie zu unterstellen. Wird dies nicht getan, trägt der Exporteur das Risiko einer ungerechtfertigten Einlösung selber. Anderseits muss sich entgegen der Ansicht der Vorinstanzen eine Entschädigung für Verluste aus der Erfüllungsgarantie in jedem Fall auf eine zusätzliche Unterstellung unter die Exportrisikogarantie abstützen.
Eine solche zusätzliche Garantie für einen "performance bond" erfasst, unabhängig vom Zeitpunkt ihres Eintritts, alle Schäden, die auf Gründe zurückzuführen sind, welche sich aus dem Exportrisikogarantiegesetz ergeben. Die im vorliegenden Fall massgebliche Garantieverfügung hält dies in der bereits erwähnten Anmerkung auch ausdrücklich fest. Der Bestand der Forderung des schweizerischen Exporteurs muss allerdings endgültig feststehen, damit eine Entschädigung aus der Exportrisikogarantie zu leisten ist. Liess sich die Einlösung des "performance bond" mit zivilprozessualen Mitteln nicht verhindern, weil ein Rechtsmissbrauch beim Abruf nicht feststand, dieser demnach nicht klarerweise unrechtmässig war, ist eine Entschädigung bis zur definitiven Abklärung der Rechtslage ausgeschlossen.
d) Im vorliegenden Fall ist der Bauprozess, in dem unter anderem auch über die Rechtmässigkeit der Einlösung der Erfüllungsgarantie entschieden wird, vor dem zuständigen Gericht in Algerien noch hängig. Es wird weder behauptet noch ist belegt, dass eine zuverlässige Streiterledigung ausgeschlossen sei; im übrigen muss sich die Beschwerdeführerin jedenfalls heute auch ihr eigenes Einverständnis mit dem Rechtsweg in Algerien entgegenhalten lassen. Ausgehend von der gesetzlichen Ordnung kommt daher eine Entschädigung aus der Exportrisikogarantie im jetzigen Zeitpunkt nicht in Frage.
BGE 118 Ib 100 S. 111
8.
... Der Beschwerdeführerin bleibt unbenommen, worauf die Vorinstanzen mit Recht hinweisen, erneut ein Gesuch um Entschädigung zu stellen, wenn über die Rechtmässigkeit der Einlösung des "performance bond" endgültig entschieden ist und sich dabei ein von der Exportrisikogarantie gedeckter Verlust ergeben sollte. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen müsste sich eine Entschädigung diesfalls allerdings auf die besondere Verfügung vom 13. Juni 1983 für den "performance bond" und nicht auf die Garantie vom 29. März 1983 für das Grundgeschäft abstützen (vgl. E. 5c); dies hätte dann auch zur Folge, dass der Verlust zu einem Satz von 75% - und nicht bloss 70% - gedeckt wäre. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a6404b04-9a98-48c6-be47-e30759b1d4c8 | Urteilskopf
98 Ib 277
39. Extrait de l'arrêt du 28 avril 1972 en la cause Administration neuchâteloise de l'impôt pour la défense nationale contre P. | Regeste
Art. 103 lit. a OG
.
Die kantonale Wehrsteuerverwaltung ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der kantonalen Rekurskommission berechtigt. | Sachverhalt
ab Seite 277
BGE 98 Ib 277 S. 277
Résumé des faits:
A.-
P. a recouru à la Commission cantonale de recours en matière fiscale (ci-après: CCR) contre diverses décisions de taxation, de rappel d'impôt et d'amendes. Par prononcé du 2 novembre 1971, la CCR admit partiellement le recours. Elle
BGE 98 Ib 277 S. 278
annula notamment les décisions attaquées en ce qui concerne les 13e et 14e périodes IDN, en considérant qu'il y avait taxations passées en force et qu'il n'y avait aucun motif légal de procéder à la révision de ces taxations.
B.-
L'Administration cantonale de l'impôt pour la défense nationale attaque par la voie du recours de droit administratif le prononcé du 2 novembre 1971; elle en demande l'annulation en ce qui concerne l'impôt pour la défense nationale des années fiscales 1965 à 1968 (13e et 14e périodes).
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
En ce qui concerne la recevabilité du recours, la seule question qui se pose est de savoir si l'Administration cantonale de l'impôt pour la défense nationale avait qualité pour recourir. Depuis l'entrée en vigueur de la loi du 20 décembre 1968 modifiant la loi fédérale d'organisation judiciaire, le Tribunal fédéral n'a pas encore eu l'occasion de se prononcer sur ce point. Il convient donc de l'examiner, quand bien même aucune des parties n'a émis le moindre doute à ce sujet.
Avant la novelle de 1968, on avait admis sans grande discussion, en doctrine comme en jurisprudence, qu'en matière d'impôt pour la défense nationale ou d'autres impôts fédéraux semblables, l'autorité cantonale compétente avait qualité pour attaquer un prononcé de la Commission cantonale de recours par la voie du recours de droit administratif (Archives 12, p. 325 consid. 1; 20, p. 190; 21, p. 89; KIRCHHOFER, Verwaltungsrechtspflege, p. 37; I. BLUMENSTEIN, Die allgemeine eidgenössische Wehrsteuer, p. 257; KÄNZIG, Kommentar, n. 5 ad art. 112 AIN; MASSHARDT, Impôt pour la défense nationale 1965-1974, n. 9 et 10 ad art. 112 AIN). La règle en vigueur à l'époque (art. 9 JAD, puis art. 103 al. 1 aoJ) conférait le droit de recours "à celui qui est intéressé, comme partie, à la décision attaquée et à toute personne dont les droits sont lésés par cette décision". Sur la base de ce texte, on admettait que l'Administration cantonale de l'impôt pour la défense nationale devait être considérée comme une partie devant la Commission cantonale de recours, et que pour ce motif elle avait qualité pour attaquer par la voie du recours de droit administratif les prononcés de cette commission.
Bien que, par la novelle de 1968, l'art. 103 OJ ait reçu une nouvelle teneur où il n'est plus question des parties à la décision attaquée, rien ne permet d'admettre ni même de supposer que
BGE 98 Ib 277 S. 279
le législateur ait voulu pour les impôts fédéraux perçus par les cantons changer quoi que ce soit à la situation antérieure. Le texte du nouvel art. 103 conduit à la même conclusion, ainsi qu'on va le voir.
L'art. 103 litt. a OJ actuel donne qualité pour recourir à "quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée". Certes, dans un récent arrêt (RO 97 I 607), le Tribunal fédéral a dit qu'en principe la lettre a de l'art. 103 ne concernait pas les autorités. Mais, a-t-il ajouté, cela n'exclut pas qu'une autorité cantonale puisse avoir qualité pour recourir en vertu de l'art. 103 litt. a lorsqu'elle est atteinte par une décision de la même façon que pourrait l'être un simple particulier et qu'elle a un intérêt digne de protection à ce que cette décision soit annulée ou modifiée. Or on se trouve précisément dans cette hypothèse s'agissant de décisions relatives à l'impôt pour la défense nationale. En effet, selon l'art. 136 al. 1 AIN, chaque canton ne verse à la caisse fédérale que le 70% du montant des impôts, des amendes et des intérêts perçus par lui, le solde de 30% lui restant acquis. Si donc la Commission cantonale admet le recours d'un contribuable en réduisant le montant des éléments imposables, ou en refusant la revision d'une taxation en faveur du fisc, ou en cassant un prononcé d'amende, il en résulte pour le canton une perte qui l'atteint dans son patrimoine, c'est-à-dire de la même façon que pourrait l'être un simple particulier, et il a certainement un intérêt digne de protection à ce qu'une telle décision soit annulée ou modifiée. Sur la base de l'art. 103 litt. a OJ, on doit donc reconnaître la qualité pour recourir à l'Administration cantonale de l'impôt pour la défense nationale, non pas à vrai dire en tant qu'autorité, mais en tant que représentant légal du canton.
Selon l'art. 103 litt. c, a en outre qualité pour recourir toute "autorité à laquelle la législation fédérale accorde le droit de recours". Certes, en matière d'impôt pour la défense nationale, le recours au Tribunal fédéral fait uniquement l'objet de l'art. 112 AIN, qui ne par le pas d'un droit de recours de l'administration cantonale. Mais l'art. 107 al. 1 lui accorde ce droit devant la Commission cantonale de recours. On pourrait dès lors se demander si, par analogie, cette disposition ne vaut pas aussi s'agissant du recours au Tribunal fédéral.
En l'espèce, l'Administration neuchâteloise de l'impôt pour la défense nationale avait donc qualité pour recourir. | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a6445493-2e61-4667-9c60-08359e5f2819 | Urteilskopf
105 Ia 47
11. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. April 1979 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen Z., Gemeinde Laax und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Beschwerde privater wegen Verletzung des
Art. 4 BV
und der Gemeindeautonomie.
Ein Privater kann im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte nur dann vorfrageweise eine Verletzung der Gemeindeautonomie rügen, wenn an sich auf die Beschwerde wegen Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte eingetreten werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 47
BGE 105 Ia 47 S. 47
Z. ist Eigentümer einer Parzelle in der Gemeinde Laax. Er reichte der Baubehörde ein Baugesuch ein. Gegen das Projekt erhoben X. und Mitbeteiligte Einsprache. Der Gemeindevorstand von Laax hiess sie gut und verweigerte die Baubewilligung. Gegen diesen Entscheid reichte Z. beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Rekurs ein. Das Gericht hiess den Rekurs am 29. November 1978 im Sinne der Erwägungen gut, hob die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache an die Gemeinde zurück.
Gegen diesen Entscheid haben X. und Mitbeteiligte beim Bundesgericht wegen Verletzung des
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Das Bundesgericht tritt nicht darauf ein, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach
Art. 87 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden
BGE 105 Ia 47 S. 48
Nachteil zur Folge haben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts schliesst das kantonale Verfahren nicht ab; die Sache wurde an die Gemeindebehörde zurückgewiesen, damit sie über das Baugesuch neu entscheide. Entscheide, mit denen eine Sache zu neuer Entscheidung an eine untere Instanz zurückgewiesen wird, sind Zwischenentscheide, die in der Regel - und so auch hier - für den Betroffenen keinen irreparablen Nachteil zur Folge haben (
BGE 99 Ia 44
und 249;
BGE 93 I 453
;
BGE 86 I 39
; LUDWIG, ZBJV 110/1974, S. 170). Da sich die Beschwerdeführer über eine Verletzung des
Art. 4 BV
beklagen, kann unter diesem Gesichtspunkt nicht auf die Beschwerde eingetreten werden.
2.
Während die Gemeinde Laax das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht wegen Verletzung ihrer Autonomie angefochten hat, machen die Beschwerdeführer auch eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend.
Ein Privater kann nicht selbständig wegen Verletzung dieser Autonomie staatsrechtliche Beschwerde führen. Dagegen kann er im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte vorfrage- oder hilfsweise geltend machen, der angefochtene Entscheid verstosse gegen die Gemeindeautonomie (
BGE 99 Ia 252
mit Hinweisen;, ZIMMERLI, ZBl 73/1972, S. 272 ff.). So kann sich z.B. ein Bürger - wie es hier getan wird - im Rahmen einer Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
über einen unzulässigen Eingriff in die Autonomie der Gemeinde beklagen. Macht ein privater Beschwerdeführer von dieser Möglichkeit Gebrauch, so ändert sich indessen nichts an der Rechtsnatur seiner Beschwerde. Sie bleibt eine Beschwerde wegen Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts des Bürgers. Dieser kann deshalb nur dann vorfrageweise eine Verletzung der Gemeindeautonomie rügen, wenn an sich auf die Beschwerde wegen Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte eingetreten werden kann. Das ist hier, wie ausgeführt, nicht der Fall; die Beschwerdeführer beklagen sich über eine Verletzung des
Art. 4 BV
, und auf diese Beschwerde kann aus den angeführten Gründen nicht eingetreten werden. Die im Rahmen der Willkürbeschwerde erhobene Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie ändert daran nichts. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a646c271-bcbf-4117-8fb2-2b329ae96fe1 | Urteilskopf
107 IV 91
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1981 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
.
Bedeutung der neuen zu vollziehenden Strafe für die Prognose bezüglich des Widerrufs des bedingten Strafvollzugs.
Bei der Beurteilung der Bewährungsaussichten im Rahmen von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
darf und muss die mögliche Warnungswirkung der neuen zu vollziehenden Strafe mitberücksichtigt werden. | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 107 IV 91 S. 91
A.-
In Gutheissung der Berufung der Staatsanwaltschaft hat der Ausschuss des Kantonsgerichtes Graubünden am 14. Januar 1981 H. der fortgesetzten groben Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 27 Abs. 1, 34 Abs. 2 und 4, 35 Abs. 2 und 3, 40 SVG und Art. 5 Abs. 1 lit. a, 29 Abs. 4 VRV) gemäss
Art. 90 Ziff. 2 SVG
sowie der Verletzung von
Art. 34 Abs. 1 BAV
in Verbindung mit
Art. 85 Abs. 2 BAV
schuldig erklärt und zu 30 Tagen Gefängnis und 100 Franken Busse verurteilt. Gleichzeitig ordnete der Kantonsgerichtsausschuss an, dass die vom Bezirksgericht Zurzach am 11. März 1976 über H. wegen fahrlässiger Tötung verhängte Strafe von 9 Monaten Gefängnis (mit bedingtem Strafvollzug) nun zu vollziehen sei.
B.-
H. führt gegen dieses Urteil staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde. Die staatsrechtliche Beschwerde ist vom Kassationshof des Bundesgerichts am 2. Juli 1981 abgewiesen worden.
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie den Beschwerdeführer von den ihm im Zusammenhang mit den von ihm bestrittenen Überholmanöver am
BGE 107 IV 91 S. 92
"Sagastutz" bei Nufenen GR zur Last gelegten Verfehlungen freispreche und ihn lediglich wegen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (
Art. 5 Abs. 1 lit. a VRV
) sowie wegen der Montage und Verwendung eines Zweiklanghornes (
Art. 40 SVG
,
Art. 34 Abs. 1 BAV
in Verbindung mit
Art. 85 Abs. 2 BAV
) mit einer Busse von Fr. 500.-- bestrafe (unter Verzicht auf den Vollzug der bedingten Gefängnisstrafe vom 11.3.1976). Eventualiter beantragt der Beschwerdeführer, in teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils (Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2) sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie eine bedingt vollziehbare Gefängnisstrafe von höchstens einem Monat ausspreche und die frühere Gefängnisstrafe (vom 11. März 1976) nicht als vollziehbar erkläre.
C.-
Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat auf Einreichung von Gegenbemerkungen verzichtet. Unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Urteils stellt sie den Antrag, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
d) Da der Beschwerdeführer sich vor Ablauf der Probezeit von vier Jahren ein Vergehen (
Art. 90 Ziff. 2 SVG
) zuschulden kommen liess, hatte das Kantonsgericht auch über den Widerruf des 1976 gewährten bedingten Strafvollzuges zu befinden.
Gemäss
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
kann der zuständige Richter in leichten Fällen, wenn begründete Aussicht auf Bewährung besteht, vom Widerruf absehen und statt dessen, je nach den Umständen, den Verurteilten verwarnen, zusätzliche Massnahmen anordnen und die im Urteil bestimmte Probezeit um höchstens die Hälfte verlängern. Im angefochtenen Urteil wird das während der Probezeit begangene Delikt als "schwerwiegendes Vergehen" bezeichnet und es wird dann ohne ausdrückliche Erörterung der Frage, ob ein Verzicht auf den Widerruf schon wegen der Schwere des neuen Deliktes ausgeschlossen sei, aus subjektiven Gründen - wegen Fehlens begründeter Bewährungsaussicht - der Vollzug der Gefängnisstrafe von 9 Monaten angeordnet. Dabei geht das Gericht im wesentlichen einfach davon aus, dass die Verneinung der günstigen Prognose hinsichtlich der neuen Verurteilung (gemäss
Art. 41 Ziff. 1 StGB
) auch die Verneinung der Bewährungsaussicht gemäss
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
zur Folge haben müsse und daher den Widerruf des seinerzeit gewährten bedingten Strafvollzuges nach sich ziehe.
BGE 107 IV 91 S. 93
Diese Folgerung ist naheliegend, aber nicht zwingend (vgl.
BGE 98 IV 76
). Bei der Beurteilung der Bewährungsaussicht im Sinne von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
darf und muss auch die Wirkung der neuen Strafe berücksichtigt werden, welche der Beschwerdeführer jetzt zu verbüssen hat. Unter dem Aspekt der Resozialisierung kann der Vollzug der einen Strafe und die Einräumung oder Weiterführung der Bewährungsfrist für die andere Strafe eine angemessene und sinnvolle Lösung sein (vgl. hiezu
BGE 101 IV 13
,
BGE 100 IV 196
). Eine solche Kombination ist im vorliegenden Fall durch die Schwere der neuen Verurteilung nicht ausgeschlossen. Die zum Teil rücksichtslose Fahrweise, welche im angefochtenen Urteil bestraft wird, darf gewiss nicht bagatellisiert werden; doch entspricht es der ratio legis von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
, dass eine Verletzung von Verkehrsvorschriften (ohne Kollision), die wegen der Umstände und der Vorstrafen mit 30 Tagen Gefängnis geahndet wird, nicht automatisch den Widerruf eines zuvor gewährten bedingten Strafvollzuges zur Folge haben muss; es handelt sich somit um eine Verurteilung, die im Sinne der erwähnten Vorschrift noch als leichter Fall eingestuft werden darf (vgl. zur Auslegung dieses Begriffes
BGE 101 IV 13
). Die Vorinstanz hat dies übrigens nicht abgelehnt, sondern im Grunde offen gelassen, ob ein leichter Fall vorliege, weil sie davon ausging, die Aussicht auf Bewährung sei ohnehin nicht gegeben.
Der angefochtene Entscheid steht insofern mit Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 nicht im Einklang, als eine eigentliche Prüfung der Bewährungsaussicht unter Berücksichtigung der möglichen Warnungswirkung der neuen Strafe unterblieb. Gerade im vorliegenden Verfahren, wo es darum geht, ob ein an sich rechtschaffener Bürger als Folge eines im letzten Jahr einer vierjährigen Probezeit begangenen Verkehrsdeliktes, das noch als leichter Fall zu bezeichnen ist, eine Gefängnisstrafe von 9 Monaten verbüssen muss, drängt sich unter spezialpräventiven Gesichtspunkten eine sorgfältige Abwägung der für und gegen die Aussicht auf Bewährung sprechenden Umstände auf. Bei dieser Gesamtwürdigung im Rahmen von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
ist die Tatsache des Vollzuges der neuen Gefängnisstrafe (anders als im Fall
BGE 98 IV 82
am Ende) nicht ohne Bedeutung. Der angefochtene Entscheid ist daher in diesem Punkt aufzuheben und die Widerrufsfrage ist von der Vorinstanz unter Beachtung aller Aspekte mit Einschluss des Vollzugs der neuen Gefängnisstrafe von 30 Tagen neu zu beurteilen.
BGE 107 IV 91 S. 94
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen und Dispositiv Ziff. 2 des Urteils des Kantonsgerichts-Ausschusses von Graubünden vom 14. Januar 1981 im Sinne der Erwägungen aufgehoben. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a647a9f4-4585-4297-abd0-ffcffd4a4c02 | Urteilskopf
80 I 259
42. Urteil vom 30. Juni 1954 i.S. Gisler gegen Herger und Konsorten und Obergericht des Kantons Uri. | Regeste
Art. 48, 84 Abs. 2 OG
.
Endentscheid ist auch ein Urteil, mit dem auf die Klage wegen bestehender Litispendenz nicht eingetreten wird, sofern das Urteil das Verfahren abschliesst.
Unzulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde aus diesem Grunde. | Sachverhalt
ab Seite 259
BGE 80 I 259 S. 259
A.-
Die Beschwerdeführerin war die Ehefrau des 1952 verstorbenen Michael Gisler, der bei seinem Tode ausser der Ehefrau als gesetzliche Erben sechs Geschwister, die Beschwerdegegner hinterlassen hat. Da sich die Erben nicht darüber einigen konnten, wem von ihnen die landwirtschaftliche Liegenschaft Götschwiler des Erblassers zukommen solle, verlangte die Beschwerdeführerin Ende Dezember 1952 beim Gemeinderat von Spiringen die Vornahme der Teilung, die Zuweisung der landwirtschaftlichen Liegenschaft sowie der zugehörigen Gerätschaften und der Viehhabe an sie und die Vornahme einer Ertragswertschatzung. Im April 1953 klagte sie ausserdem beim Landgericht Uri auf Feststellung, dass ihr Erbanspruch 13/16 zu Eigentum und 3/16 zu Nutzniessung betrage, auf Zuweisung der Liegenschaft Götschwiler sowie der übrigen Vermögenswerte zu Alleineigentum und auf Ermächtigung des Grundbuchamtes zur Eintragung des Eigentumsüberganges. Das Landgericht trat auf die Klage "mangels sachlicher Zuständigkeit und zufolge anderweitiger Litispendenz"
BGE 80 I 259 S. 260
nicht ein. Das Urteil wird damit begründet, dass es sich bei den Begehren an das Landgericht und den Gemeinderat von Spiringen um dieselben Anträge handle, also Identität der beiden Klagen vorhanden sei. Die Pendenz derselben Begehren vor dem Gemeinderat stehe aber der Anhandnahme der Klage durch den Richter entgegen. In diesem Sinne sei "die Unzuständigkeitseinrede unter Gutheissung der Einrede der Litispendenz" zu schützen, auf die Klage also mangels Zuständigkeit nicht einzutreten. Eine Appellation hiegegen hat das Obergericht des Kantons Uri mit Urteil vom 18. September 1953 (den Parteien zugestellt am 19. Oktober 1953) unter Bestätigung der Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen.
B.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 19. November 1953 beantragt Frau Gisler, das Urteil des Obergerichtes und damit dasjenige des Landgerichtes Uri aufzuheben und die Sache an den kantonalen Richter zurückzuweisen, damit er die Klage materiell behandle. Es wird Verletzung von
Art. 4 BV
(Willkür) geltend gemacht und diese darin erblickt, dass einerseits der Gemeinderat von Spiringen die Zuteilung der landwirtschaftlichen Liegenschaft auf Grund des bäuerlichen Erbrechtes vornehme (§ 13 Ziff. 11 urn. EG ZGB) und dabei das vorhandene Testament des Erblassers ausseracht lasse, während der Richter seine Unzuständigkeit erkläre, die landwirtschaftliche Liegenschaft auf Grund des Testamentes des Erblassers zuzuweisen. Die Einrede der Identität der Streitsache sei zu Unrecht geschützt worden, weil die beiden Klagen nicht identisch seien.
C.-
Das Obergericht und die Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Während der Dauer des Beschwerdeverfahrens hat auch der Gemeinderat von Spiringen das bei ihm gestellte Begehren entschieden (Beschluss vom 14. November 1953). Die Beschwerdeführerin hat daraufhin um die Einstellung des Beschwerdeverfahrens bis zum Entscheid des Regierungsrates über ihre Beschwerde gegen den gemeinderätlichen
BGE 80 I 259 S. 261
Entscheid nachgesucht. Ihrem Begehren ist entsprochen worden. Der Beschluss des Regierungsrates über die Beschwerde gegen den Gemeinderat erging am 30. März 1954. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin erklärt, sie halte an der staatsrechtlichen Beschwerde fest.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Welches der Sinn des Entscheides des Landgerichtes und des diesen bestätigenden Urteils des Obergerichtes ist, mit denen auf die Klage "mangels sachlicher Zuständigkeit und zufolge anderweitiger Litispendenz" nicht eingetreten worden ist, ist aus dem Dispositiv zusammen mit den Erwägungen der Urteile festzustellen. Aus den Erwägungen geht aber hervor, dass der kantonale Richter sich für die Klage nicht als sachlich unzuständig erklärt, sondern darauf deshalb nicht eintritt, weil es sich bei den Rechtsbegehren "von formellen Differenzen abgesehen um die gleichen Rechtsbegehren" handle, wie bei den vor dem Gemeinderat Spiringen angebrachten und weil die Beschwerdeführerin nach der von ihr getroffenen Wahl "an das einmal eingeschlagene Verfahren kraft der gegebenen Litispendenz gebunden" sei. Der Unzuständigkeitsentscheid beruht demnach nur darauf, dass dasselbe Klagebegehren bereits bei einer andern Behörde anhängig sei.
2.
Die Einrede der Rechtshängigkeit gehört zunächst dem kantonalen Prozessrecht an. Demnach bestimmt § 124 lit. b urn. ZPO, dass, wenn die Streitsache von einer Partei anderweitig anhängig gemacht werde, der Beklagte die Einrede der Rechtshängigkeit erheben könne, und § 150 lit. b ebenda, dass die Einrede des in gleicher Sache schon erlassenen rechtskräftigen Urteils als rechtszerstörende Einrede gelte. Indes wird nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Frage der Verbindlichkeit eines früheren Urteils für spätere Prozesse nicht ausschliesslich durch das kantonale Recht beherrscht. Vielmehr ergibt sich aus dem Bundesprivatrecht, dass in einem Prozess über einen bundesrechtlichen Anspruch ein früheres Urteil
BGE 80 I 259 S. 262
nur dann als verbindlich anerkannt, die Einrede der abgeurteilten Sache nur dann geschützt werden darf, wenn dieser Prozess und das frühere Urteil den gleichen Anspruch und die gleichen Parteien betreffen (
BGE 78 II 401
und die dortigen Verweisungen). Dasselbe gilt, wenn nicht die Einrede der abgeurteilten Sache, sondern diejenige der bestehenden Rechtshängigkeit geschützt, die Beurteilung des eingeklagten bundesrechtlichen Anspruchs aus diesem Grunde einstweilen verweigert wird. Denn die Rechtsprechung des Bundesgerichts geht vom Gedanken aus, bei bundesrechtlichen Ansprüchen sei die Frage der Identität, insbesondere der Streitsache, eine Frage des Bundesrechtes (
BGE 75 II 290
). Das muss auch gelten bei Vergleichung eines rechtshängigen Streitgegenstandes mit dem Gegenstand einer neuen Klage. Gerade im vorliegenden Fall geht es aber um die Frage, ob der vom Gemeinderat zu beurteilende Anspruch auf Zuweisung der Liegenschaft an die Klägerin gemäss
Art. 621 ZGB
identisch sei mit dem beim Landgericht eingeklagten Anspruch, der ebenfalls auf Zuteilung der Liegenschaft an die Klägerin geht, sich aber, wie die schriftliche Klagebegründung eindeutig ausweist, auf das Testament des Erblassers stützt. Diese Frage kann nur nach eidgen. Recht beurteilt werden. Die Rüge willkürlicher Auslegung des kantonalen Prozessrechts, des
§ 124 lit. b ZPO
, hat daneben insoweit keinen Raum. Hat der Richter die Einrede unrichtig beurteilt, so ist Bundesrecht verletzt worden, was mit dem Rechtsmittel der Berufung gemäss
Art. 43 OG
gerügt werden kann. Mit Recht sagt daher LEUCH (Kommentar zu Art. 194 bern. ZPO Note 2 S. 192), wenn die Rückweisung wegen Rechtshängigkeit ein Haupturteil wäre, so wäre entgegen dem Urteil in
BGE 50 II 414
, wo die entgegengesetzte Auffassung vertreten, aber nicht begründet wird, die Gleichbehandlung mit der Rückweisung wegen res judicata gegeben.
Entgegen der Vorschrift von Art. 58 aoG ist nach Art. 48 Abs. 1 rev. OG Voraussetzung der Berufung nicht mehr ein Haupturteil, sondern bloss ein Endentscheid der
BGE 80 I 259 S. 263
obern kantonalen Gerichte oder sonstigen Spruchbehörden. Es ist daher zu prüfen, ob ein die Behandlung des eingeklagten Anspruchs wegen Rechtshängigkeit bei einer andern Behörde ablehnender Entscheid als "Endentscheid" betrachtet werden muss. Dieser lautet nicht auf Abweisung der Klage und damit auf Verneinung des Anspruchs (LEUCH zu Art. 194 Note 2, BIRCHMEIER, Organisation der Bundesrechtspflege zu Art. 48 S. 164). Wenn darunter der endgültige Entscheid über Bestehen oder Nichtbestehen des streitigen Anspruchs zu verstehen wäre, so könnte daher ein die Einrede der Rechtshängigkeit schützender Entscheid nicht als endgültig gelten. Wird dagegen als Endentscheid jeder auch nur den Prozess endgültig abschliessende Entscheid betrachtet, so trifft dies auch für ein Urteil zu, das das Verfahren wegen Rechtshängigkeit des gleichen Anspruchs abschliesst. Der Wortsinn der gesetzlichen Ausdrucksweise "Endentscheide der obern kantonalen Gerichte" legt eher die zweite, weitere Auslegung nahe, ebenso der französische und italienische Text (décisions finales, decisioni finali, im Gegensatz zu jugements au fond, giudizi di merito). Der Bemerkung in der Botschaft des Bundesrates, man habe mit der Revision des OG Wünsche nach einem Ausbau durch Ausdehnung der Bundesrechtspflege auf weitere Materien nicht berücksichtigen wollen (BBl 1943 S. 103,
BGE 72 II 57
), kommt für die Auslegung des Begriffes des Endentscheides kaum Bedeutung zu. Die weitere Bemerkung (S. 122), der Entwurf gebe den Begriff des Haupturteils zugunsten desjenigen des Endurteils auf, die Berufung habe aber von allem Anfang an auch zugelassen werden müssen, wenn ein Prozesshindernis, eine peremtorische Einrede, das Eintreten auf die materielle Beurteilung verunmöglichte, lässt darauf schliessen, dass mit der Änderung auch solche letztinstanzliche Urteile der Berufung unterworfen werden sollten, die das Eintreten auf die materielle Beurteilung (gestützt auf Bundesrecht, oder wenn dieses richtigerweise anzuwenden gewesen wäre) ablehnen. Als endgültig muss daher, wie schon in BGE
BGE 80 I 259 S. 264
BGE 74 II 178
ausgeführt wurde, jeder in einem solchen Verfahren, das auf endgültige dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch den Richter abzielt, ergangene Entscheid gelten, der das Verfahren beendigt (
BGE 79 II 108
; GIOVANOLI, Probleme der Berufung an das Bundesgericht, ZbJV 90 (1954) S. 53 ff.)....
Auch der für die Berufung erforderliche Streitwert (
Art. 46 OG
) ist gegeben. Das Rechtsbegehren unter Ziff. 1 bezieht sich auf Feststellung des Eigentums der Klägerin an 13/16 des Nachlasses. Da nach der Feststellung des Gemeinderates die Liegenschaft allein einen Ertragswert von Fr. 28'000.-- aufweist, übersteigt der Streitwert den Betrag von Fr. 4000.--.
Hätte somit die Rüge unrichtiger Beurteilung der Einrede der Rechtshängigkeit, in der sich die Beschwerde erschöpft, zum Gegenstand der Berufung gemacht werden können, so erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde wegen ihres subsidiären Charakters als unzulässig (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Eine Überweisung der Beschwerde an die 2. Zivilabteilung des Bundesgerichts kommt schon deshalb nicht in Frage, weil für die Berufung die Frist des
Art. 54 OG
nicht eingehalten ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a64a7d9a-1705-4d04-92ce-10641075ff4d | Urteilskopf
115 III 144
31. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 3 juillet 1989 dans la cause K. (recours LP) | Regeste
Erstellung des Kollokationsplans beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (
Art. 316g SchKG
).
Ausser wenn die Voraussetzungen von
Art. 59 Abs. 2 KOV
gegeben sind, ist ein partieller, auf bestimmte Forderungsklassen beschränkter Kollokationsplan unzulässig. Um das Verfahren zu beschleunigen, kann der Liquidator demzufolge nicht sofort ausschliesslich über die für die erste Klasse angemeldeten Forderungen entscheiden. | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 115 III 144 S. 144
A.-
Le 13 octobre 1986, le Tribunal cantonal neuchâtelois a homologué le concordat par abandon d'actif proposé par la Clinique Montbrillant S. à r.l. Le liquidateur nommé initialement ayant été révoqué le 2 décembre 1988, la commission des créanciers nomma dix jours plus tard K. à cette fonction.
Le 29 mars 1989, le liquidateur fit annoncer dans la feuille officielle cantonale le dépôt de "l'état de collocation des créanciers de la première classe" de la société en liquidation concordataire.
B.-
A. et 29 consorts ont formé, en qualité de créanciers de la société en liquidation, une plainte contre le liquidateur, contestant notamment le fait qu'un état de collocation partiel ait été dresse.
Par arrêt du 3 mai 1989, l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Neuchâtel a partiellement admis la plainte, annulé la publication de l'état de collocation partiel et invité le liquidateur à déposer dans les meilleurs délais un état de collocation complet.
C.-
K. exerce en temps utile un recours à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de la décision attaquée et au rejet de la plainte.
BGE 115 III 144 S. 145
La Chambre des poursuites et des faillites rejette le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La seule question litigieuse a trait à l'établissement de l'état de collocation (
art. 316g LP
) dans le cadre du concordat par abandon d'actif. Elle peut être soumise aux autorités de surveillance par la voie de la plainte (
art. 17 LP
), alors que les litiges qui portent sur les prétentions des créanciers sont portés devant le juge civil par le biais de l'action en contestation de l'état de collocation (
ATF 106 III 26
consid. 2,
ATF 105 III 31
consid. 3,
ATF 103 III 14
consid. 1).
2.
L'établissement de l'état de collocation dans le concordat par abandon d'actif (
art. 316g LP
) obéit aux règles valables en matière de faillite (
ATF 105 III 31
consid. 3 et les références). Selon l'
art. 247 al. 1 LP
, dans les vingt jours après l'expiration pour les productions, l'état de collocation doit être dressé conformément aux dispositions des art. 219 et 220.
a) Selon l'autorité cantonale, si la loi envisage la prolongation du délai (
art. 247 al. 2 LP
), elle ne prévoit en aucune manière la possibilité d'une entrée en force différée de l'état de collocation suivant le rang des créances produites. Cela résulte non seulement du but de la collocation globale des créances, mais aussi de la teneur de l'art. 59 al. 2 OOF (RS 281.32). Cette disposition autorise certes qu'il ne soit pas statué d'emblée sur toutes les productions et que l'état de collocation soit complété ultérieurement. Il s'agit ainsi d'éviter que le dépôt de l'état de collocation soit retardé. Cette solution ne doit cependant être envisagée qu'en présence d'obstacles sérieux ou de difficultés graves (
ATF 103 III 31
consid. 3,
ATF 92 III 30
consid. 1). Lorsque tel n'est pas le cas, il faut protéger l'intérêt des créanciers à disposer d'un état de collocation qui statue sur toutes les productions, pour permettre à chacun de critiquer, en une seule procédure, l'état de collocation qui ne le satisferait pas. Le créancier dont la prétention n'aurait pas encore été examinée serait dans l'impossibilité d'attaquer un état de collocation partiel (
ATF 103 III 15
).
b) Le recourant prétend pour sa part que l'établissement d'un état de collocation partiel est entré dans la pratique et que cette façon de faire se justifie, notamment lorsque la liquidation risque de durer un certain temps. Il estime judicieux que les créanciers de première classe soient désintéressés le plus rapidement possible,
BGE 115 III 144 S. 146
sans avoir à attendre qu'il ait été statué sur d'autres prétentions dont le fondement est plus difficile à vérifier.
Le recourant fait valoir que la privation de la possibilité pour un créancier d'attaquer l'état de collocation partiel qui ne statue pas encore sur sa propre prétention conduit à un résultat inadmissible. Il considère dès lors que l'autorité cantonale a donné à la jurisprudence (
ATF 103 III 15
) une portée que le Tribunal fédéral n'a pas voulue et relève qu'il serait logique de reconnaître à chaque créancier qui a produit la qualité pour contester d'emblée un état de collocation partiel.
3.
Il faut concéder au recourant que la jurisprudence à laquelle l'autorité cantonale se réfère n'est pas aussi restrictive que celle-ci le laisse entendre. Il ressort d'ailleurs aussi bien des termes utilisés dans cet arrêt que du contexte de l'affaire que le Tribunal fédéral n'entendait pas se prononcer de manière définitive sur la qualité pour contester l'état de collocation. Il a seulement été affirmé que le créancier dont la prétention a fait l'objet d'une décision de l'administration de la faillite est habilité à ouvrir action en contestation de l'état de collocation. A cette occasion, la question pouvait rester indécise de savoir s'il convient de considérer comme inscrite à l'état de collocation une créance dès sa production dans la faillite, soit alors qu'il appartient encore à l'administration de décider définitivement de l'admettre ou de l'écarter. Il n'y avait dès lors pas à examiner la question de la qualité pour agir d'un créancier dont la prétention fera l'objet d'un complément de l'état de collocation au sens de l'art. 59 al. 2 OOF.
4.
Il convient dès lors uniquement d'examiner si l'on entend s'en tenir à la jurisprudence publiée aux
ATF 103 III 17
et
ATF 92 III 30
selon laquelle l'état de collocation doit être dressé le plus rapidement possible, seuls des obstacles sérieux autorisant la suspension de son dépôt ou son complément ultérieur.
Une réponse affirmative à cette question s'impose. Certes, l'expérience enseigne que la liquidation d'une faillite prend souvent plus de temps que ce que souhaiteraient les créanciers colloqués en première classe et dont les droits font l'objet d'une protection particulière. Mais cela ne constitue pas un motif suffisant pour compromettre les intérêts des autres créanciers qui doivent pouvoir connaître, grâce à l'état de collocation complet, le sort réservé à l'ensemble des prétentions. Cet état, qui constitue le tableau du passif du débiteur, détermine le droit de participer à la distribution du produit de la réalisation et la mesure de cette participation (cf.
BGE 115 III 144 S. 147
GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2e éd., p. 331). C'est en fonction de sa teneur que s'expriment les rapports entre les droits des différents créanciers (
ATF 103 III 41
consid. 1). L'objet de l'action en contestation de l'état de collocation n'est donc pas la décision entrée en force qui statue sur une production en tant que telle, mais bien la décision définitive déterminant la mesure selon laquelle un créancier a droit au produit de la liquidation du failli (
ATF 98 II 318
).
Du point de vue de l'économie de procédure, les créanciers ont un intérêt à pouvoir attaquer en une seule action en contestation de l'état de collocation une décision de l'administration qu'ils estiment erronée. Un créancier ne doit pas être contraint à s'adresser à plusieurs reprises au même juge, voire, en raison de valeurs litigieuses différentes, à plusieurs instances. Or de telles complications liées à la compétence matérielle du juge - le droit fédéral ne déterminant que l'unicité du for de l'action (
art. 250 al. 1 LP
) - sont inévitables lorsque des états de collocation partiels - entrent en force à des dates différentes.
De même, du point de vue du juge, il convient d'éviter que sa compétence matérielle dépende en fait de la procédure adoptée par l'administration de la faillite. Bien que, selon l'opinion du recourant, un état de collocation qui englobe toutes les créances de première classe doive pouvoir être dressé, le risque de jugements contradictoires existe cependant. On peut notamment penser à cet égard à l'hypothèse du créancier dont les prétentions relèveraient de classes différentes et sur lesquelles il devrait - autant que faire se peut - être statué simultanément. D'une manière toute générale, il faut donc favoriser la réunion en une seule procédure des différends relatifs aux diverses productions (cf. FURRER, Die Kollokationsklagen nach schweizerischem Recht, thèse Zurich 1979, p. 149). L'établissement d'un état de collocation partiel y mettrait d'emblée obstacle.
6.
C'est dès lors à bon droit que l'autorité cantonale a considéré que l'établissement d'un état de collocation partiel n'était pas admissible. Hors l'hypothèse visée à l'art. 59 al. 2 OOF, un état de collocation partiel n'emporte aucun effet juridique et doit être considéré comme nul. | null | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a64c790d-7b55-44eb-b596-4e5b152992d4 | Urteilskopf
89 II 287
40. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Mai 1963 i.S. St. Galltsch-Appenzellische Kraftwerke AG gegen Gemeinde Linthal. | Regeste
Klage auf Feststellung einer Grundstücksgrenze.
1. Streitwert, bemessen durch Kapitalisierung des jährlichen Nutzens.
Art. 36 Abs. 4 und 5 OG
(Erw. 1).
2. Herrenlose Sachen. Privatrechtlicher Eigentumsanspruch. Intertemporales Recht.
Art. 664 ZGB
,
Art. 1 und 17 ZGB
'SchlT (Erw. 2 und 3).
3. Der Grenzregulierungsvertrag muss öffentlich beurkundet werden (
Art. 657 und 669 ZGB
). Auslegung eines Vergleichs. Tat- und Rechtsfrage (Erw. 4).
4. Rechtsmissbräuchliches Abgehen von einer früher bei Kenntnis der wesentlichen Umstände bekundeten Stellungnahme, auf die sich die andere Partei nach Treu und Glauben verlassen durfte.
Art. 2 ZGB
. (Erw. 5).
5. Was ist der Kultur nicht fähiges Land im Sinne von
Art. 664 Abs. 2 ZGB
? (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 288
BGE 89 II 287 S. 288
A.-
Die Klägerin, St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG (nachfolgend SAK genannt) ist Aktionärin der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG (NOK) und diese ist Hauptaktionärin der Kraftwerke Linth-Limmern AG, welche die Wasserkräfte im Quellgebiet der Linth ausnützt. Auf dem Limmernboden wird durch eine Mauer von 146 m Höhe ein Speicherbecken von 90 Mio Kubikmeter Inhalt gestaut. Als Nebenstufe wird der nordöstlich von der Staumauer und ca. 600 m höher als diese gelegene Muttensee als natürlicher Speicherraum benützt, dessen Wasser der Kavernenzentrale Muttensee zugeführt und anschliessend in das Speicherbecken Limmernboden eingeleitet wird. Infolge der eigenartigen Regelung des Rechts an öffentlichen Gewässern im Kanton Glarus (§ 170 EG zum ZGB), wonach die Eigentümer der Ufergrundstücke das Recht zur Ausnutzung der Wasserkräfte haben (vgl. LIVER, Die Entwicklung der Wasserrechte in der Schweiz, ZSR NF 71 S. 323; Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juli 1962 i.S. Hohlenstein Textildruckerei AG c. Spitz, Streiff & Co.), ist die Linth-Limmern AG an der Frage interessiert, wem das Eigentum am Muttensee zusteht. Die Alp Limmern, Grundbuch Linthal-Dorf Nr. 373, auf deren Boden das Limmern-Staubecken errichtet wird, gehört der SAK. Diese vertritt die Auffassung, der Muttensee gehöre zur Alp Limmern, während die Gemeinde Linthal behauptet, er befinde sich inmitten des der Kultur nicht fähigen Landes im Sinne von
Art. 664 ZGB
, dessen Eigentum ihr gemäss Art. 121 bis EG zum ZGB (letztere Bestimmung im Jahre 1917 eingefügt) zustehe.
B.-
Erster bekannter Eigentümer der Alp Limmern war der Spendenvogt Andreas Zweifel. Dieser verkaufte davon den mittlern und obern Stafel am 23. Januar 1866
BGE 89 II 287 S. 289
der Gemeinde Brigels. Die Grenzen der verkauften Liegenschaft werden im Kaufakt wie folgt bezeichnet: "anstossend: Gegen Westen an den Wildheuet der gemeinen Herren Kirchgenossen; gegen Norden an die Schafalp der Alp Bächi des Tagwen Dorf, gegen Osten an den sog. Rüchistock und im Süden an den Muttenstock, Kistenstock und Selbsanft". Am 17. Februar 1914 verkaufte die Gemeinde Brigels die Limmernalp "nebst allen dazugehörigen Servituten und Rechten, insbesondere den Wasserrechten, nach Massgabe des Kaufaktes vom 24. Januar 1866" der Motor AG für angewandte Elektrizität in Baden.
In Art. 8 des Kaufvertrages hatte sich die Gemeinde Brigels gegenüber der Käuferin verpflichtet, ihr möglichstes zu tun, um die genauen Grenzen des Kaufobjekts "in Bezug auf den Limmernbach" auf ihre Kosten feststellen zu lassen. Der Grenzstreit fand nach längern Verhandlungen seinen Abschluss durch einen Vergleich zwischen dem Ortsgemeinderat Linthal und dem Tagwensrat Linthal-Dorf einerseits und der Gemeinde Brigels bzw. der Motor AG anderseits vom 14. August 1918. Danach wurden die Grenzen der Limmernalp u.a. wie folgt bestimmt:
"Art. 1. Auf dem rechten Ufer geht die Grenze vom Einfiuss des Rinkentalbaches in den Limmernbach den erstgenannten Bach aufwärts bis zum untersten Felsabsatz, von hier horizontal nach Norden bis zum vorspringenden Felskopf beim sog. Kalktrittli, von hier gerade aufwärts über diesen Felskopf bis zu dem oberhalb der Baumgartenalp vom Thor sich in südwestlicher Richtung hinziehenden Felsband von da auf diesem Felsband in nordöstlicher Richtung bis zum Thor, von hier in östlicher Richtung anstossend nördlich an die Schafalp der Alp Bächi des Tagwens Dorf aufwärts an den sog. Rüchistock; von da bildet die Grenze in östlicher und südlicher Richtung der Ruchi, Muttenstock, Kistenstöckli und Selbsanft. Vgl. Kaufvertrag v. 27. Januar 1866."
In Art. 2 wurde der Verlauf der Grenze auf dem linken Ufer des Limmernbaches angegeben, was hier nicht von Belang ist.
C.-
Am 25. Oktober 1921 schlossen die Ortsgemeinde Linthal und der Tagwen Linthal-Dorf einen Konzessionsvertrag mit der Bauunternehmung Locher & Co, welche
BGE 89 II 287 S. 290
vom Regierungsrat des Kantons Glarus die Konzession zur Verwertung der Wasserkräfte des Muttensees und der anliegenden Einzugsgebiete auf dem Gefälle Muttensee-Tierfehd erhalten hatte. In diesem Vertrag bezeichneten sich die Gemeinden als Eigentümer des Muttensees, seines Umgeländes und seiner Einzugsgebiete sowie als Inhaber der Nutzungsrechte an dem auf diesem Gebiet abfliessenden Wasser und traten der Firma Locher & Co. die zum Bau und Betrieb des projektierten Wasserwerks erforderlichen Teile ihres Grundeigentums, insbesondere den Muttensee nebst dem bei einem späteren Aufstau auf Kote 2470 erforderlichen Umgelände ab. Diesem Vertrag ist eine von den Parteien unterschriebene Siegfried-Karte 1: 50 000 Blatt Tödi, beigelegt, auf der die Grenzen der Limmernalp eingezeichnet sind. Sie verlaufen westlich und südlich in einiger Entfernung vom Muttensee. Dieser liegt in einem auf der Karte als "herrenlos" bezeichneten Gebiet.
Gemäss der Befugnis nach Art. 19 dieses Vertrages übertrug ihn die Firma Locher & Co im Jahre 1922 auf die SAK. Diese teilte den beteiligten Gemeinden am 11. September 1922 mit, dass ihre Generalversammlung am 9. September 1922 die Übernahme des Vertrags beschlossen habe. Die Motor AG legte beim Regierungsrat des Kantons Glarus am 20. Oktober 1922 schriftlich Verwahrung gegen die Konzessionserteilung an die SAK ein und machte geltend, als Eigentümerin "der Limmernalp und somit Anstösser an den Muttensee" sei sie auch Eigentümerin der Wasserrechte dieses Gebiets. Am 1. Juli 1924 verkaufte indessen die Rechtsnachfolgerin der Motor AG, die Motor-Columbus AG, die Limmernalp der SAK.
Am 5. April 1926 schloss die SAK mit der Ortsgemeinde Linthal und dem Tagwen Linthal-Dorf einen Wasserrechtsvertrag ab. In dessen Vorbemerkungen wird u.a. festgestellt, dass der SAK anstelle der Firma Locher & Co die Konzession für die Muttenseeausnützung erteilt worden sei und dass die SAK den Vertrag der Firma Locher & Co mit den Gemeinden vom 25. Oktober 1921 übernommen habe.
BGE 89 II 287 S. 291
In der Folge verzichtete die SAK auf die ihr eingeräumte Konzession, womit auch die Verträge vom 25. Oktober 1921 (samt Nachtrag vom 31. August 1922) und vom 5. April 1926 dahinfielen.
D.-
Im Zuge der Grundbuchvermessung wurden die Grenzen der Alp Limmern im Jahre 1958 im Vermessungswerk ungefähr so eingetragen, wie sie in der Kartenbeilage zum Vertrag vom 25. Oktober 1921 eingezeichnet sind (vgl. Grundbuchplan Nr. 20 und 21 der Gemeinde Linthal, Masstab 1:10 000). Da die SAK dagegen Einspruch erhob und die anschliessenden Verhandlungen zu keiner Einigung führten, setzte ihr der Grundbuchverwalter am 7. November 1959 eine Klagefrist von sechs Monaten. Die SAK reichte hierauf beim Augenscheingericht des Kantons Glarus gegen die Gemeinde Linthal eine Klage mit folgenden Rechtsbegehren ein:
"1. Es sei in Gutheissung des von der Klägerin am 6. Mai 1959 bezüglich der Grundbuchvermessung für das Berggebiet der Gemeinde Linthal gestellten Abänderungsbegehrens gerichtlich festzustellen, dass die Grenze der Liegenschaft Grundbuch Linthal-Dorf Nr. 373 der Klägerin, genannt die Alp "Limmern", vom Thor über den Rüchi (Pt. 2853,7) und von hier der Wasserscheide folgend über das Scheidstöckli (Pt. 2811), den Ruchi (Pt. 3106), den Muttenstock (Pt. 3092), das Kistenstöckli (Pt. 2748), den Bifertenstock (Pt. 3371,9) und den Hinterselbsanft (Pt. 3029) verläuft und von hier zu dem Punkte am Limmernbach fällt, von welchem an die vermessene Grenze dem Bache folgt.
2. Eventuell sei gerichtlich festzustellen, wo innerhalb der in Ziffer 1 umschriebenen Fläche die Grenze der Liegenschaft Nr. 373 verläuft.
3. Das Grundbuchamt Glarus sei anzuweisen, die It. Ziffer 1, eventuell It. Ziffer 2 festgestellten Grenzen dem Vermessungswerk zugrunde zu legen und ins Grundbuch einzutragen.
4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beklagten."
E.-
Das Augenscheingericht des Kantons Glarus wies mit Urteil vom 28. August/20. September 1961 das Hauptbegehren der Klägerin ab. Das Eventualbegehren hiess es teilweise in dem Sinne gut, dass der grasbewachsene Abhang östlich des Seebachs noch zum Gebiet der Limmernalp geschlagen wurde.
Die Erwägungen dieses Urteils lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: Gemäss
Art. 664 Abs. 2 ZGB
BGE 89 II 287 S. 292
bestehe an dem der Kultur nicht fähigen Lande unter Vorbehalt anderweitigen Nachweises kein Privateigentum. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis, dass sie ausserhalb des Weidgebietes der Limmernalp an den Felsen, Schutthalden und Firnen des angrenzenden Gebiets Privateigentum erworben habe, nicht erbringen können. Weder aus den Grenzbeschreibungen im Grundbuch und in den Kaufverträgen noch aus den Verhandlungen in den Jahren 1914/18 und dem Vergleich vom 14. August 1918 lasse sich etwas Gegenteiliges schliessen. Durch die Übernahme des Vertrages Locher & Co vom 25. Oktober 1921 und den Abschluss des Vertrags vom 5. April 1926 habe die Klägerin vielmehr die Grenzen, wie sie in der dem Vertrag vom 25. Oktober 1921 beigelegten, von den Parteien unterzeichneten Karte entnommen werden können, anerkannt. Das Hauptbegehren der Klägerin müsse deshalb abgewiesen werden.
Hinsichtlich des Eventualrechtsbegehrens sei festzustellen, dass keines der Ufer des Muttensees als Schafweide geeignet sei. Aus Zeugenaussagen müsse freilich geschlossen werden, dass ein allgemeiner Rückgang der Vegetation stattgefunden habe, da früher Schafe auch am Hügel zwischen den beiden Seen während kurzer Zeit weiden konnten. Es komme deshalb nicht in Frage, irgend ein Ufer des Muttensees zur klägerischen Liegenschaft zu schlagen. Dagegen dränge sich eine Grenzbereinigung als Berichtigung des Vermessungswerkes in dem Sinne auf, dass der grasbewachsene Abhang am Felskopf östlich des Seebaches in das Gebiet der Limmernalp einzubeziehen sei. Der Graswuchs habe sich dort so dicht entwickelt, dass noch von einer Schafweide gesprochen werden könne.
F.-
Gegen dieses Urteil appellierten beide Parteien an das Obergericht des Kantons Glarus, die Klägerin mit dem Begehren auf Zuspruch des Haupt-, eventuell auf völligen Zuspruch des Eventualklageantrags, die Beklagte auf Abweisung auch des teilweise zugesprochenen Eventualklageantrags und Feststellung der Grenzen im Sinne des aufgelegten Vermessungswerks.
BGE 89 II 287 S. 293
Mit Urteil vom 12. September/20. Oktober 1962 wies das Obergericht des Kantons Glarus die Appellation der Klägerin ab, hiess die Appellation der Beklagten gut und erkannte demzufolge, dass die Grenzen der Limmernalp gemäss dem aufgelegten Vermessungswerk im Grundbuch einzutragen seien.
Hinsichtlich der Frage, ob es der Klägerin gelungen sei, ihr Eigentum an dem der Kultur nicht fähigen Land nachzuweisen, schloss sich das Obergericht in allen Teilen den Erwägungen des Augenscheingerichts an. Abweichend von der ersten Instanz vertrat es dagegen die Auffassung, dass die Klägerin den Verlauf der Grenze gemäss Einzeichnung auf der Kartenbeilage zum Vertrag vom 25. Oktober 1921 endgültig und unwiderruflich anerkannt habe und dass demzufolge kein Raum für eine Verlegung der Grenze in der Gegend des Muttensees bleibe. Es nahm deshalb nicht weiter Stellung zur Frage, ob überhaupt in dieser Gegend noch Kulturland vorhanden sei.
G.-
Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende, rechtzeitig erklärte Berufung der Klägerin. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und erneuert die Begehren der Klage.
H.-
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung, ev. die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz hat im Urteil entgegen
Art. 51 Abs. 1 lit. a OG
den Streitwert nicht festgestellt. Die Klägerin beziffert ihn in Klage und Berufungsschrift auf mehr als Fr. 15'000.--, womit die Beklagte sich einverstanden erklärt. Dem ist zuzustimmen. Im Vertrag vom 5. April 1926 verpflichtete sich die SAK, den Gemeinden für die Ausnützung der Wasserkräfte des Muttensees einen jährlichen Wasserzins von Fr. 4000.-- zu bezahlen. Kapitalisiert man diesen Betrag gemäss
Art. 36 Abs. 4 und 5 OG
, so ergibt sich ein Streitwert von Fr. 80'000. -, wobei die Geldentwertung seit 1926 und allfällig weitere
BGE 89 II 287 S. 294
Faktoren, die zur Erhöhung des jährlichen Wasserzinses führen könnten, unberücksichtigt bleiben.
2.
Gemäss
Art. 664 Abs. 1 ZGB
stehen die herrenlosen Sachen unter der Hoheit des Staates, in dessen Gebiet sie sich befinden. Diese Sachen unterstehen also grundsätzlich dem kantonalen Recht, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich um Eigentum im privatrechtlichen Sinn handle, wenn - wie es vorliegend geschehen ist - der Kanton gesetzlich bestimmt, dass das Eigentum den Gemeinden zustehe (vgl. dazu MEIER-HAYOZ N. 59 ff., insbesondere N. 62 zu
Art. 664 ZGB
). Sicher ist jedenfalls, dass diese "Eigentums"-Verhältnisse nach kantonalem Recht zu beurteilen sind und deshalb im Berufungsverfahren vom Bundesgericht nicht überprüft werden können (
BGE 81 II 272
; zustimmend MEIER-HAYOZ, a.a.O. N. 63). Erhebt dagegen jemand einen privatrechtlichen Eigentumsanspruch an herrenlosen Sachen (
Art. 664 Abs. 2 ZGB
), so handelt es sich, soweit sich der Ansprecher auf Normen des Bundeszivilrechts stützt, um eine berufungsfähige Zivilrechtssache, wenn der entsprechende Streitwert gegeben ist (vgl. MEIER-HAYOZ N. 223, 227 zu
Art. 664 ZGB
). In diesem Sinne kann auf die vorliegende Berufung eingetreten werden.
3.
Nach den Urteilen der kantonalen Instanzen war die streitige Bodenfläche beim Inkrafttreten des ZGB in der Tat herrenloses Land. Das Augenscheingericht des Kantons Glarus hat es ausdrücklich abgelehnt, der These der Klägerin zu folgen, wonach aus den Grenzbeschreibungen im Kaufakt vom 23. Januar 1866 und im kantonalen Grundbuch abgeleitet werden müsse, dass die Grenze der Alp Limmern damals vom Rüchistock längs der Wasserscheide über Muttenstock - Kistenstock - Selbsanft verlaufen sei. Es hat vielmehr festgestellt, dass oberhalb des Alpgebietes grundbuchlich eine weitere, bis zur Wasserscheide hinaufreichende Liegenschaft bestanden habe, die ursprünglich herrenlos gewesen sei, seit 1917 aber im Eigentum der Beklagten stehe (gemäss der Novelle
BGE 89 II 287 S. 295
des Art. 121bis des Glarner EG zum ZGB). Dieser Ansicht ist das Obergericht des Kantons Glarus beigetreten. Diese Beurteilung eines Sachverhalts, der vor Inkrafttreten des ZGB bestanden hat, beruht auf der Anwendung kantonalen Rechts, die vom Bundesgericht nicht überprüft werden kann (Art. 1 und 17 SchlT zum ZGB,
Art. 43 OG
). Daran ändert nichts, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Motor AG, die Limmernalp nach Inkrafttreten des ZGB, im Jahre 1914, von der Gemeinde Brigels erworben hat. Nach dem Grundsatz "nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet" konnte sie nicht mehr an Eigentum erwerben als der Verkäuferin damals zustand, namentlich wenn berücksichtigt wird, dass der Glarner Rechtszustand hinsichtlich des der Kultur nicht fähigen Landes mit dem Bundesrecht (
Art. 664 ZGB
) im Einklang steht, so dass das Inkrafttreten des ZGB in dieser Hinsicht keine Änderung der Rechtslage bewirkte.
Aus diesen Gründen sind die Ausführungen der Berufungsklägerin, soweit sie sich gegen die Auslegung des Kaufsakts vom Jahre 1866, der Eintragungen im kantonalen Grundbuch und der übrigen Umstände, wie sie vor Inkrafttreten des ZGB vorlagen, richten, unbehelflich.
4.
Das Bundesgericht kann deshalb nur prüfen, ob seit dem Erwerb der Limmernalp durch die Motor AG, also seit 1914, Tatsachen eingetreten sind, aus denen sich nach den Regeln des Bundesrechts ergibt, dass die Klägerin alsdann im Jahre 1924 Eigentümerin des umstrittenen Gebiets zwischen der Alpweide und der Wasserscheide geworden ist. Nur wenn dies zuträfe, hätte die Vorinstanz Bundesrecht verletzt und könnte das Hauptrechtsbegehren der Klage zugesprochen werden.
Die Klägerin erblickt solche Tatsachen einmal in den Vergleichsverhandlungen der Jahre 1914/18 zwischen den Gemeinden Brigels (bezw. der Motor AG) und Linthal, aus denen sich ergeben soll, dass die Gemeinde Linthal und der Tagwen Linthal-Dorf den Grenzverlauf über die Wasserscheide anerkannt haben, und sodann namentlich
BGE 89 II 287 S. 296
im Vergleich vom 14. August 1918. Diese Auffassung scheitert indessen schon an der blossen Tatsache, dass eine vertragliche Eigentumsübertragung gemäss
Art. 657 Abs. 1 ZGB
hätte öffentlich beurkundet werden müssen, was nicht geschehen ist. Die Berufungsklägerin selber hat das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung bei einer Neuverlegung der Grenze - freilich in anderm Zusammenhang - hervorgehoben. Allerdings bedürfen Vereinbarungen zur Festsetzung einer unbestimmten Grenze nicht der öffentlichen Beurkundung, um gültig zu sein (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 3. Mai 1962 i.S. Alpgenossenschaft Soll c. Korporation Rhodwald S. 18; HAAB N. 5 zu
Art. 657 ZGB
). Diese Form muss aber beim sog. Grenzregulierungsvertrag, durch den Teile von Grundstücken abgetreten werden, erfüllt sein (vgl. MEIER-HAYOZ N. 26 zu Art. 657 und N. 14 zu Art. 669; HAAB N. 59 zu
Art. 656 ZGB
). Um so mehr muss dies für Grenzscheidungsverträge mit Gestaltungswirkung gelten, bei denen ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern den Eigentümer wechseln soll. Nachdem übrigens in Anwendung kantonalen Rechts festgestellt wurde, dass das streitige Gebiet vor 1914 nie dem Eigentümer der Limmernalp gehörte, könnte man sich fragen, ob das Hauptrechtsbegehren der Klägerin überhaupt als Grenzscheidungsanspruch und nicht vielmehr einfach als Vindikation zu qualifizieren sei; denn im Falle des Zuspruchs bliebe vom "Eigentum" der Beklagten nichts mehr übrig (vgl. dazu HAAB N. 19 und 20 zu Art. 668/69 ZGB), somit wäre auch keine Grenze zwischen ihrem und dem Eigentum der Klägerin festzusetzen.
Aber auch wenn man vom Fehlen des Formerfordernisses absieht, erweist sich der Standpunkt der Klägerin als unzutreffend.
a) Der Wortlaut von Art. 1 des Vergleichs vom 14. August 1918, wo der Grenzverlauf der Limmernalp am rechten Ufer des Limmernbachs erwähnt wird, lässt nicht darauf schliessen, dass gegenüber dem bestehenden Zustand eine grundsätzliche Änderung vorgenommen worden sei.
BGE 89 II 287 S. 297
Die Grenze gegenüber dem benachbarten Kulturland (Baumgartenalp bezw. Wildheuet, Schafalp der Alp Bächi) wird ziemlich genau bestimmt. Ihr weiterer Verlauf dagegen bleibt unbestimmt, wenn es heisst "aufwärts an den sog. Rüchistock; von da bildet die Grenze in östlicher und südlicher Richtung der Ruchi, Muttenstock, Kistenstöckli und Selbsanft". Darin liegt gegenüber den Angaben im Kaufvertrag vom Jahre 1866 und im kantonalen Grundbuch keine Präzisierung. Zu allem Überfluss wird noch ausdrücklich auf diesen Kaufvertrag verwiesen, was nichts anderes bedeuten kann, als dass die dort enthaltene Grenzbezeichnung massgebend sein soll.
b) Soweit die Vorinstanz zur Auslegung des Vergleichs vom 14. August 1918 und zur Ermittlung des Parteiwillens die Vorgänge während der Vergleichsverhandlungen 1914/18 berücksichtigt hat, handelt es sich in erster Linie um tatbeständliche Feststellungen, die der Überprüfung des Bundesgerichts entzogen sind (vgl. zur Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage bei der Auslegung von Verträgen
BGE 87 II 237
und dortige Hinweise). Wenn die Vorinstanz (bezw. das Augenscheingericht, dessen Erwägungen von der Vorinstanz in dieser Beziehung als zutreffend bezeichnet worden sind) auf Grund dieser Vorgänge feststellt, dass sich daraus kein Schluss auf einen übereinstimmenden Parteiwillen zur Änderung des bestehenden Grenzverlaufs zwischen der Limmernalp und dem der Kultur nicht fähigen Land ziehen lasse, muss dies vom Bundesgericht als verbindlich hingenommen werden. Die Betrachtungsweise des Obergerichts ist übrigens zweifellos richtig...
5.
Zu prüfen bleibt das Eventualbegehren der Klägerin um Feststellung des bis dahin unbestimmten Grenzverlaufs zwischen der Limmernalp und dem der Kultur nicht fähigen Land. Dabei geht es praktisch um die Frage, ob der Muttensee ganz oder teilweise zum Gebiet der Klägerin gehöre oder wenigstens mit einem Ufer daran grenze.
BGE 89 II 287 S. 298
Die Vorinstanz ist der Auffassung, diese Frage sei in allen Teilen negativ zu entscheiden, weil die Klägerin durch die Übernahme des Vertrages Locher & Co von 1921, den Erwerb der Limmernalp von 1924 und den Abschluss des Vertrags von 1926 mit den Gemeinden die im Vertrag von 1921 festgelegten Grenzen als verbindlich anerkannt habe. Diese Ansicht erweckt Bedenken. Der Vertrag zwischen den Gemeinden und der Firma Locher & Co vom Jahre 1921 war ein sog. Wasserrechtsvertrag. Es war weder beabsichtigt, mit diesem Vertrag die Grenzen zwischen dem "Eigentum" der Gemeinden und der Limmernalp festzusetzen, noch wäre dies überhaupt möglich gewesen, da die Eigentümerin der Limmernalp an diesem Vertrag nicht beteiligt war. Der etwa ein Jahr später erfolgte Eintritt der Klägerin in den Vertrag (als Rechtsnachfolgerin der Firma Locher & Co) konnte daran nichts ändern. Ebensowenig lag - an und für sich - im spätern Erwerb der Limmernalp durch die Klägerin eine - nachträgliche und stillschweigende - Anerkennung der im Vertrag Locher & Co bezeichneten Grenzen. Es hätte der Klägerin auch im damaligen Zeitpunkt frei gestanden, gegenüber den Gemeinden die Grenzfrage aufzuwerfen und zum Austrag zu bringen. Wenn sie es unterlassen hat, bedeutet das keineswegs eine stillschweigende Anerkennung; eine solche könnte nur dann angenommen werden, wenn dem Vertrag Locher & Co die (Neben-) Wirkung einer Grenzfestsetzung zugekommen wäre, was nach dem oben Gesagten nicht zutraf.
Was für den Vertrag Locher & Co vom Jahre 1921 hinsichtlich der Grenzfestsetzung gilt, lässt sich auch vom Vertrag vom 5. April 1926 sagen. Auch er enthält keine stillschweigende Anerkennung der auf der Kartenbeilage zum Vertrag von 1921 eingezeichneten Grenze. Der Einfluss dieses Vertrages auf den heute vorliegenden Grenzstreit ist anderer Art. Die Klägerin war über den Grenzverlauf, den die Gemeinden für sich in Anspruch nahmen und der in der Kartenbeilage zum Vertrag von
BGE 89 II 287 S. 299
1921 eingezeichnet war, orientiert, als sie den Vertrag von 1926 abschloss. Anderseit behauptet sie, schon damals der Auffassung gewesen zu sein, der Muttensee gehöre zum Gebiet der Limmernalp. Unter diesen Umständen hätte der Grundsatz von Treu und Glauben erfordert, dass die Klägerin gegenüber den Gemeinden im Vertrag von 1926 mindestens einen entsprechenden Vorbehalt angebracht und keinen Zweifel darüber gelassen hätte, dass sie den Muttensee als Eigentümerin der Limmernalp zu beanspruchen gedenke. Sie hat das unterlassen. Entgegen ihrer Ansicht kann in der Fassung von Art. 2 und 4 dieses Vertrages kein solcher Vorbehalt erblickt werden. Es heisst dort, die Wasserrechte usw. bzw. das Grundeigentum werden der SAK abgetreten, "soweit diese Rechte den Gemeinden bei Abschluss des Vertrages zustehen" bezw. "soweit dieselben zurzeit Eigentum der Gemeinden sind". Es ist klar, dass damit nur Rechte Dritter und nicht solche der vertragschliessenden Parteien gemeint sein konnten; ein Vorbehalt des letztern Inhaltes wäre sinnlos. Deshalb geht auch der Einwand der Klägerin, dass in diesem Gebiet ausser den Vertragsparteien nie jemand Rechte beansprucht habe, fehl. Sollte es sich so verhalten haben, wie sie behauptet, so wäre der Vorbehalt von Drittmannsrechten, worum es sich vernünftigerweise allein handeln konnte, einfach überflüssig gewesen.
Durch den vorbehaltlosen Abschluss des Vertrages von 1926 versetzte die Klägerin die Gemeinden in den Glauben, sie anerkenne die von ihnen bezeichneten Grenzen, insbesondere ihr Eigentum am Muttensee, und veranlasste sie, sich zu verpflichten, ihr den für die Erstellung der drei geplanten Werke (Muttensee-, Limmern- und Linthwerk) benötigten Boden abzutreten (vgl. Art. 4 und 5 des Vertrags) und ihr vorübergehende und dauernde Servitutsrechte (vgl. Art. 6 des Vertrags) einzuräumen. Nach den Ausführungen der Klägerin selber hat sie die Gemeinden absichtlich in diesem Glauben belassen, weil sonst zu befürchten gewesen wäre, dass die Gemeinden zu den
BGE 89 II 287 S. 300
oben erwähnten Konzessionen nicht bereit gewesen wären. Ein solches Verhalten hält den Anforderungen von Treu und Glauben im Rechtsverkehr nicht stand und widerspricht auch dem im Vertragsrecht geltenden Vertrauensprinzip (vgl. MERZ, N. 402 zu
Art. 2 ZGB
). Die heutige Stellungnahme der Klägerin steht in ausgesprochenem Widerspruch zu ihrem Verhalten im Jahre 1926, aus dem die Beklagte in guten Treuen ableiten durfte, ihr Eigentum am Muttensee sei unbestritten. Es handelt sich um ein Venire contra factum proprium, das als Rechtsmissbrauch im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
zu qualifizieren ist. Der Anspruch der Klägerin, die Grenzen gegenüber der Beklagten im Gebiet des Muttensees anders festzusetzen, als es in den Verträgen von 1921 und 1926 geschehen ist, verdient daher keinen Rechtsschutz. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Vertrag von 1926 dahingefallen ist.
6.
Das Eventualrechtsbegehren der Klägerin müsste übrigens auch abgewiesen werden, weil der von ihr beanspruchte Boden am Muttensee unter den Begriff der herrenlosen Sache im Sinne von
Art. 664 Abs. 1 ZGB
fällt, an der - unter Vorbehalt anderweitigen Nachweises, der nicht geleistet werden konnte - gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung kein Privateigentum besteht. Es handelt sich praktisch um vegetationsloses, "der Kultur nicht fähiges" Land im Sinne von
Art. 664 Abs. 2 ZGB
. Das Augenscheingericht hat festgestellt, dass die Gegend bei der Muttsee-Hütte des SAC, die auf der Siegfriedkarte und der neuen Landeskarte 1: 50 000 mit "Muttenalp" bezeichnet ist, eine "fast restlose Steinwüste" darstellt. Nach den weitern Feststellungen des Augenscheingerichts, die von der Vorinstanz mit einer Ausnahme als im wesentlichen zutreffend bezeichnet werden und die zu einem Zeitpunkt - 28. August 1961 - gemacht wurden, als der Graswuchs seine höchste Entfaltung erreichte, wuchs am Nordhang des Hüenerbüels kein Gras, während am Südhang, der vom Kistenpassweg durchzogen wird, vereinzelte Grasnarben
BGE 89 II 287 S. 301
zwischen den vielen Steinen vorkamen. Sowohl die Westals auch die Ostseite des Muttensees zeigten keine Spur von Vegetation. Dagegen wuchsen einige Grasbüschel am Hügel nördlich des Muttensees, die aber nicht als eigentliche Schafweide angesprochen werden konnten. Nach den Feststellungen, die die Vorinstanz am 12. September 1962 an Ort und Stelle gemacht hat, befand sich damals auch Gras an der Westseite des Seebaches, wo das Augenscheingericht ein Jahr vorher keine Vegetation feststellen konnte. Dagegen befand sich 1961 östlich des Seebaches, auf dem West- und Südabhang der vom Seebach westlich und südlich umflossenen Felskuppe, eine Grasnarbe, die als Schafweide angesprochen wurde.
Dieser vereinzelte Graswuchs in einem sonst vegetationslosen Gebiet rechtfertigt indessen nicht, den betreffenden Boden als Kulturland zu erklären; denn von der Möglichkeit, dieses Land planmässig landwirtschaftlich zu nutzen (vgl. MEIER-HAYOZ N. 148 zu
Art. 664 ZGB
), kann doch keine Rede sein, selbst wenn man unter "planmässiger Nutzung" im Gebirge auch das regelmässige Weiden von Schafen versteht. Freilich liegt die obere Grenze der Alpgrundstücke im allgemeinen nicht einfach an der Vegetationsgrenze, sondern in der Regel etwas höher (DAN-NEGGER, Die Rechtsfragen der Bergsteiger und der Skifahrer, S. 180). Das bedeutet aber nicht, dass jede einzelne Vegetationsinsel, die sich inmitten von Felsen und Schutthalden über einer Alp befindet, nun zu dieser Alp geschlagen werden müsse, ebensowenig wie umgekehrt felsige oder sonst vegetationslose Stellen innerhalb des Alpgebiets als herrenlos betrachtet werden können. Es bedarf vielmehr eines gewissen natürlichen Zusammenhangs innerhalb des Alpgebietes einerseits und des herrenlosen Gebietes anderseits. Die rechtliche Natur dieser Gebiete wird nicht dadurch verändert, dass sich in einem Gebiet Einsprengsel des andern befinden. Ein Beispiel bietet gerade das von der Klägerin angeführte Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 28. Juli 1942, wo das
BGE 89 II 287 S. 302
ganze Gebiet des Aroser-Weisshorns als Alpgebiet erklärt wurde (Praxis des Kantonsgerichts Graubünden, Bd. 1942, Nr. 5 S. 12). Abgesehen davon, dass das Gericht annahm, die Grenze der Alp Urden sei schon nach dem Lehensbrief von 1473 über den Weisshorngipfel gegangen, mithin den Beweis des Privateigentums als geleistet betrachtete, qualifizierte es das Gebiet um den Gipfel des Weisshorns und den Gipfel selber als Kulturland, weil sich - mindestens auf einer Seite - eine zusammenhängende Grasfläche bis zum Gipfel zieht, die vom Vieh, namentlich vom Schmalvieh beweidet werden kann. Nach richtiger Ansicht des Gerichts wird diese Qualifikation nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Grasnarbe westlich des Gipfels gegen die Alp Urden durch einen Felsabsturz, Felsbänder und Geröllhalden unterbrochen wird und erst weiter unten wieder in die geschlossene Grasfläche der Alp übergeht. Ein Blick auf die Landeskarte, Blatt Prättigau 1:50 000, zeigt in der Tat, dass sich eine Vegetations- zone (braune Höhenkurven) im Süden und Südwesten des Weisshorns zusammenhängend bis zum Gipfel erstreckt. Ganz anders stellt sich die Lage in der Gegend des Muttensees und der sog. Muttenalp dar, wo keine Vegetationszonen eingezeichnet sind (schwarze Höhenkurven; vgl. Landeskarte, Blatt Klausenpass 1: 50 000). Diese Zonen beginnen erst am südlichen Abhang gegen den Muttenkopf und die Felsbänder ob dem Muttenbach. Die Grenze der Alp Limmern verläuft nach dem angefochtenen Vermessungswerk etwas oberhalb dieses Gebietes, in der Gegend des Kistenpassweges. Damit ist das Gebiet der Alp Limmern in angemessener Weise vom herrenlosen Gebiet abgegrenzt.
Freilich hat das Augenscheingericht darauf hingewiesen, dass Schafhirten der Gemeinde Brigels, Carigiet, Schuoler, Derungs, Deplazes und Caduff, als Zeugen ausgesagt haben, der Graswuchs sei früher, d.h. um die Jahrhundertwende und in den 50er Jahren an vereinzelten Stellen besser gewesen. Das Augenscheingericht glaubte, daraus auf einen
BGE 89 II 287 S. 303
allgemeinen Vegetationsrückgang schliessen zu müssen. Das dürfte indessen nicht zutreffend sein. Es handelt sich einfach um gewisse Schwankungen. Dass das Gebiet am Muttensee nicht etwa früher eine grüne Weide war und später langsam verödete, ergibt sich aus dem 1846 erschienenen Werk von HEER/BLUMER, Der Kanton Glarus. Vom Muttensee wird dort S. 45 gesagt, er liege "in einer weiten, öden, muldenförmigen Vertiefung" und sei fast das ganze Jahr hindurch grossenteils in Schnee und Eis vergraben. Die Alp Limmern wird S. 627/28 als wilde, rauhe Alp bezeichnet; von einem Weidegebiet in der Gegend des Muttensees ist nicht die Rede, dagegen davon, dass das Vieh von Nüschen aus zeitenweise auf den Limmernboden getrieben worden sei, der früher einen weidereichen Alpstafel (Muttalp genannt) gebildet habe, nun aber gänzlich "verwildert" sei. Auch im Buch von JOST HÖSLI, Glarner Land- und Alpwirtschaft (1948), in welchem die Limmernalp an verschiedenen Stellen erwähnt wird, findet sich kein Hinweis darauf, dass das Gebiet beim Muttensee zur Limmernalp gehöre. Der Umstand, dass in günstigen Jahren dort auf vereinzelten Vegetationsinseln Schafe während kürzerer Zeit ihr Futter finden, hat also auch diesen Autor nicht dazu bewogen, dieses Gebiet speziell zu erwähnen. Die dem Werk beigegebene wirtschaftsgeographische Karte 1: 100 000 bezeichnet die Limmernalp als Schafweide. Die Grenze auf der Muttenalp verläuft etwas nördlicher als diejenige im Vermessungswerk, berührt aber den Muttensee ebenfalls nicht, um den es der Klägerin geht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 20. Oktober 1962 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a654f77c-3de6-43b7-b2e6-dbc952d14789 | Urteilskopf
108 Ib 106
19. Estratto della sentenza 25 giugno 1982 della II Corte di diritto pubblico nella causa Ufficio federale di giustizia c. Peter Schmid e Commissione di ricorso del Cantone Ticino per l'applicazione del DAFE (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland.
1.
Art. 14 Abs. 2 BewV
: Ausnahme vom Grundsatz, wonach ein Grundstück nur dann als in der Bauzone gelegen gilt, wenn dies von der für die Raumplanung zuständigen kantonalen Behörde schriftlich bestätigt wird. Fall, in dem die Überbaubarkeit des Grundstückes für die zuständige Behörde offenkundig war (Erw. 2).
2. Art. 6 Abs. 2 Bst. d BewB: Berechtigtes Interesse für den Erwerb eines Grundstückes, das an einem Ort liegt, der unter Wohnungsnot leidet und das dazu bestimmt ist, darauf preisgünstige Wohnungen zu erstellen. Kriterien für die Beurteilung der Not an Wohnungen und der Preisgünstigkeit derselben (Erw. 3). | Erwägungen
ab Seite 106
BGE 108 Ib 106 S. 106
Dai considerandi:
2.
L'Ufficio federale di giustizia lamenta in primo luogo la mancanza di un'attestazione dell'autorità competente circa l'edificabilità del fondo che il richiedente intende acquistare. Giusta l'
art. 7 cpv. 1 lett. a DAFE
l'autorizzazione per l'acquisto dev'essere negata, senza riguardo a un interesse legittimo, se il fondo si trova fuori di una zona edificabile a
BGE 108 Ib 106 S. 107
tenore del diritto federale. L'
art. 14 cpv. 2 OAFE
precisa che, ove il terreno sia delimitato su un piano delle zone (
art. 14 cpv. 1 lett. a OAFE
), esso è considerato edificabile soltanto se ne sia data conferma dall'autorità cantonale competente in materia di pianificazione del territorio. La conferma scritta va allegata all'inserto (
art. 14 cpv. 3 OAFE
). In assenza di tale documento l'autorità di ricorso deve ritenere, per principio, che il terreno sia inedificabile e deve annullare l'eventuale autorizzazione rilasciata a torto dall'istanza inferiore, quand'anche il richiedente sia già in possesso della licenza edilizia comunale (DTF dell'8 novembre 1976 in re B., pubblicata nella Rivista di diritto amministrativo ticinese, RDAT, 1977 pag. 194 n. 99; DTF del 9 novembre 1979 in re Divisione federale della giustizia, pubblicata in Rep. 1981 pag. 51 consid. 4). Un'eccezione alla norma può riconoscersi, nondimeno, ove l'edificabilità di una particella costituisca un fatto notorio secondo le conoscenze dell'autorità adita, talché l'esigenza di un'ulteriore conferma raffiguri un formalismo eccessivo privo di reale significato (cfr. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, pag. 201 infra;
DTF 104 V 211
con richiami). Nel caso concreto nulla induce a smentire la certezza manifestata dalla Commissione cantonale di ricorso: gli atti sembrano anzi confortare questo convincimento. Non si ravvisano pertanto gli estremi di un inesatto o incompleto accertamento dell'edificabilità del fondo in discorso, né risulta che tale costatazione sia inficiata dalla violazione di precetti essenziali di procedura, quali segnatamente l'
art. 23 OAFE
(cfr.
DTF 106 Ib 79
consid. 2a). Ne consegue che la censura ricorsuale dev'essere respinta.
3.
Premessa l'edificabilità del terreno in oggetto, l'autorizzazione d'acquisto deve essere concessa se il richiedente prova un interesse legittimo alla compera del fondo (
art. 6 cpv. 1 DAFE
). L'interesse è legittimo, fra l'altro, se il terreno, situato in un luogo con penuria di alloggi, è destinato alla costruzione di abitazioni economiche (art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE).
a) L'Ufficio federale di giustizia contesta che nel Comune di Caslano vi sia penuria di alloggi e riafferma la propria prassi, stando alla quale un'evenienza siffatta si verifica soltanto se l'effettivo degli alloggi sfitti in un Comune sia inferiore allo 0,5%. L'
art. 13a cpv. 2 OAFE
dispone, a sua volta, che l'autorità di prima istanza deve chiedere all'Ufficio federale per l'abitazione il suo parere circa la penuria di abitazioni nel Comune interessato. L'Ufficio federale per l'abitazione, il cui parere è
BGE 108 Ib 106 S. 108
annesso agli atti, dichiara che nel Comune di Caslano deve dedursi una penuria di alloggi per il fatto che il Comune soggiace - come tutto il Cantone Ticino del resto - all'ordinanza concernente provvedimenti contro gli abusi in materia di locazione del 10 luglio 1972. Lo stesso Ufficio aggiunge, in uno scritto diretto all'Ufficio federale di giustizia, di non essere in grado di sospingersi oltre questo criterio nel valutare la penuria di alloggi in un determinato Comune e che in ogni caso il suo parere riveste solo carattere consultivo. Il Comune di Caslano, da parte sua, pur non essendo in grado di precisare quanti appartamenti di 5/6 locali esistano nel comprensorio comunale, reputa in due lettere (agli atti) che "attualmente si riscontra una carenza di appartamenti/villette di 4/5 locali" e che "nel Comune non risultano appartamenti sfitti di 5/6 locali". L'Ufficio abitazioni economiche del Dipartimento cantonale delle opere sociali non si è espresso invece sulla carenza di alloggi nel Comune.
L'Ufficio federale di giustizia adotta un parametro unico per tutti i Comuni: la penuria di abitazioni è data solo ove l'effettivo degli alloggi sfitti sia inferiore allo 0,5%. Caslano non rientrerebbe di conseguenza fra i Comuni con scarsità di alloggi. Come rettamente osserva l'autorità cantonale, tuttavia, questo criterio generalizzato non ha riguardo del caso singolo, né del tipo delle dimore sfitte, né della particolare richiesta di abitazioni, né delle caratteristiche sociali, regionali, urbanistiche e economiche del Comune in esame. Uno schematismo congenere, avulso da motivazioni concrete, non è nemmeno atto a invalidare il parere dell'Ufficio federale per l'abitazione.
Di converso l'autorità ricorrente assume a ragione che la scarsità di abitazioni va ammessa applicando criteri fondamentalmente restrittivi, giacché l'art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE rappresenta un'eccezione al principio che il collocamento di capitali in fondi non costituisce interesse legittimo per l'acquisto (cfr. FF 1969 II 1071 seg.; Revue suisse du Notariat et du Registre foncier, RNRF, 1969 pag. 122 segg. e 1968 pag. 235 segg.). L'investimento estero deve essere giustificato, in altri termini, dalla mancanza di imprenditori svizzeri che intendano sopperire all'esigenza di creare alloggi a buon mercato (cfr. FF 1972 II 1046 seg.). Ora, se pure la penuria di alloggi non è suscettiva di notorietà per non essere un fatto preciso ma una circostanza soggetta ad apprezzamento, occorre rilevare che la critica ricorsuale non si concreta oltre un calcolo matematico che, di per sé, non smentisce ancora le conclusioni
BGE 108 Ib 106 S. 109
raggiunte dalla Commissione cantonale di ricorso in base al parere dell'Ufficio federale per l'abitazione. Quanto all'ipotesi di una sufficiente presenza di imprenditori svizzeri nel campo della costruzione di alloggi economici, l'autorità ricorrente non suffraga affatto la propria asserzione né rende verosimile l'infondatezza della tesi contraria, affermata implicitamente nella decisione impugnata. Anche su questo punto il ricorso si avvera quindi inconsistente.
b) Un'ulteriore controversia risiede nel numero di abitazioni economiche per cui è chiesta l'autorizzazione. A mente dell'Ufficio federale di giustizia l'art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE non torna applicabile nel caso in cui il richiedente intenda erigere meno di tre alloggi. Questo canone d'interpretazione non scaturisce però dalla giurisprudenza del Tribunale federale né dalla genesi della norma (cfr. modificazione dell'
art. 6 DAFE
, del 24 giugno 1970: FF 1969 II 1071 seg., RU 1970 pag. 1195, Boll. uff. 1970 CN 94 segg. e 401 segg., CSt 209 segg.; modificazione dell'art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE, del 21 marzo 1973: FF 1972 II 1035 e 1046 seg., RU 1974 pag. 83, Boll. uff. 1972 CN 2227 segg. e 1973 CSt 18 segg.). V'è, certo, la possibilità che abitazioni singole formino più facilmente oggetto di negozi elusivi o possano essere distratte in un secondo tempo dalla loro originaria vocazione economica: tuttavia questo rischio va considerato caso per caso, alla luce delle contingenze concrete. Non soccorrono regole categoriche: mal si comprende, del resto, per quale ragione due abitazioni - al contrario di tre - non possano assumere per nulla carattere economico. La peculiarità di un alloggio economico non consiste, invero, nel numero delle residenze, ma - come giustamente sottolinea anche l'autorità ricorrente - nel moderato canone di locazione. Perciò il criterio fatto proprio dall'Ufficio federale di giustizia non risulta idoneo a distinguere le abitazioni economiche da quelle che non possono ritenersi tali. Ne discende che la critica ricorsuale si avvera sfornita di reale fondamento.
c) Contesa dall'Ufficio federale di giustizia è inoltre l'economicità dell'abitazione che il richiedente domanda di poter costruire. L'
art. 13a cpv. 1 OAFE
prescrive, quanto all'economicità delle abitazioni, che "sono considerate abitazioni economiche quelle in cui il costo di costruzione si situa entro i limiti fissati dal Dipartimento federale dell'economia pubblica in virtù dell'articolo 65 dell'ordinanza del 20 agosto 1975 relativa alla legge federale che promuove la costruzione d'abitazioni e l'accesso alla loro proprietà". Come per assodare
BGE 108 Ib 106 S. 110
la penuria di abitazioni, l'autorità di prima istanza deve chiedere all'Ufficio federale per l'abitazione il suo parere sull'economicità della costruzione (
art. 13a cpv. 2 OAFE
). Nel caso in narrativa l'economicità dei costi di costruzione è attestata dall'Ufficio federale per l'abitazione in una dichiarazione del 21 aprile 1980, allegata all'inserto. Il Municipio di Caslano, a suo turno, stima in una lettera del 15 settembre 1980 che la pigione di Fr. 1'100.-- mensili esposta dal richiedente per la locazione della casa sia "senz'altro moderata". Per contro l'Ufficio cantonale delle abitazioni economiche non si è pronunciato.
L'autorità ricorrente eccepisce in sostanza che l'economicità dei costi di costruzione non basta per dimostrare la convenienza economica delle pigioni. Tale obiezione, che appare già di per sé in contrasto con il dettato dell'
art. 13a OAFE
, non può in ogni modo essere condivisa. Intanto l'Ufficio federale di giustizia non sostiene che la pigione mensile di Fr. 1'100.-- lordi per un edificio nuovo di 5 1/2 locali non possa essere riferita a un'abitazione economica; in secondo luogo l'autorità ricorrente non pretende che il parere espresso dall'Ufficio federale per l'abitazione sia erroneo o inverosimile. Essa opina unicamente l'inattendibilità del canone dichiarato di Fr. 1'100.--. Ma, come si è visto, il richiedente non potrà nemmeno aumentare la locazione senza il permesso dell'Ufficio competente a promuovere la costruzione di abitazioni (decisione 6 ottobre 1980). Se ne desume che la critica ricorsuale dev'essere disattesa.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a6569fb8-9dc0-4e10-91e4-8711afda0b21 | Urteilskopf
83 II 231
35. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 12 mars 1957 dans la cause Jaquet contre Club neuchâtelois d'aviation. | Regeste
1. Nach welchen Normen haftet der Luftfrachtführer? (Erw. 1).
2. Begriff des Luftfrachtführers (Erw. 2 b).
3. Begriff des Chartervertrages (Erw. 2 b); wer haftet, wenn das Luftfahrzeug gechartert worden ist? (Erw. 2 c).
4. Begriffe der "Leute" (préposés) im Sinne der Art. 20 und 25 des Abkommens von Warschau vom 12. Oktober 1929 und der "Hilfsperson" im Sinne des Art. 10 Abs. 2 des Lufttransportreglements vom 3. Oktober 1952 (Erw. 3 a).
5. Offensichtliches Versehen? Rückweisung an den kantonalen Richter nach
Art. 52, 64 Abs. 2 OG
, damit er seine tatsächlichen Feststellungen erläutere und vervollständige (Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 83 II 231 S. 231
A.-
Le 25 mars 1953, le Club neuchâtelois d'aviation, association régie par les art. 60 et suiv. CC, informa la section de Zurich de l'Aéroclub suisse qu'il désirait montrer au public, le 16 mai 1953, un lâcher de ballon libre. Le club zuricois répondit, le 31 mars 1953, que son ballon
BGE 83 II 231 S. 232
"Helvetia" pouvait être réservé à cet effet. Il ajoutait notamment:
"Für die Passagiere können Sie die übliche Taxe von Fr. 200.-- pro Person erheben. Ferner hat der Passagier die Gebühr von Fr. 20.- für die obligatorische Ballon-Insassenversicherung zu bezahlen. Normalerweise ... kann die Helvetia ausser dem Piloten 3 Passagiere aufnehmen, sodass Sie also mit einer Taxeneinnahme von Fr. 600.-- rechnen können."
A cette lettre étaient jointes les "conditions de l'ascension" (Aufstiegsbedingungen), qui furent acceptées par le club neuchâtelois. Elles contenaient en particulier les clauses suivantes:
"Die Ballongruppe Zürich übernimmt:
...
3.-
Die Stellung eines verantwortlichen Piloten und des Ballonmeisters.
Der Club neuchâtelois d'Aviation übernimmt:
...
4.-. Die sämtlichen Organisations- und Füllungskosten auf dem Platze Neuchâtel, ...
5.-
Die Bezahlung einer Mietgebühr für den Ballon "Helvetia" im Betrage von Fr. 400.-- sowie die Kosten der Ballon-Insassenversicherung von Fr. 80.- (für 4 Personen).
Dem Club neuchâtelois d'aviation steht das Recht zu, die neben dem Piloten freibleibenden 3 Passagierplätze an bezahlende Passagiere abzugeben.
Die Füllungsarbeiten auf dem Platze Neuchâtel unterstehen der verantwortlichen Leitung des Piloten und des Ballonmeisters.
Für den Entscheid, ob gestartet werden kann (Wetter) ist der Pilot allein zuständig."
Le club neuchâtelois ayant signalé à la section de Zurich qu'il trouverait difficilement trois passagers payants, elle lui répondit, le 28 avril 1953:
"Im übrigen werden wir uns bemühen, Ihnen für Ihren Aufstieg einen bezahlenden Passagier aus Zürich oder Bern zu vermitteln, um Ihnen die Besetzung des Korbes zu erleichtern."
Le club zuricois désigna comme pilote son membre Frédéric Michel et arrêta avec lui les conditions d'engagement.
B.-
Le ballon "Helvetia" s'éleva normalement à Neuchâtel, le 16 mai 1953, sous la direction du pilote Michel. Il emmenait trois passagers, parmi lesquels se
BGE 83 II 231 S. 233
trouvait Charles Jaquet. L'un d'eux avait été procuré par le club de Zurich. Chacun avait payé au club neuchâtelois le prix de 150 fr., qui comprenait la prime d'assurance. Avant le départ et en cours d'ascension, Michel leur donna des instructions sur la façon de se comporter au moment de l'atterrissage.
Lorsque le ballon atterrit, près de Lauwil (Bâle-Campagne), la nacelle se renversa en raison de la violence du vent. Jaquet fut projeté sur le sol et eut le fémur fracturé. Il dut subir un long traitement et il souffre actuellement d'une invalidité permanente que le médecin traitant évalue à 20%. La compagnie "La Winterthour", auprès de laquelle avait été contractée l'assurance-accidents collective pour occupants, lui versa une indemnité de 6947 fr.
La Commission fédérale d'enquête a déposé son rapport le 22 février 1954. Elle estime que, dans la dernière phase du vol, le pilote ne disposait plus d'une quantité de lest suffisante pour être maître de son atterrissage et qu'il a dès lors commis une légère négligence en prenant trop peu de lest au départ.
C.-
Charles Jaquet a assigné le Club neuchâtelois d'aviation en paiement d'une indemnité qu'il a fixée finalement à 29 303 fr., avec intérêt à 5% dès le 16 mai 1953. Le défendeur a conclu au rejet de l'action.
Par jugement du 4 juin 1956, le Tribunal cantonal neuchâtelois a débouté le demandeur de ses conclusions.
D.-
Jaquet recourt en réforme au Tribunal fédéral, en reprenant les conclusions qu'il a formulées dans l'instance cantonale.
Le Club neuchâtelois d'aviation propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Un ballon libre est un aéronef au sens de la loi fédérale sur la navigation aérienne, du 21 décembre 1948 (cf. art. 51 al. 2 de cette loi et art. 1er du règlement d'exécution du 5 juin 1950). En cas de transport par ballon
BGE 83 II 231 S. 234
libre, la responsabilité du transporteur est donc régie par le règlement de transport aérien du 3 octobre 1952 (RTA), édicté par le Conseil fédéral en vertu de l'art. 75 al. 1 de la loi fédérale sur la navigation aérienne. D'après l'art. 8 RTA, le transporteur est responsable, qu'il s'agisse de transport interne ou international, selon les règles de la Convention de Varsovie du 12 octobre 1929 et les dispositions complémentaires de ce règlement. Or, aux termes de l'art. 17 de la Convention de Varsovie, le transporteur répond du dommage survenu en cas de mort, de blessure ou de toute autre lésion corporelle subie par un voyageur lorsque l'accident qui a causé le dommage s'est produit à bord de l'aéronef ou au cours de toutes opérations d'embarquement et de débarquement. Il n'est toutefois pas responsable, selon l'art. 20 al. 1, s'il prouve que lui et ses préposés ont pris toutes les mesures nécessaires pour éviter le dommage ou qu'il leur était impossible de les prendre. La Convention de Varsovie ne définit pas le transporteur, mais le règlement de transport remplit cette lacune à son art. 1er litt. f: c'est celui qui accepte de transporter par aéronef, contre rémunération, des personnes, des bagages ou des biens.
En l'espèce, Jaquet a subi le dommage litigieux dans les conditions visées par l'art. 17 de la Convention de Varsovie. En outre, il est constant qu'il a été admis au transport moyennant une rémunération de 150 fr., y compris la prime de l'assurance contre les accidents. Celui qui a accepté de le transporter répond dès lors du préjudice, à moins qu'il n'apporte la preuve libératoire prévue par l'art. 20 al. 1 de la Convention de Varsovie.
2.
a) Selon la juridiction cantonale, les deux clubs n'ont point passé de contrat d'affrètement et c'est celui de Zurich qui doit être considéré comme transporteur. En effet, dit-elle, c'est lui qui a accepté de faire un lâcher de ballon sous la responsabilité de son pilote, lequel était seul compétent pour ordonner le départ et décider du nombre des passagers; en outre, c'est le club de Zurich
BGE 83 II 231 S. 235
qui a accepté de transporter des voyageurs et, moyennant le paiement de 400 fr., il a cédé au Club neuchâtelois d'aviation le droit de lui procurer trois passagers; enfin, la taxe d'ascension, qui doit être payée par l'organisateur de la manifestation, a été acquittée par le club zuricois.
aa) Cette dernière constatation repose manifestement sur une inadvertance. Il ressort en effet du dossier, en particulier des lettres de l'intimé des 6 et 17 mai 1953, de la lettre du club de Zurich du 5 mai 1953, adressée au pilote Michel, et des comptes de la manifestation, que c'est le Club neuchâtelois d'aviation qui a payé à l'Office fédéral de l'air la taxe de 115 fr. Du reste, l'intimé le reconnaît. La constatation contraire des juges cantonaux doit donc être rectifiée d'office en vertu de l'art. 63 al. 2 OJ.
bb) En affirmant que le club de Zurich avait simplement cédé à l'intimé le droit de lui procurer des passagers, le Tribunal cantonal n'a pas constaté un fait; il a apprécié la portée juridique des déclarations concordantes des parties et déterminé l'objet et les effets de leur convention. Il s'agit là, dès lors, d'une question de droit que le Tribunal fédéral peut revoir.
