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Quelle: Rosstat[51][52]
Städte
„Sankt Petersburg ist der Kopf, Moskau das Herz, Nowgorod ist der Vater, Kiew die Mutter Russlands.“
– Russische Charakterisierung von Russlands historischen Zentren
Moskau, die Hauptstadt Russlands und größte Stadt Europas
Schon ab 800 war die Kiewer Rus von vielen städteähnlichen Siedlungen gekennzeichnet, weshalb die skandinavischen Waräger das Gebiet Gardarike („Reich der Städte“) nannten. Zu den ältesten erhaltenen Städten in diesem Bereich zählen Nowgorod, Smolensk, Pskow, Rostow, Murom und Beloosero, die alle noch im ersten Jahrtausend nach Christus gegründet wurden. Im 11. und 12. Jahrhundert wurden weitere Städte im Zentrum Russlands von slawischen Siedlern gegründet. In dieser Zeit entstanden Moskau, Jaroslawl, Twer, Wladimir, Wologda, Kirow, Tula, Kursk, Kostroma, Rjasan und etwas später Nischni Nowgorod. Aufgrund der Landesgröße war eine Vielzahl großer Städte als Stützpunkte notwendig. Mit der Eroberung Kasans und Astrachans zur Mitte des 16. Jahrhunderts gründeten russische Kolonisten weitere Städte im Osten, Südosten und Süden. Zahlreiche Städte wurden zunächst als Grenzfestungen gegründet. Im Süden waren dies Stützpunkte der Verhaulinie gegen die Krimtataren, wie Orjol (1566) und das heutige Woronesch (1586). Weiter östlich, an der Wolga entstanden in dieser Zeit weitere Städte wie Samara (1586), Zarizyn (1589) und Saratow (1590). In Sibirien entstanden nach dessen Eroberung zahlreiche Kosakenforts, sogenannte Ostrogs. Aus ihnen wuchsen später Städte wie Tobolsk, Irkutsk, Bratsk, Tomsk und Jakutsk heran. Städte im Ural- und Altai-Gebirge wie Perm (1723), Jekaterinburg (1723) oder Barnaul (1730) entstanden in der Epoche Peters des Großen im Zusammenhang mit den dort vorhandenen Erzen und kostbaren Mineralen. Mit dem Niedergang der Krimtataren und dem weiteren Vorstoßen Russlands in den Kaukasus entstanden im 18. Jahrhundert neue Festungen und Städte. 1784 wurden Stawropol und Wladikawkas gegründet, 1793 Krasnodar, 1805 Nowotscherkassk, 1818 Grosny, 1844 Port Petrowsk.
Trotz der Gründungen behielten große Teilräume ihren ländlichen Charakter. Der Bauer gehörte einem Mir (Bauerngemeinde) an. Städte stellten außerhalb der Agglomerationen isolierte Erscheinungen dar und bildeten ein nur weitmaschiges Netz. Bis 1712 fungierte Moskau als Hauptstadt und wurde dann nach dem Willen Peters I. vom 1703 neugegründeten Sankt Petersburg abgelöst, um 1918 wieder offiziell den Status der Hauptstadt anzunehmen. Im 19. Jahrhundert war sogar häufig von den beiden Hauptstädten die Rede. Die Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts brachte in allen Landesteilen einen bedeutenden Impuls für die nachfolgende Urbanisierung. Sie führte zur Entstehung zahlreicher neuer Städte und zum raschen Wachstum alter Städte. Viele russische Städte entstanden als Folge einer administrativen Umstrukturierung mehrerer benachbarter Dorfsiedlungen zu einer Stadtsiedlung. Neugründungen von Städten und Stadterhebungen sind bis heute ein Charakteristikum der russischen Urbanisierung.
Mehr als die Hälfte aller russischen Städte sind erst in den letzten 90 Jahren, besonders in den 1960er-Jahren gegründet worden. Deshalb gibt es unter den 160 russischen Großstädten, in denen die Hälfte der russischen Bevölkerung lebt, viele neue Städte (etwa ein Viertel). Die russischen Großstädte sind in erster Linie Industrie- und Verwaltungszentren, besitzen aber auch andere hochrangige Funktionen. Beispiele neuer Großstädte sind Magnitogorsk, Nowokusnezk oder Bratsk, zu den gewachsenen zählen unter anderem Samara und Tambow.
