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„[…] weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Rußland kein eurasisches Reich mehr. […] Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Rußland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa und würde Polen zu einem geopolitischen Angelpunkt an der Ostgrenze eines vereinten Europas werden lassen.“
– Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft.[131]
Die USA sollten darauf hinarbeiten, dass die Russische Föderation nicht imperialistisch agiert, sondern sich wandelt und sich schließlich für die USA und Europa entscheidet, auch wenn die NATO und die Europäische Union expandieren.[132] Um die Russische Föderation dazu zu bringen, sollte der Westen einerseits versuchen, enger mit der Russischen Föderation zu kooperieren, und andererseits die neuen post-sowjetischen Staaten unterstützen.[133] Brzeziński schätzte, der Westen werde zwischen 2005 und 2015 damit beginnen können, auch die Ukraine schrittweise in die NATO und in die EU zu integrieren.[134] Er rechnete damit, dass die Russische Föderation diesen Schritt nur schwer akzeptieren wird. Allerdings erblickte er darin den Prüfstein, ob die Russische Föderation sich neu bestimmt und sich für Europa oder für eine eurasische Außenseiterrolle entscheidet.[135] Sollte der Westen keine guten Beziehungen zur Russischen Föderation eingehen können, so empfahl Brzeziński, dass der Westen auch dann die Ukraine in seine Bündnisse eingliedern sollte, um einen gefährlichen russischen Imperialismus einzudämmen.[136]
Stromintegration in die Europäische Union
Im Jahr 2000 begannen die Europäische Union und die Russische Föderation einen Dialog darüber, das kontinentaleuropäische Netz und das IPS/UPS-Netz miteinander zu verbinden, um einen gemeinsamen Energieraum von Wladiwostok bis Lissabon zu schaffen.[137] Allerdings scheiterte dieses Projekt aus mehreren Gründen.[138] Stattdessen konkurrierten die Europäische Union und die Russische Föderation um osteuropäische Staaten, wie im Falle der Ukraine.
Einerseits wurden 2008 die politischen Beziehungen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation sehr schlecht, so dass sie den Transit russischen Stroms durch ukrainisches Territorium gefährdeten. Andererseits arbeiteten die Europäische Union und die Ukraine seit 2005 darauf hin, die Ukraine in europäische Energiemärkte bzw. -systeme zu integrieren.[139] 2017 bestimmten Vertreter von ENTSO-E, des ukrainischen Netzbetreibers Ukrenerho und von moldawischer Seite Moldelectrica technische Schritte, um das ukrainische Stromnetz mit dem kontinentaleuropäischen Netz zu synchronisieren.[140] Vor dem Hintergrund russischer Aggressionen, der Energiesicherheit Europas und des Klimawandels sicherten die USA und die Bundesrepublik Deutschland 2021 zu, der Ukraine dabei zu helfen, ihren grünen Energie-Sektor auszubauen.[141] In diesem Zusammenhang versprach die Bundesrepublik Deutschland auch, die Ukraine bei der Synchronisierung zu unterstützen.[142]
Die ukrainische Regierung unter Denys Schmyhal strebte an, 2021/22 das ukrainische vom russischen Stromnetz zu lösen und bis 2023 mit dem kontinentaleuropäischen Netz zu synchronisieren.[143] Die ukrainische Seite erwartete davon höhere Energiesicherheit, geringere Kosten und Treibhausgasemissionen sowie eine tiefere Verbindung mit der Europäischen Union.[143] Mit Blick auf das Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, betrachtete die Europäische Union die Ukraine als möglichen Anbieter von Ökostrom und Wasserstoff.[144]