Or l'interprétation des premiers juges est incompatible avec la volonté manifestée par les parties. Les conditions du 31 mars 1953, acceptées par l'intimé, prévoyaient en effet le paiement d'un loyer de 400 fr. pour le ballon. En outre, dans sa lettre du 26 avril 1953, le club de Zurich a déclaré qu'il s'efforcerait de procurer un passager au club neuchâtelois pour l'ascension organisée par celui-ci. On ne saurait donc déduire de l'accord passé entre les parties que l'intimé ait simplement reçu le droit de faire participer trois passagers à l'ascension.
cc) Quant au fait que le lâcher du ballon était placé sous la direction du pilote désigné et engagé par le club de Zurich, il n'en découle pas nécessairement que celui-ci soit le transporteur (cf. ci-dessous, litt. b).
b) Ce qui est décisif pour déterminer si c'est le club de Zurich ou celui de Neuchâtel qui, en l'espèce, doit être
BGE 83 II 231 S. 236
considéré comme transporteur, c'est de savoir qui a accepté de transporter Jaquet par aéronef contre rémunération (art. 1er litt. f RTA) ou, en d'autres termes, qui a conclu un contrat de transport avec le recourant.
Certes, le jugement cantonal ne dit pas qui a offert à Jaquet de participer à l'ascension. Mais il constate que c'est le président du Club neuchâtelois d'aviation qui, répondant à une demande du recourant, lui a déclaré qu'il était assuré. Il ressort d'autre part des constatations de fait des premiers juges que l'intimé avait le droit de faire embarquer trois passagers, qu'il a cherché des intéressés et que le club de Zurich s'est entremis pour lui en procurer un. En outre, il est constant que c'est au club neuchâtelois que Jaquet a payé le prix de la course. De plus, la manifestation a été organisée par l'intimé et c'est lui qui a acquitté la taxe d'ascension. Dans ces conditions, il n'est pas douteux que Jaquet a passé le contrat de transport avec le club neuchâtelois et non avec celui de Zurich. Il ne ressort ni des constatations du Tribunal cantonal ni de l'ensemble des circonstances qu'en cherchant des passagers, l'intimé ait agi au nom du club zuricois. Dès lors, c'est le Club neuchâtelois d'aviation qui doit être considéré comme transporteur.
Il est vrai que l'intimé n'était pas le propriétaire du ballon et que l'ascension a été organisée sous la direction technique du pilote Michel, désigné par le club de Zurich. Mais cela importe peu. Le transporteur n'est pas celui qui exécute le contrat de transport, mais la personne qui le conclut en son propre nom. Il n'est pas nécessaire qu'il s'acquitte de ses obligations par ses propres moyens. Il peut, à cet effet, recourir aux services d'un tiers, notamment en louant ou en affrétant un aéronef (RIESE, Luftrecht, p. 406; cf. SCHWEICKHARDT, Schweiz. Lufttransportrecht, p. 13; RIESE et LACOUR, Précis de droit aérien, p. 233, no 282; ABRAHAM, Der Luftbeförderungsvertrag, p. 26; GOEDHUIS, National Airlegislation and the Warsaw Convention, p. 134 et suiv.). C'est ce qu'a fait le Club
BGE 83 II 231 S. 237
neuchâtelois d'aviation. Les conditions du 31 mars 1953 parlent de la location du ballon; il en est de même de plusieurs pièces du dossier, notamment des comptes de la manifestation et de la lettre de l'intimé du 11 septembre 1953. Ainsi, le club de Zurich a mis à la disposition du Club neuchâtelois d'aviation, contre rémunération, un aéronef avec l'équipage nécessaire, pour un voyage déterminé. Un tel contrat est un affrètement (cf. notamment HÜRZELER, Probleme des Chartervertrags nach Luftrecht, p. 29; COQUOZ, Le droit privé international aérien, p. 91; GOEDHUIS, loc.cit.; cf. aussi, par analogie, l'art. 94 de la loi fédérale sur la navigation maritime sous pavillon suisse, du 23 septembre 1953). Dès lors, le fait que l'intimé a recouru aux services du club de Zurich pour l'exécution du vol ne l'a pas privé de la qualité de transporteur à l'égard de Jaquet.
c) Cependant, la doctrine n'est pas unanime en ce qui concerne la personne responsable envers le passager lorsque l'aéronef a été affrété. Une partie des auteurs (COQUOZ, op.cit., p. 92; JUGLART, Traité élémentaire de droit aérien, p. 325 no 276; contra: RIESE, op.cit., p. 408) considèrent que ce n'est pas l'affréteur, mais le fréteur, qui encourt la responsabilité instituée à la charge du transporteur par la Convention de Varsovie.
Cette opinion est peut-être soutenable au regard de la Convention de Varsovie, qui ne définit pas le transporteur. En revanche, elle ne peut être reçue en droit interne suisse. Elle se heurterait en premier lieu à la définition que l'art. 1er litt. f RTA donne du transporteur. Or l'objet principal de cet acte est de réglementer la responsabilité en matière de transports aériens. On ne saurait donc refuser d'appliquer la définition légale lorsqu'il s'agit de déterminer la personne responsable envers le passager.
En outre, la responsabilité instituée par la Convention de Varsovie est de nature contractuelle. Elle a son fondement non pas dans les risques inhérents à la navigation aérienne, mais dans l'inexécution fautive des obligations
BGE 83 II 231 S. 238
assumées en vertu du contrat de transport (cf. RIE SE, op.cit., p. 451; SCHWEICKHARDT, op.cit., p. 42; RIESE et LACOUR, op.cit., p. 269; Message du Conseil fédéral concernant le règlement de transport aérien, du 3 octobre 1952, FF 1952 III p. 233). Il est dès lors parfaitement conforme aux principes généraux du droit civil suisse que, même quand l'aéronef est affrété, le transporteur, au sens où l'entend l'art. 1er litt. f RTA, réponde du dommage causé par l'exécution imparfaite du contrat. En effet, selon l'art. 101 CO, le débiteur contractuel est responsable des actes des auxiliaires auxquels il a confié le soin d'exécuter ses obligations. Or, par auxiliaires, on n'entend pas seulement les personnes soumises à l'autorité du débiteur et se trouvant avec lui dans un rapport de service, mais tous ceux à qui il s'en remet du soin d'exécuter son obligation (RO 70 II 220). Le fréteur et ses préposés sont ainsi des auxiliaires au sens de cette définition.
Il s'ensuit que le Club neuchâtelois d'aviation répond en principe, en qualité de transporteur, du dommage subi par Jaquet (art. 17 de la Convention de Varsovie).
3.
Aux termes de l'art. 20 de la Convention de Varsovie, le transporteur n'est pas responsable s'il prouve que lui et ses préposés ont pris toutes les mesures nécessaires pour éviter le dommage ou qu'il leur était impossible de les prendre.
a) Le pilote Michel était, selon l'art. 101 CO, l'auxiliaire du Club neuchâtelois d'aviation. On doit en conclure qu'il était également son préposé au sens de l'art. 20 de la Convention de Varsovie. En effet, en renvoyant à cette convention, le règlement de transport institue, pour le droit interne suisse, une responsabilité contractuelle qui ne diffère pas dans son principe de la réglementation du droit commun. Il doit donc recevoir, à moins d'une disposition expresse ou de motifs pertinents, une interprétation qui ne déroge pas aux règles du code des obligations. Dès lors, on doit admettre que, selon le règlement de transport aérien, la notion de préposé comprend celle d'auxiliaire
BGE 83 II 231 S. 239
(cf. RIESE, op.cit., p. 454; RIESE et LACOUR, op.cit., p. 271; SCHWEICKHARDT, op.cit., p. 48, qui assimile expressément les préposés aux auxiliaires; cf. également LEMOINE, Traité de droit aérien, p. 546, no 822; GOEDHUIS, op.cit., p. 224). Au demeurant, alors que les mots "ses préposés" du texte français (texte original) des art. 20 et 25 de la Convention de Varsovie sont traduits dans la version allemande par "seine Leute", le règlement de transport, confirmant à son art. 10 al. 2 la règle de l'art. 25 de cette convention, exprime la même notion "ses préposés" (dans le texte français) par le mot allemand "Hilfsperson"; il recourt ainsi au terme même par lequel le texte allemand de l'art. 101 CO désigne l'auxiliaire.
b) Pour s'exonérer de sa responsabilité, le Club neuchâtelois d'aviation doit donc établir que le pilote Michel n'a commis aucune faute. Sur ce point, la juridiction cantonale a considéré que l'intimé "ne pourrait être rendu responsable du dommage causé à Jaquet que s'il avait commis une faute ou s'il lui était impossible de prendre d'autres mesures que celles qu'il a prises. Le fait que le pilote Michel n'a pas pris suffisamment de lest - a-t-elle ajouté - ne saurait être retenu comme faute puisqu'il s'agit d'une simple appréciation de l'Office de l'air, que Michel prétend qu'il en avait suffisamment au moment de l'atterrissage et qu'il a donné aux occupants du ballon les instructions qui s'imposaient et qui étaient propres à éviter un accident".
Ce chef du jugement cantonal contient une erreur de fait évidente: Le rapport auquel il se réfère n'émane pas de l'Office fédéral de l'air, mais de la Commission fédérale d'enquête instituée par les art. 25 et 26 de la loi fédérale sur la navigation aérienne et 131 à 135 du règlement d'exécution. Présidée par un juge fédéral et composée de personnes qualifiées, cette commission est distincte et indépendante de l'Office de l'air. Elle ne statue pas sur la seule base de l'enquête administrative de cet office, mais il lui est loisible de la compléter et, en particulier, de
BGE 83 II 231 S. 240
s'adjoindre des experts. On peut dès lors se demander si, au cas où il se serait rendu compte que le rapport émanait de cette commission, la juridiction cantonale ne l'eût pas préféré à la thèse du pilote, dont la responsabilité personnelle pouvait être mise en cause. Mais il n'est pas nécessaire de juger si le Tribunal fédéral peut, en vertu de l'art. 63 al. 2 i.f. OJ, rectifier sur ce point la décision attaquée. En effet, celle-ci doit, de toute façon, être annulée en vertu des art. 52 et 64 al. 2 OJ, car ses motifs sont ambigus et incomplets.
En premier lieu, on ignore comment la juridiction cantonale a réparti le fardeau de la preuve. Or, si elle a mis à la charge de Jaquet la preuve de la faute de l'intimé ou de ses préposés, elle a violé l'art. 20 al. 1 de la Convention de Varsovie.
En outre, le passage du jugement relatif à la quantité de lest emportée est équivoque: on ne sait si, dans l'idée du Tribunal cantonal, le pilote s'est muni d'assez de lest, ou s'il n'en a pas emporté suffisamment sans toutefois que cela constitue une faute. La juridiction neuchâteloise devra donc préciser ce point. De plus, en jugeant cette question, elle a négligé certains éléments qui peuvent être importants. C'est ainsi qu'elle n'a pas indiqué si le pilote s'était renseigné avec assez de soin sur les conditions météorologiques et si des informations plus complètes ne l'auraient pas amené à prendre plus de lest. En outre, elle ne s'est pas prononcée sur l'étanchéité de l'enveloppe du ballon et, éventuellement, sur les précautions que Michel aurait dû prendre pour parer à un défaut sur ce point. Elle devra donc réparer ces omissions. Du même coup, elle pourra, le cas échéant, revoir son appréciation en considérant que le rapport qui retient une faute à la charge du pilote émane de la Commission fédérale d'enquête et non de l'Office fédéral de l'air.
Enfin, si les juges neuchâtelois ont considéré que Michel avait donné aux occupants du ballon les indications qui s'imposaient et qui étaient propres à éviter un accident,
BGE 83 II 231 S. 241
ils n'ont point expliqué quelles avaient été ces instructions, de sorte qu'il est impossible au Tribunal fédéral de juger si le pilote a commis une faute à cet égard. Ils devront aussi se prononcer sur les autres reproches que le recourant fait à Michel, en particulier quant à la durée du vol.
Dès lors, la cause doit être renvoyée au Tribunal cantonal pour qu'il complète son jugement sur tous ces points et statue à nouveau. S'il admet une faute à la charge du pilote, il devra également rechercher si Jaquet a commis une faute concurrente. | public_law | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a659e458-a813-465c-8916-1d112746a5e7 | Urteilskopf
115 II 272
47. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 20 juin 1989 dans la cause M. S.A. contre Département de justice du canton de Neuchâtel (recours de droit administratif) | Regeste
Übernahme einer Aktiengesellschaft durch eine andere. Gläubigerschutz.
1.
Art. 742 Abs. 2 und 748 Ziff. 1 OR
. Die öffentliche Bekanntmachung ist auch dann erforderlich, wenn die aufgelöste Gesellschaft erklärt, sämtliche Gesellschaftsgläubiger zu kennen (E. 2).
2.
Art. 748 Ziff. 7 OR
. Unzulässigkeit der Löschung der übernommenen Gesellschaft, solange nicht alle ihre Gläubiger befriedigt oder sichergestellt sind (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 272
BGE 115 II 272 S. 272
A.-
Par contrat de fusion des 9 et 11 mai 1988, M. S.A. a repris l'actif et le passif de C. S.A. L'administration de la société reprenante n'a pas adressé aux créanciers de la société dissoute un appel par publication dans la Feuille officielle suisse du commerce. Requis de procéder à la radiation de la société reprise, le Préposé au registre du commerce du district de Neuchâtel a refusé de le faire en date du 1er décembre 1988. Sa décision de rejet de la réquisition a été confirmée le 9 février 1989, sur recours, par le Département de justice du canton de Neuchâtel agissant comme autorité de surveillance du registre du commerce.
BGE 115 II 272 S. 273
B.-
M. S.A. a formé un recours de droit administratif au Tribunal fédéral en concluant à l'annulation, avec ou sans renvoi, de cette dernière décision.
Le Département de justice du canton de Neuchâtel propose le rejet du recours. L'Office fédéral du registre du commerce a déposé des observations allant dans le même sens.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours et confirmé la décision attaquée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'autorité cantonale de surveillance a confirmé le rejet de la réquisition de radiation de la société dissoute, motif pris de l'absence d'un triple appel aux créanciers dans la Feuille officielle suisse du commerce. Pour la recourante, une telle formalité était inutile, étant donné que tous les créanciers de la société dissoute figuraient dans les livres et, qui plus est, avaient été payés ou avaient reçu des sûretés.
a) En cas de reprise d'une société anonyme par une autre, l'administration de la société reprenante adresse, dans les formes prévues pour la liquidation, un appel aux créanciers de la société dissoute (
art. 748 ch. 1 CO
). Selon l'
art. 742 al. 2 CO
, les créanciers sont informés de la dissolution de la société et sommés de faire connaître leurs réclamations, ceux qui sont mentionnés dans les livres ou connus autrement, par avis spécial, ceux qui sont inconnus ou dont le domicile est ignoré, par publication dans la Feuille officielle suisse du commerce, et, au surplus, en la forme prévue par les statuts.
L'
art. 742 al. 2 CO
a été édicté en vue de protéger les créanciers; son but est d'éviter qu'une société soit liquidée, que son actif soit réparti entre les actionnaires et qu'elle soit radiée au registre du commerce à 1 insu de ses créanciers (BÜRGI/NORDMANN, n. 6 ad art. 744; F. DE STEIGER, Le droit des sociétés anonymes en Suisse, adapt. française, p. 373). Bien que, en cas de fusion, il n'y ait pas de phase de liquidation, l'appel aux créanciers tend aussi à la protection de leurs intérêts (BÜRGI/NORDMANN, n. 98 ad art. 748; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das schweizerische Aktienrecht, 3e éd., p. 288; PATRY, Précis de droit suisse des sociétés, II, p. 291; R. MEIER, Die Rechtsnatur des Fusionsvertrages, thèse Zurich 1985, p. 17). Tel est d'ailleurs l'objet de l'ensemble de la réglementation légale (VON GREYERZ, Die
BGE 115 II 272 S. 274
Aktiengesellschaft, in: Schweizerisches Privatrecht, t. VIII/2, p. 289; TSCHÄNI, Unternehmensübernahmen nach Schweizer Recht, Zurich 1988, p. 57; voir aussi l'
ATF 57 II 530
à propos de l'ancien
art. 669 CO
). C'est dès lors à juste titre que BÜRGI/NORDMANN, loc.cit., soulignent le caractère impératif de l'
art. 748 ch. 1 CO
.
b) La recourante soutient que l'envoi de l'avis spécial était suffisant en l'espèce, puisque tous les créanciers figuraient dans ses livres ou étaient connus d'elle. Cette opinion est manifestement erronée. D'une part, l'
art. 742 al. 2 CO
ne prévoit aucune exception au système de protection des créanciers qu'il instaure. D'autre part, même une société dont les livres sont tenus avec soin peut avoir des créanciers dont elle ignore l'existence parce qu'ils n'ont pas encore fait valoir leurs créances (réclamations en garantie ou en dommages-intérêts, par exemple). Il n'appartient pas à la société dissoute de décider qu'elle n'a pas de créanciers inconnus, tant il est vrai qu'on ne voit pas sur quelle base elle pourrait se fonder pour l'affirmer. L'appel public doit justement permettre à ceux-ci de se manifester. L'attestation notariale produite, qui, par la force des choses, ne peut porter que sur le sort des créances connues, n'est à cet égard d'aucun secours pour la recourante. Elle reste sans effet sur les droits des créanciers auxquels la possibilité de faire connaître leurs réclamations n'a pas été donnée.
Cela étant, les autorités cantonales du registre du commerce, qui pouvaient se livrer à cet examen s'agissant d'une disposition destinée à protéger les tiers (
ATF 114 II 70
), ont considéré à bon droit que les conditions posées par l'
art. 748 ch. 7 CO
pour que la radiation de la société dissoute puisse être opérée n'étaient pas réalisées dans le cas particulier.
3.
Encore que son mémoire ne soit pas des plus clair sur ce point, il semble que la recourante veuille également remettre en cause l'
art. 748 ch. 7 CO
en tant qu'il lie la radiation de la société reprise au paiement des créanciers ou à la fourniture de sûretés en leur faveur.
Il est vrai qu'elle peut se réclamer à cet égard d'un grand nombre d'auteurs qui doutent de l'opportunité de retarder la radiation de la société absorbée jusqu'à ce que ses créanciers aient été payés ou aient reçu des sûretés, en faisant notamment valoir, à l'appui de leur opinion, d'une part, que ladite société perd sa personnalité juridique au moment de l'inscription de la fusion au registre du commerce, même si sa radiation formelle n'intervient que plus tard
BGE 115 II 272 S. 275
(
ATF 108 Ib 454
consid. 4a; BÜRGI/NORDMANN, n. 110 ad art. 748), de sorte que le maintien de l'inscription d'une société disparue n'a aucun sens, et, d'autre part, que l'administration séparée de l'actif de la société dissoute (
art. 748 ch. 2 CO
) protège suffisamment les créanciers de celle-ci (parmi d'autres, cf. F. DE STEIGER, op.cit., p. 387; PATRY, loc.cit.; R. MEIER, op.cit., p. 18; KÜRY, Die Universalsukzession bei der Fusion von Aktiengesellschaften, thèse Bâle 1962, p. 70; SUTER, Die Fusion von Aktiengesellschaften im Privatrecht und im Steuerrecht, thèse Zurich 1965, p. 170; RECORDON, La protection des actionnaires lors des fusions et scissions de sociétés en droit suisse et en droit français, thèse Genève 1973, p. 26, note de pied 54; CUENDET, La fusion par absorption, en particulier le contrat de fusion, dans le droit suisse de la société anonyme, thèse Lausanne 1973, p. 111; voir aussi: HÄBERLING, Die Fusion von Genossenschaften nach schweizerischem Recht, thèse Zurich 1951, p. 23, à propos de l'
art. 917 ch. 7 CO
dont la teneur est identique à celle de la disposition litigieuse).
Toutefois, quel que puisse être le mérite des arguments invoqués par ces différents auteurs, il n'en demeure pas moins que l'interprétation extensive qu'ils proposent est inconciliable avec le texte clair de l'
art. 748 ch. 7 CO
, qui a modifié la réglementation prévue à l'ancien
art. 699 ch. 4 CO
. On ne saurait donc, sur la base du texte actuel, mettre sur le même pied la radiation et la dissolution de la société absorbée (KÜRY, loc.cit.). C'est le lieu de rappeler qu'en dehors des conditions d'application de l'
art. 2 al. 2 CC
, qui ne sont à l'évidence pas réalisées en l'occurrence, le juge n'a pas la compétence de corriger la loi (DESCHENAUX, Le Titre préliminaire du code civil, in: Traité de droit civil suisse, t. II/1, p. 94); il ne saurait non plus se laisser guider par des considérations d'opportunité pour s'ériger en censeur de la loi (
ATF 74 II 109
). Enfin, il y a d'autant moins de motifs de déroger à l'
art. 748 ch. 7 CO
que le projet de révision partielle du droit de la société anonyme ne prévoit pas une modification de la loi en rapport avec la question litigieuse (cf. Message et projet de révision, FF 1983 II 962 ss et 1019 ss) et que les Chambres fédérales n'ont point évoqué le problème controversé durant leurs délibérations sur cet objet (BO CN 1985 p. 1788; BO CE 1988 p. 518/519). | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a6621e6c-cde6-4bf5-9294-1d807b16b9d2 | Urteilskopf
112 III 6
3. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 10. April 1986 i.S. K. (Rekurs) | Regeste
Zustellung des Zahlungsbefehls durch öffentliche Bekanntmachung (
Art. 66 Abs. 4 SchKG
).
Die Zustellung des Zahlungsbefehls durch öffentliche Bekanntmachung ist letztes Mittel; zu ihr darf nicht Zuflucht genommen werden, bevor vom Gläubiger und vom Betreibungsamt alle der Sachlage entsprechenden Nachforschungen unternommen wurden, um eine mögliche Zustelladresse des Schuldners herauszufinden. Die Banken sind gegenüber den Betreibungsbehörden zur Auskunft über Wohnort oder Zustelldomizil eines Schuldners, der verarrestierbare Vermögenswerte bei ihnen hinterlegt hat, verpflichtet und können die Auskunft nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis verweigern. | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 112 III 6 S. 7
A.-
Nachdem in den Geschäftsräumlichkeiten einer schweizerischen Bank der Arrest gegen die Schuldnerin C. vollzogen worden war, prosequierte die Gläubigerin K. den Arrest durch Betreibung. Das Betreibungsamt liess den Zahlungsbefehl und die Arresturkunde durch den schweizerischen diplomatischen Dienst an die von der Gläubigerin genannte Adresse der Schuldnerin in Irland zustellen. Da sich indessen die Zustellung an der angegebenen Adresse als unmöglich erwies, veranlasste das Betreibungsamt - nachdem es noch die Gläubigerin angefragt hatte, ob ihr eine andere Anschrift der Schuldnerin bekannt sei, und die Gläubigerin das verneint hatte - die öffentliche Bekanntmachung des Zahlungsbefehls in einem kantonalen Amtsblatt.
In der Folge liess die Schuldnerin C. durch ihren Rechtsanwalt in der Schweiz Beschwerde gegen das Betreibungsamt einreichen. Sie verlangte, es seien der Zahlungsbefehl sowie sämtliche Fortsetzungshandlungen in der angefochtenen Betreibung aufzuheben und es sei dem Betreibungsamt sofort zu verbieten, irgendwelche Auszahlungen an die Gläubigerin vorzunehmen. Als ihr Domizil nannte die Schuldnerin eine Anschrift in den Vereinigten Staaten.
B.-
Die kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde gut, hob die öffentliche Bekanntmachung des Zahlungsbefehls als ungültig auf und stellte fest, dass sämtliche Fortsetzungshandlungen in der angefochtenen Betreibung nichtig seien. Sie wies das Betreibungsamt an, den Zahlungsbefehl der Schuldnerin an deren derzeitigem Domizil (nach Angabe ihres Rechtsvertreters) zuzustellen.
Die Gläubigerin K. reichte bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer Rekurs gegen den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde ein.
BGE 112 III 6 S. 8
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Nach dem Dafürhalten der Rekurrentin hat die kantonale Aufsichtsbehörde die Mitteilung des Zahlungsbefehls an die Schuldnerin auf dem Ediktalweg zu Unrecht als ungültig bezeichnet. Die Rekurrentin ist der Auffassung, die Aufsichtsbehörde könne vom Betreibungsamt nicht verlangen, dass es mit zusätzlichen Nachforschungen die Anschrift der Schuldnerin zu eruieren versuche; insbesondere sei die Bank wegen des Bankgeheimnisses daran gehindert gewesen, Auskunft über die Adresse der Schuldnerin zu geben.
Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Zu Recht hat die Aufsichtsbehörde erkannt, dass das Betreibungsamt nicht Zuflucht zur öffentlichen Bekanntmachung des Zahlungsbefehls nehmen konnte, bevor es zusätzliche Nachforschungen über die Adresse der Schuldnerin anstellte. Die Zustellung auf dem Ediktalweg ist in der Tat letztes Mittel (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 3. Aufl. 1983, § 12 N. 15; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht I, § 14 Rz 27; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, S. 96, B).
Es obliegt in erster Linie dem Gläubiger, dem Betreibungsamt Name und Wohnort des Schuldners bekanntzugeben, welchem der Zahlungsbefehl zuzustellen ist (
Art. 67 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
;
BGE 109 III 7
). Im vorliegenden Fall hat sich denn auch das Betreibungsamt an die Gläubigerin gewandt, um von ihr die Adresse der Schuldnerin zu erfahren, nachdem der Zahlungsbefehl an der angegebenen Adresse in Irland nicht hatte zugestellt werden können. Doch hat die Gläubigerin - obwohl sie selber in Irland ansässig ist und somit am besten in der Lage gewesen wäre, das Domizil der dort gesuchten Schuldnerin zu erfahren - umgehend durch ihren Rechtsvertreter in der Schweiz dem Betreibungsamt mitteilen lassen, dass es ihr nicht möglich sei, die neue Anschrift der Schuldnerin bekanntzugeben, und die Mitteilung des Zahlungsbefehls auf dem Ediktalweg verlangt.
Der Verweis der kantonalen Aufsichtsbehörde auf
BGE 64 III 43
E. 2, wo das Bundesgericht ausgeführt hat, es müssten vor der Beschreitung des Ediktalweges alle zweckmässigen, der Sachlage entsprechenden Nachforschungen versucht werden, um den Wohnort des Schuldners, d.h. eine mögliche Zustelladresse - sei es auch nicht an seinem allfälligen festen Wohnsitz - herauszufinden,
BGE 112 III 6 S. 9
ist zutreffend. Im Lichte dieser Rechtsprechung hat die Vorinstanz insbesondere weitere Erkundigungen bei der Bank, an deren Geschäftsniederlassung der Arrest zu vollziehen war, über das Domizil der Schuldnerin verlangt. In tatsächlicher Hinsicht hat die Vorinstanz dazu festgestellt, dass die Bank in der Lage gewesen wäre, dem Betreibungsamt Angaben über die Adresse der Schuldnerin zu machen. Die Rekurrentin behauptet nicht, dass diese Feststellung auf offensichtlichem Versehen beruhe oder unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sei (Art. 63 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 81 OG
;
BGE 108 II 217
f. E. 1a). Sie machte nur geltend, dass die Bank wegen des Bankgeheimnisses zur Verweigerung jeglicher Auskunft verpflichtet gewesen sei und dass sie deshalb schon die Auskunft über von ihr verwahrte Vermögenswerte der Schuldnerin verweigert habe.
Diese Argumentation der Rekurrentin widerspricht der Rechtsprechung.
Richtig ist im Gegenteil, dass die Banken gegenüber dem Betreibungsamt zur Auskunft über Vermögensgegenstände, die sie verwahren und die mit Arrest zu belegen sind, verpflichtet sind und die Auskunft nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis verweigern können. Die Banken machen sich gegenüber dem Gläubiger, der durch die Verweigerung der Auskunft einen Schaden erleidet, zivilrechtlich verantwortlich. Allerdings zieht die Verweigerung keine strafrechtlichen Folgen nach sich, wenn der Bestand der Forderung im Zeitpunkt, wo der Arrest vollzogen wird, noch ungewiss ist (
BGE 101 III 63
E. 3 mit Hinweisen). Dasselbe gilt bezüglich der Auskunft von Banken über Wohnort bzw. Zustelldomizil eines Schuldners, der verarrestierbare Vermögenswerte bei ihnen hinterlegt hat.
Die Ausführungen der kantonalen Aufsichtsbehörde erweisen sich demnach als bundesrechtskonform. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a668b3a7-6100-46ff-bc37-be0fd0edf602 | Urteilskopf
82 IV 91
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1956 i.S. Girvan c. P. | Regeste
Art. 173 Ziff. 3 StGB
.
1. "Ohne begründete Veranlassung" - "vorwiegend in der Absicht..., jemandem Übles vorzuwerfen"; Verhältnis dieser beiden Voraussetzungen für den Ausschluss des Wahrheits- und Entlastungsbeweises zueinander (Erw. 2; Änderung der Rechtsprechung).
2. Wann handelt der Täter mit begründeter Veranlassung (Erw. 3; Änderung der Rechtsprechung)?
3. Ehrverletzende Äusserungen, die ohne jeden Zusammenhang mit bestimmten Tatsachen vorgebracht werden; Nichtzulassung des Entlastungsbeweises (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 82 IV 91 S. 91
A.-
Am 22. April 1956 schrieb Anthony Girvan von Zürich aus zwei Vettern seiner Ehefrau, Joseph und Hans
BGE 82 IV 91 S. 92
Braunsberg, einen Brief, in dem er sich über P. unter anderem in folgender Weise äusserte:
"Wir wurden im Auftrag des mit Euch verbundenen Schwindlers, Betrugers und Fälschers, P., in Glarus auf seinen Auftrag hin nicht hineingelassen, zu einer Zeit, wo wir uns ausserordentlich bemühten, eine letztmögliche Losung zu finden. Damit wollte dieser Mann, der schon sicher ist, nach seinem Benehmen und Verleumdungen uns gegenüber sich alles erlauben zu dürfen, uns wiederum eine Demonstration geben, wie er sich unseren Vertrag auf "Treu und Glauben" vorstellt. Dies wohl als Dank, weil wir Euch ohne jede Garantie alles blindlings anvertraut haben."
Am 14. Mai 1954 schrieb er an Joseph Braunsberg einen Brief, der folgende Stelle enthält:
"... zu dem ... von mir als Schwindler, Fälscher und Betrüger bezeichneten P. ..."
P. erhob gegen Girvan wegen der angeführten Briefstellen Ehrverletzungsklage.
B.-
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Girvan am 15. März 1955 wegen übler Nachrede zu einer im Strafregister nach dreijähriger Probezeit bedingt löschbaren Busse von Fr. 500.--. Es ging davon aus, dass der Angeklagte die für den Ankläger ehrenrühigen Äusserungen weder in Wahrung öffentlicher Interessen, noch sonstwie mit begründeter Veranlassung, sondern lediglich in der Absicht getan habe, letzterem Übles vorzuwerfen. Es verweigerte ihm daher den Entlastungsbeweis.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das der Angeklagte die Berufung erklärt hatte, bestätigte am 17. Oktober 1955 das erstinstanzliche Urteil.
C.-
Gegen das Urteil des Obergerichtes erhob Girvan kantonale und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Erstere wurde am 23. Januar 1956 durch das Kassationsgericht des Kantons Zürich abgewiesen, soweit es darauf eintrat.
Mit der eidgenössischen Beschwerde beantragt Girvan, es sei das Urteil des Obergerichtes vom 17. Oktober 1955 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zur Begründung macht er geltend, die Annahme des Obergerichtes, er habe ohne
BGE 82 IV 91 S. 93
begründete Veranlassung gehandelt, verletze
Art. 173 Ziff. 3 StGB
.
D.-
P. beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
.....
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er P. mit den Bezeichnungen Schwindler, Betrüger, Fälscher und Verleumder, der sich alles erlauben zu dürfen glaube, in seiner Ehre verletzt hat. Auch behauptet er mit Recht nicht mehr, diese Äusserungen in den an die Vettern seiner Frau gerichteten Briefen gemäss
Art. 173 Ziff. 3 StGB
in Wahrung öffentlicher Interessen getan zu haben.
Art. 173 Ziff. 3 schliesst den Täter vom Entlastungsbeweis aber überhaupt immer aus, wenn er die Äusserung ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht getan hat, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserung auf das Privat- oder Familienleben bezieht. Die Nichtwahrnehmung öffentlicher Interessen ist nur als besonderes Beispiel des Fehlens einer begründeten Veranlassung vorangestellt. Nicht ohne weiteres klar ist jedoch, in welchem Verhältnis die beiden Wendungen "ohne begründete Veranlassung" und "vorwiegend in der Absicht..., jemandem Übles vorzuwerfen" zueinander stehen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob das Fehlen einer begründeten Veranlassung auch schon die Absicht bedeutet, dem andern Übles vorzuwerfen, oder, mit andern Worten, ob die beiden Voraussetzungen in dem Sinne miteinander identisch sind, dass die zweite nur als Erläuterung, als nähere Umschreibung der ersten dasteht und richtigerweise mit einem "das heisst" eingeleitet sein müsste.
Diese Auffassung wird von SCHWANDER, das Schweizerische Strafgesetzbuch, Nr. 612, Ziff. 3, vertreten, wobei er lediglich eine Ausnahme machen will für den Fall, dass der Täter in entschuldbarem Irrtum eine begründete Veranlassung angenommen habe. Das widerspricht jedoch
BGE 82 IV 91 S. 94
schon der natürlichen Lesart. Man kann eine ehrverletzende Äusserung ohne begründete Veranlassung tun und dabei doch nicht vorwiegend oder gar ausschliesslich die Absicht verfolgen, dem andern Übles vorzuwerfen. So verhält es sich z.B., wenn die Äusserung aus blosser Klatschsucht, aus Sensationslust getan wird, aus dem Bedürfnis, sich mit dem Wissen oder angeblichen Wissen um etwas wichtig zu machen. Entspricht die Äusserung nicht den Tatsachen oder hat der Täter sie nicht in guten Treuen für wahr halten können, so verdient er wegen des leichtfertigen Motivs eine entsprechend strenge Bestrafung. Ihm aber zum vorneherein den Wahrheits- und überhaupt den Entlastungsbeweis abzuschneiden und ihn ohne Rücksicht darauf zu bestrafen, ob die Äusserung wahr ist oder ob er wenigstens ernsthafte Gründe hatte, sie für wahr zu halten (
Art. 173 Ziff. 2 StGB
), liesse sich nicht rechtfertigen. Weiter ist
Art. 173 StGB
nicht einmal in seiner ursprünglichen Fassung gegangen, schloss er in Ziff. 2 Abs. 2 den Wahrheitsbeweis doch nur aus, wenn dieser nicht im öffentlichen Interesse lag, die Äusserung sich auf das Privat- oder Familienleben bezog und vorwiegend in der Absicht erfolgte, jemandem Übles vorzuwerfen. Diese Ausschlussgründe mussten, wie die Rechtsprechung stets bestätigt hat (vgl. z.B.
BGE 71 IV 128
), kumulativ gegeben sein. Das entsprach im Grunde genommen dem, was schon der Entwurf des StGB von 1918 in Art. 151 Ziff. 2 vorsah, der mit Busse bedrohte, "wer jemanden bei einem andern, zwar der Wahrheit gemäss, aber ohne begründete Veranlassung und nur um ihm Übles vorzuwerfen (oder wie es in der Botschaft des BR, BBl. 1918 IV S. 38, hiess: "aus barer Bosheit"), eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen... beschuldigt oder verdächtigt". Dass das Fehlen der begründeten Veranlassung und das Motiv der üblen Absicht hier noch Tatbestandsmerkmale waren, die später zu Voraussetzungen des Wahrheits- und Entlastungsbeweises wurden, ändert nichts daran, dass dem Art. 173 Ziff. 3 damit eindeutig
BGE 82 IV 91 S. 95
der Gedanke der Kumulation zugrunde gelegt wurde. Auch lässt sich dafür, dass diese im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen ausgeschlossen werden wollte, nichts anführen. Insbesondere vermag sie nicht zu erschüttern, dass seit der Revision von 1950 der Entlastungsbeweis nicht mehr bloss durch den Beweis der Wahrheit, sondern auch durch den Beweis der ernsthaft fundierten guten Treue geführt werden kann. Die Praxis hatte ja schon vor der Revision über den Wortlaut des Art. 173 hinaus ausser dem Wahrheitsbeweis auch die gutgläubige Wahrung berechtigter privater und öffentlicher Interessen als Rechtfertigungsgrund zugelassen, unter der Voraussetzung, dass die Äusserung in angemessener Form getan und gewissenhaft alles Zumutbare vorgekehrt worden war, um sich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen (
BGE 73 IV 16
und dort zitierte Entscheide). Damit war der Entlastungsbeweis der guten Treue, wie er heute in Art. 173 vorgesehen ist, im wesentlichen bereits vorausgenommen; nichtsdestoweniger blieb es bei der Kumulation, d.h. der Beschuldigte wurde auch zu diesem Entlastungsbeweis zugelassen, wenn nur eine der Ausschlussvoraussetzungen der damaligen Ziff. 2 Abs. 2 von Art. 173 fehlte. Umsoweniger kann es der Sinn der Revision gewesen sein, die Stellung des Beschuldigten durch die gesetzliche Verankerung und den Ausbau des genannten Entlastungsbeweises zu erleichtern, dafür aber die Zulassung zum Beweis zu erschweren und einzuschränken, also mit der einen Hand zu nehmen, was mit der andern gegeben wurde. Das erscheint geradezu ausgeschlossen, wenn man bedenkt, dass von der Preisgabe der Kumulation nicht bloss der Entlastungsbeweis der guten Treue, sondern auch der Wahrheitsbeweis betroffen würde und dass derjenige, der den Wahrheitsbeweis erbringen könnte, somit schlechter gestellt wäre als zuvor. Dabei ist stets vor Augen zu halten, dass es noch nicht um die Freisprechung oder Verurteilung des Beschuldigten geht, sondern erst um den Antritt des Beweises, dessen Ausschluss in der parlamentarischen
BGE 82 IV 91 S. 96
Beratung im Hinblick auf Verschulden und Strafmass zutreffend als eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs bezeichnet wurde (StenBull StR 1949, S. 608). Sachlich nicht gerechtfertigt ist freilich, dass anlässlich der Revision von 1950 das "und" vor dem "vorwiegend" ausgefallen ist. Bei der endgültigen Redaktion wurde überdies ein Komma eingesetzt, das in der parlamentarischen Fassung (StenBull StR 1950, S. 257; NatR 1950, S. 532) noch nicht vorhanden war.
Das Erfordernis, dass die beiden Voraussetzungen für den Ausschluss des Entlastungsbeweises kumulativ erfüllt sein müssen, ist deswegen noch von besonderer Bedeutung, weil die Gerichte erfahrungsgemäss leicht dazu neigen, aus dem Fehlen einer begründeten Veranlassung ohne weiteres auch darauf zu schliessen, der Täter habe vorwiegend in der Absicht gehandelt, dem andern Übles vorzuwerfen. Das ist nicht zulässig, weil es auf eine Umgehung der Kumulation hinausläuft. Auch wenn feststeht, dass keine begründete Veranlassung zur Äusserung bestand, muss in jedem Falle noch untersucht werden, ob der Täter mit der durch
Art. 173 Ziff. 3 StGB
geforderten üblen Absicht oder aus einem andern Beweggrund, z.B. aus blosser Klatschsucht, gehandelt hat. Daher kann, was in
BGE 81 IV 237
über die Verbindlichkeit der tatsächlichen Feststellung der kantonalen Instanz ausgeführt wurde, nur mit der genannten Einschränkung gelten. Es genügt nicht, dass der kantonale Richter bei der Feststellung, der Täter habe vorwiegend in der Absicht gehandelt, dem andern Übles vorzuwerfen, von dem richtigen Begriff des Üblen und des Vorwiegens ausgegangen ist, sondern dieser Schluss darf auch nicht einfach aus dem Fehlen einer begründeten Veranlassung gezogen sein.
3.
Darüber hinaus erhebt sich die Frage, ob umgekehrt die üble Absicht wirklich, wie in
BGE 81 IV 236
und schon früher (
BGE 78 IV 33
,
BGE 80 IV 112
) entschieden wurde, den Entlastungsbeweis ausschliesst, weil derjenige, der vorwiegend in dieser Absicht eine ehrverletzende Äusserung
BGE 82 IV 91 S. 97
tue, weder in Wahrung öffentlicher Interessen, noch überhaupt aus begründeter Veranlassung handle.
Wenn in
BGE 81 IV 237
unter Hinweis auf Voten in der parlamentarischen Beratung gesagt wird, nach Art. 173 Ziff. 3 komme es nicht darauf an, ob die Äusserungen objektiv im öffentlichen Interesse liegen, entscheidend sei, ob der Täter dieses Interesse habe wahren wollen, so kann daran nach erneuter Prüfung nicht festgehalten werden. Die begründete Veranlassung, von der die Wahrung der öffentlichen Interessen, wie gesagt, nur einen besonders hervorgehobenen Fall darstellt, muss objektiv gegeben sein. Es muss ein tatsächlich zureichender Anlass bestehen, die Äusserung bei der Gelegenheit zu tun, bei der sie getan wird. Dies ist z.B. bei einer Wahl der Fall, zu der der Angegriffene vorgeschlagen wird und bei der die Öffentlichkeit ein Interesse hat, über das, was ihm vorgeworfen wird, unterrichtet zu werden, weil es für seine Eignung zur Wahl von Bedeutung ist. Dass der Täter sich bloss vorstellt, in Wahrung öffentlicher Interessen oder sonstwie mit begründeter Veranlassung zu handeln, würde allenfalls nur zur Anwendung des Art. 19, nicht aber nach Art. 173 Ziff. 3 genügen. In diesem objektiven Sinne wurde die Wahrung öffentlicher Interessen schon unter der Herrschaft des alten
Art. 173 StGB
verstanden, wo sie als Strafausschliessungsgrund zur Geltung kam (vgl.
BGE 69 IV 117
,
BGE 70 IV 26
/27). Warum der Begriff in der revidierten Fassung, wo er in der Bestimmung über die Zulassung zum Entlastungsbeweis verwendet wird, anders ausgelegt werden sollte, ist nicht einzusehen. Dagegen spricht auch der Wortlaut des Gesetzes. Man kann nicht nichtbestehende öffentliche Interessen "wahren", und vor allem ist eine objektiv nicht bestehende Veranlassung keine "begründete" Veranlassung. Was in der parlamentarischen Beratung scheinbar Abweichendes gesagt wurde (StenBull NatR 1950, S. 459 f., StR 1950, S. 257), ist nicht schlüssig. Die vom Nationalrat vorgeschlagene und Gesetz gewordene Neuerung
BGE 82 IV 91 S. 98
besteht nur darin, dass nicht mehr wie nach Ziff. 2 der alten Fassung darauf abgestellt wird, ob der Wahrheitsbeweis im öffentlichen Interesse liege, sondern darauf, ob der Täter bei der Tat in Wahrung öffentlicher Interesen oder sonstwie mit begründeter Veranlassung gehandelt hat. Das wurde offenbar mit der andern Frage verwechselt.
Richtig ist dagegen, dass für die Äusserung nicht nur eine objektiv begründete Veranlassung bestanden, sondern dass darin für den Täter auch der Beweggrund für die Äusserung gelegen haben muss. Nach dem oben dargestellten Verhältnis der beiden Ausschlussgründe lässt freilich die ausschliesslich üble Absicht für die begründete Veranlassung subjektiv keinen Raum. Ist dagegen die Absicht, dem andern Übles vorzuwerfen, nur das vorwiegende Motiv, so kommt es darauf an, ob die Äusserung wenigstens im übrigen objektiv und subjektiv auf begründeter Veranlassung beruht. Das Gesetz verlangt nicht, dass der Täter ausschliesslich oder auch nur vorwiegend zur Wahrung öffentlicher Interessen oder sonstwie aus begründeter Veranlassung gehandelt habe. "Ohne" Wahrung öffentlicher Interessen und ohne sonstwie begründete Veranlassung handelt nur, wer überhaupt nicht aus solchem Motiv handelt. Für die Zulassung zum Wahrheits- und Entlastungsbeweis genügt m.a.W., dass die Äusserung auch - wenn vielleicht auch nur zum kleineren Teil - aus begründeter Veranlassung getan wurde. Benutzt indessen der Täter das öffentliche Interesse oder die sonstwie objektiv begründete Veranlassung nur als Vorwand, um den Angegriffenen persönlich zu treffen, so steht ihm der Entlastungsbeweis der Ziff. 2 nicht zu (StenBull NatR 1950 S. 459).
Daraus erhellt, dass es in solchen Fällen mit dem Nachweis der üblen Absicht besonders ernst genommen werden muss. Ist der Ausschluss des Entlastungsbeweises - wie gesagt - eine sehr einschneidende Beschränkung des Verteidigungsrechtes, so darf umsoweniger in Fällen, wo objektiv ein begründeter Anlass zur Äusserung bestand,
BGE 82 IV 91 S. 99
leichthin angenommen werden, sie sei trotzdem vorwiegend oder gar ausschliesslich in übler Absicht getan worden. So wird es z.B. in einem Wahlkampf dem persönlichen Gegner eines Kandidaten mit seinem Angriff ebensosehr darum zu tun sein, dessen Wahl zu verhindern, als ihn öffentlich blosszustellen. Ihm ohne weiteres den Weg zum Wahrheits- oder Entlastungsbeweis abzuschneiden, geht nicht an. Auch der boshafte (d.h. der mit übler Absicht handelnde) Ehrverletzer soll sich darauf berufen können, für ihn habe eine begründete Veranlassung, gleichviel ob sie öffentlicher oder "bescheidener" privater Natur sei, bestanden (StenBull StR 1950 S. 257, Kolonne rechts).
4.
Der Beschwerdeführer behauptete in erster Linie, die eingeklagten Äusserungen getan zu haben, um den Briefempfängern die Augen zu öffnen und sie über die Machenschaften des P. aufzuklären. Diese Behauptung ist schon vom Bezirksgericht und dann auch vom Obergericht als unglaubwürdig abgetan worden, womit sie für den Kassationshof gemäss
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
erledigt ist.
Vor zweiter Instanz machte der Beschwerdeführer weiter geltend, er habe mit den Äusserungen einen Schreckschuss abgeben wollen, um den Verwandten seiner Frau zu bedeuten, dass er über ihr Geschäftsgebaren und die Handlungen des P. unterrichtet sei. Das Obergericht spricht sich nicht darüber aus, ob es dieser Darstellung Glauben schenke, erklärt aber, wenn der Beschwerdeführer mit den beiden Briefen tatsächlich dieses Ziel verfolgt hätte, so wäre das noch keine begründete Veranlassung gewesen, über P. ehrverletzende Äusserungen zu tun, ohne sie irgendwie zu konkretisieren; um den Briefempfängern mitzuteilen, dass er sie und ihren Beauftragten durchschaut habe, hätte er ihnen bestimmte Anhaltspunkte nennen oder doch Anspielungen auf konkrete Betrüge oder Fälschungen machen müssen. Dieser Würdigung ist zuzustimmen. Was der Beschwerdeführer vorbringt, geht daran vorbei.
BGE 82 IV 91 S. 100
Als tatsächlich vorwiegendes Motiv der Äusserungen bezeichnet das Obergericht die Absicht, dem Beschwerdegegner Übles vorzuwerfen und ihn bei den Briefempfängern eines unehrenhaften Verhaltens zu beschuldigen. Wäre diese Annahme nur die Schlussfolgerung daraus, dass der Beschwerdeführer für die Äusserungen keine begründete Veranlassung gehabt habe, so würde sie nach dem unter Ziff. 2 Ausgeführten, nicht ausreichen, um ihm den Entlastungsbeweis zu verweigern. Es müsste geprüft werden, ob die Äusserungen nicht tatsächlich auf Beweggründe zurückzuführen seien, die zwischen begründeter Veranlassung und übler Absicht lagen, also insbesondere, ob der Beschwerdeführer nicht den von ihm in zweiter Instanz behaupteten Zweck verfolgte, den Briefempfängern zu zeigen, dass er sie und den Beschwerdegegner durchschaut habe. Die Feststellung der Vorinstanz beruht jedoch nicht bloss auf der Ausscheidung der Motive, die der Beschwerdeführer als begründete Veranlassung geltend machte, sondern sie stützt sich auf den Inhalt der Briefe selber, namentlich auf den Umstand, dass P. darin ohne jeden Zusammenhang mit bestimmten Tatsachen als Schwindler, Fälscher und Betrüger hingestellt wurde. Das ist positive Beweiswürdigung über den tatsächlichen Beweggrund, der den Beschwerdeführer beim Schreiben der beiden Briefe leitete, und bindet daher gemäss
Art. 277bis Abs. 1 BStP
den Kassationshof. Damit ist der Entlastungsbeweis ausgeschlossen. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a6724df7-069b-4397-aea9-d820b1d6f60e | Urteilskopf
107 V 191
43. Auszug aus dem Urteil vom 7. August 1981 i.S. Randazzo gegen Ausgleichskasse des Kantons Glarus und Rekurskommission des Kantons Glarus für die AHV | Regeste
Art. 97 AHVG
und 58 VwVG.
Während der Rechtsmittelfrist kann die Verwaltung auf eine (unangefochtene) Verfügung zurückkommen, ohne an die für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen geltenden Voraussetzungen gebunden zu sein. | Erwägungen
ab Seite 191
BGE 107 V 191 S. 191
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand einer materiellen gerichtlichen Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (
BGE 103 V 128
,
BGE 102 V 17
).
Im vorliegenden Fall ist die Verwaltung auf eine Verfügung zurückgekommen, die mangels Ablaufs der Rechtsmittelfrist (
Art. 84 Abs. 1 AHVG
in Verbindung mit
Art. 69 IVG
) noch nicht in formelle Rechtskraft erwachsen war. Es stellt sich daher die Frage, ob für die Wiedererwägung einer solchen Verfügung die gleichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wie sie für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen Geltung haben. Gemäss einem Beschluss des Gesamtgerichtes ist diese Frage dahingehend zu beantworten, dass die Verwaltung während der Rechtsmittelfrist auf eine (unangefochtene) Verfügung zurückkommen kann, auch wenn diese nicht zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung nicht von erheblicher Bedeutung ist. Massgebend hiefür ist, dass der Rechtssicherheit und dem Vertrauensgrundsatz bis zum Eintritt der Rechtskraft der Verfügung nicht die gleiche Bedeutung zukommt wie nach diesem Zeitpunkt. Ferner ist auf die Regelung des
Art. 58 VwVG
hinzuweisen, wonach die Verwaltung die Verfügung pendente lite abändern kann, ohne an die für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen geltenden besonderen Voraussetzungen gebunden zu sein. Es soll damit dem objektiven Recht auf möglichst einfache Weise zur Durchsetzung verholfen werden (vgl. hiezu auch
BGE 103 V 107
). Dieser Gedanke rechtfertigt eine voraussetzungslose Wiedererwägung umso mehr, wenn auf eine noch nicht rechtskräftige, unangefochtene Verfügung zurückgekommen wird. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a676356d-67cf-4212-b087-b180a93f01e4 | Urteilskopf
107 IV 51
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Januar 1981 i.S. E. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 68 Abs. 1 und 5 SSV
. Bedeutung der schwarzen Konturpfeile in Lichtsignalen.
Die im Rot- und Gelblicht von Verkehrsampeln erscheinenden schwarzen Konturpfeile verbieten den Benützern der zugeordneten Fahrspur auch, in anderer als in Pfeilrichtung weiterzufahren (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 52
BGE 107 IV 51 S. 52
A.-
E. fuhr am 19. April 1979 in Zürich mit seinem PW die Dörflistrasse stadtauswärts. Es handelt sich um eine Einbahnstrasse, die bei der Annäherung an die Verzweigung mit der Regensdorferstrasse drei durch Leitlinien getrennte Fahrspuren aufweist. Durch Bodenmarkierungen ist die linke Spur für Linksabbieger, die mittlere für Geradeausfahrer, die rechte für Geradeausfahrer und Rechtsabbieger gekennzeichnet. An der Verzweigung regelt eine Lichtsignalanlage durch mit Richtungspfeilen versehene Ampeln die Weiterfahrt entsprechend den Einspurpfeilen.
E. näherte sich der Kreuzung zuerst auf der mittleren Spur, wechselte dann nach links und fuhr auf der Linksabbiegespur bis zur Kreuzung. Für seine Fahrspur zeigte die Ampel rot, für Geradeausfahrt und Rechtsabbieger war das Lichtsignal grün. E. fuhr aus der Linksabbiegespur geradeaus weiter über die Kreuzung und setzte seine Fahrt zum Hallenstadion fort. Dieser Vorgang wurde von einer automatischen Rotlichtkamera erfasst.
B.-
Das Polizeirichteramt Zürich bestrafte E. wegen unerlaubtem Spurwechsel und Missachtung des Rotlichts mit Fr. 80.- Busse. E. verlangte gerichtliche Beurteilung der Sache, worauf der Einzelrichter ihn mit Urteil vom 1. November 1979 von der Missachtung des Lichtsignals freisprach, im übrigen die Verurteilung bestätigte und die Busse auf Fr. 40.- reduzierte. Auf Nichtigkeitsbeschwerde des Polizeirichteramts hin verurteilte die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich E. am 13. Oktober 1980 in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 27 Abs. 1 SVG
,
Art. 36 Abs. 1 SVG
,
Art. 68 Abs. 1 SSV
sowie
Art. 74 Abs. 2 SSV
zu einer Busse von Fr. 60.-.
BGE 107 IV 51 S. 53
Mit Nichtigkeitsbeschwerde macht die Verteidigung eine Verletzung von
Art. 36 Abs. 1 SVG
und
Art. 68 Abs. 1 SSV
geltend. Sie beantragt Aufhebung des Urteils und Rückweisung zur Neufestsetzung der Busse gestützt auf
Art. 90 Ziff. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 27 Abs. 1 SVG
und
Art. 74 Abs. 2 SSV
.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
3.
Der Beschwerdeführer wendet sich grundsätzlich nicht gegen die Unterstellung des fraglichen Vorfalls unter den
Art. 68 SSV
. Hingegen macht er geltend, Abs. 1 dieser Bestimmung beschränke die Wirkung des Rotlichts mit Richtungspfeil auf die angezeigte Richtung. Also habe er das Signal nicht missachtet, denn er sei in anderer Richtung weitergefahren. Er habe lediglich den Bodenmarkierungen zuwider gehandelt.
a) Die gleiche Auffassung, wie sie der Beschwerdeführer jetzt für die Richtungspfeile in Rotlichtsignalen vertritt, wurde schon für die Grünpfeile nach
Art. 49 aSSV
verfochten und vom Bundesgericht in
BGE 104 IV 110
ff. mit ausführlicher Begründung verworfen. Auch
Art. 49 Abs. 3 aSSV
erklärte nur, durch die grünen Pfeile in Lichtsignalen werde der Verkehr in der angegebenen Richtung gestattet. Aus der allgemeinen Zweckbestimmung der Richtungspfeile in Signalampeln ergibt sich jedoch, dass damit zugleich zwingend vorgeschrieben wird, die Fahrt aus der zugeordneten Fahrspur ausschliesslich in der angegebenen Richtung fortzusetzen. Richtungspfeile in Ampeln dienen wie die Bodenmarkierungen durch Einspurpfeile der Entflechtung verschiedener Fahrströme auf eine Kreuzung hin und deren gegenseitig unbeeinflusste Weiterführung. Ampeln und Bodenmarkierungen ergänzen sich. Lichtsignale mit Richtungspfeilen sind bei dichtem Verkehr oder schneebedeckter Fahrbahn zuverlässiger erkennbar als Bodenpfeile. Letztere können auch völlig verschwunden sein, z.B. durch Abrieb im Winter oder unmittelbar nach Belagsarbeiten vor der neuen Markierung. In diesen Fällen wird die vorgeschriebene Richtung ausschliesslich durch die Pfeile in den Ampeln angezeigt. Es kann keine Rede davon sein, dass dann aus einer bestimmten Fahrspur auf der Kreuzung in jede beliebige Richtung weitergefahren werden dürfte, weil auf dem Belag keine Einspurpfeile sichtbar sind und die Richtungspfeile in den Ampeln "nur" die zulässige Weiterfahrt anzeigen.
Der Kassationshof verwies im zitierten Urteil auch auf die
BGE 107 IV 51 S. 54
gleichlautende und gleich interpretierte Regel des deutschen Strassenverkehrsrechts und auf die Verkehrsordnung über Europäische Verkehrszeichen. Eine abweichende und zudem völlig sinnwidrige Auslegung in der Schweiz würde sich schon aus Rücksicht auf den starken internationalen Verkehr verbieten.
b) Art. 68 der neuen SSV erweitert die bisher nur für Grünlicht geltende Regel auf Rot- und Gelblicht. Während für diese früher gemäss
Art. 49 und
Art. 50 SSV
Richtungspfeile ausdrücklich untersagt waren, werden sie jetzt in
Art. 68 Abs. 1 und 5 SSV
erwähnt. Wie in
Art. 49 aSSV
für das Grünlicht, wird nun in Art. 68 Abs. 1 bis 5 SSV die Wirkung der durch das Rot-, Grün- und Gelblicht sichtbar gemachten Verkehrsregeln bei Lichtsignalen mit eingeblendeten Pfeilen auf die angezeigte Richtung beschränkt. Die für einzelne Fahrstreifen getrennt angebrachten, mit Richtungspfeilen versehenen Ampeln regeln - nach dem neuen Recht hinsichtlich aller drei Funktionsbereiche - den Verkehr nur noch für die betreffenden Fahrspuren. Der im Lichtsignal erscheinende Pfeil aber behält seine zusätzliche Bedeutung als optische Weiterführung verpflichtender, der Kanalisierung des Verkehrs dienender Bodenmarkierungen weiterhin bei (vgl.
BGE 104 IV 115
). Das mit ihm zum Ausdruck gebrachte Gebot, ausschliesslich in der Pfeilrichtung weiterzufahren, wird nunmehr wesentlich noch dadurch verdeutlicht, dass es nicht nur zusammen mit Grünlicht signalisiert ist, sondern auch im Rot- und Gelblicht mittels schwarzer Konturpfeile angezeigt werden kann. Die Verpflichtung, auf einer bestimmten Fahrspur die Fahrt nur in der angegebenen Richtung fortzusetzen, wird aufgrund dieser Neuregelung unmissverständlich und unabhängig von der jeweiligen Phase im Lichtwechsel markiert. Sie gilt auch, wenn (z.B. nachts) die Anlage auf gelbes Blinklicht umgeschaltet wird.
c) Was die Nichtigkeitsbeschwerde vorbringt, ist buchstabenmässige Auslegung eines aus dem Zusammenhang gerissenen Satzes. Vom ganzen System des Verkehrsrechts her gesehen und unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit wäre es widersinnig, den Fahrer zuerst auf eine bestimmte Spur zu führen und ihn zu verpflichten, bei Grünlicht nur in die angezeigte Richtung weiterzufahren, ihm aber zu gestatten, trotz des auch bei Rotlicht sichtbaren Richtungspfeils dann eine andere Richtung einzuschlagen, sofern nur die jener Fahrspur
BGE 107 IV 51 S. 55
zugeordnete Ampel grün zeigt. Der vom Beschwerdeführer vertretenen These kann nicht gefolgt werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a67a3e12-464f-4ca6-92ba-6f3f1123a627 | Urteilskopf
107 Ib 186
34. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 14 octobre 1981 dans la cause Monapax A.G. c. Commission cantonale de recours en matière foncière du canton de Vaud (recours de droit administratif) | Regeste
Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland; Wirkungen der Unterstellung unter die Bewilligungspflicht.
1. Art. 6 Abs. 3 und 20 Abs. 1 und 2 BewB.
Die Vermögensanlage stellt, ausser den in
Art. 6 Abs. 3 BewB
abschliessend aufgezählten Ausnahmefällen, kein berechtigtes Interesse zum Erwerb von Grundstücken dar. Die Nichtigkeit eines solchen Erwerbs ist von Amtes wegen festzustellen (E. 6a).
2.
Art. 52 Abs. 3 ZGB
.
Eine Personenverbindung mit widerrechtlichem oder unsittlichem Zweck erwirbt trotz des Wortlauts von
Art. 52 Abs. 3 ZGB
die Rechtspersönlichkeit mit dem Eintrag ins Handelsregister (Heilungstheorie). Sie muss aber aufgehoben werden. Der Liquidationserlös fällt in Anwendung von
Art. 57 Abs. 3 ZGB
an das Gemeinwesen. Diese Bestimmung hat konfiskatorischen Charakter (E. 6c, Bestätigung der Rechtsprechung).
3. Klagen betreffend Grundstücke und Klagen gegen eine Gesellschaft.
Klagen über Grundstücke (Grundbuchberichtigungsklage, Klage auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes) werden durch den Zivilrichter am Ort der gelegenen Sache beurteilt, während die Klage auf Auflösung einer Gesellschaft von der zuständigen Behörde beim Zivilrichter am Sitz der Gesellschaft einzureichen ist (E. 6b und c). | Erwägungen
ab Seite 188
BGE 107 Ib 186 S. 188
Extraits des considérants
6.
En soumettant au régime de l'autorisation l'acquisition d'immeubles que la recourante a faite en juillet 1975, les autorités cantonales - de première instance et de recours - ont fait une saine application des dispositions de la lex Furgler. Le présent recours de droit administratif est donc en tout point mal fondé. Cette décision d'assujettissement entraîne certaines conséquences pratiques qu'il est nécessaire d'indiquer sommairement ci-dessous.
a) Confirmant la jurisprudence constante de l'ancienne Commission fédérale de recours, l'
art. 6 al. 3 AFAIE
précise que, sauf exceptions énumérées limitativement - et non réalisées en l'espèce - le placement de capitaux ne constitue pas un intérêt légitime à l'acquisition d'immeubles. Dans le cas particulier, cela signifie que, même si elle en avait fait la demande, la société recourante n'aurait pas pu obtenir une autorisation.
En vertu de l'
art. 20 al. 1 et 2 AFAIE
, il y a donc lieu de constater d'office la nullité de l'acquisition, faite par la société Monapax A.G. en juillet 1975, des parcelles Nos 244 et 1139 (de Savigny).
b) A l'exception des cas prévus aux
art. 98 al. 2 et 99 ORF
- non réalisés en l'espèce - la radiation ou la rectification d'une inscription faite indûment au registre foncier ne peut être ordonnée que par le juge civil (
ATF 106 Ib 13
consid. 2,
ATF 98 Ia 186
consid. 2,
ATF 68 I 124
consid. 1,
ATF 65 I 160
). Dans le cas d'une acquisition d'immeuble dont la nullité est constatée après coup, l'action appartient, en principe, à l'ancien propriétaire qui avait été indûment radié du registre foncier (
art. 20 al. 3 AFAIE
), mais l'autorité cantonale habilitée à recourir (selon l'art. 13 al. 1 litt. b AFAIE) peut aussi, dans les conditions de l'
art. 22 AFAIE
, introduire devant le juge civil du lieu de situation de l'immeuble
BGE 107 Ib 186 S. 189
l'action en rétablissement de l'état de droit primitif (
ATF 106 Ib 13
consid. 2). Selon la jurisprudence, le délai de péremption prévu à l'
art. 22 AFAIE
est suspendu durant la procédure administrative par laquelle les autorités compétentes - de première instance et de recours - statuent sur la question de l'assujettissement au régime de l'autorisation ou de l'octroi d'une autorisation (art. 22 al. 2 litt. c AFAIE; voir notamment l'arrêt Brundag A.G. du 12 décembre 1980 p. 14 consid. 2).
Dans le cas particulier, l'administration de la faillite de William Zuber ne peut donc pas simplement porter à l'inventaire les deux parcelles Nos 244 et 1139 que la société Monapax A.G. avait acquises indûment sur le territoire de la commune de Savigny. Il appartient à la masse de la faillite ou, le cas échéant, aux créanciers cessionnaires des droits de la masse (
art. 260 LP
) d'examiner s'il y a lieu d'intenter action devant le juge civil. En outre, il incombe au Département vaudois de l'agriculture, de l'industrie et du commerce - autorité habilitée à recourir dans le canton de Vaud - de vérifier si les conditions d'application de l'
art. 22 AFAIE
sont remplies et, le cas échéant, d'intenter devant le juge civil l'action en rétablissement de l'état de droit primitif. Le Tribunal fédéral n'a pas à se prononcer sur ces questions. Il se borne à communiquer, à titre d'information, une copie de son arrêt (dans le cas particulier, au préposé de l'Office des poursuites et faillites de Lavaux et au Département vaudois de l'agriculture, de l'industrie et du commerce).
c) Par ailleurs, il importe de relever que, selon une jurisprudence récente - mais bien établie -, une société anonyme dont le but est illicite ou contraire aux moeurs acquiert, malgré le texte de l'
art. 52 al. 3 CC
, la personnalité juridique par son inscription au registre du commerce en vertu de la théorie de la guérison (Heilungstheorie). Toutefois, cela ne signifie pas qu'aucune sanction ne pourrait être prise à l'égard de cette société (et de ceux qui en sont les propriétaires économiques). Comme le Tribunal fédéral l'a jugé à deux reprises, il faut déduire du principe énoncé à l'
art. 52 al. 3 CC
en relation avec l'
art. 643 al. 2 CO
qu'une société anonyme ayant un but illicite doit être dissoute et le produit de sa liquidation attribué à une corporation publique, ce en vertu de la disposition impérative de l'
art. 57 al. 3 CC
qui a un effet confiscatoire. Selon CHARLES METZLER (Die Auflösungsgründe im Bereich der Aktiengesellschaft, thèse Berne 1952 p. 21), ce serait aux autorités du registre du commerce de prononcer d'office
BGE 107 Ib 186 S. 190
cette dissolution, mais la doctrine dominante et le Tribunal fédéral considèrent que cette compétence appartient au juge civil (voir notamment PHILIBERT MURET, La notion de but dans les sociétés et les fondations et son application en droit suisse, thèse Lausanne 1941 p. 94 et 95, WILFRED BERTSCH, Die Auflösung der Aktiengesellschaft aus wichtigen Gründen, thèse Zurich 1947 p. 43 et 44, PETER FORSTMOSER et ARTHUR MEIER-HAYOZ, Einführung in das schweiz. Aktienrecht, 2e éd., Berne 1980 p. 278 No 29, WOLFHART BÜRGI, Zürcher Kommentar, n. 64 ad
art. 736 OR
, E. SCHUCANY, Kommentar zum schweiz. Aktienrecht, 2e éd., n. 6 ad
art. 736 OR
p. 181, ROBERT PATRY, Précis de droit suisse des sociétés, Berne 1976 vol. I p. 39). Ainsi, dans le cadre d'une société anonyme ayant son siège en Suisse qui a été créée ou utilisée pour permettre à des personnes à l'étranger d'éluder les dispositions des lois von Moos, Celio ou Furgler sur l'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger, c'est à l'autorité cantonale habilitée à recourir (autorité cantonale de surveillance, en l'espèce le Département de justice et police du canton de Zoug) qu'il incombe d'intenter l'action en dissolution devant le juge civil du lieu où la société a son siège social (voir l'arrêt Bau und Touristik A.G. contre la Commission de recours du canton de Zurich, du 5 mars 1981, ATF 107 Ib No 4, consid. 1 et l'arrêt Futterknecht du 15 mai 1981 ATF 107 Ib No 5, consid. 5b).
Ainsi donc contrairement aux actions visant l'immeuble (action en rectification ou en radiation d'une inscription faite indûment au registre foncier, action en rétablissement de l'état de droit primitif) qui sont portées devant le juge civil du lieu de situation de l'immeuble, l'action en dissolution doit être intentée devant le juge civil du lieu où la société a son siège social par l'autorité compétente en ce lieu.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours, confirme la décision de l'autorité vaudoise de première instance ainsi que celle de la Commission vaudoise de recours en matière foncière de révoquer la décision du 7 mars 1975 et constate que les deux parcelles Nos 244 et 1139 étaient soumises au régime de l'autorisation au sens de la législation sur l'acquisition d'immeubles par des personnes domiciliées à l'étranger. | public_law | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a68044c7-9634-46cd-a1d5-a9f5efc8d388 | Urteilskopf
101 Ib 301
54. Auszug aus dem Urteil vom 17. Oktober 1975 i.S. Wegona AG Basel gegen Regierungsrat des Kantons St. Gallen | Regeste
Gewässerschutz, Baubewilligung. BG vom 8. Oktober 1971 (GSchG).
Allgemeine Gewässerschutzverordnung des Bundesrates vom 19. Juni 1972/6. November 1974 (AGSchV).
1. Verhältnis zwischen
Art. 19 und 20 GSchG
, Auslegung des ungenau gefassten Art. 20. Begriff der Bauzone im Sinne des GSchG: Das in der Zonenordnung der Gemeinde ausgeschiedene "übrige Gemeindegebiet" fällt nicht darunter, obwohl das kantonale Recht dort nicht nur der Land- und Forstwirtschaft oder öffentlichen Interessen dienende, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch andere Bauten zulässt (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2a und b).
2. Sachlich begründetes Bedürfnis (
Art. 20 GSchG
;
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
in der Fassung vom 6. November 1974). Im "übrigen Gemeindegebiet" dürfen Wohnhäuser, deren Zweckbestimmung den beanspruchten Standort nicht bedingt, nicht gebaut werden, selbst wenn sie an eine Kanalisation angeschlossen werden könnten (Erw. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 302
BGE 101 Ib 301 S. 302
Die politische Gemeinde Eggersriet (SG) hat am 16. Dezember 1970 ein Baureglement mit Zonenplan erlassen. Für den zur Gemeinde gehörenden Weiler Fürschwendi gelten die Vorschriften der Wohn- und Gewerbezone WG 2. Das den Weiler umgebende Areal ist zum "übrigen Gemeindegebiet" geschlagen. In diesem Gebiet sind nach Art. 21 des Baugesetzes des Kantons St. Gallen vom 6. Juni 1972 Bauten und Anlagen zugelassen, die der land- und forstwirtschaftlichen oder gartenbaulichen Nutzung, der Versorgung mit Wasser oder Energie oder einem anderen öffentlichen Interesse dienen (Abs. 1); immerhin können auch andere Bauten und Anlagen bewilligt werden, wenn die Erschliessung, insbesondere die
BGE 101 Ib 301 S. 303
Abwasserreinigung, sichergestellt ist, das Landschafts- und Ortsbild nicht beeinträchtigt wird, die plangemässe bauliche Entwicklung der Gemeinde nicht gestört wird und der Gemeinde keine Aufwendungen für die Erschliessung erwachsen (Abs. 2).
Die Wegona AG Basel kaufte am 10. Juni 1972 das 3583 m2 messende Wiesengrundstück Nr. 887 in Eggersriet zum Preise von Fr. 75'243.--. Die Parzelle ist amtlich auf Fr. 70'000.-- geschätzt, d.h. als Bauland. Sie liegt nahe beim Weiler Fürschwendi im "übrigen Gemeindegebiet". Sie grenzt im Süden an eine den Weiler durchquerende Strasse. Im Grundstück ist längs der Strasse eine private Trinkwasserleitung verlegt. Nördlich führt in einigen Metern Entfernung vom Grundstück eine private Kanalisationsleitung vorbei.
Die Wegona AG verlangte die Bewilligung für den Bau von vier Einfamilienhäusern auf dem gekauften Land. Der Gemeinderat Eggersriet lehnte das Gesuch ab. Auf Beschwerde der Gesuchstellerin hin schützte der Regierungsrat des Kantons St. Gallen diese Verfügung gestützt auf
Art. 20 GSchG
und
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
in der Fassung vom 6. November 1974. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Wegona AG gegen den Entscheid des Regierungsrates wird vom Bundesgericht abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a)
Art. 19 und 20 GSchG
enthalten Grundsätze, die für die Beurteilung von Gesuchen um Baubewilligungen massgebend sind. Art. 19 betrifft Bauten innerhalb der Bauzonen oder, wo solche fehlen, innerhalb des im generellen Kanalisationsprojekt (GKP) abgegrenzten Gebietes. In Art. 20 ist von Bauten ausserhalb des im GKP abgegrenzten Gebietes die Rede, doch ist diese Bestimmung als Korrelat zu Art. 19 zu verstehen, in dem Sinne, dass sie sich auf das Gebiet ausserhalb der Bauzonen oder, wo solche fehlen, ausserhalb des Perimeters des GKP bezieht (
BGE 101 Ib 66
E. 5a, 193 E. 2). Gemäss
Art. 28 AGSchV
dürfen in Gemeinden, die weder über Bauzonen noch über ein GKP verfügen, Baubewilligungen nach
Art. 19 GSchG
nur innerhalb des engeren Baugebietes, welches das erschlossene und vor der Erschliessung stehende
BGE 101 Ib 301 S. 304
Land umfasst, erteilt werden. Bauten ausserhalb bestehender Bauzonen dürfen nach
Art. 20 GSchG
nur bewilligt werden, wenn der Gesuchsteller ein sachlich begründetes Bedürfnis nachweist.
b) Die Gemeinde Eggersriet besitzt eine Zonenordnung mit Ausscheidung von Bauzonen. Die Liegenschaft der Beschwerdeführerin befindet sich im nicht eingezonten "übrigen Gemeindegebiet", also ausserhalb der Bauzonen, wenn auch in der Nähe einer Wohn- und Gewerbezone, des Weilers Fürschwendi. Nach dem st. gallischen Baugesetz ist allerdings das Bauen im "übrigen Gemeindegebiet" nicht grundsätzlich untersagt. Dieses Gesetz lässt dort auch Wohnhäuser zu, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind; u.a. muss die Erschliessung, namentlich die Abwasserreinigung, sichergestellt sein und dürfen der Gemeinde keine Erschliessungskosten erwachsen. Indessen kann unter einer Bauzone im Sinne des GSchG nur ein nach der massgebenden Planung für die Überbauung vorgesehenes Gebiet verstanden werden. Es gilt, die Streubauweise einzudämmen; das ist ein Ziel der neuen Gesetzgebung des Bundes über den Gewässerschutz. Würde nicht eingezontes, dem "übrigen Gemeindegebiet" zugeteiltes Land deshalb, weil dort nach dem kantonalen Recht ausnahmsweise auch Wohnhäuser gebaut werden können, ebenfalls zur Bauzone im Sinne des GSchG gerechnet, so wäre aber eine Streubauweise in weitem Ausmass möglich, sobald der Eigentümer die Erschliessung auf eigene Kosten an die Hand nimmt. Damit würde die Erreichung des raumplanerischen Zweckes der
Art. 19 und 20 GSchG
in Frage gestellt. Es entspricht deshalb dem Sinne dieses Gesetzes, das "übrige Gemeindegebiet" nicht als Bauzone zu betrachten (
BGE 101 Ib 195
E. 2c).
Auf das Bauvorhaben der Beschwerdeführerin ist daher
Art. 20 GSchG
anzuwenden, obwohl das Grundstück Nr. 887 offenbar weitgehend erschlossen ist, insbesondere an eine in der Nähe vorbeiführende private Kanalisationsleitung angeschlossen werden könnte.
c) Die von der Beschwerdeführerin geplanten Bauten könnten somit nach
Art. 20 GSchG
nur bewilligt werden, wenn für sie ein sachlich begründetes Bedürfnis nachgewiesen wäre. Wann ein solches anzunehmen ist, bestimmt
Art. 27 AGSchV
näher. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Unrecht, dass der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid
BGE 101 Ib 301 S. 305
vom 8. April 1975 auf die neue Fassung des
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
gemäss Novelle vom 6. November 1974, die am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist, abgestellt hat. Auch in dieser Beziehung gilt der Grundsatz, dass das neue Recht auf alle Fälle, die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens hängig waren, anwendbar ist. Übrigens sind durch die Revision vom 6. November 1974 die Anforderungen, welche die ursprüngliche Fassung des
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
hinsichtlich des sachlich begründeten Bedürfnisses gestellt hatte, gelockert worden; die Änderung wirkt sich also zugunsten der Gesuchsteller aus, so dass diese durch die Anwendung des neuen Textes nicht beschwert sind.
Nach der neuen Fassung des
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
gilt das Bedürfnis für eine Baute ausserhalb der Bauzonen als sachlich begründet, wenn die Zweckbestimmung der Baute den beanspruchten Standort bedingt und dem Bauvorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Die Bauten, welche die Beschwerdeführerin erstellen will, sind aber nicht an den vorgesehenen Standort gebunden. Sie fänden ihren rechtlich zulässigen Platz innerhalb des eingezonten Baugebietes. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in Eggersriet nur über das Grundstück Nr. 887 verfügt, ist kein Grund, anders zu entscheiden. Es ist allerdings begreiflich, dass sie auf der von ihr zu einem Baulandpreis erworbenen Parzelle will bauen können, doch vermag ihr subjektives Bedürfnis, auch wenn es dringend ist, die erforderliche Standortgebundenheit nicht zu begründen. Ob dem Bauvorhaben auch überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
entgegenstehen, braucht nicht geprüft zu werden; denn ein sachlich begründetes Bedürfnis fehlt ohnehin, weil die Zweckbestimmung der Bauten den beanspruchten Standort nicht bedingt.
Die - hier bestehende - Möglichkeit des Anschlusses an eine Kanalisation ersetzt in keinem Fall die Erfordernisse für die Anerkennung eines sachlich begründeten Bedürfnisses, wie
Art. 27 Abs. 1 AGSchV
im letzten Satz ausdrücklich bestimmt. Diese Vorschrift ist eine selbstverständliche Folge der gesetzlichen Ordnung; in der Tat ginge die begrenzende Wirkung des in
Art. 20 GSchG
gezogenen Perimeters zu einem erheblichen Teil verloren, wenn für die Bewilligung von Bauten ausserhalb der Bauzonen schon die Möglichkeit des Anschlusses
BGE 101 Ib 301 S. 306
an eine Kanalisation genügte (nicht veröffentlichtes Urteil Immobiliare Eralda SA und Mitbeteiligte vom 27. Juni 1975, E. 2c).
Ist demnach im vorliegenden Fall ein sachlich begründetes Bedürfnis im Sinne von
Art. 20 GSchG
und
Art. 27 AGSchV
nicht nachgewiesen, so verstösst der angefochtene Entscheid des Regierungsrates nicht gegen die bundesrechtliche Ordnung des Gewässerschutzes. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a684e368-561f-473c-84dc-8203e8990ed0 | Urteilskopf
97 I 455
61. Auszug aus dem Urteil vom 9. Juli 1971 i.S. Schellner gegen Gregorzewski und Eidg. Oberzolldirektion. | Regeste
Freigabe eines Zollpfandes.
Voraussetzungen (
Art. 121 Abs. 3 und
Art. 122 Abs. 2 ZG
).
Ist das Eigentum an den als Zollpfänder beschlagnahmten Gegenständen umstritten, kann eine Freigabe der Pfänder erst erfolgen, wenn mit genügender Sicherheit vorfrageweise über das Eigentum an ihnen entschieden werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 455
BGE 97 I 455 S. 455
Aus dem Tatbestand:
Der in Düsseldorf wohnhafte Juwelier Leo Schellner übergab in der Zeit von Dezember 1969 bis anfangs März 1970 dem ebenfalls in Düsseldorf niedergelassenen Kaufmann Herbert Gregorzewski vier Auswahlsendungen Edelsteine und Schmuckwaren, damit dieser sie verkaufe. Gregorzewski führte den Schmuck zwischen Januar und anfangs März 1970 unter Umgehung der Zollkontrolle in die Schweiz ein. Er hinterzog
BGE 97 I 455 S. 456
dadurch einen Einfuhrzoll von Fr. 32.50 und Fr. 75'667.01 an Warenumsatzsteuern. Den Schmuck veräusserte oder verpfändete er zum Teil; 13 Schmuckstücke deponierte er in einem Schrankfach des Schweizerischen Bankvereins in Zürich, wo sie - auf Anzeige Schellners hin - von der Zollverwaltung am 30. April 1970 als Zollpfänder beschlagnahmt wurden. Gregorzewski verlangte in der Folge von der Zollverwaltung die Herausgabe der Zollpfänder gegen Leistung einer Sicherheit. Schellner widersetzte sich diesem Begehren; er nahm in Anspruch Eigentümer der Schmuckstücke geblieben zu sein und verlangte deren Herausgabe an ihn selbst.
Am 19. März 1970 verfügte die Zollkreisdirektion II, die Pfänder würden gegen eine Barhinterlage von Fr. 250'000.-- an Gregorzewski herausgegeben, sofern nicht innert 10 Tagen ein amtlicher Nachweis erbracht werde, dass die Pfänder Eigentum einer Drittperson seien. Diese Verfügung teilte sie auch Schellner mit, der sich am 4. Juni 1970 dagegen bei der Oberzolldirektion beschwerte. Diese wies Schellners Beschwerde am 2. November 1970 ab.
Gegen diesen Entscheid führt Schellner Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt:
"1. Der Entscheid der Oberzolldirektion vom 2. November 1970 sei aufzuheben und es sei demgemäss das Zollpfand in Bezug auf sämtliche bei Herbert Gregorzewski beschlagnahmten Edelsteine und Schmuckstücke aufzuheben sowie die Zollkreisdirektion II zu verpflichten, sämtliche Gegenstände unbeschwert an den Beschwerdeführer als rechtmässigem Eigentümer herauszugeben;
2. Eventuell sei die Zollkreisdirektion II zu verpflichten, die beschlagnahmten Waren in Pfand zu halten und sie dem Beschwerdeführer dann herauszugeben, sobald dieser mit rechtskräftigem Gerichtsurteil sein Eigentum an diesen Waren nachgewiesen hat;
3. Sofern die Rechtslage vor Herausgabe der beschlagnahmten Ware gemäss Ziff. 1. + 2. dieser Rechtsbegehren die Auferlegung einer Barkaution für Zoll, Warenumsatzsteuer und Kosten nötig machen sollte und soweit dies rechtlich zulässig ist, sei die Höhe des betreffenden Betrages in einem den Umständen angemessenen Rahmen festzulegen;
4. Es sei dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zu verleihen."
Die Vorinstanz beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Gregorzeweski verlangt die kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
Der Beschwerde wurde aufschiebende Wirkung erteilt.
BGE 97 I 455 S. 457
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
An Waren, für die die Zollpflicht besteht, und an Gegenständen, die der Verletzung zollrechtlicher oder anderer Erlasse gedient haben, bei deren Handhabung die Zollverwaltung mitwirkt, besteht ein gesetzliches Pfandrecht des Bundes (Zollpfandrecht), das die in
Art. 120 Abs. 2 ZG
genannten Forderungen sichert. Die Zollverwaltung kann das Zollpfand, solange die dadurch gesicherte Forderung nicht bezahlt ist, beschlagnahmen.
a) Es ist unbestritten, dass zufolge der illegalen Einfuhr der von Schellner an Gregorzewski ausgehändigten Schmuckstücke in die Schweiz Zoll- und Warenumsatzsteuerforderungen entstanden sind, die noch nicht bezahlt wurden und für die deshalb die genannten Wertsachen grundsätzlich haften. Die Beschlagnahme ist deshalb zu Recht erfolgt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Eigentümer der Waren, die eingeführt werden, diese selber über die Grenze bringt oder ob ein Dritter für ihn handelt.
Haftet der Eigentümer des Zollpfandes nicht persönlich für die gesicherte Forderung, kann er sich der Verwertung des Pfandes widersetzen, wenn er beweist, dass die Gegenstände ihm gegen seinen Willen und rechtswidrigerweise weggenommen und zur Begehung einer Zuwiderhandlung benutzt worden sind (
Art. 122 Abs. 2 ZG
). Leistet der Eigentümer diesen Nachweis, den er jederzeit erbringen kann, darf das Zollpfand nicht verwertet werden, die Beschlagnahme ist dann aufzuheben (
BGE 73 I 425
E. 3,
BGE 79 I 196
E. 5). Wer sich auf
Art. 122 Abs. 2 ZG
beruft, hat jedoch die darin geforderten Voraussetzungen nachzuweisen. Der Beweis dafür muss einwandfrei sein (Art. 119 Abs. 4 der Vollziehungsverordnung zum Zollgesetz vom 10. Juli 1926, BS 6, 589).
b) Eine Freigabe des Zollpfandes ohne Sicherheitsleistung nach
Art. 121 Abs. 3 ZG
kann der Eigentümer nur verlangen, wenn er nicht persönlich für die dadurch gesicherten Forderungen haftet.
Wie weit diese Voraussetzung inbezug auf den Beschwerdeführer erfüllt ist, steht zur Zeit noch nicht fest. Schellner bestreitet jede persönliche Haftbarkeit. Da darüber jedoch noch nicht rechtskräftig entschieden ist, könnte eine allfällige Herausgabe
BGE 97 I 455 S. 458
der Pfänder an den Beschwerdeführer nur gegen Sicherstellung des Betrages, für den er schlimmstenfalls zu haften hat, erfolgen. Darum und auch weil - wie sich ergeben wird - selbst für den Fall, dass Schellner nicht persönlich haften sollte, die Pfänder an ihn nicht ohne Sicherheitsleistung herausgegeben werden könnten, besteht keine Veranlassung, den Entscheid der Zollrekurskommission abzuwarten.
4.
Abgesehen davon, dass nicht feststeht, dass der Beschwerdeführer für die durch das Zollpfand gesicherten Forderungen nicht persönlich haftet, fehlt es im vorliegenden Fall am einwandfreien Nachweis der übrigen Voraussetzungen des
Art. 122 ZG
für die Freigabe des Zollpfandes.
a) Es fehlt vorab am Nachweis, dass der Beschwerdeführer Eigentümer der beschlagnahmten Waren ist. Wohl gehen die Urteile des Landgerichtes Düsseldorf davon aus, dass er der Eigentümer der Waren sei. Allein diese Urteile sind nicht rechtskräftig, weil Gregorzewski gegen sie Berufung eingelegt hat. Nach den von Gregorzewski eingelegten mit Schellner abgeschlossenen Verträgen, aufgrund deren ihm von Schellner die Wertsachen ausgehändigt wurden, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Eigentum an ihnen auf ihn überging, als er den Willen zum Ausdruck brachte, die Wertsachen zu behalten und den Kaufpreis durch Verrechnung zu tilgen. Auch die vorläufige Verfügung des Einzelrichters des Bezirksgerichts Zürich geht zwar von der Annahme aus, Schellner habe sein Eigentum glaubhaft gemacht; in ihr liegt jedoch kein sicherer Nachweis des Eigentums. Schliesslich macht Schellner selbst geltend, der beschlagnahmte Saphir im Werte von 180'000 DM gehöre nicht ihm und er habe ihn selber nur in Kommission erhalten. Mindestens hinsichtlich dieses Schmuckstückes müsste die Beschlagnahme schon deshalb aufrechterhalten bleiben, weil der nach seinen Aussagen rechtmässige Eigentümer kein Herausgabebegehren gestellt hat, das Gegenstand des vorliegenden Verfahrens wäre.
b) Es fehlt im weiteren auch am Nachweis, dass dem Beschwerdeführer die Gegenstände gegen seinen Willen und rechtswidrigerweise weggenommen worden sind.
Die Wertsachen sind Gregorzewski durch Schellner unbestrittenermassen anvertraut worden. (Welches die Natur des zwischen ihnen bestehenden Vertragsverhältnisses ist bzw. war,
BGE 97 I 455 S. 459
kann dahingestellt bleiben.) Sie wurden auch bereits in die Schweiz verbracht, bevor Schellner sich auf den Standpunkt stellte, Gregorzewski sei widerrechtlich in ihrem Besitz verblieben und habe sie veruntreut. Aus Schellners Darlegungen im Beschwerdeverfahren vor der Oberzolldirektion ergibt sich nämlich, dass er erst auf die Messe in Hannover hin (spätestens auf den 24. April 1970) mit Gregorzewski abmachte, er müsse die Schmucksachen nach Deutschland zurückbringen. Den Aussagen des Beschwerdeführers im Zolluntersuchungsverfahren kann überdies entnommen werden, dass er aufgrund des Verhaltens von Gregorzewski zumindest damit gerechnet hat, dass dieser die Waren unter Umgehung der Zollkontrolle in die Schweiz verbringen würde. Schellner hat allerdings nachträglich behauptet, er sei vom einvernehmenden Beamten unter Druck gesetzt und zur Abgabe unrichtiger ihn belastender Erklärungen genötigt worden; dies erscheint jedoch nach den gesamten Umständen völlig unglaubwürdig.
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann sich der Eigentümer einer Sache, der nicht wusste, dass die von ihm einem andern anvertrauten Sachen zur Begehung einer Zollübertretung benutzt werden würden, nicht auf
Art. 122 Abs.2 ZG
berufen (
BGE 90 I 58
; Urteil vom 9. Juli 1971 i.S. E. SA). Erst recht ist die Berufung darauf dem Eigentümer versagt, der wusste, dass sein Partner möglicherweise gegen die Zollvorschriften verstossen werde und das in Kauf genommen hat mit der Begründung, es sei Sache seines Partners, darüber zu entscheiden, wie er vorgehen wolle. Die Zollpfänder haften demnach selbst, wenn Schellner der Nachweis seines Eigentums glücken sollte, auch für die Forderung gegen Gregorzewski.
Das Hauptbegehren des Beschwerdeführers (Ziff. 1 der Beschwerdeanträge) um unbeschwerte Herausgabe sämtlicher bei Gregorzewski beschlagnahmter Edelsteine und Schmuckstücke erweist sich demnach als unbegründet; es ist mithin abzuweisen.
5.
Nach
Art. 121 Abs. 3 ZG
kann der beschlagnahmte Gegenstand gegen Sicherstellung freigegeben werden. Gregorzewski fordert diese Freigabe, während der Beschwerdeführer sich ihr widersetzt und mit seinem Eventualbegehren verlangt, die Zollpfänder seien ihm herauszugeben, sobald er mit rechtskräftigem Urteil sein Eigentum an der Ware nachgewiesen
BGE 97 I 455 S. 460
habe, eventuell gegen Barkaution (Ziff. 3 der Beschwerdeanträge).
a)
Art. 121 Abs. 3 ZG
ist eine Kann-Vorschrift. Ob die Zollbehörde ein Zollpfand gegen Sicherheit herausgeben will, wenn die Pflicht zur Zollzahlung bestritten ist oder der strittige Zollbetrag noch nicht rechtskräftig festgesetzt ist, liegt in ihrem pflichtgemässen Ermessen. Die Bestimmung sagt jedoch nicht, wem im Falle der Sicherstellung das Zollpfand herausgegeben werden kann. Dies wird in der Regel der sog. Warenführer sein, bei dem das Zollpfand beschlagnahmt wurde. Vom Standpunkt der Zoll- und Steuererhebung wäre es an sich gleichgültig, wem die Zollpfänder zurückgegeben werden; der Fiskus ist einzig an der Entrichtung des Zolles und der Steuern interessiert. Daher liesse sich auch die Meinung vertreten, die Zollbehörde habe sich um das zwischen mehreren Ansprechern bestehende Rechtsverhältnis überhaupt nicht zu kümmern, sie dürfe mithin die Zollpfänder ohne weiteres demjenigen Ansprecher herausgeben, bei dem sie beschlagnahmt wurden.
Diese Lösung, so einfach und zweckmässig sie vom Standpunkt der Verwaltung auch sein mag, liegt dem Zollgesetz nicht zugrunde. Wenn nämlich
Art. 122 Abs. 2 ZG
vorsieht, dass das Zollpfand dem Eigentümer unbeschwert herausgegeben wird, wenn er die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt, muss daraus abgeleitet werden, dass die Zollverwaltung in einem Fall, da der Warenführer die Ware gegen Sicherheitsleistung auslösen will und gleichzeitig ein Dritter in Behauptung seines Eigentumsrechtes die unbeschwerte Herausgabe nach
Art. 122 Abs. 2 ZG
verlangt, zur Eigentumsfrage Stellung nehmen muss. Sie hat dies in rechtsgenügender Weise zu tun und darf sich nicht mit Vermutungen zufrieden geben. Es ist kein Grund ersichtlich, es anders zu halten, wenn zwei Ansprecher auftreten und die Herausgabe gegen Sicherheit verlangen mit der Behauptung, sie seien Eigentümer. Auch in diesem Falle hat die Zollbehörde über die Eigentumsfrage zu entscheiden. Das hat die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung auch anerkannt. Die Zollverwaltung mag in eindeutigen Fällen ohne weitere Erhebungen dazu in der Lage sein. Sie kann aber, wenn die Rechtslage unklar ist, von den Ansprechern weitere Beweismittel verlangen und in schwierigen Fällen auch fordern oder verlangen, dass die Ansprecher ihr Eigentum durch gerichtliches Urteil oder durch ein gleichwertiges Beweismittel nachweisen. Dass
BGE 97 I 455 S. 461
das Urteil in der Schweiz vollstreckbar sei, ist nicht unbedingt erforderlich.
Muss die Zollbehörde über das Eigentum vorfrageweise entscheiden, ergibt sich von selbst, dass es ihr solange verwehrt ist, beschlagnahmte Waren gegen Sicherstellung an einen der Ansprecher herauszugeben, als erhebliche Anhaltspunkte für den Bestand von Eigentumsansprüchen eines Dritten sprechen; dies insbesondere, solange Rechtsmittel des Dritten zum rechtsgenüglichen Nachweis seines Eigentumsanspruches hängig sind.
b) Der Beschwerdeführer kann sich zum Nachweis seiner Eigentumsansprüche auf ein für ihn günstiges - allerdings angefochtenes - Gerichtsurteil berufen. (Der Rechtsstreit zwischen Schellner und Gregorzewski über das Eigentum an den beschlagnahmten Waren ist in Deutschland vor der Berufungsinstanz hängig.) Es liegt ausserdem eine Verfügung eines schweizerischen Richters vor, in welcher der Standpunkt des Beschwerdeführers für nicht offensichtlich aussichtslos gehalten und der Zollverwaltung bis zum Erlass einer weiteren Verfügung verboten wird, die als Zollpfand beschlagnahmten Wertsachen an Gregorzewski oder eine für ihn handelnde Drittperson herauszugeben.
Angesichts des Umstandes, dass einerseits die Eigentumsfrage umstritten und unklar ist und anderseits erhebliche Anhaltspunkte für den Bestand von Eigentumsansprüchen des Drittansprechers bestehen, hat die Zollverwaltung das ihr eingeräumte pflichtgemässe Ermessen insofern überschritten, als sie dem Beschwerdeführer eine zur Verwirklichung der Absichten des Gesetzes völlig ungenügende zehntägige Frist angesetzt hat, nach deren Ablauf sie die Sache an Gregorzewski aushändigen will. Die einem Ansprecher zu überbindende Auflage des Eigentumsnachweises muss derart sein, dass dieser ihr auch tatsächlich in geeigneter Form nachkommen kann. Wohl darf die Zollverwaltung ihren Entscheid über die Herausgabe nicht auf unbestimmte Zeit aufschieben; das ändert indessen nichts daran, dass Schellner die Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Mittel zum Nachweis des Eigentums auszuschöpfen. Er hat dabei den Rechtsweg ohne Verzug zu beschreiten bzw. ohne Unterbrechung fortzusetzen. Hierzu ist er, unter Androhung, dass andernfalls die Zollpfänder gegen Sicherheit oder Bezahlung der geschuldeten Abgaben an Gregorzewski ausgeliefert
BGE 97 I 455 S. 462
werden, aufzufordern. Liegt ein rechtskräftiges Urteil vor, hat die Zollverwaltung endgültig zu entscheiden, wem sie die Sachen herausgeben will.
c) Der Eventualantrag des Beschwerdeführers (Ziff. 2 der Beschwerdeanträge) erweist sich daher im Sinne der vorhergehenden Erwägungen als begründet. Der Zollbehörde ist es einstweilen verwehrt, die beschlagnahmte Ware gegen Sicherstellung herauszugeben. Sie hat die Zollpfänder so lange zurückzubehalten, bis mit genügender Sicherheit vorfrageweise über das Eigentum an ihnen entschieden werden kann.
Dabei kann die Frage unentschieden bleiben, ob eine einzelrichterliche Verfügung, wie sie der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall erwirkt hat, die Zollbehörde zu verpflichten vermag; dies deshalb, weil eine Herausgabe der Wertsachen zurzeit schon aus zollrechtlichen Gründen nicht in Frage kommt.
d) Auch im Falle des Eigentumsnachweises durch den Beschwerdeführer wird das Zollpfand nur gegen Sicherheitsleistung herauszugeben sein; über eine allfällige Sicherheitsleistung braucht jedoch zurzeit nicht befunden zu werden. Der in Ziff. 3 der Beschwerdebegehren gestellte Antrag ist somit gegenstandslos.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird im Hauptbegehren abgewiesen und im Eventualbegehren im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a6879bdc-245c-447b-9671-ce65a033a545 | Urteilskopf
117 Ib 42
8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. März 1991 i.S. Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege gegen Burgergemeinde und Politische Gemeinde Zermatt, Departement für Umwelt des Kantons Wallis sowie Eidgenössisches Departement des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 22 ff. RPG
,
Art. 2 lit. c NHG
und Forstrecht; Subventionierung und technische Projektgenehmigung einer Forststrasse; Koordination der Rechtsanwendung.
Koordination im Rahmen eines kantonalen Strassen-Plangenehmigungsverfahrens, welches das Baubewilligungsverfahren ersetzen soll (E. 2).
Für Forststrassen muss eine Baubewilligung eingeholt werden. Zwischen den Fragen des Natur- und Heimatschutzes, der Raumplanung und des Forstrechts besteht in der Regel ein enger Sachzusammenhang (E. 3b).
Auch bei einem Projekt, dessen Beurteilung in erster Instanz teilweise in die Kompetenz kantonaler oder kommunaler Behörden und im übrigen in die Zuständigkeit einer Bundesbehörde fällt, besteht die Pflicht zur materiell und verfahrensmässig frühzeitig koordinierten Rechtsanwendung. Folgen mangelnder Koordination (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 117 Ib 42 S. 43
Die Burgergemeinde Zermatt beabsichtigt, gestützt auf den Generellen Gesamtplan zur Erschliessung der Waldungen von Zermatt vom Oktober 1980 und ihren vom Umweltschutzdepartement des Kantons Wallis am 12. September 1986 genehmigten Wirtschaftsplan, eine Forststrasse zu erstellen. Es geht dabei um das den Abschnitt 13 bis 17 dieses Gesamtplans betreffende Forststrassenprojekt Winkelmatten/Wichje - Uesseri Wälder - Ried. Nach dem technischen Bericht zu diesem Projekt vom 9. Februar 1987 ist das ganze Gebiet der "Uesseri Wälder" bis heute noch vollständig unerschlossen. Eine rationelle Waldbewirtschaftung sei aber nur durch zeitgemässen Abtransport des Holzes zu erreichen, was den Bau von Forstwegen erfordere. Die Bauherrschaft betreibe in den Wichjen direkt am Beginn der geplanten Strasse beim Dorf Zermatt eine Sägerei.
