text
stringlengths 0
4.31k
|
---|
Am 26. November 2018 verhängte das ukrainische Parlament einen auf 30 Tage befristeten Ausnahmezustand.[83] Es reagierte damit auf die massiven Übergriffe der russischen Küstenwache auf ukrainische Schiffe sowie die Gefahr einer großflächigen Invasion durch die Russische Föderation[84] aufgrund massiver russischer Truppenkonzentrationen entlang der Grenze zur Ukraine.[85] |
Der Konflikt mit Russland im Osten des Landes verhinderte in den 2010er Jahren eine bedeutende wirtschaftliche Erholung der Ukraine.[86] Die im Jahr 2020 einsetzende COVID-19-Pandemie in der Ukraine trug nicht zur wirtschaftlichen Erholung bei. |
Die Gefahr einer Invasion bestand erneut seit Frühjahr 2021 angesichts der Gegenwart größerer russischer Truppen entlang der Grenze.[87] Wladimir Putin unterzeichnete am 21. Februar 2022 ein Dekret zur Anerkennung der Sezessionsregionen Volksrepublik Donezk und Volksrepublik Lugansk in der Ostukraine.[88] |
Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine unter Verletzung des Gewaltverbotes nach Art. 2, Nr. 4 der UN-Charta[89] sowohl von russischem Staatsgebiet, als auch von der annektierten Halbinsel Krim und aus dem Nachbarstaat Belarus an und begann mit der Bombardierung von ukrainischen Städten. Infolge der Angriffe verhängte der ukrainische Präsident den Kriegszustand im Land.[90] Die kurz nach Invasionsbeginn unter fortgesetzten russischen Angriffen erfolgten russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen scheiterten. Russische Soldaten und Söldner begingen in der Ukraine zahlreiche Kriegsverbrechen. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine flüchteten mehrere Millionen Menschen aus der Ukraine, insbesondere nach Polen, Russland und Deutschland, wo jeweils mehr als eine Million Ukrainer unterkamen.[91] Am 30. September 2022 annektierte Russland Teile der Süd- und Ostukraine. Bis ins Jahr 2023 fielen mehrere zehntausend ukrainische Soldaten und tausende bis zehntausende Zivilisten in der Ukraine dem russisch-ukrainischen Krieg zum Opfer. |
Entwicklung der Identität als Bürger der Ukraine |
Im Zuge des russischen Angriffskriegs setzte eine Entrussifizierung in der Ukraine ein. Unter dem Begriff der Dekommunisierung in der Ukraine wurden sowjetische Denkmäler und solche, die an russische Persönlichkeiten erinnern, demontiert oder in Museen verlagert.[92] Straßen- und Ortsnamen in russischer Sprache oder mit russischem Bezug in der Ukraine wurden per Gesetz im April 2023 verboten und Kenntnisse der ukrainischen Sprache und Geschichte zur Voraussetzung für die ukrainische Staatsbürgerschaft gemacht.[93] Zuvor, im August 2022, hatten sich in einem digitalen Abstimmungsprozess laut ukrainischen Regierungsangaben eine Mehrheit von 6,5 Millionen Ukrainern für die Umbenennung von Straßen, deren Namen an russische und sowjetische Persönlichkeiten sowie an kommunistische Vordenker erinnern, ausgesprochen.[94] Bis Ende November 2022 wurden nach ukrainischen Regierungsangaben rund 19 Millionen Bücher aus Bibliotheken in der Ukraine entfernt. Dabei habe es sich um Werke gehandelt, die aus der Ära der Sowjetunion stammten und/oder in russischer Sprache verfasst wurden.[95] |
Nach Angaben der Vereinten Nationen, der Weltbank und der ukrainischen Regierung beliefen sich die materiellen Kriegsschäden in der Ukraine bis Ende 2023 auf mindestens 152 Milliarden US-Dollar. Für den Wiederaufbau wurde mit Kosten von fast 500 Milliarden US-Dollar gerechnet.[96] |
Mit dem Euromaidan setzten Identitätsveränderungen ein, die sich seit der Invasion beschleunigt haben. Seit dem Jahr 2000 haben Meinungsforscher die Ukrainer gefragt, wie sie sich selbst sehen, und ihnen verschiedene Optionen für eine lokale, subnationale, nationale und globale Identität gegeben. In den letzten zwei Jahrzehnten ist der Anteil derer, die sich als „Bürger der Ukraine“ bezeichnen, von 41 Prozent im Jahr 2000 auf 65 Prozent kurz vor der Invasion im Februar 2022 gestiegen. Bis Juli 2022 war der Anteil auf 85 Prozent gestiegen.[97] |