Die geplante Synchronisierung war geopolitisch brisant. Sie implizierte die Zunahme des europäischen bzw. die Abnahme des russischen Einflusses.[145] Zudem war die Stromversorgung der Ukraine in mehreren Hinsichten von Energieträgern aus der Russischen Föderation abhängig und somit anfällig für russische Gegenreaktionen.[145] Des Weiteren hatte die Russische Föderation 2014 die Krim annektiert und in das russische Stromnetz integriert.[146] Ebenso waren die sogenannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk mit dem russischen Stromnetz verbunden.[146] Schließlich war es brisant, parallel zum ukrainischen auch das Netz der Republik Moldau mit dem kontinentaleuropäischen Netz verbinden zu wollen.[147] Das russische Unternehmen Inter RAO besaß nämlich einen Kraftwerkspark in Transnistrien, der mit russischem Gas betrieben wurde. Er versorgte einen großen Teil der Republik Moldau mit Strom und leitete Strom auch zur Ukraine. Die Russische Föderation forderte von der Republik Moldau, Schulden für russisches Gas in Höhe von etwa sieben Milliarden US-Dollar zu begleichen.[147]
Mitgliedschaften
Die Ukraine ist Mitglied in folgenden internationalen Organisationen:
Organisation Beitritt / Austritt
UNO (Gründungsmitglied)⁠1
24. Oktober 1945
UNESCO
12. Mai 1954
IAEO, Internationale Atomenergie-Organisation
1957[148]
GUS⁠2
1991–2014 (2018)
OSZE, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
30. Januar 1992
Interpol
1992
IOC, Internationales Olympisches Komitee
September 1993[149]
Europarat
1995
GUAM, Organisation für Demokratie und Wirtschaftsentwicklung
10. Oktober 1997
WTO, Welthandelsorganisation
16. Mai 2008[150]
IKRK, Internationales Komitee vom Roten Kreuz
ITU, Internationale Fernmeldeunion
IWF, Internationaler Währungsfonds
WHO, Weltgesundheitsorganisation
1 Obwohl die damalige Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik als Teil der Sowjetunion kein souveräner Staat war, erhielt sie 1945 den vollen Status unter den 51 Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen, wie die damals ebenfalls nicht unabhängigen Philippinen, Indien und die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik.[151]
2 Zwar gründete die Ukraine mit Russland und Belarus gemeinsam die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), ratifizierte deren Statut aber nicht und wurde deshalb nie Vollmitglied, sondern war lediglich „Teilnehmerstaat“.[152] Der ehemaligen Wirtschaftsunion des Staatenbundes war sie lediglich assoziiert und deren 2015 gegründeter Nachfolgeorganisation, der Eurasischen Wirtschaftsunion, trat sie nicht mehr bei. Auch war die Ukraine nicht Mitglied des im Vertrag von Taschkent geschlossenen Militärbündnisses. Nichtsdestoweniger hatte der damalige ukrainische Ministerpräsident Leonid Kutschma vom 29. Januar 2003 bis zum 16. September 2004, als ihn der damalige russische Ministerpräsident Wladimir Putin ablöste,[153] den GUS-Vorsitz inne.[154][155] Nach der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation reagierte der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine im Mai 2014 mit dem Beschluss des Austritts des Landes aus der GUS,[156] dieser wurde letztlich nicht vollzogen.[157] Stattdessen erfolgte der faktische Ausschluss aus dem Staatenbund zum 1. Januar 2015 durch einen Ukas des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der den Freihandel mit der Ukraine aufkündigte.[158] Schließlich schied die Ukraine 2018 aus Protest gegen die russische Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim aus der GUS aus.[159]
Zusammenarbeit mit der EU
→ Hauptartikel: Ukraine und die Europäische Union
Tortendiagramm
Die Ukraine belegte 2007 den 4. Platz in Europa bei der Zahl der Menschen mit hohem Bildungsabschluss (Tertiärer Bildungsbereich) und lag hinter Russland, Großbritannien und Frankreich.
Auf der y-Achse sind die Altersstufen von 0 bis 100 Jahren und auf der x-Achse die Bevölkerung in Millionen aufgelistet. Die waagerechten Balken sind in der Mitte geteilt, links ist der Männeranteil und rechts die Frauenanteil aufgeführt.
Altersstruktur der Ukraine des International-Futures-Programms (2012)
Frontalaufnahme auf das rote Backsteingebäude mit seinem griechisch anmutenden Säuleneingang. Vor dem Gebäude befindet sich eine Straße, von der einige Stufen zu einem Vorplatz führen. Der Vorplatz hat einen dunkelgrauen Pflasterweg, umschlossen von hellen Pflastersteinen. An den Seiten und am Gebäude sind Bäume und ein Rasen mit Hecken und Blumen.