Der Wald, durch den die Strasse führen solle, stehe im Eigentum der Burgergemeinde. In Wichjen/Brachje (ca. 300 m) und im Ried (ca. 400 m), wo die Strasse ins Privateigentum zu liegen komme, habe der Bodenerwerb durch Expropriation zu erfolgen. Betroffen sind u.a. auch Wiesen-, Acker- und Weideparzellen.
Gestützt auf ein Subventionsgesuch der Burgergemeinde Zermatt für die geplante Forststrasse hat der Staatsrat des Kantons Wallis an seiner Sitzung vom 4. Mai 1988 beschlossen:
"d'approuver le projet de chemin forestier 'Wichje-Ried' présenté par la
commune de Zermatt et de mettre les travaux qui y sont prévus et estimés à
Fr. 1'630'000.-- au bénéfice d'une subvention de 17% des dépenses
effectives et de Fr. 277'100.-- au maximum.
Les conditions de la Commission cantonale pour la protection de la nature
font partie intégrante de la présente décision et sont transmises à
l'inspecteur forestier du IIIe arrondissement dans le but d'être
appliquées.
BGE 117 Ib 42 S. 44
La commune est rendue attentive au fait que les subsides ne seront versés
que dans les limites des disponibilités budgétaires."
Diesem Entscheid liegen positive Beurteilungen des kantonalen Planungsamts, der kantonalen Naturschutzkommission und des Forstinspektorats des III. Kreises zugrunde. Der Forstinspektor hält in seiner Beurteilung vom 9. August 1982 fest: "Die touristische Bedeutung dieser Forststrasse geht der forstlichen voran." Er stimmt dem Projekt zu und erklärt, im Ausführungsbericht seien unbedingt festzuhalten: "Sorgfältige Arbeitsausführung; alle Mauerwerke in Naturstein; Aufräumung nach Werkabschluss." Die kantonale Naturschutzkommission knüpfte ihre Zustimmung vom 25. August 1982 an folgende Bedingung: "La modification de la route en une piste de ski devra passer obligatoirement par une demande de défrichement."
Gestützt auf den erwähnten Staatsratsbeschluss vom 4. Mai 1988 hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) mit Verfügung vom 27. Juni 1988 das Waldprojekt "Wichje-Ried" der Burgergemeinde Zermatt mit einem Gesamtkostenvoranschlag von Fr. 1'630'000.-- auf Antrag des Bundesamtes für Forstwesen vom 11. Mai 1988 technisch genehmigt und in Anwendung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen an die erste Etappe (Kostenvoranschlag Fr. 400'000.--) Bundesbeiträge von Fr. 120'000.-- zugesichert.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 1988 an den Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) erhob die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege (SL) Beschwerde gegen die Subventionsverfügung vom 27. Juni 1988. Sie erklärt darin, sie habe das Bundesamt für Forstwesen und Landschaftsschutz am 12. September 1988 ersucht, ihr die Subventionsverfügung zu eröffnen. Diesem Begehren sei das Bundesamt am 16. September 1988 nachgekommen. In der erwähnten Beschwerde stellt die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege folgende Anträge:
"Es sei die angefochtene Verfügung über einen Bundesbeitrag von
Fr. 120'000.-- an die erste Etappe des Waldstrassenprojektes aufzuheben.
Gleichzeitig sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu geben.
Ferner sei der Nachweis für ein überwiegendes forstliches Interesse an
der Realisierung dieses Projektes und seine Verträglichkeit mit den
Erfordernissen des Natur- und Landschaftsschutzes zu erbringen. Dazu
gehört auch der Nachweis, dass durch den Strassenbau keine erheblichen für
das Landschaftsbild und die Natur nachteiligen Folgen entstehen oder
ausgelöst werden.
BGE 117 Ib 42 S. 45
Nur unter diesen Voraussetzungen wäre die SL allenfalls bereit, diese
Beschwerde zurückzuziehen.
Ausserdem sei der Kanton anzuhalten, ein ordentliches
Baubewilligungsverfahren für dieses Vorhaben durchzuführen."
Diese Beschwerde wurde vom Eidgenössischen Departement des Innern am 25. Oktober 1988 zuständigkeitshalber dem Bundesgericht übermittelt.
Mit Präsidialverfügung vom 9. Dezember 1988 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung beigelegt.
Am 13. März 1989 teilte der Vertreter des WWF Schweiz und des WWF Sektion Wallis dem Bundesgericht mit, im Amtsblatt vom 3. März 1989 sei das Baugesuch für die Waldstrasse "Wichje-Ried" ausgeschrieben worden, und die genannten Organisationen hätten gegen das Projekt Einsprache erhoben. Auf Anfrage des Bundesgerichts schrieb das Baudepartement des Kantons Wallis am 31. Januar 1991, für das erwähnte Strassenvorhaben werde ein kantonales Plangenehmigungsverfahren durchgeführt, welches die koordinierte Beurteilung des Projekts erlauben solle. Im Rahmen dieses Verfahrens sei ein Augenschein mit Einigungsverhandlung erforderlich. Dieser könne jedoch erst nach der Schneeschmelze, also im Frühjahr 1991, stattfinden.
In seiner Stellungnahme zum genannten Schreiben des Baudepartements äussert das EDI die Meinung, es sei zweckmässig, das bundesgerichtliche Verfahren bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen kantonalen Plangenehmigungsverfügung zu sistieren. Es führt weiter aus, im kantonalen Plangenehmigungsverfahren müsse geprüft werden, ob das Projekt allen einschlägigen Gesetzgebungen entspreche. Der kantonale Entscheid habe den Anforderungen an eine umfassende Interessenabwägung im Sinne der neuesten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu genügen (
BGE 116 Ib 309
ff.).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Zur Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 116 Ib 311
E. 1).
2.
a) Zum Antrag der SL, der Kanton Wallis sei anzuhalten, ein ordentliches Baubewilligungsverfahren für das umstrittene Vorhaben durchzuführen, hat der Staatsrat in seiner ersten Vernehmlassung vom 23. Dezember 1988 erklärt, die Vorschriften über das kantonale Baubewilligungsverfahren würden zur Zeit revidiert. Bei dieser Gelegenheit werde auch die öffentliche Auflage der forstlichen Projekte sowie die Koordination der
BGE 117 Ib 42 S. 46
baurechtlichen Bewilligung und der subventionsrechtlichen Genehmigungen überprüft. Im vorliegenden Fall sei die Bewilligung jedoch gemäss dem bisherigen Verfahren bereits erteilt worden, wobei das Subventionsverfahren gleichzeitig als Baubewilligungsverfahren gelte.
Am 31. Januar 1991 teilte das Baudepartement des Kantons Wallis dem Bundesgericht mit, in Ausführung der bundesrechtlich vorgeschriebenen Koordinationspflicht sei die Rechtsabteilung des Baudepartements mit der Instruktion von Plangenehmigungsverfahren für den Bau, die Koordination und die Instandstellung öffentlicher Verkehrswege betraut worden. Die Plangenehmigungsverfahren für kantonale und kommunale Strassenbauvorhaben (Kantonsstrassen, kommunale Erschliessungsstrassen, Forst- und Meliorationsstrassen mit Einschluss der Waldwege) richteten sich nach den Vorschriften des kantonalen Strassengesetzes vom 3. September 1965 (Art. 38 ff.). Dieses Strassen-Plangenehmigungsverfahren ersetze das ordentliche Baubewilligungsverfahren. Gestützt auf diese Verfahrensordnung sei das Waldstrassenprojekt "Wichje-Ried" im kantonalen Amtsblatt vom 3. März 1989 zur öffentlichen Vernehmlassung ausgeschrieben worden. Das Baudepartement habe anschliessend unter ausdrücklichem Hinweis auf die Koordinationspflicht bei den verschiedenen kantonalen Aufsichts- und Entscheidungsorganen (Dienststellen für Raumplanung und für Umweltschutz, kantonale Baukommission sowie Dienststelle für Wald und Landschaft) das Vernehmlassungsverfahren eingeleitet. Aufgrund der eingegangenen Vormeinungen erweise sich die Durchführung eines Augenscheins mit anschliessender Einigungsverhandlung nach Massgabe von Art. 17 ff. des kantonalen Gesetzes über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege vom 6. Oktober 1976 (VVRG) als unumgänglich. Die Ortsbesichtigung könne indessen erst nach der Schneeschmelze, also im Frühjahr 1991, stattfinden. Eine allfällige Plangenehmigungsverfügung könne dann Gegenstand einer Beschwerde an den Staatsrat und danach an das Verwaltungsgericht bilden.
b) Aus diesem Schreiben des Baudepartements vom 31. Januar 1991 ergibt sich klar, dass die in der Vernehmlassung,vom 23. Dezember 1988 geäusserte Rechtsauffassung, wonach das kantonale Subventionsverfahren als Baubewilligungsverfahren gelte, aus der Sicht der kantonalen Behörden heute überholt ist. Der Antrag der Beschwerdeführerin, der Kanton Wallis sei anzuhalten,
BGE 117 Ib 42 S. 47
ein ordentliches Baubewilligungsverfahren für das umstrittene Vorhaben durchzuführen, wird durch das vom Baudepartement eingeleitete Plangenehmigungsverfahren erfüllt, da dieses neue Verfahren das kantonale Baubewilligungsverfahren ersetzen soll. Dieses Verfahren kommt somit einer Wiedererwägung der Verfügung des Staatsrats vom 4. Mai 1988 gleich, insoweit er diese zugleich als eine kantonale Baubewilligung für die umstrittene Strasse betrachtete. Das Begehren der SL auf Durchführung eines kantonalen Baubewilligungsverfahrens wird bei dieser Sachlage gegenstandslos.
3.
a) Die Beschwerdeführerin hält den heutigen Zustand der in Frage stehenden Waldung in Zermatt namentlich unter Berücksichtigung ihrer landschaftsästhetischen, ideellen, ökologischen und naturschützerischen Qualität für wesentlich wertvoller als einen konventionell gepflegten Wald. Die konventionelle Waldbewirtschaftung würde die aus ihrer Sicht unerwünschte Forststrasse erfordern und gleichzeitig die heutigen Werte des Waldes und des Landschaftsbilds beeinträchtigen. Die Beschwerdeführerin bestreitet ferner die von der Burgergemeinde und von Vertretern des Forstdienstes geltend gemachte These, die Schutzwirkung des Waldes werde durch eine konventionelle Waldpflege erhöht. Diese könne sich namentlich im Gebirgswald auch kontraproduktiv auswirken. Für den Fall, dass eine minimale Pflege des Waldes nötig und erwünscht sei, sei es jedenfalls nicht erforderlich, das geschlagene Holz auf einer lastwagenbefahrbaren Strasse abzutransportieren. Schliesslich wird die Befürchtung vorgetragen, die geplante Strasse könne vor allem auch als Skipiste dienen und unerwünschte Auswirkungen auf Fauna und Flora mit sich bringen. Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht, zu den von ihr aufgeworfenen Fragen eine Expertise von unabhängigen Fachleuten einzuholen.
b) Nach der Praxis des Bundesgerichts kann die Subventionierung einer Forststrasse im Rahmen des Legalitätsprinzips nicht vom Belieben der Subventionsbehörde abhängen. Diese darf nur einem Projekt zustimmen, das allen einschlägigen bundesrechtlichen Anforderungen genügt (
BGE 116 Ib 313
E. 2a). Die zu erfüllenden bundesrechtlichen Anforderungen ergeben sich zunächst direkt aus dem Forstrecht. Danach kann der Bund in Schutzwaldungen die Anlage von Abfuhrwegen unterstützen (
Art. 25 Abs. 1,
Art. 42 Abs. 1 lit. b und
Art. 42bis lit. a Ziff. 6 FPolG
,
Art. 21 FPolV
).
BGE 117 Ib 42 S. 48
Neben dem Forstrecht und dem Natur- und Heimatschutzrecht (vgl.
BGE 116 Ib 314
E. 3) betrifft das vorliegende Projekt aber insbesondere auch Fragen des Raumplanungsrechts. Eine Strasse bedarf von Bundesrechts wegen einer Baubewilligung im Sinne der
Art. 22 ff. RPG
, sofern sie nicht in einem speziellen Nutzungsplan vorgesehen ist. Entspricht eine - wie im vorliegenden Fall - ausserhalb der Bauzone gelegene Strasse nicht dem Zweck der Zone, in welcher sie geplant ist, muss bei Fehlen eines speziellen Nutzungsplans eine Ausnahmebewilligung im Sinne von
Art. 24 RPG
eingeholt werden (
BGE 114 Ib 268
ff.;
BGE 112 Ib 164
ff., 409; nicht publ. Urteile vom 17. Februar 1987 i.S. E. L. c. Gemeinde Obersiggenthal und vom 29. Juni 1987 i.S. W. A. c. Einwohnergemeinde Giswil). Eine Strasse, die durch den Wald führt und nicht in einem speziellen Nutzungsplan enthalten ist, bedarf, soweit sie forstlichen Zwecken dient, einer Baubewilligung im Sinne von
Art. 22 RPG
. Soweit sie nicht forstlichen Zwecken dient, ist eine Ausnahmebewilligung im Sinne von
Art. 24 RPG
sowie eine Rodungsbewilligung nach
Art. 31 FPolG
i.V.m.
Art. 26 FPolV
nötig (
BGE 112 Ib 256
ff. i.V.m.
BGE 112 Ib 164
ff., 409 ff.).
Das Raumplanungsgesetz betrifft die umstrittene Beitragszusicherung zudem insofern, als es vorschreibt, der Bund habe die Leistung von Beiträgen an raumwirksame Massnahmen nach anderen Bundesgesetzen davon abhängig zu machen, dass diese den genehmigten Richtplänen entsprechen (
Art. 30 RPG
).
4.
a) Zur rechtlichen Beurteilung des umstrittenen Forststrassenprojekts sind somit gleichzeitig mehrere Gesetzgebungen anwendbar. Wie das Bundesgericht in letzter Zeit mehrfach festgehalten hat, verlangt das Bundesrecht in solchen Fällen, dass die verschiedenen, in einem engen Sachzusammenhang zueinander stehenden Vorschriften in einem Leitverfahren materiell und verfahrensmässig frühzeitig koordiniert angewendet werden (
BGE 116 Ib 50
ff., 313 E. 2c, 327 ff. E. 4, je mit weiteren Hinweisen).
Das Baudepartement des Kantons Wallis ist gemäss seinem vorne in E. 2a wiedergegebenen Schreiben vom 31. Januar 1991 bestrebt, der bundesrechtlichen Koordinationspflicht nachzukommen, indem es ein Plangenehmigungsverfahren über das hier umstrittene Forststrassenprojekt unter Beizug sämtlicher zuständiger Behörden durchführt. Dabei sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch die für eine allfällige Subventionierung zuständigen Behörden von Bund und Kanton in das Leit- oder gegebenenfalls in das massgebliche Verfahren nach
Art. 5 UVPV
BGE 117 Ib 42 S. 49
(SR 814.011) miteinzubeziehen. Nach der erwähnten Rechtsprechung geht es nämlich nicht an, die Frage der Subventionierung ohne Berücksichtigung der übrigen massgebenden Gesetzgebung zu beurteilen. Das Bundesgericht hat im Grundsatzurteil
BGE 116 Ib 50
ff. zur Frage der Koordination der Rechtsanwendung erwogen, dass die materielle Koordination am besten erreicht wird, wenn dafür eine einzige erste Instanz zuständig ist. Sind jedoch zur Beurteilung einzelner der Koordination bedürftiger Rechtsfragen verschiedene erstinstanzliche Behörden zuständig, so müssen diese die Rechtsanwendung in einer Weise abstimmen, dass qualitativ ein gleichwertiges Koordinationsergebnis erzielt wird. In dieser Hinsicht ergibt sich aus den Akten des hier umstrittenen Bauvorhabens, dass noch gar keine umfassende Interessenabwägung und Abstimmung der Entscheide erfolgen konnte, weshalb zur Zeit auch nicht von einem den Anforderungen der bundesrechtlichen Koordinationspflicht genügenden Entscheid über das umstrittene Forststrassenprojekt "Wichje-Ried" gesprochen werden kann.
Auch in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem die zur Bewilligung eines Vorhabens zu prüfenden Rechtsfragen mit engem Sachzusammenhang erstinstanzlich teils durch Bundesbehörden (Bundessubvention und technische Genehmigung) und teils durch kantonale oder kommunale Behörden beurteilt werden, muss die materielle Koordination zwischen den erstinstanzlichen Behörden sichergestellt werden (
BGE 116 Ib 313
E. 2c). Eine verfahrensrechtlich und zeitlich verbundene Eröffnung der Verfügungen mit anschliessendem einheitlichem Rechtsmittelverfahren ist hier bei der heutigen Rechtslage indessen nicht möglich (vgl.
BGE 116 Ib 58
). Im erwähnten Urteil hat sich das Bundesgericht mit der Koordination von eng zusammenhängenden Verfahren befasst, welche in erster Instanz teilweise in die Kompetenz kantonaler oder kommunaler Behörden und im übrigen in die Zuständigkeit von Bundesbehörden fallen, und dabei Möglichkeiten des Vorgehens aufgezeigt (
BGE 116 Ib 58
f.).
b) Im vorliegenden Fall ist in bezug auf die Koordination der Subventionsverfügungen des EDI mit den übrigen, einen engen Sachzusammenhang aufweisenden Bewilligungen eine analoge Problematik gegeben. Bei deren Lösung ist darauf zu achten, dass sämtliche vom engen Sachzusammenhang betroffene Fragen, d.h. im vorliegenden Fall insbesondere die Fragen der Raumplanung, des Natur- und Heimatschutzes sowie des Forstrechts (inkl. Subventionierung) materiell aufeinander abgestimmt und zeitlich
BGE 117 Ib 42 S. 50
koordiniert beurteilt werden. In diesem Sinne hat das Bundesgericht bereits in vergleichbaren Fällen entschieden (
BGE 116 Ib 313
E. 2c). Im Unterschied zum erwähnten Urteil mangelt es hier bereits an der gehörigen Berücksichtigung der raumplanerischen Fragen beim Entscheid über die Bundessubvention.
Es ergibt sich somit, dass die angefochtene Verfügung des EDI in Verletzung der bundesrechtlichen Koordinationspflicht erlassen worden ist. Eine vom EDI als zweckmässig bezeichnete Sistierung des vorliegenden Verfahrens bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen kantonalen Plangenehmigungsverfügung ist bei dieser Sachlage nicht angebracht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde muss vielmehr gutgeheissen und die Subventionsverfügung des EDI aufgehoben werden, damit eine materielle Koordination der Rechtsanwendung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ermöglicht wird. Das Bundesgericht hat somit im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, ob die geplante Forststrasse mit den übrigen Bestimmungen über den Natur- und Heimatschutz, die Raumplanung oder das Forstwesen übereinstimmt. Die Beurteilung dieser Fragen ist vorab Aufgabe der zuständigen kantonalen Behörden sowie des EDI, das im Rahmen des koordinierten Plangenehmigungsverfahrens zur Beurteilung der Subventionsvoraussetzungen sowie allfälliger weiterer Probleme in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden muss. Die Verfahrensrechte der Beschwerdeführerin könne auch im Rahmen eines koordinierten Vorgehens der verschiedenen zuständigen Behörden gewahrt werden.
5.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Soweit die SL die Durchführung eines kantonalen Baubewilligungsverfahrens verlangt, ist die Beschwerde gegenstandslos geworden (s. vorne E. 2). | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a687fdff-aad6-4a4e-a00f-c9582e444c01 | Urteilskopf
102 V 36
9. Auszug aus dem Urteil vom 23. Januar 1976 i.S. Fellmann gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Gewährleistung zweckmässiger Rentenverwendung (
Art. 45 AHVG
und 76 AHVV).
- Es ist Sache der vormundschaftlichen Behörden und nicht der AHV-Durchführungsorgane, über die zweckmässige Verwendung der dem Vormund gemäss
Art. 76 Abs. 2 AHVV
ausbezahlten Renten zu wachen.
- Wird bloss eine Erziehungs- und Haushaltkontrolle angeordnet, so hat die Ausgleichskasse frei zu prüfen, wem die Kinderrenten auszuzahlen sind. | Erwägungen
ab Seite 36
BGE 102 V 36 S. 36
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 76 AHVV
obliegt es im allgemeinen den Ausgleichskassen, unter bestimmten Voraussetzungen die Anordnungen zu treffen, die eine zweckmässige Verwendung der Renten gewährleisten. Ist aber der Rentenberechtigte bevormundet, so ist die Rente gemäss
Art. 76 Abs. 2 AHVV
einzig dem Vormund oder der von diesem bezeichneten Person auszuzahlen. Absatz 3 des gleichen Artikels bestimmt weiter, die einer Drittperson oder Behörde ausbezahlten Renten dürften von diesen nicht mit Forderungen gegenüber dem Rentenberechtigten
BGE 102 V 36 S. 37
verrechnet werden und seien ausschliesslich zum Lebensunterhalt des Berechtigten und der Personen, für die er zu sorgen hat, zu verwenden. Diese Bestimmungen gelten gestützt auf
Art. 84 IVV
auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung.
Die dargelegte Ordnung beinhaltet unter anderem eine Kompetenzabgrenzung zwischen Ausgleichskassen und anderen Verwaltungsorganen, welche an einer zweckmässigen Rentenverwendung interessiert sind, insbesondere den Vormundschafts- und Fürsorgebehörden. Nach Sinn und Zweck dieser Kompetenzabgrenzung kann es nicht Sache der Durchführungsorgane der AHV sein, zu prüfen, wie der Vormund die Rente verwendet; dies zu beurteilen fällt vielmehr in die Zuständigkeit der vormundschaftlichen Behörden. Nach der Rechtsprechung decken jedenfalls
Art. 45 AHVG
und dessen Ausführungsbestimmungen keine Kassenverfügungen, die klaren vormundschaftlichen Anordnungen der hierfür zuständigen und verantwortlichen Organe widersprechen. Wo Verfügungen gemäss
Art. 76 AHVV
mit vormundschaftsrechtlichen Anordnungen kollidieren, gebührt diesen der Vorrang. Diese Prinzipien gründen nicht zuletzt darauf, dass die Institutionen des Familienrechts eine Ordnung darstellen, die von der Sozialversicherung vorausgesetzt wird und dieser daher grundsätzlich vorgehen muss. Das Gericht verweist auf EVGE 1959 S. 197 ff., 1951 S. 138 ff., ZAK 1948 S. 24; BINSWANGER, Kommentar zum AHVG S. 198; ferner sinngemäss auf
BGE 97 V 178
(betreffend den prinzipiellen Vorrang des Familienrechts) sowie auf
BGE 99 V 44
.
Anscheinend schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung aus
BGE 99 V 44
, dass jeglicher Verwaltungsakt eines vormundschaftlichen Organs im Bereich der AHV für die Ausgleichskassen verbindlich sein müsse. Dies trifft indessen nicht zu. Wenn schon, wie dargelegt, die zivilrechtliche Ordnung dem Sozialversicherungsrecht vorgeht, dann bestimmt sich auch nach der zivilrechtlichen Ordnung, welche Kompetenzen dem vormundschaftlichen Organ zustehen. Ist eine Vormundschaft angeordnet, dann gehen die damit verbundenen Befugnisse allerdings sehr weit; sie umfassen namentlich die finanziellen Belange (vgl.
Art. 413 ZGB
). Das bedeutet im Bereich der AHV u.a., dass bei angeordneter Vormundschaft - gestützt auf die klare zivilrechtliche Regelung - der Vormund
BGE 102 V 36 S. 38
zu bestimmen hat, wem die Rente auszuzahlen ist, und dass die Ausgleichskasse sich dessen Anordnungen fügen muss.
Ganz eindeutig ist die Regelung auch dann, wenn die Vormundschaftsbehörde nur dem einen Elternteil die elterliche Gewalt entzogen und daneben bloss eine Erziehungs- und Haushaltkontrolle angeordnet hat. Die finanziellen Kompetenzen jenes Elternteils, der die elterliche Gewalt nach wie vor innehat, sind alsdann in keiner Weise beschnitten. Diese zivilrechtliche Regelung der Verhältnisse präjudiziert somit die Frage nicht, an wen Kinderrenten auszuzahlen sind. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a68b51e6-aa7b-4914-9095-57fc2e457a96 | Urteilskopf
103 II 274
45. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 4 octobre 1977 dans la cause S. contre F. | Regeste
Fälligkeit der Lohnforderung bei ungerechtfertigter Auflösung des Arbeitsvertrages.
Die fristlose Entlassung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber ohne wichtige Gründe beendet das Arbeitsverhältnis in tatsächlicher, nicht aber in rechtlicher Hinsicht. Die auf
Art. 337c Abs. 1 und Abs. 2 OR
beruhende Lohnforderung des Arbeitnehmers wird jedoch gemäss
Art. 339 Abs. 1 OR
sofort fällig. | Erwägungen
ab Seite 274
BGE 103 II 274 S. 274
Extrait des considérants:
3.
b) La recourante reproche aux juges d'appel d'avoir violé l'
art. 337c al. 1 et 2 CO
, en tant qu'ils l'ont condamnée à payer au demandeur la différence entre le salaire qu'il aurait touché chez elle pendant la durée du contrat et le salaire qu'il reçoit de son nouvel employeur, "en estimant que la totalité de ces montants était due au jour de la résiliation".
Le licenciement immédiat, sans justes motifs, de l'employé par l'employeur ne met fin, il est vrai, aux rapports de travail qu'en fait mais non en droit (Message du Conseil fédéral à l'Assemblée fédérale concernant la revision des titres dixième et dixième bis du Code des obligations, du contrat de travail,
BGE 103 II 274 S. 275
du 25 août 1967, ci-après: Message, FF 1967 II p. 399). L'employeur reste obligé jusqu'à l'expiration de la durée déterminée du contrat ou, à défaut d'une telle durée, jusqu'à l'expiration du délai de congé. Dans le cas où l'employeur persiste à refuser le travail de l'employé, celui-ci a droit, en vertu de l'
art. 337c al. 1 CO
, au salaire correspondant au temps qu'auraient duré les rapports de travail s'ils avaient pris fin normalement, non à des dommages-intérêts; la solution était la même sous l'empire de l'ancien code (art. 332 aCO;
ATF 78 II 442
s. litt. b; Message, loc.cit.). Sur ce salaire, l'employé doit imputer le gain qu'il a réalisé en exécutant un autre travail (
art. 337c al. 2 CO
; même réglementation à l'art. 332 aCO).
Contrairement à ce que fait valoir la recourante, lorsque l'employeur a résilié immédiatement le contrat de travail, sans justes motifs, le salaire auquel l'employé a droit ne continue pas a être dû aux échéances normales fixées par le contrat. Se ralliant à l'avis du Conseil fédéral (Message, loc.cit.), le législateur a renoncé à édicter une disposition spéciale concernant l'échéance des prétentions de l'employé, en cas de licenciement immédiat, sans justes motifs, par l'employeur, vu qu'il n'y a aucune nécessité de déroger à l'échéance ordinaire prévue à l'
art. 339 CO
. En vertu de l'al. 1 de cette disposition, "à la fin du contrat, toutes les créances qui en découlent sont exigibles". Cet article s'applique, comme les art. 339a à 339d CO groupés avec lui sous la note marginale "VI. Conséquences de la fin du contrat", "soit que celui-ci ait pris fin par suite de l'expiration de la durée convenue ou de résiliation en cas de durée indéterminée, soit qu'il ait été mis fin prématurément aux rapports de service de telle ou telle autre manière, principalement par la mort du travailleur, par accord des parties ou par résiliation immédiate" (Message, p. 403; dans le même sens, SCHWEINGRUBER, Commentaire du contrat de travail, traduction française d'Albert Laissue, Berne 1975, p. 205 ad art. 337c, p. 215 s. ad
art. 339 CO
; SCHUHMACHER, Der Vertragsbruch nach dem neuen Arbeitsrecht, thèse Berne 1974, pp. 102-104). Le grief de violation de l'
art. 337c al. 1 et 2 CO
est ainsi mal fondé et l'arrêt attaqué doit être confirmé dans la mesure où il condamne la défenderesse à payer immédiatement au demandeur le salaire dû jusqu'au 31 décembre 1989, après imputation du gain que lui procure son nouvel emploi jusqu'à la même date. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a69044b6-944c-4816-8c9a-e426cefb6284 | Urteilskopf
106 V 45
10. Estratto della sentenza del 31 gennaio 1980 nella causa Istituto nazionale svizzero di assicurazione contro gli infortuni contro von Krannichfeldt e Tribunale cantonale delle assicurazioni, Lugano | Regeste
Art. 67 Abs. 3 KUVG
.
Wann ist die Teilnahme an einer Geschwindigkeitsprüfung bei einem Auto-Rallye ein Wagnis? | Erwägungen
ab Seite 45
BGE 106 V 45 S. 45
Diritto:
1.
Per l'art. 67 cpv. 3 LAMI, seconda frase, l'Istituto nazionale svizzero di assicurazione contro gli infortuni (INSAI) può escludere dall'assicurazione i pericoli straordinari e gli atti temerari. Detta norma ha concesso al Consiglio di amministrazione dell'Istituto assicuratore di prendere il 31 ottobre 1967 una risoluzione, entrata in vigore il 1o gennaio 1968, in virtù della quale sono esclusi dall'assicurazione:
I.
I pericoli straordinari indicati in modo specifico e particolare;
II.
Gli atti temerari e cioé:
"... quelli in cui un assicurato si espone scientemente ad un pericolo particolarmente grave, che può risultare sia dall'atto stesso, sia dal modo con cui è compiuto, sia dalle circostanze concomitanti, come pure dalla personalità dell'assicurato..."
Deve quindi e preliminarmente essere messo in risalto che il pericolo straordinario è escluso dall'assicurazione qualunque sia la gravità del rischio cui la vittima nel caso concreto si espone, mentre di contro la gravità del rischio è un elemento distintivo dell'atto temerario. Secondo la giurisprudenza del Tribunale federale delle assicurazioni gli atti temerari sono quelli non compresi nell'elenco dei pericoli straordinari e che comportano rischi di particolare importanza anche se praticati nelle
BGE 106 V 45 S. 46
condizioni più favorevoli. Si tratta di atti implicanti pericoli tali da non poterne imporre l'assunzione all'insieme degli assicurati. È questo il caso di certe ascensioni di montagna presentanti un rischio talmente elevato, non riconducibile a proporzioni ragionevoli qualunque sia l'equipaggiamento usato e la preparazione dei partecipanti. Un rischio di per sé assicurato può comunque perdere questa qualifica quando si tenga conto di circostanze particolari in cui esso si presenta, segnatamente del modo e in quali condizioni esso viene affrontato, del materiale usato e delle attitudini dell'assicurato (DTF 104 V 19, considerando 1 e la giurisprudenza ivi citata).
2.
Nell'evenienza concreta l'INSAI ha escluso dall'assicurazione quale atto temerario la partecipazione di Umberto von Krannichfeldt quale copilota ad una prova di velocità su strada non asfaltata durante un rally automobilistico.
Si pongono quindi all'esame i seguenti problemi:
- Se la partecipazione durante un rally ad una gara di velocità su strada dal fondo irregolare, larga metri 2.30 e non asfaltata, sia da considerare, presa a sé stante, un atto temerario.
- In caso negativo se le condizioni in cui questa gara venne compiuta e il comportamento dell'opponente il giorno dell'incidente adempivano i presupposti dell'atto temerario.
a) Per quanto concerne la partecipazione dell'opponente ad una gara di velocità su strada non asfaltata durante un rally occorre osservare che il fatto che egli abbia, nell'evenienza concreta, esercitato le funzioni di copilota non è di rilievo. Infatti, partecipando in questa funzione al rally, egli coscientemente si sottoponeva agli stessi rischi del pilota, poteva cioè essere coinvolto in un incidente tale da comportare danni alla salute (sentenza non pubblicata del Tribunale federale delle assicurazioni in re Büchler del 13 ottobre 1971).
Inoltre è pacifico che le riserve formulate dall'Istituto ricorrente riguardano solo la partecipazione ad una prova di velocità del rally e non al rally come tale che, essendo prova di regolarità, non presenta gli aspetti dell'atto temerario.
Se in concreto si considerano gli aspetti generali della competizione, che consisteva nel partecipare ad una prova di velocità quindi gareggiare su una strada non sterrata al fine di raggiungere, se possibile, una velocità media di 100/120 km/h; inoltre che scopo della gara era la
BGE 106 V 45 S. 47
intenzione di prevalere sugli altri concorrenti, ne deve essere concluso che ogni partecipante tendeva a correre, entro i limiti fissati, il più veloce possibile. Orbene, lo sforzo di mantenere su strada irregolare una velocità media quale quella indicata, significa assumere un rischio di non indifferente importanza, quale che sia l'abilità tecnica del pilota, il tipo dell'autovettura e le condizioni di strada e sicurezza organizzativa. Su tratti stradali simili un'uscita dal campo è sempre possibile e tale da comportare un rischio di incidenti, forse non mortali, ma sempre adeguati a pregiudicare l'integrità fisica di un partecipante. In queste condizioni, pur ammettendo che i rallies contribuiscono al progresso tecnico dell'industria automobilistica (prove di resistenza dei motori e dello equipaggiamento, prove di tenuta di strada e di idoneità dei pneumatici, ecc.) non può essere imposto all'insieme degli assicurati di sopportare l'onere assicurativo di simili azioni. Nell'evenienza concreta, ammessa anche l'abilità del pilota e ritenuto che durante le ispezioni del percorso i due componenti l'equipaggio abbiano ponderato i modi di eseguire la prova, deve pur essere affermato che suscettibile di rischio importante è il correre cercando di raggiungere la massima velocità su una strada non sterrata, larga metri 2.30 affrontando una curva di 90 gradi, ove esisteva una cunetta, dopo uno slittamento controllato. In queste condizioni non può essere esclusa, quale possibilità di non rara frequenza, un'uscita di strada con le conseguenze che essa comporta, quindi un grado di rischio non ovviabile al quale Umberto von Krannichfeldt si è scientemente esposto.
b) Dato quanto sopra esposto irrilevante ai fini del presente controllo giudiziario è la meccanica dell'incidente sopravvenuto all'uscita della curva di 90 gradi affrontata a 70/75 km/h di velocità dopo uno slittamento controllato. Tuttavia tale incidente significa in sostanza che nel corso di una prova di velocità il pilota non è in grado di tempestivamente avvertire eventuali imprevisti ostacoli altrimenti aggirabili.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale delle assicurazioni dichiara e pronuncia:
Il ricorso di diritto amministrativo è accolto e il giudizio cantonale del 23 gennaio 1979 annullato. | null | nan | it | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a69a4baa-03dc-4cd6-af4d-3beac53bbec7 | Urteilskopf
104 II 293
50. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Oktober 1978 i.S. G. gegen B. | Regeste
Art. 277 Abs. 2 ZGB
; Dauer der Unterhaltspflicht der Eltern.
Es bedeutet keine Verletzung von Bundesrecht, wenn die Unterhaltspflicht der Eltern über die Mündigkeit des Kindes hinaus bis zum Abschluss seiner Ausbildung nicht im Urteilsdispositiv, sondern nur in den Urteilserwägungen festgehalten wird. Dies gilt auf jeden Fall dann, wenn bei Erlass des Urteils noch nicht im entferntesten feststeht, ob das Kind seine Ausbildung bei Erreichung der Mündigkeit abgeschlossen haben werde oder nicht. | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 104 II 293 S. 294
Der am 12. Oktober 1969 geborene G. leitete anfangs 1970 gegen B. eine Vaterschaftsklage ein. Das Bezirksgericht Zürich verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 2. November 1976, dem Kläger bis zu dessen vollendetem 18. Altersjahr monatlich Fr. 180.- zuzüglich allfällige Kinderzulagen zu zahlen. Der Kläger beantragte mit einer Berufung, die Unterhaltsbeiträge seien mit Wirkung ab 1. April 1977 zu indexieren. Das Obergericht des Kantons Zürich erblickte darin eine unzulässige Klageerweiterung und wies diesen Antrag mit Beschluss vom 29. April 1977 ab. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob am 7. Juli 1977 diesen Beschluss auf und wies die Sache zur materiellen Beurteilung der erweiterten Klage an das Obergericht zurück.
Am 6. Januar 1978 stellte der Kläger in Anwendung von
Art. 13 SchlT ZGB
den Antrag, es sei das Kindesverhältnis zwischen ihm und dem Beklagten festzustellen und der Beklagte sei in Abänderung des Klagebegehrens zu verpflichten, die eingeklagten Unterhaltsbeiträge bis zur Mündigkeit des Kindes und weiterhin, bis seine Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann, zu erbringen. Das Obergericht des Kantons Zürich stellte mit Urteil vom 17. März 1978 fest, dass mit Wirkung ab 1. Januar 1978 zwischen dem Kläger und dem Beklagten das Kindesverhältnis bestehe. Es verpflichtete den Beklagten als Vater des Klägers zur Zahlung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 180.- von der Geburt des Klägers an bis zum 31. Dezember 1977 und von Fr. 270.- ab 1. Januar 1978 bis zur Mündigkeit des Klägers, zuzüglich allfällige Kinderzulagen. Die ab 1. Januar 1978 zu leistenden Unterhaltsbeiträge wurden mit einer Indexklausel versehen.
Gegen das Urteil des Obergerichts erhob der Kläger sowohl eine kantonalrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 20. Juni 1978 abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war, als auch eine Berufung an das Bundesgericht. Mit dieser wurde beantragt, die dem Beklagten auferlegte Unterhaltspflicht sei nicht auf den Zeitpunkt, in dem die Mündigkeit des Klägers eintritt, zu beschränken, sondern der Beklagte sei in Entsprechung des klägerischen Begehrens zu verpflichten, den Unterhaltsbeitrag weiterhin, bis die Ausbildung des Kindes ordentlicherweise abgeschlossen werden kann, zu erbringen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
BGE 104 II 293 S. 295
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Zur Dauer der Unterhaltspflicht führte die Vorinstanz im angefochtenen Urteil aus, nach dem neuen Recht dauere die Unterhaltspflicht des Klägers bis zur Mündigkeit des Kindes (
Art. 277 Abs. 1 ZGB
). Das sei ins Urteilsdispositiv aufzunehmen. Darüber, ob der Beklagte für das Kind über dessen Mündigkeit hinaus bis zum Abschluss seiner Ausbildung aufzukommen habe (
Art. 277 Abs. 2 ZGB
), sei heute nicht zu bestimmen, da noch ungewiss sei, ob der Kläger eine sich über die Mündigkeit hinaus erstreckende Ausbildung geniessen werde.
Die Vorinstanz befristete also die Unterhaltspflicht des Beklagten nicht endgültig bis zur Mündigkeit des Klägers, sondern räumte ein, dass entsprechend der gesetzlichen Regelung des
Art. 277 Abs. 2 ZGB
die Unterhaltspflicht über das Mündigkeitsalter hinaus dauern könne, bis der Kläger ordentlicherweise seine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben werde. Bezüglich dieser möglichen Pflicht zu weiteren Unterhaltsleistungen über das Mündigkeitsalter des Klägers hinaus besteht zwischen den Parteien kein Streit. Der Kläger will mit seiner Berufung lediglich erreichen, dass diese mögliche weitere Pflicht nicht nur in den Urteilserwägungen, sondern auch im Urteilsdispositiv ausdrücklich festgehalten werde. Zu prüfen ist demnach nur, ob in Vaterschafts- (oder Scheidungs-)urteilen der Inhalt von
Art. 277 Abs. 2 ZGB
über die Dauer der Unterhaltspflicht von Bundesrechts wegen ins Dispositiv aufzunehmen sei bzw. ob eine Verletzung von Bundesrecht vorliege, wenn ein kantonales Gericht den Inhalt der genannten Bestimmung im Urteilsdispositiv nicht eigens erwähnt.
b) Befindet sich ein Kind bei Erreichen der Mündigkeit noch in Ausbildung, so haben gemäss
Art. 277 Abs. 2 ZGB
seine Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis diese Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann. Die Ausdehnung der Unterhaltspflicht über das Mündigkeitsalter hinaus in Fällen, in denen das Kind sich noch in Ausbildung befindet, ist also vom Gesetz zwingend vorgeschrieben. Wo aber das Gesetz verbindlich vorschreibt, dass in Zukunft unter gewissen Bedingungen Forderungsrechte weiterdauern, entstehen oder untergehen, ist es nicht bundesrechtswidrig, wenn dies in
BGE 104 II 293 S. 296
einem Urteilsdispositiv nicht auch noch besonders erwähnt wird. So wird in den Urteilsdispositiven in der Regel nicht eigens festgehalten, dass Unterhaltsbeiträge im Sinne von Art. 151/152 ZGB bei Wiederverheiratung des anspruchsberechtigten Ehegatten dahinfallen (
Art. 153 Abs. 1 ZGB
), dass eine Bedürftigkeitsrente aufgehoben oder herabgesetzt werden kann, wenn die Bedürftigkeit nicht mehr besteht oder in erheblichem Masse abgenommen hat (
Art. 153 Abs. 2 ZGB
), dass ein Unterhaltsbeitrag bei veränderten Verhältnissen im Sinne von
Art. 157 ZGB
erhöht oder herabgesetzt werden kann oder dass die Eltern von der Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind in dem Masse befreit sind, als diesem schon vor Erreichen der Mündigkeit zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln selbst zu bestreiten (
Art. 276 Abs. 3 ZGB
). Warum es bezüglich des
Art. 277 Abs. 2 ZGB
anders sein soll, ist nicht ersichtlich. Die Nichtaufnahme seines Inhalts in das Urteilsdispositiv ist jedenfalls dann nicht bundesrechtswidrig, wenn bei Erlass des Urteils noch nicht einmal im entferntesten feststeht, ob das Kind seine Ausbildung im Zeitpunkt, da es mündig wird, abgeschlossen haben werde oder nicht.
Steht ein Kind bei der Regelung seiner Unterhaltsbeiträge im Vaterschafts- oder Scheidungsprozess kurz vor der Erreichung seiner Mündigkeit, befindet es sich dabei in einer Ausbildung, die aller Voraussicht nach über diesen Zeitpunkt hinaus dauern wird und sind auch die Verhältnisse der Eltern hinreichend bekannt, so dürfte es sich empfehlen, im Urteilsdispositiv die Unterhaltsbeiträge auch für die Zeit nach Erreichung der Mündigkeit zu regeln. Im vorliegenden Fall ist aber noch alles offen. Der Kläger war bei der Ausfällung des angefochtenen Entscheids noch nicht ganz 9 1/2 Jahre alt. Die Vorinstanz hielt in den Urteilserwägungen fest, es sei ungewiss, ob er eine sich über die Mündigkeit hinaus erstreckende Ausbildung erhalten werde. Das ist eine Feststellung tatsächlicher Art, die nicht angefochten und an die das Bundesgericht gebunden ist. Man weiss also nicht, ob das Kind überhaupt eine Ausbildung erhalten werde, die über den Eintritt der Mündigkeit hinaus dauert; man weiss nichts über die allfällige Art dieser Ausbildung und die damit zusammenhängende Höhe der Ausbildungskosten; man kennt die dannzumaligen Verhältnisse der Eltern nicht und kann somit nicht beurteilen, ob und inwieweit ihnen nach den gesamten Umständen zuzumuten sein wird, für die Ausbildung des Kindes
BGE 104 II 293 S. 297
weiterhin aufzukommen. Wenn in einer solchen Situation ein Gericht darauf verzichtet, für die Zeit nach Erreichen der Mündigkeit des Kindes im Urteilsdispositiv eine Regelung zu treffen, von der nicht einmal feststeht, ob sie überhaupt je praktische Bedeutung erlangen werde, stellt dies keine Verletzung von Bundesrecht dar.
c) Was der Kläger dagegen vorbringt, dringt nicht durch. Es kann ihm zwar darin beigepflichtet werden, dass der Richter nicht befugt ist, den Unterhaltsanspruch zum Nachteil des Kindes zu beschränken. Das tat die Vorinstanz indessen nicht, hat sie doch den Anspruch aus
Art. 277 Abs. 2 ZGB
in den Erwägungen des angefochtenen Entscheids ausdrücklich vorbehalten. Wohl hat die Vorinstanz im Urteilsdispositiv dem Kläger formell weniger zugesprochen, als er mit seinem Klagebegehren verlangt hatte. Nach den Ausführungen des Kassationsgerichts des Kantons Zürich war dies indessen zulässig, weil der Beklagte die Klage nicht anerkannt hatte. Das Kassationsgericht hielt auch fest, prozessrechtlich sei es nicht zu beanstanden, dass das Obergericht mit der von ihm gegebenen Begründung von den Anträgen des Klägers bezüglich der Dauer der Unterhaltspflicht abgewichen sei.
In der Berufungsschrift wird ausgeführt, wenn im Urteilsdispositiv die Unterhaltspflicht über den Eintritt der Mündigkeit hinaus bis zum Abschluss der Ausbildung festgehalten werde, sei damit allen Beteiligten zum Bewusstsein gebracht, dass das Kind unter Umständen einen Beruf ergreifen dürfe, dessen Ausbildung in das Mündigkeitsalter hineinreiche, und dass es von seinen Eltern bis zum Abschluss seiner Ausbildung finanziell unterstützt werden müsse. Dies mag zutreffen, doch ist ein solcher Hinweis im Urteilsdispositiv bundesrechtlich weder vorgeschrieben noch notwendig. Im vorliegenden Fall ergab sich der Hinweis schon aus den Urteilserwägungen. Das genügte. Die fragliche Regelung kann im übrigen auch dem Gesetz selbst entnommen werden, was ebenfalls genügt.
Des weitern wird in der Berufungsschrift geltend gemacht, wenn dem Kind im Urteilsdispositiv von allem Anfang an Unterhaltsbeiträge über die Mündigkeit hinaus zugesprochen werden, müsse dieses nicht unmittelbar nach Erreichen der Mündigkeit gegen seinen Vater einen Prozess anstrengen, wozu die Überwindung erheblicher psychischer Hemmungen erforderlich sei. Dieses Argument mag in jenen Fällen zutreffen, in denen die für die Zeit unmittelbar vor Eintritt der Mündigkeit zu
BGE 104 II 293 S. 298
zahlenden Unterhaltsbeiträge der Höhe nach gleich sind wie jene, die dem mündigen Kind die Weiterbildung ermöglichen können und die den Eltern nach den gegebenen Umständen zugemutet werden dürfen. Solche Fälle dürften indessen die Ausnahme sein. Wenn Unterhaltsbeiträge für Kinder unter 10-15 Jahren festgelegt werden müssen, wird sich meistens noch nicht voraussehen lassen, welchen Ausbildungsweg das Kind einschlagen wird, welche Mittel dazu erforderlich sein werden und wie dannzumal die finanzielle Situation seiner Eltern sein wird. Kommt ein Kind dann tatsächlich in den Genuss einer Ausbildung, die über den Eintritt der Mündigkeit hinaus dauert, wird in der Regel eine Neuordnung der Unterhaltsbeiträge nötig sein. Sofern diese nicht auf gütlichem Wege erreicht werden kann, ist dazu ein Prozess erforderlich, auch dann, wenn die Unterhaltspflicht im Urteil seinerzeit dem Grundsatz nach festgehalten oder der Höhe nach bestimmt worden war. Der Umstand, dass es sich in vereinzelten Fällen als nützlich erweisen kann, schon von allem Anfang an Unterhaltsbeiträge über das Mündigkeitsalter hinaus im Urteilsdispositiv festzulegen, bedeutet im übrigen nicht, dass es von Bundesrechts wegen immer so gemacht werden müsse und dass das von der Vorinstanz gewählte Vorgehen bundesrechtswidrig sei.
Dem Kläger kann darin beigepflichtet werden, dass die Ausbildungszeiten für viele Berufe immer wieder verlängert werden und dass immer mehr Kinder bei Erreichen ihrer Mündigkeit noch in Ausbildung stehen. Für diese Zeit ihrer Ausbildung ist ihr Anspruch auf Unterstützung aber bereits durch
Art. 277 Abs. 2 ZGB
garantiert. Einer weiteren zusätzlichen Garantie durch eine besondere Bestimmung im Urteilsdispositiv bedarf es nicht.
Dass der Kläger berechtigt war, Unterhaltsbeiträge für die ganze künftige Dauer der Unterhaltspflicht einzuklagen, ist nicht bestritten. Wohl gehören zu diesen Unterhaltspflichten auch solche gemäss
Art. 277 Abs. 2 ZGB
. Die Vorinstanz hat denn auch diese Ansprüche in den Erwägungen ihres Urteils ausdrücklich vorbehalten. Wenn sie sie nicht ins Urteilsdispositiv aufnahm, schmälert dies die Rechtsstellung und die Ansprüche des Klägers nicht.
Ob in den aussergerichtlich abgeschlossenen Unterhaltsverträgen der Schuldner sich regelmässig verpflichte, auch über die Mündigkeit des Kindes hinaus Unterhaltsbeiträge zu erbringen,
BGE 104 II 293 S. 299
bis dieses seine Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen haben wird, ist für den Entscheid im vorliegenden Verfahren unerheblich weil aussergerichtliche Vereinbarungen weitergehen können als gerichtliche Entscheide. Aus allen diesen Erwägungen erscheint die Berufung in diesem Punkt als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a69dc144-a76c-42ec-9cd9-69058e498840 | Urteilskopf
110 V 222
35. Auszug aus dem Urteil vom 5. Juli 1984 i.S. Kallivroussis gegen Ausgleichskasse der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte | Regeste
Art. 145 OG
.
Zulässigkeit eines Erläuterungsgesuchs. | Erwägungen
ab Seite 222
BGE 110 V 222 S. 222
Aus den Erwägungen:
1.
Ist der Rechtsspruch eines bundesgerichtlichen Entscheides unklar, unvollständig oder zweideutig oder stehen seine Bestimmungen untereinander oder mit den Entscheidungsgründen im Widerspruch oder enthält er Redaktions- oder Rechnungsfehler, so nimmt das Bundesgericht auf schriftliches Gesuch einer Partei die Erläuterung oder Berichtigung vor (
Art. 145 Abs. 1 OG
). Diese Regelung gilt laut
Art. 135 OG
in gleicher Weise für die Erläuterung oder Berichtigung von Entscheiden des Eidg. Versicherungsgerichts.
Die Erläuterung dient dazu, Abhilfe zu schaffen, wenn die Entscheidformel (Dispositiv) unklar, unvollständig, zweideutig oder in sich widersprüchlich ist. Sie kann sich ferner auf Gegensätze zwischen den Entscheidungsgründen und dem Dispositiv beziehen (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 228), nicht dagegen auf die Entscheidungsgründe als solche (
BGE 101 Ib 223
Erw. 3; SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 216). Die Erwägungen unterliegen der Erläuterung nur, wenn und insoweit der Sinn der Entscheidformel (Dispositiv) erst durch Beizug der Entscheidungsgründe ermittelt werden kann (
BGE 104 V 53
Erw. 1 mit Hinweis; RSKV 1982 Nr. 479 S. 59 Erw. 1a). Die Erläuterung ist schliesslich dazu bestimmt, Redaktions-, blanke Rechnungsfehler oder Kanzleiversehen zu berichtigen (
BGE 99 V 64
Erw. 2; GYGI, a.a.O., S. 228 mit Hinweisen).
Unzulässig sind anderseits Erläuterungsgesuche, die auf eine inhaltliche Abänderung der Entscheidung abzielen. Ebensowenig geht es an, auf dem Weg des Erläuterungsgesuchs über den rechtskräftigen Entscheid eine allgemeine Diskussion (z.B. über dessen Recht- und Zweckmässigkeit) einzuleiten, die schlechthin jede Äusserung des Gerichts, insbesondere die verwendeten Rechtsbegriffe und Wörter, zum Gegenstand hat. Vom Urteilsinhalt ist der Erläuterung nur zugänglich, was den Charakter einer Anordnung
BGE 110 V 222 S. 223
aufweist. Nicht dazu gehören namentlich Fragen, die vom Gericht nicht zu prüfen waren und über die es deshalb nicht zu entscheiden hatte (zu diesen Punkten vgl.
BGE 104 V 55
oben,
BGE 101 II 374
; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 516; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 505 und 535; HAUSER/HAUSER, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl., S. 588 und 590; WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 469). | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a69faac8-7f7b-4a48-a77c-8eb40ec59a6a | Urteilskopf
135 V 194
25. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. HDI-Gerling Industrie Versicherung AG, Hannover gegen ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG, betreffend V. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_934/2008 vom 17. März 2009 | Regeste
Art. 99 Abs. 1,
Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG
; Unzulässigkeit von Noven bei Geldleistungen der Militär- und Unfallversicherung.
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen auch im Verfahren um Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- und Unfallversicherung nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 195
BGE 135 V 194 S. 195
A.
Die 1964 geborene V. war als Zeitungsverträgerin der Firma X. AG, bei der Gerling Allgemeine Versicherungs-AG (nachstehend: Gerling) gegen die Folgen von Berufsunfällen versichert, als sie am 6. März 2007 beim Austragen von Zeitungen mit dem rechten Fuss über eine Bordsteinkante knickte und sich am Fussgelenk verletzte. Die Gerling verneinte mit Verfügung vom 28. Juni 2007 und Einspracheentscheid vom 21. August 2007 eine Leistungspflicht, da die Versicherte weder einen Unfall noch eine unfallähnliche Körperverletzung erlitten habe.
B.
Die ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG (nachstehend: die ÖKK) erhob als Krankenversicherer der V. am 11. September 2007 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Glarus. In ihrer Beschwerdeantwort vom 28. September 2007 anerkannte die Gerling ausdrücklich, dass die Versicherte eine Bandläsion erlitten habe, diese sei aber, da kein äusserer Faktor vorliege, nicht als unfallähnliche Körperverletzung zu qualifizieren. Das kantonale Gericht bejahte mit Entscheid vom 8. Oktober 2008 einen äusseren Faktor und damit eine unfallähnliche Körperverletzung, hiess die Beschwerde des Krankenversicherers gut und verpflichtete die Gerling, für die Folgen des Ereignisses vom 6. März 2007 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
C.
Mit Beschwerde beantragt die HDI-Gerling Industrie Versicherungs AG als Rechtsnachfolgerin der Gerling, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides die Leistungsablehnung zu bestätigen. Sie begründet dies in erster Linie damit, dass die Versicherte gemäss den Akten keine Bandläsion erlitten habe.
Während die ÖKK auf Abweisung der Beschwerde schliesst, beantragt das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus die Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten ist. V. und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
BGE 135 V 194 S. 196
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (
Art. 97 Abs. 2 BGG
). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden (
Art. 105 Abs. 3 BGG
).
2.2
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (
Art. 99 Abs. 1 BGG
). Neue Begehren sind unzulässig (
Art. 99 Abs. 2 BGG
).
3.
3.1
Die heutige Beschwerdeführerin verneinte mit Verfügung vom 28. Juni 2007 einen Leistungsanspruch der Versicherten, da diese weder einen Unfall (
Art. 4 ATSG
[SR 830.1]) noch eine unfallähnliche Körperschädigung (
Art. 9 UVV
[SR 832.202]) erlitten habe. Zwar anerkannte sie, offenbar gestützt auf einen unzulässigerweise (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 422/00 vom 10. Oktober 2001 E. 2a) nicht bei den Akten liegenden Bericht der Uniklinik Y. vom 22. Mai 2007, dass die Versicherte eine der in
Art. 9 Abs. 2 UVV
aufgezählten Verletzungen erlitten habe, verneinte jedoch das rechtsprechungsgemäss (
BGE 129 V 466
) zur Leistungsbegründung ebenfalls notwendige Element des Vorliegens eines äusseren Faktors. Auch in ihrer Beschwerdeantwort vom 28. September 2007 bestätigte die Unfallversicherung grundsätzlich, es sei unbestritten, dass die Versicherte eine Bandläsion erlitten habe. Das kantonale Gericht bejahte demgegenüber das Tatbestandselement eines äusseren Faktors. Insofern die Beschwerdeführerin nunmehr rügt, die Vorinstanz sei in aktenwidriger Sachverhaltswürdigung von
BGE 135 V 194 S. 197
einer Bandläsion, und nicht bloss von einer Sprunggelenkdistorsion ausgegangen, bringt sie eine neue Tatsachenbehauptung im Sinne von
Art. 99 Abs. 1 BGG
vor.
3.2
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung. Es stellt sich somit die Frage, ob das in
Art. 99 Abs. 1 BGG
statuierte Verbot neuer Tatsachenvorbringen und neuer Beweismittel auch in jenen Fällen gilt, in denen das Bundesgericht gestützt auf Art. 97 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 105 Abs. 3 BGG
nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden ist. Zu entscheiden ist demnach, ob
Art. 97 Abs. 2 BGG
in dem Sinne wörtlich zu verstehen ist, dass tatsächlich "jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts" ("toute constatation incomplète ou erronée des faits", "qualsiasi accertamento inesatto o incompleto dei fatti giuridicamente rilevanti") gerügt werden kann - mithin auch jene, die darauf beruht, dass gewisse Tatsachen vor Vorinstanz ungenannt geblieben sind oder dass der Vorinstanz nicht alle massgeblichen Beweismittel vorgelegen haben - womit das Novenverbot von
Art. 99 Abs. 1 BGG
zu weichen hätte, oder ob
Art. 99 Abs. 1 BGG
seinerseits in dem Sinne eine Einschränkung der freien Kognition nach
Art. 97 Abs. 2 BGG
darstellt, als dass grundsätzlich nur jene unrichtigen oder unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen gerügt werden können, welche sich aus den vorinstanzlichen Akten ergeben.
3.2.1
Die bisherige Rechtsprechung zu dieser Frage ist uneinheitlich. Während unter der Herrschaft des OG davon ausgegangen wurde, dass das (damals indessen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte) Novenverbot in jenen Fällen, in denen die obersten Gerichte des Bundes über eine umfassende Kognition verfügten (
Art. 105 Abs. 1 und
Art. 132 lit. b OG
), nicht gilt (bezüglich
Art. 105 Abs. 1 OG
:
BGE 109 Ib 246
E. 3b S. 248;
BGE 102 Ib 124
E. 2a S. 127
;
55 I 173
E. 1; vgl. auch
BGE 113 Ib 327
E. 2b S. 331; bezüglich
Art. 132 lit. b OG
:
BGE 127 V 351
), wurde unter der Herrschaft des BGG die Zulässigkeit von Noven im Verfahren um Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung zunächst ohne einlässliche Prüfung der Frage verneint (vgl. Urteile 8C_82/2007 vom 20. Juni 2007 E. 2.2 und 8C_46/2008 vom 3. September 2008 E. 3.2). In weiteren Urteilen wurde die Frage ausdrücklich offengelassen (vgl. an Stelle vieler: SVR 2009 UV Nr. 3 S. 9, 8C_354/2007).
BGE 135 V 194 S. 198
3.2.2
Den Materialien kann zur Beantwortung der hier zu prüfenden Fragen nichts Abschliessendes entnommen werden. Zwar begründete der Bundesrat das Novenverbot gemäss
Art. 99 Abs. 1 BGG
damit, dass - soweit dem Bundesgericht nur die Rechtskontrolle obliegt, es also die Feststellung des Sachverhaltes nicht überprüfen kann - die Parteien gehalten sind, alle rechtsrelevanten Tatsachen und tauglichen Beweismittel bereits bei den Vorinstanzen zu nennen (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202 ff., 4339 Ziff. 4.1.4.3). Zu beachten ist allerdings in diesem Zusammenhang, dass im bundesrätlichen Entwurf die spezielle Kognition gemäss Art. 97 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 105 Abs. 3 BGG
nicht vorgesehen war und diese erst während den Beratungen des Parlamentes Eingang ins Gesetz gefunden hat.
3.2.3
In der Lehre wird die Zulässigkeit von Noven im Verfahren nach
Art. 97 Abs. 2 BGG
teilweise verneint (NICOLAS VON WERDT, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 4 zu
Art. 99 BGG
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, N. 4042; SCHOTT, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 34 zu
Art. 97 BGG
), teilweise bejaht (ULRICH MEYER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 52 zu
Art. 99 BGG
; UELI KIESER, Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 315 Rz. 236;
derselbe
, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 61 zu
Art. 62 ATSG
). Während KIESER seine Ansicht lediglich mit einem Hinweis auf die Botschaft (vgl. dazu E. 3.2.2 hievor) begründet, führt MEYER aus, die versicherte Person könne den angefochtenen Entscheid in tatsächlicher Hinsicht nicht wirksam anfechten, wenn es ihr verwehrt sei, neue Tatsachen ins Feld zu führen, welche die vorinstanzliche Beweiswürdigung als nicht überzeugend erscheinen liessen. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden: So sieht etwa Art. 310 lit. b der Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO, BBl 2009 21) vor, dass mit dem Rechtsmittel der Berufung die unrichtige Feststellung des Sachverhaltes geltend gemacht werden kann. Gleichzeitig werden gemäss
Art. 317 Abs. 1 ZPO
neue Tatsachen und Beweismittel im Berufungsverfahren nur noch unter einschränkenden Voraussetzungen berücksichtigt. Demnach wird eine Bestimmung, welche die freie Überprüfbarkeit des Sachverhaltes vorsieht, nicht jeden Sinnes entleert, wenn gleichzeitig ein Novenverbot gilt.
BGE 135 V 194 S. 199
Somit folgt aus Art. 97 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 105 Abs. 3 BGG
nicht zwingend, dass das Novenverbot gemäss
Art. 99 Abs. 1 BGG
nicht gelten kann.
3.3
Folgt aus der speziellen Kognitionsregel für Verfahren um Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- und Unfallversicherung nicht zwingend, dass
Art. 99 Abs. 1 BGG
in diesen Verfahren nicht gelten kann, so besteht kein Grund, vom klaren Wortlaut dieser Norm abzuweichen. Im kantonalen Verfahren gilt auch im Streit um Geldleistungen dieser Versicherungszweige, dass das kantonale Versicherungsgericht die erheblichen Tatsachen unter Mitwirkung der Parteien feststellt (
Art. 61 lit. c ATSG
); verletzt eine Partei im vorinstanzlichen Verfahren diese Mitwirkungspflicht, so ist sie im oberinstanzlichen Verfahren mit ihren neuen Vorbringen nicht zu hören (vgl. MEYER, a.a.O., N. 6 zu
Art. 99 BGG
).
3.4
Somit dürfen neue Tatsachen und Beweismittel auch in Verfahren über Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Aus
Art. 105 Abs. 3 BGG
ergibt sich, dass das Bundesgericht in diesen Verfahren die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz dann von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen kann, wenn diese unrichtig sind, ohne dass diese Unrichtigkeit offensichtlich im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG
sein müsste. Das Bundesgericht ist demnach in den in
Art. 105 Abs. 3 BGG
genannten Verfahren bereits dann nicht an die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen gebunden, wenn die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung zwar vertretbar wäre, eine abweichende Würdigung jedoch vorzuziehen ist. Daraus ist indessen nicht der Schluss zu ziehen, dass
Art. 99 Abs. 1 BGG
in diesen Verfahren nicht anwendbar wäre. Im Gegenteil, stehen doch
Art. 99 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 3 BGG
zueinander nicht in Widerspruch. Letztere Bestimmung besagt, dass der Beschwerdeführer den Sachverhalt frei, das heisst ohne an die Einschränkungen nach
Art. 105 Abs. 2 BGG
(offensichtliche Unrichtigkeit oder auf einer Rechtsverletzung beruhend) gebunden zu sein, kritisieren kann. Es kann also jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (
Art. 97 Abs. 2 BGG
). Das Bundesgericht kann daher in Beschwerdeverfahren betreffend Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung jede unrichtige oder unvollständige
BGE 135 V 194 S. 200
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen. Mit der Sondernorm des
Art. 105 Abs. 3 BGG
verfolgte der Gesetzgeber offenbar das Ziel, mangelhafte Sachverhaltsfeststellungen durch kantonale Gerichte, welche grossen Einfluss auf die Höhe der Geldleistungen haben können, zu vermeiden (vgl. Votum Glasson, AB 2004 N 1611).
Art. 99 Abs. 1 BGG
schränkt die freie Überprüfungsbefugnis nach dem Gesagten nicht ein, sondern schliesst dabei lediglich neue Tatsachen oder Beweismittel aus, was nicht dasselbe ist. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a6a0db23-5ac5-44b2-9f63-6de84876e72a | Urteilskopf
117 Ia 277
44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Juli 1991 i.S. K. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
. Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung.
Der von
Art. 4 BV
garantierte Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung ist grundsätzlich auch für das nichtstreitige Verwaltungsverfahren betreffend Rückversetzung in den Massnahmenvollzug bzw. Vollzug der aufgeschobenen Strafe (
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
) gewährleistet (E. 5a).
Voraussetzungen für die Bejahung eines unmittelbar aus der Bundesverfassung fliessenden Anspruches auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung (Zusammenfassung, E. 5b). Die Notwendigkeit der Verbeiständung ist im vorliegenden Fall zu bejahen: Die zuständige Behörde hat in einem früheren Verfahrensstadium den Antrag gestellt, die aufgeschobene Freiheitsstrafe sei zu vollziehen, obwohl aus den Akten schwerwiegende Indizien für die Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers ersichtlich sind. Es stellen sich somit schwierige Tat- und Rechtsfragen (E. 5b/bb-cc). | Sachverhalt
ab Seite 278
BGE 117 Ia 277 S. 278
Am 5. Dezember 1985 verurteilte die I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich K. wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Raub und weiteren Delikten zu vier Jahren Zuchthaus und einer Busse. Der Strafvollzug wurde zugunsten einer Massnahme gemäss Art. 44 Ziff. 1 i. V. m. Ziff. 6 StGB aufgeschoben und K. wurde in eine Drogenentziehungsanstalt eingewiesen. Mit Verfügung vom 23. Juni 1987 bewilligte die Justizdirektion des Kantons Zürich seine bedingte Entlassung aus dem Massnahmenvollzug und setzte ihm zur Bewährung eine Probezeit von zwei Jahren an.
Am 3. August 1988 wurde K. in Frankreich wegen Betäubungsmitteldelikten zu vier Jahren Freiheitsentzug und Busse verurteilt. Die Justizdirektion des Kantons Zürich stellte am 3. Juni 1989 unter Hinweis auf diese Verurteilung dem Obergericht den Antrag, es sei die aufgeschobene Freiheitsstrafe zu vollziehen. Mit Beschluss vom 7. November 1989 trat das Obergericht auf die Eingabe der Justizdirektion nicht ein, da diese über die Frage der Rückversetzung in den Massnahmenvollzug noch keinen förmlichen und in Rechtskraft erwachsenen Entscheid im Sinne von
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
gefällt habe. Die von der Justizdirektion und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen diesen Entscheid erhobenen kantonalen und eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerden wurden am 20. März bzw. 14. Mai 1990 vom Kassationsgericht des Kantons Zürich und vom Bundesgericht abgewiesen.
Mit Eingabe vom 30. November 1989 stellte K. der Justizdirektion den Antrag, er sei in den Massnahmenvollzug zurückzuversetzen und es sei ihm im Rückversetzungsverfahren die unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung zu gewähren. Mit Zwischenentscheid vom 5. September 1990 wies die Justizdirektion das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung ab. Den dagegen von K. erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 12. Dezember 1990 ab. Die gegen den Beschluss des Regierungsrates erhobene staatsrechtliche Beschwerde heisst das Bundesgericht gut.
BGE 117 Ia 277 S. 279
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Zur Hauptsache rügt der Beschwerdeführer, der angefochtene Entscheid verletze den unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung. Es fragt sich zunächst, ob der betreffende Verfassungsanspruch grundsätzlich auch für das Verfahren gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
gewährleistet ist, bei dem die zuständige Behörde über die Rückversetzung in den Massnahmenvollzug entscheidet oder dem Richter den Vollzug der aufgeschobenen Strafe beantragt.
a) In einem Strafverfahren hat der bedürftige Angeklagte unmittelbar gestützt auf
Art. 4 BV
Anspruch auf unentgeltliche Verteidigung, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Angeklagte nicht gewachsen ist (
BGE 115 Ia 105
mit Hinweisen;
BGE 109 Ia 13
E. 3b). Wie das Bundesgericht weiter entschieden hat, stellt auch das Verfahren, in dem der Richter bei Versagen einer im Haupturteil angeordneten Behandlung über die Vollstreckung der Strafe oder die Anordnung einer anderen Massnahme zu befinden hat, eine Fortsetzung bzw. Ergänzung des Hauptverfahrens dar, und sind die Regeln über die Gewährung der amtlichen Verteidigung analog anzuwenden, sei dies in den Fällen von
Art. 43 Ziff. 3 StGB
(
BGE 106 Ia 182
f. E. 2a) oder in solchen von
Art. 44 Ziff. 3 StGB
(unveröffentlichtes Urteil vom 12. Juli 1984 i.S. C. W.).
In
BGE 112 Ia 17
f. E. 3c wurde ein unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessender Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung auch "im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren" anerkannt, "wo dies zur Wahrung der Interessen des unbemittelten Bürgers erforderlich ist". Gemäss einem nach
Art. 16 OG
durchgeführten Meinungsaustausch zwischen dem Eidgenössischen Versicherungsgericht und dem Bundesgericht wurde mit diesem Entscheid der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für das nichtstreitige Verwaltungsverfahren, welches zum Erlass einer anfechtbaren Verfügung führt, weder verneint noch bejaht (
BGE 114 V 232
E. 4b; die Regeste von
BGE 112 Ia 14
bezieht sich in diesem Sinne auch ausdrücklich nur auf das "Verwaltungsbeschwerde- und Verwaltungsgerichtsverfahren"). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat den Anspruch in gewissen sachlichen und zeitlichen Grenzen in der Folge auf das nichtstreitige IV-Abklärungsverfahren gemäss
Art. 65 ff. IVV
BGE 117 Ia 277 S. 280
ausgedehnt (
BGE 114 V 234
ff. E. 5a-c). Umso mehr müssen die vom Bundesgericht entwickelten Regeln zum Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung auch für das Verwaltungsverfahren betreffend Rückversetzung in den Massnahmenvollzug nach bedingter oder probeweiser Entlassung gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
Berücksichtigung finden, können die entsprechenden Entscheide doch zu empfindlichen Eingriffen in die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen führen (vgl. z.B. für den Fall einer Rückversetzung in die Verwahrung im Verfahren von
Art. 45 Ziff. 3 StGB
den Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S. Christinet c. CH, DR 17.35). Gerade in diesem Grenzbereich zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht, in dem ebenfalls heikle Rechts- und Tatfragen oder schwierige Verfahrenssituationen denkbar sind, darf es nicht allein vom Zufall des vom Gesetzgeber gewählten Verfahrensweges abhängen, ob ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege besteht oder nicht (vgl.
BGE 112 Ia 17
E. 3b). Vielmehr muss es dem Bedürftigen ermöglicht sein, zur Geltendmachung schwerwiegender Interessen gegenüber den Behörden einen Rechtskundigen beizuziehen, sofern dies zur Wahrung seiner Rechte notwendig erscheint und sein Standpunkt nicht aussichtslos ist. Was das Rückversetzungsverfahren gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
angeht, werden sogar Zweifel daran geäussert, ob die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention überhaupt genügen kann (vgl. STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar StGB,
Art. 45 N 8
).
Der Entscheid der Justizdirektion ist für den Beschwerdeführer von erheblicher Tragweite: Bei einer Verweigerung der Rückversetzung in die Massnahme und einem Vollzug der aufgeschobenen Strafe hätte der Beschwerdeführer unbestrittenermassen eine Restfreiheitsstrafe von 354 Tagen zu verbüssen, sofern ihm Untersuchungshaft und Massnahmenvollzug durch den Richter angerechnet werden (
Art. 44 Ziff. 5 StGB
). Der Beschwerdeführer befindet sich demgegenüber heute auf freiem Fuss und geht nach Darstellung des Regierungsrates seit längerem einer geregelten Erwerbstätigkeit nach. Als Konsequenz einer Rückversetzung in die Massnahme hätte der Beschwerdeführer eine stationäre Behandlung in einer Heilanstalt für Drogensüchtige zu gewärtigen, deren neue Höchstdauer zwei Jahre beträgt und deren Gesamtdauer bei mehrfacher Rückversetzung bis auf sechs Jahre ausgedehnt werden kann (
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 6 StGB
). Obwohl es sich beim Entscheid
BGE 117 Ia 277 S. 281
betreffend Rückversetzung bzw. beim Vollzug der Reststrafe nicht um eine neuerliche strafrechtliche Beurteilung und Sanktionierung handelt sondern um die Fortsetzung des Vollzuges infolge der Nichtbewährung während der Probezeit (vgl. HUBERT STURZENEGGER, Die bedingte Entlassung im schweizerischen Strafrecht, Diss. ZH 1954, S. 131), zieht der Verwaltungsentscheid gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
gleichwohl einschneidende Konsequenzen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nach sich. Für den Fall, dass die Justizdirektion dem Richter Antrag auf Vollzug der aufgeschobenen Strafe stellen sollte, wäre deren Entscheid insofern noch von besonderer Tragweite, als der Richter in der Folge die Vollstreckung zwingend anordnen müsste und allenfalls noch über die Anrechnung der durchgeführten Massnahme (
Art. 44 Ziff. 5 StGB
) zu entscheiden hätte (Appellationsgericht BS, BJM 1985, S. 312; Obergericht ZH, SJZ 1979, S. 332; vgl. STEFAN TRECHSEL, a.a.O., N 9).
Alle diese Umstände sprechen dafür, dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtsverbeiständung schon im Verwaltungsverfahren vor der Justizdirektion des Kantons Zürich zu ermöglichen, sofern die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien erfüllt sind.
b) Im folgenden ist demnach zu prüfen, ob die einzelnen Voraussetzungen gegeben sind, welche die Bundesgerichtspraxis für die Bejahung eines unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden Anspruches auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung entwickelt hat. Das Bundesgericht prüft das Vorliegen dieser Voraussetzungen mit freier Kognition (
BGE 112 Ia 9
E. 2 mit Hinweisen).
aa) Als erstes setzt der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung voraus, dass der Gesuchsteller bedürftig ist (
BGE 114 V 231
E. 4a;
BGE 112 Ia 9
E. 2, 15 E. 3a). Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist vorliegend unbestritten und geht auch aus den Akten hervor. Der Regierungsrat behauptet nicht, dass aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer seit seiner Haftentlassung aus dem französischen Strafvollzug Ende 1989 ein geordnetes Leben aufgebaut habe, etwas Gegenteiliges abzuleiten wäre.
bb) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes kann über den Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung hinaus aus
Art. 4 BV
nur dann ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung abgeleitet werden, wenn letztere notwendig erscheint. Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalles und die Eigenheiten der anwendbaren kantonalen Verfahrensvorschriften zu
BGE 117 Ia 277 S. 282
berücksichtigen. Falls es sich nicht um ein Strafverfahren handelt, bei dem die Ausfällung einer freiheitsentziehenden Massnahme oder einer Strafe in Aussicht steht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausschliesst, müssen zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen (
BGE 115 Ia 105
;
BGE 112 Ia 15
E. 3a, je mit Hinweisen;
BGE 102 Ia 90
f. E. 2b). Dass im betreffenden Verfahren die Offizialmaxime gilt, stellt keinen hinreichenden Grund dar, die Notwendigkeit der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung zu verneinen (
BGE 115 Ia 105
;
BGE 112 Ia 11
E. 2c;
BGE 110 Ia 28
, je mit Hinweisen). Es kann im vorliegenden Fall offengelassen werden, ob allein schon angesichts der besonderen Wichtigkeit und Tragweite des Verfahrens ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung bejaht werden muss (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 24. Mai 1991 i.S. Quaranta c. CH, EGMR Série A, vol. 205, Ziff. 33). Wie aus den nachfolgenden Erwägungen ergeht, sind nämlich vorliegend zusätzlich auch noch schwierige Tat- und Rechtsfragen zu beurteilen.
Der Regierungsrat stellt sich auf den Standpunkt, es seien im vorliegend von der Justizdirektion zu entscheidenden Fall "keine nicht leicht zu behandelnden tatsächlichen Fragen zu beantworten", deshalb erscheine die unentgeltliche Rechtsverbeiständung des Beschwerdeführers nicht notwendig. Der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben nach seiner bis Ende 1989 dauernden Inhaftierung in Frankreich in die Schweiz zurückgekehrt, er wohne heute in Wald ZH und gehe "seit längerem einer geregelten Erwerbstätigkeit nach", Drogenrückfälle seit seiner Inhaftierung seien auf Grund der Akten nicht ersichtlich. Es sei daher "davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seit rund drei Jahren keine Drogen mehr konsumiert und es ihm überdies nach seiner Entlassung gelungen ist, ein geordnetes Leben aufzubauen". Aufgrund dieser Sachlage sei die Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers "zum vornherein ausgeschlossen" und es würden sich im Verfahren gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
keine schwierigen Tat- oder Rechtsfragen stellen.
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Im Gutachten der Psychiatrischen Klinik Rheinau vom 23. Juli 1985 wurde beim Beschwerdeführer eine "ausgeprägte Suchtstruktur" diagnostiziert, nachdem dieser seit 1981 unter anderem Heroin und Kokain geschnupft hatte. Gestützt auf das psychiatrische Gutachten schob das Obergericht des Kantons Zürich die ausgefällte Freiheitsstrafe
BGE 117 Ia 277 S. 283
zu Gunsten einer Massnahme gemäss
Art. 44 Ziff. 6 StGB
auf, worauf der Beschwerdeführer mit Verfügung vom 10. Dezember 1985 in eine Drogenentziehungsanstalt eingewiesen wurde. Nach seiner bedingten Entlassung aus dem Massnahmenvollzug am 30. Juni 1987 wurde der Beschwerdeführer noch während der zweijährigen Probezeit vom französischen Tribunal de Grande Instance de Thionville u.a. wegen Drogenschmuggels zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Unbestrittenermassen befand sich der Beschwerdeführer vom 23. April 1988 bis Ende 1989 im Strafvollzug in Frankreich. Der Beschwerdeführer legt dar, er sei "in Frankreich trotz eineinhalbjähriger tadelloser Bewährung im stationären Massnahmenvollzug in bezug auf den Konsum harter Drogen massiv rückfällig geworden" und im französischen Strafvollzug sei "keinerlei therapeutische Arbeit geleistet" worden.
Angesichts dieser Aktenlage muss die Auffassung des Regierungsrates, die Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers könne "zum vornherein ausgeschlossen werden" und es stellten sich diesbezüglich keine schwierigen Fragen, zumindest auf grosse Bedenken stossen. Fragwürdig erscheint besonders die Auffassung, es könne angenommen werden, dass der Beschwerdeführer "seit rund drei Jahren keine Drogen mehr konsumiert" habe, nachdem eine ausgeprägte Drogensucht gutachtlich festgestellt worden ist, der Beschwerdeführer am 3. August 1988, also nicht lange nach seiner bedingten Entlassung aus dem Massnahmenvollzug, wieder einschlägig wegen Drogenschmuggels verurteilt wurde und er sich bis Ende 1989 im unbetreuten Strafvollzug befand. Angesichts der allgemein bekannten Drogenproblematik im Strafvollzug (vgl. KURT BIENER, Die Gesundheitsproblematik im Strafvollzug, Grüsch 1989, S. 48; HANS FUESS, Der Drogenabhängige im Strafvollzug, Der Strafvollzug in der Schweiz 1982, S. 62 ff.; FRANZ MOGGI, Drogenabhängige im Straf- und Massnahmenvollzug, Der Strafvollzug in der Schweiz 1982, S. 58 ff.) erschiene unter diesen Umständen ein Nichtrückfall eher erstaunlich.
cc) Entgegen der Auffassung des Regierungsrates stellen sich somit bezüglich der im Verfahren gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
abzuklärenden Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers offensichtlich schwierige Tat- und Rechtsfragen. In formeller Hinsicht ist das Verfahren vor der Zürcher Justizdirektion zwar nicht besonders kompliziert ausgestaltet, völlig anspruchslos erscheint es - gerade für einen möglicherweise
BGE 117 Ia 277 S. 284
behandlungsbedürftigen Drogensüchtigen - indessen nicht; mit verfahrensrechtlichen Problemen hatte sich auch schon das Bundesgericht auseinanderzusetzen (insbesondere ist dem Betroffenen im Verfahren nach
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
ausreichendes rechtliches Gehör zu gewähren,
BGE 102 Ib 250
E. 3; vgl. zu materiell- und formellrechtlichen Fragen auch HUBERT STURZENEGGER, a.a.O., S. 95 ff.; 122 ff.; HANSPETER HÄNNI, Die Praxis der bedingten bzw. probeweisen Entlassung aus dem Straf- und Massnahmenvollzug im Kanton Graubünden, Diss. BS 1978, S. 147 ff.). Im vorliegenden Fall liegen zudem noch spezielle Umstände vor, welche die vollständige Unvoreingenommenheit und Objektivität der zuständigen Behörde aus der Sicht des Beschwerdeführers fraglich erscheinen lassen könnten. So hat sich die Justizdirektion zum vorliegenden Fall insoweit bereits geäussert, als sie dem Obergericht des Kantons Zürich schon am 3. Juni 1989 den Antrag gestellt hatte, es sei die aufgeschobene Strafe zu vollziehen. Den Nichteintretensentscheid des Obergerichtes zogen die Justizdirektion und die Staatsanwaltschaft mit kantonalen und eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerden bis vor Bundesgericht. Die Beschwerden wurden mit Entscheiden vom 20. März bzw. 14. Mai 1990 abgewiesen, die Justizdirektion und der heutige Beschwerdeführer standen sich in den Verfahren zumindest formal als Parteien gegenüber.
In Würdigung all dieser Umstände ist die Notwendigkeit einer unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im vorliegenden Fall zu bejahen.
dd) Als weitere Voraussetzung für einen direkt aus
Art. 4 BV
ableitbaren Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung verlangt die Praxis des Bundesgerichtes, dass das Rechtsbegehren des Gesuchstellers nicht zum vornherein aussichtslos erscheint (
BGE 112 Ia 18
mit Hinweisen). Wie bereits ausgeführt, kann der Auffassung des Regierungsrates, der Nachweis einer Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers sei zum vornherein ausgeschlossen, damit sei auch dessen Begehren um Rückversetzung in den Massnahmevollzug aussichtslos, nicht gefolgt werden (E. bb). Die zuständige Behörde wird vielmehr abklären müssen (nötigenfalls unter Anordnung der geeigneten Beweismassnahmen), ob sich seit der Entlassung des Beschwerdeführers die tatsächlichen Verhältnisse betreffend Drogensucht in der Weise geändert haben, dass entgegen dem letzten psychiatrischen Gutachten und den erwähnten Indizien eine Massnahmebedürftigkeit verneint werden kann. Das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers im Verfahren
BGE 117 Ia 277 S. 285
gemäss
Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
erscheint in diesem Zusammenhang nicht als zum vornherein aussichtslos.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 12. Dezember 1990 wird aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
a6a4080d-2b55-4948-8c2f-63a063d05d76 | Urteilskopf
137 III 226
36. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre Y. SA (recours en matière civile)
4A_16/2011 du 18 mars 2011 | Regeste
Produktehaftpflicht; ersatzfähiger Schaden (
Art. 1 PrHG
); Nachweis eines Fabrikationsfehlers (
Art. 4 Abs. 1 PrHG
); Ausnahme von der Haftung nach
Art. 5 Abs. 1 lit. e PrHG
.
Eine Person, der eine Hüftprothese implantiert worden ist, kann den Ersatz des Folgeschadens verlangen, der sich aus einer durch die fehlerhafte Prothese verursachten Körperverletzung ergibt, und zwar ohne dass geprüft werden müsste, ob es sich beim Implantat um eine zum privaten Gebrauch des Patienten bestimmte Sache handelt (E. 2).
Der Geschädigte hat den Fehler zu beweisen. Auch wenn mitunter kein strikter Beweis verlangt werden kann, kommt es nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Der Geschädigte kann daher der Herstellerin nicht vorwerfen, ihre Produktionsverfahren nicht aufgezeigt zu haben, nachdem ihm der Beweis eines Produktionsfehlers misslungen ist, weil er die strittige Prothese nicht vorweisen konnte (E. 3).
Eine Produktehaftpflicht für Entwicklungsrisiken ist ausgeschlossen, mithin für unvorhersehbare Risiken, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts nach dem damaligen Stand der Wissenschaft sowie der Technik nicht erkennbar waren (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 227
BGE 137 III 226 S. 227
A.
Lors d'une intervention chirurgicale effectuée le 19 avril 1996 dans une clinique genevoise, une prothèse de la hanche droite a été implantée à X., alors âgée de trente-huit ans. La prothèse était composée d'une coque en métal - la cupule - avec un noyau en polyéthylène Z., d'un liner - ou insert - également en polyéthylène Z., d'une tête en zirconium, ainsi que d'une tige fémorale. Elle avait été produite par une société reprise en 1999 par Y. SA.
BGE 137 III 226 S. 228
A fin 1999, un examen radiologique a permis de constater l'usure du polyéthylène Z. composant l'insert de la cupule. En 2001, l'usure s'était accentuée. Le 9 avril 2002, X. a subi une nouvelle opération afin de remplacer la cupule.
B.
Le 27 mai 2004, X., alors domiciliée dans le canton de Genève, a ouvert contre Y. SA une action fondée sur la loi fédérale du 18 juin 1993 sur la responsabilité du fait des produits (LRFP; RS 221.112. 944). Ses dernières conclusions tendaient au paiement d'un montant de 293'934 fr., à savoir 231'640 fr. pour le préjudice ménager, 12'294 fr. à titre d'atteinte à l'avenir économique, 30'000 fr. en réparation du tort moral et 20'000 fr. pour les frais juridiques avant procès.
Par jugement du 4 février 2010, le Tribunal de première instance du canton de Genève a débouté X. des fins de sa demande. Il a tout d'abord rejeté l'exception de prescription soulevée par Y. SA. Il a exclu ensuite un défaut structurel ou de conception de la prothèse; à titre subsidiaire, il a jugé que l'état des connaissances scientifiques et techniques, lors de la mise en circulation de la prothèse, ne permettait pas de déceler l'existence d'un éventuel défaut.
Statuant le 19 novembre 2010 sur appel de X., la Chambre civile de la Cour de justice du canton de Genève a confirmé le rejet de la demande. Écartant une objection nouvelle de Y. SA, elle a admis que la prothèse était un produit au sens de la LRFP. Puis, contrairement au Tribunal de première instance, elle a jugé que la prothèse était défectueuse au sens de l'
art. 4 LRFP
. Elle a toutefois exclu la responsabilité de Y. SA en application de l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP, considérant que, lors de la mise en circulation de la prothèse, l'état des connaissances scientifiques et techniques ne permettait pas de déceler l'existence du défaut.
C.
X. a interjeté un recours en matière civile. Elle concluait à ce que Y. SA fût condamnée à lui payer 293'934 fr. avec intérêts à 5 % l'an dès la date du jugement sur 243'934 fr., dès le mois de mai 2002 sur 30'000 fr. et dès le mois de juin 2004 sur 20'000 fr.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure de sa recevabilité.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Il convient d'examiner en premier lieu un moyen soulevé dans la réponse au recours. En effet, si, comme l'intimée le prétend, la LRFP ne s'applique ni aux implants ni aux prothèses, le rejet de l'action
BGE 137 III 226 S. 229
fondée sur la LRFP devrait être confirmé sans qu'il soit nécessaire de se pencher sur les griefs de la recourante.
2.1
Selon l'intimée, une prothèse de la hanche est un produit utilisé exclusivement par le médecin dans le cadre de son activité professionnelle; seul un praticien spécialisé peut l'implanter lors d'une opération chirurgicale, c'est-à-dire dans le cadre d'une prestation de service rémunérée. Une telle prothèse ne serait ainsi pas un produit destiné à être mis à la disposition du consommateur pour un usage privé. L'intimée en déduit que la LRFP n'est pas applicable en l'espèce. Elle invoque à cet égard l'
art. 1 al. 1 let. b LRFP
, ainsi qu'un arrêt de la Cour de justice des Communautés européennes (CJCE) relatif à la Directive 85/374/CEE (arrêt du 4 juin 2009 C-285/08
Moteurs Leroy Somer contre Dalkia France et Ace Europe
).
2.2
A titre liminaire, il y a lieu de préciser la portée de la jurisprudence européenne invoquée par l'intimée.
Préparée dans la perspective de l'entrée de la Suisse dans l'Espace Economique Européen (EEE), la LRFP a été adoptée malgré le rejet de l'Accord sur l'EEE en votation populaire. Dans ce contexte, la LRFP a été largement inspirée par la Directive 85/374/CEE du Conseil du 25 juillet 1985 relative au rapprochement des dispositions législatives, réglementaires et administratives des États membres en matière de responsabilité du fait des produits défectueux, JO L 210 du 7 août 1985 p. 29 (cf.
ATF 133 III 81
consid. 3 p. 83). Au contraire de ce qui vaut dans d'autres matières (cf.
ATF 134 III 218
consid. 3.3 p. 221 s.), il n'existe toutefois aucune obligation pour les tribunaux suisses, lors de l'interprétation de la LRFP, de tenir compte de la jurisprudence européenne en matière de responsabilité du fait des produits. Cela étant, l'intention du législateur d'adapter le droit suisse au droit européen de manière autonome doit être prise en compte et il convient donc d'éviter de contrecarrer l'harmonisation voulue sans qu'il y ait pour cela un bon motif (cf.
ATF 129 III 335
consid. 6 p. 350; cf. également
ATF 136 III 552
consid. 3.3 p. 558;
ATF 133 III 180
consid. 3.5 p. 184;
ATF 132 III 32
consid. 4.1 p. 37).
2.3
Selon l'
art. 1 al. 1 let. b LRFP
, le producteur est responsable lorsqu'un produit défectueux cause un dommage à une chose ou la destruction d'une chose d'un type qui la destine habituellement à l'usage ou à la consommation privés et qui a été principalement utilisée à des fins privées par la victime. L'
art. 1 al. 2 LRFP
précise que le producteur ne répond pas du dommage causé au produit défectueux lui-même, ce préjudice étant régi par le droit de la responsabilité
BGE 137 III 226 S. 230
contractuelle (cf. FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, Grundriss der Produktehaftpflicht, 1993, n° 130 p. 61).
Ces dispositions correspondent au droit européen, lequel prévoit que, si un défaut d'un produit cause un dommage à une chose ou la destruction d'une chose, autre que le produit défectueux lui-même, le producteur dudit produit en est responsable, à condition que cette chose soit d'un type normalement destiné à l'usage ou à la consommation privés et qu'elle ait été utilisée par la victime principalement pour son usage ou sa consommation privés (art. 1
er
et art. 9 let. b de la Directive 85/374/CEE).
La CJCE a interprété l'art. 9 let. b de la Directive 85/374/CEE dans l'arrêt invoqué par l'intimée, l'objet du litige étant un dommage matériel causé à un bâtiment par un groupe électrogène défectueux qui avait pris feu; elle a jugé que la directive précitée ne s'appliquait pas à la réparation de dommages causés à une chose destinée à l'usage professionnel et utilisée pour cet usage, mais qu'elle n'empêchait pas le législateur national d'instaurer une responsabilité du producteur pour de tels préjudices. En d'autres termes, selon la jurisprudence de la CJCE, le droit communautaire n'exclut pas une responsabilité du producteur pour des dommages à des choses à usage professionnel (cf. critique de RENATE SCHAUB, Europäische Produktehaftung: Wie weit reicht die Harmonisierung heute-, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht [ZEuP] 2011 p. 56 ss).
En l'espèce, on ne voit pas en quoi l'
art. 1 al. 1 let. b LRFP
, la Directive 85/374/CEE ou la jurisprudence européenne précitée apporteraient un quelconque argument en faveur de la thèse de l'intimée. En effet, la recourante ne réclame pas réparation d'un dommage que la prothèse, à cause d'un défaut, aurait causé à une autre chose, hypothèse envisagée à l'
art. 1 al. 1 let. b LRFP
et à l'art. 9 let. b de la directive, interprété par la CJCE. Il n'y a donc pas à se demander en l'occurrence si une prothèse de la hanche est une chose à usage privé du patient. Le préjudice en jeu n'est pas non plus le dommage subi par la prothèse elle-même, auquel cas la LRFP ne s'appliquerait effectivement pas. La demande de la recourante tend en réalité à obtenir réparation du dommage consécutif à des lésions corporelles causées par la prothèse du fait de défauts. La disposition topique n'est pas l'
art. 1 al. 1 let. b LRFP
, mais l'
art. 1 al. 1 let. a LRFP
, qui prévoit une responsabilité du producteur lorsque le produit défectueux provoque des lésions corporelles. Or, dans ce cas-là, il est sans importance de savoir si le produit a été utilisé dans le cadre d'une
BGE 137 III 226 S. 231
activité privée ou professionnelle (FRANZ WERRO, Produktehaftpflicht, SPR vol. X, 2008, p. 416).
Pour le surplus, l'intimée ne conteste plus que la prothèse de la hanche est un produit au sens de l'
art. 3 LRFP
(cf. WALTER FELLMANN, in Basler Kommentar, Obligationenrecht, vol. I, 4
e
éd. 2007, n° 4 ad
art. 3 LRFP
; HANS-JOACHIM HESS, Kommentar zum Produktehaftpflichtgesetz [PrGH], 2
e
éd. 1996, n° 54 p. 234). Et le fait que la prothèse ait été utilisée à l'occasion d'un service ne saurait lui enlever cette qualité (cf. FRANZ WERRO, La responsabilité civile, 2005, n
os
742 s. p. 192 s.).
Il s'ensuit que la cour cantonale s'est fondée à bon droit sur la LRFP pour se prononcer sur la prétention de la recourante.
3.
3.1
A la différence du Tribunal de première instance, la Chambre civile a jugé que la prothèse implantée à la recourante était défectueuse. Elle a nié une erreur dans le processus de fabrication. En revanche, elle a admis une erreur de conception; à son avis, l'usure précoce de la prothèse présentait un danger pour la patiente parce qu'elle entraînait la production de particules pouvant aboutir à une résorption osseuse. En outre, elle a retenu un défaut d'instruction, car l'intimée a créé des attentes infondées quant à la résistance accrue de sa prothèse.
Les parties critiquent toutes deux cette partie de l'arrêt cantonal. Pour la recourante, la Chambre civile a exclu à tort l'existence d'un défaut de fabrication de la prothèse implantée lors de l'intervention du 19 avril 1996. Comme l'intimée n'a ni exposé ni établi ses procédures de fabrication, un défaut de fabrication touchant un seul produit du même lot ne serait pas exclu. Or, la preuve libératoire fondée sur l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP, admise en l'espèce par la Chambre civile, ne serait pas possible en cas de défaut de fabrication.
Pour sa part, l'intimée conteste toute erreur de conception ou d'instruction. Elle relève en particulier qu'il n'y a pas eu d'autres plaintes concernant le lot dont provenait la prothèse litigieuse et que Swissmedic n'a pas rencontré de problèmes avec le produit en question. Par ailleurs, le producteur nie avoir donné des garanties et fait des promesses; celles-ci émaneraient du médecin ayant posé la prothèse.
Comme la recourante prétend qu'un défaut de fabrication exclut la preuve libératoire au sens de l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP, il convient d'examiner son grief en priorité.
BGE 137 III 226 S. 232
3.2
Selon l'
art. 4 al. 1 LRFP
, un produit est défectueux lorsqu'il n'offre pas la sécurité à laquelle on peut légitimement s'attendre compte tenu de toutes les circonstances, notamment de sa présentation, de l'usage qui peut en être raisonnablement attendu et du moment de sa mise en circulation. Le défaut au sens de la LRFP se rapporte au niveau de sécurité du produit, et non pas à l'aptitude du produit à l'usage; la notion ne correspond ainsi pas à celle du défaut en matière de responsabilité contractuelle. Cela découle du but de la responsabilité du fait des produits, qui tend à protéger le consommateur contre les dommages causés à sa santé ou à ses biens par un produit défectueux. La sécurité attendue dans un cas donné s'apprécie de manière objective, en fonction des expectatives du consommateur moyen (
ATF 133 III 81
consid. 3.1 p. 83 s. et les références; WERRO, SPR, op. cit., p. 426). Il appartient au lésé de prouver le défaut. Même si parfois une preuve stricte n'est pas possible ou ne peut être raisonnablement exigée, il n'en découle pas un renversement du fardeau de la preuve au détriment du producteur (cf.
ATF 133 III 81
consid. 4.2 p. 87 ss).
Dans le cas particulier, l'examen de la prothèse litigieuse aurait permis d'établir s'il y avait ou non défaut de fabrication, à savoir une erreur intervenue dans le processus de fabrication d'un produit en soi bien conçu (
ATF 133 III 81
consid. 3.2 p. 85); selon toute probabilité, la lésée aurait alors été en mesure d'apporter une preuve stricte. Or, une telle démarche s'est révélée impossible parce que la recourante, respectivement le médecin qui a pratiqué l'intervention, n'ont pas conservé la prothèse retirée lors de l'opération du 9 avril 2002; la prothèse litigieuse n'a ainsi pas été produite dans la procédure du fait de la recourante. Toute possibilité de contre-preuve était pratiquement exclue pour l'intimée. En conséquence, rien ne saurait être déduit au détriment de l'intimée du fait qu'elle n'a pas apporté cette contre-preuve, ce d'autant moins qu'elle ne supporte pas le fardeau de la preuve et n'a pas à démontrer l'absence de défaut. Pour le reste, la recourante ne discute pas la motivation de la Chambre civile.
En conclusion, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en retenant qu'une erreur dans le processus de fabrication de la prothèse litigieuse n'avait pas été établie.
3.3
Les questions soulevées par l'intimée en rapport avec les défauts admis dans l'arrêt attaqué peuvent rester indécises s'il faut admettre, à l'instar des instances cantonales, qu'un cas d'exception à la responsabilité du producteur est de toute manière donné en l'espèce.
BGE 137 III 226 S. 233
4.
La Chambre civile a jugé que l'exception à la responsabilité prévue à l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP était réalisée. La recourante conteste que tel soit le cas.