Zu Zeiten der Sowjetunion wurde die städtische Entwicklung zentral geplant und gesteuert. Es herrschte der Typus der Sozialistischen Stadt vor. Dazu zählt beispielsweise die Herausbildung neuer Stadttypen, etwa der Hauptstädte kleiner nationaler Republiken (u. a. Tscheboksary, Naltschik) oder der Wissenschaftsstädte (z. B. Dubna). Die in der Sowjetzeit betriebene massive Verstädterungspolitik führte dazu, dass heute 73 % der Bevölkerung in städtischen Siedlungen leben. Aus den politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen im Russland der 1990er-Jahre gingen die Städte als eigenständige und selbstverantwortliche kommunale Einheiten hervor. Dazu erhielten sie lokale und regionale Steuerungsinstanzen. Mit den neuen Staatsgrenzen brachen aber auch stark arbeitsteilig organisierte, spezialisierte Produktions- und Distributionsabläufe zusammen. Viele Städte waren plötzlich von den bisherigen Netzwerken abgeschnitten. Ehemals zentral gelegene Städte stellten plötzlich Grenzstädte dar und waren geopolitisch peripher gelegen. Dadurch veränderten sich grundlegend die funktionale Struktur und die wirtschaftliche Entwicklungsbasis der russischen Städte und führte zu Verschiebungen im Städtesystem Russlands, mit Auf- und Absteigern. Zu den Gewinnern der Transformation gehören bisher vor allem die Metropolen, allen voran Moskau. Weil Kapital zur Gewinnung und zum Transport von Rohstoffen unter extremen Bedingungen fehlte, gerieten viele Bergbaustädte des Nordens in eine Überlebenskrise.
Die zehn größten Städte Russlands (ehemalige Namen aus sowjetischer Zeit in Klammern):
Moskau – Zentralrussland (12,23 Mio. Einwohner)
Sankt Petersburg (Leningrad) – Nordwestrussland (5,28 Mio. Einwohner)
Nowosibirsk – Sibirien (1,60 Mio. Einwohner)
Jekaterinburg (Swerdlowsk) – Ural (1,46 Mio. Einwohner)
Nischni Nowgorod (Gorki) – Wolga (1,26 Mio. Einwohner)
Kasan – Wolga (1,23 Mio. Einwohner)
Tscheljabinsk – Ural (1,20 Mio. Einwohner)
Omsk – Sibirien (1,18 Mio. Einwohner)
Samara (Kuibyschew) – Wolga (1,17 Mio. Einwohner)
Rostow am Don – Südrussland (1,13 Mio. Einwohner)
Siehe auch: Liste der Städte in Russland
Das Zentrum von Sankt Petersburg
Das Zentrum von Sankt Petersburg
Die Innenstadt von Jekaterinburg
Die Innenstadt von Jekaterinburg
Stadtzentrum und das „Goldene Horn“ (Solotoi Rog), die Hafenbucht von Wladiwostok an der Pazifikküste
Stadtzentrum und das „Goldene Horn“ (Solotoi Rog), die Hafenbucht von Wladiwostok an der Pazifikküste
Russische Kinder in Nordrussland, 1909
Russische Kinder in Nordrussland, 1909
Völker
→ Hauptartikel: Liste der Völker in Russland und Sprachen Russlands
Russen in Sankt Petersburg
Streng genommen würde Rossijskaja Federazija wörtlich übersetzt „Russländische Föderation“ (von Rossija „Russland“) und nicht „Russische Föderation“ heißen. Man hat bewusst nicht Russkaja Federazija („Russische Föderation“) als Staatsbezeichnung gewählt, um auch die nichtrussischen Nationalitäten mit einzubeziehen. Ist von dem russischen Volk oder der russischsprachigen Kultur die Rede, spricht man daher im Russischen von russkij (russisch), für den russischen Staat hingegen verwendet man das Adjektiv rossijskij (russländisch). Trotzdem wird im Deutschen in beiden Fällen zumeist das Adjektiv „russisch“ verwendet. Der Gebrauch des Wortes „russländisch“ beschränkt sich weitgehend auf Fachpublikationen. Auch die amtliche Übersetzung der Verfassung Russlands verwendet diese Variante.
Die Russische Föderation begreift sich auch heute noch als Vielvölkerstaat. Die größte Gruppe sind die Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, doch leben nahezu 100 weitere Völker auf dem Gebiet des Landes. Trotz der Heterogenität ist die russische Bevölkerung in allen städtischen und industriell geprägten Räumen landesweit dominant und die Titularnationen bilden auch in ihren „eigenen“ Territorien häufig die Minderheit.[53] So zählen nur 23 Völker bzw. Titularnationen mehr als 400.000 Personen. Der Grad der ethnischen Identifikation variiert.
Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Deutschen (0,8 %) und andere. Zu den kleineren Minderheiten zählen beispielsweise die Mescheten und verschiedene Minderheiten jüdischen Glaubens. Die nichtrussischen Minderheiten sprechen überwiegend Sprachen aus dem Kreis der Turksprachen, kaukasische Sprachen, uralische Sprachen (samojedische Sprachen), altaische oder paläosibirische Sprachen. Für viele nichtrussische Völker wurden Republiken mit weitgehender Autonomie errichtet. Während manche Minderheiten, wie etwa Armenier, Koreaner und Deutsche, auf die verschiedensten Regionen Russlands verteilt sind, gibt es auch im europäischen Russland mehrere indigene Völker. Groß ist die Zahl der Nationalitäten im Kaukasusgebiet, das erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu Russland kam.
Siehe auch: Indigene Völker des russischen Nordens
Die zahlenmäßig bedeutendsten indigenen Minderheiten Russlands
Sprachen
Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache, parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken jedoch häufig die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet. In einigen Republiken existieren auch drei oder mehr offizielle Sprachen; in Dagestan, wo mehr als 30 einheimische Volksgruppen leben, gibt es 14 offizielle Sprachen.
Die Verwendung der regionalen Sprachen wird im Unterricht, in den Massenmedien und in der Kulturpolitik gefördert. Die Regierungen und Parlamente der Republiken betrachten dies als unabdingbare Voraussetzung, um ein Aussterben von Volksgruppen zu verhindern. Allerdings nimmt die Beherrschung der indigenen Muttersprache unter vielen nicht-russischen Volksgruppen ab.
Russisch wird, ebenso wie fast alle regionalen Amtssprachen in Russland, im kyrillischen Alphabet geschrieben. Es besteht die Richtlinie, dass alle jeweiligen Sprachen kyrillisch zu schreiben sind. Ausnahmen bilden das Jiddische in der Jüdischen Autonomen Oblast, welches dort aber bereits seit Jahrzehnten kaum noch gesprochen wird, sowie das Karelische, Finnische und Wepsische in Karelien, die dort jedoch nur einen untergeordneten offiziellen Status besitzen.
In Tatarstan wurde Tatarisch als einzige Ausnahme von 2001 bis 2004 gegen den Widerstand der in Tatarstan ansässigen russischsprachigen Bevölkerung ausschließlich in lateinischer Schrift geschrieben. Diese Praxis verbot das russische Verfassungsgericht im November 2004 mit der Begründung, dass für die Einigkeit Russlands eine einheitliche Schrift notwendig sei.[55]
Religionen
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem damit verbundenen Verschwinden der atheistischen Staatsideologie des Marxismus-Leninismus fand eine Rückbesinnung auf religiöse Werte statt. Die in Russland am weitesten verbreiteten Religionen sind das Christentum – vor allem der russisch-orthodoxe Glaube – sowie der Islam (→ Islam in Russland). Vertreten sind darüber hinaus zahlreiche andere Konfessionen wie der römisch-katholische Glauben, der Protestantismus, das Judentum, der Buddhismus sowie traditionelle Glaubensrichtungen einiger Volksgruppen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung bezeichnet sich als Atheisten oder Konfessionslose.[A 4]
Orthodoxe
40–75 %
Religionslose und Atheisten
25–35 %
Agnostiker
20–25 %
Muslime
7–15 %
Andere Christen
2 %
Buddhisten
0,7 %
Juden
0,35 %
Was die Zugehörigkeit zu einzelnen Religionsgruppen angeht, gibt es keine zuverlässigen Zahlen, da die Mitglieder von Kirchen und Gemeinden in Russland nicht registriert werden und keine Kirchensteuer erhoben wird. Umfragen weichen oft erheblich voneinander ab. So hat die Stiftung für öffentliche Meinung (FOM) 2012 nur noch 41 Prozent Orthodoxe festgestellt, gegenüber 13 Prozent Atheisten und nur 6,5 Prozent Muslimen. Weitere 25 Prozent aber bezeichneten sich als Agnostiker bzw. gaben an, an eine höhere gottähnliche Macht zu glauben.[56] Das Gesamtrussische Zentrum für Meinungsforschung (VCIOM) ging hingegen 2010 von 75 Prozent Orthodoxen und nur 8 Prozent Atheisten aus, seine Zahlen werden auch von der Russischen Botschaft in Deutschland zitiert.[57]
Abweichend von den genannten Umfragen wird der Anteil der Orthodoxen meist zwischen 51[58][59] und 72 %[A 5][60][61] angegeben, die der anderen Christen mit zusammen kaum 2 %, die der Buddhisten mit knapp 1 % und die der Juden mit etwa 0,35 %.[62] Der Fischer Weltalmanach und der Religious Freedom Report des US-Außenministeriums geben 14 % Muslime an.[61][63]
Das CIA World Factbook ging 2006 von folgenden groben Schätzungen für praktizierende Gläubige aus, also von solchen, die ihren Glauben aktiv ausüben: 15 bis 20 % Russisch-Orthodoxe, 10 bis 15 % Muslime, 2 % andere christliche Konfessionen.[64]
Russisch-Orthodoxe Kirche
→ Hauptartikel: Russisch-Orthodoxe Kirche
In den oft prächtig ausge­statteten orthodoxen Kirchen (hier die Verklärungskathedrale in Toljatti) finden meist täglich Gottesdienste statt. Die orthodoxe Liturgie ist das Gegenstück zur römisch-katholischen Heiligen Messe.