Die Universität Kiew ist eine der wichtigsten Ausbildungsinstitutionen der Ukraine.
Die Europäische Union hat im Dezember 2004 einen „Aktionsplan“ für eine engere Zusammenarbeit mit der Ukraine im Rahmen ihrer sogenannten „Nachbarschaftspolitik“ gebilligt. Als Prioritäten werden im Aktionsplan unter anderem folgende Punkte genannt:
Förderung des Beitritts der Ukraine zur Welthandelsorganisation (WTO); stetiger Abbau von Hemmnissen im bilateralen Handel.
Ukrainische Gesetze, Normen und Standards werden schrittweise an die der EU angeglichen.
Verhandlungen über Beschäftigungsfragen, zum Beispiel Möglichkeiten für Bürger der Ukraine, in der EU zu arbeiten.
Verhandlungen über Erleichterungen bei der Erteilung von Reisevisa.
Erfüllung der Vereinbarungen zwischen der EU und der Ukraine über die Schließung des Kernkraftwerkes in Tschernobyl.
Verbesserung des Investitionsklimas, unter anderem durch Herstellung diskriminierungsfreier, transparenter Wirtschaftsbedingungen, Bürokratieabbau sowie Bekämpfung von Korruption, Menschenhandel, Folter und Rassismus.
Benita Ferrero-Waldner, EU-Kommissarin für auswärtige Beziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik, nannte darüber hinaus folgende Maßnahmen, um die Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine zu stärken:
Die Einfuhr von Textilien und Stahl aus der Ukraine soll erleichtert werden.
Die Vergabe von Krediten der Europäischen Investitionsbank an die Ukraine soll erleichtert werden.
Die Finanzhilfen für eine Angleichung des ukrainischen Rechtssystems an das Rechtssystem der EU sollen erhöht werden.
In den Bereichen Energie, Umwelt und Verkehr ist eine engere Zusammenarbeit vorgesehen.
Grundlagen der Beziehungen der Ukraine zur EU sind:
der 1994 unterzeichnete Vertrag über Partnerschaft und Zusammenarbeit (in Kraft seit 1. März 1998),[160]
die vom Europäischen Rat am 14. Dezember 1999 in Helsinki verabschiedete „Gemeinsame Strategie EU-Ukraine“,
das von der EU-Kommission im März 2003 vorgelegte und von den EU-Mitgliedstaaten gebilligte Konzept für eine „Europäische Nachbarschaftspolitik“ („Größeres Europa – Nachbarschaft: ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn“).
Seit 1994 leistet die EU außerdem im Rahmen des TACIS-Programms Beratungs- und Ausstattungshilfe in der Ukraine. Deutschland hat einen Anteil von fast 30 % an der Finanzierung dieses Programms.
Ziel der „Europäischen Nachbarschaftspolitik“ der EU ist lediglich eine verstärkte Zusammenarbeit mit den EU-Nachbarstaaten, die durch „Aktionspläne“ konkretisiert wird. Für osteuropäische Nachbarstaaten wurde bisher neben dem Aktionsplan für die Ukraine im Dezember 2004 auch ein Aktionsplan für das Nachbarland Moldau beschlossen.
Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit soll den Nachbarstaaten langfristig eine Beteiligung am EU-Binnenmarkt und an einigen Gemeinschaftsprogrammen eröffnet werden. Eine Beitrittsperspektive, so EU-Kommissarin Ferrero-Waldner in einem Interview mit der Deutschen Welle am 21. Januar 2005, eröffnet die Nachbarschaftspolitik nicht.
Demgegenüber hat der frühere ukrainische Staatspräsident Juschtschenko wiederholt betont, beispielsweise am 25. Januar 2005 vor dem Europarat in Straßburg, er strebe als „strategisches Ziel“ einen Beitritt der Ukraine zur EU an.