4.1
Aux termes de l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP, le producteur d'un produit défectueux n'est pas responsable s'il prouve que l'état des connaissances scientifiques et techniques, lors de la mise en circulation du produit, ne permettait pas de déceler l'existence du défaut. Il s'agit d'exclure de la responsabilité du fait des produits ce que l'on nomme les risques de développement, à savoir des risques imprévisibles, non identifiables lors de la mise en circulation du produit compte tenu de l'état des connaissances scientifiques et techniques (WERRO, SPR, op. cit., p. 444 ss; FELLMANN/VON BÜREN-VON MOOS, op. cit., n
os
335 ss p. 119 ss).
L'état des connaissances scientifiques et techniques doit être établi selon un standard objectif, et non selon le savoir d'un producteur particulier. L'état des connaissances déterminant est celui existant au moment de la mise en circulation du produit concrètement mis en cause; il importe peu que des produits de la même série aient déjà été mis en circulation antérieurement. Ces connaissances doivent être accessibles à ce moment-là et être reconnues comme sérieuses par la communauté scientifique concernée; des opinions isolées ne sont en principe pas déterminantes, à tout le moins par rapport à des produits qui ne présentent pas un danger particulièrement élevé pour la population ou l'environnement (WERRO, SPR, op. cit., p. 446 s.).
La notion d'état des connaissances scientifiques et techniques relève du droit. En revanche, déterminer quel était cet état à un moment donné est une question de fait.
4.2
La Chambre civile a constaté notamment ce qui suit:
Les prothèses du type de celle posée à la recourante étaient admises sur les marchés américain, européen et suisse en 1996. La défectuosité du produit Z., à l'origine de l'usure prématurée de la prothèse litigieuse, n'a pas fait l'objet de publications scientifiques avant la date à laquelle la recourante a été opérée la première fois. Plusieurs années d'expérience ont été nécessaires pour constater que la viabilité plus longue du produit Z., promise
in vitro,
ne se confirmait pas
in vivo
; l'état des connaissances scientifiques et techniques en 1996 laissait encore penser à un avantage certain du produit Z. pour le patient. Sur la base de documents parus dans la littérature scientifique, rien ne permettait de présumer l'existence d'un défaut à l'époque de la pose de la prothèse.
BGE 137 III 226 S. 234
Ce sont là des constatations de fait qui lient le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
), à moins que la recourante ne démontre de manière circonstanciée qu'elles ont été établies de façon manifestement inexacte - notion qui correspond à celle d'arbitraire au sens de l'
art. 9 Cst.
(
ATF 136 II 304
consid. 2.4 p. 314;
ATF 135 III 127
consid. 1.5 p. 130,
ATF 135 III 397
consid. 1.5 p. 401;
ATF 135 II 145
consid. 8.1 p. 153) - ou en violation du droit au sens de l'
art. 95 LTF
, et que la correction du vice soit susceptible d'influer sur le sort de la cause (
art. 97 al. 1 et
art. 105 al. 2 LTF
;
ATF 135 III 127
consid. 1.5 p. 129 s.). En matière d'appréciation des preuves et d'établissement des faits, il n'y a arbitraire que lorsque l'autorité ne prend pas en compte, sans aucune raison sérieuse, un élément de preuve propre à modifier la décision, lorsqu'elle se trompe manifestement sur son sens et sa portée, ou encore lorsque, en se fondant sur les éléments recueillis, elle en tire des constatations insoutenables (
ATF 136 III 552
consid. 4.2 p. 560;
ATF 134 V 53
consid. 4.3 p. 62;
ATF 129 I 8
consid. 2.1 p. 9).
La recourante invoque brièvement l'arbitraire à propos de la conclusion de l'arrêt cantonal selon laquelle l'état des connaissances scientifiques et techniques en 1996 ne permettait pas de déceler l'existence du défaut. Elle expose, sans autre explication, que la Cour de justice est parvenue à cette conclusion sur la base d'éléments non probants et sans disposer d'éléments concrets, ni d'une expertise sur la question de l'état de la science et de la technique en matière de technologie et de physique des matériaux propre à se déterminer sur ce point, dans un domaine éminemment technique. Une telle critique sommaire, consistant en de simples affirmations, ne satisfait manifestement pas aux exigences légales en matière de motivation du grief d'arbitraire et se révèle, dans cette mesure, irrecevable.
La recourante renvoie en outre aux développements qu'elle a consacrés à la critique de l'application de l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP par la cour cantonale. Une telle façon de procéder est pour le moins contestable sur le plan procédural. Au demeurant, on n'y trouve rien qui soit susceptible d'établir l'arbitraire des constatations précitées. En particulier, la recourante n'indique pas concrètement pour quel motif il était arbitraire de se fonder sur les avis d'experts figurant au dossier, ni pour quel motif une autre expertise était indispensable. Pour démontrer l'arbitraire, elle aurait pu se référer à une publication scientifique ou technique antérieure à avril 1996 et non prise en compte par la cour cantonale, dans laquelle des problèmes liés au produit Z. étaient exposés ou traités. Or, elle n'en a rien fait.
BGE 137 III 226 S. 235
4.3
La recourante s'en prend également à l'application de l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP, contestant que l'intimée ait apporté la preuve libératoire.
Dans la mesure où elles concernent essentiellement les faits et leur établissement, ces objections ne sont, comme déjà relevé, pas recevables.
La recourante se plaint également d'une violation des règles sur le fardeau de la preuve, qui incombait en l'occurrence à l'intimée. La Chambre civile a admis, sur la base d'une appréciation des preuves, que l'état des connaissances et techniques, en 1996, ne permettait pas de déceler l'existence du défaut de la prothèse. Or, une règle sur le fardeau de la preuve ne prescrit pas quelles sont les mesures probatoires qui doivent être ordonnées (cf.
ATF 127 III 519
consid. 2a p. 522), ni comment le juge doit apprécier les preuves (cf.
ATF 128 III 22
consid. 2d p. 25;
ATF 127 III 248
consid. 3a p. 253,
ATF 127 III 519
consid. 2a p. 522). Dès lors que les faits sont prouvés, la question du fardeau de la preuve ne se pose plus, de sorte que le grief tombe à faux.
Pour le surplus, l'exonération de l'intimée en application de l'
art. 5 al. 1 let
. e LRFP ne prête pas le flanc à la critique sur le vu des faits rappelés ci-dessus. | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a6a85e01-af52-4e8e-8daf-3ec56c16a8c8 | Urteilskopf
120 II 182
34. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Mai 1994 i.S. Erben von X. gegen Kirchgemeinde S. (Berufung) | Regeste
Bedingung und Auflage beim Testament (
Art. 482 ZGB
).
Grundsätze für die Auslegung eines Testamentes (E. 2a).
Ob im Einzelfall eine Bedingung oder eine Auflage vorliegt, ist durch Auslegung des Testamentes zu ermitteln; eine Vermutung im einen oder im andern Sinn gibt es nicht (E. 2c).
Die Verpflichtung, eine Liegenschaft in bestimmter Weise zu nutzen, weist auf eine Auflage hin (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 120 II 182 S. 182
A.-
Der im Alter von 86 Jahren verstorbene X. hinterliess als gesetzliche Erben seine Geschwister und, soweit diese vorverstorben sind, deren Nachkommen. Im Nachlass von X. befindet sich auch die Liegenschaft GB Nr. 596, die im Grundbuch auf den Namen
BGE 120 II 182 S. 183
der Erbengemeinschaft übertragen wurde. Das seinerzeit eigenhändig verfasste Testament von X. enthält unter anderm folgendes Vermächtnis:
"Die reformierte Kirchgemeinde S. könnte die Liegenschaft zum Preis von Fr. 150'000.-- als Kindergarten beziehen. Ansonsten für meine Angehörigen."
Die Kirchgemeinde S. und die Erben von X. kamen überein, die Liegenschaft vorerst auf den Namen der Erbengemeinschaft zu belassen und die Kirchgemeinde nachfolgende Beschlüsse fassen zu lassen:
"- Entscheid zur Übernahme des zu leistenden Kaufpreises von Fr. 150'000.--;
- Zusage der Baubehörde S., dergemäss eine Umnutzung der Liegenschaft als Kindergarten möglich ist;
- verbindliche Absichtserklärung zur dauernden Führung eines Kindergartens in der fraglichen Liegenschaft und zur Übernahme der damit verbundenen Investitionen."
Gestützt auf einen Beschluss der Kirchgemeindeversammlung, wonach das Vermächtnis angenommen, die Zahlung von Fr. 150'000.-- geleistet und ein Investitionskredit von Fr. 350'000.-- bewilligt werde, erklärte die Kirchgemeinde S., sie verlangte die Übertragung des Eigentums an der Liegenschaft GB Nr. 596 auf ihren Namen, gegen Leistung von Fr. 150'000.--. Die Erben von X. lehnten die Herausgabe des Vermächtnisses ab, da die Beschlüsse der Kirchgemeinde S. nicht vollständig seien und sie zudem von einem unzutreffenden Kindergartenbegriff ausgehe.
B.-
Die Klage der Kirchgemeinde S. gegen die Erben von X. auf Zusprechung des Eigentums an der Liegenschaft GB Nr. 596 sowie auf Anweisung an den zuständigen Amtsschreiber, den entsprechenden Grundbucheintrag vorzunehmen, wurde vom Amtsgericht abgewiesen; der Kirchgemeinde S. wurde eine Frist von sechs Monaten angesetzt, den (näher festgelegten) Nachweis für die Erfüllung der Bedingungen des Vermächtnisses zu erbringen. Gegen dieses Urteil erklärten beide Parteien die Appellation, worauf das Obergericht der Kirchgemeinde S. in Gutheissung ihrer Klage das Eigentum an der Liegenschaft GB Nr. 596 zusprach und die zuständige Amtsschreiberei anwies, diese, gegen Nachweis der Zahlung von Fr. 150'000.-- an die Erben von X., als Eigentümerin des genannten Grundstückes im Grundbuch einzutragen.
C.-
Das Bundesgericht weist die von den Erben von X. dagegen erhobene Berufung ab
BGE 120 II 182 S. 184
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Die Beklagten bringen vor, die in Frage stehende Liegenschaft komme der Klägerin nur zu, falls darin ein Kindergarten eingerichtet und zugleich der festgesetzte Betrag an die gesetzlichen Erben geleistet werde. Der Erblasser hätte derart auf das Verhalten der mit dem Vermächtnis Bedachten hinwirken wollen. Der Zusatz "ansonsten für meine Angehörigen" enthalte eine Bedingung, nämlich die Verwendung der Liegenschaft als Kindergarten, die seitens der Klägerin nicht eingehalten worden sei. Die vom Obergericht vorgenommene Auslegung des Testamentes von X. sei daher in Verletzung von
Art. 482 und
Art. 484 ZGB
erfolgt.
a) Für die Auslegung eines Testamentes ist von dessen Wortlaut auszugehen. Ergibt er für sich selber betrachtet ein eindeutiges Ergebnis, so hat es bei dieser Aussage zu bleiben. Sind dagegen die Anordnungen so unklar, dass sie ebensogut im einen wie im andern Sinn verstanden werden können, oder lassen sich mit guten Gründen mehrere Auslegungen vertreten, so dürfen ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweismittel zur Auslegung herangezogen werden. Massgebend bleibt immer der Wille des Erblassers, wie er in seinem Testament zum Ausdruck kommt, und nicht, wie er von einem Adressaten verstanden werden könnte. Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Bundesgericht die vorinstanzliche Auslegung eines Testamentes frei. Es ist nur an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, aus denen sich der Wille des Erblassers ergibt (
BGE 115 II 323
E. 1a S. 325;
BGE 117 II 142
E. 2a S. 144).
b) Das Obergericht hat in der Verpflichtung der Vermächtnisnehmerin, die Liegenschaft als Kindergarten zu nutzen, eine Zweckbestimmung erblickt, die klar auf eine Auflage zu Gunsten Dritter hinweise; es liege daher eine unselbständige Stiftung vor, deren Destinatäre die künftigen Kindergartenschüler seien. Diese Auslegung erfolgte ausschliesslich aufgrund des Wortlautes der in Frage stehenden Anordnung des Erblassers; ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Anhaltspunkte, die den letzten Willen des Erblassers klären würden, gehen aus dem angefochtenen Urteil keine hervor.
c) Durch die Bedingung wird vom Erblasser der Vollzug einer letztwilligen Verfügung von bestimmten Gegebenheiten abhängig gemacht. Bei der Auflage fällt der eigene Anspruch des Beschwerten mit der Nichterfüllung der Anordnung nicht dahin; hingegen steht jedem daran Interessierten ein Vollzugsanspruch zu. Was im
BGE 120 II 182 S. 185
Einzelfall vorliegt, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln; eine Vermutung im einen oder andern Sinn ist nicht gegeben (ESCHER/ESCHER,
Art. 482 ZGB
N. 1, N. 4, N. 13; TUOR,
Art. 482 ZGB
N. 3, N. 6, N. 8, N. 9, N. 12; PIOTET, Erbrecht, SPR IV/1, S. 98, S. 147 ff.; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 3.A. Bern 1992, S. 132; UFFER/TOBLER, Die erbrechtliche Auflage, Diss. Zürich 1982, S. 32 ff., S. 37 ff.; MÜLLER, Die erbrechtliche Auflage beim Testament, Diss. Freiburg 1980, S. 142/143).
d) Die Formulierung "als Kindergarten" weist durchaus auf eine der Vermächtnisnehmerin auferlegte Verpflichtung, die Liegenschaft in einer bestimmten Weise zu nutzen, und damit auf eine Auflage hin. Gegen den Bedingungscharakter spricht zudem, dass eine Frist für die Erfüllung fehlt (DRUEY, a.a.O., S. 132 N. 32). Die Klägerin hat sich über die Annahme des Vermächtnisses zu äussern und den im Testament festgelegten Erwerbspreis an die gesetzlichen Erben zu leisten. Ist sie dazu nicht bereit, verbleibt die Liegenschaft - gemäss ausdrücklicher Anordnung des Erblassers - im Nachlass, und die gesetzlichen Erben können darüber frei verfügen. Das Obergericht hat den Nachsatz "ansonsten für meine Angehörigen" somit zu Recht nicht als Bedingung verstanden. Die Klägerin hat sich bereits für die Annahme des Vermächtnisses entschieden. Wie sie der Auflage, einen Kindergarten in der Liegenschaft zu führen, im einzelnen nachzukommen hat, darüber ist im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a6a98dba-a3b5-4abe-877d-b7e3feae0fd9 | Urteilskopf
119 Ib 439
47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. November 1993 i.S. Gesamteigentümer R. gegen Gemeinde Seewen, Baudepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Neubau einer Schiessanlage;
Art. 2, 14 und 24 RPG
; Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988.
Bauten und Anlagen, für welche eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben ist, unterliegen im Regelfall der Planungspflicht und können dementsprechend nicht im Verfahren nach
Art. 24 RPG
bewilligt werden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 439
BGE 119 Ib 439 S. 439
Die Gemeinde Seewen sucht schon seit längerer Zeit nach einem Standort für eine neue Schiessanlage. Die bestehende Anlage gibt wegen des Schiesslärms Anlass zu Klagen der Anwohner und ist sanierungsbedürftig. Die Bemühungen der Gemeinde für einen Anschluss an eine benachbarte Schiessanlage waren erfolglos. In der Folge erteilte das Baudepartement des Kantons Solothurn der Gemeinde die Bewilligung gemäss
Art. 24 des Bundesgesetzes über
BGE 119 Ib 439 S. 440
die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700)
für eine neue Schiessanlage mit acht Scheiben. Das Verwaltungsgericht wies eine hiegegen von den benachbarten Gesamteigentümern R. erhobene Beschwerde ab. Die Gesamteigentümer R. gelangten mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ebenfalls ab, da die Schiessanlage standortgebunden ist, ihr keine überwiegenden privaten oder öffentlichen Interessen entgegenstehen und die Voraussetzungen für eine zwangsweise Zuweisung an eine fremde Schiessanlage gemäss
Art. 24 Abs. 1 der Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst vom 25. Februar 1991 (Schiessordnung; SR 512.31)
nicht erfüllt sind. Mit Bezug auf die Frage der Planungspflicht von Schiessanlagen erfolgt die Abweisung der Beschwerde
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
4.
Die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Raumplanung sind der Meinung, die Schiessanlage könne nur auf dem Wege der Nutzungsplanung realisiert werden.
a) Wann ein nicht zonenkonformes Vorhaben hinsichtlich seines Ausmasses und seiner Auswirkungen auf die Nutzungsordnung so gewichtig ist, dass es erst nach einer Änderung oder Schaffung eines Nutzungsplanes bewilligt werden darf, ergibt sich aus der Planungspflicht (
Art. 2 RPG
), den Planungsgrundsätzen und -zielen (
Art. 1 und 3 RPG
), dem kantonalen Richtplan (
Art. 6 ff. RPG
) sowie der Bedeutung des Projekts im Lichte der im Raumplanungsgesetz festgelegten Verfahrensordnung (Art. 4 und 33 f. RPG
BGE 116 Ib 50
E. 3a S. 53 f. mit Hinweisen). In Beurteilung und Gewichtung der einzelnen räumlichen Auswirkungen hat das Bundesgericht in Anwendung dieser Grundsätze die Planungspflicht für Multikomponenten-Deponien (
BGE 116 Ib 50
E. 3 S. 53), für Anlagen der Kiesausbeutung (
BGE 115 Ib 302
E. 5a S. 306 mit Hinweisen), für Golfplätze (
BGE 114 Ib 312
E. 3 S. 314) und andere grössere Sport- und Freizeitanlagen (
BGE 114 Ib 180
E. 3c S. 186), für grössere Parkplätze (
BGE 115 Ib 508
E. 6a S. 513) und Bootshäfen (
BGE 113 Ib 371
) bejaht.
b) Zufolge der sich bei der Planung stellenden raumrelevanten Fragen und der zu erwartenden Immissionen wird es auch bei Schiessanlagen in aller Regel nur das Verfahren der Nutzungsplanung erlauben,
BGE 119 Ib 439 S. 441
einen unter Berücksichtigung aller massgebenden Interessen sachgerechten Standort festzusetzen und dabei die vom Bundesrecht geforderte Mitwirkung der Bevölkerung bei der Planung (
Art. 4 Abs. 2 RPG
;
BGE 115 Ia 89
) sicherzustellen. Zu Recht betont deshalb das eidgenössische Schiessanlagen-Recht die Abstimmung und Koordination der Standortfestsetzung mit der Ortsplanung (Art. 5 der Verfügung des Eidgenössischen Militärdepartements über die Schiessanlagen für das Schiesswesen ausser Dienst vom 6. Mai 1969 (Schiessplatzverfügung; Dok. EMD 51.65);
Art. 5 der Verordnung über die Schiessanlagen für das Schiesswesen ausser Dienst vom 27. März 1991 (Schiessanlagen-Verordnung; SR 510.512)
). In diesem Sinne werden im Regelfall Anlagen, für welche eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben ist (300-m-Anlagen mit mehr als 15 Scheiben; Ziff. 52.2 des Anhanges zur Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988 (UVPV; SR 814.011)), nur auf dem Wege der Nutzungsplanung realisierbar sein (vgl.
BGE 114 Ia 114
). Es gilt dies namentlich für Anlagen in noch dichter besiedelten Gebieten und mit noch grösseren Nutzungskonflikten als dies hier zutrifft.
c) Im vorliegenden Fall ist das von den kantonalen Behörden gewählte Verfahren mit dem Bundesrecht vereinbar. Es geht um einen Schiessstand mit acht Scheiben. Für den Kugelfang ist eine Erdaufschüttung von rund 30 Metern Länge, 15 Metern Breite und ca. 4 Metern Maximalhöhe vorgesehen. Gemäss den Baugesuchsplänen sind im Schützenhaus nebst den dem Schiessbetrieb dienenden Räumlichkeiten ein Aufenthaltsraum ohne Kochgelegenheit, jedoch mit Toiletten geplant. Das Schützenhaus soll mit Quellwasser versorgt, die Abwässer über eine periodisch zu entleerende, abflusslose Jauchegrube entsorgt werden. Es sind 17 Abstellplätze mit Kiesbelag geplant, und das Schützenhaus soll über den bestehenden landwirtschaftlichen Weg mit einem neuen Einlenker an die Kantonsstrasse angeschlossen werden.
In Anbetracht der Grösse, der Nutzungsintensität, der Auswirkungen auf Umwelt, sowie in Beachtung der erforderlichen Erschliessungsarbeiten, kann die geplante Baute nicht mit jenen Anlagen verglichen werden, für deren Realisierung die Rechtsprechung bisher eine Nutzungsplanung verlangt hat. Das Bundesgericht hat es denn auch noch in jüngster Zeit zugelassen, dass kleinere Schiessanlagen im Verfahren nach
Art. 24 RPG
bewilligt werden (
BGE 114 Ib 125
E. 4c S. 130;
BGE 112 Ib 39
E. 5 S. 48). Es besteht kein Anlass, vorliegend von dieser Praxis abzuweichen. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a6b3c05e-01fd-4236-bc03-a221b2e784fb | Urteilskopf
139 V 496
65. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause Office de l'assurance-invalidité du canton de Genève contre F. (recours en matière de droit public)
9C_801/2012 du 28 octobre 2013 | Regeste a
Art. 61 lit. a ATSG
;
Art. 69 Abs. 1
bis
IVG
; Auferlegung der Kosten für ein Gerichtsgutachten im Verfahren der Invalidenversicherung.
Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob die Kosten eines Gerichtsgutachtens zu Lasten der Verwaltung gehen (E. 4.4).
Regeste b
Art. 29 Abs. 2 BV
; Anspruch auf rechtliches Gehör; Pflicht zur Begründung von Entscheiden.
Grundsätze zur Begründungspflicht betreffend die Parteientschädigung (Wiedergabe der Rechtsprechung; E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 497
BGE 139 V 496 S. 497
A.
F., sans formation professionnelle, a exercé de nombreuses activités lucratives non qualifiées jusqu'en 2000. Le 8 octobre 2003, l'intéressé a déposé une demande de prestations de l'assurance-invalidité tendant principalement à l'octroi d'une mesure d'orientation professionnelle. L'Office de l'assurance-invalidité du canton de Genève (ci-après: l'office AI) a recueilli divers renseignements médicaux auprès des médecins traitants de l'assuré, à savoir les docteurs M., spécialiste en médecine physique et réadaptation (rapport du 23 octobre 2003), W., spécialiste en ophtalmologie (rapports des 23 octobre 2003, 18 octobre 2004 et 12 décembre 2005) et G., spécialiste en psychiatrie et psychothérapie (rapport du 20 juin 2005). D'après ces renseignements, l'assuré souffrait de problèmes à répétition au genou droit, de lombo-sciatalgies gauches récurrentes, de séquelles d'un traumatisme perforant de l'oeil gauche (ayant abouti à une énucléation le 7 octobre 2004) et d'un trouble dépressif.
L'assuré a été examiné par le Service médical régional de l'assurance-invalidité (SMR) à l'occasion d'un examen clinique rhumato-psychiatrique. Dans un rapport du 20 juin 2006, les docteurs P., spécialiste en rhumatologie et en médecine physique et réadaptation, et H., spécialiste en psychiatrie et psychothérapie, ont retenu les diagnostics - avec répercussion sur la capacité de travail - de status post entorse grave du genou droit avec instabilité postérieure persistante, de status post déchirure de l'aileron rotulien interne (instabilité de la rotule droite), de lombalgies chroniques non irritatives et non déficitaires dans un contexte de hernie discale L4-L5 médiane gauche
BGE 139 V 496 S. 498
et de status post pose de prothèse oculaire gauche; d'après les médecins précités, l'assuré disposait d'une pleine capacité de travail dans une activité physiquement légère et ne nécessitant pas de vision binoculaire.
Au cours des années 2007 et 2008, l'assuré a subi plusieurs interventions chirurgicales au niveau des genoux et du nez.
Après que l'assuré eut recouvré une stabilité suffisante sur le plan médical, l'office AI a examiné l'opportunité d'allouer à l'assuré des mesures d'ordre professionnel. Après avoir écarté l'idée d'une formation professionnelle initiale, l'office AI a mis en oeuvre un stage d'orientation professionnelle. A l'issue de la mesure qui s'est déroulée du 7 décembre 2009 au 21 mars 2010 et au cours de laquelle l'assuré a effectué un stage en entreprise en qualité d'aide de crèche, il a été constaté que l'assuré n'était pour l'heure pas en mesure d'être réadapté, l'assuré souffrant de problèmes cervicaux qui entraînaient une incapacité de travail totale.
Après avoir complété l'instruction sur le plan médical (rapports du docteur M. des 21 juin et 30 septembre 2010), l'office AI a estimé que la situation médicale n'avait pas évolué depuis l'évaluation effectuée par le SMR. Considérant que l'assuré disposait de bonnes aptitudes dans le domaine tertiaire, que les conditions à l'octroi de mesures professionnelles telles qu'une formation professionnelle initiale ou un reclassement n'étaient pas remplies et que d'autres mesures professionnelles telles qu'un réentraînement au travail étaient vouées à l'échec, il a procédé à une évaluation médico-théorique de l'invalidité. Par décision du 1
er
juin 2011, la demande de prestations de l'assuré a été rejetée.
B.
F. a déféré cette décision devant la Chambre des assurances sociales de la Cour de justice de la République et canton de Genève, en concluant principalement à l'octroi de mesures d'ordre professionnel, singulièrement d'un reclassement professionnel, et subsidiairement à l'octroi d'un trois-quarts de rente d'invalidité. Après avoir entendu l'assuré au cours d'une audience de comparution personnelle, la juridiction cantonale a confié la réalisation d'une expertise rhumatologique au docteur O. Dans son rapport du 27 janvier 2012, ce médecin a retenu l'existence d'une cervicarthrose modérée touchant la région basse de la nuque, des troubles dégénératifs étagés de la colonne lombaire (rectitude du segment lombaire avec des discopathies étagées [L3 à S1] prédominant nettement à L4-L5) et une gonarthrose fémoro-tibiale interne bilatérale (sous forme d'un
BGE 139 V 496 S. 499
aspect effilé des berges articulaires). D'après l'expert, l'assuré possédait une capacité de travail entière dans une activité adaptée respectant ses limitations fonctionnelles; des mesures de réadaptation professionnelle étaient indiquées. Le dossier a été complété par des renseignements médicaux relatifs à l'évolution des troubles ophtalmiques. Après avoir examiné l'ensemble des éléments médicaux recueillis, l'office AI a proposé d'allouer à l'assuré une mesure de reclassement professionnel dans le domaine tertiaire.
Le 29 août 2012, la Cour de justice a rendu un jugement dont le dispositif était le suivant:
LA CHAMBRE DES ASSURANCES SOCIALES:
Statuant d'accord entre les parties
1. Donne acte à l'intimé de son engagement d'annuler la décision dont est recours, de mettre le recourant au bénéfice d'une mesure de reclassement professionnel, soit une formation professionnelle initiale, et de confier son dossier à un nouveau réadaptateur.
2. L'y condamne en tant que besoin.
3. Donne acte au recourant de son engagement de se soumettre à une mesure de formation professionnelle à un taux d'activité complet.
4. Condamne l'intimé à verser au recourant une indemnité de 3'000 fr. à titre de dépens.
5. Met l'émolument de justice de 200 fr. et les frais d'expertise de 3'300 fr. à la charge de l'intimé.
6. (...)
C.
L'office AI interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement dont il demande l'annulation. Il conclut, d'une part, à ce qu'il soit dit que le recourant a droit à une mesure de reclassement professionnel et, d'autre part, à ce que la cause soit renvoyée à la juridiction cantonale pour nouvelle décision sur les frais et les dépens.
F. acquiesce au recours, en tant que celui-ci conclut à l'octroi d'une mesure de reclassement professionnel, et conclut à la confirmation du jugement cantonal pour le surplus. L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) a renoncé à se déterminer.
Le recours a été partiellement admis.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Dans un premier grief, l'office recourant s'en prend au bien-fondé du jugement attaqué en tant que celui-ci octroie à l'intimé une
BGE 139 V 496 S. 500
"mesure de reclassement professionnel, soit une formation professionnelle initiale" et l'enjoint de "confier [le] dossier à un nouveau réadaptateur".
3.1
Comme le relève à juste titre l'office recourant, une mesure de reclassement professionnel sous la forme d'une formation professionnelle initiale n'a pas de sens au regard de la systématique de la LAI. Il ne peut s'agir que d'une mesure de formation professionnelle initiale au sens de l'
art. 16 LAI
ou d'une mesure de reclassement au sens de l'
art. 17 LAI
. Ces deux mesures, qui doivent être clairement distinguées l'une de l'autre, ne sauraient être cumulées sous la forme d'une seule et même mesure. Eu égard aux conclusions communes prises sur ce point par les parties en procédure fédérale (octroi d'une mesure de reclassement professionnel), la question de savoir quelle était la mesure qu'entendait allouer la juridiction cantonale peut en l'espèce demeurer indécise.
3.2
Quant au prétendu engagement de l'office recourant de confier le dossier à un nouveau réadaptateur, il convient de constater qu'il est dénué de portée juridique matérielle. En effet, la juridiction cantonale s'est fondée sur les déclarations faites au cours d'une audience de comparution personnelle par le témoin S., témoin qui n'était pas habilité à représenter et à engager l'office AI dans la procédure. Au demeurant, on peut se demander si une telle question revêt un caractère justiciable et faire l'objet d'une conclusion spécifique.
3.3
Sur le vu de ce qui précède, il y a lieu de réformer le jugement attaqué, en ce sens que l'intimé a droit à une mesure de reclassement professionnel. Le chiffre 1 du dispositif du jugement attaqué sera donc modifié en conséquence et le chiffre 2 du dispositif annulé.
4.
L'office recourant conteste le droit de la juridiction cantonale, fondé sur le consid. 4.4.2 de l'
ATF 137 V 210
, de mettre à la charge des organes de l'assurance-invalidité les frais d'une expertise judiciaire qui n'aurait pas été confiée à un Centre d'observation médicale de l'assurance-invalidité (COMAI).
4.1
Afin d'assurer une procédure administrative et de recours équitable, l'
ATF 137 V 210
a dégagé à son considérant 3 un certain nombre de principes (droits de participation; droit à une décision incidente sujette à recours; droit à la mise en oeuvre d'une expertise judiciaire) et de recommandations ayant pour but de définir un standard uniforme en matière de mise en oeuvre d'une expertise médicale pluridisciplinaire auprès d'un COMAI. A l'invitation du Tribunal
BGE 139 V 496 S. 501
fédéral, l'OFAS a également mis en place à la suite de cet arrêt une plate-forme (SuisseMED@P) destinée aux offices AI pour l'attribution sur une base aléatoire des mandats d'expertise médicale pluridisciplinaire (
art. 72
bis
RAI
[RS 831.201]). La jurisprudence a précisé par la suite que ces principes et recommandations, à l'exception de l'attribution du mandat sur une base aléatoire, étaient également applicables par analogie aux expertises mono- et bidisciplinaires (
ATF 139 V 349
consid. 5.4 p. 357) et s'appliquaient aux autres branches des assurances sociales concernées par cette problématique (voir
ATF 138 V 318
consid. 6.1 p. 321).
4.2
Sous réserve des exigences définies à l'art. 61 let. a à i LPGA (RS 830.1), la procédure devant le tribunal cantonal des assurances (respectivement le Tribunal administratif fédéral) est régie par le droit cantonal et les principes généraux de procédure. Conformément à l'
art. 61 let. a LPGA
, la procédure doit être gratuite pour les parties; des émoluments de justice et les frais de procédure peuvent toutefois être mis à la charge de la partie qui agit de manière téméraire ou témoigne de légèreté. L'
art. 69 al. 1
bis
LAI
(en vigueur depuis le 1
er
juillet 2006) déroge à ce principe général dans la mesure où la procédure de recours en matière de contestations portant sur l'octroi ou le refus de prestations de l'assurance-invalidité devant le tribunal cantonal des assurances est soumise à des frais de justice. Le montant des frais doit alors être fixé en fonction de la charge liée à la procédure, indépendamment de la valeur litigieuse, et se situer entre 200 et 1'000 fr. Les frais de justice ne peuvent être ni inférieurs ni supérieurs à ces montants, les cantons demeurant cependant libres de renoncer totalement ou partiellement à la perception de ces frais, pour autant que le droit cantonal le prévoie (
ATF 138 V 122
consid. 1 p. 123).
4.3
Au consid. 4.4.2 de l'
ATF 137 V 210
, le Tribunal fédéral a indiqué que les frais qui découlaient de la mise en oeuvre d'une expertise judiciaire pluridisciplinaire confiée à un COMAI pouvaient le cas échéant être mis à la charge de l'assurance-invalidité. En effet, lorsque l'autorité judiciaire de première instance décidait de confier la réalisation d'une expertise judiciaire pluridisciplinaire à un COMAI parce qu'elle estimait que l'instruction menée par l'autorité administrative était insuffisante (au sens du consid. 4.4.1.4 de l'
ATF 137 V 210
), elle intervenait dans les faits en lieu et place de l'autorité administrative, qui aurait dû, en principe, mettre en oeuvre cette mesure d'instruction dans le cadre de la procédure
BGE 139 V 496 S. 502
administrative. Dans ces conditions, les frais de l'expertise ne constituaient pas des frais de justice au sens de l'
art. 69 al. 1
bis
LAI
, mais des frais relatifs à la procédure administrative au sens de l'
art. 45 LPGA
qui devaient être pris en charge par l'assurance-invalidité.
4.4
Cette règle, qu'il convient également d'appliquer, dans son principe, aux expertises judiciaires mono- et bidisciplinaires (cf. supra consid. 4.1), ne saurait entraîner la mise systématique des frais d'une expertise judiciaire à la charge de l'autorité administrative. Encore faut-il que l'autorité administrative ait procédé à une instruction présentant des lacunes ou des insuffisances caractérisées et que l'expertise judiciaire serve à pallier les manquements commis dans la phase d'instruction administrative. En d'autres mots, il doit exister un lien entre les défauts de l'instruction administrative et la nécessité de mettre en oeuvre une expertise judiciaire (
ATF 137 V 210
consid. 4.4.2 p. 265). Tel sera notamment le cas lorsque l'autorité administrative aura laissé subsister, sans la lever par des explications objectivement fondées, une contradiction manifeste entre les différents points de vue médicaux rapportés au dossier (
ATF 135 V 465
consid. 4.4 p. 469; voir également
ATF 139 V 225
consid. 4 p. 226 et arrêt 8C_71/2013 du 27 juin 2013 consid. 2), lorsqu'elle aura laissé ouverte une ou plusieurs questions nécessaires à l'appréciation de la situation médicale ou lorsqu'elle aura pris en considération une expertise qui ne remplissait manifestement pas les exigences jurisprudentielles relatives à la valeur probante de ce genre de documents (
ATF 125 V 351
consid. 3a p. 352). En revanche, lorsque l'autorité administrative a respecté le principe inquisitoire et fondé son opinion sur des éléments objectifs convergents ou sur les conclusions d'une expertise qui répondait aux réquisits jurisprudentiels, la mise à sa charge des frais d'une expertise judiciaire ordonnée par l'autorité judiciaire de première instance, pour quelque motif que ce soit (à la suite par exemple de la production de nouveaux rapports médicaux ou d'une expertise privée), ne saurait se justifier.
4.5
4.5.1
En l'occurrence, la juridiction cantonale a, dans son ordonnance d'expertise du 7 novembre 2011, constaté que le recourant avait fait l'objet d'un examen clinique rhumato-psychiatrique effectué le 8 mars 2006 par le SMR et que son état de santé s'était aggravé depuis lors, puisqu'il avait été établi qu'il souffrait depuis 2010 de douleurs cervicales qui avaient été objectivées par un scanner réalisé le 15 mars 2010; elle a donc considéré l'examen de 2006 comme étant dépassé et jugé nécessaire de le réactualiser.
BGE 139 V 496 S. 503
4.5.2
Il ressort du dossier administratif que le SMR a interpellé le docteur M. afin que celui-ci lui fournisse des informations complémentaires sur l'état de santé de son patient. Dans un courrier adressé le 30 septembre 2010 à l'office recourant, ce médecin a indiqué qu'il n'avait pas revu son patient depuis le 9 juin 2010 et que celui-ci avait sollicité un rendez-vous auprès du Centre de la douleur de l'Hôpital X. D'après une note téléphonique établie le 12 octobre 2010, l'intimé ne s'était finalement pas adressé au Centre de la douleur, mais avait suivi un traitement de physiothérapie qui avait pris fin deux semaines auparavant; il présentait encore occasionnellement des douleurs à la nuque en fonction des sollicitations de celle-ci. Sur la base de ces éléments, le SMR a estimé ne pas disposer d'éléments suffisants permettant de remettre en cause les conclusions de l'examen réalisé en 2006, sous réserve de l'apparition de quelques limitations fonctionnelles rachidiennes supplémentaires (avis médical du 15 novembre 2010).
4.5.3
Sur le vu de ce qui précède, il apparaît qu'après avoir eu connaissance de l'apparition de troubles lombaires chez l'intimé, l'office recourant a, avant de rendre sa décision, interpellé le médecin traitant et procédé à diverses vérifications. On ne saurait considérer dans ces conditions que l'office recourant a fait preuve de manquements dans le cadre de son instruction, singulièrement qu'il a laissé ouverte une question nécessaire à l'appréciation de la situation médicale. La mise à la charge de l'office recourant de l'entier des frais de l'expertise ordonnée par la juridiction cantonale n'était par conséquent pas justifiée.
4.6
Cela étant, dans la mesure où les frais d'expertise judiciaire font partie des frais de justice au sens de l'
art. 69 al. 1
bis
LAI
(arrêt 9C_13/2012 du 20 août 2012 consid. 3, in SVR 2013 IV n° 1 p. 1) et que la juridiction cantonale n'a pas épuisé le cadre défini par cette disposition (cf. supra consid. 4.2), il convient de renvoyer le dossier à la juridiction cantonale pour nouvelle détermination des frais de la procédure cantonale.
5.
Dans un dernier grief, l'office recourant reproche à la juridiction cantonale de ne pas avoir motivé, ne serait-ce que brièvement, le montant qu'elle a alloué à l'intimé à titre de dépens, ce qui ne lui permettrait pas de se déterminer sur sa légitimité au regard du droit applicable.
5.1
La jurisprudence a déduit du droit d'être entendu, tel qu'il est garanti par l'
art. 29 Cst.
, celui d'obtenir une décision motivée. Le
BGE 139 V 496 S. 504
destinataire de la décision et toute personne intéressée doit pouvoir la comprendre et l'attaquer utilement en connaissance de cause s'il y a lieu, et l'instance de recours doit pouvoir exercer pleinement son contrôle si elle est saisie (
ATF 129 I 232
consid. 3.2 p. 236;
ATF 126 I 15
consid. 2a/aa p. 16). Le juge n'est toutefois pas toujours tenu de motiver la décision par laquelle il fixe le montant des dépens alloués à une partie obtenant totalement ou partiellement gain de cause dans un procès, ou l'indemnité allouée à l'avocat d'office; il est admis de façon générale que le juge est en mesure de se rendre compte de la nature et de l'ampleur des opérations que le procès a nécessitées. Lorsqu'il existe un tarif ou une règle légale fixant des minima et maxima, le juge ne doit motiver sa décision que s'il sort de ces limites ou si des éléments extraordinaires sont invoqués par la partie concernée, ou encore si le juge s'écarte d'une note de frais produite par l'intéressé et alloue une indemnité inférieure au montant habituel, en dépit d'une pratique bien définie. L'exigence d'une motivation de la décision touchant le montant des dépens risquerait sinon d'aboutir à des formules stéréotypées qui ne différeraient guère de l'absence de motivation. Le Tribunal fédéral ne motive d'ailleurs pas, en principe, les décisions en matière de dépens pour les causes qui sont portées devant lui (
ATF 111 Ia 1
; voir également arrêt du Tribunal fédéral des assurances I 308/98 du 28 juillet 1999 consid. 3, in SVR 2000 IV n° 11 p. 31).
5.2
En l'occurrence, la juridiction cantonale s'est contentée d'appliquer la règle générale, selon laquelle il n'y a pas lieu, en principe, de motiver la décision en matière de dépens. Le grief développé par l'office recourant serait admissible si la juridiction cantonale s'était écartée d'un tarif ou d'une règle légale cantonale fixant des minima et des maxima. Or, ce n'est manifestement pas le cas en l'espèce. D'après l'art. 6 du règlement genevois du 30 juillet 1986 sur les frais, émoluments et indemnités en procédure administrative (RFPA; RSG E 5 10.03), la juridiction peut allouer à une partie pour les frais indispensables occasionnés par la procédure, y compris les honoraires éventuels d'un mandataire, une indemnité de 200 à 10'000 fr. Dans la mesure où le montant alloué à l'intimé se situe dans la fourchette prévue par le droit cantonal, la juridiction cantonale n'était pas tenue de motiver sa décision et n'a, partant, pas violé le droit d'être entendu de l'office recourant. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a6b504c2-7beb-4502-a4aa-b8c55110b240 | Urteilskopf
87 IV 134
32. Urteil des Kassationshofes vom 22. September 1961 i.S. Zobrist gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
Art. 46 Abs. 1 erster Satz MFV.
Der Motorfahrzeugführer, der nachts bei ungünstigen Sichtverhältnissen auf einer 7 m breiten Strasse mit einem entgegenkommenden Auto kreuzt, darf nicht gleichzeitig in unmittelbarer Nähe der Strassenmitte andere Strassenbenützer überholen. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 87 IV 134 S. 134
A.-
Zobrist steuerte am Abend des 28. November 1959 einen Taxi (Mercedes) von Basel über Frick Richtung Zürich. Kurz nach 20 Uhr überholte er zwischen den Ortschaften Frick und Hornussen auf der eben und gerade verlaufenden Hauptstrasse von 7 m Breite zwei am rechten Strassenrand hintereinander fahrende Radfahrer, während
BGE 87 IV 134 S. 135
aus der Gegenrichtung ein Personenauto (Peugeot), geführt von Naegelin, entgegenkam. Zobrist hatte das Überholen der Radfahrer, deretwegen er bis auf ungefähr 10 cm an die Leitlinie heranfuhr, noch nicht beendet, als er den Peugeot kreuzte, der dabei etwas über die Strassenmitte hinausgelangte und den Mercedes auf seiner innern Längsseite streifte, so dass beide Fahrzeuge beschädigt wurden.
B.-
Das Bezirksgericht Laufenburg erklärte beide Motorfahrzeugführer der Nichteinhaltung eines angemessenen seitlichen Abstandes beim Kreuzen im Sinne von Art. 25 Abs. 1 letzter Satz MFG schuldig und verfällte Naegelin in eine Busse von Fr. 40.-, Zobrist in eine solche von Fr. 20.-.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 30. Mai 1961 die von Zobrist eingereichte Berufung in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils ab.
C.-
Zobrist beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde, er sei freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanzen benötigten die beiden am rechten Strassenrand hintereinander fahrenden Radfahrer ungefähr 80 cm der 3,5 m breiten Strassenhälfte, und überholt wurden sie vom 1,6 m breiten Mercedes in einem angemessenen seitlichen Abstand von ca. 1 m. Dass der Beschwerdeführer bei diesen Platzverhältnissen den Abstand von rund 10 cm zur Strassenmitte nicht durch vermehrtes Rechtshalten vergrössern konnte, wenn er eine Gefährdung der überholten Radfahrer verhindern wollte, kann nicht bestritten werden. Mit dieser Feststellung ist aber noch nicht entschieden, ob der seitliche Abstand, der zum Kreuzen mit dem entgegenkommenden Auto verblieb, angemessen war, was dann nicht zutrifft, wenn die Gefahr eines Zusammenstosses bestand. Muss diese Frage bejaht werden, so ist der Beschwerdeführer nach Art. 46 Abs. 1
BGE 87 IV 134 S. 136
erster Satz MFV wegen unerlaubten Überholens, das zwangsläufig den Abstand zur Strassenmitte verringerte, zu bestrafen und nicht wegen Übertretung von Art. 25 Abs. 1 letzter Satz MFG, der voraussetzt, dass die Einhaltung eines angemessenen Abstandes beim Kreuzen an sich möglich ist.
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet eine Gefährdung des entgegenkommenden Wagens, da von dessen Führer habe erwartet werden dürfen, dass er innerhalb seiner eigenen Fahrbahn bleiben und seinerseits einen genügenden Abstand von der Strassenmitte wahren werde, um ein gefahrloses Kreuzen zu gewährleisten. In der Tat muss das Überholen auch bei Gegenverkehr grundsätzlich gestattet sein auf übersichtlichen Strassen, auf die das Überholverbot des Art. 26 Abs. 3 MFG nicht Anwendung findet und die breit genug sind, dass der Überholende auf der rechten Strassenhälfte bleiben kann (vgl.
BGE 82 IV 26
). Wenn die Breite der Strasse das Überholen langsamer fahrender Fahrzeuge in der eigenen Hälfte zulässt, so soll von dieser Möglichkeit im Interesse einer flüssigen Abwicklung des Verkehrs Gebrauch gemacht werden. Der Überholende darf dabei normalerweise darauf vertrauen, dass der entgegenkommende Fahrzeugführer, der kein Hindernis vor sich hat, vorschriftsgemäss mit ausreichendem Abstand von der Strassenmitte rechts fährt.
Allein diese Erwartung ist auch dort, wo ein fehlerhaftes Verhalten anderer Fahrzeugführer nicht erkennbar ist, nicht immer gerechtfertigt. Jeder Automobilist weiss aus Erfahrung, dass er bei Nacht die seitlichen Abstände entgegenkommender Fahrzeuge nur annähernd und nicht zuverlässig ermitteln kann. Je rascher gefahren wird, desto eher sind Fehlschätzungen möglich, und wenn noch ungünstige atmosphärische Bedingungen hinzukommen oder auf nassen Asphaltstrassen gefahren wird, auf denen die Lichter der kreuzenden Fahrzeuge sich widerspiegeln, so ist die Wahrscheinlichkeit von Täuschungen umso grösser. Das Kreuzen bei Nacht wird noch dadurch erschwert, dass
BGE 87 IV 134 S. 137
es bei der vielfach ungenügenden Beleuchtung, namentlich während des Abblendens vor dem Kreuzen, oft schwierig ist, die seitlichen Abstände des eigenen Fahrzeuges im erwünschten Masse unter Kontrolle zu halten, was erfahrungsgemäss dazu verleitet, in der Nähe der Strassenmitte zu fahren. Auf nicht besonders breiten Strassen bieten nachts bei schlechten Sichtverhältnissen selbst Leitlinien keine Gewähr dafür, dass nicht die Strassenmitte befahren wird, vor allem nicht, wenn der Führer durch die Fernlichter oder, was nicht selten ist, durch die Abblendlichter entgegenkommender Fahrzeuge geblendet wird.
3.
Im vorliegenden Falle hat sich der Zusammenstoss bei Nacht und nach den Akten zudem bei nebligem Wetter und wenn nicht bei Regen, wie der Beschwerdeführer und andere Beteiligte in der Untersuchung erklärten, so jedenfalls auf nasser Asphaltstrasse zugetragen. Aus den Aussagen der Fahrzeugführer ergibt sich ferner, dass die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers ca. 65 km/Std. und diejenige von Naegelin rund 50 km/Std. betrug. Der Beschwerdeführer hätte unter diesen Umständen bedenken müssen, dass für ein gefahrloses Kreuzen der Raum zu knapp bemessen war, wenn er bei den beschränkten Sichtverhältnissen auf einer Strasse, die nicht breiter als 7 m war, nahe der Strassenmitte entlang fuhr. Die Strecke war unter diesen Bedingungen für den Gegenverkehr nicht frei im Sinne des
Art. 46 Abs. 1 MFV
; das Überholen hätte infolgedessen bis nach dem Kreuzen unterbleiben sollen.
Dass der Beschwerdeführer entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht Art. 25 Abs. 1 MFG, sondern
Art. 46 Abs. 1 MFV
übertreten hat, ändert am Verschulden nichts. Er ist zu Recht bestraft worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a6bf4165-c66d-40bf-986a-95abbd8c26a4 | Urteilskopf
96 I 39
7. Urteil vom 4. Februar 1970 i.S. Trepp gegen Meliorationsgenossenschaft Hausmatten - Nufenen und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. | Regeste
Güterzusammenlegung; Willkür.
Umfang der bundesgerichtlichen Prüfungsbefugnis.
Der Grundsatz, wonach das neuzugeteilte Land auch hinsichtlich der Fläche dem früheren Besitzstand zu entsprechen hat, gilt nur in der Regel und unter dem Vorbehalt, dass seiner Verwirklichung keine technischen Schwierigkeiten entgegenstehen. Lassen sich sachliche Gründe dafür anführen, einem Grundeigentümer eine erheblich geringere Fläche zuzuteilen, dann liegt eine Verletzung von
Art. 4 BV
nicht vor. | Sachverhalt
ab Seite 39
BGE 96 I 39 S. 39
A.-
Durch die Meliorationsgenossenschaft Hausmatten-Nufenen in Nufenen, Kt. Graubünden, wurde eine Güterzusammenlegung durchgeführt. Christian Trepp, Lehrer in Landquart, war vor der Zusammenlegung Eigentümer zweier im Meliorationsgebiet
BGE 96 I 39 S. 40
gelegener Grundstücke, nämlich der Parzelle Nr. 80 im Halte von 14,1 a, die in der Bauzone lag, und der Parzelle Nr. 75 im Halte von 29,7 a, die unmittelbar an die Bauzone der Gemeinde Nufenen angrenzte. Im Rahmen der Güterzusammenlegung Hausmatten-Nufenen wurde in einem ersten Zuteilungsentwurf vorgesehen, Trepp diese beiden Parzellen im wesentlichen in Form und Lage zu belassen. Die ausserhalb der Bauzone gelegene Parzelle Nr. 75 erfuhr eine gewisse Verschiebung; flächenmässig ergaben sich indessen keine wesentlichen Änderungen. Mit diesem Neuzuteilungsentwurf war Trepp einverstanden. Da die Einsprache eines anderen Grundeigentümers gutgeheissen wurde, musste der Entwurf abgeändert werden. Nach dem neuen Plan wurde Trepp nur noch eine einzige Parzelle, Nr. 66.1, im Halte von 26,09 a zugeteilt, die vollständig innerhalb der Bauzone liegt, ungefähr am gleichen Ort wie die alte Parzelle Nr. 80, deren Grundfläche sie zu einem erheblichen Teil einschliesst.
B.-
Gegen den abgeänderten Neuzuteilungsplan erhob Trepp beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Rekurs. Er machte geltend, durch die Abänderung des Neuzuteilungsentwurfes habe sich seine Bodenfläche um 60% verringert. Er könne das nicht akzeptieren, da es ihm genügt habe, innerhalb der Bauzone ein einziges Grundstück, nämlich die Parzelle Nr. 80 im Halte von zirka 14 a, zu besitzen. Er verlange daher, dass seine Zuteilung gemäss dem ersten Entwurf wiederhergestellt werde. Das Verwaltungsgericht wies den Rekurs am 9. April 1969 ab, im wesentlichen mit folgender Begründung: Die Bodenfläche des Rekurrenten habe unter dem alten Zustand insgesamt 43,8 a umfasst, wovon sich 29,7 a ausserhalb und 14,1a innerhalb der Bauzone der Gemeinde befunden hätten. Nach dem abgeänderten Neuzuteilungsplan mache die dem Rekurrenten zugewiesene Bodenfläche nur noch 26,09 a aus, also rund 60% des ursprünglichen Bestandes. Dafür sei die ganze Fläche in einer Parzelle vereinigt, die in der Bauzone und in unmittelbarer Nähe des Dorfes liege. Der Rekurrent wolle mehr Boden, und zwar ausserhalb der Bauzone, zugeteilt erhalten, offenbar in der Annahme, dass dieses Land später ebenfalls in die Bauzone einbezogen werde. Dieses an sich verständliche Bestreben des Rekurrenten könne nicht geschützt werden. Wie von den an der Güterzusammenlegung beteiligten Organen dargetan worden sei, habe sich die jetzige
BGE 96 I 39 S. 41
Zuteilung aus verschiedenen schwerwiegenden Gründen aufgedrängt. Eine neuerliche Änderung im Sinne der Rekursbegehren liesse sich nicht verwirklichen, ohne dass der ganze Zuteilungsplan im wesentlichen hinfällig würde. Dem Rekurrenten, der selber keinen Landwirtschaftsbetrieb führe, sondern in Landquart als Lehrer tätig sei, könne es zugemutet werden, eine Verkleinerung der Bodenfläche in Kauf zu nehmen, wenn er dafür eine durchaus gleichwertige, erschlossene Bauparzelle erhalte. Der Einwand des Rekurrenten, bei einer Überbauung wäre der durch das zugeteilte Grundstück verlaufende Kanalisationsstrang hinderlich, sei nicht stichhaltig.
C.-
Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9. April 1969 hat Christian Trepp gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Deren Begründung ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
D.-
Das Verwaltungsgericht des Kts. Graubünden und die Meliorationsgenossenschaft Hausmatten-Nufenen beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage).
2.
Nach den Grundsätzen, wie sie für Güterzusammenlegungsverfahren gelten, soll ein Grundeigentümer in der Regel bei der Neuzuteilung Land erhalten, das in qualitativer und quantitativer Hinsicht seinem ursprünglichen Grundbesitz entspricht, soweit sich das unter Berücksichtigung der technischen Erfordernisse des Unternehmens bewerkstelligen lässt. In diesem Rahmen steht den für die Zuteilung zuständigen Behörden ein weiter Spielraum des Ermessens zu. Hat das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde zu beurteilen, die in einer Güterzusammenlegungssache wegen Willkür erhoben wird, so kann es darüber nicht wie eine Art Oberverwaltungsgericht befinden. Es urteilt vielmehr als Staatsgerichtshof, dessen Prüfungsbefugnis nicht so weit reicht. Dazu kommt, dass das Bundesgericht bei Beschwerden solcher Art nur mit Zurückhaltung eingreift, und das aus zwei Gründen: Zunächst hängt die Lösung, welche die kantonalen Instanzen getroffen haben, in weitem Mass von den örtlichen Verhältnissen ab, die sie kennen und demnach besser zu würdigen in der Lage sind als das Bundesgericht. Zudem kann - wie es hier zuträfe - die Aufhebung eines Entscheides, der einen einzelnen Grundeigentümer
BGE 96 I 39 S. 42
betrifft, weitgehende Wirkungen haben und die kantonalen Behörden dazu zwingen, über die Neuzuteilung im Gesamten oder doch zum grossen Teil neu zu befinden, was beträchtliche Kosten und erheblichen Zeitaufwand verursachen kann. Wenn die kantonalen Behörden bei der Neuzuteilung nicht einem offenbaren Irrtum verfallen sind, beschränkt sich deshalb das Bundesgericht grundsätzlich darauf, die Zuteilung eines bestimmten Grundstücks im Rahmen des ganzen Unternehmens zu würdigen und zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bei einem Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Besitzstand hinsichtlich Zusammensetzung, Fläche und Wert des Bodens eine solche Änderung auf sich nehmen musste, dass elementare Regeln des Güterzusammenlegungsrechts als verletzt erscheinen und sich der Beschwerdeführer unzweifelhaft in einer Lage befindet, die mit dem Gesetz in völligem Widerspruch ist und sich vernünftigerweise nicht begründen lässt (
BGE 90 I 289
/90,
BGE 85 I 90
mit Hinweis auf frühere Urteile, nicht veröffentlichte Entscheide vom 16. Oktober 1968 i.S. Dr. Böni und Elsa und Eduard Probst).
Das einzige Grundstück, welches dem Beschwerdeführer zugeteilt wurde, entspricht dem Flächenmass nach nicht dem Grundbesitz, der ihm vor der Güterzusammenlegung zustand. Die frühere Grundstückfläche machte 43,8 a aus, die neue umfasst 26,09 a, also nur 60% des ursprünglichen Bestandes. Das steht an sich nicht im Einklang mit dem für Güterzusammenlegungen geltenden Grundsatz, dass bei einer Neuzuteilung einem Grundeigentümer nicht nur in qualitativer, sondern auch in quantitativer Hinsicht dem alten Besitzstand entsprechendes Land zuzuweisen ist. Dieser Grundsatz gilt aber, wie sich aus der erwähnten Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt, nicht schlechthin, sondern nur in der Regel und unter dem Vorbehalt, dass seiner Verwirklichung keine technischen Hindernisse entgegenstehen. Es ist deshalb zu prüfen, ob es sachliche Gründe zu rechtfertigen vermochten, dem Beschwerdeführer eine erheblich geringere Grundfläche zuzuteilen. Dabei ist vorweg zu erwägen, dass der Beschwerdeführer im Ausgleich für die flächenmässige Differenz zwischen altem und neuem Besitzstand nicht etwa mit einer Geldentschädigung abgefunden wurde. Hätte der Beschwerdeführer wegen der Differenz der Bodenflächen in erheblichem Mass statt des Landes Geld entgegennehmen müssen, hätte eine solche Lösung Bedenken gerufen, da
BGE 96 I 39 S. 43
der Geldausgleich im Zusammenlegungsverfahren grundsätzlich in möglichst engen Grenzen gehalten werden soll (vgl. das erwähnte Urteil vom 16. Oktober 1968 i.S. Dr. Böni). Das Land, welches dem Beschwerdeführer zugeteilt wurde, ist aber trotz der geringern Grundfläche dem frühern Besitzstand gleichwertig, sodass praktisch kein Geldausgleich nötig war, was offensichtlich darauf zurückgeführt werden muss, dass sich der neue Besitz in der Form einer geschlossenen, gut überbaubaren Parzelle vollständig innerhalb der Bauzone befindet, während der frühere Besitz zum weitaus grössern Teil ausserhalb dieser Bauzone lag. Der Beschwerdeführer behauptet denn auch nicht, dass das neu zugeteilte Land wertmässig nicht dem alten Besitzstand entspräche; er macht vielmehr eine Schädigung - mit wenig überzeugender Begründung - bloss unter dem Gesichtspunkt der landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens geltend. Es ist nicht zu verkennen, dass dem Beschwerdeführer innerhalb des Baugebietes und in Dorfnähe ein Grundstück zugeteilt wurde, das mehr als doppelt so gross ist als das frühere Grundstück Nr. 80, welches vor der Zusammenlegung dem Beschwerdeführer gehörte und innerhalb der Bauzone lag. Längs der Ostgrenze verläuft zudem ein öffentlicher Weg, und der Beschwerdeführer hält die vor den kantonalen Instanzen vorgebrachte Behauptung, die Kanalisationsleitung stelle ein Hindernis für die Überbauung dar, im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr aufrecht, sodass davon auszugehen ist, dem Beschwerdeführer stehe ein für die Erstellung einer Baute gut geeignetes Grundstück zur Verfügung. Dass ihm in dieser Weise unter Reduktion der Bodenfläche eine als Bauland wertvollere Parzelle zugewiesen wurde, lässt sich auch damit rechtfertigen, dass er selber nicht Landwirtschaft betreibt, sondern in Landquart als Lehrer tätig ist. Indem die kantonalen Instanzen das berücksichtigten, haben sie den Beschwerdeführer nicht rechtsungleich behandelt, was er denn auch selber nicht behauptet. Es ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt, bei einer Güterzusammenlegung einem Nichtlandwirt in vermehrtem Mass Bauland zuzuweisen als einem Landwirt, dem viel mehr an einer möglichst grossen landwirtschaftlich nutzbaren Bodenfläche gelegen ist als an einer kleinern Landfläche, mag sie auch ihres Baulandcharakters wegen wertvoller sein. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer an der Zuteilung des Landes ausserhalb der Bauzone deshalb interessiert ist, weil es sich um von
BGE 96 I 39 S. 44
seinem Vater ererbten Grund und Boden handelt, oder deshalb, weil er, wie das Verwaltungsgericht vermutet, annimmt, dieses Land werde später einmal auch in die Bauzone einbezogen werden. In jedem Fall lässt sich eine so erhebliche Reduktion der Bodenfläche, wie sie hier erfolgte, nur rechtfertigen, wenn dafür sachliche Gründe ins Feld geführt werden können. Gegen die Zuteilung des Grundstücks 86.3 N, wie sie im Neuzuteilungsentwurf vorgesehen war, wurde eine Einsprache erhoben, die sich, vor allem wegen des zu geringen Strassenanstosses, als begründet erwies. Es waren zudem, wie sich aus der Vernehmlassung der Schätzungskommission ergibt, bei der Änderung des Neuzuteilungsentwurfes andere wesentliche Punkte zu berücksichtigen, sodass eine Änderung der ursprünglich vorgesehenen Zuteilung an den Beschwerdeführer als sachlich begründet erscheint. Er beschränkt sich denn auch darauf, die Wiederherstellung des ursprünglichen Zuteilungsentwurfes zu verlangen, ohne zu sagen, auf welche Weise derart eine Lösung gefunden werden könnte, die auch den Interessen der andern Grundeigentümer, vor allem des Eigentümers des Grundstücks Nr. 86.3 N, in genügender Weise Rechnung tragen würde. Wie das Bundesgericht in einem früheren Urteil ausgeführt hat, muss sich im Güterzusammenlegungsverfahren jeder Grundeigentümer mit gewissen Unterschieden zwischen altem und neuem Besitzstand bezüglich Beschaffenheit und Lage abfinden (
BGE 90 I 290
). Es ist verständlich, dass sich der Beschwerdeführer gegen die Reduktion der ihm zugeteilten Bodenfläche zur Wehr setzt. Angesichts der Tatsachen, dass ihm innerhalb der Bauzone ein dem alten Besitzstand gleichwertiges, gut überbaubares Grundstück zugewiesen wurde, dass er als Nichtlandwirt auf Grundbesitz ausserhalb der Bauzone weniger angewiesen ist und dass sich infolge einer begründeten Einsprache die Änderung des ursprünglichen Neuzuteilungsentwurfes aufdrängte, lässt sich nicht sagen, die kantonalen Instanzen hätten bei der Neuzuteilung ihr Ermessen missbraucht und ihr Entscheid sei geradezu willkürlich. Ob bei freier Prüfung die Zuteilung an den Beschwerdeführer als angemessen erschiene, hat das Bundesgericht, wie ausgeführt, nicht zu entscheiden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a6c7c9f1-887d-4fc8-9002-2415ca160475 | Urteilskopf
124 V 356
60. Extrait de l'arrêt du 19 octobre 1998 dans la cause B. contre Chrétienne-Sociale Suisse Assurance et Tribunal cantonal des assurances du canton du Valais | Regeste
Art. 37 Abs. 2 und
Art. 39 UVG
;
Art. 50 UVV
: Wagnisse.
- Mangels einer im neuen Gesetz ausdrücklich eingeräumten Befugnis verfügen die Krankenkassen unter der Herrschaft des KVG nicht über die notwendige Selbstbestimmung, um im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung statutarisch eine Leistungskürzung bei Wagnissen vorzusehen.
- Bezüglich der Folgen eines auf ein Wagnis zurückzuführenden Unfalles erlaubt das KVG dem Krankenversicherer in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keine Leistungskürzung. | Sachverhalt
ab Seite 356
BGE 124 V 356 S. 356
A.-
Le 23 mars 1997, le ski-club de G. a organisé une épreuve populaire du kilomètre lancé à ski, ouverte à toute personne âgée d'au moins douze ans. Celle-ci se déroule sur une piste d'une longueur totale de 1000 mètres, comprenant une piste d'élan de 400 mètres avec trois départs échelonnés, un passage chronométré de 100 mètres et une zone de freinage de plus de 500 mètres remontant sur la fin. La déclivité maximale est de 67% (30o).
Participant à cette épreuve, B., né en 1980, a effectué une chute contre les installations de chronométrage après avoir dévié de sa trajectoire. L'accident a entraîné des lésions vertébrales, une fracture de la cheville et diverses contusions.
BGE 124 V 356 S. 357
La Chrétienne-Sociale Suisse Assurance (ci-après: la CSS), auprès de laquelle B. est assuré contre la maladie et les accidents dans le cadre d'une assurance-maladie collective, a refusé toute prise en charge, par décision du 14 juillet 1997, motif pris que l'accident résultait d'une entreprise téméraire. L'opposition de l'assuré a été rejetée par décision du 30 septembre 1997.
B.-
Par jugement du 15 avril 1998, le Tribunal cantonal des assurances du canton du Valais a rejeté le recours formé par l'assuré contre cette décision.
C.-
B. interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande implicitement l'annulation. Il conclut, sous suite de frais et dépens, à ce que la CSS soit tenue de prendre en charge les suites de l'accident.
La CSS a conclu au rejet du recours, alors que l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) a renoncé à déposer des observations.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La CSS a rendu sa décision litigieuse en se fondant sur l'art. 9 de son Règlement des assurances selon la LAMal (dans sa teneur en vigueur à partir de janvier 1997). Sous le titre liminaire "Dangers extraordinaires et entreprises téméraires", cette disposition prévoit ce qui suit:
"Sont exclus de l'assurance-accidents les accidents dus à des dangers extraordinaires et des entreprises téméraires.
9.1. Sont considérés comme dangers extraordinaires...
9.2. Les entreprises téméraires sont celles par lesquelles l'assuré provoque un danger particulièrement grave sans prendre de mesures destinées à ramener celui-ci à des proportions raisonnables ou sans pouvoir prendre de telles mesures. Toutefois, le sauvetage d'une personne est couvert par l'assurance, même s'il peut être considéré comme une entreprise téméraire.
Pour juger s'il y a entreprise téméraire, la CSS s'en tient à la pratique correspondante de l'assurance-accidents obligatoire."
Le recourant a soutenu en procédure cantonale que cette disposition réglementaire était contraire à la LAMal; en instance fédérale, il limite sa critique au caractère absolu de cette exclusion qu'il tient pour non conforme à la LAMal, s'agissant des frais médicaux et hospitaliers. Se référant à la jurisprudence rendue sous l'empire de la LAMA (
ATF 112 V 297
), les juges cantonaux ont pour leur part considéré, sans motivation particulière, que le principe de la réduction ou de l'exclusion pour entreprise téméraire était également applicable dans le nouveau régime de la LAMal.
BGE 124 V 356 S. 358
Le Tribunal fédéral des assurances n'est pas lié par les motifs que les parties invoquent (art. 114 al. 1 en corrélation avec l'
art. 132 OJ
); il examine d'office si le jugement attaqué viole des normes de droit public fédéral (
art. 104 let. a OJ
).
Pour statuer sur la conformité au droit fédéral de la réglementation litigieuse, il convient au préalable de rappeler la situation en droit sous l'empire de la LAMA.
2.
a) Selon les dispositions en vigueur jusqu'au 31 décembre 1983, l'art. 67 al. 3 deuxième phrase LAMA disposait que la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents pouvait exclure de l'assurance des accidents non professionnels les dangers extraordinaires et les entreprises téméraires. En application de cette disposition légale, le Conseil d'administration de la Caisse nationale avait pris, le 31 octobre 1967, une décision (entrée en vigueur le 1er janvier 1968) qui, d'une part, énumérait les dangers extraordinaires exclus de l'assurance des accidents non professionnels et, d'autre part, définissait les entreprises téméraires, également exclues de cette assurance. Aux termes de cette décision, il fallait entendre, par entreprise téméraire, l'acte par lequel un assuré s'expose sciemment à un danger particulièrement grave pouvant résulter soit de l'acte lui-même, soit de la manière dont il est accompli, soit des circonstances concomitantes, soit de la personnalité de l'assuré.
b) La réglementation introduite par la LAA et par l'OLAA, en vigueur depuis le 1er janvier 1984, a abandonné le principe du "tout ou rien" en matière d'entreprises téméraires: les prestations peuvent, selon les cas, être refusées ou seulement réduites; en outre, seules les prestations en espèces peuvent faire l'objet d'un tel refus ou d'une telle réduction. Le législateur a donné par ailleurs compétence au Conseil fédéral de désigner les dangers extraordinaires et les entreprises téméraires qui, dans l'assurance des accidents non professionnels, motivent le refus de toutes les prestations ou la réduction des prestations en espèces (
art. 39 LAA
). En application de cette délégation de compétence, l'autorité exécutive a édicté l'
art. 50 OLAA
dont la teneur est la suivante:
"1 En cas d'accidents non professionnels dus à une entreprise téméraire, les prestations en espèces sont réduites de moitié; elles sont refusées dans les cas particulièrement graves.
2 Les entreprises téméraires sont celles par lesquelles l'assuré provoque un danger particulièrement grave sans prendre de mesures destinées à ramener celui-ci à des proportions raisonnables ou sans pouvoir prendre de telles mesures. Toutefois, le sauvetage d'une personne est couvert par l'assurance même s'il peut être considéré comme une entreprise téméraire".
BGE 124 V 356 S. 359
c) La notion d'entreprise téméraire au sens de la LAA est demeurée identique à celle qui était valable sous l'empire de la LAMA. La jurisprudence qui s'y rapporte établit une distinction entre entreprise téméraire absolue et relative. Dans le premier cas, l'assuré s'expose à un danger particulièrement grave sans pouvoir prendre des mesures destinées à ramener le danger à des proportions raisonnables alors que, dans le second, il s'expose à un danger particulièrement grave sans prendre de telles mesures (
ATF 112 V 47
sv. consid. 2a et b et les références). Il existe à cet égard des recommandations pour les assureurs-accidents, établies par une commission ad hoc sinistres LAA, sous forme d'une liste des entreprises considérées comme téméraires.
A la suite de l'abrogation - avec effet au 31 décembre 1983 - de l'
art. 67 LAMA
qui figurait au titre deuxième de la loi (assurance en cas d'accidents), la LAMA n'a plus contenu de dispositions réglementaires relatives à l'entreprise téméraire. Mais, selon la jurisprudence (
ATF 112 V 300
consid. 1c), cette notion d'entreprise téméraire, applicable dans l'assurance obligatoire contre les accidents - selon la LAMA et la LAA - vaut également dans l'assurance-maladie sociale, lorsque celle-ci inclut le risque d'accident. Les statuts des caisses doivent toutefois poser les principes applicables, par renvoi de l'art. 14 Ord. III de la LAMA. Ils peuvent être calqués sur la réglementation de l'assurance-accidents, être plus généreux en n'excluant pas ce risque ou être encore plus restrictifs. A cet égard, ce renvoi à la notion d'entreprise téméraire selon la LAA s'est limité au renvoi à la définition qui en est donnée et non aux conséquences que la LAA envisage de manière plus nuancée que l'assurance-maladie - refus total ou partiel des seules prestations en espèces (cf. DUC, Les assurances sociales en Suisse, 1995, note 1035).
d) La LAMal ne contient aucune disposition permettant de réduire ou de supprimer les prestations de l'assurance obligatoire des soins en cas d'entreprise téméraire. Au demeurant, cette question n'a été abordée ni dans le Rapport et projet de la Commission d'experts du 2 novembre 1990, ni dans le Message du Conseil fédéral du 6 novembre 1991, ni dans les séances des Chambres. Il importe dès lors de savoir si et dans quelle mesure l'assureur-maladie peut encore régler cette question (voire d'autres) de manière autonome dans sa réglementation interne ou ses statuts de façon à lier ses assurés.
Sous l'empire de la LAMA, l'art. 1 al. 2 conférait aux caisses-maladie le droit de s'organiser à leur gré, en tant que la loi ne contenait pas de
BGE 124 V 356 S. 360
disposition contraire (cf. RAMA 1992 no K 890 p. 67 consid. 3). Cette règle cardinale découlait directement du fait que la LAMA, même après la révision de 1964, était essentiellement une loi de subventionnement et qu'elle se limitait en conséquence à une description des conditions minimales que les caisses devaient remplir pour être reconnues et obtenir des subsides de la Confédération. Il n'en va pas de même avec la LAMal qui ne contient pas seulement des exigences minimales mais règle l'assurance obligatoire des soins de manière complète et détaillée. Il en va ainsi des dispositions réglementaires concernant l'affiliation, les primes et les prestations qui sont réglées exclusivement par la LAMal.
Au vu de ces éléments, comme aussi de l'absence dans la loi nouvelle d'une disposition analogue à l'ancien
art. 1er al. 2 LAMA
, on ne peut considérer que le principe d'autonomie des caisses-maladie, tel que reconnu par la doctrine et la jurisprudence, a subsisté dans toute son étendue dans le régime de la LAMal. On doit au contraire retenir que, dans les domaines qu'il a réglés en détail, le législateur a remplacé le principe d'autonomie par celui de la légalité. Il en va ainsi dans la réglementation de l'assurance obligatoire des soins où l'assureur-maladie ne peut fixer des règles propres que dans les domaines où la loi lui en donne la compétence (cf. EUGSTER, Zum Leistungsrecht der Taggeldversicherung nach KVG, in: LAMal-KVG: recueil de travaux en l'honneur de la Société suisse de droit des assurances, IRAL, 1997, p. 499 ss, spéc. p. 549; DUC, Quelques réflexions relatives à l'assurance d'une indemnité journalière selon la LAMal, in: RSAS 1998 p. 253). En revanche, la question de savoir si, en matière d'assurance facultative d'indemnité journalière, la règle ci-dessus est applicable ou si l'autonomie existant antérieurement a subsisté peut rester dans le cas particulier ouverte.
Il s'ensuit que c'est à tort que les juges valaisans ont considéré que la caisse intimée disposait encore d'une autonomie lui permettant de décider, par voie statutaire, de la réduction de ses prestations en matière d'assurance obligatoire des soins en cas d'entreprise téméraire, dès lors que la LAMal ne lui en donnait pas expressément la compétence.
3.
a) En principe, toute personne accidentée, assurée selon la LAA, reçoit pour le moins des prestations de même ampleur que si elles lui étaient versées par la caisse-maladie. Dans la plupart de ces cas, la caisse-maladie n'aura alors rien à débourser en sus. Lorsqu'il y a exposition à des dangers extraordinaires ou entreprise téméraire, les
art. 49 et 50 OLAA
permettent à l'assureur-accidents de réduire de moitié ou de
BGE 124 V 356 S. 361
refuser ses prestations en cas d'accident non-professionnel. Il s'ensuit que la caisse-maladie doit prendre le relais de l'assurance-accidents et verser les prestations assurées, comme s'il s'était agi d'une maladie dès lors que, selon l'
art. 1 al. 2 let. b LAMal
, l'assurance-maladie sociale alloue des prestations en cas d'accident, dans la mesure où aucune assurance-accidents n'en assume la prise en charge. Cela a pour conséquence naturelle que l'assurance-maladie devra verser des prestations entières ou partie des prestations demeurées non couvertes à la suite de la réduction opérée. Ainsi, il lui appartiendra en réalité de supporter un risque dont le législateur a libéré l'assureur-accidents.
A cet égard, il y a lieu d'observer que, s'agissant des suites d'un accident dû à une entreprise téméraire, la réduction que peut opérer l'assureur-accidents ne concerne que les prestations en espèces visées au chapitre 2 du titre 3 de la LAA (indemnité journalière, rente, indemnité pour atteinte à l'intégrité notamment). En revanche, la réduction n'est pas autorisée dans le domaine des prestations pour soins énoncées au chapitre 1 du titre 3 de la loi. Or il n'y a pas de raison, en matière de soins, de traiter différemment les assurés victimes d'accidents. (...)
b) En ne réglementant pas la question du refus ou de la réduction des prestations en cas de témérité ou de faute grave, le titre 2 de la LAMal (assurance obligatoire des soins) s'inscrit dans la droite ligne de la LAA et de l'OLAA. En effet, dans de tels cas, l'assurance-accidents ne prévoit une réduction qu'en ce qui concerne les prestations en espèces (
art. 37 al. 2 LAA
,
art. 50 al. 1 OLAA
). Dès l'instant où les prestations de l'assurance obligatoire des soins ne revêtent pas ce caractère, il en résulte logiquement que le titre 2 de la LAMal est muet sur ce point.
C'est dans le même sens que s'exprimait à ce sujet le Conseil fédéral dans son Message sur la révision partielle de l'assurance-maladie du 19 août 1981 relatif au projet de loi fédérale sur l'assurance-maladie et maternité (LAMM), lequel a été rejeté par le peuple lors du scrutin du 6 décembre 1987. En effet, l'art. 12bis al. 4 du projet de loi autorisait la caisse à refuser l'indemnité journalière, si l'assuré avait, avec intention ou négligence coupable, causé ou aggravé l'atteinte à la santé (FF 1981 II 1121 et 1195). Les auteurs du projet de loi avaient selon toute vraisemblance voulu aligner cette disposition sur la réglementation de la nouvelle LAA. Le message relevait que les règles de réduction ne s'appliquaient qu'à l'indemnité journalière et que les prestations pour soins médico-pharmaceutiques ne pouvaient être ni réduites ni refusées (FF
BGE 124 V 356 S. 362
1981 II 1122).
Sur le vu de ce qui précède, il y a lieu de considérer que la caisse-maladie n'était pas en droit d'opérer une réduction pour les prestations de l'assurance obligatoire de soins, soit celles figurant au chapitre 3 du titre 2 de la LAMal.
c) Dans la mesure où l'assurance intimée n'était en définitive pas autorisée à refuser ou à réduire ses prestations à l'égard de B., sa décision fondée sur ces motifs, comme le jugement cantonal qui la confirme, s'avèrent contraires au droit fédéral, sans qu'il soit encore nécessaire d'examiner le caractère téméraire de l'épreuve de ski. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a6d18a18-5197-4267-a68b-64767562fefe | Urteilskopf
123 I 221
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. April 1997 i.S. Demokratische JuristInnen der Schweiz sowie E., G. und K. gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Anfechtung der baselstädtischen Verordnung über das Gefängniswesen vom 19. Dezember 1995; Haftbedingungen im Strafvollzug sowie bei strafprozessualer und ausländerrechtlicher Haft; persönliche Freiheit,
Art. 4 BV
(Unschuldsvermutung), Art. 2 ÜbBest. BV,
Art. 3 EMRK
,
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
und
Art. 10 EMRK
.
Eintretensvoraussetzungen, abstrakte Normenkontrolle: Umfang der Beschwerdebefugnis eines privatrechtlichen Vereins und von natürlichen Personen zur Anfechtung von kantonalen Bestimmungen, welche den Vollzug von Strafhaft sowie strafprozessualer und ausländerrechtlicher Freiheitsentziehung regeln;
Art. 84 Abs. 1 OG
,
Art. 88 OG
(E. I/2).
Grundsätzliche Erwägungen: Schutzbereich der persönlichen Freiheit; Anforderungen an eine ausreichende gesetzliche Grundlage; sachlicher Geltungsbereich des angefochtenen Erlasses; Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen bei Inhaftierten (E. I/4).
Unterbringung von ausländerrechtlichen Gefangenen: Voraussetzungen, unter denen die Unterbringung fremdenpolizeilicher Administrativhäftlinge in einem Vollzugs- bzw. Untersuchungsgefängnis zulässig sein kann. Prüfung der Grundrechtskonformität der baulichen Gegebenheiten (Zellengrössen, sanitäre Anlagen) in der kantonalen Vollzugsanstalt "Schällemätteli"; gesamthafte Würdigung der konkreten Haftbedingungen; persönliche Freiheit,
Art. 3 und
Art. 10 EMRK
(E. II/1).
Recht der Gefangenen auf ärztliche Betreuung (E. II/2).
Gefangenenarbeit: Die Regelung der baselstädtischen Gefängnisverordnung, welche alle Insassinnen und Insassen sowohl des kantonalen Untersuchungsgefängnisses "Waaghof" als auch der Vollzugsanstalt "Schällemätteli", mit Ausnahme der Untersuchungshäftlinge, zur Erledigung der ihnen behördlich zugewiesenen Arbeiten verpflichtet, verstösst gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechtes, den verfassungsmässigen Grundsatz der Unschuldsvermutung sowie gegen die persönliche Freiheit (E. II/3). | Sachverhalt
ab Seite 223
BGE 123 I 221 S. 223
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt erliess am 19. Dezember 1995 eine Verordnung über das Gefängniswesen (VG/BS), welche am 10. Februar 1996 im baselstädtischen Kantonsblatt veröffentlicht wurde. Innert 30 Tagen seit der amtlichen Publikation haben die Demokratischen JuristInnen der Schweiz, Regionalgruppe Basel (DJS) sowie E., G. und K. den Erlass mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten. Sie stellen den Antrag, es seien verschiedene Bestimmungen der Gefängnisverordnung aufzuheben (nämlich § 3 lit. c, § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2,
§ 14 Abs. 1,
§ 22 Abs. 1 sowie
§ 25 Abs. 3 Satz 2 VG
/BS).
Zur Begründung machen die Beschwerdeführenden u.a. geltend, durch die angefochtenen Bestimmungen würden folgende Grundrechte bzw. verfassungsmässige Grundsätze verletzt:
- Garantie der persönlichen Freiheit;
- Rechtsgleichheits- und Verhältnismässigkeitsgebot (
Art. 4 BV
);
- Meinungsäusserungsfreiheit;
- Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes (Art. 2 ÜbBest.BV);
BGE 123 I 221 S. 224
-
Art. 3 EMRK
(Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung);
-
Art. 8 EMRK
(Achtung des Privat- und Familienlebens, insbesondere des freien Briefverkehrs);
-
Art. 10 EMRK
(Meinungsfreiheit);
-
Art. 14 EMRK
(Diskriminierungsverbot).
Die Verordnung über das Gefängniswesen regelt die Organisation und die Haftbedingungen des Untersuchungsgefängnisses des Kantons Basel-Stadt sowie der kantonalen Vollzugsanstalt "Schällemätteli". Gemäss der angefochtenen Verordnung werden im kantonalen Untersuchungsgefängnis in erster Linie strafprozessuale Häftlinge untergebracht. Dazu gehören namentlich Untersuchungs- und Sicherheitsgefangene sowie Personen im Polizeigewahrsam (
§ 2 lit. a-d und h VG
/BS). Sodann werden im Untersuchungsgefängnis bestimmte leichtere Kriminalsanktionen (insbesondere kurzfristige Freiheitsstrafen und Strafen, bei denen die Halbgefangenenschaft oder der tageweise Vollzug bewilligt wurde) sowie Militärdisziplinarsanktionen vollzogen (
§ 2 lit. e-g VG
/BS). Das Untersuchungsgefängnis nimmt ausserdem gewisse Kategorien von Personen auf, bei denen eine Administrativbehörde die stationäre Unterbringung angeordnet hat (
§ 2 lit. i VG
/BS).
Demgegenüber werden in der kantonalen Vollzugsanstalt "Schällemätteli" in erster Linie Strafgefangene plaziert, die sich im vorläufigen oder regulären Strafvollzug befinden und ihre Strafe "zur Zeit noch nicht in einer Vollzugsanstalt antreten können" (
§ 3 lit. a VG
/BS). Hinzu kommen die fremdenpolizeilich Inhaftierten, welche sich in Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft befinden (
§ 3 lit. c VG
/BS). Schliesslich können auch gewisse Kategorien von strafprozessualen Gefangenen im "Schällemätteli" untergebracht werden (nämlich Personen in Polizeigewahrsam und solche, die sich "vorübergehend im Kanton Basel-Stadt in Haft befinden" [
§ 3 lit. d VG
/BS]) sowie Gefangene, "die noch vor Abklärung einer Massnahme stehen" (
§ 3 lit. b VG
/BS).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I.
Sachurteilsvoraussetzungen und allgemeine Erwägungen
I.2.
Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass auf dem Wege der abstrakten Normenkontrolle ist legitimiert (
Art. 88 OG
), wer durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar
BGE 123 I 221 S. 225
oder zumindest virtuell, d.h. mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal, in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist. Privaten Verbänden und Interessengemeinschaften steht die Beschwerdebefugnis zur Wahrung der verfassungsmässig geschützten Interessen ihrer Mitglieder zu, wenn sie als juristische Person konstituiert sind, nach den Statuten die Interessen ihrer Mitglieder zu wahren haben und die Mehrheit oder zumindest eine Grosszahl der Mitglieder vom angefochtenen Erlass direkt oder virtuell betroffen ist (
BGE 122 I 222
E. 1a S. 224;
BGE 119 Ia 123
E. 1b S. 127, 197 E. 1c S. 200 f., 321 E. 2b S. 324; vgl. WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 262 ff.; MARC FORSTER, Die staatsrechtliche Beschwerde, in GEISER/MÜNCH, Prozessieren vor Bundesgericht, Basel 1996, Rz. 2.35; KARL SPÜHLER, Die Praxis der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1994, Rz. 38, 44).
a) Bei der privatrechtlichen Organisation mit dem Namen "Demokratische JuristInnen der Schweiz, Regionalgruppe Basel" (DJS) handelt es sich um einen Verein im Sinne von
Art. 60 ff. ZGB
mit Sitz in Basel. Gemäss Art. 3 Abs. 1 seiner Statuten kann der Verein "im Rahmen seiner Zielsetzungen auch die Interessen seiner Mitglieder vertreten". Die Mehrheit bzw. ein Grossteil der Vereinsmitglieder ist nach glaubhafter Darlegung in der Beschwerdeschrift im Kanton Basel-Stadt wohnhaft. Im Falle der Anfechtung von allgemeinen kantonalen Gefängnisreglementen genügt nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes für das Vorliegen einer virtuellen Betroffenheit der Wohnsitz im betreffenden Kanton (
BGE 102 Ia 279
E. 1 S. 281 f.; nicht amtlich publizierte Erwägung 1a von BGE
BGE 118 Ia 64
ff.). Der Verein DJS ist somit selbständig zur Beschwerde legitimiert, soweit seine Rügen sich gegen Bestimmungen zur strafprozessualen Haft und Strafvollzugshaft richten. Nicht beschwerdeberechtigt ist der Verein DJS hingegen, soweit er Rügen erhebt, die sich ausschliesslich auf Fragen der ausländerrechtlichen Inhaftierung beziehen. Der beschwerdeführende Verein legt nicht dar und macht auch nicht geltend, dass ein Grossteil seiner Mitglieder von fremdenpolizeilicher Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft virtuell betroffen wäre.
b) Auch die beschwerdeführenden natürlichen Personen sind im Kanton Basel-Stadt wohnhaft. Bei den Beschwerdeführerinnen G. (deutsche Staatsangehörige mit Aufenthaltsbewilligung B) und K. (türkische Staatsangehörige mit Niederlassungsbewilligung C) kommt aber noch hinzu, dass sie mit einer gewissen minimalen
BGE 123 I 221 S. 226
Wahrscheinlichkeit nicht nur von strafprozessualer Haft oder Strafvollzug im Kanton Basel-Stadt betroffen sein könnten, sondern dass sie darüber hinaus auch noch von fremdenpolizeilicher Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft im Sinne von
§ 3 lit. c VG
/BS virtuell betroffen sind (vgl.
BGE 122 I 222
E. 1a S. 224). Nach dem Gesagten ist die Beschwerdeberechtigung von G. und K. vorbehaltlos zu bejahen. Für die Legitimation des Beschwerdeführers E. gilt die analoge Einschränkung wie für den Verein DJS.
I.4.
Die Verfassungsmässigkeit einer Gefängnisverordnung, welche die Haftbedingungen regelt, ist vorab unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Freiheit zu beurteilen. Die Garantie der persönlichen Freiheit ist ein ungeschriebenes Grundrecht der Bundesverfassung, das nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten schützt, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Das Recht auf persönliche Freiheit gilt indessen, wie die übrigen Freiheitsrechte, nicht absolut. Beschränkungen sind zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen die verfassungsmässigen Freiheitsrechte weder völlig unterdrückt noch ihres Gehaltes als Institution der Rechtsordnung entleert werden. Auf die persönliche Freiheit können sich alle natürlichen Personen, Schweizer wie Ausländer, berufen (
BGE 118 Ia 64
E. 2d S. 73 mit Hinweisen; vgl. HÄFELIN/HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 3. Aufl., Zürich 1993, N. 1179; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Bern 1991, S. 19).
a) Schwere Eingriffe in die Freiheitsrechte, namentlich Inhaftierungen, bedürfen einer klaren und ausdrücklichen Regelung in einem formellen Gesetz. Falls die Haftvoraussetzungen im formellen Gesetz ausreichend konkretisiert sind, können die Haftbedingungen auf Verordnungsstufe in einem materiellen Gesetz (Gefängnisreglement) geregelt werden (
BGE 117 Ia 465
E. 3a S. 469; vgl. MÜLLER, a.a.O., S. 25). Um einen ausreichenden Schutz gegen willkürliche und verfassungswidrige Haftbedingungen zu gewährleisten, hat ein Gefängnisreglement allerdings ein Mindestmass an Klarheit und Regelungsdichte aufzuweisen. Ob dies für fremdenpolizeilich Inhaftierte, deren Haftbedingungen im gleichen Erlass geregelt sind wie diejenige der Untersuchungs- und Strafhäftlinge, hinreichend sichergestellt erscheint, braucht nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht generell entschieden zu werden. Der Notwendigkeit der klaren Regelung und Unterscheidung des Haftregimes ist jedoch im
BGE 123 I 221 S. 227
Rahmen der Auslegung der angefochtenen Bestimmungen Rechnung zu tragen (
BGE 122 I 222
E. 2b S. 228).
b) Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt stellt sich zwar sinngemäss auf den Standpunkt, der angefochtene Erlass sei (bezüglich Haftbedingungen) auf ausländerrechtlich Inhaftierte gar nicht anwendbar. Dieser Auffassung kann indessen nicht gefolgt werden. Die Bestimmungen der angefochtenen Gefängnisverordnung gelten gemäss dem Wortlaut und der Systematik des Erlasses vielmehr für alle in
§ 3 VG
/BS genannten Gefangenenkategorien, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.
§ 6 VG
/BS (betreffend körperliche Untersuchung) zum Beispiel ist auf "jede neu eintretende Person" anwendbar. Besondere Bestimmungen sieht der angefochtene Erlass namentlich für Untersuchungsgefangene vor. Wo keine Spezialregelungen für Untersuchungshäftlinge gelten, spricht die Gefängnisverordnung regelmässig von "Insassinnen und Insassen" (s. z.B.
§
§ 13, 14 und 15 VG
/BS).
§ 5 Abs. 2 VG
/BS (betreffend Benachrichtigung der Angehörigen) sieht für Vorbereitungs- und Ausschaffungshäftlinge als Ausnahme von
§ 5 Abs. 1 VG
/BS ausdrücklich die Anwendbarkeit der "jeweils geltenden bundesrechtlichen Bestimmungen" vor. Diese Vorschrift erschiene sinnlos und überflüssig, falls der angefochtene Erlass auf ausländerrechtlich Inhaftierte zum vornherein gar nicht anwendbar wäre. Der Regierungsrat macht denn auch geltend, "für die Vorbereitungs- und Ausschaffungshäftlinge" sei "als Grundsatznorm § 36 Abs. 2 der Gefängnisverordnung von entscheidender Bedeutung, wonach die Rechtsstellung der Insassinnen und Insassen nur soweit eingeschränkt werden darf, als es für den Haftzweck oder die Sicherstellung eines geordneten Betriebsablaufs unerlässlich ist". Auch im kantonalen Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (EG/BS) ist keine Rede davon, dass die Bestimmungen des Einführungsgesetzes an die Stelle der angefochtenen Gefängnisverordnung treten sollten, soweit Vorbereitungs- und Ausschaffungshäftlinge davon betroffen sind. Vielmehr wird im Ratschlag und Entwurf des Regierungsrates vom 14. Mai 1996 zu einem Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht erst in Aussicht genommen, dass der Vollzug der ausländerrechtlichen Haft "in einer besonderen Verordnung geregelt werden" solle. § 13 Abs. 5 EG/BS bestimmt unter der Marginalie "Haftbedingungen": "Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten in einer Verordnung". Auch aus dem kantonalen Einführungsgesetz und den dazugehörigen Materialien geht somit
BGE 123 I 221 S. 228
hervor, dass der Vollzug ausländerrechtlicher Haft (bis zum Erlass einer einschlägigen Verordnung zum kantonalen Einführungsgesetz) von der angefochtenen Gefängnisverordnung geregelt bleibt. Allfällige Doppelspurigkeiten und Unzulänglichkeiten der kantonalen Gesetzgebung haben nicht die Beschwerdeführenden zu verantworten. Soweit der Regierungsrat sich auf den Standpunkt stellen will, die angefochtene Verordnung gelte - entgegen dem klaren Wortlaut des Erlasses - nicht für Vorbereitungs- und Ausschaffungshäftlinge, würde dies eine entsprechende klare Regelung voraussetzen. Die blosse Verdeutlichung, dass ausländerrechtliche Gefangene im "Schällemätteli" und nicht im Untersuchungsgefängnis "Waaghof" untergebracht werden sollen, liesse sich ohne weiteres auch im kantonalen Einführungsgesetz verankern (oder in der in Aussicht gestellten Vollzugsverordnung dazu). Es geht hingegen nicht an, die Anwendbarkeit der angefochtenen geltenden Gefängnisverordnung unter Hinweis auf eine gar noch nicht existierende Verordnung zum EG/BS zu verneinen.
c) Die Beschränkung der Freiheitsrechte von Gefangenen darf nicht über das hinausgehen, was zur Gewährleistung des Haftzwekkes und zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebes erforderlich ist (
BGE 122 I 222
E. 2a/aa S. 226;
BGE 122 II 299
E. 3b S. 303, je mit Hinweisen). Die von der Bundesverfassung garantierten Freiheitsrechte, insbesondere die persönliche Freiheit, stehen auch den strafprozessualen Gefangenen zu. Diese dürfen in ihren Freiheitsrechten lediglich soweit eingeschränkt werden, als es durch strafprozessuale Zwecke erfordert wird. Diese Erfordernisse können allerdings nur im Hinblick auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalles präzise bestimmt werden. Je höher die Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr erscheint, oder je stärker der ordnungsgemässe Gefängnisbetrieb (insbesondere die Sicherheit von Insassen und Personal) gefährdet ist, desto restriktiver können die Haftbedingungen sein (
BGE 118 Ia 64
E. 2d S. 73 f.).
d) Anders als bei strafprozessualer Haft erfordert der ausländerrechtliche Haftzweck regelmässig keine Beschränkungen des Kontakts mit der Aussenwelt oder mit anderen Personen, die sich ebenfalls in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft befinden. Einschränkungen rechtfertigen sich hier über den mit der Haft notwendigerweise verbundenen Sicherungszweck hinaus nur aus Erfordernissen des Anstaltsbetriebs oder bei konkreten Sicherheitsbedenken. Die fremdenpolizeilichen Haftgründe (
Art. 13a und
Art. 13b ANAG
; SR 142.20), die vom blossen administrativen
BGE 123 I 221 S. 229
Fehlverhalten bis hin zu strafrechtlich relevanten Verstössen reichen, können zwar unterschiedliche Sicherheitsbedürfnisse begründen. Diesen ist aber nicht generell durch ein strikteres Haftregime für alle ausländerrechtlich Inhaftierten Rechnung zu tragen, sondern jeweils im Einzelfall nach Massgabe der konkreten Notwendigkeiten (
BGE 122 I 222
E. 2b/bb S. 227;
BGE 122 II 299
E. 3c S. 303). Insofern findet die Auffassung des Regierungsrates, bei der Unterbringung von Administrativhäftlingen sei deren "erstelltem Widersetzungswillen" bzw. deren "Widerspenstigkeit und Aggressivität" Rechnung zu tragen, weshalb eine Unterbringung in einem geschlossenen Durchgangszentrum zum vornherein nicht in Frage komme, in der Bundesgerichtspraxis keine Stütze.
e) Die aus dem Haftregime resultierenden Freiheitsbeschränkungen müssen auch mit den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sein. Diese gewährleistet indessen im Bereich der Haftbedingungen keine über die verfassungsmässigen Grundrechtsgarantien hinausgehenden Rechte. Der Schutzbereich der einzelnen Freiheitsrechte samt ihren Ausprägungen sowie die Grenzen der Zulässigkeit von Eingriffen sind im Einzelfall angesichts von Art und Intensität der Beeinträchtigung zu bestimmen (
BGE 118 Ia 64
E. 2d S. 73 f. mit Hinweisen).
II.
Materielle Auseinandersetzung mit den erhobenen Rügen
II.1.