Politik |
Politisches System |
Der Mann steht mit verschränkten Armen frontal zur Kamera und hat im Hintergrund die Fahnen, was ein offizielles Porträt darstellt. |
Der Präsident |
Wolodymyr Selenskyj |
Der Mann wird sitzend und mit Blick an der Kamera vorbei fotografiert. Im Hintergrund ist eine blau-gelbe Fahne zu erkennen. |
Der Ministerpräsident |
Denys Schmyhal |
Schematische Darstellung der politischen Organe der Ukraine mit Darstellung der Entscheidungsverhältnisse durch kommentierte Pfeilverbindungen |
Politisches System der Ukraine |
Die Ukraine ist nach der Verfassung der Ukraine ein demokratischer, republikanisch, sozial- und rechtsstaatlich organisierter Einheitsstaat mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem. Von Verfassung wegen ist eine Gewaltenteilung vorgesehen. Staatsoberhaupt ist der Präsident, die Regierung (Ministerkabinett der Ukraine) wird von einem Ministerpräsidenten geleitet. Einzig die Autonome Republik Krim hatte (und hat dies auch de jure noch immer) davon abweichend das Recht, über eine eigene Verfassung, Regierung und teilautonome Gesetzgebung zu verfügen. |
Siehe auch: Liste der Parteien der Ukraine |
Verfassung |
→ Hauptartikel: Verfassung der Ukraine |
Auf grauem verschlissenem Papier ist in Handschrift und auf Latein ein Text verfasst. Die ersten Buchstaben der Überschrift und des Abschnitts sind größer als die anderen Buchstaben und verziert.. |
Die „erste Verfassung Europas“, auch Verfassung Pylyp Orlyks von 1710, die bereits die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative vorsah, noch vor Montesquieus Vom Geist der Gesetze (1748). Auf sie beziehen sich Ukrainer in ihren Begründungen und Ausformungen eigener demokratischer Staatlichkeit. |
Die Verfassung der Ukraine stammt vom 28. Juni 1996 und beansprucht als Staatsgrundgesetz höchste rechtliche Autorität. Alle Maßnahmen des Staates und seiner Einrichtungen, einschließlich der Gesetzgebung und völkerrechtlicher Verträge, müssen mit ihr im Einklang stehen. |
Für die Auslegung der Verfassung und die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns ist allein und ausschließlich das Verfassungsgericht der Ukraine zuständig. |
Änderungen der Verfassung obliegen dem Parlament und sind in einem besonderen Verfassungsänderungsverfahren im Rahmen einer regulären gesetzgebenden Sitzung mit Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Werchowna Rada zu beschließen. Sie sind als verfassungsänderndes Gesetz vom Präsidenten der Ukraine auszufertigen. Änderungen hinsichtlich der Staatsgrundsätze, der Wahlen und Referenden, sowie der Bestimmungen über die Verfassungsänderung bedürfen darüber hinaus der Zustimmung in einem Referendum. |
Dies geschah mit dem Gesetz Nr. 2222-IV vom 8. Dezember 2004 erstmals, und beschnitt u. a. die damaligen Rechte des Präsidenten. Diese Änderungen wurden mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichts der Ukraine vom 1. Oktober 2010 als verfassungswidrig verworfen und für nichtig erklärt.[98][99] Im Zuge der Staatskrise 2013/14 beschloss das Parlament getreu der „Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine“ am 21. Februar 2014 die Wiederinkraftsetzung der Änderungen von 2004. Allerdings fehlte diesem Parlamentsbeschluss zur verfassungsgemäßen Wirksamkeit die Unterschrift des damals noch amtierenden Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Ob und, wenn ja, wann dies durch den neuen Präsidenten nachgeholt werden kann und wird, ist unklar. Bis dahin gilt die Verfassung in ihrer Urfassung von 1996 fort. |
Verfassungsorgane |
Präsident der Ukraine |
Parlament |
Ministerkabinett |
Verfassungsgericht |
Generalstaatsanwalt (siehe auch Liste der Generalstaatsanwälte der Ukraine) |