Seit Anfang 2008 verhandelte die Ukraine mit der EU über ein Assoziierungsabkommen. Diese Verhandlungen verliefen bis zum Ende von Janukowytschs Amtszeit erfolglos.[161]
Am 28. Juni 2014 unterzeichnete die EU mit der Ukraine[162] den wirtschaftlichen Teil eines Assoziierungsabkommen, der auch ein Freihandelsabkommen beinhaltet. Der politische Teil des Abkommens wurde bereits im März 2014 unterzeichnet.[163]
Im Herbst 2018 stimmte das ukrainische Parlament für die Verankerung des Ziels des EU-Beitritts in der Verfassung. Das Verfassungsgericht sollte die Änderung danach prüfen, zu einem Zeitpunkt, als in der Bevölkerung gemäß Umfragen 58 Prozent der Befragten mit diesem Ziel übereinstimmten.[164] Am 7. Februar wurde dieses Ziel, zusammen mit jenem des NATO-Beitritts, festgeschrieben.[128]
Sicherheitspolitik
Justiz und Polizei
Im Vordergrund der Farbfotografie stehen drei Polizisten, jeweils ein Mann links und rechts vom Foto und eine Frau in der Mitte, mit Blick an der Kamera vorbei. Im Hintergrund sind weitere Polizisten und eine orthodoxe Kirche zu erkennen. Alle Polizisten tragen die schwarze Uniform mit einem runden Abzeichen an ihrer linken Brust.
Ukrainische Polizisten in Kiew
Die Rechtsprechung ist den Gerichten der Ukraine anvertraut. Sie sind zwar von Verfassungs wegen formal unabhängig, praktisch ist die Trennung zwischen Rechtsprechung und Politik und Wirtschaftsinteressen aber nur schwach ausgeprägt.[165] Die Rechtsprechung der Ukraine gilt als sehr korruptionsanfällig.[166] So wurde der Präsident des obersten ukrainischen Gerichtshofs im Mai 2023 festgenommen, nachdem er Bestechungsgeld in Höhe von drei Millionen US-Dollar angenommen hatte.[167] Es besteht im Grundsatz ein Einheitsprinzip hinsichtlich der Einteilung der Rechtsprechungsgewalt: Die Gerichte sind grundsätzlich für alle gerichtlichen Verfahren zuständig, unabhängig von der zu behandelnden Materie. Die Gerichtsbarkeit verfügt über vier Instanzen: Lokalgerichte, Regionalgerichte, Berufungsgerichte und dem Obersten Gerichtshof der Ukraine als Revisionsgericht. Außer bei den Lokalgerichten bestehen eigene Kammern für Verwaltungs- und Handelssachen.
Die Verfassungsgerichtsbarkeit wird vom Verfassungsgericht der Ukraine (ukrainisch Конституційний Суд України Konstitycijnyj Sud Ukraijny) wahrgenommen. Dieses hat die alleinige Verwerfungskompetenz für Gesetze, entscheidet über die Auslegung der Verfassung und wirkt bei der Amtsenthebung des Präsidenten und der Auflösung des Lokalparlaments der Krim mit.
Für die Strafverfolgung ist ein (politischer) Generalstaatsanwalt (ukrainisch Генеральний прокурор України Heneralyj Prokuror Ukraijny) nach sowjetischem Vorbild zuständig, der den lokalen Staatsanwälten vorsteht. Seine Kompetenzen sind unmittelbar von der Verfassung bestimmt.
Sowohl die ukrainische Polizei (früher „Miliz“ genannt)[168] als auch die Justiz[169] gelten als korrupt. Im Juni 2014 beschloss die EU, eine 40 Mitarbeiter umfassende Mission zur Durchsetzung des Rechts und zur Unterstützung der ukrainischen Polizei nach Kiew zu entsenden.[170]
Ein gelber Ring in Form von Getreideähren umschließt den inneren gelben Ring mit der kyrillischen Inschrift „Zentrale Wahlkommission“. Er trägt oben das ukrainische Wappen. Zentral ist ein hellblauer Bereich zu sehen, der den Umriss der Ukraine bildet und eine gelbe Taube, die eine Waage im Schnabel hält.
Emblem der Zentralen Wahlkommission
Militär und Kriegszustand