§ 3 VG
/BS hat folgenden Wortlaut:
"Das Schällemätteli nimmt Personen auf:
a) die sich im vorläufigen oder regulären Vollzug befinden und ihre Strafe zur Zeit noch nicht in einer Vollzugsanstalt antreten können;
b) die noch vor Abklärung einer Massnahme stehen;
c) die sich zuhanden der Fremdenpolizeibehörden in Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft befinden;
d) die sich vorübergehend im Kanton Basel-Stadt in Haft befinden sowie Personen in Polizeigewahrsam."
a) aa) In der Beschwerde wird als erstes gerügt,
§ 3 lit. c VG
/BS verstosse gegen
Art. 3 EMRK
(Schutz der Menschenwürde) und
Art. 10 EMRK
(Grundrecht auf Kommunikation). Ausserdem stehe die angefochtene Bestimmung in Widerspruch zu
Art. 13d Abs. 2 ANAG
. Dort sei vorgeschrieben, dass Ausschaffungs- und Vorbereitungshaft "in geeigneten Räumlichkeiten" zu vollziehen sei. Da die Vollzugsanstalt "Schällemätteli" keine geeigneten Räumlichkeiten aufweise, verletze die angefochtene kantonale Bestimmung den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes (Art. 2
BGE 123 I 221 S. 230
ÜbBest. BV). Zwar seien der Trakt III des "Schällemätteli" Ende der achtziger Jahre vollständig und die Trakte I und II (Einbau von Gemeinschafts-Toilettenanlagen und Duschenraum) teilweise saniert worden. Bei den Sanierungsarbeiten (im Umfang von Fr. 5,7 Mio.) habe man sich jedoch auf das Nötigste beschränkt und lediglich ein Provisorium für zehn bis fünfzehn Jahre aufrechterhalten wollen. Die ausländerrechtlich Inhaftierten würden somit "in einem Gefängnis untergebracht, das zu zwei Dritteln bezüglich der baulichen Voraussetzungen in keiner Weise den Anforderungen eines menschenwürdigen Strafvollzuges zu genügen" vermöchte. In den Trakten I und II würden die Einzelzellen "nicht der vom Bundesamt für Justiz empfohlenen Mindestgrösse entsprechen". Ebensowenig seien sie mit fliessendem Wasser und entsprechenden sanitären Anlagen ausgerüstet. Dort inhaftierte Personen müssten "ihre Notdurft in den Zelleneinschlusszeiten in einen Plastikeimer verrichten, welcher anschliessend von den Gefangenen in der Stockwerkstoilette zu entleeren ist". Ausserdem stehe sämtlichen Gefangenen "kein Telephon zur Verfügung". Die Unterbringung von Administrativhäftlingen im "Schällemätteli" müsse im übrigen als unverhältnismässig qualifiziert werden, da der Haftzweck "auch durch die Unterbringung in einem geschlossenen Durchgangsheim für Asylbewerber, einem Heim oder einer ähnlichen Anstalt" gewährleistet werden könne.
bb) Die Regierung räumt in ihrer Stellungnahme ein, dass bei den Einerzellen (im Gegensatz zu den Zweierzellen) die vom Bundesamt für Justiz empfohlenen Normen "nicht ganz erreicht" würden. Mit 9,2 m2 Fläche (inklusive Nassbereich) hielten sich aber auch die Einerzellen der Trakte I und II in einem üblichen und vertretbaren Rahmen, zumal sich die Gefangenen während des Tages und abends auch in den Arbeits- und Aufenthaltsräumen befänden. Da ihre Zellen tagsüber geöffnet würden, sei es ausländerrechtlich Inhaftierten zumutbar, dort die Nacht zu verbringen. Die Häftlinge könnten sich ansonsten frei auf dem Zellengang und in einem grossen Aufenthaltsraum bewegen und hätten ausreichend Zeit und Gelegenheit zu sozialer Kommunikation. Den fremdenpolizeilich Inhaftierten werde auch in anderer Hinsicht eine grosse Bewegungsfreiheit eingeräumt. So stehe ihnen schon ab erstem Hafttag ein täglicher Spaziergang im Freien von zwei Stunden zu. Was die sanitären Anlagen betrifft, befänden sich in den besagten Zellen sogenannte Plastiktoiletten, wie sie auch in Campingwohnwagen benützt würden. Die darin enthaltene chemische Lösung werde jeden
BGE 123 I 221 S. 231
Morgen samt Inhalt entsorgt. Diese Toiletten dienten lediglich der Verrichtung der Notdurft während der Nacht, tagsüber könnten die Gefangenen normale WCs ausserhalb ihrer Zellen benutzen. Im übrigen sei geplant, die sanitären Anlagen in den Trakten I und II "so bald wie nur möglich zu verbessern". Eine entsprechende Anmeldung habe die kantonale Abteilung Gefängniswesen bereits beim Bundesamt für Justiz deponiert. Mit den Bauarbeiten werde "spätestens anfangs 1998" begonnen. Dass den Gefangenen, namentlich den ausländerrechtlich Inhaftierten, kein Telefon zu Verfügung stehe, wird vom Regierungsrat bestritten. Vielmehr sei auch im "Schällemätteli" eine Telefonzelle eingerichtet worden. In gewissen Fällen würden sogar die Kosten des Telefongesprächs vom Staat vorgeschossen bzw. übernommen.
b) Gemäss der Praxis des Bundesgerichtes wird der besonderen Situation der ausländerrechtlichen Administrativhäftlinge zwar am besten in spezifisch auf die Bedürfnisse dieser Haft eingerichteten Gebäulichkeiten Rechnung getragen. Der Vollzug von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft in anderen Anstalten ist jedoch nicht zum vornherein ausgeschlossen (
BGE 122 II 49
E. 5a S. 53, 299 E. 3c S. 304). Im Falle der Unterbringung in einem Vollzugs- oder Untersuchungsgefängnis muss allerdings dem Trennungsgebot von
Art. 13d Abs. 2 ANAG
Nachachtung verschafft werden, und es muss für die fremdenpolizeilich Inhaftierten grundsätzlich ein liberaleres Haftregime möglich sein. Dies gilt namentlich für Gefangene, bei denen weder konkrete Anzeichen für eine mögliche Flucht noch besondere Sicherheitsrisiken vorliegen (
BGE 122 I 222
E. 2a/bb S. 226 f.). Die Tatsache, dass im gleichen Gefängnis auch noch strafprozessuale Gefangene oder Strafvollzugshäftlinge untergebracht sind, für die strengere Sicherheitsvorschriften notwendig erscheinen, darf jedenfalls nicht dazu führen, dass auch sämtliche Administrativhäftlinge dem gleichen strengen Haftregime unterworfen werden. Aus dem Trennungsgebot folgt sodann, dass die fremdenpolizeilich Inhaftierten in separaten Abteilungen unterzubringen sind. Gewisse unvermeidliche Überschneidungen bei der Benutzung der Gefängnisinfrastruktur durch andere Häftlingskategorien können zwar zulässig sein, müssen sich aber auf ein Minimum beschränken. Unbedenklich ist etwa die zeitlich verschobene Benützung der gleichen Einrichtungen, insbesondere gewisser Räumlichkeiten oder des Spazierhofes (
BGE 122 II 49
E. 5a S. 53, 299 E. 3c S. 304). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht den Gefangenen grundsätzlich auch ein Recht zu, private Telefongespräche zu
BGE 123 I 221 S. 232
führen. Ausnahmen können sich namentlich für Untersuchungsgefangene zur Vermeidung von Kollusionsgefahr ergeben. Ausländerrechtlich Inhaftierte hingegen dürfen "im Rahmen des Sinnvollen (...) privat und grundsätzlich auch ohne Aufsicht auf eigene Kosten telefonieren". Das Telefonieren darf nur verweigert werden, wenn dem im Einzelfall besondere und konkret erhärtete Gründe entgegenstehen (
BGE 122 II 299
E. 6b S. 311).
c) aa) Die blosse Tatsache, dass in der kantonalen Vollzugsanstalt "Schällemätteli" neben gewissen Kategorien von strafprozessual Inhaftierten und Strafvollzugsgefangenen auch ausländerrechtliche Administrativhäftlinge untergebracht werden, verstösst nach der dargelegten Praxis weder gegen Bundesrecht, noch gegen die Grundrechte der Gefangenen. Allerdings ist beim Vollzug einer solchen Lösung besondere Sorgfalt und besonderes Gewicht darauf zu legen, dass das gesetzliche Separationsgebot strikte eingehalten wird und dass die Administrativhäftlinge in den Genuss eines gelockerten Vollzugsregimes kommen, nicht zuletzt was ihre sozialen Kontakte zueinander betrifft. Dies gilt namentlich in bezug auf Gemeinschaftsräumlichkeiten, aber auch im Verkehr mit der Aussenwelt (Besuche, Korrespondenz, Telefonate usw.) oder hinsichtlich ihrer Beschäftigung und Freizeitgestaltung (vgl.
BGE 122 II 299
E. 5a S. 308). Insofern ist die angefochtene Gefängnisverordnung verfassungskonform auszulegen. Angesichts des liberaleren Haftregimes für Administrativhäftlinge muss bei einer Unterbringung zusammen mit strafprozessualen Häftlingen und Strafvollzugsgefangenen in der gleichen Anstalt das Trennungsgebot konsequent durchgesetzt werden. Andernfalls würde namentlich der Gefahr Vorschub geleistet, dass Administrativhäftlinge von den übrigen Gefangenen zu verbotenen Handlungen (wie z.B. Einschmuggeln unerlaubter Gegenstände, Kollusionshandlungen usw.) angestiftet oder genötigt werden könnten.
bb) Die Beschwerdeführenden behaupten, es bestünde für sämtliche Gefangenen im "Schällemätteli" keinerlei Telefoniermöglichkeit, und sie beanstanden darin einen Verstoss gegen
Art. 10 EMRK
. Wie es sich diesbezüglich in der bisherigen Vollzugspraxis des "Schällemätteli" im einzelnen genau verhalten hat, braucht hier nicht geklärt zu werden. Die angefochtene Bestimmung von
§ 3 lit. c VG
/BS schliesst jedenfalls eine verfassungskonforme Regelung des Telefonierens nicht aus. Die genannte Vorschrift befasst sich damit auch gar nicht. Aus (dem nicht angefochtenen)
§ 28 VG
/BS geht vielmehr hervor, dass ein grundsätzliches Telefonierverbot lediglich
BGE 123 I 221 S. 233
bei Untersuchungshäftlingen vorgesehen ist, und dass selbst für diese Gefangenenkategorie Ausnahmen gestattet werden können. Ausdrücklich vorbehalten ist auch der telefonische Kontakt zu bevollmächtigten Rechtsvertretern. Im übrigen wird das Recht, "im Rahmen der Anstaltsordnung" zu telefonieren, auch in § 13 Abs. 4 EG/BS ausdrücklich gewährleistet. Die Rüge, die angefochtene Gefängnisverordnung verletze das in
Art. 10 EMRK
verankerte Recht auf freien Telefonverkehr ist daher unbegründet. Falls einem Gefangenen im konkreten Einzelfall das Telefonieren ohne ausreichende Veranlassung verweigert werden sollte, stünde es ihm im übrigen frei, die entsprechende Verfügung anzufechten.
cc) Schliesslich werden in der Beschwerde die teilweise geringe Grösse der Zellen und die veralteten sanitären Anlagen kritisiert. Als menschenunwürdig wird in Lehre und Praxis etwa eine Haftzelle für zwei Gefangene mit einer Grundfläche von bloss 8 m2 angesehen oder das gemeinsame Duschen von 24 Gefangenen auf einer Fläche von lediglich 30 m2 (vgl. Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 4. Aufl., Heidelberg 1994, N. 17). Auch Isolationshaft kann sich als menschenunwürdig erweisen, besonders wenn erschwerende Haftbedingungen (längere Dauer, kleine Zelle, wenig Licht, ungenügende Ernährung, übermässige Einschränkung des Kontaktes mit der Aussenwelt usw.) hinzukommen (vgl. Manfred Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar, Kehl 1989, Art. 10 N. 10 ff.). Um die Grundrechtskonformität der Unterbringung von Gefangenen zu beurteilen, sind die konkreten Haftbedingungen gesamthaft zu würdigen. Zwar ist ein gewisses Minimum an räumlicher Bewegungsfreiheit und Hygiene in der Zelle zu verlangen. Wo dieses Minimum erfüllt ist, müssen jedoch auch die übrigen konkreten Umstände des Haftvollzuges mitberücksichtigt werden. So läge es kaum im Interesse der Gefangenen, grössere Zellen (etwa in einem modernen Untersuchungsgefängnis) belegen zu können, wenn sie dafür ein empfindlich schärferes Haftregime (bezüglich sozialer Kontakte, Spaziergang, Sicherheitskontrollen, Freizeitgestaltung usw.) in Kauf nehmen müssten. Zwar weisen die baulichen Gegebenheiten in der Anstalt "Schällemätteli" gewisse Nachteile auf (teilweise enge Zellen und veraltete sanitäre Anlagen). Anderseits ist im "Schällemätteli" ein deutlich liberaleres Haftregime realisierbar, als dies zum Beispiel im neuen Basler Untersuchungsgefängnis "Waaghof" oder in einer ordentlichen Strafvollzugsanstalt möglich wäre. Ein täglicher Spaziergang im Freien von zwei Stunden Dauer ab erstem
BGE 123 I 221 S. 234
Hafttag zum Beispiel muss angesichts der realen Gegebenheiten im schweizerischen Straf- und Haftvollzug als fortschrittlich und erfreulich angesehen werden. Auch das Prinzip der "offenen Türen" und die weitgehende Freiheit bei der Beschäftigung der Gefangenen wäre in einem Strafvollzugs- oder Untersuchungsgefängnis kaum realisierbar.
In Abwägung sämtlicher Umstände, insbesondere des liberalen Haftregimes und der konkreten Anstrengungen der kantonalen Behörden mit dem Ziel, die bestehenden Anlagen (auch in den Trakten I und II) zu sanieren, erweist sich die Unterbringung von ausländerrechtlichen Häftlingen in der Anstalt "Schällemätteli" nicht als unmenschliche Behandlung im Sinne von
Art. 3 EMRK
oder als Verstoss gegen die persönliche Freiheit und Menschenwürde. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich im konkreten Einzelfall ein Gefangener, der in einer engen Einzelzelle untergebracht ist, gegebenenfalls mit Erfolg gegen eine schikanöse und menschenunwürdige Behandlung wehren könnte. Auch haben die kantonalen Behörden weiterhin Anstrengungen zu unternehmen, um die von ihnen als unbefriedigend erkannten baulichen und sanitären Gegebenheiten zu verbessern. Auf mittlere Zeitdauer könnte sich auch im Kanton Basel-Stadt die Schaffung einer spezialisierten Anstalt für den Vollzug ausländerrechtlicher Haft aufdrängen. Dies um so mehr, als das "Schällemätteli" zwar für die Vollzugshäftlinge als Provisorium konzipiert ist (
§ 3 lit. a VG
/BS: "zur Zeit"), nicht aber für die Fremdenpolizeihäftlinge. Gemäss der Vernehmlassung des Regierungsrates plant der Kanton Basel-Stadt denn auch die Erstellung eines Ausschaffungsgefängnisses mit 48 Haftplätzen an peripherer Lage. Die Baukosten würden sich auf ca. Fr. 8 Mio. belaufen. Mit den Bauarbeiten werde nach Eingang der Subventionszusicherung seitens des Bundes begonnen. Nach der Praxis des Bundesgerichtes sind provisorische gesetzliche Lösungen zwar zulässig. Sie müssen aber - bis zur Schaffung spezieller Vollzugsanstalten - bereits ein grundrechtskonformes Haftregime zulassen. Bauliche, organisatorische und personelle Gegebenheiten sind bis zur Eröffnung einer allen Ansprüchen gerecht werdenden Ausschaffungshaftanstalt anzupassen (
BGE 122 II 299
E. 5a S. 307 f.). Die angefochtene Bestimmung steht einer entsprechenden provisorischen Regelung der ausländerrechtlichen Administrativhaft nicht entgegen.
d) Die gegen
§ 3 lit. c VG
/BS erhobenen Rügen erweisen sich nach dem Gesagten als unbegründet.
BGE 123 I 221 S. 235
II.2.
Als nächste Bestimmung wird § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 VG/BS angefochten. Die Regelung lautet wie folgt:
"Jede neu eintretende Person kann zur Vermeidung der Einschleusung von gefährlichen Gegenständen oder von Deliktsgut sowie zur Vorabklärung allfälliger Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes einer körperlichen Untersuchung unterzogen werden.
Bei Männern wird sie durch einen Aufseher im Beisein des zuführenden Polizeimannes und bei Frauen durch eine Aufseherin vorgenommen. Bei Bedarf wird eine Ärztin oder ein Arzt beigezogen."
a) Die Beschwerde richtet sich nicht gegen die körperliche Eintrittsdurchsuchung von Gefangenen aus Sicherheitsgründen ("Einschleusung von gefährlichen Gegenständen oder von Deliktsgut"). Vielmehr wird geltend gemacht, dass sämtlichen Gefangenen "direkt aus der persönlichen Freiheit ein Anspruch zustehen" müsse, "bei Eintritt von einer medizinischen Fachperson auf mögliche Krankheiten untersucht zu werden".
b) Nach der bundesgerichtlichen Praxis müssen Durchsuchungen von Kleidern und Körper der Gefangenen von Personen des gleichen Geschlechts durchgeführt werden. Eigentliche intime Leibesvisitationen, die über eine blosse Kleiderkontrolle hinausgehen, dürfen zudem nur von Personen vorgenommen werden, die eine medizinische Ausbildung genossen haben und die normalerweise ausserhalb des Polizeikorps stehen (
BGE 109 Ia 146
E. 8b S. 158 f.). Gefangene haben hingegen grundsätzlich kein Recht auf freie Arztwahl, sofern die Betreuung durch einen Gefängnisarzt ausreichend sichergestellt ist. Der grundrechtliche Anspruch auf ausreichende (spezial-)ärztliche Versorgung oder ein (aus objektiven Gründen) gestörtes Verhältnis zum Gefängnisarzt können allerdings im Einzelfall den Beizug eines weiteren Arztes notwendig erscheinen lassen (
BGE 102 Ia 302
E. 2c S. 306). Nach der Praxis der Strassburger Rechtsprechungsorgane, welche mit derjenigen des Bundesgerichtes übereinstimmt, kann auch die Verpflichtung von Gefangenen, sich periodischen Urinkontrollen zu unterziehen, mit der EMRK vereinbar sein (EKMR vom 22. Februar 1995 i.S. A. B. c. CH = VPB 59.114; nicht amtlich publiziertes Urteil des Bundesgerichtes vom 4. Januar 1983 = ZBl 85 [1984] 45 f.). Nr. 29 der Europäischen Haft- und Strafvollzugsgrundsätze ("Règles pénitentiaires européennes") empfiehlt zwar, dass der Gefängnisarzt "jeden Gefangenen so bald wie möglich nach der Aufnahme und später nach Bedarf" untersucht (vgl. Europäische Strafvollzugsgrundsätze, Gemeinsame Übersetzung für die Bundesrepublik Deutschland, die
BGE 123 I 221 S. 236
Republik Österreich und die Schweizerische Eidgenossenschaft, Heidelberg 1988, S. 39). Dies schliesst jedoch nicht aus, die ärztliche Eintrittsuntersuchung von einem entsprechenden Wunsch des Gefangenen abhängig zu machen. Im übrigen ergeben sich aus der Recommandation R (87) 3 des Ministerkomitees des Europarates vom 12. Februar 1987 blosse Empfehlungen und keine völkerrechtlich verbindlichen und gerichtlich durchsetzbaren subjektiven Rechte des Einzelnen (
BGE 118 Ia 64
E. 2a S. 70).
c)
§ 6 Abs. 1 und 2 VG
/BS regelt sowohl die Eintrittsuntersuchung aus Sicherheits-, als auch diejenige aus medizinischen Gründen. Für blosse Durchsuchungen der Kleider oder für oberflächliche Leibesvisitationen erscheint der Beizug von Medizinalpersonen nicht sachlich geboten. Solche Kontrollen können auch von geschultem Gefängnispersonal vorgenommen werden, welches jeweils demselben Geschlecht zugehören muss wie die überprüften Personen (
§ 6 Abs. 2 VG
/BS). Anders sieht es aus für intime Leibesvisitationen und für medizinische Untersuchungen im engeren Sinne. Für intime Inspektionen ist medizinisch geschultes Fachpersonal beizuziehen. Eigentliche medizinische Untersuchungen sind Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Den Beschwerdeführenden ist darin zuzustimmen, dass Gefangenen, die krank sind oder die sich gesundheitlich beeinträchtigt fühlen, von Verfassungs wegen das Recht zusteht, medizinische Hilfe zu bekommen bzw. ärztlich untersucht zu werden. Dies muss namentlich beim Haftantritt gelten. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung steht jedoch der Wortlaut der angefochtenen Bestimmung einer solchen verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen.
§ 6 Abs. 2 Satz 2 VG
/BS kann ohne weiteres in dem Sinne ausgelegt werden, dass der "Bedarf" nach Beizug einer Ärztin oder eines Arztes insbesondere dann zu bejahen ist, wenn Gefangene bei Haftantritt über gesundheitliche Beschwerden klagen und eine medizinische Untersuchung verlangen. Auch nach dem Haftantritt ist die ärztliche Betreuung der Gefangenen gewährleistet (
§ 29 VG
/BS). Die angefochtene Bestimmung steht somit auch einer sanitarischen Praxis, wie sie z.B. im Militärdienst üblich ist oder in den Europäischen Mindestgrundsätzen (Nrn. 26 ff.) für den Haft- und Strafvollzug empfohlen wird, nicht entgegen. Die Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit erweist sich daher als unbegründet.
II.3.
§ 14 VG
/BS bestimmt folgendes:
"Mit Ausnahme der Untersuchungshäftlinge sind die Insassinnen und Insassen zur Erledigung der ihnen übertragenen Arbeiten verpflichtet.
BGE 123 I 221 S. 237
Untersuchungshäftlinge haben mit der Zustimmung der Verfahrensleitung die Möglichkeit, Arbeiten im Gefängnis zu verrichten.
Die Arbeitszuteilung erfolgt über die Oberaufsicht."
a) Die Beschwerdeführenden machen geltend, die Verpflichtung zur Arbeitsleistung für alle Gefangene ausser den Untersuchungshäftlingen verstosse gegen das Bundesrecht und damit gegen Art. 2 ÜbBest. BV (derogatorische Kraft des Bundesrechtes). Auch der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt beantragt, die Beschwerde sei in diesem Punkt gutzuheissen.
b) Der Wortlaut der angefochtenen Bestimmung lässt (unbestrittenermassen) keine andere Folgerung zu, als dass sämtliche Insassinnen und Insassen sowohl des kantonalen Untersuchungsgefängnisses als auch der Vollzugsanstalt "Schällemätteli", mit Ausnahme der Untersuchungshäftlinge, zur Erledigung der ihnen übertragenen Arbeiten verpflichtet sind. Dies betrifft alle Vollzugsgefangenen (inklusive vorzeitiger Strafvollzug), alle strafprozessualen Sicherheits- und Polizeihäftlinge sowie alle administrativ Inhaftierten gemäss
§ 2 und
§ 3 VG
/BS.
c) Die Artikel 35-41 und 46 StGB enthalten Rahmenvorschriften zum Vollzug von Freiheitsstrafen.
Art. 37 StGB
stellt grundsätzliche Bestimmungen für den Vollzug langfristiger Zuchthaus- und Gefängnisstrafen auf. Weitere Rahmenvorschriften ergeben sich aus
Art. 397bis StGB
i.V.m. VStGB 1-3.
Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
bezeichnet als Vollzugsziel der Zuchthaus- und Gefängnisstrafen die Resozialisierung des Gefangenen. Gemäss
Art. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
ist der zu einer Zuchthaus- bzw. zu einer Gefängnisstrafe Verurteilte "zur Arbeit verpflichtet, die ihm zugewiesen wird".
Art. 37bis und
Art. 39 StGB
enthalten für den Vollzug kurzer Freiheitsstrafen (Gefängnisstrafen und Haftstrafen bis zu drei Monaten Dauer) besondere bundesrechtliche Vorschriften. Auch bei den kurzen Gefängnisstrafen ist der Häftling "zur Arbeit verpflichtet, die ihm zugewiesen wird" (
Art. 37bis Ziff. 3 StGB
). Im übrigen ist die kurze Gefängnisstrafe nach den Bestimmungen über die Haft vollziehbar (
Art. 37bis Ziff. 1 Abs. 1 StGB
). Bei den kurzfristigen Strafen geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine resozialisierende Wirkung der Sanktion zum vornherein nicht angestrebt bzw. erwartet werden kann (
BGE 108 IV 148
E. 2 S. 150; vgl. JÖRG REHBERG, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, Jugendstrafrecht, 6. Aufl., Zürich 1994, S. 32; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 3 N. 41; Stefan Trechsel,
BGE 123 I 221 S. 238
StGB-Kurzkommentar, Zürich 1989, Art. 37bis N. 1). Haft-Strafgefangene sind zwar ebenfalls zur Arbeit "anzuhalten", es ist ihnen jedoch "gestattet, sich angemessene Arbeit selbst zu beschaffen". Erst wenn der Gefangene von dieser Befugnis keinen Gebrauch macht, ist er "zur Leistung der ihm zugewiesenen Arbeit verpflichtet" (
Art. 39 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
; vgl. dazu REHBERG, a.a.O., S. 32; STRATENWERTH, a.a.O., § 3 N. 41; TRECHSEL, a.a.O., Art. 39 N. 4).
d) Das Recht der Haft-Strafgefangenen, sich selbst angemessene Arbeit zu beschaffen, wurde im angefochtenen
§ 14 VG
/BS offenbar übersehen. Der in Art. 2 ÜbBest. BV enthaltene Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts bedeutet, dass die Kantone in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, nicht zur Rechtsetzung befugt sind. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, sind die Kantone nur zuständig, öffentlichrechtliche Vorschriften zu erlassen, die nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zwecke nicht beeinträchtigen oder gar vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes regelt zwar das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen; er hat aber auch unmittelbare Auswirkung auf die Rechtsstellung des Einzelnen und ist insofern als verfassungsmässiges Individualrecht anerkannt. Wird mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung des Grundsatzes gerügt, prüft das Bundesgericht frei, ob die beanstandete Norm mit dem Bundesrecht vereinbar ist (
BGE 122 I 18
E. 2b/aa S. 20;
BGE 121 I 334
E. 4 S. 341;
BGE 119 Ia 453
E. 2b S. 456, je mit Hinweisen).
e) Wie gezeigt, legt das Bundesrecht im Widerspruch zur angefochtenen kantonalen Bestimmung abschliessend fest, dass Strafgefangene, welche eine Haftstrafe verbüssen, zur Leistung zugewiesener Arbeit nur verpflichtet sind, falls sie sich nicht selbst angemessene Arbeit beschaffen. Die Rüge der Verletzung von Art. 2 ÜbBest. BV erweist sich insofern als begründet.
f) Noch deutlicher verletzt die angefochtene kantonale Bestimmung die Grundrechte der strafprozessualen und der administrativen Häftlinge.
aa) Gemäss
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
und
Art. 14 Ziff. 2 UNO-Pakt II
(SR 0.103.2) wird bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet, dass jeder Rechtsunterworfene unschuldig ist. Ein analoges prozessuales Grundrecht lässt sich auch aus
Art. 4 BV
ableiten (
BGE 120 Ia 31
E. 2b S. 35 mit Hinweisen). Da strafprozessuale Häftlinge nicht den gesetzlichen Strafvollzugszielen unterstehen und ihren Lebensstil (in den Schranken der Haftzwecke und der
BGE 123 I 221 S. 239
Anstaltsordnung) frei wählen können, dürfen sie auch nicht zur Arbeit verpflichtet werden (
BGE 106 Ia 277
E. 6a S. 287, 355 E. 4b S. 360 f.). Die ausländerrechtlich Inhaftierten haben grundsätzlich ein Recht auf "geeignete Beschäftigung", sie sind hingegen nicht zur Arbeit verpflichtet (
Art. 13d Abs. 2 ANAG
, vgl.
BGE 122 I 222
E. 7 S. 234 f.). Nicht verurteilte strafprozessuale Gefangene im vorzeitigen Strafvollzug können sich zwar ebenfalls auf die Unschuldsvermutung berufen und haben namentlich das Recht, jederzeit ein Haftentlassungsgesuch zu stellen. Was jedoch die Haftbedingungen betrifft, haben sich diese Häftlinge mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis zum vorzeitigen Strafantritt grundsätzlich dem Strafvollzugsregime unterworfen, weshalb sie auch bezüglich Arbeitspflicht das Strafvollzugsreglement zu respektieren haben (
BGE 117 Ia 72
E. 1d S. 80, 257 E. 3c S. 260, 372 E. 3a S. 375).
bb) Nach dem klaren Wortlaut der angefochtenen Bestimmung wären demgegenüber alle strafprozessualen Sicherheits- und Polizeihäftlinge und alle administrativ Inhaftierten zur Arbeitsleistung verpflichtet. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Zweck der strafprozessualen oder fremdenpolizeilichen Inhaftierung es gebieten sollte, dass die Gefangenen arbeiten müssen. Es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich, die Administrativhäftlinge in dieser Beziehung anders zu behandeln als die Untersuchungsgefangenen. Weder die einen noch die andern sind aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung inhaftiert. Die ausländerrechtlich Inhaftierten stehen daher genauso wie die Untersuchungsgefangenen unter dem Schutz der in
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
verankerten und auch aus
Art. 4 BV
ableitbaren Unschuldsvermutung. Die persönliche Freiheit der ausländerrechtlich Inhaftierten darf im übrigen "nur soweit beschränkt werden, als es der Zweck der Haft und die Aufrechterhaltung des Betriebs der Haftanstalt erfordern" (§ 13 Abs. 2 EG/BS).
Analoges gilt für die nach
§ 2 lit. i VG
/BS vorübergehend administrativ Eingewiesenen sowie für die übrigen Kategorien von strafprozessualen Gefangenen. Untersuchungshäftlinge sind nicht zur Arbeit verpflichtet. Aber auch Sicherheitshäftlinge (welche sich nach Durchführung der Strafuntersuchung bis zum rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens in Haft befinden), Personen in vorläufigem Polizeigewahrsam sowie strafprozessuale Durchschub-Häftlinge stehen unter dem Schutz der Unschuldsvermutung und dürfen nicht zur Arbeit verpflichtet werden. Anders sieht es, wie erwähnt, bei strafprozessualen Häftlingen aus, die ihre Zustimmung zum vorzeitigen Strafvollzug gegeben haben.
BGE 123 I 221 S. 240
g) Aus dem Gesagten folgt, dass
§ 14 VG
/BS als verfassungswidrig aufzuheben ist. Den kantonalen Behörden bleibt es unbenommen, eine verfassungskonforme neue Version der aufgehobenen Bestimmung einzuführen. Als gesetzliche Grundlage für die Arbeitsverpflichtung von Gefangenen, die eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe zu verbüssen haben, genügen unterdessen
Art. 37 Ziff. 1 Abs. 2 sowie
Art. 37bis Ziff. 3 StGB
.
II.6.
Zusammenfassend ergibt sich, dass lediglich
§ 14 VG
/BS (betreffend Verpflichtung zur Arbeitsleistung von Vollzugsgefangenen, welche eine Haftstrafe verbüssen, sowie von gewissen strafprozessualen Häftlingen und von Administrativhäftlingen) gegen die Bundesverfassung verstösst (vgl. E. II/3). Die Beschwerde ist daher teilweise gutzuheissen, und § 14 des angefochtenen Erlasses ist aufzuheben. Im übrigen erweist sich die Beschwerde als unbegründet.
Die Kosten sind grundsätzlich gemäss dem Ausgang des Verfahrens zu verlegen. Obschon die Beschwerde nur zu einem kleinen Teil gutgeheissen werden kann, rechtfertigt es sich angesichts der allgemeinen Tragweite der Streitsache, im vorliegenden Fall auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (
Art. 156 Abs. 1 OG
). Den Beschwerdeführenden ist ausserdem eine (angesichts des überwiegenden Unterliegens allerdings reduzierte) Parteientschädigung zuzusprechen (
Art. 159 OG
). | public_law | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a6defd6c-2819-451d-91c0-7a3a6e3f10d3 | Urteilskopf
100 IV 23
6. Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1974 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. | Regeste
1.
Art. 110 Ziff. 5 StGB
. Urkunden sind:
- das Skontro der Garantieverpflichtungen einer Bank (Erw. 1);
- die Kopien der Garantiecrklärungen einer Bank (Erw. 2).
2.
Art. 254 StGB
. Unterdrückung von Urkunden.
"Beiseiteschaffen" einer Urkunde durch Verwahren in einem der Bank gehörenden, dem Täter als Arbeitsgerät überlassenen Pult (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 23
BGE 100 IV 23 S. 23
A.-
Am 1. Januar 1966 wurde A. Verwalter der Filiale B. der Bank C. Das Geschäftsreglement verpflichtete ihn, der Generaldirektion alle wichtigen Geschäftsvorfälle zu melden und ihr Kontokorrentkredit- und Vorschussbegehren sowie Vorschläge für die Festsetzung von Diskont-, Akkreditiv- und Garantie-Limiten zu unterbreiten. In eigener Kompetenz durfte er sog. unkurante Kredite bis Fr. 50 000.-- und kurante Kredite bis Fr. 150 000.--, ab 1. Januar 1969 bis Fr. 200 000.-- gewähren.
In Überschreitung seiner Kompetenzen gewährte A. ohne Genehmigung der Generaldirektion zwischen Juli 1967 und Juli 1969 mehreren Personen in die Millionenbeträge gehende Bankgarantien. Dadurch und durch die pflichtwidrige Gewährung von Krediten erlitt die Bank grossen Schaden. A. verbuchte
BGE 100 IV 23 S. 24
weder die Garantien im Skontro der Garantieverpflichtungen noch die Garantiekommissionen in den Konten der Kunden. Als im Juni 1969 eine Revision durchgeführt wurde, legte er den Inspektoren die Kopien der Bankgarantien nicht vor, sondern hielt sie in seinem Pult in der Bank versorgt.
B.-
Das Obergericht des Kantons Thurgau erklärte A. am 15. Januar 1974 der wiederholten ungetreuen Geschäftsführung, der wiederholten Urkundenfälschung und der wiederholten Unterdrückung von Urkunden schuldig und verurteilte ihn zu 3 Jahren Gefängnis.
C.-
A. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung von der Anklage der wiederholten Urkundenfälschung und der wiederholten Urkundenunterdrückung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Urkundenfälschung bestreitet der Beschwerdeführer mit der Begründung, einzig die unterzeichnete Garantieurkunde sei Beweismittel im Sinne des Gesetzes. Diese Eingenschaft gehe den als Skontri bezeichneten Zusammenstellungen über die von einer Bankfiliale gegebenen Garantieerklärungen ab, da sie bloss bankinterne Funktionen erfüllten. Sie seien weder Bestandteil der Buchhaltung noch besässen sie Beweisfunktion für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Garantieverpflichtung.
Mit diesem Einwand lässt sich die Verurteilung wegen Urkundenfälschung nicht zu Fall bringen, denn die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer unangefochten auch wegen Nichtverbuchung der Garantiekommissionen in den Kundenkonten dieses Verbrechens schuldig erklärt. Zudem ist er unbegründet.
Schriften sind Urkunden, wenn sie bestimmt oder geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen (
Art. 110 Ziff. 5 StGB
). Dazu gehören insbesondere die kaufmännische Buchhaltung und ihre Bestandteile sowie die Bilanz (
BGE 79 IV 163
,
BGE 91 IV 7
;
BGE 81 IV 240
,
BGE 91 IV 191
E 4). Nicht
BGE 100 IV 23 S. 25
erforderlich ist, dass der Urkunde erhöhte Beweiskraft zukommt. Es genügt, dass sie sich im Zusammenwirken mit andern Mitteln dazu eignet, eine Tatsache zu beweisen. So kommt beispielsweise den Kontrollstreifen einer Registrierkasse Urkundencharakter zu, weil wegen der Buchführungspflicht des Geschäftsinhabers vermutet wird, der Kassastreifen gebe wahrheitsgemäss und lückenlos Aufschluss, und zwar unabhängig davon ob er allein oder nur zusammen mit andern Unterlagen zum Beweis taugt (
BGE 97 IV 213
E 3 a,
BGE 91 IV 7
).
Das Skontro ist ein meist in Kontoform geführtes Hilfsmittel der Buchhaltung zur Kontrolle der Bestandesmengen, deren Zu- und Abnahme laufend festgehalten wird (Schweizer Lexikon). Es ist somit Bestandteil der Buchhaltung (vgl. KÄFER, Die Betriebsrechnung, S. 73, 75, 80 f.). Was im besondern Bankgarantien ("Kautionen") betrifft, ist ihr Betrag gemäss Art. 19 Ziff. 1 der zur Zeit der eingeklagten Vorfälle geltenden BankV vom 30. August 1961 und gemäss der Wegleitung im Anhang II zur BankV (im wesentlichen übereinstimmend mit
Art. 670 Abs. 1 OR
) als ergänzende Angabe der Jahresbilanz beizufügen, entweder unter dem Bilanzstrich oder in einem Geschäftsbericht. Die ergänzenden Angaben sind zusammen mit der Bilanz gemäss
Art. 22 Abs. 2 BankV
zu veröffentlichen. Ähnlich wie der Kassastreifen hat daher das Skontro der Garantieverpflichtungen Urkundencharakter, weil wegen der Bilanzierungspflicht zu vermuten ist, es gebe wahrheitsgemäss und lückenlos Aufschluss, und zwar unabhängig davon, ob es allein oder nur zusammen mit den Garantieerklärungen beweistauglich ist.
Durch das Weglassen der fraglichen Garantieverpflichtungen auf dem Skontro hat der Beschwerdeführer daher eine Falschbeurkundung nach
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
begangen. Dass er, wie die Vorinstanz feststellt, die pflichtwidrigen Bankgarantien gegenüber den internen Kontrollorganen verheimlichen wollte, somit in unrechtmässiger Vorteilsabsicht handelte, stellt er nicht in Abrede.
2.
Hinsichtlich der Verurteilung wegen Urkundenunterdrückung wirft der Beschwerdeführer beiläufig die Frage auf, ob Kopien von Garantieerklärungen, also blosse Briefkopien überhaupt Urkunden im Sinne des Gesetzes seien. In seinen Ausführungen zur Urkundenfälschung hat er, wie erwähnt, mit Recht anerkannt, dass "die unterzeichnete Garantieurkunde",
BGE 100 IV 23 S. 26
also das Original Urkunde ist. Dass aber Kopien von Urkunden ebenfalls Urkundencharakter besitzen, ist nicht zweifelhaft (
BGE 70 IV 170
, vgl;
Art. 962 Abs. 2 OR
).
Hauptsächlich macht der Beschwerdeführer geltend, das Verwahren einer Urkunde in einem der Bank gehörenden, dem Angestellten als Arbeitsgerät überlassenen Pult könne nicht als "Beiseiteschaffen" qualifiziert werden.
Wegen Urkundenunterdrückung nach
Art. 254 StGB
macht sich unter anderm strafbar, wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beiseiteschafft in der Absicht, sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Beiseitegeschafft ist eine Urkunde, wenn der Berechtigte oder Mitberechtigte ausserstande ist, sie als Beweismittel zu benützen, weil sie ihm unzugänglich gemacht wurde, oder wenn durch Verstecken oder ähnliche Vorkehren verhindert wird, dass die Schrift in ihrer Existenz und Beweiskraft zur Geltung kommt (
BGE 90 IV 136
). Beides trifft hier zu. Die Garantieerklärungen waren den Revisoren der Bank, die als Vertreter der Generaldirektion an ihnen mitberechtigt waren, unzugänglich, weil der Beschwerdeführer sie aus den übrigen Geschäftsakten entfernt und in seinem Pult aufbewahrt hatte. Er hatte sie beiseitegeschafft. Dem steht
BGE 90 IV 135
f., auf den der Beschwerdeführer sich beruft, nicht entgegen; im Gegenteil. In diesem Entscheid ging es um Buchhaltungsbelege, die der Täter mit Wissen des Berechtigten besass, während der Beschwerdeführer bis hin zur Urkundenfälschung alles unternahm, um das Bestehen der pflichtwidrigen Garantien und der darauf bezüglichen Belege vor den mitberechtigten Revisoren zu verheimlichen. Deshalb genügte es auch, dass er die Kopien der Garantien während der Revision in seinem Arbeitspult statt etwa zu Hause oder an einem dritten Ort verwahrte.
Da der BeschWerdeführer unbestrittenermassen in derselben unrechtmässigen Vorteilsabsicht handelte wie bei der Urkundenfälschung, ist er zu Recht der Unterdrückung von Urkunden schuldig erklärt worden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a6f15d55-1857-4065-9078-dd23a072f34b | Urteilskopf
129 V 67
8. Auszug aus dem Urteil i.S. S. gegen IV-Stelle des Kantons Aargau und Versicherungsgericht des Kantons Aargau
I 90/02 vom 30. Dezember 2002 | Regeste
Art. 8 Abs. 1 und 2,
Art. 21 Abs. 1 IVG
;
Art. 2 Abs. 1 und 2 HVI
; Ziff. 13.05* HVI Anhang; Rz 1019 und Ziff. 13.05.5* des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (KHMI): Eingliederungswirksamkeit.
Die in Ziff. 13.05.5* KHMI statuierte quantitative Eingliederungswirksamkeit von mindestens 10% ist im Zusammenhang mit der allgemeinen Regelung in Rz 1019 KHMI auszulegen und dementsprechend nicht als absolutes Minimum, sondern als Richtmass zu verstehen, das Abweichungen im Einzelfall zugänglich ist; in diesem Sinne ist die Konkretisierung der gesetzlichen Eingliederungswirksamkeit auf Weisungsstufe nicht zu beanstanden. | Erwägungen
ab Seite 68
BGE 129 V 67 S. 68
Aus den Erwägungen:
1.1.1
Nach
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 IVG
hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er unter anderem für die Ausübung der Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich bedarf. In
Art. 21 Abs. 4 IVG
wird der Bundesrat ermächtigt, nähere Vorschriften zu erlassen. Diese Befugnis zur Rechtssetzung ist in
Art. 14 IVV
an das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) subdelegiert worden. Das EDI hat in Ziff. 13.05* HVI Anhang angeordnet, dass der Treppenlift als Hilfsmittel für die Tätigkeit im Aufgabenbereich notwendig sein muss (
Art. 2 Abs. 2 HVI
). Des Weitern unterliegt eine Hilfsmittelversorgung den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen gemäss
Art. 8 IVG
(Geeignetheit, Erforderlichkeit, Eingliederungswirksamkeit; SVR 1999 IV Nr. 27 S. 84 Erw. 3c in fine; vgl.
BGE 122 V 214
Erw. 2c). Diese unbestimmten Rechtsbegriffe hat die Verwaltung durch Weisungen konkretisiert (vgl.
BGE 123 V 152
Erw. 2 mit Hinweis). Dabei ist zu beachten, dass Verwaltungsverordnungen eine - für das Gericht nicht verbindliche - Auslegungshilfe sind (
BGE 127 V 61
Erw. 3a,
BGE 126 V 68
Erw. 4b, 427 Erw. 5a,
BGE 125 V 379
Erw. 1c, je mit Hinweisen) und als solche keine genügende Grundlage abgeben, um zusätzliche einschränkende materiellrechtliche Anspruchserfordernisse aufzustellen, die im Gesetz nicht enthalten sind (
BGE 126 V 427
Erw. 5a mit Hinweis; SVR 1999 IV Nr. 15 S. 44 Erw. 3b).
1.1.2
Das Bundesamt für Sozialversicherung hat die Anspruchsvoraussetzungen für einen Treppenlift gemäss Ziff. 13.05* HVI Anhang unter anderem dahin gehend konkretisiert, dass durch das Hilfsmittel mindestens eine Leistungssteigerung um 10% ermöglicht werden muss (Ziff. 13.05.5* des Kreisschreibens über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung [KHMI], gültig ab 1. Februar 2000). Diese Ziffer verweist im Zusammenhang mit der Eingliederungswirksamkeit auf Rz 1019 KHMI, wonach kostspielige Hilfsmittel für Tätigkeiten im Aufgabenbereich nur abgegeben werden können, wenn die Arbeitsfähigkeit beachtlich gesteigert oder erhalten werden kann (in der Regel mindestens 10% gemäss Haushaltsabklärung).
BGE 129 V 67 S. 69
2.
2.1
Die Vorinstanz hat die ablehnende Verfügung der IV-Stelle geschützt, da diese aufgrund des Abklärungsberichts vom 15. Mai 2001 davon habe ausgehen können, dass der Einbau eines Treppenliftes zu einer Leistungssteigerung von 9% führe, womit die gemäss Ziff. 13.05.5* KHMI vorausgesetzte minimale Eingliederungswirksamkeit von 10% nicht erreicht sei. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Ansicht, dass eine Steigerung von mindestens 11% - eher sogar deutlich mehr - zu erwarten sei (...)
2.2
Vorinstanz und Verwaltung haben sich für ihren Entscheid primär auf das KHMI - eine Verwaltungsweisung - abgestützt. Somit ist zunächst die Rechtmässigkeit der Voraussetzung einer minimalen Steigerung der Eingliederungswirksamkeit um 10% gemäss Ziff. 13.05.5* KHMI zu prüfen.
Die in der - unter anderem speziell für Treppenlifte konzipierten - Ziff. 13.05.5* KHMI statuierte quantitative Eingliederungswirksamkeit ist infolge des darin enthaltenen Verweises im Zusammenhang mit der allgemeinen Regelung in Rz 1019 KHMI auszulegen. Sie ist nicht als absolutes Minimum zu verstehen, sondern hat vielmehr als Richtmass zur Beurteilung der Beachtlichkeit zu gelten, das Abweichungen im Einzelfall zugänglich ist. Die weisungsmässig verlangte Verbesserung um mindestens 10% ist eine für Hebebühnen, Treppenlifte sowie Beseitigung oder Abänderung von baulichen Hindernissen (Ziff. 13.05* HVI Anhang) als in der Regel kostspielige Vorkehren zulässige Konkretisierung der in
Art. 8 Abs. 1 IVG
für alle Massnahmen der Invalidenversicherung vorgesehenen Eingliederungswirksamkeit, die leistungsspezifisch unterschiedlich ist (vgl. MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 84). | null | nan | de | 2,002 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a6f69222-3ad6-4096-bcb8-de7496aaec81 | Urteilskopf
136 III 575
85. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Staat Israel gegen Erbengemeinschaft X. sel. und Betreibungsamt Bern-Mittelland (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_286/2010 vom 7. Oktober 2010 | Regeste
Art. 30a, 33 Abs. 2,
Art. 74 Abs. 1 SchKG
; Betreibung gegen einen ausländischen Staat; Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlages.
Voraussetzungen für die Zustellung des Zahlungsbefehls und für die Verlängerung der Rechtsvorschlagsfrist in einer gegen einen Staat eingeleiteten Betreibung (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 575
BGE 136 III 575 S. 575
A.
A.a
Mit Betreibungsbegehren vom 15. Juni 2009 verlangten die Mitglieder der Erbengemeinschaft X. selig die Anhebung der Betreibung gegen den Staat Israel für die Forderungssumme von Fr. 100'000.- nebst Zinsen. Als Forderungsgrund bezeichneten sie das abgelaufene Mietverhältnis an der Strasse A., in Bern. Das Betreibungsamt Bern-Mittelland, Dienststelle Bern-Mittelland, stellte am 16. Juni 2009 gegenüber dem Staat Israel den Zahlungsbefehl Nr. X. aus und ersuchte am 11. Juli 2009 das Bundesamt für Justiz, den Zahlungsbefehl gemäss Musterformular des Haager Zustellungsübereinkommens den Behörden des Staates Israel zu übermitteln. Mit Schreiben vom 20. August 2009 übermittelte die schweizerische Botschaft in Israel dem Aussenministerium von Israel die Unterlagen. Am 1. September 2009 teilte das Bundesamt für Justiz dem Betreibungsamt mit, dass "die Zustellung mit der Übergabe an das Aussenministerium als zugestellt gilt", und führte hierfür das Datum vom 20. August 2009 an.
A.b
Am 6. Oktober 2009 gelangte der Konsul der israelischen Botschaft in der Schweiz an das Betreibungsamt. Er stellte gestützt auf
Art. 33 Abs. 2 SchKG
und unter Verweisung auf das Europäische
BGE 136 III 575 S. 576
Übereinkommen über die Staatenimmunität das Gesuch, die Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlages auf insgesamt 60 Tage zu verlängern, und erhob vorsorglich Rechtsvorschlag. Mit Verfügungen vom 2. und 17. November 2009 verweigerte das Betreibungsamt die Verlängerung der Rechtsvorschlagsfrist und wies den Rechtsvorschlag als verspätet zurück.
B.
Gegen diese Verfügungen gelangte der Staat Israel mit betreibungsrechtlichen Beschwerden vom 13. und 26. November 2009 an das Obergericht des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen. Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerden mit Urteil vom 30. März 2010 ab, soweit sie darauf eintrat.
C.
Mit Eingabe vom 16. April 2010 führt der Staat Israel Beschwerde in Zivilsachen. Der Beschwerdeführer verlangt, der Zahlungsbefehl sei als nichtig zu erklären und aufzuheben. In den Eventualanträgen beantragt er weiter im Wesentlichen, der Zahlungsbefehl sei rechtskonform, unter Ansetzung einer Rechtsvorschlagsfrist von 60, eventuell 75 Tagen zuzustellen sowie festzustellen, dass der Rechtsvorschlag fristgerecht erhoben worden sei. Weiter ersucht der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, dass mit Blick auf einschlägige Staatsverträge sowie nach allgemeiner Übung und Gewohnheit im Völkerrecht einem Staat, gegen welchen ein Verfahren eingeleitet wird, keine Frist unter zwei Monaten anzusetzen sei. Die Unterschreitung dieser Frist, im konkreten Fall zur Erhebung des Rechtsvorschlages, stelle eine Verletzung von Völkerrecht dar und führe zur Nichtigkeit des Zahlungsbefehls im Sinne von
Art. 22 SchKG
, zumal der Zahlungsbefehl nicht auf Hebräisch übersetzt worden und französische Ausdrücke wie "commandement de payer" sowie der Zahlungsbefehl auf Deutsch unverständlich seien. Die Rechtsvorschlagsfrist sei entgegen
Art. 33 Abs. 2 SchKG
nicht auf mindestens 60 Tage verlängert worden.
4.1
Will der Betriebene Rechtsvorschlag erheben, so hat er dies sofort dem Überbringer des Zahlungsbefehls oder innert 10 Tagen nach der Zustellung dem Betreibungsamt mündlich oder schriftlich
BGE 136 III 575 S. 577
zu erklären (
Art. 74 Abs. 1 SchKG
). Wohnt ein am Verfahren Beteiligter im Ausland (oder ist er durch öffentliche Bekanntmachung anzusprechen), so kann ihm gemäss
Art. 33 Abs. 2 SchKG
eine längere Frist als 10 Tage zur Erhebung eingeräumt oder diese Frist verlängert werden. Aufgrund der Kann-Vorschrift hat das Betreibungsamt bei der Verlängerung der Frist ein entsprechendes Ermessen, wobei den konkreten Umständen Rechnung zu tragen ist (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 17 und 21 a.E. zu
Art. 33 SchKG
mit Hinweisen).
4.1.1
Vorliegend begann die zehntägige Beschwerdefrist für die Erhebung des Rechtsvorschlages mit Zustellung des Zahlungsbefehls am 20. August 2009 (Übergabe an das israelische Aussenministerium) mit dem 21. August 2009 zu laufen (
Art. 31 Abs. 1 SchKG
) und endete am 30. August 2009, verlängerte sich aber, weil dieser Tag ein Sonntag war, auf den nächstfolgenden Werktag, den 31. August 2009 (
Art. 31 Abs. 3 SchKG
). Damit der Rechtsvorschlag vom 6. Oktober 2009 als rechtzeitig erhoben gelten kann, ist demnach eine Fristverlängerung von 36 Tagen notwendig.
4.1.2
Die anbegehrte Rechtsvorschlagsfrist von insgesamt 60 Tagen (Fristende am 19. Oktober 2009) bedeutet hier eine Verlängerung der Frist um 49 Tage. Umstritten ist, ob hinreichende Umstände vorliegen, damit die Aufsichtsbehörde zum Schluss gelangen durfte, dass die Verlängerung von 36 Tagen nicht angemessen sei, sondern eine Fristverlängerung von "einem Monat" (d.h. bis Ende September 2009) gereicht hätte. Nach Auffassung der Aufsichtsbehörde wäre damit der Rechtsvorschlag immer noch rund (recte:) fünf Tage verspätet gewesen.
4.2
Die Aufsichtsbehörde hat zu Recht angenommen, dass es sich beim Beschwerdeführer - ein ausländischer Staat - um einen Betreibungsschuldner mit Wohnsitz bzw. Sitz im Ausland handelt. Der Betreibungsort in der Schweiz wird vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt. Sodann ist nicht zu beanstanden, wenn die Aufsichtsbehörde der Auffassung ist, dass ein Mietvertrag für ein Botschaftsgebäude ein Rechtsverhältnis
iure gestionis
darstellt (
BGE 86 I 23
E. 3 S. 29; vgl. allgemein
BGE 134 III 122
E. 5.2.1 S. 128; KREN KOSTKIEWICZ, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, 1998, S. 421). Zu Recht hat die Aufsichtsbehörde geschlossen, dass - aus immunitätsrechtlicher Sicht - die Einleitung der Betreibung für die Forderung
BGE 136 III 575 S. 578
aus Mietvertrag grundsätzlich zulässig ist (vgl.
BGE 103 III 1
E. 1 S. 3).
Weiter ist mit Bezug auf die Zustellung des Zahlungsbefehls (vgl.
Art. 66 Abs. 3 SchKG
) unbestritten, dass dieses Schriftstück nach den Regeln des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ; SR 0.274.131) zuzustellen ist (vgl. VOLKEN, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996, S. 57 Rz. 86
)
, zumal Israel Vertragsstaat ist und Betreibungssachen in den Anwendungsbereich fallen (
BGE 122 III 395
E. 2 S. 396). Sodann stellt der Beschwerdeführer die Zustellung des Zahlungsbefehls auf diplomatischem Weg - via EDA bzw. schweizerische Botschaft in Israel an das israelische Aussenministerium - nicht in Frage (vgl. Note der Direktion für Völkerrecht des EDA vom 28. August 1990, SZIER 1991 S. 519 ff.; VOLKEN, a.a.O., S. 58 Rz. 88; KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 498/499). Unbestritten ist auch, dass die Zustellung mit Eingang beim israelischen Aussenministerium bewirkt worden ist.
4.3
Der Beschwerdeführer beruft sich auf
Art. 30a SchKG
bzw. den Vorrang des Völkerrechts. Unter Hinweis auf völkergewohnheitsrechtliche Übung macht er geltend, die Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlags müsse bei Zustellung des Zahlungsbefehls an einen Staat mindestens 60 Tage betragen.
4.3.1
Zunächst weist der Beschwerdeführer auf das UNO-Übereinkommen vom 2. Dezember 2004 über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit hin. Unter "verschiedenen Bestimmungen" (Teil V) des UNO-Übereinkommens wird die Zustellung von Schriftstücken, welche ein Verfahren gegen einen Staat einleiten, geregelt. Dieses Übereinkommen ist von Israel nicht unterzeichnet, von der Schweiz hingegen am 16. April 2010 (bzw. nach Erlass des angefochtenen Entscheides) ratifiziert worden (
http://treaties.un.org
). Wohl stellt das UNO-Übereinkommen - wie das Bundesgericht im (in der Beschwerdeschrift zitierten)
BGE 134 III 122
E. 5.1 S. 127 angenommen hat - eine völkerrechtliche Kodifizierung der Grundsätze der Immunität dar (Botschaft vom 25. Februar 2009 über die Genehmigung und Umsetzung des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit, BBl 2009 1732 Ziff. 2.4). Allerdings ist das UNO-Übereinkommen noch nicht in Kraft getreten. Es ist nicht ersichtlich, dass die darin vorgesehene Fristbestimmung (vier Monate
BGE 136 III 575 S. 579
zur Beteiligung eines Staates an einem Verfahren; vgl. Art. 23) bereits vorher völkerrechtlich verbindlichen Charakter habe, zumal in verschiedenen Staaten andere Fristen gelten (vgl. KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 502 mit Hinweisen). Auch das EDA bzw. die Direktion für Völkerrecht bestätigt in ihrem Schreiben vom 11. November 2009 eine Fristansetzung von (lediglich) zwei Monaten als "gewisse bestehende Praxis"
.
4.3.2
Hauptsächlich stützt sich der Beschwerdeführer auf das Europäische Übereinkommen vom 16. Mai 1972 über Staatenimmunität (SR 0.273.1; nachfolgend: EÜS), wonach Fristen zur Beteiligung an einem Verfahren erst zwei Monate nach Erhalt des Schriftstückes beim betreffenden Aussenministerium zu laufen beginnen und wonach die zuständigen Gerichte ausserdem keine diese Zweimonatsfrist unterschreitenden Fristen ansetzen können (Art. 16 Ziff. 4 und 5 EÜS; dazu WALTER, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 4. Aufl. 2007, S. 83). Zweck dieser Regel ist, dem betreffenden Aussenministerium genügend Zeit zu geben, um die in seinem Staat kompetenten Behörden zu befassen und die notwendigen (diplomatischen und immunitätsrechtlichen) Beratungen durchzuführen (Rapport explicatif sur la Convention sur l'immunité des Etats [nachfolgend: Rapport explicatif], Ziff. 64, abgedruckt [englische Fassung] in: DICKINSON/LINDSAY/LOONAM, State Immunity, 2004, S. 36 ff.).
4.3.3
Das EÜS macht - entgegen der Ansicht der Aufsichtsbehörde - hinsichtlich der Zustellung keinen Unterschied zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit, sondern regelt allgemein den Zustellungsweg an Staaten (KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 494; vgl. Rapport explicatif, a.a.O., Ziff. 60). Sodann gelten für die Zustellung eines Zahlungsbefehls gegen einen ausländischen Staat die Grundsätze betreffend die Zustellung im Erkenntnisverfahren (KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 560). Nach der Rechtsprechung stellt das EÜS - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - jedoch kein geltendes Völkerrecht dar, sondern bringt es im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten lediglich bis zu einem gewissen Grade neuere völkerrechtliche Tendenzen zum Ausdruck (
BGE 112 Ia 148
E. 3a S. 149;
BGE 120 II 400
E. 3d S. 405;
BGE 134 III 122
E. 5.1 S. 127/128). Aus diesem Grund wird im Allgemeinen auch im Verhältnis zu Staaten, welche - wie Israel - nicht Vertragsstaaten des EÜS sind, eine Frist von zwei Monaten eingeräumt (KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 502; KRAFFT, La convention européenne sur l'immunité des Etats, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht [SJIR], 1986, S. 18; Bundesamt
BGE 136 III 575 S. 580
für Justiz, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, Wegleitung, 3. Aufl. 2003 [Stand: Juli 2005], Ziff. II.F.1). In diesem Sinne hat sich die Aufsichtsbehörde deshalb grundsätzlich an der Zweimonatsfrist zu orientieren und damit den Umstand, dass die Zustellung an einen fremden Staat und auf diplomatischem Weg erfolgt, bei der ermessensweisen Verlängerung der Rechtsvorschlagsfrist gemäss
Art. 33 Abs. 2 SchKG
mitzuberücksichtigen (KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., S. 502).
4.4
Bleibt zu prüfen, ob hinreichende Umstände vorliegen, damit die Aufsichtsbehörde zum Schluss gelangen durfte, dass die Verlängerung von 36 Tagen (bis am 6. Oktober 2009; Datum des Rechtsvorschlages) nicht angemessen sei, sondern eine Fristverlängerung von "einem Monat" (d.h. bis Ende September 2009) bzw. eine gesamte Rechtsvorschlagsfrist von rund 40 Tagen gereicht hätte.
4.4.1
Die Aufsichtsbehörde hat erwogen, dass zwischen der Zustellung des Zahlungsbefehls an das israelische Aussenministerium und der "Weiterleitung" der Betreibungsurkunde an die israelische Botschaft in Bern rund 40 Tage vergangen seien, obwohl "die Adresse der Botschaft und der Botschaftsresidenz" angeführt gewesen sei, m.a.W. obwohl genügend klar gewesen sei, an wen der Zahlungsbefehl weiterzuleiten und welches der Forderungsgrund sei. Die Vorinstanz blendet dabei allerdings aus, dass es nicht bloss um die Beurteilung einer Frist zur "postalische Weiterleitung" vom Aussenministerium an die Botschaft in der Schweiz und zur Identifizierung der Angelegenheit geht. Dem fremden Staat soll - wie dargelegt - erlaubt werden, gestützt auf seine interne Kompetenzordnung immunitätsrechtliche und diplomatische Überlegungen zu treffen. Entgegen der Auffassung der Aufsichtsbehörde stellen die Angaben auf dem Zahlungsbefehl für sich allein kein hinreichendes Kriterium dar, um die Fristverlängerung zu verweigern.
4.4.2
Weiter hat die Aufsichtsbehörde angeführt, dass der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers in der Schweiz zwar nicht als Zustelldomizil bezeichnet worden sei, jedoch im hängigen Rechtsstreit am 15. Juni 2009 eine Kopie des Betreibungsbegehrens erhalten habe. Deshalb sei es dem Beschwerdeführer bereits vor Zustellung des Zahlungsbefehls hinlänglich möglich gewesen, die rechtliche Situation abzuklären und das Nötige in die Wege zu leiten, um "rechtzeitig" - m.a.W. ohne dass eine Fristverlängerung gerechtfertigt wäre - Rechtsvorschlag zu erheben. Die Überlegung der Vorinstanz ist insofern richtig, als das Betreibungsamt dem Schuldner im Ausland
BGE 136 III 575 S. 581
die Frist für den Rechtsvorschlag so zu bestimmen hat, dass sie nicht nur die Übermittlung des Zahlungsbefehls, sondern dem Schuldner auch erlaubt, sich zuvor z.B. bei einem Anwalt in der Schweiz selbst zu erkundigen, was er zur Wahrung seiner Rechte zu tun hat (
BGE 70 III 76
S. 78;
111 III 5
E. 3a S. 7). Allerdings kann - umgekehrt - einem Schuldner im Ausland die Fristverlängerung nicht deshalb verweigert werden, nur weil er bereits einen Rechtsvertreter in der Schweiz hat (RUSSENBERGER/SAUTER, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 16 zu
Art. 33 SchKG
). Für den Ermessensentscheid bleiben die konkreten Umstände massgebend.
4.4.3
Der Beschwerdeführer beschränkt sich einzig auf den Hinweis, dass erst die zuständigen Personen in der Botschaft in Bern (am 1. Oktober 2009) in der Lage gewesen seien, "den Zahlungsbefehl zu verstehen". Er geht nicht darauf ein, dass für die Aufsichtsbehörde der Umstand, dass er einen Rechtsvertreter in der Schweiz hatte und dieser über die Einleitung der Betreibung am 15. Juni 2009 in Kenntnis gesetzt wurde, ein entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung der Fristverlängerung war. Er stellt nicht in Frage, dass ihm möglich gewesen sein soll, den mit dem Rechtsstreit bereits befassten schweizerischen Rechtsanwalt zu konsultieren. Anhaltspunkte, dass die Verständigung und Erläuterung des zu erwartenden Zahlungsbefehls besonderen Zeit- und Verständigungsaufwand benötigt hätten (vgl. RUSSENBERGER/SAUTER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 33 SchKG
), sind nicht ersichtlich, zumal (nach Angabe des Beschwerdeführers) jedenfalls das Personal der israelischen Botschaft die Bedeutung des Zahlungsbefehls versteht. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer über die Einleitung der Betreibung am 15. Juni 2009 in Kenntnis gesetzt wurde, erscheint haltbar, wenn die Aufsichtsbehörde eine Fristverlängerung bis Ende September 2009, d.h. von einem Monat, und damit eine gesamte Rechtsvorschlagsfrist von rund 40 Tagen als angemessen erachtet hat. Die Verweigerung der Fristverlängerung bis zum 6. Oktober 2009 stellt demnach keinen hinreichenden Grund dar, um in das Ermessen der kantonalen Behörde einzugreifen.
4.5
An diesem Ergebnis vermögen die weiteren Ausführungen des Beschwerdeführers nichts zu ändern.
4.5.1
Der Hinweis, wonach im vom Betreibungsamt verwendeten HZÜ-Musterformular kein Vermerk betreffend Fristen angebracht worden sei, findet in den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz keine Stütze (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) und muss als neu und unzulässig gelten. Die weiteren Ausführungen, wonach die Zustellung
BGE 136 III 575 S. 582
unwirksam sei, weil der gemäss HZÜ übermittelte Zahlungsbefehl nicht auf Hebräisch übersetzt worden sei, gehen fehl. Die Vorinstanz hat - unter Hinweis auf
BGE 129 III 750
E. 3.2 S. 756 betreffend mangelhaftes Zustellersuchen und Wirkung der Zustellung - ausführlich begründet, dass in Fällen der (förmlichen) Zustellung nach Art. 5 Abs. 1 HZÜ die zentrale Behörde eine Übersetzung verlangen könne (Art. 5 Abs. 3 HZÜ), und auf die Ergänzungen im Formular in französischer Sprache hingewiesen. Vorliegend sei nie eine Übersetzung verlangt worden, weshalb die Zustellung wirksam sei. Der Beschwerdeführer geht auf diese Begründung nicht ein (
Art. 42 Abs. 2 BGG
), sondern hält selber fest, dass das umstrittene Zustellersuchen den formellen Anforderungen des HZÜ "gerecht sein mag".
4.5.2
Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ist für den auf dem diplomatischen Weg zugestellten Zahlungsbefehl eine Übersetzung nicht erforderlich. Zum einen beziehen sich die für die Verwendung des Formulars und die Übersetzung einschlägigen Bestimmungen (Art. 3 und 4-7 HZÜ) auf die (förmliche) Zustellung via die zentrale Behörde des ersuchten Staates (vgl. BISCHOF, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 1997, S. 277), nicht auf den diplomatischen Weg. Zum anderen gibt es keine Anhaltspunkte, dass das als "commandement de payer" bezeichnete Schriftstück vom israelischen Aussenministerium nicht verstanden worden wäre. Zudem übergeht der Beschwerdeführer, dass die schweizerische Botschaft im Übermittlungsschreiben vom 20. August 2009 das Schriftstück zusätzlich auf Englisch (als "summons to pay" des "Debt Enforcement Office" von Bern) erläutert hat. Von einer unwirksamen oder gegen Vorschriften im Sinne von
Art. 22 SchKG
verstossenden Zustellung kann nicht gesprochen werden.
4.5.3
Schliesslich ist nicht ersichtlich, dass die Aufsichtsbehörde die Regeln über Wiederherstellung einer versäumten Frist (
Art. 33 Abs. 4 SchKG
) verletzt habe. Dass der Beschwerdeführer sich "in gutem Glauben" auf die Zweimonatsfrist verlassen habe, genügt nicht um darzutun, dass die Fristverhinderung unvorhergesehen und vollkommen unverschuldet sei (dazu RUSSENBERGER/SAUTER, a.a.O., N. 22 zu
Art. 33 SchKG
).
4.6
Nach dem Dargelegten ist mit Bundes- und Völkerrecht vereinbar, wenn die Aufsichtsbehörde zum Ergebnis gelangt ist, dass das Betreibungsamt nach wirksamer Zustellung des Zahlungsbefehls den Rechtsvorschlag als verspätet zurückweisen durfte. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a6f7694b-4525-4670-98cf-1a76630fea45 | Urteilskopf
124 I 223
28. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Juli 1998 i.S. Einwohnergemeinde Däniken gegen Sandra Altermatt und Mitbeteiligte (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 Abs. 2 BV
; Gleichstellungsgesetz; Lohngleichheit; Gemeindeautonomie.
Wird nicht eine Verletzung des Gleichstellungsgesetzes, sondern ausschliesslich der Gemeindeautonomie gerügt, so ist nur die staatsrechtliche Beschwerde zulässig (E. 1).
Keine Autonomie der solothurnischen Gemeinden in der Festsetzung der Erfahrungsstufen für Kindergärtnerinnen (E. 2).
Kostenfolgen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 223
BGE 124 I 223 S. 223
Am 30. Dezember 1994/23. Oktober 1995 erhoben Sandra Altermatt, Gabriela Marti Lorente, Claudia Maria Mayer, Gabriela Werfeli und Helen Windisch-Schäfer, alle in der Gemeinde Däniken
BGE 124 I 223 S. 224
tätige Kindergärtnerinnen, beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn Klage gegen den Kanton Solothurn und die Einwohnergemeinde Däniken mit dem Begehren, es sei ihnen ab dem Jahre 1990 die Differenz zwischen den ihnen ausgerichteten Besoldungen und 90% der jeweiligen Löhne von im gleichen Dienstjahr unterrichtenden Primarlehrkräften nachzubezahlen, bzw. ab dem 1. Januar 1996 eine der Lohnklasse 16 entsprechende Besoldung. Zur Begründung brachten sie vor, ihr Lohn (Lohnklasse 14) sei geschlechterdiskriminierend.
Das Verwaltungsgericht holte ein arbeitswissenschaftliches Gutachten ein, welches am 19. November 1996 einging. Anschliessend änderten die Klägerinnen ihr Rechtsbegehren und beantragten nun 95% des Lohnes einer Primarlehrkraft bzw. eine der Lohnklasse 17 entsprechende Besoldung.
Mit Urteil vom 15. Mai 1997 hiess das Verwaltungsgericht die Klage teilweise gut und stellte fest, dass die Gemeinde verpflichtet sei, ab 1. Januar 1996 den Klägerinnen einen der Lohnklasse 15 und je nach Klägerin differenzierten Gehaltsstufe entsprechenden Lohn zu bezahlen. Im übrigen wies es die Klage ab.
Die Einwohnergemeinde Däniken erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und der Gemeindeautonomie mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei insoweit aufzuheben, als sie verpflichtet werde, den Beschwerdegegnerinnen innerhalb der nicht bestrittenen Lohnklasse 15 eine Besoldung in der jeweils festgelegten Gehaltsstufe zu bezahlen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (
BGE 124 I 11
E. 1 S. 13, mit Hinweisen).
a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist subsidiär zu anderen Rechtsmitteln (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Es fragt sich, ob die Beschwerde als Verwaltungsgerichtsbeschwerde an die Hand zu nehmen ist. Die unrichtige Bezeichnung schadet der Beschwerdeführerin nicht, sofern die Eingabe die formellen Anforderungen des zutreffenden Rechtsmittels erfüllt (
BGE 120 Ib 379
E. 1a).
aa) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist zulässig gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 5 VwVG
der in
Art. 98 OG
genannten Vorinstanzen, sofern keine der in
Art. 99-102 OG
oder in der
BGE 124 I 223 S. 225
Spezialgesetzgebung enthaltenen Ausnahmen vorliegt. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit, dass sich der angefochtene Entscheid auf öffentliches Recht des Bundes stützt oder richtigerweise stützen sollte.
bb) Die Beschwerdegegnerinnen gründeten ihre Klage vor dem Verwaltungsgericht auf
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
. Diese Bestim-mung gilt für das privatrechtliche wie für das öffentlichrechtliche Arbeitsverhältnis; sie stellt sowohl ein verfassungsmässiges Recht als auch eine Bestimmung des Bundeszivilrechts dar. Vor Bundesgericht kann sie - sofern es sich um ein privatrechtliches Verhältnis handelt und die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind - mit Berufung durchgesetzt werden, im übrigen aber nur mit staatsrechtlicher Beschwerde (BGE
BGE 113 Ia 107
E. 1b S. 111; vgl. auch
BGE 118 Ia 35
E. 2b S. 37;
BGE 117 Ia 262
E. 2c/d S. 265, 270 E. 2b S. 272 f.). Ein Gemeinwesen als öffentlichrechtlicher Arbeitgeber ist zur staatsrechtlichen Beschwerde nur legitimiert, soweit es die Verletzung seiner Autonomie geltend macht (
BGE 120 Ia 95
E. 1).
cc) Das Verwaltungsgericht stützte seinen Entscheid ausschliesslich auf kantonales Recht und auf
Art. 4 BV
.
Während der Rechtshängigkeit der Klagen vor dem Verwaltungsgericht trat jedoch am 1. Juli 1996 das Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151) in Kraft, welches unter anderem auch das in
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
enthaltene verfassungsmässige Recht auf gleichen Lohn konkretisiert (vgl. Botschaft vom 24. Februar 1993 zum Gleichstellungsgesetz, BBl 1993 I 1248ff., 1294 f.). Das Verwaltungsgericht hätte daher richtigerweise seinen Entscheid auf das Gleichstellungsgesetz stützen sollen (
Art. 17 GlG
;
BGE 124 II 409
E. 1c). Dieses stellt öffentliches Bundesrecht dar, dessen Verletzung beim Bundesgericht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann (
BGE 124 II 409
E. 1d). Der öffentlichrechtliche Arbeitgeber ist ebenfalls zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (
BGE 124 II 409
E. 1e).
dd) Voraussetzung ist jedoch, dass die Anwendung von Bundesrecht in Frage steht. Dass das Gleichstellungsgesetz und insbesondere der darin enthaltene Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit in öffentlichrechtlichen Verhältnissen als öffentliches Recht des Bundes zu betrachten ist, bedeutet nicht, dass das ganze kantonale oder kommunale Besoldungswesen nun bundesrechtlich geregelt wäre. Das Gleichstellungsgesetz gibt nur Anspruch auf diskriminierungsfreien
BGE 124 I 223 S. 226
Lohn, belässt aber in diesem Rahmen dem zuständigen Gemeinwesen weiterhin einen grossen Gestaltungsspielraum; namentlich sagt es nichts aus über die absolute Höhe von Besoldungen oder über die konkrete Einstufung bestimmter Funktionen (
BGE 124 II 436
E. 7a und E. 11b/c). Soweit nicht spezifisch der Diskriminierungsaspekt zur Diskussion steht, sind daher Streitigkeiten aus dem kantonalen und kommunalen öffentlichen Dienstrecht nach wie vor nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern nur mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht anfechtbar.
ee) Das Verwaltungsgericht hat die Einstufung der Kindergärtnerinnen in die Lohnklasse 14 als diskriminierend bezeichnet. Es hat daher die Beschwerdegegnerinnen in die Lohnklasse 15 eingestuft. Innerhalb dieser Klasse hat es jede einzelne Beschwerdegegnerin in diejenige Gehaltsstufe eingereiht, die der vorher durch die Beschwerdeführerin für die Lohnklasse 14 festgesetzten entsprach. Die Beschwerdeführerin akzeptiert ausdrücklich die Einreihung der Beschwerdegegnerinnen in die Lohnklasse 15. Sie rügt insbesondere nicht eine unrichtige Anwendung von
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
oder des Gleichstellungsgesetzes. Sie beanstandet einzig, dass das Verwaltungsgericht innerhalb der Lohnklasse 15 auch die Gehaltsstufen festlegte, und erblickt darin eine Verletzung ihrer Autonomie, was sie unter Hinweis auf die Bestimmungen des kantonalen Rechts begründet. In Frage steht somit nicht die Tragweite des bundesrechtlichen Lohngleichheitsgebots. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher nicht zulässig. Das Rechtsmittel ist - wie eingereicht - als staatsrechtliche Beschwerde an die Hand zu nehmen.
b) Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid als öffentlichrechtliche Arbeitgeberin, mithin als Trägerin hoheitlicher Gewalt, betroffen. Sie kann sich daher auf ihre Autonomie berufen (
BGE 120 Ia 95
E. 1a). Ob ihr im betreffenden Bereich eine Autonomie zusteht, ist gemäss bundesgerichtlicher Praxis nicht eine Frage des Eintretens, sondern der materiellrechtlichen Beurteilung (
BGE 120 Ia 203
E. 2a S. 204;
BGE 119 Ia 214
E. 1a S. 216, je mit Hinweisen). Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist einzutreten.
2.
a) Streitig ist einzig die Festlegung der Gehaltsstufen der Beschwerdegegnerinnen innerhalb der unbestrittenen Lohnklasse 15. Es ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin diesbezüglich autonom ist.
b) Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz
BGE 124 I 223 S. 227
oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 122 I 279
E. 8b S. 290;
120 Ia 203
E. 2a S. 204;
BGE 120 Ib 207
E. 2 S. 209;
BGE 119 Ia 113
E. 2 S. 115;
BGE 118 Ia 446
E. 3b S. 453, mit Hinweisen). Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung des kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus (
BGE 122 I 279
E. 8b S. 290;
BGE 119 Ia 285
E. 4b S. 294 f.; je mit Hinweisen).
c) Kindergärtnerinnen werden im Kanton Solothurn von den Gemeinden angestellt. Ihre Besoldung war früher Sache der Gemeinden. Im Gesetz vom 8. Dezember 1963 über die Besoldungen der Lehrkräfte an der Volksschule (Lehrerbesoldungsgesetz) wurden ursprünglich die Kindergärtnerinnen nicht erwähnt. Der Kanton richtete den Gemeinden bloss Subventionen für die Besoldung aus. Gemäss § 7bis des Lehrerbesoldungsgesetzes (in der Fassung vom 23. September 1990) erlässt jedoch der Kantonsrat Bestimmungen über die Besoldungen der Kindergärtnerinnen. Er setzt die Subventionsgrenze für diese Besoldungen fest und garantiert Minimalbesoldungen. Damit ist die frühere Regelung geändert worden: Entscheidungsspielraum der Gemeinde besteht nur noch nach Massgabe der kantonsrätlichen Bestimmungen.
Unter anderem gestützt auf § 7bis des Lehrerbesoldungsgesetzes erliess der Kantonsrat am 17. Mai 1995 eine Lehrerbesoldungsverordnung, die am 1. Januar 1996 in Kraft trat. Gemäss § 1 dieser Verordnung besteht die Besoldung der Lehrkräfte aus der Grundbesoldung und dem Erfahrungszuschlag. § 2 legt die jährliche Grundbesoldung der einzelnen Lohnklassen sowie die Lohnklasseneinreihung der Lehrkräfte fest. Kindergärtnerinnen sind in die Lohnklassen 14 oder 15 eingereiht.
§§ 4, 6 und 12 der Lehrerbesoldungsverordnung lauten sodann:
"§ 4 Erfahrungszuschlag
1 Der Erfahrungszuschlag beträgt höchstens 50% der Grundbesoldung einer Lohnklasse. Er wird aufgeteilt in zehn Jahresstufen zu 3,5% und in sechs Jahresstufen zu 2,5% der im Einzelfall massgebenden Grundbesoldung. Der Erfahrungszuschlag wird jeweils auf den 1. Januar erhöht.
2 Der jährliche Erfahrungszuschlag wird ausgerichtet, wenn die Leistung einer Lehrkraft mindestens als genügend bewertet wird. Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten.
BGE 124 I 223 S. 228
§ 6 Anfangsbesoldung
1 Die Anfangsbesoldung entspricht dem Grundlohn oder einer Erfahrungsstufe in derjenigen Lohnklasse, in welche die Funktion eingereiht ist. Bei der Festsetzung werden namentlich Erfahrungen in früheren Stellungen und ausgewiesene Fähigkeiten für die neue Funktion angemessen berücksichtigt.
2 Die Anfangsbesoldung wird in einer Anlaufstufe der massgebenden Lohnklasse festgesetzt, wenn die Lehrkraft eine längere Einarbeitungszeit benötigt oder die Anforderungen an die Funktion noch nicht voll erfüllt.
§ 12 Grundbesoldung (der Kindergärtner und Kindergärtnerinnen)
1 Die Kindergärtner und Kindergärtnerinnen mit Vollpensum haben Anspruch auf eine Grundbesoldung zwischen dem Grundlohn der Lohnklasse 14 und dem Grundlohn inklusive maximale Erfahrungszulage der Lohnklasse 15 nach dieser Verordnung.
2 Im übrigen sind die §§ 3 bis 8 dieser Verordnung zur Festsetzung der Besoldung anwendbar."
Nach diesen Bestimmungen haben somit die Gemeinden einen gewissen Spielraum einerseits darin, ob sie die Kindergärtnerinnen in die Lohnklasse 14 oder 15 einreihen wollen (§ 2 und § 12 Abs. 1), andererseits in der Festlegung der Anfangsbesoldung (§ 6). Hingegen ist der Erfahrungszuschlag durch das kantonale Recht geregelt (§ 4), was auch für Kindergärtnerinnen gilt (§ 12 Abs. 2). Er kann nur bei ungenügenden Leistungen verweigert werden, was allenfalls einen gewissen Beurteilungsspielraum, aber nicht eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit enthält. Schon gar nicht steht den Gemeinden zu, ein Gehalt wieder um einige Erfahrungsstufen zu kürzen. Dies würde § 4 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 der Lehrerbesoldungsverordnung klar widersprechen.
d) Mit dieser Regelung wurde die früher bestehende kommunale Autonomie beschränkt. Die Bestimmungen der Lehrerbesoldungsverordnung regeln nicht bloss den subventionsberechtigten Lohnanteil, sondern legen verbindlich die den Kindergärtnerinnen zustehende Besoldung fest. Die Beschwerdeführerin bringt zwar vor, dabei handle es sich bloss um Minimalbesoldungen, die von den Gemeinden autonom erhöht werden könnten. Selbst wenn das zutreffen sollte, wäre dies unerheblich: das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts legt den Lohn fest, auf den die Beschwerdegegnerinnen Anspruch haben. Ein gerichtliches Urteil bedeutet nie, dass der verurteilte Schuldner nicht mehr bezahlen dürfte als das, wozu ihn das Urteil verpflichtet. Soweit die kantonalen Lohnregelungen für Kindergärtnerinnen wirklich nur Minimalbesoldungen
BGE 124 I 223 S. 229
festlegen, ist es der Beschwerdeführerin auch nach dem angefochtenen Urteil unbenommen, höhere Löhne zu bezahlen. Ein praktisches Rechtsschutzinteresse kann die Beschwerdeführerin überhaupt nur insoweit haben, als sie tiefere Löhne bezahlen möchte als die vom Verwaltungsgericht festgelegten. In dieser Hinsicht ist jedoch ihre Entscheidungsfreiheit, wie ausgeführt, durch das kantonale Recht erheblich eingeschränkt.
e) Vorliegend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Einreihung der Kindergärtnerinnen in die Lohnklasse 14 diskriminierend sei, was von der Beschwerdeführerin ausdrücklich anerkannt wird. Infolgedessen ist der Spielraum der Gemeinden, die Kindergärtnerinnen in die Lohnklassen 14 oder 15 einzureihen, entfallen. In Frage steht nur noch die Festsetzung der Erfahrungsstufe. Diese ergibt sich einerseits daraus, in welche Stufe die betreffende Kindergärtnerin bei der Anstellung eingereiht wurde; diese ursprüngliche Einreihung kann selbstverständlich nicht nachträglich wieder geändert werden. Andererseits ergibt sich die massgebende Erfahrungsstufe aus den jährlichen Stufenanstiegen, welche indessen, wie dargelegt, durch das kantonale Recht (§ 4 der Lehrerbesoldungsverordnung) geregelt sind. Es kann insoweit keine Entscheidungsfreiheit der Gemeinde mehr bestehen. Namentlich kann die Übergangsregelung von § 15 der Lehrerbesoldungsverordnung für den vorliegenden Fall nicht anwendbar sein; diese Regelung bezweckte offensichtlich, beim Übergang von der alten zur neuen Besoldungsverordnung ausserordentliche Besoldungserhöhungen zu vermeiden, während es vorliegend um eine Korrektur innerhalb des neuen Systems geht. Wenn vorliegend das Verwaltungsgericht die der Lohnklasse 14 entsprechenden Löhne als diskriminierend beurteilt hat, was die Beschwerdeführerin nicht beanstandet, dann kann die Überführung in die diskriminierungsfreie Lohnklasse 15 selbstverständlich nicht so erfolgen, dass im Ergebnis die Löhne gleich hoch bleiben, würde doch so die betragsmässige Diskriminierung gerade nicht beseitigt.
f) Die Gemeinde ist somit im fraglichen Bereich nicht autonom. Damit erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob die Autonomie verletzt sei.
3.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird aus diesen Gründen abgewiesen. Nach
Art. 13 Abs. 5 GlG
ist das Verfahren in Gleichstellungssachen bei öffentlichrechtlichen Arbeitsverhältnissen kostenlos. Das gilt indessen nur, soweit überhaupt die Anwendung des Gleichstellungsgesetzes zur Diskussion steht. Vorliegend geht
BGE 124 I 223 S. 230
es jedoch einzig um eine Frage der Gemeindeautonomie (vorne E. 1a/ee).
Art. 13 Abs. 5 GlG
ist daher nicht anwendbar. Die Kosten des Verfahrens sind der Beschwerdeführerin, um deren Vermögensinteresse es geht, aufzuerlegen (
Art. 156 Abs. 1 und 2 OG
). Diese hat zudem den Beschwerdegegnerinnen eine Parteientschädigung auszurichten (
Art. 159 Abs. 2 OG
). | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a6f8b299-fc56-462c-b904-9f1db7c3ae59 | Urteilskopf
118 Ib 473
58. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. November 1992 i.S. Laiteries Réunies, Fédération des producteurs de lait de Genève et environs gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (verwaltungsrechtliche Klage) | Regeste
Verantwortlichkeit des Bundes für die Informationstätigkeit der Bundesbehörden im Zusammenhang mit einer durch Käsekonsum hervorgerufenen Listerioseepidemie.
Art. 3 VG
,
Art. 8 VwOG
sowie Art. 3, 9-11 und 27 EpG.
1. Widerrechtlichkeit der schädigenden Handlung oder Unterlassung als Voraussetzung der Haftung nach
Art. 3 VG
; Notwendigkeit der Verletzung einer Schutznorm bei reinen Vermögensschäden (E. 2).
2. Aus verfassungsmässigen Rechten lassen sich - zum Schutze des Vermögens - keine oder nur zu wenig konkrete Anforderungen an die Informationstätigkeit von Behörden ableiten (E. 3).
3.
Art. 8 VwOG
sichert die Transparenz der Behördentätigkeit durch Information. Für die Öffentlichkeitsarbeit in den einzelnen Sachbereichen ist vorab auf die konkreten Regelungen abzustellen; allenfalls kann
Art. 8 VwOG
sinngemäss beigezogen werden (E. 4).
4. Im Zusammenhang mit der Informationstätigkeit bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten entfalten
Art. 9-11 EpG
gewisse Schutzwirkungen für die von den amtlichen Informationen betroffenen Privaten (E. 5).
5. Verneinung der Möglichkeit einer Entschädigungspflicht für Schäden aus rechtmässigem Behördenhandeln im gegebenen Zusammenhang (E. 6).
6. Kriterien für die Prüfung der Widerrechtlichkeit bei der staatlichen Informationstätigkeit (E. 7).
7. Würdigung der Informationstätigkeit der Bundesbehörden im vorliegenden Fall (E. 18-19). | Sachverhalt
ab Seite 474
BGE 118 Ib 473 S. 474
Am 30. Juni 1989 bzw. 11./17. August 1989 wurden beim Bundesgericht sieben verwaltungsrechtliche Klagen von Weichkäseproduzenten, die sich durch die Vorgänge um die Listeriose-Affäre beim Vacherin Mont d'Or geschädigt fühlten, eingereicht mit dem Begehren,
BGE 118 Ib 473 S. 475
die Schweizerische Eidgenossenschaft sei zur Zahlung von Schadenersatz zu verurteilen.
Die Klagen beruhen auf folgender grundsätzlicher Behauptung: Der Bund habe seit November 1987 nach dem Auftauchen von Listeria monocytogenes auf waadtländischem Vacherin Mont d'Or durch rechtlich und tatsächlich falsche, mangelhafte, verspätete oder ungeeignete warnende Informationen der Öffentlichkeit und ungerechtfertigte Herabsetzung der Produkte der Kläger in der Öffentlichkeit - bzw. durch Unterlassen der angebrachten Informationen - Bestimmungen des Bundesrechts verletzt und namentlich durch einen dadurch bewirkten allgemeinen Verkaufsrückgang bei Weichkäsen Schaden verursacht.
In der Klageantwort vom 3. Januar 1990 beantragt die eidgenössische Finanzverwaltung, die Klagen seien unter Kosten- und Entschädigungsfolge abzuweisen.
Auf Ersuchen der Kläger verfügte der Instruktionsrichter, dass vorweg das Verfahren der Laiteries Réunies (fortan: Klägerin) mit folgender, gemäss
Art. 34 Abs. 2 BZP
beschränkter Fragestellung durchgeführt werde:
- Haftung des Bundes für widerrechtliches oder auch für rechtmässiges Handeln?
- Als verletzt in Betracht fallende Schutznormen; insbesondere Begriff der Widerrechtlichkeit im Informationsbereich.
- Würdigung des von den Klägern beanstandeten Verhaltens der Bundesbehörden.
Am 19. Mai 1992 fand die Vorbereitungsverhandlung statt. Im Anschluss daran ordnete der Instruktionsrichter einen zweiten Schriftenwechsel an, worin den Parteien insbesondere Gelegenheit erteilt wurde, sich zu einer einschlägigen, aus einem gleichgelagerten parallelen Verfahren beigezogenen Expertise über die Zusammenhänge bei Listeriose-Erkrankungen zu äussern.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die zu beurteilende Klage stützt sich auf das Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG; SR 170.32). Über streitige Ansprüche gegen den Bund aus diesem Gesetz urteilt das Bundesgericht als einzige Instanz im Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage (
Art. 10 Abs. 1 VG
;
Art. 116
BGE 118 Ib 473 S. 476
lit. c OG
[in der Fassung vom 20. Dezember 1968, d.h. vor der Änderung vom 4. Oktober 1991, vgl. Ziff. 3 der Schlussbestimmungen vom 4. Oktober 1991];
BGE 116 Ib 369
E. 1a).
2.
a) Gemäss
Art. 3 VG
haftet der Bund für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten.
b) Widerrechtlich im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 VG
ist die Schadenzufügung dann, wenn die amtliche Tätigkeit des Beamten gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen. Ein solcher Verstoss kann unter Umständen in der Überschreitung oder im Missbrauch des dem Beamten durch Gesetz eingeräumten Ermessens liegen. Die Rechtsprechung hat auch die Verletzung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen als widerrechtlich bezeichnet (
BGE 116 Ib 195
E. 2a;
BGE 107 Ib 163
ff. E. 3a, mit Hinweisen). Das Element der Widerrechtlichkeit fehlt, wenn eine Amtspflicht ein bestimmtes Handeln gebietet und dieses fehlerfrei erfolgt (
BGE 91 I 453
).
Haftpflichtrechtlich massgebliche Widerrechtlichkeit setzt die Verletzung eines von der Rechtsordnung geschützten Gutes, eines Rechtsgutes voraus, sei es, dass ein absolutes Recht des Geschädigten verletzt (Erfolgsunrecht), sei es, dass eine reine Vermögensschädigung durch Verstoss gegen eine einschlägige Schutznorm bewirkt wird (Verhaltensunrecht;
BGE 116 Ib 374
E. 4b). Vorbehalten bleiben in jedem Fall Rechtfertigungsgründe. Das Vermögen als solches ist kein Rechtsgut, seine Schädigung für sich allein somit nicht widerrechtlich. Vermögensschädigungen ohne Rechtsgutsverletzung sind daher an und für sich nicht rechtswidrig; sie sind es nur, wenn sie auf ein Verhalten zurückgehen, das von der Rechtsordnung als solches, d.h. unabhängig von seiner Wirkung auf das Vermögen, verpönt wird (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/1, 4. Aufl., Zürich 1987, S. 17 und S. 33). Vorausgesetzt wird, dass die verletzten Verhaltensnormen zum Schutz vor diesen Schädigungen dienen (vgl. OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 35;
BGE 116 Ib 195
E. 2a).
Das gesetzlich geforderte Verhalten kann aus einem Tun oder einem Unterlassen bestehen. Wer allerdings eine Handlung unterlässt, zu der er nach der Rechtsordnung nicht verpflichtet ist, verstösst nicht gegen diese und handelt nicht rechtswidrig. Eine allgemeine Rechtspflicht, im Interesse anderer tätig zu werden, besteht nicht. Vielmehr ist auch die Handlungspflicht nur dann haftpflichtrechtlich von Bedeutung, wenn sie das Interesse des Geschädigten
BGE 118 Ib 473 S. 477
verfolgt und sich aus einer Schutzvorschrift zu dessen Gunsten ergibt. Widerrechtliche Unterlassung setzt damit eine Garantenstellung für den Geschädigten voraus (
BGE 116 Ib 374
E. 4c).
c) Da das Vermögen als solches nicht wie ein absolutes Recht geschützt ist, kann eine Vermögensschädigung durch staatliches Handeln - oder Unterlassen - eine Haftpflicht des Staates nur auslösen, wenn dieses Handeln Verhaltensunrecht darstellt. Grundsätzlich wäre daher zunächst zu untersuchen, ob sich im von der Klägerin geltend gemachten Zusammenhang eine Norm findet, die sie vor Vermögensschädigung schützt. Dies kann allerdings dann offenbleiben, wenn sich ergibt, dass das Behördenverhalten ohnehin nicht zu beanstanden war.
Es erübrigt sich daher, abschliessend und vollumfänglich darzulegen, welche Bestimmungen im vorliegenden Zusammenhang allenfalls Schutzwirkungen zu Gunsten der Klägerin entfalten, wenn die Untersuchung des Behördenverhaltens ergeben sollte, dass den Behörden diesbezüglich unter den gegebenen Umständen nichts vorzuwerfen ist. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Schutznormen hat allerdings insoweit zu erfolgen, als daraus gerade konkretere Anforderungen an das Verhalten der Behörden herausgelesen werden können.
3.
a) Aus spezifischen Freiheitsrechten wie insbesondere aus der Handels- und Gewerbefreiheit nach
Art. 31 BV
und der Eigentumsgarantie gemäss
Art. 22ter BV
lassen sich keine weitergehenden Anforderungen an das Behördenverhalten ableiten, als sie auch aus den im vorliegenden Zusammenhang zu beachtenden, konkreteren Regelungen auf Gesetzesstufe geschlossen werden können. Es kann daher dahingestellt bleiben, wieweit solche Grundrechte eine Schutzwirkung zu Gunsten des Vermögens der Klägerin zu entfalten vermögen (vgl. dazu
BGE 118 Ib 249
E. 5).
b) Ferner bietet
Art. 4 BV
für sich allein keine Grundlage für die Feststellung rechtswidrigen Handelns. Rechtswidrigkeit liegt nur vor, wenn mit dem aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Gebot zugleich auch eine materielle Rechtsnorm verletzt wurde. So wäre eine behördliche Information dann zu beanstanden, wenn sie nötige Unterscheidungen zum Schutze Dritter bei der Informationstätigkeit, wie sie in der rechtlichen Regelung vorgesehen sind, nicht vornimmt. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Auch als Willkür zu wertende Ermessensfehler bei der gesundheitspolizeilichen Reaktion in der damaligen Krisenlage und unter Berücksichtigung der vorhandenen Kenntnisse lassen sich nicht feststellen.
BGE 118 Ib 473 S. 478
Als völlig unpraktikabel erscheint, von einem Anhörungsrecht für alle an der Informationstätigkeit des Bundes Interessierten auszugehen, wie dies die Klägerin tut. Die Anwendung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs kommt somit im vorliegenden Zusammenhang nur in Frage, soweit eine Beschlagnahmung oder ein Verbot des Verkaufs einer Käsesorte angeordnet wurde; dagegen standen aber die besondern Rechtsmittel gemäss der Lebensmittel- und Gesundheitsgesetzgebung zur Verfügung, die offenbar nicht ergriffen wurden.
4.
a) Das Bundesgesetz vom 19. September 1978 über die Organisation und die Geschäftsführung des Bundesrates und der Bundesverwaltung (Verwaltungsorganisationsgesetz, VwOG; SR 172.010) enthält in Art. 8 eine Bestimmung über die Information der Öffentlichkeit. Danach wird die Öffentlichkeit über die Arbeit der Bundesverwaltung durch einen Informationsdienst dauernd orientiert, soweit ein allgemeines Interesse besteht und dadurch keine wesentlichen schutzwürdigen öffentlichen oder privaten Interessen verletzt werden. Kennzeichnend ist, dass die Informationen aufgrund von
Art. 8 VwOG
vorwiegend gegenüber Medienvertretern abgegeben werden (vgl. ISABELLE HÄNER EGGENBERGER, Öffentlichkeit und Verwaltung, Zürich 1990, S. 235 ff.).
Art. 8 VwOG
bezweckt, die Transparenz der Verwaltung sicherzustellen; dabei geht es grundsätzlich um die allgemeine Information der Öffentlichkeit über die Staatstätigkeit (vgl. CHRISTIAN FURRER, Bundesrat und Bundesverwaltung, Bern 1986, S. 41 ff.). Nicht unmittelbar erfasst wird die Information im Bereich von Sachproblemen, die sich ausserhalb der eigentlichen Verwaltungstätigkeit ergeben.
Der Klägerin kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie aus
Art. 8 VwOG
- im Sinne eines "Anspruchs auf Information" - eine generelle Schutznorm ableiten möchte. Was für eine Informationspolitik der Bund auf dem Sektor der Ernährung und öffentlichen Gesundheit insgesamt oder der Lebensmittelkontrolle als solcher zu verfolgen hat, wie diese zu organisieren ist und ob diesbezügliche Wünsche der Geschäftsprüfungskommission - die ohnehin keine Rechtskraft haben - verwirklicht wurden, hat das Bundesgericht nicht zu prüfen. Diesbezügliche Richtlinien für die Verwaltungsführung wie auch das Handbuch der Information sind keine Rechtsnormen. Es handelt sich um Leitbilder der Informationspolitik, welche dem Einzelnen keine Rechtsansprüche verleihen. Das gilt auch für die von der Klägerin aus
Art. 8 VwOG
abgeleiteten "neun Gebote". Diese sind normativ ohnehin zu unbestimmt.
BGE 118 Ib 473 S. 479
Aus
Art. 8 VwOG
ergibt sich somit nichts zu Gunsten der Klägerin. Namentlich kann die "allgemeine Informationspflicht" des Bundes nicht als Rechtsgrundlage für Schadenersatzbegehren in besonderen Sachbereichen dienen.
b) Abzustellen ist somit vorab auf allfällige Bestimmungen über die Öffentlichkeitsarbeit in den konkreten, sachbezogenen Regelungen über die in Frage stehenden Ereignisse und Verwaltungstätigkeiten. Allenfalls können die in
Art. 8 VwOG
enthaltenen Grundsätze sinngemäss beigezogen werden, wenn konkrete Regelungen fehlen oder sich als zu unbestimmt erweisen.
Aus diesen Grundsätzen folgt, dass Ziel und Aufgabe der Information sich am öffentlichen Interesse auszurichten haben; Schranken werden durch entgegenstehende wesentliche öffentliche und private Interessen gesetzt. Diese werden nicht überschritten, wenn die Information im Interesse der öffentlichen Gesundheit liegt, zutreffend und im Rahmen eines weitgespannten Ermessens vertretbar ist. Insofern wird auch die in Art. 27 des Beamtengesetzes vom 30. Juni 1927 (SR 172.221.10) vorgesehene Pflicht zur Verschwiegenheit über dienstliche Angelegenheiten, die nach ihrer Natur oder gemäss besonderer Vorschrift geheimzuhalten sind, nicht verletzt. Die Schweigepflicht findet dort ihre Grenze, wo überwiegende öffentliche Interessen oder gar ausdrückliche gesetzliche Vorschriften die Information gebieten. Ausserdem sind die Behörden bei der Informationstätigkeit an die allgemeinen Rechts- und Verfassungsgrundsätze wie das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot gebunden (FURRER, a.a.O., S. 42).
5.
a) Im vorliegenden Fall beruhte das behördliche Handeln auf dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 1970 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101). Gemäss
Art. 11 EpG
treffen die Kantone die Massnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (unter Vorbehalt ausserordentlicher Umstände, in denen der Bundesrat für das ganze Land oder einzelne Landesteile die notwendigen Massnahmen anordnen kann; vgl.