Nationaler Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine |
Präsident |
→ Hauptartikel: Präsident der Ukraine |
Frontalaufnahme des Gebäudes mit seiner türkisen Fassade und seinen hellen Steinsäulen. Im Vordergrund ist ein breiter gepflasterter Vorhof mit von kleinen Hecken umrandeten Grünflächen. |
Zeremonieller Präsidentenpalast in Kiew |
Der Präsident der Ukraine (ukrainisch Президент України President Ukrajiny) ist Staatsoberhaupt und vertritt den Staat der Ukraine nach innen wie nach außen völkerrechtlich. Er soll die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine wahren und steht an der Spitze der Exekutive. |
Die Aufgaben des Präsidenten umfassen: |
die Ernennung des Ministerpräsidenten mit Zustimmung des Parlaments sowie der Minister, der diplomatischen Vertreter des Landes, zwei Drittel der Mitglieder des Verfassungsgerichts und der Zentralbank, sowie den Generalstaatsanwalt, |
Ausfertigung der Gesetze des Parlaments mit der Möglichkeit eines Vetos gegen Beschlüsse des Parlaments, |
Recht zur Aufhebung von Maßnahmen der Regierung und Bestimmung des Zuschnitts der Ministerien, |
Ausübung des Gnadenrechts für die gesamte Ukraine, |
Errichtung oder Auflösung von Gerichten und Gerichtszweigen, |
Vorsitz des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine |
Oberbefehl über die Streitkräfte der Ukraine, Verhängung des Kriegsrechts sowie Ausrufung der Generalmobilmachung im Spannungs- oder Kriegsfall, |
vorzeitige Auflösung des Parlaments, |
Verordnungen und Dekrete an die Einrichtungen der Exekutive, einschließlich des Ministerkabinetts. |
Eine Delegation dieser Befugnisse ist ausdrücklich ausgeschlossen. Beraten wird der Präsident vom „Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine“. |
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren in direkter Wahl durch das Staatsvolk der Ukraine gewählt. Dabei darf ein Kandidat nicht mehr als zwei Amtszeiten hintereinander das Amt ausfüllen. Wählbar ist, wer mindestens 35 Jahre alt ist, die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzt, aktiv wahlberechtigt ist und seit mindestens 10 Jahren in der Ukraine lebt. |
Ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt ist durch eigenen Rücktritt, Feststellung der gesundheitsbedingten Amtsunfähigkeit, ein förmliches Amtsenthebungsverfahren oder den Tod des Amtsinhabers möglich. |
Parlament |
→ Hauptartikel: Werchowna Rada |
Vogelperspektive auf das vollbesetzte Parlament mit einem Redner am Pult. Die Wände bestehen aus hellem Marmor und haben Säulen. Auf beiden Seiten vom Hauptpult sind Bildschirme mit Übertragungen der Rede aufgebaut. An der linken Seite des Fotos erkennt man einen Rang. |
Werchowna Rada |
Die Werchowna Rada (ukrainisch Верховна Рада Oberster Rat) ist das unikameralistische Parlament der Ukraine. Es übt die alleinige legislative Gewalt des Staates aus. Es wird für eine Legislaturperiode von fünf Jahren vom Staatsvolk der Ukraine direkt gewählt, wobei Wahltermin und -verfahren vom scheidenden Parlament bestimmt werden. Abgeordnete der Rada genießen rechtliche Immunität für die Dauer der Legislaturperiode und dürfen während ihrer Zeit als Abgeordnete kein (anderes) Amt innerhalb der Ukraine ausüben, insbesondere nicht der Exekutive angehören. Die Rada kann außer durch Ablauf der Legislaturperiode nur im Ausnahmefall vom Präsidenten der Ukraine aufgelöst werden, wobei in diesem Falle unverzüglich Neuwahlen anzusetzen sind. Die Werchowna Rada wird von einem aus ihrer Mitte gewählten Präsidenten der Werchowna Rada geleitet und vertreten. |
Zu den Befugnissen des Parlaments zählen: |
die Gesetzgebung, |
der Beschluss über Verfassungsänderungen, |
Beschluss des Staatshaushalts, |
Beschluss zum Abhalten eines Referendums, |
Zustimmung zur Ernennung des Ministerpräsidenten und der übrigen vom Präsidenten ernannten Beamten sowie Misstrauensanträge gegen diese, |