Der russisch-orthodoxe Glaube reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Die engen Kontakte zu dieser Glaubensrichtung resultierten aus dem hauptsächlich auf Konstantinopel ausgerichteten Handel und den damit engen Kontakten mit Byzanz. Die Fürstin Olga von Kiew (893–924) ließ sich als erste Herrscherin aus der rurikidischen Dynastie taufen, konnte den christlichen Glauben im Reich aber nicht durchsetzen. Nach der Belagerung von Konstantinopel (860) kamen ab 911 verstärkt orthodoxe Missionare ins Land, angeblich sollen bereits Waräger und Russen, die am Angriff von 860 teilgenommen hatten, getauft zurückgekehrt sein. Unter Olgas Enkel, Wladimir dem Heiligen, begann 988/989 die Christianisierung der Rus, wobei die Kiewer Bevölkerung in Massentaufen bekehrt wurde. Nach Wladimirs Tod 1015 wurden die bisher heidnischen Völker noch jahrzehntelang weiter christianisiert. Byzanz betrieb zu dieser Zeit seine Kirchenpolitik im bewussten Gegensatz zu Rom und vermittelte den Ostslawen bei ihrer Bekehrung antirömische Tendenzen.[65] Die Kirche Kiews wurde als Teilkirche des Patriarchates von Konstantinopel zunächst von Exarchen verwaltet, was keine Auswirkungen auf die politische Selbständigkeit der Kiewer Großfürsten hatte. Die Orthodoxe Kirche und ihre Werte bilden bis heute eine tragende gesellschaftliche Säule des russischen Reiches.
Nach der Vernichtung der Kiewer Rus im Mongolensturm und unter der nachfolgenden Goldenen Horde übersiedelte der Kiewer Metropolit im 14. Jahrhundert zunächst nach Wladimir, dann 1328 nach Moskau. Im 15. Jahrhundert löste sich die Russisch-Orthodoxe Kirche endgültig vom griechisch-orthodoxen Patriarchat in Konstantinopel, nachdem sich dieses infolge des politischen Niedergangs von Byzanz zu Zugeständnissen an den Papst bereit erklärt hatte. Die Konzeption von Moskau als Drittem Rom, das als einziges den „wahren christlichen Glauben“ aufrechterhalte, war geboren. 1589 wurde ein eigenes Patriarchat gegründet. Peter I. hob dieses auf und setzte 1721 stattdessen an die Spitze der Kirche den Heiligsten regierenden Synod, der 1918 in Sowjetrussland abgeschafft wurde. Die Sowjets stellten zunächst das Patriarchat wieder her, ehe 1988 ein Heiliger Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche wiedererrichtet wurde.
Im Russland vor 1917 durften Anhänger der Russisch-Orthodoxen Kirche nicht zu einer anderen Konfession, auch wenn sie christlich war, übertreten und durften keine „Nichtchristen“ heiraten. Dieser Kirche war es als einziger Religion erlaubt, zu missionieren; Kinder aus „gemischten“ Ehen mit Nicht-Orthodoxen galten als orthodox. Erst mit der Revolution von 1905 wurden die Gesetze gelockert. Nach der Herrschaftsübernahme der Kommunisten wurden hauptsächlich Mitglieder dieser Kirche unterdrückt, da sie als Symbol der Autokratie galt. Zwischen 1918 und 1939 wurden ca. 40.000 orthodoxe Geistliche hingerichtet. Die 77.800 Gemeinden von 1917 wurden bis 1941 auf etwa 3100 reduziert.