Art. 10 EpG
). Der Bund übt die Oberaufsicht über die Durchführung des Gesetzes aus und koordiniert wenn nötig die Massnahmen der Kantone (
Art. 9 EpG
). Was für Massnahmen getroffen werden sollen, hängt weitgehend von faktischen und naturwissenschaftlichen Gegebenheiten ab. Ob diese richtig gewürdigt werden, gehört zur richtigen Anwendung des Gesetzes. In diesem Zusammenhang kommen auch Normierungen des Lebensmittelrechts in Betracht, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Übertragung
BGE 118 Ib 473 S. 480
ansteckender Krankheiten über Lebensmittel erfolgt. Unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Rechts- und Verfassungsgrundsätze ist namentlich das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten.
b) Die Klägerin leitet eine Verantwortlichkeit des Bundes aus seiner Oberaufsicht über die Kantone ab. Diese Aufsicht enthält jedoch nicht eine Garantiefunktion zur Wahrung des Bundesrechts auch gegenüber den von der Rechtsanwendung durch die Kantone betroffenen privaten Rechtssubjekten, auf welche sich diese unmittelbar berufen könnten.
Das Handeln der Kantone begründet jedenfalls dort keine Verantwortlichkeit des Bundes, wo die Aufsicht - wie im Sektor der Gesundheits- und insbesondere der Lebensmittelpolizei - in erster Linie dahingeht, dass die Kantone die ihnen obliegenden Aufgaben des Gesundheitsschutzes tatsächlich wahrnehmen, die Art und Weise des Vollzugs den Kantonen aber weitgehend freisteht. Diesfalls gehört es nicht zur Aufsichtsfunktion des Bundes, dafür einzustehen, wenn die Kantone bei der Erfüllung ihrer Vollzugsaufgabe die dadurch betroffenen entgegenstehenden Interessen Dritter nicht genügend berücksichtigen.
c) Das Epidemiengesetz enthält in Art. 3 eine Regelung der Informationstätigkeit der Behörden im Zusammenhang mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Danach veröffentlicht das Bundesamt periodisch die gemäss Art. 27 erstatteten Meldungen (
Art. 3 Abs. 1 EpG
); bei Bedarf unterrichtet es die Behörden, die Ärzteschaft und die Öffentlichkeit durch weitere Mitteilungen (
Art. 3 Abs. 2 EpG
); es gibt zuhanden der Behörden und Ärzte technische Richtlinien zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten heraus (
Art. 3 Abs. 3 EpG
).
Indem
Art. 3 EpG
ausdrücklich eine Information der Öffentlichkeit vorsieht, ist in diesem Bereich die Geheimhaltungspflicht - soweit ein öffentliches Interesse an Information besteht - beseitigt. Der Hersteller von Lebensmitteln kann sich in diesem Geschäftsbereich nicht auf eine "Geheimsphäre" berufen, soweit die öffentliche Gesundheit in Frage steht; ganz abgesehen davon, dass sich die Bundesbehörde im vorliegenden Fall überhaupt nicht in die Geheimsphäre der Käsehersteller eingemischt hat.
Wie die Beklagte richtig ausführt, stellt
Art. 3 EpG
die gesetzliche Grundlage für die Informationstätigkeit der Gesundheitsbehörden des Bundes dar. Die Norm dient primär dem Schutz von Gesundheit und Leben. Die Lebensmittelgesetzgebung bezweckt ebenfalls den Schutz des Konsumenten vor Gesundheitsschädigung sowie, in zweiter
BGE 118 Ib 473 S. 481
Linie, des Produzenten vor unredlicher Konkurrenz. Insofern schützen die beiden gesetzlichen Regelungen gerade nicht vor staatlichen Eingriffen, sondern ermöglichen diese. Das heisst aber nicht, dass die damit verbundenen Schranken nicht ebenfalls eine Schutzfunktion für Dritte haben können. In diesem Sinne fiele eine Schadenersatzpflicht des Bundes allenfalls in Betracht.
d) Ausgangspunkt bleibt die Zweckrichtung des Informationsauftrags von
Art. 3 EpG
; danach steht der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und nicht derjenige anderweitig, insbesondere wirtschaftlich Betroffener im Vordergrund. Die dabei gesetzten Schranken, namentlich die ausdrücklich vorgesehene Rücksichtnahme auf schutzwürdige private Interessen, entfalten aber eine Schutzwirkung für die von der Information betroffenen Privaten.
Nur wenn in diesem Zusammenhang unverantwortbare Fehler gemacht werden - z.B. durch unsachgemässe Warnungen vor bestimmten Produkten -, kann dies zu einer Schadenersatzpflicht der Behörden gegenüber Lebensmittelproduzenten führen. Der Schutzbereich von
Art. 3 EpG
ist nicht so zu verstehen, dass der Bund die Pflicht hat, durch seine Information zum Schutz der Produzenten einzugreifen, wenn die Konsumenten aus gesundheitlichen Befürchtungen bestimmte Produkte meiden, ohne dass dies durch unzulässige Massnahmen oder Informationen der Behörden selbst verursacht wird. Eine weitergehende Gesetzesauslegung würde bedeuten, dass die Verwaltung nicht nur für Schaden infolge ihres eingreifenden Handelns (namentlich durch Information) einzustehen hat, sondern auch für die Nichtabwehr (durch Information) von Gefahren, die sie nicht selbst geschaffen hat. Eine solche Pflicht mit entsprechender Schutzwirkung hätte eine Überforderung der Ansprüche im Informationsbereich an den Staat zur Folge und ergibt sich aus dem schweizerischen Recht nicht.
6.
a) Die Klägerin beruft sich eventualiter auf eine Entschädigungspflicht für Schäden aus rechtmässigem Handeln; d.h. sie macht im vorliegenden Zusammenhang auch eine Verantwortlichkeit des Bundes geltend für den Fall, dass dessen Behörden nicht widerrechtlich gehandelt haben sollten.
b) Eine Ersatzpflicht für rechtmässiges Handeln wurde bisher, soweit keine Sondernorm für eine solche Haftung besteht, nicht anerkannt. Sie käme auch, wenn überhaupt, höchstens in Frage bei behördlichen Eingriffen in geschützte Rechtsgüter der Privaten (vgl. ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, Neuchâtel 1984, S. 788 ff.). Im vorliegenden Fall stellen die geltend gemachten
BGE 118 Ib 473 S. 482
Umsatzeinbussen nicht die Folge eines direkten staatlichen Eingriffs in ein geschütztes Rechtsgut dar.
Im übrigen fiele eine Entschädigungspflicht für rechtmässige Information zuallerletzt in Betracht. Die staatliche Informationstätigkeit hat einen ganz andern Charakter als die staatliche Eingriffsverwaltung oder staatliche Realakte (z.B. Tötung eines Passanten bei einer Verbrecherverfolgung). Wäre bei solchen Akten - oder einzelnen davon - de lege ferenda oder in Weiterentwicklung gewisser in
Art. 4 BV
enthaltener Grundsätze eine Haftung allenfalls ins Auge zu fassen, muss bei der staatlichen Informationstätigkeit den Besonderheiten derselben Rechnung getragen werden. Nicht nur ist bei dieser die Kausalität mit allfälligen Schädigungen besonders schwer nachweisbar, sondern die Informationstätigkeit mit ihrer primär fördernden - und gerade nicht hemmend eingreifenden - Zielsetzung würde dadurch selbst zu einschneidend belastet.
7.
Infolgedessen bleibt die Frage wesentlich, ob die Bundesbehörden widerrechtlich gehandelt haben. Geprüft werden muss, ob die im Zusammenhang mit der Listerioseepidemie getroffenen Massnahmen und die darüber erteilten konkreten Informationen korrekt und sachgemäss waren. Dabei ist das Verhalten der Behörden nicht nach dem heutigen, sondern nach dem damaligen Wissensstand zu beurteilen. War die Information nicht in diesem Sinne zu beanstanden, kann sie auch nicht rechtswidrig gewesen sein. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn, wie es im vorliegenden Fall zutrifft, die Information der Öffentlichkeit gerade zur Aufgabe der Behörde gehört (
BGE 107 Ib 7
/8 e contrario), wovon auch die Klägerin selbst mit Recht ausgeht.
Im übrigen kann aus Zugaben oder Forderungen von Verwaltungsstellen und Politikern, dass die Informationstätigkeit künftig verbessert werden sollte, nicht gefolgert werden, sie sei zuvor geradezu rechtswidrig gewesen. Dazu müsste sich vielmehr ergeben, dass die Informationstätigkeit im Hinblick auf den Schutzbereich des Epidemiengesetzes nicht vertretbar war. ...
(Bei der Würdigung der der Klage zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände kommt das Bundesgericht im wesentlichen zu folgenden Schlüssen:
Die Bundesbehörden haben bei ihrer Informationstätigkeit im November/Dezember 1987 den damals bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen gebührend Rechnung getragen. Sie haben in den ergangenen Pressemitteilungen und Weisungen zwischen Vacherin Mont d'Or und anderen Käsesorten, insb. Weichkäsen, unterschieden, soweit dies angebracht war. Weitere
BGE 118 Ib 473 S. 483
Differenzierungen, namentlich nach den verschiedenen Typen [Sero- und Lysotyp] des Erregers Listeria monocytogenes, nach der Herstellungsart der Weichkäsesorten (insb. Rotschmierung und Weissschimmelreifung) sowie nach der Art der bei der Käseproduktion verwendeten Milch (pasteurisierte oder Rohmilch), drängten sich nicht auf oder wären sogar unangebracht gewesen. Auch bei den der Bevölkerung erteilten Verhaltensempfehlungen hat das Bundesamt die nötigen Unterscheidungen getroffen. Schliesslich waren Aussagen einzelner Behördemitglieder, die in offizieller Funktion oder unter Hinweis darauf gegenüber Medienvertretern oder in Interviews getätigt wurden, weder ungenau noch zu undifferenziert.) ...
18.
a) Somit ergibt sich, dass die Bundesbehörden ihrer Informationspflicht angemessen und sachgerecht nachgekommen sind. Ihre Informationstätigkeit entsprach den gesundheitspolizeilichen Anforderungen. Sie konnte vom Publikum vernünftigerweise nicht so verstanden werden, wie die Klägerin vorträgt, dass "vom Erwerb und Verzehr des Lebensmittels (sc. aller Weichkäse) abgeraten wird". Vielmehr war die ganze Information darauf ausgerichtet, die Weichkäse zu kontrollieren und bei Kontamination vom Markte zu entfernen, so dass das Publikum ungefährdet Weichkäse erwerben und konsumieren konnte. Hätten die Behörden nicht derart gehandelt, hätte der Bund allenfalls dafür haften müssen, wenn eine Krankheit oder ein Todesfall im Zusammenhang mit einem solchen Käse eingetreten wäre, was beim damaligen Wissensstand nicht auszuschliessen war.
b) Im übrigen muss klar unterschieden werden zwischen dem Informationsverhalten des Bundes einerseits und der in der Freiheit und Verantwortlichkeit jedes einzelnen Journalisten liegenden Umsetzung dieser behördlichen Information andererseits. Wenn die Primärinformation der Behörden grundsätzlich in Ordnung und damit rechtmässig war, hat die Behörde nicht für anderweitige Fehlinformationen einzustehen. Sofern die Medien die Behördeninformation als solche nicht verzerrt darstellen, besteht zudem keine Pflicht, korrigierend einzugreifen. Im vorliegenden Zusammenhang haben die Medien zum Teil selber recherchiert, und einzelne haben eine Geschichte aufgebaut, die mit der Behördeninformation nichts mehr zu tun hatte und auch nicht darauf zurückging.
Wenn gleichzeitig und nachträglich die Medien die Informationspolitik des Bundes kritisierten, ergibt sich daraus kein Nachweis für die Widerrechtlichkeit derselben. Vielmehr waren es einzelne Zeitungen, die, zum Teil sogar vor den Bundesbehörden, an die
BGE 118 Ib 473 S. 484
Öffentlichkeit gelangten und mit Sensationsartikeln eine Abwehrhaltung und entsprechende Vorsichtsmassnahmen seitens der Käsekonsumenten hervorriefen. Dafür hat der Bund nicht einzustehen.
c) Die Zurückhaltung des Publikums beim Konsum von Weichkäsen entsprach dem natürlichen Lauf der Dinge. Jede Medienmeldung über Krankheitsrisiken im Zusammenhang mit Lebensmitteln führt erfahrungsgemäss zu einer vorübergehenden Zurückhaltung beim Konsum dieser und gleichartiger oder ähnlicher Lebensmittel. Selbst wenn behördliche Informationen sorgfältig abgewogen und auf den Durchschnittsbürger zugeschnitten sind, kann die Gefahr, dass sie zu unerwünschten und unbeabsichtigten Schlussfolgerungen beim Empfänger führen können, nie gänzlich ausgeschlossen werden. Dabei spielt sowohl die Komplexität der Materie als auch der unterschiedliche Wissensstand des Zielpublikums (Medienschaffende und Konsumenten) sowie die Art der Umsetzung der Information durch die Medien eine Rolle. Das sind Risiken, die jeder Lebensmittelhersteller zu tragen hat, auch wenn seine eigenen Produkte einwandfrei sind. Er kann dafür nicht die Verantwortlichkeit der Gesundheitsbehörden in Anspruch nehmen, wenn diese nichts anderes getan haben, als das Publikum sachgerecht und angemessen zu informieren.
19.
Schliesslich fragt sich, ob der Bund die Käsehersteller gemäss dem Grundsatz, dass derjenige, der einen gefährlichen Zustand geschaffen hat, Schutzmassnahmen ergreifen muss, durch angemessene Gegenmassnahmen hätte schützen müssen.
Der gefährliche Zustand, dem die Behörden mit der Informationstätigkeit zu begegnen versuchten, war nicht vom Bund, sondern von den Herstellern bzw. allenfalls Anbietern der listerienbefallenen Käse geschaffen worden. Auch die Verunsicherung in der Bevölkerung wurde nicht durch unzureichende Information bewirkt, sondern beruhte auf einer Verunsicherung in den Fachkreisen selbst, die Folge des bescheidenen damaligen Wissenschaftsstandes war.
Im übrigen ist im Zusammenhang mit dem von der Klägerin angerufenen Entscheid Nyfeler (
BGE 89 I 493
) darauf hinzuweisen, dass ein gefährlicher Tatbestand geschaffen worden wäre, für den die Gesundheitsbehörden allenfalls einzutreten hätten, wenn sie die Öffentlichkeit nicht genügend - und entsprechend dem damaligen Wissensstand - über Gefahren und Probleme im Zusammenhang mit der Listerioseepidemie orientiert hätten. Eine Garantenstellung für die Käseproduzenten kam den Gesundheitsbehörden hingegen nicht zu.
BGE 118 Ib 473 S. 485
25.
Infolgedessen haben die Bundesbehörden im Zusammenhang mit den Listeriosevorfällen gegenüber der Klägerin nicht widerrechtlich gehandelt, weshalb eine Haftung des Bundes für den von der Klägerin geltend gemachten Schaden schon aus diesem Grunde und unabhängig davon, ob das Behördenverhalten für den eingetretenen Verkaufsrückgang überhaupt in wesentlicher Weise ursächlich war, entfällt. Die verwaltungsrechtliche Klage erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a6f90b06-89e6-4fff-995f-a6118ddabb59 | Urteilskopf
111 II 384
76. Arrêt de la Ire Cour civile du 27 août 1985 dans la cause dame D. contre dame F. (recours en réforme) | Regeste
Mietvertrag, Nichtigkeit einer rechtswidrigen Kündigung.
Art. 36 und 46 OG
. Wird die Gültigkeit einer Kündigung bestritten, so berechnet sich der Streitwert aufgrund des Zeitraumes, während dem der Vertrag fortdauern würde, wenn die Kündigung nicht gültig wäre. Dieser Zeitraum erstreckt sich bis zu dem Zeitpunkt, auf den eine weitere Kündigung ausgesprochen werden könnte oder ausgesprochen worden ist. Umwandlung einer staatsrechtlichen Beschwerde in eine Berufung, wenn der Streitwert Fr. 8'000. - übersteigt und die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung erfüllt sind (E. 1).
Art. 20 Abs. 1 OR
und 31 Ziff. 1 Abs. 2 BMM. Nichtigkeit einer unter
Art. 31 Ziff. 1 Abs. 2 BMM
fallenden Kündigung (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 385
BGE 111 II 384 S. 385
A.-
Dame F. est locataire depuis 1976 d'un appartement dans un immeuble propriété de dame D.
Par lettre du 20 mars 1981, la locataire s'est opposée à une augmentation de loyer que la bailleresse demandait à partir du 1er mars; elle faisait valoir que la hausse était nulle, pour n'avoir pas été notifiée sur formule officielle (
art. 18 al. 3 AMSL
).
Le 27 mai 1981, soit deux mois et sept jours plus tard, la bailleresse a résilié le bail pour le 1er septembre 1981.
Par arrêt du 9 mai 1983, envoyé aux parties le 22 juin 1983, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a déclaré que la locataire avait fait valoir les droits que lui conférait l'arrêté fédéral.
La bailleresse a en outre été inculpée d'infraction à l'
art. 31 AMSL
.
B.-
Le 13 juillet 1983, soit environ trois semaines après avoir reçu l'arrêt de la Cour, la bailleresse a signifié un nouveau congé à sa locataire, pour le 29 février 1984.
La locataire a saisi la commission de conciliation en concluant à la nullité du nouveau congé et, subsidiairement, à l'octroi d'une première prolongation de bail.
Le Tribunal des baux et loyers de Genève a prolongé le bail pour une durée d'une année en application de l'
art. 267a CO
, par jugement du 3 septembre 1984.
Statuant sur appel de la locataire, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a annulé ce jugement et constaté la nullité du congé du 13 juillet 1983, par arrêt du 21 janvier 1985.
C.-
La bailleresse a formé un recours de droit public au Tribunal fédéral concluant à l'annulation de cet arrêt.
Traitant ce recours comme recours en réforme, le Tribunal fédéral l'a rejeté et a confirmé l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La recourante relève que le loyer du bail litigieux est de 460 francs par mois, ce qui signifierait qu'elle "n'est pas recevable à former un recours en réforme ... étant donné le taux litigieux".
Cette appréciation de la valeur litigieuse est erronée. Bien que la cour cantonale n'ait pas indiqué la valeur litigieuse, on constate
BGE 111 II 384 S. 386
que le loyer est effectivement de 460 francs par mois. Quant à la période à prendre en considération, en cas de contestation portant sur la validité d'un congé, c'est celle pendant laquelle le contrat subsiste nécessairement si la résiliation n'est pas valable et qui s'étend jusqu'au moment pour lequel un nouveau congé peut être donné ou l'a été effectivement (
ATF 86 II 58
; cf. aussi
ATF 109 II 154
).
En l'espèce, la cour cantonale a admis la nullité du congé signifié le 13 juillet 1983 par la bailleresse, en vertu des
art. 20 al. 1 CO
et 31 ch. 1 al. 2 AMSL, parce que ce congé apparaissait comme un congé de représailles. La durée déterminante pour le calcul de la valeur litigieuse ne saurait être inférieure à la période de deux ans pendant laquelle l'
art. 28 al. 3 AMSL
consacre la nullité de la résiliation, dans une situation analogue. La limite de 8'000 francs fixée par l'
art. 46 OJ
pour la recevabilité du recours en réforme est donc en tout cas atteinte. La voie du recours en réforme étant ouverte, le recours de droit public n'est pas recevable (
art. 84 al. 2 OJ
).
Le mauvais choix d'une voie de recours au Tribunal fédéral ne saurait cependant nuire à la partie si le recours remplit les exigences légales de la voie de droit qu'elle aurait dû choisir (
ATF 109 II 402
consid. 1 d). Tel est le cas en l'espèce. L'acte de recours de la défenderesse a été déposé dans le délai de l'
art. 54 OJ
. Il invoque une violation du droit fédéral, soit des
art. 267 CO
, 18 et 31 AMSL (
art. 43 OJ
). Ces griefs sont motivés conformément à l'art. 55 al. 1 lettre c OJ. Enfin le recours conclut à l'annulation de l'arrêt cantonal, soit implicitement au renvoi de la cause à la cour cantonale. Cette conclusion est suffisante au regard de l'
art. 55 al. 1 lettre b OJ
, car le Tribunal fédéral, au cas où le point de vue de la défenderesse l'emporterait, devrait certes admettre la validité du congé, mais ne pourrait pas statuer définitivement sur le litige, en raison de la conclusion en prolongation du bail, qui devrait encore être examinée et tranchée par la cour cantonale (cf.
ATF 106 II 203
consid. 1).
Le recours doit donc être traité comme recours en réforme.
2.
a) La cour cantonale relève qu'un congé donné en application de l'
art. 267 CO
est nul, en vertu de l'
art. 20 al. 1 CO
, s'il est illicite, et qu'un acte interdit par la loi pénale est illicite; tel est le cas en l'espèce du congé signifié le 13 juillet 1983, qui est manifestement une réaction à la réception de l'arrêt envoyé aux parties le 22 juin 1983 et a donc été donné à titre de sanction parce que le locataire a fait valoir les droits que lui confèrent les
art. 18 ch. 3 et 31 ch. 1 AMSL
;
BGE 111 II 384 S. 387
constituant l'acte illicite décrit par l'
art. 31 ch. 1 al. 2 AMSL
, ce congé est nul selon l'
art. 20 al. 1 CO
.
b) Le grief de violation de l'
art. 267 CO
est dénué de tout fondement. Si la cour cantonale relève que le congé litigieux n'est pas motivé, elle n'en tire aucune conséquence juridique. Elle ne considère en particulier pas que ce défaut de motivation serait une cause de nullité du congé.
c) Si la cour cantonale a constaté la nullité du second congé donné par la défenderesse, ce n'est pas en application de l'
art. 18 al. 3 AMSL
, qui déclare nul le congé signifié à l'occasion d'une majoration de loyer, mais en application des
art. 31 ch. 1 AMSL
et 20 CO. Il ne saurait donc y avoir de violation de l'
art. 18 al. 3 AMSL
.
d) L'
art. 31 ch. 1 al. 2 AMSL
prévoit notamment qu'est punissable pénalement celui qui aura dénoncé le bail parce que le locataire sauvegarde les droits que l'arrêté fédéral lui confère. L'hypothèse ainsi visée est celle où le bailleur dénonce le contrat pour sanctionner le comportement du locataire qui use de ses droits conformément à la loi (cf.
ATF 106 IV 71
; congé dit de représailles).
Sur le vu des constations de fait de l'arrêt attaqué, qui lient la juridiction de réforme (
art. 63 al. 2 OJ
), il ne fait aucun doute que, tout comme le premier congé, le second congé signifié le 13 juillet 1983 par la bailleresse tombe sous le coup de l'
art. 31 AMSL
. En effet, il a été donné parce que la locataire a fait valoir deux droits que lui confère l'arrêté fédéral, à savoir le droit de se prévaloir de la nullité d'un avis de majoration qui n'a pas été donné sur la formule officielle (
art. 18 al. 3 AMSL
), et le droit de déposer plainte pour violation de l'
art. 31 AMSL
. Il s'agit donc bien d'un congé de représailles lié à l'application dudit arrêté.
Or un tel congé doit être considéré comme nul en application de l'
art. 20 CO
. Il constitue en effet un acte juridique illicite, qui est nul au même titre qu'un contrat illicite (cf. BARBEY, L'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, p. 131). Peu importe que cette conséquence juridique ne soit pas expressément prévue par la loi, puisqu'elle découle de l'esprit et du but de la norme violée (cf.
ATF 102 II 404
consid. 2 b; cf. aussi
ATF 107 II 195
); or l'
art. 31 ch. 1 al. 2 AMSL
vise à empêcher le congé de représailles afin de permettre une application régulière, réelle et efficace des dispositions de l'arrêté fédéral.
C'est donc à juste titre que la cour cantonale a constaté la nullité du congé signifié le 13 juillet 1983 par la bailleresse. | public_law | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7009e25-5845-41c1-944a-a1975018f1cd | Urteilskopf
100 Ib 236
38. Urteil vom 31. Mai 1974 i.S. Schweiz. Eidgenossenschaft gegen Gemeinde Düdingen. | Regeste
Garantiegesetz
1. Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Klage (Erw. 1).
2. Die freiburgische Liegenschaftssteuer ist im Sinne von
Art. 10 GarG
eine direkte Steuer (Erw. 2a).
3. Auch eine vom Bund als Landreserve für einen Postneubau erworbene Liegenschaft ist kraft
Art. 10 GarG
steuerfrei, es sei denn die Liegenschaft werde nach ihrem Erwerb durch den Bund einem anderen selbständigen Zwecke zugeführt (Erw. 2 b). | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 100 Ib 236 S. 237
Sachverhalt:
A.-
Die PTT-Betriebe haben am 24. September 1969 auf Grund eines Beschlusses ihrer Generaldirektion vom 7. Juli 1969 die Einfamilienhausliegenschaft Nr. 785 in Düdingen erworben. Die Liegenschaft, deren Kaufpreis sich auf Fr. 230 000.-- belief, sollte für einen Postneubau Verwendung finden. In einem Zusatz zum Kaufvertrag räumte die Käuferschaft dem Verkäufer das Recht ein, das Kaufsobjekt bis zum 31. März 1974 unentgeltlich und ab 1. April 1974 bis zum Abbruch der Gebäulichkeiten gegen einen monatlichen Mietzins von Fr. 200.-- weiterzubenutzen.
B.-
Im Juni 1972 stellte die Gemeinde Düdingen den PTT-Betrieben Rechnung für die Liegenschaftssteuer 1971. Gegen diese Rechnung wandten sich die PTT-Betriebe erfolglos an die Gemeinde und die kantonale Steuerrekurskommission. Am 25. Mai 1973 erhob die Eidgenossenschaft deshalb verwaltungsrechtliche Klage beim Bundesgericht mit dem Begehren: "Es sei festzustellen, dass die Klägerin von der Liegenschaftssteuer für das Grundstück Nr. 785 in Düdingen befreit ist; - unter Kosten- und Entschädigungsfolge-". Zur Begründung wird im wesentlichen geltend gemacht, die freiburgische Liegenschaftssteuer sei eine direkte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
und die Liegenschaft in Düdingen sei un.mittelbar für Bundeszwecke bestimmt, dürfe also nicht mit der Liegenschaftssteuer belegt werden.
C.-
Die Gemeinde Düdingen beantragt in ihrer Klageantwort Abweisung der Klage unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Klägerin.
BGE 100 Ib 236 S. 238
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über die Befreiung von kantonalen Abgaben sind nach
Art. 116 lit. f OG
grundsätzlich im Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage vor Bundesgericht auszutragen. Die freiburgische Liegenschaftssteuer ist eine kantonale Abgabe im Sinne von
Art. 116 lit. f OG
(vgl. BGE 99 I/b 228 Erw. 1a). Keiner der Unzulässigkeitsgründe von
Art. 117 OG
trifft auf den vorliegenden Fall zu. Auf die Klage der Eidgenossenschaft kann eingetreten werden. Der Entscheid der kantonalen Rekurskommission hat hier lediglich die Bedeutung einer Meinungsäusserung, soweit er zur Frage Stellung nimmt, ob die Erhebung der Liegenschaftssteuer vor
Art. 10 GarG
standhalte.
2.
Nach
Art. 10 GarG
dürfen die Bundeskasse und alle unter der Verwaltung des Bundes stehenden Fonds sowie diejenigen Liegenschaften, Anstalten und Materialien, die unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt sind, von den Kantonen nicht mit einer direkten Steuer belegt werden.
a) Die Beklagte stellt in Frage, ob die freiburgische Liegenschaftssteuer im Sinne von
Art. 10 GarG
eine direkte Steuer ist. Das Bundesgericht hat den Begriff der direkten Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
in seiner bisherigen Rechtsprechung lediglich negativ, nämlich über den Begriff der indirekten Steuer, umschrieben (BGE 99 I/b 231/232 mit Hinweisen). Es besteht kein Anlass, den Begriff der direkten Steuer im vorliegenden Falle auf andere Weise zu umschreiben. Für die indirekte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Anknüpfung an einen Verkehrsvorgang charakteristisch. Eine direkte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
liegt somit in der Regel vor, wo nicht ein bestimmter Verkehrsvorgang Grundlage der Besteuerung bildet, insbesondere, wenn die Steuer periodisch erhoben wird (vgl. BGE 99 I/b 232).
Gerade diese Merkmale weist aber die freiburgische Liegenschaftssteuer auf. Die Klägerin und mit ihr offenbar auch die kantonale Steuerrekurskommission betrachten sie deshalb zu Recht als direkte Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
. Der Umstand, dass sie auf dem Grundbesitz und nicht etwa auf dem Einkommen des Pflichtigen erhoben wird, macht sie
BGE 100 Ib 236 S. 239
nicht zur indirekten Steuer. Für die Unterscheidung von direkter und indirekter Steuer im Sinne von
Art. 10 GarG
ist auch belanglos, welchen Zwecken das Gemeinwesen die Steuerbeträge zuführt und aus welchen Überlegungen die Steuer seinerzeit eingeführt worden ist. Dass die freiburgische Liegenschaftssteuer aber nicht als Steuer, sondern als Kausalabgabe für besondere Vorteile des Grundeigentümers zu betrachten sei, macht selbst die Beklagte nicht ausdrücklich geltend. Für eine solche Annahme fehlt jeder Anhaltspunkt. Die einzelnen Grundstücke gelangen in ganz unterschiedlichem Masse in den Genuss der Vorteile von Gemeindewerken. Da die Liegenschaftssteuer hierauf keine Rücksicht nimmt, kann sie insbesondere nicht als Vorzugslast oder Gebühr gelten.
b) Die Klägerin macht geltend, das fragliche Grundstück sei unmittelbar für einen Bundeszweck bestimmt. Dies wird von der Beklagten bestritten.
Unbestritten ist, dass die Klägerin das Grundstück in der Absicht erworben hat, darauf einen Postneubau zu errichten. Fest steht aber auch, dass noch keine konkreten Pläne für den Postneubau vorliegen und die Erstellung der Baute erst für 1977 vorgesehen ist. Die Klägerin bringt allerdings vor, die allgemeine Bodenknappheit habe sie gezwungen, das Land vorsorglich zu erwerben.
Die Steuerbefreiung einer Liegenschaft des Bundes nach
Art. 10 GarG
setzt nicht voraus, dass die Liegenschaft tatsächlich unmittelbar Bundeszwecken dient, sondern lediglich, dass sie unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt ist. Dies verkennt die Beklagte, wenn sie zur Begründung ihres Antrages vorbringt, das Grundstück diene tatsächlich keinem Bundeszweck. Es fragt sich aber, ob auch dann angenommen werden kann, eine Liegenschaft sei im Sinne von
Art. 10 GarG
unmittalbar für Bundeszwecke bestimmt, wenn sie, wie im vorliegenden Falle, den Bundeszwecken, für die sie erworben worden ist, erst nach längerer Zeit wird zugeführt werden können, vorderhand also noch nicht zum Verwaltungsvermögen des Bundes gehört. Entscheidend ist hier, was mit der Liegenschaft in der Zwischenzeit geschieht (PAUL STADLIN, Die Befreiung des Bundes von der kantonalen Steuerhoheit, Diss. Zürich 1943, S. 168 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch
BGE 96 I 468
). Wird ihre Nutzung, wie im vorliegenden Falle, unentgeltlich bzw. gegen ein fast nur symbolisches Entgelt bis
BGE 100 Ib 236 S. 240
auf weiteres einem Dritten überlassen, so bleibt die ursprüngliche Zweckbestimmung massgebend und die Besteuerung somit ausgeschlossen. Es ist sinnvoll, dass die Klägerin ihre Liegenschaft nicht einfach bis zur Errichtung des Postneubaus brachliegen lässt. Zum Verlust der Steuerfreiheit könnte die Überlassung der Liegenschaft an Dritte höchstens führen, wenn damit ein selbständiger Zweck, insbesondere die Erzielung von Gewinn, verfolgt würde. Ohne einen solchen selbständigen Zweck ist entscheidend, dass die Liegenschaft in absehbarer Zeit unmittelbar einem Bundeszweck dienen soll. Die Klage ist damit gutzuheissen.
3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beklagte die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (
Art. 156 OG
). Im Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage darf obsiegenden Behörden oder mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen nach
Art. 159 Abs. 2 OG
in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen werden. Es besteht kein Grund, im vorliegenden Falle von dieser Regel abzuweichen. Der Klägerin wird deshalb keine Parteientschädigung zugesprochen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a700e5f1-2965-488c-aa33-b96c866ed007 | Urteilskopf
87 II 54
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Februar 1961 i.S. Pfäffli gegen Monney & Forster SA und Stähli & Cie. | Regeste
Nachahmung einer Ware (Fenster- und Türscharnier); Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 lit. d UWG.
Begriff und Voraussetzungen der Verwechselbarkeit (Erw. 2).
Unter welchen Voraussetzungen stellt die Übernahme nicht technisch bedingter Ausstattungsmerkmale eines gemeinfreien Erzeugnisses unlauteren Wettbewerb dar? (Erw. 3).
Bedeutung des Umstandes, dass die massgetreue Nachbildung der Scharniere die Verwendung der vom Kläger hergestellten Anschlage-Werkzeuge gestattet (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 87 II 54 S. 54
A.-
Der Kläger W. Pfäffli erwirkte im Jahre 1954 ein schweizerisches Patent für ein Scharnier für Fenster- und Türflügel. Die danach hergestellten Scharniere verkaufte er unter der Bezeichnung "ANUBA"-Bänder in verschiedenen Grössen. Zu jeder Bandgrösse wird ein entsprechender Satz von Montage-Werkzeugen vertrieben, die ein genaues Anschlagen der Scharniere gewährleisten. Die Beklagte 1, die Firma Monney & Forster SA in
BGE 87 II 54 S. 55
Payerne, verkauft seit 1957 unter dem Namen "MOFOR"-Band ein dem Erzeugnis des Klägers ähnliches Scharnier in den gleichen Grössen. Das "MOFOR"-Band kann mit den vom Kläger für die Montage seines Scharniers vertriebenen Werkzeugen ebenfalls angeschlagen werden; es ist bedeutend billiger als das "ANUBA"-Band des Klägers. Das "MOFOR"-Band wird im Auftrag der Beklagten 1 durch die Firma Stähli & Cie., die Beklagte 2, hergestellt.
B.-
W. Pfäffli erhob im April 1958 beim Handelsgericht Zürich gegen die beiden Beklagten Klage wegen Patentverletzung und unlauteren Wettbewerbs.
Die Beklagten beantragten Abweisung der Klage und erhoben Widerklage auf Nichtigerklärung des klägerischen Patents.
C.-
Das Handelsgericht Zürich erklärte mit Urteil vom 5. Juli 1960 in Gutheissung der Widerklage das klägerische Patent als nichtig und wies demgemäss die Patentverletzungsklage ab. Im weiteren verneinte es auch das Vorliegen unlauteren Wettbewerbs der Beklagten und wies daher die Wettbewerbsklage ebenfalls ab.
D.-
Mit der vorliegenden Berufung hält der Kläger an seinen auf das Wettbewerbsrecht gestützten Klagebegehren fest, während er in Bezug auf die patentrechtliche Seite des Falles auf die Anfechtung des vorinstanzlichen Urteils ausdrücklich verzichtet hat.
Die Beklagten beantragen Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
...
2.
Der Kläger erblickt in der Herstellung und im Vertrieb der "MOFOR"-Bänder durch die Beklagten einen Verstoss gegen
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
, wonach unlauteren Wettbewerb begeht, wer Massnahmen trifft, die bestimmt oder geeignet sind, Verwechslungen mit den Waren oder dem Geschäftsbetrieb eines andern herbeizuführen.
BGE 87 II 54 S. 56
Erstes Erfordernis für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist das Bestehen einer Verwechslungsgefahr. Ob eine solche vorliegt, ist gemäss ständiger Rechtsprechung eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsfrage. Bei ihrer Entscheidung ist auf den Grundgedanken des Wettbewerbsrechts zurückzugreifen, dass eine wettbewerbliche Leistung irgendwelcher Art, die ein Geschäftsmann erbracht hat, gegen die missbräuchliche Ausnützung durch einen Konkurrenten geschützt werden soll. Vom Missbrauch einer Leistung in diesem Sinne lässt sich aber nur sprechen, wenn ihrem Urheber durch das Verhalten des Konkurrenten etwas entgeht, das sonst ihm als Frucht seiner Bemühungen zugefallen wäre und nun dem Konkurrenten zukommt, ohne dass dieser eine entsprechende eigene wettbewerbliche Leistung erbracht hat. Danach kann eine Verwechslungsgefahr, deren Herbeiführung
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
als Beispiel einer unlauteren Wettbewerbshandlung erwähnt, nur gegeben sein, wenn zu befürchten ist, dass die Ware des zweiten für das bereits auf dem Markte befindliche Erzeugnis des ersten Wettbewerbers gehalten wird (
BGE 83 II 162
). Nur dann lässt sich nämlich sagen, der Mitbewerber entziehe dem andern einen Ertrag, mit dem dieser mit Rücksicht auf seine Vorarbeit billigerweise hätte rechnen dürfen. Eine derartige Verwechslung setzt voraus, dass das nachgeahmte Erzeugnis selber Kennzeichnungskraft besitzt. Denn nur wenn dies zutrifft, ist es überhaupt denkbar, dass die Ware des Nachahmers für diejenige des ersten Mitbewerbers angesehen werden kann (nicht veröffentlichtes Urteil vom 29. November 1960 i.S. Huber & Cie. c. A.-G. Brown, Boveri & Co., Erw. 5; TROLLER, Immaterialgüterrecht, Bd. I, S. 497). Wenn dagegen ein Käufer die Ware des Konkurrenten nicht deshalb ersteht, weil er sie für diejenige des andern ansieht, sondern weil es sich um einen Massenartikel handelt, bei dem der Käufer sich überhaupt nicht um die Herkunft kümmert, so entgeht dem ersten Hersteller nicht ein Geschäft, das sonst er hätte abschliessen
BGE 87 II 54 S. 57
können. In diesem Falle kann von einem Missbrauch fremder Leistung durch den zweiten Wettbewerber nicht die Rede sein; er nützt nicht in schmarotzerischer Weise die Bekanntheit des Erzeugnisses des andern und damit dessen guten Ruf aus.
Bei den in Frage stehenden Scharnieren handelt es sich aber gerade um einen solchen Massenartikel, wie der Kläger selber ausdrücklich anerkennt. Diesen Scharnieren geht jedes eigene Gepräge ab, das sie von andern gebräuchlichen Scharnieren unterscheiden könnte. Der Kläger macht freilich geltend, die Abmessungen seiner "ANUBA"-Bänder hätten sich wegen der Verkehrsgeltung dieses Erzeugnisses eingebürgert. Für diese Behauptung fehlt jedoch jede Substanzierung. Der grosse Verkaufserfolg, auf den der Kläger in diesem Zusammenhang hinweist, rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf das Vorliegen einer Verkehrsgeltung (
BGE 83 II 161
). Abgesehen hievon muss es als ausgeschlossen bezeichnet werden, dass ein Massenartikel wie ein derartiges Scharnier schon deshalb, weil es eine bestimmte Länge oder einen bestimmten Rollendurchmesser aufweist, vom Käufer einem bestimmten Hersteller zugeschrieben werden könnte.
Der Schluss, dass eine rechtlich erhebliche Verwechslungsgefahr im vorliegenden Falle zu verneinen sei, drängt sich um so mehr auf, als patentrechtlich ungeschützte Waren in Frage stehen. Bei solchen darf Verwechselbarkeit nicht leichthin angenommen werden. Es ist im Auge zu behalten, dass ein derart gemeinfreies Erzeugnis grundsätzlich von jedem Konkurrenten ebenfalls hergestellt werden darf. Die erlaubte Übernahme einer Konstruktion führt aber notwendigerweise auch zu Ähnlichkeiten im Aussehen und birgt daher zwangsläufig ein gewisses Mass von Verwechslungsgefahr in sich. Das muss hingenommen werden, da sonst die Monopolisierung einer gemeinfreien Ausstattung zu Gunsten eines bestimmten Betriebes zu befürchten wäre, durch welche die freie Betätigung der Mitbewerber in unbilliger Weise eingeschränkt würde
BGE 87 II 54 S. 58
(
BGE 83 II 163
f.; REIMER, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 3. Aufl. S. 408).
Ein unlauterer Wettbewerb der Beklagten ist somit schon deswegen zu verneinen, weil es entgegen der Auffassung der Vorinstanz an einer Verwechslungsgefahr im Rechtssinne fehlt.
3.
Die Klage erwiese sich übrigens auch als unbegründet, wenn man eine Verwechselbarkeit der in Frage stehenden Scharniere als gegeben ansehen wollte.
a) Wettbewerbsschutz kann bei patentrechtlich ungeschützten Erzeugnissen nicht für die technische Konstruktion, sondern nur für die äussere Ausstattung beansprucht werden, und auch für diese nur, soweit sie nicht durch die Herstellungsweise und den Gebrauchszweck des Gegenstandes bedingt ist. Aber auch die Übernahme von Ausstattungsmerkmalen, bezüglich deren eine abweichende Gestaltung ohne Änderung der technischen Konstruktion und ohne Beeinträchtigung der Brauchbarkeit an sich möglich wäre, ist gemäss ständiger Rechtsprechung wettbewerbsrechtlich nur zu beanstanden, wenn die Wahl einer andern Gestaltung dem Wettbewerber zugemutet werden durfte. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann in der eine Verwechselbarkeit bewirkenden Übernahme des betreffenden Ausstattungsmerkmals ein gegen Treu und Glauben verstossendes Verhalten erblickt werden, zu dessen Unterlassung der Konkurrent nach den Grundsätzen des lauteren Wettbewerbs verpflichtet ist. Auf eine naheliegende und zweckmässige Ausstattung zu verzichten und an deren Stelle eine weniger praktische, eine weniger solide oder eine mit grösseren Herstellungskosten verbundene Ausführung zu wählen, kann dagegen vom Konkurrenten billigerweise nicht verlangt werden (
BGE 84 II 581
ff.,
BGE 83 II 157
ff.,
BGE 79 II 319
ff.).
b) Die Vorinstanz hat erklärt, die Konstruktion der von den Parteien hergestellten Scharniere bestimme in weitestgehendem Masse ihr Aussehen. Der Kläger nimmt demgegenüber unter Hinweis auf die Ausführungen des
BGE 87 II 54 S. 59
von der Vorinstanz beigezogenen Experten den Standpunkt ein, es wäre den Beklagten möglich gewesen, in zumutbarem Rahmen ihr "MOFOR"-Band so auszustatten, dass es sich trotz den gleichen technischen Merkmalen genügend vom klägerischen Erzeugnis unterscheiden würde.
Die Frage, inwieweit die Konstruktion der Scharniere ihr Aussehen bestimme, ist jedoch tatsächlicher Natur, weshalb die Feststellungen der Vorinstanz darüber das Bundesgericht binden; das Zurückgreifen der Berufungsschrift auf gewisse Äusserungen des Experten stellt eine unzulässige Kritik der vorinstanzlichen Würdigung des Gutachtens dar. Der Hinweis des Klägers auf die Ausführungen des Experten ist übrigens unbehelflich. Dieser führt zwar aus, weder die Grösse noch die Form der Scharniere sei technisch bedingt und müsste daher nicht absolut gleich sein, so dass es durchaus möglich wäre, entsprechende Änderungen in der Form vorzusehen, dank denen man den Scharnieren ansähe, ob sie von der einen oder der andern Firma stammen. Das ist zwar richtig; dagegen muss die Rechtsfrage, ob dies auch in zumutbarem Rahmen möglich gewesen wäre, mit andern Worten ob die Beklagten dazu vom Gesichtspunkt des lauteren Wettbewerbs aus verpflichtet gewesen wären, entgegen der Meinung des Klägers verneint werden.
Die Scharniere beider Parteien sind, wie bereits erwähnt, ausgesprochene Massenartikel, deren Herstellung möglichst einfach und billig sein soll, wie auch der Kläger anerkennt. Verzierungen oder sonstige individuelle Ausgestaltungen, wie sie z.B. bei Zierbeschlägen für anspruchsvolle Bauten angebracht werden, kommen also nicht in Betracht. Gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz stehen für die Herstellung zylinderförmiger Teile Eisenstangen handelsüblicher Dimensionen zur Verfügung, während eine andere (z.B. ovale) Form nicht ohne zusätzliche Bearbeitung, also nur unter entsprechenden Mehrkosten, hergestellt werden könnte. Daraus folgert die Vorinstanz rechtlich zutreffend, die beiden Gelenkstücke
BGE 87 II 54 S. 60
könnten daher zumutbarerweise nicht anders als zylinderförmig gestaltet werden. Von den Beklagten konnte daher lediglich eine etwas abweichende Gestaltung der Scharnierköpfe verlangt werden.
Der Kläger legt nun in der Berufungsschrift verschiedene zeichnerische Vorschläge dafür vor, wie eine Ausführung hätte gestaltet werden können, die sich von seinem "ANUBA"-Band deutlich unterschieden hätte. Dies hätte der Kläger aber schon in der kantonalen Instanz vorbringen müssen; denn es handelt sich um Darstellungen rein tatsächlicher Art, mit denen er in der Berufungsinstanz ausgeschlossen ist (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Abgesehen hievon könnte übrigens den Beklagten die Wahl der vom Kläger vorgeschlagenen Ausführungsarten nicht zugemutet werden. Denn sowohl die von ihm angeregte Verlängerung der beiden Gelenkarme oder auch nur des einen von ihnen, als auch die Anbringung von ausgesprochenen Zierköpfen würde gegenüber dem einfachsten Modell eine sachlich überflüssige Ausweitung darstellen, die wegen des grösseren Materialbedarfs und zusätzlicher Arbeitsgänge in der Ausführung teurer zu stehen käme. Solche Abänderungen eines zweckbedingten Massenartikels nur zur Herbeiführung eines grösseren Unterschiedes im Aussehen sind jedoch nicht zumutbar; ihre Unterlassung bedeutet daher keine unlautere Massnahme im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
.
Soweit eine Abänderung der Scharnierköpfe zumutbar war, haben die Beklagten sie vorgenommen, indem sie statt des Scharnierkopfes in der Form eines Kegelstumpfes von 5 mm Höhe, wie ihn das klägerische Scharnier aufweist, einen kugelförmig abgeflachten von nur 2 mm Höhe gewählt haben. Als einziges Merkmal, das die Beklagten allenfalls hätten weglassen können, verbleibt lediglich die das obere Gelenkstück unterteilende Zierrinne. Diese ist jedoch nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz für den Gesamteindruck von so untergeordneter Bedeutung, dass ihre Übernahme durch die Beklagten
BGE 87 II 54 S. 61
nicht als unlautere Massnahme angesehen werden kann.
c) Der Kläger erblickt sodann ein unlauteres Verhalten darin, dass die Beklagten die Masse seiner verschiedenen Scharniergrössen sozusagen unverändert übernommen haben, ohne dass hiefür eine Notwendigkeit bestanden hätte.
Nun hat zwar das Bundesgericht im (nicht veröffentlichten) Urteil vom 8. November 1960 i.S. A/S Lego System und Kons. c. Poul Willumsen A/S und Kons. u.a. beanstandet, dass die Beklagten für die Steine eines Bauspiels genau die gleichen Ausmasse verwendeten wie die Klägerinnen. Allein der genannte Fall unterscheidet sich vom heutigen in wesentlichen Punkten. Für Spielwaren-Bausteine sind an sich alle möglichen Ausmasse denkbar, und ein schutzwürdiger Grund, das spätere Erzeugnis diesbezüglich (wie auch in Farbgebung, Verpackung u.a.m.) dem früheren genau anzugleichen, bestand nicht. Bei den heute streitigen Scharnieren handelt es sich dagegen um ein ausgesprochenes Massenfabrikat für das Baugewerbe, dessen Herstellung vernünftigerweise auf Vereinheitlichung der Ausmasse hinzielt. Zwar hat der Experte der Vorinstanz erklärt, von einer Normalisierung in dieser Hinsicht könne noch nicht gesprochen werden. Aber in der heutigen Zeit der überhandnehmenden Grossblockbauten und der Erstellung kleinerer Gebäude aus vorfabrizierten Bauelementen verläuft die Entwicklung unbestreitbar im Sinne einer Vereinheitlichung aller Bauteile und technischen Artikel. Der Kläger kann daher weder für die verschiedenen Scharniergrössen, noch für die Abmessungen der einzelnen Teile derselben ein Monopolrecht beanspruchen. Tatsächlich werden die gleichen Masse auch für andere Konkurrenzprodukte verwendet, wie z.B. für das "BAKA"-Band der Firma von Glutz-Blotzheim Nachfolger A.-G.
d) Die Vorinstanz hat den Standpunkt eingenommen, durch die Wahl der Bezeichnung "MOFOR"-Band, die sich von der Bezeichnung "ANUBA"-Band des klägerischen Erzeugnisses eindeutig unterscheide, hätten die
BGE 87 II 54 S. 62
Beklagten das ihnen Zumutbare vorgekehrt, um der durch die Ähnlichkeit der Ausstattung bewirkten Verwechslungsgefahr entgegenzutreten.
Der Kläger wirft dem Handelsgericht vor, es habe dabei übersehen, dass nach den zur Stützung seiner Auffassung angerufenen EntscheidenBGE 73 II 197Erw. 4 und
BGE 84 II 588
eine genügende Vorbeugung gegen Verwechslungen nur angenommen werden könnte, wenn die Ware und deren Verpackung durch eine eigene Marke der Beklagten deutlich gekennzeichnet wäre, was hier nicht der Fall sei.
Auch dieser Einwand ist unbehelflich. Wettbewerbsrechtlich ist es - im Unterschied zum Markenrecht - belanglos, ob die Bezeichnung im Markenregister eingetragen oder, wie hier, nur auf den zur Verpackung der Scharniere dienenden Schachteln angebracht und in der Reklame verwendet wird.
e) Die Vorinstanz hat es somit zu Recht abgelehnt, in der Herstellung und im Vertrieb des "MOFOR"-Bandes durch die Beklagten eine unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne des
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
zu erblicken.
4.
Der Kläger macht schliesslich geltend, die massgetreue Nachbildung seines Scharniers durch die Beklagten stelle eine Handlung unlauteren Wettbewerbs im Sinne der Generalklausel des
Art. 1 Abs. 1 UWG
dar, weil dank ihr die vom Kläger entwickelten besonderen Montagewerkzeuge für das Anschlagen der "ANUBA"-Bänder auch für das Anbringen der "MOFOR"-Bänder verwendet werden könnten.
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz sind in der Tat die klägerischen Werkzeuge und Lehren auch für das Anschlagen der Scharniere der Beklagten verwendbar, und die Vorinstanz nimmt weiter an, dass die Beklagten absichtlich hierauf ausgegangen seien, da die genaue Übereinstimmung der Masse nicht auf Zufall beruhen könne. Gleichwohl hat die Vorinstanz dieses Vorgehen der Beklagten mit Recht nicht als wettbewerblich
BGE 87 II 54 S. 63
unlautere Massnahme angesehen. Wie sie zutreffend hervorhebt, dürfen im Wettbewerb die Ergebnisse fremder Mühe und Arbeit, sofern sie nicht durch die Sondergesetze (PatG, MSchG, MMG) geschützt sind, grundsätzlich von jedem Konkurrenten mitbenützt werden, und solche Ausnützung verstösst daher in der Regel nicht gegen Treu und Glauben. Das Arbeitsergebnis, mag es auch mit Mühe und Kosten errungen worden sein, ist als solches noch kein wettbewerbsrechtlich schützbares Gut. Demgemäss wurde es als zulässig erachtet, dass ein Fabrikant von Rasierklingen die Masse und das Stanzbild der (spezialrechtlich ungeschützten) "Gillette"-Klinge übernahm, um seine Klingen für Gillette-Apparate verwendbar zu machen, obwohl er auf diese Weise aus der vom Gillette-Unternehmen in jahrelangen Bemühungen erzielten weiten Verbreitung seines Rasierapparates Nutzen zog (
BGE 73 II 194
ff.). Nicht anders verhält es sich im vorliegenden Fall mit der Anpassung der "MOFOR"-Scharniere an die Anschlagwerkzeuge der Klägerin.
Dass im bereits erwähnten Urteil vom 8. November 1960 i.S. Lego die massgetreue Nachahmung der Bauspiel-Steine u.a. auch deshalb als unlauter erklärt wurde, weil auf diese Weise die Steine gegeneinander ausgetauscht und miteinander kombiniert werden konnten, ist für den vorliegenden Fall nicht von Bedeutung. Denn auch in diesem Punkte ist massgebend, dass bei den Bausteinen die Abänderung der Ausmasse zumutbar gewesen wäre, was für die heute in Frage stehenden Scharniere, wie ausgeführt wurde, nicht zutrifft.
Durften die Beklagten aber ihre Scharniere so gestalten, dass sie sich mit den vom Kläger hergestellten Werkzeugen anschlagen lassen, so könnte ihnen auch kein unlauterer Wettbewerb zur Last gelegt werden, wenn die (gemäss Feststellung der Vorinstanz übrigens nicht bewiesene) Behauptung des Klägers zuträfe, dass die Beklagte 1 ihre Wiederverkäufer angewiesen habe, die Kaufsinteressenten auf die Verwendbarkeit der Anschlagewerkzeuge
BGE 87 II 54 S. 64
des Klägers für die "MOFOR"-Bänder aufmerksam zu machen. Denn aus der Freiheit der Nachahmung und des Vertriebs folgt auch die Freiheit, auf eine bestimmte Verwendungsmöglichkeit des eigenen Erzeugnisses hinzuweisen (
BGE 63 II 287
). Der Abnehmer darf lediglich nicht in den Glauben versetzt werden, das ihm angebotene Erzeugnis stamme vom gleichen Hersteller wie das dazu passende Werkzeug. Dieser Gefahr haben die Beklagten durch die Wahl einer gänzlich abweichenden Bezeichnung ihres Scharniers vorgebeugt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Juli 1960 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a704f925-14c6-4741-a43b-19f63060e8a6 | Urteilskopf
85 IV 22
7. Urteil des Kassationshofes vom 23. Januar 1959 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Röthlisberger. | Regeste
Art. 154, 242 StGB
.
Wer nachgeahmte Waren oder falsches Geld als Falsifikat einem anderen überlässt, der es vorsätzlich als echt weitergibt, ist nur strafbar, wenn er sich als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe an der Tat des andern beteiligt hat. | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 85 IV 22 S. 22
A.-
Röthlisberger bot Ende Oktober 1957 Utzinger 1690 nachgeprägte französische Zwanzigfranken-Goldmünzen, sog. Napoléons, die keinen gesetzlichen Kurswert haben, zu Fr. 33.10 das Stück an. Er liess sie von der Ersparniskasse des Amtsbezirks Wangen an die Firma MAT Transport AG in Zürich übersenden, wo Utzinger am 8. November Hundert der nachgeahmten Goldmünzen gegen Bezahlung von Fr. 3310.-- bezog. Am gleichen oder am folgenden Tag verkaufte sie Utzinger als echt an drei Zürcher Banken, die den Tageskurs von Fr. 35.- bezahlten.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte am 11. November 1958 Utzinger wegen Inverkehrbringens gefälschter Waren (
Art. 154 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
) zu einer Busse von Fr. 500.--, sprach dagegen Röthlisberger von der Anklage dieses Vergehens frei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
BGE 85 IV 22 S. 23
Obergerichts sei hinsichtlich des Freispruches aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten Röthlisberger an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, Röthlisberger habe den Tatbestand des
Art. 154 StGB
eventualvorsätzlich, zum mindesten fahrlässig erfüllt.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Röthlisberger hat Utzinger nachgemachte Goldmünzen (Napoléons) angeboten und zur freien Verfügung übergeben. Damit beging er keine nach
Art. 154 StGB
unerlaubte Handlung, denn nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz hat er die Münzen nicht als Originale, sondern als Nachprägungen verkauft. Strafbar war erst das Inverkehrbringen der Goldmünzen durch seinen Abnehmer, der sie vorsätzlich als echt weitergab. Hat demnach Röthlisberger die nachgeahmte Ware weder allein und unmittelbar als echt in den Verkehr gebracht, noch die Tat mittelbar durch Utzinger als sein willenloses oder wenigstens nicht vorsätzlich handelndes Werkzeug ausführen lassen, so ist er für den eingetretenen strafbaren Erfolg nur verantwortlich, wenn er sich als Mittäter, als Anstifter oder Gehilfe schuldig gemacht hat. Das gilt in gleicher Weise für den Tatbestand des
Art. 242 StGB
, wenn jemand falsches Geld als Falsifikat einem anderen überlässt, der es nachher als echt in Umlauf setzt. Insoweit auf die Grenzen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des ersteren in
BGE 76 IV 165
,
BGE 80 IV 265
wie im Urteil i.S. Stampanoni vom 31. Oktober 1957 nicht mit genügender Deutlichkeit hingewiesen wurde, sind diese Entscheidungen im dargelegten Sinne zu ergänzen.
2.
(Folgen Ausführungen darüber, dass hier nur Mittäterschaft oder Gehilfenschaft in Frage kommt, dass erstere mangels Beteiligung des Beschwerdegegners an der Ausführung, Entschliessung oder Planung der Verkäufe nicht vorliegt und dass vorsätzliche oder wenigstens eventualvorsätzliche Gehilfenschaft schon an der Feststellung
BGE 85 IV 22 S. 24
der Vorinstanz scheitert, wonach Röthlisberger mit der Möglichkeit des eingetretenen Erfolges nicht gerechnet hat.)
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a7095768-be8b-41a8-b29b-cdd20cf14f0d | Urteilskopf
82 III 14
5. Auszug aus dem Entscheid vom 30. April 1956 i. S. Keller. | Regeste
Beginn der Frist zum Rekurs nach
Art. 19 SchKG
.
Der Beschwerdeführer hat dafür zu sorgen, dass ihm der Entscheid bei längerer Abwesenheit vom Wohnorte gleichwohl zugestellt werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 82 III 14 S. 14
Aus dem Tatbestand:
A.-
Der Schuldner Ernst Keller beschwerte sich über die Nachpfändung eines Provisionsguthabens. Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 1. März 1956 teilweise ab. Der Entscheid wurde am 5. März 1956 in der Wohnung des Schuldners in Meilen zugestellt. Die Empfangsbescheinigung ist mit "E. Keller" unterzeichnet.
B.-
Mit einer vom 20. April 1956 datierten, in Zürich am 23. April 1956 aufgegebenen Rekursschrift verlangt der Schuldner die gänzliche Aufhebung der Nachpfändung.
Er erklärt einleitend, der kantonale Entscheid habe ihn "als mich im Auslande auf Urlaubsreise befindlich" erst am 19. April erreicht. Nach telephonischer Auskunft des
BGE 82 III 14 S. 15
Betreibungsamtes Meilen war der Entscheid wahrscheinlich der Haushälterin des Schuldners, die auch Keller heisst, übergeben worden.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Rekursfrist von zehn Tagen nach
Art. 19 SchKG
läuft von der Zustellung des kantonalen Entscheides unter Angabe der Entscheidungsgründe an (
Art. 77 OG
). Diese Zustellung fand hier an der vom Schuldner in der Beschwerde angegebenen Wohnadresse am 5. März 1956 statt. Dass die Person, die den Entscheid entgegennahm und den Empfang bescheinigte, hiezu nicht ermächtigt gewesen sei, wird nicht eingewendet. Auch sonst wird die Art und Weise der Zustellung nicht bemängelt, und es ist denn auch nicht zu finden, wieso die als Gerichtsurkunde (acte judiciaire, atto giudiziale) im Sinne der Postordnung bezeichnete Sendung nicht in richtiger Form zugestellt worden sein sollte.
2.
Der Rekurs ist somit verspätet. Übrigens wäre dem Schuldner nicht freigestanden, sich für längere Zeit vom Wohnorte zu entfernen, ohne für die Möglichkeit der Zustellung des von ihm selbst anbegehrten Entscheides auch während seiner Abwesenheit zu sorgen, sei es durch Meldung seines jeweiligen Aufenthaltsortes oder durch Bezeichnung eines Zustellungsempfängers. Vernachlässigte er diese Sorgfaltspflicht, und vereitelte er damit eine in gehöriger Weise versuchte Zustellung, so hatte er den Zustellungsversuch als Zustellung gelten zu lassen (vgl.
BGE 78 I 129
Erw. 1 a.E.; Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. März 1956 i.S. Bürgisser gegen Vormundschaftsbehörde Zürich (BGE 81 II Heft 2) mit weitern Zitaten). Indessen ist hier, wie erwähnt, die Gültigkeit der am 5. März 1956 erfolgten Zustellung gar nicht bestritten.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Auf den Rekurs wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a70d1b0d-6d21-4c18-833b-401acf2d8447 | Urteilskopf
108 V 105
27. Extrait de l'arrêt du 18 août 1982 dans la cause Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail contre Gloor et Tribunal cantonal jurassien, Chambre des assurances | Regeste
Art. 19 Abs. 2 AlVV
.
Tragweite des Vorbehaltes von
Art. 17 AlVV
. | Erwägungen
ab Seite 105
BGE 108 V 105 S. 105
Extrait des considérants:
2.
a) L'une des conditions du droit aux prestations de l'assurance-chômage est que l'assuré qui fait valoir son droit aux indemnités pour la première fois dans l'année civile doit prouver qu'au cours des 365 jours précédant sa demande, il a exercé pendant au moins 150 jours entiers une activité salariée suffisamment contrôlable, et pour laquelle il était tenu de payer des cotisations (art. 9 al. 2 AAC en relation avec les
art. 24 al. 2 let. b LAC
et 12 al. 1 OAC). L'art. 9 al. 5 AAC autorise le Conseil fédéral à prévoir, sous certaines conditions, des exceptions en faveur des catégories de personnes qui, pour des raisons particulières, ne peuvent pas prouver qu'elles ont exercé pendant une durée suffisante une activité salariée soumise à cotisation. L'autorité exécutive a fait usage de cette délégation aux art. 17 à 20 OAC.
b) Selon l'
art. 17 al. 1 OAC
, les personnes âgées d'au moins 15 ans et qui, à la fin de leur scolarité, d'une formation professionnelle acquise dans une école ou d'une formation élémentaire conforme aux usages de la branche, ne trouvent
BGE 108 V 105 S. 106
aucune activité convenable en raison de la situation économique, sont dispensées de justifier d'une activité soumise à cotisation durant une année au plus, cela depuis la fin de leur scolarité ou la fin ou l'interruption de leur formation, à condition qu'elles se mettent à l'entière disposition de l'office du travail en vue de leur placement. D'après la jurisprudence, cette dispense ne vaut que pour les jours de chômage compris dans la période de 365 jours à compter du premier jour suivant la fin de la formation (
ATF 105 V 100
). Quant au délai d'un an au plus, il court à partir du jour où l'intéressé a eu connaissance de la réussite de l'examen que l'intéressé subit normalement au terme de ses études (
ATF 106 V 234
); il ne peut être ni suspendu ni, en principe, interrompu (DTA 1980 no 35 p. 82).
Par ailleurs, l'
art. 19 OAC
a la teneur suivante:
"1 Les Suisses de retour au pays après un séjour de plus d'un an à l'étranger sont dispensés de justifier d'une activité soumise à cotisation, à condition qu'ils justifient d'une activité salariée correspondante à l'étranger et qu'ils se mettent à l'entière disposition de l'office du travail en vue de leur placement. La dispense est valable une année au plus à dater de leur retour; l'art. 17, 5e alinéa est applicable. 2 Pour les Suisses et les étrangers établis en Suisse qui séjournent une année au plus à l'étranger, en vue d'y travailler ou d'y parfaire leur formation, la période de référence de 365 jours, selon l'art. 12, 1er alinéa, est prolongée de la durée de ce séjour. La dispense de la justification d'une activité soumise à cotisation selon l'art. 17 est réservée."
3.
a) En l'espèce, il est constant que l'intimée ne peut apporter la justification requise d'une activité salariée, de sorte que seules peuvent entrer en ligne de compte les exceptions instituées par le Conseil fédéral. Or, on constate à cet égard que l'intéressée ne remplit pas les conditions de l'
art. 17 al. 1 OAC
, dans la mesure où le délai d'une année prévue par cette disposition était écoulé au moment où elle s'est annoncée pour la deuxième fois, le 8 juillet 1980, à l'assurance-chômage. De même, elle ne saurait prétendre le bénéfice de l'
art. 19 al. 1 OAC
, son séjour aux Etats-Unis s'étant étendu du 27 août 1979 au 6 juillet suivant, soit une durée inférieure à un an.
Mais les premiers juges se sont attachés à interpréter l'
art. 19 al. 2 OAC
. Selon eux, et dès lors qu'une prolongation de la période de référence de 365 jours prescrite par cette règle ne peut être envisagée, faute d'une activité salariée suffisante, le législateur a voulu réserver l'application de l'
art. 17 OAC
pour les assurés qui choisissent de se perfectionner à l'étranger plutôt que de demeurer
BGE 108 V 105 S. 107
sans emploi en Suisse. Dans cette hypothèse toutefois, il serait à leur avis choquant et illogique de faire courir le délai de libération à partir de la fin de la scolarité ou de la formation lorsque l'intéressé accomplit, comme en l'occurrence, un stage d'un peu moins d'une année, car il ne pourrait bénéficier des indemnités que pendant un court laps de temps. C'est pourquoi il y aurait lieu de fixer le point de départ de cette période au moment du retour au pays.
L'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail conteste cette interprétation, qui lui paraît trop extensive. Selon lui, la réserve de la dernière phrase de l'
art. 19 al. 2 OAC
ne signifie nullement que le délai litigieux peut être suspendu ou interrompu.
b) L'opinion du recourant doit être partagée. La construction des juges cantonaux ne peut en effet s'appuyer sur les termes de l'ordonnance sur l'assurance-chômage. L'
art. 19 al. 2 OAC
se réfère à l'
art. 12 al. 1 OAC
, lequel implique de l'assuré une activité soumise à cotisation, et rien ne permet de penser que la réserve en question autorise à proroger, dans certaines circonstances, la durée de la dispense en faveur des anciens étudiants. Le renvoi à l'
art. 17 OAC
présuppose bien plutôt que l'assuré, libéré de la preuve d'une activité salariée et ayant séjourné pendant une année au plus à l'étranger, fasse contrôler son chômage avant l'échéance de la période d'un an. Il ne faut par ailleurs pas perdre de vue, comme le relève avec raison l'autorité fédérale de surveillance, que les dispenses édictées par le Conseil fédéral constituent des exceptions au principe général posé par l'art. 9 al. 2 AAC. Or, les règles usuelles tendent à une interprétation restrictive et non pas extensive de telles dispositions (voir par exemple ATFA 1959 p. 256, DTA 1981 p. 87). C'est dire en l'occurrence qu'une prolongation de la période d'exemption dont bénéficient les personnes entrant dans la vie active - qui sont de ce fait déjà avantagées par rapport aux assurés tenus de justifier d'une activité salariée - eût nécessité une mention expresse du législateur et qu'à défaut, il n'appartient pas au juge d'assouplir encore l'application des allégements en cause par une interprétation plus large de la loi. Sans doute n'est-il pas pleinement satisfaisant de constater ici que l'intimée se trouve privée de tout droit à l'indemnité alors qu'elle aurait pu y prétendre si elle était demeurée inactive en Suisse. Mais on ne saurait pour autant en conclure que les dispositions réglementaires précitées sortent du cadre de la délégation de l'art. 9 al. 5 AAC ou qu'elles sont, pour une autre raison, contraires à la Constitution ou à la loi, circonstances qui autoriseraient le juge à
BGE 108 V 105 S. 108
s'écarter de leur texte (voir
ATF 106 V 233
et les arrêts cités,
ATF 105 Ib 370
,
ATF 104 Ib 209
).
Force est donc d'admettre que le chômage annoncé par l'intimée le 8 juillet 1980 ne pouvait donner lieu à prestations d'assurance. | null | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a70f620c-4071-47b3-a17f-38bbe6350cc4 | Urteilskopf
116 Ib 37
6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Januar 1990 i.S. Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft gegen Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen und X. sowie Mitunterzeichner (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Konzessionsverletzung durch eine Unterhaltungssendung am Fernsehen. BB über die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen vom 7. Oktober 1983, Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft vom 5. Oktober 1987.
1. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts; der Unabhängigen Beschwerdeinstanz zustehender Beurteilungsspielraum (E. 2). Zuständigkeit der Unabhängigen Beschwerdeinstanz zur Beurteilung unbezahlter Werbung nach Art. 4 und 15 der Konzession (E. 5).
2. Legitimation zur Beanstandung einer Radio- oder Fernesehsendung gemäss Art. 14 lit. a BB (E. 3, 4). Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz (E. 4).
3. Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der Objektivität einer Sendung (E. 5). Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht nach Art. 4 der Konzession, wenn heikle, mit grösstem Takt und geistigem Anspruch zu behandelnde Themen in einer Unterhaltungssendung zur Schau gestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden (E. 6, 8). | Sachverhalt
ab Seite 38
BGE 116 Ib 37 S. 38
Am 25. November 1988 strahlte das Fernsehen der deutschen und rätoromanischen Schweiz (DRS) eine Folge der Sendung "Grell-Pastell" aus, die dem Thema "Sex" gewidmet war. Die Folge bestand aus zwei Teilen: einer unterhaltenden und das Thema kaleidoskopartig abhandelnden TV-Show um 20.10 Uhr bis etwa 21.25 Uhr und einer das Thema vertiefenden Diskussion nach Mitternacht. Im Rahmen des Show-Blocks wurde unter anderem am Beispiel des "Blick" das Verhältnis der Boulevard-Presse zum Thema "Sex" dargestellt, wobei - nebst einem Gespräch zwischen dem Moderator A. und dem stellvertretenden Chefredaktor
BGE 116 Ib 37 S. 39
des "Blick" - auch drei "Seite-3-Girls" dieses Blattes Gelegenheit erhielten, sich zu Fragen im Zusammenhang mit ihrem Engagement als Pin-ups bei "Blick" zu äussern. Ferner unterhielt sich der Moderator im Show-Block zuerst mit Frau Ranke-Heinemann als Studiogast; anschliessend führte er mit Pater Trauffer als Vertreter der katholischen Kirche ein Telefongespräch.
Gegen diese Sendung reichte Frau X. am 5. Dezember 1988 im Namen von 92 Bürgerinnen und Bürgern, deren Unterschriften sie beilegte, bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (im folgenden: Unabhängige Beschwerdeinstanz) eine Beanstandung ein. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz holte zunächst eine Vernehmlassung sowie eine zusätzliche Stellungnahme bezüglich des ebenfalls beanstandeten Zeitpunktes der Ausstrahlung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft ein. Am 9. März 1989 forderte die Unabhängige Beschwerdeinstanz die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft zudem auf, über die organisatorischen Vorkehren für die Vorbereitung und während der Dauer der Sendung Auskunft zu geben.
Mit Entscheid vom 5. Juli 1989 stellte die Unabhängige Beschwerdeinstanz fest, dass die Sendung "Grell-Pastell" des Fernsehens DRS vom 25. November 1988 Art. 4 der Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft verletzt habe; die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft wurde aufgefordert, der Beschwerdeinstanz innert zwei Monaten seit Eröffnung dieses Entscheides schriftlichen Bericht über die im Sinne von Art. 22 Abs. 1 des Bundesbeschlusses über die unabhängige Beschwerdeinstanz vom 7. Oktober 1983 (BB; SR 784.45) getroffenen Vorkehren zu erstatten.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz vom 5. Juli 1989 sei aufzuheben; eventualiter sei der Entscheid aufzuheben und die Programmbeanstandung zur Neubeurteilung an die Unabhängige Beschwerdeinstanz zurückzuweisen; der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut und stellt fest, dass die Sequenz über "Blick" in der Sendung "Grell-Pastell" vom 25. November 1988 keine Konzessionsverletzung darstellt. Im übrigen weist es die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
BGE 116 Ib 37 S. 40
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden (
Art. 104 lit. a OG
).
Soweit das Bundesgericht prüft, ob der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt, stellt sich ihm dieselbe Rechtsfrage, die von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz zu entscheiden war, nämlich, ob mit der beanstandeten Sendung die Konzession der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft verletzt worden ist. Dabei haben Bundesgericht und Unabhängige Beschwerdeinstanz in gleicher Weise zu beachten, dass
Art. 55bis Abs. 3 BV
- im Rahmen der in Abs. 2 aufgestellten Erfordernisse - die Autonomie in der Gestaltung der Programme garantiert.
Die Beschwerdeinstanzen, die eine Sendung auf Konzessionsverletzungen zu überprüfen haben, können auf zwei verschiedene Arten vorgehen. Sie können die Programmautonomie des Veranstalters bereits berücksichtigen, indem sie ihrerseits einen grosszügigen Massstab anlegen. Sie können aber auch in einem ersten Schritt die Sendung auf allfällige Mängel untersuchen und in einem zweiten Schritt prüfen, ob diese Mängel unter Berücksichtigung der dem Veranstalter und den Medienschaffenden eingeräumten Gestaltungsfreiheit eine Konzessionsverletzung darstellen (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989 i.S. Einwohnergemeinde Zug, E. 1d). Bei der Grenzziehung zwischen dem, was im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit noch erlaubt ist und was gegen die Konzession verstösst, kann sich für die Unabhängige Beschwerdeinstanz ein Beurteilungsspielraum ergeben, dem das Bundesgericht Rechnung zu tragen hat.
b) Gerügt werden kann ferner die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhaltes (
Art. 104 lit. b OG
). Die Feststellung des Sachverhalts bindet das Bundesgericht, wenn Rekurskommissionen oder kantonale Gerichte als Vorinstanzen entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt haben (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Die Unabhängige Beschwerdeinstanz trifft ihre Feststellungen über behauptete Konzessionsverletzungen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft, entgegen ihrem Namen, nicht auf Beschwerde hin, sondern in erster Instanz.
Art. 105 Abs. 2 OG
findet folglich nicht Anwendung,
BGE 116 Ib 37 S. 41
und das Bundesgericht kann die Feststellung des Sachverhaltes von Amtes wegen überprüfen (
BGE 114 Ib 337
E. 1c, mit Hinweis; Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989 i.S. Einwohnergemeinde Zug, E. 1c).
3.
a) In formellrechtlicher Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin zunächst, die Unabhängige Beschwerdeinstanz sei auf die Beanstandung eingetreten, ohne die Eintretensvoraussetzungen (Legitimation) zu überprüfen. Ein Missbrauch des Instrumentes der Beanstandung durch Vortäuschung der Legitimation im Sinne von Art. 14 lit. a BB sei nicht ausgeschlossen. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz hätte deshalb von mindestens 20 Personen die Bestätigung einholen müssen, dass sie die Beanstandung sowohl unterstützen als auch ihrerseits die Voraussetzungen bezüglich Alter, Bürgerrecht oder Niederlassung erfüllen.
b) Nach Art. 14 lit. a BB kann jeder mindestens 18 Jahre alte Schweizer Bürger oder Ausländer mit Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung eine Beanstandung einreichen, wenn diese von weiteren 20 mindestens 18 Jahre alten Schweizer Bürgern oder Ausländern mit Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung unterstützt wird.
Im vorliegenden Fall ergaben sich weder aus den Vorbringen der Verfahrensbeteiligten noch aufgrund der Akten konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchlich erhobene Beanstandung, welche die Unabhängige Beschwerdeinstanz hätten veranlassen müssen, die in Art. 14 lit. a BB verlangten Voraussetzungen näher abzuklären. In einer Eingabe vom 15. Oktober 1989 an die Unabhängige Beschwerdeinstanz haben zwei der Mitunterzeichner, Y. und Z., die Umstände der Unterschriftensammlung dargelegt: Anlässlich eines Urnenganges in der Gemeinde K. seien die Stimmbürger durch ein in der Vorhalle angebrachtes Plakat auf ein dort aufgelegtes Schreiben an die Unabhängige Beschwerdeinstanz betreffend die Sendung "Grell-Pastell" aufmerksam gemacht worden; die Mitunterzeichner des Schreibens vom 29. Oktober 1988, alles stimmberechtigte Schweizer Bürger, hätten die Gelegenheit benutzt, ohne auf irgendwelche Weise beeinflusst oder dazu angehalten worden zu sein, ihren Unwillen über die umstrittene Sendung mit ihrer Unterschrift, auf dafür bereitliegenden Papierbogen, zum Ausdruck zu bringen.
Was die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang noch weiter vorbringt, insbesondere ihre Berufung auf einen Zeitungsartikel, vermag nichts daran zu ändern, dass die Legitimationserfordernisse
BGE 116 Ib 37 S. 42
des Art. 14 lit. a BB zwar vielleicht nicht in der Person aller 92 Mitunterzeichner, jedenfalls aber, wie durch diese Bestimmung gefordert, bei mindestens 20 Mitunterzeichnern erfüllt sind.
4.
a) In formellrechtlicher Hinsicht bestreitet die Beschwerdeführerin ferner, dass die von X. eingereichte Beanstandung die Anforderungen von Art. 15 Abs. 2 BB erfülle. Bei der Eingabe habe es sich eigentlich um eine Strafanzeige gehandelt, die von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz an die zuständigen Behörden hätte weitergeleitet werden müssen. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz sei zudem in unzulässiger Weise über den durch die Beanstandung festgelegten Streitgegenstand hinausgegangen, indem sie die in der Eingabe nicht beanstandete Sequenz über den "Blick" beurteilt und auch in dieser Beziehung eine Konzessionsverletzung festgestellt habe.
b) Nach Art. 15 Abs. 2 BB muss die Beanstandung die Sendung genau bezeichnen und mit kurzer Begründung angeben, wodurch Programmbestimmungen der Konzession verletzt worden sind. Gemäss Art. 17 und 21 BB stellt die Beschwerdeinstanz in ihrem Entscheid fest, ob eine oder mehrere beanstandete Sendungen Programmbestimmungen der Konzession verletzt haben (Art. 21 Abs. 1 BB). Sie ist an die Vorbringen der Parteien nicht gebunden (Art. 21 Abs. 2 BB).
c) Aus der Eingabe von X. geht hervor, dass die Unterzeichner die darin genannte Sendung als mit der Rolle des Fernsehens unvereinbar und damit konzessionswidrig halten. Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass es sich dabei um eine rechtswirksame Beanstandung im Sinne von Art. 15 Abs. 2 BB handelt, welche geeignet ist, vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz ein Verfahren zu veranlassen. Wohl weist die Eingabe auch Züge einer Strafanzeige auf, zu deren Behandlung die Unabhängige Beschwerdeinstanz nicht zuständig ist (VPB 1986 Nr. 52 S. 345 E. 4). Das ändert jedoch nichts an ihrer Zuständigkeit, die Eingabe als Beanstandung zu behandeln.
d) Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin sodann darin, dass die Unabhängige Beschwerdeinstanz sich darauf zu beschränken habe, die Frage einer Verletzung der Programmbestimmungen der Konzession einzig aufgrund der Vorbringen der Beschwerdeführer zu prüfen. Diese Auffassung ist mit dem klaren Wortlaut der erwähnten Verfahrensbestimmungen nicht vereinbar. Soweit eine Sendung thematisch, das heisst vom behandelten Gegenstand her, in sich ein geschlossenes Ganzes bildet, ist die
BGE 116 Ib 37 S. 43
Unabhängige Beschwerdeinstanz nach Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 17 BB befugt, die Frage der Verletzung der Programmbestimmungen der Konzession unter jedem aufgrund der Aktenlage in Betracht fallenden Gesichtspunkt zu prüfen, und nicht nur beschränkt auf die Vorbringen in der ihr unterbreiteten Beanstandung.
e) Auch wenn gemäss Art. 26 BB in Verbindung mit Art. 3 lit. ebis VwVG das Verwaltungsverfahrensgesetz für das Verfahren über die Beanstandung von Radio- und Fernsehsendungen vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz nicht anwendbar ist, gelten im Verfahren vor dieser dennoch die aus
Art. 4 BV
abgeleiteten minimalen Garantien gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Insbesondere besteht ein Anspruch auf rechtliches Gehör.
Art. 4 BV
gibt den Beteiligten grundsätzlich Anspruch auf Akteneinsicht und auf Anhörung durch die entscheidende Behörde, bevor ein für sie nachteiliger Entscheid gefällt wird. Die Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich nach der Situation und Interessenlage im Einzelfall. Einerseits dient dieser Anspruch der Sachaufklärung, anderseits stellt er ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht dar (
BGE 113 Ia 288
E. 2b). Die Behörde hat das rechtliche Gehör vor allem zu gewähren, wenn sie im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen Beweise erhebt (vgl.
BGE 112 Ia 5
); ebenso besteht der Anspruch besonders dann, wenn sie ihrem Entscheid einen von der betroffenen Partei nicht voraussehbaren Rechtsgrund unterlegt (vgl.
BGE 115 Ia 96
E. 1b).
Aufgrund der eingereichten Beanstandung musste die Beschwerdeführerin als Gegenpartei im vorinstanzlichen Verfahren keinesfalls damit rechnen, die Unabhängige Beschwerdeinstanz würde die mit keinem Wort und auch nicht dem Sinne nach in der Beanstandung erwähnte Sequenz über den "Blick" zum Gegenstand ihrer Beurteilung machen. Die Beschwerdeführerin hatte umso weniger Grund, dies anzunehmen, als die Unabhängige Beschwerdeinstanz selber mit den eingangs erwähnten Instruktionsmassnahmen in der Folge das Verfahren, soweit es für die Verfahrensbeteiligten und damit auch für die Beschwerdeführerin feststellbar war, auf die in der Beanstandung vorgetragenen Punkte beschränkte. Die Beschwerdeführerin hatte im vorinstanzlichen Verfahren nie die Gelegenheit, sich mit dem erst im angefochtenen Entscheid erhobenen Vorwurf auseinanderzusetzen, mit der "Blick"-Sequenz sei die Sendung als werbespotähnliche Plattform
BGE 116 Ib 37 S. 44
für eigene Zwecke des "Blick" beziehungsweise der "Seite-3-Girls" missbraucht worden.
Die Unabhängige Beschwerdeinstanz verletzte somit in dieser Beziehung den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör. Da diese sich aber in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch dazu umfassend - rechtlich und tatsächlich - äussern konnte und das Bundesgericht die Feststellung des Sachverhalts durch die Unabhängige Beschwerdeinstanz frei überprüft (E. 2b), kann die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör praxisgemäss als geheilt gelten (
BGE 112 Ib 175
E. 5e,
BGE 110 Ia 82
E. 5d,
BGE 107 V 249
E. 3, 103 V 131 E. 1,
BGE 99 V 60
).
5.
a) Die Beschwerdeführerin strahlte die beanstandete Sendung am 25. November 1988 aus. Folglich beurteilt sich ihre Verträglichkeit mit den Programmbestimmungen nach der seit dem 1. Januar 1988 geltenden Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft vom 5. Oktober 1987 (Konzession; BBl 1987 III 813), welche die frühere Konzession der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft vom 27. Oktober 1964/22. Dezember 1980 (BBl 1981 I 285) abgelöst hat. Gemäss Art. 13 Abs. 1 der alten Konzession haben die Programme eine objektive, umfassende und rasche Information zu vermitteln; sie sollen die nationale Einheit und Zusammengehörigkeit stärken. Das Gebot der Objektivität verlangt nach der Praxis, dass sich der Hörer oder Zuschauer durch die in einer Sendung vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über einen Sachverhalt machen kann und damit in die Lage versetzt wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das setzt Ausgewogenheit voraus (Urteil des Bundesgerichts vom 17. Oktober 1980, ZBl 83/1982 S. 219 ff.).
Diese Erfordernisse ergeben sich neuerdings aus Abs. 2 des in der Volksabstimmung vom 2. Dezember 1984 angenommenen
Art. 55bis BV
, wonach Radio und Fernsehen zur kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung sowie zur Unterhaltung der Zuhörer und Zuschauer beizutragen haben. Radio und Fernsehen berücksichtigen die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck. Diese Verfassungsvorschrift wurde inhaltlich in Art. 4 der neuen Konzession übernommen, war aber schon unter der alten Konzession wirksam. Massgebend waren und sind die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der im
BGE 116 Ib 37 S. 45
Meinungsbildungsprozess möglichen Objektivität (Urteil vom 23. Juni 1989 in Sachen Einwohnergemeinde Zug, S. 7 f.). Ferner ist nicht nur die Pflicht zur Wahrhaftigkeit der vorgetragenen Fakten zu respektieren, sondern es ist auch die nötige Sorgfalt zu wahren bei der Art und Weise, wie die Fakten und die darüber bestehenden Meinungen präsentiert werden. Neben der Würdigung jeder einzelnen Information für sich allein muss auch der allgemeine Eindruck beurteilt werden, der sich aus einer Sendung als Ganzes ergibt (
BGE 114 Ib 206
E. 3a).
Bei dieser Rechtslage bestreitet die Beschwerdeführerin zu Unrecht die Zulässigkeit von Programmbestimmungen in der Konzession und deren Konkretisierung durch die Unabhängige Beschwerdeinstanz. Diese hat vielmehr in ihrer Praxis den Programmauftrag, wie er in Art. 4 der neuen Konzession umschrieben ist, im Sinne der sich aus
Art. 55bis Abs. 2 BV
ergebenden verfassungsrechtlichen Richtlinien einerseits und im Rahmen der in Abs. 3 der gleichen Bestimmung garantierten Programmautonomie anderseits auszulegen und anzuwenden.
b) Die Unabhängige Beschwerdeinstanz betrachtete die Sequenz über den "Blick" als werbende Selbstdarstellung der Zeitung. Zur Beurteilung der Zulässigkeit der Werbung sind die Kompetenzen der Unabhängigen Beschwerdeinstanz von jenen des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements zu unterscheiden, wenn es sich um eine Ausstrahlung innerhalb des Programmteils handelt. Steht dabei die Verletzung finanz- und betriebsrechtlicher Vorschriften in Frage, so ist das Departement zum Entscheid zuständig (Urteil des Bundesgerichts vom 10. Juni 1988 i.S. Radio Basilisk, E. 2b). Ist die im Programmteil ausgestrahlte (unbezahlte) Werbung jedoch geeignet, die Programmvorschriften der Konzession zu verletzen, stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit der Unabhängigen Beschwerdeinstanz.
Aus dem Werbeverbot in Art. 15 der Konzession lässt sich für den Programmauftrag in Art. 4 der Konzession ableiten, dass die Programme nicht zu unbezahlter Werbung missbraucht werden dürfen. Das Programm dient der Information und Unterhaltung, nicht aber der Werbung. Es würde die Konzession verletzen, wenn die Programmgestalter zuliessen, dass Programme als Plattform für (unbezahlte) Werbung benützt werden. Ob solches zutrifft, gehört zur Programmbeurteilung. Mit dem Bundesbeschluss sollte die Programmbeurteilung der Verwaltungsbehörde (dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement)
BGE 116 Ib 37 S. 46
entzogen werden. Zuständig zur Feststellung von Konzessionsverletzungen durch unbezahlte indirekte Werbung ist deshalb die Unabhängige Beschwerdeinstanz. Da es sich bei der umstrittenen Sequenz über den "Blick" höchstens um unbezahlte Werbung handelte, hatte die Unabhängige Beschwerdeinstanz darüber zu entscheiden.
6.
Ein Verstoss gegen die Programmforderungen, wie sie sich aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der neuen Konzession ergeben und wie sie die Rechtsprechung schon unter der alten Konzession umschrieben hat (E. 5a), setzt stets eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht seitens der Medienschaffenden voraus, dies zwar nicht im Sinne eines subjektiv vorwerfbaren Verhaltens, jedoch im Sinne eines objektiven Verstosses gegen die Pflicht zu Sorgfalt und Lauterkeit (CORBOZ, Le contrôle populaire des émissions de la radio et de la télévision, in: Mélanges Robert Patry 1988, S. 292). Qualität und Mass dieser journalistischen Sorgfaltspflicht können nicht allgemein formuliert werden, sondern nur unter Berücksichtigung des Charakters und der Eigenheiten des Sendegefässes. Das hat die Rechtsprechung beispielsweise in bezug auf tägliche Nachrichtensendungen anerkannt (
BGE 114 Ib 208
E. 3e). Wo es um Informationssendungen geht, gelten bezüglich Objektivität und sachgerechter Darstellung besondere Anforderungen (VPB 1986 Nr. 80 S. 485 E. 2 mit Hinweisen und Nr. 81 S. 489 E. 8;
BGE 114 Ib 206
ff. E. 3a-e; ZBl 83/1982 S. 225 ff. E. 4). Die persönlichen Meinungsäusserungen zugezogener Sendungsteilnehmer (Studiogäste) dagegen unterliegen konzessionsrechtlich nicht jenen Massstäben, wie sie für Aussagen des Mediums selber gelten (VPB 1986 Nr. 52 S. 347 E. 6 am Anfang). Hier sind, von der Natur der Sache her, andere Erfordernisse verlangt. Wo nicht die Medienschaffenden die Fachleute und Hauptauskunftquellen sind, sondern eingeladene Sendungsteilnehmer, gebietet die journalistische Sorgfaltspflicht unter anderem eine umsichtige Vorbereitung der Sendung (zum Beispiel genügende Vorarbeiten technischer, personeller und konzeptioneller Art, wenn nötig rechtzeitige und ernsthafte Einladung, in zumutbarem Rahmen Gegenposition zu vertreten) und, sofern notwendig, die Intervention im Laufe der Sendung (VPB 1986 S. 490 f. E. 9a, c). Bei direkt übertragenen Diskussionssendungen bestehen gewisse Risiken, die sich nicht ganz vermeiden lassen; heikle oder brennende Themen sollen deshalb aber nicht vom Fernsehen verbannt werden (VPB 1986 Nr. 81 S. 491 E. 9e). Hat sich indessen ein von aussen beigezogener
BGE 116 Ib 37 S. 47
Sendungsteilnehmer in offensichtlich unzulässiger Weise geäussert oder verhalten, so hat der Veranstalter noch in der Sendung für Ausgleich oder Richtigstellung zu sorgen. Auf welche Weise der Veranstalter eingreift, liegt in seinem, ihm durch die Programmautonomie gewährleisteten Handlungsspielraum. Konzessionsrechtlich erforderlich ist, dass Ausgleich oder Richtigstellung in der Gesamtwirkung der Sendung effektiv zum Ausdruck gelangen und dass er die Waffengleichheit unter den beigezogenen Diskussionsteilnehmern gewährleistet, also nicht zum Beispiel die eine Seite ungebührlich bevorteilt und die andere Seite der Lächerlichkeit preisgibt (in diesem Sinne das bereits erwähnte Urteil vom 25. November 1988 in Sachen EOS).
7.
a) Bezüglich der "Blick"-Sequenz sieht die Unabhängige Beschwerdeinstanz eine Konzessionsverletzung darin, dass der Moderator nicht reagierte, als die Sendung zu einer werbenden Selbstdarstellung des "Blick" bzw. der drei "Seite-3-Girls" zu entgleiten drohte. Es gehe nicht an, einer Zeitung im Rahmen einer Programmsendung eine Plattform zu bieten, von der aus sie, weitgehend unwidersprochen, einen Teil ihres redaktionellen und journalistischen Selbstverständnisses werbespotähnlich präsentieren könne.
b) Tatsächlich hat der von drei "Blick"-Girls begleitete stellvertretende Chefredaktor den zur Diskussion stehenden Aspekt journalistischer Strategie seines Blattes in einer Weise unter das Publikum gebracht, dass die Sequenz wohl zu einer effektvollen Selbstdarstellung des "Blick" geriet. Ein entschiedeneres und früheres Eingreifen wäre sicherlich wünschbar gewesen. Wie die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der Objektivität (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989 i.S. Einwohnergemeinde Zug, S. 11 f.), darf aber auch die Verpflichtung zur Intervention nicht derart streng gehandhabt werden, dass die Freiheit und Spontaneität der Programmgestalter verloren gehen, zumal es die besonders schwierigen Randbedingungen einer Publikums-Direktsendung zu berücksichtigen gilt. Ob der "Blick" sich in dieser Sendung wirklich werbewirksam darstellen konnte, ist zudem fraglich. Praxisgemäss verbietet es sich jedenfalls, bereits einzugreifen, wenn eine Sendung nicht in jeder Hinsicht zu befriedigen vermag (Urteil i.S. Einwohnergemeinde Zug, S. 12).
Die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der Konzession festgelegten Programmanforderungen sind somit nicht verletzt. Das angefochtene
BGE 116 Ib 37 S. 48
Urteil der Unabhängigen Beschwerdeinstanz ist deshalb aufzuheben, soweit darin festgestellt wird, die Sequenz über den "Blick" habe die Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft verletzt.
8.
a) In Bezug auf die Sequenz mit Frau Ranke-Heinemann ist einzuräumen, dass an Radio und Fernsehen auch extreme Meinungen geäussert werden dürfen, die nur von wenigen geteilt werden. Es dürfen also auch Personen in Sendungen auftreten, von welchen bekannt ist, dass sie provozieren oder ihre Anliegen polemisch vertreten. Ferner weckt das Konzept einer Sendung wie "Grell-Pastell", welches mit dem Anspruch auftritt, als Informations- und Diskussionsforum mit Unterhaltungscharakter schwergewichtige Themen in lockerer Form und unter Einbezug des Publikums aufzuarbeiten, an sich konzessionsrechtlich keine Bedenken. Bezieht aber der Veranstalter so ausgesprochen heikle und empfindliche Themen wie zum Beispiel die katholische Sexuallehre in eine Sendung unterhaltenden Charakters mit ein, so ergeben sich daraus qualifizierte Anforderungen an die Sorgfaltspflichten bezüglich Konzeption und Moderation der Sendung.
b) Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin allein mit der Einladung von Frau Ranke-Heinemann in "Grell-Pastell" die Konzession nicht verletzte. Auch ist der Veranstalterin zugute zu halten, dass der angegriffenen Institution, hier der katholischen Kirche, durch einen Vertreter, Pater Trauffer von der Schweizerischen Bischofskonferenz, Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, welche dieser auch wahrnahm. Insbesondere hatte Pater Trauffer in der umstrittenen Passage das letzte Wort, und nach seinen telefonischen Ausführungen wurden beim anwesenden Publikum doch Stille und eine gewisse Nachdenklichkeit spürbar. Dieser Versuch zu einem Ausgleich reicht indessen unter den vorliegenden Umständen nicht aus, um dem Vorwurf der Konzessionsverletzung zu entgehen.
Denn es darf nicht - und dies ist entscheidend - die Art und Weise ausser acht gelassen werden, wie sich die beanstandete Sendung, zumindest bis zur Sequenz mit Frau Ranke-Heinemann, abwickelte. Die Sendung verlief von Anfang an so leichtgeschürzt und in einer - am Fernsehen DRS sonst ungewohnten - Atmosphäre banalen Sexamüsements, dass in diesem Rahmen eine sachliche Diskussion über heikle Lebensfragen und ethisch-religiöse Grundwerte nicht möglich war. Aufgrund der Sendungsvorbereitungen war den Programmschaffenden klar, dass sich Frau
BGE 116 Ib 37 S. 49
Ranke-Heinemann zu der auch innerhalb der katholischen Kirche kontrovers diskutierten und umstrittenen Sexuallehre äussern würde. Aus ihren Schriften war ferner bekannt, dass sie sich in äusserst polemischer Art auszudrücken pflegt. Das ist denn auch in der Sendung geschehen. Dabei ging es aber um ein für viele Katholiken zentrales Glaubensanliegen. So bedeutungsvolle Fragen können nicht gleichsam zur Schau gestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Im Rahmen dieser Sendung Frau Ranke-Heinemann gleichwohl auftreten zu lassen, konnte zu nichts anderem beitragen, als die unversöhnliche, allen anderen Auffassungen gegenüber völlig rücksichtslose Stimmung des Publikums noch mehr anzuheizen. Daher bleibt im Gesamteindruck der Sendung die kabarettistisch wirkende Verunglimpfung von Institution und Oberhaupt der katholischen Kirche haften, woran die Intervention des Pater Trauffer nichts ändert. Wenn aber schon die Beschwerdeführerin die katholische Morallehre in eine dem Thema Sex gewidmete "Grell-Pastell"-Sendung aufnahm, dann hätte dies in einem Rahmen und unter organisatorischen Vorkehren geschehen müssen, welche diesem Gegenstand angemessen waren.
c) Vorliegend wäre das mit einem Auftritt der Frau Ranke-Heinemann im zweiten Sendeteil ohne weiteres oder - bei besserer Strukturierung des Showteiles, welcher diesfalls verschiedene, je themengerechte, auffangende Stilebenen der Darstellung und des Gespräches umfasst hätte - auch vorher möglich gewesen. So wie die Sendung aber vorliegend konzipiert war, ist es unerfindlich, warum das heikelste, mit grösstem Takt und geistigem Anspruch zu behandelnde Thema mitten in den Show-Teil plaziert wurde. Das ist konzessionsrechtlich unhaltbar. Das führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit diese die Sequenz mit Frau Ranke-Heinemann betrifft. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
a71052cb-5c94-4d7b-900f-dac9999245f1 | Urteilskopf
106 II 131
24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Juni 1980 i.S. Konkursmasse der B. AG und Mitbeteiligte gegen A. (Berufung) | Regeste
Art. 39 OR
.
Der Billigkeitsentscheid des
Art. 39 Abs. 2 OR
ist nicht ein Entscheid nach Belieben des Richters. Er hat in Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände zu ergehen (E. 5c). | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 106 II 131 S. 131
A.-
A. war während 18 Jahren in einer Sattlerei angestellt. Auf den 1. Januar 1970 kaufte er von X. das Geschäftsinventar und am 8. Juli 1970 schloss er mit der Erbengemeinschaft Z. einen Mietvertrag über das Werkstattgebäude. Die Vertragsdauer wurde mit 15 Jahren, der jährliche Mietzins mit Fr. 3'600.-- vereinbart. Für die sieben Mitglieder der Erbengemeinschaft unterzeichneten die Miterben X. und Y. den Vertrag. Die Erbengemeinschaft verkaufte das Mietobjekt im April 1972 frei von Mietverträgen an die B. AG. Sie hatte A. zuvor mit dem Hinweis gekündigt, es fehle an einem rechtsgültigen Mietvertrag.