Beschluss über die Rahmenbedingungen der Innen- und Außenpolitik von Ministerkabinett und Präsident, |
Aufstellung der Streitkräfte der Ukraine, |
Beschluss über den Kriegsfall und Kriegserklärungen, |
parlamentarische Kontrolle des Präsidenten und des Ministerkabinetts, |
Auflösung der Werchowna Rada der Autonomen Republik Krim, sofern dies durch das Verfassungsgericht der Ukraine wegen verfassungswidrigen Verhaltens bestimmt wurde, |
die Amtsenthebung des Präsidenten. |
Regierung |
Die Regierung der Ukraine wird vom Ministerkabinett (ukrainisch Кабінет Міністрів України Kabinet Ministriv Ukrajiny, „Kabinett der Minister der Ukraine“) wahrgenommen. Dieses setzt sich aus dem Ministerpräsidenten (ukrainisch Прем'єр-міністр України Prem’er Ministr Ukrajiny, „Premierminister der Ukraine“), dem Ersten Vize-Ministerpräsidenten, drei weiteren Vize-Ministerpräsidenten und den Ministern zusammen. Ersterer wird vom Präsidenten der Ukraine mit Zustimmung der Werchowna Rada ernannt. Die übrigen Mitglieder des Kabinetts werden auf Vorschlag des Ministerpräsidenten vom Präsidenten ernannt. Die Amtszeit des Kabinetts ist an die Amtszeit des Ministerpräsidenten gebunden. Die Werchowna Rada kann gegen den Ministerpräsidenten ein Misstrauensvotum abgeben mit der Folge, dass dieser und mit ihm das gesamte Kabinett durch den Präsidenten aus dem Amt zu entlassen sind. Das Ministerkabinett ist durch seine doppelseitige Ernennung und Entlassung für seine Arbeit auf Mehrheiten in der Werchowna Rada ebenso angewiesen wie auf die Unterstützung des Präsidenten. |
Siehe auch: Ministerkabinett der Ukraine |
Zuletzt war die Regierung unter Ministerpräsident Mykola Asarow von der Partei der Regionen auf die Unterstützung der Kommunistischen Partei und unabhängiger Abgeordneter angewiesen. Asarow wurde noch von Janukowytsch auf dessen Rücktrittsersuchen vom 28. Januar 2014[100] hin vor der Werchowna Rada entlassen. Mit den Regierungsgeschäften bis zur Ernennung einer neuen Regierung wurde der bisherige Erste Vize-Ministerpräsident Serhij Arbusow, ebenfalls von der Partei der Regionen, kommissarisch bestimmt.[101] Am 22. Februar 2014 bestimmte die Werchowna Rada, ihn als geschäftsführenden Ministerpräsidenten zu entlassen und die Leitung des Ministerkabinetts bis zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten auf den Parlamentspräsidenten der Werchowna Rada, Oleksandr Turtschynow von der Vaterlandspartei zu übertragen.[102] Vom 27. Februar 2014 bis zum 2. Dezember 2014 war die Regierung Jazenjuk im Amt, deren angebotener Rücktritt vom Parlament verworfen wurde.[103][104][105] Vom 2. Dezember 2014 bis zum 14. April 2016 regierte eine Koalitionsregierung unter dem im Amt bestätigten Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk, die sich nach der Parlamentswahl Ende Oktober gebildet hatte.[106] Sie wurde am 14. April 2016 nach Rücktritt Jazenjuks durch das Kabinett Hrojsman, eine von Wolodymyr Hrojsman gebildete Koalitionsregierung, abgelöst. Nach der vorgezogenen Parlamentswahl in der Ukraine 2019 trat die Werchowna Rada am 29. August 2019 erstmals zusammen und wählte Oleksij Hontscharuk zum neuen Ministerpräsidenten.[107] Nachdem das Parlament am 4. März 2020 ein Rücktrittsgesuch von Oleksij Hontscharuk angenommen hatte, wählte es am selben Tag Denys Schmyhal zum neuen Ministerpräsidenten.[108] |
Wahlen und politische Parteien |
Für die Organisation und Durchführung der Präsidenten- und Parlamentswahlen, der Kommunalwahlen und Referenden ist die Zentrale Wahlkommission der Ukraine, eine Behörde mit Sitz in Kiew zuständig. Die 15 Mitglieder der Kommission werden für den Zeitraum von 7 Jahren von der Werchowna Rada gewählt und vom Staatspräsidenten ernannt. Seit 2011 gilt für die Parlamentswahlen ein sogenanntes Grabenwahlsystem. |
Subsets and Splits
No community queries yet
The top public SQL queries from the community will appear here once available.