Am 13. Mai 1975 schloss die B. AG mit A. eine Vereinbarung. Darin versprach der Mieter die Räumung des Mietobjektes bis zum 5. Juni 1975. Die B. AG bezahlte ihm Fr. 50'000.-- und übernahm die allfällige Schuld der Erbengemeinschaft Z. oder von X. und Y. wegen der Nichtüberbindung des Mietvertrags
BGE 106 II 131 S. 132
bzw. aus dessen Abschluss. Zur Sicherung hatte die B. AG ein Sperrkonto über Fr. 80'000.-- zu errichten. Im übrigen sollten die Ansprüche des Mieters auf Klage der B. AG prozessual abgeklärt werden, wobei die bezahlten Fr. 50'000.-- und die garantierten Fr. 80'000.-- entsprechend dem Prozessausgang zurückbezahlt oder beansprucht werden sollten. Die Stiftung C., der die Liegenschaft im März 1975 verkauft worden war, trat dieser Vereinbarung nachträglich bei und leistete anstelle der insolvent gewordenen B. AG die Garantie.
B.-
Im Oktober 1975 erhoben die Konkursmasse der B. AG und die Stiftung C. gegen A. Klage. Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies das Begehren auf Rückzahlung der Fr. 50'000.-- an die Klägerin 1 am 19. Dezember 1978 ab. Hingegen wurde ein zweites Rechtsbegehren in dem Sinn teilweise gutgeheissen, dass die Klägerin 2 aus ihrer Garantieerklärung vom Beklagten für Fr. 20'000.-- in Anspruch genommen werden kann, während dieser die restliche Garantie über Fr. 60'000.-- zurückzugeben hat.
Das Bundesgericht heisst die von den Klägerinnen erklärte Berufung teilweise gut, hebt das Urteil des Handelsgerichts auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Damit steht die Schadenersatzpflicht von X. und Y. bzw. der Klägerinnen fest. Nach
Art. 39 Abs. 1 OR
hat der Beklagte Anspruch auf Ersatz des negativen Vertragsinteresses (
BGE 90 II 413
E. 5a). Die Vorinstanz anerkennt unter diesem Titel drei Positionen von insgesamt Fr. 11'581.--; dieser Betrag ist unbestritten.
Streitig sind dagegen die Fr. 58'419.--, die das Handelsgericht in Anwendung von
Art. 39 Abs. 2 OR
als Ersatz weiteren Schadens zugesprochen hat. Nach dieser Bestimmung kann der Richter bei Verschulden des Vertreters, sofern es der Billigkeit entspricht, auch das positive Vertragsinteresse zusprechen. Damit kann der Beklagte im günstigsten Fall so gestellt werden, wie wenn der Vertrag mit ihm erfüllt worden wäre (BUCHER, OR, S. 589; VON TUHR/PETER, OR, S. 403).
a) (Ausführungen über das Verschulden der beiden vollmachtlosen Vertreter.)
BGE 106 II 131 S. 133
b) Erst wenn der Nachweis eines Schadens erbracht ist, stellt sich überhaupt die Frage, inwieweit er nach Billigkeit zu ersetzen sei. Der Beklagte behauptet einen Schaden von insgesamt Fr. 205'001.--. Nach dem angefochtenen Urteil ist diese Berechnung von den Klägerinnen nicht genügend substanziert bestritten worden, weshalb darüber auf Grund der Akten zu entscheiden sei. Es kann offenbleiben, ob dies zutrifft und vor Bundesrecht standhält, denn jedenfalls hat das Handelsgericht in keiner Weise über das streitige Schadensquantitativ befunden. Es begnügt sich mit den Hinweisen, dass der Umzug der Sattlerei 1970 mit kleinerem Aufwand verbunden und die Umbauten billiger gewesen wären als fünf Jahre später und dass der Schadensberechnung ein zu hoher Mietzins für das Ersatzobjekt zugrunde liege. "Bei Berücksichtigung aller dieser Umstände" rechtfertige es sich, "den Umfang des zu ersetzenden Schadens" auf Fr. 70'000.-- statt der geforderten Fr. 205'001.-- festzusetzen. Damit ist weder erklärt, wie die Vorinstanz auf diesen Betrag kommt, noch dargelegt, ob damit der Schaden des Beklagten voll oder teilweise gedeckt werde. Erst recht entspricht dieser Entscheid nicht allein schon deshalb der Billigkeit, weil statt der begehrten Fr. 205'001.-- nur Fr. 70'000.-- zugesprochen wurden.
c) Der Billigkeitsentscheid des
Art. 39 Abs. 2 OR
ist nicht ein Entscheid nach Belieben des Richters. Er hat vielmehr in Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände zu ergehen (
BGE 70 I 219
; MEIER-HAYOZ, N. 46 und 48 zu
Art. 4 ZGB
; DESCHENAUX, in Schweizerisches Privatrecht II, S. 131 f. und 139 f.). An die Begründung derartiger Ermessensentscheide sind sogar höhere Anforderungen zu stellen als bei gewöhnlichen Entscheidungen (
BGE 104 Ia 213
). Ob das Ergebnis Recht und Billigkeit entspricht, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung von Tatsachen und unterliegt daher im Berufungsverfahren der freien Prüfung durch das Bundesgericht (MEIER-HAYOZ, N. 76 zu
Art. 4 ZGB
; DESCHENAUX, a.a.O., S. 142; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 118). Eine solche Prüfung ist jedoch auf Grund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ausgeschlossen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Vervollständigung des Sachverhalts an das Handelsgericht zurückzuweisen (
Art. 64 Abs. 1 OG
). Dieses wird nicht nur die erforderlichen Feststellungen zur Schadenshöhe treffen, sondern auch darlegen müssen, wieweit
BGE 106 II 131 S. 134
und aus welchen Gründen dessen Ersatz der Billigkeit entspricht. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass der Beklagte während etwa fünf Jahren von den ausgesprochen vorteilhaften Bedingungen des ungültigen Mietvertrages profitiert hat. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7123611-6d1b-4610-b7bf-56379e6765c2 | Urteilskopf
95 I 130
19. Auszug aus dem Urteil vom 12. März 1969 i.S. Baselgia gegen Stadtgemeinde Ilanz und Grosser Rat des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 4 BV
. Vermögensgewinnsteuer.
Eine (kommunale) Ordnung, nach welcher auch dann, wenn die Anlagekosten bekannt sind, die Differenz zwischen dem Veräusserungserlös und dem bisherigen Vermögenssteuerwert (mit gewissen Zuschlägen bei Grundstücken) den steuerbaren Vermögensgewinn darstellt, lässt sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen, führt zu rechtsungleicher Behandlung der Steuerpflichtigen und verstösst daher gegen
Art. 4 BV
(Erw. 6).
Dagegen ist es nicht erforderlich, dass die Geldentwertung bei der Berechnung des steuerbaren Gewinns auf Grundstücken berücksichtigt wird (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 95 I 130 S. 131
A.-
Nach dem bündn. Steuergesetz vom 16. Dezember 1945 (StG), das bis Ende 1964 galt, unterlagen realisierte Kapitalgewinne einer Vermögensgewinnsteuer, die auf der Differenz zwischen dem Veräusserungspreis und den Anlagekosten erhoben wurde (Art. 42-49).
Am 7. März 1955 erliess die Stadtgemeinde Ilanz ein Gemeindesteuergesetz (GStG), das ebenfalls eine Vermögensgewinnsteuer vorsieht und sie in Art. 12 wie folgt regelt:
"Die Erhebung der Vermögensgewinnsteuer erfolgt sinngemäss nach den Vorschriften des kant. Steuergesetzes Art. 42 bis 50 mit folgenden Abweichungen:
1. Der steuerbare Gewinn ermittelt sich aus der Differenz des Erlöses und dem Anlagewert. Als Anlagewert gilt für landwirtschaftliche Grundstücke der um 20%, für nichtlandwirtschaftliche Grundstücke der um 10% erhöhte, im übrigen der durchschnittliche Vermögenssteuerwert des veräusserten Objektes in den letzten drei Veranlagungs-Perioden, gleichgültig, ob das letztere seinerzeit käuflich erworben oder ererbt wurde.
2. Ist der durchschnittliche Steuerwert der letzten drei Veranlagungsperioden nicht feststellbar, so gilt als Ersatzwert eine nach den Bewertungs-Vorschriften der Vermögenssteuer vorgenommene Schatzung der Stadtsteuer-Kommission.
3. Wurde in den letzten drei Veranlagungsperioden infolge wertvermehrender Aufwendungen der Steuerwert einer Liegenschaft erhöht, so ist auf den Ersatzwert abzustellen.
4. Die Geldentwertung wird bei der Feststellung des steuerbaren Gewinnes nicht berücksichtigt.
5. (Steuerermässigung mit zunehmender Besitzesdauer).
6. Das Steuermass beträgt die Hälfte der in Art. 49 des kantonalen Steuergesetzes genannten Ansätze".
B.-
Franz Baselgia kaufte im Jahre 1949 ein Wohnhaus in Ilanz zum Preis von Fr. 150'000.-- und gab in der Folge Fr. 20'000.-- für wertvermehrende Verbesserungen aus. Im Jahre 1963 verkaufte er das Haus für Fr. 200'000.--.
a) Die kantonale Steuerverwaltung berechnete den bei diesem Verkauf erzielten, nach
Art. 42 ff. StG
steuerbaren Vermögensgewinn wie folgt:
BGE 95 I 130 S. 132
Veräusserungspreis abzüglich
Fr. 430.-- Nebenkosten Fr. 199'570.--
Anlagekosten (
Art. 47 StG
)
- Kaufpreis Fr. 150'000.--
- Nebenkosten " 3'000.--
- Aufwendungen " 20'000.--
- Abzug für Geldentwertung " 19'200.-- " 192'200.--
Steuerbarer Vermögensgewinn Fr. 7'370.--
Dieser Gewinn ergab bei einem Steuersatz von 3% und einer Ermässigung von 1/3 aufgrund der Besitzesdauer einen Steuerbetrag von Fr. 147.-- (Veranlagungsverfügung vom 13. März 1964).
b) Am 9. Juli 1964 eröffnete die Stadtsteuerkommission Ilanz Baselgia gestützt auf Art. 12 GStG folgende Veranlagung:
Veräusserungspreis abzüglich
Fr. 430.-- Nebenkosten Fr. 199'570.--
Durchschnittlicher Steuerwert der
letzten 3 Veranlagungsperioden Fr. 113'335.--
zuzüglich 10% " 11'335.-- " 124'670.--
Steuerbarer Vermögensgewinn Fr. 74'900.--
Die auf diesem Gewinn berechnete Steuer betrug Fr. 3'627.35. Baselgia erhob gegen die Veranlagungsverfügung Einsprache und nach deren Abweisung Beschwerde mit der Begründung, die in Art. 12 Ziff. 1- 4 GStG enthaltene Ordnung verstosse gegen
Art. 4 BV
und Art. 40 Abs. 5 KV.
Der Kleine Rat und nach ihm der Grosse Rat des Kantons Graubünden wiesen die Beschwerde ab, der Grosse Rat mit Entscheid vom 29. Mai 1968 aus folgenden Gründen: Da die angefochtene Veranlagung dem Art. 12 GStG entspreche, frage sich einzig, ob diese Bestimmung haltbar sei. Die Autonomie der Gemeinden im Bereich des Steuerrechts werde in Art. 40 Abs. 5 KV dahin beschränkt, dass Steuern nur subsidiär und nach billigen Grundsätzen erhoben werden dürfen. Sei das Postulat der Billigkeit und Gerechtigkeit erfüllt, so sei auch ein Verstoss gegen
Art. 4 BV
nicht denkbar. Bei der Frage, ob ein Rechtssatz gerecht und billig sei, gehe es um ein Werturteil und damit um Ermessen, das der bündnerische Verwaltungsrichter nur auf Überschreitung prüfen könne (
Art. 4 VVV
). Die Anlagewertberechnung nach Art. 12 GStG biete beachtliche
BGE 95 I 130 S. 133
Vorteile; sie sei einfach, auch bei Altbesitz leicht zu handhaben und veranlasse den Steuerpflichtigen zu einer dem wirklichen Wert angemessenen Vermögenssteuerdeklaration. Die ihr vorgeworfene Privilegierung des Altbesitzes lasse sich vom steuerpolitischen Standpunkt aus keineswegs beanstanden. Auch im Ergebnis sei sie nicht unbillig, indem sie den Pflichtigen, der ein Objekt während Jahren niedriger versteuert habe, mehr belaste als den andern, der ein gleichwertiges Objekt höher versteuert habe. Die Annahme, dass der Vermögenssteuerwert, unabhängig von den Investitionen, den wirklichen Wert verkörpere, sei nicht so abwegig. Zudem begegne das GStG dem Einwand, dass der Steuerwert einen Mischpreis aus Verkehrs- und Ertragswert darzustellen pflege, mit einem besondern Zuschlag von 20 bzw. 10%, womit die sonst zu grosse Differenz zum Veräusserungswert wieder vermindert werde. So erweise sich das Ilanzer System, trotz der Verschiedenheit vom kantonalen, als eine im ganzen wohlausgewogene, auf alle Fälle mit guten Gründen vertretbare und daher nicht rechtswidrige Lösung eines gesetzgeberischen Problems.
C.-
Gegen diesen Entscheid hat Franz Baselgia staatsrechtliche Beschwerde erhoben, zu deren Begründung er geltend macht: Wenn Art. 12 GStG für die Berechnung des Vermögensgewinns statt auf die Anlagekosten auf den Steuerwert abstelle, gehe er von einer schlechthin willkürlich unhaltbaren Fiktion aus und verstosse damit gegen Art. 40 Abs. 5 KV sowie
Art. 4 BV
. Diese Regelung führe im vorliegenden Falle dazu, dass der in der Gemeinde steuerbare Vermögensgewinn mit Fr. 74'900.-- zehnmal grösser sei als der effektive, von der kantonalen Steuerverwaltung festgestellte Gewinn von Fr. 7'370.--. Aufgrund von Art. 12 GStG könne sogar ein Gewinn besteuert werden, wenn der Steuerpflichtige eine Liegenschaft mit Verlust verkauft habe, was zeige, wie unsinnig die Regelung sei. Die nähere Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen.
D.-
Der Grosse Rat verweist auf seinen Entscheid und denjenigen des Kleinen Rates und verzichtet auf Vernehmlassung. Die Stadtgemeinde Ilanz beantragt Abweisung der Beschwerde. - Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut im Sinne folgender
BGE 95 I 130 S. 134
Erwägungen
Erwägungen:
1./3. - (Prozessuales).
4.
... (Die Rüge der Verletzung von Art. 40 Abs. 5 KV fällt mit derjenigen aus
Art. 4 BV
zusammen und hat keine selbständige Bedeutung;
BGE 90 I 91
Erw. 2).
5.
Art. 4 BV
bindet nicht nur die rechtsanwendenden, sondern auch die rechtsetzenden Behörden. Ausser den Schranken, die sich aus dem übrigen Verfassungs- und aus dem Bundesrecht ergeben, haben deshalb der kantonale und der kommunale Gesetzgeber das Gleichheitsprinzip nach
Art. 4 BV
und das sich daraus ergebende Willkürverbot zu beachten. Gegen diese verfassungsmässigen Grundsätze verstösst ein allgemein verbindlicher Erlass dann, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt, sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist. Innerhalb dieses Rahmens steht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum des Ermessens zu. Der Verfassungsrichter hat diese Befugnis zu achten und nur bei Ermessensmissbrauch oder -überschreitung einzugreifen; er darf nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Gesetzgebers setzen und nicht schon einschreiten, wenn ein Erlass auf gesetzgebungspolitischen Erwägungen beruht, welche er für materiell unzutreffend erachtet (
BGE 91 I 84
Erw. 2 und dort angeführte frühere Urteile,
BGE 92 I 442
Erw. 3). Wird die Norm nicht schon bei Erlass, sondern wie hier erst im Anschluss an eine gestützt darauf ergangene Verfügung angefochten, so ist zu prüfen, ob die Auslegung und Anwendung, die sie in der beanstandeten Verfügung erfahren hat, verfassungswidrig sei (
BGE 91 I 85
oben).
6.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers verstösst Art. 12 GStG dadurch gegen
Art. 4 BV
, dass er, für die Berechnung des steuerbaren Vermögensgewinns, als Anlagewert den durchschnittlichen Vermögenssteuerwert des veräusserten Objektes in den letzten drei Veranlagungsperioden als massgebend erklärt; er behauptet, das GStG gehe damit bei der Ermittlung des steuerbaren Gewinns statt von konkreten, wirklichen Faktoren, von einer "Fiktion" aus, da der Vermögenssteuerwert mit der Vermögensgewinnsteuer grundsätzlich nichts zu tun habe.
BGE 95 I 130 S. 135
Es ist klar, dass die angefochtene Ordnung nicht sinn- und zwecklos ist. Fraglich ist, ob sie sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt und ob für die Unterscheidungen, die sie trifft oder zur Folge hat, vernünftige Gründe vorhanden sind.
a) Seit langem sind zahlreiche Kantone und Gemeinden dazu übergegangen, entweder nur bei Grundstücken oder auch bei andern Bestandteilen des Privatvermögens die Wertsteigerungen, die diese aus verschiedenen Gründen erfahren, mit der allgemeinen Einkommenssteuer oder mit einer Sondersteuer (Kapitalgewinn-, Vermögensgewinn-, Grundstückgewinn-, Wertzuwachssteuer usw.) zu erfassen. An sich wäre es denkbar, die Wertsteigerungen periodisch, etwa im Zusammenhang mit der Vermögenssteuereinschätzung oder bei der Revision der Katasterschatzungen der Grundstücke, zu besteuern (vgl.
BGE 78 I 422
Erw. 2). In der Schweiz wird indessen der Wertzuwachs auf Privatvermögen allgemein erst dann besteuert, wenn das betreffende Vermögensstück veräussert wird, und zwar, mit Ausnahme des Kantons Basel-Stadt, der seine Kapitalgewinnsteuer auch bei unentgeltlicher Veräusserung sowie beim Erbgang erhebt (
BGE 89 I 363
Erw. 2,
BGE 83 I 267
), nur im Falle der entgeltlichen Veräusserung, d.h. wenn der Gewinn "realisiert" wird (vgl.
BGE 79 I 12
,
BGE 81 I 336
). Stellt danach nicht der Wertzuwachs das Steuerobjekt dar, sondern der realisierte Gewinn, so ist bei der Umschreibung des steuerbaren Gewinns vom Sinne auszugehen, den der Begriff Gewinn im allgemeinen Sprachgebrauch und im Wirtschaftsleben hat, wo darunter die Differenz zwischen dem Veräusserungserlös und den Gestehungskosten verstanden wird. Die meisten Erlasse umschreiben denn auch den steuerbaren Gewinn auf diese Weise, wobei sie zu den Gestehungskosten neben dem Erwerbspreis auch die wertvermehrenden Aufwendungen rechnen. Auch die bündnerischen Steuergesetze von 1945 und 1964 stehen auf diesem Boden und sehen eine andere Ordnung nur für den hier nicht vorliegenden Fall des unentgeltlichen Erwerbs vor; der Vermögenssteuerwert gilt nur dann als Anlagewert, wenn die wirklichen Anlagekosten nicht festzustellen sind. Eine Sonderstellung nehmen die Kantone Waadt und Tessin ein, welche bei längerem als 5-jährigem Besitz allgemein die Besteuerung der Differenz zwischen dem Veräusserungspreis und einer Vermögenssteuerschatzung vorsehen, doch erfolgt diese Besteuerung im Kanton Waadt nur
BGE 95 I 130 S. 136
auf Begehren des Steuerpflichtigen (Art. 44 Abs. 2 des StG in der Fassung vom 28. November 1962), während im Kanton Tessin der Steuerpflichtige verlangen kann, dass vom Erwerbspreis statt vom Vermögenssteuerwert auszugehen sei (Art. 5 Abs. 2 der Legge concernente l'imposta sul maggior valore immobiliare del 17 dicembre 1964), so dass in diesen Kantonen praktisch nur dann auf den Vermögenssteuerwert statt auf die Gestehungskosten abgestellt wird, wenn dies für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Demgegenüber schreibt Art. 12 des GStG von Ilanz in Ziff. 1 allgemein vor, dass der Vermögenssteuerwert (mit gewissen Zuschlägen bei Grundstücken) als "Anlagewert" gilt. Es ist zu prüfen, ob diese Regelung mit
Art. 4 BV
vereinbar ist.
b) Art. 12 GStG bezeichnet die dort vorgesehene Abgabe als Vermögensgewinnsteuer, schreibt sinngemässe Anwendung der Vorschriften des kant. StG (gemäss welchem der realisierte Gewinn der Steuer unterliegt) vor und bestimmt, der steuerbare Gewinn ermittle sich aus der Differenz zwischen Erlös und Anlagewert. Dem widerspricht die anschliessende Bestimmung, wonach der Vermögenssteuerwert als Anlagewert gilt, da dies, weil der Vermögenssteuerwert bei Grundstücken regelmässig niedriger ist als der Verkehrswert, meist dazu führt, dass ein fiktiver, d.h. ein weit höherer als der wirklich realisierte Gewinn oder gar ein Gewinn anstelle eines in Wirklichkeit erlittenen Verlustes zu versteuern ist. Wegen dieses Widerspruchs verstösst die Ordnung indessen noch nicht gegen
Art. 4 BV
, da der Widerspruch offenbar gewollt ist, werden doch die in Art. 12 Ziff. 1-4 enthaltenen Bestimmungen ausdrücklich als "Abweichungen" von den im übrigen sinngemäss anwendbaren Vorschriften des kant. StG bezeichnet. Dagegen hält die Bestimmung, wonach der Vermögenssteuerwert als Anlagewert gilt, deshalb vor
Art. 4 BV
nicht stand, weil sie sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt und zu rechtsungleicher Behandlung der Steuerpflichtigen führt.
Dass die streitige Regelung, wie im angefochtenen Entscheid ausgeführt wird, einfach und auch bei Altbesitz leicht zu handhaben ist, bildet noch keinen stichhaltigen Grund für die Besteuerung fiktiver Gewinne; die Einfachheit und leichte Handhabung vermögen das Abstellen auf den Vermögenssteuerwert höchstens dann zu rechtfertigen, wenn sich die Anlagekosten nicht mehr feststellen lassen, nicht aber, wenn sie
BGE 95 I 130 S. 137
wie hier feststehen. Als gewichtiger erscheint der Einwand der Behörden, die streitige Regelung veranlasse die Steuerpflichtigen, ihr Vermögen zum wirklichen Wert zu versteuern, indem sie denjenigen, der ein Objekt während Jahren niedriger versteuert habe, stärker belaste als denjenigen, der ein gleichwertiges Objekt höher versteuert habe. Auch diese Überlegung vermag indessen die beanstandete Ordnung nicht wirksam zu stützen. Einmal wird der Vermögenssteuerwert der Grundstücke von den kantonalen Veranlagungsbehörden festgesetzt und ist dafür im allgemeinen "der Verkehrswert unter Berücksichtigung des Ertrags aus einer längeren Zeitspanne und der Ertragsfähigkeit", bei landwirtschaftlich genutztem Boden der Ertragswert massgebend (
Art. 13 StG
), so dass dem Steuerpflichtigen daraus, dass der Vermögenssteuerwert unter dem Verkehrswert liegt, kein Vorwurf gemacht werden kann, der die Erhebung einer Vermögensgewinnsteuer gestatten würde ohne Rücksicht darauf, ob der Pflichtige wirklich einen Gewinn erzielt hat und wie viel dieser beträgt. Diese wirtschaftlichen Gegebenheiten darf eine Ordnung, die den Wertzuwachs im Anschluss an dessen Realisierung besteuert, nicht völlig ausser acht lassen, da sonst rein fiktive Gewinne zu versteuern sind. Davon abgesehen führt die streitige Ordnung zu einer rechtsungleichen Behandlung der Steuerpflichtigen. Der Ausgleich für langjährige ungenügende Versteuerung des Vermögens, dem sie dienen soll, trifft nur diejenigen Eigentümer, die ihr Grundstück veräussern und es oft aus irgendeinem Grunde veräussern müssen, nicht auch diejenigen, die es behalten oder welche wenige Jahre vor der Veräusserung für eine Erhöhung des Vermögenssteuerwertes sorgen. Die streitige Regelung ist sodann nicht nur auflangjährige Eigentümer von Grundstücken anwendbar, sondern auch auf solche, die sie erst seit kurzem besitzen, und ergibt für diese Eigentümer bei gleichem tatsächlichem Gewinn je nach dem Vermögenssteuerwert der Liegenschaft eine ganz unterschiedliche Belastung. So hat von zwei Eigentümern, die ein für Fr. 140'000.-- erworbenes Wohnhaus nach einem Jahr für Fr. 150'000.-- verkaufen, also beide einen Gewinn von Fr. 10'000.-- erzielen, derjenige, dessen Liegenschaft einen Vermögenssteuerwert von Fr. 130'000.-- hat, einen Gewinn von nur Fr. 7'000.-- (Fr. 150'000.-- abzüglich Fr. 130'000.-- + 10%), derjenige, dessen Liegenschaft einen Vermögenssteuerwert von Fr. 110'000.-- hat, dagegen einen
BGE 95 I 130 S. 138
Gewinn von Fr. 29'000.-- (Fr. 150'000.-- abzüglich Fr. 110'000.-- + 10%), d.h. der letztere wird dafür, dass er eine niedrig bewertete Liegenschaft erworben hat, beim Verkauf bestraft, wofür ein haltbarer Grund nicht zu finden ist.
Aus der in der Beschwerdeantwort der Stadt Ilanz mehrfach erwähnten Arbeit von GUHL, Die Spezialbesteuerung der Grundstücke in der Schweiz (Diss. Zürich 1953), ist nichts zu entnehmen, das sich zugunsten der beanstandeten Regelung anführen liesse. An der angerufenen Stelle S. 191 befasst sich GUHL mit dem hier nicht vorliegenden Fall, wo der Erwerbspreis nicht festzustellen ist, und erklärt den Vermögenssteuerwert nur dann als geeignete Grundlage für die Grundstückgewinnberechnung, wenn er dem Verkehrswert entspricht, was hier ebenfalls nicht zutrifft, da die angefochtene Veranlagung von einem Vermögenssteuerwert von Fr. 113'335.-- ausgeht, während die Gestehungskosten des Beschwerdeführers (Erwerbspreis, wertvermehrende Aufwendungen und Nebenkosten) unbestrittenermassen Fr. 173'000.-- betragen. An anderer Stelle (S. 69) aber erklärt GUHL mit zutreffender Begründung, eine Ordnung, welche den Veräusserungspreis der Vermögenssteuerschatzung gegenüberstelle, sei aus rechtsstaatlichen Gründen abzulehnen.
Das Bundesgericht hatte sich im Urteil vom 20. März 1944 i.S. Brasserie Beauregard SA c. Ville de Fribourg mit einem Gemeindeerlass zu befassen, welcher die Differenz zwischen der Grundsteuerschatzung und dem Veräusserungspreis als steuerbaren Grundstückgewinn behandelt und in jenem Falle zur Folge hatte, dass die Beschwerdeführerin, die ein für Fr. 125'000.-- gekauftes Grundstück nach 40 Jahren für Fr. 120'000.-- verkauft, also einen Verlust von Fr. 5'000.-- erlitten hatte, wegen der nur Fr. 95'500.-- betragenden Katasterschatzung einen "Gewinn" von Fr. 24'500.-- zu versteuern hatte. Das Bundesgericht erklärte diese Ordnung schon deshalb als verfassungswidrig, weil das kantonale Recht die Gemeinden nur zur Besteuerung von "erzielten Gewinnen" ermächtige. Es bemerkte aber (S. 10/11), dass die Ordnung inbezug auf Fälle, in denen der Erwerbspreis die Katasterschatzung oder gar den Verkaufspreis übersteige, unvernünftig sei und jedem Rechtsgefühl widerspreche.
Dies trifft auch für Art. 12 GStG insoweit zu, als Ziff. 1 bestimmt, der Vermögenssteuerwert des veräusserten Objekts
BGE 95 I 130 S. 139
gelte als Anlagewert. Die angefochtenen Entscheide verstossen daher, soweit sie auf dieser Bestimmung beruhen, gegen
Art. 4 BV
und sind deshalb aufzuheben.
7.
Der Beschwerdeführer bezeichnet auch Art. 12 Ziff. 4 GStG als verfassungswidrig und verlangt, dass für die Erhebung der kommunalen Vermögens-Gewinnsteuer die Faktoren der kantonalen Veranlagungsverfügung zu übernehmen, d.h. der steuerbare Vermögensgewinn auf Fr. 7'370.-- festzusetzen sei. Er ist also der Auffassung, Art. 12 GStG verstosse auch insoweit gegen
Art. 4 BV
, als danach, anders als nach
Art. 47 StG
, bei der Berechnung des steuerbaren Gewinns die seit der Aufwendung der Anlagekosten eingetretene Geldentwertung nicht berücksichtigt wird. Wieso hierin eine Verletzung des
Art. 4 BV
liegen soll, wird in der Beschwerdebegründung jedoch mit keinem Worte darzutun versucht, so dass auf diese Rüge wegen Fehlens der nach
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
erforderlichen Begründung nicht einzutreten ist. Die Rüge wäre übrigens unbegründet. Die Berücksichtigung der Geldentwertung erscheint problematisch, ist - soweit ersichtlich - nur im Kanton Graubünden sowie im Kanton Basel-Landschaft (
§ 18 StG
) vorgesehen und wird in der Rechtslehre mit beachtlichen Gründen abgelehnt (GUHL, a.a.O. S. 293 ff.; ROCHAT, L'imposition de la plus-value immobilière, Diss. Lausanne 1953 S. 91/92; HÖHN, Die Besteuerung der privaten Gewinne in der Schweiz. Diss. Zürich 1955 S. 223/4). Das Bundesgericht hat denn auch in einem Urteil vom 11. März 1948 (MBVR 46/1948 S. 316 ff.) entschieden, eine Ordnung, welche der Tatsache der Abwertung bei der Berechnung des steuerbaren Vermögensgewinns nicht Rechnung trage, verstosse nicht gegen
Art. 4 BV
. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a7129e58-7921-441d-bf93-27d5f381132c | Urteilskopf
91 IV 1
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Januar 1965 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Weibel. | Regeste
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 und 49 Ziff. 4 StGB.
Der bedingte Strafvollzug und die bedingte vorzeitige Bussenlöschung dürfen nicht auf Grund der unbestimmten Hoffnung bewilligt werden, der Verurteilte werde sich wider Erwarten wohl verhalten. | Erwägungen
ab Seite 1
BGE 91 IV 1 S. 1
Aus den Erwägungen:
Im Anschluss an die Erwägung, dass die objektiven Voraussetzungen für die Anwendung von
Art. 41 Ziff. 1 und 49 Ziff. 4 StGB
gegeben seien, weil die letzte unbedingte Gefängnisstrafe des mehrfach vorbestraften Beschwerdegegners 16 Jahre zurückliege und daher nicht mehr ins Gewicht falle, hat die Vorinstanz ausgeführt, in subjektiver Hinsicht seien einige Bedenken am Platze, habe doch der Beschwerdegegner seit 1952 nicht weniger als 10 Polizeibussen und eine bedingte Gefängnisstrafe wegen Verkehrsdelikten erlitten; dabei handle es sich aber mit Ausnahme der Gefängnisstrafe um lauter Bagatellfälle, weshalb sie verschuldensmässig nicht allzu sehr ins Gewicht fielen; dem Beschwerdegegner könne deshalb noch eine letzte Chance gegeben werden, um zu beweisen, dass er sich durch den bedingten Aufschub der Freiheitsstrafe von weitern Verfehlungen abhalten lasse.
Diese Ausführungen geben keine deutliche Antwort auf die entscheidende Frage, ob das Vorleben und der Charakter des Beschwerdegegners erwarten lassen, er werde sich durch die Bewilligung des bedingten Strafvollzuges und der bedingten vorzeitigen
BGE 91 IV 1 S. 2
Bussenlöschung von weitern Straftaten abhalten lassen. Sie erlauben eher den Schluss, die Vorinstanz glaube im Grunde genommen nicht an die Bewährung des Beschwerdegegners, wolle ihm aber Gelegenheit geben, ihre ungünstige Prognose durch sein künftiges Verhalten zu widerlegen. Die erwähnten Rechtswohltaten auf Grund der unbestimmten Hoffnung zu bewilligen, der Verurteilte werde sich wider Erwarten wohl verhalten, ist nach dem Gesetze nicht zulässig. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a71cf3e2-dbc7-43ed-8efb-e7a02219c4dd | Urteilskopf
136 V 127
16. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. G. gegen Pensionskasse X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_3/2010 vom 31. März 2010 | Regeste
Art. 20a Abs. 1 und
Art. 49 BVG
; Hinterlassenenleistungen der weitergehenden beruflichen Vorsorge; Begünstigung der Lebenspartnerin.
Es ist mit
Art. 20a BVG
vereinbar, wenn eine Pensionskasse reglementarisch den Anspruch der überlebenden Konkubinatspartnerin auf das Todesfallkapital an die formelle Voraussetzung einer Begünstigung zu Lebzeiten knüpft (E. 4.5). | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 136 V 127 S. 128
A.
Der unverheiratete, 1953 geborene C. war bei der Pensionskasse X. (im Folgenden: Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert, als er im Juli 2007 verstarb. Er hinterliess seine Mutter L. und drei Schwestern (H., S. und R.) als gesetzliche Erbinnen sowie G. als testamentarische Erbin zu 30 % des Nachlasses und als Vermächtnisnehmerin für den Hausrat und persönliche Gegenstände ohne Anrechnung an den Erbteil. Die Pensionskasse teilte den gesetzlichen Erbinnen mit, es bestehe ein Todesfallkapital von Fr. 431'896.90, welches ihnen gemäss Art. 18 Abs. 5 ihres Reglements zur Hälfte ausbezahlt werde.
B.
Am 11. Juni 2008 erhob G. beim Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden Klage gegen die Pensionskasse mit dem Begehren, es sei das gesamte Todesfallkapital ihr auszubezahlen. Das Verwaltungsgericht lud die vier gesetzlichen Erbinnen zum Verfahren bei und wies die Klage mit Entscheid vom 25. März 2009 ab.
C.
G. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben mit dem Antrag, unter Aufhebung des Entscheids vom 25. März 2009 sei die Pensionskasse zu verpflichten, ihr das Todesfallkapital von Fr. 431'896.90 zuzüglich Zins auszubezahlen.
Die Pensionskasse lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen. Die gesetzlichen Erbinnen und das kantonale Gericht lassen sich nicht vernehmen, das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
(Eine Begünstigung der Beschwerdeführerin im Sinne des Vorsorgereglements liegt nicht vor.)
4.
Streitig und zu prüfen ist weiter, ob es mit
Art. 20a BVG
(SR 831. 40) vereinbar ist, wenn eine Pensionskasse als Voraussetzung für einen Anspruch der überlebenden Konkubinatspartnerin auf das Todesfallkapital eine Begünstigung zu Lebzeiten verlangt.
BGE 136 V 127 S. 129
4.1
Vor dem Inkrafttreten von
Art. 20a BVG
am 1. Januar 2005 war es gemäss Rechtsprechung zulässig, den Anspruch des überlebenden Lebenspartners auf Todesfallleistungen an das Vorliegen einer zu Lebzeiten erfolgten (schriftlichen) Begünstigung oder Meldung zu binden. Dies wurde mit dem Anliegen der Rechtssicherheit (vgl. nicht publizierte E. 3.1) begründet sowie mit dem schutzwürdigen Interesse der Vorsorgeeinrichtung an der Kenntnis der durch den Todesfall eines Versicherten ausgelösten Leistungen (
BGE 133 V 314
E. 4.2.3 S. 318 f.; SVR 2009 BVG Nr. 18 S. 65, 9C_710/2007 E. 5.2; vgl. auch SVR 2006 BVG Nr. 13 S. 47, B 92/04 E. 5.3).
4.2
Streitig ist, ob der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene und hier anwendbare
Art. 20a BVG
diesbezüglich eine Änderung gebracht hat. In
BGE 134 V 369
E. 6.3.1 S. 378 führte das Bundesgericht unter der Geltung des neuen Rechts und unter Hinweis auf Lehrmeinungen sowie auf die früher ergangene Rechtsprechung aus, die Reglemente der Vorsorgeeinrichtungen könnten die Anspruchsberechtigung der in
Art. 20a Abs. 1 BVG
genannten Personen von der Abgabe einer Begünstigungserklärung oder einer schriftlichen Vereinbarung über die Unterstützungspflicht abhängig machen. Die Frage war allerdings dort nicht entscheiderheblich, da das anwendbare Reglement eine solche Anforderung ohnehin nicht enthielt. Im Urteil 9C_488/2009 vom 16. Dezember 2009 E. 2, nicht publ. in
BGE 136 V 49
führte das Bundesgericht aus, es sei unbestritten, dass die zu Lebzeiten erfolgte Begünstigung der Lebenspartnerin durch den Versicherten nach dem im Zeitpunkt der entsprechenden Erklärung geltenden alten wie auch nach dem ab 1. Januar 2005 geltenden neuen Reglement der Vorsorgeeinrichtung zulässig sei; zu prüfen war nur, ob diese reglementarisch zulässige Begünstigung - im Hinblick auf den (konkurrierenden) Anspruch eines Waisen im Sinne von
Art. 20 BVG
- mit
Art. 20a BVG
vereinbar war.
4.3
Art. 20a BVG
wurde ins Gesetz aufgenommen, um die vorher nur durch Kreisschreiben der Steuerverwaltung geregelte Frage zu beantworten, ob und in welchem Umfang die Lebenspartner in der 2. Säule begünstigt werden können. Mit der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung sollten die Hinterlassenenleistungen für nicht verheiratete Lebenspartner verbessert und der Kreis der begünstigten Personen im Bereich des Überobligatoriums vereinheitlicht werden (Botschaft vom 1. März 2000 zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [1. BVG-Revision], BBl 2000 2683 Ziff. 2.9.6.1). Die nunmehr auf Gesetzesstufe gehobene Regelung stimmt inhaltlich weitgehend mit
BGE 136 V 127 S. 130
der früheren Rechtslage überein mit der Ausnahme, dass die Begünstigung des nicht verheirateten Lebenspartners erweitert zulässig wurde, indem sie bei ununterbrochener fünfjähriger Lebensgemeinschaft vor dem Tod oder bei Sorge für ein gemeinsames Kind auch möglich ist, ohne dass eine erhebliche Unterstützung nachgewiesen werden muss (
BGE 136 V 49
E. 4.3-4.5 S. 53 ff.;
BGE 135 V 80
E. 3.3 S. 86).
4.4
Ob die Vorsorgeeinrichtung die Begünstigung der in
Art. 20a BVG
erwähnten Personen von einschränkenderen Bedingungen als den im Gesetz genannten abhängig machen kann, ist umstritten (verneinend: Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 79 vom 27. Januar 2005 Ziff. 472 S. 8 f.; bejahend: MARKUS MOSER, Die Lebenspartnerschaft in der beruflichen Vorsorge nach geltendem und künftigem Recht, AJP 2004 S. 1511; HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2005, S. 263 Rz. 708) und geht aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht klar hervor. Die Regelung ist jedenfalls in dem Sinne zwingend, als die Vorsorgeeinrichtungen an die darin genannten Personenkategorien sowie an die Kaskadenfolge gebunden sind. Nach wie vor gehört aber die Begünstigung der in
Art. 20a BVG
genannten Personen zu der überobligatorischen Vorsorge; die Vorsorgeeinrichtungen sind frei, ob sie überhaupt Leistungen an diese Personen vorsehen wollen (
BGE 136 V 49
E. 3.2 S. 51 f.; BBl 2000 2683 Ziff. 2.9.6.1, 2691; STAUFFER, a.a.O., S. 261 f. Rz. 703; MOSER, a.a.O., S. 1510).
4.5
Wenn somit ein Anspruch der in
Art. 20a BVG
genannten Personen nicht von Gesetzes wegen besteht, sondern nur, wenn das Reglement der Vorsorgeeinrichtung einen solchen statuiert (
Art. 49 Abs. 1 und
Art. 50 BVG
), dann scheint es folgerichtig, dass das Reglement diese Begünstigung auch von einer entsprechenden Erklärung des Versicherten abhängig machen kann. Dafür spricht, dass im Bereich des Überobligatoriums - im Rahmen der verfassungsmässigen und gesetzlichen Schranken - eine grosse Autonomie der Vorsorgeeinrichtungen besteht (
Art. 49 Abs. 1 BVG
;
BGE 136 V 49
E. 4.6 S. 56). Weder aus dem Wortlaut von
Art. 20a BVG
noch aus den Materialien dazu ergibt sich, dass damit die vorher bestehende Möglichkeit, die Begünstigung von einer Erklärung des Versicherten abhängig zu machen (E. 4.1), aufgehoben werden sollte. Mit einem solchen Erfordernis wird nicht eine zusätzliche materielle Bedingung, sondern nur eine formelle Voraussetzung aufgestellt. Es entspricht auch der Natur der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, dass im Unterschied zur gesetzlich geregelten Ehe die Beziehungen
BGE 136 V 127 S. 131
zwischen den Partnern vollumfänglich deren Autonomie überlassen werden. Diese Flexibilität dürfte ein wichtiger Grund sein dafür, dass manche Paare jene Lebensform der Ehe vorziehen. Es ist daher systemkonform, wenn auch in der 2. Säule die Begünstigung der nichtehelichen Lebenspartner vom Willen der Beteiligten abhängig gemacht wird. Schliesslich gelten die Überlegungen zur Rechtssicherheit (E. 4.1) weiterhin. Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Reglemente die Abgabe einer Begünstigungserklärung oder eine schriftliche Unterhaltsvereinbarung verlangen können (MOSER, a.a.O., S. 1512; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2009, N. 2 und 10 f. zu
Art. 20a BVG
) oder dass die versicherte Person innerhalb der in Art. 20a genannten Kaskaden die begünstigten Personen bezeichnen kann (WILLI LÖTSCHER, Die neuen Begünstigungsmöglichkeiten in der beruflichen Vorsorge nach der 1. BVG-Revision, HAVE 2005 S. 163; VETTER-SCHREIBER, a.a.O., N. 4 und 7 zu
Art. 20a BVG
).
4.6
Insgesamt erweist sich die Klausel in Art. 18 Abs. 2 lit. c des Vorsorgereglements, wonach für die Begründung eines Anspruchs zu Lebzeiten eine Begünstigung erfolgt sein muss, als mit
Art. 20a BVG
vereinbar. Damit wird die gesetzlich zwingende Kaskadenordnung nicht verletzt, weil die reglementarische Reihenfolge der gesetzlichen entspricht und ein rein formelles zusätzliches Erfordernis zulässig ist. Nicht zu entscheiden ist hier, ob dieses Erfordernis auch im Rahmen von
Art. 15 FZV
(SR 831.425) zulässig wäre, da die Voraussetzungen für eine Begünstigung nach
Art. 20a BVG
nicht zwingend mit denjenigen nach
Art. 15 FZV
übereinstimmen (
BGE 135 V 80
E. 3.4 S. 86 f.; vgl. auch
BGE 129 III 305
E. 3.3 S. 312 f.). | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
a71ecd78-00d8-4e3c-8ee5-5ec900a9a611 | Urteilskopf
86 III 4
3. Entscheid vom 20. April 1960 i.S. Herrmann. | Regeste
Rechtsvorschlag (
Art. 74 SchKG
).
Auslegung der Erklärung des Schuldners, er anerkenne die Forderung nicht und werde Rechtsvorschlag erheben. | Sachverhalt
ab Seite 4
BGE 86 III 4 S. 4
In der Betreibung, die Karl Herrmann für eine Forderung von Fr. 1388.90 gegen Frau Wuthier führt, stellte das Betreibungsamt Kreuzlingen der Schuldnerin am 15. Dezember 1959 den Zahlungsbefehl zu. Bei dieser Gelegenheit erklärte die Schuldnerin laut Bericht des Amtes vom 22. Februar 1960, sie anerkenne diese Forderung nicht und werde Rechtsvorschlag erheben; sie werde die Sache ihrem Sohn übergeben. Eine weitere Mitteilung erhielt das Betreibungsamt während der Frist für den Rechtsvorschlag nicht. Es nahm deswegen an, ein
BGE 86 III 4 S. 5
Rechtsvorschlag sei nicht erfolgt, und erliess am 15. Januar 1960 die Pfändungsankündigung. Die Schuldnerin erhielt davon am 19. Januar (bei der Rückkehr von einem mehrwöchigen Besuch in Basel) Kenntnis und liess hierauf am 22. Januar durch einen Anwalt beim Präsidenten des Bezirksgerichts Kreuzlingen das Gesuch um Bewilligung des nachträglichen Rechtsvorschlags stellen. Der Gerichtspräsident wies dieses Gesuch am 2. Februar ab, erkannte aber in seiner Eigenschaft als untere Aufsichtsbehörde in Betreibungssachen gleichzeitig:
"Das Begehren wird als betreibungsrechtliche Beschwerde in dem Sinne geschützt, dass das Betreibungsamt Kreuzlingen angewiesen wird, den von der Impetrantin dem zustellenden Beamten Stuber mündlich erklärten Rechtsvorschlag als gültig entgegenzunehmen. Die Pfändungsankündigung fällt dahin."
Die kantonale Aufsichtsbehörde hat dieses - vom Gläubiger weitergezogene - Erkenntnis am 28. März 1960 bestätigt.
Hiegegen rekurriert der Gläubiger an das Bundesgericht.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Erklärung, welche die Schuldnerin nach dem von der Vorinstanz als zuverlässig beurteilten Berichte des Betreibungsamtes bei der Zustellung des Zahlungsbefehls abgegeben hat, wäre wohl als Rechtsvorschlag zu betrachten, wenn die Schuldnerin einfach erklärt hätte, sie bestreite die Forderung. Sie hat aber beigefügt, sie werde Rechtsvorschlag erheben und die Sache ihrem Sohn übergeben. Damit hat sie sich die endgültige Stellungnahme zu der in Betreibung gesetzten Forderung für einen spätern Zeitpunkt vorbehalten. Unter diesen Umständen ist in ihrer Erklärung nicht ein Rechtsvorschlag, sondern nur die Ankündigung eines solchen zu erblicken. Bei dieser ist es geblieben, da die Schuldnerin bis zum Ablauf der Frist für den Rechtsvorschlag keine weitern Vorkehren getroffen hat. Die Pfändungsankündigung ist daher zu Recht erfolgt.
BGE 86 III 4 S. 6
Dem von der Vorinstanz angezogenen Entscheide
BGE 85 III 14
ff. lag ein vom vorliegenden wesentlich verschiedener Tatbestand zugrunde.
Die wiedergegebene Erklärung entgegen ihrem Wortlaut als Rechtsvorschlag zu deuten, geht um so weniger an, als die Schuldnerin nach Erhalt der Pfändungsankündigung selber nicht geltend machte, sie habe wirksam Rechtsvorschlag erhoben, sondern durch einen Anwalt ausdrücklich erklären liess, sie habe dies nicht in rechtsgültiger Form getan und ersuche daher um Bewilligung des nachträglichen Rechtsvorschlags durch den Richter.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
In Gutheissung des Rekurses wird der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Gesuch der Schuldnerin vom 22. Januar 1960 abgewiesen, soweit es als betreibungsrechtliche Beschwerde gelten kann. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a72970f6-ff7a-4fe0-a907-3172c49d0dd7 | Urteilskopf
81 I 106
21. Auszug aus dem Urteil vom 1. April 1955 i.S. Barth gegen Regierungsrat des Kantons Bern. | Regeste
Bäuerlicher Grundbesitz, Einspruch gegen Liegenschaftsverkauf.
Begriff des landwirtschaftlichen Heimwesens (
Art. 19 EGG
). | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 81 I 106 S. 106
Aus dem Tatbestand:
Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 10. Oktober 1952 verkaufte Hans Boo, Metzgermeister in Saanen, dem Beschwerdeführer Alfons Barth, der in Schönenwerd ein Architekturbureau betreibt, das Grundstück G. B. Saanen Nr. 1433, umfassend rund 115 a Land (Wiese und Gebäudeplätze), ein für Fr. 5400.-- versichertes Bauernhaus und eine für Fr. 7900.-- versicherte Scheune mit Stallungen. Der Kaufpreis wurde auf Fr. 26'000.-- festgesetzt. Hans Boo hatte das Grundstück im Jahre 1940 von einem Landwirt
BGE 81 I 106 S. 107
erworben, der es mit seiner Familie bewohnt und bewirtschaftet hatte. Die Scheune und das Land hatte Boo dann einem anderen Landwirt in Pacht gegeben. Das Wohnhaus scheint eine Zeitlang, weil baufällig, nicht mehr bewohnt gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer baute es nach Abschluss des Vertrages mit Boo, ohne den Eigentumsübergang abzuwarten, zu einem Ferienhaus aus.
Nachdem am 1. Januar 1953 das BG über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (EGG) in Kraft getreten war, wurde der Kaufvertrag vom 10. Oktober 1952 zur Eintragung im Grundbuch angemeldet. Der Grundbuchverwalter erhob gestützt auf
Art. 19 EGG
Einspruch. Der Regierungsstatthalter von Saanen schützte den Einspruch, ebenso auf Beschwerde hin der Regierungsrat des Kantons Bern, gegen dessen Entscheid sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet. Streitig ist unter anderm, ob man es mit einem landwirtschaftlichen Heimwesen im Sinne des
Art. 19 EGG
zu tun habe.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das EGG findet nach der in seinem Art. 2 aufgestellten Regel Anwendung auf Liegenschaften, die ausschliesslich oder vorwiegend landwirtschaftlich genutzt werden. Dem Einspruchsverfahren, zu dessen Einführung Art. 18 die Kantone ermächtigt, sind indes nach Art. 19 nur Kaufverträge über "landwirtschaftliche Heimwesen oder zu einem solchen gehörende Liegenschaften" unterstellt. Was unter einem landwirtschaftlichen Heimwesen zu verstehen ist, sagt diese Bestimmung nicht. Nach allgemeinem schweizerischem Sprachgebrauch setzt es sich zusammen aus Land - im Sinne des
Art. 2 EGG
- und Gebäulichkeiten; diese Bestandteile müssen eine Einheit bilden, die geeignet ist, einem Bauern oder einer Bauernfamilie als Lebenszentrum und Grundlage für den Betrieb eines landwirtschaftlichen Gewerbes zu dienen. Diese Umschreibung kann der Auslegung des
Art. 19 EGG
zugrunde gelegt werden. Sie steht im Einklang mit
Art. 1
BGE 81 I 106 S. 108
EGG
, wonach die Vorschriften dieses Gesetzes darauf abzielen, den bäuerlichen Grundbesitz als Träger eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes zu schützen, die Bodennutzung zu fördern, die Bindung zwischen Familie und Heimwesen zu festigen und die Schaffung und Erhaltung landwirtschaftlicher Betriebe zu begünstigen. Unerheblich ist, ob der Eigentümer das Heimwesen selbst bewirtschaftet oder durch einen Pächter bewirtschaften lässt; das EGG schützt schlechthin den bäuerlichen Grundbesitz als Träger des Bauernstandes. Anderseits wird man Liegenschaften, die zwar zu einem und demselben bäuerlichen Betriebe gehören, aber nicht den gleichen Eigentümer haben, jedenfalls in der Regel nicht als Bestandteile eines und desselben landwirtschaftlichen Heimwesens betrachten können.
Beschwerdeführer und Regierungsrat gehen davon aus, dass das Einspruchsverfahren nur Anwendung finden könne, wenn es sich um ein Heimwesen handle, das einer Familie die hauptsächliche Existenzgrundlage biete. Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement schliesst sich ihrem Standpunkte an, unter Hinweis auf Art. 1 der Verordnung des Bundesrates über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 16. November 1945 (LEV), wonach unter solchen Heimwesen eine Gesamtheit von Land und Gebäuden zu verstehen ist, die der Gewinnung und Verwertung organischer Stoffe des Bodens dienen und einen Betrieb von genügendem Umfang bilden, um nach ortsüblicher Auffassung und bei sachgemässer Wirtschaftsführung "einer Familie die wesentliche wirtschaftliche Existenzgrundlage zu bieten". Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Umschreibung in
Art. 1 LEV
mag massgebend sein für die Auslegung des Art. 10 des BG über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 (LEG), wo die Rede ist von landwirtschaftlichen Heimwesen, die für den Eigentümer und seine Familie die wesentliche Existenzgrundlage bilden, und auch des
Art. 38 EGG
, der für Eigentümer ebensolcher
BGE 81 I 106 S. 109
Heimwesen die Betriebsaufsicht vorsieht.
Art. 19 EGG
stellt aber im Gegensatz zu diesen Bestimmungen nicht darauf ab, ob das Heimwesen für den Eigentümer (oder Pächter) und seine Familie die wesentliche Existenzgrundlage bilde oder nicht; er spricht am Anfang einfach von landwirtschaftlichen Heimwesen und von Liegenschaften, die zu einem solchen gehören, und Abs. 1 lit. c lässt den Einspruch gegen einen Verkauf zu, durch den "ein landwirtschaftliches Gewerbe seine Existenzfähigkeit verliert". Die Verschiedenheit des Wortlauts lässt darauf schliessen, dass
Art. 19 EGG
, was den Begriff des landwirtschaftlichen Heimwesens anbelangt, weiter auszulegen ist als jene anderen Vorschriften. Gewiss muss Land von einer gewissen Ausdehnung vorhanden sein, damit überhaupt von einem landwirtschaftlichen Heimwesen gesprochen werden kann. Aber für die Annahme, dass man es mit einem Heimwesen im Sinne des
Art. 19 EGG
zu tun hat, muss genügen, dass das Land zusammen mit den zugehörigen Gebäulichkeiten die Existenz eines landwirtschaftlichen Gewerbes, so klein es auch sein mag, gerade noch ermöglicht (vgl.
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
); dagegen ist nicht erforderlich, dass dieses Gewerbe für sich allein eine Familie zu ernähren vermag (
BGE 80 I 96
, 412 ff.) oder ihr auch nur die hauptsächliche oder wesentliche Existenzgrundlage bieten kann. Auch auf Kleinheimwesen, deren Bewirtschaftung bloss einen Nebenverdienst zu erzielen gestattet, ist
Art. 19 EGG
anwendbar - wenn und soweit die kantonale Ordnung, die nach Art. 21 Abs. 2 daselbst Liegenschaften bis zu 3 ha vom Einspruchsverfahren ausnehmen kann, es zulässt. Diese Auslegung entspricht dem Zweck des EGG, allgemein den bäuerlichen Grundbesitz zu schützen. Das Einspruchsverfahren dient nicht sowohl den persönlichen Interessen der einzelnen Bauern, die ein Heimwesen bewirtschaften, als vielmehr dem öffentlichen Interesse daran, dass der bäuerliche Grundbesitz an sich nach Möglichkeit erhalten bleibt. Dagegen sind dort, wo es um die Entschuldung oder die Betriebsaufsicht geht, die persönlichen
BGE 81 I 106 S. 110
und wirtschaftlichen Verhältnisse des Eigentümers des Heimwesens von wesentlicher Bedeutung, was denn auch in Art. 10 ff. LEG,
Art. 1 LEV
und
Art. 38 ff. EGG
zum Ausdruck kommt.
Das Grundstück, um das es sich hier handelt, umfasst etwas mehr als 1 ha Wiesland, ein Wohnhaus und eine Scheune mit Stallungen. Es ist geeignet, einem Landwirt und seiner Familie als Lebenszentrum und Grundlage für einen kleinen Bergbauernbetrieb zu dienen. Tatsächlich ist es vor dem Übergang an Hans Boo für diese Zwecke verwendet worden. Auch seither sind das Land und die Scheune landwirtschaftlich genutzt worden, während das Wohnhaus, wie es scheint, eine Zeitlang leergestanden hat. Das Grundstück ist der Verwendung für die Landwirtschaft bisher nicht entzogen worden. Es könnte auch jetzt noch in gleicher Weise wie vor dem Verkauf an Boo, durch eine an Ort und Stelle wohnende Bauernfamilie, genutzt werden. Unter diesen Umständen ist es als landwirtschaftliches Heimwesen im Sinne des
Art. 19 EGG
zu betrachten. Der Einspruch war daher zulässig. Es liegt keiner der Fälle vor, in denen nach
Art. 21 EGG
das Einspruchsverfahren nicht anwendbar ist. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a72bf4cd-4f1a-4014-b009-804bc8957e55 | Urteilskopf
113 IV 104
29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Oktober 1987 i.S. F. c. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 18, 107 BStP
; Tragweite der Delegationsverfügung.
Der Kanton, an den eine der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterliegende Strafsache delegiert wird, ist auch zur Verfolgung und Beurteilung von nachträglich entdeckten, zum delegierten Tatkomplex gehörenden gleichartigen Straftaten kompetent, die der Angeschuldigte ausserhalb des in der Delegationsverfügung genannten Tatzeitraums, jedoch vor deren Erlass begangen hat (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 105
BGE 113 IV 104 S. 105
Auszug aus den Erwägungen:
2.
In der Delegationsverfügung des EJPD (Bundesanwaltschaft) vom 17. April 1985 wird die gemäss Art. 12 des BG über die Spielbanken der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterliegende Strafsache gegen D. und 22 weitere Mitbeteiligte, unter ihnen den Beschwerdeführer, in Anwendung von
Art. 18 und 107 BStP
an das Statthalteramt des Kantons Zürich delegiert. In der Verfügung werden die folgenden "Begehungsorte und -zeiten" festgehalten:
"1) Zürich 4, ..., illegaler Spielclub ..., im Zeitraum Juni bis Dezember
1984
2) Zürich 4, ..., illegaler Spielclub..., im November 1984."
a) Die Vorinstanz erachtete den vom Beschwerdeführer bereits im Berufungsverfahren erhobenen Einwand, dass es hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz für die Zeit von Dezember 1984 bis ca. Juli 1985 an der erforderlichen Delegation und damit an einer Prozessvoraussetzung fehle, als unbegründet. Ihres Erachtens ist es offensichtlich, dass die Untersuchungsbehörden im frühen Stadium des Verfahrens, in dem die Delegationsverfügung erlassen wird, "nicht in der Lage sind, bereits mit letzter Präzision alle Deliktsorte und -zeiten der Gegenstand der Untersuchung bildenden Widerhandlungen anzugeben". Nach der Auffassung des Obergerichts genügt es, "wenn die Strafsache ... erkennbar umschrieben wird", und ist "eine detaillierte Bezeichnung der vorgeworfenen Handlungen, wie dies in einer Anklageschrift zu geschehen hat, ... in diesem Verfahrensstadium weder möglich noch für eine rechtmässige Delegation nötig".
Die Bundesanwaltschaft vertritt demgegenüber in ihrer Vernehmlassung zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde die Ansicht, dass die kantonale Strafverfolgungsbehörde berechtigt und verpflichtet sei, "das Verfahren unter Beachtung der sich aus der Verfügung ergebenden örtlichen und zeitlichen Beschränkung des Sachverhalts auf objektiv und subjektiv konnexe Bundesstrafsachen und gegebenenfalls auch auf weitere beteiligte
BGE 113 IV 104 S. 106
Personen auszudehnen", dass es aber "für später begangene strafbare Handlungen ... einer neuen Delegationsverfügung" bedürfe. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf einen Aufsatz von MARKUS PETER (Bundesstrafgerichtsbarkeit und kantonale Gerichtsbarkeit, in ZStrR 87/1971 S. 181 f.). Dessen Ausführungen kann indessen nicht entnommen werden, dass die kantonalen Behörden nur diejenigen an sich der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterliegenden Straftaten verfolgen und beurteilen können, die innerhalb eines in der Delegationsverfügung allenfalls festgelegten Zeitraums an den in der Verfügung genannten Orten begangen worden sein sollen. Von einer derartigen Begrenzung der kantonalen Zuständigkeit durch die in der Delegationsverfügung enthaltenen Angaben über Tatzeiten und Tatorte ist im zitierten Aufsatz nicht die Rede.
b) Die Delegation bezieht sich auf den Straffall "als Ganzes" (PETER, a.a.O.), "in seinem vollen Umfang" (HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 40). Die kantonale Behörde, an welche der Fall delegiert wird, ist nicht an die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen, im Sinne einer Begrenzung des Verfahrens, gebunden (HARALD HUBER, Das Verfahren in Bundesstrafsachen, die von kantonalen Behörden zu beurteilen sind, Diss. ZH 1939, S. 80). Der Delegationsbeschluss ist eine Gerichtsstands- und Kompetenzdelegationsverfügung, weder ein Überweisungsbeschluss noch eine blosse Anzeige (F. STÄMPFLI, Das BG über die Bundesstrafrechtspflege, 1935, N. 5 zu
Art. 254 BStP
). Er gibt den Anlass zur gerichtlichen Untersuchung. Er ist weder für den Umfang und die Art der Vorkommnisse, noch für die Zahl der Beteiligten und die Bedeutung ihrer Beteiligung entscheidend (BURCKHARDT, Schweizerisches Bundesrecht, Bd. IV, Nr. 2060 II). Angesichts dieser Meinungsäusserungen in der Literatur liegt die Annahme nahe, dass der Delegationsbeschluss auch für gleichartige konnexe Straftaten gültig ist, die der Angeschuldigte ausserhalb des Zeitraums begangen hat, welcher in der in einem frühen Stadium der Untersuchung erlassenen Delegationsverfügung aufgrund der damaligen, zwangsläufig noch relativ spärlichen Kenntnisse mehr oder weniger genau bezeichnet wird, dass mithin der Angabe eines Tatzeitrahmens in der Delegationsverfügung nicht die Bedeutung zukommt, die ihr der Bundesanwalt in seiner Vernehmlassung zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde beilegt. Es sind keine sachlichen Gründe dafür erkennbar, dass die kantonale Behörde das Verfahren ohne zusätzliche Delegation zwar auf
BGE 113 IV 104 S. 107
weitere konnexe Straftaten, die innerhalb einer in der Delegationsverfügung allenfalls mehr oder weniger genau umschriebenen Zeitspanne an den darin bezeichneten Orten begangen wurden, und gar auf weitere, in der Delegationsverfügung nicht genannte Personen ausdehnen darf (wie auch die Bundesanwaltschaft annimmt), nicht aber auf eindeutig zum delegierten Tatkomplex gehörende Straftaten, welche die in der Verfügung genannte Person vor deren Erlass ausserhalb einer darin genannten Zeitspanne oder an andern Orten verübt hat. Die kantonale Behörde kann und soll das Verfahren auf weitere, nachträglich entdeckte Delikte der Bundesgerichtsbarkeit ausdehnen (HAUSER, op.cit., S. 40), und es kann dabei jedenfalls in einem Fall nach der Art des vorliegenden, in dem die nachträglich entdeckten Straftaten zum delegierten Tatkomplex gehören, nicht entscheidend sein, ob die neu entdeckten konnexen Delikte innerhalb oder ausserhalb des Zeitrahmens verübt wurden, der in der Delegationsverfügung aufgrund der bei deren Erlass vorhandenen Kenntnisse genannt wird.
Die vorliegende Delegationsverfügung erfasst ihrem Sinne nach (siehe dazu Pra 1951 S. 96 Mitte) mithin auch Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz, die der Beschwerdeführer nach dem in ihr genannten Zeitraum bis zu ihrem Erlass am 17. April 1985 verübt hat. Es liegt somit entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers und der Bundesanwaltschaft nicht nur für die Zeit bis zum November bzw. 7. Dezember 1984, sondern für die Zeit bis zum 17. April 1985, an dem die Verfügung erlassen wurde, eine gültige Delegation vor.
c) Eine neue Delegationsverfügung war hingegen für nachträglich begangene strafbare Handlungen erforderlich (MARKUS PETER, op.cit., S. 182 oben), d.h. für Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz, die erst nach dem Erlass der Delegationsverfügung verübt wurden und daher von dieser nicht erfasst werden konnten. Die Zürcher Behörden waren demnach nicht zuständig zur Verfolgung und Beurteilung derjenigen Widerhandlungen, welche in der Zeit vom 17. April 1985 bis ca. Juli 1985 begangen wurden. Insoweit fehlt es an einer Prozessvoraussetzung und ist das angefochtene Urteil in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben. Der nachträgliche Erlass einer ergänzenden Delegationsverfügung betreffend die Verfolgung und Beurteilung von in diesem Zeitraum begangenen Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz vermag, jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstadium, den Mangel nicht zu heilen,
BGE 113 IV 104 S. 108
und auf ein diesbezügliches Angebot in der Vernehmlassung der Bundesanwaltschaft kann daher nicht eingetreten werden. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a72ce710-fa23-4f36-902d-2b66b180b1e3 | Urteilskopf
134 I 56
7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eheleute K. gegen Gemeinde Birr (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
1D_11/2007 vom 27. Februar 2008 | Regeste
Diskriminierende Nichteinbürgerung wegen Tragens des Kopftuches und mangelnder Sprachkenntnisse;
Art. 8 Abs. 2 und
Art. 15 BV
.
Bedeutung des Diskriminierungsverbotes und der Glaubens- und Gewissensfreiheit (E. 4 und 5.1).
In Anbetracht mangelnder Deutsch- und Staatskundekenntnisse hält die Abweisung des Einbürgerungsgesuchs ungeachtet der Tatsache, dass die Gesuchstellerin das Kopftuch trägt, vor der Verfassung stand (E. 3).
Einen negativen Einbürgerungsentscheid auf den Umstand abzustellen, dass die Ehefrau des Gesuchstellers das Kopftuch als religiöses Symbol trägt, ist geeignet, den einbürgerungswilligen Ehemann unzulässig zu benachteiligen. Hierfür fehlt eine qualifizierte Rechtfertigung: Das blosse Tragen des Kopftuches bringt für sich keine gegen rechtsstaatliche und demokratische Wertvorstellungen verstossende Haltung zum Ausdruck (E. 5.2). | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 134 I 56 S. 57
Die Eheleute K., Frau A.K. und Herr B.K., kamen 1981/1982 von Bosnien in die Schweiz und liessen sich im Kanton Aargau nieder.
Die Eheleute K. stellten in der Gemeinde Birr (AG) gemeinsam ein Einbürgerungsgesuch. Die Kommission für Einbürgerungsfragen und der Gemeinderat prüften das Gesuch und empfahlen die Einbürgerung; der Gemeinderat hielt in seinen Erläuterungen zuhanden der Einwohner-Gemeindeversammlung fest, dass die Integration der Gesuchsteller unbestritten sei.
Die Einwohner-Gemeindeversammlung diskutierte das Einbürgerungsersuchen; teils wurde darauf hingewiesen, dass Frau A.K. das Kopftuch trage und nicht integriert sei. Das Einbürgerungsgesuch der Eheleute K. wurde mit 95 Nein gegen 41 Ja abgelehnt.
Der Gemeinderat teilte den Eheleuten K. den negativen Beschluss der Einwohner-Gemeindeversammlung mit und hielt in seinem Schreiben das Folgende fest:
"In der Versammlungsunterlage werden jeweils die Gesuchsteller persönlich, mit Foto, vorgestellt. Frau K. liess sich dabei mit einer religiösen Kopfbedeckung ablichten. Das Kopftuch weist Frauen eine geschlechtlich und sozial differente Rolle zu, die im Gegensatz zum Gleichheitsgrundsatz der universell gültigen Allgemeinen Menschenrechte und insbesondere der Schweizerischen Bundesverfassung steht. Somit wird bestritten, dass Herr und Frau K. die Gleichstellung von Mann und Frau respektieren, achten und danach auch leben. Die Integration wird deshalb bestritten.
Die Ablehnung wurde aufgrund der Kopfbedeckung mit fehlender Integration in unserem Lande begründet. Zudem spricht die Ehefrau, A.K., mässig Deutsch und sie konnte die Fragen zur Verfassungsordnung von Bund, Kanton und Gemeinde nur teilweise beantworten."
Gegen diesen Beschluss der Einwohner-Gemeindeversammlung haben die Eheleute K. beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben. Im Wesentlichen machen sie eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
und der Glaubens- und Gewissensfreiheit nach
Art. 15 BV
geltend.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde von A.K. ab, heisst indes die Beschwerde von B.K. gut, hebt den angefochtenen
BGE 134 I 56 S. 58
Beschluss insoweit auf und weist die Sache zu neuem Entscheid an die Gemeinde Birr zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Bundesgericht geht davon aus, dass im Einbürgerungsverfahren über den rechtlichen Status von Einzelpersonen entschieden werde und Einbürgerungsentscheide einen Akt der Rechtsanwendung darstellten (
BGE 129 I 232
E. 3.3 S. 237 ff. und E. 3.4.2 S. 240;
BGE 129 I 217
E. 2.2 S. 224 ff.). Vor diesem Hintergrund sind im Einbürgerungsverfahren auch die Verfahrensgrundrechte von
Art. 29 BV
zu beachten. Die Gesuchsteller haben im Einbürgerungsverfahren Parteistellung und damit Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs und insbesondere auf eine Begründung im Falle der Abweisung ihres Gesuches. Diese Garantie von
Art. 29 Abs. 2 BV
steht ihnen unabhängig von ihrer Berechtigung in der Sache und trotz des Fehlens eines Rechtsanspruchs auf Einbürgerung zu (
BGE 129 I 232
E. 3.3 S. 238 f. und E. 3.7 S. 243;
BGE 131 I 18
E. 3 S. 20;
BGE 132 I 196
E. 3.1 S. 197; Urteile 1P.786/2006, 1P.787/2006 und 1P.788/ 2006 vom 22. März 2007, je E. 3 und 4.1, publ. in: ZBl 109/2008 S. 161).
Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass bei Einbürgerungsgesuchen von Eheleuten die beiden Ehepartner je als selbständige Gesuchsteller auftreten (
BGE 131 I 18
E. 3.3 S. 21 f.). In Bezug auf die Begründungserfordernisse nach
Art. 29 Abs. 2 BV
bedeutet dies, dass negative Entscheide je individuell begründet werden müssen; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbürgerungsvoraussetzungen der Eheleute unterschiedlich zu beurteilen sind und diese nicht auf eine individuelle Beurteilung ihrer Gesuche verzichtet haben (
BGE 131 I 18
E. 3.4 S. 22; Urteil 1P.787/2006 vom 22. März 2007, E. 5.2, publ. in: ZBl 109/2008 S. 168). Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführer ihr Einbürgerungsgesuch gemeinsam in demselben Formular eingereicht haben; sie haben es individuell unterschrieben. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Beschwerde für die beiden Eheleute je getrennt voneinander zu beurteilen ist, da die Abweisung des Einbürgerungsgesuches in Bezug auf den Ehemann ausschliesslich mit dem Tragen des Kopftuches seiner Ehefrau begründet wird, in Bezug auf die Ehefrau zum Tragen des Kopftuches zusätzlich mangelnde Deutsch- und Staatskundekenntnisse angeführt werden.
BGE 134 I 56 S. 59
3.
A.K. werden mangelnde Deutschkenntnisse vorgehalten und daraus eine unzureichende Integration abgeleitet. Im Bericht der Gemeinde zum Einbürgerungsgesuch wird festgehalten, dass sie nur mässig Deutsch spricht (knapp erfüllt). Zudem geht aus dem Bericht hervor, dass sie zu den Fragen betreffend die Verfassungsordnung von Bund, Kanton und Gemeinde nur teilweise Auskunft geben konnte.
Die Beschwerdeführerin bestreitet diese Berichte nicht. Diese Tatsachen können als Zeichen mangelnder Integration verstanden werden. Die Vorbringen sind, für sich genommen, neutral gehalten, nehmen Bezug auf die für eine Einbürgerung erforderliche Integration und lassen keine auf der Religion oder auf religiös bedingten Verhaltens- und Bekleidungsweisen beruhende Diskriminierung erkennen. Vor diesem Hintergrund kann von einem Verstoss gegen
Art. 8 Abs. 2 BV
nicht gesprochen werden (vgl.
BGE 132 I 167
E. 4 S. 170 ff.). Insofern beruht der negative Einbürgerungsentscheid auf einer Begründung, die im Ergebnis vor der Verfassung standhält. Bei dieser Sachlage ist auf die weitern Begründungselemente - wie das in der Einwohner-Gemeindeversammlung und vom Gemeinderat angesprochene Tragen des Kopftuches - nicht näher einzugehen. Im bundesgerichtlichen Verfahren wird ein kantonaler Entscheid auf Beschwerde hin nicht schon allein wegen einzelner Begründungselemente, sondern nur dann aufgehoben, wenn er sich auch im Ergebnis als verfassungswidrig erweist (vgl.
BGE 132 I 167
E. 4.1 S. 171 mit Hinweisen).
Demnach ist die Beschwerde in Bezug auf A.K. abzuweisen.
4.
In Bezug auf B.K. ergibt sich aus der Begründung des Gemeinderates und den Akten, dass ihm weder mangelnde Deutsch- noch unzureichende Staatskundekenntnisse vorgehalten werden. Die Begründung des negativen Einbürgerungsentscheides beruht einzig darauf, dass ihm wegen des Tragens des Kopftuches durch seine Ehefrau mangelnder Respekt vor den verfassungsmässigen Grundwerten und mangelnde Anerkennung der Gleichstellung von Mann und Frau vorgeworfen werden. Darin erblickt er eine Diskriminierung wegen der religiösen und weltanschaulichen Überzeugung im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 BV
.
4.1
Der Berufung des Beschwerdeführers auf
Art. 15 BV
kommt im vorliegenden Fall keine direkte und eigenständige Bedeutung zu (vgl.
BGE 132 I 167
E. 3 S. 170). Dieser wird durch den
BGE 134 I 56 S. 60
angefochtenen Beschluss nicht daran gehindert, seine Religion frei zu wählen, auszuüben und zu bekennen. Soweit ihn sein religiöses Bekenntnis und der Umstand, dass seine Ehefrau das Kopftuch trägt, im Einbürgerungsverfahren benachteiligen oder einer Einbürgerung gar entgegenstehen, stellt sich typischerweise die Frage, ob eine von
Art. 8 Abs. 2 BV
untersagte Diskriminierung vorliegt.
4.2
Nach
Art. 8 Abs. 2 BV
darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Lebensform und der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung. In diesem Rahmen ist für die Bestimmung des Inhalts der religiösen Überzeugung Bezug zu nehmen auf die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäss
Art. 15 BV
(vgl. RAINER J. SCHWEIZER, Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 1. Aufl. 2002, N. 64 zu
Art. 8 BV
; JÖRG P. MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 433).
4.3
Art. 15 BV
gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Abs. 1) und räumt jeder Person das Recht ein, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit andern zu bekennen (Abs. 2). Unter diesem Schutze stehen nicht nur die traditionellen Glaubensformen der christlich-abendländischen Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern alle Religionen, unabhängig von ihrer quantitativen Verbreitung in der Schweiz (
BGE 119 Ia 178
E. 4b S. 184;
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 300 f.). Die Religionsfreiheit umfasst sowohl die innere Freiheit, zu glauben, nicht zu glauben oder seine religiösen Anschauungen zu ändern, wie auch die äussere Freiheit, entsprechende Überzeugungen innerhalb gewisser Schranken zu äussern, zu praktizieren und zu verbreiten (
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 300;
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 184). Sie enthält den Anspruch des Einzelnen darauf, sein Verhalten grundsätzlich nach den Lehren des Glaubens auszurichten und den Glaubensüberzeugungen gemäss zu handeln. Zur derart gewährleisteten Religionsausübung zählen über kultische Handlungen hinaus auch die Beachtung religiöser Gebräuche und andere Äusserungen des religiösen Lebens im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der Kulturvölker, soweit solche Verhaltensweisen Ausdruck der religiösen Überzeugung sind (
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 300;
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 184). Das gilt auch für Religionsbekenntnisse, welche - wie der Islam - die auf den Glauben gestützten Verhaltensweisen sowohl auf das geistig-religiöse Leben wie auch auf weitere Bereiche
BGE 134 I 56 S. 61
des alltäglichen Lebens beziehen (
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 185). Insoweit werden religiös bedingte Bekleidungsvorschriften wie das Tragen des Kopftuches vom Schutz von
Art. 15 BV
erfasst (
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 300;
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 184).
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgericht erkannt, dass das gemischtgeschlechtliche Baden in der Schule grundsätzlich im Widerspruch zu einer islamischen Glaubensregel stehe und entsprechende Verhaltensweisen unter den Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit fielen. Unerheblich sei insoweit, ob entsprechende Gepflogenheiten von allen, von einer Mehrheit oder allenfalls lediglich von einer Minderheit der islamischen Glaubensangehörigen befolgt würden (
BGE 119 Ia 178
E. 4d S. 185 f.).
In gleicher Weise steht das Tragen des Kopftuches von Frauen, die dem Islam angehören, als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses unter dem Schutz der Religionsfreiheit gemäss
Art. 15 BV
(
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 300;
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 184; vgl. auch
BGE 119 IV 260
E. 3b/aa S. 263). Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass bei gegebenen verfassungsmässigen Voraussetzungen Eingriffe in die Glaubens- und Gewissensfreiheit möglich und Einschränkungen von aus der Religion abgeleiteten Gepflogenheiten zulässig sind (vgl.
BGE 123 I 296
;
BGE 119 IV 260
).
4.4
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit nach
Art. 15 BV
ist nicht nur ein individuelles Abwehrrecht, sondern enthält auch einen objektivrechtlichen Gehalt, an dem sich gemäss
Art. 35 Abs. 1 BV
die gesamte Staatstätigkeit auszurichten hat (vgl. URS JOSEF CAVELTI, Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 1. Aufl. 2002, N. 7 zu
Art. 15 BV
) und der auch im Einbürgerungsverfahren ungeachtet der Natur und der Stufe des entscheidenden Organs zu beachten ist. In diesem Sinne verbietet
Art. 8 Abs. 2 BV
Diskriminierungen, die an religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen und ihren Manifestationen anknüpfen.
5.
5.1
Gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen seiner Herkunft und der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person ungleich behandelt wird allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, welche historisch oder in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder als minderwertig behandelt wird. Die
BGE 134 I 56 S. 62
Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteilung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen; insofern beschlägt das Diskriminierungsverbot auch Aspekte der Menschenwürde nach
Art. 7 BV
. Das Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
schliesst indes die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie beispielsweise Herkunft, Rasse, Geschlecht oder religiöse Überzeugung - nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Diese kann indes durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützte Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (
BGE 129 I 217
E. 2.1 S. 223 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Doktrin; REGINA KIENER/ WALTER KÄLIN, Grundrechte, Bern 2007, S. 359 ff.).
5.2
Im vorliegenden Fall bildete der Umstand, dass die Ehefrau das Kopftuch trägt und sich so fotografieren lässt, den Anknüpfungspunkt für die Verweigerung des Bürgerrechts an den Beschwerdeführer. Es ist von keiner Seite behauptet oder dargelegt worden, dass der Ehemann nicht hinreichend integriert und aus diesem Grunde nicht eingebürgert werden könnte. Das Tragen des Kopftuches seiner Ehefrau bildete sowohl in der Einwohner-Gemeindeversammlung wie auch nach der Begründung des Gemeinderates in Bezug auf den Ehemann den Ausgangspunkt für die Abweisung des Einbürgerungsgesuches. Dieser Umstand ist nicht nur geeignet, Frauen, die sich zum Islam bekennen und das Kopftuch tragen, gegenüber Männern und solchen Frauen, die das Kopftuch trotz des Bekenntnisses zum Islam nicht tragen oder einer andern Glaubensrichtung verpflichtet sind, im Einbürgerungsverfahren zu benachteiligen und rechtsungleich zu behandeln oder ihnen die Erlangung des Bürgerrechts gar zu verunmöglichen. Dieser Umstand betrifft auch Männer, deren Frauen sich zum Islam bekennen und das Kopftuch tragen, und zwar unabhängig davon, ob sie diese aus dem Islam abgeleitete und von der Ehefrau befolgte
BGE 134 I 56 S. 63
Bekleidungsweise befürworten oder nicht. Der negative Beschluss der Einwohner-Gemeindeversammlung beruht somit im Ausgangspunkt auf einem Merkmal, das nach
Art. 8 Abs. 2 BV
verpönt und im Grundsatz unzulässig ist. Insoweit ist der Beschwerdeführer in spezifischer Weise gegenüber andern Gesuchstellern ungleich behandelt und diskriminiert worden.
Diese Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers infolge eines religiösen Bekenntnisses und der Befolgung von religiösen Gebräuchen durch die Ehefrau lässt sich durch keinerlei qualifizierte und objektive Gründe rechtfertigen. Glaubensinhalte, die ein religiös motiviertes Verhalten begründen oder bestimmte Bekleidungsweisen nahelegen, sind grundsätzlich nicht zu überprüfen und zu bewerten (vgl.
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 185).
Art. 8 Abs. 2 BV
ist insoweit Ausdruck weltanschaulicher Pluralität und gebietet im Grundsatz die Anerkennung von Bekenntnissen und Überzeugungen, die von den in der Schweiz herkömmlichen Vorstellungen abweichen.
Es kann nicht mit Grund gesagt werden, das Tragen des Kopftuches als Manifestation eines religiösen Bekenntnisses bringe in allgemein erkennbarer Weise eine Haltung der Unterwerfung der Frau unter den Mann und eine Herabminderung von Frauen zum Ausdruck. Eine solche Haltung kann noch weniger im Umstand erblickt werden, dass die Ehefrau des Gesuchstellers das Kopftuch trägt. Die Befolgung der aus dem Koran abgeleiteten Übung kann auf eigenständigem Entschluss der Frauen selber beruhen, ihren Glauben auf diese Weise zu manifestieren, ohne dass damit eine Haltung der Unterwerfung ausgedrückt würde. Insoweit erweist sich das blosse Tragen des Kopftuches durch die Ehefrau für den Ehemann in der Regel als wenig aussagekräftig und wertneutral; daran ändert nichts, dass in der Übung des Tragens des Kopftuches teils eine Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern erblickt wird (vgl. vor dem Hintergrund eines unterschiedlichen Sachverhalts
BGE 123 I 296
E. 4b/cc S. 312). Der Umstand, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ein Kopftuch trägt, könnte mitberücksichtigt werden, wenn darin vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse eine Haltung des Beschwerdeführers zum Ausdruck kommt, die mit unsern grundlegenden rechtsstaatlichen und demokratischen Wertvorstellungen im Widerspruch stünde. Ein derartiger konkreter Bezug wird im kommunalen Verfahren weder behauptet noch nachgewiesen. Die sich in der
BGE 134 I 56 S. 64
Einwohner-Gemeindeversammlung äussernde Stimmberechtigte hat einzig auf das Tragen des Kopftuches hingewiesen. Der Gemeinderat hat es in seiner Begründung bei der allgemeinen Behauptung bewenden lassen, das Tragen des Kopftuches bringe mangelnden Respekt vor der Verfassungsordnung und mangelnde Anerkennung der Gleichbehandlung von Mann und Frau zum Ausdruck. Insbesondere wurde kein Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers genommen und nicht im Einzelnen vorgebracht, dass dieser grundlegende Prinzipien und Werte unserer Gesellschaft missachten würde, die vorgehaltene Haltung im Alltagsleben tatsächlich manifestiere und aus solchen Überlegungen nicht als integriert gelten könnte. Schliesslich ist den Akten nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer eine Haltung der Ungleichbehandlung und Unterdrückung einnehmen würde, hat er sich doch im Bericht zum Einbürgerungsgesuch zum Respekt vor dem andern Geschlecht und zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bekannt.
Bei dieser Sachlage fehlt es an einer qualifizierten, auf die konkreten Umstände bezogenen Begründung, welche die Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers wegen seines religiösen Bekenntnisses bzw. wegen der Manifestation der religiösen Überzeugung der Ehefrau durch das Tragen des Kopftuches zu rechtfertigen vermöchte. Damit ist der Beschwerdeführer durch den negativen Beschluss der Einwohner-Gemeindeversammlung, der ausschliesslich an einem verpönten Merkmal anknüpft und den Beschwerdeführer ohne qualifizierte Rechtfertigung rechtsungleich behandelt und benachteiligt, im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 BV
diskriminiert worden. Die Beschwerde erweist sich daher in Bezug auf den Beschwerdeführer B.K. als begründet. | public_law | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
a72fb882-5015-4738-9947-3b8d90330326 | Urteilskopf
95 II 573
77. Arrêt de la Ire Cour civile du 25 mars 1969 dans la cause Assurance mutuelle vaudoise contre Jaquier. | Regeste
Haftung des Motorfahrzeughalters für den Zusammenstoss mit einem Velofahrer, der verletzt wurde und den Unfall mitverschuldete. Art. 58 Abs. 1 und 59 Abs. 1 SVG.
1. Verschulden des Autofahrers, der nachts wegen entgegenkommender Strassenbenützer die Abblendlichter eingeschaltet hat, aber seine Geschwindigkeit nicht so bemisst, dass er innerhalb der zuverlässig überblickbaren Strecke anhalten könnte (Art. 25 Abs. 1 MFG; vgl. auch
Art. 32 Abs. 1 SVG
und
Art. 4 Abs. 1 VRV
) (Erw. 2 b).
2. Mitverschulden des Velofahrers, der unbekümmert darum, dass er die Lichter eines entgegenkommenden Fahrzeuges wahrgenommen hat, auf die linke Strassenhälfte ausbiegt, um Fussgänger zu überholen, die sich auf der rechten befinden (Erw. 2 a).
3. Festsetzung der Entschädigung nach den Umständen, insbesondere dem beidseitigen Verschulden (
Art. 59 Abs. 2 SVG
). Hier keine Berücksichtigung der mit dem Gebrauch eines Fahrrades verbundenen Betriebsgefahr noch der Verletzbarkeit dessen, der ein solches Fahrzeug benützt (Erw. 3 und 4).
4. Anrechnung der Leistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (
Art. 100 KUVG
) (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 575
BGE 95 II 573 S. 575
A.-
Le lundi 30 janvier 1961, vers 19 heures 10, Louis Jaquier, né le 22 septembre 1909, roulait à bicyclette, sur la route de Chénens à Lentigny. Il faisait nuit. Des piétons, descendus du train à la gare de Chénens, cheminaient sur la partie droite de la chaussée par groupes de deux ou trois de front, qui se suivaient à des intervalles de 30 à 50 mètres. La plupart étaient des ouvriers qui regagnaient leur domicile après une journée de travail à Lausanne.
La route, large de 5 m 65, était asphaltée et couverte, sur ses bords, d'une couche de neige durcie et de gravier, sur une largeur de 20 à 30 cm de chaque côté. La pente est de 3 à 4% en direction de Lentigny.
Louis Jaquier, qui était également arrivé par le train à Chénens, rentrait chez lui, à Corserey. Il circulait à une allure modérée. Il empruntait la partie gauche de la chaussée pour dépasser les piétons et reprenait chaque fois sa droite après les avoir doublés.
A un moment donné, et bien qu'il eût aperçu une voiture venant en sens inverse, Louis Jaquier se porta sur la moitié gauche de la chaussée, qu'il emprunta jusque vers son milieu, pour dépasser un groupe de piétons qui occupait toute la partie droite. Il fut alors renversé par la voiture automobile que conduisait Joseph Jendly. Celui-ci venait de traverser le village de Lentigny à faible allure. Il avait accéléré à la sortie de la localité et roulait à une vitesse de 50 à 60 km/h. Chaque fois qu'il rencontrait un groupe de piétons, il baissait ses phares pour éviter de les éblouir. Dans le faisceau lumineux de ses feux de croisement, il aperçut le cycliste Louis Jaquier à une vingtaine de mètres. Il bloqua ses freins sur une distance de 5 à 6 mètres, puis les relâcha pour les bloquer à nouveau, parce qu'il craignait de perdre la maîtrise de son véhicule et de heurter les piétons. Malgré ce freinage en deux phases, il ne put éviter la collision avec le cycliste qui, devant l'imminence du danger, avait tenté de regagner la partie droite de la chaussée, mais n'y parvint pas assez rapidement. Le choc s'est produit à environ 40 cm de la ligne médiane, sur la partie de la chaussée réservée à l'automobiliste, entre la bicyclette et la partie avant gauche de la voiture. Joseph Jendly ne réussit à immobiliser son véhicule que quelques mètres plus loin.
Projeté à terre, Louis Jaquier fut transporté à l'hôpital où il resta plusieurs mois. On dut lui amputer la jambe gauche.
BGE 95 II 573 S. 576
La Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (en abrégé: la Caisse nationale), auprès de laquelle il était assuré, lui servit ses prestations sur la base d'une incapacité de travail temporaire de 100% du 31 janvier 1961 au 26 février 1962 et de 85% du 27 février 1962 au 30 juin 1963, puis d'une incapacité de travail permanente de 70% à partir du 1er juillet 1963.
B.-
Le 25 octobre 1961, le Tribunal correctionnel de l'arrondissement de la Sarine a condamné Joseph Jendly pour lésions corporelles par négligence (art. 125 CP) à une amende de 150 fr. et Louis Jaquier, pour infraction aux prescriptions sur la circulation (art. 26 et 58 al. 1 LA), à une amende de 20 fr. Il a considéré que si, en soi, la vitesse de l'automobiliste n'était pas élevée, elle n'était pas adaptée aux circonstances. Quant au cycliste, il avait commis une faute en empiétant sur la partie gauche de la chaussée pour dépasser le groupe de piétons, bien qu'il eût aperçu la voiture à une cinquantaine de mètres devant lui.
C.-
Par demande du 23 février 1965, Louis Jaquier intenta une action à l'Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents (en abrégé: la Mutuelle), qui assurait Joseph Jendly contre les conséquences de sa responsabilité civile. Il conclut au paiement des sommes suivantes:
- 35 000 fr. représentant la différence entre le dommage résultant de la perte de gain, réduit de 10% en raison de la faute concurrente de la victime, et les prestations de la Caisse nationale;
- 592 fr. 20 pour le dommage matériel, l'indemnité étant également réduite de 10%;
- 8000 fr. à titre de réparation du tort moral, soit au total 43 592 fr. 20.
La Mutuelle a conclu au rejet de la demande.
Statuant le 23 janvier 1968, le Tribunal civil de l'arrondissement de la Sarine a admis la demande et condamné la Mutuelle à payer à Louis Jaquier la somme de 43 592 fr. 20 avec intérêt à 5% dès le 31 juillet 1964.
D.-
Saisie d'un recours de la Mutuelle, la Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois, qui a rendu son arrêt le 23 septembre 1968, a confirmé le jugement de première instance.
L'arrêt est motivé, en bref, comme il suit:
Les deux conducteurs ont commis une faute. L'application de l'art. 59 al. 1 LCR est dès lors exclue. Mais la faute de l'automobiliste
BGE 95 II 573 S. 577
est moins grave que celle du cycliste. Selon l'art. 59 al. 2 LCR et compte tenu de toutes les circonstances, notamment du risque auquel le lésé s'est exposé en utilisant une bicyclette, la part du dommage à supporter par la défenderesse est fixée à 40%.
En raison de sa faute concurrente, le demandeur ne saurait obtenir l'allocation d'une indemnité pour tort moral.
Le dommage matériel est arrêté à 400 fr.
Le dommage résultant de la perte de gain temporaire et de l'invalidité permanente (valeur actuelle d'une rente capitalisée selon la table d'activité no 1 de STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 2e éd., 1959, p. 29) s'élève à 151 133 fr. 70.
Le dommage total est ainsi de 151 133 fr. 70 + 400 fr. = 151 533 fr. 70, dont le 40% ou 60 613 fr. 50 sont à la charge de la Mutuelle. Cette indemnité est inférieure à la différence entre le dommage corporel (151 133 fr. 70) et les prestations de la Caisse nationale (89 802 fr. 70), y compris la valeur actuelle de la rente d'invalidité, capitalisée selon la table d'activité no 1 de STAUFFER et SCHAETZLE, différence qui est de 61 331 fr. Elle devrait dès lors être allouée intégralement, selon la jurisprudence récente du Tribunal fédéral concernant l'art. 88 LCR (RO 93 II 407). Mais Louis Jaquier n'a pas recouru contre le jugement de première instance, qui lui allouait 43 592 fr. 20. La cour cantonale ne peut dès lors que confirmer ce jugement.
E.-
Contre cet arrêt, la Mutuelle recourt en réforme au Tribunal fédéral. Elle reprend ses conclusions libératiores.
Contestant la faute de l'automobiliste Joseph Jendly, la recourante affirme que l'accident est dû exclusivement à la faute grave du lésé Louis Jaquier. Elle estime dès lors que son assuré doit être libéré de sa responsabilité civile en vertu de l'art. 59 al. 1 LCR. Sans critiquer le calcul du dommage ni traiter de l'étendue de la subrogation en faveur de la Caisse nationale, la Mutuelle observe que la valeur capitalisée de la rente de cet établissement aurait dû être calculée selon la table de longévité (STAUFFER/SCHAETZLE, op.cit., table no 7) et non selon la table d'activité.
F.-
L'intimé Louis Jaquier conclut au rejet du recours et à la confirmation de l'arrêt attaqué.
Il plaide au bénéfice de l'assistance judiciaire gratuite, selon décision du 24 janvier 1969.
BGE 95 II 573 S. 578
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'accident s'étant produit le 30 janvier 1961, la cause doit être jugée, pour ce qui concerne la responsabilité civile, selon les
art. 58 à 89
LCR, entrés en vigueur le 1er janvier 1960 (art. 61 al. 1 OAV), et pour ce qui concerne les règles de la circulation, au regard desquelles doivent être appréciées les fautes respectives, selon les art. 17 ss. LA, qui n'ont été remplacés qu'à partir du 1er janvier 1963 par les art. 26 ss. LCR (art. 99 OCR).
2.
Aux termes de l'art. 58 al. 1 LCR, si, par suite de l'emploi d'un véhicule automobile, une personne est tuée ou blessée ou qu'un dommage matériel est causé, le détenteur est civilement responsable. En vertu de l'art. 59 al. 1 LCR, le détenteur est libéré de la responsabilité civile s'il prouve que l'accident a été causé par la force majeure ou par une faute grave du lésé ou d'un tiers, sans que lui-même ou les personnes dont il est responsable aient commis de faute et sans qu'une défectuosité du véhicule ait contribué à l'accident. La recourante invoque cette disposition libératoire. Elle prétend que l'accident est dû exclusivement à la faute grave du cycliste Louis Jaquier. Elle affirme en outre que son assuré Joseph Jendly n'a commis aucune faute.
a) Selon la jurisprudence fondée tant sur l'art. 37 LA que sur l'art. 59 LCR, un usager de la route commet une faute grave s'il viole des règles de prudence élémentaires dont l'observation s'imposait à l'évidence à tout homme raisonnable se trouvant dans la même situation (RO 92 II 253, consid. 2;
64 II 241
; cf. aussi, en d'autres matières, RO 88 II 435 et 87 II 189). Ainsi, le Tribunal fédéral a admis la faute grave d'un cycliste qui débouchait inopinément d'un chemin secondaire sur une route principale ou qui abordait une bifurcation à une allure excessive et n'avait pu éviter la collision avec une voiture automobile (RO 77 II 262, consid. 2;
64 II 241
;
63 II 213
).
Il résulte de l'arrêt attaqué que Louis Jaquier a emprunté à plusieurs reprises, partiellement au moins, la partie gauche de la chaussée pour dépasser des groupes de piétons qui cheminaient dans la même direction que lui, et qu'ensuite il reprenait chaque fois sa droite. En soi, cette manoeuvre est correcte. En l'absence d'une ligne blanche continue et sur une route rectiligne, le cycliste comme tout conducteur de véhicule est en droit d'utiliser
BGE 95 II 573 S. 579
aussi la partie gauche de la chaussée; il agit même prudemment en ne serrant pas les piétons de trop près (art. 25 al. 1, 3e phrase LA; RO 72 II 133, consid. 2).
A un moment donné, Louis Jaquier a vu venir une voiture en sens inverse. De nuit, il n'en voyait évidement que les phares. Il avait dès lors à juger s'il pouvait encore dépasser les piétons qui marchaient devant lui avant de croiser la voiture. Pour prendre sa décision, il devait estimer la distance à laquelle se trouvait l'automobile et la vitesse à laquelle elle roulait. L'événement a prouvé qu'il avait commis à cet égard une double erreur d'appréciation: la voiture était plus proche et elle avançait plus vite qu'il ne croyait.
La faute de Louis Jaquier consiste ainsi en une erreur d'appréciation, qui s'est produite en une fraction de seconde. Cette faute, qui est en relation de causalité adéquate avec l'accident, est certes caractérisée. Mais elle ne saurait être qualifiée de grave au sens de la jurisprudence précitée. Par ce motif déjà, la libération du détenteur Joseph Jendly est exclue.
b) Selon l'art. 25 al. 1 LA, le conducteur doit être constamment maître de son véhicule et en adapter la vitesse aux conditions de la route et de la circulation. La jurisprudence a déduit de cette prescription légale que l'automobiliste doit pouvoir s'arrêter sur l'espace qu'il voit libre devant lui. La règle s'applique notamment de nuit lorsque, pour ne pas éblouir d'autres usagers de la route qui viennent en sens inverse, le conducteur éteint ses grands phares et allume ses feux de croisement (RO 84 II 129 et 88 IV 149). L'espace est libre lorsqu'aucun obstacle n'est visible et qu'on ne doit pas s'attendre à ce qu'il en surgisse un (RO 89 IV 25).
La règle jurisprudentielle a été reprise par les art. 32 al. 1 LCR et 4 al. 1 OCR (cf. à ce sujet RO 90 IV 33, 91 IV 76, 94 IV 23) qui ne sont toutefois pas applicables en l'espèce.
Joseph Jendly avait accéléré après la sortie du village de Lentigny. Il roulait, selon les constatations de la cour cantonale, à une allure de 50 à 60 km/h. Il est vrai qu'en soi, cette vitesse n'était pas excessive. L'automobiliste allumait alternativement ses grands phares et ses feux de croisement, chaque fois qu'il croisait un groupe de piétons. Comme il circulait sur une route rectiligne, il a vu ou du moins il a dû voir qu'un cycliste roulant en sens inverse se déplaçait de sa droite à sa gauche et dépassait un groupe de piétons et empruntait à cet effet la moitié gauche
BGE 95 II 573 S. 580
de la chaussée, soit celle qui lui était normalement réservée. En présence d'un pareil obstacle, la prudence lui commandait de ralentir sensiblement afin de croiser les piétons et le cycle, véhicule instable, sans causer un accident (art. 25 al. 1, 2e phrase LA). Une prudence accrue s'imposait en raison de l'état de la chaussée, recouverte de neige et de gravier sur ses bords. En maintenant son allure de 50 à 60 km/h, il a commis une faute manifeste. Cette faute est elle aussi en relation de causalité adéquate avec l'accident. Elle s'oppose également à la libération du détenteur.
3.
Lorsque le détenteur ne peut se libérer de sa responsabilité civile en vertu de l'art. 59 al. 1 LCR, mais prouve qu'une faute du lésé a contribué à l'accident, le juge fixe l'indemnité en tenant compte de toutes les circonstances (art. 59 al. 2 LCR). Et si le détenteur - scumis à la responsabilité causale instituée par l'art. 58 al. 1 LCR - a lui aussi commis une faute, celle-ci compense en partie la faute concurrente de la victime. Le juge compare alors la gravité des fautes respectives et apprécie, le cas échéant, le poids des autres facteurs qui ont contribué à provoquer le dommage. Pratiquement, l'indemnité est réduite dans une mesure moindre que ne le justifierait la faute concurrente, considérée pour elle-même (RO 91 II 223, consid. 2 lettre c; RO 92 II 44, consid. 5 lettre b).
Se référant à deux arrêts qui concernent des accidents où étaient impliqués des motocycles et non des cycles (RO 88 II 448 et arrêt du 19 janvier 1965 dans la cause Francioli c. La Winterthur et Butty, non publié au RO, mais reproduit en extrait dans la Semaine judiciaire 1966, p. 396 et au JdT 1967, p. 426 no 43), le Tribunal cantonal a tenu compte du risque auquel s'est exposé le lésé lui-même "en utilisant un moyen de locomotion aussi instable qu'une bicyclette dont l'équilibre n'est assuré que par le mouvement", qui "expose son usager à des accidents lourds de conséquences" et dont l'utilisation "requiert une prudence particulière". Mais il ne faut pas confondre le risque inhérent à l'emploi d'un véhicule automobile et la vulnérabilité du conducteur, ni perdre de vue que les usagers de la route les plus mal protégés - les piétons et les cyclistes - ne présentent pas de risques inhérents et ne sont pas soumis à la responsabilité causale (CHATELAIN, Tendances actuelles du Tribunal fédéral dans le domaine de la responsabilité civile, RJB 105 - 1969 - p. 225 no 7). Même si l'on pouvait envisager l'existence d'un
BGE 95 II 573 S. 581
risque inhérent à l'utilisation d'un cycle, qui serait abstraitement plus grand que le risque inhérent à l'emploi d'une voiture automobile, il ne jouerait un rôle dans la répartition des responsabilités que si, dans un cas concret, il était en relation avec une négligence ou quelque autre circonstance dont le conducteur doit répondre (RO 94 II 173). En l'espèce, la collision se serait produite également si Louis Jaquier avait dépassé les piétons au volant d'une voiture automobile; ses lésions auraient peut-être été moins graves, mais il ne serait probablement pas sorti indemne de l'accident (arrêt cité). Il ne faut donc pas tenir compte séparément du danger couru par le cycliste, qui se confond pratiquement avec sa faute: du fait même qu'il n'était pas protégé contre un choc, il devait redoubler de prudence avant d'entreprendre le dépassement des piétons qui cheminaient devant lui.
4.
La faute concurrente du lésé justifie une réduction de l'indemnité. Mais le taux de 60% appliqué par la cour cantonale est trop élevé. La responsabilité causale du détenteur et la faute commise par lui entrent aussi en ligne de compte. Une réduction moins importante, de moitié, voire d'un tiers, eût été mieux adaptée aux circonstances.
Le montant du dommage corporel n'est plus litigieux. Il s'élève à 151 133 fr. 70. L'indemnité due au lésé en vertu du droit civil serait donc, après réduction d'un tiers dans l'hypothèse la plus favorable au demandeur, d'environ 100 000 fr.
Vu l'art. 100 LAMA, la Caisse nationale est subrogée, pour le montant de ses prestations, aux droits du lésé contre le détenteur responsable de l'accident. Dans cette mesure, Louis Jaquier ne peut donc pas être indemnisé par la recourante, qui assure la personne civilement responsable (RO 85 II 258). La cour cantonale a calculé la valeur actuelle de la rente d'invalidité servie par la Caisse nationale selon la table d'activité no 1 de STAUFFER et SCHAETZLE. Ce mode de capitalisation est contraire à la jurisprudence antérieure (RO 86 II 154), mais conforme à l'arrêt du 11 mars 1969 dans la cause Lloyd's Underwriters c. Chaboudez (RO 95 II 582). Les prestations de la Caisse nationale représentent 89 802 fr. 70.
La partie non couverte du dommage est ainsi de 61 331 fr. Selon l'art. 88 LCR et l'arrêt Caisse nationale c. Winterthur-Accidents, du 11 octobre 1967 (RO 93 II 407), Louis Jaquier aurait droit à l'entier de cette somme. Mais, se fondant probablement
BGE 95 II 573 S. 582
sur la jurisprudence antérieure, il a pris des conclusions en paiement de 43 592 fr. 20 seulement. La cour cantonale lui a alloué ce montant. Il n'a pas recouru en réforme. Du reste, il n'aurait pas pu conclure, devant le Tribunal fédéral, au paiement d'une somme supérieure (art. 55 al. 1 lettre b OJ). Aussi l'arrêt attaqué doit-il être confirmé dans son dispositif.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme l'arrêt rendu le 23 septembre 1968 par la Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a7328c7d-0e22-4344-86d1-7304d7f925b5 | Urteilskopf
94 III 55
12. Entscheid vom 19. September 1968 i.S. Pachter. | Regeste
Allgemeine Stellung, Amtsentsetzung und Ausstandspflicht des Sachwalters im Nachlassverfahren, namentlich in demjenigen der Banken und Sparkassen. Rekurs ans Bundesgericht.
1. Stellung des Sachwalters im allgemeinen (Erw. 2). Im gewöhnlichen Nachlassverfahren steht der nicht beamtete Sachwalter unter der Disziplinargewalt der Nachlassbehörde (Erw. 2 a). Das gleiche gilt für den Sachwalter im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen (Erw. 2 b). Die Nachlassbehörde hat auch Streitigkeiten darüber zu beurteilen, ob diese Organe nach dem auf sie entsprechend anzuwendenden
Art. 10 SchKG
zum Ausstand verpflichtet sind (Erw. 2 c).
2. Wieweit können Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden im Sinne von
Art. 13 SchKG
, welche Disziplinarmassnahmen anordnen oder ablehnen, durch Rekurs nach
Art. 19 SchKG
an das Bundesgericht weitergezogen werden? (Zusammenfassung der Rechtsprechung). Gegen Disziplinarentscheide der Nachlassbehörde im gewöhnlichen Nachlassverfahren ist dieser Rekurs nicht zulässig. Dagegen können im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen alle Entscheide der Nachlassbehörde, auch solche über die Frage der Absetzung des Sachwalters, an das Bundesgericht weitergezogen werden; ebenso Entscheide der Nachlassbehörde über die Ausstandspflicht des Sachwalters (Art. 53 Abs. 2 der VV zum BankG; Erw. 3).
3. Abberufung oder Ausstand des Sachwalters wegen einer angeblich voreiligen und unrichtigen Mitteilung? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 94 III 55 S. 56
A.-
Am 19. Januar 1968 bewilligte das Handelsgericht des Kantons Zürich als Nachlassbehörde für Banken der Bank Koschland & Hepner AG in Zürich eine Nachlassstundung und ernannte die Gesellschaft für Bankrevisionen in Zürich zur Sachwalterin.
Am 24. Februar 1968 führte Frau Pachter in Montréal beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Sachwalterin Beschwerde mit der Begründung, ihr Guthaben bei der Schuldnerin von Fr. 779.05 geniesse gemäss
Art. 219 SchKG
als Sparguthaben das Privileg 3. Klasse, soweit es nicht durch den Kanton garantiert sei; da sie hierüber nicht unterrichtet sei,
BGE 94 III 55 S. 57
habe sie die Sachwalterin mit Schreiben vom 7. Februar 1968 um Bescheid gebeten; die Sachwalterin habe noch nicht geantwortet; daher führe sie Beschwerde gegen die Weigerung der Sachwalterin, ihr Auskunft zu erteilen, und ersuche um Abhilfe.
Unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 7. Februar 1968 und auf die ihr zur Kenntnis gebrachte Beschwerde vom 24. Februar 1968 schrieb die Sachwalterin der Frau Pachter am 6. März 1968, ihr Guthaben sei aus den Büchern der Schuldnerin ersichtlich; über die Höhe einer allfälligen Nachlassdividende und über den Zeitpunkt ihrer Ausschüttung könne noch nichts gesagt werden; im übrigen sei noch darauf hinzuweisen, dass nur für Sparhefte ein Konkursprivileg bestehe und dass nur für diese in einzelnen Kantonen gewisse zusätzliche Sicherheiten bestünden; die Bank Koschland & Hepner habe keine Sparhefte, sondern nur Depositenhefte ausgegeben, die nicht privilegiert seien. Der Präsident des Handelsgerichts, der von diesem Schreiben eine Durchschrift erhielt, teilte Frau Pachter am 12. März 1968 mit, durch dieses Schreiben sei die Beschwerde gegenstandslos geworden.
B.-
Am 30. April 1968 stellte Frau Pachter beim Handelsgericht das Begehren, die Gesellschaft für Bankrevisionen sei ihres Amtes als Sachwalterin zu entheben und "durch eine andere geeignete Person zu ersetzen". Sie machte geltend, die Sachwalterin habe im gegenwärtigen Stadium nur von ihrer Anmeldung Kenntnis nehmen dürfen, ohne sich darüber zu äussern, ob und wieweit ihre Forderung nach
Art. 219 SchKG
privilegiert sei; das habe erst "aus Anlass des Entwurfs des Kollokationsplans" zu geschehen; die Sachwalterin habe ihre negative Meinung zu früh geäussert und dadurch "berechtigte Besorgnis wegen Befangenheit" geweckt; die Ansicht der Sachwalterin sei irrig, da das streitige Guthaben alle Merkmale einer Spareinlage aufweise.
Am 9. Mai 1968 wies das Handelsgericht das Begehren der Frau Pachter ab mit der Begründung, die beanstandete Äusserung der Sachwalterin sei ein blosser Hinweis, der aus rein sachlichen Motiven erfolgt sei und zudem die Rechte der Gläubigerin in einem allfälligen Kollokationsverfahren nicht präjudiziert habe; ob die Auskunft richtig war, sei im gegenwärtigen Zeitpunkt unerheblich.
C.-
Am 12. Juni 1968 reichte Frau Pachter beim Handelsgericht "zum Zwecke der Vorlage an die obere kantonale
BGE 94 III 55 S. 58
Aufsichtsbehörde in Zürich" gegen den (ihr nach ihren Angaben erst am 10. Juni 1968 zugegangenen) Entscheid vom 9. Mai 1968 einen Rekurs ein, mit dem sie an ihrem Begehren auf Amtsentsetzung der Sachwalterin festhielt.
Das Handelsgericht leitete diesen Rekurs an das Bundesgericht weiter.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Im Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen ernennt nach Art. 37 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (BankG) die Nachlassbehörde den Sachwalter, falls nicht schon ein Kommissär dafür bestellt ist (vgl. zu diesem - im vorliegenden Falle nicht erheblichen - Vorbehalt Art. 30 Abs. 1 und 35 Abs. 3 BankG). Als Nachlassbehörde für Banken und Sparkassen haben die Kantonsregierungen nach
Art. 37 Abs. 8 BankG
eine einzige kantonale Instanz zu bestimmen. Als solche bezeichnete der Regierungsrat des Kantons Zürich durch Beschluss vom 16. Mai 1935 das Handelsgericht.
2.
Das BankG, die Vollziehungsverordnung dazu vom 30. August 1961 (VV) und die Verordnung des Bundesgerichts vom 11. April 1935 betr. das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen (VNB) enthalten Bestimmungen über die Beschwerdeführung gegen die Verfügungen des Sachwalters (
Art. 37 Abs. 2 BankG
, Art. 53 Abs. 1 VV), über die Weiterziehung der Beschwerdeentscheide der Nachlassbehörde (
Art. 37 Abs. 2 BankG
, Art. 53 Abs. 2 VV) sowie über bestimmte Aufgaben des Sachwalters (Art. 54 VV,
Art. 3 ff. VNB
). Soweit diese Sondervorschriften die Stellung und die Aufgaben des für eine Bank oder Sparkasse bestellten Sachwalters nicht regeln, sind die Vorschriften des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (insbesondere
Art. 295 Abs. 2 SchKG
) und die Praxis dazu heranzuziehen (vgl. R. REIMANN, Kommentar zum schweiz. Bankengesetz, 1963, N. 3 zu
Art. 37 BankG
). Im Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen ist der Sachwalter also wie im gemeinrechtlichen Nachlassverfahren nach
Art. 293 ff. SchKG
ein öffentliches Organ des Staates zur Leitung des Verfahrens; er hat die Interessen des Schuldners und der Gläubiger gleichermassen zu wahren; seine Stellung entspricht grundsätzlich derjenigen des Konkursamtes oder einer ausseramtlichen
BGE 94 III 55 S. 59
Konkursverwaltung (
BGE 92 III 45
mit Hinweis auf JAEGER, N. 4 und JAEGER/DAENIKER, SchK-Praxis, N. 3 zu
Art. 295 SchKG
; vgl.
BGE 94 III 24
).
Von diesem letzten Grundsatze bestehen jedoch Ausnahmen, die mit der verschiedenen Art der Ernennung zusammenhängen.
a) Obwohl
Art. 295 Abs. 3 SchKG
in bezug auf die Geschäftsführung des Sachwalters u.a. den
Art. 17 SchKG
als entsprechend anwendbar erklärt und damit gegen die Verfügungen des Sachwalters die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde im Sinne von
Art. 13 SchKG
zulässt, was eine Kontrolle der Geschäftsführung des Sachwalters durch diese Behörde mit sich bringt, steht die Disziplinargewalt über den Sachwalter im gemeinrechtlichen Nachlassverfahren nach der Rechtsprechung nicht der Aufsichtsbehörde im Sinne von
Art. 13 SchKG
zu, sondern der Nachlassbehörde, die den Sachwalter ernannt hat (
BGE 68 III 125
/126). Das gilt auf jeden Fall dann, wenn als Sachwalter nicht der Betreibungsbeamte oder ein Konkursbeamter (vgl.
Art. 295 Abs. 1 Satz 2 SchKG
) bezeichnet wurde. Ein Sachwalter, der nicht Betreibungs- oder Konkursbeamter ist, gehört nicht zu den Beamten und Angestellten im Sinne von
Art. 14 Abs. 2 SchKG
, welche die Aufsichtsbehörde mit den dort vorgesehenen Disziplinarstrafen belegen kann (JAEGER, N. 4 zu
Art. 14 SchKG
; vgl.
BGE 68 III 126
). Die Stellung eines solchen Sachwalters unterscheidet sich in diesem Punkte von jener der nach kantonalem Recht ernannten Konkursbeamten und der von den Gläubigern gewählten ausseramtlichen Konkursverwaltung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Disziplinargewalt der Aufsichtsbehörde im Sinne von
Art. 13 SchKG
untersteht, obwohl der ihre Stellung regelnde
Art. 241 SchKG
nicht ausdrücklich auf
Art. 14 SchKG
verweist (
BGE 38 I 199
ff. Erw. 2-5,
BGE 39 I 501
Erw. 5 = Sep.ausg. 15 S. 13 ff., 16 S. 203).
Der Auffassung JAEGERS, ein pflichtwidrig handelnder Sachwalter könne, obwohl der nicht beamtete Sachwalter nicht zu den der Disziplinargewalt der Aufsichtsbehörde unterstehenden Beamten gehört, von der Aufsichtsbehörde kraft ihres Aufsichtsrechts abgesetzt werden (N. 4 zu
Art. 14 SchKG
), kann nicht beigestimmt werden. Die Abberufung wegen pflichtwidrigen Verhaltens ist eine Disziplinarmassnahme, die der Nachlassbehörde als Trägerin der Disziplinargewalt zusteht. - Für die Absetzung eines Sachwalters wegen Unfähigkeit (die allerdings
BGE 94 III 55 S. 60
weniger eine Disziplinarmassnahme als eine Massnahme der allgemeinen Justizverwaltung ist) nimmt JAEGER in N. 3 zu
Art. 295 SchKG
selber an, sie könne auf Beschwerde eines Gläubigers oder Schuldners, eventuell auf Anzeige der Aufsichtsbehörde, von der Nachlassbehörde verfügt werden.
b) Im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen wird die Disziplinargewalt über den Sachwalter, wie das im gemeinrechtlichen Nachlassverfahren auf jeden Fall für den nicht beamteten Sachwalter gilt, nicht von der Aufsichtsbehörde im Sinne von
Art. 13 SchKG
, sondern von der ihn ernennenden Nachlassbehörde ausgeübt. Das lässt sich um so weniger bezweifeln, als die Nachlassbehörde im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen auch zur Beurteilung der Beschwerden gegen die Verfügungen des Sachwalters berufen ist (
Art. 37 Abs. 2 BankG
), während die Aufsichtsbehörde im Sinne von
Art. 13 SchKG
im BankG und in den zugehörigen Verordnungen überhaupt nicht als Trägerin einer Aufgabe in diesem Verfahren erwähnt wird.
c) Wie für die Disziplinaraufsicht über den nicht beamteten Sachwalter im gemeinrechtlichen Nachlassverfahren und über den Sachwalter im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen muss in diesen beiden Verfahren anstelle der Aufsichtsbehörde im Sinne von
Art. 13 SchKG
die den Sachwalter ernennende Nachlassbehörde zuständig sein, Streitigkeiten über die Ausstandspflicht des Sachwalters zu beurteilen und gegebenenfalls den ausstandspflichtigen Sachwalter durch einen andern zu ersetzen oder wenigstens zur Besorgung eines bestimmten Geschäfts einen Stellvertreter zu bezeichnen (vgl. zum letzten Punkte JAEGER, N. 10 a.E. zu
Art. 10 SchKG
: Vertretung des Konkursbeamten bei bestimmten Handlungen, die er nach Art. 10 Abs. 1 Ziff. 1-3 nicht vornehmen darf).
Art. 295 Abs. 3 SchKG
verweist zwar nicht auf die Vorschrift des
Art. 10 SchKG
über die Ausstandspflicht, doch drängt sich die Anwendung dieser im Interesse einer unparteiischen Geschäftsführung aufgestellten Bestimmung auf den Sachwalter gebieterisch auf (vgl. JAEGER N. 3 zu
Art. 295 SchKG
).
3.
Gegen Disziplinarentscheide der (obern) kantonalen Aufsichtsbehörden im Sinne von
Art. 13 SchKG
kann der Betroffene nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur mit der Begründung an das Bundesgericht rekurrieren, der Aufsichtsbehörde fehle die Zuständigkeit zur Ergreifung von
BGE 94 III 55 S. 61
Disziplinarmassnahmen gegen den Rekurrenten (welche Frage sich bezüglich der Massnahmen gegen die Mitglieder einer ausseramtlichen Konkursverwaltung stellte) oder das Gesetz (
Art. 14 SchKG
) sehe die verhängte Massnahme nicht vor (
BGE 38 I 198
Erw. 1,
BGE 39 I 501
Erw. 5 = Sep.ausg. 15 S. 12, 16 S. 203;
BGE 59 III 66
im Gegensatz zuBGE 33 I 675Erw. 1 = Sep.ausg. 10 S. 207). Die Frage, ob die getroffene Massnahme begründet sei, kann der Betroffene nach der Praxis mit einem Rekurs gegen den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde nicht aufwerfen, was damit begründet wird, dass es sich hiebei um eine reine Tat- und Angemessenheitsfrage handle und dass die Handhabung der Disziplinargewalt den kantonalen Aufsichtsbehörden vorbehalten sei (vgl. die eben angeführten Entscheide sowieBGE 43 III 93Erw. 3). - Vorwiegend aus dem zuletzt genannten Grunde tritt das Bundesgericht auf Rekursbegehren, mit denen eine am Verfahren als Partei beteiligte Person den Erlass von Disziplinarmassnahmen gegen einen Amtsträger verlangt, nach ständiger Praxis nicht ein (
BGE 35 I 482
Erw. 1, 786 Erw. 1 und 862 Erw. 1 = Sep.ausg. 12 S. 102, 244 und 334;
BGE 79 III 154
Erw. 3,
BGE 81 III 72
Erw. 3,
BGE 90 III 25
Erw. 4,
BGE 91 III 46
Erw. 6). Als weiterer Grund für die Unzulässigkeit solcher Rekursbegehren wurde in mehrern Entscheiden angeführt, die Parteien seien zwar befugt, der Aufsichtsbehörde die von einem Beamten begangenen Unregelmässigkeiten anzuzeigen und ihr ein disziplinarisches Einschreiten nahezulegen, doch stehe ihnen kein gesetzliches Recht (kein bundesrechtlicher Anspruch) auf Ausfällung von Ordnungsstrafen durch die Aufsichtsbehörde zu (Entscheid des Bundesrates vom 11. April 1894 i.S. Morgenegg, Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs 3 Nr. 39 S. 104;
BGE 35 I 786
Erw. 1 = Sep.ausg. 12 S. 244;
BGE 91 III 46
Erw. 6).
Entscheide kantonaler Nachlassbehörden, welche Disziplinarmassnahmen gegen den Sachwalter im gemeinrechtlichen Nachlassverfahren anordnen oder die Ergreifung solcher Massnahmen ablehnen, können schon deshalb nicht durch Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen werden, weil ein solcher Rekurs nach
Art. 19 SchKG
grundsätzlich nur gegen Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden zulässig ist.
Für das Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen wird dagegen in Art. 53 Abs. 2 VV bestimmt:
BGE 94 III 55 S. 62
"Für die Beschwerdeführung gegen Entscheide des Stundungsgerichts, des Konkursgerichts und der Nachlassbehörde gelten die Vorschriften über die Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs an das Bundesgericht. Alle Entscheide des Konkursgerichts und der Nachlassbehörde können auch wegen Unangemessenheit an das Bundesgericht weitergezogen werden."
Diese Vorschrift ist so allgemein gefasst, dass nicht nur die Weiterziehung von Entscheiden über Beschwerden gegen die Verfügungen des Sachwalters im Sinne von
Art. 37 Abs. 2 BankG
und Art. 53 Abs. 1 VV, sondern auch die Weiterziehung anderer Entscheide der Nachlassbehörde darunter fällt. Sie lässt ausdrücklich die Weiterziehung aller Entscheide der Nachlassbehörde zu (besonders deutlich der französische Text: "Toutes les décisions rendues par... l'autorité de concordat peuvent être déférées au Tribunal fédéral, même pour la raison qu'elles ne sont pas appropriées aux circonstances"). Daher erscheint im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen auch die Weiterziehung positiver und negativer Disziplinarentscheide der Nachlassbehörde als zulässig. Die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts erstreckt sich in diesem Verfahren gemäss ausdrücklicher Vorschrift der massgebenden Verordnung auch auf Fragen der Angemessenheit. Dass in diesem Verfahren den Beteiligten die Weiterziehung kantonaler Entscheide an das Bundesgericht in weiterm Rahmen gestattet wird als in den vom SchKG geregelten Verfahren, hat seinen Grund darin, dass die Bankengesetzgebung die Rechte der Beteiligten, namentlich der Gläubiger, in anderer Hinsicht beschränkt (vgl.
BGE 93 III 31
). Die Erwägung, dass die Disziplinargewalt über die Vollstreckungsorgane den kantonalen Behörden vorbehalten ist und dass die Parteien des Verfahrens zwar zur Anzeige disziplinarischer Verfehlungen befugt sind, dagegen keinen Anspruch auf Anordnung von Disziplinarmassnahmen haben, trifft hauptsächlich mit Bezug auf die nach kantonalem Recht ernannten Betreibungs- und Konkursbeamten zu. Die Absetzung eines von der Nachlassbehörde für eine Bank oder eine Sparkasse bestellten Sachwalters gleicht weniger der Absetzung eines kantonalen Beamten als dem Widerruf eines Auftrages zur Besorgung einer bestimmten Angelegenheit. Die Gründe, die nach der Rechtsprechung zu
Art. 14 SchKG
die Weiterziehung von Disziplinarentscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden an das Bundesgericht zum
BGE 94 III 55 S. 63
Zwecke ihrer materiellen Überprüfung verbieten, verlangen also nicht, dass die in Art. 53 Abs. 2 VV für das Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen vorgesehene Möglichkeit des Weiterzugs aller Entscheide der Nachlassbehörde entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung hinsichtlich der Disziplinarentscheide eingeschränkt werde.
Dass nach Art. 53 Abs. 2 VV Entscheide der Nachlassbehörde über die Ausstandspflicht des Sachwalters (Erw. 2 c hievor) von den Beteiligten an das Bundesgericht weitergezogen werden können, bedarf keiner nähern Begründung.
Die Rekurrentin war also befugt, den Entscheid der kantonalen Nachlassbehörde über ihren Antrag auf Absetzung der für die Bank Koschland & Hepner bestellten Sachwalterin wegen angeblicher Pflichtverletzung und Befangenheit auf dem Wege des Rekurses an das Bundesgericht weiterzuziehen. Die kantonale Nachlassbehörde hat den irrtümlich an die "obere kantonale Aufsichtsbehörde" gerichteten Rekurs zu Recht an das Bundesgericht weitergeleitet.
4.
In der Sache selbst ist der Rekurs offensichtlich unbegründet. Die Sachwalterin beging keine Pflichtverletzung und zeigte sich auch in keiner Weise befangen, indem sie der Rekurrentin im Schreiben vom 6. März 1968 u.a. mitteilte, ihre Forderung sei nicht privilegiert. (
Art. 10 SchKG
erklärt im übrigen die Befangenheit nicht allgemein als Ausstandsgrund, sondern nennt als Ausstandsgründe nur bestimmte Beziehungen zur Sache, welche die Unparteilichkeit in Frage stellen.) Das beanstandete Schreiben enthält nicht eine Verfügung, die erst in einem spätern Stadium des Verfahrens zu treffen wäre, sondern unterrichtet die Rekurrentin nur darüber, wie die Sachwalterin die Frage der Privilegierung der Guthaben der Einleger bei der Bank Koschland & Hepner beurteilte. Diese Orientierung erfolgte, wie die Vorinstanz zu Recht feststellt, aus rein sachlichen Gründen. Dem Entscheid über das Bestehen des von der Rekurrentin beanspruchten Vorrechts, der bei Prüfung der Voraussetzungen für die Bestätigung des Nachlassvertrags (
Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
,
Art. 37 Abs. 6 BankG
) oder in einem allfälligen Kollokationsverfahren zu treffen ist, greift die beanstandete Mitteilung der Sachwalterin nicht vor. Der Rekurrentin bleibt das Recht gewahrt, das behauptete Vorrecht zu gegebener Zeit geltend zu machen. Ihr Begehren, die Sachwalterin sei wegen der erwähnten Mitteilung abzusetzen,
BGE 94 III 55 S. 64
ist geradezu missbräuchlich, da sie die Sachwalterin nach ihrer eigenen Darstellung in der Beschwerde vom 24. Februar 1968 um eine Auskunft über die Voraussetzungen der Privilegierung ihres Guthabens ersucht hat. Ob die ihr daraufhin erteilte Auskunft richtig war, ist für die Beurteilung des Antrags auf Absetzung der Sachwalterin unerheblich und daher im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Dass die Sachwalterin ihre Auskunft wider besseres Wissen erteilt habe, wird ihr mit Recht nicht vorgeworfen. Ein blosser Irrtum über die Rechtslage, wie er behauptet wird, wäre kein Absetzungsgrund.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a73aff7f-7631-4c83-abf6-67e63b0024fb | Urteilskopf
87 II 218
32. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Jull 1961 i.S. Bank Y. gegen X. | Regeste
Abtretung (bezw. Verpfändung) eines angefallenen Erbanteils an einen Dritten (
Art. 635 Abs. 2 ZGB
). Rechtsstellung des Erwerbers (Pfandgläubigers). Anzeige an die Miterben des Abtretenden (Verpfänders) oder an den Willensvollstrecker. Entsprechende Anwendung von
Art. 167 OR
bezw.
Art. 906 Abs. 2 ZGB
? Wird der Willensvollstrecker gegenüber dem Erwerber (Pfandgläubiger) schadenersatzpflichtig, wenn er Erbschaftsgegenstände ohne Rücksicht auf die ihm angezeigte Abtretung (Verpfändung) des Erbanteils dem Abtretenden (Verpfänder) abliefert?
Adäquater Kausalzusammenhang zwischen der dem Willensvollstrecker vorgeworfenen Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden?
Die Vorauswürdigung von Beweisen verstösst nicht gegen bundesrechtliche Beweisvorschriften im Sinne von
Art. 63 Abs. 2 OG
. Offensichtliches Versehen? (
Art. 55 lit. d und
Art. 63 Abs. 2 OG
). | Sachverhalt
ab Seite 219
BGE 87 II 218 S. 219
A.-
Der am 5. März 1954 in Luzern verstorbene Jean Gustave R., der als gesetzliche Erben seine Ehefrau und drei erwachsene Kinder hinterliess und dessen reiner Nachlass Fr. 1'200,000.-- ausmachte, hatte seiner Ehefrau testamentarisch die lebenslängliche Nutzniessung an seinem gesamten Nachlass zugewendet (
Art. 473 ZGB
) und Rechtsanwalt X. in Luzern zum Willensvollstrecker ernannt. Am 28. Oktober 1954 teilte die Bank Y. diesem brieflich mit, der Erbe Paul R. (damals Verwaltungsratspräsident und Direktor der R. AG in Luzern) habe seinen mit dem Nutzniessungsrecht seiner Mutter belasteten Erbanspruch, der sich nach Abzug von Vorempfängen auf
BGE 87 II 218 S. 220
rund Fr. 200'000.-- belaufe, an sie abgetreten. X. bestätigte am 29. Oktober 1954 den Empfang dieses Schreibens, teilte der Bank mit, er habe in seiner Eigenschaft als Willensvollstrecker die Abtretung vorgemerkt, und fragte die Bank, ob sie an den Erbenverhandlungen teilzunehmen und von ihm regelmässig über das ganze Geschehen orientiert zu werden wünsche. Die Bank antwortete am 30. Oktober 1954, dass sie hierauf keinen Wert lege und die Vertretung des Erbanspruchs gegenüber dem Willensvollstrecker und den Miterben Paul R. überlasse; nötigenfalls werde sie wieder an den Willensvollstrecker gelangen.
B.-
Im Dezember 1954 räumte die Bank der R. AG zum schon bestehenden, von Paul R. solidarisch verbürgten Kredit von Fr. 150'000.-- hinzu einen neuen Kredit von Fr. 120'000 ein, zu dessen Sicherstellung die erwähnte Abtretung dienen sollte. Am 26. Januar 1955 schrieb sie Paul R., es habe sich herausgestellt, dass aus rechtlichen Gründen nicht eine Abtretung, sondern eine Pfandverschreibung vorzunehmen sei, und stellte ihm ein entsprechendes Formular zu. Gemäss dieser Aufforderung unterzeichnete R. eine auf den 27. Oktober 1954 zurückdatierte Urkunde über die Verpfändung seines Erbanteils. Hievon gab die Bank dem Willensvollstrecker keine Kenntnis.
C.-
Auf Anmeldung des Willensvollstreckers hin wurden am 17. April 1955 Paul R. als Eigentümer und Frau Witwe R. als Nutzniesserin der zum Nachlass gehörenden Liegenschaft in Vallorbe im Grundbuch eingetragen.
Am 10. August 1955 bat die Bank den Willensvollstrecker unter Anspielung auf veränderte Verhältnisse, sie über den Stand des Nachlasses und der Erbenverhandlungen zu unterrichten, was auch mündlich gegenüber Direktor Z. geschehen könne. Hierauf suchte X. diesen am 11. oder 12. August 1955 auf. Was dabei gesprochen wurde, ist streitig und nicht abgeklärt.
In der Folge versuchte die Bank vergeblich, Paul R. zum Verkauf der Liegenschaft in Vallorbe zu bewegen.
BGE 87 II 218 S. 221
Nach dem am 31. Oktober 1955 unter Mitwirkung des Willensvollstreckers abgeschlossenen endgültigen Erbteilungsvertrag wurde Paul R., dem die Liegenschaft in Vallorbe zu Fr. 188'000.-- angerechnet wurde, seinen Schwestern eine Ausgleichungssumme von rund Fr. 33'000.-- schuldig. Zur Sicherstellung dieses Guthabens der Miterbinnen wurde auf der erwähnten Liegenschaft das gesetzliche Grundpfandrecht im Sinne von
Art. 837 Ziff. 2 ZGB
eingetragen.
D.-
Am 2. November 1955 erwirkte die R. AG eine Nachlassstundung, die am 16. Mai 1956 zu einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung führte. In der Folge zeigte sich, dass auch Paul R. um Stundung werde nachsuchen müssen. Bevor ihm diese am 31. Oktober 1956 gewährt wurde, suchte ihn die Bank zu bestimmen, zur Sicherstellung ihrer Ansprüche einen Schuldbrief auf der Liegenschaft in Vallorbe errichten zu lassen. Auf Rat seines Anwalts verweigerte jedoch R. seine Einwilligung mit der Begründung, die Pfandbestellung könnte ihm im Nachlassverfahren als unredliche oder sehr leichtfertige Handlung ausgelegt werden. Die Bank gab X. am 13. September 1956 hievon Kenntnis und ersuchte ihn im Hinblick auf Regressansprüche, die sie gegen ihn geltend machen könnte, um Stellungnahme. X. bezeichnete in seiner Antwort vom 15. September 1956 die Auffassung R.s unter Hinweis auf Entscheidungen des Bundesgerichts als unzutreffend und lehnte die angemeldeten Regressansprüche ab. Am 26. März 1957 wurde der von Paul R. vorgeschlagene Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung gerichtlich bestätigt.
E.-
Im anschliessenden Nachlassliquidationsverfahren kollozierte der Liquidator die von der Bank angemeldeten Forderungen von insgesamt Fr. 277'260.55 in 5. Klasse. Das "Generalpfandrecht", das die Bank dafür beanspruchte, anerkannte er nicht. Die Kollokationsklage, mit welcher die Bank ihren Pfandanspruch durchzusetzen suchte, wurde vom Amtsgericht Luzern-Stadt mit Urteil
BGE 87 II 218 S. 222
vom 22. Mai 1959 (das rechtskräftig wurde) abgewiesen. X., dem die Bank den Streit verkündet hatte, lehnte es ab, am Prozess teilzunehmen.
F.-
Am 28. März 1960 reichte die Bank gegen X. Klage ein mit dem Begehren, der Beklagte habe ihr Fr. 150'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1960 zu bezahlen. Zur Begründung machte sie im wesentlichen geltend, die Verpfändung des Erbanteils sei dem Beklagten angezeigt worden. Dieser sei deshalb verpflichtet gewesen, entweder der Klägerin von der beabsichtigten Übertragung der Liegenschaft ins Alleineigentum R.s Kenntnis zu geben und ihre Weisungen einzuholen oder mit der Eigentumsübertragung ein Pfandrecht zu ihren Gunsten zur Eintragung im Grundbuch anzumelden. Der Beklagte habe es auch unterlassen, die Klägerin nach ihrer brieflichen Erkundigung vom 10. August 1955 über die erfolgte Eigentumsübertragung und den bevorstehenden Abschluss der Erbteilung zu unterrichten. Deswegen habe sie einen Verlust von rund Fr. 150'000.-- erlitten, den ihr der Beklagte zu ersetzen habe.
Der Beklagte bestritt seine Haftung mit der Begründung, ein Schaden sei nicht bewiesen und liesse sich auch nicht auf ein ihm zur Last fallendes rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zurückführen. Ihm sei eine Abtretung, nicht eine Verpfändung angezeigt worden. Die Klägerin habe auf eine Orientierung über den Gang der Erbteilung ausdrücklich verzichtet. Für ihn habe daher kein Grund bestanden, ihr von der bevorstehenden Übertragung der Liegenschaft an R. Kenntnis zu geben. Bei diesem Grundbuchgeschäft habe er keine Vorkehren zu ihren Gunsten treffen können. Auf das Schreiben vom 10. August 1955 hin habe er ihr über den Stand der Erbschaftsangelegenheit und die erfolgte Übertragung der Liegenschaft Auskunft gegeben. Die Klägerin habe es unterlassen, die gegebenen Schritte zur Sicherung ihres Pfandrechts zu unternehmen. Sie habe daher einen allfälligen Schaden ihrem eigenen Verhalten zuzuschreiben.
BGE 87 II 218 S. 223
Der Schadenersatzanspruch wäre übrigens verjährt, da die Klägerin schon im Herbst 1955 gewusst habe, dass ihre Forderung ungedeckt sei.
In Übereinstimmung mit dem Amtsgerichte Luzern-Stadt hat das Obergericht des Kantons Luzern (I. Kammer) mit Urteil vom 5. Dezember 1960 die Klage abgewiesen.
G.-
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit den Anträgen, die Beklagte sei zu verurteilen, ihr Fr. 150'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1960 zu bezahlen; eventuell sei die Sache zur Aktenergänzung (Einvernahme der Zeugen Z., F. und B.) und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beklagte schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte habe ihr gegenüber eine Vertragsverletzung und zugleich eine unerlaubte Handlung begangen, indem er die zum Nachlass von Jean Gustave R. gehörende Liegenschaft in Vallorbe an ihren Schuldner Paul R. übertragen habe, ohne ihre Zustimmung einzuholen oder für die Deckung ihrer Forderungen zu sorgen, obwohl sie ihm die Verpfändung bzw. Abtretung des Erbanspruchs von Paul R. an sie angezeigt und er diese Abtretung vorgemerkt habe. Weder der eine noch der andere der von der Klägerin angerufenen Haftungsgründe ist jedoch gegeben.
a) Während nach deutschem Recht der Erwerber eines Erbteils anstelle des Veräusserers in das unter den Erben bestehende Gesamthandsverhältnis eintritt (vgl. §§ 2033 ff. BGB und STAUDINGER, 11. Aufl., Bem. zu § 2033, insbesondere N. 16 und 19), bestimmt
Art. 635 Abs. 2 ZGB
, dass Verträge über die Abtretung angefallener Erbanteile, die ein Erbe mit einem Dritten abschliesst, diesem kein Recht auf Mitwirkung bei der Teilung, sondern nur einen Anspruch auf den Anteil geben, der dem Erben aus der
BGE 87 II 218 S. 224
Teilung zugewiesen wird. Zur Teilung gehört auch dann, wenn keine Realteilung (
Art. 634 Abs. 1 ZGB
, erster Fall) stattfindet, sondern ein Teilungsvertrag abgeschlossen wird, nicht bloss die Feststellung, welche Gegenstände die einzelnen Erben als ihr Betreffnis erhalten sollen, sondern auch die Übertragung dieser Gegenstände an sie. Der Dritte, der sich von einem Erben den diesem angefallenen Erbanteil "abtreten" lässt, kann also nicht verlangen, dass die Miterben seines Vertragspartners diese Gegenstände ihm aushändigen, da dies auf eine Einmischung in die Teilung hinausliefe. Vielmehr verleiht ihm
Art 635 Abs 2 ZGB
nur einen obligatorischen Anspruch gegen den Veräusserer, dahingehend, dass dieser die Gegenstände, die er bei der Teilung erhalten wird, an ihn übertrage (so auch die einhellige Lehre; vgl. TUOR N. 22-25 und ESCHER, 3. Aufl., N. 18, 19 und 24 zu
Art. 635 ZGB
, sowie BECK, Schweiz. Jur. Kartothek Nr. 790 lit. A Ziff. 2). Es kann keine Rede davon sein, dass die fraglichen Gegenstände, sobald der Veräusserer sie entgegengenommen hat, von selbst ins Eigentum des Erwerbers des Erbanteils übergehen.
b) Der Erwerber kann die Gefahren, denen er infolge dieser prekären Rechtsstellung ausgesetzt ist, wenigstens zum Teil abwenden, indem er sich vom Veräusserer ermächtigen lässt, diesen bei der Erbteilung zu vertreten (vgl. hiezu TUOR N. 19 und 24, und ESCHER, 3. Aufl., N. 20 zu
Art. 635 ZGB
), oder indem er auf Grund von
Art. 609 Abs. 1 ZGB
verlangt, dass anstelle des Veräusserers die zuständige Behörde bei der Teilung mitwirke. Im ersten Falle wird das Erbbetreffnis des Veräusserers ihm ausgehändigt; im zweiten nimmt es die Behörde für ihn entgegen (TUOR N. 15, und ESCHER, 3 Aufl., N. 13 zu
Art. 609 ZGB
; vgl. auch
BGE 85 II 606
, wo die Aufgaben der Behörde bei der Auseinandersetzung mit den Miterben des von ihr vertretenen Erben umschrieben sind und festgestellt wird, dass als "Gläubiger", der nach
Art. 609 ZGB
die behördliche Mitwirkung bei der Teilung verlangen kann, auch der
BGE 87 II 218 S. 225
Zessionar eines Erbanteils zu gelten hat). Der Erwerber kann sich auf diese Weise gegen die Gefahr schützen, dass der Veräusserer bei der Teilung seine Interessen verletzt oder die aus der Teilung empfangenen Gegenstände nicht an ihn überträgt, sondern darüber anderweitig verfügt (wogegen freilich wegen der bloss obligatorischen Wirkung der "Abtretung" eines Erbanteils, an der durch die rechtsgeschäftliche Ermächtigung des Erwerbers zur Vertretung des Veräusserers oder durch die Mitwirkung der Behörde bei der Teilung nichts geändert wird, ein Zugriff der Gläubiger des Veräusserers auf dessen Erbanteil bezw. die ihm zugewiesenen Gegenstände möglich bleibt, solange diese nicht an den Erwerber übertragen worden sind).
c) Im Unterschied zu den eben erwähnten Rechtsbehelfen bildet die Anzeige der Abtretung an die Miterben des Veräusserers kein taugliches Mittel, um dafür zu sorgen, dass der Erwerber das ihm gebührende Betreffnis erhalte. Da die Abtretung eines Erbanteils an einen Dritten ausser der in
Art. 609 ZGB
vorgesehenen Befugnis nur einen obligatorischen Anspruch des Erwerbers gegen den Veräusserer auf Übertragung der diesem zugewiesenen Gegenstände begründet, den Anspruch des Veräusserers auf Aushändigung dieser Gegenstände durch die Erbengemeinschaft dagegen nicht auf den Erwerber übergehen lässt, stellt sie keine Abtretung im üblichen Sinne dar, durch welche ein Recht des Abtretenden gegen einen Dritten auf den Erwerber übertragen würde und auf welche die Bestimmungen von
Art. 164 ff. OR
entsprechend angewendet werden könnten. Die Miterben des Abtretenden haben entgegen der Auffassung der Klägerin und der Vorinstanz nicht die Stellung eines Drittschuldners, der sich, nachdem ihm die Abtretung angezeigt worden ist, von seiner Verbindlichkeit nur noch durch Leistungen an den - durch die Abtretung zu seinem Gläubiger gewordenen - Erwerber gültig befreien könnte (
Art. 167 OR
). Die Abtretung eines Erbanteils an einen Dritten lässt vielmehr zwischen diesem und den Miterben
BGE 87 II 218 S. 226
des Veräusserers überhaupt keine rechtlichen Beziehungen entstehen (vgl. TUOR, N. 23, und ESCHER, 3. Aufl., N. 24 zu
Art. 635 ZGB
). Die Anzeige an die Miterben kann demzufolge höchstens die Wirkung haben, diese davon abzuhalten, vom Veräusserer eine Abtretung im Sinne von
Art. 635 Abs. 1 ZGB
entgegenzunehmen (vgl. über die - umstrittenen - Rechtsfolgen der mehrfachen Abtretung eines Erbanteils TUOR N. 30 und ESCHER, 3. Aufl., N. 23 zu
Art. 635 ZGB
). Dagegen kann eine solche Anzeige, auch wenn die Miterben bestätigen, sie zur Kenntnis genommen zu haben, nichts daran ändern, dass die Erbengemeinschaft das Erbbetreffnis des Veräusserers diesem selber auszuhändigen hat, sofern nicht ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter oder gemäss
Art. 609 ZGB
die zuständige Behörde für ihn handelt.
d) Die Anzeige der Abtretung an den Willensvollstrecker kann keine weitergehenden Folgen haben als die Anzeige an die Miterben des Veräusserers. Da sich die Wirkungen der Abtretung eines Erbanteils an einen Dritten gemäss
Art. 635 Abs. 2 ZGB
auf das Verhältnis zwischen diesem und dem Veräusserer beschränken, ist der zur Ausführung der Erbteilung berufene Willensvollstrecker auch dann, wenn er von dieser Abtretung Kenntnis erhalten hat, so wenig wie die über die Abtretung unterrichtete Erbengemeinschaft befugt, geschweige denn verpflichtet, das Erbbetreffnis des Veräusserers dem Erwerber auszufolgen, es sei denn, dieser habe sich vom Veräusserer ermächtigen lassen, ihn bei der Erbteilung zu vertreten.
e) Eine solche Vollmacht hat die Klägerin nicht eingeholt. Sie hat es auch unterlassen, gemäss
Art. 609 Abs. 1 ZGB
die zuständige Behörde um Mitwirkung bei der Teilung zu ersuchen, woran das Vorhandensein eines Willensvollstreckers sie nicht gehindert hätte, da es nicht dessen Aufgabe sein kann, bei der Erbteilung anstelle der Behörde die Interessen der in
Art. 609 Abs. 1 ZGB
genannten Erbengläubiger wahrzunehmen. (Wenn in
BGE 51 II 494
/95 unentschieden gelassen wurde, ob ungeachtet
BGE 87 II 218 S. 227
der Bezeichnung eines Willensvollstreckers die amtliche Teilung Platz greifen könne, so stand dabei nicht die Mitwirkung der Behörde gemäss Art. 609 Abs. 1, sondern die vom kantonalen Recht auf Grund von
Art. 609 Abs. 2 ZGB
vorgeschriebene, über die Vertretung eines Erben hinausgehende Mitwirkung einer Behörde bei der Teilung in Frage). Statt einen der genannten Rechtsbehelfe zu ergreifen, hat die Klägerin sich damit begnügt, die Abtretung dem Beklagten anzuzeigen, was diesen nach dem Gesagten nicht dazu veranlassen konnte, das Erbbetreffnis Paul R.s ihr abzuliefern. Indem der Beklagte die Liegenschaft in Vallorbe, die nach den Anordnungen des Erblassers Paul R. zukommen sollte, ohne Rücksicht auf die ihm angezeigte Abtretung an diesen Erben übertrug, hat er also gegenüber der Klägerin weder eine Vertragsverletzung noch eine unerlaubte Handlung begangen.
Es könnte sich höchstens noch fragen, ob er sich dadurch, dass er die Abtretungsanzeige vorbehaltlos entgegennahm und der Klägerin bestätigte, die Abtretung vorgemerkt zu haben, wenigstens dazu verpflichtet habe, die Klägerin zu gegebener Zeit über die Ablieferung von Erbschaftsgegenständen an Paul R. zu unterrichten und sie so in den Stand zu setzen, diesem gegenüber ihren obligatorischen Anspruch auf Übertragung dieser Gegenstände unverzüglich geltend zu machen. Eine Vereinbarung, durch welche sich der Beklagte zu einer solchen Mitteilung verpflichtet hätte, ist jedoch nicht zustande gekommen. Der Beklagte hat die Klägerin in seinem Schreiben vom 29. Oktober 1954, mit dem er den Empfang der Abtretungsanzeige bestätigte, ausdrücklich angefragt, ob sie von ihm regelmässig über "das ganze Geschehen" orientiert zu werden wünsche. Dies hat die Klägerin in ihrer Antwort vom 30. Oktober 1954 klar verneint. Indem der Beklagte die Liegenschaft in Vallorbe an Paul R. übertrug, ohne die Klägerin hievon sofort zu verständigen, hat er also auch nicht etwa eine vertraglich übernommene Orientierungspflicht verletzt.
f) Der Abtretungsvertrag ist im übrigen nachträglich
BGE 87 II 218 S. 228
durch einen Verpfändungsvertrag ersetzt worden, ohne dass dies dem Beklagten mitgeteilt worden wäre. Es kann dahingestellt bleiben, ob und allenfalls wieweit die Anzeige der Abtretung eines Rechts fortwirke, wenn die Abtretung aufgehoben und an ihrer Stelle am betreffenden Recht ohne neue Benachrichtigung des Drittverpflichteten ein Pfandrecht bestellt wird. Selbst wenn man nämlich annehmen wollte, die Anzeige der Abtretung bleibe in solchen Fällen als Anzeige der Verpfändung im Sinne von
Art. 906 Abs. 2 ZGB
wirksam, so wäre damit für die Klägerin nichts gewonnen; denn es ist auf jeden Fall klar, dass die Anzeige der Verpfändung eines Erbanteils keine stärkern Wirkungen haben kann als die Anzeige der Abtretung eines solchen. Dürfen und müssen die Erbengemeinschaft und der Willensvollstrecker das Betreffnis eines Erben, der seinen Anteil an einen Dritten abgetreten hat, diesem Erben ausfolgen, auch wenn ihnen die Abtretung angezeigt worden ist, so muss Entsprechendes auch im Falle der Verpfändung gelten. Der Pfandgläubiger kann unter Vorbehalt des Falles, dass der verpfändende Erbe ihn hiezu ermächtigt hat, so wenig wie der Dritte, dem ein Erbanteil abgetreten wurde, berechtigt sein, bei der Teilung mitzuwirken. Da zur Erbteilung, wie unter lit. a hievor ausgeführt, auch noch die Ausrichtung der Erbbetreffnisse gehört, darf also die Übertragung der dem Verpfänder zugeteilten Gegenstände an diesen nicht von der Zustimmung des Pfandgläubigers abhängig gemacht werden, m.a.W. die Bestimmung von
Art. 906 Abs. 2 ZGB
, wonach der von der Verpfändung einer Forderung oder eines andern Rechts benachrichtigte Schuldner an den Verpfänder nur mit Einwilligung des Pfandgläubigers zahlen darf (und umgekehrt), ist auf die Verpfändung eines Erbanteils weder direkt noch analog anwendbar. Wie die Abtretung eines Erbanteils dem Dritten nur einen obligatorischen Anspruch auf Übertragung der Gegenstände verschafft, die dem Veräusserer bei der Erbteilung zugewiesen werden, erlangt auch der Pfandgläubiger durch
BGE 87 II 218 S. 229
die Verpfändung nur einen persönlichen Anspruch gegen den Verpfänder auf Bestellung eines Pfandrechts an diesen Gegenständen (in diesem Sinne auch TUOR N. 7 und ESCHER 3. Aufl., N. 32 zu
Art. 635 ZGB
). Auf einen solchen Anspruch haben die Miterben des Verpfänders und der Willensvollstrecker beim Vollzug der Teilung nicht Rücksicht zu nehmen.
Die Klägerin beruft sich demgegenüber freilich auf OFTINGER (N. 21 zu Art. 906 und N. 56 zu
Art. 899 ZGB
). Diesem Autor ist beizustimmen, wenn er an der zuerst angeführten Stelle und in N. 68 zu
Art. 900 ZGB
erklärt, die Anzeige im Sinne von
Art. 906 Abs. 2 ZGB
erziele ihre Wirkungen nicht nur bei der Verpfändung von Forderungen im eigentlichen Sinne, sondern auch bei der Verpfändung "anderer Rechte" im Sinne von
Art. 900 Abs. 3 ZGB
, die zu Leistungen eines Dritten führen, welche - wie z.B. Dividendenzahlungen - den Zahlungen eines Forderungsschuldners gleichzuachten sind. Bei der Verpfändung eines Erbanteils handelt es sich aber wegen der besondern Regelung, der dieses - als solches nicht übertragbare - Anteilsrecht nach dem Gesagten unterliegt, nicht um eine Verpfändung im gewöhnlichen Sinne, wie auch die "Abtretung" eines solchen Anteils keine eigentliche Abtretung darstellt (oben lit. c), sondern es wird dadurch, wie dargelegt, eben nur ein obligatorischer Anspruch gegen den Verpfänder auf Bestellung eines Pfandrechts an den diesem zuzuteilenden Gegenständen begründet, für dessen Durchsetzung zu sorgen keinesfalls Sache der Miterben des Verpfänders oder des Willensvollstreckers sein kann. Daher kann OFTINGER nicht gefolgt werden, wenn er in N. 56 zu
Art. 899 ZGB
sagt, dem Gläubiger sei "jedenfalls zu empfehlen, den Miterben und sonstigen Beteiligten die Verpfändung anzuzeigen, um die Aushändigung von Erbschaftsgegenständen an den Verpfänder zu verhüten (Art. 906 II analog)."
g) Müssen die Schadenersatzansprüche, die darauf gestützt werden, dass die Liegenschaft in Vallorbe nicht
BGE 87 II 218 S. 230
ohne Zustimmung der Klägerin an Paul R. hätte übertragen werden dürfen, schon aus den angegebenen Gründen abgewiesen werden, so kann dahingestellt bleiben, ob der Verpfändungsvertrag, der den Abtretungsvertrag ersetzte, wie dieser (vgl.
Art. 635 Abs. 1 ZGB
) in der von den Vertragsparteien gewählten einfachen Schriftform gültig war, obwohl der Nachlass Liegenschaften umfasste (so das von der Klägerin eingeholte Gutachten Scherrer), oder ob er wegen dieses Umstandes entsprechend der Auffassung von TUOR (N. 7 am Ende zu
Art. 635 ZGB
), ESCHER (3. Aufl., N. 33 zu
Art. 635 ZGB
) und BECK (Schweiz. jur. Kart. Nr. 790 lit. A Ziff. 3) zu seiner Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung bedurft hätte.
Ebensowenig braucht geprüft zu werden, ob die Klägerin als Pfandgläubigerin befugt gewesen wäre, zu ihrem Schutz die Mitwirkung der zuständigen Behörde bei der Erbteilung zu verlangen, obwohl
Art. 609 Abs. 1 ZGB
diese Befugnis nach seinem Wortlaut nur einem Gläubiger gibt, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat, oder der gegen ihn Verlustscheine besitzt.
2.
Soweit die Schadenersatzansprüche der Klägerin damit begründet werden, dass der Beklagte ihren Organen bei der Besprechung vom 11. oder 12. August 1955 über den Stand der Erbteilung nicht richtig Auskunft gegeben und ihnen insbesondere die im April 1955 erfolgte Übertragung der Liegenschaft in Vallorbe an Paul R. verschwiegen habe, scheitern sie daran, dass gemäss Feststellung der Vorinstanz nicht abgeklärt ist, was bei jener Gelegenheit gesprochen wurde.
Zwischen dem von der I ägerin behaupteten Schaden und den verschiedenen Pflichtverletzungen, die sie dem Beklagten vorwirft, besteht im übrigen auch kein adäquater Kausalzusammenhang. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz wusste die Klägerin spätestens im September 1955 um die Übertragung der Liegenschaft an Paul R. Sie hatte daher (die Gültigkeit der Pfandverschreibung
BGE 87 II 218 S. 231
vorausgesetzt) die Möglichkeit, gegenüber Paul R. ihren obligatorischen Anspruch auf Einräumung eines Pfandrechts prozessual durchzusetzen oder ihn wenigstens durch eine Verfügungsbeschränkung im Sinne von
Art. 960 Ziff. 1 ZGB
sichern zu lassen, bevor R. am 31. Oktober 1956 eine Nachlassstundung erwirkte. Diese Massnahmen drängten sich auf, wenn R. zu einer Pfandbestellung nicht freiwillig Hand bieten wollte, was er angesichts der von ihm schon früher übernommenen Verpflichtung hiezu hätte tun können, ohne sich dem Vorwurf einer unredlichen oder sehr leichtfertigen Handlung zum Nachteil seiner Gläubiger im Sinne von
Art. 306 Abs. 1 SchKG
auszusetzen oder einen Grund für die paulianische Anfechtung der Pfandbestellung zu schaffen. Da die Klägerin diese Vorkehren unterliess, für die sie genügend Zeit gehabt hätte, und ihre Ansprüche aus der Pfandverschreibung erst in dem auf die Bestätigung des Liquidationsvergleichs folgenden Kollokationsverfahren zur Geltung zu bringen suchte, was wegen der bloss obligatorischen Natur dieser Ansprüche nicht gelingen konnte, hätte sie sich den von ihr behaupteten Schaden selbst dann selber zuzuschreiben, wenn der Beklagte durch sein Verhalten im August 1955 ihr gegenüber eine Pflichtverletzung begangen hätte. Das gleiche gälte im übrigen sogar dann, wenn die Pfandverschreibung nicht bloss einen obligatorischen Anspruch auf Pfandbestellung an den dem Verpfänder zugewiesenen Gegenständen, sondern ein vom Beklagten zu beachtendes dingliches Recht der Klägerin am unausgeschiedenen Erbanteil R.s begründet hätte, das mit dem Abschluss der Erbteilung gegenstandslos geworden wäre; denn auch in diesem Falle wäre R. auf Grund der Pfandverschreibung verpflichtet geblieben, die Klägerin für ihre Forderung sicherzustellen, wozu ihn die Klägerin hätte anhalten können. Auch bei Zugrundelegung der für sie günstigsten Annahme wäre daher der Schaden, den die Klägerin geltend macht, auf ihre eigene Versäumnis zurückzuführen.
BGE 87 II 218 S. 232
Vergeblich macht die Klägerin geltend, die Vorinstanz habe gegen
Art. 8 ZGB
verstossen, indem sie es unterliess, die Zeugen Z., F. und B. zu verhören, die zum Beweis dafür angerufen worden waren, dass die Klägerin erst am 27. August 1956 von der Übertragung der Liegenschaft in Vallorbe an Paul R. Kenntnis erhalten habe. Die Vorinstanz hat dieses Beweisangebot der Klägerin nicht einfach übergangen, worin eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
liegen könnte (vgl.
BGE 62 II 326
,
BGE 68 II 139
). Vielmehr hat sie es mit der Begründung abgelehnt, auf die Aussagen von Direktor Z. dürfte ohnehin nicht abgestellt werden, weil er offenkundig daran interessiert sei, dass der Beklagte für den der Bank entstandenen Schaden verantwortlich erklärt werde; die Einvernahme der beiden andern Zeugen sei überflüssig; aus den vorliegenden Akten (insbesondere aus einer Aktennotiz des Z. vom 1. Oktober 1955) gehe nämlich hervor, dass die Klägerin spätestens im September 1955 über die Zuweisung der Liegenschaft an R. orientiert gewesen sei. Die Ablehnung der Einvernahme des Zeugen Z. beruht demnach auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung, die keine Bundesrechtsverletzung im Sinne von
Art. 43 OG
in sich schliesst und daher mit der Berufung an das Bundesgericht nicht angefochten werden kann (
BGE 56 II 203
oben,
BGE 74 II 206
/207,
BGE 77 II 223
,
BGE 78 II 103
oben,
BGE 84 II 143
). Die beiden andern Zeugen wurden nicht verhört, weil die Vorinstanz fand, die Darstellung der Klägerin werde bereits durch die vorliegenden Akten widerlegt. Auch hierin liegt eine Beweiswürdigung, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüfen kann. Wenn die Klägerin glaubt, sie könne den von der Vorinstanz aus der erwähnten Aktennotiz gezogenen Schluss als eine offensichtlich auf Versehen beruhende Feststellung (
Art. 55 lit. d und
Art. 63 Abs. 2 OG
) anfechten, so verkennt sie das Wesen der Versehensrüge. Eine tatsächliche Feststellung lässt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur dann als offensichtlich auf Versehen beruhend bezeichnen, wenn sie darauf zurückzuführen
BGE 87 II 218 S. 233
ist, dass die Vorinstanz eine bestimmte Aktenstelle übersehen oder unrichtig (nicht in ihrer wahren Gestalt, insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut) wahrgenommen hat (
BGE 81 II 86
,
BGE 83 II 341
). Ein solches Versehen ist der Vorinstanz im vorliegenden Falle nicht unterlaufen. Ihre Feststellung, dass die Klägerin spätestens im September 1955 von der Übertragung der Liegenschaft an R. Kenntnis erhalten habe, ist also gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
für das Bundesgericht verbindlich.
Aus allen diesen Gründen ist die Klage abzuweisen, ohne dass noch auf die (kaum stichhaltige) Verjährungseinrede des Beklagten einzutreten wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern, I. Kammer, vom 5. Dezember 1960 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
a740a031-8a19-4e6c-8e8c-ea38c6e49917 | Urteilskopf
110 IV 92
29. Urteil des Kassationshofes vom 16. November 1984 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 286 StGB
; Hinderung einer Amtshandlung.
Die verbale Weigerung, sich einem Atemlufttest (wegen angeblichen Fahrens in angetrunkenem Zustand) zu unterziehen, stellt keine Hinderung einer Amtshandlung dar. | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 110 IV 92 S. 93
A.-
Am 3. Mai 1983, abends ca. 21.15 Uhr, begaben sich Polizeigefreiter S. und Gemeindepräsident H. wegen eines Streites der Eheleute X. in deren Wohnung in Lützelflüh. Herr X. war angetrunken, als er ihnen die Türe öffnete. Nach den Angaben der Ehefrau war der Mann zwischen 20.00 und 21.00 Uhr, nachdem er Alkohol getrunken hatte, mit seinem Personenwagen "Opel" gefahren. X. bestritt dies energisch. Gefreiter S. und der Gemeindepräsident stellten nach 21.00 Uhr fest, dass das Kühlwasser des Opel lauwarm war. Der Polizeigefreite forderte den X. auf, zum "Blasen" (Atemlufttest), eventuell für eine Blutprobe mitzukommen. X. weigerte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Der Polizeibeamte sagte ihm darauf, wenn er nicht zur Blutprobe mitkomme, so sei dies im Ergebnis praktisch dasselbe, wie wenn die Probe positiv wäre. Eine amtliche Anordnung der Blutprobe durch den hiefür zuständigen Untersuchungsrichter (
Art. 55 Abs. 3 SVG
) hat S. nicht veranlasst, weil er annahm, die Aussagen der Zeugen (Gemeindepräsident, Polizeigefreiter) dürften als Beweis der Angetrunkenheit genügen.
B.-
Während der erstinstanzliche Richter (a.o. Gerichtspräsident von Trachselwald) X. wegen Vereitelung einer Blutprobe zu 20 Tagen Gefängnis verurteilte, erachtete das Obergericht den Tatbestand von
Art. 91 Abs. 3 SVG
nicht als erfüllt, sprach X. aber am 13. März 1984 der Hinderung einer Amtshandlung im Sinne von
Art. 286 StGB
schuldig und setzte die Strafe auf 8 Tage Haft fest.
C.-
Gegen dieses Urteil des Obergerichts führt X. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Das Obergericht hat die Verurteilung wegen Vereitelung der Blutprobe aufgehoben, weil eine amtliche Anordnung im Sinne von
Art. 91 Abs. 3 SVG
nicht erfolgt war. Es betrachtete jedoch die Aufforderung des Polizeigefreiten S. als amtliche Anordnung des Atemlufttests und die verbale Weigerung des X. als Hinderung einer Amtshandlung im Sinne von
Art. 286 StGB
.
a)
Art. 91 Abs. 3 SVG
erfasst unter anderem die Hinderung von Amtshandlungen, welche der Feststellung des Blutalkoholgehaltes dienen. Die Bestimmung bildet in diesem Sinne eine Sondernorm
BGE 110 IV 92 S. 94
für das Gebiet des Strassenverkehrs, welche für den speziellen Bereich den Gang der Rechtspflege umfassend schützen will (
BGE 103 IV 52
). Zu prüfen ist daher, ob
Art. 286 StGB
subsidiär mangelnde Kooperation bei der Feststellung des Blutalkoholgehaltes (im Zusammenhang mit dem Strassenverkehr) erfassen kann, wenn die Voraussetzungen für die Bestrafung gemäss
Art. 91 Abs. 3 SVG
nicht erfüllt sind, insbesondere wenn - wie im vorliegenden Fall - auf die amtliche Anordnung einer Blutprobe verzichtet wurde, weil der Polizeibeamte dieses Beweismittel nicht für erforderlich hielt.
Der Atemlufttest dient gemäss
Art. 138 Abs. 3 VZV
der Vorprobe; er ist eine (fakultative) Vorstufe bei der Feststellung der Angetrunkenheit, welche aber durch Blutprobe zu erfolgen hat (
Art. 138 Abs. 1 VZV
). Nachdem die amtlich angeordnete Blutprobe durch die Spezialbestimmung von
Art. 91 Abs. 3 SVG
geschützt ist und bei Widerstand des Betroffenen durch eine Verfügung der zuständigen Instanz stets die Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Norm geschaffen werden kann, erscheint es als überflüssig, die Ablehnung des Atemlufttests noch gesondert gemäss
Art. 286 StGB
zu ahnden. Dadurch würde strafbare Widersetzlichkeit in einem Verhalten gesehen, das vor der gemäss
Art. 55 SVG
/138 VZV notwendigen amtlichen Anordnung erfolgt, während eine strafrechtliche Sanktion richtigerweise nur Platz greifen kann, sofern das gesetzliche Verfahren zur Feststellung der Angetrunkenheit von den zuständigen Organen wirklich durchgeführt und vom Betroffenen behindert wird.
b) Die negative Äusserung als Reaktion auf die Aufforderung des Polizeibeamten kann schon an sich nicht als Hinderung einer Amtshandlung qualifiziert werden (vgl. STRATENWERTH, Bes. Teil II, 3. Aufl. S. 282). Mit seiner Weigerung hat X. zwar die Mitwirkung bei der beabsichtigten Feststellung seiner allfälligen Angetrunkenheit abgelehnt, aber dem amtlichen Handeln keine Hindernisse in den Weg gelegt. Wenn der Polizeibeamte die ins Auge gefasste Abklärung des Alkoholisierungsgrades hätte durchsetzen wollen, dann wäre der nächste Schritt die Beschaffung einer untersuchungsrichterlichen Anordnung gewesen. S. hat darauf verzichtet, ohne dass er daran von X. gehindert worden wäre. Durch den Verzicht auf die Blutprobe kam das Verfahren formell nie in jenes Stadium, in welchem die Sondernorm von
Art. 91 Abs. 3 SVG
eingreifen könnte und daher auch Handlungen der Selbstbegünstigung ex lege strafbar wären. Für ihren speziellen
BGE 110 IV 92 S. 95
Bereich regelt diese Sondernorm die Strafbarkeit der Widersetzlichkeit sinngemäss abschliessend. Die Ablehnung einer polizeilichen Aufforderung, welche der amtlichen Anordnung der Blutprobe vorangeht, kann nicht durch extensive Auslegung des Begriffs "Hinderung" unter
Art. 286 StGB
subsumiert werden.
c) Gegen eine Bestrafung der Weigerung im vorliegenden Fall spricht schliesslich die Erwägung, dass der blosse Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung gemäss
Art. 292 StGB
zu beurteilen ist. Für eine Verurteilung nach dieser Bestimmung fehlt in casu der dort verlangte ausdrückliche Hinweis auf die gesetzliche Strafdrohung. Auch unter dem Aspekt von
Art. 292 StGB
verbietet sich eine subsidiäre Anwendung von Art. 286 in einem Fall, der wegen Fehlens einer gesetzlichen Voraussetzung nicht als Ungehorsam geahndet werden darf. Mehr als blossen Ungehorsam stellt die verbale Ablehnung einer Aufforderung nicht dar. Lautstärke und Intensität der ablehnenden Äusserung können nicht dazu führen, dass die Weigerung zur Hinderung einer Amtshandlung würde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 13. März 1984 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
a74f5fe5-1c60-4b7a-9991-e56a28c9e094 | Urteilskopf
123 III 367
57. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 13 août 1997 dans la cause A. SA (recours LP) | Regeste
Drittansprache in der Betreibung auf Pfandverwertung; Parteirollenverteilung im Widerspruchsverfahren (
Art. 155 Abs. 1 SchKG
und
Art. 106 ff. SchKG
).
Werden die
Art. 106 ff. SchKG
analog auf die Betreibung auf Pfandverwertung angewandt, so ist den Besonderheiten dieser Betreibungsart im Unterschied zur ordentlichen Betreibung auf Pfändung Rechnung zu tragen (E. 3a).
In der Betreibung auf Faustpfandverwertung sind für das Widerspruchsverfahren grundsätzlich die Vorschriften der
Art. 106 und 107 SchKG
zu befolgen; ausnahmsweise - zum Beispiel, wenn es offensichtlich ist, dass das Pfandrecht nicht mehr besteht -, ist gemäss Art. 109 altSchKG bzw. Art. 108 revSchKG vorzugehen (E. 3b, c).
Im vorliegenden Fall ist die Sache, weil der angefochtene Entscheid keine Feststellungen bezüglich des Weiterbestehens des Pfandrechtes enthält, zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 368
BGE 123 III 367 S. 368
Le 18 décembre 1990, A. SA a passé avec X. un acte de nantissement et de cession, portant notamment sur quatre statues. Par convention du 23 avril 1992, une autre statue, intitulée "Sphinx et Sirène 3/8", a également été remise en gage à A. SA, laquelle s'est engagée à la libérer contre paiement du prix de vente payé par un acquéreur éventuel. Les cinq statues ont été entreposées chez F. au nom de X., mais pour le compte d'A. SA.
En 1995, cette dernière a introduit contre X. une poursuite en réalisation de gage mobilier, portant sur les 5 statues susmentionnées. A la date de la réquisition de vente, soit le 7 avril 1995, les sculptures se trouvaient toujours en dépôt auprès de F. En temps utile, K. a revendiqué la propriété de la statue "Sphinx et Sirène 3/8", en invoquant une convention de vente du 29 mars 1994 avec X. Cette convention précisait qu'il avait acquis la statue litigieuse, qu'il s'était acquitté du prix de vente et qu'il en avait reçu expressément, irrévocablement et définitivement quittance de X. Dans le procès-verbal d'estimation envoyé aux parties, l'office des poursuites a dès lors imparti à la créancière A. SA, en application de l'art. 109 aLP, un délai de 10 jours pour ouvrir action contre K., faute de quoi elle serait réputée reconnaître les droits de celui-ci.
A. SA a porté plainte à l'autorité cantonale de surveillance contre cette décision. Se prévalant de l'acte de nantissement et de cession du 18 décembre 1990, ainsi que de la convention du 23 avril 1992, elle soutenait qu'elle avait sur la statue litigieuse un droit préférable à celui de K., que les biens détenus par F. l'étaient pour son compte et qu'il fallait donc impartir le délai pour ouvrir action à K. en
BGE 123 III 367 S. 369
application de l'art. 107 aLP. Pour sa part, K. a fait valoir que le droit de gage d'A. SA sur ladite statue avait été éteint par son droit de propriété. Par décision du 16 avril 1997, l'autorité cantonale de surveillance a confirmé la décision de l'office.
A. SA a recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral en la requérant, principalement, de constater la violation du droit fédéral (application de l'art. 109 aLP en lieu et place des art. 106/107 aLP) et d'annuler la décision de l'autorité cantonale de surveillance. La Chambre des poursuites et des faillites a admis le recours, dans la mesure où il était recevable, annulé la décision attaquée et renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) En vertu de l'
art. 155 al. 1 LP
, la procédure de revendication des
art. 106 ss LP
est applicable à la poursuite en réalisation de gage par analogie. Il ne s'agit donc pas d'une application pure et simple de ladite procédure, mais d'une application qui soit compatible avec la nature même de la poursuite spéciale en réalisation de gage ou qui, en d'autres termes, tienne justement compte des différences profondes de caractère que ce mode de poursuite présente par rapport à celui de la poursuite ordinaire par voie de saisie (
ATF 33 I 853
consid. 2 p. 857/858; LOUIS DALLÈVES, Revendication [
art. 106-109 LP
], FJS 985 p. 11 n. 18; HANS LENHARD, Widerspruchsverfahren und Widerspruchsklage, thèse Berne 1943, p. 101; JEAN-LUC TSCHUMY, La revendication de droits de nature à soustraire un bien à l'exécution forcée, thèse Lausanne 1987, n. 114). Au titre des différences, on peut notamment relever que, dans la poursuite en réalisation de gage, l'objet de l'exécution forcée est déterminé à l'avance, tandis que, dans la poursuite par voie de saisie, il appartient à l'office de déterminer les objets à réaliser (TSCHUMY, loc.cit. et les auteurs cités à la note 3; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, vol. I, 3e éd., Zurich 1984, § 34 n. 6). En outre, alors que dans la saisie seuls les biens appartenant au débiteur peuvent être réalisés (
art. 91 ss LP
), l'objet de l'exécution forcée dans la poursuite en réalisation de gage peut être la propriété d'un tiers, soit parce que le gage a été constitué par ce dernier, soit parce que le tiers a acquis le bien
BGE 123 III 367 S. 370
après la constitution du gage (
art. 153 al. 2 LP
, 88 et 100 ORFI; TSCHUMY, loc.cit.).
b) En vertu des art. 106 ss aLP, lorsqu'un tiers revendique un droit de propriété ou de gage sur l'objet saisi ou séquestré, et que sa revendication est contestée par le créancier ou le débiteur, l'office des poursuites doit impartir au tiers ou au créancier un délai de dix jours pour intenter action. Si le bien en question se trouve en la possession du débiteur, le délai pour agir doit être imparti au tiers (art. 106 et 107 al. 1); s'il est en la possession du tiers revendiquant, le délai doit être imparti au créancier (art. 109). Si le bien ne se trouve en la possession ni du débiteur ni du tiers revendiquant, mais en celle d'une quatrième personne - le quart détenteur -, le rôle des parties dépend de la question de savoir pour le compte de qui le détenteur possède: si c'est pour le compte exclusif du débiteur, il appartient au tiers revendiquant d'ouvrir action; si le quart détenteur possède pour son propre compte, ou conjointement avec le débiteur, ou encore pour le compte du tiers revendiquant et du débiteur, il incombe au créancier d'agir (
ATF 121 III 85
consid. 2a p. 87;
ATF 120 III 83
consid. 3a p. 84 s. et les références). Seule est déterminante la possession du bien revendiqué au moment où l'office des poursuites exécute la saisie (GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 210 § 4; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6e éd., Berne 1997, § 24 n. 40). L'office s'en tient, à cet égard, aux déclarations du débiteur ou du tiers revendiquant et n'a pas à vérifier le bien-fondé de la revendication; il doit uniquement trancher la question du meilleur droit apparent, soit de savoir qui peut disposer matériellement de la chose, sans avoir à se demander si l'état de fait est ou non conforme au droit (
ATF 120 III 83
consid. 3b p. 85 et arrêts cités).
c) Le droit de gage mobilier permet à son titulaire - c'est là son effet essentiel - de faire réaliser une chose mobilière ou un droit afin d'obtenir le paiement de la créance garantie (
art. 891 al. 1 CC
; P.-H. STEINAUER, Les droits réels, t. III, Berne 1992, n. 3027). Le nantissement, qui est sa forme normale et courante (
art. 884 al. 1 CC
), suppose que le constituant se dessaisisse de la chose grevée (
art. 884 al. 3 CC
) en la remettant au créancier gagiste ou à un tiers, qui la détiendra pour le compte du créancier gagiste, voire pour les deux parties ensemble (STEINAUER, op.cit., n. 3032, 3074, 3099 et 3100b). Dans ce cas de possession commune du créancier gagiste et du constituant, le tiers détenteur du gage ne peut restituer l'objet grevé au constituant qu'avec le consentement du créancier gagiste
BGE 123 III 367 S. 371
(
ATF 102 Ia 229
consid. 2d p. 235 et les références; STEINAUER, op.cit., n. 3100b). Le constituant peut certes aliéner librement la chose mise en gage, mais sous réserve toutefois des droits du créancier gagiste (
ATF 102 Ia 229
consid. 2b p. 233 et la référence citée), ce qui signifie que le tiers devenu propriétaire du gage devra notamment souffrir la réalisation du gage si le créancier n'est pas désintéressé (
art. 891 al. 1 CC
; STEINAUER, op.cit., n. 3123c et d; ZOBL, Berner Kommentar, n. 937 ad
art. 884 CC
; OFTINGER/BÄR, Zürcher Kommentar, n. 386 ad
art. 884 CC
). Un transfert de propriété de l'objet du gage n'affecte donc en rien les effets du nantissement prévus aux
art. 891 ss CC
.
Le créancier gagiste se voit ainsi conférer par le droit matériel même l'apparence du meilleur droit au sens du considérant 3b ci-dessus. Il s'ensuit que la procédure de revendication à suivre dans la poursuite en réalisation de gage ne peut être, en principe, que celle des
art. 106 et 107 LP
(cf.
ATF 26 I 358
consid. 2 p. 362;
ATF 48 III 36
consid. 3 p. 39; CLAUS SCHELLENBERG, Die Rechtsstellung des Dritteigentümers in der Betreibung auf Pfandverwertung, thèse Zurich 1968, p. 57; BEAT DENZLER, Der Anwendungsbereich des Widerspruchsverfahrens, thèse Zurich 1986, p. 125). Il y a lieu toutefois de procéder plutôt selon l'art. 109 anc./108 nouv. LP dans certains cas spéciaux. Ainsi, lorsque le créancier n'est pas en mesure d'établir sans conteste de quelle façon il posséderait l'objet à réaliser en qualité de créancier gagiste (
ATF 48 III 36
consid. 3 p. 39/40) ou lorsque, à l'évidence, le droit de gage n'existe plus (
ATF 71 III 119
; cf. SCHELLENBERG, op.cit., p. 58 n. 21; DENZLER, loc.cit.).
4.
La possession de F. sur l'objet litigieux n'étant pas contestée, la seule question qui se posait à l'office et à l'autorité cantonale de surveillance était de savoir pour le compte de qui ce quart détenteur exerçait la possession.
a) Examinant ce qu'il en était à cet égard à la lumière des dispositions des
art. 472 ss CO
sur le contrat de dépôt, l'autorité cantonale de surveillance a d'abord retenu, sous l'angle de la vraisemblance, que la possession de F. avait été exercée successivement, au moment du dépôt des sculptures auprès d'elle, pour le seul compte du déposant X., puis au moment de l'accord de nantissement du 18 décembre 1990 pour le compte de X. et d'A. SA, enfin au moment de la convention de vente du 29 mars 1994 pour le compte de X., d'A. SA et de K. Dans le cadre de l'instruction de la plainte, F. lui avait en effet donné les indications suivantes: elle avait tout d'abord été informée par A. SA, à une date non précisée, que la statue litigieuse
BGE 123 III 367 S. 372
faisait l'objet d'un droit de gage en sa faveur; elle avait ensuite été informée par X. de la vente de la statue à K., A. SA ayant alors immédiatement refusé d'autoriser F. à se dessaisir de la statue en faveur de K.; enfin, en raison du litige qui opposait K. et A. SA, elle avait alors refusé de libérer la statue litigieuse à l'une ou l'autre de ces parties tant qu'elle n'aurait pas reçu d'instructions des autorités judiciaires compétentes. De l'ensemble de ce qui précède, l'autorité cantonale de surveillance a donc déduit qu'au moment déterminant de la réquisition de vente, soit le 7 avril 1995, F. détenait la statue litigieuse pour le compte à la fois de la débitrice X., de la créancière A. SA et du tiers revendiquant K.
Si elle reconnaît que l'autorité cantonale de surveillance a bien analysé la situation juridique complexe des diverses parties en cause, la recourante lui reproche en revanche d'en avoir tiré de mauvaises conclusions quant au point de savoir à quelle partie incombait le devoir d'ouvrir action devant le juge. Elle soutient notamment que, au moment déterminant, c'est elle-même qui "possédait encore et toujours l'objet du gage, par le biais du consignataire F.".
b) Le tiers revendiquant prétend que son droit de propriété a éteint le droit de gage, ce que la créancière gagiste conteste.
La question de la persistance du droit de gage peut effectivement se poser en l'espèce au vu de l'état de fait de la décision attaquée. Il en ressort en effet qu'aux termes de la convention du 23 avril 1992, A. SA s'est engagée à libérer l'objet grevé contre paiement du prix de vente par un acquéreur éventuel et que la convention du 29 mars 1994 confirme précisément cette acquisition et le paiement du prix par K. Toutefois, la condition de libération du gage, à savoir le paiement du prix, impliquait bien évidemment que ce prix fût payé à la créancière gagiste elle-même, conformément à l'effet essentiel du droit de gage prévu à l'
art. 891 al. 1 CC
. Or rien n'indique que tel ait bien été le cas en l'occurrence. La créancière gagiste a d'ailleurs expressément refusé de libérer le gage en apprenant la vente de l'objet grevé à K., ce qui est plutôt un indice en faveur du maintien de son droit de gage, partant d'un meilleur droit apparent en sa faveur. La décision attaquée ne contenant aucune constatation sur les circonstances - décisives - relatives à la libération du gage et la Chambre de céans ne pouvant compléter elle-même les constatations de l'autorité cantonale sur ce point, il y a lieu, conformément aux
art. 64 al. 1 et 81 OJ
, de renvoyer l'affaire à cette dernière pour les compléments nécessaires et nouvelle décision au sens de ce qui précède.
BGE 123 III 367 S. 373
Au demeurant, la conclusion à laquelle aboutit l'autorité cantonale de surveillance n'est pas dépourvue d'une certaine contradiction, dans la mesure où elle admet une copossession de la débitrice X. et du tiers revendiquant K. En effet, si l'on retient que la première a vendu au second la statue litigieuse, on ne voit pas bien à quel titre la débitrice pourrait encore posséder cet objet. | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
a751e9b6-f2c2-4f7f-8b62-21955d4581ca | Urteilskopf
141 II 476
35. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. et B. Sàrl contre C., Commune de D. et Conseil d'Etat du canton du Valais (recours en matière de droit public)
1C_82/2015 du 18 novembre 2015 | Regeste
Art. 11 Abs. 2 und
Art. 25 Abs. 1 USG
;
Art. 7 Abs. 1 lit. a und b LSV
; Abbruchbefehl für eine ohne Baubewilligung errichtete Wärmepumpe; kumulative Anwendung der Planungswerte und des Prinzips der vorsorglichen Emissionsbegrenzung im Bereich des Lärmschutzes.
Der Schutz vor Lärmemissionen ist durch die kumulative Anwendung der Planungswerte (
Art. 7 Abs. 1 lit. b LSV
) und des Prinzips der vorsorglichen Emissionsbegrenzung (
Art. 11 Abs. 2 USG
und
Art. 7 Abs. 1 lit. a LSV
) gewährleistet (E. 3.2).
Selbst wenn die Planungswerte eingehalten werden, verletzt eine nicht bewilligte, an einem bestimmten Ort errichtete Wärmepumpe das Prinzip der vorsorglichen Emissionsbegrenzung, wenn deren Installation an einem anderen, die Lärmbelastung reduzierenden Standort technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist (E. 3.4). | Sachverhalt
ab Seite 477
BGE 141 II 476 S. 477
A.
Le 12 mai 2009, A. a été autorisé à bâtir un immeuble d'habitation sur la parcelle n° e du cadastre communal de D. Un degré de sensibilité III au sens de l'annexe 6 à l'ordonnance du 15 décembre 1986 sur la protection contre le bruit (OPB; RS 814.41) est attribué à ce fonds. L'autorisation de construire délivrée comportait notamment une condition spécifique relative aux installations techniques, qui devaient être conformes à la législation en matière de protection contre le bruit; l'établissement d'un rapport de bruit avant le début des travaux était à cet égard exigé; les plans approuvés par le conseil communal prévoyaient en outre un emplacement intérieur pour la pompe à chaleur.
Le 15 novembre 2010, C., propriétaire de la parcelle bâtie n° f, située à environ 40 m au nord-est du fonds n° e, s'est plaint de la présence d'une pompe à chaleur installée à l'extérieur du bâtiment nouvellement construit. Le 22 novembre 2010, A. a déposé une demande formelle d'autorisation pour cette installation, avec mise en place d'un déflecteur antibruit de 1,80 m sur 1,80 m. Dans le cadre de l'enquête publique, C. a formé opposition.
Par décision du 8 février 2011, la commune de D. a refusé le permis de bâtir, observant que cette pompe à chaleur avait été installée sans autorisation préalable et qu'elle ne respectait pas les valeurs de planification en matière de protection contre le bruit. Le Conseil d'Etat a annulé cette décision et a renvoyé la cause à l'administration communale; cette dernière était invitée à prononcer un ordre de démolition conformément à l'art. 51 de la loi cantonale du 8 février 1996 sur les constructions (RS/VS 705.1; ci-après: LC).
Reprenant son instruction, la commune de D. a communiqué au Service de la protection de l'environnement (ci-après: le SPE) deux
BGE 141 II 476 S. 478
notices acoustiques établies par le bureau G. et produites par A. Au terme de son analyse, le SPE a indiqué que les mesures effectuées par son groupe Bruit et Rayonnement non ionisant montraient un dépassement des valeurs de planification et que les notices qui lui étaient soumises présentaient trop d'incertitudes pour conclure au respect des exigences légales.
Au terme de son instruction, constatant que les mesures d'assainissement réalisées en septembre 2012 (pose d'une horloge limitant la période de fonctionnement, modification du capot, pose de trois parois antibruit) étaient insuffisantes, la commune a ordonné le démontage de la pompe à chaleur, par décision du 27 novembre 2012. A., destinataire de cette décision, de même que la société B. Sàrl, devenue dans l'intervalle propriétaire de deux lots de la PPE constituée sur la parcelle n° e, ont recouru au Conseil d'Etat. Cette autorité a pour l'essentiel rejeté leur recours, se fondant notamment sur un second rapport du SPE.
Par arrêt du 19 décembre 2014, la Cour de droit public du Tribunal cantonal du Valais a confirmé cette décision. La cour cantonale a en substance considéré que l'installation litigieuse, érigée sans droit, ne pouvait être autorisée
a posteriori
: les mesures d'assainissement consenties par A. n'ayant pas permis d'améliorer de manière significative la situation, le Tribunal cantonal a jugé que le principe de prévention des émissions n'était pas respecté; il a également retenu que les valeurs de planification étaient dépassées sur la parcelle non bâtie n° h, située entre la parcelle n° e et le fonds propriété de C. (n° f).
B.
A. et B. Sàrl ont déféré cette décision à l'autorité de céans, qui a rejeté leur recours en matière de droit public.
(résumé)
Extrait des considérants:
Erwägungen
3.
De manière générale, sans remettre en cause le fait que l'installation d'une pompe à chaleur extérieure est contraire au permis de construire délivré le 12 mai 2009, les recourants font grief au Tribunal cantonal d'en avoir confirmé la démolition, alors même qu'elle répondrait, selon eux, aux exigences du droit de l'environnement.
3.1
Sur le plan cantonal, selon l'art. 51 al. 2 LC, lorsqu'un projet est exécuté contrairement à l'autorisation de construire délivrée, l'autorité compétente ordonne la remise en état des lieux. Cette décision est toutefois suspendue lorsqu'une demande d'autorisation de construire
BGE 141 II 476 S. 479
est déposée dans un délai de trente jours (art. 51 al. 4 let. a LC). Dans le cadre de cette procédure, l'autorité compétente examine si le projet peut éventuellement être autorisé (art. 51 al. 4 let. b LC).
Procédant à cet examen, à la suite du dépôt de la demande de régularisation du 22 novembre 2010, les autorités communales ont estimé que l'installation litigieuse contrevenait aux exigences légales en matière de protection contre le bruit, ce que les recourants contestent; ils soutiennent qu'en confirmant la démolition de la pompe à chaleur, en dépit des mesures prises pour en atténuer les émissions sonores, la cour cantonale aurait non seulement violé l'art. 51 LC, mais également les
art. 11 LPE
(RS 814.01) et 7 OPB. Dans ce cadre, les recourants invoquent également l'
art. 26 Cst.
sans toutefois exposer en quoi l'ordre de démolition litigieux violerait la garantie de la propriété; leur grief ne sera dès lors pas examiné sous cet angle (cf.
art. 106 al. 2 LTF
).
3.2
La pompe à chaleur en cause est une installation fixe nouvelle au sens des
art. 7 al. 7 LPE
et 2 al. 1 OPB, dont l'exploitation produit un bruit extérieur. A ce titre, elle ne peut être construite, en vertu des
art. 25 al. 1 LPE
et 7 al. 1 let. b OPB, que si les immissions sonores (cf. art. 7 al. 2 i.f. LPE; bruit au lieu de son effet) qu'elle engendre ne dépassent pas les valeurs de planification fixées à l'annexe 6 de l'OPB (cf. ch. 1 al. 1 let. e de l'annexe 6 à l'OPB). Les émissions de bruit (au sortir de l'installation; cf.
art. 7 al. 2 LPE
) doivent en outre être limitées par des mesures préventives en tant que cela est réalisable sur le plan de la technique et de l'exploitation et économiquement supportable (
art. 11 al. 2 LPE
et 7 al. 1 let. a OPB).
La protection contre le bruit est ainsi assurée par l'application cumulative des valeurs de planification et du principe de la limitation préventive des émissions (cf. SCHRADE/LORETAN, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 1998, n
os
34b et 47 ad
art. 11 LPE
; GRIFFEL/RAUSCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2011, n° 11 ad
art. 11 LPE
). Dès lors que les valeurs de planification ne constituent pas des valeurs limites d'émissions au sens de l'
art. 12 al. 1 let. a LPE
(cf.
ATF 124 II 517
consid. 4b p. 521; arrêt 1C_506/2008 consid. 3.3, in DEP 2009 p. 541), leur respect ne signifie pas à lui seul que toutes les mesures de limitation imposées par le principe de prévention des émissions aient été prises et que le projet en cause satisfasse à la législation sur la protection sur l'environnement (cf.
ATF 124 II 517
consid. 4b p. 521; cf. également ANNE-CHRISTINE FAVRE, La
BGE 141 II 476 S. 480
protection contre le bruit dans la loi sur la protection de l'environnement, 2002, p. 142); il faut bien davantage examiner chaque cas d'espèce à la lumière des critères définis par les
art. 11 al. 2 LPE
et 7 al. 1 let. a OPB pour déterminer si le principe de prévention exige une limitation supplémentaire des émissions (cf.
ATF 124 II 517
consid. 4b p. 522 et les références). Dans ce cadre, le principe de la prévention impose, lors du choix de l'emplacement d'une nouvelle installation, de tenir compte des émissions que celle-ci produira et de la protection des tiers contre les atteintes nuisibles et incommodantes (cf. arrêt 1A.36/2000 du 5 décembre 2000 consid. 5b et la référence citée, in DEP 2001 p. 147); il commande ainsi de choisir l'emplacement le moins bruyant (cf. FAVRE, op. cit., p. 118 s.).
3.3
Il est constant que, depuis la réalisation de mesures constructives dans le cadre de la procédure de l'art. 51 al. 4 let. b LC, les valeurs de planification sont respectées, particulièrement au niveau de la parcelle de l'intimé. Se fondant sur le rapport du 11 octobre 2012 du SPE, la cour cantonale a néanmoins relevé que si les aménagements réalisés avaient permis de réduire les immissions au niveau du terrain, cette réduction ne se retrouvait pas à la hauteur de la fenêtre du 1
er
étage, où la différence entre les mesures effectuées en novembre 2011 - constatant le dépassement des valeurs de planification - et celles prises en septembre 2012 demeurait minime. Le Tribunal cantonal a enfin relevé que les immissions au 1
er
étage, évaluées à 49 dB(A), étaient très proches du seuil de la valeur de planification de nuit, fixé à 50 dB(A) pour la zone de sensibilité III.
La cour cantonale a inféré de ces résultats que les aménagements réalisés n'étaient pas pleinement efficaces, ceux-ci n'ayant pas permis de réduire, dans une mesure significative, le degré des immissions. Confirmant la décision du Conseil d'Etat, qui relève que la dernière notice acoustique produite par les recourants ne démontre pas que l'emplacement retenu aurait été choisi de manière à minimiser les émissions sonores - ce que l'inefficacité des mesures constructives tend à confirmer -, le Tribunal cantonal a jugé que le principe de prévention n'était pas respecté. A cet égard, il a rappelé que les exigences de ce principe étaient élevées et devaient être appliquées avec rigueur, dans la mesure où la pompe à chaleur en cause est une installation entièrement nouvelle, érigée de surcroît sans autorisation. Enfin, dès lors que les niveaux d'immissions mesurés sur la parcelle de l'intimé sont proches du seuil des valeurs de
BGE 141 II 476 S. 481
planifications de nuit, le Tribunal cantonal en a déduit que celles-ci devaient vraisemblablement être dépassées à la hauteur de la parcelle non construite n° h, située entre l'installation litigieuse et le bien-fonds de l'intimé. Au vu de ces éléments, l'instance précédente a jugé que la pompe à chaleur contrevenait aux exigences légales en matière de protection contre le bruit.
3.4
Les recourants estiment tout d'abord que le Tribunal cantonal ne pouvait retenir que des valeurs proches des seuils de planification rendaient la construction illicite. Selon eux, les normes d'immissions (ou de façon générales, les valeurs d'exposition) n'aménagent aucun pouvoir d'appréciation en faveur de l'autorité. A les suivre, soit ces valeurs sont, comme en l'espèce, respectées, auquel cas l'installation doit être admise, soit elles ne le sont pas, et le projet doit être écarté.
3.4.1
Savoir si l'
art. 7 al. 1 let. b OPB
confère à l'autorité d'exécution une certaine marge d'appréciation n'est en l'occurrence pas pertinent: le Tribunal cantonal ne s'est en effet pas directement fondé sur les valeurs de planification pour juger le projet non conforme - sous réserve de la question de la parcelle n° h -, mais bien sur une violation du principe de prévention. Or, comme le reconnaissent les recourants - dans un deuxième temps -, alors même que ces valeurs sont respectées, une réduction supérieure des émissions peut toujours être exigée, à titre préventif (cf. FAVRE, op. cit., p. 142 et les références). Cette limitation ne peut toutefois être exigée que dans la mesure où l'état de la technique le permet (
art. 11 al. 2 LPE
).
Il ressort des constatations cantonales que les mesures prises afin de limiter les émissions ont été largement analysées par des spécialistes et qu'elles correspondent à celles préconisées par l'aide à l'exécution 6.21 pour l'évaluation acoustique des pompes à chaleur air/eau, émise le 11 septembre 2013 par le Cercle bruit (pour un cas d'application des directives du Cercle bruit cf.
ATF 137 II 30
consid. 3.5 et 3.6 p. 37 s.); il apparaît également que de plus amples aménagements ou mesures risquent d'engendrer un effet de résonance contre-productif. Il faut dès lors concéder aux recourants que - sous réserve d'une démolition - l'ensemble des aménagements techniquement envisageables ont été réalisés. On ne saurait en revanche les suivre lorsqu'ils affirment que, pour ce motif, le Tribunal cantonal ne pouvait confirmer l'ordre de démolition; les recourants perdent en effet de vue qu'en installant sans droit cette machine à l'emplacement de leur choix, sans qu'il ne soit démontré que celui-ci serait propre à
BGE 141 II 476 S. 482
minimiser les émissions, ils ont sciemment placé l'autorité devant le fait accompli, l'empêchant d'appliquer le principe de prévention.
Ce n'est en effet pas à la suite d'une analyse préalable menée sous l'angle de ce principe que les différentes mesures constructives ont été réalisées, mais au cours de la procédure prévue à l'art. 51 al. 4 LC, imposant aux autorités communales, confrontées à une construction illicite, d'examiner si celle-ci peut néanmoins être autorisée (cf. consid. 3.1). Dans ce cadre, les recourants ne sauraient se prévaloir de l'impossibilité technique de réaliser d'autres mesures préventives, cette impossibilité découlant précisément du choix illicite de l'emplacement de l'installation: d'autres solutions auraient certainement été préférables, comme une installation intérieure telle qu'initialement autorisée (cf. à cet égard Cercle bruit, aide à l'exécution 6.21 précitée, n. 1.1 p. 1), dont les recourants ne prétendent pas qu'elle aurait été techniquement irréalisable ou économiquement insupportable. Ainsi, dès lors que les aménagements consentis n'ont permis d'améliorer que faiblement la situation - en ramenant le niveau des immissions au seuil des valeurs de planification -, la cour cantonale pouvait, sans que cela ne soit critiquable, considérer que l'installation litigieuse ne répondait pas au principe de prévention, dont l'application sous-entend notamment le choix d'un emplacement minimisant les nuisances (cf. consid. 3.2 ci-dessus; voir également Cercle bruit, aide à l'exécution 6.21 précitée, n. 2.1 p. 2), notamment par l'éloignement des nouvelles installations émettrices de nuisances des lieux à utilisation sensible (cf. FABIA JUNGO, Le principe de précaution en droit de l'environnement suisse, 2012, p. 177).
3.4.2
Toujours dans le cadre de leur grief portant sur la mauvaise application du principe de prévention, les recourants prétendent qu'il s'imposait aux autorités de leur proposer des mesures concrètes supplémentaires. On ne saurait en l'espèce réserver un écho favorable à cette argumentation: les recourants ne peuvent, d'une part, soutenir que l'ensemble des mesures techniquement envisageables ont été réalisées - ce qui n'est plus contesté - et, d'autre part, exiger des autorités communales de leur proposer des solutions supplémentaires, sans toutefois énoncer de proposition concrète en ce sens. Il n'y a pas lieu, à cet égard, de s'écarter de l'opinion de la cour cantonale, selon laquelle les seules mesures encore envisageables au regard de l'aide à l'exécution 6.21 sont le choix d'un emplacement adéquat et d'une installation moins bruyante (cf. Cercle bruit, aide à l'exécution 6.21 précitée, n. 2.1 p. 3 et tableau p. 8).
BGE 141 II 476 S. 483
3.5
En définitive, c'est sans violer le droit que le Tribunal cantonal a confirmé que l'installation litigieuse avait été mise en place en violation du principe de prévention. Dans ces circonstances, il n'est pas nécessaire d'examiner si c'est à juste titre que l'instance précédente a retenu que les valeurs de planification étaient dépassées au niveau de la parcelle n° h. | public_law | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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